Carl Ludwig Nietzsche / Emil Julius Schenk – Briefwechsel [1. Aufl.] 9783476051684, 9783476051691

Der Briefwechsel Nietzsches (1813-1849), des Vaters des Philosophen Friedrich Nietzsche, mit seinem Theologenfreund Sche

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German Pages XXVIII, 292 [318] Year 2020

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Carl Ludwig Nietzsche / Emil Julius Schenk – Briefwechsel [1. Aufl.]
 9783476051684, 9783476051691

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXVIII
Front Matter ....Pages 1-1
1839 (Martin Pernet)....Pages 3-7
1840 (Martin Pernet)....Pages 8-23
1841 (Martin Pernet)....Pages 24-46
1842 (Martin Pernet)....Pages 47-60
1843 (Martin Pernet)....Pages 61-84
1844 (Martin Pernet)....Pages 85-109
1845 (Martin Pernet)....Pages 110-147
1846 (Martin Pernet)....Pages 148-179
1847 (Martin Pernet)....Pages 180-202
1848 (Martin Pernet)....Pages 203-255
1849 (Martin Pernet)....Pages 256-258
Anhang (Martin Pernet)....Pages 259-285
Back Matter ....Pages 287-292

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Carl Ludwig Nietzsche Emil Julius Schenk Briefwechsel Herausgegeben von Martin Pernet

Carl Ludwig Nietzsche / Emil Julius Schenk – Briefwechsel

Carl Ludwig Nietzsche / Emil Julius Schenk – Briefwechsel Herausgegeben und kommentiert von Martin Pernet

Martin Pernet Sent, Schweiz

ISBN 978-3-476-05168-4     ISBN 978-3-476-05169-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-476-05169-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. J. B. Metzler © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikro­verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandabbildung: © akg-images / picture alliance J. B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort

Es war im Herbst 1982. Ich fuhr mit Reiner Bohley (1941–1988), einem der ersten Erforscher von Quellen über und Darsteller von Friedrich Nietzsches Jugendzeit, von Naumburg nach Röcken. Ich war in der damaligen DDR in verschiedenen Archiven auf Quellensuche nach Material über die Pfarrerfamilie Nietzsche. Da erwähnte Reiner Bohley mir gegenüber, dass er im Nietzschearchiv in Weimar auf eine umfangreiche Korrespondenz zwischen dem Vater des Philosophen und einem Theologenfreund mit Namen Schenk gestossen sei. Er meinte, dieser Briefwechsel sollte unbedingt publiziert werden. Doch allein sein Umfang und die Kommentierung sei Arbeit für ein ganzes Team und dies über Jahre hinweg. Daraufhin sah ich mir diese Korrespondenz in Weimar näher an und bemerkte schon bald, dass ich Reiner Bohley Recht geben musste. Allein zur Erhellung von Nietzsches Jugendzeit in Röcken, was die Atmosphäre und das damalige Leben im Röckner Pfarrhaus betrifft, ebenso der theologischen Überzeugung von Nietzsches Vater, lohnte sich eine Publikation in jedem Fall. Hinzu kam, und dies ist wohl der wesentlichste Punkt, dass dank dieser Korrespondenz die lebenslange Auseinandersetzung des Philosophen mit der in seinem Elternhaus als Kind erlebten und anerzogenen Richtung innerhalb des Christentums inhaltlich besser verstanden und eingeordnet werden kann. Das Leben eines Menschen beginnt bekanntlich nicht mit sich selbst, sondern mit seinen Eltern und deren Eltern und Grosseltern. Durch sie sind wir bestimmt und begrenzt, das geworden, was wir geworden sind. Damit sollte auch ein für alle Mal Klarheit geschaffen sein darüber, dass die landläufige und immer wieder kolportierte und nur selten hinterfragte Charakterisierung Nietzsches als eines Atheisten, der schon in seiner Jugendzeit mit dem Christentum (welche Form von Christentum wird dabei allermeist nicht gesagt) gebrochen habe, an den Fakten vorbeigeht. Auch wenn der christliche Glaube für Nietzsche schon bald eine Überzeugung war, die er zunächst in Frage stellte, im Laufe seines Lebens alsdann immer stärker bekämpfte, so muss seine lebenslange Auseinandersetzung mit dem Christentum doch auch unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, dass an dieser Religion etwas war, was ihn nicht losließ. Hinzu kommt, dass er die im Vaterhaus erlebte Christlichkeit, nämlich in der Form der Er-

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Vorwort

weckten1, uneingeschränkt gelten ließ, ja von seiner Kritik ausdrücklich ausnahm und meinte, dies sei die einzige Gestalt, in der das Christentum in seiner Gegenwart noch gelebt werden könne. Die hier vorgelegte Korrespondenz gibt darüber Rechenschaft. Obwohl Briefe zu den wichtigsten Denkmälern gehören, die ein einzelner Mensch hinterlassen kann, so darf eine Publikation derselben nicht unbedarft geschehen. Waren diese doch, wie auch in unserem Fall, nicht für die Augen der Allgemeinheit bestimmt. Doch was wüssten wir vom Vater Friedrich Nietzsches, von seinen theologischen, politischen Gedanken und seiner familiären Situation, wenn uns seine Briefe nicht erhalten wären? So muss Goethe Recht gegeben werden, wenn er meinte, dass Briefe „Blätter für die Nachwelt“ sind und es ein „groses Glück sei, wenn man korrespondirt“.2 Der Briefwechsel von Carl Ludwig Nietzsche mit Emil Julius Schenk umfasst insgesamt 240 zum Teil umfangreiche Briefe.3 Nach der schweren Erkrankung ihres Mannes übernahm Franziska Nietzsche den schriftlichen Gedankenaustausch mit Schenk, intensivierte zudem ihre bereits bestehende Korrespondenz mit Schenks Frau Emma. Nach Emmas frühem Tod 1863 führten Schenk und Franziska Nietzsche den Briefaustausch zusammen weiter.4 Bis ins hohe Alter gingen Briefe, geschrieben meist anlässlich Franziskas resp. Schenks Geburtstag, von Dodendorf, wo Schenk seit 1862 amtete, nach Naumburg und umgekehrt hin und her. Sie erzählen von familiären und beruflichen Ereignissen. Die hier publizierte Briefauswahl enthält gut hundert Briefe aus der Feder der beiden Freunde. Hinzu kommen noch einige wenige Briefe aus der Korrespondenz Franziska Nietzsches und den Schenks. In diesem Band mit ausgewählten Briefen sind diejenigen Schreiben aufgenommen worden, die ein Licht werfen auf die jeweilige familiäre Situation, zudem solche, die Rückschlüsse auf die theologische Denkungsart der Briefschreiber zulassen und schließlich alle Mitteilungen, die das Kind, den Jungen und schließlich den Studenten und späteren Universitätslehrer Friedrich Nietzsche betreffen. Auch Nietzsches geistigen Zusammenbruch hat Schenk noch erlebt, in späten Jahren, nämlich im Frühjahr 1892, Mutter und Sohn in Naumburg besucht und sich Franziska gegenüber schriftlich dazu geäussert. So kann sich der Leser ein gründliches Bild machen von der familiären Luft, die der junge Friedrich während seiner Kindheit in Röcken eingeatmet und die ihn wesentlich geprägt hat. Ebenso vom Bild, das Mutter und nahe Bekannte sich vom erwachsenen Denker gemacht haben. Noch einige wenige Hinweise zur Schreibweise der Briefschreibenden. Carl Ludwig Nietzsche schrieb dasselbe Wort oft unterschiedlich (z. B. Interesse und Intresse; blos und bloß usw.). Franziska Nietzsche hatte Schwierigkeiten mit dem Schluss-n resp. Schluss-m; ebenso schreibt sie innerhalb eines Wortes: statt „immer“

1  Vgl.

dazu: Martin Pernet: Das Christentum im Leben des jungen Friedrich Nietzsche. Opladen 1989. Ders: Nietzsche und das ‚Fromme Basel‘, Basel 2014, bes. Sn.289–323. 2  Zitiert nach Carla Wirz: „Der Brief ist tot – oder doch nicht?“, in: NZZ vom 21.8.2015. 3  Aufbewahrt im Goethe und Schiller Archiv in Weimar unter den Siglen GSA 100/363 und 100/396. 4  GSA 100/726; 100/835; 100/836. 

Vorwort

VII

„imner“, statt „himmlisch himnlisch“, an Stelle von „Freundin Freundinn“ usw. Im Weiteren lesen sich bei ihr manchmal „Danck“, „dencken“, auch „Aeßerung“ an Stelle von „Äußerung“. Alle diese sprachlichen Unregelmäßsigkeiten wurden beibehalten. Im Weiteren wurden Wörter, die nicht entzifferbar waren, mit […] wiedergegeben. Wenn sich der Herausgeber auch bemüht hat, allen in der gesamten Korrespondenz genannten Namen nachzugehen und einer entsprechenden Persönlichkeit in einer Anmerkung zuzuweisen, so war dies trotz großem Bemühen in einzelnen Fällen nicht möglich. Insbesondere dann nicht, wenn im Brieftext Vorname und Wohnort fehlten, was nähere Angaben oft unauffindbar machte. Von Herrn Prof. Dr. Hubert Treiber (Hannover) habe ich in dankenswerter Weise die Adresse von Frau Annemarie Schleebach erhalten, die in unermüdlicher Arbeit und unzähligen Stunden einen großen Teil dieser Korrespondenz, geschrieben in der oft nur schwer lesbaren Sütterlinschrift, Zeile für Zeile in eine für uns lesbare Handschrift transkribiert hat. Anschliessend wurden die unlesbaren Wörter mit den Originalen im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar, dem das Nietzsche-Archiv angegliedert ist, abgeglichen und die Lücken, wenn immer möglich, gefüllt. Daran anknüpfend übertrug Gabriela Maria Pernet alle Briefe in eine elektronische Form. Ohne die unschätzbar aufopfernde Arbeit dieser beiden Frauen hätte dieser Briefwechsel nicht erscheinen können. Ihnen sei an erstere Stelle von ganzem Herzen gedankt. Auch möchte ich einer Mäzenin, die einen namhaften finanziellen Betrag an die Realisierung dieses Projektes geleistet hat, von Herzen danken. Mein Dank geht im Weiteren an Herrn Dr. Nikolai Borchers (Überlingen), der bei der Sichtung des Briefkonvoluts behilflich war, wie auch an Herrn Prof. Dr. Manfred Koch (Sent) für die Durchsicht des Manuskripts, sowie an Frau Lena Koch, Archivarin am Landeskirchenarchiv in Magdeburg, die immer wieder mit großer Geduld alle meine Fragen nach Biogrammen gesuchter Personen beantwortet hat. Unterstützt haben mich auch Frau Annegret Jungnickel vom Stadtarchiv Naumburg, Herr Jens Hellwig vom Landesarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg, Frau Brigitte Kunze von der Kirchgemeinde St. Johannis in Plauen, Herrn Dr. Jörg Müller, Referatsleiter im Landesarchiv Thüringen in Altenburg sowie Frau Kristin Schubert, Leiterin des ev.-luth. Landeskirchenarchiv Sachsens in Dresden. Schließlich danke ich auch Herrn Prof. Dr. Andreas Urs Sommer (Freiburg) für seinen Beistand, der Leitung des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar für die erteilte Druckerlaubnis (von GSA 100/363, 396, 726, 835, 836) und meiner Lektorin, Frau Franziska Remeika M.A., Senior Editor im Verlag Metzler, für Ihre Unterstützung und die Aufnahme dieser Korrespondenz in das Verlagsprogramm. Ende September 2019

der Herausgeber Martin Pernet

Einleitung

Es soll im Folgenden in gebotener Kürze die politische, insbesondere kirchenpolitische Situation in Preußen während der Jahre 1830–1850 dargestellt werden, wie sie sich zur Zeit der beiden Briefschreiber ereignet hat.1 Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die preußische Provinz Sachsen gelegt, wo die beiden Freunde beheimatet gewesen sind. Im Weiteren wird eine theologiegeschichtliche Darstellung der sogenannten Erweckungsbewegung gegeben sowie eine Schilderung der beiden korrespondierenden Persönlichkeiten.

I. Preußens Kirchenpolitik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. (1770–1840) im Jahre 1797 begann eine neue Ära der Reformpolitik. Manches wurde in die Hand genommen. Genannt sei in diesem Zusammenhang die Bildungsreform, die zur Gründung der Berliner Universität führte, was eine neue Epoche der deutschen Bildungsgeschichte einleitete. Mit einigen der berühmtesten Gelehrten ihrer Zeit, mit Schleiermacher, Savigny, Friedrich August Wolf, Fichte, eröffnete sie im Winterhalbjahr 1810/1811 ihren Lehrbetrieb. Weitere dringende Reformaufgaben wären u. a. eine Anpassung der zentralen Behördenorganisation und der königlichen Regierungsweise gewesen. Doch da in den Kommissionen vor allem Staatsbeamte der älteren Schule saßen, die sich zu tiefgreifenden Reformen nicht durchringen konnten und eine notorische Unentschlossenheit des Königs hinzukam, blieben viele Neuerungen im Ansatz stecken oder wurden gar auf Eis gelegt. Und so blieben letztlich für die preußische Politik Selbständigkeit und Unabhängigkeit leere Begriffe, Preußen war weiterhin ein absolutistischer, patriarchalischer Obrigkeitsstaat, der die Zeichen der Zeit weder erkennen konnte noch wollte. Hatte die Revolution den Franzosen neuen Schwung verliehen und schlafende Kräfte

1 

Vgl. zu diesem Themenkomplex auch: Martin Pernet: Eine Quelle für Nietzsches christliche Herkunft. Der Briefwechsel seines Vaters mit Emil Julius Schenk, in: Nietzscheforschung. Jahrbuch der Nietzsche-Gesellschaft, Bd. 11 (2004), S. 279–296. 

Einleitung

IX

geweckt, so wurde in Preußen durch das Festhalten am Alten und durch die strenge Verfolgung neuer, revolutionärer Ansätze ein Umsturz nicht aufgehalten, sondern geradezu gefördert. Wenngleich Friedrich Wilhelm III. ein bewusster evangelischer Christ mit Sinn für die Kirche und ihre Aufgaben war, so dachte er gleichwohl nicht daran, in Preußen, innerhalb des Deutschen Bundes die führende protestantische Macht, etwas von dem abzugeben, was das absolutistische Zeitalter dem Landesherrn an kirchenhoheitlichen Rechten verschafft hatte. 1817 rief er das Kultusministerium ins Leben, dessen Aufgabe es war, die allgemeine Aufsicht über die Kirchen resp. deren Amtsträger auszuüben. Im Weiteren unterstanden diesem Ministerium die Besetzung der Pfarrämter sowie die Disziplinargewalt. Einen Teil dieser Aufgaben übernahm ab 1828 der in jeder Provinz des Landes vom König eingesetzte Generalsuperintendent, dem bischofsgleiche Macht und Autorität zufiel. Die Generalsuperintendenten hatten Sitz und Stimme in den Regierungsabteilungen und standen damit kirchlichen Stellen in unabhängiger Position gegenüber. Sie waren der eigentliche Mittelpunkt einer Kirchenprovinz, hatten die Pfarrer zu ordinieren, neue Kirchen einzurichten und unternahmen Visitationsreisen zur Beaufsichtigung der Pfarrer. So erfuhr das alte, aus der Aufklärung stammende Staatskirchentum eine Fortsetzung, verblieb doch die Verantwortung für die Kirche beim König persönlich und bei den staatskirchlichen Autoritäten. Der König vertrat als oberster Bischof die Kirche, dabei unterstützt von den Generalsuperintendenten und ihren Untergebenen, den Superintendenten. Kirchenpolitisch verfolgte dieser König noch weitere Pläne. Verheiratet mit Luise Herzogin von Mecklenburg-Strelitz (1776–1810), die dem lutherischen Bekenntnis verpflichtet war, habe es ihn, den König, wie er sagte, immer geschmerzt, dass er als Reformierter nicht mit seiner lutherischen Gemahlin zusammen zum Tisch des Herrn habe gehen können. Deshalb rief er im Vorfeld des dreihundertjährigen Reformationsjubiläums am 31. Oktober 1817 zur gemeinschaftlichen Feier des Abendmahls durch Reformierte und Lutheraner auf. Die Vorarbeiten für diese sog. Union leistete der Hofbischof Rulemann Friedrich Eylert (1770–1852), seit 1806 Hofprediger in Potsdam, 1818 vom König zum evangelischen Bischof und Mitglied des Staatsrats und des Kultusministeriums ernannt. Eylerts geschmeidige und anpassungsfähige Natur, die keine eigenen Konturen aufwies und die Entscheidung lieber im Kompromiss suchte, machte ihn zum Hofprälaten geeignet. Der königliche „Aufruf zur freiwilligen Union, eine Bekenntnisvereinigung ohne Bekenntniszwang“2, fand schon bald große Zustimmung und auch außerhalb Preußens rege Nachahmung. Der Beitritt zur Union war freiwillig, wurde aber staatlich gefördert. Einzig in der preußischen Provinz Sachsen, vornehmlich im Regierungsbezirk Merseburg, stellte sich innerhalb der kirchlichen Provinzialsynoden eine eher distanzierte Haltung zur Union ein. Unter dem einflussreichen Kanzelredner Franz Volkmar Reinhard (1753–1812), Oberhofprediger in Dresden, hatte sich eine Wiederentdeckung Luthers angebahnt und in diesem Zusammenhang

2 

Zit. nach Hans Seehase: Agende und Union. Der Weg des Preußischen Provinzialverbandes Sachsen in Fragen der Kirchenverfassung und Kirchenordnung zwischen 1817 und 1869, in: Die Anfänge der preussischen Provinz Sachsen und ihrer Kirchenorganisation (1816–1850), S. 77. 

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Einleitung

auch eine Stärkung der lutherischen Kirche vollzogen. Die Folge war, dass ihr, Jahre später, ein Verbleib in der evangelischen Unionskirche auf Grund der Betonung und des Alleinstellungsmerkmals der evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften nicht mehr möglich erschien und sie sich daher der 1830 gebildeten Evangelisch-lutherischen (altlutherischen) Kirche anschloss. Der König war den Lutheranern insgesamt mit der Deutung der Union so weit wie nur denkbar entgegengekommen in der Absicht, möglichst viele Glieder unter den Altlutheranern wieder in die Kirche der Union zurückführen zu können. Die Konstituierung einer selbstständigen Kirche neben der Union hingegen wurde ausdrücklich untersagt und mit dem Erlass einer Kabinettsorder auch sanktioniert, altlutherische Pfarrer wurden inhaftiert und, wenn sie geflohen waren, steckbrieflich gesucht. Die Folge war, dass in den Jahren 1837 und 1838 über 2000 Lutheraner Preußen verließen und teilweise nach Amerika auswanderten. Des Öftern erwähnen unsere Briefpartner in diesem Zusammenhang den in Halle lehrenden Theologieprofessor Ferdinand Guericke (1803–1878), der 1833 seinen Austritt aus der unierten Kirche erklärte, worauf er von der staatlich-kirchlichen Behörde seines Professorenamtes enthoben wurde. Guericke ließ sich daraufhin zum Pfarrer der altlutherischen Gemeinde ordinieren und gründete in Halle und später auch in Naumburg weitere Gemeinden, deren Pfarrer er selber war. Der damalige Leiter des Kultusministeriums Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein (1770–1840) belegte ihn daraufhin mit einer hohen Geldstrafe und drohte ihn unter Arrest zu stellen, was bei Guericke Wirkung zeigte. Er bat um Wiederanstellung als Professor und löste sich von der altlutherischen Gemeinde. Die Zeit der Verfolgungen endete für die Altlutheraner erst mit dem Tod des Kultusministers vom Altenstein 1840 und des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. im gleichen Jahr. Sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. brach mit der restaurativen Politik seines Vaters und anerkannte in Folge die Altlutheraner als eigenständige Kirche. Friedrich Wilhelms III. ausgesprochener Sinn für eine feierliche Form des Gottesdienstes hatte ihn immer wieder bewogen, über den kirchlichen Kult und die Liturgie nachzudenken und angesichts deren Verflachung unter den Einwirkungen der Aufklärung eine neue, einheitliche Kirchenordnung zu schaffen. Eingehende eigene Studien alter Kirchenordnungen hatten den Monarchen in der Absicht bestärkt, in ganz Preußen eine einheitliche Gottesdienstordnung in Anwendung bringen zu lassen, um so den Gottesdienst neu zu beleben und auch die Union zu befördern. Damit rief er freilich schon bald heftigen Widerstand hervor, wurde dem König doch u. a. das Recht, das ius liturgicum positivum wahrzunehmen, bestritten. Nur wenige preußische Pfarrer waren anfänglich bereit, dieser neuen Kirchenordnung Folge zu leisten. Was den Monarchen bewog, die Einführung der Agende nicht per Kirchengesetz zu erzwingen, vielmehr gewisse Freiheiten in der Anwendung zuzulassen, womit sich der Streit entschärfen und der Widerspruch mildern liessen. Entschiedener Widerstand kam auch hier von den Altlutheranern. Sie opponierten heftig gegen diese staatliche Einmischung in kirchliche Angelegenheiten. Was für viele Lutheraner ein weiterer Grund war, der Union nicht beizutreten, was letztlich ein Erstarken des lutherischen Konfessionalismus zur Folge hatte. Vergeblich bat man um Erhalt des lutherischen Gottesdienstes nach überliefertem Ritus und wies dabei auf die Unantastbarkeit und Eigenständigkeit der lutherischen Kirche in Lehre

Einleitung

XI

und Leben hin. Doch Opposition duldete der König nicht, ging vielmehr gegen die Widerspenstigen mit Absetzungen und Gefängnisstrafen vor. Viele haben deswegen bis zur Machtübernahme durch Friedrich Wilhelm IV. im Kerker gesessen. Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861; 1840–1861), gebildet, geistreich und schönheitsbegeistert, doch ohne Kraft zu konsequentem Handeln, war in Vielem das Gegenteil seines in den Bahnen eines bürokratisch verhärteten Absolutismus regierenden Vaters. Bei seinem Regierungsantritt hatte er grosse, wenngleich überzogene Hoffnungen auf eine Liberalisierung geweckt. So rehabilitierte er den von seinem Vater eingekerkerten Schriftsteller und Historiker Ernst Moritz Arndt (1769–1860) und holte die Gebrüder Grimm aus ihrem Exil nach Berlin zurück. Im Weiteren hob er die Pressezensur auf und machte der katholischen Kirche bedeutende Zugeständnisse. Außerdem war seine Regierungszeit eine Zeit des Bauens, des Eisenbahnbaus vor allem, Jahre auch der industriellen und finanziellen Gründungen. Auch war er feinfühlig genug, um zu ahnen, dass über kurz oder lang politische Reformen an die Hand genommen werden müssten. Doch blieb der letztlich wenig entscheidungsfreudige König, der „Romantiker auf dem Königsthron“, bei seinen Neuerungen meist auf halbem Wege stehen und einem Weltbild, das an einem verklärten Mittelalter orientiert war, verhaftet. Seine romantischen Träume trafen sich nicht mit den nüchternen Forderungen des Bürgertums, ein Recht des Volkes auf politische Mitsprache existierte in seiner Vorstellungswelt nicht. Den immer stärker werdenden Mächten von ‚unten‘, wie dem Liberalismus und einer bürgerlichen Klassengesellschaft mit ihren Forderungen nach mehr Demokratie, begegnete er mit Unverständnis und Ablehnung und blieb dem Gedanken eines Gottesgnadentums in dem Sinn, dass Gott ihm, dem König, mehr Erkenntnis gegeben habe als den anderen Menschen, verhaftet. Ein Zeitgenosse, der Dichter Heinrich Heine notierte über ihn: „Ich habe ein Faible für diesen König. / ich glaube, wir sind uns ähnlich ein wenig. / Ein vornehmer Geist, hat viel Talent. / Auch ich, ich wäre ein schlechter Regent.“ Als sich der Monarch 1847 endlich zu einem Schritt in der seit seinem Regierungsantritt schwelenden Verfassungsfrage entschloss und sich in Berlin auf seinen Befehl zum sog. „Vereinigten Landtag“ freilich nur Mitglieder von schon existierenden Ständeversammlungen der preußischen Provinzen trafen, wurde dieser, nachdem eine Mehrheit die klassischen Forderungen des Liberalismus in eine neue Verfassung aufzunehmen beschlossen hatte, auf Befehl des Königs wieder aufgelöst, da der König eine neue Verfassung in diesem Sinn rundweg ablehnte. Auf politische Zugeständnisse im Zuge der Revolution von 1848/49 ließ er sich erst ein, als die Lage für ihn völlig ausweglos erschien – etwa nachdem es im März 1848 in Berlin zu blutigen Auseinandersetzungen mit vielen Toten gekommen war. Als ihm ein Jahr später die Frankfurter Nationalversammlung die Kaiserkrone antrug, schlug er diese aus mit der Begründung, dass eine Nation, verunehrt vom „Ludergeruch der Revolution“, nicht von einem Hohenzollern regiert werden könne. Damit hatten die alten Herrschaftsklassen Preußens im Jahre 1848 endgültig abgedankt. Auch kirchenpolitisch änderte sich unter diesem König, der noch ganz von der Notwendigkeit einer inneren Verbindung von Thron und Altar überzeugt war, wenig. Zwar hatte er die Kirchenpolitik seines Vaters abgelehnt und seiner Sympathie für die verfolgten (Alt-)Lutheraner und die „Stillen im Lande“, wie die Erweckten auch genannt

XII

Einleitung

wurden, beredten Ausdruck gegeben. Stand er doch selber der Erweckungsbewegung nahe und rekrutierte praktisch alle seine Berater aus diesem Umkreis. Zudem träumte er noch immer, selber von tiefer, persönlicher Frömmigkeit erfüllt, von einem friedlichen, aber dankbar nach oben blickenden Kirchenvolk mit ihm, dem Landesherrn, als „advocatus ecclesiae“ an der Spitze. Das Kirchenregiment sollte allein von Bischöfen ausgeübt werden. Ihnen nachgeordnet sollten die aus Geistlichen und Laien gebildeten Presbyterien entstehen. Über ihnen allen als evangelischer Primas Germaniae der Erzbischof von Magdeburg, dessen Kapitel gleichzeitig das Kultusministerium bilden sollte. Doch gingen diese Pläne an der Realität vorbei. Zu Recht notiert Karl Kupisch: „Friedrich Wilhelm IV. Lehre vom christlichen Staat war eine auf dem Boden des romantisch-konservativen Denkens erwachsene religiös-politische Spekulation […] Von einer theokratischen Staatsauffassung her wurde das historisch Gewordene, vor allem die Erbmonarchie mit dem alten patriarchalischen Ständewesen, unter kräftiger Berufung auf Luther und dessen antirevolutionäre Obrigkeitslehre, als gottgewollte Gesellschaftsform bezeichnet, die Aufklärung und die aus hier hervorgegangene Revolution als Blendwerk der Hölle verworfen. ‚„Autorität, nicht Majorität!“‘ war die Losung. […] Das ganze Unternehmen war der Versuch, am Vorabend revolutionärer europäischer Wandlungen, die alten Mächte noch einmal ideologisch mit christlichen Motiven gegen den heraufziehenden Umbruch abzuschirmen. Die Geschichte hat gezeigt, dass damit weder der Kirche noch dem Staat ein Dienst erwiesen wurde“.3 Da die beiden Briefschreiber, Nietzsche und Schenk, in der Stadt Altenburg einige Zeit wohnhaft gewesen waren und sich dort kennen gelernt hatten, soll noch ein kurzer Blick auf das Herzogtum Sachsen-Altenburg mit der Landeshauptstadt Altenburg, das aus der territorialen Neugliederung der Ernestinischen Herzogtümer im Jahr 1826 hervorgegangen war, geworfen werden. 1831 hatte sich dieses Herzogtum eine neue Verfassung gegeben, die den Städten und Gemeinden des Herzogtums gewisse Freiheiten und das Recht der Selbstverwaltung zugestand. Von 1834–1848 wurde dieses Herzogtum von Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg (1789–1868) regiert. Herzog Joseph regierte wohlwollend und durchaus verantwortungsbewusst, war aber sehr konservativ und gänzlich reformunwillig. Die Landtagssitzungen waren nicht öffentlich und es bestand weiterhin Zunftzwang, was Industrie und Handel hemmte. Und seinen vornehmlich der evangelischen Kirche zugehörigen Bürgerinnen und Bürger war er kirchenpolitisch der summus episcopus. Zudem begünstigte er orthodoxe kirchliche Richtungen und stand glaubensmäßig selber, unter dem Einfluss seiner Gattin Amalie (1799–1848), einer Herzogstochter aus dem Württembergischen Land, den Erweckten nahe. Als 1848 in diesem Herzogtum ein Aufstand der demokratischen Kräfte ein gefährliches Maß angenommen hatte und Forderungen nach einem Freistaat laut wurden, rief der Herzog Reichstruppen ins Land, die die Regierung dieses eigensinnigen und uneinsichtigen Monarchen stützen mussten. Trotzdem sah er sich unter dem Druck der bürgerlichen Revolution

3 

Karl Kupisch: Zwischen Idealismus und Massendemokratie, Berlin 19603, S. 62 f. 

Einleitung

XIII

1848 schließlich gezwungen, von der Regierung zurückzutreten und zu Gunsten seines Bruders Georg (1796–1853; Herzog: 1848–1853) dem Thron zu entsagen.

II. Theologische Strömungen im preußischen Staat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Die Erweckungsbewegung ist eine insgesamt vieldeutige Erscheinung, eine kritische Erneuerungs- resp. Bußbewegung innerhalb des gesamten Protestantismus, wobei Zusammenhänge mit dem späten Pietismus und Einwirkungen des Idealismus, der Romantik und der Aufklärung unübersehbar sind. Nicht nur die Politik, auch die Kirchen waren von der Französischen Revolution mit ihrer notorischen Verleugnung der christlichen Glaubenslehre und der Verherrlichung der menschlichen Vernunft an Stelle der Gottesverehrung stark betroffen. Außerdem hatte die Herrschaft Napoleons die politische Ordnung Alteuropas in ihren Grundfesten erschüttert. In Folge verloren die Fürsten ihre Unantastbarkeit und damit ihren auf das Gottesgnadentum gestützten Herrschaftsanspruch, was die Zeit am Anfang des 19. Jahrhunderts zu einer Zeit großer Umbrüche machte. Angesichts dieser schwierigen politischen und wirtschaftlichen Zustände fanden viele Gläubige in einer platten Diesseitsfrömmigkeit keinen Halt mehr. Als Gegenbild zu den drückenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebensumständen, was sie als Zeichen einer bevorstehenden Endzeit deuteten, warteten sie auf das Wiederkommen Christi in nicht allzu ferner Zukunft. In Folge setzten sie sich konsequent für eine Rechristianisierung ein und richteten ihren Bekehrungseifer dabei auf den einzelnen Menschen aus. Bekehrte Christen sollten als ‚Sauerteig‘ in einer unchristlich gewordenen Gesellschaft wirken. Angesichts des weit verbreiteten sozialen Elends erging an sie der Aufruf zur „tätigen Nächstenliebe“. So entstanden die eindrücklichen erwecklichen Gründungen von Bibel- und Missionshäusern, von sozialen und karitativen Anstalten wie Kranken- und Diakonissenanstalten oder des Rauhen Hauses in Hamburg durch Johann Heinrich Wichern (1801–1881), einem Rettungshaus für verwahrloste Knaben. Hatte man in jenen kirchlichen Kreisen früher als die staatlichen Instanzen die enorme Bedeutung der sozialen Probleme – wie Kinderarbeit, Benachteiligung der Arbeiter, Alkoholismus, Entsittlichung aller Art (noch verschärft durch die schnell fortschreitende Industrialisierung) – erkannt und Abhilfe in die Hand genommen, so war man mit dieser christlichen Liebestätigkeit freilich weit davon entfernt, die herrschenden ökonomischen und sozialen Verhältnisse zu analysieren, geschweige denn zu hinterfragen. „Staatstreue kompensierte die Weltferne“ (Rudolf von Thadden). Im Gegenteil: man schloss sich gegen die „böse“ Welt ab und verweigerte sich einer Modernisierung der Gesellschaft, indem man kaum noch zur Kenntnis nahm, was die Wissenschaften an neuen Erkenntnissen erarbeiteten. Der Wissenschaftsgläubigkeit des gebildeten Bürgertums im 19. Jahrhundert setzten die Erweckten ihren Glauben und ihr Vertrauen in ein baldiges Kommen des Reiches Gottes entgegen. Als 1848 die bürgerlich-liberale Mitte, unterstützt von der linken Arbeiterschaft, in vielen Teilen Europas die alte, konservative Obrigkeit entmachtete, war dies für die Frommen ein tiefer Schock, ein Ausdruck menschlicher Selbstüberhebung und Verachtung der von Gott eingesetzten Obrigkeit resp. der weltlichen Ord-

XIV

Einleitung

nung. Aus diesem Grund stellte man sich bewusst auf die Seite der alten Regierungen. Als diese kurze Zeit später vorübergehend wieder an die Macht kamen, begrüßten die Frommen diese Entwicklung und drifteten so immer tiefer ins konservative Lager ab. Theologisch schöpften die „Stillen im Lande“ wesentlich aus den Quellen des Luthertums und seinen Bekenntnisschriften. Freilich zeigte sich in der theologischen Arbeit der Erweckungsbewegung ein weiter Spielraum von der Systemlosigkeit bis hin zur starken Gestaltungskraft. Ihr supranaturalistischer theologischer Ansatz führte in der Folgezeit zu rückwärtsgewandten theologischen Überzeugungen, die ihren Ursprung in der theologischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts hatten. Ihre theologischen Inhalte – die biblische Lehre von Sünde und Gnade, die Lehre vom Mittlertum Christi und der Versöhnung, auch die Distanzierung gegenüber der Welt der Arbeit, der Kultur und der Vernunft der jeweiligen Zeit, die zur Hauptsache in der Verkündigung, der Predigt zum Ausdruck kamen – waren für alle Erweckten zentral und grundlegend. Dessen ungeachtet sind von der Erweckung jener Jahrzehnte Wirkungen ausgegangen, ohne die das christliche Leben im 19. Jahrhundert, ja bis in die heutige Zeit, um manches ärmer gewesen wäre. Wussten sich die kirchlichen Behörden selber der Erweckung verpflichtet, so hatten sich in der preußischen Provinz Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einzelnen Dörfern und da und dort auch in den Städten nur kleine erweckliche Kreise gebildet. Ein großer Teil der Geistlichen und der Bevölkerung blieben dem theologischen Rationalismus verpflichtet. Als im November 1825 die preußische Regierung den „Dogmatiker der Erweckungsbewegung“ August Tholuck (1799–1877) gegen das einhellige Votum der theologischen Fakultät Halle zum ordentlichen Professor an der Universität Halle ernannte, vertiefte sich demzufolge die Entfremdung zwischen dem landeskirchlichen Regiment und einem großen Teil der Geistlichkeit und engagierten Laien. Und als Tholuck den ihm von den preußischen Behörden nahegelegten Kampf gegen den in Halle herrschenden Rationalismus unmittelbar nach seiner Einsetzung aufnahm, kam es schon bald zu namhaften Konflikten. War doch die Mehrzahl der sächsischen Pfarrerschaft damals an dieser Universität von Theologen rationalistischer Richtung wie August Hermann Niemeyer (1754–1828), Wilhelm Gesenius (1786–1842) und Julius Wegscheider (1771–1849) ausgebildet und geprägt worden. Und so wollte man die Gleichberechtigung freier theologischer Forschung und bekenntnisgebundener Theologie nicht hinnehmen. Dies führte zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen einer rationalistisch eingestellten Geistlichkeit und einem der Erweckung verpflichteten Konsistorium und Generalsuperintendenten, auf deren Seite bald auch einige erwecklich angefasste Geistliche standen, die in Tholucks Sinn in ihren Gemeinden wirkten. Im Weiteren hatte sich um die Wende vom Ende des 18. zum 19. Jahrhundert in Sachsen aus dem Kreis der Erweckten eine Wiederentdeckung Luthers angebahnt, was die Trennung zwischen dem theologischen Rationalismus und den Erweckten noch beförderte. Als Führer dieser sog. neulutherischen Bewegung trat Adolf Harless (1806–1879) hervor, der 1845 an die theologische Fakultät der Universität Leipzig und 1850 zum Oberhofprediger nach Dresden berufen worden war. Die Rationalisten, deren Dominanz bei der Besetzung der hallischen theologischen Lehrstühle schon bald abhandenkam, schlossen sich daraufhin unter der Leitung von Pfarrer Leberecht Uhlich (1799–1872) 1841 zum

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Verein der „Protestantischen Freunde“ zusammen, später wegen ihres aufklärerischen Vokabulars auch „Lichtfreunde“ genannt. Ihre Absicht war es, als Gegensatz gegen die aufkommende pietistisch-erweckliche Orthodoxie im Sinne eines Aufklärungschristentums zu wirken. Ihre Mitglieder rekrutierten sich aus allen Schichten der Bevölkerung, aus Geistlichen und Lehrern, Beamten, Kaufleuten und Handwerkern. Sie forderten die Freiheit von amtskirchlichen Vorschriften, Freiheit der theologischen Forschung und eine kirchliche Repräsentativverfassung. Als sich diese Bewegung weiter radikalisierte, wurde sie 1845 vom Staat verboten. Ganz im Sinn von König Friedrich Wilhelm IV. sagte der provinzsächsische Konsistorialpräsident Karl Friedrich Göschel (1784–1861), ein Anhänger der Erweckungsbewegung, 1845 dieser Bewegung den Kampf an und suspendierte einen ihrer Führer, Gustav Adolf Wislicenus (1803–1875), seines Amtes. Dieser gründete daraufhin eine neue Religionsgemeinschaft, „Freie evangelische Gemeinde“ genannt. Da sich diese Machtdemonstration von Seiten des Staates wenig später als kontraproduktiv erwies, erkannte die preußische Regierung den Verein der „Lichtfreunde“ schon 1848 als besondere Religionsgemeinschaft an, was Göschel zum Rückzug aus seinem Amt bewegte. Allein, die politische Ruhe ließ sich auch so nicht mehr wiederherstellen. Die Erweckten, als Anhänger eines strengen Bibelglaubens, machten vehement Front gegenüber der historisch-kritischen Erforschung der biblischen Schriften und beharrten gegenüber einer liberalen Theologie auf der Positivität und Übervernunft der biblischen Offenbarung. Sie versammelten sich regelmäßig in der sog. Gnadauer Pastoralkonferenz. Abschließend soll noch ein Blick auf die kirchenpolitische Situation im Altenburger Land geworfen werden. Als Folge der Repressionen gegen die Altlutheraner unter König Friedrich Wilhelm III. verließen 1838 auch viele Altenburger Bürgerinnen und Bürger das Herzogtum. Daraufhin ermahnte ein Erlass, Altenburger Konsistorialreskript genannt und 1838 vom Generalsuperintendenten von Sachsen-Altenburg, Christoph Friedrich Hesekiel (1793–1840) verfügt, die Pfarrer zur Predigt des „ganzen ungeteilten Evangeliums“, denn, so Hesekiel, das Fehlen der Grundlehren des Christentums in ihrer Verkündigung – die Lehre von der sündigen Verderbtheit der Menschen, der freien Gnade Gottes, dem Versöhnungstod und der göttlichen Natur Christi, von Auferstehung und jüngstem Gericht, von Himmel und Hölle4 – habe wesentlich zu dieser Auswanderungswelle geführt. Und im Übrigen reiche es nicht, nur die allgemeinen Lehren von Gott, Tugend und Unsterblichkeit zur Pflicht zu machen. Damit wusste sich Hesekiel als mit der Erweckungsbewegung Sympathisierender zwar einig mit der Herzogsfamilie, stieß aber damit bei seiner vornehmlich rationalistisch eingestellten Pfarrerschaft, die die Stimmung der Bevölkerung auf ihrer Seite wusste, auf heftigen Widerstand. Die große Unruhe, die durch dieses Konsistorialreskript hervorgerufen wurde, gab daraufhin dem Staatsministerium die Veranlassung, diese Angelegenheit vier theologischen Fakultäten zur Begutachtung vorzulegen, wobei deren drei den Inhalt des Erlasses billigten, freilich als entscheidenden Fehler monierten, dass dieses Reskript den Eindruck erweckt habe, die rationalistisch eingestellten Pfar-

4 

Zitiert nach Rudolf Herrmann: Thüringische Kirchengeschichte, Band II, Weimar 1947, S. 470 f. 

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rer hätten allein die Schuld an der Auswanderung von Altlutheranern zu tragen. Dass Hesekiel wenig später, schon 1840, starb – diese Auseinandersetzungen hatten ihn innerlich zermürbt – trug das ihre dazu bei, dass sich die Stimmung wieder beruhigte. Die Familie Hesekiel in Altenburg spielte auch für unsere beiden Briefschreiber eine bedeutende Rolle. Hatten sich doch höchstwahrscheinlich die beiden Freunde im Haus Hesekiel kennen gelernt. Während Carl Ludwig Nietzsche dort Stärkung auf seinen neuen theologischen Pfaden der Erweckung fand – schon Jahre zuvor hatte Carl Ludwig, anlässlich seines 18. Geburtstags, Hesekiel kennen gelernt durch die Lektüre, wie er seiner Mutter brieflich mitteilt, von Hesekiels Buch „Gottlieb Sonntag. Bilder aus dem Leben eines Studirenden“, ein Buch, das „in einer herrlichen, blühenden, frommen und lehrreichen Sprache geschrieben sei“5 – so war es bei Emil Julius Schenk die Liebe, die ihn im Haus Hesekiel festhielt. Hatte er sich doch in Hesekiels älteste Tochter, Kind aus Hesekiels zweiter Ehe mit Julie Philippine Wilmsen (1800–1834), Emma Wilhelmine Ludovika (1823–1863), verliebt und diese im Jahr 1842 auch geheiratet.

III. Carl Ludwig Nietzsche und Emil Julius Schenk 1. Carl Ludwig Nietzsche (1813–1849) Zu Carl Ludwig Nietzsche (im Folgenden ‚Nietzsche‘ genannt), dem Vater des Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900), liegt einiges biographische Material vor. Von Bedeutung sind: Friedrich Wichner: Nietzsches Vater, in: Deutscher Almanach für das Jahr 1913, Leipzig o.J. (1930), S. 204–212. Max Oehler: Nietzsches Ahnentafel, Weimar 1939. Reiner Bohley: Nietzsches Taufe, in: Nietzsche-Studien. Internationales Jahrbuch für die Nietzsche-Forschung, Bd. 9/1980, S. 383–405. ders.: Nietzsches christliche Erziehung, in: Nietzsche-Studien, Bd. 16/1987, S. 164– 196. Martin Pernet: Das Christentum im Leben des jungen Friedrich Nietzsche, Opladen 1989. Hermann Josef Schmidt: Nietzsche absconditus oder Spurenlesen bei Nietzsches Kindheit und Jugend, Aschaffenburg 1990–1994. Mazzino Montinari: Nietzsches Kindheit und Jugend, in: Friedrich Nietzsche. Eine Einführung, Berlin 1991, S. 5–50. Eva Marsal: Wen löst Dionysos ab? Der „Gekreuzigte“ im Facettenreichtum der männlichen Nietzsche-Dynastie: Friedrich August Ludwig Nietzsche, Carl Ludwig Nietzsche und Friedrich Nietzsche, in: Nietzsche-Forschung Bd. 9, S. 131–146. Ulrich Sieg: Die Macht des Willens. Elisabeth Förster-Nietzsche und ihre Welt. München 2019.

5 

Vgl. dazu: Martin Pernet (1989), S. 17. 

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Von geringerem Wert sind Elisabeth Förster Nietzsches Biografien über ihren Bruder Friedrich Nietzsche (Das Leben Friedrich Nietzsches, Bd. 1, Leipzig 1895 und dies.: Der junge Nietzsche, Leipzig 1912). Auch wenn sie die vielen Mitteilungen über ihren Vater Carl Ludwig aus eigener Erinnerung geschöpft hat und deshalb als unmittelbar Betroffene wohl am meisten Anrecht auf Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen könnte, ist dennoch aus bekannten Gründen ihren Ausführungen gegenüber größte Vorsicht geboten. Curt Paul Janz geht in seiner ausführlichen Nietzschebiographie (hier: 1. Band: Friedrich Nietzsche. Biographie, München 1978) über Altbekanntes aus dem Leben des Röckner Pfarrers nicht hinaus, da er für Friedrich Nietzsches Jugendzeit resp. der Darstellung von dessen Vater die ihm vorliegende Biographie von Richard Blunck (Friedrich Nietzsche – Kindheit und Jugend, 1953) tale quale übernommen hat, die ihrerseits wiederum hauptsächlich auf Frau Förster Nietzsches Biographien fußt und somit nur mit großen Vorbehalten Anspruch auf eine wahrheitsgetreue Darstellung erheben kann. Wissenschaftlich wertlos ist Klaus Gochs großangelegte Biographie über Carl Ludwig Nietzsche (Klaus Goch: Nietzsches Vater oder die Katastrophe des deutschen Protestantismus), Berlin 2000. Der von Friedrich Wilhelm Graf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. August 2000, Nr. 197, S. 486 höchst kritischen Buchbesprechung muss in allen Punkten recht gegeben werden. Grafs Schlussfolgerung, der unbedingt zugestimmt werden muss, spricht für sich: „Der ‚Nutzen‘ von Gochs Historie liegt nur in den seitenlangen Zitaten aus Carl Ludwig Nietzsches Predigten und Briefen“. Dank der bereits vorliegenden Biographien kann Nietzsches Lebenslauf hier kurz gefasst werden. Friedrich August Nietzsche (1756–1826), Carl Ludwigs Vater, war in zweiter Ehe mit Erdmuthe Dorothea Krause (1778–1856) verheiratet, der Mutter Carl Ludwigs. Nietzsche hatte zwei Schwestern und, aus der ersten Ehe seines Vaters, sieben Halbschwestern und einen Halbbruder. Seit 1803 amtete Friedrich August Nietzsche als Pfarrer und Superintendent in Eilenburg. Theologisch ist er der Neologie, einer gemäßigten Form der Aufklärungstheologie, zuzuzählen. Seit seiner Jugendzeit hatte sich Nietzsche dazu entschlossen, wie sein Vater Prediger zu werden. Das später anzustrebende Pfarramt sah er vornehmlich unter dem Aspekt: dass das Predigen die wichtigste Aufgabe eines Gemeindepfarrers sei. Demzufolge las er schon als Student und auch später in seiner wissenschaftlichen Weiterbildung als Pfarrer immer wieder Predigtsammlungen, wobei ihn besonders diejenigen des Berliner Kanzelredners und Pfarrers Christian Ludwig Couards (1793–1865), selber ein Erweckter, fesselten und theologisch den Erweckten näherbrachten. Von 1833–1837 studierte Nietzsche an der theologischen Fakultät der Universität Halle, wo er die bekannten Rationalisten Julius August Ludwig Wegscheider und Wilhelm Gesenius

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Im Internet unter der Adresse www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezension-sachbuch-meinvater-mein-vater-jetzt-fasst-sie-mich-an-11303414-p2.html einsehbar. 

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hörte, ebenso den Erweckten Friedrich August Gottreu Tholuck. Noch folgte er den theologischen Pfaden seines Vaters, schloss sich freilich in späteren Semestern eng Benjamin Adolph Marks (1775–1847), dem Homiletiker an der Fakultät, an. Marks selber war ein toleranter, wenn auch orthodoxer Anhänger der Vermittlungstheologie, eine Richtung innerhalb der Theologie, die darum bemüht war, die von der Aufklärung aufgerissenen Gegensätze von Glauben und Wissen, von konservativ und liberal miteinander zu versöhnen. Die Vertreter dieser ‚Mittelpartei‘ wollten schlichten biblischen Glauben mit wissenschaftlichem Geist verbinden. Dass sich Nietzsche schließlich immer mehr vom theologischen Rationalismus löste und zeitlebens auch eine hohe Wertschätzung für den preußischen König und die von ihm auf den Weg gebrachte Union gehabt hat, ist wesentlich dem Einfluss Marks‘ zuzuschreiben7. Bevor Nietzsche aus den Händen des Königs Friedrich Wilhelm IV. – dieser war der Röckner Kirchenpatron – das Pfarramt Röcken mit den Filialgemeinden Michlitz, Bothfeld und Schwesswitz zugesprochen erhielt und dieses anfangs Jahr 1842 antrat, bot ihm auf Grund seiner erfolgreichen Predigttätigkeit 1838 Joseph Herzog von Sachsen-Altenburg (1789–1868) eine Stelle als Erzieher seiner Töchter, der Prinzessinnen am Altenburger Hof, an. Vorgängig hatte Nietzsche eine Anstellung als Hauslehrer bei einer Familie Baumbach in Altenburg inne. Seine Verehrung für Friedrich Hesekiel und später auch die persönliche Bekanntschaft mit Wilhelm Harnisch (1787–1864), zunächst Seminardirektor in Weißenfels und seit 1842 Pfarrer und Superintendent in Elbeu, der den Pfarrer Nietzsche in die „Conferenzen des Kirchlichen Zentralvereins in der Provinz Sachsen“ in Gnadau einführte, bewog Nietzsche schließlich, sich ganz den Erweckten anzuschließen.8 Vorbehaltlos tat er dies jedoch nicht. Ein letztes Lavieren und Zögern war ihm bis an sein Lebensende eigen. Somit ist Nietzsche frömmigkeitsgeschichtlich der Erweckungsbewegung zuzurechnen, politisch war er vom Gottesgnadentum der Monarchie überzeugt. Im Oktober 1843 heiratete Nietzsche die zu diesem Zeitpunkt 17½ jährige Franziska Oehler (1826–1897), Tochter von David Ernst Oehler (1787–1859), Pfarrer in Nietzsches Nachbardorf Pobles, und dessen Frau Wilhelmine geb. Hahn (1794–1876). Das junge Paar lebte im Röckner Pfarrhaus anfänglich zusammen mit Ludwigs Mutter Erdmuthe und mit seiner Schwester Auguste (1815–1855). Später kam die Schwester Rosalie (1811–1867) hinzu. Am 15. Oktober 1844 wurde der Sohn Friedrich († 1900), am 10. Juli 1846 die Tochter Elisabeth († 1935) geboren. Am 27. Februar 1848 schließlich der Sohn Joseph, der noch nicht zweijährig, am 4. Januar 1850 starb. Nietzsche selber erlag am 30. Juli 1849 einer Gehirnkrankheit, die sich schon über längere Zeit zuvor bemerkbar gemacht hatte.

7  8 

Vgl. dazu Martin Pernet (1989), S. 18 f. Vgl. dazu Reiner Bohley (1980), S. 393; Martin Pernet (1989), S. 22–26. 

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XIX

2. Emil Julius Schenk (1811–1895) Über Schenk ist bis heute außer Zitaten aus seinen Briefen an Nietzsche nichts Persönliches publiziert worden. Deshalb lassen wir ihn selber zu Wort kommen, indem wir aus seinem Lebenslauf zitieren, den er vor seinem Amtsantritt in der Gemeinde Dodendorf (heute ein Ortsteil der Einheitsgemeinde Sülzetal im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt gelegen) geschrieben hat. „Am 24. Februar 1811 wurde ich dem damaligen Pfarrer in Knippelsdorf Krs. Schweinitz, Mag. Joh. August Schenk von seiner Ehefrau Charlotte gb. Wahn als 4. Kind, 3. Sohn, geboren. Im Jahre 1816 wurde derselbe nach Stolzenhain in demselben Kreis versetzt. Von ihm selbst mit meinen Geschwistern unterrichtet übergab er mich Ostern 1825 dem Gymnasium in Wittenberg, von wo ich Michaelis 1830 zum Studium der Theologie nach Halle überging. Von meinen academischen Lehrern nenne ich besonders die Profess. Fritzsche, Tholuck u. Ullmann, denen ich persönlich näher treten durfte. Auf der Universität blieb ich bis zur Beendigung der 1. theol. Prüfung gegen den Sommer 1834 und war dann in Langensalza, Brehna u. Altenburg mit einer längren Unterbrechung, während deren ich Anfang 1837 in Magdeburg die Prüfung für das Predigtamt bestand, bis 1840 Hauslehrer. Der Major Pierer in Altenburg, der Herausgeber des bekannten Universallexikons, dessen Kinder ich unterrichtete, veranlaßte mich zur Mitarbeit an dem Werke, für dessen 2te Auflage ich die theologischen und pädagogischen Artikel während einer Reihe von Jahren auch noch im Amte bearbeitete. Am 1. Oktober 1840 berief mich die königl. Regierung zum Substituten des Archidiakonus Philipp in Zeitz, am 9. December wurde ich dazu vom kgl. Consistorium ordinirt, am 11. von der königl. Regierung in Merseburg confirmirt und am 3. Januar 1841 in das Amt eingeführt. Am 20. Juni 1842 übertrug mir die königl. Regierung das Archidiakonat an der St. Michaelskirche, das ich schon seit dem 1. April allein verwaltet hatte. Gleichzeitig verheirathete ich mich mit der ältesten Tochter des seligen General-Superintendenten D. Hesekiel in Altenburg, bekannt durch die Kämpfe mit den rationalistischen Geistlichen des Herzogsthums, dem ich bei Lebzeiten hatte näher treten dürfen. Im Jahre 1851 übertrug mir die königl. Regierung, Abtheil. des Innern, zu Merseburg das Pastorat an der königl. Corrections-Lehr- und Erziehungs-Anstalt in Zeitz, die ich schon über ein Jahr vikarisch verwaltet hatte, und das königl. Consistorium das damit verbundene Diakonat der St. Trinitatiskirche. Bei dem Krönungs- und Ordensfeste 1857 verlieh Seine Majestät mir den R. A. Orden IV. Classe und nicht lange darauf eine Praebende des Zeitzer Kapitels. Nach mehr als 12jähriger Thätigkeit in dem sehr arbeitsvollen und anstrengendem Amte an der sehr großen Gefangenen-Gemeinde mußte ich wegen des für meine Familie von 14 Personen unzureichenden Einkommens und aus andren gewichtigen Gründen meine Versetzung in ein andres geeignetes Pfarramt wünschen“.9

Ergänzend dazu sei noch aus einem weiteren, von einem Chronisten notierten Lebenslauf zitiert, der sich in der handgeschriebenen Geschichte der „Sülldorfer PastoralConferenz“, die im Pfarramtsarchiv in Osterweddingen aufbewahrt wird, findet:

9 

Quelle: Pfarramtschronik von Dodendorf, Teil II.

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„Wegen seines (sc. Schenks) Gehörleidens und wegen seiner großen Familie, 4 Söhne und 7 Töchter, berief ihn das Kirchenregiment im Mai 1862 als Pfarrer nach dem kleinen Dorf Dodendorf, wo schon im folgenden Jahre seine Frau und ein ½ Jahr später der 2. Sohn, fast erwachsen, starb. […] Am 1. October 1889 wurde er auf seine Bitte in den Ruhestand versetzt, wobei er den R. A. O. III. Klasse mit der Schleife erhielt. […] Nach längerem Herzleiden ging der Senior unsres Conferenzkreises, Pastor emer. von Dodendorf […] am Mittag des 3ten Weihnachtstages 1895 in Frieden heim.“

Einen vielsagenden Einblick in Schenks Amtsführung gewährt ein Visitationsbericht, geschrieben von dem Superintendenten Rogge10 im Jahre 1864. Daraus einige Zitate: „Mit ganzem und ungetheiltem Herzen giebt er sich seiner Amtsverwaltung hin, und es ist ihm offenbar ein heiliger Ernst, dem Reiche Gottes Seelen zu gewinnen. Seine Gaben für das Predigtamt, wie für die Seelsorge sind sehr bedeutend, und das schwere körperliche Gebrechen [sc. Schenk Gehörleiden], damit er seit langen Jahren nun schon heimgesucht ist, sucht er durch verdoppelte geistige Anstrengung zu ersetzen. […] Dass seine Arbeit bis dahin nicht vergeblich gewesen ist im Herrn, beweist der immer noch mangelhafte, aber doch bedeutend gestiegene Kirchenbesuch, die Mehrung der jährlichen Communicantenzahl um 100, die häufigere Beanspruchung der Krankencommunion und die fast schon gelungene Wiederherstellung des kirchlichen Begräbnisses. Sein Verkehr mit den Leuten ist entschiedener und eingehender als ich gedacht habe. […] Habe ich etwa in zu schönen Farben gemalet? Ich gestehe, dass ich eine große Hochachtung vor dem Bruder Schenk hege, aber ich will meine Augen auch dagegen nicht verschließen, dass die Abgeschlossenheit, in welche der Mangel des Gehörs die daran Leidenden versetzt […] dies sein Übel eher zu- als abgenommen hat. […] Er ist nicht ohne starke Eigenwilligkeit, ist von Missgriffen schwer zu überzeugen, und giebt sich auch leicht Täuschungen hin, meint öfters, daß sein Einfluss auch dorthin noch reiche, wo er offenbar nicht mehr vorhanden ist.“ Rogge schließt seinen ausführlichen Bericht mit den anerkennenden Worten: „“In jeder Hinsicht ist seine Wirksamkeit ein Segen f[ür] Dodendorf […] Ein persönlich makell[oser] Pfarrer“.11 Im Pfarrarchiv der Michaelis-Gemeinde Zeitz liegt ein (unvollständig erhaltenes) Schreiben Schenks, das über seinen theologischen Werdegang detailliert Auskunft gibt und das er wahrscheinlich seiner Bewerbung um das Pfarramt Zeitz beigelegt hatte. Ich zitiere im Folgenden diejenigen Passagen, die über Schenks theologische Verortung Wesentliches aussagen. Zunächst hält er fest, dass er „eine große Vorliebe für das Geschichtsstudium“ gehabt habe und demzufolge „das Studium der Kirchen- und Dogmen-Geschichte, wegen des großen Gegenstandes, den sie behandeln, sein besonderes Interesse“ geweckt hätte. Immer wieder weist er in diesem Zusammenhang auf den für ihn wohl gewichtigsten theologischen Lehrer hin, auf Karl Christian Ullmann (1796–1865).

10 

Hermann Johannes Wilhelm Rogge (1817–1887), von 1861–1871 Oberpfarrer und Superintendent in Egeln, anschließend in gleicher Funktion in Buckau b. Magdeburg. 11 Landeskirchenarchiv Magdeburg, Rep. A, Spec. G, Nr. A 4616: Dodendorf Visitationen 1846–1952.

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XXI

„Durch die geistreichen Vorträge meines innig verehrten Lehrers, des Herrn Professors Dr. Ullmann“ sei sein geschichtliches Interesse „genährt“ worden. Zudem habe er, da ihm die vielen Aufgaben für die wissenschaftliche Weiterbildung meist wenig Zeit gelassen hätten, „nur die von Ullmann und Umbreit herausgegebenen Studien und Kritiken [sc. die führende theologische Zeitschrift der Anhänger der Vermittlungstheologie] … gelesen, freilich diese immer mit großer Antheilnahme“. Aufmerksam habe er sich im Weiteren der theologischen Lektüre gewidmet, so den Werken des Orientalisten Wilhelm Gesenius, des Alttestamentlers W.M. Leberecht de Wette (1780–1849), des Dogmatikers Karl G. Bretschneider (1776–1848) und den biblischen Kommentaren August Tholucks (1799–1877). Nicht vergisst Schenk zu erwähnen, dass er sich ebenso „der gründlichen Kenntniß der classischen alten Sprachen […] der Lectüre der Musterschriftsteller der Griechen und Römer“ befleißigt habe, so etwa „Ciceros oratischer Werke, da der practische Theolog […] für Form und Ausführung seiner geistlichen Reden so unendlich viel [dabei] gewinnen kann“. Abschließend notierte er, dass er im zweiten Teil seiner Studienjahre sich mit dem „größten Fleiß der practischen Theologie“ gewidmet und dabei in der Homiletik fleißig die Musterpredigten der Theologen Franz V. Reinhard (1753–1812), J.H. Bernhard Draeseke (1774–1849) Claus Harms (1778–1855) und Julius Müller (1801–1878) studiert habe. Damit sind die beiden Persönlichkeiten genannt, die Schenks theologischen Lebensweg entscheidend geprägt haben: Karl Ullmann und Bernhard Draeseke. Der Theologe Karl Ullmann12 wirkte von 1829–1836 als Kirchenhistoriker an der Universität Halle, später in Heidelberg und schließlich als Direktor des Badischen Oberkirchenrats, als der „angesehenste Süddeutsche Unionstheologe“.13 Ullmann zählt zu den profiliertesten Vertretern der Vermittlungstheologie, deren Vordenker der bekannte Berliner Theologe Friedrich Schleiermacher (1768–1834) gewesen ist. Für Ullmann war klar, dass die Theologie dem geschichtlichen und sittlichen Interesse seiner Gegenwart entgegenzukommen habe. Es war seine Absicht, wie auch die Absicht weiterer Vertreter dieser theologischen Richtung, einen gemäßigten theologischen Supranaturalismus mit dem Geist der neueren Wissenschaft in Einklang zu bringen. Diese theologische Richtung, neben dem Liberalismus und der konfessionellen Theologie die einflussreichste theologische Richtung im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts, fand ihren wichtigsten Niederschlag in der von Ullmann mitredigierten und herausgegebenen Zeitschrift „Theologische Studien und Kritiken“ (seit 1.1828). Darin formulierten die Herausgeber ihr Programm, dass es nach ihrer Meinung zu keiner Zeit, am wenigsten in der Gegenwart, „der wahren Vermittlung zu

12 

Literatur zu Karl Ullmann: Friedrich Mildenberger: Geschichte der deutschen evangelischen Theologie im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1981, S. 92–95; Emanuel Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. V, Gütersloh 1951, S. 375–379; Paul Tschackert: Ullmann Karl, in: ADB, Bd. 39, Leipzig 1895, S. 196–200 (dort weitere Literaturangaben). 13  Hirsch, a. a. O., S. 375.

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viel geben könne“. Schlichter biblischer Glaube und wissenschaftlicher Geist sollten sich gegenseitig durchdringen, damit „sowohl Buchstabenknechtschaft wie Ungebundenheit und Gesetzlichkeit schwärmerischen Geistes“ überwunden würden“.14 Das, „was die verschiedenen Glieder der evangelischen Gesamtkirche einigt und durch Einigkeit stark macht“, ist es, worauf das Hauptgewicht gelegt wurde. Ebenso soll im Verhältnis zum Staat „ohne Widerstreben dem Staate gegeben werden, was des Staates ist, aber auch die Selbständigkeit und freie Bewegung der Kirche gewahrt und nur solchen Neugestaltungen das Wort geredet werden, welche aus dem inneren Wesen und Lebensmittelpunkt der evangelischen Kirche herauswachsen und den organischen Zusammenhang ihrer geschichtlichen Entwickelung festhalten.“15 Schließlich hoffte man, dass im Zuge der Gründung eines deutschen Nationalstaates die Gegensätze von „Union und Confession“ bzw. der lutherischen und reformierten Konfession an Bedeutung verlieren würden. Das Eintreten der Vermittlungstheologen für die Union zog ihnen im Übrigen den Zorn der konfessionellen Lutheraner zu. Johann Heinrich Bernhard Draeseke16 (1774–1849) war evangelischer Theologe, zunächst Pfarrer in Mölln, seit 1804 Pfarrer in St. Georgenberg bei Ratzeburg, dann von 1814–1832 Pfarrer in Bremen. 1832 wurde er an die Spitze der preußischen Landeskirche berufen, amtete als Bischof und Generalsuperintendent in Magdeburg bis zu seiner Pensionierung 1843. Draeseke war ein glänzender Kanzelredner, „neben Schleiermacher […] der gefeiertste Prediger Norddeutschlands“17, „der alles überstrahlende Stern an Bremens Predigthimmel“18. Seine insgesamt 24 publizierten Predigtsammlungen fanden weite Verbreitung und große Zustimmung. Die letzte Predigtsammlung aus seiner Bremer Zeit, „Predigten vom Reiche Gottes“ von 1830, veröffentlicht zum dreihundertjährigen Jubiläum des Augsburger Bekenntnisses, ist wohl seine wichtigste und eindrücklichste. Draesekes Predigten wurden schon zu seiner Zeit ins Holländische und Englische übersetzt. Sein dezidiertes Eintreten für die Union und seine zahlreichen Unionspredigten verschafften ihm 1819 den theologischen Ehrendoktor der theologischen Akademie Rostock. Doch insbesondere die Berufung auf den Posten des Dompredigers in Magdeburg und eines Generalsuperintendenten der Provinz Sachsen mit dem Titel und Rang eines evangelischen

14  Zitiert

nach Friedmann Voigt: Vermittlung im Streit. Das Konzept theologischer Vermittlung in den Zeitschriften der Schulen Schleiermachers und Hegels, S. 6. Zur Vermittlungstheologie vgl. ebenda, S. 5–14. 15  Zs. für Theologische Studien und Kritiken, Bd. 46 (1873), S. VI f. 16  Wolfgang Nixdorf: Bernhard Draeseke (1774–1849). Stationen eines preußischen Bischofs zwischen Aufklärung und Restauration. Bielefeld 1981; ders.: Bischof D. Bernhard Draeseke – Generalsuperintendent und Direktor des Konsistoriums, in: Schriften des Vereins für Kirchengeschichte der Kirchenprovinz Sachsen, Bd. 2, Magdeburg 2008, S. 41–62; Walter Breywisch: Der Magdeburger evangelische Bischof Bernhard Draeseke, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg, Bd. 66/67 (1931/32), S. 143–159; Gustav Frank: Bernhard Draeseke, in: Die Theologie des neunzehnten Jahrhunderts, Leipzig 1905, S. 426–431; Erich Beyreuther: Dräseke, Bernhard, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 96 f. 17  Beyreuther, a. a. O., S. 96. 18  Nixdorf (2008), S. 47.

Einleitung

XXIII

Bischofs durch König Friedrich Wilhelm III. vermehrte nicht nur seine Machtfülle, sondern ging einher mit einer wachsenden Überschätzung der eigenen Person und stärkte seine Eitelkeit. Diese Haltung verstärkte dann auch den Widerstand gegen ihn und brachte ihn schliesslich zu Fall. Als der ihm gewogene preußische Kultusminister von Altenstein (1770–1840) durch den konservativen und engherzigen Friedrich Eichhorn (1779–1856) ersetzt wurde und der ihm innig zugetane König 1840 gestorben war, sank sein Stern rapide. Zudem enttäuschte später das Scheitern der Revolution von 1848 seine liberalen Hoffnungen zutiefst. Draeseke verstarb am 9. Dezember 1849 in Potsdam, wohin er nach seinem Rücktritt 1843 gezogen war. Theologisch war Draeseke seit seinem Studienbeginn einem milden theologischen Rationalismus, einem humanistisch verstandenem Christentum verpflichtet. Darin hatte ihn sein theologischer Lehrer Henke an der Helmstedter „Julia Carolina“, wo Draeseke sein Theologiestudium aufgenommen hatte, unterstützt. Heinrich Philipp Conrad Henke (1752–1809) war ein Vertreter der rationalistischen, kritischen Theologie, bemüht, die dogmatischen Lehren zu modernisieren. Henkes bedeutendste Schüler waren Wilhelm Gesenius und Julius August Ludwig Wegscheider, die beiden bekannten, einer rationalistischen Theologie verpflichteten Universitätslehrer. „Durch denkenden Glauben die heiligen Begriffe ins tägliche Leben hineinzuziehen, mit tugendsam harmlos glücklichen Menschen vertrauensvoll auf einen gütigen Gott und Christus, den ‚berühmten Lehrer, den angebeteten Meister, den Edelsten unter den Edlen‘ zu schauen, ist ihm in dieser ersten Periode seiner Wirksamkeit dem deutschen Wesen entsprechende Frömmigkeit“.19 Bezeichnenderweise trug seine erste publizierte Predigtsammlung den charakteristischen Titel „Predigten für denkende Verehrer Jesu“ (5 Bde., 1804–1812). Seine liberale und nationale Begeisterung, der er immer wieder in seinen patriotischen Predigten wortgewaltigen Ausdruck gab, wurde jäh gestoppt auf Grund der Karlsbader Konferenzen, wo über Maßnahmen zur Überwachung und Bekämpfung liberaler und nationaler Tendenzen in Deutschland in der Zeit nach Napoleon beraten worden war. Draeseke, möglicherweise auf Druck Metternichs hin vom Bremer Senat verwarnt, der ihm in Zukunft jede liberale politische öffentliche Äußerung untersagte, fügte sich dieser Anordnung und näherte sich daraufhin in seinem theologischen Denken den Erweckten an, freilich ohne ihr Parteigänger zu werden. Eigentlich war es ein Rückzug in die Innerlichkeit, eine Hinwendung zur romantischen Mystik und Erweckung. Zugleich bemühte er sich, nun dezidierter als zuvor, zwischen Erweckung und Rationalismus ausgleichend zu wirken. Freilich kehrte er 1845 im Streit der Orthodoxen gegen die Lichtfreunde, wo er Partei für die Liberalen nahm, theologisch zu den Wurzeln seiner frühen Zeit zurück. Dieses Lavieren zwischen dem theologischem Rationalismus und der Erweckung brachte Draeseke schließlich in die Nähe der Vermittler. Vermitteln war ihm auch die wesentlichste Losung seiner Tätigkeit im Amt des Generalsuperintendenten gewesen. Schenk hat sich theologisch eng an seine beiden Gewährsmänner Ullmann und Draeseke angeschlossen und ist zum Sympathisanten jener theologischen ‚Mittel-

19 

Breywisch, a. a. O., S. 145. 

XXIV

Einleitung

partei‘ geworden. So ging er theologisch einen anderen Weg als Nietzsche. Und hielt damit gegenüber seinem Brieffreund nicht zurück. So schrieb er ihm am 2. September 1846 (Brief Nr. 63): „Wir müssen uns aber einmal gründlich verständigen; Du namentlich sollst ganz wissen, woran Du mit mir bist und auf Deinem Wege gehe ich nicht mit.“ Und auch politisch war ihm der nationalistische Slogan „Reich und Reich Gottes“ vieler Konservativer, auch Nietzsches, ein Dorn im Auge. Deshalb schrieb Schenk Nietzsche an anderer Stelle (am 1. August 1847, Brief Nr. 73): „Ich bin unverändert bei aller Verschiedenheit in politischen und theologischen Dingen Dein treuer Freund Schenk.“ Dabei blieb es auch. Trotz theologischen und politischen Meinungsverschiedenheiten blieben Schenk und Nietzsche, was sie zeitlebens füreinander von Anfang an gewesen sind: Freunde.

Inhaltsverzeichnis

1839 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Nr. 1. an Nietzsche, 15. August 1839 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Nr. 2. an Nietzsche, 31. August 1839 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Nr. 3. an Schenk, 22. Mai 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Nr. 4. an Nietzsche, 22. Juli 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Nr. 5. an Schenk, 1. August 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Nr. 6. an Nietzsche, 25. August 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Nr. 7. an Nietzsche, September 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Nr. 8. an Schenk, 22. September 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Nr. 9. an Nietzsche, 28. September 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Nr. 10. an Nietzsche, 5. Januar 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Nr. 11. an Schenk, 25. Januar 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Nr. 12. an Schenk, 9. Februar 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Nr. 13. an Nietzsche, 23. März 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Nr. 14. an Schenk, 10. April 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Nr. 15. an Schenk, 9. Mai 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Nr. 16. an Nietzsche, 25. Mai 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Nr. 17. an Schenk, 16. Juni 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Nr. 18. an Schenk, 28. Juli 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Nr. 19. an Nietzsche, 23. September 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Nr. 20. an Schenk, 26. September 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Nr. 21. an Schenk, 16. November 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Nr. 22. an Nietzsche, 25. November 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Nr. 23. an Schenk, 8. Dezember 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1842 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Nr. 24. an Nietzsche, 28. Januar 1842 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Nr. 25. an Nietzsche, 30. April 1842 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Nr. 26. an Schenk, 25. Juni 1842 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

XXVI

Inhaltsverzeichnis

Nr. 27. an Schenk, 19. Juli 1842 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Nr. 28. an Schenk, 10. Oktober 1842 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Nr. 29. an Schenk, 19. Februar 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Nr. 30. an Nietzsche, 29. Mai 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Nr. 31. an Schenk, 16. Juli 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Nr. 32. an Schenk, 25. August 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Nr. 33. an Nietzsche, 29. August 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Nr. 34. an Schenk, 4. Oktober 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Nr. 35. an Nietzsche, 8. Oktober 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Nr. 36. an Schenk, 18. Dezember 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Nr. 37. an Schenk, 24. Januar 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Nr. 38. an Nietzsche, 13. Februar 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Nr. 39. an Schenk, 22. Februar 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Nr. 40. an Schenk, 13. Mai 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Nr. 41. an Nietzsche, 25. September 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Nr. 42. an Schenk, 29. Oktober 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Nr. 43. an Schenk, 31. Dezember 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Nr. 44. an Schenk, 27. Januar 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Nr. 45. an Nietzsche, 1. Februar 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Nr. 46. an Schenk, 26. März 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Nr. 47. an Schenk, 1. Mai 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Nr. 48. an Nietzsche, 14. Mai 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Nr. 49. an Schenk, 22. Mai 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Nr. 50. an Nietzsche, 5. September 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Nr. 51. an Schenk, 16. September 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Nr. 52. an Nietzsche, Ende September 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Nr. 53. an Schenk, 20. Oktober 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Nr. 54. an Schenk, 15. Dezember 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Nr. 55. an Nietzsche, 21. Dezember 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Nr. 56. an Schenk, 21. Januar 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Nr. 57. an Nietzsche, 29. März 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Nr. 58. an Schenk, 1. Mai 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Nr. 59. an Schenk, 6. Juli 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Nr. 60. an Schenk, 3. August 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Nr. 61. an Nietzsche, 12. August 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Nr. 62. an Schenk, 20./21. August 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Nr. 63. an Nietzsche, 2. September 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Nr. 64. an Schenk, 17. Oktober 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Nr. 65. an Nietzsche, 1. November 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

Inhaltsverzeichnis

XXVII

Nr. 66. an Schenk, 13. November 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Nr. 67. an Schenk, 15. Dezember 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Nr. 68. an Nietzsche, 20. Januar 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Nr. 69. an Schenk, 18. Februar 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Nr. 70. an Schenk, 19. März 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Nr. 71. an Schenk, 30. April 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Nr. 72. an Nietzsche, 12. Mai 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Nr. 73. an Nietzsche, 1. August 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Nr. 74. an Nietzsche, Ende September 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Nr. 75. an Schenk, 2. Oktober 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Nr. 76. an Nietzsche, 8. Oktober 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Nr. 77. an Schenk, 17. Dezember 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Nr. 78. an Nietzsche, 5. Januar 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Nr. 79. an Schenk, 13. Januar 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Nr. 80. an Nietzsche, 2. Februar 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Nr. 81. an Schenk, 28. Februar 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Nr. 82. an Nietzsche, 1. März 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Nr. 83. an Schenk, 9. März 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Nr. 84. an Nietzsche, 22. März 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Nr. 85. an Schenk, 27. März 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Nr. 86. an Nietzsche, 12. April 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Nr. 87. an Schenk, 27. April 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Nr. 88. an Schenk, 10. Mai 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Nr. 89. an Schenk, 7. Juni 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Nr. 90. an Nietzsche, 9. Juni 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Nr. 91. an Nietzsche, 24. Juni 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Nr. 92. an Schenk, 27. Juni 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Nr. 93. an Nietzsche, 30. Juni 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Nr. 94. an Schenk, 1. August 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Nr. 95. an Schenk, 22. August 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Nr. 96. an Nietzsche, 3. September 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Nr. 97. an Schenk, 7. September 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Nr. 98. an Nietzsche, 30. September 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Nr. 99. Franziska Nietzsche an Schenk, 16. Oktober 1848 . . . . . . . . . . . . 254 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Nr. 100. an Nietzsche, 21. Januar 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Nr. 101. an Nietzsche, 17. Februar 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

XXVIII

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ANHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Nr. 102. Franziska Nietzsche an Emma Schenk, 1. Dezember 1848 . . . . . 259 Nr. 103. Franziska Nietzsche an Emma Schenk, 12. Dezember 1848 . . . . 260 Nr. 104. Franziska Nietzsche an Emma Schenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Nr. 105. Franziska Nietzsche an Emma Schenk, 4. April 1849 . . . . . . . . . 264 Nr. 106. Emma Schenk an Franziska Nietzsche, 31. Juli 1849 . . . . . . . . . 265 Nr. 107. Franziska Nietzsche an Emma Schenk, 16. November 1849 . . . 267 Nr. 108. Franziska Nietzsche an Emma Schenk, 21. Januar 1850 . . . . . . . 269 Nr. 109. Emma Schenk an Franziska Nietzsche, 21. Maerz 1861 . . . . . . . 271 Nr. 110. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 1. Februar 1865 . . . 272 Nr. 111. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 18. Februar 1869 . . 274 Nr. 112. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 9. Mai 1872 . . . . . . 276 Nr. 113. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 1. Februar 1880 . . . 279 Nr. 114. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 18. Maerz 1889 . . . 282 Nr. 115. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 2. Februar 1894 . . . 284 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

Briefe

1839

Nr. 1. an Nietzsche, 15. August 1839

Altenburg am 15. Aug. 1839 Lieber Nietzsche, Deinen Wünschen gemäß antworte ich Dir sogleich durch einige Zeilen, die Dich hoffentlich wieder ganz hergestellt antreffen werden. Mit Bedauern habe ich die Nachricht Deines Unwohlseins gelesen, und es scheint in der That, als ob Alles zusammengekommen wäre, um Dich an der Realisirung der für die Ferien entworfenen Pläne zu hindern. Es ist aber gewiß so zu Deinem und der Deinigen Besten; und erkennen wir es jetzt nicht, da wir hier nur wie durch einen Spiegel1 schauen, so macht uns das doch nicht irre in unsrem gläubigen Vertrauen auf den gütigen Vater. Ist doch schon das etwas Schönes, daß Du so lange Zeit mit den Deinigen in so enger Verbindung hast leben können, daß durch die Leiden das Band jedes Falls noch fester geworden ist. Völlig genesen kehre nun mit neuer Kraft und neuer Lust zu den gewohnten Arbeiten zurück; und der Freund freut sich herzlich, Dich wieder zu sehen, und von Dir viel Gutes und Schönes zu hören und zu lernen. Diese Zeit ist wohl näher als Du glaubst, denn wie ich höre wollen die Herrschaften gegen Ende der nächsten Woche zurückkehren, und an der 25 jährigen Jubelfeier der Stiftspröbstin, die den Sonnabend und Sonntag über 8 Tage begangen wird, Theil nehmen. Indeß weiß ich nichts Gewißes, das Du erst durch den Hauptm. Baumbach2 erfahren sollst, an den ich heut noch Deine Grüße und Aufträge bestellen werde. Von Gersdorf habe ich noch nichts gesehen und gehört, er wird also noch nicht zurück sein. Ueber hiesiges Leben und Treiben wüßte ich Dir gar nichts Neues mitzutheilen, es müßte Dich denn das große Vogelschießen interessiren, das in dieser Woche gehalten wird und den Kindern der Welt Freuden mancherlei Art darbietet. Ich

1  1. Korintherbrief

13,12.  2  Carl L. Nietzsche trat im August 1837 möglicherweise auf Initiative seiner Mutter Erdmuthe eine Hauslehrerstelle bei ihrem Vetter, Hauptmann Ernst Carl Baumbach (1796-1875), in Altenburg an und unterrichtete dessen achtköpfige Kinderschar für ein gutes Jahr. Die Zeitung für Stadt und Land vom 11.2 1875 schildert Baumbach folgendermassen: „ein Veteran aus den Befreiungskriegen, war nach seinem Austritt aus dem aktiven Dienst eine lange Reihe von Jahren als Beamter tätig, insonderheit bekleidete er die Stellung eines Kassirers der Herzoglichen Landesbank … zuletzt die des Finanzhauptkassirers. … Die Biederkeit seines Charakters, die Leutseligkeit und Liebenswürdigkeit seines Wesens sichern ihm bei Allen, die mit ihm in Berührung kamen, ein bleibendes Andenken.“ 

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1839

habe es ex officio mit den Kindern zwei mal besucht und davon vollkommen genug. Daß von Paulus3 ein Separatvotum erschienen ist, in dem er auf Hervorhebung der christlich Sittenlehre über die Dogmatik anträgt, hast Du wohl angezeigt gefunden. Es wurde mir zugeschickt, ich habe es aber nicht behandelt. Uebrigens hört man über die ganze Sache fast gar nicht mehr sprechen und der Beobachter sieht darin ein neues, sprechendes Zeichen der Indifferenz und Leerheit der Kinder unsrer Zeit4, die einer wirklichen innerlichen und nachhaltenden Erregung gar nicht fähig sind. Superintendents5 sind mit der ältesten Tochter6 vor 8 Tagen von ihrer Reise zurückgekehrt, ich habe sie indeß noch nicht gesehen. Deine Empfehlungen sollen bei sich darbietender Gelegenheit bestellt werden. Vor 8 Tagen haben wir mit mehreren Familien eine Partie nach dem reizenden Wolkenburg gemacht, wobei wir durch das schönste Wetter begünstigt wurden. Es war einer der angenehmsten und genußreichsten Tage die ich in meinen jetzigen Verhältnißen verlebt habe. Vergangnen Sonntag wurde der Geburtstag der Frau Majorin7 in recht ansprechender Weise durch die Familie und abends durch eine kleine Gesellschaft der näheren Freunde gefeiert. Unsere für die Hundstage projectirte Reise ist auch nicht zur Ausführung gekommen. Mir ist das sehr lieb, da ich nun mein für diesen Fall gefaßtes Vorhaben ins Werk setzen werde; die Art und Weise, wie sich die Fr. M. wieder dabei benommen hat, ärgerte mich der Kinder wegen. Immer lebendiger wird das Bewußtsein, daß ich, wie für meine jetzigen Geschäfte überhaupt, so für meine jetzige Stellung ganz besonders, nicht mehr tauge. Ich habe deshalb vorläufig den Antrag des HErrn M. auch nach Ostern unter den alten Verhältnißen bei ihm zu bleiben und Lieschen8 und August9 einige Stunden zu geben, abgelehnt, so dankbar ich auch für das unverkennbare Zutrauen und die Güte, die sich darin ausspricht, bin. Kommt Zeit, wird durch den Herrn auch Rath kommen.

3 

Heinrich E. G. Paulus (1761-1851), ev. Theologe, Professor in Jena, Würzburg, seit 1811 in Heidelberg. Führender Rationalist.  4  Schenk denkt hier an die zu seiner Zeit sehr zahlreichen Vertreter eines theologischen Rationalismus. Das Christentum, aufgefasst als ‚Vernunftreligion‘, entsprach bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus dem Zeitgeist und beherrschte die Masse der Gebildeten und breite Schichten des Bürgertums.  5  Friedrich Hesekiel (1793-1840), nach dem Studium der Theologie zunächst Pfarrer in Halle. 1830 Dr. theol h.c., seit 1834 Generalsuperintendent (in dieser Funktion hatte er die angehenden Pfarrer zu ordnieren und in ihrer Amtsführung zu beaufsichtigen) und Konsistorialassessor (= Beisitzer in der obersten Kirchen- und Schulbehörde) in Altenburg. Auch als Schriftsteller und Lyriker hervorgetreten. Tat sich durch den entschiedenen Kampf gegen aufklärerischrationalistische Strömungen innerhalb der Kirche hervor. Zählte sich der Erweckungsbewegung zu, die er mit dem orthodoxen Luthertum zu verbinden suchte.  6  Hesekiels älteste Tochter war Emma Wilhelmine Ludowika (1823-1863), Kind aus der zweiten Ehe Hesekiels mit Julia Philippine Wilmsen (1800-1832). Emma hatte sich 1842 mit Emil Julius Schenk verheiratet.  7  Schenk war von 18341840 Hauslehrer bei der Familie von Heinrich August Pierer (1794-1850) in Altenburg. Pierer war deutscher Offizier, Verleger und Lexikograf. Bekannt geworden als Herausgeber des Universal-Lexikons der Gegenwart und Vergangenheit 1824-1837, 1840-18462. Seine Frau, mit der er sich 1822 vermählt hatte, hiess Amalie Constanze Freiin von Seebach (1801-1880). Das Ehepaar hatte 7 Kinder, 6 Söhne und eine Tochter.  8  Henriette Elisabeth Pierer (1830–†?).  9  August Hermann Pierer (1833-1901). 

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Mit der Bitte Deine verehrte Frau Mutter10, über deren Wiederherstellung ich mich herzlich freue, vielmals von mir zu grüßen und dem Herrn Superintendenten bestens mich zu empfehlen, bleibt Dein Freund E. J. Schenk

Beifolgende Reisebeschreibung meiner Kinder mit einem Briefe an Stern11 hättest Du wohl die Güte durch Superint. besorgen zu lassen, die gewiß öfter Gelegenheit haben.

Nr. 2. an Nietzsche, 31. August 1839

Altenburg am 31. August 1839 Lieber Nietzsche, Dein gestern erhaltener Brief hat mir durch die Nachricht von Deiner fortschreitenden Genesung eine aufrichtige Freude gemacht, um so mehr, da ich aus ihm erst sehe, daß Deine Krankheit bedeutender gewesen ist, als ich geglaubt habe. Dem Herrn sei Dank, daß dies Uebel gehoben ist und daß Du hoffen darfst, bald wieder im Besitz der früheren Kraft und Gesundheit zu sein. Wir müssen auch hier bekennen, daß, wenn Dich die Krankheit nach Deinem körperlichen Organismus treffen sollte, sie Dich zu der Zeit getroffen hat, wo sie für Dich die wenigsten Unannehmlichkeiten und Nachtheile hatte; daß der Herr es also auch dabei wie immer wohl gemacht hat. Wie unangenehm würde es Dir gewesen sein, wenn Du erst nach Deiner Rückkehr hierher erkrankt wärest und Dein Amt nicht hättest verwalten können; wenn Du hier alle die liebevollen und zarten Aufmerksamkeiten und Hülfsleistungen hättest missen sollen, die nur Mutter- uind Geschwister-Liebe gewähren können! Drum will ich den Herrn mit Dir preisen, zumal da Du auch für Deinen inwendigen Menschen segensreiche Folgen von diesen körperlichen Leiden empfindest, wie es bei Deiner innigen Frömmigkeit, die überall den Herrn sucht und findet, nicht anders möglich war. Gönne Dir nun nur bei den lieben

10 

Erdmuthe Dorothea Nietzsche (1778–1856), in zweiter Ehe mit Friedrich August Ludwig Nietzsche (1756–1826) verheiratet, der seit 1803 Superintendent in Eilenburg war. Vertreter einer aufklärerisch-rationalistischen Theologie. Aus dieser Ehe stammten die drei Kinder Rosalie (1811–1867), Carl Ludwig (1813–1849) und Auguste (1815–1855).  11  Robert Carl Philipp Stern (1808–1863), ev. Pfarrer, 1838–1842 in Buckau b. Herzberg, 1842–1863 in Klitzschen. 

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Deinigen12 die zu Deiner völligen Wiederherstellung nöthige Ruhe und mache Dir besonders keine Besorgniß wegen etwaiger Versäumung Deines Amtes. Zwar kann ich Dir nicht, wie Du es wünschest, bestimmte Nachricht über den Tag der Rückkehr der Durchlauchten13 geben; allein aber daraus magst Du abnehmen, daß dieselbe noch nicht so nahe ist. Da die Pferde ihnen entgegen geschickt werden sollen, der Tag aber, wo diese abgehen sollen, noch gar nicht bestimmt ist, so können die Herrschaften auf keinen Fall vor morgen – Sonntag – über 8 Tagen hier eintreffen, und an diesem Tage erwartet man sie auch, obgleich gar keine Nachricht da ist. Solltest Du also nicht noch einen Brief vorher erhalten, der Dir andre und ganz bestimmte Nachricht gäbe, so möchtest Du wohl zum 7t. Sept. hier sein. Hätte ich nicht auf meine Nachfrage bei Baumbachs gehört, daß Dir das die Frau Archid. Heinrich14 geschrieben habe, so hätte ich Dir schon zu Anfang dieser Woche geschrieben. Recht herzlich freue ich mich übrigens auf die Zeit, wo Du wieder hier sein wirst. Täglich führt mich mein Spatziergang vor dem Schlosse vorbei und immer wandelt mich die Lust an da einzulenken; und vom Schloßgarten aus sehe ich oft hinüber nach Deinen verschlossenen Fenstern. Bald ist die Zeit wieder da, die uns zu traulicherem Zusammenleben15 auffordert und nöthigt; wenig Monate noch, und der letzte Abend des Jahres ist wieder da. Werden wir ihn noch einmal, zum letzten Male zusammen feiern? Noch kein Jahr ist mir so unvermerkt schnell entflohen, als das jetzige. Den Grund davon kann ich nur in dem höheren Alter und den mancherlei äußren und besonders innern Erlebnissen während des Laufes desselben finden. Immer dringender aber wird durch diese Erfahrungen die Mahnung: Carpe diem!16 Für Deine freundliche Erfüllung meiner Bitte in Bezug auf das Stern zu Schickende meinen herzlichen Dank, und ebenso für die frohe Nachricht seiner glücklichen Vaterschaft, an der die ganze Familie viel Antheil nahm. Möge ihm eine neue Quelle des reinsten Glückes darin werden und es ihm immer wohlgehen! Einen äußern Beweis seiner theilnehmenden Erinnerung von ihm zu erhalten hoffe ich nicht mehr. Sage seinen Schwiegereltern für sie und für ihre Kinder meine aufrichtigen Glückwünsche.

12  Erdmuthe

Nietzsche blieb auch nach dem Tod Ihres Gatten in Eilenburg wohnhaft. 1842 zog sie dann zusammen mit ihrer Tochter Auguste zu ihrem Sohn Carl Ludwig nach Röcken. Die Tochter Rosalie nahm, wohl aus familiären Gründen, erst 1844 definitiv Wohnsitz daselbst.  13  Herzog Joseph zu Sachsen-Altenburg (1789-1868) hatte den Kandidaten Nietzsche in der Schlosskirche einige Male predigen gehört und Gefallen am jungen Theologen gefunden. In Folge berief er diesen als zweiten Hauslehrer für die pädagogische Betreuung seiner vier Töchter. Ende November 1838 nahm Nietzsche am Hof seine Arbeit auf und blieb daselbst beinahe zwei Jahre.  14  Ist wahrscheinlich die Frau des ev. Pfarrers Carl Heinrich (1799-1855), seit 1835 Archidiakon an der Predigerkirche Erfurt. Heinrich hatte sich 1827 mit Johanne Marie Sophie Pfeiffer aus Eisenach vermählt.  15  Vermutlich hatten sich Schenk und Nietzsche im Kreis um Friedrich Hesekiel (Anm. 5) kennen gelernt. Vgl. dazu auch Brief Nr. 75.  16  Ist eine Sentenz aus der um 23 v. Chr. entstandenen Ode „An Leukonoë“ (Oden I,11) des römischen Dichters Horaz (65-8 v. Chr.). 

1839

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Aus unsrem Residenzleben wüsste ich Dir nichts Neues zu erzählen. Des Herzogs Geburtstag17 ist vom Kasino mit einem großen Mittagsessen, Sternschießen und einem glänzenden Ball gefeiert worden. Ich kann Dir aber – selbst wenn Du Dich dafür interessirtest - nichts darüber schreiben, da ich nicht oben war und den Abend beim HE. Generalsup. zubrachte, der am folgenden Tage zur Generalvisitation verreiste. Die sehr glänzende Feier des Jubiläums der Stiftspröbstin ist am Sonntag zugleich mit der Einführung des neuen Pfarrers18 begangen worden. Ich habe aber nicht Augen- u. Ohrenzeuge beigewohnt und nur von Andern rüber gehört, was ich Dir nach Deiner Rückkehr gern mittheilen will. Die Rescriptsstreitigkeiten19 scheinen ganz einzuschlafen und nur der Berliner Correspondent – über den man noch immer ganz im Unklaren ist – bringt bisweilen noch einen Artikel. Bei mündlicher Besprechung bieten vielleicht die vergangenen Wochen noch Manches nicht ganz Uninteressante dar, und ich sehne mich nach so langer Oede und Einsamkeit nach einem lebendigen Gedankenaustausch. Sage den verehrten Deinigen meine gehorsamsten Empfehlungen und kehre gesund und heiter zurück zu Deinem E. L. Schenk

17  Des

Herzogs Geburtstag war der 27. August.  18  Am 25. August 1839 wurde Pfarrer Heinrich Wilhelm Constanz Schöne (1808-1871) in sein neues Amt, dem Altenburger Magdalenenstift, eingeführt.  19  Das Altenburger Konsistorialreskript war 1838 von Hesekiel verfasst worden. Auf Grund eines Visitationsberichts Hesekiels, des geistlichen Oberhirten im Altenburger Land und überzeugten Anhänger der Erweckungsbewegung, worin er die rationalistisch geprägten Pfarrer anprangerte, die sich angeblich weigerten, das apostolische Glaubensbekenntnis vollgültig zu akzeptieren, erliess sein Konsistorium, die leitende Kirchenbehörde, eine Verfügung, in der es den evangelischen Pastoren zur Pflicht gemacht wurde, „in Zukunft das ganze ungeteilte Evangelium zu predigen … und nichts als den lutherischen Katechismus zur Grundlage von Verkündigung und Seelsorge zu machen.“ Insgesamt war dieses Reskript ein eigentliches anti-rationalistisches Manifest und löste über das Altenburger Land hinaus heftige Kontroversen aus. Neigte doch die grosse Mehrheit der evangelischen Pfarrer im Altenburger Land und darüber hinaus mit den hinter ihnen stehenden Gemeinden damals der aufklärerisch-rationalistischen Theologie zu. Die Kritik sprach von „Gewissenszwang und vom Abfall von der evangelischen Freiheit“. Auf Grund der scharfen Kritik von allen Seiten, legte das Konsistorium diesen Erlass den theologischen Fakultäten der Universitäten Berlin, Jena, Göttingen und Heidelberg zur Begutachtung vor. Worauf nur die Berliner Professoren ein positives Urteil fällten – für Hesekiel gewiss ein niederschmetterndes Resultat. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung gilt die Tatsache, dass der Herzog Josef von Sachsen-Altenburg, insbesondere jedoch seine Gemahlin Herzogin Amalie (1799-1848) mit den Erweckten im Lande sympatisierte und sich Hesekiel auch deshalb bemüssigt fühlte, den freiheitlich gesinnten Theologen entgegenzutreten. 

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Nr. 3. an Schenk, 22. Mai 1840

Schloß Altenburg d. 22ten Mai 1840 Mein theurer Freund! Soeben hatte ich am Sonnabend die ersten Zeilen an Dich abgesendet, so erhielt ich Deinen lieben Brief, der mich auf das Angenehmste überraschte und erfreute, so wohl deshalb daß Du mir gegen unsre Verabredung mit einem Briefe zuvorkamst, als auch, weil darin Deine daraus hervorleuchtende Freundschaft und Liebe ungerechnet des Erfreulichen so viel war! Daß Du glücklich trotz Sturm u. Regen in Wölkau20 angekommen, daß Du dort ungeahnt zu einem Familienfest herrlicher Art21 erschienst, daß der kleine Bernhard22 schon in Dir den rechten Kinderfreund erkannt, daß Du über Torgau, Döbernitz, und Berna23 so interessante Kunde vernommen – dieß Alles war mir höchst erfreulich zu vernehmen und gern hätte ich mich gleich wieder zum Schreiben angeschickt, um Dir so schnell als möglich meine Mitfreude zu versichern, wenn ich nicht, wie ich Dir geschrieben, so eben im Begriff stand, nach Plauen24 zu reisen. Nun aber diese Reise glücklich vollendet ist und ich wieder in Altenburg eingewöhnt bin, beeile ich mich, hiermit den Vorläufer zu vervollständigen! Ich will egoistisch genug, erst von mir reden, und Dir vor Allem davon zeugen, wie ich mich durch die Reise ins Voigtland erquickt habe: Welche Erquickung fand ich schon in dem Eilpostflug durch Gottes herrliche Frühlingsnatur, welche Erquickung in der Ueberraschung, Begrüßung und vom Wiederhaben der Meinen am Sonntag, welche Erquickung am Montag, in einer Predigercon­ferenz, der ich bei meinem Onkel Krause25 in Geilsdorf mitbeiwohnen konnte; welche Erquickung

20 

In Groß-Wölkau amtete Schenks Bruder, Heinrich Eduard Schenk (1807-1882), von 1835-1880, seit 1836 verheiratet mit Bertha Hänschel; 2 Kinder.  21  Der Familie Heinrich Eduard Schenk war eine Tochter (Name?) geboren.  22  Heinrich Bernhard Schenk (1838-1862), Sohn des Ehepaars Heinrich Eduard Schenk und Bertha Schenk-Hänschel, war während des Theologiestudiums verstorben.  23  In diesen Ortschaften fanden Pfarrwahlen statt.  24  In Plauen wohnten Carl Ludwig Nietzsches Halbschwestern (aus 1. Ehe von Friedrich August Ludwig Nietzsche mit Johanne Friederike Richter (1762-1805)): Juliane Opitz-Nietzsche (1786-1866), Christiane Amalie Hedwig SchmidNietzsche (1789-1866) und Ernestine Nietzsche (1798-1855). Carl Ludwig und später auch sein Sohn Friedrich besuchten die Halbschwestern resp. Tanten des öftern.  25  August Friedrich Krause (1776-1840), seit 1828 ev. Pfarrer in Geilsdorf (Plauen), war ein Bruder von Carl Ludwig Nietzsches Mutter Erdmuthe. 

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am Dienstag bei dem Tauffest des jüngsten Kindes meines Cousins in Plauen, wo eigentlich meine Mutter Pathe war. Unbewußt hatte ich mir die intressantesten Tage ausgesucht, besonders mir deshalb intressant, weil ich durch jene Conferenz und diese Taufe all u jedes bekannte und verwandte Gesicht, was ich in und um Plauen habe, gesehen erhielt. Es war eine köstliche Reise, die mir als ich am Mittwoch früh in den Garten zu meinen Stunden wanderte, wie ein schöner Traum vorkam! Auf dem Weg in den Garten besuchte ich auch gleich unsre liebe Frau Generalsuperint.26, die ich mit allen ihren Lieben nach Umständen ganz wohl fand; als ich ihr mittheilte, wie ihr fortwährend in meiner Abwesenheit die Ohren geklungen haben müßten, weil der Name Hesekiel unzähligemal von mir ausgesprochen worden wäre, meinte sie das müßte auch ein gleicher Fall mit mir und Dir gewesen sein, denn unser beider Namen wären gerade in jenen Tagen oft von ihr erwähnt worden, denn erstlich wäre es der erste Sonntag gewesen, an dem wir beide nicht zu ihr gekommen wären, und dann wäre auch die Frau Generalin von Seebart dagewesen, die uns beide so sehr gern hätte sprechen wollen! Denselben Mittwoch Abend ging ich auch noch auf den Gottesacker; da fand ich nicht weit von Hesekiels Grab auch das von Winkler und beide auf höchsten Befehl durch einen Kranz und gelben Sand zu einem Garten vereinigt; als ich so betrachtend dastand, ertönte auf einmal vom Himmel herab das Lied „Nun danket alle Gott!“ Ohne daß ich es bemerkt, war nämlich die herzogliche Todtenkapelle vollendet worden und wurde eben von den oben versammelten Zimmerleuten das Siegeslied der vollendeten Arbeit angestimmt! Ach, an diesem Grabe wollte es mir nicht gelingen, in diesen Jubelgesang einzustimmen!! Indem ich im Geist von dem Gottesacker zurückgehe, sehe ich die im Bau begriffne Kirche stehen; darüber ist jetzt entschieden worden, daß es wirklich eine katholische Kirche wird und nun auch ein katholischer Geistlicher seinen Sitz hier erhält; der König von Baiern hat nämlich eine allgemeine Kirchencollecte im ganzen Ober- und Unter-Mainkreis zum Besten der katholischen Gemeinde in Altenburg befohlen und Freunde hiesiger Katholiken haben sich an alle katholischen Höfe gewendet, ja selbst an den Papst, so daß nun von allen Seiten Unterstützungen zusammenströmen. Hier macht dieß wieder böses Blut und der durchlauchtigste Herzog hat mir selbst erzählt, wie man sage, daß der hiesige Hof katholisch werden wolle! – Das ist auch, außer Winklers Tod, das einzige Neue, was seit Deiner Abwesenheit vorgefallen ist; ich müßte denn noch erwähnen, daß die Frau Generalsuperint. ihren Besuch bei der Frau Herzogin27 ausgeführt hat und mir von dieser als eine herrliche liebe Frau gerühmt wurde, die Sie selbst mit

26  Hesekiel

hatte in 3. Ehe 1839 Ludovike Schwarz (1802-1883) geheiratet, die Tochter des Johann Ludwig Schwarz, Landgerichtsdirektor in Halle.  27  Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg hatte sich am 24. April 1817 mit der Prinzessin Louise Amalie (1799-1848), Tochter des Herzogs Ludwig von Württemberg, vermählt. 

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Prinzess Marie28 wiederbesuchen wolle, um sie auch noch einmal zu bitten, ja eine Sammlung von Predigten Hesekiels herauszugeben; die Frau Generalsuperintdt selbst habe ich seit diesem Besuche noch nicht gesprochen. – Nächsten Sonntag Abend werde ich hingehen, Deine Empfehlungen habe ich aber schon am Mittwoch ausgerichtet; sie werden von Allen auf das Herzlichste erwidert, mit dem besondern Zusatz der Frau Generalsup: „was Du in den Phantasien u dem Herzen von Minna29 u Hans30 für eine Hauptrolle spieltest, wäre merkwürdig“; so ist vorigen Dienstag Minna in Leipzig gewesen u da hat sie sich fest eingebildet, sie müßte Dich dort treffen, sie hätte eine Ahnung – die sie doch leider getäuscht hat! Wie gewöhnlich habe ich den Brief nicht eher angefangen, als bis die Post drängt, daher die große Flüchtigkeit u die Eile zum Schluß! Also nur noch die Hauptsache, meinen Segenswunsch zum Himmelfahrtstag – ich will für Dich im Gebet mit dem Herrn ringen – es ist ja ein Gebet in Seinem Namen d. h. für sein Wort und für sein Reich! Und solches Gebet hat Er ja verheißen zu erhören! – Wirst Du mich von Deiner Himmelfahrtsreise noch mit einem Briefchen erfreuen – und wirst Du nach Deiner Himmelfahrtsreise mich bald durch Dein Wiedersehen erquicken? Sprich Ja zu diesen Fragen! – Deinem HE Bruder empfiehl mich glückwünschend, u HE. Königsdörfer31 grüße freundlichst von mir; Gersdorf  32 giebt seit Mittwoch wieder Stunde! – In herzlicher, verlangender und sich sehnender Liebe bleibe ich Dein Freund Nietzsche

28 

Prinzessin Marie von Sachsen-Altenburg (1818-1907), heiratete 1843 den blinden Kronprinzen und späteren König Georg V. von Hannover (1819-1878). Von 1851-1866 war Marie an der Seite ihres Mannes die letzte Königin auf Hannovers Thron. Marie war keine Schülerin Nietzsches.  29 Wilhelmine (Minna) Louise Emili Hesekiel (1829-1912).  30  Johannes Carl Friedrich Hesekiel (1835-1918). ev. Pfarrer, seit 1863 Mitarbeiter von Johann Heinrich Wichern, von 1886-1910 Generalsuperintendent in Posen. 1883 Dr. theol. h.c.  31  Da Nietzsche keinen Vornamen nennt, bleibt es unbestimmt, ob er hier Arno Ernst H. Königsdörfer (*1812–†?), Hofrat und Justizrat in Altenburg, meint oder den ev. Pfarrer Heinrich Lebrecht Königsdörfer (1769-1843), der in Tautendorf, im Altenburger Westkreis, tätig war.  32  Friedrich Wilhelm Gersdorf (1809-1860). Gersdorf nannte sich Irenäus, nach dem altgriechischen ειρήνη, was Frieden bedeutet: eine Übersetzung seines Vornamens Friedrich ins Alt-Griechische. Ev. Theologe und Philologe, ab 1835 Prinzessinnenlehrer im herzoglichen Schloss zu Altenburg. 1840 ernannte ihn der Herzog zum Professor. 1849 Unterbibliothekar bei der herzoglichen Bibliothek und 1854 Regierungsarchivar daselbst. Ab 1846 gab Gersdorf ein Periodikum, das Organ für das deutsche Volksschriftenwesen heraus, seit 1848 auch die Zeitung für Stadt und Land, seit 1859 Altenburger Zeitung genannt. 

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Nr. 4. an Nietzsche, 22. Juli 1840

Berlin den 22. Juli 1840 Mein lieber Freund, Dir geschehe, wie Du gewollt. Du erhälst diese Zeilen aus der Stadt Deiner Sehnsucht und kannst sie als einen sprechenden Beweis dafür ansehen, daß, ob auch das Fleisch gelüste wider den Geist33, dieser bei redlichem Willen doch jenes besiegen könne. In der That es ist mir nicht ganz leicht geworden unter einer Menge von Besorgungen und Geschäften namentlich an diesem letzten Tage meines hiesigen Aufenthaltes, körperlich ermüdet durch die weiten Wege auf dem Berliner Pflaster, den Wunsch Dir zu schreiben, auch zu realisiren. Meine herzliche Liebe und Freundschaft für Dich hat indeß Alles überwunden und so wünsche ich denn nur daß diese Zeilen als Zeugen davon eine recht freundliche Aufnahme bei Dir finden und ein wenig Dich erfreuen mögen. Meine Reise hierher ging ganz glücklich von Statten. Nachdem ich meinem Vorsatze gemäß ½ Tag in Leuna verweilt und das Nöthige besprochen, kam ich Montag Vormittag hier an. Nachdem ich mir eine meublirte Wohnung auf 8 Tage gemiethet hatte begann ich sogleich meine große Besuchstour. Zuerst gab ich meine Depeschen bei der Frau Prediger Wilmsen34 ab und hatte die Ehre selbst mit ihr ½ Stunde zu sprechen, von dem lieben Seligen und der ganzen theuren Familie zu erzählen. Weniger glücklich war ich bei andern intendirten Besuchen. Bei einigen der Herren, die ich kennen zu lernen wünschte, war ich mehrere Male vergebens, ob ich mich auch beim Bedienten genau nach der Zeit, wo sie gewiß zu Hause zu treffen seien, erkundigt hatte. Solche vergeblichen Gänge sind bei der Weite des Weges höchst unangenehm, ganz besonders dem Fremden, der viele Besuche zu machen hat, und dadurch leicht zu einem längren Aufenthalte genöthigt wird. Ich habe indeß doch alle die Herrn kennen lernen, von denen ich es besonders wünschte und höchst interessante und in mehrfacher Beziehung gewinnreiche Bekanntschaften gemacht. Dahin zähle ich besonders die von Bollert35 und Rheinwald, wenn auch in sehr verschiedner Beziehung. Letztrer nahm mich anfangs, als ich mich den Candidaten Schenk aus Altenburg nannte, gar förmlich und vornehm auf. Als er aber den preuß mit der Lage der Sachen bekannten Candidaten kennen lernte, wurde das ganz anders, und ich kann seine ausgezeichnete Freundlichkeit nicht genug rühmen. Seiner Empfehlung verdanke ich die höchst

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Galater 5,17.  34  Wilhelmine, Tochter des geheimen Kriegsrats und preußischen Hofstaatskassier Gottlob Friedrich Zenker (1753-1826), hatte 1799 den Pädagogen, Schriftsteller und ev. Pfarrer an der Berliner Parochialkirche, Friedrich Philipp Wilmsen (1770-1831) geheiratet. Aus dieser Ehe stammten sechs Kinder. Die älteste Tochter, Julia Philippine Wilmsen hatte sich 1820 mit Friedrich Christoph Hesekiel vermählt.  35  Ludwig August Bollert (1801-1861) war von 1833-1860 ev. Feldprobst (= der oberste Militärgeistliche) in der königlich preußischen Armee. 

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wohlwollende Aufnahme von Strauß36 und Theremin37, dem Umgang mit ihm die interessante Bekanntschaft zweier junger, talentvoller Männer und vielfache geistreiche Unterhaltung. Wie oft habe ich gewünscht, daß Du dabei sein möchtest, besonders bei den Verhandlungen über unsre Altenburger Angelegenheit. Auch habe ich diesem Wunsche gegen die Herren Worte gegeben. In den Relationen in der Rh Allgemeinen Kchztg sollst Du den Schlüssel erhalten. Meine Ansichten und Vermuthungen sind bestätigt. Alles Nähere für mündliche Mittheilung, die bald erfolgen wird. Der Feldpropst Bollert nahm mich auf das Wohlwollendste auf und bewies mir eine Freundlichkeit und Theilnahme, wie ich sie von einem so hoch gestellten Mann nie erwartet hätte. Für meine Zukunft hoffe ich durch diese Reise viel gewonnen zu haben. Nicht nur sprach es B. aus, wie lieb es ihm sei, daß er mich persönlich kennen gelernt habe, sondern auch, nachdem ich ihm ganz offen von meinen körperlichen Leiden unterrichtet hatte, veranlaßte er mich, meine Bewerbungen fortzusetzen, gab mir Winke und Nachrichten und versprach mir seine lebhafte Unterstützung. Ich werde nun ruhiger und mit mehr Energie auf die Erreichung des gesteckten Zieles hinarbeiten und hoffe es, wenn der HErr seinen Segen giebt, zu erreichen. Wohin ich mich aber wenden werde, weiß ich noch nicht gewiß. Das Meiste spricht bis jetzt für Posen, doch ist die Erledigung einiger andrer Stellen in Aussicht gestellt. Vorläufig sind einleitende Schritte gethan. Am liebsten wäre mirs, wenn mich das Ministerium ohne besondere Bewerbung irgendwohin schickte. Es wäre mir alles recht, wenn ich nur ein Feld für meine Thätigkeit und das tägliche Brot fände. Eine persönliche Bewerbung an einem andern Orte war zu meiner Freude nicht nöthig; Zeit und Geld würden dadurch über Gebühr beansprucht worden sein. Mein Aufenthalt hier hat so noch um einige Tage länger gedauert als ich dachte, weil ich einige Angelegenheiten hier zu einem guten Ende bringen wollte. Ich bin noch immer nicht im Stande gewesen Alles so zu besorgen, wie ich es wünschte, hätte auch gern noch einige Bekanntschaften gemacht, will es nun aber bis zu meiner nächsten Anwesenheit hier lassen, die hoffentlich nicht zu fern ist. Am meisten habe ich am Sonntage Deiner gedacht und Dich zu mir gewünscht, als ich aus einer Kirche in die andre wallfahrtete und mit vielen Tausenden die Todesfeier des Hochseligen38 beging. Alle Kirchen waren gedrängt voll. Ich hörte Bollert, Neander39 und Theremin, und damit 3 ganz verschiedene Homileten.

36  Friedrich

Strauß (1786-1863) war ev. Oberhofprediger und Professor für praktische Theologie in Berlin. 1836 wurde er geistlicher Rat im Kultusministerium. Kandidaten der Theologie, auf der Suche nach einem Pfarramt – deshalb war Schenk nach Berlin gereist – hatten sich bei der obersten preußischen Kirchenbehörde vorzustellen. Übte doch die staatlich-königliche Kirchenbehörde letztlich die Oberaufsicht über die Kirche aus und vergab auch die Pfarrstellen.  37  Franz Theremin (1780-1846) ev. Theologe, 1839 Oberkonsistorialrat und Professor für Homiletik an der Berliner Universität.  38  König Friedrich Wilhelm III. von Preußen war am 7. Juni 1840 in Berlin gestorben.  39  August Neander (1789-1850), ev. Theologe, Kirchenhistoriker, seit 1813 Professor in Berlin. Vertreter einer gefühlsbetonten romantischen Kirchengeschichtsschreibung.

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Nachmittag war ich mit der halben Bevölkerung Berlins in Charlottenburg40 um des königlich. Paares letzte Ruhestätte zu besuchen. Zu ausführlichen Mittheilungen über das Alles gieb mir beim Wiedersehen Gelegenheit und Anregung, hier würde Raum und Zeit fehlen und ich kann nur andeuten. Deinen Couard41 habe ich nicht gesehen, er ist krank und verreist, ebenso ging mir’s mit Arnd42 und einigen Andern, die ich sehr gern hätte kennen lernen. Doch bleibt der Kreis der interessanten Bekanntschaften immer noch groß genug und wird hoffentlich nicht ohne geistigen Gewinn bleiben. Das Uebrige wollen wir das nächste Mal und, gefällt’s Gott, zusammen nachholen. Morgen früh reise ich nun über Potsdam, wo ich die Pfaueninsel besuchen will, zu meinen Eltern43, die ich sehr überraschen werde. Von da gehe ich nach Wölkau, um über Hesekiels Predigten ausführlich mit dem Bruder zu sprechen. Künftigen Sonntag bis Mittwoch über 8 Tage denke ich wieder in A. einzutreffen und zeige dieß heut in einem Brief meiner Familie an. Der theuren Frau GeneralSuperintendentin schreibe ich besonders einige Zeilen. Otto ist gestern Abend noch angekommen. Beifolgendes „An die evgl Geistlichkeit“ nebst dem Briefe von Rheinwald überreiche im Namen des Verfassers, der unbekannt bleiben will, seiner Herzogl. Durchlaucht als schwaches Zeichen ausgezeichneter Hochachtung und Verehrung. Näheres über ihn sollst Du allein erfahren. Beifolgenden Erstlingskranz auf das Grab des Hochseligen nimm als freundliche Gabe aus Deinem lieben Berlin. Möge Gott Dich gnädig schützen und uns ein fröhliches und gesundes Wiedersehen schenken, auf das sich herzlich freut Dein E.J. Sk

40 

Seine letzte Ruhestätte fand Friedrich Wilhelm III. im Mausoleum im Park von Schloss Charlottenburg, an der Seite seiner ersten Gemahlin Louise (1776-1810).  41  Christian L. Couard (1793-1865), ausserordentlich beliebter, der Erweckungsbewegung nahestehender ev. Pfarrer und Prediger in Berlin. Seit 1824 liess er seine Predigten auch in gedruckter Form erscheinen. Carl Ludwig Nietzsches Symapthie für die Erweckungsbewegung hatte wesentlich die Lektüre von Predigten Couards ausgelöst, auf den er als Student gestossen war.  42  Johann Friedrich Arndt (1802-1881), ev. Pfarrer. Einer der bedeutendsten Prediger des 19. Jahrhunderts mit grossem Einfluss am königlichen Hof.  43 Johann August Schenk (1769-1843) und Pauline Charlotte Wahn (1804–†?) in Stolzenhain b. Herzberg/Elster. 

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Nr. 5. an Schenk, 1. August 1840

Bad Ronneburg, den 1 sten August 1840 Innig geliebter Freund! Als ich am vergangnen Sonntag Deinen lieben Brief von Berlin erhielt, drängte es mich mit aller Liebesgewalt, Dir sogleich wieder zu schreiben; da ich jedoch nicht bestimmt wußte, wo Dich mein Brief treffen würde, so verschob ich es bis auf heute, um Dich mit diesen Zeilen in unserm lieben Altenburg wieder willkommen zu heißen und Dir bei Deiner Ankunft, wenn nicht in Person, doch in der Handschrift sogleich vor die Augen zu treten. Vor allen Dingen habe ich Dir nun aber meinen allerherzlichsten Dank für Deinen Berliner Brief zu sagen, der mich als ein Beweis Deiner aufopfernden Liebe und als ein Zeugnis Deines Wohlbefindens so außerordentlich erfreute! Gern möchte ich Dir auf Alles u. Jedes antworten, aber die Aussicht auf eine baldige mündliche Unterredung macht es unnöthig und ich will Dich daher nur bitten, daß Du mich ja sogleich nach Deiner Rückkehr hier besuchest oder mir doch schreibst, daß Du angekommen bist, damit ich Dich besuchen kann! Ich habe einen Ausflug nach Altenburg, wo ich so mancherlei zu besorgen habe, nur eben deshalb so lange verschoben, als bis ich Dich dort zu finden hoffte; damit entschuldige mich auch bei unsrer verehrten Frau Generalsuperintendent, der ich von Ronneburg aus auch noch nicht ein Zeichen meines fortwährenden Andenkens gegeben habe, obwohl ich ihr meinen Dank für die gütigst gesandten und richtig erhaltenen Zeitungen zu sagen schuldig war; empfiehl mich ihr mit vorstehenden Bemerkungen auf das Ehrerbietigste, und grüße ihre lieben Kinder freundlichst von mir! Hätte ich bestimmt erfahren können, daß Du schon den morgenden Sonntag in Altenburg ankommst, so wäre ich heute dahin gereist; nun aber will ich für morgen eine Fußparthie nach Köstritz machen, zum Pastor Schottin44, den ich hier als meinen Herrn Vetter habe kennen lernen. Leider bin ich an öftern Parthien hier sehr gehindert, weil meine Zeiteintheilung den ganzen Tag einnimmt und zerstückelt; von 10-2 Uhr bin ich bei den Prinzessinnen, von 4-6 bei der großen Tafel, die übrigen Stunden habe ich für mich. Ich kann also besser Besuch annehmen, als Besuche machen! – Was ich Dir sonst von und über Ronneburg erzählen könnte, verspare ich auch auf mündliche Unterredung; da ich auf diese Weise so gut wie nichts schreibe, so will ich auch nicht, daß Du dies als einen Brief ansiehest, es sind nur Zeilen, die Dich begrüßen sollen! Bei Deiner Ankunft werden Dir auch von mir 3 Predigten zum Lesen überreicht

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Johann David Friedrich Schottin (1789-1866), Dr. phil. h.c., Dr. theol. h.c., 1814-1857 ev. Pfarrer in Köstritz. Verfasser religiöser Gedichte und theologischer Schriften, Bearbeiter des Geraer Gesangbuches von 1822. 

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worden sein – so wie De Wettes45 Einleitg ins Alte Testament; durch ein Mißverständnis hat mir mein Vetter das Exemplar aus der Universitätsbibliothek geschickt, statt mir eines zu kaufen; da Du mir aber sagtest, daß Du dieses Buch jetzt brauchst, so habe ich es für Dich zurückbehalten; willst Du aber nun auch so gut sein, und dasselbe auf meine Kosten wiederzurückschicken, sobald Du es nicht mehr brauchst? Die Adresse ist: „Studiosus Theologiae August Dächsel, Leipzig in Stadt Frankfurt auf der Fleischergasse.“ – Für die gütigst übersandte Predigt von Theremin danke ich Dir auf das Herzlichste; Buch u Brief habe ich sogleich an den durchlauchtigst Herzog übergeben. Und hiermit Punctum! Laß Dir, wenn nicht an diesen Zeilen, doch an meiner Liebe darin genügen und freue Dich so, wie ich mich, daß ich schließen kann: „bald mündlich ein Mehreres!“ In treuer, dankbarer Liebe Dein Nietzsche

Nr. 6. an Nietzsche, 25. August 1840

Altbg den 25. Aug. 40 Bester Freund, Du weißt, wie Deine Wünsche zu erfüllen mir immer zur Freude gereicht, daher auch diesmal und noch ganz besonders deswegen, weil diese Wünsche mir einen Brief mit anderweitigen Nachrichten verschafft haben. Mag die Erfüllung zu Deiner Zufriedenheit sein. Die Predigten sind bestellt, die Einleitung ins N T, die ich Abderite erst oben in Deinem Zimmer suchte, folgt anbei, obgleich ich sie gar zu gern noch einen Tag behalten hätte, da ich sie zu begonnenen Arbeiten brauchte, die Berliner Zeitungen habe ich selbst von der General-Superint. geholt, um Deine Grüße gleich zu bestellen. Das 12 […] Berlin bekommst Du aber nicht, da ich gestern über anderen interessanten Gesprächen vergessen habe, es mir vom Otto46 geben zu lassen; und gebracht hat er es noch nicht. Am Ende hat er es gar in Berlin gelassen oder verloren. Das wäre

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Wilhelm Martin Leberecht De Wette (1780-1849), Theologieprofessor in Heidelberg, Berlin und Basel. Vertrat eine bewusst kirchliche Theologie. Nietzsche erwähnt hier De Wettes Einleitung in die kanonischen und apokryphen Bücher des AT (1817), 18698.  46  Otto August Moritz Hesekiel (18211905), ev. Pfarrer, 1857-1894 in Gröbitz. 

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doch Jammerschade, wegen der schönen Verbesserungen und interessanten Nachträge. Ich werde indeß nächstens danach fragen u dann kannst Du Dirs selbst holen. Hätte ich gewußt, daß Du den Sonntag Nachmittag in R. zu finden seiest, so hätte ich Dich besucht. Der HE Major wünschte, daß ich mit Felix 47 hinführe. Statt dessen bin ich nun mit ihm in Wolkenburg gewesen; hab mich einmal wieder an des lieben Gottes herrlicher und unverfälschter Natur gelabt und nebenbei den Pastor Kranichfeld48 einen Besuch gemacht. Nun der Mann ist nicht übel, aber umständlich u redselig. Eine Luthedoxie hab ich da gefunden, der gegenüber wir leidige Heterodo und Ketzer sind. Ei Du mein Gott, wie halten die Leutchen fest an den symbol. Büchern49; da fehlt kein Buchstabe, da wird nach ihnen die Schrift verstanden u ausgelegt, sie allein sind Norma und regula fidei, und wahre Summa des in der Schrift enthaltenen. Wir haben viel Theologica tractiret und ich bin noch ganz gut mit dem Lutheraner fertig geworden, also daß er mich seines Embrassements gewürdigt, zu längrem Besuche aufgefordert und zu einer lutherischen Conferenz auf den 8. folg. Monats in […] eingeladen. Den Dräseke50 lesen und kennen die Leute nicht; der ist ihnen noch ein Geruch zum Tode durch die Verhandlungen gegen die Lutheraner in Halle von 1834. Ich hab mir aber ein Gewissen daraus gemacht, ihm den Staar etwas zu stechen, ihm zu zeigen, wie er auf falscher Fährte sei und sich selbst am meisten bestraft habe. Mit nächster Gelegenheit will ich ihm einige Predigten schicken. Zu Dir werde ich in der Woche wohl nicht kommen. Ich will mein Haus nicht ohne Schutz lassen, da der HE Major nun heut auch abgereist ist. Kommst Du nicht noch bestimmt den Sonnabend u bleibst den Sonntag hier? Schreib mir’s vorher; ich hole Dich wenigstens in Schmölln wenn nicht in Ronneburg ab. Du mußt mir so in der Woche, u wo möglich gleich, wieder schreiben, denn Du sollst mir Fragen beantworten. – Den De Wette an Deinen Vetter habe ich nicht fortgeschickt weil ich seine Adresse nicht weiß. Ich kann sie auch nicht finden u doch ist mir, als hättest Du sie mir geschrieben. – Deinen Aufsatz an Rheinwald habe ich auch noch nicht weggeschickt, Warum? Weil ich den Bericht über die Confirmationsfeier beilegen wollte u wegen Mangel an Nach­ richten nicht konnte. Darüber die zweite Frage. Welche Gedanken führte Sachse51

47 

Otto Felix Pierer (1828-1866).  48  Friedrich Wilhelm Carl Kranichfeld (1797-1880), von 18291880 ev. Pfarrer in Wolkenburg.  49  Der Ausdruck ‚symbolische Bücher‘ bezeichnet eine Sammlung von Bekenntnisschriften einer christlichen Gruppe, mit denen diese ihre Eigenarten und Unterschiede zu anderen Gruppierungen herausstellt.  50  Johann Heinrich Bernhard Dräseke (1774-1849), ev. Theologe und Schriftsteller, seit 1831 Domprediger in Magdeburg, seit 1832 Bischof. Als Generalsuperintendent, im Konsistorium und der Regierungsabteilung für Kirchen- und Schulwesen tätig bis 1843. Berühmter Kanzelredner. Überzeugter Anhänger der im Jahr 1817 von König Friedrich Wilhelm III. beabsichtigten liturgischen Union zwischen Lutheranern und Reformierten.  51 Christian Friedrich Heinrich Sachse (1785-1860), ev. Pfarrer, seit 1823 Hofprediger am herzoglichen Hof in Altenburg. Gern gehörter Prediger und Dichter geistlicher und weltlicher Lieder und Gedichte. Schriftsteller. Verfasser landes- und kirchengeschichtlicher Schriften.

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durch? Was sprach Therese52? Wer nahm officiell an der Feier Theil? Kann man von Sachsens Kreuztragen u dem in dem Brief des Herzogs an ihn Gesagten Gebrauch machen zur Mittheilung? etc. etc. Gieb genau Auskunft. Uebrigens bin ich seit der Abreise meiner Jugend außerordentlich fleißig gewesen, und denke die schöne Muße jetzt so recht zu benutzen, um etwas vorwärts zu kommen. Körper und Geist stehen nur nicht immer im Gleichgewicht. Namentlich prävalirt dieser abends u jener morgens; während es besser wäre, es wär umgekehrt. ‘s ist einmal nicht anders, so wollen wir uns drein ergeben. Auf der General.-Superint. geht Alles ganz gut, die erwartete Tante aber ist noch nicht gekommen. Der leidige Hallenser kommt – Gott sei Dank! erst Ende nächsten Monats; wenn ich anders recht gehört habe. Beinahe hätte ich vergessen Dich zu der festlichen Geburtstags-Feier des Herzogs im Kasino einzuladen. Grand Diner, Vogel und Sternschießen, Concert, Ball. Alles wonach das Altenburger Publicum verlangt. Nun Du bist hiermit feierlichst eingeladen. Noch eins. Ich bin löbliches Mitglied eines hochlöbl. Altenburg Thierquälerei-Abschaffung-Vereins geworden, mit Sitz u Stimme. Ich fange schon an, mich hier ansässig zu machen, wer weiß welche Chargen nachfolgen! Also Respect. Doch nun genug des thörichten Geschwätzes, damit ich die erste halbe Stunde nach Tisch glücklich u angenehm verbracht habe. Nun zur Arbeit. Gott mit Dir. In herzlicher Liebe Dein E. J. Sk

Nr. 7. an Nietzsche, September 1840

undatiert

So ist`s recht, denk ich. Alle Tage ein paar Zeilen. Bist Du nicht auch damit zufrieden? Herzlichen Dank für Deine Freundlichkeit, mit der Du mir sogleich den De Wette wieder sendest. Du thust mir damit einen großen Gefallen, hoffentlich aber nicht auf eigne Unkosten. Nun er steht Dir jede Stunde zur Disposition.

52  Prinzessin

Therese von Sachsen-Altenburg (1823-1915) war die zweite der vier überlebenden Töchter des Herzogs Joseph von Sachsen-Altenburg. Blieb ledig. Wurde zusammen mit ihren Schwestern Elisabeth und Alexandra von Carl Ludwig Nietzsche ausgebildet. Später unterstützte sie seinen Sohn Friedrich und dessen Familie finanziell. 

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Beifolgend erhälst Du Dein Berlin mit den Berliner Zeitungen. Ich hab`s gleich geholt und dabei ein Packet Grüße von der Frau GS für Dich erhalten. Ich lege es hiermit zu Deinen Füßen nieder. Da Du kaltsinnig von der Herzogl Geburtstagsfeier hier und meiner Einladung dazu schweigst, so gehe ich zum Tort auch nicht ins Kasino und verschmähe Diner, Schießen, Concert, geputzte Gesellschaft und all die damit verbundenen Herrlichkeiten, so sehr sonst mein Herz daran hängt. Als gegenwärtige gut Altenburger Patriot kann ich aber meine Theilnahme am Wohl des Oberhauptes unmöglich so in mich verschließen und ohne äußerliches Zeichen verdampfen lassen; ich werde daher das Fest auf der General-Sup feiern und in der Gemeinsamkeit der Festfreude erst recht bewußt werden. Denk nur immer her. Willst Du, so kannst Du auch Seiner Herzogl Durchlaucht in unterthänigster Ehrfurcht unsre innigsten Wünsche für ihn und sein ganzes hohes Haus ausdrücken und ihn von unsrer Feier in Kenntniß setzen. Feire den Festtag nur in R würdig und referire mündlich über alle die patriotischen Gesinnungen, die dabei in Worten und Thaten sich gezeigt haben. Denn daß Du herkommst den Sonnabend erwarte ich gewiß und übermorgen schon die Anzeige davon. Kommst Du nicht, so drohe ich Dir nicht nur mit meiner höchsten Ungnade, sondern auch mit der härtesten Strafe, nämlich – mit meinem Besuche, oder was noch schlimmer, mit täglichen langen Briefen. Nun wird die Furcht Dich dazu treiben, wozu die Freundschaft allein Dich nicht bewegen kann. Vergiß nur nicht die Notizen über die Confirmation. Heut bin ich in der künftigen Wohnung der Frau GS gewesen. Sie ist gar klein und es wird Noth haben Alle und Alles unterzubringen. Die Verehrte war auch deshalb heut ganz bedenklich und betrübt. Ich habe getröstet und meinen alten Spruch von der Eintracht und Verträglichkeit vorgebetet. Hernach hätte ich mich beinahe ernstlich selbst mit ihr gezankt und wir waren beide böse. Natürlich aber in aller Liebe und nur deshalb weil keiner hinter dem Andren zurückbleiben wollte in derselben. Ich hatte das volle Recht auf meiner Seite und habe doch nachgeben müssen. So geht`s den starken Männern. Ich will aber schon die Gelegenheit ersehen und es wieder einbringen. Dräsekes zweite Predigt auf den Hochseligen hat uns weniger gefallen als die erste. Wir sind also verschiedner Meinung und ich im Vortheil, denn ich habe die Damen auf meiner Seite. Da kannst Du auch mit Deinem C. R.53 und Hofp nichts machen. Ich hätt Dir noch gar Viel und Schönes zu schreiben, aber dann haben wir mündlich nichts zu überlegen, also Feder fort. Das Papier ist auch alle und der Herr Prof muß den Brief noch heut haben. Gott mit Dir. Ich grüße Dich in unveränderter Liebe. E.J. Sk.

53  Da

muss sich Schenk verschrieben haben. Er wollte wohl die Abkürzungen C.‘S‘. schreiben, also auf den Hofpredgier Christian Sachse (Anm. 51) hinweisen, den Nietzsche in seinem Brief vom 8. September an Schenk in positivem Sinn erwähnt. 

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Nr. 8. an Schenk, 22. September 1840

Schloß Hummelshain den 22ten September 1840

Obwohl ich, lieber Schenk, die Freude haben werde, Dich schon diesen Sonnabend in Altenburg wiederzusehen, so drängt es mich doch, noch einmal an Dich zu schreiben; liegen nun doch zwei liebe Briefe von Dir zur Beantwortung vor mir und habe ich Dir doch dafür, wie für die Leipziger-Buch-und Berliner-ZeitungsBesorgung noch den herzlichsten Dank zu sagen! Daß ich dieß nicht früher gethan, geschah bloß deshalb, weil ich Dich gar nicht in Altenburg anwesend glaubte, weil mir mein Neffe aus Leipzig schrieb, er hätte von Dir einen Brief mit der Stadtpost erhalten, Du folglich selbst in Leipzig sein mußtest. Ich habe nach Deinem letzten Briefe recht gerathen, nur dachte ich nicht, daß Du so schnell, so ächt dampfmäßig, Deine Reisetour zurückgelegt haben würdest. Wie sehr ich mich nun auch freue, Dich wieder in Altenburg zu wissen, so sehr betrübe ich mich darüber, daß Du so ganz unverrichteter Sache heimgekehrt bist, und weder für Deine Lebensgestaltung überhaupt, noch für Deine Gesundheit insbesondre einen Gewinn davon getragen hast. Ich kann Dir dabei außer der Versicherung meiner herzlichen Freundes-Theilnahme auch keinen andern Trost geben, als welchen Du Dir schon selbst giebst, dass der HErr doch noch Alles wohlmachen wird. Es ist freilich leichter, an diesen Trost zu verweisen, als ihn in sich selbst aufzunehmen; dieß habe ich in diesen Tagen so recht gefühlt, wo der Glaube daß der HE Alles wohlmacht, in mir selber große Anfechtungen und Schwankungen erleiden mußte! Ach, der Tod meines lieben, treuen Freundes Moritz Lehmann ist es, der mich immerfort noch zu der Frage treibt “Warum hast Du dies gethan?“ - Ich erhalte darauf kein anderes Trostwort, als das Bibelwort „was ich jetzt thue, weißt Du nicht Du wirst es aber hernachmals erfahren!“54 Auf dieses „Hernachmals“ will ich warten, damit ich nicht ungerecht in meinen Klagen werde – Klagen muß ich aber doch, nicht bloß um meinetwillen, der an diesem Freund so viel verloren, sondern auch, und ich gestehe es aufrichtig, noch mehr, um die armen Hinterlassenen, die diesen Sohn und Bruder in einer Weise liebten, wie es wohl selten vorkommt; hatten es auch Ursach, denn er war in jeder Hinsicht so ausgezeichnet, daß ich ihn „zum Tode reif“ nennen möchte, das höchste Lob, welches wir einem Christen ertheilen können! – Doch mündlich mehr darüber; recht hast Du aber, wenn Du diesen Todesfall ein rechtes memento nennst, so wie den Tod meiner lieben Cousine, der nun auch – schrecklich und herrlich zugleich! – ihr Gatte, plötzlich am Nervenfieber nach gestorben ist, wie die Zeitungen melden! Es haben mich die Todesfälle dieser drei jungen lieben Wesen in eine merkwürdige elegische Stimmung versetzt und mir das ganze Hummelshain mit einem Trauerflor umzogen! Und doch ist es hier

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Johannes 13,7. 

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so herrlich und schön, und ich habe hier an der Seite Gersdorf, der hier ein ganz anderer und außerordentlich freundlich und theilnehmend gegen mich ist – so köstliche Stunden in Gottes herrlicher Natur verlebt – daß der Befehl, der nahen Abreise mich schmerzlichst überrascht haben würde, wenn es nicht nach meinem lieben Altenburg ist - nach meinem lieben Eilenburg ginge; denn die höchsten Herrschaften reisen nicht directe, sondern erst nach Eisenberg, wo sie acht Tage verweilen und wir Lehrer unterdeß Ferien haben. Da ich demnach den Sonnabend wieder bei Dir bin so erwarte ich keinen Freitagsbrief und keine Freitagszeitungen und bitte Dich auch zu Staufer55 zu gehen und ihm zu sagen „er möge nichts an mich nach Hummelshain fortschicken, da ich ihn den Sonnabend persönlich in Altenburg begrüßen würde; (Zu bestimmt rechne aber nicht auf mich, denn Du kennst den Wankelmuth der Herrschaften!) Da ich hier einmal eine Bitte ausgesprochen habe, so knüpfe ich daran noch eine zweite, daß Du Dir die drei Draesekeschen Predigten von Madame Heermann wieder geben lassen möchtest weil ich dieselben mit nach Eilenburg nehmen will. Eine dritte Bitte, oder vielmehr nur Anfrage wegen des Geldes wage ich nicht auszusprechen da Du mich in solchen Dingen so leicht mißverstehest – wie ich überhaupt behaupte dass Du mich doch noch nicht recht kennst, sonst würdest Du wohl den Eitelkeits-Vorwurf in einem Deiner Briefe feierlichst zurückgenommen haben! Auf die Gefahr hin, Dir wieder eitel zu erscheinen muß ich Dir dennoch mittheilen, daß ich am vergangen Sonntag hier in Hummelshain gepredigt habe, nicht aus Eitelkeit, sondern f höchsten Befehl, gegen den ich sogar protes­ tirte, aber vergebens! Die Predigt habe ich bei fortwährender Tanzmusik – es waren Prager Musici hier, die gerade die Abende, als ich arbeitete, im Schloß und im Gasthof spielten – und bei dem tiefsten Schmerz über die drei Todesfälle niedergeschrieben und memorirt – ein Contrast, der mich fast zur Verzweiflung brachte, dennoch ist der HErr in meiner Schwachheit nach Inhalt und Vortrag mächtig, oder – denn das klingt zu eitel! – gnädig gewesen!! Noch eins – mein Bekanntschaften-Glück hast Du beschrieen! Ich habe den berühmten Schatter56 aufgesucht, aber ihn nicht zu Hause getroffen; dafür habe ich aber hier bei Tafel den Kirchenrath Hare kennen lernen, der mir, obwohl er mir etwas durch sein Äusserliches auffiel, doch wohlgefallen hat! Das Nähere über Alles mündlich! Ich freue mich sehr Dich bald wiederzusehen, möge unsre Freude durch das erwartete Ereigniß in der Generalsuperintendentur, deren Inßaßen Du sammt und sonders freundlich grüßen mögest – nicht gestört werden, sondern lieber durch etwas Anderes noch verkläret!? In treuer, theilnehmender Freundesliebe bleibe ich Dein L Nietzsche.

55  Carl Rudolf Stauffer, Buchhändler in Altenburg. Lebensdaten nicht bekannt.  Schatter (1793-1856), ev. Pfarrer und theologischer Schriftsteller in Neunhofen. 

56  Carl

Gottfried

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Nr. 9. an Nietzsche, 28. September 1840

Altbg d. 28. Sept. 1840 Mein lieber Freund, Wenige Tage nur liegen zwischen diesem und meinem letzten Briefe, aber Vieles habe ich während derselben gethan und erfahren. In 4 Tagen bin ich in Leipzig, Merseburg und 2 mal in Halle gewesen und lasse es nun sogleich nach meiner Rückkehr mein erstes Geschäft oder besser, meine erste Erholung, von den Anstrengungen der Reise sein, an Dich einige Zeilen zu richten. Das üble, gar unbeständige Wetter nöthigte mich meine Fußpartie ganz aufzugeben und über Leipzig per Journaliere und Dampfwagen nach Halle zu gehen. In Leipzig habe ich Deinem Briefe zu Folge in einigen Zeilen Deinen Vetter benachrichtigt, daß das Buch bereits vor 14 Tagen in seiner Abwesenheit an den Hauswirth wirklich abgegeben worden sei. Demnach wird er es nun hoffentlich auch erhalten haben, ehe noch weitere Unannehmlichkeiten daraus ihm erwachsen sind. Montag Nachmittag kurz nach 3 Uhr war ich in Halle. Mein erster Gang war zu Marcks57. Wir brachten 2 volle Stunden im Gespräch und gründlicher Erwägung der Predigtherausgabe, der Hesekielsch. Verhältnisse überhaupt und der des Ludwig ins besondre zu. Auch über sich und seine Lage sprach der gute M., der eine wahrhafte Nathanaelsseele ist, mit einem mich rührenden Vertrauen und ehrender Offenheit. Es bewegt ihn mancherlei. Für die Hesek Familie sorgt der Gute mit unermüdetem Eifer, dem der HErr dann auch seinen Segen nicht versagt. Es waren ein paar gewinn- und genußreiche Stunden, die ich so ganz ungestört mit ihm verleben konnte, da die störenden Studentenbesuche bei schon längst begonnenen Ferien wegfielen. Weniger interessant und nicht ohne u Unbequemlichkeit war das Abendbrot, das ich von 8 Uhr abends an auf seine freundliche Einladung bei ihm einnahm. Die Zwischenzeit benutzte ich zu einem Besuche beim alten, ehrwürdigen Guerike58, der mit dem Lud. H. – den ich nicht zu Hause traf, da er einen Ausflug aufs Land zu Guerikes Sohn gemacht hatte – in Bezug auf das Leben in seinem Hause und sonst, so viel er es beurtheilen konnte, sehr zufrieden war. Im Ganzen Gutes hörte ich auch von Marcks und Extravaganzen irgend einer Art sind durchaus nicht vorgekommen. Damit ist schon viel gewonnen, zumal da er sich auch an Ordnung und eine gewisse geregelte Thätigkeit gewöhnt hat, die

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Benjamin Adolph Marks (1775-1847), ev. Theologe und Pädagoge, von 1816-1847 Universitätsprofessor für Homiletik in Halle, zugleich Universitätsprediger daselbst und Pfarrer an der Ulrichskirche. C. L. Nietzsche hatte als Student mit viel Eifer und Begeisterung Vorlesungen sowie liturgische und homiletische Übungen bei Marks besucht.  58  Georg Christian Guericke (1771-1844), ev. Pfarrer, Dr. theol. und Pädagoge, 1814-1844 Oberpfarrer und Superintendent an der St. Moritz Kirche in Halle.

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ihm bisher ganz fehlte. Den folgenden Vormittag verwendete ich zu Besuchen beim Diacon Böhme59, den Prof. Bergner, dem Buchhalter Schwetzschke u.e.a., die mir zum Theil recht interessant und gewinnreich waren. Das Resultat unsrer Bera­ thungen über die Herausgabe der Hesk. Predigten nach genommener Rücksprache mit Schwetschke war, daß sie für jetzt wenigstens und daher wohl für immer suspendirt bleiben sollen. Es ist wohl auch so in jeder Beziehung das Beste. Nachmittag (Dienstag) fuhr ich nach Merseburg, blieb die Nacht, besuchte am Vormittag des Mittwochs den Herrn Regierungsrath Caro60, der außerordentlich wohlwollend u freundlich mir seinen auf Kenntniß der Verhältnisse gestützten Rath ertheilte, dem zu Folge ich den übrigen Herrn keinen Besuch machte u nur noch zum Diacon Langer61 ging, um seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Der eigentliche Zweck meiner Reise nach M. ist verfehlt und auch für die Zukunft habe ich nur äußerst wenig u sehr dürftige Aussichten. Sey’s; der HErr wird sorgen, der die Raben speist. Meinen Plan wenigstens die Rückreise zu Fuß zu machen, vereitelte wieder heftiges Regenwetter, den Nachmittag in Merseburg zu bleiben u den andren Morgen per Post nach Leipzig zu fahren, behagte mir nicht, da ich Einladungen für den Mittag bei Caros und Langer abgelehnt hatte u für den Nachmittag Langeweile fürchtete; so entschloß ich mich kurz und fuhr wieder nach Halle – es ist nämlich jetzt durch die Eisenbahn täglich früh u nachmittags billige u bequeme Gelegenheit – wo ich Ludwig Hesekiel aufsuchte u traf u den Abend im Gespräch mit einem alten Universitätsfreund hinbrachte. Es gab da von beiden Seiten viel zu sprechen u zu hören. Am gestrigen Morgen war ich auf seinen Wunsch nochmals bei Marcks, empfing Briefe an Hesek. und musste eine lange äusserst günstige Recension über die Predigt m Bruders62 hören, die er ihm geschickt hat, so gern ich auch fortwollte, da ich die Abfahrt des Dampfwagens zu versäumen fürchtete. Um 9 Uhr saß ich im schönen Wagen meines Gasthofs u die raschen Pferde brachten mich bald zum Bahnhof. Der Zug sollte ¼ 10 Uhr von Magdeburg ankommen, kam aber erst um 10, u da wir beim heftigen Sturm auch nur langsam fuhren, so kam ich statt um 10 – wie ich gehofft hatte, erst ¼ auf 12 Uhr nach Leipzig und mußte nun mit dem Eilwagen fahren, da die Journaliere schon abgegangen war. Das war mir höchst verdrießlich, da es mich Geld u Zeit kostete u zwang, ein paar langweilige Stunden in Leipzig zu verleben. Ich mußte mich indeß fügen und kam ½ 9 glücklich hier an. Alle sind wohl, auch die lieben Hs; selbst mit der Fr. Pastor Weber63 gehts besser. Die entscheidende Stunde ist wohl ganz

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Friedrich Wilhelm Theodor Boehme (1805-1848), ev. Pfarrer, 1834-1844 Diacon an der St. Moritz Kirche in Halle, 1844-1848 Nachfolger Guerickes als Oberpfarrer und Superintendent daselbst.  60  Johann Adalbert Karo (1802–†?), seit 1840 bis 1870 bei der Regierung in Merseburg tätig und da für die Bearbeitung von Schulsachen zuständig.  61  Friedrich Wilhelm Langer (1803-1866), ev. Pfarrer, 1833-1845 Diacon am Merseburger Dom, 1845-1866 Oberpfarrer und Superintendent in Zörbig.  62  Heinrich Eduard Schenk, siehe Anm. 20.  63  Auguste Bertha Weber-Geier, die Frau von Pfarrer Johann Christian Karl Weber (1795-1875), starb am 23. September 1840.

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nahe. Gott helfe! Du erhälst anbei Berliner Zeitungen. Schreibe sogleich, komm bald! Gern schriebe ich mehr, aber die Ordonanz geht ab. Gott mit Dir! Dein E.J. Sk

Die Nachricht vom Tode Deines Freundes Lehmann, nach langer schmerzvoller Krankheit, habe ich mit aufrichtiger Theilnahme gestern in L. gelesen. Wer wird der erste aus unserm Kreise sein, der ihm folgt? Mir ruft alles sein memento zu. Uebrigens bin ich mit einem durch eine starke Erkältung mir zugezogenen bösen Halse abgereist und ebenso zurückgekehrt. Hier wirds bei sorgfältiger Pflege schon besser werden.

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Nr. 10. an Nietzsche, 5. Januar 1841

Zeitz, den 5. Januar 1841

Erwartetest Du auch nicht mit vollem Rechte eine Antwort von mir, so könnte ich den Brief an meine Emma doch nicht abgehen lassen, ohne wenige Zeilen an Dich beizulegen, mein lieber Freund. Wie hast Du mich durch Deinen so überaus liebevollen und freundschaftlichen Brief erfreut und doch auch wieder betrübt, wie sehr und angenehm durch das köstliche Geschenk überrascht. Den herzlichsten Dank für alle Beweise Deiner aufrichtigen Liebe. Vergelten kann ich Dir nicht. Benutzt habe ich Deine werthe Gabe sogleich – ich erhielt sie Sonnabend gegen Abend – um das von Dir so ächt sinnig bezeichnete zu lesen, mich daran aufzurichten und meinen Geist zu stärken, der so sehr vor der erkannten grossen Aufgabe erbebte. Schmerzlich war es mir, daß ich Dich auch an diesem Tage64 nicht sehen sollte. Doch war mir die Vereitelung dieser Hoffnung nicht unerwartet, da ich seit Eintritt der üblen Witterung ganz aufgegeben hatte. Es wäre auch zu viel verlangt gewesen, wenn Deine gute Mutter ihren Liebling meinetwegen hätte früher missen sollen, abgesehen von den andren Umständen, die ich nicht kannte. Da Du nun aber an diesem für mich so wichtigen und meinen ganzen Menschen ergreifenden Tage nicht bei mir hast sein können, so erwarte ich Dich nun binnen der kürzesten Zeit. Und damit Du bald kommst, schreibe ich Dir über meine Predigt und die ganze Feier so gut als Nichts. Wir wollen bei Deinem Hiersein gegen einander austauschen. Nur so viel, daß es diesmal mit meiner geistigen Undisposition fast zu schlimm war. Denke Dir, erst den Dienstag fing ich an zu schreiben, den Mittwoch gegen Abend war sie fertig. Aber wie? Gott verzeihe mir das Machwerk, das ich schon deshalb nicht aus den Händen gebe, um mich nicht zu blamiren. Hier aber sollst Du’s bekommen. Lieb Emmchen und der Mutter es vorzulesen, habe ich mich übrigens nicht geschämt. Mit dem Memoriren gings auch gar schlecht, wie Du denken kannst. Donnerstag einpacken, Freitag Herüberfahren und Einrichten, Sonnabend Besuche und Störungen. Doch hat Gott Gnade gegeben. Den 3ten Theil habe ich nach bloßer Meditation gehalten. Nächsten Sonntag habe ich über die Epistel zu predigen und noch an keinen Anfang gedacht. Wie werde ich

64  Emil

Julius Schenk hatte am 3. Januar 1841 seinen Dienst an der St. Michaeliskirche in Zeitz angetreten. 

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müssen anders arbeiten lernen! Mit der nächsten Woche gehen nun meine Casualia und der Unterricht meiner 24 Confirmanden an. Arbeit genug. Mein Abschied von Altenburg und besonders von meiner theuren Braut ist mir entsetzlich schwer geworden. Es war mir, als sollte ich in den Tod gehen, und an Freudigkeit war nicht zu denken. Doch das werden Dir meine Lieben, besonders wohl die Mutter rügend gesagt haben. Meine liebe Emma war aber auch nicht gefaßt. Es ist auch viel, so von allem Gewohnten und Lieben zu scheiden und in ein ganz neues Fremdes einzutreten. Jetzt bin ich ruhig, ja freudig und glücklich, wie ich es sein kann, so lange ich von der getrennt bin, mit der ich immer vereint sein möchte. Mit meinem lieben Senior65 denke ich ein Leben in Einigkeit des Geistes und Frieden zu führen. Mein College Schmidt66 ist mir ebenfalls mit sehr viel Freundlichkeit entgegengekommen. Ueber meine häuslichen Verhältniße hat Emma ausführlichere Nachricht. Daß Du glücklich in A angekommen bist und bei den Meinen warst, schrieb mir heut meine Emma. Ihr Brief war ein Labsal in meiner Oede, der mich recht erquickt hat. Ich kanns Dir gar nicht sagen, wie ich das gute Kind liebe, und werde mich hier auch nicht eher recht heimisch fühlen, als bis ich sie bei mir habe. Draesekes Entlassung67 ist angenommen. Gott seis geklagt und er mag für einen Mann sorgen, der uns diesen Bischof nur halb ersetzt. Deine 3 Malheurs68 dauern mich, besonders das 1.te und 3.te; sie gehören zu den unangenehmsten Geduldsproben auf Reisen. Die Dir von Stauffer eingehändigte Rheinwaldsche Kirchenzeitung gieb zu Hesekiels, die mir Sonntag ein Packet schicken werden. Um Abgabe der Karten an Gersdorf und Wagner69, die ich nicht traf, bitte ich Dich. Bei den Geistlichen und Baumbachs war ich nicht. Die Zeit fehlte. Majors waren sehr lieb und freundlich. Nicht wahr Du kommst bald? Kannst Du nicht, so schreibe wenigstens Deinem Schenk

Willst Du so gut sein und der Fr Gensu die 25 […] geben? Das schicken zu vermeiden habe ich sie von ihr genommen. Spätestens zum 1 März stehen sie Dir zu Befehl. Andres auch früher, wenn Du es wünschest. Gottes reichster Segen sei in diesem Jahr besonders über Dir. Sein Fortgang wird für Dich ebenso bedeutend werden, wie für mich sein Anfang. Gott kröne Deine Wünsche!

65  Johann

Paul Christian Philipp (1758-1848), ev. Pfarrer, von 1796-1842 als Diakon, später Archidiakon an der St. Michaeliskirche in Zeitz tätig.  66  Karl Christian Eduard Schmidt (1801-1873), ev. Pfarrer, seit 1831-1847 Diacon an der St. Michaeliskirche Zeitz.  67  Draeseke hatte von Dezember 1840 bis Dezember 1841 dreimal vergeblich um seine Entlassung gebeten.  68  Carl Ludwig Nietzsche hatte während seiner Reise nach Magdeburg mit schlechtem Wetter und verpassten Anschlüssen zu kämpfen.  69  Vielleicht meint Schenk hier Gustav Edmund Wagner (1806-1890), ab 1834-1857 ev. Pfarrer in Windischleuba (nahe bei Altenburg gelegen), seit 1871 Hofprediger in Altenburg. 

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Nr. 11. an Schenk, 25. Januar 1841

Schloß Altenburg, d. 25ten Januar 1841

Nun, mein lieber Schenk! bete für mich – in dem Augenblick, als Du diese Zeilen erhältst, sitze ich schon in Leipzig, um Deo favente, nach Berlin zu fahren! Gestern ließ mich endlich der durchlauchtigste Herzog rufen, und theilte mir mit, dass er mich hier nicht entlassen wolle, als bis ich in Preußen eine geistliche Anstellung hätte – und so weiter! Kurz das Ende der Unterhaltung war, daß ich den Urlaub zur Berliner Reise bekam, wozu er heute drei Briefe in meine Hande legte. Von ihm: Einen an des Königs Majestät, und einen an Strauß, durch welchen ich dem König sprechbar gemacht werden soll; und von der Frau Herzogin einen Brief an die Prinzessin Wilhelm70 (Tante des Königs) und mündliche Empfehlung an Goßner71, der Frau Herzogin persönlich näher bekannt und befreundet! Außer dem habe ich noch Briefe zu besorgen von Prinzeß Marie an Fräulein von Helwig (natürlich kein Empfehlungsbrief) und von unsren lieben Hesekiels an Wilmsens! Rechne ich dazu meinen Besuch bei meinem Couard, bei meinem Vetter und bei Deinem Bruder – so habe ich gerade genug zu laufen! Das Wichtigste dabei ist, daß der Herzog an den König und den Strauß geschrieben hat, daß sie mich sollen vor Sich predigen lassen – wenn das geschieht, nun so halte Du an am Gebet, damit Geist und Körper bei mir aushalten! Übrigens aber glaube mir, daß ich mir vom Erfolg meiner Reise keine besonderen Hoffnungen mache – wenn ich es nur dahin bringen könnte, daß mich der König zum Archidiaconus (oder Diaconus) in Delitzsch dem Magistrat vorschlüge – Der Morgenstern ist erloschen und nun bombardiren mich die Meinen in Eilenburg, um die erledigte Stelle nachzusuchen, ich will mich auf dem Rückweg von Berlin persönlich in Delitzsch um eine Gastpredigt bewerben! Was sagst Du dazu? Ja, das frage ich nicht bloss, ich möchte auch Antwort darauf haben, willst Du mir also schleunigst nach Berlin schreiben, so adressire den Brief abzugeben an den Geheimen Calculator Koew, große Frankfurterstraße Nr. 120. Vielleicht hast Du mir nicht bloß manchen guten Rath noch zu geben, sondern auch Aufträge – ich würde Alles bestens besorgen und beherzigen! – Die ganze Berliner Reise, zu der mir nach Deinem aufmerksamen Wunsch die liebe Frau Generalsuperintendent die 25 Thl wiedergegeben hat, freut mich um der Meinen willen besonders sehr, damit ich ihnen ad oculos demonstriren kann, daß es mit den Empfehlungen der höchsten Herrschaften Wahrheit hatte – um ihrer und meiner Ostersorgen willen, freut mich auch das Wort des Herzogs „Sie bleiben so lange

70 

Prinzessin Wilhelm, eigentlich Marie Anne Amalie von Hessen-Homburg (1785-1846), heiratete 1804 Prinz Wilhelm von Preußen, den jüngsten Bruder König Friedrich Wilhelms III.  71 Johannes Evangelista Goßner (1773-1858), ev. Pfarrer, deutscher Autor und Missionar, von 1829-1846 Prediger an der Berliner Bethlehemskirche. Grosser Förderer der Inneren Mission. 

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unter meinem Dach, bis Sie in Preußen als Geistlicher angestellt sind. Der Herzog hat übrigens mit seiner Mittheilung so lange angestanden, weil er immer noch Willens gewesen ist, mich als Hofhülfsprediger anzustellen – erst in der vergangenen Woche hat er diesen Gedanken ganz aufgegeben; es ist das sehr gut, denn Sachse. hat mir bei seinem letzten Besuch angedeutet „wenn einmal so etwas geschähe, so lege er sein Amt nieder.“ Meine Reformatfestpredigt ist ihm wieder ein arger Dorn im Auge, er sprach sich darüber gegen mich selbst sehr tadelnd aus und nannte sie eine unschickliche verfehlte Controverspredigt gegen ihn! Sapienti sat! Wir haben uns wieder einmal verständigt – ! und hat mir nun ein ausgezeichnetes Zeugnis für Delitzsch ausgestellt!!!? Genug – es geht mir Alles, wie ein Mühlrad im Kopf herum – in der Liebe zu Dir steht aber fest Dein Nietzsche

Nr. 12. an Schenk, 9. Februar 1841

Altenburg, d. 9ten Februar 1841 Mein guter lieber Schenk! Da bin ich denn wieder in meinem Altenburger Schloß-Stübchen und hinter mir liegen vierzehn bedeutungsvolle Tage, von denen ich Dir referiren soll und will – aber heute wird das Referat erbärmlich kurz ausfallen, wie ich denn überhaupt glaube, daß ich bald einmal nach Zeitz muß, um Dir lieber Alles mündlich zu erzählen, als schriftlich anzudeuten! Zuerst wisse, warum ich heute so kurz schreibe – ich habe nicht viel Zeit, denn ich predige nächsten Sonntag in der hießigen Schloßkirche, wozu Sachse als ein Zeichen seines Vertrauens und seiner Werthschätzung mich aufgefordert hat – das möchte ich nicht abschlagen und ich will meine Examen-Predigt halten, obwohl sie noch so gut als gar nicht fertig ist! Zweitens wisse, warum ich nun heute doch schreibe – das ist Geldnoth! Meine Berliner Reise hat mir an vierzig Thaler gekostet, außerdem hatte ich in Eilenburg, wo ich auf dem Rückweg einen Tag ausruhete, mehreres zu bezahlen, so bin ich abgebrannt bis auf einen Thaler! „Das ist nun Alles recht gut, daß ihr abgebrannt seid, aber geben kann ich euch doch nichts!“ Sprichst Du so, lieber Schenk, o weh, dann sieht es schlimm aus – die Frau Generalsuperintendent hat nichts, Gersdorf hat nichts, dafür muß ich eigentlich 20 Thl an Gersdorfs Mutter jetzt wieder geben – ich muß also zu Dir kommen und Hülfsgelder erbitten72, wenigstens Etwas, damit

72 

Schenk lieh Nietzsche das gewünschte Geld und beglich auch seine Schuld bei Gersdorfs Mutter.

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ich nicht den Manichäern73 in die Hände fallen, mit denen ich es so schon in der Kirchengeschichte zu thun habe! – Möge Dich meine Bitte nicht zu sehr in Verlegenheit setzen, es thut mir so schon sehr weh, daß ich Dich darum bitten muß !! – Nun das ist aber wahr, prosaischer konnte ich meinen Brief an Dich (nach der Berliner Reise) nicht anfangen, als wie ich es gethan; es kommt dieß vielleicht daher, daß mir die ganze Berliner Reise sehr prosaisch erschienen ist – es gab zwar sehr poetische, genußreiche, herrliche Stunden, im Ganzen möchte ich aber doch die Reise sehr prosaisch nennen! Habe ich doch 8 Tage vergebens gewartet, daß mich des Königs Majestät rufen lassen würde, bis ich endlich desperat wurde, und (die Prinzeß Wilhelm habe ich aber gesprochen) ohne den König gesprochen zu haben, wieder abreiste! Die Hauptsache selbst ist aber doch erreicht, ich bin, wie mir Strauß sagte, vom Herzog auf eine Weise an den König empfohlen, daß ich die glänzendste Antwort erwarten kann, und zwar die „daß ich sobald ich das Examen gemacht habe, eine vacante Königliche Regierungs-Stelle in unserer Provinz mir wählen soll, welche mir besonders wünschenswerth erscheint; um diese soll ich dann den König direct bitten und ich würde dann auf besonderen Kabinetsbefehl angestellt werden.“ Diese Entscheidung, welche der König in diesen Tagen dem Herzog schreiben wird, übertrifft alle meine Wünsche; trotz dem habe ich doch den Wunsch meiner Mutter erfüllt und mir eine Gastpredigt von dem Delitzscher Magistrat erbeten! Alle Leute, die ich in Berlin habe kennen lernen, haben mir weniger gefallen, als ich erwartete, ausgenommen Couard, den ich je länger je lieber gewann, so daß die Stunden, die ich an seiner Seite verlebte, die Schönsten der Berliner Reise sind – ich war fünf Mal bei ihm und habe ihn dreimal predigen hören! Seine Töchter sind Alles schöne, liebe Mädchen; die mir aber am Besten gefallen hat, ist Braut! Die Hoffnungen Deiner lieben Frau Schwiegermutter sind also zu Schanden geworden. Strauß hat mir am Wenigsten gefallen, freilich war es auch Deine Schuld, daß ich nicht gleich den König sprechen konnte, weil er sich keine besondere Audienz deshalb ausbitten wollte – nun wer weiß wozu es gut war! – Laß Dir an diesen Andeutungen genügen und vergilt nicht Gleiches mit Gleichem; Du bist mir so noch auf einen Brief Antwort schuldig – also schreibe nur ausführlich, wie es Dir geht! Ach, Du bist hier gewesen, und ich mußte ferne sein!! Noch Eines! Sachse ist von Jena aus Doctor der Theologie geworden - das erste Mal, daß er sich als Doctor unterzeichnet hat, ist gerade mein Zeugniß gewesen! – Hiermit Gott befohlen! In treuer unveränderter Liebe Dein Nietzsche

73  Der

Perser Mani (3. Jahrhundert) stiftete eine neue Religion und nannte sich „Manichäus, der Apostel Jesu Christi“. Der Manichäismus war eine stark von der Gnosis beeinflusste Offenbarungsreligion der Spätantike und des frühen Mittelalters. Der Grundgedanke des M. ist ein schroffer Dualismus von Licht und Finsternis, die Teilung des Universums in die Reiche des Guten und des Bösen. Der Weg zur Erlösung führt über die Erkenntnis des Lichtreiches, die Propheten wie Buddha, Jesus und – in letzter Instanz – Mani vermitteln. Mit diesem Wissen vermag die menschliche Seele die Begierden zu überwinden und ins Reich Gottes emporzusteigen. Der M. war der christlichen Kirche jahrhundertelang eine gefährliche Nebenbuhlerin. Er wurde vom Mongolensturm im 13. Jahrhundert völlig vernichtet. 

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Nr. 13. an Nietzsche, 23. März 1841

Zeitz, den 23. März Lieber Freund, Wie wir es verabredet, so erhälst du durch die heutige Post Deine Commentation zurück. Es ist mir ungeachtet mancher abhaltenden Amtsarbeiten und zeitraubender Besuche möglich gewesen sie ganz durchzugehen, wenn auch nicht so genau wie ich es wünschte. Gern hätte ich dem dogmatischen Theile noch die doctrinam biblicam et praesertim Johanneam coll. Apocalyp hinzugefügt, allein es blieb mir wirklich nicht Zeit. Es fehlt so nun freilich etwas, was man vor Allem erwarten wird. Nimm nun mit dem Wenigen, was ich habe thun können, vorlieb und mögen meine herzlichsten Wünsche etwaige Mängel den prüfenden Augen der Examinatoren verdecken. Lesen wirst Du gewiß Alles können. Schreib das opus nun recht sauber ab und sende es übermorgen an die Behörde. Wenn es hier durchpassirt werde ich ihm noch meine besondre Benediction geben. Noch einmal bitte ich Dich, die Arbeit über Deine theologische Fortbildung mit besondrem Fleiße zu verfassen. Ich würde darin ganz besonders auch über den bedeutenden Einfluß, den unser Altenburger Streitpkt auf mich ausgeübt, meine Stellung dabei etc berichten tiefer eingehen und sonst Alles was für meine innre Entwickelung wichtig geworden, darlegen. Die Diaconin Schmidt74 hat mir förmliche Vorwürfe gemacht, daß ich Dich nicht auch zu ihr, wie zu Krausens gebracht und wollte keine Entschuldigung annehmen. Du mußt es also bald wieder gut zu machen suchen. Nochmals meinen herzlichsten Dank für die Freude Deines Besuchs und die gegebene Gelegenheit die Geliebte zu sehen und da so reiche Freude zu geben und zu genießen. Möge Gott Dich an Seel und Leib frisch und kräftig erhalten für die Vorarbeit zur Prüfung und dann in derselben selbst Dich zum Meister machen über alle Gegenstände, die vorkommen. Gieb Beifolgendes meiner Emma. Ich muß einen gestorbenen Schüler zu Grabe begleiten. Darum so wenig und flüchtig. Lebe wohl. Dein E. J. Sk

74 

Albertine Charlotte Kunicke hatte sich mit Pfarrer K. Chr. Eduard Schmidt (Anm. 66) verheiratet. 

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Nr. 14. an Schenk, 10. April 1841

Schloß Altenburg den 10ten April 1841 Mein lieber Schenk! Nach großen Kämpfen und Unterhandlungen ist endlich der Entschluß von mir gefaßt und höchsten Ortes genehmigt worden, daß ich nächsten Dienstag, dritten Osterfeiertag, Altenburg für immer verlasse und für jetzt nach Naumburg gehe! Auf meinem Weg dahin komme ich durch Zeitz, und das ist der Zweck dieser Zeilen, Dir dieses mit der Bitte zu melden, daß Du den Dienstag Vormittag die Stunden 8-10 für mich zu Hause sein wollest, denn nur die genannten Stunden kann ich in Zeitz verweilen, da ich mir einen Wagen gemiethet habe, um mit Sack und Pack fortzukommen; derselbige Wagen will dann den Dienstag wieder nach Altenburg zurück, so darf ich mich nicht länger in Zeitz verweilen. Ist es doch etwas – und für mich viel, um Dich zu sehen und zu sprechen! – Alles Weitere also mündlich von Deinem Lud. Nietzsche

Nr. 15. an Schenk, 9. Mai 1841

Naumburg, den 9ten Mai 1841

Nun, mein lieber Schenk! hast Du mich denn ganz vergessen, daß Du gar nichts von Dir hören lässest? Willst Du die Herzensbitte gar nicht erfüllen, welche Dir Deine Emma ausgerichtet haben wird, daß Du recht bald an mich schreiben möchtest? Oder hast Du auf einen Brief von mir gewartet – aber Du weißt ja, daß ich jetzt zum Briefschreiben weder recht Lust noch rechte Zeit habe, übrigens auch mein Leben ganz stille dahingeht, sodaß ich nichts Neues zu schreiben habe! Darum schreib Du mir lieber, recht bald und recht viel Neues, was meinen Freundeswünschen nach nur Gutes sein kann! Vergiß mir ja auch nicht darauf zu antworten, was ich Dich auch schon durch Deine Emma fragen ließ, ob Boysen75

75 

Vielleicht meint Nietzsche Johann Friedrich Alexander Boysen (1813-1850), ev. Pfarrer, einer seiner Mitschüler an der Klosterschule in Rossleben, wo Nietzsche von 1828-1833 seine Gymnasialzeit verbracht hat. Boysen war von 1843-1850 Pfarrer in Liederstädt. 

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Dir Schuberts Reise geschickt hat; Boysen hat an mich neuerdings geschrieben, und gar nichts von diesen Büchern erwähnt, was ich nicht begreife! – Alles Übrige, was meine neuliche Altenburg-Reise betrifft, wird Dir zu erzählen doch Deine Emma nicht auch vergessen haben, namentlich, daß ich bis zum Examen ungestört in Naumburg bleibe, weil es mir bei den Meinen76 hier außerordentlich wohl geht und wohlgefällt! Also auch nach Zeitz komme ich bis zum Examen nicht wieder; desto öfter und desto länger schreib an Deinen Dich unverändert treu liebenden Freund Ludwig Nietzsche. pr. Adr. HE. Oberlandgerichtsbuchhalter Dächsel. NB: Wenn Du nach Altenburg schreibst, so empfiehl mich Deinen Lieben auf das Herzlichste!

Nr. 16. an Nietzsche, 25. Mai 1841

Zeitz den 25. Mai 1841 Mein lieber Freund, Alle Befürchtungen, die mein bisheriges Schweigen in Dir hervorgerufen hat, sind unbegründet. Deine beiden so überaus freundlichen Briefe vom 9. und 22. Mai sind nicht verloren gegangen, sondern richtig in meine Hände gekommen. Die Erinnerung an Dich ist nimmer aus meinem Gedächtniß geschwunden; die Liebe zu Dir ist nie in meinem Herzen erloschen: meine Person ist nimmer von Zeitz und dem anvertrauten Amte gewichen; mein Leib ist nie auf dem Krankenlager gefesselt gewesen, so daß ich nicht hätte schreiben können. Aber warum hast Du da nicht früher auf so dringende Bitte geantwortet? so höre ich Dich fragen. Darauf ließe sich ein Langes und Breites sagen. Genügen wird Dir gewiß schon, daß ich anfangs gar nicht wußte, wo Du warst, da mir mein Emmchen von Deinen Bestellungen auch nicht ein Wörtchen gesagt hatte und nun das, daß Du nach Deiner Reise nach Altenburg – übrigens ein großer Schwabenstreich77 – nach Eilenburg gereist seist; dann aber habe ich in den beiden letzten Wochen wieder sehr am Kopf

76  Nietzsche

wohnte bei Carl August Dächsel (1790-1858), Sekretär am Naumburger Kreisgericht, später Buchhalter am Oberlandesgericht, und seiner zweiten Frau Friederike (1793-1873) DächselNietzsche. Friederike, auch Tante Rieckchen genannt, war Nietzsches Halbschwester, das jüngste Kind Friedrich August Ludwig Nietzsches aus der Ehe mit seiner ersten Frau Johanne Friederike Richter (Anm. 24).  77  Eine törichte und ungeschickte Handlung.

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gelitten. Weißt Du noch wie mir da zu Muthe ist, bedenkst Du dazu, daß ich jede Woche 2 Predigten, 1 Bericht – und auch einige Taufreden hatte, so wirst Du leicht einsehen, daß mir mit der Zeit die rechte Disposition zum Briefschreiben fehlen mußte. Auch jetzt leide ich, habe dazu künftigen Freitag und den 1sten Feiertag zu predigen; indeß die Aufforderung Deiner Freundschaft ist zu dringend. So nimm denn mit den unter solchen Umständen geschriebenen Zeilen fürlieb. Zuerst aber muß ich Dich wegen Deiner kurzen Briefe recht ernstlich tadeln. Wie, Du hast nicht Lust, nicht Zeit? Nun wer soll sie dann haben? Was nimmt sie Dir denn? Etwa Deine geringen Examenvorstudien? Wahrlich sie lassen Dir gut und gern täglich 4 Stunden dazu und wie sie die Lust nehmen können, begreife ich gar nicht. Du hast nichts Neues zu schreiben? Was, verlange ich denn Stadtanecdoten. Hast Du denn nicht genug in Dir, was Du mir als das mich am Meisten Intressirende mittheilen kannst? Hast Du nichts erfahren, was den Menschen, den Christen, den Theologen angeregt hat? Nein, Deine Entschuldigungen halten nicht Stich und Deine Freundschaft, an der ich doch nicht zweifeln kann und mag, sollte Dich doch antreiben, mir weniger aphoristisch zu schreiben. Doch genug nun davon und auch dieß nur als φίλος εν αγάπη. Da ich glaube, dass Dir Dein Schubert besonders am Herzen liegt, so schicke ich Dir einen Brief Deines Boysen. Du siehst, welch Malheur der arme Teufel hat! Verlangen zur persönlichen Bekanntschaft habe ich aber dadurch nicht bekommen. Nun der Band und die 6 Bogen werden sich schon einmal wiederfinden. Vorläufig würde ich doch allen Umgang mit einem solchen Freunde abbrechen. Er taugt nicht für Dich. Du wünschest über meine, über unsre Verhältnisse etwas zu erfahren. Da giebt es nicht viel Gutes. Unser liebes Mutterchen ist sehr leidend und erregt besonders meiner Emma aber auch mir ernstliche Besorgnisse. Johannes ist seit 8 Tagen krank, Scharrhlachfieber, aber Gott sei Dank auf dem Wege zur völligen Genesung. Minna ist vor 378 Wochen über Halle nach Berlin abgegangen und glücklich dort angekommen. Meine Braut endlich wird in 14 Tagen, so es die Gesundheit der Mutter erlaubt, der wiederholten und dringenden Einladung Eberstins in Halle zu einem Besuche Folge leisten. Da ich vorher nicht Zeit zu einer Partie nach Altbg habe, so wird wohl eine längere Zeit vergehen, ehe ich die Geliebte wiedersehen kann. Nun da hast Du Neues. Hier in meinen Verhältnissen aber ist leider Alles beim Alten. Der Senior79 thut nichts und bürdet mir seine Arbeit auf, denkt aber weder daran ganz zu resigniren, noch einen besondren Ersatz mir anzubieten. Die Aussichten auf unsre Verbindung in diesem Jahre schwinden daher immer mehr. Bis Johannis80 werde ich die Sache noch so hingehen lassen, dann aber entschiedene Schritte thun. Auch der Sup und College

78  Die Zahl 3 liest sich wie eine 9. Doch ist die 3 wahrscheinlicher.  79  Schenks Senior war Pfarrer Johann Paul Christian Philipp (Anm. 65). Es war kirchenrechtlich vorgeschriebene Pflicht, dass ein Pfarrer, der ein neues Pfarramt übernahm, seinem Amtsvorgänger ein angemessenes „Ablösegeld“ zu bezahlen hatte, als Beitrag zur finanziellen Absicherung des abtretenden Pfarrers.  80  Der Johannistag ist der 24. Juni.

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Schmidt finden das Verfahren des Alten unbillig. Hätte ich mehr Zeit und Geld, so ginge ich auf 2 Monate nach Ilmenau um gegen mein Kopf- und Gehörleiden eine Kaltwassercur zu gebrauchen. Ich hätte Dich, fehlte Letztres nicht, zum Substituten des Substituten geworben, natürlich erst nach Beendigung Deines Examens. Mein Leben hier verstreicht sehr einförmig und einsam. Krause ist seit 8 Tagen fort und ich habe an ihm und seiner Frau viel verloren. Diacon Kühn81, den ich die Woche einmal sehe, geht mit seiner Familie in 8 Tagen auf mehrere Monate weg. Mein Verhätniß zum Collegen S. ist fortwährend sehr freundlich, aber mehr äußerlich. Das rechte geistige und wissenschaftliche Leben geht ihm ab und er bewegt sich mehr in dem weltlich geselligen Treiben. So stehe ich denn nun ganz einsam, und auch für meinen inwendigen Menschen und damit auch für mein Amt, währe es gewiß sehr heilsam, wenn ich bald meine Emma zu mir nehmen könnte. Vielleicht suche ich die nähere Bekanntschaft der Kiesslingschen Familie, die mir sehr gut gefallen hat, auch die Töchter. Ich war zu einem Souper da. Mein Verhältniß zum Sup und seiner Familie ist das alte, d. h. gar keins. Was hast Du zu der Schandsäule gesagt, die der Pastor Ehrenhaus82 in Trossin sich gesetzt hat? Unbegreiflich. Hauptmann erndtet von seinem verfehlten Schriftchen wohl auch nur bittre Früchte. Dass Pornitz83 wahrscheinlich nach Priestäblich und Zimmermann84 an seine Stelle kommen wird, weißt Du wohl. […]85 aus Schweinitz, des Bürgermeister Schwiegersohn kommt nach Delitzsch, obwohl man unter dessen Fenster gesungen: „Wir wollen sie nicht haben, die Kirchenscheucher all pp“. Jetzt habe ich durch eine von mir veranlaßte Lesegesellschaft doch wieder tüchtigere Nahrung für den Geist, Ullmann86, Tholuck87, Hengstenberg 88 pp. Es wäre aber drob beinahe ein großes Schisma unter den Geistlichen entstanden. Unruhe hats gegeben. Im Stillen treibe ich zur Errichtung einer Bibelgesellschaft an, da ich mich nicht an die Spitze stellen mag, um allen Verdacht der Anmaßung abzuwenden.

81  Adolf

Kühn (1806-1875), ev. Pfarrer, 1833-1849 Diacon an der St. Nicolai Kirche Zeitz, 18491874 Pfarrer in Taucha.  82  Eduard Gotthelf Ehrenhauss (1801-1847), ev. Pfarrer, 1826-1847 in Trossin.  83  Otto Wilhelm Pornitz (1810-1887), ev. Pfarrer, 1838-1841 in Lindenhayn, 1841-1855 in Pristäblich, später in Herrmannsgrün b. Greiz.  84  Ernst Gustav Zimmermann (1806-1874), ev. Pfarrer, 1842-1861 in Lindenhayn, später in Radewell.  85  Im Jahr 1841 traten drei ev. Pfarrer ihren Dienst in Delitzsch an: Carl Gottfried Walker (1798-1874), Karl Friedrich Förster (1799-1875) und Wilhelm Eduard Baltzer (1814-1887). Keiner der drei stammte jedoch aus Schweinitz.  86 Karl Christian Ullmann (1796-1865), ev. Theologe, Professor in Heidelberg und Halle. Führender Vertreter der Vermittlungstheologie. Die Vertreter der Vermittlungstheologie, von Friedrich Schleiermacher (1768-1834), evangelischer Theologe, Altphilologe, Philosoph, Publizist, Staatstheoretiker, Kirchenpolitiker und Pädagoge, theologisch genial initiiert, waren bestrebt, schlichten biblischen Glauben mit wissenschaftlichem Geist, orthodoxe und liberale Theologie miteinander zu verbinden.  87 Friedrich August Gottreu Tholuck (1799-1877), ev. Theologe, Professor in Berlin und Halle. Tholuck gilt als bedeutendster Dogmatiker der Erweckungsbewegung.  88  Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802-1869), seit 1826 Theologieprofessor in Berlin. Anhänger der Erweckungsbewegung. Seine hauptsächliche Bedeutung liegt in seiner Wirkung als Herausgeber der Ev. Kirchen-Zeitung (1827 bis zu seinem Tod). Hengstenbergs Kampf galt dem Rationalismus in allen seinen Erscheinungsformen und Vertretern. 

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Warum hast Du Deinen Entschluß, mich vor Deinem Examen noch einmal auf längere Zeit zu besuchen, geändert? Wie würde ich mich freuen, wenn Du doch noch kämst! Übrigs Gottes reichsten Segen zu Deinen Arbeiten und bei der Prüfung, die ja nun nahe sein muß. Dein E.J. Schenk.

Nr. 17. an Schenk, 16. Juni 1841

Magdeburg, den 16ten Juni 1841

Nur in wenigen Zeilen, mein lieber theurer Schenk! die erfreuliche Nachricht, daß ich mein Examen glücklichst überstanden habe und wie es scheint doch die Censur „gut“ davon getragen!89 Nun Gott sei Dank, dass dieser Berg überstanden ist – wie drängt es mich, Dir davon Weiteres mitzutheilen, aber heute will ich Dich nur bitten, mir so bald als möglich auf meinen letzten Brief von Naumburg zu antworten, und zwar nach Eilenburg, wohin ich soeben mit Dampf abreise. Nach einigen Tagen, die ich dort zubringe, gehe ich wieder nach Altenburg und werde da nicht verfehlen, Dich baldigst in Zeitz aufzusuchen, wäre es auch wieder nur für eine Durchreise nach Naumburg, wohin Anfang Julius meine Mutter und Schwester kommen werden. Das Examen-Evangelium theile unter den herzlichsten Empfehlungen Deinen Lieben in Altenburg mit – ich würde selbst an die verehrte Frau Generalsuperintendent schreiben, wenn ich nicht selbst wieder bald nach Altenburg käme. – Übrigens bin ich gesund und munter und sehe als wahlfähiger Candidat die Welt mit ganz anderen Augen an – Dich aber mit dem alten treuen Liebesblick und Freundesherzen! Gott befohlen! Dein L. Nietzsche.

89 

In seinen Prüfungsunterlagen rechnete sich Nietzsche der „evangelisch-lutherischen Kirche“ zu und notierte auch, dass er „der Union beider evangelischer Kirchen“ beigetreten sei. Keine Erwähnung findet freilich seine Sympathie für die Sache der Erweckten, eine Tatsache, die vermutlich seiner Mutter geschuldet war, die als Gattin eines dem theologischen Rationalismus verpflichteten Theologen streng das Erbe ihres Gatten hütete. 

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Nr. 18. an Schenk, 28. Juli 1841

Merseburg, den 28ten Juli 1841

Ja, mein lieber Schenk, von Merseburg aus schreibe ich diese Zeilen und zwar als Durchreisender, daher kurz nur Folgendes: 1). Deinen lieben Brief erhielt ich gestern in der Stunde meiner Abreise noch in Naumburg – herzlichen tiefgefühlten Dank dafür – für diesen Freundschaftsbeweiß! 2). Ich bin immer auf dem Sprunge zu Dir gewesen, daher habe ich nicht geschrieben; nun aber komme ich bald zu Dir, nämlich direkt von dieser Reise! 3). Ich reise nämlich wieder nach Berlin, um auf des sehr gütigen HE Regierungsrath Caro Rath für Kandsberg, das vergeben ist, um Röcken bei Lützen nachzusuchen – ein Geheimniß! 4). Wenn ich auch lange geschwiegen und lange von Dir entfernt war, so bin ich Dir doch im Geiste mit meiner ganzen Liebe und Freundschaft nahe gewesen, und nichts vermochte mich zu scheiden von der Liebe zu Dir! – An diesen Vier laß Dir für jetzt genügen – wie freue ich mich – spätestens in acht Tagen, wahrscheinlich früher noch – das neue Bett einzuweihen und Dir persönlich Wort und Herz zu weihen! Dein L. Nietzsche!

Nr. 19. an Nietzsche, 23. September 1841

Merseburg, den 23. Sept. 1841

Aus Merseburg? rufst Du, lieber Freund. Ja aus Merseburg und daher zunächst meinen herzlichsten Glückwunsch Dir dem Pastor in Roecken. So eben habe ich von Caro die Freudenbotschaft erhalten und beeile mich sie Dir unter vielen Grüßen von Caro mitzutheilen, da das Ernennungsschreiben des Ministeriums gestern früh noch nicht in Altenburg angekommen war. Gott segne Dich in Deinem Amte und wirke durch Dich herrlich im erwünschten Kreise. Bald hoffentlich mündlich mehr. – Ich bin hier auf der Durchreise nach der Heimath und Berlin, von wo ich Minna abhole. Nächsten Freitag - Sonntag über 14 Tage hoffe ich wieder in Altenburg zu sein. Ich schreibe auf Langers Stube, wo mit mir Dein Vetter Otto ist und Dir Grüsse sendet. Auch meine äußeren Verhältniße gewinnen eine freundlichere Gestalt.

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36 Ich will gleich fort nach Halle. Also nur diese wenigen Worte für heut. Gott gebe uns bald ein frohes Wiedersehen.

Dein treuer Freund E.J. Schenk Gratulor, gratulor, lieber Vetter und nun mehr Amtsbruder! So eben erfahre ich durch HE Pastor Schenk aus Zeitz, daß Du ganz in unsre Nähe nach Röcken kommst und kann Dir nicht sagen, wie sehr ich mich freue. Lottchen, meine Frau, ist auch mit hier in Merseburg, noch habe ich ihr aber diese frohe Nachricht nicht mittheilen können. Oskar ist noch bei mir und wird im Laufe dieses oder des nächsten Jahres hoffentlich auch angestellt werden. Grüße die Deinigen vielmals Dein treuer Vetter Otto Auf baldigen Besuch rechne ich.

Nr. 20. an Schenk, 26. September 1841

Naumburg, den 26ten Septb 41

Gestern Abend 9 Uhr, mein theurer, vielgeliebter Schenk, ist von Berlin meine Designation als PASTOR von ROECKEN glücklich angekommen!! – – – Diese Gedankenstriche mögen andeuten, was ich bei dieser Mittheilung Alles fühle, schreiben kann ich jetzt nicht! Die Designation ist schon den 15ten in Altenbg gewesen, von dem verdrehten und vergeßlichen Postamt aber nicht an Deine Frau Schwiegermutter, sondern nach Hummelshain geschickt worden und weil ich gerade auf Reisen war, hat mich der inhaltsreiche Brief vergebens in Plauen und Nirmsdorf gesucht und erst in Naumburg getroffen! Morgen reise ich nach Eilenbg zu meiner Mutter, dahin schreibe mir bald, lieber Schenk – ausführlicher will ich Dir dann antworten, für heute nur noch die herzlichsten Empfehlungen an Deine Frau Schwiegermutter und liebe Braut mit der DesignationsMittheilung! Im Geiste umarmt Dich Dein glücklicher Nietzsche.

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Nr. 21. an Schenk, 16. November 1841

Eilenburg, den 16ten November 1841

„Endlich“ wirst Du rufen, mein lieber Schenk, beim Anblick dieses Briefes – wirst dieses vielleicht mit Freuden rufen, ich aber sage es mit Schmerzen, denn mit diesem endlichen Briefe will ich ja erklären, daß ich jetzt nicht wieder zu Dir komme und anstatt der ersehnten mündlichen Unterredung nur diese briefliche Mittheilung folgen soll – es geht aber nicht anders, die Zeit ist zu kurz, und des Geldes ist zu wenig, und mein Aufenthalt hier zu nöthig als daß ich noch einmal verreisen könnte, umso weniger, als ich die Aussicht, Dich zu sehen und zu sprechen, doch noch für dieses Jahr hege, da ich Dich am Tage meiner Einführung sicher in Röcken erwarte; dennoch ist mir der Entschluß sehr schwer geworden, Dich nicht noch einmal zu besuchen, und habe darum und nur darum mit diesem Absagebrief so lange gezögert! Nun will ich aber auch desto länger schreiben und mit meiner Erzählung anfangen, von dem Augenblick an, als Du mich auf die Post zur Abfahrt nach Plauen begleitetest! Habe ich doch eigentlich seit jenem Augenblick so gut wie gar nichts von mir hören lassen und habe ich Dir doch namentlich von meinem Aufenthalt in Plauen gar nichts mitgetheilt; jedoch ist auch mein Besuch des lieben Voigtlands ohne bedeutende Ereignisse geblieben ich habe ein liebliches Stillleben im Kreise meiner Lieben geführt, habe viel vorgelesen, namentlich aber belletristisches, bin viel in den Bergen und Thälern umhergewandelt, habe das Grab meines guten seligen Onkels Krause besucht bin viel im Verkehr mit rationalistischen Geistlichen gewesen, habe eine Fußparthie ins Rökner Land zu meinem prächtigen Vetter […] gemacht und ihn zu meiner großen Freude predigen hören, bin auch bei allen meinen frühern Bekannten und Freunden noch einmal gewesen und habe da manchen Gewinn für Geist und Herz gehabt, wenn auch nicht gerade Herzensbedürfnissestillende Bekanntschaften gemacht. So vergingen 4 Wochen und endlich wurde mir die Zeit des Wartens auf die Berliner Nachricht doch zu lange und ich sehnte mich trotz des Plauischen Wohllebens nach der Abreise! Unerwartet fand sich dazu eine Gelegenheit. Meine Tante, die verwitwete Pastor Krause kam in einem großen 4sitzigen Wagen mit ihren Kindern von Jena nach Plauen und der Wagen ging leer nach Jena zurück; da machte ich schnell den Plan, bis Jena mitzufahren und von da zu meinem Bruder nach Nirmsdorf  90 (4 Stunden

90  Friedrich

August Engelbert Nietzsche (1785-1858), ev. Pfarrer und Magister in Nirmsdorf. War ein Halbbruder Carl Ludwigs, aus seines Vaters erster Ehe (Anm. 24) mit Johanne Friederike Richter. Er hatte sich 1815 mit Wilhelmine Friederike Henriette Liebeskind (1796-1846) verheiratet. Dieser Ehe entstammten 5 Kinder, 4 Söhne und 1 Tochter. Friedrich August Engelbert war auch ein Pate Friedrich Nietzsches. 

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von Jena) zu wandern. Gedacht, gethan – ich reiste Mittwoch den 22ten September ab, zu meinem Schwager sagend „sollte ein Brief von Berlin kommen, so schicke mir ihn nur nach Nirmsdorf!“ In der 4ten Nachmittagsstunde des genannten Tages, während ich gerade durch das liebe Hummelshain fuhr (ich hielt micht nicht lange auf), waren auch alle hohen und niedern Herrschaften spazieren gegangen und gefahren und ich wandelte einsam und allein mit unaussprechlichen Gefühlen durch den Park, vergleichend das Jetzt mit dem vorigen Jahr also in dieser Stunde, wo ich in Hummelshain schwärmte und über die Ungewißheit meiner Zukunft fast traurig war, kommt der entscheidende Brief Berlin in Plauen an; er war zuerst nach Altenburg gegangen und da von dem vergeßlichen Postamt nach Hummelshain geschickt worden, von wo ihn Gersdorf unverzüglich nach Plauen geschickt hatte. Ich aber, da ich Gersdorfen in Hummelshain nicht getroffen, schreibe in Kahla an ihn, während die Pferde gefüttert wurden, und klage ihm die Noth des vergeblichen Wartens. – Gersdorf erhält denselben Abend meinen Brief und ist nun in großer Unruhe, wo das Berliner Schreiben hingekommen sein muß, das nach seiner Rechnung längst in Plauen sein mußte. Doch die Verwirrung wird noch größer – als ich nach Jena komme, fängt es an zu regnen, ich will einen Einspänner nehmen, der ist zu theuer, da entschließe ich mich schnell, mit der eben abgehenden Post nach Naumburg zu fahren, komme also nicht nach Nirmsdorf! Mein Schwager aber schickt den Berliner Brief bestellter Maßen nach Nirmsdorf, und zwar weil die Post eben abgeht, ohne irgend ein Wort dazu zu schreiben. So kommt meine Designation in Nirmsdorf an; und mein Bruder fällt geradezu aus den Wolken, daß diese Designation dahin kommt, wo ich nicht bin und wohin ich auch erst gar nicht kommen wollte. Zum Glück schrieb mein Schwager die Freudenbotschaft gleich auch nach Naumburg und dieser Brief war es, der mein Glück mir zuerst verkündete, gerade als ich meine Predigt memorirte, zu deren Halten in der Moritzkirche ich mich schnell entschlossen hatte. Um meinen Bruder aus der Verlegenheit zu reißen, ritt nun mein Neffe (der […]) sogleich nach Nirmsdorf und brachte mir Sonnabend Abend 9 Uhr den 25ten September durch und durch naß vom furchtbaren Gewitterregen diese bedeutungsvolle Designation!! Den Sonntag predigte ich noch – mit hocherhob Dankesgefühl – schrieb einige Briefe (auch an Dich) und den Montag reiste ich nach Eilenburg bis Leipzig zu Wagen, von Leipzig zu Fuße getragen auf den Flügeln der Sehnsucht und Freude in 3 ¼ Stunden nach Eilenbrg – an das Mutterherz, in die Schwesterarme! Das Evangelium war hier schon von Plauen aus den Freitag vorher angekommen und da kannst es ahnen, mit welcher Ungeduld die Meinen den Pastor designatus erwartet haben. Auch Dein lieber Brief von Merseburg war von Plauen aus schon hier angekommen und ich habe mich unendlich über Deine Freundesaufmerksamkeit und Herzenstheilnahme gefreut – verzeih, daß dieser Dank so spät kommt, der nun ein doppelter wird, da Du mir einen zweiten, so herrlichen Brief gesendet hast!! – Doch davon nachher! – Mit meiner Designation reiste ich nun am Michaelis-Tage91 nach Merseburg wie mir das von Kadenberg

91 

Der 29. September. 

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unterzeichnete Minesterialrescript vorschrieb, auch da bewieß sich Karo wieder höchst freundlich gegen mich und nahm mich sogar mit in seinem Wagen nach Leipzig, wohin ich an demselben Tage gern zurückkehren wollte. Nach Hasenritters Rath wenigstens äußerlich mit sehr freundlicher Miene gegeben, hielt ich nun pro Forma bei der Regierung um Röcken an, worauf ich dann die eigentliche Designation am 15ten October von der Regierung erhielt. Ich selbst war an diesem Tage in Altenburg, um Abschied zu nehmen! Du kannst wohl glauben, daß mir das Herz sehr bewegt war von dem Orte meines Glückes für immer scheiden zu müssen; die höchsten Herrschaften groß und klein versüssten mir den Abschied durch unendliche Liebe und Freundlichkeit, den Gehalt bis Weihnachten und die reichen Silbergaben, von welchen Dir Deine Emma geschrieben haben wird, ungerechnet! Wo mir demnächst der Abschied am schwersten wurde, weißt Du, es ist das Haus Deiner Liebe92, wo ja auch ich so unendlich viel Liebe und Wohlthaten für Geist und Leib gefunden habe! Wie gern hätte ich in diesem Kreise Dich noch einmal gesehen am 20ten erinnerungsreichen October glaubte ich Dich gewiß dort und ließ Dich in dem Geburtstagsbrief durch Deine Frau Schwiegermutter grüßen, allein Du erwähnst in dem Brief an mich nichts davon. Meinen Geburtstag93, dessen Du so freundlich gedenkest, habe ich wie Du vermuthest hier im Kreise der Meinen gefeiert, deren Zahl noch durch meinen Bruder aus Nirmsdorf und seinen ältesten Sohn94 vermehrt war – es war ein schöner Tag, beseligend durch den Blick in die Vergangenheit, wie durch den Blick in die Zukunft, beseligend auch durch den Blick in die Gegenwart, namentlich auf die Geburtstagsgaben, die von nah und fern für den neuen Hausstand eingekauft wurden. Den Tag danach reiste ich mit meinem Bruder nach Röcken, wo wir uns Alles besahen und Alles gar herrlich fanden – vorige Woche bin ich abermals (zu Fuße) dagewesen und ich kann Gott nicht genug danken, daß Er mich, wenn ich nun einmal aufs Land sollte, gerade dahin geführt hat! Näheres wirst Du darüber als Augen- und Ohrenzeuge vernehmen; in Bezug auf Deinen Brief bemerke ich nur, daß ich den Pastor Wetzel95 nur von der besten Seite habe kennen lernen, und er hat mir nicht weniger als der Superintendent Wilke96 gefallen, der mir allerdings für die Länge lieber sein wird, als Wetzel! Ich hoffe jedoch ganz in Frieden mit Wetzel auseinander zu kommen und unsre gegenseitige Berechnung, nach welcher ich ihm über 300 Thl herausgeben muß, ist ganz glücklich von Statten gegangen; ihm habe ich es wahrscheinlich auch zu verdanken, daß die Gemeinde ganz aus freiem Antrieb mir die Probe als unter diesen Umständen unnöthig erlassen hat, was mir zur großen Freude und Ehre gereicht, freilich auch große Unruhe bereitet hat. Ich erhielt nämlich vom Superintendenten die Citation zur Probe auf den

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Das Haus der Familie Hesekiel.  93  Der 10. Oktober.  94  Hermann Friedrich Theodor Nietzsche (1816-1901), Kaufmann in Plauen.  95  Friedrich Wilhelm Franz Wetzel (1794-1863), ev. Pfarrer, 1823-1841 Pfarrer in Röcken, 1841-1863 Oberpfarrer in Wahrenbrück.  96  Carl Friedrich Wilhelm Wilke (1803-1886), ev. Pfarrer, 1841-1852 Oberpfarrer und Superintendent in Lützen, später in Bitterfeld. 

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7ten November, wenige Tage nachher schreibt mir Wetzel „die Gemeinde würde mir wohl die Probe erlassen, er würde mir deshalb noch schreiben“; wenige Tage nachher schreibt wieder der Superintendent: „weil den 7ten Draeseke in Lützen sei, möchte ich den 14ten Nov. zur Probe kommen, von einem Nichtsein der Probe erwähnt er kein Wort; nun schreibe ich an ihn und Wetzel, was eigentlich gelte Probe sein oder nicht sein!“ – Darauf erhalte ich keine Antwort und der Tag der Probe (der 14te November) war nur 7 Tage noch entfernt, ohne daß ich bei dieser Ungewissheit ein Wort an meiner Predigt und Katechese gearbeitet hatte – endlich den 7ten November (an dem Tag, wo ich zum ersten Mal in meinem eigen wohlgerathenen tuchnen Priesterrock – aber zum letzten Mal in meinem Eilenberg predigte –) schreibt Wetzel offiziell „die Probe sei mir erlassen! Demgemäß soll mein Einzug nun schneller erfolgen, ich habe deshalb selbst an Hasenritter und Draeseke schreiben müssen, damit ich bis zum 1ten Dec ordinirt und confirmirt sei, bis jetzt habe ich aber noch keine Antwort und weiß also auch nicht wann ich einziehe – sobald ich es bestimmt weiß, schreibe ich Dir sogleich wieder. – Noch Einzelnes: Auf dem Rückweg von Dresden traf ich in Dahlen mit unsrem Hauptmann […] zusammen; er sprach sehr ruhig über G.v.C. Angriffe! Auch Stern habe ich hier gesprochen. Er scheint seit dem Feuer pflichttreuer geworden zu sein und hat mir sehr wohlgefallen. Seine Schwester Pauline hat den Schuldirector Ettner in Torgau geheirathet. Sein zukünftiger Schwager Zimmermann wird auch noch vor Weihnachten heirathen, der Superintendent Ehrhardt97 betreibt seinen Einzug nach Lindenhayn mit Dampf, und wir werden wohl zusammen ordinirt werden. Quod Deus bene vertat! Und hiermit sei nun der langen Epistel Ende, wie viel ich auch geschrieben, ach, ausgeschrieben habe ich mich noch lange nicht, viel weniger ausgesprochen – aber dennoch bitte ich vergelte Gleiches mit Gleichem und bald, recht bald!! Meine Mutter und Schwester haben mir an Dich die herzlichsten Empfehlungen aufgetragen und wünschen Dir das beste Wohlergehen, auch dankend für Deine grosse Theilnahme! Vale, faveque mihi! Ludwi Nietzsche

(Wie geht es Deinem Senior und Krausens?) Was ich in den 6 Wochen meines Hierseins angefangen habe, ist hauptsächlich Briefschreiben gewesen, es ist dies der 40te! Außerdem habe ich manchen Besuch in der Nachbarschaft gemacht, 2mal war ich bei den Prediger Conferenzen […], wo es mir jedes Mal sehr wohl gefallen hat; auch in Thallwitz war ich öfters, wo jetzt auch die oft erwähnte Mathilde weilet, da sie ihre Condition wegen der Krankheit

97  Johann

lenburg. 

Ludwig Ehrhardt (1774-1850), ev. Pfarrer, 1826-1850 Pfarrer und Superintendent in Ei-

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ihres 2ten Bruders, der aber jetzt auf dem Wege der Genesung ist – verlassen mußte; sie ist es, die wegen ihrer Vortrefflichkeit die Meinigen mir täglich als Ehefrau empfehlen – ich selbst schätze sie sehr hoch, sie mich auch, finde sie auch für meine Verhältnisse sehr passend, aber äußerlich ist sie sehr verblüht, so daß ich das rechte Wohlgefallen an ihr in dieser Beziehung durchaus nicht wieder erlangen kann – und ohne dieses innerliche Wohlgefallen darf ich doch keine Verbindung eingehen ?? Demzu Folge bleibt es jetzt dabei, daß ich ohne Braut in Röcken einziehe, meine gute Mutter und Schwestern begleiten mich, und sind jetzt sehr beschäftigt, Alles zum Einzug wohl vorzubereiten – ein großes Glück für mich, mögen die Lieben auch durch mich ihr wahres Glück in Röcken finden! Ach, ich erkenne es gar sehr, wie die Auszeichnung, also angestellt zu werden, gar groß ist; auch äußerlich ist die Röckener Pfarre in großem Rufe und der Unwille und das Raisoniren über die königliche Ausnahme ist ungeheuer; mir tönt dabei ins Herz und Ohr „wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern!“ und zitternd und zagend, ob ich das vermögen werde, ergreift mich oft solche Bangigkeit, daß ich lieber gar nicht ins Amt möchte! Wie sähe ich Dich viel lieber in solchem Amt und Würden und fühle es dabei drückend, wie viel Würdigeren ich dadurch vorgezogen worden bin! Hoffentlich wird dieses Gefühl mit dem Amte selbst schwinden, sonst halte ich es kaum aus – ich werde sehen, ob mich meine Antrittspredigt über Jeremias 1, 4-8 darüber beruhigt! – Viel habe ich über diesen Gegenstand mit meinem treuen Herzensfreund Götz in Dresden gesprochen; nur ihm zur Liebe habe ich (12-14ter October) eine Dampfparthie nach Dresden gemacht und selige Stunden dort verlebt. Auch einem Candidaten Verein unter Heymanns Leitung wohnte ich bei, da mein Götz eine Rede hielt – da war ich unter den 24 Candidaten der Jüngste – Einer von Ihnen war der 40 nahe!! So viel von mir! Auf Deinen mir sehr lieben letzten Brief entgegne ich, mit Bedauern gelesen zu haben, daß Du mit Deiner Gesundheit nicht zufrieden bist, hoffe aber zuversichtlich, daß alle unangenehmen Spuren Deiner Reise nun verschwunden und Dir nur angenehme Erinnerungen geblieben sind – Deine Lieben in Stolzenhain98 wirst Du gewiß fröhlicher im nächsten Jahr als glücklicher Ehemann an Deiner Emma Seite wiedersehen; verliere nur den Muth nicht – es bleibt beim 1sten Mai!! Grüße mit solcher guten Zuversicht Deine liebe Braut und alle ihre Lieben herzlich von mir, und bitte sie, Dir immer recht viel von Altenburg zu schreiben, damit ich durch Dich in fortwährender Bekanntschaft mit allen Ereignissen Altenburgs bleibe, denn außer durch Dich erfahre ich leider sonst nichts! An diese Bitte reihen sich mehrere Andere: Sei so gut und schicke mir so bald als möglich alle Jahrgänge von Fiedlers Pastoralzeitung, Wetzel sagte mir, daß er alles Kirchenrechtliche darin geschrieben habe, oft mit besondrer Beziehung auf Röcken. Willst Du zu diesem Packet auch Augustins Bekenntnisse beilegen, und wenn es Dich jetzt gerade nicht drückt die bewußten 10 […] in Cassen Anweisung? Hast Du vielleicht

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Schenks Eltern (Anm. 43). 

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auch ein übriges Exemplar von Deines Bruders trefflicher Vaterunser Erndtepredigt, so schenke es mir; Dein Bruder wollte mir eines geben, wenn ich zu ihm käme; bis jetzt habe ich es aber noch nicht möglich machen können! – Beiliegend findest Du auch meinen mit flüchtiger Feder geschriebenen Lebenslauf – willst Du so gut sein und alles Fehlerhafte besonders zu starke Germanismen daraus entfernen und mir gleich wieder mitschicken? Und endlich, Du bist über diese vielen Bitten doch nicht böse? Beiliegend erhältst Du mit dem herzlichsten Dank Harms99 und Burk zurück, doch bloß den Harms habe ich gelesen, Burk ist zu reich, als daß man ihn hintereinander fortlesen kann, und so bei an, wollte es sich nicht machen! Hast Du gelesen, daß der herrliche Harms sein 25 jähriges Kieler Jubiläum feiert und zu einem Stipendium Harmsianum überall gesammelt wird? –

Nr. 22. an Nietzsche, 25. November 1841

Zeitz, den 25. November 1841

Du hast mir durch Dein freundliches Schreiben und die ausführlichen Nachrichten desselben eine große Freude gemacht, aber freilich wäre sie noch gewesen, wenn Du statt ihrer selbst erschienen wärest, was ich nach Deinen früheren Versprechungen und der später mir durch meine Braut eröffneten Aussichten mit voller Gewißheit erwartet hatte. Es thut mir sehr leid, dass Deine vielfach in Anspruch genommene Zeit Dir nicht erlaubt, vor Deinem Eintritte in das geistliche Amt noch einige Tage bei mir zu ver: Gewiß sie hätten uns angenehm und auch nicht ohne Gewinn verstreichen sollen. Da es indeß einmal nicht sein konnte, so danke ich Dir wenigstens für Deine speciellen Mittheilungen, die mich wieder in Deinem Leben heimisch gemacht haben. Gott sei Dank, daß nur Erfreuliches sie berichten und ich bitte ihn, daß auch ferner nur Gleiches Du mir zu schreiben habest. Meines innigen Antheils bist Du gewiß, da Du mich ja nicht seit Gestern kennst. Möge die so nahe bevorstehende Weihe zum geistlichen Amte Dein Herz und Leben vollends dem HErrn und seinem Dienste weihen und Dich heiligen! Ich bin fest überzeugt, daß Du die Wärme und Begeisterung mit der Du Dein Amt antrittst, auch in demselben bewahren und sehr segensreich wirken wirst.

99 

Claus Harms (1778-1855), ev. Pfarrer, seit 1816 Archidiakon in Kiel. Veröffentlichte anlässlich des Reformationsjubiläums 1817 95 Thesen und griff darin den theologischen Rationalismus scharf an. Zugleich warnte er vor der beabsichtigten ev. Union. Damit wurde Harms zu einem Begründer des Neuluthertums resp. des lutherischen Konfessionalismus. Welches Buch von Harms Nietzsche gelesen hat, ist nicht auszumachen. 

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Die Gemeinde wird Dir mit Liebe und vollem Vertrauen entgegenkommen, Du wirst Dir dasselbe sichern und noch vermehren. Wetzel ist knicklich und streitsüchtig gewesen, hat sehr genau auf das Seine gesehen, Du wirst lieber Irdisches einbüßen um für den Himmel gewinnen zu können und das wird bald genug von Deinen Parochianen bemerkt werden. Innig werde ich mich Deines seelsorglichen Verhältnißes und Deines gesammten Wirkens freuen, wenn es mir einmal vergönnt sein wird, Augenzeuge davon zu sein. Du erwartest noch vor dem Feste in Dein Amt eingeführt zu werden und sprichst die Hoffnung aus mich dabei zu sehen. Bei der Fülle von Arbeiten aber, die jetzt mit Bergeslast auf mir liegen, möchte es mir schwerlich möglich sein. Doch bitte ich Dich, jedesfalls den Tag mir zu melden, damit ich im Geiste wenigstens die bedeutungsvollen Stunden mit Dir verleben, mein Gebet für Dich dem Deinigen und dem der Deinen verbinden kann. Du wirst vielleicht schon seit einigen Tagen die erbetne baldige Antwort erwartet haben, allein aber die vielen Arbeiten haben es mir bis heut unmöglich gemacht an das curricul zu gehen. Ich erhielt Deinen Brief am Sonnabend, hatte am Sonntag die Todtenfestpredigt und dann andre Arbeiten wovon unten mehr. Bin ich doch seit 2 Monaten nicht in Altenbg gewesen und habe keine Hoffnung vor dem Feste, ja nicht einmal an demselben die Freundin meines Herzens zu sehen, welche in jedem Briefe über die unerhört lange Trennung klagt und um einen Besuch bittet. Auch heut ist meine Zeit sehr beschränkt, also daß ich Dir nicht in gleicher Weise antworten kann, so gern ich möchte. Du siehst, ich habe gleich nur ein kleines Blatt genommen, gewahrst aber auch, wie gut ich es zu benutzen suche, mich selbst absichtlich täuschend. Am Ende steht auf meinem Blättchen fast so viel, als auf Deinem ganzen großen Bogen. Dein curriculum erhälst Du anbei zurück. Den Anfang habe ich mir erlaubt umzuschreiben, in der Hoffnung, daß Du nicht unzufrieden damit sein wirst. An Deine Gedanken und Ausdrucksweise habe ich mich möglichst und sogar mit Selbstverleugnung angeschlossen. Nur entschieden Ungehöriges, wie den Primus omnium, ließ ich weg. Die Partie über Rationalismus und Supernaturalismus100 würde ich übergangen und meine dürftige Wenigk nicht erwähnt haben. Einige Grammaticalien, wie imbutus mit Accus, aedes für Tempel im Plural wirst Du bemerkt finden. Möchtest Du Deine Wünsche erfüllt und Dein Vertrauen zu mir gerechtfertigt finden! Die Vornamen von Vater und Mutter sind nothwendig, die Erwähnung der einzelnen Professoren, bei denen Du gehört hast, kann mit Recht erwartet werden. Auch die Großkugler erste Predigt würde ich, als nicht bedeutend genug, nicht angeführt haben. Als Inhalt des curriculi findest Du die 10 Thaler, die herzlich dankend ich Dir wieder erstatte. Entschuldige, daß es einer Erinnerung von Deiner Seite bedurft hat. Allein es liegen dieselben seit Monaten bereit und ich habe sie Dir nicht geschickt, weil ich das Porto sparen wollte und Du es ja selbst abholen oder mir Anweisung zur Bezahlung Stauffers geben wolltest.

100  Im

Supranaturalismus gewann der Glaube an eine unmittelbare, übernatürliche Offenbarung innerhalb des theologischen Rationalismus wieder seinen Platz. Doch hinderte ihn dies nicht, die Bibel ganz nach Art des Rationalismus, seiner vernünftigen Einsicht nach, auszulegen. 

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Wohl Dir, daß Du ohne äußre Sorgen Dein Amt antreten kannst! Erkenne es recht, wie glücklich Du vor 1000 auch in dieser Beziehung bist. Da beeifern sich nicht nur Mutter und Schwestern, sondern alle Verwandten den Antritt leicht Dir zu machen und freundlich Dein Leben zu gestalten. Ich wünsche mit Dir, daß es auch ferner so sein möge, wünsche besonders, daß das von Mutter und Schwestern so gut begonnen von einer liebenswürdigen Hausfrau ebenso gut nur noch beglückender für Dich fortgesetzt werde. Suche aber nicht zu eifrig, übereile Dich nicht und folge des Herzens Stimme. Ob die erwähnte Thalw. Mathilde noch so vortrefflich sei, laß Dich ja nicht von den Deinen überreden. Sie sind hier zu befangen, für die äußren Verhältnisse wohl die besten für die Befriedigung der Herzens und Geistes-Bedürfnisse aber die gewiß ungeeigneten Rathgeber. Du brauchst eine junge Frau und dazu eine Frau von angenehmen Aeußren und mehr als gewöhnlicher geistiger und formeller Bildung. Noch einmal bitte ich Dich, diese ganze Angelegenheit so zart und geheimnißvoll als möglich zu behandeln, und wenn Du eine Neigung fühlst nicht eher ein Wort darüber zu sprechen, als bis Du innerlich entschieden bist. Der Duft der anfangs so zarten Neigung wird sonst abgestreift und das Ganze profanirt. Fast fürchte ich in dieser Beziehung für Dich und möchte Dir zu Seite stehen als Freund, als liebender, geliebter und in dieser Liebe glücklicher Bräutigam mit Dir ausschauen. Wüßte ich ein einziges Mädchen, das nach meiner vollen Ueberzeugung Dein Leben zu einem schönen Ganzen ergänzen könnte, ich würde unbedenklich Dich auf sie aufmerksam machen. Laß die erste Fastenzeit101 über noch die Kirche mit den nach Heil verlangenden Seelen Deine Braut und Gattin sein, der Frühling und Sommer werden Deinem Herzen bringen, was ihm noch zum vollen Glücke fehlt. Ja ich hoffe vor Dir, als einem glücklichen Bräutigam, mit meiner Emma verbunden102 zu werden. Vorläufig habe ich den 3. Pfingstfeiertag dazu festgesetzt, weil der 1. Mai zu nahe von Himmelfahrt und Pfingsten ist. Es ist besser, wenn in dieser lang ersehnten Zeit auch schöne Muße für die jungen Gatten und die neue Einrichtung da ist. Ich danke Gott, daß ich nun die Zeit unsrer Verbindung gewiß bestimmen kann. Mit dem neuen Jahre legt mein Senior sein Amt ganz nieder, weil er es wirklich nicht mehr verwalten kann. Es handelt sich nun noch um den Gnadengehalt. Die Regierung scheint mir günstig und will ihm wenig geben, so habe ich mich seiner angenommen und in sm Namen in kräftiger und dringender Weise die Regierung und das Ministerium um Zulage aus den hiesigen Fonds für die kurze Zeit seines Lebens gebeten. Die Entscheidung ist noch nicht da. Ausführlicher die ganze Sache Dir zu schreiben fehlt Muße. Meine Emma weiß von dem Allen nichts und soll es erst als Christgeschenk erfahren. Die Arbeit aber wird mir bis Ostern über das Haupt gehn. Wöchentlich allein 16 Confirmandenstunden! Nach langer Bemühung ist’s mir gelungen hier eine

101 

Als Fastenzeit wird in der römisch-katholischen Kirche der vierzigtägige Zeitraum des Fastens und Betens zur Vorbereitung auf Ostern bezeichnet. In den reformatorischen Kirchen ist hierfür der Begriff „Passionszeit“ gebräuchlich.  102  Schenk heiratete Emma Hesekiel am 17. Mai 1842. 

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Bibelgesellschaft zu gründen wofür ich schon in Berlin Schritte gethan hatte. So ist der Anfang gemacht, und habe ich auch Alles dchsetzen und noch Manches zu wünschen, Gott wird weiter helfen. Ich bin zum Secretair gewählt, in dessen Hand fast Alles liegt, der Sup zum Director. Bald soll auch eine Kleinkinder-Bewahranstalt ins Leben treten und auch bei dem sehr im Argen liegenden Armenwesen hoffe ich mehr und mehr wirken zu können. Ich halte gerade das für mein Feld […] Briefschluss fehlt

Nr. 23. an Schenk, 8. Dezember 1841

Eilenburg, den 8ten December 1841

So empfange denn, mein lieber Schenk, die letzten Zeilen aus meinem lieben Eilenburg, denn obwohl ich noch 4 Wochen hier sein werde, so dürfte ich doch nicht wieder an Dich schreiben, da ich Dich nach meiner Trennung von hier sogleich zu sehen hoffe. Ich will Dich nämlich in diesen Zeilen herzlichst und dringendst bitten, meiner Einführung in Röcken beizuwohnen, was ich um so zuversichtlicher bitte, da dieselbe erst nach der Weihnachtsarbeit sein wird103. Du wirst Dich wundern, daß sich mein Einzug so verzögert hat, allein die Citation zur Ordination und zur Confirmation ist so spät erfolgt, so daß – o, denke an mich!! – jene erst Mittwoch den 15ten d., diese Freitag d 17ten d. sein wird. Beinahe wäre mir diese Reise wenigstens nach Magdeburg erspart worden: unser lieber Draeseke hatte sich für den 4ten bis 8ten December in Eilenburg angekündigt und da sollte auf Erhardts Vorstellung Draeseke am großen Synodentage Zimmermann (Erhardts Schwiegersohn) und mich hier ordiniren; allein da ist Draesekes Frau (wohl zu seinem Glück) gestorben und er kommt nun nicht nach Eilenburg, ich und Zimmermann müssen also nach Magdeburg! Auf diese Weise kommt aber die Confirmation so nahe an den 4ten Advent heran, daß an diesem Tage meine Einführung nicht sein kann; nach genommener Rücksprache mit dem mir immer lieber werdenden Superintendenten Wilke fanden wir nun als den ersten passenden Tag meines Einzugs in der Gemeinde den 6ten Januar (hohes Neujahr) und als den Tag meiner Einführung und Antrittspredigt den 9ten Januar, I. Sonntag p Epiph.. So ist es nun festgesetzt worden und zu diesem 9ten Januar lade ich Dich denn feierlichst ein, denn Du sollst nach gern gegebener Zustimmung Wilkes,

103  Am

8. Januar 1842 zieht Carl Ludwig Nietzsche in Röcken ein und hält am 9. Januar seine Antrittspredigt. 

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mit assistiren und bei meiner Introduction diaconiren! Nicht wahr, da kommst Du – auch die Meinen bitten Dich, aber auf mehre Tage, denn Du würdest schon mit dem schnell eingerichteten Logisstübchen vorliebnehmen? Ach, wenn jener Tag nur erst gekommen wäre, denn bis dahin ist es noch eine lange Zeit unruhiger Vorbereitung, dennoch kann ich nicht wünschen, eher anzutreten, weil die Festarbeit für den Anfänger zu groß gewesen wäre. Auch Dir ist davon ein großes Theil beschieden – Gott segne Dich dazu mit Kraft und Stärke, aber Du wirst als nun wirkliche Archidiaconus mit desto größerer Freudigkeit arbeiten! O, wie habe ich mich über diese endliche Wendung Deines Geschickes gefreut – wie mitgefreuet in die Seele Deiner lieben Braut ! Aber, ich glaubte, Du hättest Deine Braut doch noch lieber – denn sonst müßtest Du sie gleich nach der Ostern Arbeit und nicht erst nach Pfingsten heimführen! Im Ernst – ich glaube, Du bist dieß Deiner Emma schuldig, statt den dritten Pfingstfeiertag, den 3ten Osterfeiertag zu bestimmen, denn da tritt ja für uns Geistliche eine freie Zeit wieder ein, und Ihr bleibt nicht unnöthig noch 8 Wochen von einander getrennt, da es so schon überlang gedauert hat! Ich hoffe, daß Du meiner Vorstellung Gehör giebst, und melde mich hier mit als Weiheprediger spätestens für den 31ten März an, als dem Tag des Einzugs der Verbündeten in Paris104, nein in Zeitz! Indem ich so Deinen lieben, engen, inhaltsreichen Brief beantworte, bringe ich Dir dafür meinen herzlichsten Dank, so wie für die verbesserte Ausgabe meines Lebenslaufs, sowie für den 10 Thl so wie für Augustins Bekenntnisse – in welchen Dingen allen ich Deine große Liebe und Aufmerksamkeit zu rühmen weiß!! Alles Andere wollen wir mündlich im Röckner Pfarrhause besprechen – für heute bitte ich Dich nun noch 1). vor meinem Weggang von Eilenburg mir noch einmal hierher zu schreiben 2). Das liebe Hesekielsche Haus auf das Allerherzlichste zu grüßen und 3). wenn Du nach Altenburg kommst, mir einen (Sachsischen) Altenburger Kalender (von wegen der Lebensbeschreibungen) zu besorgen uind dabei Staufern zu sagen, sein nachgesendetes Paquet hätte ich, obwohl ich noch nicht in Röcken wäre, richtig erhalten zufällig auf der Post in Lützen! Nun Gott befohlen – ja Gott befohlen in der Weihnachtszeit und beim Jahreswechsel – und zum frohen Wiedersehen Deines treuliebenden Nietzsche Die Meinen empfehlen sich Dir freundlichst.

104  Die

Schlacht bei Paris fand am 30. März 1814 östlich der Stadt statt. Sie war die letzte Schlacht des Winterfeldzuges 1814. Im Ergebnis führte sie am 31. März 1814 zur Besetzung von Paris durch die Koalitionsarmee und zur Abdankung Napoleons. 

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Nr. 24. an Nietzsche, 28. Januar 1842

Zeitz, den 28. Januar 1842 Mein lieber Freund, Wer wäre im Stande so dringenden Bitten und Beschwörungen, wie sie Deine gestern empfangenen Zeilen enthalten, zu widerstehen! Und lägen noch größere Arbeitslasten auf meinen Schultern, ja läge ich selbst auf dem Kranken- und Sterbebett, ich müßte Dir flugs antworten, vermöchte ich anders noch die Feder zu führen. Wirklich Du bist sehr freundlich, daß Du durch so herzliche Worte den Briefschuldner an seine Pflicht erinnerst, und hast mich durch dieselben auf das freudigste überrascht. Doch zu meiner Vertheidigung muß ich es aussprechen es hätte der Mahnung nicht bedurft. Oft, täglich habe ich Dein gedacht, habe ich gewünscht, Dir schreiben, noch mehr Dich besuchen und sprechen zu können; gerade gestern aber in derselben Stunde, in demselben Augenblick, wo mir Dein Brief eingehändigt wurde, dachte ich lebhaft Dein und freute mich der Muße, die mir der heutige Tag versprach, um sie zur Unterhaltung mit Dir zu benutzen. Auch ohne Deine Aufforderung hättest Du noch in dieser Woche Brief und Antwort von mir erhalten, Du hättest sie heut schon, wären gestern nicht wieder 2 Amtshandlungen dazwischen gekommen, und bloß in 5 Zeilen Dir zu schreiben, daß ich noch lebe und liebe, genügte mir nicht, hätte wohl auch Dir nicht genügt, so reichen Inhalt diese Worte fassen. Ja, ich lebe und liebe noch so frisch und treu und warm wie sonst. Warum ich Dir das nicht schon vor Wochen geschrieben, warum Dich kein freundliches Wort von mir im neuen Wohnort begrüßt, warum kein herzliches im neuen herrlichen Wirkungskreise Dich willkommen geheißen, meine innigsten Wünsche Dir ausgedrückt und von meinem, von unsrem Gebete namentlich am 1 post Epiphaniam105 Dir Kunde gebracht hat, das hast Du ein Recht zu fragen und ich habe die Pflicht Dir offen und wahr zu antworten. Da glaube es denn fest, daß dießmal wirklich seit Wochen die Zeit mir gefehlt hat, so, wie ich es wünschte Dir zu schreiben, ja daß mir die halbe Stunde gefehlt hat, wo ich geistig frisch und herzlich warm mit Dir hätte sprechen können. Es hat seit dem Feste eine Arbeit die andre gedrängt; von Predigt zu Predigt, von Casualrede zu Casualrede gings in ununterbrochner Folge und um das volle Maaß noch überfließend zu machen, kamen dazu

105 

Der 9. Januar 1842. 

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unaufschiebbare Arbeiten für die Encyclopädie, die ich früher versäumt hatte, und die nun durch drängende Excitatoria, einmal in 3 Tagen 2, eingefordert wurden. Da galts alle Kraft des Geistes und des Körpers zusammen nehmen, und wie die 4te Stunde früh mich schon wach fand und beschäftigt, selbst eine warme Stube mir zu bereiten, so hättest Du mich oft des Abends um 11 Uhr noch an meinem Pulte eifrig thätig treffen können. Alle Tage hielt ich‘s freilich so lange nicht aus, aber dann war ich der Ruhe froh und zum weitern Schreiben unfähig. So genüge Dir nachträglich die Versicherung, daß ich fortwährend mit herzlicher Liebe Dein gedacht, daß mit den innigsten Wünschen ich Dich bei dem wichtigen Wechsel Deiner Lebensverhältnisse begleitet habe. War mir’s schon schmerzlich, Deiner Einführung nicht beiwohnen zu können, so war’s mir noch schmerzlicher, dazu Dir nicht einmal ein warmes Wort aus treuem Freundesherzen senden zu können. Aber gerade damals hatte ich zu der Gevatterschaft am 6ten und 9ten Predigten und mehrere Amtshandlungen, die alle Zeit und Kraft in Anspruch nahmen. Jetzt ist doch etwas mehr Ruhe eingetreten, so daß ich mich besinnen und sammeln kann. Ich habe übermorgen nicht zu predigen und hätte gar zu gern die 2 freien Tage zu einem Ausfluge zu Dir benutzt, allein die Encyclopädie macht noch immer Anforderungen an meine Feder – den Kopf brauche ich nicht sehr dazu – außerdem darf ich nicht fort, weil ich jede Stunde den angekündigten Besuch eines meiner Brüder erwarte. So werde ich mein Verlangen, Dich in Deinem Hause und Amte glücklich zu sehen, wohl bis nach dem Osterfeste zurückdrängen müßen, hoffe es dann aber auch desto sicherer befriedigen zu können. So sehr ich der gegenwärtigen Arbeit mich freue, und so glücklich ich im vollen Amte mich fühle, so wird mir doch die Zeit nach Ostern auch sehr angenehm sein. Rückt ja doch damit auch der Tag der Verbindung mit meiner theuren Emma , in der mir Gott ein großes Glück bescheret hat, immer näher. Wie sehr ich mich aber nach der Vereinigung mit ihr sehne, wie diese Sehnsucht täglich wächst, das kann ich Dir gar nicht recht sagen. Wärs nur irgend thunlich, so würdest Du schon zum dritten Osterfeiertage als erwünschter Copulator citirt. Als ich meinem Bräutchen am ersten Christtag Abends – ich fuhr gleich nach der Kirche hier weg – als Christgeschenk die Nachricht von des Seniors Emeritirung brachte, war sie ganz überrascht und nur Thränen zeugten von ihrem Glück. Es waren köstliche Minuten und so arm unsre andren Geschenke waren, da es uns wirklich am Besten fehlt, so reich fühlten wir uns. Als ich später meiner Emma sagte, ich hätte daran gedacht, unsre Verbindung bis zum Herbst zu verschieben, um während des Sommers noch eine gründliche Kaltwasserkur in Ilmenau zu brauchen, ging sie sogleich darauf ein und redete mir eifrig zu, das zu thun, so sehr sie sich so eben unsrer nahen Verbindung gefreut hatte. Das gute Kind kennt keinen Egoismus und lebt nur in mir, der ihr doch so wenig bieten kann. Ich bin besonders Ihretwegen über mein Gehörleiden, das seit Michaelis sich sehr verschlimmert hat, oft recht betrübt. Sie aber macht sich keine Sorgen deswegen, sondern richtet mich durch freundlichen Zuspruch auf, und freut sich so mir desto mehr sein zu können. Nur zwei Tage konnte ich nach so langer Trennung drüben weilen, in denen wir die nothwendigsten Besuche machten, die sich weit angenehmer gestalteten, als wir zu hoffen gewagt hatten. Foß war glücklicher Weise mit der ganzen Familie verreist,

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ich hätte es nicht über mich gewinnen können, ihm mit Emma einen Besuch zu machen. Uebrigens ist er jetzt sehr freundlich und nimmt sich der Familie angelegentlich an. Das hat er besonders vor 14 Tagen bewiesen, wo die General-Superintendentin ganz unerwartet von Ludwig106 einen Brief aus Berlin erhält, in dem er ihr meldet, daß er die Theologie und Halle verlassen habe, seinem Freunde Fouqué nach Berlin gefolgt sei und hier Stunden gebe, literarische Arbeiten fertige u.s.w. Das hat die Mutter und mein Emmchen außerordentlich betrübt, um so mehr, da er während seines Besuches zu Weihnachten ihnen viel verständiger und liebenswürdiger erschienen war, so daß sie bei gänzlicher Unkenntniß der Hallischen Verhältnisse den besten Hoffnungen für die Zukunft sich hingegeben hatten. Ich habe meiner Braut seitdem noch nicht geschrieben, es soll nun aber auch heut noch geschehen, um sie zu beruhigen. Ich betrachte die Sache als ein Glück und freue mich beinahe des Entschlusses von Ludwig. Zur Theologie hatte er einmal keine Neigung und sein ganzer innrer Mensch taugte nicht dazu. Er hat aber gute Fähigkeiten und ein schönes poetisches Talent; wird seine Willenskraft stärker, sein Character fester, wozu dieser Schritt beitragen wird, da er nun mehr auf eigenen Füßen stehen und durch seine Arbeit das Nöthige zum Leben sich erwerben muß, so kann doch noch etwas Gutes aus ihm werden. Das was wir ein gutes Herz nennen besitzt er, und die Eindrücke des Vaterhauses werden nie ganz verwischt werden können. Ich wage wirklich gerade nach diesem Schritte wieder zu hoffen. Da ich einmal von unsren Familienangelegenheiten Dir spreche, so will ich Dir doch gleich mittheilen, daß der Herzog vor kurzem die General-Superintendentin und uns Alle mit der Nachricht überrascht hat, die Zeichnung zu dem Monumente auf des Vaters Grab107 sei bald fertig. Vor 8 Tagen hat er sie auch wirklich durch Gersdorf geschickt und Emma schreibt ganz befriedigt darüber. Er hat sich ein paar Lieblingssprüche des seligen Vaters ausgebeten, um sie darauf zu setzen. Die Mutter hat ihm die Wahl überlassen wollen, er hat indeß darauf gedrungen, und so haben sie die namentlich in der letzten Zeit von ihm oft gebrauchten genannt: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt!“ und, „Stille sein und Hoffen“ (das letzte Wort an mich.) Damit ist der Herzog dann vollkommen einverstanden gewesen, der sie auf seinen Befehl abholende Minister v. Braun aber hat sie zweideutig gefunden und gemeint, sie würden übel ausgelegt werden!!? Außerdem geht auch drüben Alles gut und es fehlt nicht an mannigfachen Beweisen der Theilnahme und Liebe von nah und fern. Friedchen108 gedeiht herrlich und mit mütterlichem Stolz hat die General-Superintendentin ihn und Hänschen in voriger Woche der Frau Herzogin präsentirt, die durch Gersdorf ihren Wunsch, dieselben kennen zu lernen, hat aussprechen lassen. Da wir fürchteten, die herzogliche Familie habe in dem Strudel andrer Ereignisse jenes Monuments und die Familie überhaupt ganz vergessen, so war nun unsre Freude und Ueberraschung umso größer, und ich namentlich, der

106  Johann

Georg Ludwig Hesekiel (1819-1874), Schriftsteller, Carl Ludwig Nietzsches Schwager. Einziges Kind aus Christoph Friedrich Hesekiels erster Ehe mit Emma Schwarz (1797-1820).  107 Das Grab von Christoph Friedrich Hesekiel (Anm. 5).  108  Carl Friedrich Hesekiel (1840-1858). Einziges Kind aus Hesekiels 3. Ehe mit Ludowike Schwarz (Anm. 26). 

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am meisten zweifelte und schon Pläne zu einem Denkmal fürs Frühjahr gemacht und gegen die General-Superintendentin ausgesprochen hatte, fühle mich sehr beschämt und habe mein Mißtrauen dem guten Herzog im Stillen recht von Herzen abgebeten. – Mutter und Tochter drüben sind übrigens jetzt ganz außerordentlich fleißig, da sie die ganze Ausstattung wo irgend möglich selbst anfertigen wollen. Unser wackrer Otto ist einige Zeit unwohl gewesen, jetzt aber wieder gesund. In ihm, dem Unscheinbaren, Stillen und Anspruchslosen besitzt die Mutter wirklich eine rechte Stütze. Er hat mir vor 4 Wochen schon die freundlichsten Grüße an Dich aufgetragen und will, wenn Du es erlaubst, in den Osterferien Dich vielleicht mit mir besuchen. Er bedauerte Dir die Zeitungen mit Rellstabs Weihnachtsschau nicht schicken zu können; damals hatte er sie selbst noch nicht und dann wurde schon im Voraus von andern Mitgliedern des Zirkels Beschlag darauf gelegt. Dafür erhälst Du aber den gewünschten Altenburger Kalender, in dem Du indeß die Biographieen vergebens suchen wirst. Sachse. hat wieder so lange getrödelt und erst in der Weihnachtswoche war er erschienen. Bei Pierers bat ich vergebens um 1 Exemplar, er war schon vergriffen. Beifolgendes hat Emma noch aufgetrieben und mir vor 8 Tagen zum Geschenk für Dich geschickt. Mag er Dir dadurch nicht unlieber werden. Ich will hier nun gleich noch das Nöthige über das übrige Beifolgende sagen. Die Predigt vom Bruder kommt nun wohl zu spät, Du siehst indeß meinen guten Willen. Für das lange behaltene Gedicht an die ferne Geliebte, das recht artig ist, herzlichen Dank. Da ich Dir die Pastoralzeitung nicht senden kann, weil ich sie noch nicht zurückerhalten habe, so schicke ich Dir etwas über die Trauungen, was mein lieber Senior aufgesetzt und mir geschenkt hat. Ich hoffe, Du wirst es brauchen können. Ist es der Fall, so schreibe es ab, denn dieß handschriftliche Denkmal meines alten väterlichen Freundes muß ich behalten. Mein Verhältniß zu ihm hat sich immer herzlicher gestaltet und wir leben ganz wie Vater und Sohn miteinander. Er klagt, daß ich ihn verlassen will. Habe ich ihn einmal des Abends nicht besucht, wärs auch nur auf ¼ Stunde, so fragt er gleich, wo ich denn so lange gewesen sei und macht mir freundschaftliche Vorwürfe. Die Entscheidung über das Quantum seines Gnadengehalts ist vom Ministerium, an das ich für ihn eine Eingabe gemacht habe, noch nicht zurück; so ist denn unsre gegenseitige pecuniäre Stellung für die Zukunft noch nicht geordnet und ich habe noch immer keine officielle Ernennung zum Nachfolger, wenn ich auch aus mehrfachen Privatmittheilungen an mich und an Andre weiß, daß ich es werden soll. Lieber wärs mir, wenn die Regierung bei dieser Gelegenheit eine passende Landpredigerstelle mir gäbe, weil ich fühle und weiß, dass mein Gehörleiden, zumal wenn es noch schlimmer wird, mich für die Wirksamkeit in einem so großen Kreise, wie der hiesige ist, untauglich macht. Hätte ich ein Amt wie das Deine, so würde ich bald mich einleben und dürfte hoffen noch lange mit einigem Segen wirken zu können. Nun Gott wird mir geben, was nicht nur mir, sondern mehr noch Andren gut ist. Daß ich in wissenschaftlicher Beziehung namentlich viel verliere, wenn ich aufs Land komme, verhehle ich mir nicht, und ich würde die Entbehrung so mancher hier mir gebotenen Geistesnahrung schmerzlich vermissen, doch könnte das nichts in meinem Entschluss ändern. So lieb mir mein Amt mit

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seinen practischen Arbeiten ist, so gern eile ich doch in jeder Stunde, die mir zur Erholung bleibt zu wissenschaftlicher Theologie. Ich kann mir nicht […], daß ich an ihr mehr Behagen und mehr Befriedigung finde. Immer mehr befreunde ich mich mit der speculativen, philosophischen Auffassung und Begründung unsrer Religion, und so manche alte Form, der das Wesen, der belebende Geist fehlt, ist schon zerbrochen worden. Es ist hier nicht Raum und Zeit genug, um sich darüber ausführlich auszusprechen. Ich hoffe indeß mit Gott immer tiefer in den Kern einzudringen und gräme mich nicht, wenn so Manches als Schale fällt, was ich früher schon für Kern hielt. Fest aber zu werden thut in unsrer Zeit besonders Noth. Die Angriffe werden immer stärker und namentlich die deutschen Lehrbücher fechten mit den schärfsten Waffen nicht nur gegen falsche oder doch einseitige Auffassung des Christenthums, sondern gegen das Christenthum selbst, das ihnen als unwahr, als jetzt schon überwunden gilt. Könnte ich Dir hier so manche ihrer Behauptungen mittheilen, Du würdest erschrecken, da Du sicher nicht glaubst, daß es so weit schon gekommen sei. Ich gehe lebhaft damit um, gegen diese ganze Richtung, die in ihrer Consequenz Alles umstößt, unser ganzes jetziges Lebensverhältniß, Ehe u.s.w., mit scharfer Feder zu schreiben, auch ist im Kopfe Manches zurechtgelegt und verarbeitet, aber woher die Zeit nehmen zur Ausführung und rechten Gestaltung? Rheinwald in Berlin drängt auch um Manches, was ich versprochen habe. Kaum daß ich ihm vor dem Feste habe einen Nekrolog des seligen Vaters schicken können, und auch den nur in Umrissen und nicht abgerundet. Die That ist schwer und ich namentlich bleibe zu lange bei den Vorarbeiten stehen und verliere darüber die beste Zeit. So geht mir es auch mit meinen Predigten, mit denen ich mich zwar lange herumtrage, aber erst wenns auf den Nägeln brennt, am letzten Tage komme ich zum Niederschreiben und Memoriren. Gewandheit und Sicherheit finden sich indeß immer mehr und 2 Predigten und einige Reden während 8 Tagen erscheinen mir nicht mehr als eine menschliche Kraft übersteigende Aufgabe. Mit Gottes Hülfe solls immer besser werden. So viel ich höre, besitze ich das Vertrauen und die Achtung der Gemeinde und hoffe sie mir auch zu erhalten. Meine Bibelgesellschaft hat langsamen aber guten Fortgang und die gefürchteten Hindernisse schwinden immer mehr. Daran soll sich hoffentlich noch manches Gute knüpfen. – Aber wahrlich ich habe Dir zu viel über meine Verhältnisse, habe Dir überhaupt schon zu viel geschrieben, so daß mir kaum noch 1 Stunde zum Brief an die Braut bleibt, die mit Sehnsucht längst ihn erwartet. Darum nur noch über mich die ausdrückliche Versicherung, daß ich mich nach Verhältniß sehr wohl befinde, während Krankheit und Tod entsetzlich um mich her in der Stadt hausen. Wir haben über 600 Kranke, darunter mehr als 400 die an den natürlichen Blattern daniederliegen. Gegen sie schützt nichts, Geimpfte und Ungeimpfte, ja sogar solche, die sie früher schon gehabt haben, bekommen sie in gleicher Weise und sie sind zum Theil sehr bösartig und Viele, namentlich in kräftigem Lebensalter sind daran gestorben. – Nun ergeht aber auch an Dich die herzliche und dringende Bitte, bald ausführlich über Einzug, Antrittspredigt, Amtsleben, Verhältnisse u.s.w. zu schreiben. Gott sei Dank, daß es Dir gut geht, ich wünsche aber es ins Detail ausgeführt und belegt. Für die Mittheilungen über Confirmation und Ordination

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herzlichen Dank. Mit großer Theilnahme habe ich sie gelesen und spräche gar zu gern mit Dir darüber. Hast auch Du gehört, daß Dräseke geistig und körperlich hinfällig und zu jeder Geistesarbeit untauglich sein soll109. Das Gerücht sagte es und vorgestern wurde es im Gasthof durch Magdeburger Kaufleute bestätigt. Gott im Himmel, so soll dieß glänzende Gestirn untergehn! Er soll aufs Neue um seine Entlassung gebeten haben, die ihm hoffentlich gewährt wird. Den verehrten Deinigen meine freundlichsten Grüße. Der Herr walte schützend und segnend über Dir und Deinem ganzen Hause. Sende bald gute Kunde Deinem unverändert in treuer Liebe Dir ergebenen E. J. Schenk

Der mit Dir ordinirte Eschenhagen110 ist ein lieber Universitäts-Freund von mir. Hättest Du doch meinen Namen gegen ihn erwähnt. War er jetzt wohl? Er kränkelte sonst und litt namentlich an der Brust. Hat er Dir zugesagt? Seit 1833 haben wir uns nicht gesehen, ich würde mich freuen Näheres von ihm zu hören.

Nr. 25. an Nietzsche, 30. April 1842

Zeitz am 30. April 1842 Mein theurer Freund, Du hast vielleicht schon mit Ungeduld seit einigen Wochen die versprochene Nachricht von mir erwartet, mit so großer aber gewiß nicht, als ich gewünscht habe, sie Dir geben zu können. Mit Freude aber rufe ich Dich nun zu unsrem Hochzeitsfeste, daß Du unsrer Herzen Bund durch den Segen der Kirche weihest. Es bleibt beim dritten Feiertage, so viel sich auch dagegen setzte. Emma wünschte sehr ihr Paulchen aus Berlin an ihrem Ehrentage bei sich zu haben, die aber ist in Berlin durch die gleichzeitge solenne Hochzeitsfeier einer Cousine in Berlin in Anspruch genommen. Da sollten wir denn unsre Verbindung um 8 Tage aufschieben, und es wurde hin und hergeschrieben. Fast waren wir dazu entschlossen, aber ich […] meiner Emma Schmerz, die gerade auf diesen Tag seit Monden sich gefreut hatte, ich dachte der mannigfachen Störungen die ein solcher Aufschub in meinen Verhältnissen und den einmal getroffenen Anordnungen machen würde,

109  Innerhalb

eines Jahres vom Dezember 1840 bis Dezember 1841 bat Dräseke dreimal um seine Entlassung. Doch erst das vierte Gesuch vom Oktober 1842 nahm der König an, so dass Dräseke am 31. März 1843 aus dem Amt scheiden konnte.  110  Carl Justus Hermann Eschenhagen (1811-1854), ev. Pfarrer, 1841-1854 Pfarrer in Steuden. 

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ich gedachte besonders Deiner, daß Du für das Trinitatisfest111 Deinem Bruder einen Besuch und eine Predigt versprochen hast und zugleich für die Bedürfnisse des Herzens sorgen willst, und schrieb kurz und rund der Großmutter am Dienstage, es müße bei dem längst festgesetzten 3.  Feiertage bleiben. Hat Paulchen meine Emma so lieb, so kann sie auch so kommen, zumal der Cousine Hochzeit den Pfingstheiligenabend ist, sie also den 1sten Feiertag per Dampf bis Leipzig und den 2ten bequem nach Altenburg kommen kann. Ist Dir nun die Disposition so recht und willst Du noch Deinem Versprechen gemäß als Diener des Herrn unsren Ehebund segnen? Es ist unser aller aufrichtiger Wunsch, daß Du die heilige Handlung verrichtest auch der Mutter auch Emmas ja ganz besonders. Sie hat wirklich geglaubt, ich sähe es nicht gern, wenn Du uns trautest. Nun das weißt Du besser und bei meinem Besuche in Altenburg vor 3 Wochen waren wir darüber alsobald einig. Ich hoffe, daß Du noch gern kommst und mit frohem Herzen das heilige Werk verrichtest. Gern hätte ich Dir die Nachricht selbst gebracht und mündlich noch einmal meinen Wunsch, unsre Bitte ausgesprochen, gar zu gern dabei Dich jetzt noch einmal glücklich in Haus und Amt gesehn. Es war auch fest beschlossen, ich wartete nur auf einen Brief meiner Schwester112 mit der Anzeige, wann sie in Leipzig eintreffen werde, dann wollte ich über Röcken dahin gehen, um sie abzuholen. Der Brief ist aber ausgeblieben und ich weiß gar nicht, was ich denken soll, da sie gegen den 2ten Mai von Hause abreisen und einige Tage vorher mir es bestimmt schreiben wollte. Gebe Gott, daß meines Vaters Befinden sich nicht verschlimmert hat, so daß sie ganz abgehalten würde. Auf keinen Fall aber bleibt nun Zeit zu einem Besuche bei Dir, da das Fest nun so nahe ist und ich muß ihn wohl so lange aufschieben, bis ich mit meiner Frau Dich und Deine Frau besuchen kann. Doch nun über die Zeit und die Art und Weise Deines Kommens zur Hochzeit. Die nächsten Freunde werden den 2ten Feiertags Abend zur Mutter kommen, auch ich muß also da zugegen sein, und wir rechnen auch auf 2 meiner Brüder113 und den Onkel Marcks. Dich wollen wir nun dabei durchaus nicht entbehren und bitten dringend, daß Du schon den 2ten Feiertag kommst; ja das mußt Du, Entschuldigungen werden nicht angenommen. Du darfst bei keinem Theile dieser Dich überall so nahe angehenden Hochzeitsfeier fehlen. Wie wäre es nun, wenn Du Dir gleich dort den Wagen Deines Pächters nähmest, früh hierher kämest, Mittag bei mir äßest und ich dann Nachmittag mit Dir herüberführe? Dann ließe

111  Trinitatis

ist der erste Sonntag nach Pfingsten.  112  Schenk hatte zwei Schwestern: Charlotte Amalie (1805-1848), die unverheiratet blieb und Auguste Wilhelmine (1814–†?). Auguste Wilhelmine verheiratete sich am 25.4 1844 mit Ernst Julius Koerner. Welche Schwester Schenk hier meint, ist nicht klar.  113  Schenk hatte 5 Brüder: den bereits genannten Heinrich Eduard (Anm. 20); Franz Immanuel (1809-1873), Apotheker in Frankfurt, später Mainz, unverehelicht; Ernst Ludwig (1812–†?), Batallionsarzt in Spremberg, später (Ober-)Stabsarzt in der Festung Graudenz, seit 1855 verheiratet mit Therese Mathilde Majewski, 2 Töchter; Gustav Adolph (1817-1888), Tischlermeister in Berlin, verheiratet seit 1859 mit Marie Charlotte Friederike Ida Dorothe Allardt; Moritz Leopold (1819-1879), Oekonomieinspektor in Glienig bei Dahme. 

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ich meinen Wagen erst den 3ten Feiertag nachkommen. Oder weißt Du einen bessren Vorschlag? Schreibe mir darüber auch ausführlicher in Deiner Antwort, die ich mit umgehender Post erwarte. Alles Andre wird sich schon arrangiren, sorge nur für einen Stellvertreter den 2ten Festtag. Ueber die Nachricht von der Verlobung der Prinzeß Marie mit dem Kronprinzen von Hannover hast Du Dich doch auch gefreut? Emma schreibt mir, daß beide ganz glücklich seien und ich bin überzeugt, daß Prinzeß Marie dadurch, daß sie einen blinden Fürsten zum Gemahl bekommt nur glücklicher wird. Nach dazu soll der Kronprinz männlich schön und sehr liebenswürdig sein. Dass Prof. Fritzsche114 aus Grimma Generalsuperintendent in Altenburg wird, weißt Du doch wohl auch längst? - Hast Du keine Nachricht über den […] Stolberg in Erwinhof durch Deine Verwandten erhalten können? Es liegt mir viel daran. Siehst Du den Pastor Osswald115 so grüße ihn herzlich von mir. Frage: wann und wo die Versammlung der evangelischen Freunde ist, was für äußre Einrichtungen dabei statt finden, was dabei verhandelt wird und werden soll, kurz ziehe genaue Nachrichten darüber ein. Rheinwald wünscht einen Bericht darüber für seine Kirchenzeitung. Sage das und frage, ob das den Mitglieder wünschenswerth sei oder ob sie lieber nicht öffentlich davon gesprochen haben wollen. – Durch Deinen Brief hast Du der Mutter eine sehr große Freude gemacht, sie wollte Dir bald antworten. Vielleicht aber hat sie die Menge der Arbeiten dieser Zeit nicht dazu kommen lassen. Die freundlichsten Grüße und vorläufigen Dank hat sie mir für den Fall aufgetragen, daß ich Dir früher schreibe. Morgen an meiner Emma Geburtstag116 werden wir zum 1sten Male aufgeboten. Wirst Du in christlicher Fürbitte theilnehmend unsrer denken? Ich aber werde diesen Tag doch noch mit der Geliebten verleben, wozu gar keine Hoffnung , woran wir gar nicht gedacht hatten. Eine herrliche Gelegenheit hat sich dargeboten und zu predigen habe ich nicht. Vielleicht erhälst Du diese Zeilen noch morgen früh, da denke liebend unser. Mein Herz ist seit Wochen voll Freudigkeit und meine Seele voll Gottvertrauen. Alle Sorgen und Bedenken sind in den Hintergrund getreten, wenn nicht ganz gewichen. Wie das gekommen, weiß ich selbst nicht; es ist wohl auch eine Gnadengabe göttlicher Liebe. Ja, der Herr wird weiter helfen, er wird unsren Bund segnen, den wir Beide im Aufblick zu ihm geschlossen haben und fest nun schließen wollen. Er wird es auch an dem nicht fehlen lassen, was zum irdischen Leben gehört und besonders mich so führen, daß ich für sein Reich noch länger wirken kann. Vorläufig hat er mir hier noch meine Station angewiesen, da die Regierung für jetzt von meiner Versetzung aufs Land nichts wissen will. Doch über alle diese Sachen besser mündlich. Grüße Deine Lieben freundlichst von mir und empfiehl uns auch ihrer theilnehmenden Fürbitte. Wir bedürfen ja derer von lieben frommen Menschen ganz besonders.

114  Friedrich Gotthilf Fritzsche (1799-1851), ev. Pfarrer, von 1830-1842 Lehrer an der Landesschule Grimma. 1842-1851 Herzoglich Sächsischer Konsistorialrat, Generalsuperintendent und Oberpfarrer in Altenburg. Gründete 1844 die Gustav-Adolph-Stiftung im Herzogtum Sachsen-Altenburg.  115  Gustav Adolf Oßwald (1801-1873), ev. Pfarrer, von 1836-1856 in Großgörschen, 1856-1873 in Kirchscheidungen.  116  Emmas Geburtstag ist der 1. Mai. 

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Gott segne Dich ferner in Deinem Amte, bald noch besonders in Deinem Hause, sein Geist erfülle Dich und ruhe auf Deine Lippen mit heiligem Feuer am Tage der Pfingsten! Seine Wirkung soll sich durch Dich dann auch an uns kräftig erweisen. Wie freue ich mich Dich zu sehen und zu hören überhaupt schon und nun bei solcher Veranlassung! Gott gebe auch Dir Freude ins Herz wie Deinem treuen und liebenden Freund Dein Schenk.

Nr. 26. an Schenk, 25. Juni 1842

Röcken, den 25ten Juni 1842 Mein theurer Schenk! Ob Du bei der jungen Frau den alten Freund vergessen hättest – mit dieser Frage wollte ich längst einmal bei Dir anklopfen, allein Du bist mir zurvorgekommen und hast es mir durch Dein sehr liebes Briefchen klar bewiesen, auch die Liebe der Freundschaft höret nimmer auf! Deß freue ich mich so, daß ich lieber gleich in persona zu Dir geeilt wäre, um so mehr, als Du dazu mich auch so freundlich aufforderst; allein dennoch kann ich jetzt nicht kommen, in der nächsten Woche gar nicht, wo ich außer meinen 600 Seelen auch noch die 1300 der Schkeitbarschen Parochie zu versorgen habe, und später habe ich die längst einzureichenden Kirchenrechnungen einzuliefern, und möchte überhaupt nicht gleich wieder verreisen, da ich in den letzten fünf Wochen mehre längere Ausflüge gemacht habe (obwohl keinen Sonntag versäumt) – viel besser ist es daher, Du kommst baldigst einmal mit Deinem Frauchen hierher, zur Noth könnt Ihr ja in einem Tag hin und her fahren, besser freilich, Ihr könntet länger bei uns weilen, vielleicht so, daß Ihr Sonnabend kämet und Du den Sonntag für mich predigest - in jedem Fall mußt Du mir aber Euer Kommen vorher schreiben!! – Daß es Dir in der Zeit, seitdem wir uns nicht sahen, recht wohl gegangen ist, freut mich herzlich; bei mir war es leider nicht so, meine arme Schwester117 ist immer noch bedenklich krank, wir brauchen nun drei Aerzte, von denen der letzte als Homoeopath Rettung verspricht – Gott gebe es! Ich für meine Person habe mich Gott sei Dank, ganz wohl befunden, bin zwar nicht zur Kirmeß in Nirmsdorf gewesen, aber später dafür in Weimar, aber leider von dieser Speculationsreise mit dem festen Entschluß zurückgekehrt, für jetzt caelebs118 zu bleiben; Du müßtest mich denn durch Anschauung von P. Krausens Schwägerin einmal zu

117 

Auguste Nietzsche (Anm. 10). 

118 

Lat.: unvermählt, Junggeselle. 

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anderer Ansicht bringen – versuch es! – Das wären nun aber Dinge, die sich besser besprechen, als beschreiben ließen, besonders heute, wo ich per Dampf schreiben möchte, denn die Predigt brennt noch auf die Nägel und doch soll der Bote diesen Brief noch mitnehmen, damit Du mich nicht vergebens den Montag erwartest; wenn Du diese Zeilen nur lesen kannst, die Hauptsache will ich daher lieber noch einmal mit grossen Lettern schreiben: Komm bald zu Deinem Nietzsche Die herzlichsten Grüße von mir und den Meinigen an Dich und Deine liebe Emma!

P.S. Hätte ich in aller Eile beinahe noch Etwas vergessen – Du erwartest die Abschrift der Traurede, da muß ich aufrichtig bekennen, daß ich sie noch nicht abgeschrieben habe, und zwar nicht aus Trägheit, sondern aus der Überzeugung, dass sie des Abschreibens nicht werth sei; sie mag in der Stunde der Trauung als ein Herzenserguß angesprochen haben, aber zum späteren ruhigen Lesen ist sie nicht geeignet; dennoch will ich sie abschreiben, da ich aus Deinem lieben Brief sehe, daß Du sie ernstlich wünschest. Auch nach Altenburg sende die herzlichsten Grüße von Deinem N. Am 14ten October treffe ich Dich in Merseburg unter den evangelischen Freunden, von denen ich Mitglied geworden bin vorgeschlagen durch Oswald und Harnisch119, den ich bei der Missionsfeier in Weißenfels näher kennen gelernt habe, wie auch den ausgezeichneten […] aus Berlin, der die Missions-Strafpredigt gar schön hielt! Ich richte Missionsstunden in Röcken ein!? –

Nr. 27. an Schenk, 19. Juli 1842

Röcken, den 19ten Juli 1842

Endlich, mein theurer Freund, bin ich dazu gekommen, die verlangte Traurede abzuschreiben und resp. sie Dir heute zu übersenden! Das Abschreiben ist mir in

119  Christian Wilhelm Harnisch (1787-1864), ev. Pfarrer, PD Dr. theol., 1822-1842 Seminardirektor in Weißenfels, 1842-1861 Pfarrer und Superintendent in Elbeu. 

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einer Hinsicht schwerer geworden, als ich dachte, denn ich wollte sie Dir gern ganz so schicken, wie ich sie gehalten habe, und doch fand ich nun nach 2 monatlicher Frist so Manches, was ich anders wünschte und verbessern, wenigstens verändern mochte, daß Du darüber bald gar keine Abschrift bekommen hättest – allein Du hast sie einmal verlangt, so schrieb ich sie so ab, wie sie war, und zu meiner eignen Beruhigung, daß diese Abschrift gegen meinen Willen erfolge, setzte ich noch hinzu „auf Verlangen abgeschrieben!“ Du wirst also diese Worte recht zu deuten und recht zu würdigen wissen! – In andrer Hinsicht war mir aber das Abschreiben ein sehr liebes Geschäft, denn es versetzte mich so ganz in Deine Nähe, so ganz nach Altenburg, so ganz in die vergangnen Zeiten, daß mir dadurch gar wohl zu Muthe ward, ja es versetzte mich auch so ganz in die Seligkeit des „Getraut werden“, daß ich es lieber heut als morgen haben möchte! Nun wer weiß, ich habe jetzt bei meiner nothwendigen Visiten-Wanderung durch alle Pfarrhäuser der Ephorie Lützen gar manches liebliches Pfarrtöchterchen geschaut, daß man wohl das Verlangen bekommen muß, dem Coelibat zu entsagen! Sind das aber nicht Dinge die zu denen gehören, von welchen Du in Deinem letzten Briefe sagst, daß sie sich nicht gut schreiben ließen, schon weil der Brief zu lang würde? Lange Briefe, das siehst Du hieraus will nicht schreiben, weil mir an der mündlichen Unterredung viel mehr liegt und weil ich auch jeden Tag Deines lieben Doppelbesuches entgegen harre – also komm, denn du mußt doch endlich einmal sehen, wie ich jetzt lebe und webe! Nur, wenn Du durchaus nicht kommen könntest, würde ich mich entschließen, Dich wieder einmal in Zeitz aufzusuchen, das geschähe dann aber freilich nicht gleich, vielleicht aber auch dafür doppelt! Für heute nur noch die Bemerkung, daß ich meiner Rede gern noch etwas Werth- und Gewichtvolleres beilegen wollte, daher Fouchons- und Langer Predigten mitfolgen, die ich mir aber gelegentlich zurückerbitte; sie haben mir beide (doch nicht unbedingt) in eben dem Grade gefallen, als eine Recension von Pleißners120 Predigt in Böhrs Predigerbibl 1841, Heft 6 mir mißfallen hat, da in Bezug auf die gewesenen Altenburger Streitigkeiten solch niederträchtige Bemerkungen sich darin finden, daß ich Lust hatte Röhren gerichtlich zu belangen – aber !! das Konsistorium in Altenburg sollte, wenn es nur Einen Mann von Ehre unter sich zählte, öffentlich sich solche Pasquille verbieten – aber da läßt man lieber die Todten ruhn! Ich habe seit dem 17ten Mai nichts wieder von Altenburg gehört, da Gersdorf auch ruht und schweigt wie ein Todter; ich habe ihm freilich auch nicht geschrieben, da sich in meinem Leben bis jetzt nichts Neues ereignet hat; auch mit dem Befinden meiner armen Schwester geht es den alten Gang fort, doch läßts die Homoepathie nicht schlimmer werden! Die Meinigen empfehlen sich Dir und Deiner lieben Frau und hoffen mit mir auf Euer baldiges Kommen zum Röckner Pfarrer LNietzsche.

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Georg Leberecht Pleißner (1785-1853), Dr. phil., ev. Pfarrer in Flemmingen. 

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Nr. 28. an Schenk, 10. Oktober 1842

Röcken, den 10ten October 1842

Es ist mir eine wahre Herzensfreude, theurer Freund, an meinem Geburtstagsmorgen von Dir freundlichst und brieflich begrüßt zu werden; war dieß doch so der späteste Termin, wo ich auf ein Briefchen von Dir hoffte, und ist doch auch darum meine Freude doppelt groß, und mein Dank dafür doppelt herzlich, daß ich heute nicht vergebens gehofft habe! Am liebsten wäre es mir freilich gewesen, Du wärest mit Deinem Emmchen selbst in personis gekommen, um so mehr, als ich jetzt noch nicht weiß, wann ich Dich einmal besuchen kann; Vorsatz war dieß gerade immer fort, und zugleich auch dieß Besuchen-Wollen Grund, warum ich nicht schrieb; besondere Gründe außer der unwandelbaren Freundessehnsucht hatte ich zum Schreiben nicht, denn was Du vielleicht Besondres erwartetest, das fand nicht statt, ist auch die Hoffnung dazu in Nichts zerronnen, sintemalen ich zu alt bin, als daß bloß ein hübsches Gesichtchen mich zu einer Lebenswahl bestimmen könnte, und weiter hätte ich eben nichts gefunden! Lassen wir daher einen Schleier über die Vergenheit fallen und hoffen das Beste von der Zukunft, betend zum Herrn: „Was ists, das ich mir wähle, o wähle Du für mich!“ – Wohl Dir, daß für Dich der HErr gar herrlich gewählt hat, denn davon zeugt auch wieder Dein heutiger Brief, daß Du gar glücklich durch Deine Emma geworden bist – um so viel lieber sähe ich Dich gar gern in Zeitz einmal, aber eben so gern Dich mit Deiner Emma auch einmal hier; ist es nicht möglich ehe der Winter kommt? Auch meine Mutter und Schwestern würden sich sehr freuen, Dein zweites Ich kennen zu lernen – jetzt ist nun auch meine Pfarre völlig reparirt und dadurch noch mehr eine Hütte Gottes unter den Menschen geworden, leider nur meine arme kranke Schwester ist immer noch nicht völlig wieder hergestellt, doch ist es durch die Homoeopathie viel viel besser geworden – wenns aber nur eine völlige Genesung würde! Sonst befinden sich alle meine Lieben wohl und meine Mutter, der Schutzengel meines Pfarrhauses, ist gerade an meinem Erndtedankfest (XV p. T.) nun, Eilenburg verlassend, ganz bei mir eingezogen; von ihr habe ich Dir noch viele Empfehlungen zu sagen, mit dem Bemerken, daß Du ihr durch Dein Hiersein sehr lieb geworden bist, Du hast ihr in Deinem ganzen Wesen sehr wohl gefallen, aber gescholten hat sie auf Dich, daß Du nicht gleich geschrieben hast, wie Du nach Hause gekommen bist – wir haben ob des greulichen Regenwetters und Deinen Zahnschmerzen viel Sorge um Dich gehabt. Von Deinen Zahnschmerzen erwähnst Du nichts, so werden sie hoffentlich ganz von Dir gewichen sein, was ich um so mehr wünsche, als ich sehe, daß du gar viel zu thun gehabt hast; bei mir hat es auch nicht gefehlt, doch war es nicht übermäßig, was auch darum gut war, als ich durch die Bauerei und viel Gegenbesuche keine rechte Ruhe zur Arbeit hatte; auch habe ich selbst mehre Ausflüge noch gemacht, namentlich auch am 16ten September nach Leipzig, wo mir die Vereinigungs-Verhandlungen der

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protestantischen Hülfsvereine (bestehend in Gottesdienst, parlamentarischer Besprechung in der Aula und splendides Gastmahl) außerordentlich interessant waren; ich habe manchen namhaften Mann dabei kennen lernen, namentlich Rheinwalden121 und Pelt122 aus Kiel, neben welchem ich bei Tisch saß. Ich wollte Du wärest dabei gewesen – mir ist dieser Tag für Geist und Herz sehr bedeutungsvoll erschienen und ich meine, man bedarf solcher anregender Tage; ich werde daher auch morgen nach Magdeburg reisen, um Mittwoch (den 12ten) der großen Prediger Konferenz in Gnadau123 beizuwohnen; Harnisch hat mich dringend dazu eingeladen, um so mehr, als wir Prediger der Lützner Ephorie alle auch nicht zum 5ten October in Merseburg sein konnten, weil unsre eigne Ephorat-Synode war; mir kommt es vor, als würden die evangelischen Freunde bald Feinde werden, da weder äußere Ordnung noch innere Einheit darin zu herrschen scheint. Zum Bibelfest, was heute über 14 Tage in Merseburg ist, werde ich auch hinreisen. Superintendent Hennike124 predigt, ist wahrscheinlich sein Schwanengesang als Superintend. da er doch Harnisch Nachfolger geworden – was sagst Du zu dieser Wahl? Ich sprach, natürlich in aller Bescheidenheit, meine Bedenken gegen Harnisch (in Leipzig) selbst aus, er meinte „die Hauptsache wäre da, Hennike stände im Glauben fest!“ Ich denke aber „Christum lieb haben ist besser, denn alles Wissen“ – dieß Wort darf in diesem Falle nicht angewendet werden, wir haben es in Altenburg gesehen, wie ein kleiner Mangel der Art die ganze Stellung verderben kann – hast Du etwa den neuen Generalsuperintendent125 kennen lernen? Seine Predigt hat mir als Antrittspredigt ganz mißfallen, und daß er unsern theuren Hesekiel gar nicht darin erwähnt, das hat nicht bloß mich, sondern Alle, die ich darüber sprach, gar sehr indigniert! Wenn der Mann nicht besser ist, als er in der Predigt erscheint, so sind Menschenfurcht und Menschengefälligkeit ihm ganz jämmerlich eigen!! Doch ich muß abbrechen – die lieben Superintendent Wilkes sind gekommen, um mir Glück zu wünschen! Ich wollte aber auch so nicht viel mehr schreiben, weil wir uns doch bald einmal sprechen – da bemerke ich noch, daß Montag den 7ten November Kirmeß in Röcken ist; die Zeitzer sind da sehr willkommen wie immer, doch richten wir dießmal keine Kirmeß aus, theils wegen meiner Schwester, theils weil den Sonntag danach der Superintendent Kirchen und Schulvisitation

121  Georg

Friedrich Heinrich Rheinwald (1802-1849), Prof. Dr. theol., 1839-1846 Herausgeber der Berliner allgemeinen Kirchenzeitung.  122  Anton Friedrich Ludwig Pelt (1799-1861), Prof. Dr. theol., von 1852-1861 ev. Pfarrer und Superintendent in Chemnitz.  123  Auf Anregung von Franz Emil Bogislaus Westermeier (1800-1870), ev. Pfarrer und überzeugter Erweckter, seit 1831 Oberpfarrer in Biere bei Magdeburg, seit 1861 Superintendent in Elbeu, entstand 1830 die Predigerkonferenz in Gnadau. Von Jahr zu Jahr wuchs die Bedeutung dieser Konferenz, die später in starken Gegensatz gegen die Lichtfreunde (eine rationalistisch geprägte protestantische Gruppierung) trat. Ohne Zweifel arbeiteten im Lauf der folgenden Jahre und Jahrzehnte im Gnadauer Verband die wichtigsten Kräfte innerhalb des deutschen Pietismus zusammen.  124  Hermann Friedrich August Eduard Hennicke (1802-1866), ev. Pfarrer, 1840-1842 Diacon und Superintendent in Schkeuditz, 1842-1852 Seminardirektor in Weißenfels und anschliessend Mitglied der Regierung, Abteilung Kirchen- und Schulwesen in Magdeburg.  125  Das war Friedrich Gotthilf Fritzsche (Anm. 114). 

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bei mir hält, also dabei die Meinen groß zu tractiren haben; auch ist in denselben Tagen Jahrmarkt in Lützen, was Viele zu kommen verhindern würde. Und nun Gott befohlen – die freundlichsten Begrüßungen von Haus zu Haus, und von mir die besonders herzliche Bitte, daß unsre Correspondenz wieder ein wenig lebhafter werde zur großen Freude Deines LNietzsche

Nach Altenburg wie immer die freundlichsten Empfehlungen, namentlich zum 20ten October! – Als die Altenburger Eisenbahn eröffnet wurde, habe ich nicht verfehlt nach Leipzig zu spaziren, um die höchsten Herrschaften zu begrüßen, aber leider vergebens, ich war den Montag drinnen und die Herrschaften kamen erst den Dienstag: das hat mir gar sehr weh gethan! –

1843

Nr. 29. an Schenk, 19. Februar 1843

Röcken, den 19ten Februar 1843 Mein theurer lieber Freund! Nun das ist wahr, unartiger und undankbarer konnte ich nicht sein, als ich es jetzt gewesen bin; habe bei Dir und Deinem lieben Frauchen viele Tage herrlich und in Freuden gelebt, und schweige darnach Monden lang, so lange daß du mit Fug und Recht darüber böse sein kannst! Wie aber, wenn ich Dir beweise, daß gerade in diesem Schweigen das allerstärkste Zeugniß unsrer Freundschaft liegt; denn gewiß, wo ich irgend Besuche gemacht, da habe ich nie versäumt, darnach eine Dankepistel baldigst abzusenden, bei Dir aber dieß anzuwenden, da erschien es mir so sehr nur als etwas Formelles, daß ich fürchtete, Du würdest solch einen Brief ehr tadeln, als erwarten; und so schrieb ich nicht, fest überzeugt, daß Du es mir mit Deinem Emmchen angesehen hast, wie heimisch und glücklich ich mich bei Euch gefühlt habe, wenn ich es auch nicht recht sagen konnte und nicht davon schreiben wollte! Wäre ich nun hiernach in Etwas gerechtfertigt, daß ich nach meiner Rückkehr von Zeitz nicht gleich die Feder ergriff, so wirst Du freilich noch meinen, daß ich doch zu viele Wochen in der Angst vor einem formellen Brief verschwinden ließ – dagegen kann ich allerdings nichts sagen, das ist undankbar und unartig gewesen, aber doch auch wieder ein Zeugniß meiner Freundschaft zu Dir, weil ich damit erklärte, von dir überzeugt zu sein „die Liebe duldet Alles!“ – Also sei nicht böse über das lange Schweigen, sondern freue Dich in dem Grad darüber, als ich mich freue, das Schweigen endlich zu brechen, denn je länger ich verzog, desto mehr wurde mir das Schreiben an Dich Herzenssache und Herzensbedürfniß, heute namentlich an dem Sonntag der Woche, worin ich Dich begrüße als Einen, der Geburtstagskind ist, und – es sagts mir mein ahnender Geist – ein Geburtstagskind126 erhält!! Nun, das walte Gott. Er nehme das große wie das kleine Geburtstagskind in seinen allmächtigen Schutz, und lasse beide an Leib und Geist herrlich gedeihen zur schönsten Doppelfreude der gebenedeieten, holdseligen Mutter! Das ist mein Geburtstagsglückwunsch, in dem Alles und Jedes liegt! –

126  Emma

Julie Marie (1843-1898), Schenks erstes von insgesamt 14 Kindern, wurde am 1. März geboren. Carl Ludwig Nietzsche war ihr Taufpate. 1863 heiratete Emma den ev. Pfarrer und Witwer Christoph Andreas Bonhage (1827-1898), Pfarrer 1857-1869 in Grassau, 1870-1898 in Barneberg. Sie gebar ihrem Mann 9 Kinder. Hinzu kamen noch drei Kinder aus Bonhages erster Ehe. 

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multum et multa127! Am allerliebsten wäre ich damit als persönlicher Gratulant bei Dir eingetreten, aber abgesehen davon, daß Du jetzt solche Einquartirung nicht brauchen kannst, verbietet sich es mir auch von selbst, denn Geld zu wenig, Wetter zu schlecht, Arbeit zu viel, Gründe genug, daß Einem das Reisen vergeht, obwohl keiner der genannten Drei mich zu einer Klage veranlassen soll, am allerwenigsten die zu viele Arbeit der ich das Praedicat „zu viel“ nicht sowohl wegen der Menge als vielmehr wegen der Würde ertheile, gedenkend der Confirmanden-Stunden! Außerdem sitze ich jetzt bis über die Ohren in Kirchenrechnungen, und mache dabei grimmige Gesichter ob meiner Rechenkünste, freue mich aber doch, wie sich hier auch das alte Wort bewährt „wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand“ denn ich habe meine erste Kirchrechnung (ich rede mit Paulus thörlich!) so meisterhaft gemacht, daß ich sie mit dem Bemerken von Merseburg zurückerhielt, wie auch nicht das Geringste dagegen zu erinnern sei. So wird mir bei den dießjährigen Rechnungen das Arbeiten noch einmal so leicht, wie dieß bei allen Amtsarbeiten der Fall ist, wenn ich sehe, daß sie mir der Herr gnädiglich gelingen läßt. Außergewöhnliche Amtsarbeiten hat es im neuen Jahr noch nicht viel gegeben, (ist noch Niemand gestorben!) ich müßte denn die Jerusalem-Feier erwähnen, welche Du in Deinem lieben Brief (den wollte ich in der Erinnerung mit erwähnen; ich fiel aber aus dem Concept) ganz mit Stillschweigen übergehest; doch sehe ich das nicht als einen Beweiß an, als hättest Du die Feier selbst auch mit Stillschweigen übergangen; mir würde das wenigstens nicht gefallen, denn wieviel auch die Jerusalem-Stiftung zu wünschen übrig läßt, um Jerusalems Willen verdient die Sache doch den Gemeinden an das Herz gelegt zu werden; ich habe daher nichts unterlassen, um das Fest so feierlich als möglich zu machen und habe wirklich auch die Freude gehabt, die allergrößte Theilnahme zu finden, die ja auch durch die sehr reichliche Collecte für […] in der That bewieß. Gepredigt habe ich über das Sonntags Evangelium, und dieß durch und durch benutzt zu dem Thema: Wie haben wir die Gründung der evangelischen Gemeinde in Jerusalem anzusehen? Als einen Sieg des evangelischen Glaubens, als ein Werk der evangelischen Liebe und als einen Grund der evangelischen Hoffnung. – Wie ich Dir schon sagte predige ich dieses Jahr wieder über die Evangelien, da ists mir eine ganz besondere Freude, bei dem zweiten Predigen darüber den wunderbar großen Inhalt unserer Evangelien immer mehr zu erkennen, indem ich darnach strebe Themata daraus zu nehmen, die ich noch nirgends gelesen, und doch naheliegend den ganzen Text umfassen. Intressant wäre es mir z. B. zu wissen, ob Du vielleicht schon eine Predigt über mein heutiges Thema gelesen hast, das nämlich lautete: „In wiefern vergleichet sich Christus mit einem Sämann – wegen der Arbeit die er treibet, wegen der Erfahrungen, die er macht, und wegen des Segens, den er verbreitet“ – oder über mein Thema des vergangnen Sonntags:

127 

Multum, non multa: viel, nicht vielerlei (Plinius, der Jüngere, Briefe VII/9). Hier jedoch: multum et multa. 

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„wer sind die Auserwählten im Himmelreich?“ (die, welche den Eintritt in das Himmelreich als einen großen Vorzug, das Arbeiten im Himmelreich als eine heilige Verpflichtung und die Belohnung des Himmelreichs als eine unverdiente Gnade erkannt haben.) In beiden Predigten war ich mit der Durchführung gar wenig zufrieden, und es läge mir viel daran, dieselben Themata anderswo tüchtiger durchgeführt zu lesen, namentlich von Dir! Kannst Du mir hierzu behülflich sein, nun so bist Du wohl so gut, besonders wenn es Concepte von Dir sind, sie mir zu schicken, indem ich Dich schon im Namen meiner Mutter um eine andere gefällige Sendung bitten will: Meine Mutter, die sich Dir aufs Angelegentlichste empfehlen läßt, wünscht nämlich durch Dich sobald Du mir wieder schreibst ein zweites Exemplar von Rebs Leben zu haben, so daß Du es zu seinem Nutzen ihm selbst abkaufst, ohne daß er jedoch erfährt für wen; zu diesem Zweck liegt der Thaler bei, von welchem Du aber erst die Auslage für den Altenburger Kalender abziehen und nur das übrig gebliebene Geld Rebsen geben mögest! Hierbei sage ich Dir nun für die freundliche, beschwerliche Besorgung des Kalenders, sowie überhaupt für Deinen lieben unerwarteten Brief meinen allerherzlichsten Dank; in Bezug hierauf bemerke ich noch, daß damals in Naumburg mein erster Weg war, Dir den Wein noch mit dem rückgehenden Einspänner zu besorgen, aber, wie vorher gesagt, war es in dieser Schnelligkeit nicht möglich; mögen Dir die Transportkosten nicht so viel gekostet haben, umso weniger als der rothe Wein theurer war, als ich dachte, und du auch wieder gegen mein Erinnern kleineres Gemäß, als Du erwartetest, erhalten hast; Betrügerei ists aber nicht, der Weinsender ist einer der achtbarsten, frömmsten Bürger Naumburgs, der noch dazu jetzt in einem ähnlichen Zustand, als der mir sehr lieb gewordne Conrector Fehmer sich befindet, wo er gewiß ehr zu viel als zu wenig Wein schickt. In Naumburg habe ich auch noch die Frau Professor Lange besucht, veranlaßt durch eine Angelegenheit meines Schwagers, mir aber erwünscht, um Deine Empfehlungen auszurichten (die mit dem Bemerken erwidert wurden, daß ihr Sohn nun wirklich die fragliche Stelle erhält) und die Frau Professorin nebst ihrem Töchterchen selbst kennen zu lernen, wobei mir die sehr feine Mutter mehr als das sehr „völlige“ Töchterlein gefallen hat. Getrübt wurde mir mein Aufenthalt in Naumburg durch die Todesnachricht des intimsten Freundes meines Neffen Dächsels128, eines Candidaten Störzel, der eben im Begriff war auf Kosten des Staates nach Jerusalem zu gehen. Komme ich hierdurch noch einmal auf Jerusalem, so muß ich noch bekennen, daß mich die Cabinetsorder unsres lieben Königs rücksichtlich der Jerusalemfeier aufs Höchste angesprochen hat, wie mir überhaupt Alles, was der König thut, ganz zusagt, weil doch in Allem, wie es auch auffällt, ein christlicher

128  Karl

August Dächsel (1818-1901), ev. Pfarrer, Sohn von Carl August Dächsel und Friederike Nietzsche (Anm. 76). Pfarrer in Hirschfeld, Hohenbocka, Neusalz an der Oder und schliesslich Steinkirche. Verfasser verschiedener theologischer Studien. August Dächsels Bruder Otto Bernhard Dächsel (1823-1888), königlich-preußischer Justizrat in Sangerhausen, war nach dem Tod Carl Ludwigs amtlicher Vormund der beiden Kinder Friedrich und Elisabeth Nietzsche. 

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Geist wehet, wozu ich auch die Zeitungs-Verbote, Professoren-Absetzungen, Ordensverleihungen an die gläubigen Geistlichen (auch an Couard) rechne; wenn nun aber unsre Fürsten mit Lohn-Consequenz das Christliche beförderten, dann würde es um Vieles besser stehen! Am 20ten Februar: Ich habe in dieser Angelegenheit erst in der vergangenen Woche eine lange Vertheidigungs-Epistel geschrieben, die sich dann auch mit in das Theologische hinüberspielte, nämlich an meine Verwandten in Plauen, denen ich bei dieser Gelegenheit das herrliche bekannte ältere Schriftchen von Sartorius129 über den Glauben zu lesen empfehlen wollte, kann mich aber bis heute nicht auf den eigentlichen Titel besinnen, daher ich Dich bitte mir ihn bei nächster Gelegenheit schreiben zu wollen. Nächstens will ich meinen Verwandten einige gute Tractate schicken, denn Du mußt wissen, daß ich jetzt Mitglied nicht bloß des Norddeutschen Vereins, sondern auch des Berliner Tractaten-Vereins130 geworden bin; das Drängen vieler Gemeindeglieder, denen meine Missionsbetstunden außerordentlich zusagen, ihnen Aehnliches zu lesen zu geben, hat mich dazu veranlaßt. Ich freue mich hier die Bemerkung zu machen, das eigentliche Volk will durchaus noch den alten Glauben, möge nur auch der alte Segen darauf ruhen! Was wir in diesem Punkt von dem neuen Bischof zu erwarten haben, bin ich sehr begierig: daß es Möller131 nicht wird, soll nicht allgemein bedauert werden, übrigens hat die Predigt selbst dem König ganz wohl gefallen, aber die äußere Erscheinung und der mündliche Vortrag namentlich der Erfurter schlechte Dialect soll schrecklich abgestossen haben! Ja, Draeseke Nachfolger wird in dieser Hinsicht immer zu wünschen übrig lassen, und – man mag dagegen sagen was man will – Draeseke ist sicherlich auch deshalb mit abgegangen, um den Triumpf erleben zu wollen, daß man bekennt „es giebt nur einen Draeseke!“ Sein Abschiedsschreiben hätte ebenso gut wie das Abschiedsgeschenk (wozu ich auch sehr gegeben) unterbleiben können, und sein Gedächtniß wäre doch im Segen geblieben! Mir will Beides nicht recht passend erscheinen, auch schon darum nicht, weil seine Feinde darin reichen Stoff zum Angriff wieder finden werden; hieße es doch lieber: Hare pia anima!132 Es ist aber doch eine intressante Zeit, in der wir leben, und mich intressirt sogar was der alte Christian nach Darmstadt schreibt, da er doch als Organ der Altenburger

129 

Ernst Sartorius (1797-1859), Prof. Dr. theol. und Autor, wurde auf Veranlassung von König Friedrich Wilhelm III. zum Generalsuperintendenten der Provinz Preußen berufen und zugleich in das Amt des ersten Hofpredigers an der Schlosskirche in Königsberg eingesetzt. Sartorius war einer streng lutherischen Theologie verpflichtet und wandte sich in vielen Schriften gegen die Rationalisten, ebenso gegen die Lichtfreunde. Vermutlich meint Nietzsche hier Sartorius‘ zuerst 1831 erschienene Schrift über „Die Lehre von Christi Person und Werk“, später in 7 Auflagen herausgegeben.  130 TraktatVereine sind typische Kinder der Erweckungsbewegung.  131  Johann Friedrich Möller (1789-1861), ev. Pfarrer, 1843 Nachfolger von Bernhard Dräsecke als Generalsuperintendent der Kirchenprovinz Sachsen und Konsistorialrat in Magdeburg. Bekämpfte die rationalistischen Lichtfreunde. Anhänger der Erweckungsbewegung. Veröffentlichte u. a. Predigt- und Liedsammlungen.  132  Lat.: Lebe wohl, fromme Seele! 

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Geistlichkeit zu betrachten ist; übrigens schreibt mir Gersdorf in einem sehr lieben langen Brief, den ich von Zeitz zurückkehrend vorfand – daß die Altenburger Geistlichkeit, seitdem Fritzsch da wäre, alle ins Hintertreffen gekommen wären, was darum wichtig sei weil genau genommen Er nichts anderes predige, als was dem Wesen nach unser lieber Hesekiel gepredigt habe; die Altenburger bilden sich nur ein, daß Fritz Rationalist ist, weil er nicht entschieden hervortritt – mit der Zeit wird das auch noch kommen! In den vergangenen Tagen habe ich viel an Altenburg gedacht und im Geist die ganze Hochzeitsfeierlichkeiten133 mit durchgemacht, ja, bin betend für die liebe Marie mit in Hannover eingezogen – wie wird sie in Altenburg vermißt und beweint werden! Wenns sich geschickt hätte, so hätte ich gar an den Herzog geschrieben, so aber schrieb ich nur einige Zeilen an Gersdorf um doch in Etwas dort zu sein. – Neues schrieb mir Gersdorf gewiß nicht viel, was ich nicht schon aus der Zeitung gewußt hätte, Du hast vielleicht jetzt neuere mündliche Nachrichten durch die nun erschienene „Tante“, der ich mich zu empfehlen bitte, noch vielmehr aber, wenn etwa Deine liebe Frau Schwiegermutter selbst noch gekommen wäre! Daß Du mir die Adventsfreude134 sogleich mitteilst, Du verstehst, welche ich meine – um das darf ich nicht besonders erst bitten! Im Stillen hatte ich gehofft, ich würde Dir jetzt auch eine besondre Adventsfreude mitzutheilen haben, und habe deshalb wirklich mit meinem Schreiben angestanden, allein es ist nichts geworden; eine Ankunft erfolgte zwar, aber es wurde nicht die einer Ausgewählten! Wir haben jetzt nämlich 14 Tage lang einen Besuch von einer Schwester der oft erwähnten Mathilde gehabt – da hat man vielfach gewünscht und gemunkelt, es ist aber nichts! Nächsten Mittwoch wird sie uns verlassen, und zwar begleitet sie meine Schwester und die Frau Sup Wilke nach Merseburg, ich vielleicht auch, um einmal Hasenrittern meinen Kratzfuß zu machen, versteht sich Karos auch! – Zu guter Letzt will ich, da ichs von mir noch nicht konnte, eine Verlobung von meinem Vetter Oscar Nietzsche135 mittheilen, der hat sich als HE. Diaconus in Seyda sogleich mit einer Tochter des dasigen Försters Abeßer verlobt; daß der sonst so bedenkliche, unentschlossene Mann diesen Schritt so schnell gethan hat, überraschte mich sehr, freut mich aber um seinetwillen gar herzlich. Nun für heute genug – Wichtiges hätte ich nicht mehr zu schreiben und Anderes zu besprechen,

133  Prinzessin

Marie von Sachsen-Altenburg (vgl. Anm. 28) heiratete am 18. Februar 1843 in der Schlosskirche von Hannover.  134  Siehe Anm. 126.  135  Oskar Wilhelm Lebrecht Nietzsche (18071870), ev. Pfarrer, 1842-1857 Diacon in Seyda, 1857-1870 Pfarrer in Köttichau. Oskar war Carl Ludwigs Großcousin, ein Neffe 2. Grades. Denn Oskars Vater Karl August Ferdinand Nietzsche (17781814), Konrektor an der Klosterschule Rossleben, war der Sohn von Christoph Gotthelf Leberecht Nietzsche (1739-1802), Rechtsanwalt in Bibra, dem ältesten Bruder von Carl Ludwigs Vater Friedrich August Ludwig Nietzsche (Anm. 10). In erster Ehe war Friedrich August Ludwig mit Johanne Friederike Richter (1762-1805) verheiratet. Sein Bruder Christoph Gotthelf Leberecht hatte 10 Jahre früher Johanne Friederike’s Schwester Sophia Charlotte Richter (1754–†?) geheiratet. Der in Schenks Brief (Nr. 19) vom 23. September 1841 genannte Oskar könnte der hier genannte Oskar Wilhelm Lebrecht sein. Doch da weder Nachname noch Ortsangabe genannt werden, ist dies nicht sicher. 

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nun dazu ist in dem nächsten Briefe auch noch Zeit, um so mehr, als ich verspreche nicht wieder eine solche Pause eintreten zu lassen! Darum lebe wohl und grüße Deine liebe Frau gar herzlichst und dankbarlichst – Gott sei mit Euch! Mit diesem Herzenswunsch bleibe ich in Liebe fort und fort Dein treuer Freund LNietzsche HE. Dr. Peter meinen freundlichen Glückwunsch!

Nr. 30. an Nietzsche, 29. Mai 1843

Zeitz den 29. Mai 1843 Mein theurer Freund, Gestern spät Abends glücklich mit der Post zu meinen Lieben zurückgekehrt ist es heut mein erstes und angenehmstes Geschäft Dir zu schreiben. Sind auch erst 2 Tage seit unsrer Trennung verflossen, so habe ich Dir doch schon wieder so viel mitzutheilen, daß ich nur gleich den größten Briefbogen nehme, dabei noch sorgend, ob er ausreichen werde. Vor Allem drängt es mich, eine Schuld meines Herzens abzutragen und Dir und Deiner innig verehrten Frau Mutter noch einmal schriftlich für die freundliche Aufnahme und alle Beweise der Liebe und des Wohlwollens zu danken. Muß ich auch wünschen, daß meinetwegen weniger von der gewöhnlichen Hausordnung abgegangen worden wäre, damit ich nicht zu fürchten brauche, zu viel Störung verursacht zu haben, so erkenne ich doch auch darin mit Freuden die Beweise liebevoller Aufmerksamkeit und Theilnahme, die dem Herzen so wohl thun. Mit voller Befriedigung blicke ich auf die bei und mit Dir verlebten Tage zurück, die als sehr angenehme und glückliche in meinem Gedächtnisse werden verzeichnet bleiben. Ich habe mich sehr wohl gefühlt bei Dir. Dein ganzes Haus mit seiner hübschen Einrichtung macht schon einen so freundlichen Eindruck, daß der Eintretende sich sogleich behaglich fühlen muß. Aber freilich viel mehr noch hat mich der Sinn und Geist, der in ihm waltet, angesprochen. Es ist ein Geist der Sinnigkeit, der Stille und des Friedens, der mich in Allem angeweht und so wohlthuend berührt hat. Ich preise Dich schon jetzt ob solchen Stilllebens glücklich, wie aber werde ich es können, wenn Du eine gleichgesinnte Gattin gefunden hast, die liebend und geliebt vollends den Himmel auf der Erde Dir zu bereiten sich bestrebt! Möchte der HErr Dir bald auch dieses reinste und höchste Glück schenken, das ich – Ihm sei Preis und Dank dafür – aus eigner Erfahrung kenne. Er wird es auch in einer Kürze, darum suche nur nicht ungeduldig. Dann wird Dein Haus, als ein ächtes Pfarrhaus, in allen Beziehungen der Gemeinde und den Amtsbrüdern als Muster vorleuchtend, und durch das Glück, das man darin gewahrt, zur Nach-

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eiferung reizen. Als ich im Postwagen rasch gen Leipzig rollend mir noch einmal Alles bei Dir Gesehene vergegenwärtigte, mußte ich immer wieder wünschen: daß doch alle Pfarrhäuser diesem glichen! Die Gedanken wurden auch bald in einem Gespräche mit dem Rector Geissler laut, der auch Deines und Eures Lobes voll war und mit dem ich mich dann auf dem ganzen Wege über allerlei Gegenstände recht gut unterhalten habe. Er versicherte, daß Harnisch an Weiß136 Stelle, der abgehe, Regierungs- und Schulrath werden wolle. Er bezeichnete denselben als einen ehrgeizigen altiora erstrebenden Mann, dem er durchaus nicht gewogen zu sein schien. Hörst Du etwas Näheres, so theile es mir mit. Jetzt will ich bei meinen Mittheilungen der Geschichte der letzten Tage folgen. In Leipzig suchte ich sogleich den Dr. Linke auf, traf ihn aber erst um 2 Uhr. Er erklärte mein Gehörleiden für eine Folge von Leber- und Gichtleiden oder zunächst der Unterleibskrankheit, und sprach im Ganzen das aus, wovon ich mich durch mehrjährige Beobachtung meines körperlichen Zustandes selbst überzeugt habe. Er verschrieb etwas, verlangte aber vor allen Dingen und als durchaus nothwendig Trinken eines geeigneten Brunnens verbunden mit fleißigen Morgenspatziergängen und strenger leiblicher und geistiger Diät. Ich sollte 4 Wochen lang Stadt und Amt meiden und auf dem Lande leben, am besten für immer auf das Land gehen. Durch fleißige körperliche Bewegung, durch Leben in freier Natur und weniger anstrengende Geistesarbeit werde das Leiden, wenn nicht gehoben, doch gemildert und an seinem raschen Fortschreiten verhindert werden. Diese Anordnungen, die ich nicht durch Andeutungen und Mittheilungen veranlaßt hatte, frappirten mich nach dem, was wir über Poserna mit einander gesprochen hatten nicht wenig, und wie ein Blitzstrahl fuhr mir der Gedanke durch die Seele, daß ich durch ein glaubhaftes Zeugniß des Arztes, als sich dahin ausspräche, die Behörde fast nöthigen könne, mich auf das Land zu versetzen. Ich erwog noch einmal Alles sorgfältig und kam da zu dem Entschluß, die nöthigen Schritte zu thun, um nach Poserna zu kommen, wen die dortigen Verhältnisse die Stelle für mich wünschenswerth und geeignet machen. Den Gedanken Nachfolger meines Vaters137 zu werden gab ich vorläufig auf, weil bis dahin hoffentlich noch mehrere Jahre vergehen müssten, gegen das so bedrohliche Leiden aber je eher je lieber etwas Durchgreifendes gethan werden muß. Ich nehme nun Deine erprobte Freundschaft sehr und vielfach zu thätiger Mitwirkung in Anspruch. Zunächst bitte ich Dich mir so ausführlich und speciell als möglich über die Verhältnisse in Poserna zu schreiben. Als Hauptpunkte: Seelenzahl, Zahl der Schulkinder und jährlichen Confirmanden, Geist und Stimmung der Gemeinde besonders in Beziehung darauf, ob eine Renitenz wegen meines Gehörleidens zu befürchten sein dürfte; Einkünfte und ob eine Erhöhung derselben in Aussicht gestellt ist und dergl. mehr. Sind Deine Nachrichten günstig, so werde ich in einem kräftigen, wohlmotivirten und mit den nöthigen Zeugnissen vom

136  Constantin

Weiss (1816-1848), ev. Pfarrer, 1841-1843 Rektor in Lützen, 1844-1848 Pfarrer in Muschwitz.  137  Johann August Schenk (Anm. 43) war 1804-1814 Pfarrer in Knippelsdorf und 18141843 in Stolzenhain b. Herzberg/Elster. 

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Arzte und Superint versehenen Schreiben Regierung und Ministerium um Poserna bitten. Du hast mich auf diese Stelle hingewiesen, vielleicht bist Du ein Mittel in Gottes Hand, daß ich sie erhalte. Ich denke nämlich daran, Dir das Schreiben an das Ministerium und einen Brief an den Feldpropst nach Berlin mitzugeben und dich um Deine mündliche Mitwirkung dort zu bitten. Das Nähere schreibe ich Dir, sobald ich Deine Mittheilungen erhalten habe. Ueberlasse ich mich auch nicht sanguinisch festen Hoffnungen, so halte ich es doch auch nicht für unmöglich, daß man mir diese Stelle gibt, da kein pekuniärer Grund dagegen spricht. Wie herrlich wäre es doch, wenn wir wieder auf einige Zeit auch räumlich einander nahe kämen! Ich hoffe, wir wollten noch schöne Stunden und Tage mit einander verleben, weil nun in noch schönerem und herrlicherem Wirkungskreise, in Amt und Haus. Du nun noch eine liebenswürdige Frau, die sich mit meiner Emma befreundete, was fehlte uns dann noch! Wahrlich mein Kreuz würde mir dann auch in geselliger Beziehung noch viel leichter zu tragen werden! Nun, ist‘s wahrhaft zu meinem und Andren Heil, so wird Gott dieß Amt mir geben, und wenn Alles sich dagegen setzte. Ihm wollen wir die Hauptsache überlassen, ich aber will thun, was zu thun ist. Auch bitte ich herzlich um Deine Unterstützung mit Rath und That. Schon jetzt danke ich Dir herzlich für die Fahrt nach Merseburg, bei der Du Dich in mehrfacher Beziehung aufgeopfert hast; vielleicht aber muß ich noch ganz andres Dir dafür danken. Nun noch einmal die Bitte, die ganze Angelegenheit möglichst verschwiegen zu betreiben, schon damit man hier nichts davon erfährt. Ich kehre nun zum historischen Faden zurück. Theils das unsichre Wetter, theils der gefaßte Entschluß bestimmten mich die Partie zu meinem Bruder aufzugeben und gleich um 5 Uhr mit dem Dampfwagen nach Altenburg zu fahren. Da kam ich in den vollen Markttrubel, den du aus eigner Erfahrung kennst. An diesem Sonnabend sah man wenigstens bei den Altenburgern, besonders bei den Bauern, nichts von schwerer Zeit und Nahrungssorgen. Noch nie waren so viel schöne Kutschen mit Käufern und Käuferinnen, Tänzern und Tänzerinnen zu den Bauernbällen des Abends gekommen und auf der Schmölleschen Gasse allein, in der die Mutter wohnt, war eine unübersehbare Reihe aufgefahren. Die Mutter fand ich doch wohler, als ich nach den Mittheilungen erwarten konnte, und ich hoffe, daß sie sich immer mehr erholen wird. Freilich sie ist sehr leidend und auf ein langes Leben dürfen wir nicht rechnen, indeß scheint mir doch für jetzt kein Grund zu großer Befürchtung vorhanden. Die Kinder waren wohlauf, Alle gedeihen an Seele und Leib. Mit Johannes, seinen Fortschritten und seinem Betragen sind die Lehrer, Mutter und Vormund sehr zufrieden. Auch ich habe mich dessen gefreut, was ich während meiner kurzen Anwesenheit wahrgenommen habe. Mein erster Gang in der Frühe des Sonntags richtete sich nach dem Gottesacker. Ich fand Alles wiederhergestellt und freute mich des Denkmahls. Es besteht in einem Stein, der hinten an der Mauer befestigt ist. Auf diesem ist ein gothisches Portal ausgehauen in mannichfacher Weise gothisch verziert, 3 Spitzen erheben sich. Auf der glatten Fläche, die das Thor darstellen kann, ist ein Crucifix in erhabner Arbeit gedeckt durch eine Kanzeldecke in gothischem Styl. Zur rechten Seite des

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Crucifixes steht: Ich weiß, daß mein Erlöser lebt138, zur linken Hesekiels Wort: Durch Stillesein und Hoffen. Unten auf dem Fuß Namen, Geburtsort und Zeit, Amt u.s.w. des seligen Vaters. Alles in schwarzer Schrift. Das Ganze hat mich angesprochen und ich hätte gern dem Herzog selbst dafür gedankt. 2 der Spitzen nun waren von dem Frevler abgeschlagen, die Schrift beschmirt und dafür die Worte darauf geschrieben worden: Alle, die dem Hofe dienen, sind die schlechtesten der Bienen oder etwas Aehnliches. Ueber die zweite Zeile ist man nicht einig und hat verschiedene Lesarten. Was nun das Urtheil des Publicums über den Frevel anlangt, so ist nach allen einstimmigen Versicherungen derer die ich gesprochen habe, Pierers, Vater, Mutter und Sohn, Goldstein der Factor, Hermann, Schlippe, die Meinen nur eine Stimme der tiefsten Entrüstung in allen auch den niedrigsten Kreisen laut geworden. Keiner wollte auch nur ein Wort der Billigung vornommen haben, Mehrere aber erzählten Äußerungen des Abscheus von den gewöhnlichsten Leuten. Alle aber stimmten auch darin überein, es sei die That ein Ausbruch des Hasses gegen den Herzog, gelte ihm allein, den man hier am empfindlichsten habe kränken wollen. Die Mutter hat auch von allen Seiten Beweise der aufrichtigsten Theilnahme erhalten. Die Meisten sind sogleich selbst gekommen und auch sonst ferner Stehende. Selbst Briefe voll Theilnahme und Entrüstung hat sie erhalten. Das Ganze wird so der Sache und der Familie nur genützt haben und dem Seligen Ehre einbringen. Die Mutter ist auch vollkommen beruhigt. Fritzsche aber ist noch nicht bei ihr gewesen. Ich war in seiner Kirche und habe ihn wenigstens gesehen, da ich ihn in der Nähe der Thür, wo ich noch ein Plätzchen fand, gar nicht hören konnte. Die Gestalt von rechten Geiste; der Kopf und das Gesicht, so viel ich erkennen konnte, edel und voll Ausdruck. Der Vortrag war lebendig und herzandringend, die ganze Haltung aber doch ruhig und sicher. Die Aufmerksamkeit war allgemein und gespannt. Alle sind seines Lobes voll und Viele, die sonst nie in eine Kirche kamen, fehlen bei ihm nie. Uebrigens ist er kränklich, leidet an der Brust und hatte seit 6 Wochen nicht gepredigt. Vom Verdachte der Menschengefälligkeit müssen wir ihn frei sprechen; er soll im Gegentheil überall sehr kräftig und entschieden auftreten und hat im Schulwesen schon aus eigner Machtvollkommenheit viele Aenderungen gemacht. Von einigen Seiten wird ihm Stolz zur Last gelegt. Gerade der Vorwurf ist aber in der Regel der ungegründetste. Du weißt, wie es uns ergangen ist und allen ergeht, die nicht im gewöhnlichen Gleise mit der Menge laufen wollen. Wenn Du nach Altenburg kommst, so besuche ihn ja. – Ueber die Herzogl Familie kann ich Dir nur wenig mittheilen. Alle befinden sich wohl. Gegen die Mutter und ihre Kinder sind sie fortwährend sehr gnädig, Die Herzogin hat die Mutter neulich zu einer stundenlangen Unterredung zu sich entboten und da nach allem Möglichen gefragt. Ueber jedes Kind hat sie ausführlich berichten müssen, auch über Emma und mich. Von der Taufe hat sie Alles auch Deinen schönen Toast mit den biblischen Frauen erzählen müssen, für

138 

Hiob 19,25. 

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mein Gehör hat sie guten Rath ertheilt zuletzt, nach 3 Stunden, befohlen, daß sie öfter mit ihren Kleinen käme, denn sie, die Herzogin, betrachte sich als ihre beste Freundin und wolle auch von ihr so angesehen werden. Noch hat die Hoheit gesagt; daß sie Fritzschen gleich bei seiner ersten Audienz gefragt habe, ob er schon der Frau General-Sup einen Besuch gemacht habe. Er hat es verneint und als Grund dafür angeführt, daß er der Wittwe seines Vorgängers eine unangenehme Erscheinung zu sein fürchte. Wie unhaltbar! Als ob er nicht durch persönliche Freundlichkeit das unangenehme Gefühl am ersten mindern könnte, das ja durch jeden Anblick, durch jede Erinnerung geweckt werden müßte, wenn es überhaupt da wäre. Und dazu hat die Frau von Fritzsche nicht nur der Mutter einen Besuch gemacht, sondern sie auch zu sich gebeten, noch mehr, die Mutter hat bei ihm gebeichtet und von ihm das Abendmahl empfangen. Doch lassen wir das, um zu Erfreulicherem überzugehen. Der Herzog fährt fort in seinen Liebesbeweisen an unsre Familie. Als er von Ottos ausgezeichnetem Examen gehört hat, hat er ihm sogleich in der Stille 30 Rth nach Jena geschickt, und als nun die Mutter von Otto benachrichtigt, der Herzogin dafür gedankt, hat diese gar nichts davon gewußt. Wieder welch schöner Zug! Prinzeß Elisabeth139 ist schon am 19. huj Vormittags 10 Uhr von Sachse unter Assistenz von Fritzsche und Bergter140 (Garnisonprediger) confirmirt worden. Sie hat mit lauter, bewegter Stimme ihr Glaubensbekenntniß abgelegt, und die ganze Feier ist schön und erhebend gewesen. Wie Schade, daß Du nun erst nachträglich gratuliren kannst! Ich finde es sehr unfreundlich von Gersdorf, da er Deine warme Theilnahme kennt und weiß, wie gern Du solche schöne Gelegenheit benutzest, um sie auch äußerlich darzulegen. – Weiter konnte ich leider gestern bis zum Schluß der Post nicht schreiben, und muß nun heut fortfahren. Ein Tag später wird nicht viel ausmachen und auch so wirst Du den Brief noch früher erhalten, als Du erwartest. In Beziehung auf meine Reise habe ich Dir noch mitzutheilen, daß ich für Ludwig Hesekiel beim Major eine angemessne Stelle gefunden habe. Er wird bei dem geistigen Theile der Re­daction des Universal-Lexik beschäftigt und kann sich bei einigem Fleiße leicht so viel verdienen, als er braucht. Er bezieht vorläufig eine Stube im Hause der Mutter, aber in einer andern Etage und ganz von ihr getrennt. So wird er auch nicht von ihr beköstigt, sondern auf dem Kasino essen und selbst für seine Lebensbedürfnisse sorgen. Es ist mir schwer geworden, das durchzusetzen, da die Altenburger allzumal die Sache ganz verkehrt ansehen. Ich hoffe gerade von dem Aufenthalte in Altenburg unter diesen Verhältnissen viel; er soll das hier Begonnene fortsetzen und einem erwünschten Ziele entgegenführen. Fiele er in Altenburg in sein altes Treiben zurück, ließe er wieder Leichtsinn und Genußsucht unbeschränkt walten, so müßten wir ihn verloren geben und auch ich würde ihm

139 

Elisabeth Pauline Alexandrine von Sachsen-Altenburg (1826-1896), auch sie von Carl Ludwig Nietzsche ausgebildet, heiratete 1852 den nachmaligen Großherzog Peter II. von Oldenburg (1827-1900).  140  August Hermann Bergter (1809-1875), ev. Pfarrer, 1841-1853 Garnisonprediger in Altenburg, ab 1854 Pfarrer in Schmirchau. 

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nicht wieder die Hand reichen, weil höhre Pflichten es mir verböten. Doch das wollte Gott verhüten. Er muß auch hier das Beste thun und ohne seinen Segen wirds nimmer gelingen, den alten Menschen zu ertödten und den neuen141 herauskommen zu lassen, der in der Wahrheit besteht und wandelt. Schon übermorgen wird uns Ludwig verlassen, um den neuen Lebensabschnitt zu beginnen, als neuer Mensch – wie er sagt. – Da Du Dich für alles in Altenburg interessirst, so schreibe ich Dir nur noch, daß der fähigste Sohn des Ministers v. Braun, nachdem er noch mit Otto die Abiturienten-Prüfung gut bestanden hat, jetzt gestorben ist – nach langen Leiden an der Auszehrung. Zu diesem Tragischen aber gleich das Komische. Der Kirchenrath Bergner142 condolirt Sr. Excellenz wegen des Verlustes dieses hoffnungsvollsten seiner Söhne. „Ja, antwortet Hochdieselbe, er war mir am Aehnlichsten.“ – Bessre Ehestandslieder als im Knapp143 habe ich nicht gefunden, obwohl ich alle meine Gesangbücher sorgfältig durchgemustert habe. Vor der Trauung scheint auch mir No 2974 das geeignetste, doch muß es auch etwas verändert werden, namentlich eine Fürbitte der Begleiter für das Brautpaar sein. Freilich tritt im ersten Verse die Situation nicht genug hervor. Im 2ten würde ich statt von Jesu, entschieden: v Vater setzen und auch den nicht guten Schluß ändern. Die Wonne und Sonne sind nicht sonderlich, abgesehen davon, daß in dieser Verbindung beide Zeilen Bilder enthalten müßten oder keine. Es wäre vielleicht zu setzen: Herr aller Herrn, sei Du nie fern von denen, die da wallen nach Deinem Wohlgefallen. Sonst sagt uns auch No 2291 zu. Ich sage uns, denn ich habe mein Emmchen zu Rathe gezogen. Nach der Trauung würden wir beide No 2985: Lobet den Herrn! pp wählen, dessen schöne Jubelmelodie nach Emmas Behauptung leicht und gut zu singen ist. Weihe nur das Paar zu einer so glücklichen Ehe ein, wie die unsrige ist. Meiner Emma Ueberraschung und Freude als ich am Sonntag Abend ¼ 11 Uhr in das Zimmer trat, war sehr groß. Sie hatte mich noch gar nicht erwartet. Mich erblicken, mir an den Hals fliegen, also daß der Hut, ehe ich ihn noch ergreifen konnte, 10 Schritt weit fortflog, war Eins. Da mußte ich natürlich gleich schelten, denn das einzige ziemlich abgeschabte Hütlein kann dergleichen nicht vertragen. Auch Dein Pathchen war ganz wohl und gedeiht gar herrlich. Gott wolle sie ferner nach seiner Gnade bewahren und segnen. Du mußt bald mit Deiner lieben Mutter kommen, um Dich sein mit uns zu freuen. Emma bittet mit mir herzlich darum. Bist Du noch mit Deiner Predigt gut fertig geworden? Entschuldige nur meine Störung. Jetzt, nachdem ich den Arzt gesprochen habe, wünsche ich sogar, noch bis Montag früh bei

141 

Frei nach Kolosser 3,9 f.  142  Carl Wilhelm Friedrich Bergner (1776-1853), ev. Pfarrer, Hof- und Stiftsprediger in Altenburg, ebenda Kirchenrat.  143  Albert Knapp (1798-1864), ev. Pfarrer, von 18361864 in Stuttgart. Überzeugter Erweckter. Kirchenlieddichter und bedeutender Hymnologe. Veröffentlichte 1837 den „Evangelischen Liedschatz für Kirche und Haus“, ab 1837 in mehreren Auflagen mit 3590 Liedtexten erschienen, eines der bedeutendsten Liederwerke der deutschen evangelischen Kirche. Das Singen wurde den Erweckten zu einem Zeugnis ihres Glaubens, nach ihrer Überzeugung zu einer organischen Entfaltung des Gottesreiches in Liedern. 

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Dir geblieben zu sein, damit Du mich hättest zu Wimmer144 und nach Poserna führen können, um Alles selbst zu sehen. Doch das kann bald einmal geschehen. Zu den Arbeiten des Pfingstfestes rüste Dich der Geist aus der Höhe, auf daß Du begeistert und begeisternd Deiner Gemeinde Worte des Lebens verkündigest. Ich habe nur einmal und 1mal in […] zu predigen. Meine Emma sagt Dir und allen den Deinigen die freundlichsten Grüße und freut sich sehr Aller Bekanntschaft zu machen. Von mir bringe die herzlichsten ganz besonders Deiner verehrten Frau Mutter, die meine volle Hochachtung und Liebe besitzt und den Ausdruck derselben gern annehmen wolle. Möchtest Du mir in Deiner Antwort nur Gutes über das Befinden Deiner Fräulein Schwester schreiben können! Daß Du mich nicht allzulange auf dieselbe warten lässest, erwarte ich zuversichtlich. Gott sei mit Euch Allen. Dein treuer Freund und Bruder E.J. Schenk

Fast hätte ich vergessen Möllers Antritts-Predigt zu erwähnen. Wie Schade, daß sie nicht während meines Weilens bei Dir in unsre Hände gekommen ist! Nun hast Du sie jedes Falls und was sagst Du dazu? Ich bin erschrocken darüber. Welches opus! Was sind das für Auspicien für uns! Wie armselig, schwach und gedankenleer erscheint mir das ganze Machwerk, wie gesucht und manirirt in Anlage und Ausführung, wie ganz verfehlt und verkehrt die Einleitung, wie dürftig die Ausführung mit ihren kläglichen äußerlichen Verhältnissen! Ich hab die Predigt heut ein testimonium paupert quoad spiritum145 genannt, das sich M selbst ausgestellt. Bitte, belehre mich eines Andren, Bessren, damit ich Vertrauen behalte. Schreibe mir ausführlicher darüber.

Nr. 31. an Schenk, 16. Juli 1843

Röcken, den 16ten Julius 1843 Hoch und theuer geliebter Freund! Endlich breche ich mein Schweigen und zwar mit der Jubelbotschaft: Ich bin verlobt! O zuviel habe ich Dir da mitzutheilen, das kann ich nicht schreiben, ich komme in dieser Woche noch zu Dir mit meiner heißgeliebten Braut Francisca

144 

Karl Julius Moritz Wimmer (1805-1858), ev. Pfarrer, 1830-1840 Pfarrer zu St. Othmar in Naumburg, später in Großgöhren und Sachsenburg.  145  Lat.: geistiges Armutszeugnis. 

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Oehler146, der jüngsten Tochter aus dem oft erwähnten Pfarrhaus Pobles! Jetzt höre das Bekenntnis, was ich Dir längst schon, namentlich als Du mich in Berlin so aufs Gewissen fragtest, hätte mittheilen sollen: Meines Herzens innerste, unveränderte Neigung in Röcken ist immer diese meine Francisca gewesen, mit Gewalt habe ich sie unterdrücken wollen und Alles dagegen versucht147, aber der liebe Gott hat sie mir doch noch zugeführt, und den letzten Ausschlag hat dazu meine liebe Mutter gegeben, die Fränzchen näher kennen lernte, und nun gleich der Mutter Oberlins immer zu mir sagte: Nimm Dir doch Fränzchen, nimm Dir doch Fränzchen! Heute Dom V. p. Tr. bin ich auf die Höhe gefahren und habe diesen Zug sonder Gleichen gethan – ich bin überglücklich, denn ich wurde geliebt, ehe ich es ahnte und werde nun geliebt – doch das sollst Du sehen noch in dieser Woche! Geschrieben Sonntag Abends 11 Uhr an meinem Verlobungstage! – Die herzlichsten Grüße an Alle die Deinen Nah und Fern vorläufig von Deinem Ludwig Nietzsche P.

Nr. 32. an Schenk, 25. August 1843

Röcken, den 25ten August 1843

„Die Liebe aber höret nimmer auf!“148 Mit dieser Versicherung begrüße ich Dich endlich wieder einmal, mein theurer Freund, nachdem ich so lange geschwiegen habe! Wie solch Schweigen möglich war bei meiner großen Liebe zu Dir und nach solchen Liebesbeweisen von Dir, wie sie mir und meiner lieben Braut der 19te Julius darbot – das begreife ich fast selbst nicht, obwohl ich Entschuldigungsgründe dafür genug anführen könnte! Hauptsächlich hat es daran gelegen, daß ich immer auf Deinen lieben Besuch gewartet habe, und ich muß auch sagen, daß ich es mir eigentlich nicht recht erklären kann, warum Du nicht gekommen bist, da meines Erachtens der Termin längst vorüber ist, wo Du nach Merseburg und Berlin reisen wolltest. Dachte ich doch fast, Du wärst bei Röcken vorübergegangen, und

146 

Franziska Oehler (1826-1897), war die Tochter von David Ernst Oehler (1787-1859), ev. Pfarrer von 1815-1859 in Pobles, und der Johanna Elisabeth Wilhelmine Hahn (1794-1876). Franziska war freilich nicht, wie Nietzsche notiert, die jüngste Tochter der Familie Oehler, sondern als Tochter die zweitjüngste, das fünfte von 11 Kindern (5 Töchter, 6 Söhne). David Oehler hat am 10. Oktober 1843 Franziska und Carl Ludwig in der Kirche Pobles getraut.  147  Wohl eine Anspielung auf das jugendliche Alter Franziskas bei ihrer Verlobung (17½).  148  Johannes 1,46. Nietzsche war kein Freund seiner Schwiegereltern. 

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würde Dich nicht mehr zu Hause treffen, wenn ich zum 14ten August mit nach Zeitz gekommen wäre; doch ließ ich dich durch meinen Schwiegervater grüßen, der mir auch sagte, daß du mich bei dem Feste in Zeitz erwartet hättest; allein ich glaubte, dabei könnten wir uns am wenigsten genießen, und daß Du als Zeitzer Geistlicher doch nicht (necessitate coactus)149 bei dem Feste sein würdest, konnte ich nicht ahnen. Übrigens war ich auch des zerstreuenden Lebens etwas müde, denn so lange ich Bräutigam bin, habe ich mit Besuche machen und Besuche erhalten viel Unruhe gehabt, sonst aber mich fortwährend meines Bräutigamstandes von Herzen gefreut, denn glaube es mir nur, ich bin ein sehr glücklicher Bräutigam, je länger je mehr; fürwahr, habe ich früher ein paar Mal geschrieben „ich fände nichts weiter als das hübsche Gesicht“ – da habe ich ein himmelschreiendes Unrecht begangen; ich muß Dir aber nun gestehen, daß ich dieß damals nicht aus Überzeugung schrieb, sondern, wie ich es nach dem wenigen Kennenlernen auch gar nicht konnte, nur darum, um mich zu überreden, darin einen Grund zu finden, von jener Wahl abzulassen – und doch ging es nicht – Gott sei Dank dafür, denn es ist eine herrliche glückliche Wahl gewesen; meine Franziska hat zwar nicht den reichen, gebildeten Geist und wohl auch noch nicht die entschiedne höhre Lebensrichtung und Herzensdurchbildung Deiner Emma, aber sie hat wie sie ein für Alles gar empfängliches Herz, und eine Liebe zu mir, die dahin glühend strebt, mein Alles werden zu wollen, die darum auch mit einer liebenswürdigen Demuth sich nicht bloß mir, sondern auch in bezaubernder Kindlichkeit meiner guten Mutter ganz unterordnet und ergeben ist. Selbst auch über das Haus meiner Schwiegereltern (das verachtete Nazareth unsrer Gegend) glaube ich früher zu scharf geurtheilt zu haben, nachredend dem, was Andere sagen; ich habe bis jetzt viel mehr dort gefunden, als ich suchte, mehr aber bei dem Schwiegervater, als bei der Schwiegermutter, was nun einmal eine komische Frau ist, vielleicht aber doch von besserem Kern, als die gar zu auffallende Schale verrathen läßt. Hoffen wir daher auch in dieser Hinsicht von der Zukunft das Beste, und schlagen nicht mit den sämmtlichen Pietisten wie z. B. Karo die Hände über dem Kopf zusammen, daß ich aus diesem Hause meine Frau wählen konnte, unterlassen namentlich alles pietistische […] an meiner Wahl, eingedenk, daß auch aus Nazareth Gutes und zwar sehr Gutes kommen kann!! – Ich schriebe gern mehr über diesen Punkt, aber ich denke, die kommende Zeit ist es doch allein, welche am Besten reden kann und wird, und so spreche ich es nochmals mit tiefem Dank gegen Gott aus: ich bin ein sehr glücklicher Bräutigam! – Der Bräutigamsstand eilt nun schon seinem Ende entgegen, denn es bleibt dabei der 10te October ist, so Gott will, mein Hochzeitstag; es wird dieser Festtag ganz in der Stille begangen und gar Niemand eingeladen, Du aber bist die einzige Ausnahme; denn Dich lade ich hiermit für meine Person feierlichst dazu ein, und hoffe keine Fehlbitte zu thun, sofern Du in Zeitz anwesend bist! Vorher spreche ich Dich aber jedenfalls, denn ich erwarte, die aufgeschobene Parthie mit

149 

Lat.: durch die Notwendigkeit gezwungen. 

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Deiner Emma zu uns ist nicht aufgehoben, umso weniger, als ich höre, daß Dein Mariechen ganz wieder vom Keuchhusten sich erholt hat. Diese Nachricht erhielt ich indirecte von Altenburg, wo meine Schwester Rosalie, nach Plauen reisend, Deine Frau Schwiegermutter besucht und sich ihrer, wie auch besonders des kleinen lieblichen Friedrich, außerordentlich gefreut hat. Übrigens hatte ich von Altenburg schon vorher Nachrichten durch Gersdorfen, der nach meiner Verlobungsanzeige mir sogleich einen prächtigen Brief geschrieben hat. Überhaupt habe ich bei dieser Gelegenheit vielfache Theilnahms- und Liebesbeweise erhalten, und Briefe von Freunden aus weiter Ferne, die ich längst zu den verlorenen Freunden rechnete (Boysen war aber nicht darunter, der ist freilich in einem andern Sinn verloren!) – Daß bei allen den Abhaltungen, welche zum Bräutigamstande gehören, nicht viel Weiteres zu Tage gefördert wird – obwohl ich nur ein Mal die Woche nach Pobles und Fränzchen 1 Mal nach Röcken geht – ist natürlich, doch lasse ich dieß, wie Du wohl glauben kannst, nicht dem Amte entgelten, und strebe dagegen gerade in dieser Zeit nach desto größerer Amtstreue, allein getheilt ist das Lebensinteresse jetzt doch und bei allen Arbeiten steckt mir mein Bräutchen im Kopf und Herzen, selbst auf der großen königlichen Synode! Es wurde da freilich vieles geschwatzt, wo man viel besser that, wenn man andre Gedanken dabei hatte, namentlich trat die rationalistische Pharisäer-Selbstgerechtigkeit auf greuliche Weise hervor, da ja ein Prediger sich nicht scheute zu sagen „die Gemeinde ließe ganz wenig zu wünschen übrig“ – und ein Anderer sogar „er habe sein Amt bisher so geführt, daß er es nicht besser führen könnte!“ Übrigens stand unser HErr Superintendent den Verhandlungen sehr würdig vor und leitete das Ganze mit großer Umsicht und Gewandheit ob aber Großes dadurch, ich meine durch alle die Synoden in summa erreicht wird – bezweifle ich mit Vielen, das Einzige vielleicht nur „man weiß nun Allerhöchsten Ortes, was für pia Desideria die liebe Geistlichkeit hat!“ Hast Du Dich dabei sehr activ benommen, ich nicht, sintemalen ich es für mich als einen so jungen Geistlichen unpassend erachtete, Vorschläge zu machen – aber nachgeschlagen und ein paar Mal zugeschlagen habe ich doch, obwohl ich jetzt sehr sanftmüthiger, unpolemischer Natur bin! Meine Predigten erhalten immer mehr ein practisches Ansehen, und ich strebe sogar danach nur Lebensthemata zu wählen, die sonst wohl die Rationalisten nur lieben – ich will da aber eben zeigen, daß auch wir von unserem Standpunkt aus, solche Themata durchführen können! – Was hast Du denn an dem deutschen, königlichen poetischen Feste gepredigt – ich nahm die Epistel des Sonntags als Text und sprach danach: Zu welchen Bekenntnissen drängt es uns an dem heutigen Jubelfeste? Nach dem Text: 1). So sind wir nun Gottes Kinder – das e u a d Segnungen d h F; 2). So sind wir nun Schuldner – das erinnert uns an die Verpflichtungen des heutigen Festes. 3). So sind wir nun Miterben – das erinnert uns an die Hoffnungen des heutigen Festes. Mündlich mehr darüber! Ja, mündlich – denn ich möchte wohl noch mehr schreiben, aber den Augenblick kann ich nicht mehr, und lasse ich den Brief noch länger liegen, so erhältst Du immer noch keine Nachricht von mir! Also Punctum – nur das Eine noch: kommst Du nicht recht bald, so schreibe wenigstens bald! Deine liebe Emma grüße ich

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herzlichst mit dem Bemerken, daß mich der 19te Julius zu dem Herzenswunsch drang: Meine Franziska möge werden eine zweite Emma! – Die Meinen empfehlen sich Euch vielmals durch Deinen treuen Freund LNietzsche P.

Nr. 33. an Nietzsche, 29. August 1843

Zeitz den 29. August 1843 Mein theurer Freund, In diesem Augenblicke, Nachmittag 5 Uhr, erhalte ich Deinen lieben, köstlichen Brief, und siehe, schon stehe ich am Pulte und beantworte ihn. Dazu drängt und treibt die Liebe, wie den des Herz voll ist und die durch die Feder aus und zu Dir überströmen will. Daß sie aber heut so rasch zur That treibt ist wirklich nichts Geringes und Du magst Dir immer etwas darauf zu Gute thun. Ich bin nämlich erst heut Mittag von einer 8tägigen sehr anstrengenden Fußreise durch den Thüringerwald hierher zurückgekehrt, die ganze vergangne Nacht gefahren, heut von Naumburg aus gegangen. Da bin ich denn etwas müde und angegriffen und hier nimmt mich natürlich auch mancherlei in Anspruch. Zunächst gleich diese Reise zu beseitigen, so entschloß ich mich sehr schnell, durch ein vermehrtes körperliches Uebelbefinden getrieben, meinen guten Schwager Otto in Jena zu besuchen, mit ihm gen Ilmenau zu wandern, um dort durch Autopsie die Kaltwasseranstalt kennen zu lernen und zu sehen, ob ich von ihr Gewinn erwarten darf. Von da gings dann noch weiter über den Schneekopf durch den ganzen nördliche Theil des Thüringer Waldes zum Inselbg und von da über Reinhardsbrun, Schnepfenthal, Gotha, Erfurt, Weimar zurück. Möge schon diese Fußreise für meinen Körper guten Erfolg haben und das so stark wieder hervortretende und auf das Gehör einwirkende Unterleibsleiden lindern; die Ueberzeugung habe ich noch mehr gewonnen, daß ein längrer Aufenthalt in einer Kaltwasser Heilanstalt nur heilsam für mich sein könnte. Wahrscheinlich aber kommts eben so wenig dazu, wie zur Reise nach Berlin und zum längren Aufenthalt dort. Es ist in meiner jetzigen Lage durchaus unmöglich, das erkenne ich immer mehr, und ich müßte es unterlassen, selbst wenn mir die Gewißheit des vollkommen günstigen Erfolges gegeben würde. An die gegen Wohl und Wehe ihrer Untergebnen im Ganzen doch gleichgültigen wenn nicht ganz herzlosen Behörde – als solche – mich noch einmal zu wenden und kläglich zu bitten – und kläglich müßte ich es, wenn ich meine ganze Lage der Wahrheit gemäß darlegen wollte – ist mir zu odiös und fast unmöglich. Vielleicht daß ich indeß doch noch einmal direct Sn. Majestät bitte.

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Da kann man doch eher ein theilnehmendes Herz voraussetzen und Vertrauen fassen. Meine Zukunft ist noch immer ganz dunkel. Nach Stolzenhain gehe ich nicht, oder besser, ich thue keinen Schritt dafür. Poserna soll so gut wie vergeben sein; wärs nicht und noch Zeit, so nehme ich da vielleicht noch einen starken Anlauf und sehe Dich dabei. Bisher war das unmöglich, so gern ich dich auch längst gesehen und gesprochen hätte. Sehr Schade war es, daß Du Deinen HE Schwiegervater150 nicht am 14 begleitetest, da hätten wir einmal 1 Tag ganz ungestört für uns gehabt. Doch Du konntest es ja nicht wagen, da Du mich verreist glauben mußtest, konntest mir eben deswegen nicht schreiben. Da bist Du vollkommen entschuldigt, aber ich weiß kaum, wie ich mich bei Dir entschuldigen soll, daß ich Dir nicht längst geschrieben und das mitgetheilt habe, was die Aenderung meiner Pläne bewirkt hat. Es war manches Unangenehme und Bittre dabei, und das vereint mit vielen Sorgen hat mich besonders abgehalten. Ich habe viel zu kämpfen gehabt, um den Lebensmuth und die Berufsfreudigkeit nicht zu verlieren. Wie schwach, wie Glaubens- und Vertrauensschwach, dabei wie undankbar ich bin, habe ich jetzt wieder recht erfahren. Hat mir der himmlische Vater doch bei dem schweren Kreuze des Herrlichen so viel gegeben, hat er mich doch namentlich als Gatte und Vater so überschwenglich reich gesegnet, daß ich gar nicht aufhören dürfte ihn auf meinen Knieen dafür zu loben und zu preisen. Er wird ferner helfen ich aber will nicht nachlassen zu beten: ich glaube Herr, hilf meinem Unglauben!151 Gelobt sei Gott besonders auch dafür, daß er Dich, Du theurer Freund, so glücklich gemacht hat in der Liebe Deiner Franziska. Möchte dieß Glück durch seine Gnade immer reicher und beseligender, möchte es durch nichts gestört werden. Das ist mein und meiner Frau beständger Herzenswunsch und innige Bitte. Der Erhörung sind wir in Hoffnung gewiß. Gern hätte ich Dir gleich nach Deinem lieben Besuche noch einmal schriftlich gesagt, wie so ganz und in jeder Beziehung Deine Franziska ebenso mir als meiner Emma zugesagt und uns befriedigt hat. Mit einem Munde haben wir Deine Wahl gebilligt und Euch in einander glücklich gepriesen. Deine Braut ist nicht bloß hübsch, gesund und gefällig sehr gut gebildet, sie ist auch ein kindliches, reines unverdorbnes Gemüth, das mit voller Wärme alles Gute umfassen und aufnehmen wird. So ist sie uns erschienen und herzlich freuen wir uns der Bestätigung unsrer Ansichten durch Deinen Brief. Noch einmal Gott segne euch! Das Reden über das Haus und so weiter ignorire. Es ist unzart genug jetzt noch Dir oder den Deinigen auch nur eine Andeutung davon zu machen. Wahrlich, wenn wirklich in nicht gutem Sinne ein Nazareth in P., so würde auch hier etwas sehr Gutes daraus kommen. Bald spreche ich Dich ausführlich, noch vor Deiner Hochzeit, zu der Du mich ausnahmsweise mit so herzlicher Liebe ladest. Halte Dich immer überzeugt, daß ich Deine Liebe ihrem vollen Werthe nach schätze und um keinen Preis sie verlieren möchte. Laß uns auch ferner mit einander

150 

David Ernst Oehler war der einzige Sohn des Leinenwebers und Zeitzer Bürgers Christian Ernst Oehler und seiner Frau Johanne Magdalene geb. Martin in Zeitz geboren und hatte auch das Zeitzer Gymnasium besucht. Des Öftern besuchte er daselbst seine Verwandten.  151  Markus 9,24. 

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gehen. Laß das Herzens- und Ehebündniß, das Du nun schließest, ebensowenig erkaltend auf unser Freundschaftsbündniß einwirken, als es bei mir der Fall gewesen ist. Nein ich hoffe, daß auch dadurch unser Bund umso fester wird, indem sich auch unsre Frauen lieben. Gewiß sie würden sich beide herzlich befreunden, wenn sie sich öfter sehen könnten. Vielleicht führt uns Gott doch noch zu einander. Meine Sehnsucht nach dem Leben und Wirken auf dem Lande wächst täglich. Ueber Deutschen Reichs Jubelfeier und die Synode kann ich heut so wenig schreiben, als über Andres, was das Amt angeht. Mündlich viel und bald. Im Hause stehts, Gott Lob und Dank! fortwährend gut. Dein Pathchen gedeiht herrlich, der böse Keuchhusten ist gut überstanden. Nun sollen die Blattern geimpft, dann entwöhnt werden, dann erwarten wir die Zähne, und das Laufen und Sprechen lernen. Welch beglückende Aussichten! Gott behüte das theure Kind und die noch theurere Mutter. Wir beide grüßen Deine Lieben in R. und P. auf das herzlichste, und Dich mein Frauchen besonders. Gott gebe uns bald ein frohes Wiedersehn. Dein Schenk.

Nr. 34. an Schenk, 4. Oktober 1843

Röcken den 4ten October 1843

„Unmöglich kann ich aus meinem Bräutigams- resp. Junggesellen-Stand heraustreten, ohne noch einige Zeilen an Dich, den theuren Freund meiner Jugend zu schreiben“ – so, lieber Schenk, wollte ich schon an Dich schreiben, als mir Dein lieber Brief zuvorkam, der mich daher ebenso beschämte, als wahrhaft erfreute! Gern antwortete ich Dir ausführlicher darauf, aber es geht mir jetzt so viel durch Kopf und Herz und Haus, daß ich kaum die nöthigsten Amtsarbeiten ordentlich vollbringe, die aber gerade so überhäuft sind, daß ich alle Morgen fast um 4 Uhr aufgestanden bin – mußte ich doch binnen 8 Tagen vier Predigten machen, das Gewöhnliche abgerechnet! Heute also nur das Allerwichtigste und Allernöthigste, dazu rechne ich vor Allem, Dir mitzutheilen, daß wieder eine Pfarrstelle vacant ist, die ganz für Dich gemacht ist, nämlich Großkugel bei Halle (an der Chaussee nach Leipzig, 1 Stündchen von Schkauditz) – der jetzige Pfarrer P. Hörnlein152 kommt,

152  Christian

Osmünde.

Ernst Ludwig Hörnlein (1797-1865), ev. Pfarrer, 1825-1843 in Großkugel, später in

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wie er mir selbst mitgetheilt hat nach Osmünde (also nicht Marks). Die Stelle beträgt 500-600 Thl. wie Poserna, hat nur das eine Dorf und noch dazu eine kleine Gemeinde, überhaupt Alles, was eine Pfarrstelle angenehm macht. Mir aber schlägt bei dem Dörflein Großkugel das Herz hoch auf, denn dort habe ich meine erste Predigt gehalten und überhaupt gar herrliche Stunden verlebt; das war die Stelle, welche ich suchte, o wenn Du dahin kämest!!! – Ja, was Du dafür thun kannst, mußt Du thun, und zwar schleunigst mit Aufbietung aller Kräfte und Wege; wegen der Gemeinde wandte ich mich seiner Zeit an Hörnlein und bin überzeugt, daß er die Gemeinde für Dich stimmt, da er sehr friedlich und freundlich mit ihr seit 1825 steht. Gottes Wege sind wunderbar – daß ich in Großkugel bekannt wurde, und daß ich Hörnlein ganz zufällig sprach – ist wunderbarlich gewesen, vielleicht Alles dazu, daß noch größere Wunder daraus entstehen – ich sehe Dich schon im Geist zu Großkugel – quod Deus bene vertat!153 – Was ich nun ferner heute noch schreiben muß, sind Klagelieder, daß Du und Deine liebe Emma nicht bei meiner Hochzeit zugegen sein wollet; ich kann freilich dazu nicht viel sagen, denn ich weiß eines Theils, was Euch davon abhält, anderen Theiles ist allerdings meine Einladung unvollständig, da ich sie nicht im Namen meiner Schwiegereltern aussprechen kann, aber Du hast das kleine Pfarrhaus gesehen, und wirst es ihnen daher nicht übel nehmen, wenn sie sagen: „wir können nur die allernächsten Verwandten dazu einladen.“ Übrigens will ich Dir auch gestehen, daß ich fürchte, gerade Du werdest an diesem Tage weder einen Genuß noch einen Gewinn haben – aber dennoch, dennoch läßt mir mein Herz keine Ruh, wiederholt zu rufen „Komme zur Hochzeit!“ – Es ist beim 10ten October geblieben! – Das Letzte, was ich noch für nöthig halte, Dir zu schreiben, betrifft unsern Homoeopathen – ich hatte das erwartet, dass er Dir nicht ohne Weiteres schreiben würde; Du sprachst Deine Abneigung gegen seine Cur so entschieden aus, daß er es andeutete „aufdrängen wolle er sich nicht“. Nun meine Mutter hat es nicht unterlassen können, ihm Deine Äußerung brieflich mitzutheilen, und ich denke, daß er nun bald etwas von sich hören lassen wird, was aber sogleich geschehen würde, wenn Du an ihn (Dr. Ehrhardt) ein Paar Zeilen schriebst. Ich meine, daß Du Alles, Alles versuchen solltest, nächstes Jahr eventualiter auch die Wasserkur, wozu Dir zu verhelfen ich längst schon auf Mittel und Wege gesonnen, hoffen wir das Beste! – Auf Deine übrige Mittheilung antworte ich ein ander Mal und ich denke und hoffe „mündlich!“ nur das Eine muß ich noch hinzusetzen, aber nicht als eine bloße Höflichkeitsform (oder wie Du es nennst, vornehme Sitte), sondern als des Herzens innerste Meinung, daß mir Dein lieber Besuch eine große, große Freude war und noch immer eine süße Erinnerung ist, wobei ich baldige Wiederholung hoffe und wünsche! Und so sei denn hiermit Gott befohlen, wie ich es mir von Dir erbitte, meiner im frommen Gebet zu gedenken, daß alle Dinge mir zum Besten dienen! -

153 

Lat.: Gott wolle es gelingen lassen. 

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In unwandelbarer Liebe bleibe ich Dein treuer Freund LNietzsche P. Die herzlichsten Grüße von Haus zu Haus! –

Nr. 35. an Nietzsche, 8. Oktober 1843

Zeitz den 8 October 1843 Mein theurer Freund, Die nachstehenden Zeilen sollten Dir das Alles in Worten aussprechen, was mein Herz in diesen Tagen besonders für Dich fühlt, sie sollten Dir so warm und innig die Wünsche für Dein Glück zum höchsten und köstlichsten Festtage Deines Lebens ausdrücken, wie ich sie in meiner Brust hege. Allein ich vermag das nicht mit der Feder und ein Andrer wohl ebenso wenig. Ist das Herz ganz voll und ergriffen, so schweigt man am liebsten. So möchte auch ich mich statt dieser Zeilen lieber selbst in Deine Arme legen, Dich an mein Herz drücken, und durch eine stumme innige Umarmung, durch den Blick des Auges Dir am besten sagen, was mich bewegt. Dem aber steht zu viel entgegen, so rufe ich Dir nur aus voller theilnehmender Seele den Blick nach Oben gewendet zu: Das walte Gott! Ja er wolle mit der Fülle seiner Gnade über der Stunde walten, da Du vor Seinem Angesichte die Erwählte Deines Herzens als Dein Weib nimmst, Er wolle aus dieser Stunde einen Strom des Glückes und des Segens sich ergießen lassen über Dein Leben, und dadurch auch über das Leben derjenigen, die nur in Dir ihr Glück findet, Deiner lieben, verehrten Mutter . Mögest Du noch glücklicher werden, als ich es durch den Besitz meiner Emma geworden bin, da bei Dir sich noch mehr nach Innen und nach Außen alle Bedingungen des Glückes vereinigen. Verbunden wollen wir dann zeugen von der Lieblichkeit und Köstlichkeit des Ehestandes, und denen durch das Beispiel vorleuchten, die auf uns sehen. Der Tag, der bisher schon ein froher Festtag Deiner Familie war, wird nun als schönes Doppelfest von ihr gefeiert. Vielleicht daß Gott es auch uns vergönnt, in den folgenden Jahren daran Theil zu nehmen, da es in diesem nicht möglich war. Unsere Bitten und Gebete aber vereinigen sich Uebermorgen mit den Eurigen und steigen zu Gott empor. Emma und ich denken jetzt immer an unsren Hochzeitstag im vergangnen Jahre, da Du den Bund unsrer Herzen weihtest. Möge der Deinige heitrer und festlicher sein als es der unsrige war, wo so viele schmerzliche Erinnerungen wach wurden. Gelobt aber sei Gott, dass er auch uns zu Zeugen gemacht

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hat für die Wahrheit seines Wortes: „Die mit Thränen säen, werden mit Freuden erndten.“154 Besser aber noch mit Freuden als mit Schmerzensthränen säen, und auch mit Freuden- und Dankesthränen erndten. Und so seis bei Dir. Meine Emma wollte es sich ebensowenig als meine Schwiegermutter versagen, Dir besonders ihre Glückwünsche darzubringen. Sie bitten ihre kleinen Gaben freundlich anzunehmen, die Mutter besonders, daß Du Gesundheit und langes Leben aus der Tasse trinken mögest. Das Glas brauche täglich und gedenke dabei immer in Liebe dessen, auf den Du immer als auf einen treuen Freund bauen kannst. Der Geliebten Deines Herzens bringe mit den herzlichsten Grüßen unsre innigsten Glückwünsche und führe sie uns bald als glückliche Gattin zu. Wir freuen uns außerordentlich darauf, Euch bald hier zu sehen, und bitten Gott, daß Er dazu noch recht schöne Tage sende. Für Deinen Brief voll Liebe und mit seinen Nachrichten, die beherzigt werden, noch besondren Dank. Immer in unveränderter Liebe Dein treuer Freund Schenk

Nr. 36. an Schenk, 18. Dezember 1843

Röcken, den 18ten December 1843

Ehe die viele Weihnachtsarbeit kommt, drängt es mich noch einmal Dir, mein theurer Freund, zu schreiben; sind doch schon wieder mehre Wochen vergangen, seitdem wir uns nicht gesprochen und geschrieben haben, – und habe ich doch Dir noch gar nicht für Deinen letzten lieben Brief meinen herzlichen Dank gesagt! Dieß geschehe denn hier zunächst und zwar nicht bloß in Bezug auf Dich, sondern auch rücksichtlich Deiner geliebten Emma, denn ihr ganz besonders den herzlichsten Dank zu sagen für ihr liebes herrliches Briefchen bin ich von meiner lieben Mutter feierlichst beauftragt. Ich kann Dir gar nicht genug sagen, wie sehr meine Mutter durch diesen Brief Deiner Emma erfreut wurde und ist; sie hatte die liebe Briefstellerin schon durch ihre persönliche Erscheinung so außerordentlich lieb gewonnen, daß sie Dich um dieses Weibes willen immer und immer wieder glücklich prieß – aber durch diesen Brief ist ihre Liebe, Hinneigung und Werth-

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Psalm 126,5. 

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schätzung noch gar sehr gewachsen und die „jugendliche Freundin“ wird ihr immer und ewig lieb und theuer sein! Das Brieflein ist sogar in ferne Lande gewandert und ist zu Plauen in dem versammelten Familienkreise vorgelesen worden worauf mehrfach Stimmen der Art ertönt sind, daß sie die Frau Archidiakon Schenk schon um dieses Briefes willen herzlich lieb gewonnen hätten!! Darum Sirach: 26, v 1-4155!! Gott aber sei Dank, daß ich nicht bloß Dich, sondern auch mich um Gleiches Willen glücklich preisen kann – es sind nun schon 10 Wochen, daß ich mit meiner Franziska verbunden bin, und ich kann sagen, sie ist mir mit jedem Tage lieber und theurer geworden, und wir meinen, daß unsre Ehe nicht bloß im Himmel geschlossen wurde, sondern daß wir sie jetzt auch schon im Himmel führen – der liebe Gott gebe, – das war mein Wunsch bei unsrer gestrigen ersten Abendmahlsfeier – daß wir also uns immer dar einander freuen können – hier und dort!! – So ist unser Leben in aller Stille und Seligkeit ohne große Ereignisse dahingegangen und ich wüßte von den letzten 6 Wochen nichts Besondres Dir mitzutheilen; unsre Visiten (auch in Naumburg war ich einmal) haben uns zwar noch an manchen Ort geführt, aber auch da war nur das Alltägliche zu hören und zu sehen! Auch in meinem amtlichen Leben ist große Ebbe gewesen und ich freue mich ordentlich, daß die Weihnachtszeit eine Fluth von Arbeit bringt – habe ich doch vom IV Advent bis I p. Epiph., also in 14 Tagen 20 Gottesdienste zu halten, 15Mal auf der Kanzel zu stehen und 8 verschiedene Predigten zu machen, die möglichen Extrafälle natürlich ungerechnet. Mit meinen 3 Weihnachtspredigten wäre ich rücksichtlich der Disposition so ziemlich ins Reine, sie behandeln alle: Unsre Weihnachtsfreude! 1). Eine Freude des Glaubens – denn in dem Glauben ruhet der Grund, der Grad, der Werth unsrer Weihnachtsfreude. 2). Eine Freude der Liebe – denn die Liebe bereitet, erhöhet und heiligt unsre Weihnachtsfreude. 3). Eine Freude der Hoffnung – denn die Hoffnung sagt uns, daß unsre Weihnachtsfreude noch allgemeiner, wirksamer und himmlischer werden wird! – Es ist des Predigens viel, da muß man mit dem Stoff haushältrisch umgehen, so habe ich in meinen 2 Advents-Wochenpredigten das eine Mal gesprochen über die Worte: „Saget – der Tochter Zion – Siehe! – und das andre Mal: Dein – König – kommt – zu Dir!“ Bei solchen Predigten fühlt man auch den Reichthum des göttlichen Vaters, obwohl man ins Spielen kommen kann; ich habe solch Spielen aber gern, und darum zieht mich auch ein Buch von Goßner sehr an, was ich mir jetzt (zu 1 Thl. 4 Sgr) gekauft: Evangelische Hauskanzel, Auslegung und Erklärung der Sonntagsevangelien; möchten die Episteln so auch erscheinen! Warum ich mir das Buch eigentlich kaufte, fand ich nicht ganz darin, ich wollte es zum Vorlesen in den Kirchen benutzen lassen, wenn ich Vacanzen habe (wie am I Advent in Maßnitz, wo ich fast immer in Verlegenheit bin) – gieb mir aus dem Schatze Deiner bibliographischen Kenntnisse einen guten Rath!

155  „Wer

eine gute Frau hat, ist ein glücklicher Mann; er lebt doppelt so lange. Eine tüchtige Frau macht ihrem Mann Freude; er wird seine Lebensjahre in Frieden vollenden. Eine gute Frau ist ein grosses Geschenk; der Herr gibt sie denen, die ihn ernst nehmen. Gleichgültig, ob ein solcher Mann reich oder arm ist, er ist zufrieden, und sein Gesicht ist immer fröhlich“ (Jesus Sirach 26,1-4). 

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Ja, ich hätte gar oft Veranlassung mir Deinen Rath zu erbitten, und Mancherlei mit Dir zu besprechen, wenn wir noch wie vorzeiten im Altenburger Schloß bei einer Tasse Thee wöchentlich, ja täglich zusammenkommen konnten; so aber verdrängt eins das Andere und spricht man sich einmal, da fällt einem oft das Rechte nicht ein! – Ganz besonders habe ich einmal an Dich gedacht, als der Freudenruf erklang: „[…] ist todt!!“ „Geliebt, beweint von hinnen gehen, das ist der Menschen schönstes Loos“ – armer […], wie ist Dir von diesem Loos auch nicht ein Fünkchen zu Theil geworden, denn wo man hinhört, ist über seinen Tod Freude gewesen! Wenn wir aber nur nicht aus dem Regen in die Traufe kommen, man spricht von manchem Mann als seinem Nachfolger, den wir uns nicht wünschen können – 33 haben bis jetzt angehalten, darunter unser Wilke nicht, obwohl von Karo dazu aufgefordert; ich glaube aber Wilke wäre ganz der Mann dazu, und darum brachte ich ihm auch bei seiner Geburtstagsfeier am 6ten December folgenden Toast aus: Einst lebte zu Myra im Lycienland ein frommer Bischof, uns wohl bekannt, er war ein treuer Bekenner des HErrn, geliebt und geehrt von nah und von fern; Nicolaus nennt seinen Namen der Kalender, so heißt ihm zu Ehren der 6te December! Durch den 6ten December – vor 40 Jahren – ist uns ein gleiches Heil widerfahren, da wurde der theure Mann geboren, den der HErr uns zum Führer und Freund erkohren – er ist auch ein treuer Bekenner des HErrn geliebt und geehrt von nah und von fern! Nun daß ihm bald auch werde die Bischofs Würde gegeben, darauf lasset unsern hochwürdigen Ephorus hoch leben! Lache nicht, daß ich Dir dieß hier schreibe, es ist mir fast wider Willen aus der Feder gekommen; nur eins will ich noch ad […] bemerken, Alt156 aus Hamburg, Poyda157 aus Bitterfeld, Heydenreich158 aus Weißenfels, Pollmann159 aus Leuna sollen die eifrigsten Bewerber sein! […] Beerdigung war daran Schuld, daß ich nicht nach Halle zur GA Verein160 kam, ich wollte mit Wilken gemeinschaftlich reisen, und nun mußte er nach Merseburg. Hast Du Neues und Intressantes auf dem geistlichen Gebiet erfahren – wie steht es mit Deiner Gehaltsverbesserung, was macht Frau und Kind, hast Du viel heilige Christ eingekauft – heißt wohl bei Dir, wie bei mir „wenig mit Liebe!?“ – Ja, wenig mit Liebe, herrlicher Schluß zu diesem Brief, den der Bote zur Post haben

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Johann Karl Wilhelm Alt (1797-1869), ev. Pfarrer, Dr. theol., 1835-1860 Archidiakon in Hamburg, ab 1860 Senior des geistl. Ministeriums.  157  Johann Heinrich Boyde (1799-1851), ev. Pfarrer, von 1840-1851 Oberpfarrer und Superintendent in Bitterfeld.  158  Gustav Heinrich Heydenreich (17911857), ref. Pfarrer, Dr. theol., 1831-1857 Diacon und Archidiacon, später Oberpfarrer und Superintendent in Weißenfels.  159  Karl Wilhelm Pollmann (1802-1862), ref. Pfarrer, Dr. theol., 1836-1851 Pfr. in Leuna und Superintendent der Diözese Merseburg, später Pfr. in Reideburg und Superintendent in Halle-Land II.  160  Der Gustav-Adolph-Verein, ein deutsches evangelisches Hilfswerk, ist eine Gründung der Erweckungsbewegung. Er unterstützt(e) „weltweit evangelische Gemeinden, ihren Glauben an Jesus Christus in Freiheit zu leben und diakonisch in ihrem Umfeld zu wirken“ (Vereinsstatuten). In Altenburg war 1844 ein GA-Verein entstanden, nachdem der Großherzog einer Gründung zugestimmt hatte. Wie sein Vater Carl Ludwig, so war auch sein Sohn Friedrich kurz nach der Aufnahme des Theologiestudiums in Bonn Mitglied des akademischen Gustav-Adolph-Vereins geworden und hatte da aktiv mitgewirkt. 

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will, nun besser etwas als nichts, siehst Du doch daraus, daß ich Dich noch herzlich liebe und Deiner mit freundlichsten Segenswünschen zur Weihnachtszeit gedenkt Dein treuer Freund LNietzsche P.

Die herzlichsten Grüße von den Meinen an Dich, Deine liebe Emma und das Prachtkindchen Marie und auch nach Altenburg von mir! – Meine Mama fragt noch an, wie Mariechen das Grießmüßchen bekäme und ob sie es gern äße – und ob Du wieder an den Dr. Ehrhardt nach Merseburg geschrieben hättest, was doch nöthig wäre! – Nöthiger aber ist doch, dass Du bald an Deinen Nietzsche schreibst!? –

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Nr. 37. an Schenk, 24. Januar 1844

Röcken, den 24ten Januar 1844 Mein theurer vielgeliebter Freund! So ist bald schon der zwölfte Theil des neuen Jahres verschwunden, und noch habe ich Dir meinen herzlichen Glückwunsch nicht gebracht; nur habe ich ihn auch noch nicht niedergeschrieben, ausgesprochen im Geist habe ich ihn doch und habe mit Gebet und Fürbitte Deiner und Deiner Lieben an dem Morgen des neuen Jahres gedacht, namentlich in meiner Neujahrspredigt, wonach Du zu denen gehörst, welchen das neue Jahr durchaus Glück bringen muß, denn wahren Christen muß das neue Jahr Glück bringen, oder wenigstens, wie auch mein Thema lautete „Nur wahren Christen kann das neue Jahr Glück bringen, denn nur sie wissen recht, was Glück ist, treiben recht, was Glück bringt, und beten recht, daß Glück kommt!“ – Ists nicht so? Freilich ist da Manches mit zum Glück zu rechnen, was wir sonst wenn nicht Unglück doch Trübes und Schmerzliches nennen, aber meine Neujahrsbegrüßung ist doch wahr, weil gerade solcherlei Unglück zum rechten Seelenglück führt, und dieß zugleich der beste Trost in allem Leide ist! Doch Dir wünsche ich nur solches Glück, wo von Trübem und Schmerzlichem gar Nichts dabei ist; – mir aber hat in dieser Hinsicht der erste Monat des neuen Jahres ein schlechtes Prognosticon gestellt! Schon der 4te Januar brachte uns einen ganz großen Schmerz, indem da in Plauen mein theurer Onkel und Pathe der Kaufmann Krause161, meiner lieben Mutter letzter Bruder, an einem Schlagfluß verstorben ist! Er war das Haupt und die Krone unsrer ganzen Familie, mein und meiner tieftrauernden Mutter großer Wohlthäter, von uns Allen heiß geliebt!! Zugleich mit dieser gar schmerzlichen Todesnachricht, die uns noch dazu ganz unerwartet kam, wurde uns auch von Eilenburg geschrieben, daß mein Onkel Balster an einem Schleimfieber bedenklichst darniederliege und von Halle schrieb mir mein Neffe August Dächsel, daß sein jüngster Bruder (stud. jur.) an einem Nervenfieber zum Tode krank sei! Nicht lange darnach wurde auch mein Frauchen krank und endlich legte ich mich selbst an dem in hießigen Gegenden

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Carl Gottlob Krause (1773-1844), Kaufmann, ehelichte 1802 Caroline Marie Wilhelmina Schmid (1780-1845). Das Ehepaar hinterliess eine Adoptivtocher mit Namen Emma Louise Grüne (18121885). Krauses Ehefrau Caroline führte zusammen mit ihrem Mann in Plauen die Weißstickerei ein und sorgte dafür, dass dieser nützliche Zeitvertreib zum Broterwerb für viele Menschen wurde. Carl Gottlieb Krause trieb damit als erster Handel. 

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grassirendem Schnupfenfieber! Nun geht es zwar, Gott sie Dank, mit den zuletzt genannten 4 Personen wieder besser, aber angst und bange mußte uns vor dem neuen Jahr werden, da es also anfing! Auch Du, theurer Freund, hast das neue Jahr mit Sorgen angetreten, namentlich auch in Bezug auf die Gesundheit Deiner lieben Frau – nun vielleicht bringt die projectirte längere Wasserkur Dir und ihr volle Gesundheit, aber freilich um einen großen Preis, das Amt so lange zu verlassen und so viel Kosten daran zu wenden; wenn ich Dir doch in beidem hülfreich sein könnte, aber in Beidem ist es ja unmöglich, ja hätte ich nicht geheirathet, und lebte mein Onkel Krause noch, so könnte ich Dir wohl mit Geld aushelfen, aber so ist alles dahin! Solltest aber Du durchaus keine Geldquelle haben, so schreibe mir es aufrichtig und ich will mir dann, so viel Du brauchst, ohne daß Dein Name dabei genannt wird, auf meine Rechnung borgen; es wird schon gehen, schlimm ists, daß meine reichen Verwandten in Eilenburg162 Herzen haben wie Stein, ja richtiger gar keine Herzen haben, sonst könnte ich Dir augenblicklich aus der Noth helfen! Übrigens erinnere ich Dich an das Evangelium des nächsten Sonntags – wenn wir auch in unsrem Schifflein zu verderben fürchten, der Wasser in Wein, Leid in Freud verwandelt, kann auch jetzt noch dem Sturm und Meer gebieten! – Was nun Deinen letzten Brief betrifft, den ich, wie Du merkst, schon hiermit zu beantworten angefangen, so habe ich Dir vor Allem meinen herzlichsten Dank für die guten Wünsche zu bringen, die Du mir doppelt dargebracht hast, denn auch das Zettelchen ist von Deinem Dienstmädchen richtig abgegeben worden, und beglückte und erquickte mich gerade, wie Du wolltest, am Neujahrstage, -Abends, als wir von Pobles zurückkamen, wo uns auch zum neuen Jahr ein schlechtes Omen widerfuhr, indem wir beinahe umwarfen, aussteigen mußten, so daß sich mein Mütterchen nicht wieder einsetzte, sondern mit mir zu Fuß nach Röcken zurückging. Ich ging dann zu Fuße nach Pobles und meine Mama blieb allein zu Hause und da war zu ihrer uns sehr erwünschten Unterbrechung ihrer Einsamkeit Dein Dienstmädchen mit Deinem so freundlichen Neujahrsgruß gekommen; später ist Dein Mädchen noch einmal gekommen und hat Dein Zeugniß richtig erhalten. Es war nun zwar bloß Dein Dienstmädchen, aber uns doch außerordentlich lieb, einen lebendigen Zeugen Deines Lebens und Wirkens zu sprechen – auch hier war die Tradition des Evangeliums Deiner Maria wegen seiner Vervollständigung gar nicht zu verachten und sehr lieblich zu hören, wie von Dir zu lesen – Gott erhalte Euch diese Freude, und ich will mich mit Euch freuen (ist nicht mit einem Hinter-Unter- oder Nebensinn zu verstehen!) wenn ich einmal zu Dir komme, wonach mein Herz sehr verlangt, und vor Eurer Abreise sicherlich, so Gott will, noch geschehen wird. Welches Wasserbad wählst Du denn? Jetzt ist auch in Tharandt ein Solches errichtet, da könnte ich Dich an einen geistreichen Verwandten, den Forstrath (?) Schweitzer empfehlen, Dich vielleicht auch besuchen, da ich in diesem Jahr

162  In

Eilenburg lebte Clara Caroline Friederike Balster (1825-1885), die Tochter von Christliebe Friederike Balster-Krause (Anm. 200). Sie war seit 1843 verheiratet mit dem Fabrikanten Gustav Ehrenberg (Anm. 265). Vermutlich meint Nietzsche mit seiner Bemerkung diese Verwandtschaft. 

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gern einmal mit meinem Fränzchen nach Dresden will, wenn erst wieder überflüßiges Geld da ist. Solltest Du aber nicht besser thun, lieber eine bewährte und renommirte Wasserheilanstalt vorzuziehen, vielleicht Gräfenberg selbst – Du freust Dich auf die Muße Deiner Badezeit wegen des Arbeitens in der Theologie! Das laß nur gleich, denn die gänzliche Ruhe des Geistes gehört mit zum Gelingen der Kur, lebe einmal nur Deinem Körper, laß also auch da die Theologie, wenn Du jetzt auch nicht dazu kommst! Geht es mir doch auch so, worüber ich mich freilich sehr ärgere – es giebt eine solche Menge kleiner Arbeiten und Abhaltungen im Amte und Hause daß man, wenn man nicht die Nacht dazu nimmt, wirklich zu nichts Größerm kommt, und die gelehrte Theologie sehr in den Hintergrund tritt! Mit einem großen Entschluß trat ich ins neue Jahr, ich wollte für den Druck arbeiten: die epistolischen Pericopen zum Gebrauch in kirchlichen Betstunden! Bis jetzt ist noch gar nichts geworden, obwohl ich solch eine Bearbeitung für zeitgemäß und nach der Art, wie ichs wollte, auch für neu halte. Etwas muß doch werden, ich habe in unserer Mai-Predigerconferenz den Vortrag, worüber? ja, da komme ich zu keinem Entschluß, rathe mir Etwas, das für diesen Zweck nicht zu gelehrt doch auch nicht zu gewöhnlich, nichts zu hohes, doch auch nicht zu leichtes, jedenfalls etwas Intressantes ist! – In Bezug auf meine homiletischen Mittheilungen hast Du mir zu viel Elogen gemacht, da bleibe ich mit meinen Brosamen, oder wie Lisco163 sagte, Hobelspänen zu Hause, einem solchen Meister wie Du bist gegenüber! Was Deine amtliche Wirksamkeit betrifft, so hatte ganz dasselbe, was Du schreibst, mir so eben der Mutschauer Osswald164 erzählt, der gerade bei der Ankunft Deines Briefes bei mir war und noch etwas von Dir dazusetzte was Du nicht schreibst, daß in ganz Zeitz besonders noch Deine außerordentliche Wohlthätigkeit gerühmt werde! Nun was Du dem leztren leihst, das wird er Dir auch wieder geben – Regierung, ich meine die Merseburger habe ein Herz – der herzlose Consistorialrath wird gar nicht für jetzt wieder ersetzt nur ein Superintendent und Domprediger wird gewählt, und da spricht man allgemein, wie Caro nach Lützen geschrieben, von Langer165, der, da die Superintenden nicht der Rede werth ist, dazu auch Lust haben soll. – Ich will diese Zeilen nun fortschicken, damit Du wenigstens Etwas von mir hast; schreibe mir bald, bald wieder – ich verspreche Dir Gleiches mit Gleichem zu vergelten; wie immer die allerherzlichsten Grüße von den Meinen an die Deinen, auch nach Altenburg von Deinem LNietzsche P.

163  Friedrich

Gustav Lisco (1791-1866), ev. Pfarrer, Dr. theol. h.c., Prediger in Berlin, fruchtbarer theologischer Schriftsteller.  164  Carl Gustav Oßwald (1811-1891), ev. Pfarrer und Bruder des Gustav Adolf Oßwald (Anm. 115), amtete von 1843-1884 in Mutschau.  165  Friedrich Wilhelm Langer (1803-1866), ev. Pfarrer, 1833-1845 Diacon am Merseburger Dom, 1845-1866 Oberpfarrer und Superintendent in Zörbig. 

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Der Aufsatz in der Rhein Kirchenzeitung: von der Altenburg-Preuß. Grenze – über Gersdorfs Buch war von mir aber abgekürzt und entstellt wie ich es von Rheinwald gefürchtet hatte. – Der Tractatenverein, an den ich bei dieser Angelegenheit geschrieben, hat mir gar nicht darauf geantwortet!! – Schwanenorden – Hm!?

Nr. 38. an Nietzsche, 13. Februar 1844

Zeitz den 13. Februar 1844 Mein theurer Freund, Du hättest längst auf Deinen herzlichen Brief eine schriftliche Antwort, wenn ich Dir nicht selbst eine mündliche hätte bringen wollen. An dem Freitage, welcher mir Deinen Brief brachte, wollte ich zu Dir gehen, den darauf folgenden Sonntag in Deinen Kirchen predigen und nachmittags hierher zurückkehren, allein das Wetter verhinderte die Ausführung des Plans. Die aufgeschobene mir so liebe Partie wollte ich nicht aufgeben und hoffte sie nun Ende vergangner Woche machen zu können, weil ich da wieder Freitag und Sonntag nicht zu predigen hatte, allein da kamen mehrere Casualien für mich als Wöchner, und so mußte ich sie wieder unterlassen. Da will ich Dir denn nun doch lieber schreiben, weil die Fußreise bei der immer milder werdenden Witterung die schlechten Wege bringt, doch sehr problematisch wird, und kaum vor Ostern ausführbar scheint. Vielleicht können diese Zeilen, die Dir so recht meinen guten Willen zeigen, Dich antreiben, bald mit Deiner geliebten Franziska zu uns zu kommen. Euch können des HE Schwiegervaters rasche Pferde schnell im bequemen Wagen her und zurück bringen. Ich hoffe wirklich Euch recht bald hier zu sehen, noch vor den vermehrten Arbeiten der Passionszeit. Zu Hause und bereit Euch würdig, d. h. mit einem Herzen voll Liebe und Allem, was das zu spenden vermag, zu empfangen, findet Ihr uns immer. Also erfülle bald Deine auch durch Deinen letzten Brief erregten Hoffnungen. Vergessen wir auch Manches beim persönlichen Zusammensein zu besprechen, was uns sonst curae cordique166 ist, so wendet sich dafür das Gespräch auf Gegenstände, die man vorher nicht ins Auge gefasst hatte, und dann, wie viel ist`s schon werth, dem Freunde einmal wieder auf Stunden nahe zu sein, seine Stimme zu hören, und wirklich sich wieder mit ihm zusammenzuleben, wozu wirklich gehört, daß man dieselbe Luft einathmet und miteinander spricht, ißt und trinkt. Also komm noch ehe der Frühling kommt, und uns in weitre Ferne führt. Das soll, so Gott will, doch noch gleich nach Ostern geschehen.

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Lat.: sehr am Herzen liegt. 

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Das Urlaubsgesuch ist abgegangen und erbittet vorläufig 3 Monate, nach Elgersburg bei Ilmenau im Thüringer Walde. Freilich ist dabei entschieden auf eine Badeunterstützung gerechnet, und würde sie nicht gewährt, so müßte die Reise unterbleiben, selbst wenn der Erfolg ebenso gewiß wäre, als er jetzt ungewiß, ja unwahrscheinlich ist. Nur mit schwerem Herzen und nach langen Kämpfen habe ich noch den entscheidenden Schritt gethan. Das Amt zu verlassen auf so lange Zeit fiel zu schwer, die häuslichen Verhältnisse zeigten kaum geringre Hindernisse. Über Alles bald mündlich mehr. Bitte nur Gott mit uns, daß er seinen Segen auf unser Beginnen legt. Für Deine Theilnahme, die sich in ächter Freundesweise auch durch die That bezeigen möchte, danke ich Dir herzlich. Gebe Gott, daß ich Andrer Hülfe gar nicht bedarf! Käms doch dahin, so würde ich mich nicht scheuen, wenigstens vertrauensvoll zuerst den nächsten Freund davon in Kenntniß zu setzen. An den traurigen Schickungen Gottes in Deiner Familie und besonders an dem Tode Deines Oheims, den ich ja als Deinen väterlichen Wohlthäter aus Deinen Erzählungen kenne, haben wir innigsten Antheil genommen. Wir bitten mit Euch Gott, daß diese Prüfung die erste und letzte für dieses Jahr und für lange Zeit sein möge; sind aber auch mit Dir lebendig von der Ueberzeugung durchdrungen, daß solche und noch schwerere Verluste, das wahre Christenglück nicht stören können, ja daß dieß Jahr uns Glück bringen muß, wenn wir es als wahre Christen an dem rechten Orte und in den rechten Dingen zu suchen verstehen. Wie kläglich es mit dem sogenannten Glück der Welt bestellt ist, sehen wir ja täglich an ihren Glückskindern, mit dem wir sogar, denen am wahren Christenthum so viel fehlt, in unsrer Armuth und bei allem Druck des Lebens nimmermehr tauschten. Nun Dir soll in Herz und Haus Liebe und Friede und Freude grünen und blühen, und so Dein ganzes Leben mit dem schönsten Kranze ächten unverlierbaren Glücks geschmückt sein. Wie freut uns Deine Einigkeit im Geist mit Deinem erwählten Weibe, und wie wünschen wir, daß Euch der lieblichste Segen ehelichen Glücks von dem HErrn gegeben werden möge. Wir lebten wirklich hier auf Erden schon wie im Himmel, wenn nicht eben die irdischen Bedürfnisse uns immer wieder aus demselben herausrissen. Unser Glück über Mariechen wächst wie das holde Kind. Kommt nur bald und seht selbst, wie herrlich es gediehen ist. Mit dem Sprechen geht es aber gar nicht vorwärts und die Zähnchen wollen auch nicht kommen. Bist Du bisweilen in Merseburg? Langer soll ja nun als erster Domprediger und Superintendent ernannt sein; die Consistorial-Rathstelle aber ein Andrer erhalten. Weißt Du Nähres? Für mich scheint die Reg doch kein Herz und keinen Sinn zu haben. Auf mein Gesuch um Ersatz für die jährlich durch ungerechte Vertheilung mir entzognen 80 Rth mindestens, hat mir die Reg gar nicht geantwortet, seit länger als 2 Monaten, so daß ich nicht einmal weiter an das Ministerium gehen kann. Kommst Du bald nach Merseburg, so dürfte eine beiläufige Erinnerung wohl dienlich sein. Wahrlich, wenn Häckel167 und Caro

167  Häckel

(Vorname und Lebensdaten nicht bekannt), Oberregierungsrat, war von 1839-1849 Abteilungsdirigent bei der Regierung in Merseburg, von ca. 1844-1849 ausserdem Stellvertreter des Regierungspräsidenten. 

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meine Lage kennten, wie sie ist, sie würden anders zu helfen suchen. Verlange ich doch nicht einmal mehr, als mir eigentlich gebührt, und wäre der Gehalt doch auch dann noch gering und namentlich für das Leben in einer Stadt, wie Zeitz ist, unzureichend, wenn mir der ganze Verlust ersetzt würde. Nun wird die Bitte um eine Badeunterstützung mit der um Zulage und Ersatz zusammentreffen und eine die andre hindern. Eine solche äußre Lage hätte ich früher doch nie gefürchtet; die nöthige Freudigkeit des Geistes soll sie mir indeß hoffentlich doch nie rauben, da Gott mir den Glauben und das Vertrauen erhalten wird. Ich verliere aber überhaupt die Lust und den Muth, noch Schritte zur Verbesserung meiner Lage zu thun, und werde es am Ende gehen lassen, wie es nun eben gehen will. An Deinen litterarischen Plänen nehme ich großen Antheil. Das Nähere sollst Du mir bald mündlich hier auseinandersetzen, so wie was und wie Du aus Deinem Reichthume den Amtsbrüdern beim nächsten Verein mittheilen wirst. Wie könnte ich Dir dabei rathen, da ich Deine Beschäftigungen jetzt zu wenig kenne, selbst wenn ich es sonst überhaupt vermögte! Ich kann jetzt wirklich zu wenig außer dem, was das Amt unmittelbar fordert, arbeiten. Bei der grenzenlosen Unwissenheit meiner Confirmanden aus hiesiger Armenschule, habe ich noch besondre Nachhülfestunden Nachmittags einrichten müssen, in denen ich sie wenigstens etwas mit der Bibel bekannt zu machen und die Hauptsprüche mit dem Gedächtnisse auch dem Herzen einzuprägen suche. Ich kann nur mit blutendem Herzen diese Kinder confirmiren lassen, und doch läßt es sich nicht ändern. Weist man sie zurück, so sind sie im nächsten Jahre noch schlechter, wie wir mehrfach erfahren haben. Die Schuld liegt an der Schule und besonders an der vorgesetzten Behörde, die gar nichts thut und namentlich keine Schulpolicei handhabt. Damit wir uns keinen Brief schreiben ohne eine besondre Mittheilung aus unsrer homiletischen Thätigkeit, so stehe hier die Disposition meiner Predigt für den kommenden Sonntag. „Wie sich die Herrlichkeit des Erlösers im Angesicht seiner Leiden offenbart. l., in der klaren Sicherheit, mit welcher er den Jüngern seine Leiden voraussagt. 2., in der heldenmüthigen Unerschrockenheit, mit welcher er den Leiden entgegengeht. 3., in der schonenden Geduld, mit welcher er die Schwachheit seiner Jünger trägt. 4., in der heiligen Liebe, mit welcher er dem armen Blinden hilft.“ Text und Zeitgemäß ist sie hoffentlich. Zum Weitren gebe Gott seinen Geist, da sie natürlich noch nicht ausgearbeitet ist. Auch übermorgen habe ich zu predigen. – Der Brief ist nun noch einen Tag länger liegen geblieben, da ich gestern bis 6 Uhr nicht fertig werden konnte. Um diese Stunde aber mußte ich zu einem Shakespearverein von Herren und Damen, in dem wir Dramen des großen Meisters mit vertheilten Rollen nicht ohne großen Gewinn und Genuß lesen. Ich freue mich, ihn zu Stande gebracht zu haben und hoffe für die Zukunft noch mehr Hebel zur Förderung bessrer geistiger Bildung namentlich der dafür sehr empfänglichen Damen ansetzen zu können. Meine Emma sendet Dir und den verehrten und sehr theuren Deinigen mit mir die herzlichsten Grüße. Mit Sehnsucht wartet auf Dein baldiges Erscheinen Dein Schenk

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Nächsten Montag und Dienstag – Fastnachten – ist Pastor Besser168 mit seiner jungen Frau einer Schwester der Fehmes hier, und wir hoffen da edlen geselligen Genuss. Könntest Du doch mit Deiner lieben Franzsika und Frl Schwester auch hier sein! Deine verehrte Frau Mutter wage ich nach der letzten Erfahrung am Neujahrstage gar nicht zu bitten, so gut der Weg bei dem Froste zu sein scheint. Komm doch, aber bleib über Nacht. Weißt Du denn, daß Dein Quasi-Freund Boysen unter den letzten Ordinanden des v Jahres war und die gute Pfarre Liederstedt bei Querfurt erhalten hat, nachdem er kurz vorher pro minist. examinirt? Was hast Du dazu gesagt, daß unter 8 Colloquenten 5 bei Möller in biblicis nicht bestanden und in 2  Jahren wieder kommen sollen? Zeichen der Zeit! In Dein Hm! beim Schwanenorden möchte ich wohl einstimmen, doch müssen wir unser Urtheil bis nach Erscheinen der Statuten suspendiren. Ich habe besonders Bedenken wegen der Schein-Frömmigkeit und Werkheiligkeit, die dadurch hervorgerufen oder doch befördert werden möchte. – Die Liturgie im Dom zu Berlin! Der Lutherische – streng und starr – Graf Stollberg169 an der Spitze des Schlesisch Consistoriums!!

Nr. 39. an Schenk, 22. Februar 1844

Röcken, den 22ten Februar 1844 Mein theurer vielgeliebter Freund! Dein lang erwarteter lieber Brief vom 14ten d. ist in Folge einer Veränderung des Lützer Postpersonals erst den 19ten in meine Pfarre gekommen und in meine Hände erst den 20ten wo ich von einem kleinen Ausflug nach Naumburg zurückkehrte; hätte ich aber Dein Brieflein früher erhalten, so würde ich diesen Ausflug auch nach Zeitz ausgedehnt haben, um Deiner freundlichen Einladung gemäß bei Dir die Fastnachten zu feiern; nun aber einmal wieder nach Röcken zurückgekehrt, will es sich nicht machen, in dieser Woche noch nach Zeitz zu kommen, darum erscheine ich mit diesem Brief, wie gern ich auch in persona Deinen Geburtstag170 mitgefeiert hätte, um Dir mündlich auszusprechen, was schriftlich nun kurz also lautet: Gott segne Dich im neuen Jahr mit allerlei Gut, mit Allem, was an Leib und

168  Theodor

Gustav Besser (1809-1881), Dr. theol., ev. Pfarrer, von 1840-1862 in Kistritz, später Oberpfarrer und Superintendent in Torgau. Am 15. September 1843 hatte Besser Julie Catharine Caroline Parow (†1865) geheiratet. Besser war in Zeitz geboren, wo sein Vater Justizrat gewesen war.  169  Anton Graf zu Stolberg-Wernigerode (1785-1854), seit 1837 Ober- und Regierungspräsident in Magdeburg. 1840 Staatsminister in Berlin. Stand dem Kreis der Erweckten nahe, ebenso König Friedrich Wilhelm IV.  170  Schenks Geburtstag ist der 24. Februar. 

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Geist, im Amt und Haus Dir zu Deinem Besten dienen kann; vielleicht, nein, nicht vielleicht, sondern sicherlich erscheint Dir Dein nächster Geburtstag in jeglicher Hinsicht sogar freier und lebensfroher! „Hoff, hoff bedrängte Seele, hoff und sei unverzagt, Gott wird Dich aus der Höhle, da Dich der Kummer plagt, mit großer Gnade rücken; erwarte nur die Zeit, so wirst Du schon erblicken die Sonn der schönsten Freud!“171 – Für den Augenblick freilich, da ist das Sorgen recht natürlich, und ich sorge mit Dir ob die Merseburger Regierung noch das Ihre an Dir treulich thun wird, ich denke aber, es stehen die Gedanken und Entscheidungen dieser menschlichen Regierung unter der höhern Regierung Gottes – darum stille sein und hoffen „mi candidate, vita nostra est in silentio atque spe!“ – Auch cf. 1 Cor. 10, v. 13 ungeachtet aller Deiner Sorgen und Prüfungen kannst Du aber doch Dein Geburtsfest fröhlich feiern, da Du in Deinem Hause so viel Glück und Heil findest; möge Dir wenigstens das Glück, was Dir Deine Emma und Deine Maria bereitet, ungestört und ungetrübt bleiben, ja immer noch wachsen! Mit solchem Glückwunsch möchte ich am 1sten März auch im Geiste unter Euch sein und mein liebes Pathchen segnen – die kleine, kleine mitfolgende Gabe wollet mir auf den Geburtstagstisch des Geburtstagskindleins legen und dasselbe in meinem Namen küssen „εν φιλήματι αγίω“!172 – Mein Pathchen und seine lieben Eltern zu besuchen, wird sich nicht ehr als nach Ostern ausführen laßen; desto mehr thut es mir leid, daß Deine Besuchspläne in Röcken nicht zur Ausführung gekommen sind – welch eine unaussprechliche Freude würde ich darüber gehabt haben! Nun vielleicht ist Amt und Haus, und Weg und Wetter Dir doch noch einmal günstig, mir diese große Freude wirklich zu machen; vielleicht führe ich auch einmal unerwartet diese Fußparthie aus, denn von den raschen Pferden meines HE Schwiegervaters mag ich nichts wissen, ebensowenig als von den Schwiegereltern selbst, die ich je länger ich sie kennen lerne, nur immer weniger achten kann, namentlich ist die Frau Schwiegermutter ein ganz weltliches und gemeines Weib! Es drückt und quält mich oft schrecklich, daß ich mich meiner Schwiegereltern schämen muß, und ich bewundre nur, wie auf solchem Grund und Boden mein Fränzchen erwachsen ist! Leider hat das Mißverhältnis mit den Schwiegereltern auch schon manche Stunde der Mißstimmung mit meinem Fränzchen herbeigeführt – es thut ihr so weh, daß ich ihre Eltern nicht leiden kann, da sie mir doch nichts thun; das ist wahr, aber es ist so eine verschiedene Lebens- und Glaubensrichtung zwischen mir und ihnen, daß ich bei Gelegenheit einer Expectoration, die ich aber sorgfältig vermeide, einen förmlichen Bruch mit dem Poblesser Pfarrhause fürchte, wenn ich nicht um Fränzchens willen gern Alles trage und dulde, auch gegen mein Frauchen von diesem Widerwillen und Ekel vor den Ihrigen nur so wenig als möglich merken lasse, um ihr nicht zu weh zu thun, da

171  Lied

460, Vers 6 aus dem Dresdner Gesangbuch von 1835.  (Römer 16,16 u. ä.). 

172  Altgr.:

Mit dem heiligen Kuss

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sie doch sehr an den Ihrigen hängt – merken aber mußte sie es, da ich mich gegen das gegenseitige öftere Besuchen entschieden ausgesprochen habe! – Du wirst Dich wundern, lieber Schenk, auf einmal solche Klagen von mir zu hören, aber es hat mir schon lange auf dem Herzen gelegen, und so glaubte ich Dir als meinem treusten Freund eine vertrauliche Mittheilung schuldig zu sein; dennoch kann ich Dir versichern, daß ich ganz glücklich bin und meine Wahl nicht bereue, so bald ich an mein Fränzchen allein denke; wenn ich aber freilich ihre Familie ansehe, da wird mir, namentlich wegen der Zukunft angst und bange, doch können dieß auch unnöthige Sorgen sein, darum unterdrücke ich sie mit aller Gewalt! – Ich lasse mir mein eheliches Glück nicht stören, ob es aber in der von Dir angedeuteten Weise jetzt schon wachsen wird, darüber läßt sich immer noch nichts sagen; mein Fränzchen kränkelt jetzt zwar oft, aber ich habe überhaupt die Bemerkung gemacht, daß ihre Gesundheit ungeachtet ihres Aussehens doch gar nicht fest ist, für jetzt will ich freilich nichts fürchten, sondern nur das Beste hoffen. In Bezug hierauf erhielt ich heute ganz unerwartet einen Glückwunsch vom Diacon Wölbling173 aus Weißenfels, er theilt mir mit, daß ein Töchterchen bei ihm eingekehrt sei und wünscht dem Röckner Pfarrhause baldigst einen gleichen erfreulichen Besuch; die Hauptsache, warum er mir aber schreibt und weshalb schon länger mit mir Unterhandlungen sind, wird Dich überraschen, denke Dir, das Directorium des Weißenfelser Missionsvereins hat mich – ganz ungeahnt – zum Festprediger des nächsten Weißenfelser Missionsfestes174 erwählt!! Ich ward durch diesen Antrag aufs Höchste allarmirt, wie Du Dir bei meinem Wesen vorstellen kannst – die Auszeichnung erscheint mir so groß, und die Aufgabe so schwer, daß ich nahe daran war, es abzuschlagen, aber auf Zureden des HE Superint Wilke habe ich es angenommen; Gott gebe seinen Segen dazu! Obwohl es bis zum 8ten Mai, wo das Fest ist, noch viel Zeit ist, habe ich doch schon viel an die Predigt gedacht, und in einer schlaflosen Nacht bin ich auf den Text: Phil. 4, 4-7 und das Thema gekommen: „Das Missionsfest – ein großer Segen für das Missionswerk!“ Weil das Missionsfest die Freude an dem Missionswerk weckte, die Thätigkeit in dem Missionswerk befördert und die Sorgen bei dem Missionswerk vertreibet.“ – Was sagst Du dazu? Es sind freilich nur andeutende Gedanken, aber ich möchte auch schon darüber Deine Gedanken hören! Denselben Wunsch habe ich auch in Bezug auf meine Conferenz-Arbeit; da bin ich endlich zum Entschluß gekommen, auf fast wunderbare Weise: Ich träumte in der Nacht vom 7ten zum 8ten Februar, daß ich meine Conferenz-Arbeit anfangen wollte, zu diesem Zweck lag vor mir ein großer Bogen, mit der Aufschrift „über Polemik in Predigten…“ dieß lesend rief ich aus: ja, das nimmst Du! Und da wachte ich auf, und wiederholte es „ja, das nimmst Du! Dabei ist es dann geblieben, und zwar desto mehr, als ich bei näherem Durchdenken dieß Thema, an welches ich am

173 

Friedrich Wölbling (1808-1898), ev. Pfarrer, 1838-1849 Diacon in Weißenfels, später in Radensleben.  174  Die aus der Erweckungsbewegung heraus entstandenen Missionsfeste sahen vornehmlich die Volksmission resp. Evangelisation als eine ihrer zentralen Aufgaben an. 

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Wachen vorher auch ganz und gar nicht gedacht hatte, wirklich recht passend und intressant fand, namentlich von meinem Standpunkt, wonach ich für die Polemik bin; Begriff (Art, Grenzen) Recht und Werth der Polemik werden die leitenden Gedanken sein, aber jetzt gehen sie mir noch sehr chaotisch durch den Kopf! Theile mir Deine Ansichten darüber mit, namentlich auch, ob Du über dieses Thema im Besonderen schon eine Abhandlung gelesen hast, und was ich selbst irgendwo darüber nachlesen kann; willst Du so gut sein? – Deine Estomihi175-Disposition finde ich sehr vorzüglich; ich beneide Dich vornämlich um Deine Kunst, das ganze Evangelium gleich in der Disposition anzudeuten; ich strebe darnach auch, aber es geht nicht immer, namentlich je öfter man darüber predigt, desto schwerer! Ich concentrirte Estomihi das Evangelium in dem Thema „Die Frage des Herrn: Was willst Du, daß ich Dir thun soll! Dabei zu erwägen: worin sie geschieht, die Gesinnung, womit sie geschieht, und den Grund, warum sie geschieht.“ – Mehr war mir die Predigt am Sexages176 gelungen, rücksichtlich meiner Landleute das Thema habend „In wiefern vergleicht Christus das Wort Gottes mit dem Samen? Weil Beides von der Gnade Gottes gegeben wird, Beides auf den Befehl Gottes ausgestreut wird, Beides durch die Macht Gottes (innerlich) entwickelt wird, und Beides nur unter dem Segen Gottes (äußerlich) zur Kraft gebracht wird.“ – Ich habe mir jetzt eine übersichtliche Sammlung meiner Dispositionen angelegt, da kannst Du sie, wenn Du einmal zu mir kommst, leicht übersehen und mir Dein Gutachten darüber abgeben; – meine andren schriftstellrischen Pläne sind für jetzt suspendirt, da ich Nöthigeres zu thun habe, auch ist bei mir selbst das Bedürfniß einer für die Betstunden passende Bearbeitung der Episteln nicht mehr so groß, seitdem ich dazu das alte Bibelwerk von Starke benutze, auch zuweilen aus Arndts neuestem Werk „Morgenklänge und Gotteswort“177 etwas vorlese; ich halte dieß Arndtsche Andachtsbuch für sehr gut, wenn auch nicht durchgängig; seine neuesten 3 Predigten unter dem Titel „Vorwärts“ sollen viel Sensation machen; sie sind für unsern Lesekreis verschrieben, hast Du sie schon gesehen? Hast Du auch das Vorwort zur evangelischen Kirchenzeitung gelesen, womit das neue Jahr beginnt? Darin wird der Angriff auf die G.A. Stiftung viel Anstoß erregen – und ich bin innerlich auch gegen die G.A. Stiftung, weil mir dabei sich zu bestätigen scheint: „Viel Geschrei und wenig Wollen!“ Der Aufsatz über dieselbe im Januarheft der Evangelischen Kirchenzeitung ist von Harnisch, von dessen Thätigkeit für das Reich Christi ich mir noch viel verspreche, da er bei seinem Feuer doch nichts verbrennen will. – Was für das kirchliche Wesen von unserm neuen Merseburger Consistorialrath zu erwarten ist, werden wir ja sehen, wenn es sich bestätigt, daß Frobenius178 aus

175  Der

Sonntag Estomihi ist der 10. Sonntag im Jahr.  176  Sexagesimae ist der 8. oder 9. Sonntag im Jahr.  177  Johann Friedrich Arndt (Anm. 42): „Morgenklänge aus Gottes Wort. Ein Erbauungsbuch auf alle Tage im Jahre“ (1843).  178  Hermann Theodor Wilhelm Frobenius (1808-1868), ev. Pfarrer, seit 1837-1844 Oberpfarrer und Superintendent zu St. Stephani in Langensalza, 1844-1868 1. Schlossprediger und Superintendent in Merseburg, später Konsistorialrat, Regierungs- und Schulrat. 

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Langensalza auf ganz besondre Empfehlung Draeskes wirklich gewählt wird; vorgeschlagen dazu ist er primo loco, und dabei, wie man dazusetzte, eine Null vor und eine Null danach gesetzt worden. – Pollmann aus Leuna und Jacobi179 aus Eckardtsberga! Diese Nachrichten sollen sicher sein; was Du darüber schreibst, ist früher wohl im Werke gewesen, aber nicht durchgegangen; als Consistorialrath nannte man den neuen Schulrath Trinkler – das wäre aber doch Nepotismus sonder Gleichen! – Daß ich bald einmal nach Merseburg komme ist jetzt wünschenswerth, aber nicht wahrscheinlich; denke Dir, ich bin seit dem 26ten Maj, wo ich mit Dir dort war, nicht wieder dortgewesen – habe seitdem unsren Karo nicht gesehen und gehört und für unsren Kreis ist Trinkler Schulrath! – Ist denn die Nachricht von Boysensa Anstellung aus dem Amtsblatte – da habe ich sie ganz übersehen, oder ich habe das Stück noch nicht; ich bin dadurch aufs Höchste überrascht worden, freue mich aber, weil dieser Mensch, wenn er nicht bald angestellt worden wäre, gewiß unterging – nun wird doch etwas aus ihm werden!? – Aus dem Kreise der Meinen in der Nähe und Ferne wüßte ich Dir nichts Neues mitzutheilen; daß der Pfarrfrau Geburtstag180 gewesen ist am Lichtmeßtag weißt Du; als Hauptgeschenk gab ich ihr einen Lehn- oder Sorgenstuhl mit den Worten: „Guten Morgen! An des Jahres ersten Morgen ohne Sorgen! Im Sorgenstuhle wohl geborgen erlebe viele solche gute Morgen ohne Sorgen! Guten Morgen!“ – Daß ich wegen Mariae Reinigung181 allemal an diesem Tag zu predigen habe, macht mir diesen Tag doppelt feierlich und festlich; den Mittag waren die Pobleßer hier und Abends las ich aus Strauß Glockentöne182 „den Geburtstag der Pfarrfrau“ vor; o, wie danken wir immer und immer wieder, daß Du mir einst dieses Buch geschenkt hast – es ist mir das liebste Buch nach Bibel und Knapps evangeli Liederschatz! Ja, fast gestehe ich es mit Scham so ergriffen und begeistert werde ich selbst durch die Bibel nicht, als durch diese Glockentöne – sie machen allemal einen so wunderbaren unaussprechlichen Eindruck auf mich, daß ich sie vor Thränen oft nicht vorlesen konnte! Wenn das Strauß wüßte! - daß ich nach Naumburg reiste, war besondrer Wunsch meines Schwagers, der in Angelegenheiten seiner Söhne mancherlei mit mir zu sprechen hatte; in Naumburg war viel weltliches Leben, Liszt gab ein Concert und auf die neue Halle-Erfurter Eisenbahn wurden Actien gezeichnet! Wie ist es doch da in meinem Dörflein ganz still von solchen Dingen, aber dennoch der Geist dieser Welt herrscht in meiner Gemeinde eben so sehr wie überall, so daß mein Herz innerlich sich je länger je mehr von der Gemeinde lossagt. – Ich thue Alles weniger um meiner Gemeinde willen, als vielmehr um Gottes und meines Amtes willen; erst wollte ich mich über die wenige Frucht meiner Wirksamkeit grämen. Jetzt werde ich gleichgültiger dagegen, nicht gegen das Amt,

179  Friedrich

Christoph Jacobi (1801-1881), ev. Pfarrer, seit 1839 Pfarrer und Superintendent in Eckartsberga, später in Seyda.  180  Der 2. Februar.  181  Ein Fest, das am 2. Februar, dem vierzigsten Tag nach Weihnachten, gefeiert wird.  182  Friedrich Strauß (Anm. 36): Glockentöne-Erinnerungen aus dem Leben eines jungen Geistlichen. 4 Bde, 1815-1819. 

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sondern nur gegen die Frucht davon und ich glaube, es ist dieß auch besser, weil oft nur unsre Eitelkeit Frucht verlangt, und wenn wir davon reden, daß unsre Amtsfreudigkeit durch den Mangel der Früchte gestört werde, es nichts weiter ist, als daß wir uns nicht genug anerkannt sehen; darum denke ich jetzt oft „ich thue das Meine nach Kräften, nun mögen die Gemeinden machen, was sie wollen!“ „Ein jeder steht und fällt seinem Herrn!“183 Wie ich schon früher gesagt habe, „mit unserm Predigen machen wir es nicht aus!“ – So sage ich jetzt auch noch, aber auf das geheimnisvolle Wirken des heiligen Geistes in den Menschenherzen rechne ich jetzt mehr, als sonst, und so will ich auch es verstanden haben, wenn ich sage „ich thue das Meine nach Kräften, nun mag der heilige Geist mit der Gemeinde machen, was sie sollen, dann mögen sie auch machen, was sie wollen – sie sind in guten Händen!“ – Ich habe jetzt oft sehr aufgeregte Stimmungen gehabt in welchen ich wegen der Nähe von Pobles und des niedrigen Sinnes in meiner Gemeinde wo möglich gleich von Röcken weggelaufen wäre – in ruhiger Stunde da sage ich doch gleich wieder „hier ist gut sein!“ – Wenn Du nur näher wärest, in Altenburg habe ich mir oft mit Dir alle Traurigkeit aus dem Herzen herausgesprochen, es würde dieß oft gegenseitig jetzt der Fall sein; es giebt ja Dinge, die man gegen die nächsten Seinen nicht aussprechen mag, weil sie gleich zu sehr mitsorgen, und nicht beruhigen – da ist ein gleichgesinnter Freund an seiner rechten Stelle, und so man in der Stadt wohnt und einen solchen hat, ist dieß ein gar großer Vorzug des Stadtlebens, daß man gleich zu ihm kann, was auf dem Lande so schwer ist, namentlich bei jetzigen furchtbaren Wegen; auch sieht man sich auf dem Lande doch zu selten, als daß die Freundschaft mit nahen Amtsbrüdern recht innig und vertraut würde – ich lobe mir doch die Stadt, und wäre gar nicht böse, wenn ich nicht in Röcken sterben müßte, doch wie der HErr will! – Wie gehts denn in Altenburg – im Hesekielschen Hause – am Hofe – bei Sachsen, von dem ich hörte, daß er sehr leidend sei; ich reiste jetzt mit der Schwester des Consist Back von Reneburg zurück, die aber nichts Neues von Altenburg wußte, aber eine Backsche Unterhaltungsgabe hatte! – Ich will nun schließen, es ist Freitag früh 9 Uhr, der Brief muß fort, wenn er zum morgenden Geburtstag bei Dir sein soll! Noch habe ich Dir von meiner Mutter und Frau die allerherzlichsten Glückwünsche, und allerherzlichsten Grüße an Dich und Deine Emma zu bringen – Gott segne Euch zu Allem, was Ihr vorhabt – seid Ihr denn nach Ostern noch in Eurem Logis, oder geht es gleich fort? Nun wo Ihr auch seid, unsre Fürbitte und unsre Liebe ist bei Euch! Bleibe mein Freund, so wie ich bleibe Dein Freund LNietzsche P.

183 

Römer 14,4. 

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Nr. 40. an Schenk, 13. Mai 1844

Röcken, den 13ten Maj 1844 Mein theurer lieber Freund! Es geht mir wie Dir, will ich warten mit dem Schreiben, bis ich die rechte Zeit dazu habe so bekommst Du am Ende gar keinen Brief, daher schreibe ich heut ohne rechte Zeit, um Dir lieber Etwas, als gar Nichts zu bieten! Vor Allem bringe ich Dir meinen herzlichen Dank für Deinen warmen Brief aus der Kalten-WasserAnstalt184, der, wie Du es liebend beabsichtigt hattest, am 9ten Maj bei mir eintraf, wo er mich also nach gethaner Arbeit gar sehr erquickte; dabei lag auch ein sehr freundliches Briefchen von Deiner Emma an meine Franziska, so daß hier getheilte Freude wirklich doppelte Freude war! Dreifach aber wäre die Freude gewesen ja tausendfach, wenn Du zugleich hättest mit schreiben können, daß die Badekur schon auf Dein Gehör eingewirkt hätte, nun was da noch nicht war, ist vielleicht jetzt, und was noch nicht ist, wird schon noch kommen – das hoffen wir, und leben zusammen auch in dieser wie andrer Hinsicht recht eigentlich in guter Hoffnung! – Was Du mir sonst aus Deinem Badeleben mittheilst, ist ja recht erfeulich, wobei ich aber mehr an die angenehme Bekanntschaft Deines Arztes185 als an seine unangenehme gar lästige Kurart denke; meine Schwester Auguste, mit der es wieder einmal nicht recht gut geht, rief bei der Schilderung Deiner täglichen Wasserkur aus „nein, lieber sterben, als solch eine Wasserkur brauchen.“ – Und in der That meine ich, daß ein starker Geist dazu gehört, solch eine Kur consequent durchzuführen; nun, wenn sie nur hilft, dann wirst Du Alles geduldig aushalten! Viel Interessantes hat doch solch ein Badeleben auch, und wird Dir namentlich in der Erinnerung noch manchen Genuß gewähren, wenn Du erst wieder an der Seite Deiner lieben Emma sitzest und was die Briefe doch nur andeuten können ausführlich erzählst; ich rechne auch auf eine solche ausführliche mündliche Erzählung in dem wir, wenn Du zurückgekehrt bist, uns durchaus sprechen müssen, eine Fußparthie von Zeitz nach Röcken, oder von Röcken nach Zeitz wird sich schon bewerkstelligen! Da sollen dann auch von mir die Ausdeutungen folgen, wovon ich Dir heute nur die Andeutungen gebe! – Unsre Reise, die in Zeitz einen so wohlthuenden, gar dankenswerthen Anfang hatte, nahm einen ebenso erwünschten Fortgang und fröhlichen Ausgang, doch würde der Reisebericht für Dich gar nichts Mittheilens werthes enthalten, wenn ich nicht auf dem Rückwege in Weißenfels mein Fränzchen allein nach Hause schickte und ich gleich über Merseburg und Halle noch nach Gnadau reiste! Ich habe diesen Entschluß nicht bereut, denn es war ein gar intressanter Tag, von dem ich Dir viel erzählen würde, wenn die eigentlichen Verhandlungen desselben nicht schon

184  Schenk

war Ende April für drei Wochen nach Elgersburg zur Kur gefahren.  war Dr. med. Hermann Piutti (1812-1865). 

185  Schenks

Arzt

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gedruckt erschienen wären; was aber darin etwa weggelassen ist, will ich mündlich einmal nachholen – mir war am Intressantesten dabei die Persönlichkeit des mich höchst ansprechenden Harnisch, so wie die Mittheilungen Schmiederns186, Zippelkirchs und Guerikes187, dann der lebhafte Kampf über das Verhältnis der Predigt zur Liturgie, wobei es außerordentlich stürmisch zuging, und endlich die Erscheinung des Pastor Uhlig188, des Hauptes der protestantischen Freunde, eines im Aeussern so eckelhaften Menschen, aussehend wie der liederlichste, gemeinste Saufbruder, daß ich schon darum kein protestantischer Freund sein möchte! – Ich habe noch manchen intressanten Mann gesprochen, wie es in einer Zahl von 300 Geistlichen nicht anders sein kann; Tholuck, Marks waren auch da und die Bekannten von mir, Gebrüder Osswald, Uhlisch189 aus Döbnitz, Wölbling und mehre Wittenberger Candidaten. – Unter den vielen Briefen, die an den Verein eingegangen waren, wurde auch der Meinige rücksichtl des Volksschriftenwesens erwähnt, und deshalb der mit anwesende bekannte Candidat Wallmann190, jetzt Pastor, aufgefordert sich mit mir in Correspondenz zu setzen; bis jetzt ist dieß aber noch nicht geschehen, was mir sehr lieb ist, da ich nicht Willens bin, irgend etwas in der Sache zu thun, sondern nur Gersdorfen in die Hände arbeiten wollte. Gersdorf wird übrigens von wegen des Zwickauer Vereins einen Triumph nach dem andern feiern, die Schriften des genannten Vereins sind zu schlecht, so daß sich z. B. unsre Ephorie in pleno wieder von diesem Verein losgesagt hat und dem Zschokke Verein, welcher zwar auch nicht auf höchstem Grund und Boden steht, aber doch nur alte anerkannte Volksschriften vertreibt, in pleno beigetreten ist. Es geschah dieß auf unsrem Lützner Convent, wobei ich doch noch, was Dich wundern wird, einen ganz andern Vortrag hielt, als wie ich mir dem Traum gemäß vorgenommen hatte; ich hörte nämlich, daß ganz derselbe Gegenstand erst vor 3 Jahren, als ich noch nicht hier war, schon dagewesen war, und da wollte ich umso weniger ihn noch einmal zur Sprache bringen, als unangenehme Differenzen zu fürchten waren, die

186 

Heinrich Eduard Schmieder (1794-1893), ev. Pfarrer, Dr. theol., seit 1824 zunächst Diacon, dann Oberpfarrer und schliesslich Professor in Schulpforte, ab 1839 am Predigerseminar in Wittenberg.  187  Möglicherweise meint Nietzsche hier Heinrich Ernst Ferdinand Guericke (1803-1878), Dr. theol., ein Theologe altlutherischer Prägung und Professor in Halle. Ferdinand Guericke war der Sohn Georg Christian Guerickes (Anm. 58).  188  Johann Jacob Markus Leberecht Uhlich (1799-1872), ev. Pfarrer. Überzeugter Anhänger einer theologisch-rationalistischen Richtung. Rief 1841 zusammen mit Gesinnungsfreunden den Verein der Protestantischen Freunde ins Leben, auch ‚Lichtfreunde‘ (theologisch dem Rationalismus, politisch dem Liberalismus verpfichtet) genannt. Damit wollte er den vom Staat unterstützten orthodoxen resp. neupietistischen (erwecklichen) Kreisen entgegentreten und die evangelische Kirche im Sinn eines Aufklärungschristentums umgestalten. Als die staatliche Kirchenbehörde 1845 alle Lichtfreundeversammlungen verbot, bildeten sich in mehreren Städten (zB. Magdeburg, Halle) freiprotestantische Gemeinden. Uhlich trat aus der preußischen Landeskirche aus und gründete die Freie Gemeinde Magdeburg, dabei unterstützt und auch geschützt von liberalen Bürgerkreisen. Freilich anerkannte die preußische Regierung diese freiprotestantischen Gemeinden schon bald als besondere Religionsgemeinschaften an.  189  Gustav U(h)lisch (1808-1851), ev. Pfarrer, 1841-1851 in Döbernitz.  190  Johann Christian Wallmann (1811-1864), ev. Pfarrer, ab 1848 Leiter der Missionsanstalten in Barmen und Berlin. 

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mir vor der Missionspredigt um das Vertrauen und die Zuneigung der Amtsbrüder bringen konnten. Wilke und Wimmer riethen mir selbst, etwas Anderes zu wählen, und so schrieb ich nun eiligst nieder, was ich früher schon wollte „Bemerkungen über die Parabel vom ungerechten Haushalter rücksichtlich ihres praktischen Gebrauchs.“ Dieser Vortrag, der mehr als ein Referat durchaus keinen Anspruch auf Anerkennung machte, erreichte doch seinen Zweck, Veranlassung zu interessanter und lebhafter Unterredung zu geben und damit war denn dieser Berg glücklich überstanden! Gleiches kann ich, Gott sei Dank, von dem zweiten Berg rühmen, von der Missionspredigt des 8ten Mai! Mit der Predigt zwar war ich wie immer gar nicht zufrieden, aber ich hatte mein Möglichstes gethan, und mußte mich damit beruhigen! Ich dachte an Dich, wie Du sagen wirst, wenn Du diese Predigt liest „es ist der ganze Nutzen darin“ – womit ich sagen will, daß die Predigt etwas oberflächlich, aber doch begeisternd ist! Ich denke, daß dieß das allgemeine Urtheil ist, nota bene aber, ich habe kein einziges ordentliches Urtheil darüber gehört, auch nicht von meinen Freunden, sind es Freunde?? Elogen genug sind mir gemacht worden, aber es schienen sich dieselben mehr auf den Vortrag zu beziehen, der durch „seine große Kraft und Wärme“ ergriffen hatte, und auch das bewirkt haben soll, daß die Missicollecte 49 Thl betrug, wie es in Weißenfels noch niemals vorgekommen ist (gewöhnlich um 25 Thl). Übrigens habe ich einen Zuhörer gehabt, der am Ersten ein unpartheil Urtheil haben wird, das ist Pastor Beßer; ich habe ihn nicht gesprochen, aber Du kannst ihn gelegentlich einmal ausforschen, was er über diese Predigt nach Inhalt und Vortrag geurtheilt hat – je schärfer es ist, desto lieber ist es mir! ach, sei so gut und vergiß dieß nicht! – Ich muß schließen, lieber Schenk! Schreibst Du mir noch einmal? Mein Brief verdient freilich keine Antwort, aber wir werden ja immer aus Gnaden selig gemacht! Also! Nun Gott befohlen, die herzlichsten Grüße und Segenswünsche von meiner Mutter, Frau und Schwester durch Deinen für Dich betenden Freund LNietzsche P Am Himmelfahrtsfest soll dieser Brief in Deinen Händen sein – war es so?

Nr. 41. an Nietzsche, 25. September 1844

Zeitz den 25 Sept 1844 Mein theurer Freund, Dießmal wirst Du wirklich gar nicht wissen, woran Du bist, daß Du so lange, lange Zeit ohne irgend eine Nachricht von mir geblieben bist, während ich doch so viele und so dringende Veranlassungen hatte, Dir zu schreiben. Schon äußerlich

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betrachtet, mußte so viel mich treiben: die Pflicht der Dankbarkeit für aufopfernde Bereitwilligkeit mit der Du kamst, um mein Kindlein191 zur Christin zu weihen; dann die Antwort auf Deine beiden Briefe, deren erster mit der so sauber geschriebenen Rede meine Saumseligkeit beschämte, deren zweiter so dringend zur Darlegung meiner herzlichen und schmerzlichen Theilnahme an dem Deine Familie betroffenen Unglück192 aufforderte. Aber dennoch wirst Du nicht an meiner Liebe gezweifelt haben, die Dir zu gut bekannt ist, sondern eher den Grund in allen andren Möglichkeiten gesucht haben. Daran hast Du auch wohl gethan und laß Dich auch ferner nicht irren. Es geht im Leben nicht immer so, wie man möchte, und beim besten Willen kann man oft nicht zur Erfüllung einer scheinbar ganz leichten Pflicht kommen. Auch heut wird es mir durch Besuche und Störungen aller Art recht schwer gemacht, Dir zu schreiben, so fest ich es mir auch vorgenommen hatte, gleich am ersten Tage nach meiner Rückkehr Dir Nachricht zu geben. Nach meiner Rückkehr! Ja ich bin auf einige Zeit wieder verreist gewesen. Doch ich muß Dir ausführlich über die letzten Wochen schreiben, schon um mich ganz zu rechtfertigen von dem Verdachte der Gleichgültigkeit oder doch Nachlässigkeit. Du hättest bald nach der Taufe einen Brief von mir erhalten, weil es mich drängte Dir zu danken und mich bei Dir zu entschuldigen, wenn ich das nicht lieber mündlich hätte thun wollen. Ich hatte so viel Ursache Dir zu danken, da Du wirklich mit übergroßen Aufopferungen und Anstrengungen meiner Bitte zur Taufe zu kommen, genügt hast, während Dir hier doch so wenig gewährt worden ist. Sei überzeugt, daß wir Beide, meine Emma ganz besonders auch, Deine Liebe, die Dich dazu trieb, ihrem vollen Werte nach zu schätzen wissen, daß sie uns innig erfreut, und daß wir von Herzen wünschen, Dir durch die That mehr dafür danken zu können, wie es uns schmerzt, das bisher nicht genug getan und gekonnt zu haben. Ich aber fühle mich bei der Erinnerung an Dein Hiersein, namentlich an die letzten Nachtstunden, besonders beschämt, da ich eine zu klägliche Figur da gespielt habe und Dir peinlich gewesen sein muß. Du bist so freundlich, gar nichts davon zu erwähnen, suchst im Gegentheil noch Deine Abreise in der Nacht zu entschuldigen, was doch gar nicht nöthig wäre. Ich weiß nicht, woher es kam, ich habe aber nie vorher in meinem Leben eine solche Müdigkeit bis zur gänzlichen Erschöpfung gekannt, ja habe keine Ahnung von einer solchen Schlaftrunkenheit gehabt, wie mich an jenem Abend befiel. Der beste Wille, alles Ringen und Kämpfen dagegen war vergebens, ich war meiner nicht Herr, während Du so frisch und wach warst, nachdem Du größre Strapatzen als ich gehabt hattest. Verzeihe meinem müden Körper, der allein der schuldige Theil ist. Es hieß hier so recht: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“193. Von der Stärke des Körpers sollte Dir nun bald mein Besuch Zeugniß geben und zweimal war der Tag zur Fußparthie festgesetzt, aber einmal hielt mich noch früh die Besorgniß um meine Frau, die noch länger schwach und leidend war, das andre Mal die Ungunst des Wetters zurück. Endlich

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Anna Pauline Elisabeth Schenk, geboren am 9. Juli 1844, getauft am 6. August 1844.  192 Einige von Nietzsches Verwandten in Plauen hatten bei einer Feuersbrunst Hab und Gut verloren.  193 Markus 14,38. 

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sollte nichts mich hindern, ich wollte mit Weib und Kind am 14. p T194, wo ich nicht zu predigen hatte, kommen. Der Wagen war gemiethet, Emma mit mir voll Freuden Euch Alle zu sehen, die Kinder frisch und munter, da kam Sonnabend Abends noch die Aufforderung zu einer Grabrede auf ein plötzlich am Nervenfieber gestorbenes Mädchen von 18 Jahren, und wir mußten bleiben. Seit 14 Tagen schon wurde meine Frau mit den Kindern von ihrer Mutter erwartet, um sie einmal längre Zeit zu genießen. Die Reise ließ sich nicht länger aufschieben, wenn nicht die günstige Jahreszeit ungenützt verstreichen sollte. Sie reiste dann den Mittwoch darauf, nachdem wir Montag und Dienstag hier mit Böhme aus Halle, bei Kühn zum Besuch, verlebt hatten. Ich blieb, gehalten durchs Amt, durch Predigten für Freitag und Sonntag, aber nur um nach Beendigung dieser Arbeiten auf mehrere Tage zu verreisen. Ich wollte nämlich meiner Frau und der Kinder Abwesenheit, die mir so schwer wurde, dazu benutzen, meinen Bruder einmal zu besuchen, mit dem ich mancherlei zu sprechen hatte. Ich wollte den Weg über Röcken nehmen und schon den Sonntag Nachmittag oder den Montag früh, 15 oder 16 huj zu Dir kommen und wenigstens 1 Tag bei Dir bleiben, dann aber gen Leipzig weiter wandern. Da kam Dein 2ter Brief mit der Trauernachricht und änderte Alles. Ich ging nun über Altenburg, blieb da bis Dienstag früh und reiste dann weiter nach Leipzig und von da zunächst zu meinem lieben Ulisch nach Döbernitz. Ich hatte mich so herzlich darauf gefreut, ihn und seine Fanny zu sehen; wie aber wurde meine Freude in Trauer verwandelt. Am Dienstag Abend als ich in seine Stube trat, empfing er mich mit dem Schmerzensruf: Meine Fanny ist todt! und sank von Schmerz überwältigt an meine Brust. Sie war früh nach der Geburt von 2 überaus starken Knaben gestorben. Doch das weißt Du wohl aus der Leipziger Zeitung. Von dem gewaltigen Schmerze brauche ich Dir auch nichts zu sagen, Du fühlst das mit. Wir haben geklagt, geweint, gebetet miteinander; er empfing mich als einen Engel des Trostes den Gott ihm, dem Verlassenen, gesendet habe. Ich blieb gern, um zu trösten und zu helfen nach schwachen Kräften. Donnerstag früh brachten wir die Mutter mit dem Kind an der Brust zur Ruhe; mein Bruder sprach als Beichtvater am Grabe. Ich begleitete Ihn nach Wölkau nachdem ich meine Rückkehr für den Sonnabend versprochen hatte, um den Sonntag zu predigen. Bei meinem Bruder erwartete ich meine Mutter, die dann zu mir kommen sollte, sie war aber durch den erst kürzlich erfolgten Umzug abgehalten worden. Sonntag predigte ich in Döbernitz und Baerendorf und Montag reiste ich der mit meiner Frau getroffnen Verabredung gemäß nach Altenburg zurück, ohne nach […] gekommen zu sein, was ich mir doch fest vorgenommen hatte. Gestern Abend sind wir Alle glücklich wieder hier angelangt und können Gott nicht genug preisen, daß er uns mit den Kindern gnädig behütet hat. Wir fühlen uns hier in unserm Häuslichen Leben zu glücklich, als daß wir eine längre Unterbrechung desselben nicht zu schmerzlich empfinden sollten. Auch unser Mariechen kann gar nicht genug seine Freude ausdrücken, daß es wieder

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15. Sonntag nach Pfingsten. 

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in den gewohnten Räumen ist. Mit Jubel begrüßte es jeden Gegenstand und läßt noch heute dem Vater gar keine Ruh. Freude und Erholung hab ich auf der Reise freilich gar nicht gefunden, dennoch ist es mir sehr lieb, daß ich mich noch zu ihr entschlossen habe, was mir so außerordentlich schwer wurde. Abgesehn davon, dass ich nützen konnte, hat mein innrer Mensch hoffentlich davon Gewinn gehabt und auch geistige Anregung und Förderung hat nicht gefehlt. Auch über di Leipziger Versammlung sprach ich mit Ulisch – der recht als Christ den schweren Verlust trägt und ein herrliches Zeugniß von der Alles überwindenden Kraft des Glaubens ablegt – und er war im Ganzen davon befriedigt. Harleß195 rühmte er als ausgezeichnet und ebenso that es heut der Pastor Burkhardt196 aus Zipsendorf. Wir haben viel über Union, Lutherthum und Kirche gesprochen; meine Ansichten wichen sehr von denen Ulischs ab, ich hoffe aber, daß ihre Darlegung nicht ganz ohne Eindruck und Einfluß auf ihn geblieben ist. Einen starken Kampf gab es mit dem Superint Förster197 aus Delitzsch, dem meine katholisierenden Paradoxien ein gewaltiger Anstoß waren. Doch das läßt sich hier nicht schreiben, ebensowenig kann ich auf das eingehen, wozu mir Dein lieber ausführlicher Brief Veranlassung gibt. Wir müssen uns sprechen. Kannst und willst Du nicht zu mir kommen, so komme ich zu Dir. Schreib bald, wann eins von beiden Dir am angenehmsten ist. Die Zeit drängt, die Tage werden kurz, das Wetter immer ungünstiger. Wir müssen uns bald sprechen! Mit inniger Liebe gedenken wir Eurer, Deiner lieben Franziska besonders mit den herzlichsten Wünschen in unsren Gebeten. Entzieht auch Ihr uns den Segen Eurer Fürbitte nicht. Gottes Segen walte über Dir und über Deinem ganzen Hause! Unverändert Dein treuer Freund Schenk

Nr. 42. an Schenk, 29. Oktober 1844

Röcken, den 29ten October 1844 Mein inniggeliebter Freund! So sind es heute schon 14 Tage, daß Du bei mir warst und Zeuge meiner neusten und größten Lebenserfahrung198 wurdest, da hätte es sich wohl geziemt, Dir längst

195 

Gottlieb Christoph Adolf von Harless (1806-1879), Dr. theol., Theologieprofessor in Erlangen und seit 1840 in Leipzig. Daselbst auch Prediger zu St. Nicolai. Anerkannter Führer der gesamten (neu) lutherischen Kirche. Produktiver theologischer Schriftsteller.  196  Karl Friedrich Cölestin Burkhart (1785-1857), ev. Pfarrer, seit 1825 in Zipsendorf.  197  Karl Friedrich Förster (1799-1875), ev. Pfarrer, 1838-1841 Pfarrer und Superintendent in Lützen, später in Delitzsch und Langenweddingen.  198 Am 15. Oktober wurde Friedrich Wilhelm Nietzsche geboren.

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einmal zu schreiben, um Dir zu danken für Deine Liebe und Theilnahme und Dich von den weitern Dingen, so geschehen sind, in Kenntniß zu setzen – allein eine so unruhige, zerstreungs- abhaltungs- und arbeitsreiche Zeit, als die letzten 14 Tage waren, habe ich in Röcken noch gar nicht erlebt: so glaube ich, daß der theure Freund, welcher in der entscheidenden Stunde selbst nahe gewesen war und unter allen Entfernten das neugeborne Kindlein zuerst gesehen hatte – würde auch am Ersten Nachsicht haben, wenn ich ihm nicht gleich wieder Kunde gab, noch dazu, als Mutter und Kind sich den Umständen nach immer recht wohl befanden. Schreibe ich nun heute, so geschieht es hauptsächlich, um Dir, lieber Schenk, noch einmal herzlich zu danken, daß Du meinen Wünschen damals noch nachgabst und zu mir kamst, und bei mir – ungeachtet aller Unruhe und öftern Alleinseins – doch aushieltst zur bösen Stunde rathend und tröstend, und dann durch Deine tiefe Theilnahme mein Glücksgefühl noch gar sehr erhöhtest! Ja, ich gestehe es aufrichtig, es konnte mir nichts Merkwürdigeres und Bedeutungsvolleres geschehen, als daß Du an dem Geburtstage meines Erstgeborenen mitten unter uns warest!! – Ich freue mich aber darüber doppelt, da ich aus Deinem lieben Brief ersehe, daß Dir selbst dieß Zusammentreffen lieb und werth gewesen ist! Was nun diesen Deinen lieben Brief betrifft, so bin ich Dir auch dafür sehr dankbar, um so mehr als Du auch in einer sehr arbeitsvollen Zeit geschrieben, und durch die freundliche Beilage Deiner Emma doppelte Freude bereiten wolltest. Deiner geliebten Frau bringe ich für Ihr herziges Brieflein – noch dazu unter Zahnschmerzen geschrieben – einen besondern innigen Dank in meinem und meines Fränzchens Namen, welche dadurch eben so freudig überrascht als auf das Tiefste gerührt wurde. In Euren beiden Briefen wird der wiederholte Wunsch ausgesprochen, bald zu erfahren, wie es mit Mutter und Kind gehet; das sei denn auch das Erste, was ich nun beantworte, und Gott sei Dank, daß ich aber sagen kann „sie befinden sich beide den Umständen nach recht wohl!“ Mein liebes Fränzchen hat zwar bei dem Stillen viel ausstehen müssen und kann sich überhaupt noch gar nicht recht wieder erholen – sie muß meist noch im Bett liegen aber es ist dabei doch gar nichts Bedenkliches und Gefährliches, und sie wird dabei, wenn ihr dann namentlich das Stillen nicht so viel Schmerzen mehr macht und sie nicht etwa eine böse Brust bekommt, was manchmal scheint – wieder wie ein frisches Röslein blühen, das hoffe ich zu Gott! Und nun das kleine liebe Söhnlein , der kann zwar tüchtig schreien, aber es kann auch prächtig trinken und schlafen, und guckt mit seinen dunkelblauen Äuglein schon gar munter in die Welt hinein – es ist, Gott sei es herzlich gedankt, ein ganz gesunder, sehr kräftiger Knabe – Gott behüte ihn! Daß aber ein solches Kindlein eine solche Revolution in einem Hauswesen bewirken würde, hätte ich nicht gedacht; er kommt mir vor, wie ein kleiner Souverain, dem alle gehorsamst folgen müssen, wobei er die Person nicht ansieht denn er dirigirt – freilich durch den Zug der Liebe – die Mutter wie die Großmutter, den Vater wie die Tante! Alles, Alles aber ist sehr glücklich darüber, und bei dem Zuwachs der Sorgen ist die Freude auch gewachsen! – Dieses und Gleiches habe ich schon in den verschiedensten Variationen ausgesprochen, mündlich bei einer Menge von Gratulationsvisiten und Wochenbesuchen – schriftlich in Dutzenden von Briefen, die ich nah

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und fern hinsenden mußte – auch amtlich schon ausgesprochen in der kirchlichen Danksagung für die gnadenreiche Entbindung, und – in meiner Taufrede199! Mein Tauffest ist nämlich schon vorüber, und hat am vergangnen Donnerstag den 24ten Octbr stattgefunden; mein Fränzchen hat freilich gar nicht daran theilnehmen können, aber bis dahin zu warten, war mir theils wegen der Gemeinde, theils wegen der auswärtigen Pathen nicht räthlich, so bestimmte ich den 24ten als den Tag an welchem ich einst selbst getauft worden bin! Die Pathen waren: meine gute liebe Mutter und der HErr Schwiegervater, mein theurer einziger Bruder aus Nirmsdorf, und meine Tante aus Eilenburg200 (meiner Mutter einzige Schwester). Ins Kirchenbuch habe ich noch eingetragen: meine Tante Krause aus Plauen und meinen Schwager Alfred Schmid201 in Plauen. Meine Geschwister aus Naumburg sollten dafür Vicepathen sein, aber sie waren auch verhindert worden zu kommen, so bestanden unsre glücklichen Taufgäste, von Pobleß drei mitgerechnet, nur in sieben Personen! Dennoch waren wir in aller Stille recht vergnügt und der eigentliche Taufact namentlich – in der Kirche, die der Schulmeister recht freundlich geschmückt hatte – recht feierlich! Ich taufte selbst – ich habe aber vor Rührung kaum sprechen können, wie denn überhaupt viel dabei geweint wurde! Ich hatte den Sonntag vorher das Lied singen lassen „wie groß ist des Allmächtigen Güte!“ Diese Worte waren der Inhalt meiner Taufrede, ein Herzenserguß, der von Herzen kam und darum zu Herzen ging. Zur Erinnerung an den Königl Geburtstag habe ich mein Söhnlein wirklich noch mit „Friedrich Wilhelm“ getauft: „Fritz“ wird er gerufen, ein Name der meiner guten Mutter sehr werth ist indem ihr Erstgeborener, der 2 Jahre alt starb, auch Fritz geheißen hat. – Ich theile Dir dieß auch noch besonders für Deine liebe Frau Schwiegermutter mit, die sich des Namens „Friedrich“ gewiß auch freuen wird: Du hast doch überhaupt derselben in meinem Namen unser Glück verkündet. Es hätte sich gleichwohl geziemet, daß ich selbst es ihr schriftlich angezeigt hätte, aber ich dachte daran, daß Ihr den 20ten October202 – ich gedachte Eurer glückwünschend – zusammenfeiern wolltet, da erfuhr sie ja Alles von Dir mündlich besser, als ich es bei meinem Zeitmangel schriftlich hätte thun können. Empfiehl mich ihr mit dieser eben gethanen Auseinandersetzung auf das Angelegentlichste und sie möge mit mir beten für mein Kind, daß an ihm geschehe, was geschrieben steht: Luc. 2, V. 40 203

199  Carl

Ludwig Nietzsches Taufrede hat Reiner Bohley publiziert und kommentiert in: NietzscheStudien Bd. 9 (1980), S. 383-405.  200 Christliebe Friederike Balster (1782-1861), geschiedene Zätsch, verheiratete sich am 2. Juni 1824 in Eilenburg mit dem Magistratsassessor und Gutsbesitzer Johann Georg Friedrich Balster (1794-1856). Christliebe Friederike ist die Schwester von Carl Ludwig Nietzsches Mutter Erdmuthe. Die Familie hatte eine Tochter: Clara Caroline Friederike (Anm. 164).  201  Alfred Schmid (ca. 1792-1847), Kaufmann, verheiratet mit Christiane Amalie Hedwig Schmid, einer Halbschwester Carl Ludwigs (Anm. 24). Die Ehe blieb kinderlos.  202  Ludowike Schwarz‘ (Anm. 26) Geburtstag war der 19. Oktober. Sie ist Schenks Frau Emma Stiefmutter, die dritte Frau Christoph Friedrich Hesekiels (Anm. 6).  203  „Das Kind wuchs heran und wurde stark und mit Weisheit erfüllt, und Gottes Gnade ruhte auf ihm.“

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Um nun noch auf Anderes zu kommen, will ich zunächst eine Bitte an Dich aussprechen, lieber Schenk! Ich möchte gern das Ackermannsche Spruchbuch204 näher kennen lernen, kannst Du es daher auf einige Zeit entbehren, so schicke es mir per Post natürlich unfrankirt, aber schicke es mir erst dann, was aber bald sein möchte, wenn Du mir die beiden mitgenommenen Predigten zurückschicken kannst, NB aber, wenn es Dir nicht zur Last ist, mit einem ausführlichen, unumwundenen, rückhaltlosen Urtheil über dieselben. Es liegt mir viel daran, damit es mir nütze und zur Lehre, Strafe etc.! Willst Du mir da auch die Gedichte der Frau Piutti205 wieder beilegen, und – wundere Dich aber nicht darüber – meine Taufrede vom 6. August. Das Concept davon ist mir unsichtbar geworden und meine Schwester Lina206 aus Naumburg wollte sie gern lesen, und ich sie nur noch einmal abschreiben. Ich schicke sie Dir dann mit dem Ackermann wieder zurück, für welchen Du mir aber fest bestimmen magst, wie lange ich denselben behalten kann. – Deine Mittheilungen über Eure Synode haben mich sehr intressirt, und die Wahl des P. Burckhardt höchlich erfreut, da er zu diesem Werk nicht bloß die rechte Gediegenheit, sondern auch den rechten Glauben hat. Zeitz ist in unsrer Gegend die einzige Ephorie, die einen gläubigen Mann gewählt, sonst hat überall der Rationalismus den Sieg davon getragen; die Ephorie Zeitz hat sich damit selbst geehrt, ob sich auch der Superint Erdmann207 dadüber „empört!“ – In Eilenburg ist es P. Lindner208 auf dem […] Eilenburg geworden, in Delitzsch P. Krüger zu Schenkenberg; in Weißenfels: Diacon Vogel209 aus Taucha; in Naumburg der Archidiacon Jahr210; in […] mein Vorgänger Wetzel – lauter Rationalisten und merkwürdig genug, meistens lauter Rabulisten! Diese alle unter einen Hut zu bringen, wird für Möllern mehr als sämmtliche Herkulesarbeiten sein! – Was die Augsburgische Confeßion211 anbelangt, so hatte ich den Gedanken, am nächsten Sonntag (ich feire wegen der anbefohlenen Collecte doch auch das Refrmtsfest wie die andern am Sonntage!) in dem Nachmittagsgottesdienst einmal der Gemeinde vorzulesen; als ich sie aber zu diesem Zweck durchsah, wollte es mir als zu viel und zu schwierig erscheinen, und werde daher

204  Constantin

Ackermann: Spruchbuch zum lutherischen Katechismus (1839).  205  Maria Piutti (1818-1868), Ehefrau des Arztes Hermann Piutti (Anm. 185). Schriftstellerin.  206  Lina Nietzsche (1802-1862). Blieb unverheiratet. War Carl Ludwigs Halbschwester.  207  Karl Heinrich Erdmann (1795-1861), ev. Pfarrer, 1831-1861 Oberpfarrer und Superintendent zu St. Michaelis, Zeitz.  208 Albert Georg Hartmann Lindner (1801-1853), ev. Pfarrer, von 1839-1853 Oberpfarrer zu St. Marien in Eilenburg.  209  Christian Friedrich August Vogel (1801-1882), Dr. theol., von 1834-1849 Pfarrer in Taucha.  210  Johann Friedrich Jahr (1798-1869), ev. Pfarrer, von 1822-1857 Diacon, Archidiacon und ab 1850 Oberpfarrer und Superintendent in Naumburg.  211  Die Confessio Augustana, auch Augsburger Bekenntnis genannt, von Melanchthon verfasst, wurde am 25. Juni 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg Kaiser Karl V. von den Reichsständen der lutherischen Reformation als die Summe ihres evangelischen Glaubens vorgetragen. Sie war zunächst ein Bekenntnis, später auch Basistext der Religionsgespräche und Grundlage des Augsburger Religionsfriedens (1555) und gehört noch heute zu den verbindlichen Bekenntnisschriften der lutherischen (und später auch der reformierten) Kirchen.

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für dießmal viel lieber die 95 Thesen212 vorlesen, wie ich sie in der Gerlachschen Ausgabe habe, und wovon ich glaube, daß es sehr angemessen ist, die Gemeinde damit bekannt zu machen. Was ich predigen werde, weiß ich noch nicht bestimmt; vielleicht „woran wir erkennen, daß wir rechte Lutheraner sind“? Theile mir mit, was Du gepredigt hast! – Noch eine Frage: Hast Du vielleicht meine Entbindungsanzeige im Courier gelesen? Mein lieber – aber confuser – Vetter Nietzsche in Seyda gratulirt mir zu einem „Töchterchen“ – und schreibt, daß er solche Nachricht aus dem Courier habe; das müßte – so setze ich hinzu – ein Druckfehler sein, allein in meinem Courierstück steht richtig „von einem Knaben“ – wie ist dies zu erklären? – Hast Du Frobenius Antrittspredigt und Möllers Einführungsrede gelesen? Was urtheilst Du darüber? Ich finde den Jünger vorzüglicher als den Meister, aber beide recht interessant und originell! – Was Du Neues und Intressantes aus dem Gebiete der wissenschaftlichen und practischen Theologie liesest, theile mir immer freundlich mit; es ist von wegen unsres hießigen Lesezirkels! – Aus Allem siehst Du, wie ich gar gern recht bald ein recht langes Briefchen von Dir haben möchte; mache mir die Freude, und doppelt, daß Du mitschreibst, wie Du Dich mit Deiner lieben Emma und Deinen Töchterchens recht wohl befändest! Denn das ist mein Herzenswunsch, in welchen unter den herzlichsten Grüßen miteinstimmen meine Mutter, Frau und Schwester! – In herzlichster Liebe bleibe ich immer Dein dankbarer, treuer Freund LNietzsche P.

Nr. 43. an Schenk, 31. Dezember 1844

Röcken, den 31ten December 1844

Da sind wir an das Ende des Jahres 1844 gekommen, wir wissen nicht wie – aber ich will nicht vollends heraus, ohne eine Schuld abzutragen, nämlich an Dich, mein theurer Freund, zu schreiben und Dir für Deinen letzten lieben Brief nebst Beilagen herzlich zu danken! Daß dieß so spät geschieht, entschuldige gütigst, obwohl ich eigentlich nichts zu meiner Entschuldigung sagen kann, ich trödelte und trödelte, bis ich endlich wegen der Festarbeit keine rechte Zeit mehr dazu hatte! –

212 

In seinen 95 Thesen von 1517 sprach sich Luther vornehmlich gegen den Missbrauch des Ablasses und gegen den geschäftsmässigen Handel mit Ablassbriefen aus. 

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Hast Du demnach 6 Wochen (fast) nichts von mir gehört, so hat sich in so langer Zeit Manches gestaltet, was in meinem letzten Briefe noch Gegenstand der Ungewißheit und Sorge war, obwohl ich nicht sagen kann, daß die Entscheidung ganz nach meinen Wünschen ausgefallen wäre: Ich will in diesem Punkte kurz sein, da mein Fränzchen an Deine liebe Emma ein Briefchen beilegen will, in welchem sie es ausführlicher erzählen wird, daß wir doch noch eine Amme haben nehmen müßen, mit der wir zwar zufrieden sein können, aber deren Anwesenheit mir doch ein großer Druck ist, häuslich und geldlich (monatlich 5 Thl.!!) Da aber unser liebes Fritzchen dabei prächtig gedeiht, auch mit dem Ende der Stillensnoth mein Fränzchen wieder in ihrer früheren Lieblichkeit unter uns waltet, auch meine Mutter und Schwester nun wieder mehr Ruhe und Freude haben, muß ich doch dem lieben Gott danken für diese Schicksalssendung und Entwickelung und mit dem Blick darauf, wie auf den Lauf des ganzen Jahres bekennen: „Er hat Alles wohl bedacht und Alles recht gemacht, gebt unserem Gott die Ehre!“ – Mir hat das zu Ende eilende Jahr genau genommen doch nur Gutes gebracht, wenn auch, wie die Krankheitsnoth meiner Schwester es beweist, manches zu wünschen übrig geblieben wäre – allein wir lassen ja auch immer gar Vieles zu wünschen übrig, wie könnten wir da vom lieben Gott verlangen, daß uns Alles nach Wünschen ginge, er thut ja so noch überschwenglich über alles Bitten und Verstehen und Verdienen! Ich habe in der Jahresschlußpredigt diese und ähnliche Bemerkungen unter das Thema gefaßt: „Erfahrungen im vergangen Jahre, an welche uns das heut Evangelium erinnert“ – und habe diese Erfahrungen mit den Worten des Textes (Luc. 2,33-40) so ausgedrückt: Wir mußten im vergangen Jahr uns auch oft verwundern; es ist uns das vergangen Jahr auch zum Fall und Aufstehen gewesen; es ist uns im vergangen Jahr auch manches Schwerdt durch die Seele gedrungen; wir mußten im vergangen Jahr auch die Erlösung des HErrn preisen. Das war zum Jahresschluß, zum Jahresanfang will ich nach dem Evangelium den Neujahrstag als einen Tag sehr großen Ernstes darstellen, weil er uns auf das Nachdrücklichste an des Lebens Flüchtigkeit, Bedeutsamkeit, und Dunkelheit erinnert. An die zwei ferneren Predigten, welche ich diese Woche noch schaffen muß, habe ich noch nicht gedacht, man wird ja ganz zum Predigtmacher, vom 4ten Advent bis 6ten Januar acht verschiedene Predigten, wenn nicht gar noch einige Leichenpredigten dazu kommen! Am Weihnachtsfest habe ich dießmal in zwei zusammenhängenden Predigten dargestellt: Unser Weihnachtsfest in Vergleichung mit der ersten Weihnachtsfeier. Ich hatte als vergleichende Punkte: den Festgegenstand, die Festzeit, den Festort, die Festgenossen, die Feststimmung, und die Festwirkung; aber es hat mich die Durchführung gequält, weil sich die Gedanken in den einzelnen Theilen immer wiederholen wollten; ich war sehr unzufrieden damit, sodaß ich schon anfing andere Predigten zu disponiren, aber da sie doch den Festcharakter als Lieder in höherm Chor an sich trugen, ließ ich es dabei bewenden, rechnend darauf, daß meine Zuhörer, wenn sie erkannt werden, die übrigen Fehler nicht bemerken. Daß sie aber auch das Einfache anspricht, habe ich an der Nachmittagspredigt des ersten Feiertags bemerkt, ich hatte da nach der Epistel das Thema: „Wie heißt das Kindlein, das uns heut geboren“ – und erklärte nun die Worte des Propheten:

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Wunderbar, Rath213 etc. Dieß hat nach mehrfacher Äußerung auf das Höchste interessirt, hatte aber auch selbst meine Freude daran, weil ich sah, welch eine vollständige genau zusammenhängende Christologie in diesen Worten enthalten ist und wie unerschöpflich das Wort Gottes ist, so bald man es von verschiedenen Seiten ansieht. Ich habe das auch in der Adventszeit erlebt, ich habe über den lieben Johannes den Täufer nun schon manchmal gepredigt, und doch dießmal wieder in ganz andrer Weise als früher, die Themata beweisen das aber nicht, denn die sind ganz gewöhnlich: III. Advent: „Johannes im Gefängniß“ – was ihn dahin gebracht, was ihn darin beschäftigt und was er darin erlebt hat. IV. Advent: „Johannis Bekenntniß: ich bin nicht Christus!“ Das Aufrichtige und Demüthige, das Zurechtweisende und Verpflichtende, was in diesem Bekenntniß liegt. Am 1sten und 2ten Advent hielt ich zwei zusammenhängende allegorische Predigten über das Thema: „Wie der Lauf des Kirchenjahres das innerliche Leben der Christen abbildet?“ In so fern als es in beidem giebt: eine Advents-Weihnachts-PassionsOster-Pfingst und Trinitatiszeit.“ Ich predige nicht wieder so, es war zu hoch für meine Gemeinden, sind ihm auch das innerliche Glaubensleben noch gar zu sehr böhmische Dörfer! – Doch nun genug von meinen Predigten; ich habe dieselben mitgetheilt, wohl verstanden, weil ich die Wurst nach der Speckseite werden wollte – verzeihe das unedle Bild, also besser: weil ich damit Dich veranlassen wollte, mir ja auch zu schreiben, was Du gepredigt hast!! In dieser Hinsicht bringe ich Dir nun noch meinen besonderen Dank für die zwei Deiner Predigten, welche Du mir zum Lesen geschickt hast; Du hast damit nicht bloß mir, sondern auch den Meinigen, welchen ich sie vorgelesen habe, großen Genuß und wahre Erbauung gewährt; was nun das gründliche und scharfe Urtheil betrifft, das ich Dir darüber fällen soll, so komme ich damit in die größte Verlegenheit, denn ich kann gar nichts daran tadeln, muß Alles daran loben! Das liegt nun entweder daran, daß Deine Predigten wirklich so ausgezeichnet sind, oder daß ich kein Urtheil zu fällen verstehe, tertium non datur! Beim Vorlesen, namentlich der Todtenfestpredigt214, wurde nur bemerkt, daß sie vielleicht etwas zu lang wären, vollends als Nachmittagspredigten; ich mußte dieß bestätigen, besonders rücksichtlich der Einleitung zum Todtenfest, die doch zu viel, theilweise auch unnöthiges von dem Kirchenjahr redet; dagegen war mir der letzte Theil der Reformatfestpredigt zu kurz und nicht so schlagend und beweisend, als die andern Theile. Aber sonst, und wenn ich mich auf den Kopf stelle, es fällt kein Tadel weiter heraus, und das Bemerkte ist und soll nicht einmal ein Tadel sein, da Du Alles so wies dasteht, auch rechtfertigen kannst! Ich kann also nur loben, und damit ist Dir nicht gedient, also schweige ich lieber ganz davon! Was Fritzsches Refpredigt betrifft, so finde ich sie recht gut aber begeistert, hingerissen hat sie mich gar nicht; dasselbe muß ich auch sagen von Möllers Synodalpredigt, sie ist recht gut, aber im Ganzen läßt sie doch kalt; freilich

213 

Jesaia 9,6.  214  Der Totensonntag oder Ewigkeitssonntag ist der letzte Sonntag des Kirchenjahres. Der darauffolgende Sonntag ist der 1. Advent.

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auch sehr schwer bei einer solchen Gelegenheit allen Leuten es recht zu machen! Was urtheilst Du darüber und was hast Du sonst von der Synode gehört? Unser Wilke kam ganz befriedigt von dem Geist zurück, der dort gewaltet, obwohl er zu den Wenigen entschiedenen, strenggläubigen Leuten gehört hat, die gegen das Laxe gar zu sehr vermittelnde Princip Möllers opponirt haben, und daher öfters in Widerspruch mit der Gesammt-Synode Separaturtheile und Anträge abgegeben hat, die aber Hand und Fuß gehabt haben. Was man so durch die dritte und vierte Hand gehört hat, soll sich unser Wilke auf der Synode bei aller Bescheidenheit doch ausgezeichnet haben; er meinte jedoch, es hätte sich ein Einzelner bei dieser Synode gar nicht auszeichnen können! Hast Du Burckhardt darüber gesprochen oder sonst Jemanden? – Bei dieser Gelegenheit muß ich Dir doch  – von Merseburg hab ich es  – mittheilen, daß der Superint Ehrhardt in Eilenburg bei der letzten Ordensvertheilung in Vorschlag gewesen ist, einen Orden zu bekommen, (nach dem Alter wohl an der Reihe gewesen) aber „wegen seiner entschiedenen Unwürdigkeit“ ist er von dieser Auszeichnung ausgeschlossen worden!! – Ob er das weiß und seine Ephorie dazu? Wahrscheinlich ist den Behörden seine Spielwuth, seine Amtsvernachlässigung und dgl. zur Kenntniß gekommen! In Eilenburg nennt man ihn die Spielratte, und seine Töchter gelten wie -mädchen, so nackt tragen sie sich für gewöhnlich, und namentlich auf den Bällen zum Scandal! – Ehrhardt und Erdmann, welch würdige Collegen, man sollte öffentlich gegen sie protestiren! Sie haben aber doch den negativen Nutzen, daß man den HErrn inbrünstiger bittet, ein treuer Haushalter seiner Geheimnisse zu werden zu sein und zu bleiben! Wir wollen das gegenseitig für einander thun, lieber Schenk, auch jetzt beim Beginn des neuen Jahres für einander bitten und flehn, daß wir im Amt und Hause den Herrn treu bekennen und auch seinen Segen recht spüren! Somit Gott befohlen im neuen Jahr, in der Liebe bleibts beim Alten, in unsrer Correspondenz kann es wohl noch besser werden, öfter und mehr, das Mehr ist aber heute nicht möglich, ob ich wohl den Brief schon gestern zu schreiben beschloß und anfing, darum mein Fränzchen schon gestern ihr Briefli fertig machte, welches Du aber nicht mit kritischen Blicken anschauen darfst! Die Grüße hat sie schon gebracht, auch sonst von den letzt vergangen Festtagen des Nöthigste erwähnt, also Punctum! Die Bitte aber spreche ich noch aus, daß Du bald im neuen Jahr mit einem Briefchen und recht guten Nachrichten erfreust Deinen Dich unverändert herzlich liebenden Freund LNietzsche P.

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Nr. 44. an Schenk, 27. Januar 1845

Röcken, den 27ten Januar 1845 Mein theurer lieber Freund! Damit nicht etwa ein Rechtsstreit darüber entsteht, wer denn nun eigentlich von uns dießmal dem Andern ein Briefchen schuldig ist, will ich im neuen Jahr unsern Briefwechsel beginnen, und zwar um so lieber, als Dein lieber Sylvesterbrief den meinigen an Quantität und Qualität hoch übertraf! Von Herzen hat mich aber die Sympathie unsrer Seelen gefreut, daß wir an einem Tag und in einer Stunde uns geschrieben haben, auch enthielten übrigens diese Briefe so viel gleichlautende Äußerungen und Gesinnungen, daß ich daran uns recht als Freunde erkannte, nach dem Ausspruch Sallustii: Idem velle atque nolle dura est amicitia!215 Bei dieser „dura amicitia“ und bei diesem idem velle atque nolle soll es denn auch im neuen Jahre bleiben, und ich hoffte, wir würden uns dieß gleich an dem heutigen Tage beweisen können! Amtsbruder Oswald216 hatte mich nämlich zu dem Geburtstag seines Bruders217 nach Mutschau bestellt, und sagte mir, daß er dahin auch Wölbling, Kranz und Dich eingeladen hätte! Da freute ich mich denn sehr, daß ich Dich dort heute sprechen würde, hatte auch den stillen Gedanken, Abends mit Dir nach Zeitz zu wandern – aber das eingetretene Thauwetter und Glatteis hat die ganze Parthie vereitelt. So will ich mich dafür wenigstens schriftlich mit Dir unterhalten – vielleicht thust Du dasselbe und es begegnen sich dann wohl die Briefe wieder in großer Sympathie! Indem ich nun zur Beantwortung Deines langen herrlichen Briefs übergehe und Dir dafür meinen herzlichsten Dank sage, bemerke ich noch zuvor, daß ich denselben erst am 3ten Januar erhalten habe, indem ich meine Briefe wie Du willst, nicht zugeschickt erhalte, sondern abholen lasse, und da hatte ich gerade vom 31sten bis 3ten Januar nicht hinein geschickt; ich bemerke dieß deshalb, um nochmals in Erinnerung zu bringen „wenn Du mir etwas preßantes zu schreiben hast, so mußt Du nicht bloß auf den Brief schreiben, „um baldige Besorgung wird gebeten“ und dgl – sondern ausdrücklich darauf bemerken: per expreß nach Röcken zu befördern! (Hast Du meinen Brief richtig am 1sten Januar erhalten –

215  Sallust

Catilina 20,4: Idem velle atque idem nolle, ea demum firma amicitia est (lat: dasselbe zu wollen und dasselbe nicht zu wollen, gerade darin zeigt sich die beständige Freundschaft).  216 Gustav Adolf Oßwald (Anm. 115).  217  Carl Gustav Oßwald (Anm. 164). 

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antworte mir darauf!) Über alle die vielen erfreulichen Nachrichten, von welchen Dein letzter Brief voll war, habe ich mich mit den Meinigen außerordentlich gefreut, aber auch mit Euch um Eure liebe Marie mitgesorgt und betrübt, hoffen jedoch, daß nun das liebe Kind wieder völlig hergestellt ist, was Du uns ja bald schreiben mögest. Diese Sorge abgerechnet hat Dir aber wirklich das abschiednehmende Jahr noch gar viel Gutes gebracht, im Hause und im Amte, für Leib, Herz und Geist! Gott wolle das neue Jahr Dir gleicherweise zu einem Segensjahr machen, und namentlich die neubegonnen Werke des Frauenvereins und Kreisblattes recht zur Freude gereichen lassen. Ja, das muß Dich sehr beglücken zu sehen: Du bist an dem rechten Platze Gutes zu wirken218 - ich möchte auch etwas von solcher Wirksamkeit haben, allein wir Landprediger leben in dieser Hinsicht in einer ganz andern Sphäre, und ich fürchte sogar, daß man bei längerem Weilen auf dem Lande ganz die Lust und Kraft verliert, auch mehr für die Öffentlichkeit zu wirken; ich sehe das nur daran, daß der Gedanke, vielleicht einmal etwas für den Druck zu schreiben, bei mir in den 3 Jahren meines Hierseins schon ganz erstorben ist. Ich fühle mich in Allem so erbärmlich, daß ich froh bin, nur ein Landpastor zu sein, und nur ganz im Kleinen und Stillen wirken zu können – von den hochfahrenden Gedanken, einmal in eine große Stadt zu kommen, habe ich längst Abschied genommen; ich will auf dem Lande bleiben und mir nur ein Plätzchen noch suchen, wo ich einmal im Alter noch ein bessres Einkommen und kein Filial habe. Ich schreibe diese Gedanken mit einem besondern Grunde, aber ganz im Vertrauen zu Dir! Es ist jetzt eine solche Stelle vacant wie ich sie später einmal suchen wollte; der P Langheinrich219 ist in Webau gestorben, und der Patron kennt meinen Schwiegervater näher, daher dieser meinte, ich sollte doch darum anhalten; sie ist über 1000 Thl., hat aber ein Filial! Allein ich halte nicht an, denn bloß um einer Verbesserung willen jetzt schon wieder meine Gemeinde und meine angenehme Lage zu verlassen, erscheint mir als ein Unrecht, obwohl ich nicht weiß, daß sich mir später eine ähnliche Gelegenheit zu einer Verbessg gleich wieder bieten wird. Was sagst Du dazu? Die Meinigen sind auch entschieden für das Nichtanhalten, wir fühlen uns aber jetzt gerade auch recht glücklich in unserm Röcken, ich wüßte wirklich nicht das Geringste, was ich mir anders wünschen sollte, im Amte und Hause ist hier gut sein! Im Hause bereitet uns unser Fritzchen täglich neuen Zuwachs an Freuden, er entwickelt sich sichtbar, fängt an auf seinen Namen zu hören, kennt die Person lacht oft wer weiß wie sehr und thut auch schon, als wollte er sprechen. Er bietet uns die köstlichste Unterhaltung und Erholung, und versteht, alle ernsten

218  Schenk

war auf Anfang Jahr 1845 die Redaktion des Zeitzer Kreisblattes, einer Zeitung für die allgemeine Öffentlichkeit, die seit Januar 1826 wöchentlich zweimal erschien, übertragen worden. Ebenso hatte er einen Frauenverein ins Leben gerufen, der in der Gemeinde vornehmlich soziale Aufgaben wahrnahm. Schliesslich hatte ihm die zuständige Kirchenbehörde eine namhafte Gehaltserhöhung auf den gleichen Zeitpunkt zugesagt.  219  Johann Friedrich Lang-Heinrich (1789-1845), ev. Pfarrer, seit 1814 Pfarrer in Webau. Lang-Heinrich starb am 25. Januar 1845. 

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Falten uns von den Gesichtern hinwegzuzaubern, namentlich auch meine lieben Schwester Auguste, deren Befinden sich zwar nicht verschlechtert, aber auch, was namentlich die Gicht in den Füßen betrifft, nicht viel gebessert hat; sie hat jetzt die Homoeopathie aufgegeben und braucht die Leberthrankur, die ihr zuzusagen scheint. Dr. Ehrhardt220 war auch vor Kurzem bei uns, denn die genannte Kur geschieht unter seiner Leitung – da hat er mir aufgetragen, dich zu bitten, Du möchtest ihm doch so schnell als möglich den Fragezettel wieder schicken, er habe für den Augenblick nicht viel Exemplare davon übrig, er brauche dieselben doch immer! Daran will ich auch gleich eine Bitte knüpfen: Fritzschens Predigt kann ich Deiner Frau Schwiegermutter nicht wieder schicken; ich hatte sie Wimmern geborgt (hast Du dessen Aufsatz in den Studien und Kritiken gelesen: 1845 1stes Heft.) und der hat sie mir so schmutzig wiedergegeben, daß Du ein andres Exemplar für mich kaufen möchtest, und nach Altenburg unter vielen Empfehlungen spediren, kommst Du vielleicht selbst einmal nach Altenburg und siehst Gersdorfen, so frage ihn doch „ob er meinen Brief vom 18ten October richtig erhalten habe“; ich hatte ihm zu dem Tod seiner Schwester condolirt, und meines Fritzchens Ankunft gemeldet – da hat er mir doch nicht ein Wörtchen drauf erwidert! Ich bitte sehr: Vergiß diese Anfrage – nicht! – Eigentlich etwas Neues wüßte ich Dir von mir und hier nicht mitzutheilen; auch amtlich habe ich ganz in der Stille gelebt, und daher zum Lesen einiger Bücher (Liscos Kirchenjahr221, Schriften über Schleiermacher) Zeit gewonnen, Alles aber mehr nur zum praktischen Gebrauch. Kennst Du die Schrift: Die christl Kultur in ihren Entwicklgsformen von Alt in Berlin? Ich habe sie mir zur Ansicht verschrieben, möchte aber gern Dein Urtheil darüber haben! Ich bitte Dich überhaupt mir die Anfragen in meinem Sylvesterbrief ja zu beantworten, auch rücksichtlich Deiner gehaltenen Predigten in der Festzeit – und von wegen der Synode, deren Verhanlungen ja jetzt veröffentlicht werden! – Dein Urtheil über meine zwei Predigten ist sehr gütig und gnädig, ausführlicher wäre es mir noch lieber; Du kannst freilich dasselbe sagen! – Was das Predigen betrifft, noch ein Vorschlag: Mariae Reinigung und Estomihi fällt nächsten Sonntag (meines Fränzchens 19ter Geburtstag!) zusammen, das trifft sich selten so! Ich werde daher dieses Zusammentreffen zum Gegenstand meiner Predigt nehmen, und das Thema haben; „Des HErrn Jesu erstes und letztes Kommen nach Jerusalem!“ (In seiner Verschiedenheit und Ähnlichkeit etwa –) Hast Du auch den Tag zu predigen, so nimm doch dasselbe Thema, da können wir einmal unsre gegenseitige Eigenthümlichkeit recht prüfen, wenn wir Ein Thema behandeln! Sei so gut und gehe darauf ein! Meinen nächsten Brief erhältst Du – schon wieder – zu Deinem Geburtstag, darum will ich heute kurz sein, wie allemal; ich möchte gern diesen Brief bald in Deine Hände haben und die Gelegenheit ist eben nach Lützen da; ich

220 

Dr.med. Johann Heinrich Wilhelm Ehrhardt (ca. 1794-1848), seit 1833 bis zu seinem Tod prakt. Arzt, Homöopath, Chirurg und Geburtshelfer in Eilenburg, später in Merseburg. Heiratete 1821 Sophie Auguste Gruber (*1804). Das Paar hatte 4 Kinder, 2 Töchter und 2 Söhne.  221 Friedrich Gustav Lisco: Das christliche Kirchenjahr. Ein homiletisches Hülfsbuch, 18433. 

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erwarte aber bald auf meine 2 Briefchens eine lange Antwort, resp genaue Beantwortung meiner mannichfachen Fragen! Noch bemerke ich, daß ich von diesem Brief gestern (den 27ten) nur die Überschrift und die erste halbe Seite schrieb, dann kam Abhaltung, und so habe ich in der Morgenstunde des Dienstags diese flüchtigen Zeilen fertig geschrieben! Also für heute genug! Die herzlichsten Grüße von allen den Meinen an Dich und Deine liebe Emma, nebst Kinderchen! Gott sie mit Euch und mit Deinem Freund LNietzsche P.

Nr. 45. an Nietzsche, 1. Februar 1845

Zeitz den 1 Februar 1845. Theurer Freund, Du hast kein besondres Vertrauen zu meiner Liebe und Freundschaft gehabt, wenigstens nicht so unbedingtes, als ich zu den Deinigen, daß Du gemeint hast, ich würde vergangnen Montag, den 27 v M nur an Dich schreiben, statt Alles aufzubieten, Dich selbst zu sprechen. Nun Du wirst`s wohl schon von Oswald gehört haben, wie ich alle Hindernisse überwindend stracks seiner Ladung gen Mutzschau gefolgt bin, wenn er Dir auch nicht gesagt hat, weil er es nicht wußte, daß ich fast bloß in der Hoffnung Dich zu treffen, Confirmanden- und Seminar-Stunden quittierte, die mir dießmal bei der Kürze des Vierteljahres noch mehr als gewöhnlich am Herzen liegen. Dachtest Du Dir nicht, daß mich die gezeigte Aussicht eines wenn auch nur kurzen Wiedersehns unwiderstehlich locken würde? Du hättest wirklich das Bischen Glatteis nicht fürchten sollen. Es war gar nicht so schlimm, Weg und Wetter vielmehr recht günstig. Kam doch Wölbling, der viel weiter hat. Ihn kennen zu lernen war mir lieb und wir haben dann einige recht angenehme Stunden in anregendem Gespräch, verlebt, wenn auch Dein armer invalider Freund am wenigsten Gewinn daraus ziehen konnte! Oswald hat gewiß das Nähere mitgetheilt. Nur noch eine Bitte für die Zukunft. Solltest Du wieder einmal mit mir zu einem solchen Rendezvous eingeladen werden, so laß Dich nicht so leicht abhalten. Haben wir uns da auch nur wenige Stunden, so gewähren sie doch mehr als einige lange Briefe. Der jüngere222 Oswald wünscht, daß wir manchmal bei ihm, als ziemlich die Mitte, zusammenkommen. Hättest Du Lust? –

222 

Carl Gustav Oßwald (Anm. 164). 

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Es ist nur gut, daß Du Dein Nichtkommen gleich durch einen Brief gut zu machen gesucht hast. Ich nehme ihn als vollkommne Sühne an und danke Dir noch gar herzlich dafür. Er enthält ja wieder so viel Liebes und Gutes und ist so recht ein Brief, wie die Deinigen Alle. Wenn ich einen Brief von Dir erhalten oder noch einmal durchgelesen habe, fehlt mir immer der Muth – Dir zu schreiben. Ich weiß, daß ich`s nicht so kann und schäme mich in meiner Dürftigkeit und nackten Aeußerlichkeit vor Dir zu erscheinen. Siehst Du, das muß ich Dir auf Deine großen Elogen über Qualität und Quantität meines letzten Sylvesterbriefs entgegnen. Deine Briefe sind so anziehend schon wegen ihrer Frische und Unmittelbarkeit, zu der ich Mann der Reflexion es nimmermehr bringe. Nun wir wollen das: Suum cuique gelten lassen und jeder in seiner Weise fortschreiben, wie‘s nun eben geht. Du wirst ja ferner fürlieb nehmen. Wo soll ich nur bei der Beantwortung alles dessen anfangen, was Du wissen willst. Zunächst doch das Aelteste aus dem Neujahrsbrief. Da hat mich denn unsre Sympathie gar innig gefreut und ist mir ein neues Zeichen gewesen, daß wir noch lange treu bei einander stehen werden. Schade aber, Jammerschade daß Du meinen Brief nicht auch wie ich den Deinigen gleich den 1 Januar erhalten hast. Erwartetest Du denn von keinem der Deinigen Grüße und Wünsche? Bei uns ist`s denn auch, wie bei Euch durch Gottes Gnade im neuen Jahr bisher recht gut, ja wieder viel besser gegangen, als wir zu hoffen wagten. Es bleibt immer wieder beim Alten: „Der HErr giebt über unser Bitten und Verstehen.“ Zunächst wurde bald die Sorge um unser Mariechen von uns genommen. Nachdem der Fuß noch 14 Tage lang sehr bös gewesen war, wendete er sich auf einmal zum Bessren so daß er schon vor 14 Tagen wieder ganz heil war. Das gute Kind springt nun ganz glücklich in seinen Schuhen im ganzen Hause herum, spaziert allein herüber zu Fehmers, die seine treuesten und geliebtesten Freunde sind, und plappert den ganzen Tag, außer wenn`s ißt. Wir haben große Freude an seiner fortschreitenden geistigen und körperlichen Ausbildung. Noch größre beinahe, wär`s möglich, an der im Aeußren noch lieblicheren Anna. Ein reizenderes Kind kann man sich nicht denken und Jeder freut sich sein. Dabei ist es ungetrübt heiter und glücklich, lauter Leben und Freude, selbst jetzt, wo es mit Husten und Schnupfen arg geplagt ist. Gott bewahre uns die lieben Kinder, Euch aber besonders auch Euren Friederich, der nach Oswalds mit dem Deinen übereinstimmenden Bericht auch so prächtig gedeiht. Nun kommt bald die bessre, die freundliche Jahreszeit mit gutem Wege, da bringst Du Weib und Kind zu uns. Wir besuchen uns mit unsrer Familie. Welch wunderbarer Fortschritt in wenigen Jahren! Hast Du das nur früher für möglich gehalten? Wenn ich so Abends vor dem Schlafengehn noch einmal in die Schlafstube meiner Frau gehe, um die Kinder zu sehen und sie mit den heißesten Wünschen Gottes Schutz zu empfehlen, dann ist mir`s oft, als gehörte mir der überschwengliche Reichthum gar nicht. Mein Emmchen und ich, wir sehn uns still glücklich und gerührt an, blicken dankend nach Oben und scheiden mit einem innigen Händedruck über den Häuptern der lieben Kleinen. Emma sprichts manchmal aus, wenn‘s auch vielleicht nicht so ernst gemeint ist: „Wir sind zu glücklich. Gott wird uns ein Kind wieder nehmen.“ Da tönts dann zurück: „Wie Er will. Es sind geliehene Pfänder. Sein Name sei gelobt, doch wolle Er gnädig den Kelch vor

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uns vorüberführen!“ Wolle der gnädige Gott Euch Gesunde nicht bloß behüten, sondern auch Deiner lieben Schwester bald völlige Hülfe senden. Mit solchen Wünschen gedenken wir Eurer immer. Meines lieben Emmchens Befinden läßt zwar noch immer viel zu wünschen übrig, da es indeß von einer homöopathischen Cur mit ihrer strengen Diät durchaus nichts wissen will, so sende ich Dir den Fragezettel, bei dessen Lesen ja Jeder angst und bange werden muß, mit der Bitte, ihn dem HE Dr. zugleich mit den freundlichsten Grüßen und Entschuldigungen wieder zuzustellen. Mein Bruder, der Arzt, der uns vor 14 Tagen auf das Freudigste durch seinen Besuch überraschte, hat mich auch mehr beruhigt. Ich hoffe nun wieder auf den Sommer und habe den Vorsatz, Weib und Kinder viel in`s Freie zu schicken. Vielleicht kommt die Großmutter Wilmsen223 mit Paulchen und Gustchen her, und schlägt in einem Garten ihr Sommerquartier auf, da ist dann besondre Veranlassung zum Weilen im Freien und zu Ausflügen in die Umgegend. – Was Deine etwaigen Aussichten oder Bewerbungen um Webau betrifft, so bin ich ganz Deiner Ansicht. Ich würde irre an Dir, wenn Du jetzt auch nur den kleinsten Schritt zu einer Versetzung thätest. Du mußt Deiner Gemeinde, Du mußt des Königs wegen bleiben, der Dich in so außerordentlicher Weise berufen hat. Ich weiß nicht einmal, ob Du jetzt schon weggehn dürftest, wenn Du ohne irgend ein Zuthun der Deinigen einen Ruf zu einer andren Stelle erhieltest. Ein hinlängliches Auskommen hast Du noch 12 Jahre lang, selbst wenn Du zu dem ersten noch ein halbes Dutzend Kinder dazu erhälst. Man lernt sich einschränken und immer mehr scheinbare Bedürfnisse abthun, wobei man sich nur freier und glücklicher fühlt. Besonders dankbar bin ich Dir für die Mittheilung Deiner Predigtthemen in beiden Briefen. Sie sind vortrefflich, so Text- und Zeitgemäß. Ich bewundre immer wieder aufs Neue Deine Kunst und Fertigkeit darin. Könnte ich Dir doch auch etwas so Gutes bieten! Aber, lieber Gott, der Bettler hat kein Gold. Was ich habe, gebe ich, Äußerlich und innerlich Dürftiges; ich habe nämlich nicht den 3ten Theil so viel Predigten zu halten gehabt als Du. Also am 1 Whnachtsfsttag nach der Epistel: „Die heilsame Gnade Gottes in Christo.“ Wie sie in der Welt erscheint; was sie in der Mschht wirkt; welche Hoffnung für die Zukft sie verbürgt. Am letzten Sonntag des Jahres über das Evgl „Wie wir als fromme Christen würdig das Jahr beschließen.“ 1., Nicht mit ängstl Sorge, sond mit gläubg Vertrauen. 2., nicht mit thörichtem Murren, sondern mit aufrichtigem Danke. 3., nicht mit fleischlicher Sicherheit, sondern mit frommem Gebet. Das Alles an den Personen des Evgliums entwickelt. Am Sonntag nach Neujahr „Die Hülflosigkeit unsrer Kindlein.“ 1., worin sie besteht. 2., wozu sie uns treibt. 3., wohin sie uns weist. Die Predigt schien mir gar mager und Gedankenarm und ich war sehr unzufrieden mit ihr, aber keine hat fast

223 

Zu Wilhelmine Wilmsen-Zenker (Anm. 34). 

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noch so angesprochen. Die Frauen haben gesagt, so kann nur ein Familien-Vater predigen, der hatte denn auch unmitttelbar in freier Rede noch viel dazu gethan, was nicht auf dem Papier stand wozu ihn aber das Herz drängte. Aber voilà tout. Eine Epistelpredigt und mehrere an Freitagen so wie eine extemporirte zu Epiphanias über die Sterne, die uns zu Christus führen, kann ich gar nicht erwähnen. Alt über den Cultus habe ich nicht gelesen; überhaupt nichts Gediegnes und Schweres. Wo soll namentlich jetzt die Zeit her kommen. Ueber Möllers vielgepriesenes Vermittlungstalent ist nichts mehr zu sagen. Erdmann will sich sammt allen Rationalisten in seinem Lobe fast überschlagen. Nun ich denke, Vermitteln und Nivelliren ist noch nicht das Höchste, man muß sich dabei vor dem Indifferentismus hüten. Das Geleistete scheint indeß immer dankenswerth und besonders muß man sich über die öffentliche Rechenschaft freuen. Bald hätte ich`s vergessen. Ich habe morgen nicht zu predigen, sonst benutzte ich Dein interessantes Thema nach Deinem Vorschlage. Der Gedanke ist originell. Erschrick nur nicht über das Packet und sei nicht zu bitter getäuscht. Ich schicke Dir die schwachen Anfänge meiner Redaction, um Dich zu treiben, mir Gutes zu senden. In der That ich bitte Dich sehr, mir passende Mittheilungen besonders für den Landmann zu schicken. Belehrend, Unterhaltend, Anregend – seis wie‘s sei. Hab die Augen offen dafür und beschäftige Dich damit. Wirklich ich hoffe bald einen Aufsatz von Dir zu erhalten. Was meinst Du zu einer treffenden Kritik des ganz verfehlten Goldmacherdorfs von Zschokke224? Die Magdeburger scheinen auch recht ins Blaue herein zu ediren und keine d Volk und seine Bedürfnisse zu kennen. Ach könntest Du mich doch bald einmal besuchen! Ich habe ja noch so viel mit Dir zu besprechen. Allen den lieben Deinigen die herzlichsten Grüße zum frohen Feste. Der Gefeierten wird meine Emma sie für mich besonders bringen. Gott segne Dich und Dein ganzes Haus. Dein treuer Freund E.J. Schenk Soll ich Dir 1 Exemplar m. Blatts von Zeit zu Zeit bei sich darbietender Gelegenheit oder per Post schicken?

224 

Johann Heinrich Daniel Zschokke (1771-1848): Das Goldmacherdorf (1817), der erste Genossenschaftsroman der Weltliteratur. Eine aufklärerisch-utopische Dorferzählung. Zschokke war zu seiner Zeit einer der meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller. 

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Nr. 46. an Schenk, 26. März 1845

Röcken, den 26sten März 1845. Mein theurer lieber Freund! Endlich kann man wieder einmal frei aufathmen, und der erste freie Athemzug fliege nach Zeitz, dahin, wohin zu schreiben, es mich schon lange herzlich gedränget hat! Was hast Du nur dazu gesagt, lieber Schenk, daß nach dem 24ten Februar die Röckner Pfarrersleute auch nicht ein Sterbenswörtchen von sich haben hören lassen und nach dem so wohlthuenden Festtag bei den lieben Zeitzer Freunden nicht einen Gruß des Dankes und der Liebe nachgesendet haben? In den ersten Tagen nach unsrer Abends 11 Uhr ganz glücklich erfolgten Rückkehr geschah dieß Schweigen zufällig; später aber wo die Osterarbeit erst im Rücken sein sollte, mehr absichtlich – beides aber – das zufällige wie absichtliche Schweigen – mögest Du mit Deiner lieben Emma nicht übel deuten, auch ja nicht daran zweifeln, was ich ganz besonders von meinem Fränzchen versichern soll, wie dankbar wir des 24ten Februar gedenken! Doch mehr will ich darüber nicht sagen, denn ich sehe Dich schon ob dieser förmlichen Dankesversicherung die Stirn runzeln, und die beliebte Sentenz aussprechen „da ist wieder leibhaftig der Hofinstructor da!“ Also Punktum darüber und zu etwas Anderem, und zwar vor Allem zu der Frage: wie es Dir mit Frauchen und Kinderlein geht? Das ist eigentlich eine Bitte um einen Brief, sintemalen ich ja nicht wissen kann, wie es Dir geht, wenn Du mir rücksichtlich des Nichtschreibens so standhaft Widerpart hälst, als wie es seither der Fall gewesen ist; nun am Ende begegnen sich schon diese Briefe wieder, jedenfalls folgt aber meinen Zeilen von Deiner Seite bald ein recht langer Brief nach, und dabei ein recht getreues Referat, wie Du die geistlichen Marter-Wochen überstanden und was Du in ihnen gepredigt hast. Meinerseits ist Gott sei Dank Alles glücklich vorübergegangen, obwohl öfters mit dem drückenden Gefühl körperlicher und geistiger Schwachheit; es wird aber auch in beiderlei Hinsicht in der Osterzeit viel von uns verlangt – habe ich doch wieder von Palmarum bis Mar Verkünd225, also in 10 Tagen, achtzehn verschiedene Gottesdienste gehabt und 10 verschiedene Reden und Predigten ausarbeiten müssen, wobei ich freilich manchmal extemporirt habe; dazu kommen noch viele Krankenbesuche und einige Kranken Communion und Leichen indem leider jetzt in meinen Dörfern viel Krankheit herrscht, namentlich das Nervenfieber226. Es ist das kein Wunder, denn so ein ansehnliches Schnee und Eiswinterchen haben wir ja lange nicht gehabt. Habe oft vor Schnee kaum auf mein Filial gekonnt, und nächsten Sonntag wird wahrscheinlich kein Gottesdienst dort sein können, denn wir sitzen nächstens in blankem Wasser wie auf einer Insel; das Wasser wächst ringsum Stunde für Stunde und selbst über die Chausseen weg fließen Ströme; war

225 

Der 25. März. 

226 

Damit sind der Thyphus oder die Ruhr gemeint. 

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selbst gestern deshalb in einiger Gefahr, ich wollte gern den Amtsbruder Wimmer in Großgöhren sprechen, und dachte, daß es noch gehen würde, aber es war unmöglich und hatte mich beinahe schon zu weit gewagt, denn das Wasser strömte mir nichts dir nichts unter meinen Füßen weg! Wie mag es nun da vollends aussehen, wo Bäche und Flüsse in der Nähe sind, bei uns ist es doch nur Schneewasser, das sich leichter wieder verlaufen kann; wir hörten gestern, daß die Dörfer an der Saale schon Nothschüsse thäten! Wollte dabei gleich bemerken, falls dieser Brief – geschrieben am 26sten März als an der lieben Prinzeß Elisabeth Geburtstag – ein wenig altbacken geworden sein sollte, ehe er zu Dir kommt, so liegt es nur daran, daß das Wasser uns auch den Weg auf die Lützner Post abgeschnitten hat – jeden Augenblick wird dieß erwartet. Bei der mannichfachen Noth, die überall dadurch entstehen wird, ist mein Trost der: „und der Geist Gottes schwebet auf den Wassern“227 – und vielleicht wird für Manche das Wasser das Mittel, wodurch er sich wieder gedrungen fühlt, sich an den rechten Geist Gottes zu halten und das geistlose und wässrige Geschwätz „ob Schrift ob Geist“ – fahren zu lassen, und sich zu bekennen zu dem lebendigen Worte Gottes! Ist ja ein Greuel, wie mit dem Bekenntniß zu dem Worte Gottes jetzt umgesprungen wird, und was für schandbares Zeug gegen dasselbe gesprochen und gedruckt wird. Die jetzt mit Beschlag belegte Wislicenussche228 Schrift hat mich empört – Guerikes Gegenschrift will aber auch wenig sagen – und ich dächte, auch wer ihm sonst gewogen ist, möchte schon um der einen Stelle willen ihn verabscheuen, wo er den HErrn Jesus zum Hurkind stempelt mit der entschuldigenden Bemerkung, daß das Erzeugniß einer schwachen Stunde für seine Person nichts an Werth und Würde verliere! Nun, neues hat damit HErr Wislicenus nicht herausgebrochen aus seinem verdorbenen Glaubensmagen, aber daß dieß alte Zeug wieder aufgewärmt wird und dem christlichen Volk vorgesetzt wird, das ist empörend. Möchte wissen, was zu der teuflischen Schrift ist, womit sein Bruder in Bedra229 dem höllischen Bruder zur Hülfe eilet! – Sie stammen aus der Eilenburger Gegend – pfui doch, über diese Landsleute!

227  Genesis

1,2.  228  Gustav Adolf Wislicenus (1803-1875), ev. Pfarrer. Er schloss sich 1844 den Lichtfreunden an (Anm. 188) und hielt am 29. Mai 1844 vor rationalistischen Gesinnungsgenossen einen Vortrag „Ob Schrift? Ob Geist?“ über die Autorität der Bibel. Darin stellte er die Autorität der Bibel grundsätzlich in Frage, äusserte zudem Gedanken von David Friedrich Strauss und Ludwig Feuerbach. Damit ging er freilich weit über die Position Uhlichs (Anm. 188) hinaus. Daraufhin wurde er auf Betreiben des Hallenser Theologieprofessors Ferdinand Guericke (Anm. 187) seines Amtes enthoben. In Folge lebte er als Prediger der Freien evangelischen Gemeinde in Halle, später hielt er sich in Amerika auf, kehrte 1856 nach Europa zurück und liess sich schliesslich in Zürich nieder.  229 Adolf Timotheus Wislicenus (1806-1883), ev. Pfarrer in Bedra. Wie sein Bruder unterstützte er die rationalistische und liberale Oppositionsbewegung der Lichtfreunde. Auch er verliess später die evangelische Landeskirche in Preußen und gründete die Freireligiöse Gemeinde in Halberstadt. Später in Halle und Berlin. 1845 liess er eine Schrift zur Unterstützung seines Bruders erscheinen: „Beitrag zur Beantwortung der Frage: Ob Schrift? Ob Geist?“. 

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Die evangelische Kirche steht jedenfalls am Vorabend großer Umwälzungen, denn daß die protestantischen Freunde bald mit den Neukatholischen230 gemeinschftliche Sache machen werden, ist nach der Adreße der hallischen Lichtfreunde an dieselbe mit Bestimmtheit vorauszusehen; hat doch ein Gymnasialdirector in unsrer Nähe gesagt, wenn es nur erst losginge sich loszusagen von der evangel Kirche, er wäre einer der ersten, und würde dazu aufwiegeln, wo er nur könnte! – Nun bei den höhern Ständen der bürgerlichen Gesellschaft wird ihm dieß leicht gelingen, aber ob bei dem eigentl christlichen Volk, das bezweifle ich noch; und in dieser Hinsicht, daß z. B. unser Landvolk auch nicht im Entferntesten sich für die neuen unevangelischen Bewegungen intressirt, hoffe ich immer noch, daß es zu einer eigentlichen Spaltung in der evangelischen Kirche nicht kommen wird, auch weiß der liebe HErr seiner Kirche durch äußerliche Dinge Hemmschuhe anzulegen, über die man jetzt lieber hinwegsieht! Welche Umänderungen und Anordnungen wären nöthig, um äußerlich solche neue Gemeinde zu fundiren, wie viel Geistliche werden lieber bei der alten luther Kirche bleiben, als bei der neuen sich einer ungewissen Zukunft Preis geben; bleiben sie aber, nun so sind sie genöthigt, wenn sie vor der Welt nicht als die jämmerlichsten Lügner gelten wollen, sich innerlich zu dem rechten Glauben zu zwingen. In was für Kämpfe werden da manche Pfarrer mit sich kommen, und wie danke ich meinem Gott, daß ich weiß, an wen ich glaube! – Ich denke auch hier daran, daß Du mir sagtest, Du läsest jetzt die ev­ geli Kirchzung nicht mehr oder doch nur sehr alt, da möchte ich Dir sehr zum Gegentheil rathen, denn die evangeli Kirztg231 erhält in den neuen Kämpfen neue Wichtigkeit und vertritt muthig die alte evangel Kirche: gebe nur Gott die rechte Weisheit dazu, damit nicht mit Recht an das peccatur intra et extra232 erinnert werden muß. Um übrigens Kirchliches zu lesen braucht man jetzt keine eigent Kirchenzeitung zu halten; die politischen Zeitungen strotzen ja davon, und halten es sogar für Pflicht die verschiedenen Glaubensbekenntne der Neukathol mitzutheilen; und da wird Mancher dieß lesen, der gar nicht mehr wußte, was ein Glaubensbekenntniß war; das hat auch sein Gutes! Bin nur begierig, was – hört, hört – das Leipziger Concil zu Tage fördern wird, und wie sich zu allen diesen Dingen endlich die Staatsministerien verhalten werden; (der Auftritt mit dem Prinzen Luitpold in Baiern233, die Protestanten vertretend, hat mich sehr intressirt, da ich ihn auch persönlich kenne!

230  Nietzsche

meint damit die deutschkatholische Bewegung. Ist eine seit Mitte der 1840er Jahre in einzelnen Staaten des Deutschen Bundes aktive religiös-politische Bewegung. Diese erklärte die rationalistisch gedeutete Bibel zur einzigen Norm, verwarf das kirchliche Lehramt und den päpstlichen Primat, ebenso den Zölibat, die Beichte usw. Die Deutschkatholiken entwickelten ein sozialpolitisches Programm und standen den evangelischen Lichtfreunden nahe.  231  Vgl. dazu Anm. 88.  232  Horaz, Epist. I, 2,16: Iliacos intra muros peccatur et extra (lat.: innerhalb und ausserhalb von Ilium wird gesündigt) meint: überall werden Fehler gemacht.  233  Luitpold Karl Joseph Wilhelm von Bayern (1821-1912), von 1886 bis zu seinem Tod Prinzregent des Königreiches Bayern. 1835 Beginn einer Militärkarriere, wo er es bis zum Generalmajor brachte. Seit 1841 Ehrenmitglied der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. 

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Doch nun von dem Kirchlichen zu dem Häuslichen – Gott sei Dank, da ist nicht solcher Kampf und Spektakel, sondern Ruhe und Frieden, Glück und Seligkeit! Die Meinigen befinden sich Alle recht wohl, auch meine Schwester Auguste, so weit man ihre Füße nicht ansieht, die ihr noch viel zu schaffen machen. Einen Schmerz haben wir Alle aber doch in den letzten Wochen gehabt, indem meine liebe Tante Krause234 in Plauen (auch eine Frau Pathe von meinem Fritzchen) am Nervenfieber verstorben ist, der aber die Grabesruhe zu gönnen ist, da sie fast 40 Jahre lang kränklich gewesen ist; ihre nächsten Angehörigen, worunter ihr Bruder, mein Schwager Alfred Schmid, sind dennoch sehr dadurch betrübt worden. Mir war dieser Todesfall besonders in der Hinsicht sehr ernst, als nun alle meine ältern Verwandten verstorben sind, und dem Alter nach nun meine gute Mutter diesem Ziel die nächste ist; o bete mit mir, lieber Schenk, daß der HErr mir noch lange diese meine Freude und Krone erhält – sie war neulich auch gar nicht wohl, jetzt geht es aber besser, und ihr Enkelchen versteht alle ernsten Züge aus ihrem Antlitz zu vertreiben! Ja, unser Fritzchen ist unser Aller große Freude, seine geistige Lebendigkeit ist manchmal ganz außerordentlich, er macht auch schon Sprech- und Geh-Versuche, und ist namentlich ein Lichtfreund sonder Gleichen - bei allem aber sehr liebenswürdig, resp. für Eltern- Tante- und Großmutter - Augen!! – Aus unsrer Gegend Dir Neues mitzutheilen, ist rein unmöglich, denn bei jetzigen Wegen sieht man keine Menschenseele von anderswoher, nicht einmal von Pobles. – Da fühlt man das Hemmende und Drückende des Landlebens freilich, und man preiset die Städter glücklich im Winter, aber auch nur im Winter, denn im Frühling, Sommer und Herbst tauschen wir nicht, da sprechen wir: Hier ist gut sein, in diesen Hütten laßt uns bleiben235! Kann man auch manchmal Niemanden sprechen, nun so giebts ja Briefe und Posten, wodurch der liebe Zeitzer Freund mir bald Freude und Ersatz bereiten möge! Mein Fränzchen ist es in dieser Hinsicht gar schwer auf das Herz gefallen, daß sie Deiner lieben Emma für die große Freude des Geburtstagsbriefs nicht mündlich noch gedankt hat, es geschieht dieß hiermit nachträglich, feierlichst und herzlichst, woran ich gleich die freundlichsten Grüße knüpfen will an Dich, Dein Frauchen und Kinderlein von mir, wie Frauchen, Mamachen und Schwester, die mit mir Euch allen das beste Wohlsein wünschen! Auch nach Altenburg, viele Empfehlungen! Gersdorf hat immer noch nicht geschrieben, am Ende ist ein Brief an ihn verloren gegangen, da auf der Lützer Post schrecklich viel Unordnung herrscht! – Die letzte Gelegenheit geht nach Lützen – wenns noch geht – also muß ich schließen, ein ander Mal mehr von Deinem Nietzsche.

234  Zu 235 

Caroline Marie Wilhelmina geb. Schmid vgl. Anm. 161. Sie verstarb am 11. März 1845.  Matthäus 17,4. 

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Nr. 47. an Schenk, 1. Mai 1845

Röcken am 1sten Mai 1845

Auf daß Du, mein theurer Freund mit Deiner lieben Emma doch ein sichtbares Zeichen unsrer Erinnerung haben möchtest, schreibe ich am Himmel-FahrtsAbende diese Zeilen, welche zwar post festum kommen, aber nichts desto weniger gar herzlich und redlich gemeint sind, und in optima forma die innigsten Geburtstagswünsche bringen sollen. Im vorigen Jahr erlaubte ich mir, der theuren Geburtsträgerin236 ein eigenthümliches Brieflein zu weihen, denn sie war gewisser Maßen eine Wittwe die man in der Trübsal besuchen mußte – dießmal aber stehet ihr zweites Ich leibhaftig ihr zur Seite, und der Bußtag der Trennung ist zum Himmelfahrtsfest seligen Beisammenseins verkläret – da will es sich doch besser schicken durch den lieben Mann die Glückwünsche befördern zu lassen, der seinerseits nicht verfehlen wird, dem todten Buchstaben Geist und Kraft zu geben! Also, lieber Freund, bringe von den sämmtlichen Insassen des Röckner Pfarrhauses Deinem trefflichen Weibchen Geburtstagsgruß und Geburtstagssegen, den wir doppelt und dreifach abschicken, auf daß es im neuen Lebensjahr bei ihr und Dir und dem Schwesternpaar Segens der Fülle gebe – zu den mitfreuenden theilnehmendsten Seelen rechnen wir uns sicherlich! – Ich würde noch länger in dieser Weise fortschreiben, wenn ich nicht eine gewaltige Strafpredigt los sein wollte, die ich auf dem Herzen habe, doch indem ich sie abschütteln will, denke ich daran, daß die Liebe Alles träget und duldet und so deute ich nur an, was ich erst ausführen wollte! Ich habe auf Antwort auf einen Brief vom 8ten April gehofft, das ist das Thema, und warum ich gehofft, das sollte eine ganze Reihe von Gründen in regelrechter Disposition beweisen – allein ich will nur den einen Grund erwähnen „weil ich Dich gebeten hatte, mich aus der Sorge wegen Deiner Gesundheit durch einen Brief zu befreien!“ Nun, daß Du dieser Bitte nicht willfahrtest darüber habe ich mir erst eine Menge von Gründen gemacht, bis mir der Mutschauer Osswald in Rippach die Nachricht brachte, daß Du so ziemlich gesund wärest, zum Schreiben aber nicht hättest kommen können – Dieß war doch etwas, und das Mehr folgt hoffentlich bald nach! Am Ende begegnen sich diese Briefe abermals, nun ich hätte gar nichts dagegen, denn ich bin gar zu begierig, Genaueres von Deinem Befinden zu wissen und namentlich welchen Einfluß Deiner Osterkrankheit auf Dein Gehör gehabt hat. Auch sonst werden meine beiden letzten Briefe noch zu mancher Mittheilung Dir Veranlaßung sein, wobei ich besonders die Bitte wegen Gersdorf in Erinnerung bringe, da mir sein Stillschweigen gar zu leid thut. Dabei an Altenburg überhaupt

236 

Emmas Geburtstag war der 1. Mai. 

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gedenkend, muß ich doch erwähnen: Dein Schwager Ludwig sagte mir bei der Taufe Annchens, daß er Dir für mich ein recht billiges Exemplar von dem Bildniß der Prinzeß Therese und auch von Prinzeß Marie gelegentlich mitgeben wollte – hat derselbe dies gethan oder vergessen, oder sind diese Bilder nicht so billig zu haben, als er sagte? – Wie geht es sonst in Altenburg – was hört man namentlich von den Hoffnungen Hannovers237? Sind zum 1sten Mai vielleicht Deine Altenburger Lieben in Zeitz gewesen? – Lauter Fragezeichen, die zum Schreiben auffordern sollen, darum noch mehr Fragen: Hast Du den Protest meines Vetters Otto238 in Krosigk und des P. Ziesche gelesen, womit sie in Rheinwalds Kirchenzeitung gegen die Evangelische Kirchenzeitung auftreten, und was sagst Du zu ihrer verläumderischen Anklage des Kryptokatholicismus in dem Anhange der Evangelischen? – Ferner hast Du die Erklärung gegen Wislicenus, wofür jetzt Unterschriften gesammelt werden, auch mit unterschrieben, wie meine Wenigkeit gethan hat, obwohl ich sonst von solcher Namens-Veröffentlichung nichts halte? – Ferner: Was hast Du sonst Neues gehört und gelesen über die kirchlichen Angelegenheiten unsrer reformatorischen Zeit und was urtheilst Du jetzt darüber? – Von mir ist in der Hinsicht nicht viel zu holen, denn was unser Einer erfährt, und also urtheilt, das haben die Leute in der Stadt beim Buchhändler wohnend und Universallexicon schreibend längst wieder als antiquirt vergessen! Ein solches antikes Gepräge trugen auch die geistlichen Convente in Rippach und namentlich in Lützen, wo nur Altes besprochen wurde, doch mit neuem Leben! Gern reiste ich zur großen Pastoral-Conferenz nach Berlin, um sie auch mit der von 1843 zu vergleichen, aber der Pastor Vater hat keine Geld, muß auch nach Pfingsten hier zu Hause bleiben, weil dann mein Mutterchen und Schwester Auguste nach Bibra ins Bad gehen, indem sich jetzt bei meiner Schwester die Fußgicht vollständig ausgebildet hat, den Magenkrampf hat sie aber los! Demnach bin ich mit meinem Frauchen und Kindchen mehre Wochen allein, doch haben wir die Amme immer noch bis gegen Johannis als leidige Gesellschaft! Übrigens kann ich Dir von hier mittheilen, daß es ganz passabel geht – unser Fritzchen, das nächstens geimpft werden soll und bald Zähnchen bekommen wird, gedeiht fort zu unsrer Freude – hast Du nicht Lust ihn Dir mit Deiner Emma einmal zu besehen, und die Vorstellungs-Tour unsrer Kinder (!!) vorzunehmen? Damit Du nicht etwa die Ausrufungszeichen falsch verstehst, will ich ihren Sinn selbst angeben: es kommt mir gar zu eigen vor, daß wir beiden Freunde schon Frau und Kinder haben, eine Bemerkung, die auch mutatis mutandis im Lützner Convent vorkam, da das Viertel der Lützer Pfarrer Universitätsfreunde sind, die schon ein jeder sein Weib und Kind haben – tempora mutantur. Hast Du denn die

237  Aus

der Ehe Maries mit König Georg V. (Anm. 28) gingen drei Kinder hervor: Ernst August (1845-1923), Friederike (1848-1926) und Marie (1849-1904).  238  Vermutlich meint Nietzsche hier Otto Bernhard Dächsel (Anm. 128). 

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zukünftige Pfarrfrau von Mutschau239 gesehen – neuerdings als Braut – und wie gefällt sie Dir? – Nun, wenn es darauf ankommt, daß ich noch mehr fragen soll, so will ich schon noch Fragen finden, aber für heute sei es genug – denn ich habe andere Fragen noch zu bearbeiten – ich schreibe dieß den 2ten Maj – ich arbeite schon an meinen Pfingstpredigten, indem ich nächste Woche einige Arbeitstage verliere, da ich nach Bibra für meine Mutter reisen muß, um ihre Aufnahme dort zu bewirken und passendes Logis auszusuchen. So schließe ich diese Zeilen unter den herzlichsten Grüßen meiner Frau, Mutter und Schwester mit Wiederholung unsrer innigsten Wünsche für Deine liebe Emma! Mögest Du nur recht bald recht gute Nachricht von Dir und Deinen Lieben Allen geben: Deinem herzlich danach verlangendem Freunde LNietzsche P.

Noch bemerke ich, daß das Weißenfelser Missionsfest, Mittwoch den 14ten Maj und das Merseburger Bibelfest (wo Wilke predigt) Montag den 26ten Maj sind wird, ich werde so Gott will, beiden beiwohnen. –

Nr. 48. an Nietzsche, 14. Mai 1845

Zeitz den 14. Mai 1845 Mein lieber Freund, Wenn je einmal so hast Du gewiß jetzt Ursache zur Unzufriedenheit mit mir und meinem langen Schweigen. Nachdem ich schon früher Dich hatte ungebührlich warten lassen, schrieb ich Dir endlich als Reconvalescent nur aphoristisch Willens bald ausführliche Nachricht Dir zu geben. Aber siehe vergebens hast Du mir sogleich theilnehmend geantwortet und gute Kunde erbeten – ich habe wieder 5 Wochen verstreichen lassen und die Beschämung durch Deinen Brief vom 1. huj hinnehmen müssen. Du siehst, ich gestehe gleich meine Schuld ein, in der Hoffnung freilich, dadurch am ersten Dich zu besänftigen. Ich mag mich auch kaum entschuldigen, da es doch nichts ändert, wenn ich Dir von vielen Arbeiten und wenigen passenden Stunden zu einem Brief an Dich erzähle, selbst wenn ich sage, daß die nöthigsten Briefe an Mutter und Geschwister Monatelang unterblieben sind. Lieber sage ich Dir des auch Dir hoffentlich Erfreulichen, daß

239  Die Frau von Carl Gustav Oßwald war Malwine Louise Flemming (1827–†?). Die Familie hatte 8 Kinder (darunter 1 Sohn: Karl Martin Oßwald (geb. 1849), ev. Pfarrer in Rehfeld). 

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ich dafür desto öfter an Dich und die Deinigen gedacht, daß wir uns sehr viel mit Euch beschäftigt und uns Deiner im Ganzen ja guten Nachrichten gefreut haben. Möge Gott Euch ferner bewahren und insonderheit seinen besten Segen auf die Badekur Deiner lieben Schwester legen. Es wird Dir recht schwer werden, mit ihr zugleich die theure Mutter so lange zu missen, aber gewiß auch gut sein, daß Du einmal länger mit Deinem Fränzchen allein bist und ihr und Fritzchen alle Deine Zeit widmest. Ich überraschte Euch da gar zu gern einmal in Eurem Stillleben, wenn ich nur mehr Zeit hätte – doch auch so bist Du nicht sicher, da Du weißt daß der Weg für meine Füße auch in einem Tage nicht zu weit ist. Heut schon hoffte ich Dich zu sprechen, da ich mir fest vorgenommen hatte zum Missionsfest nach Weissenfels zu kommen. Allein ich bin hier durchs Amt gebunden, da meine beiden Collegen nicht da sind. Gieb mir nun Nachricht wie es gewesen ist und welche Erfahrungen Du gemacht hast. Aber zunächst erwartest Du Nachricht von mir, und zwar ausführliche, wenn ich anders alle Fragen Deiner Briefe beantworten soll. Zur Sache denn. Vor Allem meinen herzlichsten Dank für Deine liebevolle Theilnahme an meinem Unwohlsein und zur gänzlichen Beruhigung die Versicherung, daß ich wieder ganz frisch bin und von jenem Leiden gar nichts mehr spüre. Nach meinem letzten Briefe freilich, wo ich schon über den Berg zu sein glaubte, hatte ich noch sehr böse Anfälle und das Ganze ist mir eine eindringliche Mahnung gewesen, meine Gesundheit und meine edlen Sinne Gesicht und Gehör sonderlich, zu schonen. Das übrige körperliche Befinden läßt auch jetzt noch manches zu wünschen übrig, doch bin ich ganz zufrieden und danke Gott, daß er so gnädig gewesen ist. Jene Zeit der Leiden ist vielfach eine Zeit innren Segens und angenehmer Erfahrungen für mich gewesen. Auch die herzliche Theilnahme die ich vielfach da gefunden habe, wo ich sie nicht erwartet hätte, hat mir recht wohl gethan. Meine liebe Emma hat sich wieder so recht in all ihrer Liebe und Treue bewährt und wir haben uns auch da so recht glücklich ineinander gefühlt. Leider hat die Theure selbst immer mit viel Schwachheit zu kämpfen und Schmerzen zu dulden, wogegen ich gern etwas thäte und Hülfe suchte. Zuletzt haben wir große Sorge um unsre Marie, Dein Pathchen gehabt. Das arme Kind wurde Exaudi240 krank und zwar recht heftig, so daß wir ein böses Scharlachfieber fürchteten, das hier noch immer herumgeht und manche Opfer gefordert hat. Da habe ich dann in der vorigen Woche zum ersten Male die Kaltwasserkur angewendet d. h. das Kind tüchtig schwitzen lassen und darauf gebadet. Erst wollte es nichts fruchten, ja das Fieber wurde heftiger – allein seit vorgestern ist offenbar die Genesung eingetreten und heut geht es so gut, wie wir gar nicht zu hoffen wagten. Damit Du nicht über Vorwitz und Frevel mir vorwirfst, so muß ich Dir doch sagen, daß mich mein tüchtiger und besonnener Piutti förmlich für solche Fälle autorisirt hat und daß ich um sicher zu gehen, auch meinen Hausarzt consulirt habe, der aber keine Arznei verschrieben und meine Verfahren (freilich zum Theil nachträglich) gut geheißen hat. So kann ich

240 

Ist der Sonntag vor Pfingsten. 

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Dir also im Ganzen über unser Ergehen nur Erfreuliches berichten, denn unsre Anna gedeiht herrlich und ist in unsren Augen das liebenswürdigste Kind was es nur geben kann. In meinen übrigen Verhältnissen hat sich nichts geändert. Ich wirke mit Lust und Liebe in meinem geistlichen Amte und denke je länger je weniger daran, von hier wegzugehn. Schrieb ich Dir, daß ich von Merseburg aus indirect aufgefordert wurde, mich um das Domdiakonat zu bewerben? Ich werde mich hüten; hält man mich dazu für geeignet, so kann man mich rufen und dann würde ich mich noch lange besinnen, ob ich folgen solle und dürfe. Jetzt macht man wieder ein Plänchen, mich an Kühns241 Stelle zu bringen, der wahrscheinlich nächstens versetzt wird. Ich werde aber auch da keinen Schritt thun. Redacteur des Kreisblatts bin ich auch noch und zwar gern, da ich doch Frucht davon sehe und im Ganzen nur wenig Aerger gehabt habe. Freilich kostet es Zeit, die mir theuer ist. Deinen wohlgemeinten Rath es abzugeben kann ich aus vielen Gründen nicht beherzigen. Deine Mißbilligung ebensowohl meiner Redacteurschaft als der ganzen Haltung des Blattes lese ich nicht unschwer zwischen den Zeilen, aber ich kann mich dadurch nicht bestimmen lassen. Dient es zu Deiner Beruhigung, so will ich Dir auch noch sagen, daß ich immer nur sehr wenig auf Dich als Mitarbeiter gerechnet habe und daß Du darum nicht nöthig gehabt hättes so scharf und peremptorisch zu refüsiren… Quel bruit pour une omlette!242 sagte ich unwillkürlich, als ich es las. Leid hat es mir aber doch gethan, daß Du das ganze Blatt so verschmähst. Ich wünschte es Dir zu geben, ohne weiter auf einen Ersatz zu rechnen, weil ich hoffte auch für Deine Umgebung manches Gute bieten zu können. Nun darf ich Dir die Gabe aber doch nicht aufdrängen, obgleich ich jetzt noch mehr überzeugt bin, daß Du Ansprechendes darin finden würdest. Hier ist die Theilnahme in Stadt und Land sehr gestiegen, auch die Abonenntenzahl gewachsen. Vor dem Styl und Inhalt von Tippelskirchs Volksblatt243 werde ich mich auch ferner hüten, weil ich erkenne, daß er nicht der rechte ist. Der Erfolg wirds lehren. Werde mir nur nicht gram um diese Thätigkeit, wills Gott, so soll sie dann noch Segen schaffen, wenn ich in andren Kreisen nichts mehr wirken kann. Ich muß die Gelegenheit nutzen, die mir Gott zur Förderung seines Reiches giebt, da ich in meinem geistlichen Amte doch nicht so viel sein kann, als ich möchte. Aber genug davon, Du willst noch viele Fragen beantwortet haben. Ich folge der Reihe in Deinem Briefe. In Altenburg bin ich nicht gewesen, habe also auch mit Gersdorf nicht sprechen können und weiß nichts von ihm. Aus Altenburg war auch seit Neujahr nur Otto zu Ostern hier. Die Schwiegermutter befindet sich

241  Johann Wilhelm Victor Kühn (1775-1849), ev. Pfarrer, seit 1808 in Eisenach, schliesslich 1. Diakon und Oberkonsistorialrat daselbst.  242  Franz.: „so viel Lärm um nichts“, sprichwörtlich gewordener Ausruf.  243  Friedrich von Tippelskirch (1802-1866), ev. Pfarrer, seit 1837 in Giebichenstein. Hier gründete er 1844 das „Volksblatt für Stadt und Land“ und kämpfte als dessen Herausgeber gegen liberale Strömungen in Staat und Kirche an. Volkstümlich aufgemacht erreichte das Blatt bald große Popularität und war einer der Kristallisationspunkte der christlich-konservativen Bewegung der damaligen Zeit. 

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wohl, ebenso die Jungen, Johannes ist Gymnasiast, Minna aber ist sehr leidend und wird während des Sommers eine Brunnenkur brauchen. Weißt Du, daß die junge Lieuten. […], geb. Braun nach langen Leiden und gänzlicher Verrücktheit, dann daß die Frau von Hermann die liebenswürdige Engländerin im ersten Wochenbett gestorben ist? Auch sonst hat sich Manches drüben verändert, wie mir Emma erzählt hat. Ich vergesse es aber immer wieder bald, Du mußt daher lieber selbst einmal auf einige Tage herüber, damit Du Dich wieder einlebst. Bilder der Prinzessinnen hat mein Schwager Ludwig nicht geschickt; Du möchtest wohl auch vergebens darauf warten. Er läßt alle ½ Jahre einen bandreichen Roman vom Stapel laufen, und will ganz nach Leipzig übersiedeln. Deine Fragen über die neukatholische Bewegung und dann über Wislicenus pp. will ich lieber gar nicht anfangen zu beantworten, denn wo sollte ich da aufhören. Ueber Wislicenus nur so viel, daß Cuppelskirch mir die Gnadauer Erklärung gegen ihn geschickt hat, ob ich sie mit andern in meiner Umgebung vielleicht unterzeichnen wolle. Ich habe es nicht gethan, weil ich W`s Schrift noch nicht selbst gelesen habe, werde es aber auch nicht thun, weil ich von solchen Demonstrationen nichts wissen mag, die immer im Sinne einer gewissen Parthei gedeutet und ausgebeutet werden. Mag Jeder thun, was ihm gut dünkt, und so will ich auch Dich nicht tadeln. Aber zu heftig und leidenschaftlich, ebendeswegen befangen und etwas unfrei erscheinst Du mir. Die Hengstenbergische Kirchenzeitung bekomme ich nach der Ordnung unsres Lesezirkels noch immer sehr spät und kann kaum über sie urtheilen; ich weiß aber nicht wie man als evangelischer Christ jenem feierlichen Protest von Otto, […] und Fabel die Berechtigung absprechen will. Das Verfahren Hengstenbergs der neukathl Bewegung gegenüber – aus der ich nicht viel mache – erscheint mir gehässig und unwürdig, doch kenne ich das Ganze nicht genau genug und habe nur ein Urtheil aus einzelnen Bruchstücken. Wollen wir uns über die gegenwärtigen Bewegungen wirklich verständigen und über unsre Ansichten klar werden, so müssen wir uns einmal ausführlich sprechen. Vielleicht kommst Du bald einmal her, wozu Dir eine äußre Veranlassung die Nachricht sein möge, daß der Gen-Sup D 3. p Tr244 hier Kirchenvisitation hält, wobei ich nachmittags über 2 Cor 8,9 zu predigen habe und daß den Tag darauf Synode mit Gottesdienst ist. Das wird Dich doch her locken? Nun aber für heut genug. Ich habe nicht Zeit, noch mehr zu schreiben. Nur den freundlichsten Dank meiner Frau für Deine und der Deinigen gute Glückwünsche zum ersten zugleich mit den herzlichsten Grüßen von ihr an Euch alle muß ich noch sagen. Vergilt nicht Gleiches mit Gleichem sondern sammle durch baldige gute Nachrichten feurige Kohlen auf dem Haupte Deines treuen Freundes E. Schenk.

244 

4. Sonntag nach Pfingsten. 

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Nr. 49. an Schenk, 22. Mai 1845

Röcken, den 22ten Maj 1845

In der angenehmen Hoffnung, lieber Schenk, daß wir uns bald mündlich aussprechen können, will ich auch heute wieder sehr kurz sein, und Dir nur sagen, daß dies ein sehr guter Gedanke von Dir ist, die jungen Eheleute in ihrer Einsamkeit einmal überraschen zu wollen; damit aber diese uns so erfreuliche und ersehnte Überraschung nicht mißlingt, bemerke ich Dir zwei Tage, wo ich nicht zu Hause bin – nämlich: Montag, den 26sten Maj, wo Bibelfest in Merseburg ist, und Montag den 2ten Juni, wo Möller Synode in Weißenfels hält! Übrigens bin ich jeden Tag zu Hause, den 9ten Juni vielleicht noch ausgenommen, nun da wäre ich aber bei Dir in Zeitz selbst, denn Deiner freundlichen Aufforderung, auch der Zeitzer Synode beizuwohnen, möchte ich gar gern Folge leisten, ich muß aber erst abwarten, ob es Amt und Haus gestatten. – Deinen lieben, lange erwarteten Brief habe ich mit herzlicher Danksagung empfangen, ich möchte Dir mancherlei darauf antworten, aber es geschehe dieß lieber mündlich, nur in Bezug auf die Krankheit Deiner lieben Marie muß ich unsre innigste Theilnahme aussprechen, und den Herzenswunsch hinzufügen, daß sie nun vollständig wieder genesen sei! Möge dieser Dein für meine Schwester Auguste ausgesprochner Wunsch auch in Erfüllung gehen, gestern ist sie mit meinem Mutterchen in Gottes Namen nach Bibra abgereist! – Bist Du bis zum 9ten Juni noch nicht bei mir gewesen, und könnte ich nicht zu Eurer Synode kommen, so erwarte ich Dich gleich nach der Synode in Röcken und zwar, was auch mein Fränzchen freundlich grüßend dazusetzt, mit Frau und Kindern! Für heute nur dieß unter herzlichen Küssen und Grüßen für Dich und die Deinen von Deinem treuen Freund LNietzsche P.

Rücksichtlich des Kreisblattes hast Du mich ganz und gar falsch verstanden; mündlich darüber, wenn Du nicht wieder sagst „quel bruit pour une omelette!“ – Bis Nr. 25 habe ich es! - Unser Fritzchen hat am 14ten während ich in Weißenfels zu dem ansprechenden Missionsfest war – das erste Zähnchen bekommen!!

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Nr. 50. an Nietzsche, 5. September 1845

Zeitz den 5 September 1845 Lieber Freund, In der Hoffnung, daß meine Bitte um schnelle Besorgung von der Lützner Postexpedition berücksichtigt wird, sende ich Dir schon heute diese Zeilen mit den rückständigen Nummern des Kreisblattes. Ich thue das, weil ich glaube, daß gerade diese Dich interessiren werden, da sie Dir eine authentische Nachricht über das Treiben der hiesigen Lichtfreunde geben, und weil Du meine Ansichten nach einigen Beziehungen darüber ausgesprochen findest. Lieb würde es mir sein, wenn Du mir bald Dein Urtheil über meinen Aufsatz schriebest. Das aber berücksichtige von vorn herein, daß er sich nur an das im Kreisblatte selbst Vorliegende anknüpfen, also keineswegs das Ganze erschöpfend behandeln sollte. Beachte dann auch die Annonce der Webermeister Günther in N 40, sie dient zur Characteristik unsrer Bürgerschaft. Seit Deiner Abreise hat hier eine große Aufregung geherrscht und die Gespräche haben sich in allen Kreisen um die Lichtfreunde gedreht, die in der Gesammtstimmung des Publicums gänzlich Fiasco gemacht haben, wie es nach den kläglichen Persönlichkeiten, die an der Spitze standen, nicht anders möglich war. Am Mittwoch Deiner Abreise und den Sonnabend darauf waren die beiden Versammlungen, die das große Publicum sehr allarmierten. Man fürchtete sogar eine Demonstration gegen Wislicenus und es war gut, daß er nicht kam. Den Sonntag waren die Kirchen früh und Nachmittags so besucht wie an gewöhnlichen Sonntagen noch nie. Das christliche Publicum wollte schon dadurch seine Gesinnung gegen die Bestrebungen der s g Lichtfreunde darlegen, erwartete aber auch ein Wort darüber von seinen Geistlichen. Es täuschte sich darin nicht. Der Superintendent hatte über das bezügliche Wort des Evgl gepredigt: „Christus soll unser lieber Meister sein;“ weder kalt, noch warm, ohne Klarheit und Entschiedenheit, immer nur sagend, man habe von den Bewegungen nichts zu fürchten. Die Ernsten waren indigniert und ein gebildeter Kaufmann sagte geradezu: Wenn er noch eine solche Predigt hält, gehe ich nicht wieder zu ihm in die Kirche; das Publicum im Ganzen war unbefriedigt. Nachmittags predigte ich: „Wandelt im Geiste“ Ich frug zuerst, was das für ein Geist sei, nach dem Sinne der Forderung, ging dabei vom Gegensatze Fleisch aus, sagte dann, was wir gewöhnlich unter Geist verstehn, die verschiedenen Seiten, dann wie man jetzt so viel Wesens wieder vom Geiste mache. Darauf ging ich dan näher ein und suchte245 ihn populär zu characterisiren. Denn von einem solchen Geiste weiß die Schrift nichts. Da der Geist Gottes und Jesu Christi. Wo zeigt sich der im A T da und da; Christus, die Apo, Luther. Wie können wir ihn erlangen? Durch die Schrift, dch d Schriften

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Schenk schreibt „sagte“. Ist wohl ein Schreibfehler. Sollte wohl „suchte“ heissen. 

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der von diesem Geiste erfüllten Männer überhaupt; noch immer von Gott selbst, wenn wir ihm in demüthigem Glauben uns hingeben etc. Im 2ten Theile fragte ich nach den Merkmalen und Kennzeichen dieses Geistes, und hielt mich dabei ganz an die Epistel. Dieß unsretwegen – uns prüfen, ob im rechten Geiste wandeln – andre prüfen, die viel vom Geiste reden und einen neuen Grund in der Religion legen wollen. Da gab dann der Text sehr scharfe Seitenblicke auf das Leben der Führer der hiesigen Lichtfreunde, die fast alle in den dort gerügten Werken des Fleisches leben. – Der Hauptanstifter Assessor Steinert war, vor der Kirche vorübergehend, aus Neugierde eingetreten, wohl zum ersten Male, und mußte da gleich sein Conterfei erblicken, ohne daß es beabsichtigt war. Die Zuhörer waren theilnehmend und so viel ich höre befriedigt. Die Stimmung des Gesammtpublicums wurde immer entschiedner gegen die Lichtfreunde. Die Landleute und die schlichten Bürger wollen den Dr. Lohde nicht mehr als Arzt nehmen und sprechen das öffentlich aus. Lohde hat sich in No 20 selbst der Lüge zeihen müssen. Die entstellten und lügenhaften Berichte in der Leipzig Allgem Ztg über die hiesigen beiden Versammlungen (zu ihren Gunsten) mehrten die Mißstimmung auch unter den so genannt Gebildeten. Am Sonntag kams in einem Weinhause zum Ausbruch. Der Regierungsassessor von Breitenbauch, in diesen Tagen als Landrath von hier abge hat den Assessor Meinert vor einer Versammlung von 12 Personen, einen gemeinen Spion genannt, der sie über sein erbärmliches demagogisches Treiben hier nur aushorchen wolle, hat geradezu gefordert von ihm deswegen verklagt zu werden, und ihm versichert, daß Regierung, Oberlandsgericht und Ministerium von seinem Treiben in Kenntniß gesetzt werden solle. Der Steinert war früh bei Steuber246 in der Trinitatis-Kirche gewesen und hatte denselben, der auch über die Bewegung predigte, wie er schon vor 8 Tagen abgekündigt, in der Kirche durch Grimmassen verhöhnt. Die ganze Bevölkerung der Stadt ist darüber entrüstet, Steuber soll an das Consistorium berichtet haben und man erwartet ernste Strafe gegen Steinert vielleicht Festung. Auf die angestrichne Frage wegen Kirchenstörung sollte schon heut von mir eine Antwort aus dem Landrecht folgen, es war aber kein Platz. Mein College Schmidt hat am Sonntage nach der Stelle im Evgl „Niemand kann zween p.p. Ueber die Entschiedenheit in unsrem Glauben gepredigt“, wirklich kräftig und entschieden und die zahlreiche Gemeinde hat vielfach ihre Freude und Beistimmung ausgesprochen. So scheints wirklich, als ob dieses Lichttreiben hier ein frischeres und regeres religiöses Leben erwecken wollte und dann wollen wir Gott dafür preisen. Ich glaube es sind nicht noch 10 Männer hier, die entschieden für das Lichtfreundliche Treiben auftreten und die genießen keine Achtung. Ich wünschte Du hättest das Ganze hier mit durchmachen können. Die beiden Berichte über die Versammlungen habe ich auch geschrieben.

246  Johann

Zeitz. 

Andreas Gottfried Steuber (1786-1863), Dr. phil., 1833-1860 Oberpfarrer St. Nicolai in

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Doch nun genug davon. Deiner glücklichen Heimkunft freuen wir uns, Deiner verehrten Frau Mutter wünschen wir mit den freundlichsten Grüssen von Herzen gute Besserung. Gott gebe, daß sie schon eingetreten ist! Beruhige uns recht bald darüber. Daß Du die Missionsarbeit nun doch nicht machst, thut mir leid; ich glaube, gerade Du wärst der Mann dazu. Ein Glückskind aber bist Du: daß Du gleich unsren theuren Draeseke in Lützen triffst. Du weißt es gar nicht zu schätzen, da Du nie ein besondrer Verehrer von ihm gewesen bist. Käme er doch auf der Rückreise zu mir! Zum 20sten hat sich Ulisch bei mir angemeldet, vielleicht komme ich doch mit ihm zu Dir. Wenn ich anders wieder wohl bin. Seit Dienstag vor 8 Tagen, wo ich mich irgendwie erkältet habe, leide ich nämlich an einem heftigen Lungenkatarh. Schon Sonntag habe ich den Arzt rufen müssen, weil mir die Sache bedenklich schien, der gab mir Stubenarrest und verordnete neben Arznei die strengste Diät. Die Brust litt so sehr mit. Seit Gestern Abend scheint es mir etwas besser zu gehen, doch hat mich der Anfall recht mitgenommen. Mein Emmchen hat sich viel gesorgt. Gott gebe, daß Du mit Deinem Fränzchen und Fritzchen ganz wohl bist. Wir gedenken Eurer immer in aufrichtiger Liebe mit den herzlichsten Wünschen und senden die freundlichsten Grüße. – Was sagst Du zu der neuen Berliner Erklärung? Mich hat sie sehr überrascht und ich fürchte doch, sie ist nicht gut gethan wenn auch gut gemeint. Die Freunde des Evangeliums werden sie trotz aller Restrictionen für sich ausbeuten, wie es schon der Dr. Lohde in der Entgegnung, die ich beleuchtet habe, gethan. Für heute genug, nächstens aber mehr. Laß Du mich nicht warten und schreibe Alles, was Dir das Herz erfüllt und den Geist bewegt. Ich sehne mich schon wieder danach Dich zu sprechen. Dein treuer Freund Schenk

Otto kam am Sonntag vor 8 Tgen unmittelbar von der Königin Victoria247 aus Koburg und blieb 8 Tge hier. Er ist wohl und ich freue mich seiner sehr.

247  Victoria

(1819-1901), Königin des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Irland (1837-1901), die „Großmutter Europas“ genannt, wuchs als Tochter einer Prinzessin aus dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha zunächst fern vom englischen Hof in einer mehr deutschen als englischen Umgebung auf. Victorias Regierungszeit umfasste mehr als zwei Generationen. 

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Nr. 51. an Schenk, 16. September 1845

Röcken, den 16ten September 1845

Du wirst Dich lieber Schenk sehr gewundert haben, daß ich Deinen interessanten Brief vom 5ten d. so lange unbeantwortet gelassen habe; es kam dieß zunächst daher, daß ich denselben trotz Deiner erbetnen Beschleunigung erst den Dienstag erhielt, wonach ich dann keine Zeit zum Schreiben übrig behielt, indem ich außer den amtlichen Arbeiten (z. B. Erndtefest) und äußern Abhaltungen (z. B. Missionsfest in Lützen) noch einen fast 8tägigen lieben Besuch hatte, meinen theuren Neffen Candidat Dächsel, der meine freie Zeit ganz und gar in Anspruch nahm. Auch heute ist es mit der Schreibezeit und Schreibestimmung nur so so, und ich will mich daher kurz fassen in der Erwartung, daß Du nächste Woche mit dem lieben Uhlisch zu mir kommst; wäret Ihr durchaus verhindert zu kommen, was mir und den Meinen sehr leid thun würde, so wirst Du mir dieß schon schreiben, und darauf werde ich dann einen ellenlangen Brief schreiben. Dießmal also nur Aphorismen! Die Zeitzer Lichtgeschichte hat mich höchlichst intressirt, vorzüglich um Deinetwillen, der Du als ein so wackrer Kämpfer so muthig und wohlgewaffnet in die Schranken getreten bist; Dein Aufsatz gefällt mir sehr, einige Ausdrücke könnten darin wohl noch ruhiger sein auch erscheint mir die Vertretung der Zeitzer Ephorie bedenklich - aber sonst wüßte ich nichts daran auszusetzen. Du sprichst immer von den zwölf Sätzen248 der protestantischen Freunde soviel ich mich erinnere, sind es aber dreizehn. Ich bin nun sehr gespannt, was Nr. 11 darauf gethan hat; dieser He Steinert soll früher auch in Eilenburg gewesen sein, und da Heiliges und Kirchliches gleicherweise verhöhnt haben; mögest Du nur an ihm nicht die Erfahrung machen: Wer Pech angreift, besudelt sich! – Was den Berliner Protest N. 2 anbelangt, so mißfällt mir derselbe im höchsten Grade; wenn Männer wie Eylert249 und Draeseke solche Windmühlenkämpfe anfangen, solche leere Tiraden in die Welt schicken, so - - ! – Du sagst: „es wäre gut gemeint“ – auch dieß gebe ich nicht zu, denn wenn jene Schreiber den Frieden der Kirche damit befördern wollten, so dürften sie nicht mit solchen böswilligen, unsinnigen Beschuldigungen auftreten, als wie darin gegen die evangel Kirchenzeitung und ihren Anhang zu lesen ist; Draeseke schlägt sich dabei mit eigner Faust ins Angesicht, denn ganz dasselbe, was der Kirchenzeitungsparthei vorgeworfen wird, hat man ihm ja einst auch mit Recht vorgeworfen – Hierarchie,

248 

Vielleicht auch als „Stützen“ zu lesen.  249  Rulemann Friedrich Eylert (1770-1852), ev. ­Pfarrer, Dr. theol., seit 1806 Seelsorger des preußischen Königspaares. Zudem wichtiger Berater des preußischen Königs in kirchenpolitischen Fragen. Formulierte auf Antrag Friedrich Wilhelm III. dessen Aufruf zur Union von Lutheranern und Reformierten 1817. Später vom König zum Bischof und Mitglied des Staatsrates und des Ministeriums der geistlichen und Unterrichtsangelegeheiten ernannt. 

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Papst etc etcetera! – Doch ich wollte eigentlich heute nicht darüber schreiben, mündlich lieber; Laßt es Kämpfen draußen, wenn nur Frieden im Herzen und Hause ist! Auch dieser liebe Frieden wird oft genug angefochten, und wäre es auch nur, daß Krankheitsnoth nicht zur Ruhe kommen läßt; mit großem Bedauern lese ich ja, daß Du wieder ernstlich krank gewesen bist; gebe Gott, dass Alles wieder wohl bei Dir steht – bei uns steht es immer noch nicht gut, abgesehen davon, daß die sämmtlichen Hausgenossen einige Kränklichkeit haben durchmachen müssen, läßt namentlich das Befinden meiner guten Mutter noch viel zu wünschen übrig; und auch bei meiner Schwester Auguste regt sich wieder der alte Magenkrampf; mögen alle Sorgen gnädig vorübergehen! – Unser Lützner Missionsfest ist mit großer Theilnahme den 10ten gefeiert worden; es waren 28 Geistliche da (4 Sächsische Geistliche mit). Die Festredner Möller und […] haben jedoch nicht sonderlich angesprochen; namentlich war Möllers Predigt gar nicht für das hiesige Publicum passend, und hätte auch übrigens noch gediegner sein können. Das Missionswesen hat damit aber doch hier neues Leben empfangen, Wilke wird auf Wunsch vieler Lützner Missionsstunden einrichten, er sagte mir dieß gestern, wo der Großgörscher Oswald eine große Mittagsgesellschaft zu sich gebeten hatte. Es wurde da auch viel von dem Aufsehen und Anstoß gesprochen, rücksichtlich des Pastor Dr. Klee250 in Horburg, der in unsrer Gegend erst zeigt, was ein sogenannter pietistischer Geistlicher ist; man hat – obwohl er es sehr treu meint – ihm doch schon die Fenster eingeworfen! O, diese Toleranz der Lichtfreunde! – Wenn nur die Gnadauer Versammlung am 24sten September ohne Demonstration Seitens der Lichtfreunde verübergeht; von Halle aus hörte ich „man wolle sich an dieser Versammlung rächen wegen des Verbots der Licht „Versammlungen“, wenn Zeit und Geld, Amt und Haus es gestatteten, so wollte ich dennoch hin; – ich kann aber nicht gut – sollte Ulisch nicht hinreisen? Grüße denselben vorläufig herzlich; er kennt auch meinen Vetter Dächsel, ich bin sehr begierig, von ihm eine Neuheit über denselben zu hören. In der bestimmten Erwartung: mündlich mehr – schließe ich: unter den herzlichsten Begrüßungen von Haus zu Haus bleibe ich Dein treuer Freund Nietzsche P. Schreibst Du nach Altenburg, so lege viele herzliche Empfehlungen bei! –

250  Karl

Hermann Klee (1809-1892), ev. Pfarrer, Dr. phil., 1844-1857 Pfarrer in Horburg, später Missionsprediger in Danzig. 

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Nr. 52. an Nietzsche, Ende September 1845

undatiert ca. Ende September 1845 Lieber Freund, Auf Deinen letzten, zwar kurzen, aber doch lieben Brief heut nur wenige Worte. Die Zeit ist durch meinen lieben Besuch Ulisch gar knapp zugemessen und kostbar. Gestern spät Abends kam er an und heut Nacht reist er schon wieder ab. Mehrere Umstände zwingen ihn seinen Aufenthalt so zu beschränken. Zu Dir können wir also schon nicht kommen. Das wäre auch außerdem nicht möglich gewesen, da meine Gesundheit noch nicht ganz hergestellt ist. Gestern bin ich erst zum 2ten Male wieder ausgegangen. Doch geht es im Ganzen recht gut. Möchte ich ein Gleiches bald über das Befinden der lieben Deinigen von Dir hören. Du hast ausführliche Nachricht versprochen, so halte denn auch Wort. Ueber unsre Lichtfreunde kann ich Dir weiter nichts schreiben. Der Verfasser jener Entgegnung Dr. Lohde schickte ein „letztes Wort“ in dem ich der Lieblosigkeit, Tactlosigkeit und des Jesuitismus beschuldigt wurde. Ich wollte es aufnehmen, da ich mich für solche Angriffe doch zu groß fühle, aber der Censor strichs. Nun ist er an das Obercensur-Gericht gegangen, wird aber da kein besseres Resultat erzielen. Die Stimmung des Publicums bleibt entschieden dagegen. Ueber Draeseke p.p. urtheilst Du doch zu scharf. Man muß die Erklärung aus der Stellung der Männer und der Vorgänge in Berlin erklären, wovon uns nur Einzelnes zu Ohren gekommen ist. Doch das hier zu besprechen, würde gar zu weit führen. Vielleicht können wir uns doch bald einmal sprechen. Was wirst Du zu des General-Superintendenten merkwürdiger Ansprache sagen? Ich kann seinen Producten durchaus keinen Geschmack abgewinnen. Und dann wieder an die Superintendenten zur bloßen Mittheilung an uns gerichtet! Hält er seine Ansprache für so wichtig und nothwendig, so mag er jedem von uns ein Exemplar schicken, damit wir sie wiederholt lesen und beherzigen können. Ulisch grüßt Dich freundlich, meine Frau mit mir Euch Alle herzlich; ich bin wie immer in aufrichtiger Liebe Dein treuer Freund Schenk.

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Nr. 53. an Schenk, 20. Oktober 1845

Röcken, den 20ten October 1845. Mein theurer lieber Freund! In meinem ganzen Leben verspreche ich Dir keinen langen Brief wieder, denn auf diese Weise erhältst Du gar keinen, weil man zu einem langen Brief immer Zeit und Lust abwarten will, und das Schreiben darum von einem Mal zum andern verschiebt, bis endlich gar nichts daraus wird. Hierin soll die Entschuldigung enthalten sein warum ich seit dem 10ten September nicht geschrieben habe, obwohl außerdem noch auf dieses Schweigen der Gedanke einwirkte, daß Du die Tage des 10ten und 15ten October nicht würdest vorübergehen lassen können, ohne selbst nach Röcken zu kommen. Da dieß nicht geschehen ist, so sehe ich den heutigen erinnerungsreichen 20ten October als den äußersten Schreibetermin an, und nehme mir dazu mit Gewalt Zeit und Lust, freilich auf die Gefahr hin, daß der versprochene lange Brief am Ende doch nur ein kurzer wird; – in jedem Falle habe ich mich gegen Dich als Schuldner zu bekennen und Ursach, demüthig mit dem Schuldner des gestrigen Evangeliums zu rufen: Habe Geduld mit mir, ich will Dir Alles bezahlen251. Es liegen ja zwei Briefe von Dir mir zur danksagenden Beantwortung vor: der eine vom 24sten September welcher mir leider Deinen und Uhlischs Besuch abschreibt, der andere vom 8ten October, welcher mir so freundlich zum Geburtstag glückwünscht – übrigens erwähnen aber beide Briefe noch mancherlei aus der Zeitgeschichte, worauf ich lieber mündlich, als schriftlich antworten möchte. Zunächst aber will ich egoistisch genug nur von mir reden, weil ich bei dem treuen Freunde doch voraussetzen kann, daß ihm nach so langem Schweigen das Interessanteste ist zu hören, wie es mir und den Meinen seither ergangen ist. Nun, Gott sei Dank, dass ich in summa sagen kann „recht gut“ wobei ich freilich kleine Anstöße, einzelne Sorgen und dgl. nicht mit in Anschlag bringe; besonders aber freue ich mich, Dir sagen zu können, daß es mit dem Befinden meiner guten Mutter wieder recht leidlich geht, und der Fuß so ziemlich wieder ganz geheilt ist, wenn nichts Neues dazu kommt, was Gott verhüten wird. Weniger gut ist es mit meiner Schwester Auguste gegangen, die bei ihren Gichtschmerzen in den Füßen auch neue Anfälle des Magenkrampfes hat, so daß wir unsern HE Dr. Ehrhardt in Merseburg von Neuem in Anspruch genommen haben. Was nun die jugendlichen Eltern mit ihrem lieben Kindlein betrifft, so haben sich alle Drei recht tapfer gehalten, und ist namentlich unser holdes Fritzchen recht kräftig und lieblich gediehen! Die Geburtstage des 10ten und 15ten October waren daher große, herrliche Festtage, an welchen besonders ich mich als Sohn Gatte und Vater sehr glücklich gefühlt habe, da sich alles beeifert hatte, mir Freude zu machen. Meine gute

251 

Matthäus 18,26. 

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Mutter und lieben Schwestern hatten an beiden Tagen Alles festlich bereitet und die Geburtstagstische für „Vater, Mutter und Kind“ schönstens geschmückt, für Geist und Leib, für Herz und Magen bestens gesorgt und selbst durch Poesie die Gaben verherrlicht! Unser Fritzchen war aber uns Allen an beiden Tagen die höchste Würze, namentlich war es mir an meinem Geburtstag ein ganz eigenthümliches Gefühl, als am frühen Morgen, kaum aufgewacht noch im Bett mich Fritzchen rief: Papa, Papa! als wollte er mir seinen Glückwunsch bringen. Nächstes Jahr wird er so Gott will dieß wohl vermögen, da ihm das Sprechen leichter zu werden scheint als das Laufen womit es noch nicht recht gehen will, da er an seiner kleinen Last zu viel zu tragen hat, weil es ein dickes Jungelchen ist. Welch eine ganz andre Erscheinung bietet er aber doch gegen den 15ten October des vergangen Jahres dar, und wie hatte überhaupt der ganze diessjährige 15te October ein andres Gepräge als der vorjährige, dessen theilnehmender lieber Zeuge Du warst! Wir haben auch in dieser Beziehung jetzt viel Deiner gedacht und Dich zu uns gewünscht, haben aber an den beiden Festtagen wenigstens Deiner und Deiner lieben Emma geistige Nähe gefühlt, wie Du sie uns in Deinem Glückwünschungsbrief zusicherst für welche Zusendung, Theilnahme und Liebe ich Euch Lieben in meinem und der Meinen Namen den herzlichsten, wärmsten Dank sage – es bleibe mit dieser Liebe und Theilnahme zwischen uns im neuen Jahre beim Alten!! – Wir fanden aber an unsern Festtagen auch noch von anderwärts her viel Theilnahme Liebe, natürlich von Pobles am meisten aber auch durch Briefe und Geschenke von allen lieben Pathen und Geschwistern in der Ferne, bekamen auch aus der Nähe manchen Glückwünschungsbesuch und mein lieber Bruder kam sogar aus seinem entlegenen Nirmsdorf dazu her! Da fühlte ich recht die Bedeutung Deines Wunsches: „Gott erhalte Dir Alles das Köstliche, womit er Dich so reich gesegnet hat in aller Weise!“ – Freilich wissen wir nicht wie leicht sich dieß Alles ändern kann, ich sehe dieß jetzt gleich in meinem amtlichen Leben; da ist seit einigen Wochen eine große Störung und Unruhe eingetreten, indem nämlich ganz unerwartet die offizielle Feld-Separation angefangen worden ist; da haben nun meine Gemeinden gar nichts Andres mehr im Kopfe als Separation und Separation, also daß ich jetzt in meiner leeren Kirche predigen mag was ich will, komme ich von der Kanzel, so ist gewiß des Kirchvaters erstes Wort: „na, bei dem letzten Separationstermin ist es wieder schön zugegangen“ – u.s.w., u.s.w. Ich selber bin mit meinen Gedanken und Sorgen durch die Separation auf ein ganz fremdes Gebiet verwiesen, und abgesehen von den äußern Nachtheilen, die ich bei der Separation fürchten muß, habe ich mich noch viel mehr zu fürchten vor den Nachtheilen, welche meiner amtlichen Wirksamkeit und amtlichen Stellung dadurch erwachsen können, schon dadurch, daß die Bauern sehen, wie der Pastor doch auch nach dem Irdischen trachten muß. Was der König zu dem Berliner Magistrat gesagt hat – die ganze Antwort ist herrlich – sage ich von meiner Separation „ich beklage es als ein Unglück etc!“ – Mit Gott wird es ja auch vorübergehen, und geht vielleicht besser, schneller und unschädlicher vorüber, als ich jetzt denke, und Gott wird mir Kraft geben daß ich auch in dieser bösen Zeit mein Amt nicht ohne Segen verwalte, und auch nichts dadurch an der Liebe und Achtung verliere, welche ich jetzt bei meiner Gemeinde habe.

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Übrigens der Bauer, von dem ich Dir erzählte, daß er sich durch eine Predigt so verletzt gefühlt habe, bleibt in seiner Verstockung, geht in keine Kirche, geht mir ganz aus dem Wege, was mir namentlich einmal, da es auf eine sehr auffallende unartige Weise geschah, sehr betrübend war, noch dazu da es gerade (am 25ten September) in der Stunde geschah, wo ich vor 4 Jahren die Designation nach Röcken bekam – ein zu greller Contrast!! – Es ist diese einzelne kleine Erfahrung auch ein Zeichen der Zeit, denn der Trieb nach Freiheit, der Widerwille gegen alles Geistliche und Christliche waltet im Grunde auch hier vor; es ist die Zeit des Protestirens – dadurch werde ich wieder auf das Thema geführt, welches ich bei dem vorjährigen Reformationsfest zurücklegte, dießmal aber vielleicht festhalte, was ist eigentlich ein rechter Protestant? – Ringsherum wird übrigens das Reformationsfest am 31sten October gefeiert nur unser trotzköpfiger Superintendent geht von seinem Sonntag nicht ab, dießmal freilich aus Besorgung rücksichtlich des vergangen Jahres; warum aber das neueste Rescript in dieser Angelegenheit wieder so unbestimmt es gelassen hat? Ja, das Rescript des Generalsuperintendenten, welches Du in Deinem vorletzten Brief erwähnst, hat mir auch nicht zugesagt, weder in seiner Form noch in seinem Inhalt obwohl ich demüthig bekenne, daß ich solch ein Rescript nicht machen könnte; ich möchte jedoch meinen, daß der Inhalt besser war als die Form, zu der nach meiner Ansicht geschraubten Form rechne ich auch die sonderbarlichen Anspielungen auf Stellen des A.T., die er sehr zu lieben scheint und wobei wenigstens das Gute ist, daß man dadurch erinnert wird, das alte Testament nicht liegen zu lassen, wenn man sein Rescript verstehen will. Ich könnte jedoch nicht sagen, daß mir das lange Göschelsche252 Rescript viel besser gefallen hätte – „man merkt die Absicht und wird verstimmt“ – werden gewiß Viele davon sagen, am allermeisten die Lichtfreunde denen die Flügel doch jetzt sehr verschnitten sind und deren Herumfliegen und Herumtreiben gewiß zum schon bemerkten Segen verboten ist, wäre dieß Verbot wenigstens zwei Jahre früher gekommen wie viel Unheil und Störung wäre dadurch verhütet worden, und das Geschrei über dieß Verbot würde auch nicht viel größer gewesen sein, als jetzt, wo die Lichtfreund-Sache eine solche Höhe erreicht hatte! Gefallen hat mir, daß ihre Hauptversammlung freiwillig eingestellt worden ist, und daß auch die Gnadauer Versammlung um des Friedens willen wenigstens den Gedanken gehabt hat, dießmal auch zu Hause zu bleiben. Die dennoch abgehaltene Versammlung habe ich nicht besucht, ich hatte nicht recht Zeit und Geld dazu, und wenn ich dieß auch gehabt hätte, würde ich es denoch nicht vermocht haben, weil ich gerade in jenen Tagen unwohl war, was ich umsomehr als einen Wink

252 

Karl Friedrich Göschel (1784-1861), Dr. iur., 1834 als Geheimer Oberjustizrat in das preußische Justizministerium nach Berlin berufen, wo er sich mit Kirchenangelegenheiten befasste. 1845 berief ihn König Wilhlem IV. zum Mitglied des Staatsrates. Noch im selber Jahr vom König in die Leitungsstelle des Konsistoriums der Kirchenprovinz Sachsen nach Magdeburg berufen. 1848 reichte er wegen unüberbrückbarer Differenzen mit seinem Landesherrn seine Demission ein. Frömmigkeitsgeschichtlich ist Göschel der Erweckungsbewegung zuzurechnen. 

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des Dableibens ansah. Es soll recht friedlich und geistig in Gnadau zugegangen sein, näheres habe ich aber davon nicht gehört; daß Seitens der Lichtfreunde gar keine Demonstration an jenem Tage versucht worden ist wie man erst allgemein gefürchtet hat ist ein gutes Zeichen fürs sie; man soll dieß mit als eine Wirkung der neusten Schriftchen von Uhlisch ansehen, was ich jedoch nicht gelesen habe. Wer kann überhaupt alle die Schriften und Schriftchen lesen, welche die neuesten Ereignisse hervorrufen z. B. nun in Angelegenheit des 2ten Berliner Protestes; einige davon erwarten wir in unserm Lesezirkel, auf die von Draeseke (so eben erschienen) Eylert, Stahl, Lisco (auch eben erschienen) bin ich sehr begierig – es sind aber alles nur 2 […] Schriften!! Wie hat Dir denn die Harmssche Gegenerklärung gefallen – wer Harms‘ Art gerne hat, dem wird sie gefallen haben, wer Harms‘ Art nicht leiden kann, dem wird sie mißfallen haben: daher hat sie mir theilweise mißfallen und gefallen, weil ich auch nur theilweise für Harms bin – es war mir aber dennoch eine sehr große Freude von meinem lieben Freund zum Geburtstag zu erhalten die neueste Ausgabe von Harms Sommer- und Winter-Postille253, ein in jeder Hinsicht theures Buch! Dabei will ich doch nachträglich erwähnen, daß ich am 15ten October, obwohl ich kein Lichtfreund bin, doch meinem Fränzchen ein Lichtbild bescheeret habe, nämlich mein Conterfey, sehr getroffen, und darum für sie, wie einst auch für mein Fritzchen ein bleibendes Andenken an den ersten Geburtstag unsres ersten Kindchens! Mein Frauchen begrüßte das Bildlein mit hellen Freudenthränen! – Wir sind nun schon 2 Jahre verheirathet – die schwärmerische Bräutigamsliebe kann also wohl nicht mehr da sein, aber dennoch sage ich: Mein Fränzchen wird mir mit jedem Tage lieber – und umgekehrt spricht Fränzchen auch; und ich denke ein gleiches Bekenntniß werdet Ihr beiden Lieben heute auch ablegen, nachdem schon ein Lustrum254 seit Eurem Verlobungstag verschwunden ist! Mögen wir zwei liebende Paare ein gleiches Bekenntniß unter Dank und Freude nach einem Semioctoplum255 ablegen, was […] zu erleben möglich ist, wenn anders Gottes Gnade es will! Ich denke heute recht zurück an den Verlobungstag in Altenburg – wie viel wir Beide seitdem erlebt und durchgemacht haben, und immer erscheint mir dabei im Hintergrund das Altenburgerleben als das schönste Lichtbild, von welchem, je weiter ich mich der Zeit nach entferne, desto mehr aller Schatten schwindet! Rechte lebendige Erinnerungen daran rief mir auch Dein letzter Brief ins Gedächtniß zurück, da Du von der lieben Hesekielschen Familie, von der Geburtstagsfeier des Hannoverschen Erbprinzen und von Schellenbergs traurigem Wechsel näheres mittheilst; Alles habe ich mit der größten Theilnahme gelesen, wovon Du wohl überzeugt bist, ohne daß ich es besonders versichere, ich kann Dich nur bitten Ähnliches bald wieder zu thun, da Du doch durch Deine liebe Emma ehr etwas von Altenburg hörst, als ich, denn mein Briefwechsel mit Gersdorf geht in zu gemessnen Pausen – ob derselbe wohl geheirathet hat? – Ich hatte

253  Claus

Harms: Winter- und Sommer-Postille oder Predigten an den Sonn- und Festtagen des ganzen Jahres. 2 Theile, Leipzig 18455.  254  Ein Zeitraum von vier resp. fünf Jahren.  255  Das ‚Halbacht-fache‘ = 4 = 1 Lustrum. 

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immer Lust dem Herzog zu seiner Großvaterwürde zu gratuliren, aber ich habe es unterlassen, weil doch die Prinzeß Marie nicht meine Schülerin gewesen ist; bei den Ereignissen, welche künftig meine 3 lieben Schülerinnen256 betreffen werden, denke ich weniger zudringlich zu erscheinen, wenn ich brieflich meine Theilnahme jedes mal zu erkennen gebe, obwohl ich glaube, daß man an dieser Theilnahme nicht zweifelt, wenn ich sie auch nicht schriftlich bezeuge. Ich fürchte nun, daß man die wiederholte Annäherung auch anders deuten könnte, als sie gemeint ist. – Das ist es auch mit, warum ich jetzt nicht dem Herzog geschrieben habe. – Ich komme nun zum Schluß meines Briefes, und da muß ich vor Allem noch meine Besorgniß wegen Deiner lieben Gesundheit aussprechen, da dieselbe viel mehr bedrohet gewesen ist, als ich erst aus Deinem Brief gemerkt hatte. Ich hoffe nun zwar, daß alle Nachspuren völlig verschwunden sind, aber dennoch wünsche ich, daß Du Dich recht in Acht nehmen mögest, um keinen Rückfall hervorzurufen! Ob Du diesen durch einen Ausflug zu bewirken fürchten mußt, der Dich nach Röcken treibt, kann ich freilich nicht beurtheilen, bei jetzigem Wind und Wetter wohl, aber nicht, wenn wir noch einen schönen Spätherbst bekämen, den Du dann gewiß nicht vorüberlassen wirst, ohne den versprochen Besuch auszuführen; der directe Weg ist freilich zum Fahren schon sehr schlecht, wie ich bei einigen Besuchen nach Minkwitz, Göthewitz, Vesta und dgl. selbst bemerkt habe; Der Amtsbruder in Göthewitz – daß ich dieß gleich mit erwähne – kommt am Ende als Archidiaconus nach Weißenfels; er hat zwar gar nicht darum angehalten, aber er hat einige Mal für den Superintendenten predigen müssen und dabei hat er so gefallen, daß der Magistrat ihm die Stelle antragen will; es wäre für Weißenfels eine sehr gute Acquisition, denn Herbst257 ist ein tüchtiger Mann und steht auch mit seinem Glauben auf dem Worte Gottes, rechnet sich zu den bekannten IIa, an deren Verhandlungen in Halle aber keiner aus unserem Kreise theilgenommen hat. Einen finde ich unter den Namen jener Männer, der mich freudigst überraschte, das ist der Pastor Köhler258 aus Lodersleben, früher Hauslehrer bei Superintendenten in Eilenburg und schroffer Rationalist, jetzt – quelle difference! Ich kaufte mir seine Bibelpredigt, in Querfurt gehalten, die mir um ihrer Form, aber besonders auch um ihres gläubigen Inhalts willen außerordentlich gefallen hat, wenn darin auch einige Parthien noch gründlicher durchgeführt sein könnten. – Nächstes Jahr will ich so Gott will einen Gang nach Thüringen machen, da will ich ihn auch mitbesuchen; ich hätte es beinahe jetzt noch gethan, da ich einige Ausflüge nach Merseburg und Leipzig machte und dadurch Reise- und Laufelust bekam; in Merseburg habe ich mich aber gar nicht lange aufgehalten und nur den Dr. Ehrhardt besucht, in Leipzig aber blieb ich eine Nacht, und habe da unter andern Sehenswürdigkeiten auch den Taschenspieler Frickel gesehen und bewundert.

256  Carl Ludwig Nietzsche war Lehrer der Prinzessinnen Therese (Anm. 52), Elisabeth (Anm. 139) und Alexandra von Sachsen-Altenburg (1830-1911) gewesen.  257  Johann Ferdinand Herbst (18091884), ev. Pfarrer, 1841-1846 Pfarrer in Göthewitz, seit 1846 Archidiakon in Weißenfels, später Pfarrer und Superintendent in Lauchstädt.  258  Karl Friedrich Gustav Köhler (1810-1883), ev. Pfarrer, seit 1838 in Lodersleben. 

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Ich war auch ein Stündchen in einer Herrengesellschaft, wo ich mich wunderte über diesen raisonnirenden Ton der in Leipzig herrscht; die Unterhaltung bewegte sich (ich war stummer Zeuge) über die Ereignisse des 12ten August259 und über die kirchlichen Angelegenheiten, wobei es den HE Ministern namentlich […] wegen seiner mir sehr zusagenden Erklärung rücksichtl der Lichtfreunde sehr schlecht ging; dagegen theilte mir Pastor Florey260 aus Lauterbach, den ich bei meinem Buchhändler traf, eine Adresse der gläubigen Geistlichen mit, welche die Minister bis in den Himmel erhebt. Florey, den ich längst gern kennen lernen wollte, und der ganz unerwarteter Weise in dem Augenblick bei dem Buchhändler Kleinstadt eintrat, als ich eben diesen Wunsch aussprach, hat mir sehr gefallen; er ist geistig und leiblich ein schöner frischer kräftiger Mann! – Neulich hatte ich auch unbewußt einen Geistlichen als Zuhörer, den Pastor Menzel261 aus Falkenberg bei Torgau, früher Diaconus in Eilenburg; er brachte seinen Sohn nach Pforta und wollte auf dem Rückweg zu guter letzt noch einmal die Regierung bestürmen, wird aber wohl zu spät gekommen sein, da mit dem 1sten November das Consistorium die Stelle vergiebt, hier glaubt man, daß das Consistorium die Geistlichen aus einem Regierungsbezirk in den andern versetzen wird; glaubst Du das auch? – Doch für heute will ich nichts mehr fragen und nichts mehr sagen, sondern schließen, aber mit der Bitte: Vergilt nicht Böses mit Bösem, sondern schreibe mir recht bald wieder, mußt Du auch um Deiner Kreisblätter willen auf dessen neue Blätter wir allemal sehr begierig sind! – Die herzlichsten Grüße von allen den Meinen an Dich und Deine liebe Emma, mit dem herzlichen Wunsche, daß Du Dich mit allen Deinen Lieben recht wohl befinden mögest, und unser freundlich gedenken möget allezeit! In treuer unveränderlicher Liebe bleibe ich auch in meinem neuen Lebensjahr Dein alter Freund LNietzsche P.

259  Am

12. August 1845 fand in Berlin eine Versammlung von ca. 800 Sympathisanten der Lichtfreunde statt. Dabei sollte ein Gespräch über die religiösen Bedürfnisse der Gegenwart unter Leitung von Pfarrer Johann Markus Leberecht Uhlich (Anm. 188), dem Begründer der Lichtfreunde und Mitbegründer der Freireligiösen Bewegung, stattfinden. Doch auf polizeiliches Geheiß hin wurde Uhlich am Kommen nach Berlin gehindert und der Versammlung eine öffentliche Kundgebung untersagt.  260  Georg Robert Florey (1807-1886), ev. Pfarrer, seit 1835 Pfarrer in Lauterbach (Ephorie Werdau), ab 1846 Pfarrer in Auerswalde (Ephorie Flöha).  261  Gustav Immanuel Menzel (1802-1850), ev. Pfarrer, seit 1836 Pfarrer in Falkenberg b.Torgau, 1848-1850 Oberpfarrer an St. Viti in Merseburg. 

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Nr. 54. an Schenk, 15. Dezember 1845

Röck, den 15ten December 1845 (dem Jahrestage meiner Ordination!)

Gewiß hätte ich längst schon wieder einmal an Dich geschrieben, lieber Schenk, wenn ich es hätte für möglich halten können, daß Du in diesem Jahr nicht noch einmal nach Röcken kommen würdest; ich habe Dich namentlich in den schönen Tagen des Novembers täglich und stündlich erwartet, und es waren bei mir stehende Worte geworden, wenn ich bei Jemandem war, mich baldigst wieder damit zu beurlauben „ich erwarte meinen Freund Schenk!“ Nun aber, da der vollständige Winter mit seinem bösen Wetter und bösen Weg, und die Weihnachtszeit mit ihren lieben Feiertagen und vielen Predigten da ist, nun muß ich freilich trotz der adventlichen Wartezeit aufhören zu warten, muß leider zu der schriftlichen Mittheilung mich bequemen, da ich ungebührlicher Weise um die mündlichen Herzensergießungen gekommen bin. Ich wollte Dir eigentlich – und mit vollem Rechte – einige Vorwürfe darüber machen, daß Du Dein Wort nicht gehalten und mir diese Freude nicht gemacht hast, allein aus den beiden lieben Briefleins vom 29ten Octbr und 26ten Novbr die mir noch zur Beantwortung vorliegen, sehe ich nicht bloß manchen Entschuldigungsgrund für Dich hervorleuchten (noch schwache Gesundheit, Besuch aus Elgersburg262, ein Überschwall von städtischen Abhaltungen und großen, vielen Amtsarbeiten) sondern ich sehe mich auch selbst in der Schuld, denn wenn ich seit dem 20ten Octbr öfterer geschrieben hätte und Dir mit meiner Einladung immer und immer wieder zu Leibe gegangen wäre – ich glaube Du wärest doch gekommen! So will ich Dir um meiner Schuld willen auch alle Schuld vergeben, was aber zugleich in der Hoffnung geschieht, Du werdest im neuen Jahr die alte Schuld selbst wieder gut machen! Ich muß ja ganz unterschreiben, was Du mir schreibst „wo soll man die Zeit hernehmen, um bei dem Drängen wichtiger Ereignisse sich über Alles schriftlich zu verständigen – Verständigung aber thut wirklich noth“ – und da setze ich hinzu, solche Verständigung ist, wenn man auch die Zeit hätte, sich recht ausführlich zu schreiben, doch schriftlich immer unverständlich, mißverständlich und unvollständig; ich sehe dieß jetzt recht bei einem Briefwechsel, den ich mit meinem Neffen Dächsel in […] führe, wie schwer sich theologische Gegenstände zu brieflichen Mittheilungen eignen, noch dazu, wenn Einer, wie mein Neffe, Rath haben will bei Gewissensscrupeln; er ist nämlich in nähere Bekanntschaft mit unsrem lieben Uhlisch gekommen und durch dessen gläubiges, geistreiches, gemüthvolles, lutherisches Drängen in innern Zwiespalt mit der preußisch unirten Kirche, seiner

262 

Die Arztfamilie Putti (Anm. 185, 205) war bei Schenks zu Besuch gewesen. 

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geistigen Stiefmutter, wie er sie nennt, gerathen; da soll ich ihm aber gerade in einem Punkt rathen, wo ich selber des Rathes bedarf, selber auf schwachen Füßen stehe, selber leider noch – innerlich – hin und herschwanke, was wohl auch in unsrer Zeit nicht zu verwundern ist, wo die Union solche tüchtige Vertreter gefunden hat, und wo die Männer der Mitte trotz ihres halben Wesens doch sehr ehrwürdig erscheinen. Mein Rath wird daher nur dahin gehen, wie ich ihn mir selbst gebe: in der Zeit unsrer Jugend (nach Alter und Studium jugendlich) ist ein fertiger Abschluß mit sich und ein consequentes Steifen auf eine bestimmte Ansicht oder Richtung unrecht, hochmüthig und schädlich vornämlich unrecht, hochmüthig und schädlich in einer Zeit des allgemeines Kampfes, der allgemeinen Gährung, da muß man warten, prüfen aber sich noch nicht entscheiden, wie denn überhaupt alles Forcirte, Gewaltsame bei Entscheidungen weg muß – ich entscheide nicht selbst über mich, sondern bete, daß der HErr über mich entscheiden möge! – Ich bin wider meinen Willen auf den vorstehenden Gegenstand gerathen, und finde das gleich bestätigt, wie unverständlich, mißverständlich und unvollständig das Gesagte ist, und breche davon ab, obwohl Du schon genug daraus sehen kannst, wie ich mit meinem Standpunkt gern aufs Reine und Sichere kommen möchte und wie sich der große, laute Kampf in der Kirche, wie gewiß in manchem Herzen auch in meiner stillen Gemüthswelt abspiegelt und wiederholt. Es ist da wahrlich schwer jetzt Prediger zu sein, wo einer mit sich im Ungewissen, doch Andere gewiß machen soll, allein ich mache da eine wundersame Erfahrung: sobald ich ans Predigen komme, vergesse ich alle Zweifel und Bedenken, und in dem Gefühl, du predigst nicht in Deinem Namen, sondern in Gottes Namen, also Gotteswort predigt. Nicht als Diener menschlicher Ansichten, sondern als Diener der Kirche, also Kirchenlehre – in diesem Gefühl, in dieser Überzeugung werde ich ruhig, sicher, muthig und auch entschieden, und auf der Kanzel gehöre ich mit voller Wahrheit zu den strengsten, symbolgläubigen wirklich lutherischen Theologen! Aber – fern von der Kanzel nicht? Allerdings in derselbigen Weise nicht, ich vermag da nicht gegen Alles die Augen zu verschließen, was auf der entgegengesetzten Seite doch auch Gutes und Wahres ist, hier schließe ich noch nicht ab, hier prüfe und sichte ich noch, aber nur in der Absicht, daß die Wahrheit, die ich predige, mir als die Eine, rechte Wahrheit je länger je mehr erscheinen möge. So lange das noch nicht ist, werde ich freilich immer in der Unruhe, im Kampfe bleiben, aber ich vergleiche dieß mit einem andern Zustande des Predigers – in jeder Predigt stellen wir auch als das zu erreichende Ziel die sittliche Vollkommenheit dar, und müssen davon so sprechen, als hätten wir sie schon mit beiden Händen ergriffen, als wären wir selbst auf dem sichersten Wege, dem Ziele nahe – und unser eigentliches Leben wie weit bleibt dieß von dem rechten Ziel fern, wie schwach ist auch nur unser Streben darnach; und dennoch sagen wir jeden Sonntag, wie wir sein müssen etc. Wäre ich darum ein Heuchler, ein Lügner – nun so könnte Niemand ein Prediger sein, denn zwischen dem, was er ist und thut, wird Jeder einen Widerspruch finden mit dem was er predigt – freilich ist dieß immer etwas sehr beunruhigendes und darum nicht zu verwundern, wenn mancher durch die Sorge „nicht Andern zu predigen und selbst verwerflich zu sein“ zur KanzelscheuKrankheit getrieben wird; aber so lange wir Prediger Menschen bleiben, werden

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wir immer auf der Kanzel besser und frömmer, gläubiger und entschiedner erscheinen müssen, als wir eigentlich sind! Was sagst Du zu diesem […]? - Ich habe Stunden zu weilen, wo ich wünsche, nicht Prediger geworden zu sein! Doch solcher Wunsch ersteht nur durch die Kämpfe des innerlichen Lebens, das äußerliche Leben kann auch nur dazu treiben, dem HErrn zu danken, daß ich Prediger geworden bin; ich rechne zu dem äußerlichen Leben sogar einen Theil der äußerlichen Wirksamkeit, denn obwohl ich die geistliche Wirksamkeit sehr niedrig anschlage, und in dieser Hinsicht auch manchmal Scrupel und hypochondrische Grillen habe, so muß man doch zufrieden sein, wenigstens im Vergleich zu Anderen, wie es in solchen Gemeinden aussieht, wo die Geistlichen es sich leicht machen, und da, wo die Geistlichen es ernst und genau nehmen. Solch einer – negativen – Wirksamkeit kann ich mich auch erfreuen, und darf in dieser Hinsicht es nicht bereuen, Prediger geworden zu sein, und vielleicht ist auch mehr positive Wirksamkeit da, als ich sehe; man hoffts wenigstens! Am allerwenigsten möchte ich es bereuen, Prediger geworden zu sein, wenn ich das häusliche Pfarrer-Leben ansehe, denn das ist wirklich bei allen Reallem doch etwas Ideelles, wenigstens auf dem Lande! In seinem Hause in seiner nächsten Umgebung, kann doch ein Landpfarrer recht glücklich sein, also daß auch ich in dieser Hinsicht mir es nicht besser wünschen kann! – Es hätte mich eben in dieser Hinsicht sehr gefreut, wenn Du einmal wieder einen Blick in mein häusliches Stillleben hättest thun können – fast möchte ich es aber jetzt im Vergleich zu sonst ein Lautleben nennen, denn unser kleiner Fritz – er läuft vollständig – macht oft einen Spectakel mit Weinen und Schreien, Lachen und Jauchzen, und ist ein Dareinreden und Dazwischenrufen, Spaßen und Spielen von „Papa und Mama“ Großmutter und Tanten, daß man sein eignes Wort nicht hört. Aber dennoch ist dieß Lautleben ein liebliches, wohlthuendes Stillleben, in Frieden und Eintracht, in Glück und Freude, wenn auch kleine Störungen, wie überall nicht ausbleiben, wie z. B. die Sorgen für die Gesundheit, welche wenigstens bei meiner Schwester Auguste immer noch zu wünschen übrig läßt! Dagegen kommen auch wieder ganz besondre Festtage, die alles Sorgen vergessen laßen, wie z. B. der 11te December, meiner guten Mutter 67ster Geburtstag, den wir recht fröhlich und freudig gefeiert haben, da die liebe Geburtsträgerin wieder recht kräftig und jugendlich munter war; da war wirklich das Stillleben zum Lautleben geworden, denn es waren außer den Pobleser Anverwandten noch unsre nächsten Freunde Superintdts, Wimmers und Oswalds liebe Geburtstagsgäste, wobei es recht heiter zuging. Mein Mamachen hatte auch viel zu erzählen, denn sie war den Tag vorher mit meiner Schwester Auguste von einer 10tägigen Reise nach Eilenburg zurückgekehrt, wo sie am 30ten November bei meiner Cousine Clara Ehrenberg Gevatter gestanden hatte. In Eilenburg hatte sich Vieles geändert gehabt, am Meisten waren sich die Eilenburger Herrschaften mit ihren Eigenheiten und Besonderlichkeiten gleich geblieben wie auf der Superintdentur, wo wenigstens der Superintdt263 ganz und gar der Alte geblieben ist. Das geistliche

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Jonann Ludwig Ehrhardt (Anm. 97). 

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Leben liegt ungeachtet unsres ehrenwerthen Archidiaconus Vörckel264 (der auch getauft hatte) in Eilenburg sehr darnieder, die Lichtfreundlichkeit herrscht dort in schaudererregender Weise vor, wie auch bei dem lieben Tauffest, wo Einer zum Schluß des Gastmahls gesagt hat „wir wollen doch: Nun danket Alle Gott“ singen und mein HErr Vetter Ehrenberg265 darauf geantwortet hat „nun Lieber gar, das fehlte noch, ich habe nichts zu danken!“ – Schrecklich, hoffentlich sieht es im Herzen besser aus, als wie es aus dem Munde herauskommt! Der geistliche Vertreter der Lichtfreunde in Eilenburg ist Linder266 auf dem Berge, der es so toll machen soll, daß selbst Ehrhardt dagegen predigt, und wiederholt mit klaren Worten ermahnt „was auf dem Berge gepredigt würde, sollten sie nicht glauben!“ Ja, welche Gegensätze von den Kanzeln gepredigt werden, ist wirklich merkwürdig. Unser Lesezirkel bot jetzt solch einen Gegensatz, den Oswald hatte absichtlich zusammengeheftet: Krause`s Predigt vom Meinungsstreit und Kunze: Predigt gegen den Protest! Als Predigten scheinen mir beide Predigten schwache Machwerke zu sein, aber als gegensätzliche Herzensergießungen höchst merkwürdig, ein Zeichen der Zeit: non plus ultra! Da ich bei solchen literarischen Erscheinungen stehe, so wiederhole ich die Bitte, wenn Dir etwas Gutes vorkommt, namentlich auch aus der Predigt-Literatur mich darauf aufmerksam zu machen; hast Du vielleicht die […] Predigten gesehen, sie sollen Aufsehen machen! Ich habe mir jetzt die Arndtschen Gleichnißpredigten geborgt, aus denen man viel lernen kann; dann habe ich auch zufällig den berühmten Duisburger Katechismus zur Ansicht erhalten und auch einige dahin einschlagende Schriftchen, in dem ich vor und nach dem Reformatiosfest mich viel mit den Scheidelehren beschäftigt habe, indem ich als Reformatsfestpredigt das große Thema hatte „Das Unterscheidende im Glauben der evaglisch lutherischen und römisch katholischen Kirche.“ Am 31. October selbst, wo wir keine Feier hatten, war ich in Weißenfels, und habe da eine sehr ansprechende Predigt von Wölbling über die evangelische Freiheit gehört. Daß Wölbling nicht gerückt ist, sondern ein fremder Geistlicher als Archidiaconus berufen worden ist, wird Dir schon bekannt sein; ist auch ein Zeichen der Zeit, aber ein niederträchtiges, was ich dem berufen Geistlichen, meinem Freund Herbst in Göthewitz, auch selbst gesagt habe – er widersprach mir nicht und hat zu Gunsten Wölblings zurücktreten wollen, übrigens täuschen sich die Weißenfelser sehr, wenn sie einen Lichtfreund in Herbst erwarten, er ist ein ganz gläubiger Schleiermacherianer. Er ist ein sehr tüchtiger Mann, dennoch zweifle ich, ob er den trefflichen Naumann267 ersetzen wird.

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Johann Daniel Vörckel (1792-1887), ev. Pfarrer, 1824-1868 Archidiakon zu St. Nikolai Eilenburg.  Adolph Ehrenberg (1808-1893), Fabrikant in Eilenburg, ab 1828 Besitzer einer Kattundruckerei, hatte sich am 27. Juni 1843 verheiratet mit Clara geb. Balster (Anm. 162). Die Familie hatte 4 Kinder: Anna Clara (1844–†?); Eugen Gustav (1845-1901), er übernahm die Fabrik seines Vaters (Taufpatin war u. a. Erdmuthe Dorothea Nietzsche, verwitwete Krüger); Maria Clara (1848–†?) und Clara Julie (1854-1863).  266  Ob Nietzsche sich hier verschrieben hat und Albert Georg Lindner meint (Anm. 208), ist fraglich.  267  Hermann Naumann (1806-1891), ev. Pfarrer, bis 1845 Archidiakon in Weißenfels, später auch Direktor Waisenhaus Langendorf b.Weißenfels.  265  Gustav

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Hieran knüpfe ich, daß mir auch eine neue geistliche Würde zu Theil geworden ist, ich bin Beichtvater, Confessionarius meines Freundes Backs268 in Dürrenberg geworden, und habe mit unaussprechlichen Gefühlen am 26.p.Tr. zum ersten Mal dieß Amt verwaltet. Ich habe mit Backen meine ganze Schul- und Universitätszeit verlebt269, waren immer recht befreundet mit einander, haben uns aber niemals ganz nahe gestanden – er ist ein mehr für sich lebender Mann, geistig sehr begabt, als Theolog gehört er der jetzt beliebten Mitte an! Sonst hat sich in dem Kreise meiner amtsbrüderlichen Umgebung nichts verändert, die jungen Frauen abgerechnet, die hie und da eingezogen sind; daß in Deiner Umgebung dasselbe mit „Florchen“ geschehen ist, habe ich mit Theilnahme aus den Zeitungen ersehen, und bringe ihr dazu meine herzlichsten Glückwünsche! Alles was Du sonst aus Deinem Hause und von Deiner Stadt brieflich und Kreisblättlich mir mitgetheilt hast, hat mich sehr intressirt, nur von Altenburg aus, hätte ich mehr zu hören gewünscht, da Deine liebe Emma dort gewesen ist; ich habe vor einigen Wochen noch an den Herzog geschrieben, um zur Großvaterwürde zu gratulieren ich wollte dieß eigentlich nicht, aber der Director Dr. Müller aus Merseburg, der ein paar Tage bei mir war, und der in solchen Dingen ein sehr zartes Gefühl hat, drängte mich mit aller Gewalt dazu; Antwort erwarte ich nicht darauf; war es zudringlich? – In diesem Jahr wird dieß wohl mein letzter Brief an Dich sein, darum bringe ich Dir und Deiner lieben Emma mit den gegenwärtigen und kommenden Kindlein270 meinen Segenswunsch zu einem glücklichen Aus- und Eingang, darin alle meine Lieben ihre herzlichste Begrüßung miteinschließen! Du hast in der Weihnachtszeit nicht so viel zu predigen als ein Landpfarrer, vielleicht schreibst Du mir dafür einen recht langen Brief, und wenn das nicht wenigstens einige Zeilen, damit ich vor Jahresschluß noch weiß, wie es Dir und Deinen Lieben geht! Wir wollen für einander beten, daß wir in der bevorstehenden Arbeits- und Festzeit ein neues Maaß des Glaubens und des Hl Geistes erhalten – ich bedarf deßen sehr! Übrigens bleibe es beim Alten im neuen Jahr Vale! LNietzsche P. Was hast Du denn für große Pläne vor, wie Du schreibst – antworte mir darauf! –

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Carl Otto Friedrich Ludwig Backs (1814-1892), ev. Pfarrer, von 1841-1845 Vicarus ordinatus Dom Merseburg, ab 1845 Pfarrer in Keuschberg resp. Bad Dürrenberg, schliesslich in Trotha.  269 Beide waren gleichzeitig Schüler am Gymnasium in Roßleben und Theologie Studierende an der Universität Halle.  270  Am 28. Dezember 1845 wurde Friedrich August Theodor Schenk geboren. Theodor Schenk wurde Pfarrer wie sein Vater, arbeitete zunächst im Rauhen Haus Hamburg, betreute 18741882 das Pfarramt der deutschen evangelischen Gemeinde in Puerto-Monte (Chile) und ab 1882 die Kirchgemeinde Nauendorf, wo er im folgenden Jahr verstarb. 

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Nr. 55. an Nietzsche, 21. Dezember 1845

Zeitz den 21. Dezb 45 Lieber Freund, Wollte ich Dir nur so gute Briefe schreiben, wie Du mir, so erhieltest Du nun und nimmer mehr einen. In der Hoffnung, daß Dir bei Deiner Liebe zu mir damit doch nicht gedient wäre, bleibe ich bei meiner alten Weise und schicke Dir, wie Zeit und Lust es erlauben, lieber ein paar einfache, flüchtige Zeilen. Wollen sie Deinem verwöhnten Geschmack nicht recht genügen, so lege in die Wagschale, daß ich Dir mit dem Kreisblatte öfter schreibe, und suche dann aus jedem nur ein Körnchen Gutes oder doch Dich Interessirendes heraus. Es ist mein voller Ernst. Ich bringe im Leben nicht einen solchen ächten guten Brief zu Stande, wie Dein Letzter vom 15. December wieder ist. Ich kann mein innres und äußres Leben nicht so unbefangen und frisch schriftlich sich abspiegeln lassen, wie es Dir ganz natürlich ist. Jeder Deiner Briefe ist ein getreuer Abdruck Deines Wesens, so daß ich immer wieder zu meiner Frau sage, wenn ich sie gelesen: „s‘ ist der ganze Freund Nietzsche.“ So ist`s aber recht und das soll der Brief sein. So ist`s aber bei mir nicht, ich fühle das wohl, oder doch nur sehr selten. Meine Briefe sind mehr objectiv und theoretisch oder gerade heraus äußerlich, ohne rechten Lebenskern. Nun Gott bessre‘s auch da, ich kann‘s eben nicht anders und veränderte meine Natur, wenn ich wie Du aus mir herausgehen wollte. Und doch ist, wie Du weißt, mein Wesen nichts weniger als zurückhaltend und verschlossen. Wie viel Interessantes hast Du mir geschrieben! Am liebsten ginge ich auf Deine Darlegung Deiner theologischen Ansicht und Stellung zum religiösen Gemeindebewußtsein ein. Aber ich mag gar nicht damit anfangen, denn wo sollte ich aufhören. Meine Bildung und Anschauung ist eben eine andre und ich müßte fast ab ovo271 entwickeln. Nur das. Ich freue mich Deiner Stellung und Darlegung sehr und schreibe Dir die volle Berechtigung zu, wenn ich auch in Thesi und Praxi anders stehe. Könnten wir denn nicht einmal solchen Gegenstand mündlich in gründlicher Weise verhandeln? Mündlich. Ja da liegt der Haase im Pfeffer. Du schilst mich in Deiner freundlich lieben Weise, daß ich nicht gekommen, wie ich doch in Aussicht gestellt, und Dich vergebens habe warten lassen. Wie gern hätte ich Dich längst überrascht, aber es ist unmöglich gewesen. Amt und Haus, der hinfällige Leib dazu haben ein Veto nach dem andern gesprochen. Am meisten haben mich meine Confirmandenstunden zuletzt gehalten, täglich 2. Es dünkte mich eine Sünde sie auszusetzen, denn die Kinder sind zum Theil zu schwach. Mir blutet immer wieder das Herz, wenn ich die verwahrloste Jugend um mich sehe. Nichts im Herzen, nichts im Geiste, ja nichts im Gedächtnisse. Ich könnte Dir Thatsachen mittheilen, die Dir unglaublich scheinen müßten. Da ist ein Acker für uns Seelen­

271 

Lat.: von Anfang an. 

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hirten, wo es gilt, den Pflug tief einzusetzen und die Hand nicht eher davon zu lassen, als bis wenigstens die Pfahlwurzeln der Dornen ausgerottet sind. Gott helfe dazu. Hoffentlich bekomme ich dadurch eine Handhabe zu kräftigerem und nachhaltigerem Wirken, daß ich in den neugebildeten Vorstand der Armenfreischule gewählt bin. Ich will da den saumseligen, und in Rohheit versunkenen Eltern und Kinder auf der einen Seite, aber auch den Lehrern und dem Magistrat auf der andren nicht eher Ruhe lassen, als bis wenigstens eine äußerlich geordnete Schulzucht hergestellt und ein leidlicher Schulbesuch erreicht ist. Lieber, ich bin Dir jetzt in Familien gekommen, wo ich Dinge gesehen habe, die ich nicht für möglich gehalten habe, in Wohnungen, die wir nicht unsren Thieren anweisen möchten. Namentlich in der jetzigen theuren Zeit ist die Noth hier schrecklich. Da freue ich mich der Frauen im Verein. Sie schrecken vor nichts zurück und gehen mit in das erbärmlichste Loch. Wir haben doch schon mancher schweren Bedrängniß gesteuert, mit Gottes Hülfe wirds immer besser werden. Den ersten Feiertag, Nachmittag 4 Uhr, bescheeren wir 80 arme Kinder. Man hat uns dazu von vielen Seiten her mit Gaben unterstützt. Doch ich fahre mich in diesem Kapitel ganz fest. Genug davon. Ueber Theologie und Wissenschaft kann ich Dir nichts besondres schreiben. Ich kann jetzt nur wenig treiben. Leider versagen mir auch die Augen manchmal Abends den Dienst und die Ohren brummen ob der zu großen Anstrengungen mit dem Hoerohr. Palmers Homiletik272 lese ich mit Intresse. Mit der Dogmatik und Exegese mich hie und da näher zu beschäftigen, veranlaßt unser theologischer Verein, der jetzt alle 14 Tage hier in der Stadt gehalten wird. Nach der Debatte über Schrift und Symbol sind wir nun zur Kirche gekommen. Ein rechtes Zeitthema, das gründlich durchgegangen werden soll. Kennst Du schon Bunsens273 höchst interessante Schrift? Auch Ullmann274 wird sehr gerühmt, ich denke ihn nächstens zu erhalten. Die Zahl der Theilnehmer an unsrem Verein ist gestiegen und ich hoffe doch für Manchen Anregung und Gewinn daraus. Auch meine Amtsbrüder und Collegen Schmidt und Kühn nehmen nun Theil. Donnerstag, den 8 Jan 46 früh 10 Uhr haben wir wieder Versammlung, hast Du nicht Lust? Ich kann nicht zu Dir kommen, denn eine feste Kette hält mich, mein theures Weib. Was Du über das glückliche Familienleben eines stillen Pfarrhauses schreibst, ist uns aus der Seele gesprochen. Wir sind in unsren Kleinen, die herrlich gedeihen, unaussprechlich glücklich, und werden nicht müde, Gott täglich zu danken und um weitren Segen und Bewahrung zu bitten. Gott erhalte und beschütze mir nur meine Emma in der schweren Zeit, die nahe ist. Möge ich Dir im nächsten Briefe

272 

Christian Palmer: Evangelische Homiletik, Stuttgart 1842.  273  Christian Karl Josias von Bunsen: Die Verfassung der Kirche der Zukunft, Hamburg 1845.  274  Möglicherweise meint Schenk das Buch von Carl Christian Ullmann (Anm. 86): Über die Sündlosigkeit Jesu. Hamburg 1841. Übrigens hatte Friedrich Nietzsche dieses Buch kurz vor dem Beginn seines Theologiestudiums an der Universität Bonn von seinem letzten Tutoren, dem Theologen Hermann Kletschke, Adjunkt und zweiter Geistlicher in Schulpforta, zum Geschenk erhalten und darin gelesen (vgl. KGB I/2, S. 15 f., Brief Nietzsches an Mutter und Schwester vom 24./25.10 1864). 

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eine frohe Nachricht geben können. Wir sind gewiß, daß Ihr Euer Gebet mit dem Unsrigen vereint. Der Hinblick auf die nahe Entscheidung hat uns dießmal bewogen, alle äußere Bereitung zum Feste zu unterlassen. Doch fehlt es auch nicht an andren Gründen dafür. Unsre Lieben in Altenburg sind wohl. Minna wird nach dem Feste auf einige Zeit zu uns kommen, um das Hauswesen zu führen. Daß Du an den Herzog geschrieben, ist ganz in der Ordnung und ich sehe darin überall keine Zudringlichkeit. – Gersdorf hat 2 mal sehr freundlich wegen seines Volkschriften-Wesens mir geschrieben und das Organ275 gesendet. Ich soll mitarbeiten, habe aber noch nicht einmal geantwortet. Wo die Zeit hernehmen? Ich arbeite sehr rasch, hätte ich aber jetzt bei den übrigen Arbeiten so viel zu predigen als Du, ich könnte nicht fertig werden. Am 1 Ad, 3 Ad, 1 Weihnacht und Sonntag nach Weihnacht, das sind meine Predigten bis zum 6. Januar, außer 2 Freitagspredigten. – Danke Gott, daß Du eine so zusammengehaltene, stille Wirksamkeit auf dem Lande hast. Ich muß recht über mir wachen und alle meine Kraft zusammennehmen, um nicht nach allen Seiten hin gezogen und so veräußerlicht zu werden. Herzlichen Dank für Deine und der Deinigen liebe Wünsche zum Fest und Jahreswechsel. Wir geben sie tausendmal von Herzen zurück. Gottes Segen über Deinem ganzen Hause aller Wegen! Mit innigen Grüßen in herzlicher Liebe imer Dein treuer Schenk.

275 

Siehe dazu Anm. 32. 

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Nr. 56. an Schenk, 21. Januar 1846

Röcken, d 21sten Januar 1846

Dießmal, lieber Schenk, schreibe ich hauptsächlich darum, um Dir Veranlassung zu geben, bald wieder an mich zu schreiben, denn durch Dein letztes Brieflein bin ich mit den Meinen in große Sorge um Deine gute Emma versetzt worden, da sie so bedenklich krank gewesen ist. Hoffentlich geht es nun wieder ganz gut mit ihr, also daß Eure Geburtsfreude, Tauffreude und Elternfreude auch nicht im Geringsten mehr getrübt wird – das ist unser Aller herzlicher Wunsch, und Du wirst gewiß nicht unterlassen, uns bald zu melden, ob unser Wünschen und Bitten auch wörtlich in Erfüllung gegangen ist! Demnach hat bei Dir das neue Jahr sehr ernst begonnen, und ich muß auch von mir leider ein gleiches Bekenntniß aussprechen, denn wenn ich meinen Jahreswechsel-Brief an Dich nicht am Neujahrsmorgen schon zugesiegelt hätte, so konnte ich den Nachmittag noch eine ernste Nachschrift machen! Ich hatte mit großer Kraft und Freudigkeit meine Festpredigt in Bothfeld gehalten, und wanderte nun mit meinem Schulmeister276 nach Röcken, um hier den Gottesdienst zu halten – da fällt es diesem unglückseligen Menschen ein, auf diesem Wege von der Dir schon angedeuteten Geschichte mit seiner Frau zu sprechen und mir dabei die ungezogensten und ungerechtesten Vorwürfe zu machen, daß ich mich bei dieser Sache nicht recht verhalten hätte. Ich alterirte und kränkte mich darüber aufs Äußerste, dazu gingen wir sehr langsam, ich noch dazu ohne Mantel bei völligem Regen, doch mit Regenschirm, der aber nicht viel half, so daß ich mich auch noch total erkältete. Die Zeit erst lange auszuruhen und mich zu beruhigen, war nicht da, und ich musste in dieser traurigen Verfassung gleich in die Kirche. Als ich an den Altar trat, war mir, als läge ein Felsen auf meiner Brust, ich konnte kaum sprechen, die Stimme wurde immer schwächer, und endlich fing

276 

Johann Christian Gustav Dathe (*?-1880), von 1838-1854 Lehrer in Röcken, Vater von 5 Töchtern und 6 Söhnen. Dathe war bekannt dafür, dass er seine Frau, seine Kinder und auch die Schulkinder „gewaltig prügelte“ und alle stets in „Furcht und Zittern“ vor ihm gelebt haben. Dathes Prügelsucht hat ihm nicht nur Verweise von der königlichen Regierung eingetragen, sondern später auch Geldstrafen und schliesslich die vorzeitige Emeritierung. Daraufhin widmete er sich mit grossem Erfolg der Bienenzucht. 1862 zog Dathe von Röcken nach Cystrup b. Hannover (zit. aus: Schulchronik Roecken, S.IX). 

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ich gar an zu weinen, das brachte natürlich die ganze Gemeinde in Bewegung. Manche fingen sogar mit an zu weinen; darüber alterirte ich mich von Neuen, so daß ich am ganzen Körper zitterte, der Schweiß mir eiskalt auf die Stirn trat und ich jeden Augenblick umzufallen fürchtete. Dennoch setzte ich durch, die Liturgie bis zu Ende zu lesen, darnach aber verließ ich gleich die Kirche, den Meinen zum großen, großen Schrecken! Zu Hause ward mir bald wieder wohler, und ich ging wieder in die Kirche um doch noch zu predigen, es geschah dies auch, aber als ich auf die Kanzel kam, war ich nicht im Stande frei zu sprechen, und ich musste die Gemeinde bitten, mir zu gestatten, die Predigt vorzulesen, als Grund gab ich an, daß ich von einer großen Störung und Kränkung auf dem Filialwege unwohl geworden wäre. Daß ich dazu setzte „auf dem Filialwege“ – wobei natürlich Alles auf den Schulmeister gesehen hat – dieß hat mich hernach sehr beunruhigt und gequält, als hätte ich damit den Schulmeister öffentlich prostituiren wollen – aber ich war in jenen Augenblicken gar nicht zurechnungsfähig! Mit großer Mühe dauerte ich auf der Kanzel aus, hatte aber doch zum Schluß der Kirche die Freude, daß mein Schulmeister in großer Zerknirschung, und aufrichtigen Reuethränen mich bat, ihm das Vorgefallene zu vergeben und zu vergessen, er könne mir heilig versichern, daß er bei jenem Gespräch mich habe nicht kränken wollen, sondern nur seine Ansicht in der Sache aussprechen wollen. Ich habe ihm auch gern Alles vergeben und vergessen, und unser vorher freundliches Verhältnis ist nicht gestört worden, auch ist der Vorfall dazu noch gut gewesen, daß auch sein ehel Verhältniß sich wieder besser gestaltet hat. Die ganze Geschichte hat weit und breit Aufsehen gemacht, was mich innerlich so beunruhigte, daß ich immer an ein Nervenfieber dachte, ich habe jedoch nur am Neujahrs-Tage im Bett gelegen und den Sonntag darnach nicht gepredigt und dieß auch nur auf Drängen der Meinen, und auf, so zusagen, ausdrücklichen Befehl des Superintendet, der solche Nervenzufälle aus seinem eignen Leben als sehr bedenklich kennen gelernt hat. Ohne aber eigentlich krank gewesen zu sein, habe ich mich doch seit jenem Tage nicht recht wohl gefühlt, die Erkältung steckt vielleicht auch noch darin, ich hoffe aber von der Zukunft das Beste! – Doch genug davon, es ist schon zu viel, aber es ist dieß das Einzige, was mir Schreibenswerthes im neuen Jahr geschehen ist; auch will ich mir einen längern Brief für Deinen lieben Geburtstag vorbehalten, indem es sich jetzt schon bestimmt herausgestellt hat, daß ich an demselben nicht persönlich zu Dir kommen kann. Ich habe nämlich kurz nach demselben eine größere Reise vor, indem ich den 4ten März in Plauen sein will, um die silberne Hochzeit meiner Schwester277 dort zu feiern; ich habe aber den Gedanken, meinen Rückweg über Zeitz zu nehmen, und bitte Dich daher mir genau schreiben zu wollen: 1). welche Tage und Stunden von Altenburg die Post zum Fahren nach Zeitz geht und 2). ob Du vielleicht den

277 

Christiane Amalie Hedwig Schmid-Nietzsche (Anm. 24, 201) hatte sich anfangs 1821 in Eilenburg mit Alfred Schmid verheiratet. 

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Sonntag Reminiscere278 predigest? Doch bitte ich Dich, den fraglichen Gedanken nicht als ein eigentliches Versprechen ansehen zu wollen! – In Bezug auf Deinen letzten Brief muß ich mir auch noch eine Bemerkung erlauben! Obwohl derselbe Kreuzcouvert hatte, habe ich doch 3 Groschen für denselben geben müssen; nun kann es zwar sein, daß dies ein Versehen des Postsecretairs ist, allein ich traute mich nicht dagegen zu appelliren, weil aus den Kreisblättern der Brief hervorgesehen hat, und ich daher fürchtete, so ich mich rührte, würde ich wegen des Briefes zur Verantwortung gezogen, – ich wollte Dich daher bitten, ja den Brief sorgfältiger zu verstecken, wie im Anfang, oder, da dieß wie etwas Unrechtes klingt, nur das Inwendige des breiten Kreuzcouvertes zu beschreiben, wogegen Niemand Etwas haben kann! Das Allerliebste wäre mir, Du kämest einmal selbst als lebendiger Brief, aber freilich unter den bewandten Umständen darf ich dieß jetzt doch nicht hoffen? Es ist auch wieder Thauwetter und schlechter Weg eingetreten, aber im Ganzen müßen wir mit diesem schönen Winter sehr zufrieden sein, ich halte ihn auch für sehr gesund und kann wenigstens von den Meinen sagen, daß in dem neuen Jahr ihre allerseitige Gesundheit recht gut gewesen ist, namentl auch unser holdes Fritzchen! Die Meinen Alle lassen Dich und Deine liebe Emma mit mir freundlichst grüßen; der trefflichen Gehülfin, Deiner lieben Minna, einen besonderen Gruß von mir, so wie Küsse an Deine 3 Kinder – wie wird der Erbprinz denn genannt? Gott sei mit Euch Allen! – Auch nach Altenburg viele Empfehlungen; an Gersdorfen will ich in diesen Tagen selbst schreiben! – Punktum! Ein ander Mal mehr von Deinem Nietzsche.

Nr. 57. an Nietzsche, 29. März 1846

Zeitz d 29. März 1846

Aus der Frühkirche eben zurückgekehrt, war ich im Begriff Dir zu schreiben, lieber Freund, da wurde mir Dein herzlicher Brief gebracht. Du beschämst mich durch diese Zuvorkommenheit indem Deine so wohlwollenden Lieben uns zugleich durch die beigefügte delicate Gabe überraschen, die gleich heut Abend von meinem geistreichen Schleiermacher-Damenkreis, der bei uns ist, mit genossen und bewundert werden soll. Emma dankt mit mir herzlich dafür und für das Recept, sie wünscht solche Freundlichkeit gebührend vergelten zu können.

278 

5. Sonntag vor Ostern. 

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Wie sehr es mich betrübt hat, Dich nicht sehen und sprechen zu können, brauche ich Dir nicht weiter zu sagen, noch weniger aber ausdrücklich zu versichern „daß ich nicht auf Dich böse bin“, wie Du Dich ausdrückst, daß mir vielmehr Deine Reise ganz natürlich und gerechtfertigt erschien. Ich verließ Dein Haus mit dem festen Vorsatz, am nächsten Tage zurückzukehren, wie ich es auch Deinen Lieben versprach, und wanderte rüstig gen Merseburg. Der Weg wurde mir aber doch weiter und schwerer als ich geglaubt hatte, ja zuletzt durch einen heftigen Schmerz im linken Knie gar lästig, so daß ich sehr froh war, endlich um 5 Uhr anzulangen. Nach kurzer Erholung ging ich zu Caros. Er war Tags zuvor auf längre Zeit verreist, die Schwester nahm mich freundlich auf, lud mich ein die Nacht dazubleiben, ich lehnte aber Alles ab und kehrte nur am folgenden Morgen auf 1 Stunde zurück, während der ich mich mit der Frau Reg Räthin sehr gut unterhalten habe. Da Caro nicht da war, ging ich zu Trinkler279, den ich vor Weihnachten hier näher hatte kennen lernen. Er begrüßte mich herzlich und auf sein Drängen mußte ich bei ihm Wohnung nehmen. Ich legte ihm den Hauptzweck meiner Reise, Vermehrung meines Gehalts bis auf 400 Rth aus dem vom König angewiesenen Gnadenfond dar; er war ganz dafür und begleitete mich selbst zu Frobenius. Bei dem waren wir nur ein halbes Stündchen, da er auswärtigen Besuch hatte, und sprachen bloß über die Externa für die er seine kräftige Mitwirkung zusicherte. Abends waren wir allein und haben Vieles und Gutes gesprochen. Früh ging ich zu Häckel, den ich auch bei wiederholten Besuchen hier, habe näher kennen lernen und habe wohl 1 ½ Stunde sehr gut mit ihm gesprochen. Ich bin mit der Ueberzeugung geschieden, daß die Herren in Merseburg thun werden was sie zur Verbesserung meiner Lage thun können. – Früh nach dem Aufstehen schien mein Fuss ganz gut und ich erklärte Trinklern ganz bestimmt meinen Entschluß zu Dir zurück und von da nach Zeitz zu gehen, deshalb bestellte er das Mittagessen früher. Allein unterwegs zu Häckel wurde der Schmerz so heftig, daß ich nur mit Mühe forthinken konnte und bald die Unmöglichkeit einer solchen Fußpartie einsah. So mußte ich mich widerwillig und wirklich betrübt zur Post bequemen, mit der ich Freitag Abend glücklich wieder bei den Meinigen eingetroffen bin. Heute ist der Fuß wieder ganz gut, so daß ich nun wieder eine solche Partie glaube machen zu können. Ich freute mich ordentlich, als es Nachmittags in Merseburg wiederholt stark regnete, weil ich hoffte, daß Du mich nun gar nicht erwarten würdest. Das ist aber doch zu meinem Bedauern geschehen. Es ist so unangenehm auf Jemand vergebens zu warten, die dabei bewiesene Liebe aber danke ich Dir und Deinen Lieben und verehrten Deinigen herzlich, ich hab sie ja bei meinem Dortsein mit Freuden gefühlt und erfahren. Mögest Du nun Deinen Plan, uns zu besuchen, ausführen können. Ich habe auch einen. Wir haben meine Schwiegermutter gebeten, während der Osterfeiertage zu uns zu kommen, und möchte da ihr und Emma, vielleicht mit Minna oder

279  Friedrich

Theodor Trinkler (1805–†?), Dr. phil., Gymnasiallehrer in Posen, später Geheimer Königlicher Regierungs- und Schulrat, Mitglied der Bezirksregierung in Merseburg. 

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Friedrich, die Freude machen, Dich in Deinem Hause zu sehen und die Deinigen kennen zu lernen. Es ist nur ein Gedanke, da ich noch gar nicht weiß, ob sie herüberkommt. Was meinst Du aber dazu und wie steht es namentlich mit Deinem Frauchen? Wir wollen aber keine Pläne weiter machen, da alles so sehr unsicher ist. Das Uebrige bleibt der mündlichen Mittheilung aufgehoben. Entschuldige nur den kritzlichen Brief ich habe Eile, weil ich zu Taufen muß und dazu zupft und quält mich Marie unaufhörlich, weil ich einige neue Läppchen bewundern und zum dicken Brüderchen kommen soll. – Wie habe ich mich Deines Jungen gefreut! Frisch und kräftig, dabei hübsch, der Mutter Ebenbild. Gott gebe Dir immer mehr Freude und walte schützend über Deinem ganzen Hause. Meine Frau grüßt mit freundlichem Dank Alle herzlich, ich schließe mich natürlich an und bin unverändert in Liebe Dein treuer Fr E.J. Sk

Nr. 58. an Schenk, 1. Mai 1846

Röcken, den 1sten Maj 1846 Mein guter lieber Schenk! Endlich wieder einmal an Dich zu schreiben, führe ich heute aus, damit Du wenigstens zum 1sten Maj den schriftlichen Beweiß hast, wie ich Deiner immer gedacht, und also auch nicht den Geburtstag Deiner lieben Emma vergessen habe; im Gegentheil versichere ich hiermit, daß ich mit den Meinen an diesem Festtag im Geist Euch ganz nahe bin und der theuren Geburtstägerin alles mögliche Gute wünsche, welches Wünschen zugleich ein sicheres Erwarten ist, denn bei einem so lieben, frommen, trefflichen Geburtstagskinde bestätigt sich es gewiß, „denen die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen!“ Es dürfte ihr bisheriges Leben schon dafür hinreichend Zeugniß geben, wenn sie auch nur bis zum Jahr 1840 zurückschaut, welcher Rückblick dießmal um so näher liegt, als Datum und Wochentag dießmal – zum ersten Mal – gerade wieder so fällt als 1840; ein Zusammentreffen, was mich in den vergangenen Wochen schon oft recht ergriffen hat, vergleichend die Stunden des Jetzt mit den Stunden des Damals, so besonders am 14ten April280, welchen Tag ich im Geist ganz und gar mit Dir verlebt habe. Ich hatte mir es freilich noch schöner gedacht, wenn wir gerade jenen Dienstag auch leiblich vereint gewesen wären, wozu mir die Hoffnung von Dir der Art

280  Der

14. April (1840) war der Todestag von Christoph Friedrich Hesekiel (Anm. 5), Schenks Schwiegervater. 

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gemacht war, daß ich ja glaubte, die liebe Frau Generalsuperintendtin selbst bei uns zu sehen. Aber unsre Hoffnung wurde zu Schanden, die Osterfreude des Wiedersehens sollte uns nicht zu Theil werden; Du kannst wohl glauben, daß dieß mir und den Meinen sehr leid that, eine Versicherung, die Du auch Deiner Frau Schwiegermutter in meinem Namen zu geben ja nicht vergessen wirst, so daß was von ihr aufgeschoben nicht etwa für immer aufgehoben sein möge! Solche Erwartung hege ich im Stillen auch von Dir und Deiner lieben Emma, aber ich will und darf das doch erst laut aussprechen, wenn ich meinerseits erst einmal wieder bei Euch gewesen bin; dazu kann ich aber für die nächsten Wochen keine Hoffnung machen, denn jetzt verreise ich natürlich nicht ehr wieder als bei meinem Fränzchen die schwere Stunde281 glücklich vorüber gegangen ist; ich wäre daher, weil sich dieß doch noch etwas verziehen kann, gern gleich nach Ostern noch erst zu Dir gekommen, wie Du auch in Deinen letzten Zeilen es selbst als Wunsch aussprachst, aber ich habe mich vom Charfreitag an gar nicht wohl gefühlt und ohne daß ich eigentlich krank gewesen, auch in meinem Amte nichts versäumt habe, war ich doch zu matt und schwach, namentlich nervös zu sehr afficirt, als daß ich eine Entfernung vom Hause hätte wagen mögen, wenigstens nicht so weit, denn Nachmittagsparthien in der Nähe habe ich mehre gemacht, sogar in Leipzig bin ich einen Tag gewesen, weil ich mancherlei zu besorgen hatte; ich bin aber gefahren und war den Abend wieder zu Hause. – Im Übrigen ist es bei mir und den Meinen ganz in aller Stille und gewohnter Ordnung fortgegangen, so daß ich nicht wüßte was ich Dir Neues von Haus und Amt mittheilen sollte; das Landleben bietet nun einmal nicht so viel Außerordentliches dar, als das bewegte Stadtleben; aber ich tausche doch nicht, denn ein Frühling auf dem Lande, was ist das für ein ganz ander Ding, als ein Frühling in der Stadt und vollends solch ein Frühling, als wie dießmal die Erde schmücket!! – Ich bin viel im Freien, auch um meiner Gesundheit willen, denn ich kann das Stubensitzen und Studiren gar nicht recht mehr vertragen, wenn ich arbeite, bin ich krank, daher jeder Sonntag mir ein Krankheitstag ist, ein Zustand, der hoffentlich nicht lange dauert, wie er sich jetzt auch schon zu bessern scheint, obwohl ich gestehe, daß ich schon von den wenigen Zeilen dieses Briefes meinen eigenthümlichen Kopfschmerz wieder bekommen habe282. Du wirst daher abermal mit Wenigem vorlieb nehmen müssen, da ich meine Kraft sehr sparen muß für das Arbeiten der nächsten drei Predigten (Jubilate283 und zwei Festtagspredigten) – Ich wünsche aber nicht, was die Kürze meines Briefes anbelangt, daß Du Gleiches mit Gleichem vergiltst; im Gegentheil wünsche und hoffe ich, daß Du mir noch als Ersatz für die mir leider verloren gegangne mündliche Mittheilung recht ausführlich schreibst, von Amt und Haus von Studium und Zeitereignissen. Du weißt ja, daß mich von Dir Alles und Jedes intressirt.

281 

Am 10. Juli 1846 wurde Elisabeth Alexandra Nietzsche geboren.  282  War wohl ein Vorbote von Nietzsches letztlich tödlicher Hirnerkrankung.  283  Dritter Sonntag nach Ostern. 

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Was hast Du denn Gutes von der Luther-Literatur gelesen; unser Lesezirkel hat mancherlei gebracht, worunter mir Heubners Predigten284 am meisten zugesagt haben; Klötzners285 und Schmalz286 Gedächtnispredigten habe ich mir zufällig in Leipzig eigens gekauft; sie sind beide nichts Ausgezeichnetes! Als etwas Ausgezeichnetes in seiner Art lese ich jetzt Arndts Predigten über die Bergpredigt287 und Marksens Predigten über das gottesdienstliche Leben. Da habe ich neulich, was die Predigten dieser und ähnlicher Männer anbelangt, eine Aeußerung in der Röhrschen Predigerbibliothek gelesen, die mich wahrhaft empört hat; der Recensent sagt: wenn er in den Predigten von Krummacher288 Arndt, Marks, Rudelbach289 etc. lese, so wäre es ihm, als wenn er in einem Tollhause umherginge! – Nun ja, man sieht es aus dieser Äusserung, daß der Recensent schon toll und verrückt ist; damit muß man sich beruhigen!! – Doch genug – ich wollte, ich hätte mit etwas Erbaulicherem meinen Brief geschloßen, schreib Du mir Bessres und Erfreuliches, namentlich auch von Deinem Befinden besseres als ich von dem meinigen! – Gott sei mit Dir, Deiner lieben Emma und Deinen 3 Kleinen; die herzlichsten Grüße von den Meinen allen an Euch, besonders an Deine Emma innigst Glück wünschend – durch Deinen treuen LNietzsche P.

284 

Heinrich Leonhard Heubner (1780-1853), ev.-luth. Theologe, Universitätsprofessor, Direktor des Predigerseminars Wittenberg, mit König Friedrich Wilhelm IV. eng befreundet, Herausgeber vieler Predigtbücher. Auf welchen Predigtband Nietzsche hier anspielt, ist nicht klar.  285  Christian Wilhelm Klötzner (1795-1868), ev. Pfarrer, zunächst in Altenburg, ab 1844 in Eisenberg und seit 1861 Kirchenrat. Herausgeber verschiedener Predigten und Reden.  286  Moritz Ferdinand Schmalz (17851860), ev. Pfarrer, Dr. theol., seit 1833 Hauptpfarrer der St. Jacobikirche in Hamburg. Anhänger einer liberalen Theologie. Herausgeber vieler Erbauungsschriften und Predigtsammlungen.  287 Johann Friedrich Arndt: Die Bergpredigt Jesu Christi. Predigten in der Trinitatiszeit 1837 und 1838 gehalten, Berlin 1839.  288  Gottfried Daniel Krummacher (1774-1837), ev. Pfarrer, Haupt der niederrheinischen Erweckungsbewegung. Verfasser vieler Predigtsammlungen. Welche Nietzsche hier meint, ist nicht feststellbar.  289  Vielleicht meint Nietzsche hier Andreas Gottlob Rudelbach (1792-1862), deutsch-dänischer lutherischer Theologe. Produktiver Schriftsteller. Veröffentlichte 1830 die Predigtsammlung „Kampf mit der Welt und Friede in Christo: Eine Sammlung christlicher Predigten und Homilien.“ 

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Nr. 59. an Schenk, 6. Juli 1846

Röcken, Montag, d 6ten Julius 1846

Fürwahr, mein guter lieber Schenk, ich habe es nicht für möglich gehalten, vor der Entbindung meiner lieben Frau noch einmal an Dich zu schreiben, ich habe von Mitte Mai an so bestimmt jeden Tag den kleinen Ankömmling erwartet, daß ich eben darum und nur eben darum bis heute das Schreiben unterließ, weil ich glaubte, jeden Tag müsse diese eine erfreuliche Veranlassung zum Schreiben eintreten! Und so ist denn – kaum glaublich – aus Mitte Mai Anfang Juli geworden, und noch ist das Längsterwartete nicht da! Nun aber, wo wir bemerken, daß rücksichtlich der Zeit ein gar bedeutender error in calculo290 stattgefunden hat, nun, da vier Briefe (wenigstens Briefleins) von Dir mir zur Beantwortung vorliegen, nun, da Du fast mein Schweigen anders zu erklären scheinst, als wie Du es ganz natürlicher Weise solltest, nun muß ich doch noch vor der entscheidenden Stunde ein Briefchen an Dich absenden – was ich freilich schon lange thun konnte, selbst auf die Gefahr hin, daß mit der nächsten Post ein zweiter folgte! Das Erste aber, was ich schreibe, ist die Bitte: Sei ja nicht böse, daß ich nicht geschrieben, und denke nichts Arges dabei – und wenn ich schwiege Jahrelang, an meiner unveränderten Liebe und Theilnahme und fortwährenden treuen Andenken darfst Du nie zweifeln! Übrigens habe ich auch nicht bloß gegen Dich so lange geschwiegen, sondern eben solange gegen alle meine Verwandten und Geschwister, die freilich wohl auch den Kopf darüber schütteln werden. Dahin kommt man aber mit seiner Consequenz - sage Anfang Mai zu den Meinen „nun schreibe ich an Niemanden wieder, bis Nr. 2 glücklich da ist“ – ich wollte consequent bleiben und schwieg – einmal, aber nicht wieder! Ich will nun auf jedes Deiner letzten 4 Briefleins etwas erwidern! Das erste davon, welches sich mit meinem letzten Briefe an Dich kreuzte, war vom 28ten April, worin Du Dich wunderst daß ich nicht zu Dir gekommen bin; da muß ich denn bemerken, daß wirklich einmal schon Tag und Stunde zu einem Ausflug nach Zeitz fest bestimmt war (Montag nach Cantate291) aber das unfreundlichste Wetter trat ein, und dann wagte ich es wegen meines Fränzchens nicht mehr. In demselben Brief theilst Du mir auch die Verheirathung Deines Schwagers Ludwig292 mit; ich habe dieselbe mit der größten Theilnahme und Überraschung vernommen und ihm den reichsten Segen Gottes dazu herniedergefleht – davon kannst Du mir der ganzen lieben Hesekielschen Familie fest überzeugt sein, auch ohne daß ich es dem Brautpaar besonders kundgegeben habe. Nr. 2 Deiner Briefe v 24ten Maj

290 

Lat.: Fehler bei der Berechnung.  291  4. Sonntag nach Ostern.  heiratete am 3. Mai 1846 Maria Rosa Elisabeth Förster. 

292 

Ludwig Hesekiel (Anm. 106)

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erwähnt Deiner lieben Schwiegermutter Krankheit – und Nr. 3 v 14ten Juni Deiner lieben Anna bedeutendes Unwohlsein – wie freue ich mich, daß Brief Nr. 4 vom 28ten Juni mir die Genesung beider theuern Kranken meldet – alle die Meinen haben sich dieser guten Nachricht eben so mit mir gefreut, als sich erst darüber betrübt, daß Du mit Deiner trefflichen Emma gar nicht aus der Sorge heraus kommst – jetzt geht es gut, möge es gut bleiben, denn Deine Nervenleiden habe ich als etwas Vorübergehendes betrachtet; möchte ich mich nicht getäuscht haben! Im Briefe Nr. 2 gedenkst Du Deines Hochzeitstages mit der Beziehung auf mich: „Deine Priesterhand ist eine Segenshand!“ Das hat mir sehr wohl gethan, denn ich hatte gerade vom Gegentheil sehr betrübende Erfahrungen gemacht; das allererste Brautpaar, welches ich traute, ist schon wieder geschieden, außerdem sind gerade 4 Paare, welche ich per dimissorisch traute, theils wieder geschieden, theils der Scheidung nahe; und 3 Paare hat der Tod schon getrennt, unter denen das 2te Paar, welches ich überhaupt getraut habe; das dritte Paar bist Du mit Deiner lieben Emma - ja, da war meine Priesterhand eine Segenshand! Gott spreche Amen dazu jetzt und immerdar!! – Im Briefe Nr. 3 erwähnst Du Gersdorf; von diesem habe ich seitdem einen langen, sehr freundlichen Brief erhalten, mit der Bemerkung, daß von ihm ein Brief an mich verloren gegangen sein müsse; so erklärt sich sein langes Schweigen. Ich freue mich sehr, mündlich von Dir über ihn und Altenburg noch recht viel zu hören; wir sprechen uns bald, aber so Gott will, in Röcken doch davon im nächsten Briefe! Ich komme aber im Laufe dieses Jahres noch auf ein Paar Tage zu Dir; daß es nicht öfter geschieht unser Zusammenkommen, ist nicht, wie Du hier geäußert hast, Bequemlichkeit, sondern liegt darin, daß es nach Zeitz für einen Tag zu weit ist, und über Nacht bleiben ist schon so umständlich, daß daran der gute Wille des Besuchers oft scheitert; ich vermeide jetzt auch um der Gemeinde willen jede Reise, wo ich eine Nacht abwesend sein muß, denn, weiß es der liebe Gott, da fällt allemal etwas vor, und die Klage wird laut: „der Pastor ist schon wieder nicht da!“ Dazu kommt bei mir, daß ich mich bei meiner Abwesenheit gar nicht auf meinen Schulmeister verlassen kann und auch nicht gern sehe, dass er für mich Arbeit hat; dieser Mensch macht mir das Leben sehr schwer, und hat mich erst in den letzten Wochen wieder fast krank geärgert, so daß ich mich von Neuem wieder sehr unwohl und angegriffen gefühlt habe z. B. gestern, wo ich auch nicht gepredigt habe. Ich werde wohl auch einmal etwas für meine Nerven thun müssen, aber ich muß auch, wie Du, mich des nächsten Jahres getrösten! Wie ich, so haben alle meine lieben Hausgenossen etwas gegrippt, am meisten meine Schwester Auguste aber auch mein Fritzchen, der sehr an Husten litt, dabei aber an Leib und Seele Artigkeit und Unartigkeit zunahm und doch trotz Husten und Unart unsre täglich wachsende, unaussprechliche Freude ist. Desto mehr glaube ich Dir ähnlichen väterlichen Herzensergießungen und wollen auch in dieser Hinsicht für einander beten! Möge Deine Fürbitte zunächst meiner lieben Franziska gelten, die bei ihrer lieben Bürde des Sommers Hitze doppelt fühlt und sich nach einer guten Stunde der leiblichen Erlösung (pro tempore) sehr sehnt, auch oft durch ihr Befinden mir Anlaß zur Sorge gegeben hat; aber nur unverzagt, stille sein und hoffen! –

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Dein vorletzter Brief gedenkt des seligen Pastor Sturm293 – mit tiefster Theilnahme habe ich seinen Tod vernommen und mich auch der Worte über ihn im Kreisblatte gefreut; hast Du an seinem Grabe gesprochen, wie ich es mir nicht anders denken kann, so mußt Du mir das zu lesen geben; ich habe eine gar zu freundliche Erinnerung an diesen liebenswürdigen geistlichen Patriarchen, also daß ich auch wünsche, es möge über ihn im Kreisblatt mehr kommen! Die sämmtlichen Sendungen des genannten Kreisblattes habe ich richtig mit Dank empfangen und großem Intresse gelesen, schon um Deiner lieben Person willen, denn das kannst Du wohl glauben, daß ich immer viel von Dir wissen und lesen möchte und mich außerordentlich nach Dir sehne, da es fast ein Jahr ist, daß wir uns nicht gesehen und gesprochen haben. Was Du hiermit von mir siehst und liesest ist freilich nicht viel, aber doch besser etwas als nichts, noch dazu, wenn ich bald mehr verheiße! In Bezug aber auf theologica et ecclesiastica sage ich aber auch, wie Du: nicht schriftlich sondern mündlich! Aber in Bezug auf andre Dinge wollen wir uns fort und fort schreiben, aber nimm ja nicht solche kleinen Zettelchen dazu wie die letzten Male, da geht gar zu wenig darauf, wenn ich auch weiß: Wenig mit Liebe! Am Marienfest war ich trotz meines Unwohlseins zur Geburtstagsfeier bei Oßwald, da traf ich auch den Mutschauer und habe Grüße an Dich ihm aufgetragen – er schätzt Dich sehr hoch! – Von Uhlisch294 in Döbernitz hörte ich er würde versetzt, entweder nach […] (in Sachsen) oder nach Schostau an Kaspar‘s Stelle; weißt Du etwas davon? Vergangen Mittwoch war ich auch in Merseburg aber nur beim Doctor; neulich war Trinkler bei mir, der lobte Dich sehr; er hat mir auch sehr gefallen. Ich schließe unter den allerherzlichsten Grüßen an Dich und die Deinen von mir und den Meinen – schweigend und schreibend immer Dein Nietzsche!

Nr. 60. an Schenk, 3. August 1846

Röcken, d 3ten August 1846. Mein guter lieber Schenk! Im dankbaren Blick auf den 18ten bis 20ten Julius drängt es mich eigentlich schon längst Dir wieder einmal zu schreiben; ich unterließ es jedoch, um Dir wegen meiner Badereise eine bestimmte Nachricht zu geben, und erst heute ist dieß zur Entscheidung gekommen. Ich reise nicht nach Bibra, und auch meine Mutter und Schwester nicht; die wieder angefangene homoeopathische Kur meiner Schwester ist der Badekur entgegen, so daß Dr. Ehrhardt uns ernstlich von Bibra abrieth,

293 

Johann Gottlob Ernst Sturm (1768-1846), ev. Pfarrer, 1799-1809 Lehrer an der Stiftsschule Zeitz, ab 1809 Pfarrer in Langenaue. Er starb am 7. Juni 1846.  294  Gustav U(h)lisch (Anm. 189), wurde nicht versetzt, sondern blieb bis zu seinem Tod 1851 in Döbernitz. 

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worauf wir Alle um so lieber eingingen, als das Befinden meines Fränzchens die Anwesenheit meiner Mutter und Schwester – meiner nicht zu erwähnen – noch nöthig macht. Wir leben nämlich immer noch in der Sorge, daß es auch dießmal wieder nicht ohne böse Brust abgehen wird; bis jetzt scheinen es die angerathenen nassen Umschläge verzögert zu haben, vielleicht verhüten sie es ganz, da doch das Stillen selbst noch ununterbrochen fortgesetzt werden konnte, und auch das Kleine dabei recht gut gedeiht. Ich bin Dir daher, lieber Schenk, für Deinen guten Rath sehr dankbar, und zwar umsomehr, als dieser Rath auch von Dr. Ehrhardt aufs Höchste gebilligt wird. Das ist Eines, wofür ich Dir meine Dankbarkeit ausspreche, wenn ich aber Alles einzeln erwähnen wollte, was mich für Güte und Liebe von Dir und Deiner lieben Emma zum Danke treibet, so würde ich nicht sobald fertig und Dir am Ende dadurch lästig! – Meine Rückreise von Dir ging ganz glücklich von Statten, obwohl der Himmel fortwährend ein sehr finsteres Gesicht dazu machte, einige Mal auch weinte und namentlich auf der Höhe von Pirkau, wo ich das liebe Zeitz zum letzten Mal geschaut, viel Thränen vergoß, was vielleicht noch schlimmer wurde, wenn nicht ein gewaltiger Sturm mir zur Hülfe kam, und durch das oft angerathene divide auch hier siegte! Bis auf eine kleine Abweichung habe ich dießmal auch den Weg richtig gefunden; sehr leid that es mir aber doch, daß ich so nahe an Mutschau kam und doch nicht einkehrte – es fiel mir da aber auch gleich der Gedanke ein Dir schreiben zu wollen, daß Du doch, wenn Du deinerseits Deinen projectirten Gegenbesuch dort ausführst, mir doch dieß schreibst, auf daß ich meinerseits auch dahin komme, sintemalen sich dieß doch leichter ausführen läßt, als wenn wir uns in Zeitz oder Röcken besuchen wollen. Damit will ich aber ja nicht Eurem versprochenen Besuch in Röcken entgegentreten, im Gegentheil bemerken, daß wir, wenn mein Fränzchen aus den Wochen heraus ist, wir Euch jede Woche mit Freuden erwarten! Vielleicht wird bis dahin auch meine Schwester Auguste wieder gesünder, da schon jetzt die Homoeopathie einige gute Wirkung zu haben scheint. Auch werde ich immer in Röcken anwesend sein, denn da ich einmal nicht nach Bibra gereist bin, so will ich nun auch gar nicht weg, um im Frühjahr nächsten Jahres so Gott will, die jetzt vereitelte Badereise mit gutem Gewissen nachholen zu können; das Einzige wäre, daß ich vielleicht zur Prediger-Conferenz nach Gnadau reiste, doch bis dahin ist noch lange, und vorher haben wir uns jedenfalls schon gesehen. – Seitdem wir uns jetzt gesehen haben, ist mir nichts Außerordentliches, was des Schreibens werth wäre, begegnet, denn wenn einmal wie in dieser Woche – ich rede von meinem Amte – ein Zeugniß und Protokoll und Aufgebot das andere getrieben, drei Leichen ungerechnet – so ist dies zwar auf dem Lande etwas Außerordentliches, aber für einen HE Stadt-Archidiaconus nur Alltägliches. Es kommt dieß wohl auch manchmal auf dem Lande vor, aber nur in der jetzigen Erndtezeit, der Gurkenzeit nicht; dieß Jahr ist aber einmal Alles irregulair, denn daß wir z. B. den Sonntag über 14 Tage schon unser Erndtefest haben, ist auch etwas ganz irregulaires; aber es könnte schon den nächsten Sonntag sein und wäre nicht zu früh, denn viele meiner Bauern sind schon mit der Erndte ganz und gar fertig. A propos Bauern = Volk = Volksschriftenverein: in welcher Weise gegen denselben in der Voßischen Zeitung gerühret wird, davon lege ich Dir ein Pröbchen bei –

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in dem Tone geht es in allen Blättern! – Was Dein Volksblatt – ich meine das Kreisblatt – anbelangt, so habe ich noch die Bitte, daß Du in dem Exemplar, das Deine Güte mir sendet, mir doch alle die Aufsätze, die Du selber anfertigst oder durch umarbeitest, mir namentlich bezeichnen mögest – sie intressiren mich dann doppelt – laß mich nicht vergebens darum bitten! Du siehst schon aus der äußern Form meines Briefes, daß es heute auf keinen langen Brief abgesehen war  – ich schließe also mit der Bitte, daß Du vorlieb nimmst und mir baldigst einen bessern Brief sendest! Ganz besonders wirst Du da erwähnen, wie sich Deine liebe Emma, deren Leiden mich sehr beunruhigten, seit meinem Besuch befunden hat: gebe Gott daß Du von ihr und Dir und Deinen lieben Kindern recht gute Nachrichten geben kannst! Grüße Deine Emma von mir auf das Herzlichste und Dankbarste, so wie Dich und die Deinen alle die Meinen aufs Freundlichste grüßen durch Deinen treuen Freund LNietzsche.

Nr. 61. an Nietzsche, 12. August 1846

Zeitz, den 12. August 1846. Mein theurer Freund, „Nun sind wir aber quitt und S soll mir nachlässiges Briefschreiben nicht wieder vorwerfen!“ so höre ich Dich in diesen letzten 14 Tagen wiederholt zu den lieben Deinigen sagen. Aber nur gemach, wer weiß wie`s klingt nachdem Du dieses Blatt gelesen hast. Solche Sorgen- und Störungsvollen Wochen habe ich kaum noch erlebt. Wenn ich Dir ihre Geschichte schreibe hast Du zugleich Alles, was ich zu meiner Entschuldigung sagen kann. Nach Deiner Abreise von einem Besuche, für den ich Dir längst gern gedankt hätte, wurde das Leiden meiner armen Emma immer schlimmer. Heftiges Reißen, Fieber, eine Mattigkeit bis zur Erschöpfung, sie lag fast den ganzen Tag und doch kein Schlaf, auch des Nachts nicht. Den Donnerstag mußte ich mich doch widerstrebend entschließen den Arzt rufen zu lassen. Die Mittel wollten aber auch erst nicht anschlagen bis es in den ersten Tagen der nächsten Woche etwas besser wurde. Ein altes Drüsenleiden hatte sich dabei gezeigt, der Arzt rieth noch Kösen zu brauchen295. Allein wie hätte sich Emma entschließen können, wochenlang von mir getrennt zu leben und dann die bedeutenden Kosten! Emma schlug einen Mittelweg vor, daß sie mit den Kindern in einen Garten ziehe und da bade. Ich entschloß mich geschwind und schon den

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Schenk meint wohl ‚fahren‘. In Bad Kösen befand (und befindet sich bis heute) ein Heilbad. 

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zweiten Donnerstag fand der Umzug in Bambergs Garten vor dem Steinthore, wo wir wohl schon gewesen sind, statt. Zwei hübsche Zimmer neben einander, eines zum Schlafen, dazu der nöthige Kochapparat. Der Garten groß mit sehr freundlicher Aussicht. Da campiren Frau und Kinder seitdem; ich wohne in der Stadt und gehe zum Essen heraus. Der Umzug hatte aber wieder geschadet, meine Frau wurde kränker als zuvor, der Arzt mußte wieder herbei, so gings bis in die Mitte v Woche, seitdem gehts Gott Lob! gut. Ich wollte diese Zeit benutzen, um meine Zimmer weißen, Thüren und Fenster firnißen, Oefen setzen und auf dem Saale eine Kammer bauen zu lassen. Da hats dann mit Maurern, Zimmerleuten, Tischlern, Schlossern unaufhörlich zu thun gegeben und ich selbst habe nach und nach aus einer Stube in die andre flüchten müssen. Nimm das Alles zusammen, […] mit Aufsicht und Umzug, Krankheit der Frau und öftres herausgehen, die amtlichen Arbeiten und Du glaubst wohl, daß ich kaum zur Besinnung gekommen bin. Doch die Litanei hat noch kein Ende. Mitte vorig Woche wurde unser Theodor unwohl und hat jetzt vollständig den Keuchhusten. Am Dienstag Abend konnte ich endlich nach 2tägiger Arbeit einen 2 Bogen langen Bericht über unsre Armenschule an Trinkler absenden. Da trat C R Frobenius am Freitage früh in meine Stube, sagte daß er mehrere Tage hier bleiben und mich den Sonntag hören wollte. Eine gute Aussicht! Die Nacht vorher Feuer in der Wasservorstadt über den ich eben anfangen wollte einen Bericht für das Kreisblatt zu schreiben, als er kam, dann Einladung für Mittag zu Kühn dann Spatziergang mit F zu meiner Frau, von dem ich endlich ½ 9 Uhr nach Hause kam. Da hatte ich noch nicht fast daran denken können, was ich predigen würde. Ich ließ mich indeß doch nicht schrecken, legte mich ruhig zu Bett, schlief gut und ging früh um 5 ans Denken, bald ans Schreiben. Um 12 war die Predigt fertig, das Memoriren macht mir keine Sorge mehr. Ich hab gepredigt wie sonst, er war zufrieden und dankte mir „daß ich ihm für das Aeußere früh nun das Innere gegeben habe.“ Aber Du willst mein Thema über die Epistel wissen, meinetwegen: „Apostol Rathschläge gegen die Versuchung zur Sünde.“ Im Uebergang so beschränkt, daß bloß die im Texte 1., Laß dich die warnen – […] Beispiele gestrafter Sünde schrecken. 2., Hüte Dich vor fleischl Sicherheit. 3., Vertraue Gottes Vater-Liebe und Treue.“ Wolltest Du diese Theile in ihrem Zusammenhange recht verstehen, so müßtest Du die Predigt lesen. Ich schickte sie Dir auch lieber gleich, aber ich glaube Du kannst sie nicht lesen, weil ich dießmal so sehr schnell geschrieben und da Ausnahmsweise viel corrigirt habe. Genug er war mit der Disposition ganz einverstanden und bemerkte über die Ausführung nur, sie scheine ihm zu deducirend und entwickelnd. Darüber haben wir dann viel gesprochen, als ich nach der Predigt wieder mit ihm bei Kühns aß, bei mir wollte er es meiner Frau wegen nicht annehmen. Ueberhaupt haben wir sehr viel mit einander gesprochen, zuletzt auf dem Wege nach Lissen wohin ich ihn Montag früh begleitete.

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Ich darf hoffen, daß mein College Schmidt296 bald nach Hainsburg versetzt und dann der Emeriten-Gehalt vom Diakonat abgenommen wird. Das Dir. Froben ist noch nach Naumburg, Freiburg, Nebra, Heldrungen pp. Wir sind sehr mit ihm zufrieden. Bei der Morgenpartie nach Lißen aber mochte ich mich im leichten Frack ohne Mantel erkältet haben – genug ich bin seitdem unwohl. Heftigen Nervenkopfschmerz, Fieber, Appetitlosigkeit und kranker Unterleib. So schreibe ich Dir wirklich halb im Traum. Dabei bin ich so matt, daß ich nicht gern aufstehe. Hoffentlich wirds bald besser, bei einer Wasser- und Hungerkur. Zur Unterstützung meiner Frau ist seit Sonntag ihre Schwester hier, die uns sehr überraschte. Die Mutter ist mit Allen von ihrer 3 wöchentlichen Reise glücklich zurückgekehrt. Aber nun übergenug von meinen Verhältnissen. Wir freuen uns herzlich, daß durch ein Besserbefinden Deiner lieben Schwester das Bad überflüssig geworden ist und Ihr so bei einander bleiben könnt. Die Besorgnisse wegen des Stillens werden nun hoffentlich ganz geschwunden sein da ich bei fester Beharrlichkeit Deines guten Frauchens an einem willkommenen Erfolg der erwärmenden Umschläge gar nicht zweifle. Mögen Mutter und Kind gleich kräftig und Ihr Alle zusammen ganz glücklich sein. Für Deinen lieben Besuch, den ich Dir gar nicht hoch genug anrechnen kann, also nochmals unsren herzlichsten Dank, ebenso im Namen unsrer Kinder den verehrten Frauen Deines Hauses für die süßen Gaben. Es hat mich recht gedauert, daß unser Zusammensein durch Emmas Leiden doch etwas gestört war, noch mehr, als der Sturm und das Unwetter so gewaltig rasch herauf zog, die Dich schienen unterwegs packen zu müssen. Ja, da haben wir Dich sehr beklagt, desto mehr freuten wir uns zu lesen, daß Du noch so gut heimgekommen. Ueber die Volksgeschichten sage ich nichts. Von dieser Polemik will ich gar nichts wissen. Die Schwäche von Ruppius297 kenne ich und habe sie ihm nicht verhehlt, dennoch steckt etwas sehr Gutes und Beherzigenswerthes darin. Ich bin mehr mit Andrem nicht zufrieden und fürchte deswegen für das Bestehen der guten Sache. Meine Frau grüßt Dich herzlich, sie hat mich hier auf dem Krankenzimmer besucht. Zusammen empfehlen wir uns mit herzlichen Grüßen allen Deinen Lieben in Hoffnung eines baldigen frohen Wiedersehns. Doch der viele Wochen dauernde Keuchhusten! Dein tr Freund Schenk

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Karl Christian Eduard Schmidt (Anm. 66) ging anfangs Februar 1847 nach Haynsburg.  297 Otto Ruppius (1819-1864), Kaufmann, Regimentsschreiber, Buchhändler, Volksschriftsteller. Gründete den Norddeutschen Volksschriftenverein. Zog später nach Amerika, kam 1861 wieder in die alte Heimat zurück. Die letzten drei Lebensjahre verbrachte Ruppius in Berlin. 

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Nr. 62. an Schenk, 20./21. August 1846

Röcken, den 20ten und 21ten August 1846 Mein theurer Freund! Das war ja einmal ein recht trauriger Brief, ganz gegen den Grundsatz noch dazu „was lange währt wird gut!“ Mit der herzlichsten, schmerzlichsten Theilnahme haben ich und die Meinen alle die Hiobsposten gelesen und trösteten uns nur damit, daß vielleicht Alles, was sie uns verkündeten, in dem Augenblick unsres Empfangens schon wieder zum Bessern und Besten sich geneigt habe. Damit Du uns dieß recht bald bestätigen mögest, darum schreibe ich schon wieder, schon – wenigstens im Vergleich mit den frühern Pausen; allein bei dieser Gelegenheit gebe ich Dir gern auch einige nähere Nachricht von uns, worin auch Einiges Hiobspostliches vorkommen muß. Meine Frau zwar – Gott sei Dank – die kann ich Dir als eine gesunde vorstellen; alle Befürchtungen wegen der bösen Brust sind verschwunden, sie stillt jetzt ohne allen Schmerz und mit voller Gnüge so daß das Kindlein auch prächtig gedeiht, obwohl ich immer noch zweifelnd davor stehe, wie sich aus einem so kleinen Kindlein dennoch ein so starker Fritz entwickeln kann, ganz vergessend, daß Fritzchen einst auch nicht anders ausgesehen hat. Zwar jetzt sieht unser Fritzchen auch ein wenig blaß aus, er hat die hier überall verbreitete Durchfalls-Laune, welche auch mein Mamachen in fast bedenklicher Weise hat durchmachen müssen, aber es geht mit Beiden wieder besser – nur meine arme Schwester Auguste ist immer noch die an ihrem Magenkrampf schwer leidende, Du denkst sie Dir in der Genesung, o, was ich Dir davon schrieb das war nur ein flüchtiger Hoffnungsstrahl, das Übel kehrte in einer furchtbaren Weise wieder und hat in dieser Entsetzlichkeit bis jetzt angehalten; dennoch haben wir bei der Homoeopathie ausgeharret, wie die einmal angefangne homoeopathische Kur (nicht der Genesungsschimmer, wie Du nach Deinem letzten Briefe irrthümlich zu denken scheinst) der einzige Grund war, warum die Bibraer Badereise unterblieb: Wir bereuen dieß auch nicht, denn Bibra hätte wohl gegen die Fußgicht, aber nicht gegen den Magenkrampf geholfen, wie mehre Aerzte sagen. Wenn wirklich das Leiden mein Schwester durch die Homoeopathie nicht gehoben wird (seit 2 Tagen ist wieder ein Hoffnungsschimmer da) so habe ich vorgeschlagen, daß meine Schwester nächstes Jahr nach Elgersburg298 soll – denkt Deine liebe Emma vielleicht auch an Elgersburg? – Mit meiner Gesundheit bin ich Gott sei Dank jetzt recht zufrieden gewesen, und das ist gut, denn ich habe jetzt immer viel zu thun gehabt, und steht mir noch mehr bevor, da der Superint am XIV p.Tr. 13ten und 14ten Septb Kirchen- und Schulvisitation bei mir hält. Die unerwartete Visitation, welche Ihr

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1837 wurde die erste Kaltwasserheilanstalt in Elgersburg eröffnet. Seit 1840 war Dr. med. Hermann Piutti (Anm. 185, 205) hier der leitende Arzt. Seiner Ehefrau Maria Piutti (Anm. 205) verdankt Elgersburg die erste Kleinkinderbewahranstalt. 

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durch Frobenius gehabt hat, hat mich sehr intressirt, noch mehr, wenn Du mir Deine Predigt hättest beilegen können; vielleicht schreibst Du sie noch einmal ab, wenn sie durchaus so nicht zu lesen ist – meine Visitationspredigt sollst Du auch zu lesen erhalten. Hat Frobenius nicht vielleicht davon gesprochen, daß er auch nach Lützen kommt. Diese neue Art Visitationen ist etwas höchst Billigenswerthes, durch das persönliche Sehen an Ort und Stelle kann viel genutzt werden. Man sieht dieß an der Visitation der Schulräthe – Trinkler hat in hiesiger Gegend nach seiner letzten Anwesenheit schon manchem Übelstand abgeholfen, auch auf meine Schulmeisternoth hat er die Augen der königl Regierung gewendet; ich habe müssen einen langen, langen Bericht über meinen Schulmeister einsenden und Alles Alles schreiben, was er zu wünschen übrig läßt (erst 1 Bogen voll, aber ich mußte noch 1 Bogen specielle Nachträge liefern). Es war dieß für mein Herz eine sehr schwere Arbeit, und wer weiß, ob ich dadurch meines Schulmeisters frei und ledig werde; sollte nichts geschehen als eine Verwarnung, Ordnungsstrafe, so wird mir mein Schulmeister das Leben nun noch aus Wuth sehr schwer machen – es muß ja Ärgerniß kommen! Nur keines geben – das ist immer mein Wunsch; darum hat es mir neulich sehr weh gethan, daß ich doch vielleicht Eines gegeben habe, ohne es zu wollen, und zwar im Rosenthale zu Leipzig! – Ich war am 6ten August wegen meines Freundes Götz nach Leipzig gewandert; durch diesen kam ich in eine größere sich näher bekannte Gesellschaft von Theologen, Philologen und Juristen, die im Rosenthal bei […] ihren Kaffee tranken. Unter ihnen war der deutschkatholische Pfarrer Rauch299 (der mir in seinem Wesen wohl gefiel) der Mittelpunkt, und natürlich kam ich – noch dazu als ein preußischer Pfarrer – auch mit ins Gespräch und zwar hauptsächlich mit Rauch wovon wir sprachen, kannst Du Dir denken, und daß ich mit meiner „preußischtheologischen“ Richtung unter den Sachsen ganz allein stand – ebenfalls! Da habe ich denn frei und muthig ein Bekenntniß abgelegt, was freilich direct gegen den Deutschkatholicismus ging, resp. gegen Rauch, doch ohne alle Persönlichkeiten: aber als wir nach Hause gingen war mein Freund Götz300 über meinen Fanatismus, Indiscretion, etc etc ganz außer sich, so daß es gut war, daß die Stunde des Abschieds schlug, denn wir hätten uns sonst noch förmlich gezankt – in der Erinnerung daran sage ich, es thut mir weh, wenn ich ein Ärgerniß gegeben habe, aber wir können doch nicht wider die Wahrheit! Auch meinen König habe ich dabei tapfer vertheidigt, denn die Sachsen waren über seinen neusten Erlaß an die Stadtverordneten ganz außer sich und doch ist

299  Pfarrer

Rauch (*?–†?), ursprünglich böhmischer Geistlicher, war im Oktober 1845 von der deutschkatholischen Gemeinde (zum Deutschkatholizismus vgl Anm. 230) Leipzig zu ihrem Geistlichen gewählt worden. Wurde 1851 wegen „Gotteslästerung“ (er hatte die Gottheit Christi geleugnet) und weiterer Unregelmässigkeiten vom Kultusministerium in seinem Amt suspendiert. Bekannt ist zudem, dass Rauch, ein Freund von Robert Blum (1807-1848, deutscher Politiker, Führer der linksliberalen Richtung in der Frankfurter Nationalversammlung), 1849 Abgeordneter im sächsischen Landtag und 1853 Pfarrer in Berlin geworden war. 1855 wanderte er nach Amerika aus, wo er als Arzt gearbeitet hat.  300  Über seinen Freund Götz(e), den Nietzsche immer wieder nennt, sind keine Daten mehr auszumachen, da die Landeskirchenarchive der ev.-luth. Landeskirche Sachsens beim Bombenangriff im Ferbuar 1945 auf Dresden größtenteils vernichtet worden sind. 

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dieser Erlaß, wenn auch für Manche nicht verständlich, doch wieder ein Meisterstück – und „ich freue mich daß ich ein Preuße worden bin!“ Singe und sage ich von Herzensgrund! In solch Lied stimmte an jenem 6sten Aug sogar Freund Ulisch ein, den ich zufällig in Leipzig traf – er hat zwar viel zu tadeln an der preußischen Kirche, aber dennoch meinte er „in Preußen ist gut sein“ und hat daher die Rufe nach Kohren, Püchau und sogar nach Bremen alle abgeschlagen, um nur in Preußen zu bleiben – daß er gerade da, wohin er jetzt designirt ist und auch gern will (Schortau) nicht gern gesehen ist, so daß die Bauern gegen ihn protestiren, habe ich Dir wohl schon in meinem letzten Briefe geschrieben! Die Synode macht, je länger sie dauert auf die strenge Parthei einen desto niederschlagenderen Eindruck; gestern stand in der Voßischen Zeitung lakonisch: „Das Bekenntniß der evangelischen Kirche ist in Preußen gefallen, desto fester werden die Bekenner stehen!“ Unterzeichnet Hoffmann301. Ich glaube, das ist der Geistliche, mit dem ich vor einigen Wochen auf der Eisenbahn von Weißenfels nach Merseburg fuhr – ich wurde ihm von seinem Bruder, der als […] bei der hiesigen Separation mich […] hat, als ein gleichgesinnter Amtsbruder vorgestellt; da verbreitete sich auf seinem Gesicht eine ordentliche Verklärung, in Sachsen einen gleichgesinnten Amtsbruder zu treffen; ganz gleichgesinnt waren wir aber nicht, er war noch viel strenger und entschiedner als ich – ich sagte ihm dieß auch, aber ich sprach zugleich die Hoffnung aus, daß ich durch die jetzigen Kämpfe auch noch immer strenger und entschiedner werden würde – aut – aut302 – das ist die Losung auf Erden, die beati welche das Medium halten können, sind oben die beati, die Seligen des Himmels, das ist ein Zustand, den wir hier nicht haben können! – Stille, um nicht wieder ein Ärgerniß zu geben – doch das ist bei Dir nicht möglich, denn Du kennst mich ganz und gar, und übersiehst mich auch ganz und gar, darum kann Dir bei mir nichts ärgerlich sein! Ich wollte gerade in diesem Brief Dich auch gar nicht ärgern, sondern Dir nur meine volle Liebe und herzlichste Theilnahme zeigen, auch noch einen ganz besondern Dank von meinem Fränzchen bringen, denn Dein Wasser-Umschläge Vorschlag hat sich als probat bewiesen – dieß dankt Dir mein Fränzchen mit mir von Herzen! Möchten wir Dir und Deiner lieben Emma und Deinem kranken Theodor nur auch solche probate Mittel der Hülfe senden können, aber die Liebe kann zwar Alles dulden und hoffen, aber nicht Alles thun, darum laß Dir an der Liebe nun genügen, schreib aber ja bald, daß die Hülfe gekommen ist von Dem, der thun kann, was Er will!! Viele, viele Grüße von Haus zu Haus durch Deinen LNietzsche Pf. Hast Du mein flüchtiges Geschreibsel alles lesen können?? – Ich wiederhole die Bitte, daß Du mir im Kreisblatt die von Dir gefertigten oder umgearbeiteten Aufsätze mit Deinem Namen bezeichnest! –

301  Ernst

Heinrich Hoffmann (1795-1853), ev. Pfarrer, seit 1830 Pfarrer in Tschirma, später Archidiakon daselbst.  302  Lat.: entweder-oder. 

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Nr. 63. an Nietzsche, 2. September 1846

Zeitz d 2. Septb 1846

Viel früher schon, mein lieber Freund, solltest Du Antwort auf Deinen freundlichen Brief haben, der mit seiner herzlichen Theilnahme uns so wohl gethan hat. Aber erst konnte ich vor häuslicher Noth und Vatersorge nicht dazu kommen, dann hatte ich Dir vergangenen Freitag geschrieben, das Packet aber war leider bei der jetzigen Unruhe vergessen worden zur Post zu befördern. So entschuldige. Tage voll schwerer Elternsorge liegen hinter uns und noch immer ist unser Herz bekümmert. Unser lieber Theodor ist seit länger als 14 Tagen gefährlich krank. Zu dem Husten den wir für einen Keuchhusten nach allen Symptomen halten mußten, gesellte sich ein Fieber, das bald sehr heftig wurde und einen entzündlichen Character zeigte. Der herbei gerufene Arzt wollte nach längrem Schwanken eine Entzündung in der Luftröhre, dann auch in der Lunge erkennen und verordnete danach Arznei, zuletzt Blutentziehung. Das Kind litt sehr viel, lag den ganzen Tag in heftigstem Fieber und hustete unter Wehgeschrei, daß uns mit ihm vor Angst der Athem ausging. Am Montag vor 8 Tagen Abends war es so, daß wir Alles fürchteten, und ich griff nun zum Wasser, als dem, wir mir`s schien, letzten Rettungsmittel, trotz meiner noch geringen Erfahrungen. Das Kind wurde gewickelt, schwitzte und wurde darauf gebadet. Die Folge war ziemlich guter Schlaf und auch für meine Frau die erste ruhige Nacht seit fast 8 Tagen. Der folgende Tag war etwas besser, doch noch immer viel Fieber und schrecklicher Husten. Ich fuhr in meiner Behandlung fort und wendete noch besondre anregende Umschläge auf die Brust an. Der Arzt besuchte dabei auf meine Bitte den Patienten fort, um mich über seinen Zustand zu unterrichten, da er den besser mußte beurtheilen können. Mittwoch Abend sprach er von nochmaliger Blutentziehung und Kalomel, die er für nothwendig halte, ich protestirte und verwies auf den morgenden Tag, seis da nicht besser, so wolle ichs zufrieden sein. Und es war viel besser, wie der Arzt bestätigen mußte, am Sonnabend schon die eigentliche heftige Entzündung der innern Organe gehoben, eine große Thätigkeit der Haut hervorgerufen, auch zeigte das Kind wieder geistige Theilnahme und helle Augen. Aber der Husten dauerte mit dem Fieber in geringerem Grade noch immer fort, ja gestern und vorgestern anscheinend etwas schlimmer als am Sonntage, wahrscheinlich Folge der veränderten Witterung. So ist es bis heute. Unser armer Junge fiebert, hustet, zeigt geringe Theilnahme, ist sehr schwach und hat seit Freitag vor 8 Tagen nichts genoßen als frisches Wasser. Das Hauptleiden ist offenbar gehoben, ich aber fürchte, ist ein schleichendes Katarrhalfieber, was mir das Kind aufreiben möchte. Doch hoffe ich auch das durch Ausdauer in der Wasserkur zu besiegen, so sehr der Arzt dagegen gewarnt. Das Leiden hatte vorher zu lange gedauert und war zu tief eingewurzelt, als daß es so rasch wieder beseitigt werden könnte. Gott helfe, an Seinem Segen ist auch hier Alles gelegen, und nur im Vertrauen auf Ihn habe ich die so verantwortliche Kur übernommen. –

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Am Sonnabend erkrankte auch Anna unter ähnlichen Symptomen, nachdem sie schon längre Zeit gehustet hatte, wogegen wir im Einverständniß mit dem Arzt die gewöhnlichen Mittel auch angewendet hatten. Mit ihr fing ich gleich meine Kur an, so wie das Fieber Sonnabends bestimmt sich zeigte. Sie hat seitdem täglich in der Decke geschwitzt ist darauf gebadet worden und hustet zwar noch, zeigt aber keine Spur von Fieber mehr, sondern ist dabei vergnügt und heiter, läßt sich das Essen schmecken wie ein ganz Gesunder. So hoffen wir, daß der Husten seinen natürlichen Verlauf haben und ohne böse Wendung bald verschwinden wird. – Daß bei solcher Krankheitsnoth meine liebe Emma sich nicht erholen und von dem Gartenaufenthalt keinen Gewinn haben kann ist ganz natürlich. Fürchteten wir nicht den Transport des kranken Jungen, so wäre sie schon wieder hereingezogen, da die Unbequemlichkeit namentlich auch für mich zu groß ist. Kaum die gewöhnlichen Arbeiten kann ich machen, da ich so oft heraus und die ganze Behandlung des Kleinen leiten muß. Eine große Hülfe ist Schwester Minna , die noch immer hier weilt und wohl noch lange bleiben wird. Dein Pathchen Marien befindet sich am wohlsten und ist den ganzen Tag im Garten. Möge Deine ganze Familie, namentlich auch Deine liebe Schwester, desto wohler sein, das wünschen wir von ganzem Herzen. Ohne kleine Krankheitsfälle bleiben in diesem Jahre Wenige und auch ich fühle mich seit 14 Tagen sehr unwohl. Hoffentlich gehts vorüber. - Otto und Onkel Bauer wollen mich gern noch auf eine Reise über München nach Wien, Salzburg pp. mitnehmen, aber es geht nicht, so groß meine Lust ist. – Dafür denke ich noch einen kleinen Ausflug in den Harz zu machen, wenn ich einen passenden Begleiter finde. Die Mittel haben Regierg und Minister gegeben, Letzterer durch eine Gratification von 40 Thl., erstres durch eine ander- weitige jährliche Zulage von 60 Thl., die schon für dieses geht. Frobenius gab mir von Beiden am Sonntage privatim freundliche Nachricht. Wahrscheinlich wird auch in Kurzem mein College nach Hainsburg303 versetzt, Frobenius verwendet sich auch meinetwegen lebhaft dafür, weil dann der von mir noch abgegebene Emeritengehalt vom Diakonate genommen werden soll. So wird das Äußere sich ja immer besser gestalten. – Doch ich habe nur von mir und den Meinigen geschrieben, während Dein Brief so viel Veranlassung gibt über Dich und Andres zu antworten. Nun das nächste Mal. Deine Affaire in Leipzig intressirt mich sehr, im Eifer wirst Du wohl zu weit gegangen sein, aber das schadet nichts. Den Herrn passirts viel zu selten, daß sie alteram partem audiunt304. Wir müssen uns aber einmal gründlich verständigen; Du namentlich sollst ganz wissen, woran Du mit mir bist und auf Deinem Wege gehe ich nicht mit. Die herzlichsten Grüße v Emma a Dich und all die lieben Deinigen, dsgl von mir. Dein Schenk.

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Siehe dazu Anm. 296.  2,2). 

304 

Lat.: man höre auch den anderen Teil, den Gegner an (Seneca, Medea

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Nr. 64. an Schenk, 17. Oktober 1846

Röcken, den 17ten October 1846

Wieder an einem Sonnabend schreibe ich Dir, mein lieber Schenk, also abermals nur wenige Zeilen, die mir aber recht schwer werden, weil sie Absage-Zeilen sein sollen! Es waltet einmal in diesem Jahr ein eigenthümlicher Unstern über unsren gegenseitigen Besuchen – noch ehe mir Deine lieben Zeilen vom 14ten die Erlaubniß gaben, hatte ich mir im Stillen vorgenommen gerade den 20ten dießmal in Eurer Mitte zuzubringen um den Verlobungstag, der nach Wochentag und Datum zusammfällt, wie vor 6 Jahren persönlich mitzufeiern; aber es geht leider nicht! Der Hauptgrund ist, daß ich jeden Tag Veranlassung erwarte, nach Naumburg oder Halle zu reisen, um – meinen lieben treuen Freund und Neffen, August Dächsel zu Grabe zu gleiten; er liegt bis zum Tod krank an der Lungensucht in Halle, wo ich ihn vergangnen Mittwoch jedenfalls zum letzten Mal gesehen habe. Mein ganzes Herz blutet dabei, denn mein August war mit mir Ein Herz und Eine Seele. In dieser Stimmung mochte ich auch um so weniger wo anders hin reisen, als auch meine Anwesenheit wegen amtlicher Geschäfte hier nöthig ist, wenigstens den Montag. Kurz – auch einen Besuch aus der Eilenburger Gegend erwarten wir – ich muß meine Reise nach Zeitz aufschieben, wenn auch nicht aufgeben. Da aber es nun ganz unbestimmt ist, wann ich kommen kann, so bitte ich Dich, mir mein Geburtstagsbüchlein mit der Post zu schicken, und da es einmal ein Paquet wird, mir gütigst meine Tholuckschen Predigten beizulegen, die ich nun sehr gern wieder hätte; dann wollte ich Dich auch bitten mir das kleine Bändchen Predigten von Draeseke beizulegen, welche ich Dir einmal geschenkt habe; es waren Predigten über die Hochzeit und das hochzeitl Kleid darin, welche ich gern noch einmal lesen wollte. Du schickst mir natürlich Alles unfrankirt! Meinen Dank im Voraus dafür! Diesen Brief nimmt meine Schwester Rosalie, die nach Naumburg reist, mit auf die Weißenfelser Post, damit er schneller in Deine Hände kommt. Gern schriebe ich mehr, aber es ist abermals wie vor 8 Tagen unmöglich – auch hierbei ist aufgeschoben nicht aufgehoben! Für die guten Wünsche, die Du meinem Geburtstagskinde305 bringst, vielen Dank, wir haben seinen Geburtstag mit Dank und Freude gefeiert, auch mit Erinnerung an Dich im Jahre 1844. Euren Verlobungstag möget Ihr auch mit Freude und Dank feiern – im Geiste sind wir mitten unter Euch und grüßen Dich und Dein Emmachen mit solcher Versicherung Aller der Meinen. Gott sei mit Euch und uns – bete auch für meinen armen August im Stillen, er ist der Fürbitte werth! Auch für mich, denn es bedarf des Trostes

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Friedrich Nietzsches Geburtstag ist der 15. Oktober. 

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1846 Dein Nietzsche

Morgen habe ich Amt in […].

Nr. 65. an Nietzsche, 1. November 1846

Zeitz, den 1. November 1846

Dein Absagebrief, lieber Freund, kam uns sehr unerwartet, da wir aus vielen Gründen bestimmt auf Dein Kommen gerechnet hatten. Gern aber hätten wir auf die Freude verzichtet, Dich bei uns zu sehen, wenn Dich nur etwas Freudiges abgehalten hätte. Aber die Nachricht von der tödtlichen Krankheit Deines Neffen und Freundes ist zu betrübend, und da ich aus Deinen Mittheilungen weiß, wie lieb er Dir war, so kann ich wohl Deinen Schmerz theilen, und finde es ganz natürlich, daß Dir Lust und Muth zu einem andern Ausfluge fehlte. Wolle Gott dem armen Leidenden, wenn er wirklich an der unheilbaren Krankheit danieder liegt, bald ein sanftes, schmerzloses Ende geben, Dich aber und die Deinigen, namentlich die gebeugten Eltern trösten mit Seinem Himmelstroste. Du erwartetest den Tod schon vor 14 Tagen, so wird der bittre Kelch wohl von beiden Seiten schon geleert, aber auch gewiß der rechte Friede schon gekommen sein. Auch wir sind hier durch einen Todesfall in dem uns befreundeten Kreise tief erschüttert worden. Die Gerichtsdirector starb vor 8 Tagen plötzlich, ohne daß die Angehörigen 3 Stunden vorher noch eine Ahnung davon hatten, nach leichtem Unwohlsein und hat ihren Mann mit 9 Kindern hinterlassen, von denen das älteste 17 das jüngste noch nicht 1 Jahr alt ist. Als wir da am Freitag früh die Geschiedene zu Grabe geleiteten konnte ich das Wort nicht los werden und bewegte es als Fürbitte für den Wittwer in meinem Herzen; das Wort der Verheißung: ich will Dich trösten wie Einen seine Mutter tröstet306. Solches sollt Ihr alle auch erfahren und solches möge Gott bei uns in Erfüllung gehen lassen, wenn er uns einmal durch den Todesengel heimsucht. Den Flügelschlag desselben fühlen wir noch immer in der Nähe unsres Theodor , ob wir auch täglich beten, daß Gott ihn für dießmal zurückrufen wolle. Das Kindlein kann sich gar nicht erholen, doch hoffen wir wieder mehr, seitdem er in seiner Schwachheit einen Oberzahn glücklich durchgearbeitet hat. Nun dem Herrn sei Alles befohlen, in dessen Hand wir ja doch stehen und bleiben. Laß Dichs nur nicht befremden, daß Du diesen Brief so spät erst erhälst, da Du mit ihm die Bücher gewiß sogleich erwartet hast. Zwei mal, wo ich vielleicht

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Jesaia 66,13. 

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hätte schreiben können, hatte ich den Posttag versäumt, da ich nur Sonntag und Mittwoch etwas an Dich absenden soll, dann aber habe ich wirklich nicht Zeit zu einem Briefe gefunden. Ich schrieb Dir wohl, daß ich noch einen zweiten Pensionär genommen habe; beiden nun gebe ich täglich 2 Stunden Unterricht im Lateinischen, worin sie noch sehr zurück sind, außerdem habe ich täglich 2 Confirmandenstunden, nimmst Du nun neben den Amtsarbeiten noch das Kreisblatt und einen langen Bericht, den ich als Secretair des Frauen-Vereins zur General-Versammlung vergangnen Mittwoch zu machen und zu geben hatte, so wirst Du mich wohl entschuldigen. Ich weiß nicht, ob es mir möglich sein wird, während des Winters das Alles durchzuführen, was ich will und begonnen habe. Wenn Gott mich nur gesund läßt, namentlich Augen und Ohren leidlich bewahrt, so wirds wohl gehen. Die Arbeit wird noch durch die Versetzung meines Collegen Schmidt vermehrt werden, die im Februar erfolgen dürfte, da er nächsten Sonntag schon in Hainsburg Probe hat. Ich wünsche nun nichts mehr, als daß ein recht tüchtiger und dabei liebevoll umgänglicher Mann an seine Stelle kommt, und dann daß der von mir bisher an Philipp zu zahlende Gehalt nun vom Diakonate gezahlt werde. Weitre Schritte habe ich aber deshalb noch nicht gethan. Wenn ich nur einen vorzüglichen Candidaten näher kännte, für den ich im Stillen Schritte thun könnte. Es hängt zu viel von der Besetzung für mein künftiges Wirken und Wohlbefinden ab. Weißt Du schon, dass Prinzeß Alexandra307 mit dem Großfürsten Constantin verlobt ist und nun gar nicht hier confirmirt wird, sondern gleich in der russischen Kirche, zu der sie damit übertritt? Ferner, dass Prinzeß Therese308 doch noch höchst wahrscheinlich den Erzherzog Stephan heirathet? Das sind so geheime Mittheilungen aus Altenburg, die aber dort mündlich von Mund zu Mund gehen. Dich intressiren sie sicher am meisten und Deine Lieben mögen immer daran denken zur Marie die Bilder der beiden andren Schwester-Bräute Dir zu bescheeren. Um des Herzogs willen freue ich mich darüber, wenn seine Kinder so wirklich ihr Glück finden. Mit herzlichem Danke schicke ich Dir Tholucks Predigten wieder. Ich habe viele mit großer Theilnahme gelesen, wenn mich auch keine vollständig befriedigt und so recht erbaut hat. Mögst Du sie nicht zu sehr vermißt haben! Sehr freuen würde es mich, wenn ich Dir einmal etwas recht Gutes schicken könnte. Du wirst heut die Reformationspredigt halten, wie ich gestern gethan. Nach Galat. 5,1 „Die evangel Freiheit welche uns die Reformat wiedergebracht

307  Prinzessin

Alexandra von Sachsen-Altenburg (Anm. 256) lernte als 14-jährige Grossfürst Konstantin Nikolajewitsch von Russland kennen. Er war ein Sohn des russischen Zaren Nikolaus I. Pawlowitsch und dessen Gemahlin Charlotte, Tochter des Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Alexandra kam 1847 nach Russland und heiratete Konstantin am 11. September 1848 in St. Petersburg. Daraufhin trat sie unter dem Namen Alexandra Iosifowna zur russisch-orthodoxen Kirche über. Friedrich Nietzsche hat die Grossfürstin Alexandra im August 1869 in Basel getroffen und mit ihr „zu Abend gegessen, so daß ich doch gegen 2-3 Stunden mit ihr zusammen war und auf längere Zeit ganz en deux“ (KGB II/1, S. 44). Später hat er für sie ein sog. Prachtsexemplar seiner Tragödienschrift herstellen und ihr zukommen lassen (ebenda, S. 289).  308  Diese Verbindung kam nicht zustande. Therese blieb ledig (Anm. 52). 

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hat“. 1., Was das für eine Freiheit ist. 2., Wie wir uns gegen dieselbe zu verhalten haben. a, benützen. b., vor Mißbrauch uns hüten. c., gegen alle Angriffe bewahren. Da habe ich denn alles Mögliche aus der Zeitgeschichte zur Sprache gebracht, Bibelgesellschaft, Gustav-Adolfsverein, Deutschkatholicismus, die verschiednen bedenklichen Richtungen pp. Sie dauerte aber auch 55 Minuten. Aber nun genug für heute, ich habe die Zeit zu diesem Plaudern mit Dir so der Kirche entziehen müssen. Gott lasse es Euch allen wohl gehen und gebe nach der Trauer viel Freude in die Seele. Mit diesem Wunsche grüßen wir Euch von Herzen. Dein Schenk.

Nr. 66. an Schenk, 13. November 1846

Röcken, d 13. November 1846

Es will nicht und will nicht gehen, daß ich mich aufmache und zu meinem lieben Schenk wandere; jetzt hätte ich die größte Lust und bessre Zeit dazu, auch ist das Wetter noch passabel, da plagt mich wieder seit 14 Tagen ein so enormer Schnupfen und Husten (letzterer schon viele Wochen lang) daß ich leiblich und geistig nicht fort kann, und mich gezwungen sehe, zur Feder, diesem leidigen Ersatzmittel der mündlichen Unterhaltung zu greifen; zwar gebe ich den herbstlichen Ausflug nach Zeitz immer noch nicht ganz auf, aber bis dahin ganz still zu schweigen, könnte doch zu lange dauern, daher also, schreiben! Zunächst meinen Freundesdank für Deinen lieben, nach jetzigem Maßstabe langen Brief, der mich aber trotz des ziemlichen Unwohlseins in einer viel heiteren Stimmung traf, als Du, darin so freundlich und trefflich tröstend, erwarten konntest; mein August , um deßwillen ich wahrlich getröstet zu werden bedurfte, lebt noch, und so viel ich weiß, ist er über alle Gefahr, nachdem die Krankheit einen noch viel höhren Grad erreicht hatte, als ich bei ihm war, und selbst der Arzt jeden Augenblick seinen Tod erwarten mußte. Es scheint doch noch etwas Anderes als eine gewöhnliche Lungenkrankheit gewesen zu sein, oder es ist die ganze Genesung nur Schein, welchem Gedanken ich mich aber nicht hingeben mag, denn ich freue mich jetzt meines August, als wäre er vollkommen ein redivivus! Du freust Dich gewiß über solche Nachricht mit von Herzen, aber ich möchte mich auch gern mit allen meinen Lieben von Herzen der Nachricht freuen, daß Du uns bald schreibst, wie auch Euer lieber Theodor ein vollkommen Redivivus sei, dessen Befinden auch nicht die geringste Sorge mehr mache; es hat uns gar zu weh gethan, daß Dein letzter Brief noch immer nicht alle Bedenken heben konnte und wir immer noch mit dem liebenden Vater- und Mutterherzen uns sorgen und ängstigen müssen. Man müßte nicht selbst Kinder haben – siehe, so schreibt man

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jetzt stolzen Herzens – um nicht das nachzufühlen was ein krankes Kindlein für Sorge machte, obwohl ich da hinzusetzte, wenn man hier nicht seine Sorgen auf den HErrn werfen wollte, so käme man nie aus dem Sorgen heraus, denn es ist alle Tage bei den Kindlein etwas Anderes, was Freude, aber auch was Angst macht, sei es in leiblicher oder geistiger Beziehung; ich rede dieß mit besonderer Rücksicht auf unsern Fritz, der in den letzten Wochen mit mehreren Schwärleins behaftet war und dadurch sehr unleidlich wurde; mit dem Körper geneset aber jetzt wieder sichtbar auch die Seele, und er bereitet uns mit seinem muntern gesunden, fröhlich in die Welt hineinguckenden Schwesterlein viel, viel Freude. Auch sonst ist in unserm Hause jetzt Alles wohl auf, mich etwa ausgenommen, so daß wir am Montag eine fröhliche Kirmeß gefeiert haben, obwohl ich vor Schnupfen und Husten kaum predigen konnte; wie schön wäre es da gewesen, wenn mein lieber Schenk, der von einem Kirmeßbesuch gesprochen hatte, wirklich erschienen wäre, zumal da wir ganz allein waren, und nur die Pobleßer ein Paar Stunden sich bei uns verhielten. Es hat doch nicht daran gelegen daß ich nicht feierlich dazu eingeladen habe?? – Freilich bei den vielen Arbeiten, die Du nach Deinem letzten Brief hast, kann Dir wohl das Reisen vergehen, ich bewundere, wie Du nur Alles bewältigest! Ja, was ich schon einmal geschrieben, muß ich wiederholen, wenn ich vergleiche, was Du leistest und wirkest, gegen mich, so komme ich mir ganz erbärmlich vor, obwohl ich auch nicht die Hände in den Schooß lege; es quält mich dieß besonders in der Hinsicht, daß man sich vielleicht absichtlich noch mehr zu thun machen müßte, z. B. in der Seelsorge, wozu hier fast gar keine Veranlassung geboten wird, wenn man sie nicht ausdrücklich sucht; ich benutze zu Seelsorge-Besuchen nur besonders angenehme oder unangenehme Vorfälle in den Häusern, auf diese Weise bin ich in den fünf Jahren meines Hierseins noch in manches Haus meiner Gemeinde gar nicht gekommen, weil auch nicht der geringste Anknüpfungspunkt da war; und komme ich ohne besondern Grund, so zerbrechen sich die Leute den Kopf darüber, was ich eigentlich will, da mein Vorgänger gar keine Seelsorge-Besuche gemacht hat; es wird dann solchen Besuchen oft ein äußerlicher Grund untergeschoben oder als ein ganz gewöhnlicher Gesellschaftsbesuch angesehen, daß es Einem bedenklich erscheinen muß wieder zu kommen, noch dazu, da die Unterredungen dabei oft nichts weniger als geistlicher Art sind, also daß ich mannichmal ganz indignirt nach Hause kam, weil ich die Leute aus ihrem Geschwätz und Geklatsch nicht herausbringen konnte. Es ist in unsrer Gemeinde kein Boden zur speciellen Seelsorge – damit entschuldigen sich die umwohnenden Geistlichen; mich aber quält der Gedanke immer, daß man sich Boden machen müßte, aber da sind eine Menge Bedenken, hinter welchen sich am Ende doch nur die Trägheit des Fleisches versteckt! Ebenso unzufrieden bin ich mit meinen Predigten – wir haben freilich auf dem Lande viel, wohl zu viel zu predigen, aber man sollte doch noch mehr Zeit auf das Predigtmachen verwenden als ich und Andere pflegen; wie sorgfältig und langsam arbeitete man seine Candidatur-Predigten, auch noch seine ersten Predigten im Amte – jetzt, o, wie oft ist es vorgekommen, daß ich binnen 3-4 Stunden die Predigt meditirt, niedergeschrieben und memorirt habe; man freut sich über diese Schnelligkeit, vollends wenn man sieht, daß solche Predigten oft besser sind, als

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langsam gearbeitete aber im Grunde ist es doch unrecht, so wenig Zeit auf die Vorbereitung einer Predigt zu wenden, an der die Gemeinde eigentlich eine ganze Woche zehren soll, und an der man also auch (cum grano salis309 zu verstehen) eine ganze Woche arbeiten sollte. Dazu kommt jetzt bei mir oft eine andre Qual: meine nieder geschriebenen Predigten mißfallen mir oft so sehr, daß ich nicht im Stande bin, sie zu memoriren (ob sich aber dahinter nicht auch versteckt die Trägheit des Fleisches, welcher das Memoriren ein Greuel ist –) da reproducire ich nun die Predigt auf der Kanzel so, als wenn ich extemporirte, und da ertappt man sich leicht beim Salbadern, eine Gefahr, die wir Landprediger mehr als Ihr Stadtprediger haben, da sich unwillkürlich der Gedanke einschmuggelt: es ist unter den Bauern kein eigentlicher Kriticus! – Eine fernere Qual ist mir namentlich in den letzten Wochen dadurch bereitet worden, daß ich die ganze Woche hindurch mit ganz ungeistlichen, weltlichen Dingen beschäftigt gewesen bin, und doch nun den Sonntag predigen mußte, als hätte ich nur im Himmel gelebt und war doch so sehr festgehalten auf der lieben Erde! In dem letzten Monat waren Pachtcontract, Düngerentschädigung und Holzabschlagen die fortwährenden Gegenstände mündlicher und schriftlicher Verhandlungen und zwar von Verhandlungen wichtiger Art, denn das Resultat ist gewesen, daß ich 200 Thl circa dabei verloren habe, indem ich dieselben früher an meinen Vorgänger baar bezahlt habe, aber von meinem einstigen Nachfolger nicht wieder erhalten kann, weil sich durch die Separation Alles geändert hat. Ich mag aber davon nicht ausführlicher gegen Dich schreiben, denn es ist mir zu langweilig und ärgerlich von diesem in allen Formen durchgemachten, besprochnen und beschriebnen Thema auch in diesem Brief noch zu reden, nur das Eine will ich für Deine Theilnahme noch erwähnen, daß durch die Separation die Pfarre an Feldermasse 5 Morgen310 nebst einer Wiese mit Holzbenutzung verloren hat, aber daß ich durch das bessere Feld, was ich erhalten, doch mein Pachtgeld auf 50 Thl höher gebracht habe, als früher; da gleicht sich der obenerwähnte Verlust in gewissem Sinne etwas wieder aus, wenigstens rechne ich so, um mich nicht zu ärgern! – Daß mir unter den vorstehenden Verhandlungen viel, viel edle Zeit verloren gegangen ist, kannst Du wohl glauben; dazu waren auch viele andere pfarramtliche, äußerliche Rechnungsgeschäfte, daß ich mir oft wie ein juristischer Schreiber, aber nicht wie ein Geistlicher vorkam; auch gehen mir jetzt gar oft die schönen Morgenstunden verloren, indem die Eltern, dem neuen leidigen Schulversäumnißgesetz zu Folge, persönlich um Erlaubniß für Ihre Kinder bitten, und da natürlich früh erst kommen, wenn sie die Kinder brauchen; die Sache könnte nun gewöhnlich schnell abgethan sein (obwohl auch da mannichmal langweilige Verhandlungen vorkommen müssen) aber nein, manche redselige Naturen finden das Ende nicht und kommen vom Hundertsten aufs Tausendste, und Zeit, Ruhe, Stimmung zur schönen Morgenarbeit ist dahin! Doch das ist im Vergleich mit Deinen Störungen

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Lat.: nicht (ganz) wörtlich zu nehmen.  310  Altes Flächenmass; entspricht zwischen einem viertel und einem halben Hektar (je nach Gegend) Fläche. 

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kaum der Rede werth, ich erwähne dieß Alles auch nur mehr darum, daß Du siehst, wie man die Hände nicht in den Schoß legt, und doch lange, lange das nicht erarbeitet und leistet was ein so fleißiger HErr Archidiaconus vor sich bringen muß; nun Gott geb Dir nur recht viel Geistes- und Körperkraft dazu, das ist mein Gebet für Dich! – Der Tausend, das ist ja lange nicht vorgekommen, daß ich zu einem zweiten Briefbogen greifen mußte – möge nur der 2te intressanter werden, als der erste, aber was giebt es groß Intressantes, das ich Dir, dem Mann in der Stadt, in der Buchhandlung und Literatur mitten drinne sitzend, schreiben könnte. Was kann in dieser Hinsicht von Röcken Gutes kommen – das kommt nur von Zeitz! Und als so etwas Gutes, Neues und Höchstintressantes kam mir von Zeitz durch Dich die Nachrichten von den Altenburger Verlobungen! Ich ging Abends zur Missionsstunde nach Lützen und nahm bei dieser Gelegenheit Brief und Paquet von Dir – nolens volens frankirt, gratis – selbst in Empfang, öffnete aber natürlich Alles erst in Röcken. Ich war jenen Abend sehr unwohl und geistig trotz der Missionsstunde sehr depremirt, aber Dein Brief mit seinem Geist und Herz und besonders auch die mich ganz überraschende Altenburger Neuigkeit brachte ganz neues Leben in die matten Glieder, und der Geist Jacobs ward lebendig, also daß ich fast gar nicht die Nacht geschlafen habe. Du erkennst dabei in mir den Alten – aber auch den Altenburger, der ich auch bis ans Ende mit Leib und Seele bleiben werde. Ich habe aber bei den Verlobungen doch noch ein bescheidnes Mißtrauen, da mir Gersdorf diese nicht gemeldet hat, denn wenn ich auch lange nicht an ihn geschrieben habe (es wird nächstens geschehen) so denke ich doch, daß er mir solche Freude verkündigt, wenn die Verlobungen offiziell sind. Also wenn Du mir schreibst, lieber Schenk, so erwähne, ob sich die geheimen Mittheilungen wirklich bestätigen! – Sobald namentlich die Verlobung der Przß Therese offiziell bekannt gemacht wird, habe ich vor, in persona meine Glückwünsche nach Altenburg zu bringen; bei alleiniger Verlobung der Alexandra – die ich mir durchaus nicht als Braut denken kann, wohl aber als Dominirende und Determinirte Großfürstin – werde ich es wohl beim schrftl Glückwunsch bewenden lassen. So wie ich den Herzog kenne, wird es ihm nicht gleichgültig sein, daß diese große Freude durch das Opfer des Übertritts zur griechischen Kirche erkauft werden muß, aber vor solch diplomatischen Verbindungen müssen gewiß seine Bedenken schweigen, doch übt gewiß leider auch hier die böse Zeit einen Einfluß, daß das Übertreten als etwas Unbedeutendes erscheint, jetzt, wo das Uebertreten fast zur Modesache geworden ist und man ohne Weiteres seinen Glauben oder wenigstens die äußere kirchl Gemeinschaft wechselt, wie einen alten und neuen Rock! Es ist das gewiß auch ein Mißbrauch der Freiheit, von welcher Du am Reformationsfest gepredigt hast; es wäre mir sehr intressant, die genannte Predigt zu lesen, um so mehr als ich über dasselbe Thema und auch nach derselben natürlichen Disposition voriges Jahr Wölblingen in Weißenfels predigen hörte. Ich wäre auch dießmal wieder nach Weißenfels, aber das Fest ist dort auch dießmal wie bei uns auf den Sonntag verlegt gewesen; ich habe auf Grund der Sonntgsepistel das Thema gehabt, daß wir mit denselben Empfindungen den dießmaligen Gedächtnißtag der

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Reformation feiern müssen ihn wie dieß vor 300 Jahren (im Todesjahre Luthers) geschehen. Es war ein mich sehr wenig befriedigendes Phantasiegemälde, weil ich nicht genug historische Grundlage hatte und namentlich keine wirklichen Äußerungen aus jener Zeit auftreiben konnte. Ich denke mir, daß ein ähnliches Thema unser Generalsuperintdt gehabt haben muß, weil er jedes Jahr auf das damalige Jahrhundert besondre Rücksicht genommen, wobei die speciellste Kenntniß der Reformation und namentl Luthers zu bewundern war. Ein hübscher Gedanke ist, um die Kenntniß der Luthersch Werke namentl seiner Bibelerklärung ins Volk zu bringen, welchen jetzt Pasig311 in Leipzig ausführt; er giebt jetzt ein Erbauungsbuch auf alle Tage im Jahr heraus, (evangelischer Haussegen nennt er es) wo sich für jeden Tag eine kurze bibl Betrachtung aus Luthers Werken findet; ich habe mir das erste Heft davon zur Ansicht verschrieben, und werde sehen, ob die gute Idee gut ausgeführt ist, namentlich ob es vielleicht für die kirchl Betstunde zu benutzen ist. Der neue evangel Bücherverein in Berlin hat auch sein besonderes Augenmerk auf Luther gerichtet, und unter andern ist seine Hauspostille in sehr splendider Form und sehr billig erschienen; auch andere Schriften z. B. Müllers Erquickstunden312. In unsrer Gegend hat sich Oswald dabei betheiligt, durch den ich auch schon die durch Deine Güte besorgten „Samenkörner des Gebetes“313 näher kannte, denen ich aber aufrichtig gesagt keinen besondern Geschmack abgewinnen konnte, wie mir überhaupt Löhes Schriften etwas haben, was ich nicht recht leiden kann; es giebt eine pietistische Ausdrucksweise, die mir unangenehm ist, selbst wenn ich in der Sache ganz übereinstimme. Ob es dabei doch vielleicht daran liegen kann, daß ich auch mit der Sache noch nicht ganz und gar harmoniren, will ich dahin gestellt sein lassen; Du weißt ja, daß ich nicht ganz und gar abgeschlossen habe, sondern immer noch suche und prüfe, dabei ist es wohl möglich, daß während man die Form tadelt, vielleicht auch die Sache etwas anders haben will. Ich bin begierig, was bei dieser Stimmung und Gesinnung Tholucks neueste Schriftchen, seine Dir jedenfalls wohlbekannte „Gespräche“314, die ich gerade zum Lesen erhalten habe, für einen Eindruck auf mich machen werden. Haben sie Dich angesprochen? Ich glaube, daß Du ein ähnliches Urtheil fällen wirst, als über seine Predigten, die ich, so gern ich sie hier habe, doch auch noch länger Dir gelassen hätte, wenn Du es ausdrücklich verlangt hättest; Du wirst gewiß ein wenig böse ob dieses Zurückerbittens gewesen sein, aber da Du einmal mir einige Brieflein sendetest so dachte ich: „die Gelegenheit ist günstig, hier vollend ichs!“

311  Julius

Leopold Pasig (1816-1876), Dr. phil. und ev. Pfarrer, sorgte für die Neuherausgabe verschiedener Schriften Luthers.  312  Heinrich Müller (1631-1675): Geistliche Erquickstunden oder dreihundert Haus- und Tischandachten. Neuherausgabe Berlin 1846.  313  Wilhelm Löhe: Samenkörner des Gebetes. Ein Taschenbüchlein für evangelische Christen, 18474.  314  August Tholuck: Gespräche über die vornehmsten Glaubensfragen der Zeit, zunächst für nachdenkende Laien, welche Verständigung suchen. 1. Heft 1846.

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Für die gesammten Sendungen der Vergangenheit bringe ich Dir nun noch von mir und den Meinen einen Generaldank, und lege auch drei Thaler bei als Abtragung unsrer Schuld; Du hast gar nicht geschrieben, was Bild, Buch und Auslagen Dir gekostet haben; ich habe also nur ungefähr taxirt, und bitte Dich mir zu schreiben was ich Dir noch nachzuzahlen habe. Die dabei bewiesene Liebe und Gefälligkeit kommt auf eine besondere Rechnung, wohin ich auch die fortwährenden gütigen Sendungen der Kreisblätter schreiben muß, da ich Dir für den Genuß, welchen sie mir jedes Mal gewähren, nichts Entsprechendes zu bieten habe. Wir wollen ja jedenfalls handeln nach des Apostels Anweisung Röm: 13, V8315. – Möge solch ein Liebesverhältniß auch eintreten mit Deinem neuen zukünftigen Collegen, von dem Du mir schon schreiben wirst, welch eine unbekannte Größe dazu ausersehen wird; die neuen Besetzungen des Hochwürdigen Consistorii sind mir bis jetzt sehr unwürdig erschienen; möchtest Du ja keine dem ähnlichen Erfahrungen machen, auf daß Dir Dein Zeitzer Leben nicht verbittert, sondern immer süßer und segensreicher werde! – Nun muß ich aber zum Schluß dieses Briefes eilen, geschrieben in den frühen Morgenstunden des Geburtstages unsrer Königin Elisabeth316, die Gott segnen wolle sammt ihrem hohen Gemahl, den ich liebe und vertheidige, Er mag thun, was er will, selbst wenn er mein armes Schwagerchen, Buchhalter Dächsel in Naumburg auch mit auf 6 Jahre als Stadtverordneter abgesetzt hat. Mein Schwager, der durch und durch königlich gesinnt ist und einer von den Dreien gewesen ist, der ursprünglich gegen den Stadtverordneten Beschluß war, wird den Verlust der königl Gnade um so weniger verschmerzen, als er gerade in einer andern Sache wegen seines geringen Gehaltes an die persönliche Gnade des Königs appelliren wollte! Ich lasse ihm daher heute förmlich condoliren, in dem meine Schwester Lina, die bei uns zum Besuch war, wieder nach Naumburg zurückkehrt; sie giebt auch diesen Brief in Weißenfels auf die Post, und ich speculire, daß er noch mit der Mittagspost nach Zeitz abgeht, so daß er jetzt gegen 9 Uhr noch in meinen Händen ist, und gegen 3 Uhr in Deinen Händen sein kann – schreibe mir mit, ob ich richtig speculirt habe! Überhaupt übersieh den öfter wiederkehrenden Refrain nicht „schreibe mir bald“ sondern laß bald viel Gutes – häusliches, amtliches, geselliges, theologisches, kirchliches – von Dir hören, also daß Du nach Bauern-Grundsatz wieder diesen meinen Brief „gleiche“ machst; in welchem sich wohl Manches aus frühern Briefen wiederholt, was Du gütigst entschuldigen wirst. Etwas wiederhole ich aber aus den frühern Briefen jetzt mit Absicht, das sind die herzlichsten Grüße von mir, meiner Mama, Fränzchen und Schwestern die herzlichsten Grüße an Dich und Deine liebe treffliche Emma sammt Kinderchen, auch die lieben Hesekiels in Altenburg nicht zu vergessen! Daß ich den 20ten October nicht zu Euch konnte, thut mir noch heute sehr weh, ich hatte, um von dem Übrigen zu schweigen, gern

315 

„Seid niemandem etwas schuldig, ausser dass ihr einander liebt; denn wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt.“  316  Elisabeth Ludovika, Prinzessin von Bayern (1801-1873) war die Gemahlin des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. Ihr Geburtstag war der 13. November. 

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auch Euren Conventus aus Autopsie kennen gelernt, und zwar auch um daraus zu lernen für unsern conventus, der in diesem Monat zwischen uns 4 nächsten und befreundetsten Amtsbrüdern entstanden ist, und welchem Du ein glückliches Gedeihen wünschen magst; zunächst besprechen und durchforsthen wir die augsburgi Confession! Aber nun Punctum mit allen Confessionen, Relationen etc etc! In Liebe allezeit Dein treuer Freund LNietzsche Pf.

Nr. 67. an Schenk, 15. Dezember 1846

Röcken, d 15ten December 1846

Gewiß würde ich, lieber Schenk, Deinen langen erfreulichen Brief v. 25ten Nb schon früher beantwortet haben, wenn ich nicht immer noch den stillen Wunsch gehegt hätte, Dich im alten Jahr noch persönlich heimzusuchen; aber nun da die Weihnachtszeit nahe ist und der kalte Winter völlig hereingebrochen, wird es leider mit dem Zeitzer Ausflug nichts, und ich muß also schreiben! Da bringe ich Dir von Allen meinen herzlichsten Dank für den genannten Brief, welcher durch seine liebe Beilage Deiner guten Emma an mein Fränzchen doppelte und dreifache Freude bereitete, eine Wahrheit, die mein Frauchen Deinem Frauchen noch selbst schriftlich aussprechen wird, wenn erst die Weihnachtsarbeiten und Weihnachtsfreuden hinter uns liegen. Wollte Gott, es wäre schon dahin, denn die schöne Weihnachtszeit ist doch für uns Geistliche allemal eine recht schwere Zeit, die mir zwar durch ihre Arbeit eigentlich auch Freude macht, aber der ich gerade diesmal nicht mit leichtem Herzen entgegensehe, weil ich mich immer noch nicht ganz wohl fühle. Denke Dir, ich habe den schrecklichen Schnupfen und Husten, von welchem ich schon in mehreren Briefen geredet habe, immer noch, fast unverändert, trotz aller homoeopathischen und allopathischen und hydropatischen Mittel; gerade sehr krank bin ich jedoch nicht dabei, und es schmeckt mir nicht bloß Essen und Trinken und Schlaf, sondern ich habe auch mein Amt wenn auch mit größerer Mühe doch ohne eigentliche Störung verwaltet; ob es nun Weihnachten mit seinen vielen Feiertagen auch so gehen wird, möge die Erfahrung lehren und Gottes Güte bescheeren ohne Sorge kann ich nicht sein! Im Übrigen können wir im Röckner Pfarrhaus aber der lieben Weihnachtszeit fröhlich entgegengehen; meine sämmtlichen Hausgenossen sind Gott sei Dank recht wohl; zwar macht uns unser Großmütterchen jetzt oft bange, weil ehe man es sich versieht, ihr etwas fehlt und mancherlei Altersbeschwerden sich einstellen, aber im Augenblick geht es doch mit ihr recht gut, und sie hat mit

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uns am vergangnen Freitag ihren 68ten Geburtstag recht heiter gefeiert, beglückt und beglückend im Kreise ihrer Kinder und Enkel! Der Enkelchen freuen wir uns Alle sehr; unsre Elisabeth gedeiht auch an der lieben Mutterbrust prächtig und scheint einen rechten lieben sanften Mädchencharakter zu erhalten, guckt alle Leute mit ihren holden blauen Augen sehr freundlich an, ganz besonders den Papa, der sich nur nahen darf, um ihr ganzes Gesichtchen mit einem Freudenglanz zu überstrahlen! Bruder Fritz ist dagegen ein wilder Knabe, den manchmal allein der Papa noch zur Raison bringt, sintemalen von diesem die Ruthe nicht fern ist; allein jetzt hilft ein Anderer mächtiger mit erziehen, das ist der liebe heilige Christ, welcher auch bei dem kleinen Fritz schon Kopf und Herz ganz eingenommen hat, der von nichts Anderem sprechen und hören will als vom „heile Kist!“ – Es ist das etwas gar Liebliches, das Du ja schon aus längerer Erfahrung kennst, und auch dieß Weihnachten dreifach schmecken und sehen wirst; o wie freuen wir uns Alle da mit Dir und Deiner Emma, daß durch die völlige Wiedergenesung Eures Theodors nun Weihnachten Euch erst recht ein Wonne- und Freudenfest wird – Gott segne Euch dazu reichlich und lasse Euch so fröhlich aus dem alten Jahr in das neue übertreten! Zu diesem Jahreswechsel muß man sich doppelt Glück wünschen, denn es ist wirklich jetzt eine sehr ernste Zeit, man mag hinschauen, wohin man will; grenzenlose Noth in Leiblichem und Geistlichem, wobei die Frage recht nahe liegt: „was will das werden?“ Ich habe diesen Gegenstand auch auf der Kanzel ausführlicher zur Sprache gebracht am 2ten Advt auf Grund der Engelii betrachtend, was wir zu beherzigen haben, wenn schwere Zeiten uns bevorstehen? – In meinem Dorfe ist vielleicht die Noth noch nicht so groß, als in Deiner Stadt, denn gerade aus den Städten schallen diesmal die lautesten Hülferufe! Ich habe dieß z. B. in Naumburg gesehen, wo ich vor 14 Tagen auf einen Tag war, um meinen Augustum redivivum zu begrüßen; es konnte wirklich durch die Schilderung der dortigen Noth die Freude über unser Wiedersehen getrübt werden, und doch war diese Freude so sehr groß, da mein August wirklich ganz frisch und munter wieder war, und ich mit unaussprechlichen Gefühlen den schon für todt beweinten ans Herz gedrückt habe. Eine Noth lastet aber doch noch auf meinem Herzen mein August ist durch seine Krankheit außer Amt und Brot gekommen, und sein Vater, der ganz aus eignen Mitteln die beiden andren Söhne gleicherweise erhalten muß, hat wirklich viel Sorge. Ich erwähne dieß gegen Dich, damit Du meiner und seiner gedenkst, wenn Du vielleicht eine Hauslehrerstelle oder Hülfspredigerstelle und dgl. für ihn erfährst; August ist in jeder Beziehung ein tüchtiger Mensch und sein bisheriger Prinzipal HE Oberförster von Schütz in Zickeritz ist ja so zufrieden mit ihm gewesen; sein theologischer Standpunkt ist der strengkirchliche, doch in milder Form! Ein näheres Urtheil über ihn kann Dir auch Uhlisch in Döbernitz sagen, dessen Freund August geworden ist, ohne jedoch ganz mit ihm übereinzustimmen. Wo wären jetzt in dieser bewegten Zeit zwei Freunde, die Sallusts Kennzeichen der Freundschaft an sich trügen „idem velle atque nolle!“ Doch darum wenigstens „keine Feindschaft nicht“ – es fällt mir aber dabei ein, Dich zu

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fragen, ob Du aus Schleiermachers Predigten317, die geeignet sind die Freunde in der Mitte zwischen Freundschaft und Feindschaft zu halten, die Blüthenlese besitzest, welche ein Prediger Bauer herausgegeben hat, den ich für den Bauer halte, welcher mit Dir verwandt ist; auf diese Weise könnte ich gelegentlich das Buch auch einmal zu lesen bekommen, wie ich mir vielleicht dieß und jenes dahin einschlagendes aussuche, wenn ich einmal zu Dir komme. Das „Organ“ welches Du erwähnst wird schon in unsrem Lesezirkel gehalten und ich freue mich darüber und darauf um so mehr, als Du mit daran arbeitest. Gersdorf hat mir dieß auch geschrieben, ich habe mich über seinen Brief sehr gefreut, besonders über die Stelle auch: „Dieser Schenk ist doch ein vortrefflicher und dabei höchst befähigter Mann; ich habe ihn recht lieb gewonnen, ein Band mehr für uns!“ – An den Büchern des Gersdorfer Vereines habe ich mich noch nicht betheiligt, ich will erst abwarten, welcher von den vielen Volksschriftenvereinen das Beste giebt; bis jetzt scheints mir der Zschokke Verein318 zu thun. Einstweilen halte ich für meine Bauern viel Tractätlein, Missionsschriften und dgl; viele Leser habe ich nicht, da ich nicht aufdrängen will. Deine Kritik der Kalender hat mir sehr zugesagt und Dein Urtheil wird allenthalben bestätigt; Seminardirector Hennicke hat sich ganz ähnlich über dieselben ausgesprochen und namentlich dem Steffen schon diesmal unter den (Pseudo) Volkskalendern den Preis zuerkannt; ich habe ihn meiner Schwester in Nemitz geschenkt und werde ihn später zu lesen bekommen. Aber einen Kalender solltest Du in Deinem Kreisblatt angelegentlichst noch empfehlen, das ist der Diaconissenkalender; seine Bilder sind schlecht, seine Aufsätze gut, sein Zweck der empfehlenswürdigste; in unsrer Ephorie sind zwischen 200-300 abgesetzt worden und noch immer geschieht Nachfrage! Rücksichtlich Deiner Kreisblätter-Notizen bemerke ich Dir, daß ich am 6ten November auch 3 schöne Himbeeren (zum zweiten Mal) in meinem Garten abgepflückt habe, es ist das aber nicht weiter zu erwähnen, denn in hiesiger Gegend ist das vielfach geschehen! – Ich eile mit diesem Brieflein, wie Du an den Schriftzügen sehen wirst; aber ich habe noch etwas auf dem Herzen, was Du so zeitig als möglich wissen mußt. Bei der hiesigen Separation ist durch Umschlagen des Holzes ein Pfarrcapital erzielt worden; das soll nun mit den 33 Thl schon vorhandenem Kapital zusammen ausgeliehen werden; meine und der Meinigen Kassen sind jetzt so, daß ich diese 33 Thl nicht aufbringen kann, ohne in manche Verlegenheit bei den jetzigen vielen Ausgaben zu kommen; so leid es mir thut, muß ich Dich daher bitten, mir so bald als möglich die bewußten 33 Thl gütigst zu senden; die Sache hat Eile, weil ich schon

317  Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834), einer der massgebenden Theologen des 19.  Jahrhunderts, zugleich Altphilologe, Philosoph, Publizist, Staatstheoretiker, Kirchenpolitiker, Pädagoge und Schriftsteller. Ab 1809 wirkte er als bedeutender und einflussreicher Prediger an der Dreifaltigkeitskirche in Berlin. Publizierte viele Predigtbände. Auf welche Predigtsammlung Nietzsche hier anspielt, ist nicht auszumachen.  318  Die sog. Zschokkestiftung setzte sich „für Erweckung und Verbreitung volksveredelnder Schriften und Begründung von Volksbibliotheken“ (Originalstatuten) ein und wurde 1842 von Heinrich Zschokke (1771-1848) ins Leben gerufen. 

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Anfang Januar Rechnung und Documente vorzulegen habe – mögest Du nicht zu sehr in Verlegenheit dadurch kommen, auch glaube, daß ich die Sache gern anders eingerichtet hätte, wenn’s möglich gewesen wäre. – Dumm, daß ich zum letzten Brief im alten Jahr keinen bessren Schluß habe, aber die Liebe höret doch nimmer auf! Das ist der beste Schluß und Beschluß Deines Nietzsche Viele, viele Grüße von allen den Meinen!! NB Ich gäbe auf Trinklers Urtheil mehr, wenn er selbst Pastor gewesen wäre: so spricht er aber wie der Blinde von der Farbe! –

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Nr. 68. an Nietzsche, 20. Januar 1847

Zeitz, den 20. Januar 1847

Dein schon seit Jahresanfang erwarteter freundlicher Brief hat mich mit allen seinen Mittheilungen erfreut und interessirt, wie der Deiner lieben Frau meine Emma. Die dann auch dafür herzlich dankt. Gern suchte ich Dir durch einen ebenso inhaltreichen und ausführlichen Brief zu vergelten und so Deine ausgesprochene Hoffnung auf einen solchen zu erfüllen, aber ich kanns weder heute, noch auch für die Zukunft versprechen. Wenn ich sage, daß mir bei den Arbeiten der verschiedensten Art Lust und Muth zu längren Briefen vergeht und daß ich nur noch an aphoristischen Mittheilungen so beiläufig denken kann, so ist das die volle Wahrheit. Heut bin ich noch dazu leiblich gehindert, da ich nach mehreren Vorboten gestern einen heftigen Anfall des Ohren- und Augen-Reißens auf der rechten Seite gehabt habe, das mich vor zwei Jahren zu Ostern mehrere Wochen lang so sehr quälte. Heut ists wieder besser, aber namentlich das Auge schmerzt mich noch sehr und mahnt mich, daß ich alle Ursache habe das Bischen, was mir von den edelsten Sinnen noch geblieben ist, zu schonen. Willst Du also Ausführlicheres über uns, über meine Verhältnisse und Alles was mich bewegt, wissen, so wirst Du schon selbst kommen müssen. Mögest Du nur bald ganz genesen, daß wenigstens Deine Gesundheit kein Veto gegen eine solche Reise spricht. Meine Emma ist noch immer leidend, doch befindet sie sich jetzt viel besser und die Hülfe, welche ihr die noch immer hier weilende Minna gewährt, thut ihr offenbar sehr wohl. Wenn äußre Unruhe einen leidenden Körperzustand verschlimmern muß, so kann es freilich hier nicht besser werden, wo es fortwährend so viel Aufregendes gibt, wie Du schon aus dem Kreisblatte siehst. Bei dem Feuerlärm am Sonntage war meine Frau zum Besuche bei einer ganz nahe wohnenden Freundin. Doch beunruhigt und bewegt uns weniger dieser wiederholte Feuerspuck, als die hier überhaupt herrschende furchtbare Noth, die zu einem heitren, freundlichen Leben es gar nicht kommen läßt. Ihr könnt dort gar keine Vorstellung davon haben. In der Armenschule haben wir jetzt wöchentlich circa 120 Eltern die wegen Schulversäumnisse ihrer Kinder straffällig sind. Gestern hatten wir eine Partei vor den Schulvorstand geladen, da hättest Du die Klagen aber auch die offene Opposition hören sollen, daß sie nicht anders könnten, um Brod zu schaffen. Ich fürchte für diesen Winter noch Schlimmes, Ähnliches wie jetzt in Irland. Wolle Gott es aber in Gnade verhüten. Mit Hinblick auf diese Noth und auf

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die wiederholten Feuersbrünste habe ich am Sonntag nach der Epistel gepredigt: Wie sich der fromme Christ in die schwere Zeit schicke. 1., Er bekennt auch die schwere Zeit als von Gott und schickt sich in sie mit vertrauensvoller Ergebung in Gottes Rath. 2., Er erkennt auch pp und schickt sich in sie mit treuem Halten seiner Gebote. 3., Er erkennt auch pp und schickt sich in sie mit umsichtiger Benutzung der ihm dargebotenen Mittel zu ihrer Erleichterung. Da hast Du auch mal was Homiletisches zum kritisiren. Von Gersdorf habe ich heut den ersten Brief, nach dem es ihm besser geht, doch darf er noch nicht aus und noch länger keine Stunden geben. Er hat ein gastrisches Fieber gehabt. Wenn ich nicht zu ihm kommen kann, will er so bald er gesund zu mir kommen, um über den Volksschriften Verein mich zu sprechen. Schrieb ich Dir, daß ich in das Directorium desselben treten soll, um neu mit zu gestalten? – Der Unterkunft Deines Neffen freue ich mich mit Dir, noch mehr des Wohlbefindens Deiner lieben Schwester, die ich besonders zu grüßen bitte. – Deine Nachrichten über Ulisch319 waren mir ganz neu, besondren Dank dafür. Seit Jahr und Tag habe ich ihm nicht geschrieben, er nicht mir und so habe ich auch gar nichts von ihm gehört. – Auch für Deine literarischen Mittheilungen Dank, ich werde sie beachten. Jetzt lese ich mit großem Intresse Auerbachs „Schrift und Volk“320, woran eine Characteristik Hebels geknüpft ist. So arbeite ich mich immermehr in diesen Zweig unsrer Literatur herein, den ich sonst weniger beachtet. – Sehr freue ich mich auf die Lectüre von Baurs Dogmengeschichte321, die ich vor einigen Tagen geschenkt bekommen habe. – Mit Möllers Predigt konnte nicht viel ausgerichtet sein, nun der Erfolg hats gelehrt. Wollen sie einmal mündlich vornehmen. – Spätestens Mitte Februar erhälst Du Dein Geld, hoffentlich schon Anfang. – Nun hast Du doch noch einen viel längren Brief bekommen, als ich dachte. So gehts, wenn man ins Plaudern kommt, besonders wenns so selten geschieht wie bei uns, mündlich gar nicht mehr. Meine Emma grüßt Dich und Deinigen herzlich, ich schließe mich Ihr an und bin immer in Liebe Dein Schenk

319  Nietzsche

berichtete Schenk in seinem Brief vom 11. Januar, dass Gustav U(h)lisch (Anm. 189), definitiv in Döbernitz (Anm. 294) bleiben und am 15. April 1847 Johanna Marie Auguste Louise Schmidt in zweiter Ehe (seine erste Frau Franziska Marie geb. Gröning, war 33½ jährig im Kindbett am 17. September 1844 verstorben) heiraten werde.  320  Berthold Auerbach: Schrift und Volk. Grundzüge der volksthümlichen Literatur angeschlossen an eine Charakteristik J.P. Hebels. Leipzig 1846.  321  Ferdinand Christian Baur: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes (1841–1843, 3 Bde). 

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Nr. 69. an Schenk, 18. Februar 1847

Röcken, den 18ten Februar 1847 Mein lieber theurer Freund! Daß ich so lange nicht an Dich geschrieben habe, hat wirklich nur darin seinen Grund, daß ich Dich habe durchaus besuchen wollen; zwei Mal waren auch schon alle Veranstaltungen dazu getroffen, aber einmal wurde plötzlich das Pferd krank welches mich zu Dir befördern sollte und das andre Mal trat ein Schneewetter ein daß man keinen Hund, geschweige einen Pfarrer hinauszujagen sich getrauete! Und so sind wir denn in die Passionszeit hineingekommen, in welcher ich nicht gern verreise, da es darin doppelt und dreifach zu thun giebt und namentlich die Confirmanden kein Versäumniß gestatten. Nolens, volens muß ich daher nun meine Reise zu Dir bis nach Ostern verschieben und kann also auch zu Deinem lieben Geburtstag nicht bei Dir sein! Es thut mir dieß sehr wehe, aber wenn ich mich auch über meine amtlichen Bedenken wollte mit Gewalt hinwegsetzen, ich würde nicht mit rechter Ruhe bei Dir sein können; nach gethaner Arbeit ist gut ruhen, also so Gott will, nach vollendeter Osterfestarbeit! – Freilich hätte ich Dich gar gern schon längst gesprochen, da Deine lieben Briefe oft gar zu aphoristisch sind, und in einer Angelegenheit muß ich dringend bitten, mir doch nachträglich noch ausführlichen Bericht zu erstatten, da ich von den verschiedensten Seiten um nähern Aufschluß gebeten worden bin, und doch zum großen Befremden der Fragenden nichts wußte; es ist die Geschichte mit Deinem neuen Diaconus, da wird weit und breit ein sehr strenges Gericht über Dich gehalten und Deine dabei ergriffene Handlungsweise und gezeigte Gesinnung ganz und gar verdammt! Es hat mir dieß in der Seele weh gethan und ich wäre so gern für Dich in die Schranken getreten, aber ich konnte immer nur sagen: Die Sache muß sich noch anders verhalten, so hätte mein Freund Schenk nicht gehandelt! – Also schreibe mir bald, was eigentlich gewesen ist und beruhige mich auch darüber, ob in Folge dieses Vorfalls Euer Predigerconvent sich aufgelöst hat und Du sichtbarlich auch bei der Stadt Liebe und Vertrauen verloren hast. – ?!322 Fast wider meinen Willen habe ich die erwähnte Angelegenheit gleich auf der ersten Seite meines Briefes abgehandelt, nun habe ich Dir am Ende die Stimmung verdorben und die Lust genommen, dieses Brieflein weiter zu lesen, und soll doch

322  Franz

Friedrich Richard Krüger (1818-1884), Dr. phil., ev. Pfarrer, 1841-1847 Lehrer an der Höheren Bürgerschule Magdeburg, von 1847-1860 Diakon an St. Michaelis in Zeitz, später in Plötzky und Stumsdorf. Krüger hatte in Zeitz seine Antrittspredigt gehalten, und, wie sich nachträglich heraustellte, dabei eine Predigt Theremins (Anm. 37) übernommen und als eigene ausgegeben. Deswegen war es nachträglich in der Gemeinde zu einem Aufruhr gekommen. Daraufhin machte Schenk der veranwortlichen Kirchenbehörde davon Mitteilung und bat darum, Krüger die Stelle in Zeitz nicht zu übertragen. Doch vergeblich, Krüger erhielt die Stelle gleichwohl. 

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ein Geburtstagsbrieflein sein, an welchem man gern seine Freude hat; nun die theil­ nehmendste Freundesliebe und Herzenstheilnahme wirst Du doch überall herausmerken, und gerade, wenn ich erst etwas Unangenehmes berührt habe, desto natürlicher und dringender zugleich ist es, daran die guten Wünsche zu knüpfen, in der Weise, daß der liebe Gott alles Unangenehme hinwegnehmen und dafür lauter Gutes und Segens der Fülle geben möge! Hierin ist Alles eingeschlossen womit ich sammt den Meinen Deiner zum 24ten glückwünschend und fürbittend gedenken werde; möge nicht bloß der Geburtstag sondern das ganze Geburtsjahr ein Beweiß dafür sein, daß der HErr unsre Bitten für Dich und Dein ganzes Haus gnädiglich erhöret hat! – Nun erst komme ich dazu dankend zu erwähnen, daß Du mir dießmal mit zwei Briefen freundlichst zuvor gekommen bist, die ich beide seiner Zeit richtig erhalten habe, was ich namentlich um der 10 […] Beilage bei dem letzten Brief besonders hervorhebe, zugleich auch besonders dafür dankend. Gerade dieser Brief ist von Zeitz nach Röcken fünf volle Tage unterwegs gewesen, indem wegen des Schneefalles alle Posten confus geworden waren und auch weil seit Eröffnung der Thüringer Eisenbahn323 nur eine einzige Post (Nachts) durch Lützen geht; ich erwähne dieß theils zur Erklärung, warum ich nicht über Weißenfels einmal zu Dir gekommen bin (da müßte ich die Nacht in Weißenfels hin und her campiren) theils aus Fürsorge für Dich, daß, wenn Du mich über Weißenfels besuchen wolltest, nicht mehr auf Postfahrgelegenheit rechnen kannst! – Was nun das Einzelne Deiner beiden lieben Briefe betrifft, so habe ich aus Beiden mit großem Schmerz ersehen, daß in Eurer Stadt Zeitz gar viel Noth ist; bei uns ist es Gott sei Dank nicht so schlimm, obwohl auch die Bettler täglich schaarenweise zu uns kommen; meine Gemeinden wenigstens aber sind mit dem Nothwendigsten noch versehen und Gottes Gnade wird schon weiter helfen! Eben so habe ich mit Schmerz gelesen, daß Du wieder einmal an Deinem Ohren und Augen-Reißen gelitten hast und mich dabei doppelt gewundert, daß Du auch dadurch Dich in Deiner vielfachen Thätigkeit nicht stören lässest, im Gegentheil, obwohl Dich dieß Alles an Mäßigkeit mahnte, noch neue Arbeit übernimmst, ich meine, daß Du sogar noch ins Directorium des Volksschriftenvereines getreten bist. Ich rufe Dir „ne quid nimis324“ – zu, obwohl ich mir denken kann, daß Du gerade Freund Gersdorfen mit diesem Eintritt eine große Freude gemacht hast; daß Du ihn besucht hast, ihn wieder gesund getroffen, und daß Du von ihm so freundlich aufgenommen worden bist, war mir Alles sehr erfreulich zu lesen, doppelt in der Beziehung, wenn ich daran denke, wie im Vergleich mit früher sich in Eurem Verhältniß die Zeiten geändert haben! Wenn Du ihn einmal sprichst oder schreibst so sage ihm unter herzlichen Grüßen, daß ich seinen letzten freundlichen Brief noch nicht beantwortet hätte, weil mir immer wäre, als würden wir uns bald einmal sprechen! –

323  Die

Eröffnung der Thüringer Eisenbahn geschah 1842. Sie führte von Leipzig nach Nürnberg. Altenburg erhielt so einen Bahnanschluss.  324  Lat.: nicht zu viel. 

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Auch Deine übrigen Altenbrgr Mittheilungen über das Wohlbefinden der theuren Hesekielschen Familie waren mir recht lieb zu lesen aber daß Du gar nichts Neues von Altenburg mir mitzutheilen hättest, wundert mich – hast Du denn nicht gehört daß meines Herrn Vetter Baumbachs Erstgeborener Schwiegersohn des Herrn von Hopfgarten wird; eine Verlobungskarte hat mir dieß wirklich glückliche Ereigniß gemeldet und ich habe nicht verfehlt an meinen trefflichen Vetter einen feierlichen Gratulationsbrief abzusenden. Wollte nur Gott, daß ich bald eine ähnliche Veranlassung zu schreiben hätte an die lieben Prinzessinen, von deren Verlobungen es ja jetzt wieder ganz still ist. Sollte wirklich unsre liebe Königin an der Auszehrung leiden wie man sagt, also sterben325, so kann sich des Königs Majestät noch eine Altenburgische Prinzeß holen – ein Vorschlag zur Güte, obwohl die Sache zu ernst ist, als daß man darüber so heiter redet; nein ich wünsche unsrer lieben Königin von Herzen langes Leben und habe es ihr auch mit meiner Gemeinde am vergangnen Sonntage inbrünstig erbetet in einer besondren feierlichen Fürbitte. Daß gerade das erste Krankheitsbulletin an demselben Tage erschienen ist, wovon das Constitutiönchen datiert ist, hat den Berlinern zu dem Witz Veranlassung gegeben: „woran leidet denn die Königin?“ Antwort: „dat weeßt Du nich – das ist ja klar, an der schwachen Constitution!“ – Nicht übel, obwohl ich die eigentliche Constitution stark genug für Preußen finde, und so viel ich davon verstehe, bekennen muß, daß unser guter König genug gethan hat! Sapienti sat!!326 – Da habe ich denn nun schon mancherlei geschrieben und noch kein Wort davon, wie es uns eigentlich während meines langen Stillschweigens ergangen ist; nun im Ganzen Gott sei Dank gut, obwohl die liebe Gesundheit hier und da Noth gemacht hat, namentlich ist in vergangner Woche unsre gute Mutter sehr krank gewesen, so daß wir leider für ihr theures Leben fürchten mußten; des HErrn Gnade hat aber dießmal diesen Kelch noch gnädiglich an uns vorübergehen lassen, möge es noch auf lange lange Zeit sein! Ja, wir fühlen uns ja Alle in unserm trauten Verein so glücklich, freuen uns mit einander des Aufblühens der lieben Kleinen, arbeiten und leiden mit einander Alles wie es Gott schickt – sollte Gott nicht solche einen Kreis gern unversehrt lassen? – Besondre merkwürdige Ereignisse habe ich Dir von uns nicht zu berichten, es ist Alles im Hause und Amte seinen stillen gewohnten Gang fortgegangen, nur Lichtmeße327 brachte als der 21ste Geburtstag meines geliebten Fränzchen einen besondren Festglanz in das Röckner Stillleben, und wenige Tage vorher ein neun Mann starker Besuch von der Weißenfelser Geistlichkeit (Herbstens, Wölblings und Hennikens) in deren Umgang ich viel geistigen Genuß und Anregung finde. Ein gleiches Urtheil fälle ich über eine Lectüre, die mich mit den Meinen jetzt erquickt, nämlich Wildenhahns Paul Gerhardt, Spener

325  327 

Königin Elisabeth Ludovica von Bayern.  326  Lat.: dem Weisen genug (Terenz, Phormio 3;3,8).  Mariä Lichtmess ist der 2. Februar. Mit "Mariä Lichtmess" endete früher die Weihnachtszeit. 

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und Arndt – drei liebliche Erzählungen328! So kommen wir aus dem tiefen Schnee und Winter heraus und in den Frühling hinein, wir wissen nicht wie, habe zum Überfluß für die Fastenzeit noch 36 Bogen Kirchrechnungen voll zu schreiben, dießmal auch eine Confirmandenzahl (20) wie noch nie, so lange Röcken steht – kurz das Leben ist köstlich, wenn auch Mühe und Arbeit!329 Heute hatte ich schon meine österlichen Schulexamen – acht Stunden lang, abspannend und geisttödend, ist davon etwas auf diesen Brief übergegangen, nun so vergieb, damit Du mir aber nicht zu viel vergeben mußt, so will ich lieber dem Brief das Garaus machen! Ich schließe – schließe unter Wiederholung meiner tiefgefühltesten Glückwünsche zu Deinem Geburtstag, um Deine treue fernere Liebe bittend! Die Meinigen haben mir an Dich und Deine liebe Emma die allerherzlichsten Grüße aufgetragen und bitten mit mir, daß Du bald Gutes schreiben mögst Deinem Nietzsche.

Nr. 70. an Schenk, 19. März 1847

Röcken d 19ten März 1847 Mein lieber theurer Freund! Wie schwach sind wir Menschen doch im Ausführen unsrer Vorsätze, – da lege ich gleich an demselben 9ten März, wo ich Deinen lieben letzten langen Brief erhielt, Feder und Papier zurecht, um sofort Dir zu antworten, und siehe, tausenderlei kommt dazwischen und erst heute führe ich den Vorsatz aus! Nun, sei nicht böse darüber, und nimm auch meinen verspäteten Dank als einen gleich warmen und herzlichen auf! Einen ganz besonders großen Dank hast Du Dir aber mit Deinem letzten Brief verdient – nach einer solchen Sonntagsarbeit noch ein solch langer Brief, das kann ich gar nicht hoch genug rühmen. Was nun die Hauptsache darin betrifft, den Krügerschen Vorfall, so bin ich durch Deine Auseinandersetzung vollständig beruhigt worden; die Fama hatte die Sache sehr entstellt zu mir gebracht, und namentlich, was Alles ganz offen und ehrlich verhandelt worden ist, als ein hinterlistiges Werk voll Lug und Trug dargestellt. Wird Deine Verfahrungsweise überall bekannt, so kann auch Niemand etwas an Dir tadeln; hieltest Du Dich einmal zu dem Schritt in Deinem Gewissen verpflichtet, so konntest Du nicht besser

328  August

Wildenhahn: Johannes Arndt. Ein Zeitbild aus Braunschweigs Kirchen- und Stadtgeschichte in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts. Theil 1, Leipzig 1847. Ders.: Philipp Jacob Spener: Ein geschichtliches Lebensbild der spenerschen Schule. Theil 1, Leipzig 1847. Ders.: Paul Gerhardt: Kirchengeschichtliches Lebensbild aus der Zeit der grossen Churfürsten, Leipzig 1845. Karl August Wildenhahn (1805-1868) war ein ev. Theologe und religiöser Schriftsteller.  329  Psalm 90,10. 

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und redlicher handeln, als Du gethan; an meiner Stelle – doch, was ich vielleicht noch bemerken könnte, lieber mündlich! – Die Mündlichkeit wird also, so Gott will, nach Ostern statt finden, aber ich möchte Dich in keiner Weise hindern, wenn Du vielleicht selbst nach Ostern einen Ausflug vorhast; wenn Du mir schreibst, so bestimme nur die Wochen, wo es Dir am Liebsten und Passendsten ist – ich sage Wochen, weil ich gern einige Wahl haben möchte, indem ich nicht allein, sondern mit meinem Frauchen zu Euch kommen will, falls Ihr sammt dem lieben Gott Ja und Amen dazu sagen wollet; mein Fränzchen will nämlich nach Ostern das kleine Mädel entwöhnen, und deshalb eine lang projectirte Reise nach Naumburg ausführen; von Naumburg aus wollen wir dann auch nach Zeitz – wenn ich erst weiß, wann Dir und Deiner Emma unser Erscheinen am Liebsten ist, dann bestimme ich Euch den Tag unsres Kommens fest; und als ein Feind von allem ungewissen Erwarten wiederhole ich, daß Ihr uns nicht ehr zu erwarten habt, als bis ich geschrieben. – Der neulich vereitelte Versuch unsres Zusammenkommens hat mir sehr weh gethan – wenn Du aber so stolz davon sprichst, daß Du an meiner Stelle bestimmt gekommen wärest, so muß ich sagen: Ja, wenn ich wie Du nur 5/4tel Stunde gehabt hätte, und nicht fast 3 Stunden Weges, dann unter jeder Bedingung!! Allein – jetzt merke auf – mein Absagebrief mußte ein sehr schneller Entschluß sein, wegen der Gelegenheit nach Weißenfels; ich bereute ihn, als Donnerstag früh Frost war – und auch an das vorher nicht bedachte Nachtbleiben denkend, entschloß ich mich noch zu gehen, aber da fiel mir ein, daß mein Absagebrief Mittwoch früh 8 Uhr in Deinen Händen sein mußte, ehe vielleicht Oswalden noch etwas gemeldet war, Du bliebst zurück – und ich wäre den weiten schlechten Weg vergebens gegangen, – noch zauderte ich, da kam der Ephoralbote, brachte mit einer Menge amtlicher Besorgungen zugleich die Nachricht, daß der Weg aufgethaut sei, und, wie seine Stiefeln bezeugten, er sich sehr schlecht ginge! Also ich blieb, aber – quod erat demonstrandum – ich gebe nicht einen Finger nach, daß ich meinem Freund Schenk eben so gern und eben so große Opfer zu bringen fähig bin, als er mir!! – Und da ich einmal dabei bin, ein wenig auf Dich loszuschlagen, so will ich gleich noch ein wenig schelten, daß Du von den Kreisblättern sagst „sie würden wohl gleich ungelesen bei Seite gesteckt werden“ – das kann Dein Ernst nicht sein, denn ich dächte, ich hätte Dir schon oft geschrieben, mit welchem Intresse wir jedes Blatt, selbst auch in seinen Annoncen studiren, um in allen Stücken in Zeitz au fait zu bleiben. Und wie die Blätter gefallen, möge Dir folgendes beweisen: mein Schwiegervater hat sie seinem HE Patron, dem Baron von Raschau330 (einem lebendigen Universallexicon) mitlesen lassen – als ihm mein Schwiegervater die ersten Nummern dieß Jahr bringt, schreit ihm Raschau entgegen (es ist ein ganz origineller Mann) „nicht wieder bringen, selbst schon kommen lassen von

330 

Ein Vertreter des alten sächsischen Adelsgeschlechts der ‚von Raschau‘ kann noch 1857 in Pobles nachgewiesen werden. Näheres über Pfarrer Oehlers Patron war freilich nicht mehr eruierbar. Bekannt ist, dass Pfarrer Oehlers Patron Franziska Nietzsches Pate war. 

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Zeitz, solch ein Blatt muß man selbst halten und weiter verbreiten (immer stärker schreiend) ich sage „weiter verbreiten!“ (verba ipsissima!) – Und solche Blätter sollte Schenks nächster Freund ungelesen bei Seite stecken??? Ich muß noch mehr zanken: Was schreibst Du denn von Intressen? Ist denn nicht das Kreisblatt Intresse mehr als zu viel gewesen, aber nun da die Schuld aufgehört hat – ich quittire hiermit danksagend, und habe den Schuldschein in kurze Stückchen zerrissen – hören auch diese Intressen auf, das Herschicken der Blätter nicht, aber das gratis lesen; mit den 20 Sgr die Du noch von mir zu haben schreibst, bezahle ich hiermit das Quartal No: 1 und 2. Willst Du mir aber dennoch durchaus etwas gratis von Dir lesen lassen, nun so laß mir mit zu Gute kommen, was Du als Directoriums-Mitglied des Volksschriftenvereines zu Tage förderst! Ich bewundere nur, woher Du die Zeit dazu nimmst, denn Dein entworfenes Sonntagsbild kehrt ja doch in der Woche oft wieder. In der Woche haben wir Landpfarrer freilich mehr Ruhe; aber mit Sonntagsbildern können wir auch dienen, wie z. B. am vergangen Sonntag, wo ich außer dem Gewöhnlichen (2Mal Liturgie; 2Mal Predigen) noch Abendmahl mit 50 Personen hatte, Nachmittags Betstunde mit Bibelvorlesung und Erklärung, eine Stunde lang danach Fastenexamen mit den Jungfrauen, 3 Erziehungsberichte und Taufzeugniß zu schreiben, eine Taufe, und von 4-7 Verhandlungen mit dem Gemeindevorstand nebst bogenlangem Protokoll darüber. Ich hatte soviel sprechen müßen, daß ich Abends ganz heiser war, wie überhaupt meine Gesundheit jetzt immer etwas zu wünschen übrig gelassen hat und daher auch homoeopathisch medizinire. Meine Hausgenossen befinden sich Gott sei Dank alle wohl, Elisabeth hat schon ein Zähnchen. Fritzchen papelt wie ein Staarmätzchen und ist am Dienstag zum erstenmal auf dem Jahrmarkt in Lützen gewesen. – Was Du mir von den Deinen, namentlich auch von Altenburg mittheilst, hat mich lebhaft intressirt, betrübt und erfreut, je nach dem die Kunde lautete; besonders um Deiner lieben Emma willen hat uns sehr erfreut, daß Ihr Ostern Eure Pensionärin entlasset – wir haben das Tausendmal gesagt, daß dies zu viel für Deine liebe Emma ist, auch glauben wir, daß Ihr ungeachtet der Geldeinbuße ebenso weit kommt mit Eurem Auskommen; die Pensions-Einnahmen trügen!  – Du wirst es wohl nach Form und Inhalt meinem Brief anmerken, daß er wieder sehr flüchtig geschrieben ist, aber ich habe mit Gewalt mir 1 Stündchen genommen, wo ich eigentlich andre Sachen zu arbeiten hatte, aber es wäre wahrlich nicht dazu gekomen, wenn ich es nicht so gemacht hätte. Es ist einmal mit der Briefschreibezeit und Laune ein eigen Ding! Das hindere Dich nicht mir ja recht bald wieder einmal zu schreiben, ehe die Osterarbeit kommt, wozu Gott Dich und mich reichlich stärken wolle! Ich bleib allezeit Dein treuer dankbarer Freund LNietzsche Pf. Auch viele Grüße von d Meinen an Dich und Deine liebe Em.

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Nr. 71. an Schenk, 30. April 1847

Röcken d 30sten April 1847 Mein lieber theurer Freund! Wenn nicht gerade zum 1sten Maj ein Briefchen in Zeitz hätte eintreffen sollen, so würde ich noch viel ehr mich zum Schreiben angeschickt haben, um unmittelbar nach dem zurückgelegten Freundebesuch ein Zeichen unsrer glücklichen Rückkehr und unsres herzlichsten Dankes zu geben; sind nun aber auch schon 10 Tage vergangen, so wirst Du doch mit Deiner lieben Emma ebenso gern noch etwas von den Reisenden hören wollen, als dieselben noch gern von Eurer Liebe und Freundschaft hiermit reden möchten. Was wir aber von unsrer Rückreise erzählen könnten, ist eigentlich nur das, was wir dabei von Eurer großen Güte und freundlichen Bewirthung dankend und rühmend gesprochen haben; es bewegte dieß sich Alles um das Thema, was Fritzchen verkündete, es habe ihm „in-eitzanz-ehr“ gefallen; der kleine Mensch war in solcher Erinnerung ganz ausgelassen und aufgeregt, so daß er nur die letzte halbe Stunde in Schlaf kam; unser Kutscher fuhr aber auch tüchtig zu, wozu ihn der sich einstellende Landregen noch mehr anfrischte, so daß die ganze Reise ungeachtet des großen Umweges in drei kleinen Stunden zurückgelegt war. In Röcken wiederholte sich nun das dankbare Kutschgespräch, bei welchem unsern lieben Wirthen in Zeitz die Ohren in allerhöchstem Grade geklungen haben müssen, und es wurden sogar gegen dieselben Verschwörungen gemacht, mit einem solchen Überfall nicht wieder zwei Jahr warten zu wollen, insonderheit ist mir dießmal die Fußparthie nach Zeitz so leicht und nah vorgekommen, daß ich gar nicht übel Lust habe, dieselbe recht bald einmal zu wiederholen. Freilich muß aber da erst wieder im Archidiaconate der große Tag fröhlicher Erwartung vorüber sein, und daran – aus nicht schwer zu errathendem Gedanken nexus – will ich denn nun gleich die herzlichsten Glückwünsche zum 1sten Maj knüpfen; es kommen diese Glückwünsche nicht von mir allein, sondern ich bin damit beauftragt und reichlich versehen von meiner lieben Mutter, Frauchen und Schwestern – und gehen diese Wünsche alle dahin, daß Deine geliebte treffliche Emma die Gnade des HErrn im allerreichsten und allerhöchsten Maaße in dem neuen Jahr erfahren möge, daß sie ungestört im Besitz ihres würdigen Gatten und holden Kinder sich von Herzen des Lebens - des geistlichen und leiblichen – freuen könne; daß ihr in der Stunde der Gefahr331 Gott und sein heiliger Engel schützend und schirmend nahe sei und sie wieder einmal von ganzer Seele dem Wort ihres Heilandes zustimmen dürfe, was am Jubilate-Sonntag das Evangelium uns von Neuem hat verkünden lassen – mit solchem Glückwunsch küsse, grüße, segne Dein treues Weib in unsrem Namen! –

331 

Am 15. Juli 1847 wurde Max Emil Ernst Schenk geboren (1847-1864). 

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Ich könnte eigentlich hiermit dieß Briefchen schließen, denn sein Hauptzweck ist erfüllt, aber einige Notizen möchte ich doch noch hinzufügen; zunächst die, was Deine liebe Frau doch besonders interessiren wird, daß die Entwöhnung unsrer Elisabeth von der Zeitzer Reise an wirklich vor sich gegangen ist, eigentlich glücklich, denn die Mutter und das Kindlein haben sich, wenn auch unter beiderseitigen vielen Thränen doch bald an diese Trennung gewöhnt, allein so munter und frisch ist Elisabeth durchaus nicht mehr, dazu hat sie einen schrecklichen Schnupfen bekommen, daß wir jetzt nicht ohne Sorge unser blasses Lieschen ansehen, auch leidet sie etwas seit dem Gewöhnen an den Augen, dagegen gerade das Augenleiden Fritzchens einen Tag nach der Zeitzer Reise wieder völlig verschwunden ist; Gott wird ja auch bei dem Töchterlein bald wieder helfen, eine Hoffnung, an die wir uns auch schon wieder rücksichtlich meiner Schwester Auguste halten müssen, bei der sich wirklich seit 8 Tagen wieder der völlige Magenkrampf ausgebildet hat; es ist heute ihr Geburtstag, möchte ihr doch das neue Jahr neue Gesundheit bringen! – Ich habe seit meiner Zeitzer Reise sehr viel im Amte zu thun gehabt, namentlich am Sonntag und Bußtag, gestern aber habe ich einen Ausflug nach Leipzig gemacht, wo ich manchen Amtsbruder fand, der sich nach gethaner Arbeit ein wenig zerstreuen wollte, ich aber besonders Zerstreuung, resp auch Ergötzung gefunden an der Menge Carricaturen, womit in Bild und Wort die neuesten politischen Ereignisse in Preußen, Baiern und Rußland332 gegeißelt werden, habe mich jedoch dabei gewundert, wie die Leute in jetziger böser Zeit solchen Humor noch haben können. Die Masse war sehr still, und Alles fürchtet sich vor Aufruhr und Einer sagte „es wäre schon lange welcher gewesen, wenn in Leipzig die August-Kugeln nicht noch in gutem Gedächtniß wären“. Wie traurig es in dieser Hinsicht namentlich auch in meiner Vaterstadt Eilenburg zugegangen ist, wirst Du – mit Theilnahme auch um meinetwillen – in den Zeitungen gelesen haben, und ich kann nur noch hinzufügen, daß nach den Briefen meines Onkels es noch schlimmer gewesen ist, als wie es die Zeitungen berichten. Gott schütze Euch und uns vor aller ähnlichen Angst und Gefahr, und lasse uns bald – zunächst in Röcken!! – wieder ein fröhliches Wiedersehensfest feiern! Die herzlichsten Grüße von allen den Meinen, namentlich meinem Fränzchen und Rosalien, wiederholend – an Dich und Deine Emma, bleibe ich in treuer Liebe allezeit

332  Nietzsche

weist auf die überall aufbrechende liberale Reformperiode, die, im Nachgang zur französischen Revolution, in Preußen in die Märzrevolution von 1848 mündete, wo insbesondere die Vereins- und Pressefreiheit, zudem ein deutsches Parlament gefordert wurden. Dabei riefen die Radikalen nach einer demokratischen Republik, das liberale Besitz- und Bildungsbürgertum hingegen begnügte sich mit gemässigteren Petitionen. Gemeinsam war beiden der Wunsch nach nationaler Einheit. König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861), von 1840-1861 König von Preußen, war zwar zu einigen politischen Konzessionen bereit, sah aber, im konservativen Denken einer christlich-germanischen Weltanschauung aufgewachsen, im Gottesgnadentum den mystischen Kern seiner Herrschaft und verwarf in romantischer Begeisterung für das historisch Gewachsene die Forderungen der französischen Revolution. 

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Dein dankbarer Freund LNietzschePf. Fritzchen grüßt auch seine lieben drei Gespielen! –

Nr. 72. an Nietzsche, 12. Mai 1847

Zeitz 12. Mai 1847

Theurer Freund, so gern ich auf Deinen freundlichen Brief mit recht viel Gutem antwortete, so unmöglich ist es mir. Weniger amtliche Arbeiten – deren ich jetzt gerade weniger habe – als andre aller Art lassen mich nicht dazu kommen und nehmen dazu die nöthige Frische zum Briefschreiben weg. Darum nur das Nothwendigste, da Dir wenig doch hoffentlich lieber sein wird als nichts. – Sorgend haben wir im Geiste Euch auf Eurem Heimwege durch den Regen begleitet und freuen uns sehr, daß die Fahrt so glücklich von statten gegangen. Für Euren Besuch und die uns damit gemachte große Freude haben wir allein zu danken. Führts nur aus und kommt bald wieder. Ließe sichs nur irgend thun, so möchten wir Euch gern bald Gleiches mit Gleichem vergelten; so etwa Pfingstdienstag oder Mittwoch, wo Deine Mutter ja wohl noch in Röcken ist. – Von meiner Reise nach Leipzig, zurück über Halle, Merseburg, Weißenfels hast Du wohl schon gehört. In Leipz war ich den ganzen Tag mit den HE Gersdorf und Marbach333 zusammen, ein armer Pfarrer unter vornehmen Professoren; doch hielt er sich leidlich. Ein Resultat in unsrer Volksschriftensache haben wir auch nicht gewonnen, habe auch nicht mal Hoffnung, daß es noch geschieht. In Merseburg habe ich sehr freundlich mit Caro verkehrt, der wahrhaft herzlich war, den Diakon Simon334 kennen lernen, der mir sehr wohlgefallen hat, Langer aus Zörbig getroffen, der mir immer weniger zusagt, mit Frobenius bei Brüggemanns zu Mittag gegessen, wo er sich wieder ganz freundlich erwies, und dem Archidiakon Schellbach335, dem sehr gefügigen aber recht begabten, einen Besuch gemacht, nachdem er öfter hier bei mir gewesen. In Weißenfels kam ich zufällig zum Missionsfeste und liess mich von Oswald und Wölbling halten, besonders in der Hoffnung Dich zu sehen. Da hatte Dich leider wieder der Tod eines

333  Möglicherweise

meint Schenk hier Gotthard Oswald Marbach (1810-1890), Dr. phil., Prof. für Philosophie an der Universität Leipzig und Dichter. Edierte auch Volksbücher.  334  Jakob Wilhelm Bernhard Simon (1806-1860), ev. Pfarrer, 1845-1853 Diacon Merseburger Domgemeinde, später Pfarrer in Mötzlich.  335  Johann Gottlieb Schellbach (1805-1860/1?), ev. Pfarrer, 1838-1847 Diacon St. Maximi in Merseburg, später Oberpfarrer daselbst. 

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Schwagers336 nach Plauen gerufen, um das Trostamt zu verrichten. Möge das Dir gelingen und der Verlust überhaupt kein herber sein; ich kenne diese Verhältnisse nicht näher. – Sehr intressant wars mir bei Wölbling, wo ich Mittag bleiben mußte, Harnisch kennen zu lernen, der mich sehr befriedigt hat; dann auch den Festprediger und Gnadauer Thesensteller Rocholl, eine frische, kräftige Persönlichkeit. Manche andre Bekanntschaften und Wiedersehn waren mir lieb. – Hier sind wir Alle wohl und freuen uns in unsrem Gärtchen des köstlichen Wetters. Täglich erwarte ich einen meiner Brüder mit der Mutter. Den 28. Mai kommt Großmutter Wilmsen mit Auguste. Uebrigens ist hier Alles beim Alten. An Kämpfen für das erkannte und gewollte Gute fehlts nicht, natürlich auch nicht an Unannehmlichkeiten. – Mit dem Colleg Kr in Frieden, aber es geht schlecht mit ihm und er wird sich nicht halten337. Ueber seine letzte Predigt ist großer Skandal in der Stadt. - Marheinekes338 Nekrolog folgt dankend zurück. Meine Emma grüß mit mir Dich und Dein ganzes liebes Haus herzlich. Immer Dein treuer Schenk Gersdorf wunderte sich, daß Du ihm nicht geantwortet. Wir freuen uns sehr über das glückliche Entwöhnen. Das Töchterlein wird nun wieder gz stark sein.

Nr. 73. an Nietzsche, 1. August 1847

Zeitz den 1. August 1847. Mein theurer Freund, Das werden wieder nur wenige, flüchtige Zeilen werden, statt einer ordentlichen Antwort, welche Dein lieber, langer Brief voll herzlicher Theilnahme verdient. Noch mehr, sie müssen mir den Besuch bei Dir, den so lange beabsichtigten, und die mündliche Mittheilung ersetzen, da es mir unmöglich ist zu Dir zu kommen. Du hast mich so freundlich erst durch Krause, dann jetzt wieder durch Kühn daran erinnern lassen, daß Du immer für mich zu Hause seist, Du hast mir in Deinem Briefe gezeigt, wie Du mich erwartest, Du selbst weißt, wie ich mich auf die kleine Reise zu Dir gefreut habe – es hilft aber Alles nichts, ich kann nicht kommen. Bisher mochte ich meine Emma noch nicht verlassen, hatte auch im Amte und Hause so viel zu thun, daß ich nicht einmal zu einem Spatziergange gekommen bin.

336 

Am 28. April 1847 war Alfred Schmid (Anm. 201) gestorben.  337  Entgegen Schenks Vermutung blieb Krüger (Anm. 322) bis zum Jahre 1860 in Zeitz.  338  Philipp Konrad Marheineke (1780-1846), Prof. der Theologie, seit 1811 an der Univesität Berlin. Typischer Vertreter der spekulativen Theologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. 

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In dieser Woche habe ich wieder die Amtsverrichtungen, dann erwarte ich Ulisch zum Besuch, der Gevatter stehn soll, und dann werde ich noch heut oder morgen über 8 Tage meine große Reise ins Seebad nach Ostende antreten. Du siehst, da ist beim besten Willen an einen andren Ausflug nicht zu denken. So wollen wir im Geiste miteinander verkehren und weiter leben. Wie Du das thust mit den Deinigen, das hat uns wieder Dein herzlicher Brief gezeigt und der Deiner lieben Frau. Dank, herzlichen Dank dafür; solch wahre Theilnahme erquickt. Ihr werdet Euch dann mit uns freuen, daß es weiter mit Mutter und Kind gut gegangen ist, so gut wie wir es nimmer zu hoffen wagten. Arzt und Hebamme sind, wie wir nun erfahren, in großer Besorgniß um das Leben meiner lieben Frau gewesen, wie müssen wir da Gottes Gnade preisen, der so wunderbar geholfen. Meine Frau hat sich so zeitig erholt, wie bei keinem der frühren Kinder, nimmt schon seit 6 Tagen wieder an unsrem Mittagstisch Theil und eben will ich sie zum ersten Male herüber führen in unser Gärtchen, wohin alle Kinder schon voraus sind. Ja Gott sei gelobt; er helfe weiter! Nächsten Freitag gegen Mittag wollen wir unser Kindlein taufen, wenn Ihr da mit Euren guten Wünschen und frommen Fürbitten bei uns sein wollt. Dann, wenn das Kind getauft ist und mit der Mutter sich noch wohl befindet, denke ich im Ganzen ruhig zu reisen, wenn auch mein Herz immer hier sein wird. Einige mal wird mir Emma auch nach Frankfurt und Ostende Nachricht geben. In mancher Beziehung freue ich mich auf diese Reise jetzt sehr, namentlich auf das Meer und das katholische, gewerbthätige Belgien; mehr noch als auf den Rhein. Den Rückweg hoffen wir von Straßburg aus über Stuttgart und Nürnberg zu machen. Der Hinweg geht über Bamberg, Würzburg, Frankfurt, Mainz den Rhein aufwärts. Es ist mir sehr lieb, daß ich einen Reisegefährten an dem Assessor Thümmel I 339 aus Weißenfels gefunden habe und wahrscheinlich wird sich auch noch der Candidat Taube340 von hier zu uns gesellen. Nun wird es mit meinen Ohren schon gehn. Von Deinen Wünschen weiß ich mich begleitet und nach der Rückkehr, die Mitte September erfolgen soll, werden wir uns hoffentlich bald hier oder bei Dir sehen. Da sollst Du nachträglich an meinen Reiseerlebnissen Theil nehmen, so viel Du Lust hast. Für die Mittheilungen aus Deinem Leben danke ich Dir und wir freuen uns, daß es Allen den lieben Deinigen bisher so gut gegangen ist. Mögest Du auch ferner nur Gleiches berichten können! Ueber Deiner lieben Frau Brief hat meine Frau sich ganz besonders gefreut, da er so sehr gut und herzlich ist. Mögen sich auch unsre Frauen immer mehr innerlich befreunden, je mehr sie sich kennen lernen! Heut habe ich zum ersten Male über den ungerechten Haushalter341 gepredigt und das ganze Evangelium genommen. Der Reichthum ist aber zu groß, und ich habe ihn in 50  Minuten kaum oberflächlich zeigen und die Hauptpunkte

339 

Oberlandesgerichtsassessor I. Thümmel (Lebensdaten unbekannt) aus Zeitz, mit Schenk befreundet, wurde 1848 als Mitglied der liberalen Mitte als Abgeordneter ins Frankfurter Parlament gewählt.  340  Franz Eduard Taube (1818-1896), ev. Pfarer, vor 1848 Hauslehrer, später Pfarrer in Wolmirsleben, Welsleben und Lebendorf. Taube hat das Zeitzer Gymnasium durchlaufen.  341  Lukas 16, 1-9: Gleichnis vom ungerechten Haushalter. 

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hervor­heben können. Ja wahrlich, in solcher Erzählung steckt ein unerschöpflicher Reichthum und man fühlt da so recht den Unterschied zwischen der Schrift und andrer gewöhnlichen Menschenrede. Wir grüßen Euch Alle mit dem Gruße der Liebe; ich bin unverändert bei aller Verschiedenheit in politischen und theologischen Dingen Dein treuer Freund Schenk Die Mutter Hesekiel wird Freitag mit hier sein, da Minna Pathe ist, dazu unsre gute Sanitäts-Räthin Reiser, die Du ja wohl kennst.

Nr. 74. an Nietzsche, Ende September 1847

undatiert nach der Ostende-Reise ca. 30. Sept 1847 Theurer Freund, Das scheint nach der Reise so gehen zu wollen wie vor derselben, d. h. ich scheine nicht zu Dir kommen zu sollen, ich mag es mir noch so fest vornehmen. Am Freitage hast Du mich hoffentlich gar nicht mehr erwartet, da ich Dir natürlich die so schon so gestörte Woche nicht noch mehr stören und von der Amtsarbeit Dich abhalten durfte. Es war recht gut, daß Dein Brief mit der Ankündigung der Naumburger Reise noch kam und mich gleich da meinen Plan aufgeben ließ, denn ich hätte so nicht fortgekonnt. Freitag Nachmittag hatte ich noch früh amtlich zu thun, wenn auch nur in Vertretung meines Collegen, und dann waren die Herren Häckel und Trinkler aus Merseburg, mit denen ich einen Mittag und Abend bei Bekannten zusammen war. In meinem Hause habe ich sie dießmal nicht gesehn. So habe ich 3 Wochen lang vergebens einen Tag nur gesucht, um ihn mit Dir zu verleben; in den nächsten 14 Tagen aber kann ich gar keinen suchen, da während derselben mein College verreist ist. Außerdem bringt uns nächsten Sonntag Freund Contius342 seine Tochter und wird es sich hoffentlich einige Tage hier gefallen lassen. So will ich denn vorläufig weiter keine Pläne für die Fußpartie zu Dir machen und lieber auf eine Ueberraschung durch Deinen und der lieben Deinigen Besuch bei uns rechnen. Aber es thut mir doch leid, daß ich nicht einmal wieder Dich in Deiner glücklichen Häuslichkeit habe sehen können. Wie lange ist es wohl her, daß ich Dich nicht in Röcken gesprochen habe? Mögt Ihr nur Alle recht wohl

342  Vielleicht

denkt Schenk an Moritz Wilhelm Contius (1785-1869), ev. Pfarrer, seit 1826 Oberpfarrer und Superintendent in Brehna. Contius‘ Frau Johanna Henriette geb. Fenthol (*1798) war am 31. Juli 1846 verstorben und hatte ihrem Mann 8 Kinder hinterlassen, davon 7 Töchter. 

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sein, ganz besonders auch Deine Kinder. Es ist für die Kleinen eine gar ungesunde Zeit und Keuchhusten, Ruhr u.s.w. raffen viele hinweg. Die unsrigen sind noch gesund und machen der schwachen Mutter viel Noth. Jetzt hat die gute Minna noch mit ihnen gespielt oder sie beruhigt, wie solls aber nur werden, da sie übermorgen nach Altenburg zurückkehrt. Ich hätte sie gern herübergebracht, da ich Manches zu besorgen und zu besprechen habe, aber es blieb mir kein Tag dafür frei. In Darmstadt hat man ja einen Waffenstillstand gemacht, der aber schwerlich bis zur nächsten General-Versammlung dauern wird. Eure Parthei ist gar muthig und voll Siegeszuversicht, das zeigen die neuesten Maßregeln gegen Uhlig343. Da wird bald der Schlachtenruf im Heerlager unsrer Kirche von einem Ende bis zum andren ertönen und alle namhaften Streiter zum Kampfe rufen. Recht reif scheint mir die Sache noch nicht zu sein, aus vielen Zeichen der Zeit aber möchte ich auf einen nahen großen Bruch in unsrer vaterländischen näher noch provinziellen Kirche schließen. Das Ende davon vermag ich nicht abzusehn, hoffe aber daß auch hier Gott Alles zum Besten lenken werde. Wo werden wir uns da treffen und wie uns sehen! Was ich will und erstrebe sehe ich nur hie und da in den leisesten Anfängen, weiß kaum, wie ich mich zu den beiden großen Parteien stellen soll. Das aber weiß ich, daß meine innerste Natur sich gegen eine Kirche als Rechts-Anstalt sich gegen ein Messen mit Formeln und Gesetzen sträubt und nimmermehr damit befreunden wird. Doch wozu das hier? Wir Alle grüßen Auch Alle herzlich Dein tr Fr Sk. Die N 62 hast Du am Kindtaufstage mitgenommen, ich schicke sie Dir indeß auf Deinen Wunsch noch einmal.

Nr. 75. an Schenk, 2. Oktober 1847

Röcken d 2ten Octbr 1847 Mein guter, lieber Freund! Das ist wahr, über Deinem Kommen nach Röcken waltet ein Unstern, da haben wir an dem bewußten Sonntag, Montag und Freitag Dich wieder einmal ganz bestimmt erwartet, und leider, leider vergebens, unser lieber Schenk erschien ungeachtet alles

343 

Vermutlich weist Schenk hier auf Lebercht J.J.M. Uhlich (Anm. 188) hin. Uhlich war nach monatelangen Disziplinaruntersuchungen Mitte September 1847 seines Amtes enthoben worden. Daraufhin trat er Ende Nov. 1847 aus der preußischen Staatskirche aus und gründete in Magdeburg die von Staat und Kirchenleitung unabhängige sogenannte „Freie Gemeinde“, mit 7000 bis 8000 Mitgliedern die grösste ihrer Art in Deutschland. 

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Hoffens und Harrens nicht! Ich frage nun auch, wie Du in Deinem letzten Briefe vom 30sten pr 344 „wann, wann werden wir uns in Röcken sprechen?“ – Ich fürchte, es geschieht dies nimmer, wenn ich Dir immer wieder mit einem Besuch in Zeitz zuvorkomme. Darum kurz und gut: erwarte keine Überraschung von mir und den Meinen, wir kommen nicht ehr zu Euch, als bis Ihr, und wenigstens Du bei uns gewesen! Doch will ich nur offen gestehen, wir und besonders ich würden nicht so streng rechnen, wenn nicht auch noch manches Andere uns von einer Reise nach Zeitz abhielte – und das ist recht gut, denn auf diese Weise entschließt sich Freund Schenk ehr zu mir zu kommen. Wie habe ich besonders dießmal gespannt auf Deinen Besuch, bei welchem Du mir von Deiner großen Reise so viel erzählen solltest; nun komme ich am Ende ganz darum, denn der frische Eindruck der Reise ist zum Erzählen nothwendig, und daran muß es Dir bald fehlen, da Du gewiß das liebe Reisethema schon oft behandelt hast. Ich dachte sogar, Du würdest dieß auch in Deinem Kreisblatt thun, solltest Du nicht manches Deinem Kreise Nützliches und Angenehmes mitzutheilen haben? Bis jetzt habe ich nichts darin gefunden, obwohl manches Neues und Intressantes, namentlich in dem Blatt Nr. 62, zum Beweiß, daß ich es noch gar nicht in den Händen gehabt hatte; Du irrst Dich, wenn Du denkst, daß Du mir es am Kindtaufstage mitgegeben habest, da habe ich nichts weiter mitgenommen, als Kuchen, Aprikosen und das Bildniß der Prinzessin Marie Anna v. Preußen345 – Ich schreibe diese Zeilen am Sonnabend – daraus siehest Du, daß ich schon mit der Sonntags-Vorarbeit zu Stande sein muß; so war es auch vor 8 Tagen, ich arbeite meine Predigten jetzt, wenn nicht noch früher wie Reinhard gewöhnlich in den ersten Tagen der Woche und benutze den Sonnabend nur zum Memoriren; Du kannst mich also auch Freitag und Sonnabend ohne Weiteres besuchen, und wäre ich wirklich einmal noch nicht fertig, nun so richte es nur so ein, daß Du gleich für mich predigen kannst, was ich schon immer gewünscht habe. – Die Reise nach Naumburg, von der ich Dir geschrieben, war auch geistlicher Art; mein lieber Vetter, der Candidat Dächsel346 (ist nämlich zum Pastor in Hirschfeld Ephorie Elsterwerda) vocirt, und wollte mir, an dem Tage gerade in Naumburg anwesend, seine Probepredigt und Katechisation zur Prüfung mittheilen; es ist also geschehen und war alles recht gut, und ist auch am Probetage (XVII p. Tr.) Alles ganz glücklich von Statten gegangen. Seine Anstellung ist nicht bloß für seine Eltern, sondern für unsern ganzen Familienkreis, namentlich auch für mich, ein höchst erfreuliches Ereigniß; er erhält zwar auch, wie Du, einen zähen Emeritus, aber seine Einnahme ist doch so, daß er heirathen347 kann, was auch noch vor dem Amtsantritt geschehen wird, da er schon fünf Jahre Bräutigam ist. Zu der Stelle ist er ohne alle Bekanntschaft und ohne alle persönliche Empfehlung gekomen, nur in Folge seiner sehr guten Zeugnisse und besonders seines Anhalteschreibens

344  Lat.: proximi mensis = der nächstvergangene Monat.  345  Marie Anna Friederike von Preußen (1836-1918), war eine preußische Prinzessin und Landgräfin von Hessen-Kassel. Heiratete 1853 den Prinzen Friedrich Wilhelm von Hessen.  346  Karl August Dächsel (Anm. 128).  347  Dächsel heiratete am 21. Dezember 1847 in der Domkirche zu Halle (Saale) Friederike Vincentz (1821-1903). Aus dieser Ehe stammten 8 Kinder. 

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hat sich der Patron für ihn intressirt. Das Anhalteschreiben ließ mir, zufällig zum Missionsfest nach Naumburg gekommen, Augusts Vater lesen, da er es zur Post zu befördern hatte; es war nämlich ein ganz merkwürdiges ungewöhnliches Schreiben, ganz meinen lieben, innerlichen Vetter charakterisirend, daß der Vater Anstand nahm, es abzusenden; nur auf meine ausdrückliche Erklärung, daß er dieß Schreiben dem Sohn nicht zurücksenden dürfe und daß es, wenn sonst Gott wollte, gerade seinen Zweck in dieser Form erreichen könnte, wurde es abgesendet, und hat wider aller Erwarten das Beste gewirkt; doch die Geschichte ist noch nicht aus, sie ist zum Schreiben zu lang, kurz mein August ist Pfarrer geworden, ohne daß ihn der Patron (Freiherr v. Rochow) gesehen hat – gewiß in unsren Tagen ein seltner Fall! – Das ist dann aber auch wirklich das Einzige was in den vergangnen Wochen mein Leben und Herz als etwas Neues bewegt hat, sonst ist Alles seinen gewohnten, ruhigen Gang fortgegangen, wir sind, Alt und Jung, munter und gesund gewesen, und hoffen, daß der liebe Gott auch ferner mit uns sein wird! – Die Aequinoctialstürme348 in der Kirche haben mich nicht so bekümmert, es wird nach dem Brausen schon wieder ruhig werden, und sind, wie alle Aequinoctialstürme Übergangsstürme – von einem gewaltigen Bruch in der vaterländischen Kirche fürchte ich nicht das Geringste, und wenn auch halb Magdeburg mit Uhlich eine freie Gemeinde bildet, was ist das unter so Viele, und auch wie lange wird solche Freiheit bestehen – wenn der Wind darüber geht, so kennet man ihre Stätte nicht mehr, exempla sunt odiosa!349 – Die neuesten Gustav Adolph Vereins-Versendungen haben mich an das Parturiunt montes350 erinnert, und lassen mich etwas kalt; ich weiß nicht, ob ich mich noch ferner als ein Mitglied des Vereins betrachten soll, der den einfachen Zweck der Unterstützung vergißt, und von Dingen dabei schwatzt, die gar nicht dazu gehören. Ich setze aber auch hinzu, wie Du in Deinem Brief „wozu das hier?“ – Eines aber hat mir doch weh gethan in Deinem Brief, daß Du sagst „Eure Parthei“ – das Wort Parthei thut mir weh, noch weher aber das Wort „Eure“! Auch Du Brutus stellst Dich uns also und mir insonderheit gegenüber, Du, dessen Umgang und Gedankenaustausch in Altenburg ich es verdanke, daß ich dieser „Parthei“ erst recht angehöre und darin fest geworden bin und mich selig gefühlt habe? – Das thut mir weh, daß ich nicht mehr wie einst von unsrer Freundschaft sagen soll „idem velle atque nolle“ – Ich glaube, es wäre viel besser, männlicher, wissenschaftlicher und gottgefälliger, anstatt daß Du vergebens Dich nach einer Parthei umsiehst, der Du angehören könntest, daß Du die Parthei erst recht in Dich aufnimmst, durchlebst durchforschst und mit Gewalt zu Deiner eigensten und innersten machst, die Parthei, welcher Du einst angehörtest, und welche keine Parthei ist, sondern die rechtgläubig evangeli Kirche! –

348 

Äquinoktialstürme sind zur Zeit der Äquinoktien (Äquinoktien sind die Tag- und Nachtgleichen – Frühlingsanfang am 20./21. März, Herbstanfang am 22./23. September) auftretende Stürme, die häufig von starken Regenfällen begleitet werden.  349  Lat.: Beispiele sind verhasst.  350  Lat.: Parturient montes, nascetur ridiculus mus = es kreissen die Berge, geboren wird eine lächerliche Maus (Horaz, Ars poetica 139), d. h.: viel Lärm um nichts. 

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Ich habe also in meiner Einfalt und Schwachheit geredet, aber erkenne auch daraus, daß ich aus Liebe zu Dir Einer Parthei mit Dir sein möchte: Dein unverändert Dich treu liebender Freund LNietzsche Pf. Die herzlichsten Grüße von Haus zu Haus!

Nr. 76. an Nietzsche, 8. Oktober 1847

Zeitz, den 8. Octob 1847 Mein lieber Freund, Gerade dießmal wäre ich so gern in Person zu Deinem Geburtstage gekommen, um diesen großen Festtag Deines Hauses einmal mit Euch zu feiern, aber es ist eben wieder unmöglich. Der College ist noch verreist und ich bin somit doppelt hier gebunden. Darum schriftlich meine herzlichsten Glückwünsche zum Eintritt ins neue Lebensjahr. Möge es mit Gottes Hülfe wieder ein wahres Segensjahr in Haus, Amt und Gemeinde sein. Mögest Du Dich immer aller der lieben Deinigen, die Deinigen Deiner ungetrübt freuen können, mögt Ihr so Alle ineinander und durcheinander glücklich sein und bleiben. Mir aber, besser uns hier, vergönne weiter in liebender Theilnahme Euer Glück mit zu genießen und laß uns öfter hier oder dort durch eignes Anschauen Zeugen desselben sein. In unsrem Freundesverhältniß soll es beim Alten bleiben, d. h. unsre Freundschaft soll auf festem Grunde ruhen, der nicht erschüttert werden kann, ob auch unsre Ansichten und Richtungen hie und da auseinandergehen. Ja ich hoffe zu Gott, daß unsre alte Freundschaft auch dann eine Brücke finden würde, wenn wir uns irgendwo im entschiedensten Gegensatze einander gegenüber erblickten. Zu einem solchen Gegensatze indeß kann es wenigstens auf religiösem Gebiete nie kommen, wenn es wahr ist, daß wir jemals auf demselben Grunde standen und in denselben Hauptwahrheiten und Grundansichten einig waren. Darum will ich denn auch den Schluß Deines letzten Briefes, der übrigens so recht Freundes-Liebe und -Vertrauen zeigt, für jetzt dahin gestellt sein lassen und nicht in eine nähere Erörterung ziehen. Jedenfalls muß ich Deinen Rath beherzigen, die von Dir characterisirte Parthei, sit venia verbo!351, erst noch mehr in mich aufzunehmen und selbst zu durchleben zu suchen. Freilich mit Gewalt werde ich sie schwerlich zu der meinigen machen können, um so weniger da die, die ich jetzt meine, nie die meinige gewesen ist, obwohl Du die Behauptung aussprichst, daß ich ihr einst angehört, ja daß ich Dich noch mehr in derselben befestigt habe. Das ist eine Sache, die wir doch einmal

351 

Lat.: es sei Nachsicht dem Worte gewährt, d. h. mit Verlaub zu sagen. 

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mündlich zu wirklicher Verständigung erörtern müssen, damit wir wenigstens über einander vollständig klar sind. Namentlich ich muß das wünschen, damit Dir zwischen meinem vermeinten frühren und gegenwärtigen religiösen und theologischen Standpunkt nicht ein Dir unbegreiflicher Widerspruch bleibe. Ich hoffe, daß die Verständigung uns nicht schwer werden soll. Ueberhaupt wäre es gut, wenn man in dieser bewegten Zeit sich unbefangen mündlich oder noch besser schriftlich mit einem treuen Freunde über all das aussprechen könnte, was einen wahrhaft innerlich bewegt. Schon das wäre ein großer Gewinn, daß man sich selbst mehr klar werden müßte, daß man Ordnung in seine Ansichten brächte, ihrer Gründe und ihres innren Zusammenhangs sich recht bewußt würde. Dazu kommt es nicht, wenn man bloß in sich aufnimmt, man kann nicht verarbeiten, dazu kommt es auch nicht bei den mehr aphoristischen Mittheilungen im gewöhnlichen mündlichen Gespräche. Und wie Wenige sind es, mit denen man auch nur über das, was einem das Theuerste und Heiligste ist sprechen mag! Wie Wenigen mag man sein Innerstes erschließen, weil man weiß, daß die wahre Liebe und damit das rechte Verständniß fehlt. So stehe ich auch hier im Ganzen einsam und habe namentlich keinen geistlichen Amtsbruder, mit dem ich innern Umgang pflegte. Oft strafe ich mich selbst deshalb, aber es hilft nichts, sie bleiben mir mehr oder weniger fern; ich finde das nicht, was ich in dieser Beziehung brauche, und sie natürlich auch nicht bei mir. Aber was hilft es, daß ich Dir das hier erzähle, es wird dadurch nicht anders. Lieber will ich endlich einmal zu Dir kommen und da frisch und frei vom Herzen zum treuen Freundesherzen reden. Das soll denn auch geschehen, sobald mein College zurückgekehrt ist, was, wie ich höre, morgen über 8 Tage geschieht. Einen Tag wenigstens werde ich mich doch frei machen können. Dann sollst Du mir viel erzählen, namentlich auch über die Berufung Deines Vetters, die mich schon jetzt nach Deinen Andeutungen höchlich interessirt. Dann will ich Dir von der Reise so viel erzählen, als Du hören willst, und hoffe, daß die Farben noch nicht ganz erbleicht sein sollen. Wenigstens ist die Frische des Eindrucks nicht durch zu häufige Erzählungen abgestumpft worden, denn ich habe nur sehr wenig, und fast bloß meiner Frau, erzählt. Mit Andren bin ich aber noch nicht in nähren Verkehr gekommen, da die Arbeiten aller Art meine Zeit ganz absorbirt haben. Mit Contius aber, der uns am Sonntag Mittag […] brachte und bis Mittwoch früh blieb, gab es so viel Andres zu verhandeln, d. h. er hatte wieder so viel aller Art zu erzählen, daß ich nur zu hören hatte. So haben wir nun eine neue Hausgenossin und freuen uns ihrer, da sie ein gut geartetes und liebenswürdiges Mädchen zu sein scheint, nicht ohne reiche Gabe und Bildung des Geistes. Ich wünsche sehr, daß sie für die vermehrte Sorge meiner Frau auch eine gute Gehülfin namentlich durch freundlichen Umgang mit unsren Mädchen sein möge. Stütze und Hülfe thut meiner lieben Frau Noth, denn sie ist sehr, sehr schwach und kann sich gar nicht erholen. Dagegen gedeiht unser Max desto besser und ist ein dicker, prächtiger Junge. Was ich sonst noch auf dem Herzen habe also bald mündlich. Hier nur noch die herzlichsten Grüße Dir und allen den lieben Deinigen von mir und meiner Frau. Gott gebe uns ein frohes Wiedersehn. Dein treuer Freund Schenk

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Nr. 77. an Schenk, 17. Dezember 1847

Röcken, d 17ten Decbr 1847

Da ist, lieber Schenk, wirklich wieder einmal ein voller Monat vergangen, seitdem ich Dir nicht geschrieben habe – daraus kannst Du sehen, daß in Röcken auch die Zeit vergeht, schneller als man denkt, aber auch ereignißloser, als daß man sich dadurch zum Schreiben veranlaßt sehen könnte. Du wirst schon mein Stillschweigen damit richtig gedeutet haben, daß mein Leben einen solchen ruhigen, gewöhnlichen Gang fortgegangen ist, daß darüber nicht zu schreiben noth war. Darin liegt zugleich auch eine Hinweisung darauf, daß auch mein heutiger Brief nicht von großen Dingen zu reden hat, aber daß ich doch nicht länger schweigen wollte, um Dir doch vor dem Fest und namentlich vor dem Jahreswechsel noch ein Zeichen meines Lebens und meiner Liebe zu geben. Solch Zeichen mündlich zu geben, wie ich mir in meinem letzten Brief vornahm, ist bei der Winterszeit doch schwerer ausführbar, als ich eigentlich zugeben möchte – die Kürze der Tage, die Unbestimmtheit der Witterung, das heimatliche Stillleben stellt sich allem Wandern zu entschieden entgegen, und aus allen meinen Reiseplänen wird gewöhnlich nichts. Zu nächstem Montag und Dienstag habe ich wieder einen solchen Plan vor, aus dem Nichts werden wird. Mein lieber Freund und Neffe August Dächsel kommt heute zu mir, wird zum 4ten Advent bei mir (zum Abschied) predigen, und dann soll ich ihn nach Halle zum Polterabend und Hochzeitsfest begleiten – ich möchte herzlich gern, aber, es muß Alles recht dazu klappen und passen, wenns geschehen soll. Vorgearbeitet zwar habe ich mir dazu, meine drei Weihnachtspredigten liegen Gott sei Dank vor mir (ich will Dir gleich ihren Inhalt kurz referieren) aber dennoch verreist man nicht gern so kurz vor dem Fest, weil so leicht eine störende Nachwirkung von der Reise übrig bleibt. Dazu kommt, daß ich in meinen Gemeinden nach langer, langer Pause Leichenpredigten erwarte, wahrscheinlicher Weise auch die Beerdigung des alten Amtsbruders Helfer352 in Altranstädt, dazwischen kommt, indem dessen Tod nach gestriger Nachricht stündlich erwartet wurde (mit den beiden Amtsbrüdern in Muschwitz und Teuditz geht es wieder recht gut, wenns so bleibt) – also, um nur über alle Zwischensätze den logischen Schluß nicht zu vergessen, ich werde wohl die Hochzeitsreise quittiren! Mein August ist vorgestern, Mittwoch den 15ten December ordinirt worden (es hatte sich viel länger verzögert, als er dachte) das ist mir noch in einer besonderen Weise merkwürdig gewesen, indem nämlich ich gerade vor 6 Jahren auch, Mittwoch den 15ten December ordinirt wurde. Um diesen Tag so recht noch

352  Friedrich

Christoph Helfer (1774-1847), ev. Pfarrer, 1806-1847 in Altranstädt. Helfer starb am 14. Dezember. 

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einmal durch- und nachzuleben, wäre ich fast nach Magdeburg gereist, aber vor Magdeburg kann ja ein so gläubiges Menschenkind, als ich zu sein die Ehre haben möchte, ein wahrer horror ergreifen, und dennoch muß ich sagen, daß ich noch horrendere Dinge erwartet hätte – ich denke immer die Sache wird sich mit der Zeit im Sande verlaufen! Vielleicht trägt dazu auch mit bei das treffliche Schriftchen unsres Generalsuper „Mahnung zur Verständigung“, welches Du doch auch schon geschenkt erhalten und gegeben hast. Wir haben als Ephorie dem Geber eine Dankadresse für seine Gabe gesendet, ohne damit doch sagen zu wollen, daß Alles und Jedes in dem Schriftchen uns zu sagte – einzelne Parthien sind aber wirklich recht gut darin, im Ganzen wünschte ich es noch faßlicher, es scheinen mir schon sehr „Verständige“ unter den Laien dazuzugehören, wenn sie darin Alles recht fassen und würdigen sollen. Das fromme, tieffühlende Herz unsres lieben Möller blickt aber überall auf wahrhaft erhebende Weise hindurch, und so wollen wir denn hoffen, daß auch hier was von Herzen kommt, wieder zu Herzen geht! – Das Weihnachtsfest trifft uns Geistliche in dieser Hinsicht (der Zeitkämpfe) gewiß Alle in einer eigenthümlichen Stimmung, ich habe auch Beziehungen in jeder meiner Predigt, doch nur so viel als für meine Zuhörer paßt. Ich predige – es ist des Referirens nicht sehr würdig – am I. Weihntg früh über einen Dir bekannten Gedanken (wenigstens in den Theilen von unserm seligen Hesekiel) „Die Geburtsgeschichte Christi als Andeutung seiner zukünftigen Lebensbestimmung (Christus wurde geboren in Armuth, auf daß er uns reich mache; wurde geboren unter Hirten, auf daß er uns ein Hirt werde; wurde geboren in der Fremde, auf daß er uns in die Heimath führe.) Am I. Nachmttg: Pauli Weihnachstspredigt an seine Timotheer „er ist erschienen – die heilsame Gnade Gottes – allen Menschen!“ Am II. „daß unsre Weihnachtsfreude mit den Jahren wachsen müsse, weil wir mit den Jahren ihren Ursprung richtiger erkannt, ihren Segen vollständiger erfahren, und ihre Verbreitung selbstthätiger befördert haben. – Arndt in Berlin predigt, was ich zufällig erfahren habe, am I. Ftg: „das Weihnachtsfest im Himmel, auf Erden und in der Hölle!“ Am II. über 1. Tim. 1,15 – die Wahrheit und die Köstlichkeit dieses Wortes nachweisend. – Wie ich dazu gekommen, später einmal mündlich, denn auf das Mündliche vertrösten wir uns nun einmal in den Briefen immer! Du auch – das kommt aber bei Dir mit daher, weil Du gar zu kleine Zettel zu Deinen Briefen nimmst, aber auch für die zwei lieben Zettel meinen herzlichsten Dank, besser doch etwas als nichts! – Alles was Du mir darauf mitgetheilt hast, hat wie immer meine lebendigste Theilnahme in Anspruch genommen, auch zu dem Wunsch veranlaßt, daß die Nachrichten über die leibl Gesundheit Deiner Emma und über die geistige Gesundheit Deiner Clara immer besser lauten möchten!! – Die Mittheilung über Gersdorfs neue Zeitung353 war mir schon bekannt, indem mir wie durch

353  Gersdorf

heraus. 

(Anm. 32) gab seit 1848 die Zeitung für Stadt und Land (ab 1859 Altenburger Zeitung)

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Deine Güte, so auch durch meines HESuperintdten Güte ein Probe-Exemplar (die Post hat es in hießiger Gegend verbreitet) zugesendet worden war. Erst erschrack ich – sprach mich auch so zum Hofrath Gersdorf aus, den ich neulich in Leipzig sprach – eine neue Zeitung „cui bono?“354 aber, als ich das Probeexemplar gelesen, freute ich mich, gerade so eine Zeitung in diesem Tone ist nicht überflüssig, sie kann die Dorfzeitung in unsrer Gegend praesentiren. Du hast freilich eine entgegengesetzte Ansicht, und stellst ein so finstres prognosticon ich prophezeie anders, wir wollen auch um Gersdorfs willen wünschen, daß ich Recht erhalte. Ich habe mir gleich ein Exemplar auf meinen eigenen Leib auf der Post bestellt, Du doch auch? – Da wir einmal zur Literatur gekommen sind, so will ich doch eine Bitte gleich aussprechen! George hat Georginen erblühen laßen, geschmückt mit der lieblichen Alexandra-Blume; diese möchte ich gern sehen! Zum kaufen habe ich jetzt kein Geld, bezweifle auch, ob die Alexandra recht getroffen, und nur in diesem Falle würde ich mir diese Georgine kaufen. Sollte Dir aber nicht von dem H Verfaßer ein Gratisexemplar zugekommen sein, und könntest Du mir das nicht einmal zur Ansicht zukommen lassen? Du kannst da auch die Schleiermachersche Blüthenlese Deines lieben Bauer mit beilegen, willst Du? Ich werde mich auch revangiren! Ich will Dir später dafür lesen lassen: Religionsvorträge meines Freundes Götz in Dresden – sie haben etwa auch Georginen-Werth!! – Aber dem Schleiermach Werke setze ich zum Lesen Dir entgegen „6 Bände Arndtsche Gleichnißpredigten“, zu denen ich merkwürdiger Weise gratis gekommen bin – wie mündlich einmal näher! Es sind wahre Juwelen unter den Predigten! Sie sind es werth auch in einem wissenschaftlichen Lesezirkel zu cursiren, um ihrer ausgezeichneten tiefdringenden Schriftauslegung willen. Ich schreibe Dir dieß ad notam für Deinen neuerblühten Zirkel über dessen Entstehen ich mich ebenso freue, als ich ihm rechtes Gedeihen wünsche. Einen gleichen Glückwunsch bringe ich Dir auch zum Verhältniß mit Deinem Superintt ja, der ist recht und würdig und geistlich, was Du Dir zur Wahrung dieses Verhältnisses vorgenommen hast – der HErr spreche Amen dazu! In meinem Amt und Hause geht Alles so, daß ich Gott Dank, sagen muß – namentlich erfreuen wir uns Alle, ein wenig Schnupfen abgerechnet – der besten Gesundheit. Die Kindlein sind den Husten wieder los und haben fröhlich den 69sten Geburtstag der guten Großmama am 11ten Debr mitgefeiert! Fritzchen konnte schon ohne Anstoß folgendes Verschen sprechen: „Liebe Großmama – wieder ein Geburtstag mehr, das freuet mich und Alle sehr; dazu wünsche ich viel Gutes Dir, o schenk auch ferner Deine Liebe mir; ich will Dir auch recht zur Freude leben, und Dir jetzt gleich ein Küßchen geben.“ Auch Elisabeth, die nun vollständig läuft und viel papelt, stammelte „kit Omama heute!“ – Da haben denn die Eltern vor Freuden sammt der Großmama geweint – was Alles im Schenkschen Archidiaconat auch schon vorgekommen ist und darum das Referat nur mit

354 

Lat.: wem zum Nutzen?, meint: zu welchem Zweck? (Cicero, Pro Milone 12, 32).

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dem Wunsche zu schließen ist, dass allezeit von Euch und von uns nur Freudenthränen geweint werden mögen! – Sieh dieß gleich als einen Herzensglückwunsch an zum Weihnachtsfest und Jahreswechsel, und sei mit solchem Wunsch Du sammt Deiner lieben Emma und Kinderlein wie auch sammt Deinen lieben Altenburgern Weihnachtsbesuch – von mir und allen den Meinen herzlich gegrüßt! – Ich habe wie immer eilig geschrieben, möchten meine Schriftzüge Dir nicht zum crux interpretum werden, aber interpretire und exegesire nun wenigstens das Eine heraus, daß Dich im alten wie im neuen Jahr hoch hält und lieb hat Dein unveränderlich treuer Freund LNietzsche Pf! Bruder Kühn wünsche ich von Herzen bald wieder die völligste Genesung! –

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Nr. 78. an Nietzsche, 5. Januar 1848

Zeitz d 5. Januar 1848.

Dein lieber Brief, theurer Freund, sollte schon am Sonntage beantwortet werden, um Dir gleich zum Beginn des neuen Jahres dafür zu danken und die besten Wünsche zu bringen. Da kam aber mein Schwager L. Hesekiel mit Minna aus Altenburg, die bis Abends um 8 Uhr blieben und es nicht dazu kommen ließen. Am letzten Tage des alten und am ersten des neuen Jahres habe ich mit meiner Emma Deiner und aller der lieben Deinigen ganz besonders mit guten Wünschen und Gebeten gedacht; gehen sie in Erfüllung so werdet Ihr vereint ein ganz glückliches Jahr verleben. In unsrem gegenseitigen Verhältniß möge es beim Alten bleiben, dann werden wir uns von selbst immer mehr in einander leben. So manches Schwere das vergangne Jahr mir gebracht hatte, so habe ich doch gerade dieß nur mit Dank und Lob gegen Gott schließen können, der überall gnädig über mein Bitten und Verstehen geholfen hat. Das habe ich auch in meiner Neujahrspredigt ausgesprochen. Die handelte nach Hiob 14. „Unsre Zeit steht in Gottes Händen.“ Diese Gewißheit muß uns dienen 1. zum Troste und zur Beruhigung beim Hinblick auf die Schwere und Dunkelheit unsrer Zeit (Theurung, Gewerbestockung, Noth, Spaltungen auf dem kirchlichen und staatlichen Gebiete etc.) 2. zur Ermunterung und Hoffnung bei der Kürze und Flüchtigkeit der Zeit. Eigentlich sollte diese Hoffnung ein besondrer 3ter Theil werden, aber es wurde mir des Stoffs zu viel. Da ich einmal beim Predigen bin, so muß ich doch erwähnen, daß ich dießmal recht viel in der Festzeit habe thun können. Die Feiertage, Neujahr und Sonntag immer 2 mal gepredigt, in der Anstalt für Kühn und Nachmittags, wie Du aus dem Kreisblatte siehst. Mit Kühn geht es etwas besser – es war ihm vom Fuß auf Brust und Hals gefallen – doch wird er muthmaßlich noch längre Zeit sein Amt nicht verwalten können. Für die Mittheilung Deiner Predigt - Dispositionen danke ich Dir besonders ; sie interessiren mich sehr und ich bitte Dich damit immer fortzufahren, wenn ich auch nicht immer Gleiches mit Gleichem vergelte. Arndts Thema etc. aber hat mir entschieden mißfallen; ich möchte es beinahe Unsinn nennen, von einer Weihnachtsfeier im Himmel und in der Hölle zu predigen, auf jeden Fall ist es unnütz. Was weiß er davon? und mit Phantastereien sollen wir unsre Gemeinde wahrhaftig

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nicht unterhalten. – Ich habe mir vorgenommen in dieser Epiphanias-Zeit355, in der ich wohl jeden Sonntag für Kühn mit predigen werde, nach der Epistel der Sonntage die Herrlichkeit des Christen, wie sie sich in den verschiedensten LebensBeziehungen zeigt, in einer Reihe von Predigten zu behandeln, doch werde ich das Wort Herrlichkeit als zu unbestimmt nicht brauchen. An guten Vorsätzen auch fürs Predigen fehlt es beim Jahresanfang nicht; Gott gebe nur die Kraft zur Ausführung. Mir sind meine Predigten namentlich zu allgemein und theoretisch, ich komme nicht genug dazu, die Gedanken auf das Leben überall anzuwenden und zu verarbeiten. Namentlich in dieser Beziehung will ich mir Mühe geben um dadurch meine Predigten besonders auch für den gemeinen Mann wirksamer zu machen. Die von Dir erwähnte Möllersche Schrift zur Verständigung habe ich noch nicht gelesen, da ich sie erst gestern erhielt; ich freue mich darauf und ist sie gut, so will ich das einmal öffentlich irgendwo zur Sprache bringen. Hast Du Kämpfes356 Predigt „das Bleiben an der Rede Texte“ mit beständiger Beziehung auf die Magdeburger kirchl Bewegungen gelesen? Die ist stark im Behaupten, aber wahrhaftig schwach im Beweisen und höchst einseitig. Mit dieser Art wird nach meiner Ueberzeugung in unsrer Zeit nichts mehr ausgerichtet. Wie Du siehst habe ich über Gersdorfs Zeitung ein sehr gutes Urtheil abgegeben, ich konnte es nach der 2. Probenummer, die weit besser als die 1ste. Am schwächsten ist immer das: An den Leser. Ich habe Gersdorf mein Urtheil und meine Bedenken nicht verhehlt und er erkannte ihre Wahrheit an. Wenn sein Unternehmen überall solchen Fortgang findet, wie hier, so ist er sehr glücklich. Denke Dir, daß auf meine Empfehlung bei Webel schon 80 Exemplare bestellt sind. Nun droht nur durch den Zeitungsstempel, der 2 […] beträgt Gefahr, die wir jetzt abzuwenden suchen. Die Georginen kann ich Dir nicht schicken, weil Georg sie uns nicht geschenkt, sie seien zu schlecht. Vielleicht kann ich Dir das Bild allein noch verschaffen. Uebrigens gefällt die Prinzeß Alexandra ungemein in Rußland ist immer bei der Kaiserin und der Kaiser soll so entzückt sein, daß er sie selbst heirathen möchte. Desto weniger gefällt es dem Fräul v. Grimmenstein dort, die sehr klagt und sich zurück sehnt. – Der Herzog ist mit der Tendenz von Gersdorfs Zeitung nicht zufrieden. – Die junge Frau Deines Lieutenant-Vetters Baumbach ist gleich nach ihrer Verheirathung an Nervenfieber erkrankt und erst jetzt genesen. Mein Bekannter Schlippe357 ist seit 2 Monaten mit der hübschen Marie Haupt verheirathet und glücklich. – Heermanns358 sollen dem Bankrott nahe sein, was mich sehr dauert. Entre nous! Die junge Kaufmann Ruß – die ältre Möller, Schwester der Frau des Oberbürgermeisters Hempel ist plötzlich gestorben, auch wieder einige

355 

Epiphaniaszeit ist die Zeit über 6 Sonntage nach dem 6. Januar.  356  Gustav Adolf Kämpfe (18081851), ev. Pfarrer, 1834-1851 in Magdeburg.  357  Carl Schlippe (1813–†?), Kaufmann in Altenburg. Schlippe hatte am 28. Oktober 1847 Marie Auguste Haupt in Windischleube geheiratet.  358 Am 27. Juli 1848 musste der Kaufmann Heinrich Heermann, Inhaber der Bandhandlung Heermann & Stephan, die Insolvenz seiner Firma anzeigen. 

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Wöchnerin; der alte Hofrath Wagner359 dem Tode nahe. – Da hast Du alle für Dich gesammelten Neuigkeiten. – Doch halt, mit der Mutter drüben und ihrem Jungen geht es nach langer Krankheit wieder gut. Die Großmutter Wilmsen in Berlin hofft in diesem Jahre wieder 3 Enkel zu bekommen, von Paulinen, der Bauer und ihrem Sohn Karl360, dem Prediger in Landsberg. – Wir freuen uns herzlich, daß Ihr alle wohl seid und wünschen immer solche Nachrichten. Mit dem Befinden meiner Frau geht es recht gut, auch mit dem der Kinder; kleine Anstöße fehlen natürlich nicht. Mit Clara sind wir jetzt sehr zufrieden und wir hoffen sie bald ganz gewonnen zu haben. Nun komm bald und siehe selbst zu. Vergiß da den Arndt, Gleichnißreden nicht, wie ich Dir den Schleiermacher schicke. Nun aber übergenug. Dein tr Fr Sk

Es ist jetzt so prächtiges Winterwetter, hast Du nicht Lust? Der Nachrichten über Deinen Vetter freue ich mich. Fahre nur fort zu referiren. Deine Briefe gewähren mir großen Genuß und Ersatz für mündliche Unterhaltung, die ich mir immer mehr versagen muß. Meine Frau grüßt herzlich und sehnt sich Deine Lieben einmal zu sehen.

Nr. 79. an Schenk, 13. Januar 1848

Röcken, d 13ten Januar 1848 Mein lieber theurer Freund! Nun da nicht bloß in Deutschland, sondern auch in Rußland das neue Jahr, also neuen und alten Styles begonnen hat, wird es wirklich höchste Zeit seinen Neujahrswunsch zu bringen, wenn man nicht gar zu sehr post festum damit kommen will. Doch, ist es denn eigentlich nöthig, solchen Wunsch seinem theuren Freunde ausdrücklich schriftlich und feierlich zu bringen? Ich denke nicht, vielmehr hoffe

359  Vielleicht

meint Schenk hier den Geheimen Regierungs- und Finanzrat August Friedrich Karl Wagner (*1792), der alledings erst 1859 verstarb. Wagner war in Altenburg geboren und hatte es bis zum Geheimen Regierungs- und Finanzrat im Finanzkollegium des Herzogtums Sachsen-Altenburg gebracht. Der ebenso hier genannte Heinrich Ferdinand Hempel (1807-1861) war Polizeidirektor und von 1840-1861 Oberbürgermeister.  360  Da hat sich Nietzsche getäuscht. Karl Bauer war nicht in Landsberg. Zu jenem Zeitpunkt amtete dort Christian Friedrich Dufft (1808-1852), ev. Pfarrer, Dr. theol., seit 1841 in Landsberg. 

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ich, Du werdest es mir auch ohne alle schriftliche und feierliche Glückwünsche zutrauen, daß ich Dir in der Stille meines Herzens, aber vor dem Angesicht Gottes schon alles Herrliche und Gute zum neuen Jahr gewünscht habe, und wünschen werde, wenn auch das neue Jahr schon wieder den Namen eines alten verdient – ob auch Mund oder Hand davon kein sichtbares Zeichen geben. Dennoch bin ich Dir sehr dankbar, daß Du mir ein solches sichtbares Zeichen in Deinem lieben inhaltsreichen Brief vom 5ten gegeben hast; ich habe mich darüber und daran sehr erfreut, um so mehr, als Du mit den guten Wünschen auch gute Nachrichten von Dir und den Deinen geben konntest. Ich vergelte Gleiches mit Gleichem, bringe also mit meinen guten Wünschen auch gute Nachricht von mir und den Meinen; der HErr hat den Ausgang aus dem alten Jahr und den Eingang ins Neue freundlich gesegnet, im Amte und Hause Gnade gegeben und Groß und Klein munter und gesund erhalten. Das ist die Summa, im Einzelnen knüpfe ich da an, wo mein letzter Brief an Dich am 16ten Dcbr stehen geblieben ist. Ich erwartete da meinen Vetter August , der für mich predigen wollte, was auch geschah, und den ich dann zur Hochzeit nach Halle begleiten sollte, und das ist wirklich auch geschehen! Es trat dieser Parthie durchaus nichts entgegen (auch die erwartete Beerdigung des Amtsbruder Helfer geschah noch vorher) so daß ich trotz der Festwoche den Bitten meines lieben August nicht widerstehen konnte – ich reiste mit und habe es nicht bereut; es war zwar eine ganz stille Hochzeit, aber, was mir die Hauptsache war, ich konnte dabei Blicke thun in das schwiegerelterliche Haus meines August und namentlich seine liebe Braut etwas näher kennen lernen. Alles was ich da gesehen habe, hat mir recht wohlgefallen, und ich hoffe, was ich erst nicht dachte, mein August wird recht glücklich werden, darum besonders auch, weil sein Riekchen etwas fürs Leben praktische hat, was ihm gerade abgeht. Am 3ten Weihnachtsfeiertage, begleitet von vielen nahen und fernen Wünschen und Gebeten, auch durch die eben so geistvolle als gemüthreiche Traurede des Domprediger Neuenhaus361, der mir auch beim Hochzeitsmahle sehr gefallen hat – recht zubereitet für das neue Leben, sind sie mit einander eingezogen in Hirschfeld, und zwar Seitens des wackren Patrons, wie der ganzen Gemeinde auf das Freundlichste und Sinnigste empfangen worden. Es ist sonderbar, diese Gemeinde hat jetzt einen ganz schlechten Geistlichen gehabt und gerade dadurch ist ihr die Würde, Nothwendigkeit und Segen des geistlichen Amtes erst recht fühlbar geworden, so daß sie eine rührende Freude hat, nun einen Geistlichen zu bekommen, dem sie mit ganzer Seele vertrauen kann. Die eigentliche Einführung ist am 2ten Januar gewesen, aber schon vorher sind so viele Casualia gewesen, wobei man durchaus den neuen Pfarrer hat haben wollen, daß August in der Woche vor seinem Amtsantritt hat taufen, begraben, predigen, abspeisen und dgl. müssen als wie ein Alter; es hat Solches aber auch nach dem Amtsantritt nicht aufgehört, indem man Alles verschoben zu haben scheint bis auf sein Kommen; es ist aber auch

361  Andreas Samuel Neuenhaus (1806-1879), ev. Pfarrer, Dr. theol., seit 1839 Domprediger in Halle, auch Superintendent und Konsistorialrat. 

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die Gemeinde sehr stark, wenigstens nach dörflichem Maaßtab. Diese Nachrichten habe ich alle indirect über Naumburg, den directen Brief meines August erwarte ich erst noch, aber am Liebsten wäre ich hingereist, das wird sich aber wohl bis zu Ostern oder Pfingsten verschieben. Ich erwähne das gleich hier auch mit um Deinetwillen, daß ich jetzt schwerlich verreisen werde, auf daß Du mich nicht vergebens erwartest; Du weißt ja, daß wir Dorfpfarrer im Winter am Meisten zu thun haben (auch setze ich die Confirmandenstunden nicht gern aus) und man darf nur zum Hause hinausgehen, da wird man begehret! Obwohl ich meine ganze Hochzeitsreise nur auf 2 Tage beschränkte, so war dennoch eine Nothtaufe vorgefallen, weshalb mein lieber Freund Wimmer als der nächste (Lützen rechnen wir da nicht) nach Röcken hatte gesprengt werden müssen. So ist es wohl am Besten, vollends bei einem Winterwetter wie heute, man bleibt zu Hause; auch den Gedanken, den Du einmal hattest, mich und namentlich mein Frauchen zu einer Sehens- oder Hörenswürdigkeit besonders nach Zeitz einzuladen, möchtest Du nur auch aufgeben, denn mein Fränzchen nimmt bereits an Umfang362 so zu, daß solche Parthien nicht recht practicabel mehr erscheinen. Aber warum wollen wir denn die Sache nicht umdrehen, und sprechen: Komm Du doch lieber mit Deinem Frauchen nach Röcken! Ja wohl, Haus und Arme stehen Euch offen, wie wärs auf dem Schlitten? – Man stellt sich allerdings das Reisen oft schlimmer vor, als es wirklich ist, ich sah das bei meiner Parthie nach Halle, ich war dort, ich wußte nicht wie – und das muß man sagen, es gewährt auch die kleinste Reise selbst in der Rückerinnerung manchen Genuß. Ich habe doch außer dem was zur Hochzeit gehörte in Halle nichts Besonderes erlebt (ich habe absichtlich Niemanden besucht, da ich dann nicht wußte wo anfangen und wo enden) und doch denke ich gern daran zurück. – Ich komme nun wieder auf Deinen lieben Brief zurück, der so reich ist an Mittheilungen und Notizen, daß mir nach dem Lesen war, als hätte ich eine Reise gethan. Alles und Jedes habe ich mit der größten Theilnahme gelesen, auch das, worauf ich vielleicht gar nicht erwiedere. Deine Predigtmittheilungen haben das Verlangen nach „mehr“ sehr geweckt, und ich bitte Dich, auch mit diesen Mittheilungen fortzufahren nur in dieser Voraussetzung referire ich von mir folgendes. Am Neujahrstage habe ich auf Grund des Evangeliums gepredigt „daß wir es an unsern heutigen Wünschen sehen können, ob wir das neue Jahr im Namen Jesu begonnen“ (nämlich an dem, was wir wünschen und wie wir wünschen). Am Sonntag nach Neujahr „wie herrlich es ist, wenn wir im neuen Jahr zur heiligen Familie Jesu gehören“ – denn da finden wir, wenn wir gehorchen sollen, die rechte Freudigkeit; wenn wir zweifeln wollen den rechten Aufschluß; wenn wir in Gefahr kommen die rechte Hülfe; und wenn wir sterben würden, die rechte Heimath. Am Epiphaniasfest (allemal nach dem Evangl) die Weisen aus dem Morgenlande als Vorbilder für uns, nämlich für unser Suchen nach Christus und für unser Bleiben

362 

Am 27. Februar 1848 wurde Ludwig Joseph geboren. Er starb kurz vor seinem 2. Lebensjahr, am 9. Januar 1850. 

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bei Christus (in jedem Theil Grund und Art betrachtet). Am 1. Epiphan.: Epistel und Evangel verbindend: Worin sich der 12jährige Jesus dieser Welt nicht gleichgestellt hat – nicht in seinem Gottesdienste, nicht in seinen Erdenfreuden nicht in seiner Lebensaufgabe nicht in seiner Herzensgesinnung. – Am II. Epiphan: (fertig vor mir liegend) „Und die Mutter Jesu war da!“ Beachtet: wie sie bittet, wozu sie ermahnt und was sie erlebt und erfährt. Satis363! Hier ward ich unterbrochen – und zwar sehr unangenehm, es kam der Bauer zu mir, welcher wegen einer Predigt schon 3 Jahre lang nicht mehr bei mir zur Kirche und Abendmahl geht; er zeigte die Geburt eines Kindes an mit dem Bemerken, daß er dieß noch bei mir taufen lassen wolle, später werde er wahrscheinlich zur – freien Gemeinde übertreten. Das ist nun natürlich bloß leere Renomage, aber es affizirte mich doch das Aussprechen davon sehr ernstlich, weil ich nicht geglaubt hatte, daß die Geschichte der freien Gemeinde schon so bekannt hier wäre und solche Uebertrittsgedanken unter meinen Gemeindegliedern sich schon vorfänden. Ich bearbeitete den Mann fast 2 Stunden lang, nicht so wohl wegen seines Uebertritts, den ignorirte ich mehr, weil ich, wenn ich darauf Gewicht gelegt, den eingebildeten Mann in seiner Dummheit nur mehr bestärkt hätte, als vielmehr, ihn zur Theilnahme am Abendmahl, wenn nicht bei mir, doch bei einem Andern zu bewegen. – Ich habe mich fast krank geredet, aber wahrscheinlich doch ohne Erfolg! Ach, wie viel ungewaschnes Zeug habe ich da über Glauben, Liebe, Kirche, Freiheit hören müssen, immer verbunden mit der kolossalsten Dummheit und Unwißenheit – nun wenn die freien Gemeinden viele solch ähnliche Glieder haben, dann tragen sie wahrlich den Tod in sich selber, im besten Fall muß man beten „Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!“ – Ich komme zum zweiten Mal auf Deinen lieben Brief und muß da noch das Arndtsche Weihnachtsthema in Schutz nehmen, davon behauptend, daß allerdings ganz auf Grund der Schriftwahrheiten (theilweise auch des Schriftwortes) sich von einer Weihnachtsfeier im Himmel und in der Hölle predigen läßt; läßt Arndt die Predigt drucken, so wird man das sehen, ich versuche es vielleicht nächstes Weihnachten auch, über dasselbe Thema zu predigen und ich hoffe, daß es weder „Unsinn“ noch „unnütz“ sein wird. – Dein Urtheil über Gersdorfs Zeitung, wie Du es im Kreisblatt aussprichst, ist auch das Meinige – das freut mich, denn das Urtheil darüber lautete in Deinem vorletzten Brief gar zu herb; auch das „an den Leser“ finde ich unverfänglich und hat dieß gerade in hießiger Gegend sehr gefallen. Für die freundliche Sendung der Schleiermacherschen Predigten empfange meinen herzlichsten Dank, Du überlässest sie mir doch eine geraume Zeit, da ich sie gern langsam lesen möchte? Zu der Lectüre der neuesten […] Predigten bin ich noch eben so wenig gekommen, als zu den Arndtschen Gleichnissen; für die Letztern liegt dieß daran, daß sie schon einen Monat beim Buchbinder sind und der lässt mich gehörig warten. Die beiden ersten Bände hoffe ich Dir aber dennoch bald zum Lesen geben zu können, wenn ich sie nicht, einem frühern

363 

Lat.: Es reicht. 

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Versprechen gemäß, in unserm theolo Lesezirkel circuliren lassen muß. Die Schriften von Kämpfe364 über das Bleiben an Jesu habe ich nicht gelesen, neuerdings überhaupt nichts, was ich Dir etwa rühmen könnte. Müllers Predigten über das „Zeugniß von Christo“ habe ich Dir wohl schon neulich empfohlen. – Wenn Du mir statt der Georgine einmal des seligen Hesekiel – Gottlieb Sonntag- Bilder aus dem Leben eines Studirenden365 – zum Lesen verschaffen könntest, wäre ich Dir sehr dankbar; auch möchte ich gern einmal darin geschriebne Predigten von ihm lesen, die vom III Advent 1837 vom II Weihnachtstag 1838 und vom Neujahrstag 1837 – es würde mir damit eine große Freude zu Theil, bitte doch Deine liebe Frau Schwiegermutter unter vielen Empfehlungen darum! Alle Notizen aus Altenburg haben mich höchlichst intressirt die eue Zeitung wird doch noch am Stempel Schiffbruch leiden, bis dato habe ich noch nichts erhalten Rücksichtlich der guten Nachrichten von allen Deinen lieben Hausgenossen, nament der theuren Ehegenssin freue ich mich sehr und ich wünsche, daß Du recht bald gleiche gute Nachrichten geben mögest; darin stimmen wünschend alle meine Lieben ein, die Dich und Deine Emma auf das Herzlichste grüßen. Nun, mein lieber Schenk, so sei denn im neuen Jahr Gott befohlen, und mir bleib in Liebe zugethan, wie Dir allezeit Dein treuer Nietzsche

Nr. 80. an Nietzsche, 2. Februar 1848

Zeitz d 2. Febr 1848.

Du magst mich nun wohl für unverbesserlich in Bezug auf das Briefschreiben halten, da ich Deinen langen Brief mit seinen guten Mittheilungen so lange habe unbeantwortet lassen können. In der That bin ich selbst erschrocken, als ich gestern das dicke Kreisblatt-Packet in die Hand nahm und sehe, wie lange ich Dir nichts geschickt hatte. Dießmal aber hatte das Schweigen einen guten Grund. Da Du uns die Hoffnung nimmst mit Deiner lieben Frau zu uns zu kommen, so wollten wir bei Euch einkehren. Ja gestern noch dachte ich in dieser Stunde mit Frau und Kind bei Dir zu sein und da das Geburtstagsfest Deiner lieben Frau recht heiter und glücklich mit zufeiern. Wir hatten uns immer mit dem Plan getragen und uns

364  Gustav

Kämpfe: Wie viel darauf ankomme, dass wir an der Rede Jesu bleiben. Predigt vom 7. November in der St.Ulrichskirche gehalten. Magdeburg 1847.  365  Friedrich Hesekiel: Gottlieb Sonntag: Bilder aus dem Leben eines Studierenden. Leipzig 1822. 

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recht darauf gefreut – er ist aber eben wieder zu Wasser geworden. Erst schien die Reis ganz wirklich zu Wasser zu werden, da auf einmal solch Thauwetter eintrat und Bedenken wegen des Wegs machte, doch waren wir entschlossen uns dadurch nicht abschrecken zu lassen. Da kam für heut Nachmittag auch noch ein großes Begräbniß und damit war`s vorbei. Das ist recht betrübt, da nun vielleicht auf lange hin die Aussicht zu einer solchen Fahrt genommen ist. Wie lange kann man denn überhaupt noch sicher zu Dir kommen? – Mit den herzlichsten Wünschen sind wir Euch seit dem frühen Morgen nahe gewesen. Werden sie erfüllt, was der gnädige Gott geben wolle, so ist Deine liebe Frau heut in ein ganz glückliches Jahr eingetreten, in dem auch aus den Schmerzen nur doppelte Freude ihr und Euch Allen kommen. Unsre Fürbitten und innigen Wünsche werden Deine und Deines Hauses Krone wie Deine ganze Familie immer begleiten. Fleißige Nachrichten von Dir werden uns ihre Erfüllung zeigen. So helfe Gott. Deine Nachrichten haben mich allesammt sehr interessirt und Du kannst darauf rechnen mir eine große Freude zu machen und einen dankbaren Leser an mir zu haben, wenn Du die Mühe nicht scheust und mir öfter solche Bilder aus Deinem Lebenskreise giebst. Namentlich habe ich mich mit in der Seele Deines Vetters gefreut über die Erfahrungen, die er gleich in seiner Gemeinde gemacht hat. Es thut einem wohl so etwas zu hören. Grüße ihn amtsbrüderlich und herzlich von mir, wenn Du ihm schreibst und versichere ihn meiner Theilnahme. Ganz besonders interessirt haben mich Deine Predigt-Mittheilungen; ich muß immer wieder Deine homiletische Gewandheit bewundern, mit der Du so geschickt Alles benutzen und gleich die Theilnahme erregen kannst. So sollst Du mir das Thema vom 1p. Eph. nicht vergebens mitgetheilt haben, so bald ich wieder an diesem Sonntag predige, werde ich mirs zum Vorbilde nehmen. – Solche Erfahrungen, wie Du mit dem Kindtaufs-Bauer habe ich noch nicht gehabt, werde so bald auch keine solchen machen. Das ist aber kein Vorzug. An Gesinnungsgenossen desselben fehlt es natürlich hier nicht, aber die kommen uns nicht zu nahe und lassen uns auch nicht an sie herankommen. Wie schwer ist es hier, wirklichen Eintritt in ein Haus und einigen Einfluß auf die Familie zu erlangen. Welcher Tod, welche gänzliche Gleichgültigkeit herrscht fast überall. Was sagst Du dazu, daß von meinen 45 Confirmanden in den letzten Sonntagen nie mehr als 3 in der Kirche gewesen sind, da ich bei der Kälte nicht mit Strenge darauf bestehen wollte; daß auch sonst nicht 3 freiwillig herein kämen? Ich bitte aber immer Gott, daß er mir mehr Eifer und Geschick, mehr nachgehende Liebe gebe, mich zuerst besser mache, dann würde es schon überhaupt besser werden, wenn auch langsam. Ob ich Dir die Predigten von meinem Schwiegervater werde verschaffen können, weiß ich nicht, da sie meine Schwiegermutter nicht gern hergiebt, doch werde ich sie in meinem nächsten Briefe darum bitten. Gersdorfs Zeitung wird wohl aus Preußen excludirt bleiben, wenigstens hat sich das Zeitungs-Comptoir in Berlin für den Stempel entschieden. Nun habe ich in Webels Namen noch ein-

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mal ein energisches und motivirtes Gesuch an den Provinz Steuerdirector Landmann366 in Magdeburg gerichtet, worauf die Antwort bald kommen muß. Webel setzt hier 120 Stück ab, die alle wegfallen würden, was für ihn wie für die Herausgeber ein beträchtlicher Verlust wäre. Uebrigens muß die Zeitung noch anders und besser werden, wenigstens bin ich mit der letzten Nr. wieder weniger zufrieden gewesen. – Dein Arndtsches Weihnachtsthema will ich Dir lassen, das wird mich nimmer mehr locken und wenn Ihr es noch so geistreich meinetwegen auch biblisch ausführt. In unserm Hause selbst ist es recht gut gegangen, wenn auch kleines Unwohlsein nicht gefehlt hat, namentlich habe ich lange einen schlimmen Hals gehabt. Dagegen haben wir in unserm nächsten Freundeskreise einen schweren Verlust erlitten. Conrector Fehmers einziger hoffnungsvoller Sohn starb nach einer achttägigen entsetzlichen Krankheit an dem Brande im Halse. Gestern vor 8 Tagen früh haben wir ihn beerdigt. Da haben wir denn viel mit gepflegt und gewacht und gesorgt und getrauert. Es war ein genialer Knabe der seit längrer Zeit auch den früher vermißten Ernst und Eifer zeigte. Gott wolle uns vor solchen Erfahrungen bewahren! Die Eltern sind sehr gebeugt tragen aber den Verlust in christlicher Fassung. Uebrigens geht hier Alles seinen ruhigen Gang und bietet nichts Besondres zur Mittheilung dar. Mit den verehrungsvollsten Empfehlungen und herzlichsten Grüßen an Deine Frau Mutter und Deine Lieben allzumal Dein aufrichtiger Freund Schenk

Minna schreibt uns, daß der König von Hannover367 gegen die Kronprinzeß sehr häßlich ist und nicht einmal die Gratulationen über die Geburt der Enkelin368 angenommen hat. Die Alte Frau v. Lubach, die Mutter der Pierer, ist gestorben. Schienemann ist Präsident geworden. Meine Frau wollte dem lieben Geburtstagskinde selbst so gern schreiben und die herzlichsten Wünsche bringen, sie hat aber leider auch nicht ¼ Stunde dazu den ganzen Tag über gefunden. Nehme Deine Liebe den Willen für die That.

366 

Friedrich Wilhelm Andreas Landmann (1786-1852), Jurist, 1837-1852 Provinzial-Steuer-Direktor in Magdeburg.  367  Ernst August I. von Hannover (1771-1851) war der Vater Georg V. von Hannover (Anm. 28).  368  Friederike (1848-1926), heiratete 1880 Freiherrn Alfons von Pawel-Rammingen (1843-1932). 

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Nr. 81. an Schenk, 28. Februar 1848

Röcken, d 28ten Febr 1848. Mein theurer lieber Freund, Schon heute kann ich mit der guten Nachricht kommen, die Du mir mit Deiner lieben Emma beim Weggehen so freundlich anwünschtest – nämlich: zum gestrigen Sonntagsabend zwischen 11-12 Uhr ist ein muntrer Knabe369 wohlbehalten und hocherfreuend bei uns angekommen! Es ging, Gott sei Dank, Alles gar schnell und glücklich von Statten, mein Fränzchen war Nachmittags noch in der Kirche, gegen Abend noch zu einem Besuche im Dorfe, und nach 8 Uhr saßen wir noch im traulichen Gespräch beieinander, nicht ahnend was uns bevorstehe, als gegen 9 Uhr die ersten Zeichen erschienen und nun so schnell der entscheidende Augenblick näher kam, daß die Kindfrau kaum 10 Minuten ins Haus war, als der letzte Schmerzensschrei der Mutter mit dem ersten Siegesschrei des Kindes sich vermischte: – wahrlich, wir haben sehr Ursach, Gott recht zu danken für eine solche leichte glückliche Entbindung, wie für die Geburt eines abermals so frischen wohlgestalteten Knabens; auch heute befinden sich Mutter und Kind in dem möglichsten Wohlsein, daß wir hoffen, Er, der bis hierher geholfen, werde also auch gnädiglich weiter helfen! Nun, Ihr Beiden Lieben, wir Ihr Euch mit uns freuet, so wollet auch mit uns beten, daß mein Fränzchen bald wieder ganz munter werde, und daß das Kindlein recht gedeihe zu Gottes Ehre und der Menschen Freude! Diese frohe Kunde nach Altenburg an die Deinen zu befördern, bist Du doch so gut, lieber Schenk, wie auch denen in Zeitz mitzutheilen, die an mir einiges Intresse zu nehmen scheinen, besonders jetzt, wo ich durch meinen jüngsten Besuch die Erinnerung an meine Wenigkeit aufgefrischt habe. – Daß ich noch so vor Thoresschluß die mir gar liebe Geburtstagsreise370 glücklich vollendet hatte, ist mir außerordentlich lieb; ich denke gar gern und dankbar daran zurück, und hättest Du mir nicht einen förmlichen Dankesbrief verboten, so würde ich im Blick auf den 24ten Februar für Dich und Deine Emma ein Lied im höhern Chor anstimmen, so aber muß ich das Beste für mich behalten, und sagen „Laß Dir an meinem inwendigen Danke genügen!“ – Meine Rückreise ging in Zeitz erst gegen 3 Uhr vor sich, und doch wanderte ich punkt 8 Uhr in meinem Pfarrhaus ein, da, als ich meinen Fußweg antrat, Sturm und Regen sich legte, auch es gar nicht so schmutzig war, als ich dachte, so daß ich recht munter der Heimath zuschreiten konnte! – Amtliches war in meiner Abwesenheit glücklicher Weise nicht vorgefallen, aber Freund Backs hatte mit seiner Frau uns den langerwarteten Besuch gemacht, um den ich nun gekommen bin, was mir zwar aufrichtig leid thut, aber den ich schon durch einen Gegenbesuch bald zum Ersatz wieder nachholen will! – Es ist Nr: 10 von den Briefen, die ich

369 

Siehe Anm. 362. 

370 

Siehe Anm. 170. 

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heute schon geschrieben, da findest Du es wohl selbst natürlich, wenn ich diese Zeilen auf das Nothwendigste beschränke und schon schließe. Ich muß Dir doch bald einmal wieder Nachricht geben, wie es bei uns steht; jedenfalls werde ich Dir schreiben, wann die Taufe sein wird, damit Du wenigstens mit Deiner Emma im Geiste bei uns weilen kannst, da es zu einer Taufreise jetzt nicht Raum und Zeit ist; möglich ist es, daß wir schon den Fastnachtsdienstag taufen, es hängt dieß aber noch von mancherlei ab; zum Schreiben an die Pathen371 bin ich daher noch nicht gekommen, doch muß es sich in diesen Tagen entscheiden und dann geht auch mein Brief an Gersdorf ab. Die heutigen Briefe trage ich selbst auf die Post nach Lützen, um dort auch zwei Zuckerdüten zu holen, auf die Fritz und Elisabeth schon langer warten, obwohl sie ihre Freude an dem Brüderchen auch ohne dieß schon in ihrer Weise rührend Kund gegeben haben. Ungeachtet der fast ganz freien Nacht sind doch Großmutter, Vater und Tanten munter und fröhlich, und hoffen und wünschen nun daß Alles so bleibe! – Mein ganzes Haus trägt mir an Dich und Deine Emma die herzlichsten Grüße auf, ganz besonders aber grüßt und küßt Euch lieben Beide im Geiste Dein dankbarer Freund LNietzsche Pf.

Nr. 82. an Nietzsche, 1. März 1848

Am 1. März 1848. Mein lieber Freund, Wir können nicht anders, wir müssen Dir gleich heute unsre herzlichsten Glückwünsche zu dem frohen Familien-Ereignisse senden. Ja indem wir Gott mit Dir und allen Deinen verehrten Lieben für die Gnade danken, mit der er so leicht geholfen und so schnell Traurigkeit in Freude verwandelt hat, bittet Ihn unser theilnehmendes Herz auch mit Euch, daß Er Seine Hand über Mutter und Kind halten und Euch die Freude in ungetrübter Lauterkeit bewahren möge. Du hättest nur meiner Frau freudiges Gesicht sehen und ihren Jubelruf hören sollen, als ich

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Die Paten Josephs waren Johann Andreas Hochheim (1785-1865), ev. Pfarrer, 1819-1865 Pfarrer in Starsiedel, ein freundlicher, älterer Junggeselle, mit Nietzsche eng befreundet. In Starsiedel fand sich Nietzsche jeden ersten Mittwoch im Monat zum „Prediger-Convent“ ein; Rosalie Nietzsche (Anm. 10); Adele Maria Oehler (1817–†?), Franziskas älteste Schwester. Sie war seit dem 17. Mai 1853 mit Pfarrer Martin Hugo Lehmann (1804-1863), Pfarrer in Kröllwitz b. Merseburg, später in Schiepzig und Massnitz, verheiratet und war Lehmanns zweite Frau. Die Ehe blieb kinderlos; Friedrich Wilhelm Gersdorf (Anm. 32); Pfarrer Martino aus der evangelischen Gemeinde Prag; Frau Pfarrer Emma Strobel, Unterfriesel bei Hof (Quelle: Kirchenbuch Röcken). 

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Deinen Brief schnell öffnend bei dem ersten Blick sagte: „Knabe“, „noch nicht 10 Minuten zu Hause“. Wir dachten da nämlich, Du hättest schon 10 Minuten nach Deiner Rückkehr Vaterfreuden erfahren, beim Lesen fand sichs dann freilich, daß die 10 Minuten auf die Hebamme gingen. Wir saßen bei Ankunft Deines Briefs gerade in voller Familie um den mit Blumen und Gaben geschmückten Frühstückstisch, um so unsrer Marie Geburtstag zu feiern, da bekam dann unsre Geburtstagsfreude noch einen besondren Schwung und Marie schien ordentlich stolz darauf, dass der Pathe Nietzsche zu ihrem Geburtstag auch ein Kindchen bekommen habe. Nun segne Euch Gott, Ihr glücklichen Eltern, in diesem Knaben, das ist unser innigster Wunsch. Deine verehrte Frau Mutter aber möge noch lange dieses Enkels und mancher seiner Nachfolger sich freuen! Unser erstes Wort, als wir am 25. aufstanden, war: Wird Freund N nun bald zu Hause sein? und siehe, Du bist da wirklich ganz in Röckens Nähe gewesen. Wir bedauerten Dich noch nachträglich wegen der gestörten Nacht, und du hast wirklich noch länger warten müssen, als wir fürchteten. Wir sind Dir aber auch für Deinen lieben Besuch, der Dich so viel Opfer gekostet hat, recht innig dankbar und werden uns noch lange in der Erinnerung daran freuen. Hättest Du nur nicht dabei mit meinen Ohren so viel Noth. Gerade eben als wir hier so heiter beisammen waren, ist das Unerwartete, Schreckliche in Paris geschehn, hat der Bürgerkrieg372 gewüthet, sind die Tuillerien gestürmt, das Palais royal verbrannt. Das hatten wir doch nicht gefürchtet, obwohl wir Louis Philipp kein gutes Ende prophezeiten. Ich lese die speciellen Nachrichten nun mit doppeltem Intresse, da der Schauplatz des großen Trauerspiels so lebendig vor meinen Augen steht. Wie hätte ich das gedacht, als ich die Herrlichkeit der […] und der schönen Boulevards in Paris noch vor wenigen Monaten bewunderte. Welchen Einfluß wird diese Revolution und die Proclamation der Republik auf die Bewegungen in Italien und Spanien haben!! Doch die Politica passen schlecht in einen heitern Glückwunschbrief. Deine Aufträge nach Altenburg und hier sollen besorgt werden. Meine Emma hätte gern selbst mit geschrieben, aber sie ist heute wieder einmal ganz schwach und kann nicht; sie behält es sich vor und grüßt vorläufig mit den herzlichsten Wünschen. In unveränderter Liebe und Theilnahme Dein treuer Freund E. Schenk

372  22.–24.

Februar-Revolution in Paris. Studenten, Arbeiter und die Nationalgarde erzwingen die Abdankung des ‚Bürgerkönigs‘ Louis-Philippe I. (1773-1850), von 1830-1848 König von Frankreich, und rufen die Republik aus. Sein überaus autoritärer Regierungsstil und nicht zuletzt seine unverhüllte Liebe zum Geld trugen dazu bei, dass ihn die Revolution von 1848 vom Thron jagte und zur Flucht nach England zwang. 

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Nr. 83. an Schenk, 9. März 1848

Röcken, d 9ten März 48 Mein theurer Freund! Warum ich Dir heute schon wieder schreibe, hat darin seinen Grund, weil ich Dir gern für Deinen lieben schnellen Brief voll der herzlichsten Glückwünsche den baldigsten wärmsten Dank sagen möchte – was hiermit von Herzen geschieht – und weil ich denke, daß Deine und Deiner lieben Emma Theilnahme gewiß gern wissen will, wie es mit meinem Frauchen und unserm Neugebornen geht. Gott sei Dank, daß ich sagen kann, Alles recht gut, Mutter und Kind lassen auch nach dem 9ten Tage nichts zu wünschen übrig und thut sich namentlich so eben das Kleine gar gütlich an der Mutter-Brust. Da Alles so gut ging, haben wir wirklich schon am Fastnachtsdienstag-Mittag getauft (in der Kirche). Es war außer den Poblessern Niemand weiter gegenwärtig als der Amtsbruder Hochheim aus Starsiedel als Pathe; Freund Gersdorf kam ungeachtet meiner dringenden und drängenden Briefe nicht, sondern nur ein Brief von ihm, worin er höchst freundlich und liebenswürdig die Pathenbitte annimmt und sein Nichtkommen entschuldigt. Der Hauptgrund war, daß ihn seine Zeitung wegen der vielen Neuigkeiten zu sehr in Anspruch nehme, als daß er seinen Collegen mehre Tage verlassen könnte. Ich habe ihm gestern wieder geschrieben und auch wegen seiner Zeitung eine Frage an ihn gerichtet, die ich auch an Dich richte, nämlich „ob wegen des Stempels noch keine günstige Entscheidung eingelaufen ist.“ Es würde mir sehr leid thun, wenn ich wegen des hohen Stempels die Zeitung nicht immer halten könnte, denn gerade jetzt, wo die Zeitungen so reich sind, ist es sehr angenehm nur einen solchen kurzen Auszug wie Gersdorf bietet, zu lesen. Was aber hat mit Deinem Geburtstag, lieber Schenk, für ein verhängnißvolles Jahr begonnen, und was bist Du für ein gewaltiger Politiker, daß gar Vieles von Dir, was Du weissagtest, schon eingetroffen ist. Ich bin von den Pariser Ereignissen, namentlich von Louis Philipps Schicksal tieferschüttert und bewegt worden, und bin nach meinem ganzen inneren Wesen ein entschiedner Feind der neuen Republic, von derselben auch auf Grund des göttli Wortes kein Bestehen erwartend – allein, daß ich gerade so viel fürchtete von der Zukunft, als wie das Geschrei geht, kann ich nicht sagen; zwar, wenn Alles wahr ist, was der Dr. Ehrhardt aus Merseburg, der heute bei uns war, Neues erzählte, nun so könnte wohl die Ruhe unsres Vaterlandes gestört werden; aber dennoch kann ich nicht glauben, daß das Verlangen nach einer republikanischen Verfassung wirklich ein allgemeines sei, ich denke vielmehr, daß Frankich bald beweisen wird, dass unsre deutschen Monarchien viel besser daran sind als eine franzö Republik. Doch stellen wir das Alles in Gottes Hand, und warten wir Alles ruhig ab, aber es ist wahr, wer in diesen Wochen ein so still-seliges Tauffest feiern kann, als wie Gottes Gnade uns verliehen, das ist eines besondern Dankes werth; ich erwähnte das – vor einer zahlreichen Kirchenversammlung – auch in meiner Taufrede, die davon sprach „wie heilig ist diese Stunde

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durch ihre Erinnerungen, Verheißungen und Verpflichtungen.“ Die Pathen habe ich Dir schon mündlich gesagt, und wohl auch, daß das Kindlein „Ludwig Joseph“ getauft und „Joseph“ gerufen wird. – Das ist der 25ste Brief, den ich binnen 10 Tagen schreibe, deshalb würde er doch länger als vorliegt, wenn ich nicht meinen rechten Daumen den ich gestern geklemmt habe, zum Schreiben unbrauchbar fände, die schlechten Schriftzüge beweisen. Ich dachte nicht, daß es so schlecht gehen würde, sonst hätte ich gar nicht zu schreiben angefangen, nun aber, da die Zeilen einmal geschrieben sind, will ich sie doch fortschicken. Es ist Abend geworden von einem Tage, an dem ich nichts gelesen und nichts weiter geschrieben habe, indem ich näml heute meine häßlichen Schulexamen hatte, wobei ich 8 Stunden nur zugehört habe, und dann matt und müde geworden bin; – und die Sonntagspredigt ist dießmal auch noch nicht fertig, wie gerade jetzt nun das Arbeiten recht los geht in unsern Ämtern; Gott gebe uns beiden Kraft und Segen dazu! Schreib mir bald wieder, und gieb mir von Dir und Deinen lieben Allen recht gute Nachricht! Die Meinen grüßen Dich und Deine gute Emma recht herzlich durch Deinen treuliebenden LNietzsche Pf. An mein liebes Pathchen noch nachträglich ein besondrer Geburtstagsglückwunsch!! –

Nr. 84. an Nietzsche, 22. März 1848

Am 22. März 48. Theurer Freund, Die tausendzüngige Fama wird Dir wohl schon überbracht haben, daß auch unsre Stadt nun dem Zeitgeist ihren Tribut gebracht und eine Empörung gehabt hat. Wundern soll`s mich nicht, wenn Du uns schon als unter den Häusern Begrabene, Ausgeplünderte, Ermordete betrauerst. So schlimm ist`s nun nicht, aber doch schlimm genug. Nachdem am Montag früh durch die dunkeln Nachrichten aus Berlin373 schon eine große Unruhe in der Stadt war, ging Nachmittag die Rede von Unternehmungen für den Abend hier. Eine Schutzwache suchte zusammen zu treten und Anfangs hielt sich die Masse ruhig auf dem Markt bis gegen 10 Uhr.

373  Am

18. März Barrikadenaufstand in Berlin. König Friedrich Wilhelm IV. zieht die Truppen aus der Stadt ab, beruft ein liberales Kabinett unter der Leitung von Ludolf Camphausen (1804-1872; gemässigter Liberaler) und verspricht eine Nationalversammlung zur Beratung einer Verfassung. Preußen soll fortan in Deutschland aufgehen. 

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Da war ich selbst und hielts für ungefährlich. Plötzlich nach 10 Uhr kam die Nachricht, das Schloß unten sei erstürmt, die Fenster zerbrochen, die Thore zerstört. Ich eilte selbst herunter, kehrte aber mit vielen auf die Versicherung zurück, es sei bei einigem Unfug geblieben. Leider aber hat eine Schaar Irregeführter und Böswilliger die ganze Correctionsanstalt, namentlich die Arbeitssäle, völlig zerstört und eine wahrhaft vandalische Verwüstung angerichtet. Die Weiber haben gestohlen wie die Raben und Alles ausgeraubt, während die Männer ihre Wuth ausgelassen. In einem Saale wurden die auf einen Haufen geworfenen zerbrochenen Webstühle angezündet, und nur durch die Besonnenheit des Directors mit den ganz treuen Corrigenden ist ein Ausbrennen des Hauses verhütet. Die Corrigenden haben sich überhaupt musterhaft benommen, keiner hat sich entfernen wollen, alle haben die größeste Erbitterung gegen die Rotte der Eingedrungenen gezeigt. Hätte man ihnen getraut und nachgegeben, so wären die Angreifer wohl mit blutigen Köpfen zurückgeschlagen worden. Die wenigen zum Schutz herbeigeeilten Bürger haben leider nichts gegen die Tumultuanten vermocht, einige haben neben schnöden Reden noch Verwundungen, doch nur leichte, bekommen, so der Director selbst, der sich sehr wacker benommen hat. Die Aufregung in der Stadt war natürlich ungeheuer, da fortwährend Allarm getrommelt, die Schützenmannschaft signalisirt, endlich sogar Sturm geläutet wurde. Der Grund des frevelhaften Attentes ist ein alter Groll, den die niedere Schicht unsrer Bevölkerung gegen die Anstalt hat, die man beschuldigt, durch ihre Concurrenz die Arbeit wegzunehmen und den Verdienst zu verringern. Ebenso grundlos als thöricht. Weil in der vorhergehenden Nacht böse Reden gefallen, wie: „Heute sind wir unten, morgen oben.“ „Heut ist Polterabend, morgen Hochzeit“, auch Drohungen gegen mehrere Männer ausgestoßen worden waren, so war gestern Alles in großer Aufregung. Durch ein gedrucktes Placat wurde auf Nachmittag 2 Uhr eine allgemeine Bürgerversammlung einberufen, und da eine Schutzwache mit möglicher Bewaffnung errichtet, bei der sich viele Hunderte betheiligten. Vor 4 Uhr zogen fortwährend starke Patrouillen durch die Stadt, gegen Abend rückte das schon in der Nacht per Estafette aus Weißenfels requirirte Militair ein. Die Nacht ist, wie sich erwarten ließ, ruhig vergangen, nur in unsrer Nähe sind einem verhaßten Reichen die Fenster eingeworfen worden. Wir dürfen hoffen, daß es ruhig bleibt. Von Merseburg ist schon der Ober-Reg-Rath Hinkeldey374 da; die Zerstörung im Schloß ist unglaublich, der angerichtete Schaden wird auf mehr als 10000 […] geschätzt. Die Familien der Schloßbeamten die und deren Habe aber Niemand angerührt hat, waren mitten in der Nacht geflüchtet. Die Frau des Inspector […], welche eben nach einer Hebamme hatte fortschicken wollen, wurde sogleich darauf bei einer befreundeten Familie entbunden. Unten in unserm Hause war seit Mitternacht die hochschwangre Secretair Rabe mit 4 Kindern. So

374 

Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey (1805-1856, in einem Duell erschossen), Oberregierungsrat in Merseburg, von König Friedrich Wilhelm IV. auffällig protegiert und 1848 zum Polizeipräsidenten nach Berlin berufen, 1853 zum Generaldirektor der Polizei in Preußen ernannt. Er prägte massgeblich das Vorgehen gegen die demokratischen Kräfte. 

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giebts Detail genug. Traurige Erfahrungen! Am Sonntage hatte ich noch früh eine sehr ernste und eindringliche Predigt gehalten, besonders zur Ruhe gemahnt und vor Gewaltsmaßregeln gewarnt. Aber kommt denn diese Bande, die namentlich aus ganz armen Webern bestanden haben soll, in die Kirche? Täglich müssen hier von den Meistern Stühle eingezogen werden, auch die Fabriken werden bald ganz still stehen, da aller Absatz fehlt, da dürften wir wohl noch Schlimmes erfahren, wenn Hunger und Noth treiben. Doch es kommt mir fast kindisch vor, daß ich Dich mit unsren Erbärmlichkeiten behellige, während so Furchtbares in der Hauptstadt geschehen ist. Ja das ist entsetzlich. Wäre doch diese Erfahrung unsrem Volke erspart worden! Wie geschieht jetzt in Tagen mehr als sonst in Jahrzehnden, und wie ist die durch ein Menschenalter ausgestreute Unheilssaat in einer Nacht blutig aufgegangen! Wird Liebe und Vertrauen nach solchen Vorgängen zwischen Fürst und Volk wieder herzustellen sein? Kann sich der König mit den neuen Ministern halten? Gott weiß es allein. Ich fürchte, das Alles ist nur der kleine Anfang größerer Bewegungen und Ereignisse. O hätte doch der König früher aufgegeben, hätte er noch vor 14 Tagen sich an die Spitze der freisinnigen, constitutionellen Bewegung Deutschlands gestellt, er wäre jetzt schon Haupt des deutschen Bundes, trüge vielleicht die Kaiserkrone. Nun hat er gezwungen darauf eingehen müssen, da hats keinen Werth. In kirchlichen Dingen wird nun eine gänzliche Veränderung vorgehn. Göschel und Consorten müssen mit Eichhorn375 fallen, ebenso die neuen OberconsistorialRäthe. Wie könnte der Graf Schwerin376, Schleiermachers Schüler und Schwiegersohn, ihr Verfahren billigen, wie wird er mit ihnen die Kirche leiten wollen, wenn sie auch zweiachslig sich ihm accommodirten! Du kannst Dir nach meinen Dir bekannten politischen und religiös-kirchlichen Ansichten denken, wie sehr ich über den Wechsel der Minister, mehr noch des ganzen Systems erfreut bin, aber ich freue mich mit Schmerzensthränen im Auge. Der Preis ist mir zu hoch, mich jammert das vergossne Blut. O mein Gott, daß es dahin kommen mußte. Hast Du gelesen, wie das Volk nach der Blutarbeit von 24 Stunden Sonntag Nachmittag im Schloßhof das „Nun danket alle Gott“ gesungen hat? Ich wollte Dich wegen der politischen Naivität, die Du auch in Deinem letzten Briefe zeigst, etwas aufziehen, aber wer kann jetzt scherzen! – In Altenburg ist nach Minnas Brief vorgestern Volk und Stadt auf die Constitution vereidigt worden. Die verhaßten ausländischen Officiere will man fortjagen; der Oberst Diedrichs hatte, um der Volksrache zu entgehen, abreisen müssen und war bis gestern früh hier. An

375  Johann

Albrecht Friedrich Eichhorn (1779-1856), Jurist, von 1840-1848 unter König Friedrich Wilhelm IV. Kultusminister (Minister der „geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten“). Mit Friedrich Schleiermacher befreundet. Lavierte zwischen Konservativen und Liberalen. Mit Beginn der Märzrevolution musste Eichhorn zurücktreten.  376  Maximilian von Schwerin-Putzar (18041872), Jurist, preußischer Rittergutsbesitzer und liberaler Parlamentarier. Vom 15. März bis zum 25. Juni 1848 Kultusminister in der Märzregierung von Ludolf Camphausen (Anm. 373). Versuchte eine liberale protestantische Kirchenverfassung durchzusetzen und die Vorherrschaft der Lutherischen Orthodoxie zu brechen, scheiterte aber mit seinen Absichten. 

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der Spitze der Altenburger Bewegung hat zuerst mir zu unsrem großen Leidwesen mein Schwager Ludwig gestanden, ist aber bald, entsetzt über die Zuchtlosigkeit der Menge, zurückgetreten. – Die Predigten und das Buch will Dir die Mutter – obwohl, wie ich Dir voraussagte, nicht eben gern - mit erster Gelegenheit schicken. Wir waren am Fastnachts-Dienstag, wo Du tauftest, dort und ich habe da mit Gersdorf viel von Euch gesprochen. Der ist übrigens auch halb und halb eine Wetterfahne, wenigstens kein fester Character. Minna war 14 Tage mit hier und ist erst am Sonnabend zurück. Gott behüte Euch Alle. Dein E. Schenk

Daß Frobeni als Consist und Schul-Rath nach Magdeburg377 berufen ist, weißt Du doch? Ob ers aber nun noch wird? Dem Dr. Peter ist gestern Nachmittag ein Mädchen geboren. Freitag Abend sende ich wieder 1 Packet Kreisblätter an Dich ab, wenn Du sie Sonntags früh willst in Lützen abholen lassen. Da eine ausführliche Beschreibung unsrer Unruhen. Ende nächster Woche verläßt uns Clara, die uns in der letzten Zeit sehr lieb geworden ist.

Nr. 85. an Schenk, 27. März 1848

Röcken, d 27ten März 1848 Mein theurer Freund! Ich bin Dir sehr dankbar dafür, daß Du mir gleich nach den Zeitzer Unruhen geschrieben hast, denn schon am Mittwoch früh hatte ich Nachricht davon und zwar in sehr vergrößertem Masßtabe (unter Anderem sollte halb Zeitz in Flammen stehen) so daß wir um Euch Lieben viel Sorge hatten. Gott sei Dank, daß das Traurige nicht einen solchen Höhegrad erreicht hatte, und daß Ihr dabei sammt und sonders unversehrt geblieben seid. Möge der Herr auch ferner über Euch wie über uns seine Augen gnädig und schützend offen halten – denn, mein lieber Schenk, in welch einer ernsten, schrecklichen Zeit leben wir, einer Zeit, die mir noch viel ernster und schrecklicher vorkommen muß als Dir, denn Du stimmst doch mit den Erstrebnissen und Ergebnissen wenigstens überein, wenn Du auch gewiß die erwählten Mittel und Wege verabscheuen und bejammern wirst – aber ich kann

377 

Frobenius wurde erst 1859 zum Regierungs- und Schulrat befördert. 

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in allem dem, was neu wird, auch nur Unheil erkennen, und muß das, was Du ein „Wenden zum Guten“ nennst, nur als einen Fortschritt zum Bösen bezeichnen. Wie hat es mich in diesen Tagen zu Dir gedrängt, um mich gegen Dich auszusprechen, denn ich bin jetzt fortwährend in der größten Aufregung und traurigsten Zerrissenheit gewesen, wobei ich Deiner beruhigenden und aufklärenden Zusprache sehr bedurft hätte; das Spotten und Aufziehen von wegen meiner „politischen Naivität“ würdest Du gewiß gelassen haben, wenn Du meine Jammerthränen gesehen hättest, die ich über die neuesten Ereignisse geweint und selbst in der Kirche nicht zurückhalten konnte. Ja, lieber Schenk, ich bitte Dich um Gottes und unsrer Freundschaft willen ziehe mich nicht auf ob meiner politischen Naivität, denn, was Du so nennst, ist ein kindlicher Glaube, den ich mir nur mit blutendem Herzen entreißen lassen kann, ein Glaube an den ich mich jetzt festklammere, wo alle Ereigniße der Art sind, daß er sehr erschüttert und verringert werden könnte! – Was mich aber so jammert ist nicht sowohl das vergossene Blut, darin erkenne ich mehr nur ein gerechtes Verhängniß Gottes, womit er die Radicalen und Liberalen einmal bestraft hat, – daß dabei freilich mancher Unschuldige mit dem Schuldigen hat leiden müssen, ist leider sehr wahr und bejammernswerth – sondern ich jammere darob, daß unser König todt ist, denn der Friedrich Wilhelm, welcher in den Straßen Berlins, mit der Freiheitsfahne und den Burschenbändern geschmückt, umherreitet, ist nicht mehr der König, für den ich noch gestern am Altar als unsern Herrn gebetet habe, das ist nicht der König, welcher einst gesprochen „wehe dem, der an meine Krone rührt“, das ist nicht der König, dem ich einst in tiefster Ehrfurcht ins Auge geschaut als Einem, der von Gottes Gnaden vor mir stand! – Ich habe gehört, daß unmittelbar nach jenem Umzug hochgestellte Offiziere den König um ihre Entlassung gebeten hätten, „denn einem solchen König könnten sie nicht dienen!“ Ich finde das erklärlich, denn wen müßte es nicht empören, wer früher seinen monarchischen souveränen König lieb gehabt hat, ihn nun zu einem solchen in der Gewalt des Volkes stehenden constitutionellen König herabgewürdigt zu sehen, und zwar ihn dabei so zu sehen und zu hören, als ob dieser veränderte Zustand ihm ganz recht sei, als ob er mit allen den gottlosen Neuerungen innerlich übereinstimme. Doch Jeremiae Klagelieder sollen nicht weiter ertönen, obwohl ich noch vielerlei und mancherlei habe, was mich bejammernswerth dünkt, so ich namentlich an das Alles denke, was jetzt den Fürsten mit Gewalt abgedrungen ist und was ich Alles für das eigentliche Volk theils ganz unnöthig, theils höchst schädlich erachte. Zweierlei will ich nur noch sagen: 1) was ich hierüber geschrieben soll kein Urtheil sein, womit ich mich etwa über den König stelle; ich halte es gerade zu für eine Sünde, jetzt die gethanen Schritte des Königs zu beurtheilen, wir dürfen nicht sagen, obwohl es wie Du alle Welt thut, der König hätte so und so handeln müssen – wir stehen dem König dazu viel zu fern! 2) ich werde nicht ablassen auch für den neuen constitutionellen König zu beten, damit er nur das thue, was seiner würdig und was Gott gefällig ist, auf daß er Niemandem zum Spott dem gesammten deutschen Vaterlande aber wirklich, wie er es sein will und wie es wahrlich auch höchst nöthig ist, ein Schutz und Schirm werde!! Mögen wir lieber Schenk, bei aller Verschiedenheit, doch in diesen beiden Punkten wenigstens übereinstimmen! –

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Nun zu etwas Anderem, obwohl das Andere bei den jetzigen großen Ereignißen im Vaterland ganz unbedeutend erscheint. Du schreibst auf den Kreisblättern, deren Sendung gestern richtig angekommen und dankbar aufgenommen worden ist „wir wünschen gute Nachrichten von Dir!“ nun, da dieß doch sich auf mein Haus und meine Lieben bezieht, so kann ich antworten: Gott sei Dank, wir sind alle gesund und befinden uns alle wohl, so viel das in dieser Zeit möglich ist; gestern hat meine liebe Frau ihren Kirchgang gehalten, woraus zu sehen, daß Mutter und Kind ganz munter sind, wozu Gott auch ferner seine Gnade geben wolle! Mein Fränzchen ist mit mir sehr durch den Brief Deiner lieben Frau erfreut worden, bringe ihr den herzlichsten Dank dafür, die Antwort möchte aber lieber mündlich geschehen, denn wir hoffen, dass Ihr Lieben nun bald einmal zu uns kommen werdet. Einen besondern Dank bringen wir Deiner guten Emma auch noch; daß sie wegen eines Dienstmädchens unsrer fürsorgend gedacht hat; für den Augenblick können wir aber nicht auf den Vorschlag eingehen, indem wir Willens sind, mit unserm jetzigen Dienstmädchen noch einige Zeit lang Geduld zu haben; wir müssen es also darauf ankommen lassen, ob die Empfohlene zu der Zeit, wenn wir ändern müssen, noch zu haben sein wird; das Mädchen möge sich also ja ohne Rücksicht auf uns vermiethen, wie sie will. Dieß der Frau Pastor Burckhardt unter den herzlichsten, dankbarsten Empfehlungen zur Nachricht, wobei ich noch zu erwähnen bitte, daß ich mich herzlich der Bewahrung freue, welche in den Stunden der Gefahr ihren Pariser Söhnen erfahren haben (aus Deinem Stillschweigen darüber schließe ich wenigstens diese Bewahrung). – Noch wollte ich bemerken, daß bei den gesendeten Kreisblättern Nr. 24 fehlte, und daß, wenn es dabei bleibt, daß die Zeitzer Post nach Weißenfels ½12 und die Weißen nach Lützen um 4 Uhr Nachmittgs abgeht, Du Deine Sendungen an mich künftig Montag und Donnerstag Vormittags auf die Post geben kannst, indem ich dann dieselben doch Dienstags und Freitags erhalte. Wenn Du mir wiederschreibst, was nicht so lange dauern möge, so erwähne auch, ich bat schon neulich darum, ob der Altenburger Zeitung der Stempel noch erlassen worden ist? – Ich will für heute schließen – was werden wir uns noch in dem merkwürdigen Jahr 1848 Alles zu schreiben haben? – In unserer Nähe […] Lützen sind auch schon Störungen vorgefallen, doch wie überall, durch Concessionen gedämpft worden – in meiner Gemeinde ist bis jetzt völliger Friede, Gott möge ihn erhalten, was ich in Predigt und Seelsorge dafür thun kann, darnach strebe ich, insonderheit besuche ich jetzt viel Bauern, und gerade die, welche als mögliche Friedensstörer auftreten könnten; manche Eltern haben auch Kinder in Berlin, namentl in den Regimentern, die viel erlitten haben; da habe ich viel trösten müssen, weil noch keine Nachrichten da sind, ob sie bewahrt geblieben sind. Nun, lieber Schenk, Gott befohlen Du mit allen den Deinen, welche ich mit den Meinen herzlichst grüße! In Liebe Dein LNietzsche. Nach Altenburg im Voraus meinen Dank! – Theile mir immer mit, wie es dort geht! –

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Nr. 86. an Nietzsche, 12. April 1848

Zeitz den 12. April 1848 Theurer Freund, Du wirst hoffentlich mit den lieben und verehrten Deinigen nicht von meinem langen Schweigen einen Schluß auf unsre Dankbarkeit gemacht haben. Das würde sonst in der That ein Fehlschluß sein. Das Umgekehrte träfe die Wahrheit, d. h. je länger der Dankbrief ausgeblieben ist, je größer ist der Dank, der in unsren Herzen lebt, so groß, daß ich gar nicht wußte, wie ich ihm genug Ausdruck geben sollte. In der That, Du und alle Deine Lieben, Ihr habt uns an jenem unvergeßlichen Montage so viel herzliche Theilnahme und freundliche Aufmerksamkeit bewiesen, daß wir uns immer wieder in der Erinnerung daran erquicken und die innigste Dankbarkeit dem ganzen theuren Röckner Pfarrhause dafür bewahren. Mit uns Eltern thun`s die Kinder, die unterwegs nicht aufhören konnten alles Schöne aufzuzählen, bis die Augen zufielen, und jetzt noch immer wieder davon anfangen. Wir werden den in jeder Beziehung schönen Tag, der so durch gar nichts gestört war, in einem dankbaren Gedächtniß bewahren. Wünschen aber und bitten, dass Du mit Deinen Lieben nun auch bald einmal in unser Haus einkehren mögest. Dürfen wir auch nicht hoffen, in aller Weise so viel Befriedigung zu gewähren, so sollen Deine verehrte Frau Mutter, Frau und Schwestern doch gewiß die warme Liebe nicht vermissen. Wenn wir doch die Freude und das Glück haben könnten, Deine wahrhaft ehrwürdige Mutter, die auch meiner Emma ganzes Herz besitzt, bei uns sehen zu können! Von Herzen wünschen wir, daß der doch etwas unruhvollere Tag Euch Allen, namentlich aber Deinem Frauchen, ganz gut bekommen sein möge und daß Ihr Euch noch immer Alle wohl befindet. Bei uns ist es so gewesen. Doch noch ein Wort, warum ich Dir nicht eher geschrieben. Es sollte am Sonntag geschehen, damit Du zugleich 2 Kreisblätter erhieltest, da war aber den ganzen Tag über so viel Arbeit, daß es unmöglich war. Das genügt Dir wohl? Hier ist nichts Besondres geschehn. Im Großen und Ganzen hat ja der Landtag auch einen beruhigenden Einfluß gehabt. Für Preußen erheben sich immer mehr und kräftigere Stimmen, auch in Süddeutschland. Doch kann ich an ein einiges Deutschland noch nicht recht glauben. Es ist noch zu viel Abneigung und Zerrissenheit auf der einen, zu viel Firlefanz und Phantasterei auf der andern Seite. Gott behüte uns nur vor Anarchie, auf die die russische Knute folgen müßte. Aus Altenburg erhielten wir vorigen Sonnabend die Trauernachricht, daß Foß378 ältester Sohn plötzlich an der Bräune gestorben ist. Er sollte eben mit seinem 2ten Bruder confirmirt werden. Die Directorin verliert unendlich viel, er war schon jetzt ihr Trost und ihre Stütze bei dem jammervollen ehelichen Leben.

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Heinrich Eduard Foss (1805-1875), Dr. phil., 1835-1872 Direktor des Friedrich-Gymnasiums in Altenburg. Auch Vorsteher der herzoglichen Bibliothek daselbst. 

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Meine Frau grüßt mit mir alle die lieben Deinigen herzlich und bittet um ein freundliches Andenken. Gott nehme Euch wie uns in seinen Schutz und gebe uns noch viele frohe Wiedersehn. Immer Dein treuer Schenk.

Nr. 87. an Schenk, 27. April 1848

Röcken, d 27ten April 1848 Mein theurer Freund! Die nächste Woche böte mir aus meinem einfachen Leben wohl ehr etwas Intressantes zu schreiben dar, da ich am 1sten Maj die Wahlen in meiner Gemeinde vorzunehmen habe und am 2ten in Magdeburg und am 3ten in Gnadau zu sein gedenke: allein dennoch will ich das Schreiben an Dich nicht bis dahin verschieben, denn theils ist seit Eurem lieben Besuch, also fast ein Monat lang, keine Kunde von uns zu Euch gekommen, theils habe ich Dir für Deinen letzten allzu freundlichen Brief noch nicht geantwortet, theils ist der 1ste Maj in Deinem Hause ein Festtag379, bei welchem ich mit meinem schriftlichen Glückwunsch nicht gern fehlen möchte. Also schreibe ich heute, und zwar von der Hauptsache zuerst, daß ich von mir und allen den Meinen, die Deine liebe Emma mit jedem neuen Kennenlernen noch mehr lieben und immer höher schätzen, die herzlichsten Segensgrüße bringe, daß ihr mit dem 1sten Maj, der für das ganze Deutschland380 großes Heil vorbereiten soll, ganz insonderheit ein Jahr des Glückes und der Freude, des Wohlseins und Wohlergehns aufgehen möge, also daß damit zugleich ihres theuren Mannes Leben und ihrer lieben Kinder Heil gesichert und verkläret werde – an der nahen und fernen Freunde Mitfreude daran wird es wahrlich nicht fehlen! – Diese wenigen Worte mögen andeuten, mit welchen Gedanken und Gesinnungen wir am 1sten Maj im Geiste mitten unter Euch sein werden! Daß Ihr Lieben auch einmal dem Leib nach unter uns waret, ist uns Allen eine noch gar liebe Erinnerung; wenn auch die Stunden des Zusammenseins leider sehr schnell dahin floßen, so wiegen sie dennoch viele, viele Briefe auf und bieten ungeachtet ihrer Flucht dennoch einen nachhaltigen Genuß dar; meinst Du dafür eine so großartige Dankesepistel schreiben zu müssen, als wie Dein Briefchen vom 12ten d Monats war, nun, wahrlich, so hätten wir nicht weniger Ursach ein Gleiches zu thun, denn wir lassen uns das nicht nehmen, daß der Dank für das Wiedersehen am 3ten April uns, uns in Röcken geziemt! Doch genug davon, wir verstehen

379 

Siehe Anm. 236.  380  Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung, eröffnet am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche. 

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da unsre Gedanken von Ferne! Ob wir Eurer freundlichen Bitte folgen können, und in pleno einmal zu Euch kommen, wird für die nächste Zukunft wohl der Unmöglichkeit angehören, da mein Frauchen weder mit Kind noch ohne Kind jetzt reisen kann, der Sommer und Herbst ist aber lang, was aufgeschoben wird, ist nicht aufgehoben. Wird Einem aber dann der Lust und Möglichkeit zum Reisen nicht etwa durch die Zeitereignisse vergehen müssen? Ich denke, wir sind noch lange nicht über den Berg des Jahres 1848 – kommt auch kein Krieg, so wird die Unsicherheit, das revolutionäre und anarchische Treiben noch lange fortwähren; in unsern Nachbarstädten Lützen, Zwickau, Pegau, Zeitz, Weißenfels, Merseburg und Schkeuditz ist überall der Teufel ein wenig losgewesen, am meisten in Weißenfels – in den Dörfern unsrer Gegend, auch in meiner Gemeinde, ist aber Gott sei Dank, vollkomm Ruhe geblieben, möge es so bleiben! – Was die Wahl der Wähler zum 1sten Maj betrifft, so ist bei der Eintheilung der Ortschaften glücklicher Weise meine Parochie für sich allein geblieben, ich bin also ganz unter meiner Gemeinde; dem Namen nach ist mein Ortsrichter Wahlcommissarius, der That nach werde ich wohl das Meiste dabei zu reden und zu schreiben haben, wie dieß auch der Landrath ausdrücklich den Landpfarrern als Wunsch hat aussprechen lassen. Daß ich deshalb aber viele Stimmen von meinen Gemeinden erhalten werde, glaube ich nicht, und wünsche es auch nicht. Meine Gemeinde hält mich, was mir auch ganz recht ist, für zu geistlich, als daß sie mir ein solch politisches Amt übertragen möchte; die Stimmen werden sich wohl alle, wie auch die Meinige, dem Ortsrichter in Röcken zuwenden; das ist ein ganz braver, verständiger Mann, was aber zu einem Abgeordneten nach Frankfurt und Berlin gehört, versteht er natürlich nicht; ich will ihm daher mit meinem guten Rath behülflich sein, aber bei mir selber ist da guter Rath theuer, ich bitte Dich daher, lieber Schenk, mir etwa den Mittwoch zu schreiben, was ich für Männer von meinem conservativen Standpunkt aus vorschlagen soll, die zugleich aber die Intressen des Landmannes würdig vertreten, so daß deren Wahl im Munde eines bäuerlichen Wählers nicht gar zu auffällig klingt. Wenn ich aber selbst Wähler würde, wen soll ich da zum Abgeordneten creiren? Hoffentlich geschieht es nicht, denn es würde mich in die größte Verlegenheit setzen, denn hier heißt es recht: wer die Wahl hat, hat die Qual! Wem giebst denn Du in Zeitz zum Wahlmanne Deine Stimme; doch Pinkerten? Pinkerts Aufsatz in Deinem Kreisblatt hat mir ganz wohl gefallen; eine andere Nachricht darin hat mich tief beweget; der Lehrer Eichardt, welcher in der Elster ertrunken ist, war mehre Jahre lang Lehrer auf hießigem Ritterguthe; ich habe viel mit ihm zu schaffen gehabt, und ein Zeugniß von mir hat ihm sogar seine Weiterbeförderung verschafft; er schlug nach jener Zeit aber etwas um, seine große Lebenslust artete fast in Leichtsinn aus – ich hatte jetzt lange nichts von ihm gehört, und nun fand ich so unerwartet seine Todesanzeige! Ein näherer Bekannter von ihm war auch der frühere Rector in Lützen, jetziger Pastor Weiß381 in Muschwitz; der ist von Neuem sehr elend, so daß man immer

381 

Konstantin Weiss (Anm. 136) starb am 12. August 1848. 

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wieder seinen Tod fürchtet – die ganze Gegend nimmt sehr Theil daran, sonst ist nichts vorgefallen, weder in unsrer Umgebung noch in meinem Hause, was ich Dir noch mittheilen könnte. Wir sind Alle in Haupt und Gliedern gesund geblieben, Gott wird so weiter helfen; nur ich habe bei der mannichfachen Festarbeit und politischen Unruhe mich nervös sehr angegriffen gefühlt, kann namentlich nicht recht schlafen und habe dabei allerlei merkwürdige Visionen; ich denke aber, da Gott durch die Osterzeit glücklich hindurchgeholfen hat, wird es nicht zu einer eigentlichen Krankheit kommen, sondern bald wieder ganz gut mit mir stehen! Möge auch Dir die Festzeit glücklich und gesegnet vorübergegangen sein und mir Dein baldiger Brief überhaupt recht viele gute Nachrichten von Dir und den Deinen geben; theile mir doch auch etwas näher mit, ob und wie Dir die Taufpredigt unsres Superintendenten gefallen hat? – Unter den herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus allezeit Dein treuer Freund LNietzsche Wie geht es in Altenburg? Viele Empfehlungen an Alle, welche zum 1sten Maj bei Euch sind! Läßt sich Deine Frau Schwiegermutter wegen der 3 Predigten nicht erbitten?? –

Nr. 88. an Schenk, 10. Mai 1848

Röcken, d 10ten Maj 1848

Erst heute, lieber Schenk, komme ich dazu, Dir Deine beiden letzten Briefchens zu beantworten: ich will versuchen, ob ich als Dank und Entschädigung für das Warten einen desto längern Brief Dir hiermit schreiben werde. Ich will vor allen Dingen von Gnadau referiren. Die Reise dahin geschah in Gemeinschaft von Wilke, Oswald und Wimmer und wurde schon dadurch interessant, auch fand sich hie und da eine Reisebekanntschaft, die mir nicht unlieb war, z. B. Candidat Dähne aus Zeitz, der Dir meine Grüße gebracht haben wird; Medizinalrath Stapf  382, Superint Contius, ein Hallischer Freischaarermann, der direct von Flensburg kam und viel erzählte, selber fand ich die frühern Bekannten alle wieder, berühmte und unberühmte, neu war mir […], Schede, Krummacher, […] – alles intressante Persönlichkeiten;

382  Johann

Ernst Stapf (1788-1860), Dr. med., Schüler von Samuel Hahnemann (1755-1843), dem Begründer der Homöopathie, veröffentlichte zahlreiche Schriften zur Homöopathie und genoss als Homöopathen internationales Ansehen. 

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ein sehr unangenehmes Wiedersehen hatte ich aber auch, der Pseudofreund Boysen war auch da; er hatte sich in seinem Aussehen so schauderhaft verändert, daß ich ihn lange nicht erkannte, es war mir aber das Gesicht so zuwider, daß ich mir vornahm, es nicht wieder anzusehen, – und auf einmal erkenne ich Boy doch darin! Ich unterdrückte mit Gewalt mein unangenehmes Gefühl, und kam ihm noch mit halbfreu Begrüßung zuvor, obwohl ich dieß von ihm erwarten konnte, da er, wie er s, mich gleich erkannt habe. Diese Begrüßung ist aber das Einzige gewesen, was wir miteinander gesprochen haben, dann war er aufeinmal spurlos verschwunden, es muß mir, was meinerseits nicht geschah, sehr aus dem W gegangen sein, ich habe ihn nicht wiedergesehen, (in einer Masse von wenigstens 500 Menschen freilich) […] ich hätte aber gedacht, er hätte mit einem Frater peccavi383 sich mir nähern müssen, es scheint aber noch […] der alte Boysen zu sein! – Dies war der Schatten meiner Gnadauer Reise; übrigens war aber […] Licht, lauter helles Licht – doch spreche ich da bloß von dem Mittwoch, dem Hauptversammlungstag, indem ich den Dienstag gar nicht in Gnadau, sondern in Magdeburg war. Ich war nun so oft schon in Gnadau also kaum ½ Stunde von Magdeburg entfernt, und hatte doch seit 6 Jahren meine Loewischen384 Verwandten noch nicht wieder besucht; da ich nun einmal die Gnadauer Reise nicht in einem Tage absolviren konnte wie ich es eigentlich gern gethan hätte, und da ich noch viel weniger über den Mittwoch hinaus Zeit hatte, von Haus und Amt mich zu entfernen, so opferte ich den Gnadauer Dienstag für den Magdeburger Ausflug auf; und ich habe es nicht bereut, mutatis mutandis385, ist am Mittwoch dasselbe vorgenommen und durchgesprochen worden, was am Dienstag, nu[…] etwas Gutes und Besonderes habe ich versäumt, die Abendandacht welche Tholuk in der herrlichste Weise über Psalm 146 gehalten hat. Dafür habe ich aber in Magdeburg einen andern Genuß gehabt, wenn ich’s so nennen will; bei Papa Loew war außer seinem Sohn Friedrich386 früher Seminarlehrer jetzt Rector der Bürgerschule in Magdeburg, neulich Leiter der Schullehrerversammlung in Halle – noch sein andrer Sohn Adolph (Bergregistrator aus Wettin) mit seiner eben erheiratheten jungen Frau einer recht angenehmen Schauspielerin, da; und dazu kamen noch andre junge Leute, männlichen und weibli Geschlechts – allesammt (bis auf meine Tante und Cousine Julchen) republikanisch, demagogisch, liberal etc etc gesinnt, und darunter ich Prophet unter den […]!

383  Lat.:

Bruder, ich habe gesündigt (nach Lukas 15;18.21: dort jedoch ‚pater peccavi‘).  384 Carl Ludwig Nietzsches Vater, Friedrich August Ludwig Nietzsche (Anm. 10), war in erster Ehe mit Johanne Friederike Richter (Anm. 135) verheiratet. Eine ältere Schwester Friederikes, Christiana Dorothea Richter (1752–†?) hatte 1774 den Juristen, Anwalt und Gerichtsdirektoren Adam Christoph Löw(e) (Lebensdaten unbekannt) aus Wiehe b. Rossleben geheiratet. Diese Familie hatte 4 Kinder, 2 Söhne und 2 Töchter.  385  Lat.: nach Durchführung der notwendigen Änderungen.  386 Friedrich Löw (1809-1881), Lehrer, Schulrektor und Politiker. Löw war zunächst Lehrer an der städtischen Bürgerschule in Magdeburg, dann ab 1849 (nach anderen Angaben ab 1850) Rektor der 2. (oder neuen) Bürgerschule in Magdeburg. Dieses Amt übte er bis 1880 aus. 1848/49 war er zudem Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und gehörte dort dem Rechten Zentrum an. Sein hier auch erwähnter Vater Johann Adolph Löw (1778–†?) war Salinengerichtssekretär. 

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Nein, ich kann Dir gar nicht sagen, wie mir Muthe war, einmal so mitten drinnen in der eigentlichen Bewegung unsrer Zeit zu stehen; was haben da meine Ohren alles hören müssen! Dazu kam, daß es am Tag nach dem 1sten Maj war, also alles voll von den Wahlen, die beiden Loewen selber Wahlmänner, Friedrich schon im Geheimen als Deputirter nach Frankfurt und Berlin bestimmt, Adolph aber auf dem Wege zu einer großen Volksversammlung nach Eisleben, um auch als Candidat aufzutreten – dazu die loewesche Poesie, oder Lükunst, parlamentarische Beredsamkeit – wahrhaftig, mir war manchmal, als wäre ich in inem Narrenhause! – Was für ein ganz andrer Geist wehte dagegen in Gnadau, schon darum weil Magdeburg es immer hieß „wir, wir müssen das so machen, lasset uns, uns nur erst die Sache ins Werk setzen“ – dort in Gnadau aber, der HErr, der HErr ist unsre Hülfe, in den großen Nöthen, die uns troffen haben; wenn der HErr, der HErr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die daran bauen387! – Jedenfalls hast Du, lieber Schenk, schon diesen und jenen über Gnadau gesprochen, und da wirst Du gehört haben, wie die dortige Conferenz nicht die so genannte Reaction vertreten will, sondern wie sie die neue Zeit zu verstehen und durch ihren Einfluß christlich zu machen suchen […]. Was jetzt noth thut – das war das Thema aller Unterredungen und Beschlüsse, in der gewaltigsten, erschütterndsten Weise von den Hauptrednern des Tages ausgesprochen, von Krummacher aus Berlin – die Rede erscheint im Druck, daher vorerst nichts weiter. Westermeir sagte, daß er es wohl aussprechen dürfte, wie noch kein Wort in Gnadau solch einen Eindruck gemacht, als Krummachers Rede! Die übrige Zeit wurde verwendet zum Besprechen des Entwurfs des Schwerinschen Landessynode-Wahlgesetzes, und zum Abfassen mehrerer Adressen: 1). an die Magdeburger Zeitung: Mißbilligung der Schritte von Sachse, […], Sintenis; 2.) an den Minister Schwerin, Aufforderung die genannten Männer zur Verantwortung zu ziehen; 3). an Göschel, eine Dankesantwort für sein Abschiedschreiben; 4). an Schwerin, eine Verwahrung, daß nicht etwa durch die bevorstehende Landessynode die Heilslehre der evangelischen Kirche alterirt werde, widrigenfalls neue Spaltung in der Kirche entstehen würde. Ich habe die sämmtlichen Adreßen aus völliger Überzeugung mit unterschrieben, doch nicht Alle thaten dieß indem sich leider die an Zahl sehr geringe streng lutherische Parthei unter Pistorius388 Anführung ganz von uns trennte, zum großen Anstoß der ganzen Versammlung! –

387  Psalm 127,1.  388  Hermann Alexander Pistorius (1811-1877), ev. Pfarrer in Süplingen, suchte zunächst der lutherischen Orthodoxie innerhalb der unierten preußischen Landeskirche zu grösserem Ansehen zu verhelfen; nach der Märzrevolution 1848 legte er sein Amt als Pastor in Süplingen nieder, trat aus der evangelischen Landeskirche aus und schloss sich den Altlutheranern an (In der altlutherischen Kirche schlossen sich jene lutherischen Gemeinden in Preußen zu einer vom Landesherrn unabhängigen Kirche zusammen, die weder die 1817 erfolgte Union (Anm. 50) noch die Agende des Königs akzeptierten. Zunächst von den Behörden nur geduldet, wurden die Altlutheraner 1845 unter harten Auflagen staatlich anerkannt). 1848-1851 Pastor der Altlutheraner in Wernigerode am Harz, 1851-1858 Kirchenrat der Altlutheraner in Breslau.

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Der Schluß unsrer Versammlung wurde noch besonders feierlich durch das Auftreten Göschels; nachdem ich mich erst an sein merkwürdig häßliches Gesicht gewöhnt hatte, das namentlich beim Weinen die Lachmuskeln Anderer hätte erregen können, habe ich mich an seiner Abschiedsrede (von der Gemeinschaft in der Verschiedenheit und Geschiedenheit) recht erbaut, noch mehr aber an der Erwiderung die Westermeir gab und mit einem herrlichen Gebet schloß. Als wir dann sangen „die wir uns allhier zusammen finden, schlagen unsre Hände ein etc und sich dann, Westermeir und Göschel an der Spitze die ganze Bruderschaft die Hände gab – da gingen Vielen wenn nicht allen die Augen über, und mir sind die hellen Thränen von den Wangen geträufelt! Ich war so ergriffen von dem ganzen Tag, daß ich mich fast krank fühlte, und doch auch wieder hoch getröstet in der Überzeugung, wenn noch so viele treue Herzen und Hände zum HErrn sich bekennen, dürfen wir im Blick auf die Zeit nicht den Muth verlieren. – Von den Nachmitags vorher […] habe ich noch vergessen zu erwähnen, daß nach Vorträgen von Cunz und Ahlfeldt389 auch solche Volksvereine gegründet werden sollen, als wie sie die liberale Parthei jetzt hegt und pflegt; eine dramatische Schilderung von Cunz, wie es die Liberalen bei solch Volksvereinen zu machen pfleg[…] war höchst ergötzlich – ob wir aber mit einer ähnlichen Weise etwas ausrichten würden, wurde sehr bezweifelt. Unter den Sprechern des Tages hat mir ganz besonders Julius Müller390 gefallen, er saß an meiner Seite, und ich hätte was darum gegeben, wenn eine Emanation seines Geistes auf den meinigen hätte stattgefunden – er sprach gewandt, gründlich, herzlich, immer das Rechte – Höchst abgespannt von Weißenfels aus mit Wimmer zu Fuß gehend, kam ich ½ 11 Uhr Abends glücklich in meinem stillen Pfarrhause an, und fand da Alles unverändert vor, wie dieß auch Gott sei Dank, im besten Sinn des Wortes geblieben ist bis auf den heutigen Tag; doch eine kleine, aber bald vorübergehende Veränderung hat statt gefunden, mein Mutterchen hat den heroischen Entschluß gefaßt, eine Reise zu machen, sie ist am Montag zum Geburtstag ihrer Schwester nach Eilenburg391 gereist mit meiner Schwester Auguste; bis Leipzig habe ich sie begleitet. Ende dieser Woche erwarten wir sie aber zurück. Gott gebe glücklich, denn ich war eigentlich nicht für diesen Ausflug, weil mein Mutterchen doch sehr schwächlich ist. Ich bin begierig, ob sie die Bestätigung der Nachricht mitbringen wird, daß Superint Ehrhardt am Schlag verstorben392 sei. Ich komme nun mehr auf Deine Briefe: Was die Wahlen der Urwähler betrifft, so ist dieß in meiner Gemeinde nach Wunsche vorüber gegangen: ich eröffnete die

389 

Möglicherweise meint Nietzsche Johann Friedrich Ahlfeldt (1810-1884), ev. Pfarrer und Schriftsteller. Wandelte sich vom Rationalisten zum strengen Lutheraner. Auf Betreiben Tholucks (Anm. 87) 1847 an die Laurentiuskirche in Halle berufen, wo er vehement gegen die ‚Lichtfreunde‘ auftrat. Die Revolution 1848/49 sah er als Ausdruck von „Gesetzlosigkeit und Gesetzwidrigkeit“. Ab 1851 Pfarrer in Leipzig.  390  Julius Müller (1801-1878), Dr. theol., Professor für Dogmatik in Marburg, später Halle. Einflussreicher Verteidiger der preußischen Union. Stand der Erweckungsbewegung nahe.  391  Christliebe Friederike Balster-Krauses (Anm. 200) Geburtstag war der 8. Mai.  392  Johann Ludwig Ehrhardt (Anm. 97), Superintendent in Eilenburg, verstarb am 28. Dezember 1850.

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Versammlung mit einer freien, und daher ziemlich langen politischen Rede, die erste wars in meinem Leben, ob die letzte? Freilich riecht jetzt jede Predigt nach Politik, aber das ist doch etwas andres (meine letzte Sonntagspredigt, die von den Magdeburger und Gnadauer Eindrücken inspirirt war, könnte sonst auch eine politische Rede genannt werden) – Wahlmann wurde hier der Ortsrichter Naundorf aus Bothfeld (ein Leser Deines Kreisblattes, seine Frau ist aus Zeitz) Deputirter nach Berlin ist für unsern Kreis der Ortsrichter in […] geworden, Stellvertreter der Bürgermeister Settner in Merseburg; als Deputirter nach Frankfurt wird wahrscheinlich Jahn393 in Freiburg gewählt, und als Stellvertreter, wie Du räthst, Professor […]; ich habe meinem Ortsrichter gerathen, diesen beiden Männern getrost auch seine Stimme zu geben! In der Versammlung der Wahlmänner war nur ein Geistlicher gewesen, und ein Ortsrichter hat gesagt „seine Urwähler hätten gemeint, jeden zum Deputirten anzunehmen, nur keinen Geistlichen“!! Ich hatte von meinen Urwählern zwei Stimmen, die übrigen Geistlichen hier gar keine! Uebrigens ist aller Orten viel viel Menschliches bei den Wahlen vorgegangen, wollte Gott, der ganze Wahlkram wäre erst vorüber! Überhaupt wird mir die ganze Politik so nach und nach recht zu wider, und es ist viel verlangt, daß ich nun sogar zwar nicht ein jämmerliches Echo doch noch einen politischen - patriotischen Hausfreund halten soll, aber es geschieht dennoch mit Freuden 1). weil Du mich darum bittest, 2). weil der Redacteur Hesekiel ist, 3). weil die Probenummern wirklich meinen ganzen Beifall haben und 4). weil der Hausfreund eine Ergänzung Deines Kreisblattes ist, was Deine Güte mir auch ferner gratis lesen lassen will. Wegen der Bezahlung des Hausfreundes und des Portoersatzes verhandeln wir mündlich, und ich bin umso mehr mit der Sonnabend-Absendung einverstanden, als ich von Johannis an auf dieselbe Weise durch Dich die Altenburger Zeitung beziehen will. Schreibe mir ausdrücklich, ob das noch so geht, wie wir es besprachen, dann bestelle ich die Zeitung für die Folge auf der Post ab! – An einen Vertrieb des Hausfreundes in hießiger Gegend ist nicht zu denken, denn Du mußt wissen, daß seit dem 1sten Mai in Lützen zwei ganz ähnliche Volksblätter erscheinen, (die ich leider der Redacteure wegen auch mitlesen muß, es dauert mich Zeit und Geld!) – Da haben mir schon mehre beim Anbieten und Anpreisen des Hausfreunds zugerufen, um Gott will, bleiben Sie mir damit vom Leibe, solch Zeug wird Einem jetzt von allen Seiten zugeschickt! – Ich bedaure sehr, daß Dir Dein Schwager Ludwig von Neuem Sorgen macht, denn wenn der Hausfreund seine Existenz begründen soll, so fürchte ich sehr, da sie auf Sand gebaut ist. – Gott bessere es! –

393  Friedrich

Ludwig Jahn (1778-1852), bekannt als ‚Turnvater Jahn‘, Pädagoge und Politiker. Initiierte die deutsche Turnbewegung, um die deutsche Jugend auf den Kampf gegen die napoleonische Besetzung vorzubereiten. 1848 wurde Jahn Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, ebenso ins Vorparlament gewählt. Dort engagierte er sich für Ruhe und Ordnung und vertrat die Idee eines preußischen Erbkaisertums. 

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[Brief enthält viele Löcher und auch Risse; am Schluss des Briefes sind nur noch einzelne Wörter zu entziffern, so: Ich will schließen … Ich auch nicht … ausdrücklich beantworte … Du mir von Altenburg Belzig und …; Briefrand Seite 2: eine schmerzlichste Theilnahme erregt haben … möge Gott Euch Lieben alle in seinen Schutz nehmen!]

Nr. 89. an Schenk, 7. Juni 1848

Röcken, den 7ten Junius 1848

Damit ich, lieber Schenk, nur nicht zu sehr ins Hintertreffen komme im Vergleich mit Deinen vielen Briefen und Briefchens, will ich an Dich schreiben, ungeachtet es die Arbeitswoche vor Pfingsten ist; es ist ja überdieß auch wirklich schon 4 Wochen wieder, daß ich nichts von mir habe hören und sehen lassen! Hoffentlich wirst Du aus dem Stillschweigen den gewöhnlichen Schluß gemacht haben, daß es mir und den Meinen wohlgeht und nichts Außerordentliches vorgefallen ist. So ist es auch, mitten unter den Stürmen der Außenwelt führen wir in Röcken ein glückliches Stillleben, wenn auch innerlich mitbewegt, wie es nicht anders sein kann, von den Dingen, die draußen vorgehen; und daß diese Bewegung auch ein festes Urtheil erhalte, dafür sorgst Du ja mit den regelmäßigen gütigen Sendungen des Kreisblattes und Hausfreundes, welche mir beiderseits ganz wohl gefallen, aber an denen mir doch das Liebste ist, daß ich auf diese Weise alle Sonntage erfahre, wie es in der vergangnen Woche meinem lieben Freunde Schenk und den Seinen ergangen ist. Leider war nur das Ergehen in Zeitz nicht immer nach unsern Wünschen, Krankheitssorge hat Euch wieder vielfach geplagt und Schwereres deuten wohl noch die Worte auf der 6. Nummer des Hausfreundes an, wo Du von manchem Schmerz sprichst, den Dein Verwandtenhaus betroffen. Möchten die nächsten Nachrichten in jeder Beziehung wieder ganz gut lauten, auf daß die Freude des Pfingstfestes in keiner Weise Euch getrübt werde. Ich denke dabei auch an Altenburg, woher zwar Gersdorfs Zeitung sonderbar genug gar keine Nachricht bringt, aber wo doch nach der Voßischen Zeitung manche Kämpfe stattfinden müssen, da auch dort die Minister abgedankt haben. Ich habe Solches und eigentlich noch Schlimmeres gefürchtet nach dem, was die mir gütigst originaliter beigelegten Zettel Deines Schwagers mittheilen; ich möchte aber wohl näher wissen, wie die dort begonnenen Affairen sich noch weiter entwickelt haben. Es würde meinem Herzen sehr wehe thun, wenn mein lieber Herzog Joseph der Erste wäre, welcher dem republikanischen Sturme ganz weichen müßte; mit der Zeit werden zwar seine Collegen wohl Alle auch weichen müssen, aber doch jetzt noch nicht. Das hoffe

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ich wenigstens nach Eröffnung der Frankfurter und Berliner Versammlungen394, die mir nur Eines bis jetzt klar gemacht haben, nämlich: daß es einstweilen noch beim Alten bleiben muß, wenn nicht Alles drunter und drüber gehen soll. Doch ich mag nicht politisiren, denn die ganze Politik ist mir zuwider durch und durch, und was ein Glied meiner Gemeinde neulich sagte „wenn uns nur der liebe Gott erst wieder von der neuen Freiheit erlösen wollte“ – das sage ich jetzt von aller und jeder Politik, und damit Basta! Leider aber kann man gar nicht so los, als man möchte, selbst in die Predigten drängt sichs Politische unwillkürlich hinein, und ich will sogar eine Missionspredigt darüber halten. Ungeachtet alles Sträubens habe ich nämlich die Festpredigt für das Missionsfest in Naumburg, welches Mittwoch den 21ten Junius (vor Johannis) stattfindet, übernehmen müssen; da will ich als Text die Johannisepistel395 nehmen und als Thema: „des Missionswerkes Stellung zur gegenwärtigen Zeit“. Ich will diese Stellung als eine demüthigende, angreifende, versöhnende und tröstende für unsre Zeit etwa bezeichnen, kann aber noch weder mit dieser Form, noch mit dem Inhalt recht fertig werden – was sagst Du dazu? – Es wäre mir sehr lieb gewesen, wenn ich mit dieser Predigtaufgabe in dieser Zeit verschont geblieben wäre, und doch, wenn ich einmal predige, kann ich nach meiner Ansicht und nach meinem Gefühl von nichts Anderem predigen, als von der angedeuteten Stellung. Daß diese Missionsfeier gerade auf den 21ten d. trifft, thut mir auch noch deshalb leid, weil an demselben Tage eine große Schullehrer-Versammlung in Bothfeld stattfinden wird, die mich sehr intressirt, weil sie mit von meinen HE Dathe heimlich eingeleitet worden ist. Vielleicht ist`s auch besser, daß ich gar nicht dabei bin! – In derselben Woche predige ich auch noch in einer fremden Gemeinde (I p.Tr 396) in Muschwitz für den Amtsbruder Weiß, der todtkrank doch noch nach Elgersburg gereist ist; stehst Du etwa noch mit Dr. Piutti im Briefwechsel, so lege ihm diesen Kranken recht ans Herz, und frage ihn doch, was er aufrichtig über seinen Zustand urtheilt, wenn Piutti solche confidentielle Mittheilungen macht. – Die Meinigen haben immer noch Lust auch wieder nach Bibra ins Bad zu gehen, weil es meiner Schwester doch recht gut gethan hat; aber da ihr Befinden jetzt recht leidlich ist und die Nothwendigkeit den Entschluß nicht so hervortreibt, so werden es wohl manche andre Bedenken nicht zur Ausführung kommen lassen. Ich bin dabei namentlich wegen meines Mutterchens besorgt, die durchaus mit will und sich doch auf Reisen sehr schlecht befindet; in Eilenburg ist ihr durch ihre grosse Schwäche der Aufenthalt sehr verkümmert worden und wir waren froh, als wir sie nach 6 Tagen wieder glücklich in unsrer Mitte hatten. Ich ging ihr, nach ihrem Wunsch, bis Leipzig wieder entgegen, es war an einem Sonnabend, wo ich den Fußweg zu meiner Studirstube machte; früh nach 3 Uhr ging ich aus und nach 7 Uhr war ich in Leipzig, eine herrliche Morgenparthie, an die ich mit außer-

394 

Die preußische Nationalversammlung in Berlin wurde am 22. März 1848, die deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche am 18. Mai 1848 eröffnet.  395  An welchen Johannesbrief Nietzsche hier denkt, ist unklar. Gibt es im Neuen Testament doch deren drei.  396  1. Sonntag nach Trinitatis (vgl. Anm. 111). 

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ordentlichem Wohlgefallen zurückdenke! Ich bekam dadurch Lust zu ähnlichen Parthien, und bin kurz darauf nach Weißenfels gewandert, um der Seminaristenprüfung beizuwohnen; es waren viele Geistliche da, auch unser Superintendent; das Zuhören war sehr interessant; den Mittag war ich mit Wilken, Born und […] bei Wölbling zu Tische, auch recht angenehme Stunden! – Darnach habe ich auch der großen Predigerversammlung in Kösen beigewohnt, wo wir gerade außer dem Vorsitzenden (Frobenius) 60 Geistliche waren; der Entwurf zur Berufung der Landessynode wurde durchgenommen, namentlich § 4 und 11; etwas äußerlich, aber nicht unintressant, die Redner waren Frobenius (ebenso gewandt als gründlich) Niese397, Buddensieg398, Besler 399, Berser, Lange400, Kretschel401, ein Divisionsprediger aus Erfurt und andre mehr! Das Resultat ist dem HErrn Minister von Frobenius, Jahn und Niese geschrieben worden, die Unzulänglichkeit der genannten Paragraphen war der Inhalt. In unserm darauf folgenden Lützer Predigerconvent war (außer einem sehr wissenschaftlichen Vortrag Wimmers über die Sündlosigkeit Jesu) der Entwurf auch Gegenstand des Gespräches aber ohne Resultat. Der alte 82 jährige herrliche Pfarrer de Marcès aus Raguhn war unser hospes, eine höchst erquickende Erscheinung dem ich auch bei Tische einen Toast ex tempore brachte, welcher mit der allseitigsten Zustimmung aufgenommen wurde. Das wären denn etwa die wenigen Merkwürdigkeiten, die ich Dir aus meinem Leben mitzutheilen hätte – nimm damit vorlieb! In meinem Amte ist nichts vorgefallen, im Hause nur das noch, daß unser kleiner Joseph schon geimpft worden ist und sich dabei sammt Eltern und Geschwistern wohlbefindet. Gott helfe weiter und gebe uns auch von Euch wieder gute Nachrichten! Unter den herzlichsten Grüße von Hause zu Haus allzeit Dein treuer Freund Nietzsche

397  Karl

Eduard Niese (1804-1882), ev. Pfarrer, 1839-1865 geistlicher Inspektor und Professor in Schulpforte (in seinem zweiten und vierten bis sechsten Schulpfortejahr war Niese Friedrich Nietzsches Religionslehrer), später Pfarrer in Bahrendorf.  398  Robert Buddensieg (1817-1861), ev. Pfarrer, seit 1844 zweiter Geistlicher in Schulpforte. Ein Schüler Tholucks und überzeugter Erweckter. Buddensieg war Friedrich Nietzsches Religionslehrer während dessen ersten und dritten Schulpfortejahres, auch sein erster Tutor und überaus geschätzter Konfirmator.  399  Johann Christoph Bes(s)ler (1787-1866), ev. Pfarrer, Dr. phil., ab 1811 ao. Lehrer, seit 1823-1857 Prof. und Oberlehrer am Ratsgymnasium in Erfurt.  400  Johann Friedrich Wilhelm Lange (1786-1858), ev. Pfarrer und Dr. phil., nach Aufenthalten an Anstalten des Schweizer Pädagogen Heinrich Pestalozzi (1746-1827) in Hofwyl, Iferten und Vevey, schliesslich Oberpfarrer in Burg (b. Magdeburg), 1832-1852 Militärseelsorger.  401  Vielleicht ist hier gemeint Gotthilf Traugott Kretschel (1816-1890), ev. Pfarrer, ordiniert 1850, Pfarrer in Quetz und Eilenburg. 

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Nr. 90. an Nietzsche, 9. Juni 1848

Am 9. Juni 48. Lieber Freund, Die späteste Abendstunde eines arbeitsvollen und unruhigen Tages soll noch zur Antwort auf Deinen freundlichen Brief verwendet werden, da ich morgen gar keine Zeit dazu finden möchte. – Der guten Nachrichten aus Deinem Hause freuen wir uns herzlich und wünschen, daß Gott Euch dieses glückliche Stillleben ungestört erhalten möge, dazu wieder seinen besondren Segen auf den Gebrauch des Bades bei Deiner lieben Schwester legen. Bleiben dann auch wir hier gesund, so dürfen wir auch wohl auf ein frohes Wiedersehn in nicht zu langer Zeit rechnen. Alles, was Du schreibst, intressirt mich sehr und ich bitte Dich sehr, Dich durch meine kurzen Zettel und Notizen nicht von ausführlichen Mittheilungen abhalten zu lassen. Sammle immer feurige Kohlen auf meinem Haupte und beschäme mich. Des Dir gewordenen ehrenvollen Auftrages die Missionspredigt in Mrsbg zu halten, freue ich mich. Du wirst schon von Herzen zu Herzen sprechen. Diese Zeit predigt ja von selbst, wer sonst Augen hat zu sehen und Ohren zu hören. Ich will auch einmal was Homiletisches berichten, im Vertrauen auf die Nachsicht des Meisters. Ich habe die 3 letzten Sonntage zusammenhängende Predigten gehalten über das Thema „Wenn auch die gegenwärtige Zeit uns gut sein“ oder „zu unsrem Besten dienen wird“, dazu veranlaßt durch das Wort im Cantate-Evgl: es ist euch gut, daß ich hingehe. Die I, dann 1., Wenn sie uns aus der trügerischen Sicherheit weckt und zum Bewußtsein unsrer wahren Lage bringt. 2., wenn sie unser frommes Nachdenken über ihre Ursachen reizt und zur Erkenntniß unsrer eignen Mitverschuldung führt. Die II., wenn sie 3., das falsche Vertrauen auf Gott und Menschen bricht dagegen das wahre stärkt und kräftigt. 4., das Herz von den kleinlichen Sorgen um das Ueberflüßige und Niedrige löst dagegen um das Nö­ thige und Wahre Gott bitten lehrt. Die III. (über die Epistel) wenn sie 5., eine kalte Gleichgültigkeit und Theilnahmslosigkeit vertreibt, dagegen eine warme Liebe und Theilnahme belebt und 6., vor den Gefahren träger Nachlässigkeit und Untreue warnt dagegen zu einem begeisterten und treuen Wirken treibt. – Natürlich politisch, aber im Lichte des Evangeliums und den Blick immer von krankhaften Zuständen und Persönlichkeiten, mit deren Anklage man so schnell bei der Hand ist, weg und Jeder auf sich selbst, seinen Zustand, in sein Innres gewiesen. Ich schien doch nicht vergebens zu predigen und die Theilnahme stieg, während sonst zum Feste hin die Kirchen leerer werden. – Zum Feste predige ich einmal in Maßnitz und einmal hier, und zwar halte ich eine Gedächtnißpredigt meines alten Emeritus402. Vorigen Sonntag früh nach

402 

Johann Paul Christian Philipp (Anm. 65) starb am 4. Juni 1848.

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9 Uhr während ich auf der Kanzel stand ist er nach langen Leiden gestorben. Seit 4 Wochen hatte er gar nichts gegessen, konnte zuletzt nicht mehr ausspucken, Alles innerlich verknöchert; der Todeskampf selbst dauerte noch schwere und lange 16 Stunden. Vorgestern früh haben wir ihn beerdigt. Ueber 50 Jahre hat er hier gewirkt, ist beliebt und geachtet gewesen und an der Begräbnißfeier nahmen außer den Lehrern nur 2 Männer aus der Stadt Theil, keiner von den Tausenden, die er getauft, confirmirt, getraut. Das ist Zeitzer Dankbarkeit und Pietät! Wahrscheinlich beziehe ich noch vor Michaelis die Amtswohnung; in den Einkünften verbessere ich mich nicht, wie Du schon weißt. – Heut Nachmittag ist die Schwiegermutter mit den Kindern gekommen, sie werden die ganze nächste Woche hier bleiben, um sich nach vieler Krankheitsnoth, die zuletzt besonders Minna und Friedrich durchgemacht haben, zu erholen und den Altenburger Unruhen einmal zu entgehen. Dort steht es auf dem letzten Punkte. Der Herzog hat nach unparteiischen Berichten alle Haltung verloren, macht ein Jammerbild und dazu verkehrte Streiche. Nächste Woche tritt der Landtag zusammen, wozu bloß Republicaner gewählt sind, die dem Fürsten gar nicht mehr, wie gewöhnlich, Treue schwören, sondern dabei die Republik erklären wollen. Er soll 5000 […] und Ehrenhain haben. Der talentvolle […], die letzte Stütze der Monarchisten, hat seine Stelle als Assessor niedergelegt und ist zu den Republicanern übergegangen. Die radicalsten Ansichten werden ungescheut in Schrift und Wort laut. Planitz403 kann auch nicht der Mann sein, als Ministerpräsident in solcher Zeit das Ruder des Staatsschiffs zu führen, selbst wenn sich der Herzog noch halten könnte. Du hast doch gelesen, daß aus dem Altenburger Lande eine Monsterpetition um allgemeine Einführung der Republik nach Frankfurt gesendet worden ist? – Es werden große Veränderungen erwartet und der ganzen Noblesse, Aristokratie und Bureaukratie hat sich ein panischer Schrecken bemächtigt. – Mich nimmt der Umsturz drüben nicht Wunder, Du mußt selbst gestehn, daß ein Augiasstall auszuräumen war. Freilich werden viel Unschuldige mit leiden. So wird die Schwiegermutter gewiß die 250 […] besondre Wittwenzulage vom Herzog verlieren, so könnte leicht Gersdorfs ganze Pension schon von diesem Landtage kassirt werden, zumal er von der republikanischen Partei wegen seiner Stellung und wegen seines Constitutionalismus entschieden gehaßt wird. Desto härter wird ihn auch der Schlag treffen, der jetzt ganz unerwartet noch kommt. Seine Zeitung ist zum Stempel verurtheilt und Webel404 wird fortan statt 200 nicht mehr 20 absetzen; das ist keine Kleinigkeit. – Schreibe Du mir nun bestimmt, ob Du Dein Exemplar noch durch mich beziehen willst. Einige Groschen am Porto könntest Du doch vielleicht noch sparen. Ich halte die Maßregel doch für ungerecht, und da auch das Hallische Volksblatt und der Dorfbarbier zum Stempel

403 

Gustav Adolf von Planitz (1802-1869), Dr. iur., königlich-sächsischer Hof- und Justizrat. In Folge der Märzrevolution wurde er am 1. Juni 1848 zum Herzoglich Sächsischen Staatsminister ernannt. Am 9. November 1848 auf eigenen Wunsch als Staatsminister entlassen.  404  Immanuel Webel, Buchhändler und Buchdrucker in Zeitz.

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verurtheilt sind, so wird es viel Reclamationen geben. Man müßte den Stempel wenigstens ermäßigen. – Mit dem Hausfreund will’s auch nicht gehen und vorläufig setzt Webel noch schweres Geld zu. Wie bist Du denn mit meinen Artikeln zufrieden? Was sagst Du besonders zu den darin dargelegten Ansichten? – Mein Schwager 405 ist in großer Noth, da der Buchhandel ganz daniederliegt und kein Mensch etwas verlegen will. Ich weiß noch nicht, wie wir ihn mit durchbringen wollen. – In meiner Familie ist allerdings viel Ursache zu Bekümmerniß. Meine älteste Schwester 406 liegt seit Monaten gänzlich und leidet fürchterlich, die Füße sind aufgeschwollen und sehen wie Glas aus. Hier ist keine Hülfe mehr zu hoffen, wir müssen nur um baldige Erlösung von den Leiden bitten. Mein Schwager, bei dem sie sich mit der Mutter aufhält, verliert mit dem 1. September durch Eröffnung der Jüterbogk-Riesner Eisenbahn die Posthalterei und wird dadurch ganz brodlos, nachdem er in den beiden letzten theuren und verkehrarmen Jahren viel Geld zugesetzt hat. – Mein Bruder, der Landwehrbataillonsarzt in Spremberg, hat vor 3 Wochen seine reiche Praxis und Alles verlassen müssen, um mit seinem mobilgemachten Regimente nach Polen zu ziehn: er steht in Bomst. – Mein vorletzter Bruder 407, seit Neujahr in Berlin etablirt, schreibt, daß er sich als Anfänger in einer solchen Zeit nicht werde halten können und wird dabei sein bischen Vermögen zusetzen. Das ist wohl Noth und Sorge genug; doch ob mir manchmal bange ist, auch im Hinblick auf meine Verhältniße und meine Kinder, ich verzage nicht und traue mit meiner Emma dem alten Gott, der ferner helfen wird. Daß wir nur wahrhaft zu den Gerechten gehörten, dann müßte uns schon das Licht wieder aufgehn. – Deinen Weiß aus Muschwitz werde ich Kühns besonders empfehlen, die nächsten Dienstag zu einer längern Badekur nach Elgersburg gehn. – Aber nun genug, ob ich auch noch viel zu schreiben hätte. Es ist 11 Uhr durch und Alles längst zur Ruhe. Nur noch die herzlichsten Grüße an alle Deine Lieben und Verehrten, die mir meine Frau aufgetragen hat. Laß bald wieder Gutes von Dir hören. Dein treuer Freund E. Sk

405 

Dies muss der Ehemann von Schenks Schwester Auguste Wilhelmine Koerner-Schenk sein (Anm. 112).  Charlotte Amalie Schenk (1805-1848). Sie war unverheiratet und wohnte in Hartmannsdorf. Sie verstarb am 7. September 1848.  407  Gustav Adolph Schenk (Anm. 113). 

406 

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Nr. 91. an Nietzsche, 24. Juni 1848

Am 24. Juni 1848

Einige Worte doch in allem Arbeitsdrange; ich muß sogleich zur Beichte und zum Abendmahl, morgen früh habe ich zu predigen und noch keinen Buchstaben auf dem Papier. – Am Sonntag Nachmittag kehrte meine Schwiegermutter nach A zurück, sie hat nur bis an die Stadt fahren können und dann mit den Kindern über hohe Barrikaden wegklettern müssen. Wir haben 2mal Nachricht, denen zu Folge Alles ruhig ist und das Volk sich überhaupt sehr gut benommen hat. Nur Münchhausens und Seckendorfs – des frühern Volkslieblings! – schönen Wagen und Möbels hat man zu der großen Barrikade von Münchhausens zu Sachsens Haus, in dessen oberes Stock die Balken gereicht haben, verbaut. Beide, Münchh408 und Seckend409, sind geflüchtet und letzterer hat sich mit Thränen unter den Schutz seiner Meuselwitzer gestellt. – Nach allen Berichten hat der Herzog höchst unüberlegt gehandelt, über seine Macht oder Ohnmacht ganz verblendet410. Er kann sich auf keinen Fall halten und wird wenigstens zu Gunsten seines Bruders oder Neffen abdanken müssen, wenn die Republik nicht gleich proclamirt werden sollte. Alle Augenzeugen erzählen von der harmlosen und gesetzlichen Haltung des Volkes, das sich gleichsam im vollen Rechte gewußt habe. Es giebt eine Nemesis411 und die faulen Zustände brechen endlich zusammen. Aber der arme Herzog mit seiner Familie jammert mich. Nach beifolgendem Blatte kann man sich einen Begriff von dem Geiste und von den Zuständen in Altenburg machen. Ich bekam es gestern früh anonym von einer mir unbekannten Hand per Post und mußte 1 Sgl zahlen. – Auch Gersdorf dauert mich; er ist den Leuten noch nicht conservativ genug gewesen, so daß sie

408  Karl

Friedrich Wilhelm von Münchhausen (1783-1869), ab 1826 Hofmarschall am Altenburger Hof. Münchhausen war seit 1823 verheiratet mit Mathilde von Schwarzkopf (1800-1873).  409 Alfred von Seckendorf (1796-1876), Jurist und Schriftsteller. Wurde wegen dem frühen Tod seiner Mutter vom Meuselwitzer Pfarrer Johann Gottlob Schreckenberger erzogen. Nach dem Tod des Vaters erbte der das Schloss Meuselwitz, war jedoch an dessen Erhalt uninteressiert. Ab 1823 Regierungsrat in Altenburg, seit 1840 Regierungspräsident ebenda. Zog sich anlässlich der Unruhen von 1848 von allen seinen politischen Ämtern zurück. Vielseitiger Schriftsteller.  410  Herzog Joseph (Anm. 13) war zwar wohlwollend und verantwortungsbewusst, jedoch wenig entschlusskräftig, zudem konservativ und reformunwillig. Auch begünstigte er kirchlich streng konservative Kreise, obwohl die Mehrheit der Altenburger sich für ein rational verstandenes Christentum begeisterte. Da im Frühjahr 1848 Forderungen nach mehr demokratischen Rechten, gar einem Freistaat laut wurden, rief Herzog Joseph Reichstruppen ins Land. Dennoch vermochte er sich nicht zu halten und trat am 30. November 1848, zwei Tage nach dem Tod seiner Gattin, er hatte keine Söhne, zu Gunsten seines Bruders, Herzog Georg von Sachsen-Altenburg (1796-1853), zurück. Nach seiner Abdankung lebte Joseph vor allem auf Schloss Fröhliche Wiederkunft in Wolfersdorf. Er starb am 25. November 1868 in Altenburg.  411  Griechisch: Rache, Strafe. 

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unter Leitung eines Notar Bergner, Sohn des Kirchenraths, ein andres Blatt noch gegründet hatten. Welche Dummheit diese Zersplitterung. – Hier ist noch Alles ruhig; doch macht der Republikanismus Fortschritte. Zur Beobachtung der Altenburger Zustände, von denen man wohl einen Ueberschlag über die Grenze fürchtet, war einige Zeit ein höhrer Offizier aus Erfurt hier. Wie froh sind wir, daß die Preußen nicht drüben die Rolle der Sachsen gespielt haben! Welchen Anlaß zu neuem Haß hätte es gegeben! Wir hätten aber auch gegen jeden Versuch gleich energisch protestirt. – Pinckert, der L G Rath und Vater geworden, war 3 Tage hier um seine schwer erkrankte Frau zu besuchen, er ist heut zurück. Nach ihm reisen republikanische Emissionäre, gut mit russischem Golde versehen, von Frankf durch ganz Deutschland (auch hier soll schon einer sein) und es soll nächstens ein allgemeiner Aufstand versucht werden. Ich wünschte so geschehe es, damit die Sache endlich ins Klare käme. Es wäre in Folge der Berliner Zeughaus Eindrücke gerade die rechte Zeit sie mit Gottes Hülfe auf lange Zeit zu […]. Nach den Berichten unsrer Abgeordneten in B und F ist die constitut monarch Partei weit überwiegend, ja Preußens Anwartschaft auf die Kaiserkrone wird immer größer. Gott lenke Alles zum Besten. Für jetzt bekommen wir schwerlich schon Ruhe. – Wie viel möchte ich Dir noch schreiben, aber! Nur noch die herzlichsten Grüße allen Deinen Lieben E. Sk

Ich habe am Mittwoch Dein recht mit den besten Wünschen gedacht. Schreibe mir Näheres von Fest und Predigt. – Soll ich Dir die Zeitung Gersdorfs noch bestellen? Wir sind alle wohl. Mein armer Ulisch kann seit ½ Jahre s Amt nicht verwalten, und sieht selbst krank sein einziges Kind412 vor seinen Augen sterben. Er glaubt bald nachzufolgen.

412  Hier

irrt Schenk. U(h)lisch hatte vier Kinder, aus der ersten und zweiten Ehe je zwei. Zudem: U(h)lisch selber starb am 19. Februar 1851. 

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Nr. 92. an Schenk, 27. Juni 1848

Röcken, d 27ten Juni 1848

Zunächst beantworte ich Dir, mein lieber Schenk, herzlich Dank sagend Deine drei letzten Briefchens. In dem ersten vom 9ten d schreibst Du mir eine dreifache Predigtdisposition über die jetzige Zeit mit. Der Meister, wie Du mich nennst, findet dieselbe ganz vortrefflich, ist dies aber auch von dem Obermeister, das bist Du, gar nicht anders zu erwarten; nur bedauert habe ich, daß Du Ähnliches mir selten schreibst, da es mich jetzt ganz besonders interessirt, was Du Deinen Zeitzern predigst. Ich sage ausdrücklich „Deinen Zeitzern“, denn seitdem Du nun einziger Archidiaconus bist, wie mir derselbe Brief mittheilt, betrachte ich Dich noch einheimischer in Zeitz als bisher; möchte es Dir nur wirklich recht heimisch dort zu Muthe sein und bleiben, mit diesem Wunsch begleite ich Dich in die Archidiaconat-Wohnung hinein! Der Tod Deines lieben Vorgänger hat mich doch noch überrascht; daß er noch so viel hat leiden müssen, hat mir weh gethan, noch mehr aber die Gleichgültigkeit und Undankbarkeit, welche sich bei seinem Begräbniß hat kund gethan; hast Du das bei der Gedächtnißpredigt Deinen Zeitzern nicht ein wenig fühlen lassen? Die Gedächtnißpredigt mußt Du mir durchaus lesen lassen. Deine Aufsätze in dem Hausfreund haben mir ganz wohlgefallen – Du verlangst in dem genannten Brief ein Urtheil – sowohl nach Form als Inhalt wüßte ich nichts daran zu tadeln; ich habe dabei auch die Bemerkung gemacht: während ich in schriftlichen Darstellungen schärfer und bitterer bin als in mündlichen, ist es bei Dir gerade umgekehrt. So können wir auch hier, wie es bei wahren Freunden ja sein soll, von einander lernen, ich bin wenigstens sehr gern Dein Schüler! Es wäre traurig, wenn ungeachtet seines guten Inhalts, wohin ich namentlich auch den interessanten Zettelkasten rechne, doch noch der Hausfreund wieder eingehen müßte; denn es muß Dir wahrlich bange werden, wenn für Deinen Schwager ein Subsitzenz-Mittel nach dem Andern aufhört, was dann werden soll, um so mehr, als Deinem Briefe zu Folge auch in Deiner eignen Familie der Mangel eintreten dürfte. Vielleicht wird es aber nicht so schlimm als Du jetzt fürchtest; möchte zunächst nur Deine arme Schwester von ihren grenzenlosen Leiden erlöst werden; wir haben mit tief betrübtem Herzen die Schilderung ihrer Krankheit gelesen! Ja, das Kranksein macht viel Noth – Amtsbruder Weiß ist auch schon wieder von Elgersburg zurück und Deine freundliche Empfehlung durch Kühn ist zu spät gekommen. Piutti hat erklärt, daß gegen Weißens Leiden (Vereiterung des Darmkanals) die Wasserkur nicht helfe. Wenigstens muß erst eine Operation statt finden, die nun in Berlin statt finden wird, wohin er in diesen Tagen abreist. Ob die Krankheit völlig unheilbar ist, darüber hat sich Piutti wohl nicht entschieden ausgesprochen, übrigens aber kann Weiß die Trefflichkeit Piuttis nicht genug rühmen, Dein Arzt hat sich so viel Mühe mit ihm gegeben, auch seine

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Frau ist sehr theilnehmend und aufmerksam gegen ihn gewesen. Dein Urtheil über Beide ist ganz bestätigt worden. – Dein Glückwunsch für die Badereise meiner Schwester möge seine Kraft im nächsten Jahr beweisen, für dieses Jahr ist diese Reise aus mehrfachen Gründen aufgegeben worden, und hat sich gerade dabei Gottes Bewahrung in wunderbarer Weise kund gegeben; denn wären die Meinen hingereist, so wären sie auch bei dem furchtbaren Hagel- und Wasserunglück gegenwärtig gewesen, was Bibra betroffen hat; und gerade das Haus, wo meine Mutter allemal logirt hat, ist vom Wasser mit eingerissen worden, so daß die Besitzerin, eine Kaufmannswitwe fast Alles verloren hat, namentlich ihre Waarenvorräthe ganz verdorben worden sind. Das Haus hat schon im Jahr 1841 ein ähnliches Schicksal gehabt, indem es nahe am Wasser steht. So sehr uns das Unglück Bibras jammert, so müssen wir doch Gott sehr danken, daß dadurch nicht auch über uns unendlicher Schmerz gekommen ist, denn ich glaube, die Meinigen wären schon vor Angst gestorben, denn es ist ein furchtbares Wetter gewesen, wie uns auf besondre Erkundigung mitgetheilt worden ist. Unsre dortigen Verwandten rechnen sehr auf unsre Unterstützung, so viel als möglich, wird es geschehen, es sind aber auch bei uns jetzt die Einnahmen sehr gering und der Ausgaben viel, auch hatte ich kurz vorher 30 […] mit den Meinigen zusammengeschrapelt, die ich zur Staatsanleihe gegeben habe, um auch da zu thun, so viel in meiner Macht steht; in unsrer Gegend ist leider dafür sehr, sehr wenig geschehen! – Ich komme zu der Beantwortung des kurzen Zettelchens vom 10ten worauf ich nur bemerke, daß allerdings der Gedanke dagewesen ist, in der Pfingstwoche, wo die lieben Altenburger bei Euch waren, wenigstens Solo zu Euch zu kommen; aber da die Reise nach Naumburg so nahe war, unterließ ich es, weil ich nicht gern hintereinander mehre Tage abwesend bin; was aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben! Komme ich endlich auf Deinen letzten Brief vom 24ten so enthält dieser das Hauptthema aller der letzten Briefe – das ist Altenburg! Nun, Du kannst wohl glauben, daß mir dieß jetzt Tag und Nacht im Sinne liegt. Ich will aber doch kurz darüber sein: ich stelle mich der innersten Überzeugung nach auf die Seite des Herzogs, denn was man ihm vorwirft, das wirft man allen Fürsten vor, und hinter den Vorwürfen ist doch nur revolutionäre und republikanische Gelüste und französische Nachäfferei verborgen. Der Altenburger Aufruhr ist ebenso verrückt als schlecht – wieder zu scharf? Das von Deiner Güte beigelegte Blatt „Altenburger Zustände“ hat mich so empört! (Gelegentlich schicke ich es Dir wieder) – ich kenne den Herzog, seine verhaßten Maßregeln sind nur von seinen verhaßten Unterthanen provocirt; er wird ebenso getäuscht, wie die übrigen Fürsten, und was in Oesterreich und Preußen im Großen gespielt und versucht wird, das geschieht hier im Kleinen! – Die Zeit wird es lehren! – Mündlich darüber mehr! Die traurigen Nachrichten über Altenburg erhielt ich in Naumburg, und, wenn ich Alles geglaubt hätte, was man erzählte, so hätte es mich um meine Missionsfeststimmung ganz bringen können; doch war diese Stimmung an sich nicht recht festlich, weil ich – Du willst ja davon hören – mit meiner Predigt sehr unzufrieden war; ich konnte nämlich mit dem Entwurf, den ich Dir geschrieben,

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nicht zu Stande kommen, und nachdem ich mich lange damit gequält hatte und die Zeit nur noch knapp zugemessen war, machte ich aus der Noth eine Tugend, und überarbeitete nur eine Predigt, die ich im vorigen Jahr in meiner Gemeinde gehalten hatte. Text: Matth: 6, 31-33. Thema: Nach Solchem Allem trachten die Heiden – Das Erschreckende, das Ermunternde, das Beseligende, was in diesem Worte liegt! Wie ich dieß durchgeführt habe, kann man freilich aus dieser Disposition nicht sehen, Alles was man über die Mission zu sagen hat, war darin, aber natürlich nur die gewöhnlichsten Gedanken, so daß ich vor meinem Stadtpublicum damit schlecht zu bestehen fürchtete; aber es hat den Leuten besser gefallen, als ich dachte und auch einige Geistliche sprachen sich so darüber aus, daß ich wenigstens die Beruhigung daraus nahm, der Missionfeier, wenn nicht viel genützt, doch auch nicht geschadet zu haben. (Meiner Mutter ist wenigstens viel Freundliches gesagt worden). Übrigens war die Theilnahme außerordentlich gering, und wenn ich die Familien abrechne, die um meinetwillen hineingegangen sind (ich und die Meinen haben viele Bekannte dort) so reducirt sich die Versammlung auf ein erbärmliches Minimum! Ich hatte das prophezeit, ich fand es unpassend jetzt ein Missionsfest zu halten! – Den geschichtlichen Vortrag hielt in der einfachsten Weise Amtsbruder Bösche413, bei dem wir auch nach der Missionsfeier noch einige recht angenehme Stunden verlebt haben, es waren da: Wölbling, Niese, Caspari414, Jahr, Flinzer 415, Recke416 (aus Weißenborn) ein Candidat Mitzschke417 aus Pforta und Oberlandes Gerichts Assessor Pinther 418 (Bruder des zukünftigen Ministers); da haben wir denn miteinander recht gemüthlich gesprochen über Geistliches und Weltliches; viel Ergötzliches wurde über die sonderbaren Deputirten in Berlin mitgetheilt; z. B. wie Einer allemal beim Abstimmen erst aufsteht, wenn ihn der Andere gezupft hat; auf Befragen hört man „ja, der verstehe kein Wort Deutsch, und da müsse er ihm allemal ein Zeichen geben, wenn er abstimmen solle!! Einer sieht seinen Nachbar eifrig schreiben, der Mann sieht aber eigentlich nicht wie Schreiber aus, so fragt ihn denn der Andere „Sie schreiben wohl Alles nach!“ - I, bewahre lautet die Antwort - Sehen Sie dort den schönen Stuhl stehen, ich bin ein Tischler, da zeichne ich mir das Modell ab!“ O, Preußen, das sind Deine Volksvertreter!

413  Johann

Gottlob Christoph Bösche (1802-1872), ev. Pfarrer, amtete 1836-1849 in Naumburg, dann in Kleinjena.  414  Gottlob Wilhelm Caspari (1776-1850), ev. Pfarrer, 1822-1850 Oberpfarrer, Superintendent und Konsistorialrat an der St. Wenzelskirche Naumburg.  415  Friedrich Magnus Flinzer (1808-1877), ev. Pfarrer, 1841-1856 Pfarrer zu St. Othmar Naumburg, später in Stolzenhain und Morl.  416  Karl Gottfried Lebrecht Recke (1805-1873), ev. Pfarrer, von 1837-1872 in Weissenborn.  417  Franz Friedrich August Mitzschke (1819-1901), ev. Pfarrer, zunächst Religionslehrer am Domgymnasium Naumburg, später Domprediger daselbst. Mitzschke war Friedrich Nietzsches Religionslehrer in der Tertia des Domgymnasiums, die Nietzsche noch für ein halbes Schuljahr besucht hatte vor seinem Übertritt nach Schulpforte.  418  Vielleicht meint Nietzsche hier Friedrich Eduard Pinder (1810-1875), Appellationsgerichtsrat in Naumburg. Friedrich Eduard Pinder war ein überzeugter Erweckter, wirkte aktiv im Naumburger Gustav Adolph-Verein und in der Naumburger Bibelgesellschaft mit. Er war der Vater von Wilhelm Pinder (1844-1928), dem Jugendfreund Friedrich Nietzsches. Nietzsche hielt sich während seiner Jugendzeit oft und gerne im Haus Pinder auf. 

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Ich bin auf meiner Missionsreise begleitet gewesen von meiner Mutter und Schwester, bei dieser Gelegenheit ist mein Mamachen zum ersten Mal auf der Eisenbahn gefahren, das war ein großes Ereigniß für uns; es gefiel ihr aber ganz wohl, auch benahm sie sich einige Angstschreie abgerechnet, sehr muthig, unglücklicher Weise wurden gerade in jenen Tagen die Züge so ungeschickt geändert, daß wir rückwärts (am Donnerstag) directe Einspännergelegenheit nehmen mußten, wobei wir, nach Versicher des Kutschers, an einer Waldecke den berüchtigten Winter haben stehen sehen; an dem Tage soll er aber gefangen genommen worden sein! – Daran knüpft sich am Besten die Versicherung, daß wir uns allesammt, Groß und Klein, Alt und Jung, ganz munter und wohl befinden; nur viel Aerger haben wir gehabt, wir mußten unser Dienstmädchen wegen völliger Unbrauchbarkeit und Schlechtigkeit Johanni entlassen; dafür hat sich dieß Lügenweib gerächt und alle möglichen Lügen über mein Haus ausgebreitet; obwohl man ihr nicht Alles geglaubt hat, da ihr Lügen schon bekannt gewesen ist, ist es doch sehr unangenehm durch der Leute Mund getragen zu werden, ich habe mich zwar darüber weggesetzt, aber nicht so die Meinigen. Euer neues Mädchen haben wir noch nicht, wir stehen mit einer Donndorferin in Unterhandlung, die jetzt in Naumburg dient; einstweilen behelfen wir uns mit unserem Kindermädchen; solltet Ihr etwas recht Gutes uns vorschlagen können, so schreibt es uns! – Die Altenburger Zeitung habe ich auf der Post schon abbestellt, darum bitte ich Dich, sie mir versprochner Maßen mitsenden zu wollen! – Die Nachrichten von Teichler 419 und Pinkert sind mir sehr erfreulich! – Theile mir immer nur Gutes von Dir und Deinen Lieben mit, die ich mit den Meinen herzlichst grüße! Gott befohlen! – In Liebe Dein Nietzsche

Wie es meinen armen Verwandten in […] ergangen ist, wissen wir noch nicht! – Was Du mir von Uhlisch schriebst, hat mich tief betrübt; zum Theil wußte ich es aber schon von August Dächsel. – Ende Juli, wenn Zeit und Geld es gestatten, will ich einige Tage nach Hirschfeld420; viel später darf ich nicht kommen, von wegen dortiger guter Hoffnungen! – Die Bothfelder Lehrerconferenz ist nicht zu Stande gekommen, weil den Tag danach die große offizielle Lehrerconferenz in Merseburg stattfand; die Versammlung soll dort sehr ungezogen gewesen sein, namentlich revolutionär gegen Frobenius und gegen Franz aus Schkeuditz421.

419  Karl

Theodor Teichler (1809-1856), ev. Pfarrer, sei 1848 Pfarrer in Maßnitz.  420  In Hirschfeld amtete August Dächsel (Anm. 128), Carl Ludwigs Neffe.  421  Heinrich Anton Frantz (1806-1889), ev. Pfarrer, 1843-1849 Diacon und Superintendent in Schkeuditz, später in Sangerhausen und Ebendorf. 

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Nr. 93. an Nietzsche, 30. Juni 1848

30. Juni abends 11 Uhr 1848

Auf Deinen lieben langen Brief, für den ich herzlich danke, kann ich nur ein paar Zeilen erwidern, da gar keine Zeit bleibt. Trinkler ist seit gestern Abend hier, dabei heut früh Beichte und Predigt, übermorgen früh Predigt und noch kein Wort auf dem Papier, vieler Besorgungen und Briefe gar nicht zu gedenken. Die Nachrichten sind ja ganz gut und haben uns sehr gefreut. Mags so bleiben. Auch bei uns geht es gut, sonderlich in der Familie, wofür Gott Lob und Dank. So Er will und wir leben werden wir Michaelis meine Amtswohnung beziehn. Gestern habe ich sie mit dem Bauinspector besehn, der große Reparaturen und Verbesserungen vornehmen läßt. – Die Verwandten in Altenburg sind wohl, es scheint überhaupt drüben ein Stillstand eingetreten zu sein. Um den Herzog wollen wir nicht streiten; das gute Herz lasse ich ihm, aber das reicht jetzt nicht aus. Das Bischen Kopf, was er noch gehabt hat, hat er offenbar bei den Stürmen verloren, und dann verblendete Hartnäckigkeit für Muth gehalten. Nach der furchtbaren Lehre in Paris müssen wir nun übrigens Ruhe bekommen. Ich glaube den Einfluß schon auf die sonst so extreme Linke in Frankfurt zu erkennen. Helfe Gott, daß der deutsche Michel endlich einmal durch fremden Schaden klug wird, und sich die Finger nicht noch mehr verbrennt. Auf Einzelnes kann ich in Deinem Briefe leider nicht eingehen, so gern ich möchte. Ich habs Alles mit großer Theilnahme und Dankbarkeit gelesen. Die herzlichsten Grüße allen lieben und verehrten Deinigen von Schenk und Frau.

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Nr. 94. an Schenk, 1. August 1848

Röcken, d 1ten August 1848

Es ist abermals, lieber Schenk, fünf Wochen, daß ich Dir nicht geschrieben habe; dieß hat allerdings darin seinen Grund, daß ich Dich besuchen wollte, indem ich mit einer größern Reise den Ausflug nach Zeitz zu verbinden gedachte; allein die größere Reise ist vorüber, und aus der Zeitzer Parthie ist nichts geworden und wird auch nicht gleich etwas werden, darum schreibe ich! Die erwähnte größere Reise will ich zunächst berühren: ich bin in der vergangnen Woche bei meinem Neffen Dächsel in Hirschfeld gewesen; mein Weg theils zu Fuß, theils zu Dampf, hat mich da über Leipzig, Pristewitz, Großenhain und Elsterwerda geführt; in Leipzig traf ich zufällig meinen Freund Götz, der eben einen Wagen gemiethet hatte, um nach Röcken zu fahren; dadurch erhielt meine Reise die Abänderung, daß ich schon den Freitag nach Leipzig zurückkehrte und dann von Götz nach Röcken begleitet wurde. Ebenso unerwartet traf ich einen alten Schulkameraden auf dem Dampfwagen, einen HE von […] mit seiner Frau (er ist Rentmeister in Finsterwalde); unser Weg ging gemeinschaftlich bis Elsterwerda, wo wir auch noch sehr angenehm einige Stunden zusammen auf der Passagiers[…] verlebten, sie wartend auf die sich anschließende Post, ich wartend auf das Morgenroth, um meinen Fußweg nach Hirschfeld fortzusetzen. Da kam ich dann auch sehr früh an, als eben die jungen Pfarrersleute (wozu auch ein sehr liebenswürdiges Mädchen aus Westpreußen, die Braut von Augusts Bruder 422gehört) ihre Morgenandacht hielten. Ich überraschte, daher war die Freude doppelt groß; es hat mir in jeder Hinsicht dort wohl gefallen, Er und Sie machen einen ganz pastoralen Eindruck, und haben sich viel besser in das Pfarrlandleben hineingefunden, als ich gedacht hätte. Ihre Wohnung ist nach einer bedeutenden Reparatur sehr freundlich geworden, die Gemeinde hat die jungen Pfarrersleute sehr lieb, es herrscht noch ein altväterlicher, und darum auch kirchlicher Ton dort, und von den Klagen der Revolution, der Armuth und dergl. war dort gar nichts zu bemerken. Ich lernte auch einige geistliche Familien dort , die zwar das sächsische Gepräge an sich hatten, aber in der Unterhaltung recht angenehm waren; die Noth einer Pastorfamilie423 in Gröden, wo August in beichtvaterlichem Verhältniß steht, wurde vielfach besprochen, indem der alte Pastor schwach, die Frau blödsinnig der einzige Sohn ganz verdorben, verloren ist,

422  Karl August Dächsel hatte zwei Brüder: Otto Bernhard Dächsel (Anm. 128) und Heinrich Bruno Reinhold Dächsel (1820-1894).  423  In Gröden amtete zu jenem Zeitpunkt Wilhelm Christian Stem(m)ler (1783-1864), ev. Pfarrer, 1815-1824 Pfarrer in Rotta, 1824-1852 Pfarrer in Gröden. Verheiratet war Stem(m)ler mit Sophie Eleonore Mey. Dieser Ehe entstammten 9 Kinder, wobei 1 Sohn und 2 Töchter schon kurz nach der Geburt verstarben. 

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zwei Töchter Trinkerinnen sind (Säuferinnen ist wohl noch zu stark) und 2 Töchter Unzucht treiben – kann es für eine Pastorfamilie größres Elend geben? – In Großenhain besuchte ich auf meinem Rückweg den Archidiacon Franke424, (durch mehre Schriften bekannt) den ich auf einer Reise nach Plauen kennen gelernt und lieb gewonnen hatte, leider traf ich ihn nicht zu Hause, indem er mit seiner Frau (einer Plauischen) zu seinen Kindern ins Bad nach Röblingen gereist war. Dann habe ich in Leipzig noch einen altenburger Amtsbruder aus […] kennen gelernt, einen M. Bliedner, der zwar schon ältlich ist, aber noch jugendlich frisch, ein Freund von meinem Götz. Sonst habe ich keine Bekanntschaften weiter gemacht, intressant war mir aber die Vergleichung dieser beiden Freunde Dächsel und Götz, jener eben so sehr Theolog, wie dieser Philolog, beide aber das Herz auf dem rechten Fleck. Den Freitag Abend kamen wir nicht, wie ich wünschte, von Leipzig fort, ich logierte die Nacht bei Götz, der seine Schwester an einen angesehnen Buchbindermeister dort verheirathet hat; wir gingen auch zusammen ins Theater, wo die große Oper Belisar von Donizetti gegeben wurde – ein Genuß, der mir nach langjähriger Pause zu Theil wurde, und mich dennoch etwas kalt ließ – es war mir immer, als ob ich nicht dahin gehörte; wie sich doch das Alles im Menschen ändert! Der Sonnabend war als Tag des Wiedersehens in Röcken und als Besuchstag von Götz sehr erquickend, gearbeitet hatte ich meine Predigt schon vor der Reise, und memorirt auf den Fußwegen so konnte ich mich ruhig der Freude hingeben! Auch war einmal gar nichts im Amte vorgekommen, doch wurde gleich den Sonntag eine Leichenpredigt angemeldet, und den Sonntag Abend hatten wir auch gleich einen großen Feuerschreck, indem auf einem nahen Dorfe mehre Scheunen wegbrannten. Da war ich doppelt froh, daß ich nun glücklich wieder bei den Meinen war, die mich überhaupt zu keiner Zeit gern verreisen sehen! So muß ich denn um des Hauses, wie um des Amtes willen jetzt eine Pause mit dem Verreisen machen, und auch an Zeitz erst etwa in den Kartoffelferien425 denken! Überdem bin ich neulich auch in Merseburg gewesen – es war das Bibelfest dort, und Frobenius predigte, auch wollte ich den Dr. Ehrhardt mitbesuchen, weil derselbe schon mehre Wochen lang krank ist. Ich bereute diesen Weg nicht, denn Ehrhardt freute sich über meinen Besuch auf eine rührende Weise, und Frobenius predigte sehr intressant und zweckgemäß über das Wort: Der Name ist das Wort Gottes – ein Wort für unsre Zeit! Auch der Conferenz wohnte ich mit bei, wobei ich unsren sonderbaren Regierungspräsidenten Krosige426 und viele Geistliche kennen lernte; auch wurde mir ungeachtet meines Sträubens für das nächste Bibel-

424 

Carl Christian Leberecht Franke (1796-1879), ev. Pfarrer, Professor für praktische Theologie an der Universität Halle. Als überzeugter Anhänger des theologischen Rationalismus verliess er in den 1850er Jahren die Universität und kam so einer Entlassung – die Universität Halle entliess in jenen Jahren alle Theologieprofessoren, die den Rationalismus vertraten – zuvor. Blieb jedoch Pfarrer an der St. Marienkirche in Halle, die er seit 1823 betreute. Verfasste einige theologische und kirchengeschichtliche Schriften.  425  Die Herbstferien hiessen früher Kartoffelferien (der Ernte wegen).  426  Friedrich von Krosigk (1784-1871), königlich-preußischer Geheimer Rat, 1841-1848 Regierungspräsident des Regierungsbezirks Merseburg. Ferner war er Probst des Domstifts Merseburg. 

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fest der Vortrag der Liturgie übertragen; und beinahe hätte ich auch den Reichsverweser 427 gesehen, drei Stunden lang habe ich mich ihm zu Ehren stoßen und braten lassen, aber unser Dampfzug, der mich nach Hause führte, kam eher als der Seinige und so habe ich im eigentlichsten Sinne des Wortes nur das Nachsehen gehabt; doch war mir intressant, Merseburg dabei in allen Gliedern der Gesellschaft kennen zu lernen! Es war dieß am 10ten Julius, zugleich der stillfröhliche Geburtstag unsrer Lisbeth, die sammt ihrem ältern und jüngern Bruder recht zur Freude gedeiht – die drei Kinderchen waren auch der Mittelpunkt, als wir am 16. Julius mit Dank gegen Gott in Pobles das Lustrum unsres Verlobungstages feierten; daß namentlich auch meine gute Mutter munter und frisch dabei noch dabei sein konnte war besondrer Gegenstand der Freude! – Da weißt Du denn gleich Alles, lieber Schenk, wie es uns in den 5 letzten Wochen ergangen ist, in aller Stille doch fröhlich, wofür Gott Lob und Preis! Die Erndte ist in vollem Segensgange, freilich fehlt viel Regen, es ist eine bedenkliche Trockenheit, auch in den Pfarreinnahmen; die Pächter bleiben aus, das Zinsgetreide will Niemand kaufen, hätte mir mein Onkel in Eilenburg428 nicht vorgeschossen, ich hätte förmlich Mangel leiden müssen, und um eine Reise (die mir jedoch nur 4 […]18 […] kostete) hätte ich gar nicht denken können! So stehts und geht es! Nun aber von mir zu Dir! Die kleinen Zettelchen haben mir ja immer getreulich die Hauptsache gemeldet, daß Du mit Deinen Lieben gesund und wohl bist; nur muß ich bemerken, daß Deine Postsendungen schon 3Mal statt Sonntags (wo ich in Lützen fragen ließ) erst Dienstags in meine Hände gekommen sind; am Lützer Postamte liegt es nicht, sondern entweder daran, daß Du den Sonnabend früh zu spät schickst auf die Post, oder daß in Weißenfels Unpünktlichkeit herrscht; willst Du nicht einmal untersuchen, woran es liegt! Auch haben in den letzten Sendungen gefehlt vom Hausfreund Nr. 14 und 16, und vom Kreisblatt Nr. 60. Willst Du so gut sein und mir das Fehlende nachsenden? (Von Hausfreund war Nr. 15 doppelt, diese sollst Du seiner Zeit richtig wieder erhalten.) – Die Altenburger Zeitung für Stadt und Land habe ich doch wieder bestellt auf der Post, da Du sie mir nicht senden kannst; ich will wenigstens einen ganzen Jahrgang aushalten, wenn sie so lange besteht. Brieflich hat Gersdorf gar nichts hören lassen, ich werde nächstens einmal an ihn schreiben; wie mag es denn mit der Hochzeit der Prizß Alexandra429 stehen – die Zeitungen schweigen ganz davon. Die übrigen Nachrichten aus Altenburg sind auch nur so so; den PensionsAbzug, den Deine Frau Schwiegermutter erleiden muß, beklage ich aufrichtig; es wird dieß dem Herzog gewiß selber sehr weh thun; aber der arme Mann kann ja jetzt Nichts für sich thun, viel weniger für Andere! –

427  Als

Reichsverweser, Oberhaupt der Provisorischen Zentralgewalt, der ersten gesamtdeutschen Regierung, einer Art Ersatz-Monarch, hatte die Frankfurter Nationalversammlung am 28. Juni 1848 Erzherzog Johann (1782-1859) von Österreich, den Bruder von Kaiser Franz I., gewählt.  428 Nietzsche meint hier wohl den Gutsbesitzer Johann Georg Friedrich Balster (Anm. 200).  429 Prinzessin Alexandra von Sachsen-Altenburg heiratete am 11. September 1848 (Anm. 307). 

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Was sonst seit meinem letzten Brief in der Politik geschehen ist – Gutes und Böses, lassen wir dahin gestellt, Du weißt schon von selbst, was mir davon mißfällt und gefällt; ich denke, die eisernen Ruthen, welche Du erwähnst, werden nicht ausbleiben; kommen sie nicht von den souveränen Fürsten, nicht von dem souveränen Volk, der souveräne Gott wird nicht ausbleiben, Cholera und […] sind seine Ruthen, die kommt! Doch über Alles mündlich, das kann aber auch, da ich nicht gleich nach Zeitz kommen will, ebenso gut in Röcken geschehen; wärest Du doch bei Deiner Merseburger Reise in Röcken eingekehrt, oder soll das nachträglich geschehen, das wäre sehr schön! Ich möchte für meinen Theil am liebsten erst dann nach Zeitz kommen, wenn Ihr in Eurer neuen Wohnung seid – kannst Du mir bestimmen, wann dieß sein wird? Möge nur für Dich, Deine liebe Emma nebst Kinderchen der Umzug recht glücklich von Statten gehen! Mit diesem herzlichen Wunsche grüße ich Dich mit meinem ganzen Hause, und bleibe schreibend und nicht schreibend dennoch allezeit Dein theilnehmendster, treuester Freund LNietzsche Pf.

Nr. 95. an Schenk, 22. August 1848

Röcken, den 22ten August 1848 Mein theurer lieber Freund! Dein ernster Brief vom 14ten d. kam erst so bei uns an, daß, wenn ich auch gleich wieder geschrieben hätte, doch Dein versprochner Brief vom 19ten sich mit dem Meinigen gekreuzt haben würde; so zog ich vor, diese neuesten Nachrichten erst noch abzuwarten und Dir nun heute das zu schreiben, woran Du auch ohne Brief nicht zweifeln konntest! Ich bin mit den Meinen über die schwere Krankheit Deiner geliebten Emma430 wahrhaft erschrocken. Alles Andere eher als solche Kunde hätten wir von Euch erwartet und noch jetzt, so oft wir auch Deine Briefe gelesen, kommt es mir wie ein Traum vor! So groß aber auch unser Schmerz und Schrecken ist über das, was Euch betroffen, noch größer ist doch die Freude und das Glück, welches wir empfinden, daß auch dieser Gefahr die arme Dulderin wieder siegreich entgangen ist und Gottes Gnade ihr Leben und Odem bewahrt hat; Du kannst wirklich Dein liebes Weib als eine ganz neue Gabe betrachten, da sie sichtbarlich durch Noth und Tod hindurchgegangen ist! Möge nur der HErr ferner seine Hand nicht von ihr abziehen, auf daß Deine letzten guten Nachrichten sich immer mehr bestätigen und die frühere Frische und Gesundheit bald völlig wieder

430 

Emma hatte in den ersten Augusttagen die Totgeburt von Zwillingen erleiden müssen. 

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zurückkehren! Mit solchem frommen, tief gefühlten Herzenswunsch grüße Deine liebe Emma von mir, meiner Mutter, Frau und Schwestern! In unserm Hause ist es, während es bei Euch so ernst und traurig war, seinen gewohnten Gang fortgegangen, Gottes Gnade hat Groß und Klein munter und gesund erhalten – aber am fremden Schmerz haben wir dennoch den innigsten Antheil genommen, und dieser betraf in letzter Woche vornämlich auch das Pfarrhaus Muschwitz, indem ja am 12ten August unser lieber jugendlicher Amtsbruder Weiß431 an seinem schweren Leiden noch erlag und am 15ten beerdigt worden ist. Es ist dadurch viel Jammer über die Seinigen gekommen, und im ganzen Kreise hat dieser Todesfall die lebendigste, schmerzlichste Theilnahme erregt, bei seiner Beerdigung waren 20 Geistliche anwesend, der HErr Superintendent hielt tiefergriffen eine höchst ansprechende Grabrede, mein Schwiegervater als Confessionarius und Vicar verwaltete die Funeralia dabei, und mir wurde für den vergangnen Sonntag die Gedächtnißpredigt übertragen. Ich habe Weißen, den ich von Halle aus seit 15 Jahren kenne, sehr nahe gestanden und recht lieb gehabt, da ist mir die genannte Predigt sehr schwer geworden; ich nahm als Text Maleachi: 2, v. 5-7, wovon v 7 Weißens Text zu seiner Antrittspredigt war; als Thema „Der liebe Verstorbene war ein Engel, ein Bote des HErrn Zebaoth“ – das ist unser Zeugniß, welches wir ablegen von seinem Leben, das ist unser Trost, welchen wir erhalten bei seinem Sterben. Obwohl ich sehr einfach sprach und sogar das Rührende vermied, wurde dennoch viel geweint, namentlich von der lieben Wittwe (erst 23 Jahre alt; meiner Frau nächste Freundin) so daß ich selber mit Überwindung der Thränen zu kämpfen hatte. Einen ähnlichen Schmerzensgang hatte ich auch nach Merseburg in voriger Woche, um zu sehen wie es mit unserm HErrn Dr. Ehrhardt432 gehe – ach leider fand ich den immer noch sehr schlecht, und wohl ohne Hoffnung auf Genesung, sein ganzer Körper war schon geschwollen, doch wollte er noch nach Carlsbad reisen, um, wie er sich selbst ausdrückte, das äußerste Mittel gegen sein Leberleiden zu versuchen; mein Haus verliert an ihm einen sehr treuen Freund, meine Mutter ist ganz besonders traurig darüber. Wer weiß aber, ob man sich nicht jetzt auf manchen solchen Trauerfall rüsten muß; wie Du von Zeitz schreibst, so habe ich leider auch von Merseburg, Halle und Leipzig gehört, daß bestimmte CholeraFälle vorgekommen sind, doch ängstigen wir uns darob nicht, Gott wird auch hier ja mit uns und Euch machen, wie es für uns am Besten ist, ich denke, daß wir uns mit Gottes Hülfe noch oft und lange wiedersehen werden. Für jetzt gebe ich aber natürlich die Reise nach Zeitz ganz auf, da muß erst Deine Emma ganz vollständig gesund wieder sein, denn, ob sie auch an der lieben Minna eine ganz treffliche Helferin und Pflegerin hat, bei Besuchen muß doch die Hausfrau selber gesund sein! Machte doch mein Frauchen vor 14 Tagen den üblen Streich, gerade als recht lieber Besuch da war, sich 2 Tage ins Bett zu legen

431 

Siehe Anm. 378.  432  Der Arzt Johann Heinrich Wilhelm Ehrhardt (Anm. 392) starb am 26. August 1848. Nur einen Tag später liess sich der Homöopath und Arzt Dr. J. Gruber, von Naumburg herkommend, in Merseburg nieder. 

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und dadurch natürlich die Freude zu stören; es war nämlich bei uns Frau Professor Gersdorf, 5 Tage lang, sie hat uns mit ihrem freundlichen, heitern Wesen sehr wohlgefallen, und schien auch recht gern bei uns zu sein – daß sie aber ihren bedenklichen durch seine Zeitung gefesselten Mann nicht hatte mitgebracht, war mir doch gar nicht recht – bin nun bald 7 Jahre hier, und habe jedes Jahr um seinen Besuch gebeten und gedränget, und nun schickt er doch noch seine Frau allein! Doch muß ich hinzusetzen, daß eine Fahrgelegenheit Veranlassung dazu gegeben indem die Bartholdsche Freundin nach […] gereist war. Nun bin ich einmal ganz wieder mit Altenburg au fait gesetzt – über Vieles habe ich mich sehr gewundert, auch mancher Todesfall war mir sehr überraschend. Auch in den Verwandtenkreisen der Pobleser Familie sind einige recht schnelle Todesfälle erfolgt, namentlich eine 20jährige Cousine, die ich erst voriges Jahr in ihrer großen Liebenswürdigkeit kennen lernte – ich erwähne dieß gleich mit, dass Du nicht erschrickst, wenn du etwa mich bald besuchest und in Pobles einkehrend, die Familie in schwarzer Trauertracht findest! – Ja, was Dein Kommen zu mir betrifft, so kann ich das nur sehnlichst wünschen, denn wie vielerlei hätten wir wieder zu besprechen. Dahin rechne ich auch meine Antwort auf das gütigst gesendete Ministerial-Schreiben welches ich mit großem Interesse und Beifall gelesen habe; übrigens ist alles das, was darin steht, auch in Kösen zur Sprache gekommen, und wenn das Kösner Schreiben dürftig ist, ich habe es gar nicht zu lesen bekommen, so liegt das an den drei Herren, die es zu Hause für sich allein concipirt haben (Jahr, Niese und Frobenius). Mündlich einmal Näheres darüber; als Antwort auf Deinen Brief versichere ich noch meine Mitfreude über den Besuch Deines lieben Bruders, der Dir gewiß auch viel von Frankfurt erzählt haben wird – Auch meinen herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag des lieben Wimmer bringe ich nachträglich, wenn auch nicht poetisch wie im Hausfreund. Selbiger gefällt mir sehr, besonders der Zettelkasten darin, immer viel Geist darin, leider hörte ich aber, daß der HErr Georg viel Weingeist u. dgl. brauchte, wenigstens öfter ganz betrunken in Zeitz zu sehen sei – das sollte mir sehr leid thun, wenn es wahr ist. Da ich jetzt nicht mehr Sonntags nach Lützen schicke, in dem die Altbrger Zeitung 2mal in der Woche erscheint, so gieb Deine Blätter-Sendung wie sonst Sonntags Abends an mich zur Post, da erhalte ich sie Dienstags früh sicher. So hätte ich wohl das Nothwendigste geschrieben, ein ander Mal mehr, jetzt nur noch einmal Dir die herzlichsten Segenswünsche für Dich und Dein ganzes Haus, mit der Versicherung unsrer herzlichsten Liebe, die sich in Freud und Schmerz gleich bleibt! An Alle viele Grüße von Deinem LNietzsche Pf Unsere Erndte ist – Gott sei Dank, ihrem glücklichen Ende nahe, nächsten Sonntag über 8 Tage (XI p.Tr.)433 ist unser Erndtefest! –

433 

Ist der 12. Sonntag nach Pfingsten. 

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Nr. 96. an Nietzsche, 3. September 1848

Am 3. September 48.

Ist`s doch, lieber Freund, als sollte ich heut wie schon vor 8 Tagen wieder nicht zum Schreiben kommen. Auf die Nachmittagspredigt folgte eine Leichenbegleitung mit Grabrede, von der ich erst nach 4 Uhr zu Hause kam, und von da bis jetzt um 6 ist es nicht abgerissen mit Leuten. Aber nun habe ich strenge Order gegeben, mich nicht mehr zu stören, und ob sich Alles dagegen setzt, auch Leib und Seele matt sind, ich will Dir doch ein paar Worte schreiben, so gut es eben geht. Für Deinen so besonders herzlichen und theilnehmenden Brief muß ich Dir auch noch einmal besonders herzlich danken. Solch warmes Mitgefühl thut wohl; je älter man wird, desto seltner findet man`s und desto mehr weiß man es dann auch zu schätzen. Gebe Gott, daß wir immer nur bei den freudigsten Veranlassungen Euch unsere volle Herzenstheilnahme zeigen können. Komme es aber wie Gott will, immer laß in Freud und Leid uns mit unsern Familien treu liebend und helfend bei einander stehn. Bei uns ist es ja, Gott sei Lob und Dank, jetzt immer besser gegangen. Meine Frau ist fast ganz genesen und wenn auch noch sehr schwach nimmt sie doch wieder ganz am häuslichen Leben Theil und sucht ihren Platz in demselben auszufüllen. Wenn sie nun schon wieder in gewohnter Weise liebend um mich waltet ist mir und ihr das Erlebte oft nur wie ein schwerer Traum. Wir sind Beide voll dankbaren Glücks, daß Gott so bald gnädig geholfen. Auch die Kinder sind munter. Der jüngste kränkelte etwas nach einem kleinen Brechruhranfall, doch geht es auch wieder gut. Die Zähne machen ihm nur noch zu schaffen. Wenn die Kunde von so traurigen Todesfällen kommt, wie die in Deinem Briefe von Deiner jungen Cousine und vom Amtsbruder Weiß, dann fühlt man sich doppelt gesegnet. Ueber den armen Weiß, von dem mir Kühns viel erzählten, habe ich recht mit Leid getragen, ohne ihn zu kennen. Er ist in Elgersburg allgemein geliebt gewesen. Gott tröste die arme Wittwe. Sie hat nun auch den Schmerz, Andre nach ihres Mannes Stelle rennen und jagen zu sehn. Haben doch, wie der Patron selbst gesagt, einige Geistliche schon bei Weiß Lebzeiten sich bei ihm beworben. Ich wünschte, unser wackrer Candidat Seydel434, der sich wieder gemeldet hat, reüssirte. Da wäre die Gemeinde gut bewahrt. Text und Thema Deiner Gedächtnisrede sind gut gewählt; Du beweisest immer wieder Deinen homiletischen Tact. Ich möchte die Predigt wohl lesen

434 

Möglicherweise meint Schenk hier Johannes Julius Seydel (1808-1875), Schüler an der Stiftsschule Zeitz, daselbst Abitur 1828, ev. Pfarrer, von 1850-1863 Pfarrer in Rippicha. Es ist nicht bekannt, welcher Beschäftigung Seydel von 1836 (Abschluss seines Theologiestudiums) bis zu seiner Ordination 1850 nachging. 

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und bitte Dich, sie mitzubringen, ebenso Deine heutige Erndtepredigt, wenn ich nicht vorher zu Dir komme. Ich hatte große Lust Dich heut zu überraschen und vielleicht früh für Dich zu predigen, da das Erndtefest dort doch wohl auch Nachmittag gehalten wird. Aber ich ging schon schwer daran, mich vertreten zu lassen, dann konnte Seidel nicht, den ich fragte, und zuletzt war das recht gut, da gestern Nachmittag noch die Grabrede bestellt wurde. Da`s nun ungewiß ist, wann ich zu Dir komme, so will ich doch meine Erndtepredigt von vor 8 Tagen hersetzen. Text Klagelieder 3, 22-24. Thema: Wozu uns das vollendete Erndtejahr veranlassen muß. 1.) zu einem demüthig Geständniß – die Güte des HErrn ists. […] 2., zu einer dankbaren Anerkennung – Seiner Barmherzigkeit – Treue […] 3., zu einem treuen Bekenntniß – der Herr ist m […] und 4., zu einem freudigen Entschluß – darum will ich auf ihn hoffen. Wie nun im Einzelnen, das kannst Du mündlich hören. Ueberall aber die Geschichte des Erndtejahrs, die politischen Verhältnisse, Nahrungslosigkeit verwebt. Das Ganze in einem sehr ernsten Ton gehalten. – Der Erndtejubel kann ja dießmal nicht aufkommen. In den Familien der Gewerbtreibenden sieht es bei uns übel genug aus und an reichlichem Zündstoff zu neuen republicanisch-communistischen Explosionen fehlt es nicht. Das Beispiel Berlins wird schon Nachfolge finden. Das Herz blutet dem Volksfreunde über solche Thorheit, Verblendung und Verworfenheit. – Dienstag und Mittwoch machte ich eine Fußparthie nach Altenburg, die mir bei der drückenden Hitze recht schwer wurde. Die Schwiegermutter fand ich mit den Kindern wohl, ebenso Gersdorfs. Die Fr Professorin war noch ganz voll von den glücklichen in Röcken verlebten Tagen. Auf dem Kasino war pompöses Vogelschießen der Aristokratie, auf dem man von Republikanismus und communistischer Gleichmacherei nichts merkte. Ich sprach besonders den Stiftspfarrer Schöne, der sich sehr theilnehmend auch nach Dir erkundigte. Man hofft übrigens, daß in Altbg noch Alles ruhig abgehen wird, da die Besitzenden sehr von den republic Extravaganzen zurückkommen. Die constitutionelle Partei wünscht eine Mediatisierung der herzoglichen Familie und Anschluß an ein größeres Land, aber die radicale will nur ein specifisch Altenburg Republikchen. Natürlich, sonst wäre ihre Rolle gleich ausgespielt. Die herzogl Familie gefällt sich sehr in Hummelshain und will gar nicht zurück. Planitz hält sich ausgezeichnet gut als Ministerpräsident und steht bislang bei beiden Parteien in voller Achtung. Einen Einmarsch unsrer Truppen, die noch immer an der Grenze stehn, fürchtet man nicht. – Was Du als Gerücht über meines Schwagers Trinken hier schreibst, ist eine abscheuliche Verleumdung. Er hält sich so gut, als man es nur wünschen kann und ist in den gebildeten Kreisen allgemein beliebt. Wie er mit seinem Preußenthum den Republicanern ein Dorn im Auge ist und darum attakirt wird, siehst Du im Kreisblatte. Es ginge Alles gut, wenn ich nur Land für seine Familie hätte; sie zehrt jetzt aus meiner Tasche. – Meine Schwägerin dankt Dir nachträglich für Deine nachträglichen Glückwünsche. Wir Alle grüßen Euch Alle herzlich mit den besten Wünschen. Dein treuer E. Sk

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Mein Haus ist nun bald fertig. Wills Gott, so werden wir zum 1sten einziehen. Aber das macht mir viel Sorge, wie Du wohl denken kannst. Möge uns Gott nur lange zusammen glücklich darin leben lassen.

Nr. 97. an Schenk, 7. September 1848

Röcken, d. 7ten September 1848

Als ich gestern Abend, mein lieber Schenk, von meiner Weißenfelser Missionsfest-Fußreise zurückkehrte, war eben per expreß Dein lieber Brief, also binnen 10 Stunden, hier angekommen. Die Meinigen hatten schon geöffnet und verkündigten mir die feierliche Einladung zum Paulus-Feste – ja diese Einladung schon und dieser Paulus dazu könnten wohl meine Reiselust in völlige und förmliche Bewegung setzen, umso mehr als ich nicht allein kommen soll, sondern meine Frau und Kinder und auch, was diese ganz besonders erquickt, meine liebe Grossmama! Und dennoch, ein Hiobsbrief – ich kann leider, leider nicht kommen – erstlich habe ich Abendmahl in Bothfeld, da versäume ich auch die Nachmittagsbetstunde nicht ohne die größte Noth, zweitens haben wir, und namentlich die Meinigen zu nächstem Sonntag eine große Einladung, weil der Superintendt Kirchenvisitation in Pobles hält, und drittens erwarten wir morgen oder übermorgen meine Nirmsdorfer 435 Verwandten, diesen dürfen wir natürlich nicht davon laufen! So siehst Du, auch ein Landpfarrer kann nicht immer fort, wie er will, selbst wenn auch die Geldnöthe nicht so schlecht stehen, als sie sich eben befinden – aber wie wehe es mir thut, aufgeschoben ist nicht aufgehoben, ziehet nur erst in Eure neue Wohnung hinein, da bin wenigstens ich gleich da! – Aber dem steht nun gar Nichts entgegen, daß Du erst mit Deinen Lieben, ich nenne namentlich Deine liebe Minna, zu uns kommst – Dein gestriger und Dein sonntäglicher Brief reden von solchen Plänen, und ist doch nichts daraus geworden! Am Sonntag wärest Du gerade zur rechten Stunde hier gewesen, denn Du hättest gleich Erndtefestprediger sein können; ich war nämlich die ganze Woche vorher nicht wohl, und zum lieben Sonnabend wurde es so schlimm, (Erbrechen, Kopfschmerzen u. dgl.) daß ich an fremde Hülfe denken mußte – allein die nächsten Amtsbrüder konnten alle nicht, ich mußte selbst predigen, wie schwer es mir auch wurde, aber es bekam mir sehr gut und Nachmittags, wo die Pobleßer, Superintendents aus Hochheim kamen, wurde ich wieder ganz wohl, und ist bis jetzt, Gott sei Dank, so geblieben!

435 

Zu August Engelbert Nietzsche aus Nirmsdorf vgl Anm. 90. 

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Gleiche erfreuliche Kunde von Deiner geliebten Emma zu vernehmen, wie von allen den Deinen in Zeitz und Altenburg, ist uns Allen sehr angenehm, helfe Gottes Gnade immer zu solchen guten Nachrichten, wie von solchen ja Dein ganzer Brief voll war, deren ersten ich richtig den Dienstag erhielt, dagegen vor 8 Tagen erst den Freitag die Blätter ankamen. Zu gleicher Zeit erhielten wir da auch die sehr betrübende Nachricht von dem Tode unsres lieben Hausfreundes und Arztes Dr. Ehrhardt in Merseburg, über den sich namentlich mein gutes Mutterchen gar nicht beruhigen kann – wir haben alle viel an ihm verloren, Du wirst mit uns trauern! – Ich kann heute nur diese flüchtigen Zeilen schreiben (es ist Donnerstg Abends 11½ Uhr) mein Dank und meine Liebe zu Dir mögen doch genugsam daraus hervortreten, und zugleich die allerherzlichsten Grüße an Dich und alle die Deinen von mir und allen den Meinen! In Gottes Hand befiehlt Dich Dein treuer Nietzsche

Nr. 98. an Nietzsche, 30. September 1848

Zeitz den 30. Septb 1848

So eben, mein theurer Freund, haben wir den Brief Deiner lieben Frau vom 27sten erhalten und darin mit tiefer Betrübniß die Bestätigung der uns gestern über Mutschen zugekommenen Nachricht von Deiner Krankheit gefunden. Es war mir ganz unerklärlich, warum nach so wichtigen Tagen kein Brief von Dir erschien, denn an solche Abhaltung hatte ich gar nicht gedacht. Unser Herz ist voll der innigsten Theilnahme immer bei Dir und wir wünschen und bitten Gott, daß Deine völlige Genesung nun recht rasch fortschreiten möge. Die beruhigenden Nachrichten der theuren Freunde lassen uns das ja hoffen. Möchtest Du uns bald als besten Beweis dann eigenhändig wieder schreiben können. Mein Herz drängte mich nach der ersten Kunde von Deiner Krankheit so sehr, gleich zu Dir zu reisen, daß die verständige Ueberlegung Mühe hattte, mich davon abzuhalten. Sie behielt aber die Oberhand. Ich könnte Dir jetzt wenig nützen – morgen predigen, da ich hier ganz frei – aber bei meinem unglückseligen Gehörleiden viel schaden. Nun unterdrücke ich das Verlangen, bis Du mich rufst. So bald du mich ertragen kannst und haben willst, komme ich, nur noch nicht in der nächsten Woche wo wir unsren großen Umzug halten. Wie schön, wenn du selbst mit den Deinigen uns in kurzem schon in der neuen Wohnung überraschen könntest. Dann wollen wir zugleich ein Dank- und Genesungsfest für Dich und für meine Emma feiern, mit deren Befinden es jetzt sehr gut geht.

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Die ernsten Erfahrungen, welche wir auch in unsrem häuslichen Leben in dieser ernsten Zeit gemacht haben, werden uns mit Gottes Hülfe recht zum Besten dienen, indem sie uns im Glauben und in der Liebe stärken. Scheint sich ja doch nun auch im Großen und Ganzen Alles zum Besten zu wenden und wir dürfen hoffen, daß der Aufstand in Frankfurt436 und im badischen Oberland437 der Culminationspunkt republikanischen Fanatismus gewesen sind. Die Regierungen entwickeln außerordentliche Energie, wobei sie auf die volle Zustimmung von wenigstens ⅔ des deutschen Volks rechnen können. Von dieser Schlappe werden sich die Anarchisten nicht wieder so leicht erholen und es müßten grobe reactionäre Mißgriffe gemacht werden, um ihnen im öffentlichen Urtheil wieder aufzuhelfen. Auch hier ist es nach Unterdrückung des letzten Tumults und in Folge der Frankfurter Nachrichten todtenstill geworden. Unser Bericht über Auerswalds438 Ermordung hat auf das Volk einen großen Eindruck gemacht, ich denke ihm die Augen durch einen Aufsatz nächsten Mittwoch vollends zu öffnen. – Von den erfreulichen Resultaten der so besuchten Wittenberger Versammlung wirst Du dort gehört haben. Helfe Gott, daß wir auf diesem Wege weiter gehen. Altenburg wird unter der Besatzung durch fremdes Militair nun wohl auch zur Ruhe kommen. Die Mutter befindet sich mit den Kindern wohl, Minna wird endlich Mitte nächster Woche zurückkehren. Nun lebe wohl, theurer Freund, mit allen den lieben Deinigen und finde nach der Krisis der Krankheit frische Kraft und frischen Muth an Leib und Seele zum tüchtigen und fröhlichen Leben und Wirken. Mit diesem herzlichen Wunsche grüßt Dich und Dein ganzes Haus Dein E. Schenk.

436 

Als Septemberrevolution 1848 wird ein spontaner Volksaufstand in Frankfurt am Main bezeichnet. Im September 1848 löste die Abstimmung über den Waffenstillstand von Malmö – im Vertrag von Malmö vom 26. August 1848 hatten Dänemark und Preußen im Schleswig-Holsteinischen Konflikt einen Waffenstillstand geschlossen – in Frankfurt einen spontanen Aufstand aus. In diesem entlud sich der Unmut radikaler Demokraten über diese Entscheidung. Nach der Ermordung zweier rechtsliberaler Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung am 18. September 1848, schlugen von der Nationalversammlung zu Hilfe gerufene preußische und österreichische Bundestruppen die Erhebung gewaltsam nieder.  437  Unter der Badischen Revolution von 1848/1849 versteht man den regionalen Ablauf der fast ganz Mitteleuropa erfassenden revolutionären Unruhen dieser Jahre im Großherzogtum Baden. Sie erstrebte eine badische Republik unter der Souveränität des Volkes und richtete sich gegen die Fürstenherrschaft. In diesen Zusammenhang gehört auch der sog. Struve-Putsch (der Struve-Putsch begann mit der Ausrufung einer deutschen Republik am 21. September 1848 durch Gustav Struve in Lörrach und endete mit dessen Verhaftung am 25. September 1848 in Wehr) im September 1848. Die Revolution endete am 23. Juli 1849 mit der militärischen Niederschlagung der letzten Erhebung durch Bundestruppen unter preußischer Führung.  438  Hans von Auerswald (1792-1848), preußischer Generalmajor. Als Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung fungierte er als Vorsitzender des Ausschusses für Volksbewaffnung und Heerwesen. Während den Septemberunruhen in Frankfurt wurde Auerswald von Aufständischen angegriffen und erschossen. 

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Deinem lieben bescheidenen Frauchen sage doch noch besonders, daß ich Deinen erwarteten reichen Brief allerdings sehr vermisse, aber nicht weil der ihrige dagegen absteche; nein im Gegentheil ist er so vortrefflich, so voll reicher geistiger Anschauungen und tiefen Gemüths, daß er uns wahrhaft erquickt hat. Doch ich will nicht loben und ihr zum Dank nur wünschen, daß sie mit Deiner verehrten Mutter täglich neue Erfolge ihrer treuen zärtlichen Pflege an Dir sieht. – Ich schicke den Brief doch heut ab, in der Hoffnung, daß sich eine Gelegenheit in Lützen findet.

Nr. 99. Franziska Nietzsche an Schenk, 16. Oktober 1848

Röcken den 16. October 1848 Lieber Herr Archidiaconus, Von Tag zu Tag haben wir es verschoben an die lieben Freunde in Zeitz zu schreiben weil unser lieber Kranker gern selbst, für die herzlichen Briefe und darin ausgesprochene herzliche liebevolle Theilnahme und guten Wünsche, danken wollte er hoffte täglich auf Bessrung ist aber leider noch nicht erfolgt und die sonstigen Anfälle von heftigen Erbrechen mit vielen Kopfschmerzen wiederhohlen sich immer wieder wonach allemal eine beängstigende Ermattung eintritt. Der Hr. Doctor wird selbst auch ängstlich und hat schon davon gesprochen sich lieber noch mit einen andern Artzt aus Merseburg zu berathen wovon ihn aber bisher unser lieber Kranke abhielt, weil er es selbst nicht für so gefährlich hält. Wir haben große große Sorge um ihn und steigert sich natürlich wenn der Artzt zeigt daß er die Krankheit nicht ergründen kann; es ist auch ein böses Uebel und scheint uns genau mit dem Familienzufall, einen Erbübel des seligen Vaters welches in Einschlafen der Hände Zunge und Schwindel besteht, in Verbindung zu stehen, er wird immer schwächer und wir hoffen sehnlich auf baldige des lieben Gottes; die Theilnahme der hießigen Gemeinden ist groß und für uns wahrhaft erquickend. Hoffentlich hat sich auch das Unwohlsein Ihres kleinen Lieblings des lieben Max wieder verloren und er steht wieder in seiner ganzen Lieblichkeit vor Ihnen. Ich kenne den Kleinen noch gar nicht und habe mir nur nach der Schilderung in Ihrer guten Frau Gemahlin Brief wofür ich meinen schönsten Dank zu sagen bitte, ein Bild von ihm gemacht und mich recht herzlich über das jetzige Befinden der lieben Freundin gefreut, und wünschen nur daß die ganze Sorge der Wirthschaft, und Besorgung der Kinderchen, sie nicht zu sehr angreife da ja die hülfreiche Fraulein Schwägerinn ihr nun nicht mehr beistehet. – Auf Ihre politischen Fragen will ich schweigen, weil ich Ihnen darauf nicht viel Gescheides antworten möchte, vertraue aber auch hierinn den lieben Gott, welcher doch durchdringen und alles noch zum Besten führen wird.

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Ihnen und Ihrer lieben Frau Gemahlin läßt sich das gute Mutterchen mein armer Mann und Schwägerinnen herzlich empfehlen, und ich schließe mich mit ganzer Seele an, wir bitten ferner um die Erhaltung Ihrer Theilnahme und Fürbitte für unsern lieben Kranken. Sein und bleiben Sie alle recht hübsch gesund; mit der Versicherung der aufrichtigsten Hochachtung und Freundschaft verbleibe ich Ihre ergebene Franziska Nietzsche Gestern Abend habe ich meinen Brief nicht zu gemacht, um Ihnen noch das heutige Befinden meines guten Mannes welches ganz schlecht ist, mitzutheilen, es ist jetzt 7 Uhr und übergiebt sich schon zum 5ten Mal.

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Nr. 100. an Nietzsche, 21. Januar 1849

Zeitz, den 21. Januar 1849 Mein theurer Freund, Es drängt mich Dir selbst einmal wieder zu sagen, wie sehnlich ich auf Nachricht von Deiner Hand warte, als willkommene Botschaft Deiner rasch fortschreitenden Genesung. Wir halten die Ueberzeugung fest, daß der letzte schmerzvolle Anfall eine entscheidende Krisis und der Wendepunkt zur völligen Besserung gewesen ist. Mögen wir bald die bestätigende Nachricht davon erhalten. Mit solchen guten Wünschen gedenken wir Deiner und Deines Hauses immer und es vergeht gewiß kein Tag, wo wir nicht so von Euch sprächen. Auch hier erkundigen sich Alle theilnehmend nach Dir und Gersdorf schrieb ausdrücklich an mich, um sich gute Nachricht zu erbitten. Sein Blatt findet jetzt bei uns wieder viel Absatz, nachdem die Stempelabgabe weggefallen ist und hat sich dadurch überhaupt etwas gehoben. Im vorigen Jahr hat es nur die Kosten gedeckt. Möge Dir und Deinen Lieben nur nicht die Zeit bis zur gänzlichen Wiederherstellung zu lang werden. Wir wollen immer dran festhalten, daß auch diese Krankheit nach Gottes Rath und Willen Dir aufgelegt ist und zu Deinem Besten dienen muß! Siehe unsern guten Ulisch439, der seit Jahresfrist nicht gepredigt hat, der von den Aerzten ganz aufgegeben war und jetzt geht es sehr gut und im November hat ihm seine Frau ein munteres Töchterchen geschenkt, worüber nun Beide ganz glücklich sind. So wird Gott auch Dir noch viel Freude geben. Hier haben wir jetzt binnen 14 Tagen 2 weitere bejahrte Männer verloren. Am 5. Januar der Professor Kießling440, der ganz stumpf geworden war, und gestern Abend an einer Brustentzündung den Sanitätsrath Besser, den wir sehr betrauern. Wie es bei uns geht, wird wohl meine Frau schreiben. Die morgenden Wahlen haben in Stadt und Land Alles in große Aufregung gesetzt und die Parteien entwickeln die größeste Thätigkeit. Das Kreisblatt habe ich Dir nicht mehr geschickt, weil es voller Politik, Wahlsachen und dergl. für Deine lieben Damen doch kein Interesse hat. Ich grüße sie und Deine Kleinen mit den herzlichsten Wünen und schließe in der frohen Hoffnung […] gesund und heiter wieder zu sehen. Dein Schenk.

439 

Vgl. dazu Anm. 412. 

440 

Professor M. Kiessling (*?–1849) war Rektor des Stiftgymnasiums in Zeitz. 

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Nr. 101. an Nietzsche, 17. Februar 1849

Am 17. Febr 1849 Mein theurer Freund, Die Freude also werden wir nicht haben, Dich und Deine liebe Frau noch in diesem Monate hier zu sehen. Das ist schmerzlich, wir wollen uns aber einmal an die Erinnerung halten, die uns ja manche frohe Stunde aus dieser Zeit zurückruft, und dann an die Hoffnung, die uns solche für die Zukunft verheißt. Gebe Gott, daß sie uns nicht länger täuscht und daß mit dem bald kommenden Frühling auch die volle Genesung mit aller Frische und Kraft an Leib und Seele Dir wiederkehrt. In solcher Hoffnung wünschen wir ihn doppelt herbei. Dann soll er uns mit unsren Familien auch ein heitres Wiedersehn zur fröhlichen Genesungsfeier bringen. Ja ich hoffe eine solche auch für mich, da mein häßliches katarhalisches Brustleiden gleich wieder stärker auftritt, wenn es einmal ein paar Tage besser geschienen hat. Es wird mir auch recht schwer und lästig und die verdoppelten Arbeiten dieser Zeit werden mir recht sauer. Meine Seele sehnt sich recht nach einigen Wochen leiblicher und geistiger, ja besonders auch gemüthlicher Ruhe und blieben nur irgend Zeit und Mittel, so zöge ich zum Frühjahr mit den Meinigen irgendwohin in einen stillen Badeort, um Erholung und Erquickung zu suchen. Mein gegenwärtiges Leben mit seinen verschiedenartigen Arbeiten zersplittert meine Kraft, stört mein innres Leben und reibt mich auf. Aber was klage ich gegen Dich? Es ist eine schwere Zeit, da gilt es doppelt ergeben sein Joch weiter zu tragen und auf den zu harren, der die schwerste Last leicht macht. Das aber wünschte ich wohl, daß wir unsre trüben Erfahrungen dieser Zeit einmal gegenseitig austauschen und uns so recht geistig in einander leben könnten. In einer Zeit, wie es die gegenwärtige und jüngst vergangene ist, sehnt man sich doppelt nach einem verwandten Geiste, der einen versteht. Wir aber verstehen uns trotz aller Verschiedenheiten und sind durch dieselben innerlich nie getrennt worden. Ich kann Gott nicht genug danken für den Schatz, den er mir in meiner Frau gegeben hat, besonders auch wegen des reichen geistigen Lebens, mit dem ich in beständigem Verkehr bleibe. Es ist auch so mit uns, daß wir uns immer mehr genügen, und immer weniger von der übrigen Welt um uns erwarten und wissen wollen. Du lebst ja auch so mit Deiner liebenswürdigen Frau, und wenn die gegenwärtigen Prüfungstage vorüber sind, wollen wir noch lange so mit einander leben und gegenseitig unsres Glückes uns freuen. Schickt es der Herr anders – Du weißt ich habe nie auf ein langes Leben gerechnet – so wird er auch unsren Glauben stärken, daß wir es ergeben aus seiner Hand hinnehmen und auch unter Scheidethränen getrost sind. Dir wird Gott schon jetzt das Vertrauen bewahren, in dem stark zu werden, Du immer rangst und es Dir an dem Trost nicht fehlen lassen, der das bekümmerte Herz erquickt. Wir gedenken Eurer immer vor Gott mit dem Gebet, daß er Eurem Hause bald die Freudensonne nach den Leidensnächten wieder aufgehen lassen möge. Bis dahin mache er Dich, Deine verehrte Frau Mutter, liebe Frau und Schwester

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stark zu tragen, was seine Hand aufgelegt hat. Möchten wir mittragen können! Im Geiste der Liebe geschieht es, in ihr bleiben wir verbunden. Mit den herzlichsten Grüßen und Segenswünschen für Dich und die Deinen Dein E. Schenk.

ANHANG Briefe Franziska Nietzsches an Emma Schenk und Emil J. Schenk, wie auch von Emma und Emil Julius Schenk an Franzsika Nietzsche

Nr. 102. Franziska Nietzsche an Emma Schenk, 1. Dezember 1848

Röcken den 1. Dec. 1848 Gute liebe Freundinn Von Tag zu Tag habe ich es verschoben an die geliebte Freundin zu schreiben und sehe mit Erstaunen daß schon acht Tage verstrichen, wo ich Ihren lieben herzlichen Brief erhalten. So groß darüber, meine Freude, so betrübend ist es mir Ihnen über meines guten Mannes Befinden, noch gar nichts Erfreuliches zu schreiben. Das sonstige Uebel, Erbrechen und vorzüglich die fürchterlichen Kopfschmerzen, worüber er täglich klagt plagen ihn unaussprechlich und sind an den Tagen des Erbrechens besonders arg, daß er oft schon geäußert darüber könne er den Verstand verlieren, was der liebe Gott gnädig verhüten wolle. Den Tag nach seiner Hinreiße441 hat er sehr gelitten und so sind in den drei Wochen noch mehrere solche Tage gewesen, auch gerade an demselben wo ich mich mit Fritzchen aufmachte ihn zu besuchen um ihn in seinem Leiden eine kleine Freude zu machen und unsre Sehnsucht zu befriedigen fand ihn aber sehr traurig weinte viel und hatte schlimme Zufälle zu welchem nach aller Meinung unser Besuch beigetragen, welches auch Herr Medizinalrath Stapf vorher gesagt es lieber abzuschreiben, was aber zu spät war, hat daher gebeten, derartige Aufregungen für jetzt zu vermeiden da sie ihn nur zum Schaden wären. An der guten Auguste haben wir aber eine treue Berichterstatterinn sie hat jetzt manche schwere Tage in Hinsicht ihrer Gesundheit, weil sie die Sorge um den guten Ludwig immer verbergen will, doch wir vertrauen nächst dem lieben Gott dem geschickten Artzt welcher uns zu seiner Wiederherstellung und frommen Aeußerung, wenn es Gottes Wille ist, die beste Hoffnung macht und diesen Trost halten wir fest und trösten uns damit in unserer Einsamkeit unter einander; es ist ja

441  Carl

Ludwig Nietzsche reiste am 11. November 1848 zusammen mit seiner Schwester Auguste nach Naumburg zu Konsultationen beim Arzt und Homöopathen Medizinalrat Stapf. Dr. med. Johann Ernst Stapf (1788-1860), Schüler von Samuel Hahnemann (1755-1843), dem Begründer der Homöopathie, veröffentlichte zahlreiche Schriften zur Homöopathie und genoss als Homöopath internationales Ansehen. 

ANHANG

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das Einzige wodurch uns die Trennung erleichtert wird daß der gute Kranke in so gute ärtzliche und geschwisterliche Pflege und Behandlung gekommen ist. Freilich schmerzt es uns daß wir ihn nicht bei uns haben können daß sprechen Sie auch in Ihrem lieben Brief so mitfühlend aus, ach solche Sprache des Herzens thut Einem wohl und ist wahrhaft erquickend, wie auch die Theilnahme Jhrer verehrten Verwandten und Freunde welchem ich mich herzlich zu empfehlen bitte. Gott behüte Sie mit Ihrem lieben Herrn Gemahl wie Ihr ganzes theures Haus vor ähnlichen Leiden und gebe daß wir immer von Ihnen und der lieben Ihrigen gute Nachrichten erhalten mögen. Wir sind auch Gott sei Dank unser Mutterchen Rosalchen und die Kinder wohl welche uns durch ihre körperliche und geistige Entwickelung viel Freude machen und wirklich eine wahre Aufheiterung sind ich freue mich, daß Ihre lieben Kinderchen den Fritz nicht vergessen haben er errinnert sich aber auch bei dem oder jenem Spielzeug der kleinen Zeitzer Mädele, ist auch schon zu Mangen zu brauchen wie auch Ihr Patchen welches Fritzchens treue Gespielinn ist, beide suchen den kleinen Joseph Unterhaltung zu verschaffen, welchem ich, an unserer letzten traurigen heiligen Abendmahlsfeier entwöhnt habe. Nun meine geliebte Freundinn leben Sie Alle wohl; unser gutes Mutterchen läßt sich Ihnen und Ihrem verehrten Herrn Gemahl herzlich empfehlen und um Ihre warme Theilnahme und Fürbitte zum lieben Gott für unseren lieben Kranken fern bitten welchen Wunsch sich von ganzen Herzen anschließt Ihre betrübte Freundinn Franziska Nietzsche Verzeihen Sie meine Unreinlichkeit auf diesen Papier, das Licht fuhr mit dem Schieber in Leuchter worüber ich so erschrocken. Randbemerkung: Daß der dortige Artzt die Krankheit leider für Gehirnleiden erklärt und eine langsame aber sichere Heilung verspricht hatte ich noch zu schreiben vergessen

Nr. 103. Franziska Nietzsche an Emma Schenk, 12. Dezember 1848

Röcken den 12. Dec. 1848

Nur einige Zeilen theure Freundinn denn mein Herz treibt mich dazu Ihnen nochmals in meinen und des Mutterchens Nahmen für Ihren gestrigen lieben Besuch, unseren herzlichsten innigsten Danck zu bringen, ich fühle mich glücklich mit so lieben Freunden bekannt worden zu sein und kann es Gott nicht genug danken und bei jeden Zusannensein wird der Wunsch in uns inner stärker und mächtiger,

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wenn Sie doch in unserer Nähe wären, denn ich kann Ihnen nicht sagen wie lieb und werth Sie und Ihr lieber Gemahl uns geworden sind. Es thut uns freilich immer noch recht leid, daß wir Sie lieben Freunde nicht in unseren Haus haben und bewirthen konnten es war traurig daß Ihr lieber Besuch auf einen so schweren Tag gefallen, der gute Ludwig hat bis Abends 7Uhr fortan sehr geklagt das Erbrechen kam zwar nicht wieder als die bewußten Zweimal früh aber desto ärgere Kopfschmerzen, wir machten ihn aber Abends ein Fußbad mit Essig worauf er ruhig wurde und die Nacht durch gut geschlafen hat; Heute Gott sei Damk scheint er doch wieder gestärkt, wünschte mir gar freundlich „Guten Morgen“, aß und trank mit Appetit sein Milch und Wasser. Wir sprachen mit ihm von den gestrigen Tag wobei sich das Mutterchen einmal vergaß und im Laufe des Gesprächs die guten Schemks erwähnte; er forschte um wann und wo wir Sie gesehen und war sehr erfreut als er das Nähere erfuhr, über Ihre liebevolle herzliche Theilnahme, hätte am Liebsten gleich selbst geschrieben und verwunderte sich nur, daß er nicht das Geringste davon gemerkt habe; den heutigen Vormittag ist es auch im Ganzen gut gegangen hat mit uns gegessen und eben habe ich ihn ein viertel Stündchen im Garten herumgeführt, es wurde ihm zwar schwer doch scheint er jetzt wieder ein Bischen zu schlafen und so hoffen wir daß er doch imer wieder gestärkt und die Anfälle auch immer längere Pausen haben sollen. Es ist uns imer wie ein schöner Traum daß wir Sie gesehen und gesprochen haben und habe mir heut schon oft Ihre Worte des Trostes und der Hoffung im Geiste wiederholt das Mutterchen sagte auch, die Schenks sind gute gute Menschen, und Fritzchen kann den lieben Besuch bei Lipperts, wie er sagt und die kleinen Mädchen welche ihn so gehascht hätten vorzüglich aber das Kästchen gar nicht vergessen und lief heute zum Frühstück mit einen Pfannkuchen in der Hand zu unseren Scheunenmann und meinte siehst du so sind die Pfannkuchen von den Besuch bei Lipperts von den ich Dir gesagt habe. Nun ich wünsche nur daß Sie allesammt glücklich nach Hause gekonnen sind und die Reise keine nachtheiligen Folgen für Jhre Gesundheit haben wird. – Das Mutterchen und der gute Ludwig haben mir die herzlichsten Grüße aufgetragen wie auch meine Schwägerinnen. Erhalten Sie uns Ihre werthe Freundschaft dies ist die herzliche Bitte Ihrer treuen Freundinn Franziska Nietzsche von Ludwig Nietzsches Handschrift:) Ich grüße Euch Lieben mit Herz und Hand! Später mehr! Ludwig Nietzsche

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Nr. 104. Franziska Nietzsche an Emma Schenk

Röcken den 8. März 1849 Meine liebe Freundinn ! Ihr lieber Herr Gemahl unser theurer lieber Freund, hat meine gute Schwiegermutter durch einen letzten Brief so erfreut und beglückt, daß ich ihnen vor allem ihren herzlichen Dank dafür bringen soll, denn diese Liebe und Theilnahme welche sich wieder darinnen ausspricht, ist uns Allen eine wahre Herzenserquickung und Erbauung gewesen und eine Stärkung in unseren großen Leidenszeit. Ach wir durchleben jetzt auch in Hinsicht unseres Häuslichen eine wahre Passionszeit und besonders zu der Zeit als das Mutterchen geschrieben welche ja ausführlich unsere gehabte große Sorge an jenem Schmerzensabend mitgetheilt hat, belastete noch inner unsre Herzen große Sorge und Kummer, denn das Liebste auf der Welt menschlichen Ansichten nach hoffnungslos zu wissen, ist ein Gedanke welcher Mark und Pein durchdringet und wo man das Bedürfniß einen lieben himmlischen Vater noch zu haben, dessen allein helfende Hand alles noch zum Besten wenden kann, erst recht schätzen und kennen lernt. Sie werden aus Mutterchens Brief ersehen haben daß wir damals eine angepriesene Medizin von einen Dresdner Artzt brauchten, wir haben ihn aber nur vier Tage davon gegeben, sie schien ihn zwar wohlzuthun doch kam es uns vor als ob er sich in einen beteubenden Zustand befände, es wurde uns daher das Befinden ängstlich und dachten auch daß doch in dieser großen Schwäche ihn ein Artzt selbst sehen müßte. Wir wendeten uns daher an den uns in neuester Zeit von allen Seiten angepriesenen Hofrath Oppolzer 442 in Leipzig dessen große Klugheit und besonders tiefer Blick bewundert und gerühmt wird. Mein guter Pappa holte ihn und nachdem er unser guten Kranken ein virtel Stündchen gesprochen und beobachtet hatte versicherte er mit Bestimmtheit daß es ursprüngliche Gehirnentzündung gewesen und nachherige theilweise Gehirnerweigung geworden wäre, woraus die vielen Leiden meines guten armen Mannes hervorgingen, er verschrieb ein Pulver, welches wir wiederholt in der Apotheke machen lassen sollten, verordnete gute Diät und so wenig als möglich zu sprechen weil er alle Sätze nur anfangen aber nie vollenden kann, empfahl uns und den lieben Kranken Geduld weil diese Art Gehirnleiden immer sehr langwierig wären, baute auf die Jugend des guten Patienten und meinte daß eine lange Krankheit deßhalb keine unheilbare wäre. Wir haben nun wieder neuen Muth und neue Hoffnung freilich fühlt er sich seid den Krämpfen sehr matt und schwach und hoffen und wünschen nur daß sie sich nicht noch einmal wiederholen. Vergangenen Sonnabend vor acht Tagen hatte

442  Johann (von) Oppolzer (1808-1871), Dr. med., österreichischer Arzt und Internist. 1848 nahm er einen Ruf an die Universität Leipzig an und übernahm gleichzeitig die Leitung des dortigen Jakobsspitals. 1850 übersiedelte er an die Universität Wien. 

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er zwar wieder einen änhichen Anfall doch nicht so heftig, sie scheinen ihn unaussprechlich anzugreifen er ist allemal danach ganz steif im Rücken und der Kopf auf die eine Seite gezogen, doch hat sich daß wieder durch die heftigen Schweiße welche sich seit vierzehn Tagen eingestellt haben verloren. Appetit scheint er zu haben er verlangt zwar nichts, doch was wir ihn reichen denn leider hat er zu wenig Kraft zum selbst essen, schmeckt ihn. Ach meine liebe Freundinn vielleicht hilft doch noch der liebe Gott und erhält uns noch länger unser glückliches Zusammensein, denn der Kopf bei unser guten Kranken scheint doch freier von Schmerzen zu sein als sonst, doch kann und darf er an allen was uns auch noch sehr erfreuen würde nicht Theil nehmen, deßhalb möchten wir fast bitten des lieben Freundes gütiges Anerbieten zu uns zu kommen lieber noch zu verschieben; da wir ihn auch bei unser jetzigen großen Noth und Unruhe so wenig genießen könnten, wir erkennen aber daraus Ihres lieben Mannes gütige und aufopfernde Gesinung und werden uns wenn es irgend wieder möglich ist einen solchen Liebesbeweiß erbitten, so thut uns auch leid daß wir die lieben Briefe Ihres Herrn Gemahl nicht einmal vorlesen können, weil ihn alles zu sehr angreift. Auch der lieben Prinzessin Therese und Gersdorfs Briefe wodurch uns vor vierzehn Tagen eine große Freude bereitet wurde, haben wir ihn noch nicht mit­ theilen können, die gute Prinzessin hat sehr dankbar und theilnehmend an meinen guten Mann geschrieben und habe ihr weil sie ausdrücklich darum bat, wie auch der guten Gersdorfen vor acht Tagen wieder geantwortet. Wir haben uns gefreut, daß Sie beide mit Ihren lieben Kindern sich so wohl befanden und bringe nachträglich dem guten theilnehmenden Pathchen meine besten Wünsche zu ihren lieben Geburtstag. Wir haben auch den 27ten den ersten Geburtstag unsers kleinen Joseph gefeiert. Sollten Sie einmal nach Altenburg an die verehrten Ihrigen schreiben so bitten wir uns Ihnen angelegentlichst zu empfehlen wie auch Ihrer guten Frau Superintendinn. Ich will nun schließen denn es ist schon spät mein guter Mann welcher die ganze Zeit herrlich geschlafen, hat mir auch Grüße ehe er einschlief und ich ihm sagte daß ich schreiben würde an Sie und Ihren guten Mann aufgetragen; auch unser Mutterchen Rosalchen und Augustchen lassen sich Ihnen Lieben herzlich empfehlen. Gute Nacht meine liebe Freundinn Gott sei bei Ihnen und erhöre Ihre frommen Gebete für uns. Ich fühle mich heut auch sehr schwach und angegriffen deßhalb bitte ich gütigst mit diesen Brief vorlieb zu nehmen. Jhre treue Freundinn Franziska Nietzsche

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Nr. 105. Franziska Nietzsche an Emma Schenk, 4. April 1849

Röcken den 4. April 49 Meine liebe Freundinn! Eben habe ich Ihren lieben gutherzigen Brief wieder gelesen und bringe Ihnen dafür meinen wärmsten Dank. Sie haben darin wieder so oft meines guten Ludwigs gedacht, daß es auch in meinem Brief mit das Erste sein soll Ihnen meine liebe Freundinn von seinen jetzigen Befinden etwas zu erzählen. Nun ich kann nicht anders als mit Dank gegen den lieben Gott schreiben, daß wir wieder mit neuen Muth und Hoffnung in die Zukunft sehen, sein Befinden ist zwar noch nicht gut zu nennen, doch geht es im Ganzen leidlich, denn der Kopfschmerz ist seltener und nie so heftig als früher das Erbrechen hat sich ganz verloren, welches doch auch ein Zeigen ist daß das Gehirn nicht mehr so angegriffen ist als früher. Freilich macht uns seine große Körperschwäche welches zwar der Arzt nur als Nebensache ansieht, vorzüglich aber seine Geistesschwäche, daß gar nicht Sehen und die Hitzblattern wovon Gaumen und Zunge ergriffen inner noch große Sorge. Doch wir hoffen wenn einmal die Krankheit richtig erkannt das alle Uebel noch beseitiget und seine sonstigen Körper und Geisteskräfte wiederkehren werden, wozu gewiß auch das schöne Frühjahrswetter beitragen wird wovon wir ihn durch Fenster öffnen so viel als möglich geniesen lassen. Vor etwa drei Wochen war auch wieder einmal Hofrath Oppolzer bei uns und meinte daß er unsern guten Kranken besser fände als bei seinem letzten Besuch und vergangenen Sonnabend war ich auch wieder bei ihm in Leipzig er spricht sehr wenig und entließ mich mit den Worten, nur nicht verzagen er scheint wenig Arznei aber viel gute Verhaltungsregeln zu geben. Freilich mögen wohl auch gerade die jetzigen Tage und das oftmalige Läuten unsers armen Kranken Seele schmerzlich berühren, denn Sie wissen ja mit welchen Eifer und Freudigkeit er immer sein Amt verwaltet hat, möchte wohl auch öfters darnach fragen wir ersehen es nur aus den Worten „was für Verse“ Pastor Hochheim dancken und so mehreres. Aber dieses Dancken und nicht richtig ausdrücken scheint ihn sehr peinlich und angreifend zu sein; er schüttelt auch allemal verdrießlich wenn er nicht so gesprochen wie er gedacht. Nun bei Gott ist nichts unmöglich und deßhalb empfehlen wir unsern guten Leidenden inner wieder seinen Schutz und seiner gnädigen Hülfe. Auch die Kinder sind jetzt unpäßlich gewesen besonders aber vor drei Wochen unser kleiner Joseph , welcher den Tag über etwas weinerlich war und trockne Hitze hatte, den Abend aber die fürchterlichsten Krämpfe bekam, wo Klystiere und alles nichts helfen wollte, es dauerte wohl sechs Stunden ich dachte inner an die armen Archd Wölblings in Weißenfels welche auch ein kräftiges gesundes Kind so verloren haben. Wir schickten nun in unsrer Angst nach meinem guten Pappa dieser gab ihn noch ein Milchclystier, wusch den Kleinen in den fürchterlichsten Zuckungen und den heftigsten Schweiße kalt ab, wickelte ihn nackend in eine wollene Decke

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und weg waren die Krämpfe und sind auch bis jetzt Gott sei Lob und Danck noch nicht wiedergekehrt; unsre Angst und Sorge um sein kleines liebes Leben können Sie sich wohl dencken. Fritz und Lieschen sind jetzt viel auf den Hofe; wo sie auf den daliegenden Holze herumklettern und sich wiegen Ihren lieben Kindern wird das schöne Wetter gewiß auch recht lieb und wohlthätig sein, grüßen Sie sie […] Wie geht es denn mit den Befinden Ihrer doch sonst ganz kräftig und blühenden Fräulein Schwester 443? Was macht denn die gute Frau Superindent und Frau Pstr Wolf 444, welche ich noch als Florchen Sturm bei Ihnen habe kennen lernen mit ihren Drillingchen, es klang uns fabelhaft als wir es zuerst hörten, ich theilte es auch Ludwig mit er schien sich darüber zu freuen, wie auch beim Empfang Ihres letzten lieben Briefes an mich sagte er ganz freundlich, daß ist gut „es ist nur Schade“ nicht wahr daß Du ihn nicht lesen kannst fuhr ich fort „jawohl“ sagte er. Wollte doch der liebe Gott daß ich Ihnen das Nächstemal noch Bessres mittheilen könnte; er erhalte Sie und besonders auch Ihren lieben Mann in der arbeitsvollen Osterzeit sowie Ihre lieben Kinder alle gesund und schenke Ihnen recht frohe Festtage, diesen Wunsch schließen sich auch unter den herzlichsten Empfehlungen unser Mutterchen und Schwägerinnen von ganzer Seele an. In treuster Liebe Ihre Franziska Nietzsche Meine Frau Schwiegermutter trägt mir noch auf wenn Sie Frlein Fischer sehen sollten herzlich von ihr zu grüßen und daß sie sich freute daß sie sich wieder wohl befände.

Nr. 106. Emma Schenk an Franziska Nietzsche, 31. Juli 1849

Zeitz den 31. Juli 1949 Meine liebe, liebe Freundin, Wie ist mein ganzes Herz auf‘s Tiefste bewegt und erschüttert worden durch die Trauerkunde, die wir so eben empfangen haben! So hat es Gott doch anders gewollt und gefügt, als wir im Stillen hofften, und der Theure, der auf Erden Ihr Glück, Ihr Alles war, ist Ihnen genommen. Ach, wie schwer, wie unbeschreiblich schwer

443  Franziska denkt wohl an Wilhelmine (Minna) Louise Emili (Anm. 29).  444  Carl Moritz Wolff (1808-1882), ev. Pfarrer, 1845-1880 in Langenaue. Wolff heiratete am 18.11 1845 Florentine Adelgunde Moses geb. Sturm (†1865). Die am 7. Februar 1849 geborenen Drillinge waren: Ernst Moritz, Anna und Laura. Sie hatten noch eine um zwei Jahre ältere Schwester, nämlich Henriette Florentine (*9.4 1847). 

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ANHANG

hat er Sie geprüft, als er das reiche Leben voll Friede und Freude, das Sie an seiner Seite geführt, so plötzlich trübte durch so großes Leiden, das Sie täglich sahen und nicht lindern konnten. Aber Sie hatten den geliebten Mann doch noch, all Ihr Denken und Thun war noch gerichtet, ihm Freude zu machen und Sie konnten für alle Angst und Sorge doch noch Trost finden durch ein freundliches Wort von ihm oder durch eine schmerzfreie Stunde, die Ihnen für des Geliebten Rettung wieder Hoffnung und Muth gab. Und nun ist er ganz geschieden! Ach, es weiß es keiner, wie schwer der Tod ist, der nicht am Sterbebette eines theuren Menschen schon gestanden hat! Ich aber, ich fühle es ganz mit Ihnen, wie öde und freudearm Ihr Leben nun vor Ihnen liegen muß und wie Sie vergeblich im Kreiß der Ihnen Geblieben der treuen, vortrefflichen Schwiegermutter, der lieben aufopfernden Schwestern, der guten, theilnehmenden alle in Pobles und Röcken, ja selbst beim Anblick Ihrer herzigen Kinder nicht, das suchen und finden, was Sie verloren haben. Für uns Alle ist der Verlust ein unersetzlicher, auch wir finden keinen Freund wieder, der mit solcher Liebe und Theilnahme uns durch Alles begleitet, was das Leben bieten kann und bei dem wir so mit vollem Vertrauen Alles niederlegen konnten, was uns berührt, bekümmert oder erfreut, aber Sie und die schon so oft geprüfte Mutter haben doch das Meiste an ihm verloren. O, Gott wolle Sie trösten, wie nur er es recht kann und durch das Bewußtsein, daß der Selige für allen Kummer und alles Leiden der Erde nun den ewigen Frieden eingetauscht hat und für alle Liebe die er den Seinen hier gespendet, da oben den Lohn findet im Anschaun des Vaters, dem er hier so treu gedient, dessen Ehre er hier so unausgesetzt gesucht und verkündigt hat. Gewiß, kein anderer, kein irdischer Trost wird Ihnen jetzt genügen, Sie werden blos dann den Frieden wiederfinden, wenn Sie wie bisher mit rechter gläubiger Ergebung und Fassung das Kreuz auf sich nehmen, das Ihnen Gottes Hand geschickt hat und ich will darum recht bei Ihnen sein mit meinem Andenken und meinem Gebete, daß er es Ihnen Allen an seinem Segen zum innern Frieden nicht wollte fehlen lassen. Allen den Theuren, die mit mir trauern sende ich die innigsten Grüße; die lieben süßen Kinder, die wohl in ihrer Unschuld nichts ahnen und verstehen seien auf‘s Herzlichste geküßt. Mögen Sie wachsen und gedeihen zu Ihrer Freude! Ich brauche nicht zu bitten, daß Sie unser gedenken wollen als Ihrer wahrsten, wärmsten Freunde, mein Mann wird es selbst Ihnen sagen können, und Sie wissen`s ja auch wie ich immer und ewig sein werde Ihre treue, Sie innig liebende Freundin Emma Schenk

ANHANG

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Nr. 107. Franziska Nietzsche an Emma Schenk, 16. November 1849

Röcken, den 16/11 1849

Was müssen Sie nur gedacht haben, meine liebe Freundinn, daß ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe, aber seid vierzehn Tagen, wo es mein ernstlicher Wille gewesen, ist meine Zeit durch mancherlei im Häuslichen, nahen und fernen Besuch und Besuche machen, eine Reiße nach Leipzig, so inn Anspruch genomnen worden, daß ich es von Tag zu Tag verschieben mußte und wie es mit dem Verschieben geht, man will dann gern das Versäumte recht vollständig nachholen und darüber wird es gar nichts. Ich nehme Sie daher im Geiste an mein Herz und bringe Ihnen nachträglich, meinen innigsten Dank für Ihren lieben herzlichen Brief, mit so wohlmeinender Rede, daß ich mich ganz stolz und glücklich fühle, im Besitz einer so lieben Freundinn und eines so lieben Briefes zu sein. Da erhalten Sie Lieben uns ferner Ihre werthe Freundschaft und Theilnahme, worinnen wir uns alle so glücklich fühlen und worüber sich gewiß auch unser guter selger Ludwig noch im Himmel freuen wird; denn auch das Mutterchen und Schwestern, danken, mit mir Ihren guten lieben Mann recht herzlich, daß er uns auch mit einigen Zeilen erfreut und Sie uns, beiderseits Ihre so warme Theilnahme geschenkt haben, an meines guten selgen Mannes Geburtstag, ja ich will es nur ganz offen schreiben, das unser Mutterchen und ich recht sehnsüchtig, nach Ihnen Lieben ausgesehen haben und dachten den ganzen Tag es müßte unser lieber Zeitzer Freund eintreten, denn man sehnte sich gar zu sehr noch recht viel von des guten Selgen fromnen Denken und Handeln zu hören und zu erzählen. Wir haben den Tag nur in schmerzlicher wehmüthiger Rückerrinerung verlebt, haben sein liebes Grab mit schönen Blumen geschmückt und heiße Thränen der Liebe und Sehnsucht geweint, aber uns war es auch, als müßte sein lieber Geist an den Tage besonders nahe sein, denn es war doch eine feierliche Stille in der Natur. Ach an solchen Tagen, vermißt man seine liebe freundliche Erscheinnung doppelt schmerzlich. So war es auch an Fritzchens Geburtstag, wo ich Ihnen für Ihre guten Wünsche recht dankbar bin. Ja Gott sei es gedankt, daß er meine lieben Kinder bis hierher erhalten und hoffe, daß des guten Vaters Segen auch ferner auf ihnen ruhen wird; wir sehen sie, besonders jetzt wo sie uns durch ihre leibliche und geistige Entwikelung große Freude machen und uns durch ihre unschuldige Heiterkeit, in dieser, für uns so bedrängten Zeit manche Aufheiterung verschaffen, als eine wahre Gottes Gabe an, wie sie auch inner das gute Mutterchen nennt.

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ANHANG

Elieschen war zwar in voriger Woche gar nicht wohl, sie bekam ein arges Friesel445 mit etwas Fieber, daß wir fürchteten es könnte Scharlach werden, doch durch einige homeopatische Gaben ist sie Gott Lob wieder genesen und muß wegen des Schälens der Haut nur noch im Zimmer bleiben, was freilich schwer ist. Fritzchen geht seit seinen Geburtstag, täglich auf eine Stunde in die öffentliche Schuhle446, daß er vor Naumburg sich nach und nach, an eine tägliche bestimmte Beschäftigung gewöhnt, es gefällt ihm auch sehr wohl und er meinte er hätte es sich doch so schwer gedacht und wäre doch so leicht, und versicherte als er zum Erstenmal, mit einer großen Zuckerdüte von der guten Großmama zu Hause kam, daß er so eine Freude wirklich noch nicht erlebt hätte. Auch Josephchen macht uns durch sein menschenfreundliches Wesen und tägliches Fortschreiten im Spechen sehr glücklich. Nun der liebe Gott segne auch Sie durch das fernere Gedeihen Ihrer kräftigen und gutmüthigen Kinder; mit meinen Gedanken und guten Wünschen, bin ich oft bei Ihnen und habe mich besonders gefreut, daß Sie sich, mein gutes Schenkchen, wieder so wohl fühlen und daß dem guten Elisabethchen Ihre Nahrung so gut bekönnt; ach ich möchte das gute kleine Herze nur wieder einmal sehen und herzen und drücken, überhaupt hat meine Sehnsucht sich nach Ihnen, seid meinen letzten Besuch täglich gesteigert und rechnen noch mit Bestinntheit an jedem schönen Herbsttag auf unsrer lieben Zeitzer Freunde Besuch; ach machen Sie es doch einmal möglich! In vergangener Woche, kamen auch endlich unsere längst erwarteten Eilenburger Verwandten, so wie auch auf einige Tage der Vormund der Kinder, Bernhard Dächsel447, um mehreres zu ordnen, mit welchen sein Bruder 448, der Pastor von Hirschfeld zusannentraf, welcher auch mit uns seinen liebsten besten Freund betrauert. – Aber ein freudiges Famielienerreigniß muß ich Ihnen auch mittheilen nehmlich: meine Schwester Sidonchen449 ist glückliche Braut mit einen unsrer früheren Hauslehrer und jetztigen Pastor Knieling, in Reinsdorf bei Nebra. Ihr guter Mann, wird sich wohl meiner ältern Schwester und ihres Bräutigams, welcher früher in Proven Hülfsprediger gewesen, errinnern. Er ist erst seid Juli im Amt, wo er auch gleich um meine gute Schwester hat anhalten wollen, hat es aber des traurigen Famielienerreignißes halber, bis jetzt verschoben. Wir sind darüber alle voll inniger Freude und preisen Gottes Gnade, wodurch den guten Aeltern wieder ersetzt wird, was er ihnen genommen. – Ich war am Montag in Leipzig mit meiner Schwester, um zur Ausstattung zu kaufen, und ging auch mit zum Hofrath Oppolzer, um mich nochmals zu erkundigen, was ich schuldig wäre, er war sehr gütig und theilnehmend, sagte wenn

445  Ein

mit Fieber verbundener Hautausschlag.  446  Friedrich besuchte seit dem 15. Oktober 1849 die Schule in Röcken.  447  Vgl. Anm. 128.  448  Karl August Dächsel (Anm. 128).  449 Sidonie Philippine Emilie Rosamunde Oehler (1819-1905), die drittälteste Schwester Franziskas, vermählte sich am 1. Juni 1850 mit Carl Friedrich Knieling (1807-1860), ev. Pfarrer, vor 1847 Hauslehrer in Pobles, 1847-1848 Substitut in Profen, 1848 Hilfsprediger in Steigra, 1849-1857 Pfarrer in Reinsdorf b. Naumburg, 1857-1860 in Maßnitz. 

ANHANG

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ich wieder herein käme möchte ich ihn hübsch wieder besuchen und hat mir alle Schuld erlassen, was mich wirklich sehr ergriffen hat. Augustchen ich und Fritzchen waren auch einmal in Naumburg, um unser zukünftiges Logis anzusehen, es ist freilich für uns beide Familien sehr dürftig Platz450. Doch ich muß schließen! Leben Sie wohl meine theure liebe Freundinn. Das Mutterchen mit ihren Töchtern trägt mir auf die herzlichsten Empfehlungen an Sie und Ihren guten Mann unsern theuren lieben Freund zu bringen, wie ich auch herzlich grüße und zu grüßen bitte von Ihrer in herzlicher Liebe ergebene Freundinn Franziska verw. Nietzsche

Nr. 108. Franziska Nietzsche an Emma Schenk, 21. Januar 1850

Röcken den 21. Januar 1850

Nachdem meine Seele etwas ruhiger geworden451, drängt es mich Ihnen meine treue liebe Freundinn, die ersten Zeilen nach einen so schmerzlichen Verlust zu schreiben; denn Ihr lieber herrlicher Trostbrief, worinnen ich zugleich erkenne, daß Sie die ganze Tiefe meines großen Schmerzes mitfühlen, wie auch die herzlichen Zeilen unsers guten Schenck, verpflichten mich zur innigsten Dankbarkeit. Am liebsten hätte ich Ihnen meinen Damk selbst ausgesprochen, denn eben wie ich schreibe, fühle ich daß ich doch noch sehr angegriffen bin und ob ich gleich eine wahre Sehnsucht habe, was ich in dieser schweren Zeit empfunden und gelitten, Ihren guten mitfühlenden Herzen mitzutheilen, will ich diesmal doch lieber schweigen, weil meine Seele noch zu sehr bewegt ist, von dem tiefen Schmerze, welches ein Mutterherz bei der Hingabe eines so inniggeliebten, frischen, blühenden Kindes empfindet. Ja meine liebe treue Freundinn mir ist immer als müßte ich fortweinen und mich nicht darüber trösten lassen und doch wenn ich an die himmlische Seligkeit denke, welche mein guter lieber Ludwig bei der Wiedervereinigung mit seinen lieben herzigen Josephchen empfunden, möchte ich gern meinen Thränen wehren und kann in dieser Hinsicht mein liebes Kind nur glücklich preisen, daß es so bald so bald wieder zu seinen guten lieben selgen und himmlischen Vater gekommen ist und es ergreift mich oft eine unbeschreibliche Sehnsucht, nach meinen lieben Seligen; doch ich fühle daß mich wieder die Thränen überwältigen und will darum

450 

In der Naumburger Neugasse bezog die Familie, Grossmutter, ihre Töchter Rosalie und Auguste, zudem Franziska und die beiden Kinder (Josef starb am 9. Januar 1850) im April 1850 eine kleine, enge Unterkunft.  451  Siehe Anm. 453. 

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ANHANG

stille sein, weil ich meiner guten sorgsamen Frau Schwiegermutter habe versprechen müssen, alles aufs mündliche zu versparen, da wir aus dem am Freitag Abend von Ihrer lieben Hand erhaltenen Briefchen, von Taucha aus ersehen haben, daß unserer lieben lieben Zeitzer warme Freundesherzen, Schnee und Kälte nicht gescheut, zu uns bedrängten Seelen zu eilen; welche innige Freude Sie uns Allen durch diesen Besuch herzlicher Theilnahme bereitet, vermag ich wohl kaum zu schildern, wie auch den Jubel mit welchen jedes einzelne Stükchen aus dem bewußten Schatzkästchen von Ihrer großen Güte, von meinen beiden guten Kindern begrüßt wurde. Ihr kleines Pathchen war ganz glücklich und zum zu Bett gehen, kaum davon hinwegzubringen, sie erkundigte sich inner wieder wie nur die gute Frau Pathe hieß und meinte daß zerbräche doch auch nicht gleich, wenn da nur mein Josephchen mit spielen könnte. Die kleinen Möbel sind aber auch allerliebst, auch wir großen Leute, haben viel Freude daran und habe sie mir schon öfter aufgestellt, wie sie in Ihrer gemütlichen Unternstube stehen und mir oft vergegenwärtigt, wie es mir da so wohl in Ihrer traulichen Mitte war. Gewünscht hätte ich aber auch, daß Sie Guten selbst das vor Freude glühende Gesicht gesehen hätten, mit welchem mein guter Fritz den herrlichen Schreibkasten empfing, und mit welchen freudestrahlenden Augen er die nette Schreibmaterialien, besonders aber auch die wohltöhnende Harmonica, welches ihm etwas ganz Neues war, herausnahm. Ja empfangen Sie liebe Schenkin, unsern gemeinschaftlichen innigen Dank, für die große Freude welche Sie dadurch den Kindern bereitet haben, aber auch für den lieben Besuch welchen Sie uns zugedacht hatten. Wir hoffen nun wieder mit größrer Bestinnheit, daß Sie es doch vielleicht noch möglich machen, uns noch einmal in unsern lieben lieben Röcken zu besuchen; Hoffendlich wird doch die Kälte nicht so fortdauern, daß Sie Lieben auch jemand Ihrer lieben Kinder mitbringen könnten, worauf sich die Meinigen schon jetzt freuen. An unsern Weggang von hier kann ich nicht ohne Thränen dencken, weil mir der Ort durch das neue Kleinod welches ich hier lassen muß, immer lieber geworden ist, besonders aber die Grabstätte, da mein gutes Kind, dicht neben seinen guten Vater liegt. – Auch unser Lieschen, hat uns in letzter Zeit viel, viel Sorge gemacht, sie wurde den Tag nach unsers guten Josephchens Beerdigung sehr bedenklich krank, an Ohrenreißen mit dem heftigsten Fieber, wo man selbst dem Dr. ansah, daß er Sorge hatte, weil er behauptet, daß auch dieses die Ursache Josephchens Tod gewesen sei, doch gab es sich nach viertägigen Krankenlager wieder, sie sieht zwar noch etwas angegriffen aus, doch ist sie wieder heiter und froh, wir aber preisen Gottes Güte, daß er uns das theure Leben unsrer lieben Kleinen erhalten hat. Möge er auch Sie, mit Ihren guten Mann und lieben Kindern, in seinen gnädigen Schutz nehmen und vor allen ähnlichen Leiden behüten und bewahren. So leben Sie wohl, meine liebe treue Frendinn! Indem wir uns Alle, Ihrer beiderseitigen ferneren Liebe und Theilnahme empfehlen, bitte ich nur noch in Ihr frommes Gebeth mit einzuschließen Ihre tiefgebeugte Freundinn Franziska verwittw. Nietzsche

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Nr. 109. Emma Schenk an Franziska Nietzsche, 21. Maerz 1861

Zeitz den 21. März 1861

Ich kann, meine liebe Freundin, beifolgenden Gruß an Ihr Herzenskind nicht absenden, ohne Ihnen noch einen besondren Glückwunsch zu sagen, der recht Vergangenheit und Zukunft in sich schließt. Wie ich mit Ihnen den Herrn preise, daß er Sie diesen Tag erleben läßt, wo Sie beide Kinder, im Glauben fest gewurzelt und gegründet, als lebendige und erwachsene Glieder Seiner Kirche vor sich sehen und wo Sie auf all den Kummer Ihres Ehestands und Schmerzensjahre und auf alle Freude, die Sie an den so lieblich und reich ausgestatteten Kindern gehabt, nur mit Dank zurückschauen, so daß aus der Erinnerung an dies ganze-reiche Leben nichts bleibt als das Bewußtsein Seiner Gnadenführung – so bin ich auch in der Fürbitte mit Ihnen eines, daß Gott die geliebten Kinder weiter segnen, ihr Herz bewahren, ihren Glauben stärken wolle, auf daß sie leben zu Ihrer Aller Freude und Seiner Ehre! Wie voll mag Ihr Herz sein! Wir theilen Alles mit Ihnen und bleiben Ihnen nahe für die ganze schöne Festzeit. Für alle Freundlichkeit mit meinem Jungen452 muß ich Ihnen danken. Ist es mir doch ein wahrer Trost, daß Ihr freundliches Auge zuweilen auf ihm ruhet, während ich nur sorgend seiner gedenken kann. Ach, wollte Gott ihn stärken in allem Guten und einen tüchtigen, braven und frommen Menschen aus ihm machen! Wie oft will mir um ihn so bange werden! Meine Kinder grüßen herzlich, Sie, liebes Fränzchen und Ihre Kinder. Ich drücke aber ganz besonders auch Tante Rosalie die Hand, dankend für alle Liebe, die auch sie Ihnen und den Kleinen, wie den großen Kindern erwiesen hat. Möchte es ihr wohl gehn und es ihr noch lange beschieden sein, sich mit Ihnen zu erfreuen. Und wie tröstlich ist die Gewißheit, daß die Heimgegangnen mit beten vor Gottes Thron. So wird des Vater`s Segen den Kindern Häuser bauen! Wann werden wir Sie hier sehen, meine Liebe, auf dem Wege zu den Geschwistern? Mit dem bessren Wetter hoffen wir darauf. Heut früh wurde Ihr armer Vetter Hahn begraben. Seiner Mutter wird wohl sein, daß er ausgelitten hat! Meine lieben Kindlein453 schlummern schon 8 Wochen und mein Auge sucht sie mit Schmerzen. Gott behüte und segne Sie, meine Liebe! Bleiben Sie ferner treu Ihrer alten Freundin Emma Schenk

452 

Friedrich August Theodor Schenk (Anm. 270) war von Okt. 1860 bis September 1867 Schüler in Schulpforte, wo auch Friedrich Nietzsche von 1858-1864 seine Gymnasialzeit verbrachte. Dabei hatten sich Friedrich und seine Mutter Franziska Theodors angenommen.  453  Gertrud und Wilhelmine Hedwig waren als Zwillinge am 17. Juli 1860 zur Welt gekommen und anfangs 1861 verstorben.

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Nr. 110. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 1. Februar 1865

Dodendorf 454 den 1. Feb. 1865 Meine theure Freundin, Sie wissen es auch ohne neue Versicherung, daß ich Ihrer stets in alter Liebe eingedenk bleibe und Sie mit Ihren lieben Kindern fürbittend auf dem Herzen trage. Aber es ist meinem Herzen ein Bedürfniß, es Ihnen zum morgenden Tage455 noch besonders auszusprechen, daß ich Ihnen für das neue Lebensjahr mit den innigsten Wünschen nahe bin. Ich bitte Gott, daß Er Sie den Festtag gesund und froh erleben läßt und daß jeder Blick auf die lieblich erblühte Tochter „die zur Seite erzogen wird“ und jede Nachricht „die vom Sohn in der Ferne kommt“, Ihr Herz mit neuer Freude und neuem Danke erfüllen könne. Hat Er Ihnen nach Seinem verborgenen Rath ebenso wie mir früh viel genommen, so hat Er Ihnen auch viel erhalten. Im Geben wie im Nehmen – hat Er doch nur Friedensgedanken. Möge es Ihm aber gefallen, Ihnen das Glück über Ihre Kinder ungetrübt zu erhalten. Jeder guten Nachricht werde auch ich mich stets von Herzen freuen. Leider konnten mir meine Pförtner zu Weihnachten wenig näheres sagen. Ueber Ihren Fritz hörte ich aber doch, daß er wohl sei und daß es ihm in Bonn456 gut gefalle. Nun wird er doch wohl bald in die nähere Heimath zurückkehren. Des unvergeßlichen Vaters frommer Geist und kindlicher Glaube möge auf ihm ruhen. Bringen Sie ihm von mir freundliche Grüße und sagen Sie ihm, daß ich mit Ihnen auch innerlich immer mehr des seligen Vaters Abbild in ihm zu finden hoffe. Ihr Lischen aber soll immer den Schmuck gewinnen, den der Apostel Paulus so lieblich bezeichnet und so recht Ihres Herzens Lust sein. Hoffentlich ist es auch im Kreise Ihrer übrigen Verwandten recht gut gegangen, Fräulein Nietzsche empfehle ich mich besonders mit den freundlichen Grüßen. Aus meinem Hause und Leben wird Ihnen wohl Theodor, der Sie besuchen wollte, das Nöthige mitgetheilt haben. Aeusserlich geht es ja gut und ich habe auch beim Hinblick auf die Kinderschaar, die mir geblieben ist, viel zu danken. Maria457 ist als Weib und Mutter glücklich und will mich in den nächsten Wochen mit ihrer kleinen Emma besuchen. – Mit Annas Befinden ist es recht gut gegangen und Ihre Gesundheit hat der Herr immer mehr befestigt; Ihm sei Dank. Sie ist jetzt auf einige Wochen in Berlin, um die verehrte Urgroßmutter noch einmal zu sehen und sich

454  Emil

Julius Schenk hatte am 25. Mai 1862 das Pfarramt der Gemeinde Dodendorf (südlich von Magdeburg) übernommen. Da war am 24. November 1863 seine Frau Emma verstorben.  455 Jeweils anlässlich Franziskas Geburtstag am 2. Februar (Anm. 180) hielt Schenk mit ihr nach dem Tod seiner Frau jeweils über viele Jahre brieflichen Kontakt.  456  Friedrich Nietzsche hatte im Oktober 1864 das Theologiestudium an der Universität Bonn aufgenommen.  457  Vgl. dazu Anm. 126.

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in den großen Kreis nächster Verwandten etwas einzuleben. Dabei freut Sie sich all des Schönen und Guten, dessen Berlin so viel bietet, und schreibt darüber sehr glücklich. Das niedrige väterliche Dach geht ihr aber doch über alles. Die kleinen Kinder wachsen heran und auch Käthe458 entwickelt sich gut, wenn sie auch eine Neigung zu Augenentzündungen behält. Mit Lisens459 Augen und Kopf geht es in Folge gänzlicher Schonung hier besser, so daß sie doch vielleicht Ostern nach Gröbitz zurückkehren kann. Nach dem Wunsche der Unvergeßlichen werde ich sie zusammen mit Gretchen460 confirmiren, und letztre wird deshalb im März herkommen, um noch eine Zeitlang meinen Confirmanden-Unterricht zu genießen. Ich hoffe, daß beide immer mehr der seligen Mutter ähnlich werden sollen, und weiß, daß ihr Gebet sie in dieser Zeit noch mehr als sonst begleitet. Mich stärkt und tröstet der Herr immer wieder. Aber das Leben hat für mich keinen Reiz mehr und ich suche nur treu das Meinige im Amt und Hause zu thun. Ich lebe in der Vergangenheit, die in immer lebendigern Bildern vor die Seele tritt. Sie kennen ja das Alles. Haben wir Gutes empfangen, sollten wir nicht auch das Böse still hinnehmen? Durchs Kreuz zur Krone! Das bleibe unsre Loosung. In Hoffnung rühmen wir uns auch der Trübsal. Sehen Sie Frau P. […] so sagen Sie ihr mit einem freundlichen Gruß, daß ich ihrer stets theilnehmend gedächte und des Herrn Schutz für sie und ihre Kinder erflehe. Der Herr führt die arme Schwester auch durch viel Trübsal. Frau Jüterbogk, wenn sie Ihnen bekannt ist, und Frl. Richter grüße ich auch, ebenso Frau v. Treuenfeld. Bewahren Sie mir ferner Ihre Theilnahme, wie ich immer in Liebe verbunden bleibe Ihr aufrichtiger Freund Schenk.

458 

Julie Catharina (*1861), das jüngste von Schenks 14 Kindern, heiratete am 24. Mai 1888 Julius August Oscar Heinrichs (1861-1936), 1887-1889 Hilfsprediger in Dodendorf. Von 1890-1901 wirkte das Ehepaar in Wallstawe, 1901-1933 in Wolmirstedt, wo Heinrichs auch die Superintendentur innehatte.  459  Emma Therese (‚Lisa‘) war 1855 zur Welt gekommen und hatte 1897 in zweiter Ehe Hermann Alexander Ehrenberg, Regierungsbaurat in Kiel geheiratet.  460  Emma Magdalena (‚Gretchen‘) war 1853 geboren und zusammen mit ihrem Bruder Gustav Johann Georg 1868 konfirmiert worden. 

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Nr. 111. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 18. Februar 1869

Dodendorf, b. Langenweddingen den 18. Febr 69 Meine theure Freundin. Sie haben wohl gewußt, welche große Freude Sie mir bei meiner innigen Theilnahme an ihnen Allen und besonders an meinem lieben Pathen durch die gute Nachricht von seiner Berufung als Professor 461 nach Basel machen würden. Wie danke ich es Ihnen, daß Sie bei Ihrem so bewegten und erfüllten Mutterherzen auch meiner gleich gedacht und trotz der auch äußerlich drängenden Arbeit mir sofort geschrieben haben. Die Ueberraschung ist Ihnen auch vollständig gelungen. Zugleich mit Ihrem lieben Brief wurde mir gestern einer von meinem Theodor gebracht; aber ich griff zuerst nach dem der theuren Freundin, von der ich so lange nichts gehört hatte und nun gleich gute Kunde hoffte. Da erquickte mich dann recht an Ihrem reichen Mutterglück und an der köstlichen Frucht ihrer treuen, aufopfernden Muttersorge. Ganz fühle ich mit Ihnen und danke Gott, der so herrlich alles hinausgeführt hat. So Ausgezeichnetes ich auch immer über Ihren trefflichen Sohn gehört hatte und so sehr ich danach darauf vorbereitet war, ihn in nicht ferner Zeit in einer Universität zu sehen, so konnte ich doch nicht erwarten, daß er so früh das Ziel erreichen würde, zumal ich durch meinen Theodor wußte, daß er durch das leidige Militairjahr 462 gestört erst diesen Winter promoviren würde. So wünsche ich ihm zu der gewonnenen Auszeichnung von ganzem Herzen Glück und bitte Sie, mein Dolmetscher zu sein mit der Versicherung, daß ich ihn in das neue Amt und stets mit meinen Segenswünschen begleite. Aus vielfachen Erfahrungen weiß ich, daß einem derartigen Ruf an eine Schweizer Universität bald ein andrer zurück ins Vaterland463 folgt. Ritschel464, auch ein Schüler Spitzners465 in Wittenberg wie ich, hat ihn für seinen besten Schüler erklärt und der Altmeister der Philologie wird ihn schnell genug für eine ordentliche Professur gewinnen. Wer weiß, wie bald Sie ihn an seiner Seite und als seinen Nachfolger in Leipzig sehen werden.

461 

Friedrich Nietzsche wurde im Februar 1869 als Professor der klassischen Philologie an die Universität Basel berufen.  462  Seit Februar 1868 leistete Nietzsche Militärdienst und erlitt wenig später einen Reitunfall, der zu einem Muskelriss im Brustkorbbereich führte. Im Oktober 1868 wurde Nietzsche aus dem Militärdienst entlassen.  463  Tatsächlich erhielt Nietzsche schon im Januar 1872 einen Ruf an die Universität Greifswald, den er jedoch ablehnte.  464  Friedrich Wilhelm Ritschl (1806-1876), einer der berühmtesten Altphilologen seiner Zeit, war Friedrich Nietzsches wichtigster Universitätslehrer. Es war Ritschl gewesen, der Nietzsche „im Netz der Dame Philologie“ festgehalten und später seinem Musterstudenten auf den Lehrstuhl für klassische Philologie an der Universität Basel verholfen hatte.  465  Franz Spitzner (1787-1841) war ein deutscher Altphilologe und Pädagoge.

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Zunächst aber weiß ich ihn gern in dem schönen Basel, das ich bei meiner großen Schweizerreise im August vor J. mit meinem Theodor habe kennen lernen. Da haben wir auch die Universität besehen, ohne zu ahnen, daß sie bald eine besondere Bedeutung für Sie und uns gewinnen werde. Mit Recht hat Ihr liebes Lieschen gleich Reisepläne466 dahin für den kommenden Sommer gemacht. Das ist ein köstliches Stück Erde und in Ihrer Seele freue ich mich auf den reichen Genuß, den Ihnen die Hinreise und dann ein längerer Aufenthalt in Basel selbst mit Ausflügen nach den schönsten Theilen der Schweiz gewähren wird. Wir haben die ganze Schweiz bis Savoyen und Genf durchwandert und zehren von der Erinnerung. Je wohler mir diese Reise für Leib und Seele gethan hat, desto eher wird es mich wieder nach den Bergen, Thälern und Seen ziehen, wenn der Herr mir das Leben fristet, zumal ich fühle, daß ich öfter solche Erfrischung brauche. Vielleicht sehen wir uns eher in Basel als Naumburg. Theodor schrieb gleichzeitig auch von der Berufung, die er aber nur als ein on dit kannte, da er Ihren Fritz seit längerer Zeit nicht gesehen hatte. Möge er ihm nachzueifern suchen, wenn er auch solche Auszeichnung nie erlangen wird. Die Gaben theilt der Herr verschieden aus; ich lasse mir gern genügen und freue mich, wenn er mit den seinigen ferner treu Haus hält und einst seinen bescheidenen Wirkungskreis ausfüllt. Sehr wünsche ich, daß er auch als Theologe fortfährt, sich mit der Philologie zu beschäftigen. Gott stärke nur seine Gesundheit, die doch nicht die festeste ist. Ostern wird er nach Halle467 übersiedeln. Sie erkundigen sich theilnehmend nach meinem und meiner Kinder Ergehen. Gott sei Dank, ich kann Ihnen im Ganzen nur Gutes berichten. Hat es auch an Anfechtungen nicht gefehlt, so sind wir doch alle leidlich wohl gewesen und vor besondrer Trübsal bewahrt geblieben. Marie lebt als Frau und Mutter von 3 Töchtern, die letzte ist ½ Jahr alt, glücklich. Da sie auch 2 Stiefkinder und eine sehr alte und schwache Schwiegermutter hat, außerdem Landwirthschaft, so liegt freilich viel auf ihr; sie ist aber immer zufrieden und gutes Muths. Jetzt eröffnet sich ihnen Aussicht auf Versetzung, da ein andrer Patron in der Altmark ihn gewinnen will. Anna ist wohl gewesen und wird morgen oder übermorgen nach einer 6 wöchentlichen Abwesenheit in Altenburg, Zeitz und Gröbitz zu uns, die wir uns sehr nach ihr sehnen, zurückkehren. Lieschen und Grethchen nehmen sich nun des Hauswesens an und unterrichten mit mir die beiden jüngsten Schwestern468. Sie haben guten und fördernden Verkehr mit den Töchtern des General-Sup. Möller und einigen andren Familien, mit denen sie jede Woche einmal zusammenkommen.

466 

Im Frühjahr 1870 reiste Elisabeth zur Unterstützung ihres Bruders nach Basel und übernahm die Haushaltsführung. Im April 1870 waren Mutter und Schwester in Basel. Ausflüge nach Clarens am Genfersee, später nach Interlaken und Lauterbrunnen. Am 1. Juli reiste die Mutter wieder nach Hause. Die Schwester folgte ihr Mitte August.  467  Theodor Schenk (Anm. 270), der 1867 sein Studium der Theologie an der Universität Leipzig aufgenommen hatte, wechselte 1869 an die Universität Halle.  468 Friederike (*1859) und Julie Catharina (Anm. 458).

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ANHANG

Lenchen wird wohl auch ein Jahr in Gröbitz bleiben und Emma werde ich auch dorthin oder in eine andre Anstalt bringen müssen. Lenchen und Georg469, der Secundaner auf dem Kloster in Magdeburg ist und sich wacker hält, habe ich zusammen vor Ostern confirmirt. Karl470, eben 12 Jahre alt, ist seit 1½ Jahren bei meinem Superintendenten, Rogge471 in Egeln, in Pension und wird mit dessen Kindern von einem Hauslehrer unterrichtet. Ostern kommt auch er aufs Gymnasium, wahrscheinlich auf das des Domes in Magdeburg, weil das des Klosters überfüllt ist. Mein jüngstes Käthchen, 7½ Jahre alt, lernt fleißig und ist recht mein Herzblättchen. Für den frühen Verlust der besten Mutter muß ich sie ja durch doppelte Liebe zu entschädigen suchen und die ältern Schwestern haben ein gleiches Bestreben. Meine äußren Verhältnisse, meine Stellung in und zu der Gemeinde, mein Umgang mit tüchtigen Amtsbrüdern in der Nähe sind so, daß ich Gott nur danken kann. Nur meine Einzige fehlt mir immer und die schmerzliche Sehnsucht nach ihr bleibt. Die Wiedervereinigung winkt immer näher. Für die kurze Spanne des Lebens bleibe ich Ihnen in alter treuer Liebe verbunden. Grüßen Sie Ihr Töchterlein von mir und meinen Mädchen herzlich und erfreuen Sie immer wieder gute Nachrichten Ihren aufrichtigen Freund Schenk

Nr. 112. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 9. Mai 1872

Dodendorf, b. Langenweddingen, d. 9. Mai 72 Meine theure Freundin! Durch Ihren so lieben Brief vom 8. vor. Mon. mit den theilnehmenden Wünschen für mein junges Brautpaar haben Sie mir und uns allen eine große Freude gemacht. Athmet er doch in jeder Zeile noch den Geist der Freundschaft und Liebe, in dem wir so lange Jahre bei Freud und Leid verbunden sind, und der auch bei längeren Lücken in unsrer persönlichen oder schriftlichen Verbindung nicht alterirt werden kann. Es soll unter uns beim Alten bleiben, auch wenn die Lebenszeichen seltener werden, wie es ja in den späteren Lebensjahren fast immer der Fall ist, zumal wenn Amt und Haus die Zeit und Kraft immer mehr in Anspruch nehmen. Halten

469 

Gustav Johann Georg Schenk (1852-1934), Dr. med., prak. Arzt in Barby, verheiratet gewesen mit Emilie Margarete Schwabe (*1856).  470  Carl Friedrich Johannes Schenk (*1857).  471 Hermann Johannes Wilhelm Rogge (1817-1887), ev. Pfarrer, 1861-1871 Oberpfarrer und Superintendent in Egeln, später in Buckau b. Magdeburg. 

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Sie die Ueberzeugung fest, daß ich Ihrer stets gedenke und Sie mit Ihrem trefflichen Kinderpaare, in dem Gott Ihnen so reiche Freude schenkt, auf dem Herzen trage. So manchmal habe ich von Naumburgern oder dort näher Bekannten Nachrichten von Ihnen erhalten und immer nur die Besten. Auch jetzt konnten Sie mir ja, Gott sei Dank, nur solche geben, besonders auch von meinem lieben Pathen, der nun schon ein berühmter Professor ist. Möge er fortan auch ganz gesund bleiben und keine besondre Kur mehr nöthig haben. Welchen Genuß und Gewinn aber Ihr Lieschen von dem längren Aufenthalte472 in der Schweiz gehabt hat, kann ich mir ebenso denken, wie daß der Bruder keine Lust gehabt hat das schöne Basel mit seinem reichen geistigen Verkehr für Greifswald hinzugeben. Heidelberg, Bonn oder auch Leipzig möchten ihn eher verlocken! Grüßen Sie ihn, ich bitte herzlich in Ihrem nächsten Briefe auch besonders von mir. Als Freundin des Hauses und liebe Pathe der Braut wünschen Sie etwas nähere Nachricht über das Paar. Wären jene Tage nicht so bewegt und besetzt gewesen, so hätten Sie dieselbe schon mit der Anzeige selbst erhalten. Es war kaum möglich und auch in den letzten Wochen wollte sich keine rechte Stunde zum Schreiben finden, das ich mir vorbehielt. Winckler 473 war seit 2 Jahren Hilfsprediger beim mir befreundeten Pastor Rocholl474 in Gr. Ottersleben, 1 Stunde von hier, und hat mein Haus manchmal, in den letzten Monaten öfter, besucht, so daß ich ihn näher kennen lernte und lieb gewann. Ostern wurde er als ordinirter Hülfsprediger vom Konsistorium nach Biere, 1½ Stunden von hier in der Richtung nach Schönebeck, berufen und bat mich nun ganz unerwartet um Grethchens475 Hand. Ein Verhältniß ist nicht vorausgegangen. Er steht im 27sten Jahre, ist der Sohn eines verstorbenen Kaufmanns in Mühlberg und hat wegen seiner theologischen Tüchtigkeit und Treue überall das beste Lob. Das junge Paar ist sehr glücklich; er kommt in der Regel wöchentlich einmal, und wir haben ihn alle sehr lieb. An die Verheirathung wird noch nicht gedacht und wir hoffen und wünschen, daß sie erst in etwa 2 Jahren erfolgt. Bei Marie ging alles gar zu rasch und wir kamen gar nicht zur Besinnung. Die fleißigen Schwestern wollen in Muße die Ausstattung erfertigen. Sie fragen theilnehmender auch nach übrigen Familiengliedern, so bemerke ich kurz das Wichtigste. Theodor 476, Ihr dankbarer Schützling, hat im Februar das erste theolog. Examen gemacht, weilt jetzt zur Absolvirung des vorgeschriebenen

472  Am

1. Juni 1872 erreichte Elisabeth wiederum Basel und blieb bis Ende September bei ihrem Bruder. Im September weilte auch die Mutter für eine Woche in der Rheinstadt und machte während dieser Zeit mit Sohn und Tochter einen Ausflug auf die Rigi mit der 1871 eröffneten Rigibahn.  473  Ernst Friedrich Otto Winckler (1846-1892), ev. Pfarrer, zunächst Hilfsprediger in Groß-Ottersleben, von 1874-1880 2. Prediger Central-Diakonissenhaus Bethanien Bln., anschliessend in Bregenstedt und von 1889-1892 Pfarrer in Dodendorf, als Nachfolger im Amt seines Schwiegervaters.  474  Carl Wilhelm Rocholl (1806-1876), ev. Pfarrer, war von 1846-1876 Oberpfarrer in Großottersleben.  475  Ludowika Margarethe Schenk (1850-1909) heiratete Winckler am 5. Mai 1874.  476 Vgl. Anm. 270.

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Seminarcursus in Halberstadt und geht Pfingsten als Oberhelfer zu Wichern ins Rauhe Haus bei Hamburg. Gott helfe weiter. – Georg hofft Michaelis das Klostergymnasium in Magdeburg zu verlassen, um Medicin zu studieren. – Carl ist auf demselben Obertertianer und hält sich brav. – Emma , meine vorjüngste Tochter, habe ich nach Ostern zu ihrer weitern Ausbildung in das protestantische Stift Marienberg bei Helmstedt gebracht, wo sie sehr zufrieden ist. – Auf dem Rückwege besuchte ich meine Tochter Marie Bonhage in Barneberg, 3 Stunden etwa in der Richtung zu uns, und fand sie mit den Kindern wohl. Sie hat 5 eigene Kinder, 2 andre sind gestorben, und 2 Stiefkinder, die außer dem Hause sind, die Tochter 13 Jahre, in Gröbitz, der jüngre Bruder auf dem Gymnasium in Quedlinburg. Nach ihrer letzten Entbindung vor. Sommer war sie sehr leidend und wir nahmen sie deshalb von Oktober bis December zu uns. Sie ist glücklich verheirathet. – Annas Befinden ist immer besser geworden und sie steht dem Hause treu vor. Vorigen Sommer war ich mit ihr und Grethchen in Ems. – Lieschen unterrichtet mit mir die jüngste, Käthchen, die eine treue Freundin und Mitschülerin in einer Altersgenossin, der Tochter eines reichen Gutsbesitzers und Lieutenants hier, hat. Beide Kinder sind sehr begabt, werden aber auch bald aus dem Hause müssen. – Lenchen, die Drittletzte, die länger in Gröbitz war, ist überall thätig, oft wird eine auswärts von Verwandten gebraucht. So war Anna im vor Jahre lange zur Pflege der Urgroßmutter Wilmsen in Berlin. Sie starb fast 90 Jahr alt im August. Soll ich von mir noch ein Wort sagen, so kann es nur eins des demüthigen, heissen Danks gegen den Herrn sein, der mich in Freud und Leid zu sich gezogen und gesegnet hat. Meine Kinder machen mir Freude, ich habe eine verhältnißmäßig gute Gemeinde, in der ich nicht ganz vergebens zu arbeiten hoffe, bin frei von äußren Sorgen und habe mein Amt auch immer verwalten können, obwohl das Gehörleiden langsam zunimmt. Ein heftiger Rheumatismus, gegen den ich wohl diesen Sommer eine besondre Kur werde brauchen müssen, ist zwar schmerzhaft und raubt vollends den Schlaf hat mich aber in meiner amtlichen Thätigkeit noch nicht gestört. Die Seele wird immer stiller und wartet auf den Ruf am Feierabend. Das Herz bewahrt treu die Erinnerung an das reiche Glück in dem Besitze meines geliebten Weibes und hält sich an die Wiedervereinigung ohne Trennung. Nehmen Sie freundlich diese Nachrichten des Vaters auf. Sie machen uns Hoffnung, Sie diesen Sommer hier zu sehen und wir freuen uns darauf; dann sollen Sie sich einmal wieder unmittelbar einleben. Mich selbst werden unsre Kapitelsangelegenheiten auf einige Wochen nach Zeitz rufen, vielleicht Ende Juni, und da mache ich wohl einmal einen Abstecher nach Naumburg, wo ja nun auch C.R. Appuhn477 lebt, der uns ein lieber Freund ist.

477  August

Wilhelm Appuhn (1804-1882), ev. Pfarrer, seit 1834 in Altenhausen und Ivenrode, ab 1852 Domprediger am Magdeburger Dom und Konsistorialrat. Überzeugter Erweckter und Anhänger der Union der lutherischen und reformierten Kirchen in Preußen. Politisch-konservative Haltung. Verbrachte seine letzten Lebensjahre in Naumburg. Schenk muss sich bei den Vornamen Appuhns („C.R.“) getäuscht haben. Einen Appuhn mit den von Schenk notierten Vornamekürzel ist zu jener Zeit in Naumburg nicht nachweisbar. 

ANHANG

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Sie sehen ja wohl einmal Frl. Richter, da bitten wir Sie ihr, die auch so sehr freundlich geschrieben hat, mit den besten Grüßen und Wünschen das Nöthige von uns mitzutheilen. Meine Töchter grüßen Sie und Ihr Lieschen mit mir herzlich. Gott nehme Sie ferner in Seinen Schutz, erhalte Ihnen Ihr reiches Mutterglück und Ihre Freundschaft auch ferner Ihrem in alter Liebe treu verbundnen Schenk.

Nr. 113. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 1. Februar 1880

Dodendorf, d.1. Febr. 80 Meine theure Freundin. Selten nur geben wir uns ein äußres Zeichen des Lebens und der Theilnahme, aber wir bleiben doch innerlich mit einander verbunden und tragen uns gegenseitig in unveränderter Freundschaft auf dem Herzen. Auch ohne briefliche Verbindung, durch die wir von den Ereignissen in unserem Leben in Kenntniß gesetzt würden, erfahren wir doch auf dem einen oder dem andern Wege das Wichtigste und nehmen daran herzlichen Antheil. Freilich das genügt auch nicht und ist kein Ersatz für den brieflichen Verkehr, da uns der persönliche durch unsre verschiedenen Lebensführungen so erschwert ist. Um so lieber benutze ich Ihren morgenden Geburtstag, um Ihnen wieder einmal besonders zu sagen, daß ich Ihnen in alter treuer Liebe mit den herzlichsten Segenswünschen nahe bin. Haben Sie das alte Lebensjahr gut und wohl vollendet, wie ich zu Gott hoffe, so möge das neue ihm gleichen, ja Ihnen nach allen Seiten hin noch Besseres bringen. Möge der Herr Ihnen sonderlich bei eignem Wohlbefinden Freude an Ihren Kindern geben und eine Ihrem zärtlichen Mutterherzen jede Sorge fern halten. Daß längre Zeit solche das Befinden Ihres Sohnes gemacht hat, der wegen seines Kopfleidens seine Lehrwirksamkeit478 aufgeben mußte, erfuhr ich. Hoffentlich hat ihm die volle Ruhe, wenn er sie bei seinem geistigen Schaffenstriebe sie sich gegönnt hat, wohl gethan. Nur wenig kenne ich von seiner schriftstellerischen Thätigkeit479, mit dem aber konnte ich mich nicht befreunden. Es ist nicht des

478  Am

2. Mai 1879 bat Nietzsche wegen schwerer gesundheitlicher Probleme um seine Entlassung aus dem Amt. Sechs Wochen später wird die Entlassung genehmigt und ihm ein Ruhegehalt bewilligt.  479  Vermutlich hatte Schenk mindestens Auszüge aus Nietzsches „Menschlich, Allzumenschliches“, erschienen 1878/79, gelesen. 

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ANHANG

Vaters Geist, der in den Schriften weht, und Sie selbst werden kaum nähere Kenntniß davon nehmen. Möchten Sie, wenn Ihnen einmal Zeit zu einem Briefe bleibt, mich mit guten Nachrichten, sonderlich auch über Ihre liebe Elisabeth, erfreuen können. Während des Winters haben wir sie Beide in Ihrem eignen freundlichen Daheim gesucht, während der Sommer Sie doch wieder hier hin und dorthin zu Verwandten geführt hat, auch um in gewohnter Weise Hülfe zu leisten. Ihr dortiger Verkehr ist, wie ich weiss, für sie Beide ein sehr freundlicher, gewinn- und genußreicher. Wir leben hier im Ganzen still, doch fehlen auch uns nicht liebe und innerlich gebildete und geförderte Menschen, mit denen wir näheren Umgang haben. Bei meinem grossen Familienkreise, dessen Glieder durch innige Liebe mit einander verbunden sind, haben wir immer weniger das Bedürfniß nach größerer Geselligkeit. Seid wir nur noch drei im Hause, Anna und Lenchen bei mir, so ist doch der briefliche Verkehr mit den fernen Kindern und Geschwistern ein sehr lebendiger und dann und wann kehrt doch gern wieder eins im Vaterhause ein. Bis 10 Tage vor Weihnachten war ich längre Zeit mit Lenchen ganz allein, da Anna Anfang November nach Barneberg gerufen wurde, um ihre geliebte Maria in den Wochen zu pflegen. Sie ist glückliche Mutter eines 6ten Mädchens und befindet sich mit demselben wohl. Vorgestern konnte ich mich endlich zu meiner Freude selbst davon überzeugen, nachdem vorher auch zur Fahrt auf einen Tag sich keine Zeit finden wollte. Sehr früh fuhr ich mit Lenchen weg und Abends wieder zurück, so daß wir nur wenige Stunden dort sein konnten. Der häusliche Kreis ist auch kleiner geworden, da die beiden ältesten Enkelinnen Anfang October nach Marienberg bei Helmstedt, wo auch meine Emma war, gebracht wurden. Die Kinder entwickeln sich alle gut und gedeihen fröhlich. Die ältere Erzieherin wird mein Schwiegersohn zu Ostern gehen lassen, weil zunächst keine so nöthig ist. Weihnachten war mein Jurist480 einige Tage aus Berlin da, wo er Ostern seine Studien beendigt, um dann im Sommer dort oder in Naumburg, er ist noch unentschieden, die erste Prüfung zu bestehn. Ebenso kam Kätchen aus Helmstedt, wo sie seit dem October auf dem Seminar für das Gouvernanten-Examen sich vorbereitet. Sie ist sehr eifrig und die Studien gefallen ihr sehr. Anfang des Jahres kam auch mein Dr., welcher seine Stelle als Assistenzarzt an Bethanien in Berlin aufgab, um sich im nahen Barby an der Elbe, wo der 2. Arzt gestorben war, niederzulassen. Bei den Aerzten heißt es besonders, aller Anfang ist schwer, doch hat er schon einige Praxis und wir haben gute Hoffnung. Daß er sich im August vorigen Jahres mit einem jungen Mädchen in Halle, Grethchen Schwabe, Tochter eines verstorbenen Fabrikanten verlobte, erfuhren Sie wohl. Die liebliche Braut, noch jung, war im Herbst einige Tage bei uns und ist ganz eine Tochter nach meinem Herzen. Ueber die Zeit der Verheirathung ist noch nichts bestimmt – sie hängt aber von einer größeren, lohnenden Praxis ab – und zunächst wird Lenchen zum Bruder gehen, um ihm in etwas wenigstens eine freundliche Häuslichkeit zu verschaffen.

480 

Der Jurist war Carl Friedrich Johannes Schenk (Anm. 470).

ANHANG

281

Elisabeth und Emma, die sich seit Mitte October wieder in Cannes befinden, schreiben fleißig und die Nachrichten sind durchschnittlich gut. Der Aufenthalt im Süden thut unsrer Patientin sehr wohl und sie kann dort täglich ausgehen. Der heutige Brief berichtet wieder von großer Wärme in den Mittagsstunden, während wir hier noch so viel Kälte haben. Emma begleitete die Schwester auf die Bitte der Frau Pastor Schmidt481, die sehr leidend ist, um ihr eine Hülfe im Hause zu sein, und hat deswegen freie Reise und Station. Wincklers geht es mit ihrem Kleeblatte gut. Im November war ich einige Stunden bei ihnen, als ich zur Beerdigung meines jüngsten Bruders482 nach Niederlausitz reisen mußte. Mein Schwiegersohn wird seiner Zeit gern die Residenz mit einer Landpfarre vertauschen, obgleich es ihm gut geht und seine Wirksamkeit bei den Kranken ihm lieb ist. Von meinem ältesten Sohn aus Puerto Montt sind immer, zuletzt vorgestern, gute Nachrichten eingegangen. Seine Berichte enthalten immer viel des Interessanten. Er ist nun über 5 Jahre fort und wird im nächsten Jahre zurückkehren. Der Herr kann uns hier noch ein Wiedersehen schenken. Mir selbst ist es persönlich weiter so gut gegangen, wie ich nur hoffen und wünschen konnte, und ich habe noch immer ohne Unterbrechung mein Amt allein verwalten können. Doch denke ich ernstlich daran, einen Hülfsprediger zu nehmen, besonders wegen der Schule und Confirmandenstunden. Meine Töchter thun in Liebe alles, um mir den Lebensabend so freundlich wie möglich zu machen. Bleibt auch der Schmerz über den Verlust des Liebsten, so kann ich doch dem Herrn nicht dankbar genug sein. Er hat über Bitten und Verstehen an mir und meinem Hause gethan. Meine Töchter grüßen Sie und Ihre liebe Elisabeth mit mir herzlich und senden Ihnen die besten Wünsche zu Ihrem Geburtstage. Anna denkt mit solcher Freude an den Besuch bei Ihnen. Sie und Ihre Lieben Gottes fernerem Schutze befehlend bleibt mit der Bitte um Erhaltung Ihrer Theilnahme in alter Liebe Ihr treu verbundner Freund Schenk

481 

Vielleicht die in Anm. 74 genannte Schmidt. 

482 

Moritz Leopold Schenk (Anm. 113). 

ANHANG

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Nr. 114. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 18. Maerz 1889

Dodendorf, den 18. März 1889 Meine liebe Freundin Für Ihren theilnehmenden Brief mit den guten Wünschen zu meinem Geburtstage danke ich Ihnen herzlich. Ihr treues Gedenken an den alten Freund, der Sie so lange nicht sah, rechne ich Ihnen bei den tief schmerzlichen Erfahrungen483, die Sie in der letzten Zeit machen mußten, und bei dem bittern Leid, von dem Ihr zärtliches Mutterherz heimgesucht wird, doppelt hoch an. Es ist diese Erkrankung Ihres lieben Sohnes, der Ihre Hoffnung und Stolz war, das Schwerste, was Ihnen begegnen konnte. Der HErr, der Arzt, segne die Kur mit dem vollen geistigen Ausruhen und erhalte Ihrer Seele die gläubige stille Ergebung. Daß man theilweis schon früher ernste Sorge wegen der geistigen Ueberreizung gehabt hat, vernahm ich, und sein zuletzt erschienenes Buch484 soll die deutlichsten Spuren davon zeigen. Für Sie sind alle seine Schriften nicht. Mit Ihnen wollen wir fortfahren Gott um völlige Heilung und Genesung zu bitten. Von Ihren lieben Kindern in Parguai485 etwas zu hören, war uns lieb und der doch guten Nachrichten haben wir uns gefreut. Wie bewährt sich Ihre Elisabeth in dem neuen Berufe als Gattin und Hausfrau bei den großen Ansprüchen, die ein solches Unternehmen an sie macht! Gott erhalte sie ferner, gebe ihr volle Befriedigung bei der Erfüllung ihrer großen Aufgabe, erquicke Sie oft durch gute Kunde und gebe Ihnen in nicht zu ferner Zeit ein frohes Wiedersehn! Eine tüchtige Familie, die mir besonders lieb ist, geht ernstlich mit dem Gedanken um, in die Förstersche Kolonie auszuwandern. Sie würde für dieselbe ein wahrer Gewinn sein, ich aber verlöre sie ungern. Wie Sie es freundlich voraussetzen, so waren doch einmal am 27ten Februar fast alle meine Kinder mit den 3 jüngsten Enkeln aus Bergenstedt, Gr. Rosenburg u. Schönebeck um mich versammelt. Das so rauhe, ungünstige Winterwetter und die schlimmen Wege mit den Störungen des Bahnbetriebs hatte sie nicht

483  Friedrich

Nietzsche war anfangs 1889 in Turin zusammengebrochen und daraufhin von seinem Freund Franz Overbeck (1837-1905) nach Basel in die dortige Nervenklinik gebracht worden. Am 13. Januar 1889 war die Mutter nach Basel gereist und hatte ihren kranken Sohn vier Tage später in die Psychiatrische Klinik der Universität Jena gebracht.  484  Auf welches Buch Nietzsches Schenk hier anspielt, ist nicht eindeutig. Vermutlich meint er die „Götzen-Dämmerung oder wie man mit dem Hammer philosophiert“, die Ende Januar 1889 im Buchhandel erschienen war.  485  1885 hatte Elisabeth Nietzsche Bernhard Förster (1843 –1889) geheiratet. Förster, ursprünglich Gymnasiallehrer, war wegen seiner antisemitischen Agitation vom Schuldienst suspendiert worden und wanderte daraufhin mit Gleichgesinnten nach Paraguay aus, wo er die Siedlungskolonie Nueva Germania gründete. Elisabeth folgte ihm 1886. 1889 nahm sich Förster nach dem Scheitern seines Projekts das Leben. Vier Jahre später, 1893, kehrte Elisabeth nach Naumburg zurück.

ANHANG

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abhalten können. Nur der Arzt war durch seinen Beruf und Käthe durch ihren hoffnungsvollen Zustand mit ihrem treuen Mann486, dessen nächster Nachbar Ihr lieber Bruder 487 ist, vom kommen verhindert. Es war nach der Krankheit und beim Blick auf die Zukunft noch einmal ein dankbar glückliches Zusammensein im alten Vaterhause, nicht ohne wehmütige Erinnerungen. „Noch einmal“ habe ich gesagt, weil es so auch abgesehn von meinem hohen Alter nicht wiederkehren wird. Zum 1. October ds. J. beantrage ich meine Emeritirung, obgleich ich mich wieder leiblich und geistig wohl fühle. Da meine Töchter mit mir wünschen, hier am Orte zu bleiben, wo wir seit 27 Jahren so tief eingelebt sind, so viel Liebe erfuhren und unsere Entschlafenen uns binden, habe ich ein neues Haus gekauft, das zwar verhältnismässig klein ist, für uns aber doch genügenden Raum bietet. Alle auswärtigen Kinder freuen sich, hier einen Mittelpunkt zu behalten. Für den Fall, daß ich nicht in einem […] Monat sterbe, in welchem Falle das Kirchenregiment die Stelle besetzt, hat die ganze kirchliche Gemeindevertret schon zu Protokoll den Beschluß gefaßt, meinen durch öftere Predigten ihr bekannten Schwiegersohn Winckler 488 in Bergenstedt zu meinem Nachfolger zu berufen. Es ist für Grethchen und die Kinder eine frohe Aussicht. Dem Herrn befehle ich alles. Meine schwergeprüfte Marie fand ich wohler, als ich nach der monatelangen anstrengenden Pflege bei Tag und Nacht und nach dem herben Verluste zu hoffen gewagt hatte. Sie ist scheinbar kräftiger als vor 4 Jahren, wo wir über sie so besorgt waren. Der Herr hat wieder einmal andre Gedanken gehabt, da er sie erhielt und stärkte, während er ihre 3 früher so blühenden Töchter heimrief. Sie bewährt sich als fromme Christin. Anna ist schon seit 14 Tagen bei Käthen in Hettstadt, um ihr zu helfen und Erleichterung zu verschaffen. Der Herr behüte und erfülle die Hoffnungen. – Die übrigen auswärtigen Kinder und Enkel sind wohl. Mit Lenen und Emma lebe ich still, für jeden Tag dankbar. Alle Nachbarn sind sehr lieb und freuen sich, daß wir hier bleiben. Sehen Sie die liebe Freundin Förster mit ihren Kindern, so bitte ich sie herzlich zu grüssen. Die Frau P Bregther 489 vorigen Herbst in Friedrichsroda zu treffen, war uns eine herzliche Freude. Der treue Gott sei mit Ihnen und Ihren Lieben, Er bleibt unser Schutz und Schirm. In Liebe und Treue Ihr alter Freund Sch.

486  Julie

Catharina Schenk, verheiratete Heinrichs (Anm. 458), wohnte damals mit ihrem Mann in Hettstedt.  487  Edmund Richard Oehler (1832-1891), ev. Pfarrer, amtete in Buckau, dann Gorenzen und 1871-1891 in Thondorf, einem Nachbarort von Hettstedt.  488  Die Wincklers hatten die Pfarrstelle 1889 übernommen.  489  Möglicherweise hat sich Schenk hier verschrieben und meint Frau Pastor Bergter (Anm. 140). Sie war eine geborene Bertha Bachmann aus Altenburg, die 1845 August Hermann Bergter geheiratet hatte. Vielleicht hatte Schenk die noch ledige Frau Bachmann in Altenburg kennen gelernt.

ANHANG

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Nr. 115. Emil Julius Schenk an Franziska Nietzsche, 2. Februar 1894

Dodendorf, den 2. Febr. 1894 Meine theure Freundin Diesmal erhalten Sie meine herzlichen Wünsche zu Ihrem heutigen Geburtstag verspätet, weil ich Ihnen gestern nicht schreiben konnte. Aber Sie haben gewiß beim Ausbleiben meines Briefes nicht daran gezweifelt, daß ich Ihnen wie immer seit mehr als 50 Jahren innerlich nahe sein und des HErrn reichsten Segen für Ihr neues Lebensjahr erbitten würde. Schon in der ersten Frühe des Morgens, wo Sie hoffentlich noch sanft schliefen, habe ich Sie mit Ihren lieben Kindern dem treuen Gott befohlen. Wie er Ihnen bei Ihrer mütterlichen Liebespflege bisher mit seiner Kraft und Hülfe nahe gewesen ist, so wolle er es auch ferner thun und Sie durch die Frucht, die er Sie sehen läßt, stärken und erquicken. Mit der leiblichen erhalte er Ihnen die geistige Frische und Freudigkeit, die ich bei allen Jahren schweren Heimsuchungen und Prüfungen als Zeugniß Ihres kindlichen Glaubens immer bewundert habe. Herzlich freuen würd ich mich, wenn Sie mir einmal gute Nachrichten über Ihr bisheriges Ergehen, über das Befinden Ihres lieben Sohnes und auch von Ihrer Elisabeth im fernen Westen geben könnten. Seit längrer Zeit habe ich nichts davon erfahren, auch nicht durch andere. Hätte ich im verflossenen Jahre wieder nach Zeitz reisen müssen, so würde ich mich gern persönlich von Ihrem Ergehen überzeugt haben490. Fristet mir der HErr das Leben und giebt er die nöthige Kraft, so denke ich im Frühling hinzufahren und dabei einen letzten Besuch in Gröbitz zu machen, das mein in den Ruhestand tretender Schwager verläßt491. Unsre grosse Familie hat Gott im verflossenen gnädig vor neuen Verlusten bewahrt, sie dagegen durch ein Mägdlein, das meinen Kindern in […] geboren wurde, vermehrt. Unsre Anna war 6 Wochen lang bis zum Weihnachtsfeste zur Pflege dort. Den übrigen auswärtigen Kindern und Enkeln ist es befriedigend gegangen. Hier hat uns der leidende Zustand Ihrer Pathe ernstliche Sorge gemacht, und sie bedarf noch immer der größesten Schonung. Ihre älteste Tochter ist seit vorigem Sommer auf dem Lehrerinnenseminar in Halle, da sie in Droyßig keine Stelle bekam und auf das nächste Jahr vertröstet wurde. Für mein Befinden kann ich dem HErrn nur dankbar sein, wenn auch von mir nicht gilt, was vom Gottesmann Moses berichtet wird, daß bis 120 Jahre seine Augen nicht dunkel geworden waren und seine Kraft nicht verfallen. Die Sehkraft hat sehr abgenommen und die Altersschwäche nimmt zu. Der HErr erfülle auch an mir seine Verheißung: „Ich will dich nicht verlassen bis ins Alter, bis Du grau wirst“492. In seine Hand lege ich mich still.

490  Schenk

be­sucht. 

hatte im Frühjahr 1892 Franziska und Friedrich Nietzsche in ihrem Naumburger Heim Hesekiel, Otto August Moritz (Anm. 46).  492  Jesaia 46,4. 

491 

ANHANG

285

Meine Töchter grüßen Sie herzlich unter den besten Wünschen. Grüßen Sie auch Ihre lieben Kinder herzlich von mir und sagen Sie ihnen, daß ich ihrer fürbittend gedenke. Leicht könnte es der letzte Geburtstagsbrief sein, den ich Ihnen schreibe, so lassen Sie mich Ihnen noch einmal herzlich für alle liebevolle Theilnahme, die Sie mir durch so viele Jahre bewiesen haben, besonders von Herzen danken. Der HErr segne Sie auch dafür und erhalte uns in ihm treu verbunden. Ihr alter Freund Schenk.

Dies ist der letzte erhaltene Brief aus Schenk’s Hand an Franziska Nietzsche. Emil Julius Schenk starb am 27. November 1895, Franziska Nietzsche am 20. April 1897.

Personenregister Ahlfeldt, Johann Friedrich  228 Alt, Johann Karl Wilhelm  83, 112, 116 Appuhn, August Wilhelm  278 Arndt, Johann Friedrich  13, 143, 154, 200, 201, 203, 205, 208, 211 Auerswald, Hans von  253 Backs, Carl Otto Friedrich Ludwig  144, 212 Balster, Clara Caroline Friederike  86, 104 Balster, Johann Georg Friedrich  85, 104, 245 Balster-Krause, Christliebe Friederike  104, 228 Bauer, Karl  205 Baumbach, Ernst Carl  3, 6, 184 Baur, Ferdinand Christian  181 Bergner, Carl Wilhelm Friedrich  71 Bergter, August Hermann  70 Bergter, Bertha  283 Besler, Johann Christoph  232 Beßer, ? (Pastor)  99 Besser, Theodor Gustav  91 Boehme, Friedrich Wilhelm Theodor  22, 101 Bollert, Ludwig August  11, 12 Bonhage, Christoph Andreas  61 Bösche, Johann Gottlob Christoph  240 Boyde, Johann Heinrich  83 Boysen, Johann Friedrich Alexander  30, 32, 75, 91, 95, 226 Buddensieg, Robert  232 Bunsen, Christian Karl Josias von  146 Burckhardt, ? (Frau des Pastors Burckhardt)  221 Burkhart, Karl Friedrich Cölestin  102, 105, 109 Caspari, Gottlob Wilhelm  240

Contius, Moritz Wilhelm  193, 198, 225 Couard, Christian L.  13, 26, 28, 64 Dächsel, Bernhard  268 Dächsel, Carl August  31, 63 Dächsel, Heinrich Bruno Reinhold  243 Dächsel, Karl August  63, 85, 131, 132, 140, 167, 170, 175, 177, 195, 198, 199, 206, 241, 243, 244, 268 Dächsel, Otto Bernhard  63, 122, 175, 243, 268 Daechsel-Nietzsche, Friederike  31 Dathe, Johann Christian Gustav  104, 148, 156, 163, 231 De Wette, Wilhelm Martin Leberecht  15, 16 Dräseke, Johann Heinrich Bernhard  16, 20, 25, 40, 45, 52, 64, 130, 131, 133, 137, 167 Ehrenberg, Anna Clara  143 Ehrenberg, Christliebe Friederike  86 Ehrenberg, Clara Julie  143 Ehrenberg, Eugen Gustav  143 Ehrenberg, Gustav Adolph  86, 143, 210 Ehrenberg, Maria Clara  143 Ehrenhauss, Eduard Gotthelf  33 Ehrhardt, Johann Heinrich Wilhelm  112, 134, 138, 157, 158, 215, 244, 247, 252 Ehrhardt, Johann Ludwig  40, 45, 79, 84, 109, 142, 228 Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich  218 Elisabeth Ludovika, Prinzessin von Bayern  175, 184 Elisabeth Pauline Alexandrine, Prinzessin von Sachsen-Altenburg  70

288 Engelbert, Friedrich August  78 Erdmann, Karl Heinrich  105, 109, 116 Ernst August I. von Hannover, König  211 Eschenhagen, Carl Justus Hermann  52 Eylert, Rulemann Friedrich  131, 137 Flemming, Malwine Louise  123 Flinzer, Friedrich Magnus  240 Florey, Georg Robert  139 Förster, Bernhard  282 Förster, Karl Friedrich  102 Foss, Heinrich Eduard  222 Franke, Carl Christian Leberecht  244 Frantz, Heinrich Anton  241 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen  12, 13, 16 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen  28, 63, 135, 163, 220 Fritzsche, Friedrich Gotthilf  54, 59, 69, 70, 108, 112 Frobenius, Hermann Theodor Wilhelm  94, 106, 151, 160, 161, 163, 166, 190, 219, 232, 241, 244, 248 Gersdorf, Friedrich Wilhelm  3, 10, 20, 25, 38, 49, 57, 65, 70, 75, 88, 98, 112, 120, 121, 125, 137, 147, 156, 173, 181, 183, 190, 191, 200, 201, 204, 208, 210, 213, 215, 219, 230, 234, 236, 237, 245, 248, 250, 256, 263 Göschel, Karl Friedrich  136, 218, 227, 228 Goßner, Johannes Evangelista  26 Grüne, Emma Louise  85 Guericke, Georg Christian  21, 98, 118 Guericke, Heinrich Ernst Ferdinand  98 Häckel, Vorname nicht bekannt  89, 151, 193

Personenregister Harless, Gottlieb Christoph Adolf von  102 Harms, Claus  42, 137 Harnisch, Christian Wilhelm  56, 59, 67, 94, 98, 191 Heermann, Heinrich  204 Heinrich, Johanne Marie Sophie  6 Helfer, Friedrich Christoph  199, 206 Hempel, Heinrich Ferdinand  204, 205 Hengstenberg, Ernst Wilhelm  33, 126 Hennicke, Hermann Friedrich August Eduard  59, 178, 184 Herbst, Johann Ferdinand  138, 143, 184 Hesekiel, Carl Friedrich  49, 75, 234 Hesekiel, Christoph Friedrich  4, 9, 21, 22, 49, 75, 209, 210 Hesekiel, Johannes Carl Friedrich  10, 32, 68, 126, 234 Hesekiel, Johann Georg Ludwig  21, 22, 49, 70, 71, 126, 155, 203, 219, 229 Hesekiel, Otto August Moritz  15, 70, 76, 284 Hesekiel-Schwarz, Ludovike  9, 14, 18, 24, 32, 49, 63, 68, 75, 81, 125, 153, 210, 234, 236, 245, 250 Hesekiel, Wilhelmine Louise Emili  10, 32, 35, 126, 147, 166, 194, 203, 211, 234, 247 Hesekiel-Wilmsen, Julia Philippine  4, 11 Hessen-Homburg, Marie Anne Amalie von  26, 28, 54 Hessen-Kassel, Marie Anna Friederike von  195 Heubner, Heinrich Leonhard  154 Heydenreich, Gustav Heinrich  83 Hinkeldey, Karl Ludwig Friedrich von  217 Hochheim, Johann Andreas  213, 215, 264

Personenregister Hoffmann, Ernst Heinrich  164 Hörnlein, Christian Ernst Ludwig  78 Jacobi, Friedrich Christoph  95 Jahn, Friedrich Ludwig  229, 232 Jahr, Johann Friedrich  105, 240, 248 Johann von Österreich, Erzherzog  245 Kämpfe, Gustav Adolf  204, 209 Karo, Johann Adalbert  22, 35, 39, 65, 74, 83, 87, 89, 95, 151, 190 Kiessling, M. (Professor)  256 Klee, Karl Hermann  132 Klötzner, Christian Wilhelm  154 Knapp, Albert  71, 95 Knieling, Carl Friedrich  268 Knieling-Oehler, Sidonie Philippine Emilie Rosamunde  268 Koerner-Schenk, Auguste Wilhelmine  53, 235 Köhler, Karl Friedrich Gustav  138 Königsdörfer, Arno Ernst H.; Königsdörfer, Heinrich Lebrecht  10 Kranichfeld, Friedrich Wilhelm Carl  16 Krause, August Friedrich  8, 37 Krause, Carl Gottlob  85 Krause, Caroline Marie Wilhelmina  85, 120 Kretschel, Gotthilf Traugott  232 Krosigk, Friedrich von  244 Krüger, Franz Friedrich Richard  182, 185, 191 Krummacher, Gottfried Daniel  154, 225, 227 Kühn, Adolf  33, 101, 146, 160, 191, 202, 203, 235, 238, 249 Kühn, Johann Wilhelm Victor  125 Landmann, Friedrich Wilhelm Andreas  211 Lange, Johann Friedrich Wilhelm  232 Langer, Friedrich Wilhelm  22, 87, 190

289 Lang-Heinrich, Johann Friedrich  111 Lindner, Albert Georg Hartmann  105, 143 Lisco, Friedrich Gustav  87, 112 Löhe, Wilhelm  174 Louis Philipp I., König von Frankreich  214, 215 Löw, Adam Christoph  226 Löw, Christiana Dorothea  226 Löw, Friedrich  226 Luitpold Karl Joseph Wilhelm von Bayern  119 Luther, Martin  174 Marbach, Gotthard Oswald  190 Marheineke, Philipp Konrad  191 Marks, Benjamin Adolph  21, 22, 98, 154 Menzel, Gustav Immanuel  139 Mitzschke, Franz Friedrich August  240 Möller, Johann Friedrich  64, 72, 91, 105, 106, 108, 109, 116, 127, 132, 181, 200, 275 Müller, Heinrich  174, 209 Müller, Julius  228 Münchhausen, Karl Friedrich Wilhelm von  236 Naumann, Hermann  143 Neander, August  12 Neuenhaus, Andreas Samuel  206 Niese, Karl Eduard  232, 240, 248 Nietzsche, Auguste  5, 6, 34, 41, 55, 57, 97, 107, 112, 120, 122, 127, 132, 134, 142, 156, 157, 158, 161, 162, 170, 177, 189, 191, 228, 231, 239, 241, 259, 269 Nietzsche, August Engelbert  37, 251 Nietzsche, Christoph Gotthelf Leberecht  65 Nietzsche, Elisabeth Alexandra  63, 153, 158, 162, 171, 177, 187, 189, 201, 213, 245, 265, 268, 270, 272, 275, 280, 282, 284 Nietzsche, Ernestine  8

290 Nietzsche, Friederike  31, 63 Nietzsche, Friedrich August Engelbert  37, 39, 53, 104, 135, 251 Nietzsche, Friedrich August Ludwig  5, 8, 65, 226 Nietzsche, Friedrich Wilhelm  102, 103, 107, 111, 114, 120, 122, 124, 127, 134, 135, 137, 142, 150, 156, 162, 167, 171, 177, 187, 188, 189, 190, 201, 213, 245, 259, 260, 261, 265, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 274, 277, 279, 282, 284 Nietzsche, Hermann Friedrich Theodor  39 Nietzsche, Johanne Friederike  226 Nietzsche, Joseph Ludwig  207, 215, 232, 245, 260, 263, 264, 268, 269, 270 Nietzsche, Karl August Ferdinand  65 Nietzsche-Krause, Erdmuthe Dorothea  5, 6, 28, 34, 36, 38, 41, 44, 58, 63, 66, 72, 73, 74, 79, 80, 81, 86, 104, 120, 122, 123, 132, 142, 158, 176, 177, 184, 201, 222, 228, 231, 241, 251, 265, 267, 270 Nietzsche, Lina  105, 175 Nietzsche-Oehler, Franziska  72, 73, 74, 76, 77, 82, 92, 93, 95, 103, 104, 107, 109, 112, 120, 137, 156, 158, 162, 164, 184, 207, 210, 221, 224, 239, 240, 245, 254 Nietzsche, Oskar Wilhelm Lebrecht  65 Nietzsche, Rosalie  5, 6, 41, 75, 167, 213, 271, 272 Oehler, Adele Maria  213 Oehler, David Ernst  73, 74, 77, 88, 92, 104, 186, 247, 262, 264 Oehler, Edmund Richter  283 Oehler-Hahn, Johanna Elisabeth Wilhelmine  73, 74, 92, 104, 234, 236 Opitz-Nietzsche, Juliane  8 Oppolzer, Johann von  262, 264, 268

Personenregister Oßwald, Carl Gustav  56, 87, 98, 110, 113, 121, 142, 157 Oßwald, Gustav Adolf  54, 98, 110, 113, 132, 142, 157 Overbeck, Franz  282 Pasig, Julius Leopold  174 Paulus, Heinrich E. G.  4 Pawel-Rammingen, Friederike von  211 Pelt, Anton Friedrich Ludwig  59 Peter II. von Oldenburg, Großherzog  70 Philipp, Johann Paul Christian  25, 32, 40, 44, 50, 169, 233 Pierer, August Hermann  4 Pierer, Heinrich August  4, 70 Pierer, Henriette Elisabeth  4, 265, 268, 270, 272, 275, 277, 278, 280, 281 Pierer, Otto Felix  16, 50, 69 Pierer-von Seebach, Constanze  4 Pinder, Friedrich Eduard  240 Pistorius, Hermann Alexander  227 Piutti, Hermann  97, 124, 140, 231, 238 Piutti, Maria  105, 140 Planitz, Gustav Adolf von  234, 250 Pleißner, Georg Leberecht  57 Pollmann, Karl Wilhelm  83, 95 Pornitz, Otto Wilhelm  33 Prinzessin Wilhelm  26, 28 Siehe Hessen-Homburg, Marie Anne Amalie von Rauch, ? (Pfarrer)  163 Recke, Karl Gottfried Lebrecht  240 Rheinwald, Georg Friedrich Heinrich  59 Richter, Johanne Friederike  8, 65, 226 Richter, Sophia Charlotte  65 Ritschl, Friedrich Wilhelm  274 Rocholl, Carl Wilhelm  191, 277 Rogge, Hermann Johannes Wilhelm  276 Rudelbach, Andreas Gottlob  154

Personenregister Ruppius, Otto  161 Sachse, Christian Friedrich Heinrich  16, 18, 27, 50, 70, 96 Sachsen-Altenburg, Alexandra von, Prinzessin  138, 169, 173, 204, 245 Sachsen-Altenburg, Amalie zu  7, 9, 26, 49, 69, 70 Sachsen-Altenburg, Elisabeth von  70, 118, 138 Sachsen-Altenburg, Georg Herzog zu  236 Sachsen-Altenburg, Joseph zu  6, 7, 9, 15, 17, 26, 28, 49, 69, 70, 96, 138, 144, 227, 230, 234, 236, 239, 245 Sachsen-Altenburg, Louise Amalie von  9 Sachsen-Altenburg, Marie von  10, 54, 65, 122, 138 Sachsen-Altenburg, Therese von  17, 24, 122, 138, 169, 173, 263 Sartorius, Ernst  64 Schatter, Carl Gottfried  20 Schellbach, Johann Gottlieb  190 Schenk, Anna Pauline Elisabeth  100, 114, 125, 166, 268, 272, 275, 278, 280, 283, 284 Schenk, Auguste Wilhelmine  53, 235 Schenk, Carl Friedrich Johannes  276, 278, 280 Schenk, Charlotte Amalie  53, 238 Schenk, Emma Julie Marie  61, 71, 75, 78, 89, 92, 101, 111, 114, 124, 127, 152, 166, 216, 260, 263, 272, 275, 277, 280, 281, 283, 284 Schenk, Emma Magdalena  273, 276, 278, 280, 283 Schenk, Emma Therese  273, 275, 276, 278, 283 Schenk, Ernst Ludwig  53, 115, 122, 235 Schenk, Franz Immanuel  53

291 Schenk, Friedrich August Theodor  144, 152, 160, 162, 164, 165, 168, 170, 177, 271, 272, 274, 275, 277, 281 Schenk, Gustav Adolph  53, 235 Schenk, Gustav Johann Georg  273, 276, 278, 280, 283 Schenk, Heinrich Bernhard  8 Schenk, Heinrich Eduard  8, 22, 53 Schenk-Hesekiel, Emma  4, 24, 29, 30, 32, 39, 41, 44, 46, 48, 52, 54, 58, 69, 71, 72, 74, 76, 77, 81, 82, 97, 100, 103, 114, 115, 121, 124, 130, 148, 149, 156, 159, 161, 166, 180, 188, 192, 200, 221, 246, 249, 252, 254, 257, 281, 283 Schenk, Johann August  13, 67 Schenk, Julie Catharina  273, 275, 276, 278, 280, 283 Schenk, Ludowika Margarethe  275, 277, 280, 281 Schenk, Marie Charlotte Friederike  275 Schenk, Max Emil Ernst  188, 192, 198, 249, 254 Schenk, Moritz Leopold  53 Schenk, Therese Mathilde  53 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst  33, 150, 178, 201, 205, 208, 218 Schlippe, Carl  204 Schmalz, Moritz Ferdinand  154 Schmid, Alfred  104, 120, 191 Schmid-Nietzsche, Christiane Amalie Hedwig  8, 104, 149 Schmidt, Albertine Charlotte Kunicke  29, 281 Schmidt, Karl Christian Eduard  25, 33, 129, 146, 161, 166, 169 Schmieder, Heinrich Eduard  98 Schöne, Heinrich Wilhelm Constanz  7, 250 Schottin, Johann David Friedrich  14 Schwerin-Putzar, Maximilian von  218, 227

292 Seckendorf, Alfred von  236 Seydel, Johannes Julius  249 Simon, Jakob Wilhelm Bernhard  190 Spitzner, Franz  274 Stapf, Johann Ernst  225, 259 Stauffer, Carl Rudolf  20, 25, 43, 46 Stemmler, Sophie Eleonore  243 Stemmler, Wilhelm Christian  243 Stern, Robert Carl Philipp  5, 6, 40 Steuber, Johann Andreas Gottfried  129 Stolberg-Wernigerode, Anton zu  91 Strauß, Friedrich  12, 26, 28, 95 Strobel, Emma  213 Sturm, Johann Gottlob Ernst  157 Taube, Franz Eduard  192 Teichler, Karl Theodor  241 Theremin, Franz  12, 15 Tholuck, Friedrich August Gottreu  33, 98, 167, 169, 174, 226 Thümmel, I. (Oberlandesgerichtsassessor)  192 Tippelskirch, Friedrich von  125 Trinkler, Friedrich Theodor  95, 151, 157, 160, 163, 179, 193, 242 Uhlich, Johann Jacob Markus Leberecht  98, 194, 196 Uhlisch, Gustav  98, 101, 102, 130, 131, 132, 133, 137, 140, 157, 164, 177, 181, 192, 237, 241, 256 Ullmann, Karl Christian  33, 146 Victoria, Königin des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Irland   130 Vinventz, Friederike  195

Personenregister Vogel, Christian Friedrich August  105 Vörckel, Johann Daniel  143 Wagner, August Friedrich Karl  205, 212 Wagner, Gustav Edmund  25 Wahn, Pauline Charlotte  13 Wallmann, Johann Christian  98 Webel, Immanuel  234, 235 Weber-Geier, Auguste Bertha  22 Weiss, Konstantin  67, 224, 231, 235, 238, 247, 249 Westermeier, Emil Bogislaus  59 Wetzel, Friedrich Wilhelm Franz  39, 41, 43, 105 Wilke, Carl Friedrich Wilhelm  39, 45, 59, 83, 93, 99, 109, 123, 132, 225, 232 Wilmsen-Zenker, Wilhelmine  11, 115, 191, 201, 205, 272, 278 Wimmer, Karl Julius Moritz  72, 99, 112, 118, 142, 207, 225, 228, 232, 248 Winckler, Ernst Friedrich Otto  277, 281, 283 Wislicenus, Adolf Timotheus  118 Wislicenus, Gustav Adolf  118, 122, 126, 128 Wölbling, Friedrich  93, 98, 110, 113, 143, 173, 184, 190, 191, 232, 240, 264 Wolff, Carl Moritz  265 Zimmermann, Ernst Gustav  33, 40, 45 Zschokke, Johann Heinrich Daniel  116, 178