Brouillon zur Ethik (1805/06) 9783787326518, 9783787305216

Im philosophisch-theologischen Werk Schleiermachers nehmen die Arbeiten zu ethischen Fragen einen bedeutsamen Platz ein

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Brouillon zur Ethik (1805/06)
 9783787326518, 9783787305216

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FRIEDRICH DANIEL ERNST SCHLEIERMACHER

Brouillon zur Ethik

(1805/06) Auf der Grundlage der Ausgabe von

OTIO BRAUN herausgegeben und eingeleitet von

HANS-JOACHIM BIRKNER

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 334 1870 1913 1927 1981

In Auszügen enthalten in »Friedrich Schleiermacher`s Philosophische Sittenlehre«, herausgegeben und erläutert von J. H. v. Kirchmann, PhB 24 Vollständig enthalten in der Ausgabe »Fr. D. E. Schleichermacher, Werke, Auswahl in vier Bänden«, in: Zweiter Band, S. 75–239, herausgegeben von Otto Braun, PhB 137 Zweite, unveränderte Auflage Einzelausgabe »Brouillon zur Ethik (1805/06)«, herausgegeben und eingeleitet von Hans-Joachim Birkner

Vorliegende Ausgabe: Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der Ausgabe von 1981 identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-0521-6 ISBN eBook: 978-3-7873-2651-8

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1981. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­ papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in www.meiner.de Germany.

Inhalt

Einleitung. Von Hans-Joachim Birkner............. VII 1. Schleiermachers Schriften zur Ethik . . . . . . . . . . . . . VII 2. Die Nachlaßausgaben des Systems der Ethik . . . . . . XII 3. Die Vorlesungen und die Manuskripte zum System der Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV 4. Die vorliegende Ausgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXII Auswahl-Bibliographie ......................... XXIX

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher Brouillon zur Ethik (1805/06) Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung des höchsten Gutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine übersieht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die organisierende (bildende) Funktion . . . . . . . . . . . für sich betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . unter den Charakteren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . der Identität (Gemeinschaftlichkeit) . . . . . . . . . der Individualität (Eigentümlichkeit) . . . . . . . . . Die erkennende Funktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . für sich betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . unter den Charakteren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . der Identität (Gemeinschaftlichkeit) . . . . . . . . . der Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschluß ................................... Tugendlehre .................................. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Tugend als Gesinnung ..................

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Inhalt

Von der Weisheit .......................... Von der Liebe ............................ Von der Tugend als Fertigkeit .................. Von der Besonnenheit ...................... Von der Beharrlichkeit ...................... Pflichtenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung .................................. Die Rechtspflicht ............................

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Einleitung

1. Schleiermachers Schriften zur Ethik Im philosophisch-theologischen Lebenswerk Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers (1768-1834) nehmen die zahlreichen Schriften zur Ethik in biographischerwie in systematischer Hinsicht einen bedeutsamen Platz ein. Die Ethik ist das Feld seiner ersten wissenschaftlichen Arbeiten gewesen. Die Aufzeichnungen aus der Studenten-, Kandidaten- und Hilfspredigerzeit (1787-1796), die fast ausschließlich philosophischen Texten und Themen gewidmet sind, lassen erkennen, daß frühe literarische Vorhaben sich zunächst aus der Beschäftigung mit der aristotelischen Ethik ergeben haben, dann vor allem aus der Auseinandersetzung mit der Ethik Kants. Damals entstandene Aufsätze über das höchste Gut, über die Freiheit, über den Wert des Lebens sind erst Jahrzehnte nach Schleiermachers Todund auch dann nur teilweise - bekannt geworden: Wilhelm Dilthey hat sie (zusammen mit anderen Aufzeichnungen) im Anhang zu seiner großen Biographie "Leben Schleiermachers" (1870) unter dem Titel "Denkmale der inneren Entwicklung Schleiermachers'' beschrieben und auszugsweise abgedruckt. 1 Die ersten Veröffentlichungen Schleiermachers stammen aus der Zeit seiner Tätigkeit als Krankenhauspfarrer an der Berliner Charite (1796-1802) und seiner Zugehörigkeit zum Berliner Romantikerkreis. Auch in ihnen ist das Schwergewicht der ethischen Thematik unverkennbar. Im Jahre 1800 hat er anonym die Schrift "Monologen" erscheinen lassen, das Manifest einer Ethik der Individualität. Der Titel gibt die absichtsvoll gewählte literarische Form an. Nicht als theoretische Abhandlung tritt diese Individualitätsethik auf, sondern als individuelles Zeugnis und Bekenntnis. An Kant und Fichte anknüpfend, stellt sie deren Pflichtethik

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überbietend entgegen: "So ist mir aufgegangen, was jetzt meine höchste Anschauung ist; es ist mir klar geworden, daß jeder Mensch auf eigne Art die Menschheit darstellen soll, in einer eignen Mischung ihrer Elemente, damit auf jede Weise sie sich offenbare, und wirklich werde in der Fülle der Unendlichkeit alles, was aus ihrem Schoße hervorgehen kann_" ( L Auflage 40 f)_ Beiträge zur ethischen Programmatik und zur ethischen Debatte der frühen Romantik enthalten auch die Fragmente und die Rezensionen, die Schleiermacher der Zeitschrift "Athenäum" (17981800) beigesteuert hat. Vor allem die 1798 veröffentlichte "Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen" ist weithin bekannt geworden. Fast unbekannt ist der "Versuch einer Theorie des geselligen Betragens" geblieben, den Schleiermacher 1 799 - wiederum anonym - im "Berlinischen Archiv der Zeit und ihres Geschmacks" veröffentlicht hat. Diesen Aufsatz, der ohne die damals angekündigte Fortsetzung geblieben ist, hat erst Herman Nohl im Jahre 1911 als Schrift Schleiermachers wiederentdeckt. Schließlich ist in diesem Zusammenhang die ebenfalls anonym gedruckte Schrift "Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde" (1800) zu erwähnen, mit der Schleiermacher dem umstrittenen Roman des Freundes verteidigend und deutend zur Seite getreten ist. Das erste Buch Schleiermachers, das im engeren Sinne wissenschaftlichen Charakter hat, ist wiederum dem ethischen Themenfeld gewidmet gewesen. Als Gemeindepfarrer in der pommerschen Kleinstadt Stolp hat er die "Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre" ( 1803) veröffentlicht, eine Analyse der ethischen Theorien und Systeme von der Antike bis zu Kant und Fichte unter dem Gesichtspunkt ihrer wissenschaftlichen Form und ihres thematischen Bestandes. Diese kritische Sichtung ist Ausgangspunkt und Grundlage seines eigenen Entwurfs der Ethik geworden, den er in seinen Hallenser und Berliner Vorlesungen vorgetragen hat. Auf diese Vorlesungen und

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auf die Manuskripte zum System der Ethik wird in einem eigenen Abschnitt einzugehen sein. Im Blick auf Schleier· machers akademische Lehrtätigkeit ist noch der auffällige Sachverhalt zu notieren, daß er die Ethik zwiefach vorgetragen hat. Neben den Vorlesungen über philosophische Ethik hat er im Rahmen seines theologischen Lehrprogramms ein eigenes Kolleg über christliche Sittenlehre gehalten, die er als Beschreibung des christlichen Lebens konzipiert hat. Ethische Themen hat er auch in zahlreichen Predigten be· handelt, von denen vor allem die "über den christlichen Hausstand" (1820) bekannt geworden sind. Schleiermacher hat lange Zeit die Absicht gehabt, sowohl seine philosophische wie seine theologische Ethik im Druck zu veröffentlichen. Beide Pläne sind nicht zur Ausführung gelangt. Die theologische Ethik ist neun Jahre nach seinem Tode in einer Nachlaßausgabe veröffentlicht worden, die Ludwig J onas aus Manuskripten und Nachschriften gestaltet hat: "Die christliche Sitte" (1843) 2 • Schleiermachers philosophische Ethik ist zu seinen Lebzeiten zumindest in ihren Hauptzügen bekanntgeworden durch eine Reihe von Abhandlungen über Grundfragen und Grundbegriffe der Ethik, die er in der Berliner Akademie der Wissenschaften vorgetragen und in deren Jahrbüchern veröffentlicht hat: "über die wissenschaftliche Behandlung des Tugendbegriffs" (1819, gedruckt 1820), "über die wissenschaftliche Behandlung des Pflichtbegriffs" (1824, gedruckt 1826), "über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz" (1825, gedruckt 1828), "über den Begriff des Erlaubten" (1826, gedruckt 1829), "über den Begriff des höchsten Gutes" (1. Abhandlung 1827, 2. Abhandlung 1830, beide gedruckt 1832). Weitere Akademie-Abhandlungen, die z. T. erst aus dem Nachlaß veröffentlicht worden sind, haben ethisch-politische Themen behandelt: die Staatsformen (1814, gedruckt 1818), den Beruf des Staates zur Erziehung ( 1814, gedruckt 1835 ), die Auswanderungsverbote (1817, gedruckt 1819), die Staatsverteidigung (1820, ge-

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druckt 1835)_ Beiträge zur politischen Ethik enthalten auch die "Reden bei besonderen Veranlassungen", die Schleiermacher in der Akademie -anläßlich von Geburtstagen des regierenden Königs und von Geburtstagen Friedrichs d. Gr. gehalten hat. Einen eigenen wichtigen Aspekt seiner wissenschaftlichen Arbeit repräsentieren schließlich die historischphilologischen Abhandlungen zur aristotelischen Ethik. 3 Schleiermacher ist im Blick auf seine philosophische Ethik der Zuversicht gewesen, "jeder werde sie sich mit Hilfe der Grundlinien und aus anderem, was bereits öffentlich vorliege, selbst zu machen imstande sein". Alexander Schweizer, der diese Äußerung 1835 im Vorwort zu seiner Nachlaßausgabe mitteilt (SW 111/5, IX), fügt hinzu, er halte es "für unmöglich, daß jemand aus dem schon Gedruckten Schleiermachers Ethik sich selbst machen könnte; ein berühmter Gelehrter sagte noch vor wenig Jahren, als doch alles Ethische von Schleiermacher bis auf das hier Gegebene schon gedruckt war, er beneide mich, dessen Vorlesungen hören zu können, denn ihm sei es ein Rätsel, wie der Mann, welcher durch seine Kritik jede Konstruktion der Ethik vernichtet zu haben scheine, noch imstande sei, eine solche positiv aufzubauen" (aaO X). Man wird zudem vermuten müssen, daß die Veröffentlichungen in den Jahrbüchern der Akademie nur eine Öffentlichkeit sehr begrenzter Art erreicht haben dürften. Faktisch sind es erst die Nachlaßausgaben der Manuskripte zum System gewesen, die Schleiermachers Verständnis der Ethik, die auch die fundierende Rolle dieser Disziplin in seiner Wissenschaftssystematik deutlich vor Augen gestellt haben. Seine in mehrfachem Neuansatz ausgearbeiteten Entwürfe gliedern sich in vier große Teile. Die - zunehmend ausgeweitete - "Einleitung" behandelt die Stellung der Ethik im System der Wissenschaften und erörtert ihre Gestaltung. Mit den dann folgenden drei großen Teilen "Güterlehre" bzw. "Lehre vom höchsten Gut", "Tugendlehre" und "Pflichtenlehre" nimmt Schleiermacher die Formen

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auf, in denen die Ethik geschichtlich behandelt worden ist. Er versteht sie als einander in der Weise ergänzend, daß in jeder das Ganze in jeweils anderer Hinsicht dargestellt wird. Thema der Pflichtenlehre sind die sittlichen Handlungsweisen, Thema der Tugendlehre die Kraft des sittlichen Handelns, Thema der Güterlehre die Hervorbringungen des sittlichen Handelns. In dieser Zuordnung stellt sich die Güterlehre als die Grund- und Hauptform dar. Das Unzulängliche der Nebenformen Tugend- und Pflichtenlehre erblickt Schleiermacher darin, daß in ihnen nur der Einzelne als Subjekt des Handeins erfaßt wird und daß das Handeln getrennt wird von dem daraus hervorgehenden Werk. Seine eigene Ethik hat so in der Güterlehre ihre charakteristische Fassung gefunden. Die Güterlehre ist konzipiert als Beschreibung der Gesamtheit dessen, was durch das sittliche Handeln, durch das Handeln der (menschlichen) Vernunft auf die (irdische) Natur, hervorgebracht wird. Sie ist, wie Schleiermacher mit einer signifikanten Formel sagt, "Wissenschaft von den Prinzipien der Geschichte", welche die Strukturen und Formen menschlich-geschichtlichen Lebens zum Thema hat. In der Literatur hat sie infolgedessen auch unter Titeln wie "Kulturphilosophie" oder "Sozialphilosophie" verhandelt werden können. In Schleiermachers Wissenschaftssystematik figuriert die so verstandene "Ethik" als Grundwissenschaft für alle Disziplinen, die es mit dem menschlich-geschichtlichen Leben zu tun haben. Hinsichtlich der Theologie wird diese ihre Rolle u. a. dadurch demonstriert, daß Schleiermacher in der 2. Auflage seiner Dogmatik ("Der christliche Glaube", 1830/31) die grundlegenden Ausführungen über Religion ("Frömmigkeit") und über religiöse Gemeinschaft ("Kirche") unter die Oberschrift "Lehnsätze aus der Ethik" gestellt hat. Von den philosophischen Disziplinen, die er in Vorlesungen und Akademievorträgen behandelt hat, stehen vor allem die Lehre vom Staat und die Erziehungslehre mit der Ethik in engem Zusammenhang.

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2. Die Nachlaßausgaben des Systems der Ethik Von Schleiermachers Manuskripten zur philosophischen Ethik liegen fünf Ausgaben vor, von denen zwei allerdings den Text früherer Ausgaben wiedergeben. Im Rahmen der nach seinem Tod erschienenen Sämtlichen Werke (18341864) ist der "Entwurf eines Systems der Sittenlehre" (als 5. Band der III. Abteilung) bereits 1835 von seinem Schüler Alexander Schweizer herausgegeben worden. In der singularischen Fassung des Titels, die angesichts der Mehrzahl der Entwürfe mißverständlich ist, deutet sich die Gestaltung dieser Ausgabe an: Schweizer hat eine Kompilation aus verschiedenen Manuskripten veranstaltet und diesen Text mit einer eigenen durchlaufenden Zählung versehen. Er hat dabei diejenigen Entwürfe zugrunde gelegt, die er als die jüngsten angesehen hat, und ergänzende Passagen aus anderen Manuskripten, ferner Auszüge aus seiner eigenen Vorlesungsnachschrift von 1832 sowie aus drei anderen Nachschriften hinzugefügt. Die verschiedenen Manuskripte sind durch Buchstaben kenntlich gemacht, welche die von Schweizer angenommene Entstehungszeit angeben (a: "um 1827"; c: "ungefähr 1812"; b: "zwischen a und c"). Die summarischen Datierungen sind nur teilweise zutreffend. Der Text dieser Ausgabe hat (ohne die Einleitung Schweizers) 35 Jahre später noch einmal einen Neudruck erfahren: "Friedrich Schleiermacher's Philosophische Sittenlehre, herausgegeben und erläutert von J. H. v. Kirchmann", 1870 (Philosophische Bibliothek Bd. 24 ). Als eigene Zutat hat der neue Herausgeber umfängliche Anmerkungen beigesteuert, die allerdings weniger der Erläuterung als der Ausbreitung von kritischen Kommentaren gewidmet sind. Neben das von Schweizer gebotene Konglomerat hatte August Twesten, Schüler Schleiermachers und sein Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl, bereits 1841 eine Ausgabe gestellt, die sich auf eine Auswahl der wichtigsten Manuskrip-

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te beschränkte: "F. Schleiermachers Grundriß der philosophischen Ethik". Als Haupttext enthält sie die das Ganze der Ethik umfassenden beiden Manuskripte aus dem WS 1812/13, deren Zusammengehörigkeit von Schweizer verkannt worden war. Drei Manuskripte aus späteren Jahren, die nur Teile des Syst(}ms behandeln, sind ergänzend mitgeteilt: am Anfang die letzte Fassung der Einleitung und die letzte Fassung des ersten Teils der Güterlehre, am Schluß die letzte Fassung der Pflichtenlehre. Von diesen letzten Entwürfen, die im Manuskript die Form von Leitsätzen mit knappen Erläuterungen haben, hat Twesten zumeist nur die Leitsätze abgedruckt. Um der Ergänzungen am Anfang und am Schluß willen hat er im übrigen die inhaltlich entsprechenden Teile des Haupttextes von 1812/13 herausgelöst und sie in einem Anhang mitgeteilt. Die ausführliche "Vorrede" Twestens (100 S.) ist nach Umfang und Inhalt als eine kleine Monographie zu Schleiermachers Ethik anzusprechen. Sie enthält u. a. eine Revision und Korrektur der von Schweizer angegebenen Datierungen. Ein Neudruck dieser Ausgabe ist (ohne die Vorrede Twestens) 1911 von Friedrich Michael Schiele veranstaltet worden: "F. Schleiermachers Grundriß der philosophischen Ethik (Grundlinien der Sittenlehre)". (Der unter der Nummer 85 in der Philosophischen Bibliothek erschienene Band löste in dieser den v. Kirchmannschen Neudruck der Schweizersehen Ausgabe ab.) Schiele hat die Anordnung der Manuskripte geändert: Er hat den Entwurf von 1812/13 im Zusammenhang abgedruckt und ihn durch die späteren Entwürfe umrahmt. Im Jahr 1913 hat Otto Braun zum ersten Mal eine vollständige Edition der vorhandenen Manuskripte vorgelegt: "Entwürfe zu einem System der Sittenlehre". In der Datierung der Manuskripte hat er sich Twesten angeschlossen. Er hat auch die zahlreichen Marginalien abgedruckt, die sich in den Manuskripten finden, und auch bei ihnen eine Datierung versucht. An den Anfang seiner Ausgabe hat er

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Auszüge "Aus Schleiermachers Tagebuch" gestellt, die aufgrund der Veröffentlichung im Anhang zu Diltheys "Leben Schleiermachers" (1870) wiedergegeben sind_ Ferner hat Herman Nohl im Rahmen dieser Ausgabe den von ihm wiederentdeckten "Versuch einer Theorie des geselligen Betragens" ediert. Die Braunsehe Ausgabe ist als 2. Band der von ihm (und Johannes Bauer) herausgegebenen "Werke. Auswahl in vier Bänden" erschienen (Philosophische Bibliothek 136-139, 1910/13; 1927/28 2 , Reprint 1967/81); sie stellt unter editorischem Gesichtspunkt deren bestes Stück dar. Die Veröffentlichung im Rahmen einer Auswahlausgabe, die in ihren übrigen Bänden nicht den Charakter einer kritischen Edition trägt, hat sich allerdings als wirkungshindernd erwiesen. In der Schleiermacher-Literatur sind überwiegend noch die älteren unvollständigen Ausgaben benutzt worden.

3. Die Vorlesungen und die Manuskripte zum System der Ethik Schleiermacher hat achtmal über (philosophische) Ethik gelesen: in Halle in den Wintersemestern 1804/05 und 1805/06, in Berlin Anfang 1808 (vor Eröffnung der Universität), dann im Wintersemester 1812/13 und in den Sommersemestern 1816, 1824, 1827 und 1832. Als Bezeichnung der Disziplin begegnet in den Vorlesungsankündigungen, in den Manuskripten und im Briefwechsel teils "Ethik", teils "Sittenlehre"; "Moral" kommt nur in Ankündigungen und Briefen der Hallenser Zeit vor. Im Schleiermacher-NachlaB des Zentralen Archivs der Akademie der Wissenschaften der DDR befinden sich neun Manuskripte (Hefte), die das Ganze oder größere Teile des Systems der Ethik behandeln. Sie sind im folgenden mit ihrer Oberschrift aufgeführt, soweit sie eine solche haben, daneben mit einer inhaltlichen Kennzeichnung; ferner ist

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die Datierung bzw. die vermutliche Entstehungszeit angegeben. Bei jedem Manuskript ist außerdem die NachlaßSignatur des Akademie-Archivs mitgeteilt, ferner wie es in den Ausgaben von Schweizer und von Braun bezeichnet und wie es bei Braun datiert ist. Die Jahreszahlen, die Braun im Anschluß an Twesten angegeben hat, können im wesentlichen als zutreffend angesehen werden. Er hat allerdings nicht deutlich werden lassen, an welchen Stellen es sich um erschlossene Datierungen handelt. Die Begründung für die von mir angegebenen Daten, die nur an einer Stelle stärker von denen der Braunsehen Ausgabe abweichen, ergibt sich aus den nachfolgenden Ausführungen. 1. "Der Sittenlehre zweiter Teil. Die Tugendlehre". Vollständiger Entwurf der Tugendlehre. Vermutlich im Zusammenhang mit der Vorlesung von 1804/05 entstanden. (Nachlaß: 122. Schweizer: e. Braun: I; 1804/05). 2. "Brouillon zur Ethik 1805". Gesamtentwurf der Ethik, bis zum Anfang der Pflichtenlehre reichend. Manuskript der Vorlesung von 1805/06. (Nachlaß: 115. Schweizer: d. Braun: II; 1805/06). 3. "Ethik". Vollständiger Entwurf der Einleitung und der Güterlehre. Im Zusammenhang mit der Vorlesung von 1812/13 entstanden. (Nachlaß: 116. Schweizer: c. Braun: III; 1812/13). 4. Tugend- und Pflichtenlehre. Vollständiger Entwurf der Tugendlehre, Teilentwurf der Pflichtenlehre. Im Zusammenhang mit der Vorlesung von 1812/13 entstanden. (Nachlaß: 121. Schweizer: b. Braun: IV; 1812/13). 5. Einleitung: Vollständige Neufassung der Einleitung von 1812/13. Vermutlich 1813 entstanden. (Nachlaß: 120. Schweizer: b. Braun: VII; 1816). 6. "Vorletzte Bearbeitung der Einleitung ins höchste Gut und des ersten Abschnitts". Neufassung des Anfangs der Güterlehre. Vermutlich 1814/15 entstanden. (Nachlaß: 118. Schweizer: b. Braun: V; 1814/16). 7. Pflichtenlehre. Vollständiger Entwurf. Vermutlich 1814/15

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oder 1816/17 entstanden. (Nachlaß: 123. Schweizer: c. Braun: VI; 1814/16). 8. "Neuer Anfang der Ethik". Vollständige Neufassuf!.g der Einleitung. Vermutlich 1816/17 entstanden. (Nachlaß: 117. Schweizer: a. Braun: VIII; 1816). 9. "Güterlehre. Letzte Bearbeitung". Neufassung des Anfangs der Güterlehre. Vermutlich 1816/17 entstanden. (Nachlaß: 119. Schweizer: a. Braun: VIII; 1816). Für das Verständnis dieser Entwürfe ist es wichtig zu beachten, daß es sich nicht einfach um die Manuskripte der oben erwähnten Vorlesungen handelt. Schleiermacher hat sich auf seine Vorlesungen in der Regel so vorbereitet, wie er es zu Beginn seiner Hallenser Lehrtätigkeit geschildert hat: "Du kannst denken, daß ich auch nur die Hauptsätze notiere und übrigens frei rede, und dabei werde ich auch bleiben." (An E. u. H. v. Willich am 30. Oktober 1804, Briefe 2, 10). Seine Vorlesungsmanuskripte bestätigen, daß er lebenslang bei dieser Praxis geblieben ist. Sie enthalten in der Tat nur die "Hauptsätze", knappe, zumeist thesenartige Notizen, manchmal auch nur thematische Stichworte. Zum Teil sind seine Aufzeichnungen auch erst nach dem jeweiligen Kolleg entstanden. In einem Brief vom 31. Mai 1805 notiert er, auf dem Katheder lasse er seinen Gedanken "weit freieren Lauf als auf der Kanzel, und so kommt mir manches dort durch Inspiration, was ich denn des Aufzeichnens für die Zukunft wert achte und woraus mir so noch eine Nacharbeit entsteht." (Briefe 4,113 = Meisner 2,37). Von den erhaltenen Ethik-Entwürfen ist nur das Brouillon von 1805/06 als genuines Vorlesungsmanuskript anzusprechen. Die Aufzeichnungen, die im Zusammenhang mit den Vorlesungen von 1812/13 und von 1816 niedergeschrieben worden sind, waren zugleich als Ausarbeitungen für einen Grundriß der Ethik gedacht. Schließlich gibt es Manuskripte, die ganz unabhängig von Vorlesungen für den Druck ausgearbeitet worden sind. Die für den Druck bestimmten Entwürfe lassen andererseits deutlich die Herkunft aus dem Lehrbetrieb

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erkennen. Sie haben die Form von Leitsätzen, die auf Ent· faltung und Erläuterung angelegt sind. Schleiermacher hat dabei ein Kompendium von der Art seiner theologischen En· zyklopädie beabsichtigt (Kurze Darstellung des theologischen Studiums, 1811. 1830 2 }, nicht ein Lehrbuch, wie er es spä· ter für die Dogmatik vorgelegt hat (Der christliche Glaube, 1821/22. 1830/31 2 ). Die oben unter Nr. 3-5 aufgeführten Manuskripte haben die Form der 1. Auflage der "Kurzen Darstellung": sie bieten lediglich Leitsätze. In den unter Nr. 6-9 genannten Entwürfen ist - wie in der 2. Auflage der "Kurzen Darstellung" - den Leitsätzen zumeist eine kurze Erläuterung beigefügt. Nur zwei Entwürfe umfassen das Ganze bzw. fast das Ganze des Systems der Ethik. Beide sind im Zusammenhang mit Vorlesungen entstanden (1805/06 und 1812/13); beide sind von Schleiermacher selbst datiert worden. Die übrigen Manuskripte behandeln jeweils nur Teile des Systems. Sie sind nicht datiert. Ihre zeitliche Einordnung kann jedoch einigermaßen zuverlässig erschlossen werden, insbesondere aus Hinweisen, die sich Schleiermachers Briefwechsel entnehmen lassen. Als Schleiermacher 1804 als außerordentlicher Professor der Theologie an die Universität Halle berufen wurde, geschah das in Abwendung eines Rufes nach Würzburg, wo er "das Fach der theologischen Sittenlehre und den gesamten praktischen Teil der Theologie" hätte vertreten sollen (Briefe 3, 387). In Halle hat die Ethik zu seinen ersten Vorlesungen gehört; neben ihr hat er im Wintersemester 1804/05 zwei theologische Vorlesungen gehalten. Ausarbeitungen dieser ersten Ethikvorlesung hat er Freunden zur kritischen Durchsicht übersandt. Ein Brief an Henriette Herz, der am 27. März 1805, also gegen Semesterende, entstanden ist, erwähnt einen früher übersandten Teil und fugt hinzu: "Die Tugendlehre hoffe ich diese Woche noch fertigzumachen und schicke sie dann gleich. Von der Pflichtlehre habe ich überall kein Wort aufgeschrieben, und es ist mir recht lieb, daß Euer Lesen mich gewissermaßen bindet, so daß sie auch aufs Papier

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kommen muß." (Meisner 2,34 ). Einen Entwurf, der Tugendund Pflichtenlehre nicht enthielt, hat auch J oachim Christian Gaß erhalten (Gaß 25 f). Auf dessen Frage nach den noch ausstehenden Teilen teilt Schleiermacher am 6. September 1805 zum "Tugendbegriff" mit, daß "die kurze Skizze, die ich davon aufs Papier gebracht", durch ein Mißverständnis nicht weitergeleitet worden sei. Für den "Pflichtbegriff" stellt er in Aussicht, daß eine Aufzeichnung bei der Vorlesung des bevorstehenden Wintersemesters entstehen solle (Gaß 30 f = Meisner 2,44 f). In Schleiermachers Nachlaß befindet sich ein undatiertes Manuskript mit der Oberschrift "Der Sittenlehre zweiter Teil. Die Tugendlehre" (oben Nr. 1), bei dem es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die im Briefwechsel erwähnte Ausarbeitung handelt. Das brieflich erwähnte Manuskript des ersten Teils der Ethik ist im Nachlaß nicht erhalten. Im Wintersemester 1805/06 hat Schleiermacher wiederum neben zwei theologischen Vorlesungen- die Ethik zum zweiten Mal vorgetragen. Das Manuskript dieses Sememesters ist erhalten; es trägt die Aufschrift "Brouillon zur Ethik 1805" (oben Nr. 2). Nachdem Halle von französichen Truppen besetzt und die Universität im Oktober 1806 geschlossen worden war, ist Schleiermacher 1807 nach Berlin übersiedelt, wo er alsbald an den Vorbereitungen für eine neue Universität teilgenommen hat. Wie andere Gelehrte hat er schon vor ihrer Eröffnung Vorlesungen gehalten. In den ersten Monaten des Jahres 1808 hat er - neben der theologischen Enzyklopädie - erneut die Ethik behandelt. 4 An der 1810 eröffneten Universität ist er dann in zwei Fakultäten zu Hause gewesen, als Professor in der Theologischen, als Mitglied der Akademie der Wissenschaften in der Philosophischen Fakultät, an der er von nun an die (philosophische) Ethik vorgetragen hat. In den Vorlesungsverzeichnissen findet sich das "System der Sittenlehre" Ueweils 5-stündig) für die folgenden Semester angekündigt: WS 1812/13, SS 1824, SS 1827, SS 1832. Aus brieflichen Äußerungen Schleiermachers ergibt sich, daß er

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die Vorlesung außerdem im Sommersemester 1816 gehalten hat (Meisner 2,231; Briefe 4,212; Gaß 128 = Meisner 2,242). Bereits bei seiner ersten Ethikvorlesung in Halle hatte Schleiermacher die Absicht bekundet: "Von der Ethik denke ich, wenn ich sie erst noch einmal gelesen habe, vor dem dritten Mal einen kleinen Grundriß drucken zu lassen." (Am 17. Dezember 1804, Gaß 7; vgl. auch Briefe 4,109). Im Vorblick auf das Ethikkolleg ,des Wintersemesters 1805/06 erwähnt er das Projekt erneut, allerdings mit dem Zusatz, er wolle "wenigstens erst dreimal Vorlesungen darüber gehalten haben, und das kann wohl nicht eher als 1807 geschehen" (Briefe 4,117). Als er 1808 das dritte Mal Ethik liest, schiebt er die geplante Veröffentlichung weit hinaus (Briefe 4,150 = Meisner 2,102). Im Zusammenhang mit der Vorlesung von 1812/13 gewinnt der Plan dann feste Konturen: "Ich arbeite mir jetzt vor zu Campendien der Ethik und Dogmatik. Bis jetzt habe ich noch ohne Lücke geschrieben, und die erste denke ich denn womöglich noch im künftigen Jahre fertigzumachen". (An Gaß am 21. November 1812, Briefe 4,190; vgl. auch Gaß 107, ferner Meisner 2,151). Schleiermacher hat in diesem Semester einen nahezu vollständigen Entwurf ausgearbeitet, der in zwei Manuskripten im Nachlaß vorliegt (oben Nr. 3 und Nr. 4). Es kann verwunderlich erscheinen, daß die Veröffentlichung damals nicht zustande gekommen ist, denn die noch ausstehenden Abschnitte der Pflichtenlehre hätten kaum mehr als 10 zusätzliche Seiten ausgemacht. Eine Erklärung läßt sich einem Brief an Friedrich Schlegel vom 12. Juni 1813 entnehmen. Im Anschluß an die Bemerkung, "wie ungeheuer schwer ein Compendium" sei, schreibt Schleiermacher: "Doch hatte ich eben angefangen, eins über meine Ethik auszuarbeiten, als das Landsturmedikt erschien und mich in eine große Tätigkeit setzte, in der seither alles andre untergegangen ist." (Briefe 3,430 = Meisner 2,190). Die Wendung "eben angefangen" paßt allerdings nicht zu den beiden umfänglichen Manuskripten, die während des

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Semesters entstanden waren. Sie legt vielmehr die Vermutung nahe, daß Schleiermacher im Anschluß an die Vorlesung, die am 26. März geschlossen worden war, eine Überarbeitung begonnen hat, die nach 4 Wochen - das Landsturmediktist auf den 21. April 1813 datiert- unterbrochen und in den Unruhen des Jahres 1813 dann nicht weitergeführt worden ist. In seinem Nachlaß befindet sich ein undatiertes Manuskript "Einleitung" (oben Nr. 5), das als eine überarbeitete Fassung der Einleitung von 1812 anzusprechen und vermutlich mit dem im Brief erwähnten Anfang eines Kompendiums identisch ist. 5 Schleiermachers Briefen läßt sich entnehmen, daß er in den folgenden Jahren noch zweimal ( 1814I 15 und 1816 I 17) über einen längeren Zeitraum hinweg an einem solchen Kompendium gearbeitet hat. Die erste dieser beiden Arbeitsphasen reicht - ohne Zusammenhang mit einer Vorlesung - vom Herbst 1814 (vgl. Gaß 121 = Meisner 2,214; ferner Briefe 4,203 = Meisner 2,215) bis in den Sommer 1815 (vgl. Meisner 2,221). Am 5. August 1815 schreibt er dann, er stehe "noch immer in der Lehre vom höchsten Gut, und was fertig ist, ist doch auch noch nicht einmal recht fertig" (Briefe 4,208 = Meisner 2,224). Als Ergebnis dieser Phase ist mit großer Wahrscheinlichkeit das Manuskript anzusehen, das durch eine spätere Randbemerkung als "die vorletzte Bearbeitung der Einleitung ins höchste Gut und des ersten Abschnitts" bezeichnet ist (oben Nr. 6). Diese teilweise Neubearbeitung der Güterlehre unterscheidet sich von den früher~n Entwürfen in formaler Hinsicht dadurch, daß den Leitsätzen Erläuterungen hinzugefügt sind. Im Zusammenhang mit der Ethikvorlesung des Sommersemesters 1816 hat sich Schleiermacher ein weiteres Mal die Ausarbeitung des Kompendiums vorgenommen (vgl. Meisner 2,231; Briefe 4,212; Meisner 2,235). Nach einer längeren Unterbrechung hat er die Arbeit daran um die Jahreswende 1816117 fortgesetzt. Am 4.1.1817 schreibt er: "An der Ethik arbeite ich langsam und werde sie wohl erst im Sommer voll-

Einleitung

XXI

enden." (Briefe 4,214; vgl. auch Gaß 128 = Meisner 2,242). Am 5. Juli 1817 heißt es schließlich: "Die Ethik liegt wieder ganz". (Gaß 139 = Meisner 2,256). Im Nachlaß befinden sich zwei Manuskripte, die mit großer Wahrscheinlichkeit als Ausarbeitungen von 1816/17 anzusehen sind. Es handelt sich einmal um eineN eufassung der Einleitung, die auf dem Umschlagblatt als "Neuer Anfang der Ethik" bezeichnet ist (oben Nr. 8 ), zum anderen um ein Manuskript mit der Überschrift "Güterlehre. Letzte Bearbeitung", eine Neufassung des Anfangs der Güterlehre (oben Nr. 9). Daß ein Entwurf der Ethik bis in die Güterlehre hinein ausgearbeitet sei, hat Schleiermacher in späteren Jahren erwähnt. 6 Schwieriger zu datieren ist ein Manuskript, das eine fast vollständige Ausarbeitung der Pflichtenlehre enthält (oben Nr. 7). Es könnte sowohl der Arbeitsphase von 1816/17, wie der vorhergegangenen von 1814/15 entstammen. 1819 hat Schleiermacher begonnen, Grundbegriffe der Ethik in Akademieabhandlungen zu erörtern. In der ersten dieser Abhandlungen hat er ausdrücklich darauf Bezug genommen, daß er "schon seit langer Zeit in der Ausarbeitung eines eignen Entwurfs der Sittenlehre" begriffen sei und daß er wegen der Verzögerung eine Probe seines Verfahrens mitteilen wolle (SW III/2,350 f). In der Folgezeit sind diese Abhandlungen praktisch an die Stelle des zunächst geplanten Kompendiums getreten. 7 Für seine Ethikvorlesungen von 1824, 1827 und 1832 hat Schleiermacher die älteren Manuskripte benutzt. Einzelne Anmerkungen und Ergänzungen hat er teils auf ihren Rändern, teils auf gesonderten Zetteln und Blättern notiert. Im Folgenden ist der Inhalt der Manuskripte noch einmal in schematischer übersieht angegeben. Inhaltsbezeichnungen in Klammem bedeuten, daß der betreffende Teil nicht vollständig ausgeführt ist; Jahreszahlen in Klammem bedeuten, daß die Datierung nicht von Schleiermacher selbst stammt, sondern erschlossen ist.

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Hans-joachirn Birkner

EinIeitung

Güterlehre

1.

(1804/05)

2. 3. 4.

1805/06

X

X

1812/13 1812/13

X

X

5.

(1813)

6.

(1814/15)

7.

(1814/17)

8. 9.

(1816/17) (1816/17)

Tugend- Pflichtenlehre lehre X X

(x)

X

(x)

X

(x) X X

(x)

Die Obersicht macht augenfällig, welche Manuskripte als die Hauptquellen für Schleiermachers System der Ethik anzusehen sind. Es sind dies einmal der frühe Gesamtentwurf von 1805/06, sodann der zweite Gesamtentwurf, der in den beiden Manuskripten von 1812/13 vorliegt, schließlich die letzten Fassungen der Einleitung, des Anfangs der Güterlehre und der Pflichtenlehre.

4. Die vorliegende Ausgabe Das Hallenser "Brouillon zur Ethik" von 1805/06 stellt den ersten der beiden Gesamtentwürfe dar, die Schleiermacher im Zusammenhang mit Vorlesungen über das System der Sittenlehre niedergeschrieben hat. 8 Die vorliegende Studienausgabe bietet den Text nach der Edition von Otto Braun (Entwürfe zu einem System der Sittenlehre, 1927 2 ), in der dieses wichtige Manuskript zum ersten Mal vollständig veröffentlicht worden ist, nachdem die Ausgabe von Alexander Schweizer bereits Auszüge mitgeteilt hatte. Die Seitenzahlen Brauns sind in der vorliegenden Ausgabe am oberen inneren Seitenrand in Klammem angegeben. Die Zahlen daneben bezeichnen die

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Seiten des Originalmanuskripts; der Seitenumbruch des Manuskripts ist im Drucktext durch einen Schrägstrich markiert. über die Grundsätze, denen er bei der Wiedergabe des Textes gefolgt ist, hat Braun sich folgendermaßen geäußert: "Im allgemeinen bin ich getreu dem Original gefolgt, ja ich habe sogar die Schwankungen in der Schreibweise verschiedener Worte beibehalten ... Nur in einem Punkte bin ich in größerem Maßstabe konsequent von Schleiermacher abgewichen: beim Großschreiben nach dem Artikel, also beim substantivierten Adjektivum, Verbum usw .... Die Interpunktion ist ebenfalls im ganzen konservativ behandelt. Doch setzte ich stets vor Nebensätzen ein Komma, mit Ausnahme der Infinitivsätze, und verwandelte das Kolon in Komma, wenn es Haupt- und Nebensatz trennte (namentlich vor "so"). Abkürzungen Schleiermachers wurden aufgelöst, ohne Bemerkung, wenn die Auflösung unzweifelhaft war. Sonst fügte ich spitze Klammem hinzu, z. B. Bew< ußtsein>. Auch sind einzelne Worte, die ich gelegentlich zur Ergänzung in den Text Schleiermachers einfügte, in dieselben Klammern gesetzt. Alle runden Einklammerungen rühren von Schleiermacher her. Meine Zusätze in und unter dem Text sind in eckige Klammern geschlossen, z. B. [?] oder kursiv, stellen-weise beides ... "(XXI f). Braun hat darüber hinaus einzelne editorische Maßnahmen getroffen, die er nicht eigens erwähnt hat. Im Blick auf das Manuskript von 1805/06 ist zu erwähnen, daß er die Angabe der Stundenzählung einheitlich nach dem Muster der ersten 16 Stunden gestaltet hat. Im Manuskript ist nur für diese Stunden die Zählung im Text ausgeschrieben; von der 17. Stunde an ist sie mit römischen Ziffern am Rand angegeben. Im ganzen ist seine Ausgabe als zuverlässig zu beurteilen. Ein Neudruckdes Brouillon von 1805/06 aufgrunddieser Ausgabe erscheint um so eher gerechtfertigt, als die seit 1980 erscheinende Kritische Gesamtausgabe die Edition der Vorlesungen Schleiermachers erst für eine spätere Arbeitsphase vorsieht. Der gesonderte Abdruck kann vielleicht dazu beitragen, die-

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sen frühen Gesamtentwurf, der in der Schleiermacher-Literatur nur selten für sich behandelt und gewürdigt worden ist 9 , in seiner Eigenart hervortreten zu lassen. Zur Entstehung und zur Gestaltung des Manuskripts dieser zweiten Ethikvorlesung Schleiermachers sind noch folgende Hinweise zu geben. Als der Sechsunddreißigjährige im Jahre 1804 zunächst nach Würzburg, dann nach Halle berufen wurde, war er der wissenschaftlichen Welt außer als Platoübersetzer vor allem als der Kritiker aller bisherigen Sittenlehre bekannt. Seine Absichten richteten sich darauf, der kritischen Leistung eine konstruktive folgen zu lassen, ein "eigenes System". Am 28. Januar 1804 schrieb er an Ehrenfried v. Willich: ,,Mein eignes System wird, im wissenschaftlichen Kleide angetan, wohl so bald noch nicht erscheinen, indessen werde ich es in Würzburg als christliche Sittenlehre, auf die ich besonders gewiesen bin, vielleicht schon im ersten Halbjahr meines Lehramtes vortragen müssen." (Briefe 1,390). Als er statt nach Würzburg nach Halle ging, hat er dort für das Wintersemester 1804/05 ebenfalls "Christliche Sittenlehre" angekündigt, dann aber über philosophische Ethik gelesen. An Gaß am 13. November 1804: ,,Meine Ethik ist, wohl überlegt, philosophisch geworden ... Ich glaube, wenn ich sie einige Male werde gelesen haben, werde ich wohl im Stande sein, mein System aufzustellen." (Gaß 3 = Meisner 2,22; vgl. Briefe 2,8). Für das Wintersemester 1805/06 hat er angekündigt, er lese "v .s. Curus der Moral den ersten philosophischen Teil". 10 Für diese Vorlesung hat er die "ethischen Papiere" zurückerbeten, die im Gefolge der Vorlesung von 1804/05 entstanden und an Freunde verschickt worden waren. (Vgl. den Brief vom 6. September 1805, Gaß 31). Die neue Vorlesung hat dann jedoch eine Gestaltung empfangen, die sich von der früheren offenbar nicht unwesentlich unterschied. "Die Ethik erfährt, was die Darstellung betrifft, eine ziemliche Umarbeitung, so daß sie mir auch diesmal noch viel Zeit kostet. Allein die Mühe bleibt, wie es mir scheint, auch nicht ohne Erfolg. Weniger steif und hart, freier und lebendi-

Einleitung

XXV

ger erscheint mir das Ganze". (Am 16. November 1805, Gaß 37 = Meisner 2,46; vgl. auch Briefe 2,70). Das von Schleiermacher als "Brouillon" (Entwurf) bezeichnete Manuskript, das er im Laufe des Wintersemesters niedergeschrieben hat, ist das Dokument dieser neuen Bearbeitung. Auf dem Titelblatt findet sich unter der Aufschrift "Brouillon zur Ethik 1805" die Angabe, daß die Vorlesung am 21. Oktober angefangen und am 27. März geschlossen worden ist. Daß es sich dabei um das Wintersemester 1805/06 und nicht etwa um die Vorlesung des vorhergegangenen J ahres handelt, ergibt sich u. a. daraus, daß der 21. Oktober 1804 ein Sonntag war, während für 1805 auch durch eine briefliche Äußerung bestätigt wird, daß Schleiermacher seine Vorlesungen am Montag, dem 21. Oktober, begonnen hat (Briefe 2,39f). Eine Randnotiz zur 17. Stunde "N.B. Einmal ausgesetzt wegen Massow" steht sichtlich in Zusammenhang mit dem Besuch des Ministers v. Massow in Halle, von dem Schleiermacher in einem Brief vom 16. November 1805 berichtet (Meisner 2,47). Die Notiz zur 30. Stunde "Eine Stunde ausgesetzt wegen Dulons Concert" bezieht sich offenbar auf das Flötenkonzert, das Schleiermacher auch im Zusammenhang mit der Entstehung seiner Schrift "Die Weihnachtsfeier" (1806} erwähnt hat. 11 Nach seinem brieflichen Bericht hatte Schleiermacher in der Ethikvorlesung "50-60 Zuhörer, was dermalen viel ist in einem philosophischen Collegio". 12 Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Universität Halle im Winter 1805/06 insgesamt 944 Studenten zählte, darunter 360 Theologen; an der Philosophischen Fakultät waren lediglich drei Studenten eingeschrieben. 13 In der (öffentlichen) Vorlesung über den Galaterbrief hatte Schleiermacher 120 Hörer, in seiner Dogmatikvorlesung hingegen "nur etwa eine Mandel", also ca. 15 (Gaß 37 = Meisner 2,46}. Die Vorlesung ist fünfstündig gehalten worden. Dem entspricht die Gliederung in 94 Stunden. Ein Strich nach der 42. Stunde markiert die Weihnachtspause; der Wieder-

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beginn im neuen 1ahr ist durch die Datumsangabe "d. 6. 1an." bezeichnet. Das wechselnde Bild der Handschrift läßt den Schluß zu, daß das Manuskript im Laufe des Se· mesters im wesentlichen von Stunde zu Stunde niedergeschrieben worden ist. Dazu stimmt auch der Sachverhalt, daß es mit der 94. Stunde mitten in der Pflichtenlehre abbricht. Das Ende des Semesters hat verhindert, daß der so weit gediehene Entwurf zum Abschluß geführt wurde. Es macht den besonderen Reiz und Rang dieses frühen Gesamtentwurfs aus, daß er einerseits - bis in Unausgeglichenheiten der Terminologie hinein - das Werden der Gedanken noch erkennen läßt, daß andererseits die neue Konzeption der als philosophische Grundwissenschaft verstandenen Ethik in allen wesentlichen Zügen vor Augen tritt. Anders als die späteren Entwürfe hat das Brouillon noch nicht die Form eines Kompendiums (mit gezählten Leitsätzen und mit Zwischenüberschriften). Es trägt vielmehr die Züge eines Vorlesungsmanuskripts, in dem die Gedanken oft nur skizzenhaft angedeutet sind. Im Aufriß __ zeigen die späteren Entwürfe an zwei Stellen e.ine augenfällige Veränderung. Einmal ist die Einleitung, die im Brouillon nur wenige Seiten umfaßt, später zu einer förmlichen wissenschaftstheoretischen Grundlegung ausgeweitet worden. Zum anderen bildet die Behandlung der großen Gemeinschaftsformen, die im Brouillon innerhalb des Viererschemas der Vernunftfunktionen erfolgt, später einen eigenen Teil. Im übrigen zeigt die Sachgliederung, die sich aus dem Manuskript erheben läßt und die oben im Inhaltsverzeichnis angegeben ist, denjenigen Grundriß der Ethik, der von da an für Schleiermachers Entwürfe bestimmend geblieben ist.

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Anmerkungen 1. In der 2. Auflage des Werks, hg. 1922 von Hermann Mulert, und in der 3. Auflage, hg. 1970 von Martin Redeker, ist dieser An· hang nicht enthalten. - Eine Edition sämtlicher Jugendmanuskripte, hg. von Günter Meckenstock, erscheint in der Kritischen Gesamtausgabe. 2. Die Ausgabe stützt sich in der Hauptsache auf Nachschriften der Vorlesungen von 1822/23; als .,Beilage" teilt sie sämtliche Manuskripte Schleiermachers mit. - Von Manuskripten und Nachschriften des WS 1826/27 hat Hermann Peiter eine Edition veranstaltet, die nur in Vervielfältigung vorliegt: ,.Das christliche Leben nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt". 3. ,.Ober die griechischen Scholien zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles" (1816, gedruckt 1819}; .,Ober die Echtheit der aristotelischen Ethiken" (1816, ungedruckt); .,Ober die ethischen Werke des Aristoteles" (1. Abhandlung 1817, gedruckt 1835; 2. Abhandlung 1818, ungedruckt); .,Einiges über die Scholien zur Nikomachischen Ethik" (1818, ungedruckt). Die ungedruckt gebliebenen Abhandlungen sind nach dem von Ludwig J onas mitgeteilten Verzeichnis aufgeführt (SW III/3, XIII-XVI). 4. Vgl. dazu Rudolf Köpke: Die Gründung der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 1860, S. 58.141. Daß Schleiermacher diese - in den bisherigen Ethik-Ausgaben nicht erwähnte - Vorlesung gehalten hat, wird bestätigt durch das in seinem Nachlaß (Signatur 437) befindliche .,Erinnerungsbuch für das Jahr 1808", das unter dem 6. Januar die Eintragung enthält: .,Angefangen zu lesen Ethik und theol. Encyclopädie". 5. Die bisherigen Ausgaben haben es auf spätere Jahre datiert. Schweizers Spätdatierung auf 1827 ist bereits von Twesten korrigiert worden, dem Braun mit der Angabe des Jahres 1816 folgt. Gegen diese Datierung spricht nicht nur die Form des Manuskripts (Leitsätze ohne Erläuterungen), sondern auch der Sachverhalt, daß es wenig wahrscheinlich ist, daß Schleiermacher im Jahr 1816 gleich zwei Neufassungen der Einleitung (vgl. oben Nr. 8) niedergeschrieben haben sollte. 6. Am 4. August 1826: ,.Was meine Ethik betrifft, so ruht die ja sehr. Ein großer Teil davon (jedoch noch nicht die ganze Lehre vom höchsten Gut) liegt seit mehreren Jahren ausgearbeitet da." Briefe 4,356. Vgl. auch den Brief vom 8. September 1825 in: C. F. G. Heinrici: D. August Twesten nach Tagebüchern und Briefen, 1889, 382.

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7. Unter Bezugnahme auf vier Abhandlungen, die damals teils bereits vorlagen, teils sich im Druck befanden, schreibt Schleiermacher am 4. August 1826: "Kann ich nun noch ein paar ähnliche aus dem ersten Teile liefern, so kann dann wohl ohne Schaden die Zusammenstellung des Ganzen noch ausgesetzt bleiben." Briefe 4, 357. Zwei Abhandlungen zum "ersten Teil" der Ethik, also zur Lehre vom höchsten Gut, hat er 1827 und 1830 vorgetragen. 8. Ein Neudruck des anderen Gesamtentwurfs, der 1812/13 entstanden ist, erscheint, zusammen mit den letzten Fassungen der Einleitung, der Güterlehre und der Pflichtenlehre, als Band 335 der Philosophischen Bibliothek. 9. Vgl. v. a. Albert Reble: Schleiermachers Kulturphilosophie, 1935, 101-170; ferner Emanuel Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie 4 (1952), 542-559. · 10. Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung Jg. 1805, Sp. 1265. - Entsprechend ist für das Sommersemester 1806 die Vorlesung über "Christliche Moral" angekündigt als "2ter Teil seines ethischen Cursus" (Intelligenzblatt Jg. 1806, Sp. 338). Es fällt auf, daß diese Art der Zuordnung von philosophischer und christlicher Sittenlehre, die bei späteren Vorlesungen nicht mehr vorkommt, im Manuskript der Vorlesung von 1805/06 keine Erwähnung und Erläuterung findet. 11. Vgl. Briefe 4, 122. - Der Flötenvirtuose Friedrich Ludwig Dulon hat am 2. Dezember 1805 in Halle gastiert; vgl. dazu Ekkehard Börsch in: Theologische Zeitschrift 13 (1957), 354-356. 12. An Georg Reimer am 25. Oktober 1805, Briefe 2,70 = Meisner 2,46. - An Gaß am 16. November 1805: "In der Ethik habe ich nun schon über 50 Zuhörer, und darunter, was man lange nicht erlebt hat, mehrere Juristen und Mediziner." Gaß 37 = Meisner 2,46. 13. Vgl. dazu die statistischen Angaben über die preußischen Universitäten bei Max Lenz: Geschichte der Königlichen FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin, 4. Bd, 1910, 23.

Auswahl-Bibliographie

1. Bibliographien Tice, Terrence N.: Schleiermacher Bibliography, Princeton/ New Jersey, 1966. Takamori, Akira: Schleiermacher-Literatur in Japan besonders in theo· logischer Sicht, in: Kwansei Gakuin University Annual Studies, 1976, Vol. XXV, 1-8. Eine Ergänzung der Bibliographie von Tice für die Jahre 1964-19 77 enthält die unten genannte Monographie von G. Moretto (1979).Spezielle Bibliographien zu Schleiermachers Ethik finden sich in der unten genannten Ausgabe der .,Monologen" von H. Mulert (1914; 1978) und in meiner unten genannten Monographie (1964).

2. Sammetausgaben Sämmtliche Werke. I. Abt. Zur Theologie (11 Bde), li. Abt. Predigten (10 Bde), III. Abt. Zur Philosophie (10 Bde), 1834-1864. (Abk.: SW) Werke, Auswahl in vier Bänden, hg. v. 0. Braun u. J. Bauer, 1910-1913. 1927/1928 2 • Neudruck 1967/81. (Abk.: Auswahl) Kleine Schriften und Predigten, hg. v. H. Gerdes u. E. Hirsch, 3 Bde, 1969/70. (Abk.: Schriften) Kritische Gesamtausgabe, 1980 ff.

3. Briefwechsel Briefwechsel mitJ. Chr. Gaß, hg. v. W. Gaß, 1852. (Abk.: Gaß) Aus Schleiermachers Leben. In Briefen, 4 Bde. Bde 1 u. 2 (1858) 1860 2 ; Bde 3 u. 4 1861/63. Neudruck 1974. (Abk.: Briefe) Schleiermacher als Mensch. Sein Werden und Wirken. Familien- und Freundesbriefe, hg. v. H. Meisner, 2 Bde, 1922/23. (Abk.: Meisner)

4. Schleiermachers Schriften zur Ethik (Fragmente und Rezensionen) in: Athenäum 1798-1800. Neudruck 1960. (Die Schleiermacher zugeschriebenen Fragmente sind abge-

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Auswahl-Bibliographie

druckt im Anhang zu W. Dilthey: Leben Schleiennachers, 1870. -Die Rezensionen sind abgedruckt in: SW 111/1). Versuch einer Theorie des geselligen Betragens, in: Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks 1799; neu hg. v. H. Nohl in: Auswahl 2, 1-31. Monologen. Eine Neujahrsgabe 1800. 18102 • 1822 3 • 18294 • - 4. Aufl. abgedruckt in: SW 111/1. - I. Aufl. abgedruckt in: Auswahl I; Schriften I. - Krit. Ausg. v. F. M. Schiele 1902; 2. erw. Aufl. v. H. Mulert 1914, Neudruck (3. Aufl.) 1978. Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde, 1800. Abgedruckt in: SW 111/1; Schriften I. (Rezensionen aus den Jahren 1800-1807) abgedruckt in: Briefe 4. Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre, 1803. 18342 • Abgedruckt in: SW 111/1;Auswahll. Predigten über den christlichen Hausstand, 1820. 1826 2 • Abgedruckt in: SW 11/1; Auswahl3; teilweise in: Schriften I. Ober die Begriffe der verschiedenen Staatsformen (gelesen 1814), gedruckt in: Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1818. Abgedruckt in: SW 111/2. Ober die griechischen Scholien zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles (gelesen 1816), gedruckt in: Abhandlungen . . . 1819. Abgedruckt in: SW 111/2. Ober die Auswanderungsverbote (gelesen 1817), gedruckt in: Abhandlungen ... 1819. Abgedruckt in: SW 111/·2. Ober die wissenschaftliche Behandlung des Tugendbegriffs (gelesen 1819), gedruckt in: Abhandlungen . 1820. Abgedruckt in: SW 111/2; Auswahl!. Versuch über die wissenschaftliche Behandlung des Pflichtbegriffes (gelesen 1824), gedruckt in: Abhandlungen ... 1826. Abgedruckt in: SW 111/2; Auswahl!. Ober den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz (gelesen 1825), gedruckt in: Abhandlungen . . . 1828. Abgedruckt in: SW 111/2; Auswahl 1. Ober den Begriff des Erlaubten (gelesen 1826), gedruckt in: Abhandlungen ... 1829. Abgedruckt in: SW 111/2; Auswahl I. Ober den Begriff des höchsten Gutes (I. Abhandlung gelesen 1827, 2. Abhandlung gelesen 1830), gedruckt in: Abhandlungen . . . 1832. Abgedruckt in: SW III/2; Auswahl 1. Reden bei besonderen Veranlassungen, gelesen in der Königlichen Akademie der Wissenschaften (1810-1833), hg. v. L. jonas, in: sw 111/3, 1835. Ober den Beruf des Staates zur Erziehung (gelesen 1814), hg. v. L. Jonas, in: SW 111/3, 1835; abgedruckt in: Auswahl I.

Auswahl-Bibliographie

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Über die ethischen Werke des Aristoteles (gelesen 1817), hg. v. L. Jonas, in: SW III/3, 1835. Über die verschiedene Gestaltung der Staatsverteidigung (gelesen 1820), hg. v. L. Jonas, in: SW III/3, 1835. Über Platons Ansicht von der Ausübung der Heilkunst (gelesen 1825), hg. v. L.Jonas, in: SW III/3, 1835. Entwurf eines Systems der Sittenlehre, hg. v. A. Schweizer (SW 111/5) 1835. Geschichte der Philosophie, hg. v. H. Ritter (SW III/4,1) 1839. Grundriß der philosophischen Ethik, hg. v. A. Twesten, 1841. Neuer Abdruck besorgt von F. M. Schiele, 1911. Die christliche Sitte, hg. v. L.Jonas (SW 1/12) 1843. 1884 2 • Die Lehre vom Staat, hg. v. C. A. Brandis (SW Ill/8) 1845. über das Anständige, hg. v. W. Dilthey, in: Briefe 4 (1863. Neudruck 1974). Denkmale der inneren Entwicklung Schleiermachers, in: W. Dilthey, Leben Schleiermachers, 1870. Philosophische Sittenlehre, hg. v.J. H. v. Kirchmann, 1870. Entwürfe zu einem System der Sittenlehre (Auswahl 2), hg. v. 0. Braun (1913) 1927 2 • Neudruck 1967.1981.

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Brouillon zur Ethik (1805/06)

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Brouillon zur Ethik. 1805.

Angefangen den 21. Oktober. Geschlossen den Tl. März.

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Einleitung. Erste Stunde. Die Wissenschaft in Mißcredit theils durch die herrschende Gesinnung - die Anarchie aller Art will keine Geseze - theils durch fehlerhafte Behandlung. Widersprüche. Das Sollen sucht einen theoretischen Grund in einer Philosophie, welche dem Praktischen den Vorrang giebt. Der Eudämonismus bezieht sich auf die niedere Persönlichkeit, die, weil alles in ihr zufällig ist, unter der Würde der Philosophie steht. Wenn einer sagt, er ist anders organisirt, so ist nichts gegen ihn aufzubringen. Dürftigkeit. Die Vorschriften und die Eigenschaften beziehen sich auf Verhältnisse, welche 1 selbst Producte des menschlichen Handeins sind ; diese können also nicht als Bedingungen seiner Geseze angesehen werden. Hieraus folgt für den Umfang der Ethik unmittelbar, daß alle socialen Verhältnisse in ihr entstehen müssen nach denselben Gesezen, nach welchen das Verhalten in diesen Verhältnissen regulirt wird. Analogisch folgt, daß auch das Wissen als Wirkliches, als Handeln durch die Ethik entstehen muß. Denn auch die Differenzen des Wissens sind Veranlassung zu sittlichen Geboten. Auch die rein physischen Verhältnisse, da sie immer diese Freiheit begleitet und das Handeln modificirt, müssen wenigstens als harmonisch mit diesen Gesezen nachgewiesen werden. Die Ethik ist also die ganze eine Seite der Philosophie. Alles erscheint in ihr als Produciren, wie in der Naturwissenschaft als Product. jede muß etwas anders aus der andem als positiv 1

beziehen sich auf Verhlltnisse, welche korr. "'": sind.

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aufnehmen. Denn auch Wissen und Handeln sind als Vermögen Natur und müssen als solche nachgewiesen werden. Sonach theilt sich alles reale Wissen in diese beiden Seiten. Darum ist die Ethik Wissenschaft der Geschichte d. h. der Intelligenz als Erscheinung. Zweite Stunde. Für den Umfang folgt ferner, daß, so wie aus der Naturwissenschaft alle Wissenschaften hervorgehen müssen, so aus der Ethik alle Kunstlehren. Kunst ist das, was man am wenigsten Gesezen. unterworfen glaubt; sie dürfte aber gar nicht dasein, wenn sie nicht könnte ethisch construirt werden. Kunst ist auch nichts Einzelnes, sondern eben die ethische Vollendung von allem andern. - Wie weit man also auch den Umfang der Ethik erweitert, sie kommt niemals über die eigentliche Erklärung hinaus, Beschreibung der Geseze des menschlichen Handelns. Aber was für Geseze und wie? Dies beantwortet sich durch die Folgerungen aus dem obigen und dem Charakter der Ethik. - Die Formel des Sollens ist ganz unzulässig. Ihre Vertheidiger selbst deuten sie auf einen Zwiespalt gegen das Gesez. Dies erhellt auch aus der Politik, woher sie genommen, auch in den freiesten Verfassungen denkt man sich da diesen Zwiespalt. I Die Wissenschaft aber muß den Zwiespalt eben als Schein darstellen und deshalb nicht in ihm stehn bleiben. Im Zwiespalt ist die Seligkeit nicht, auch bei der höchsten kategorischen Moralität. Auch wird die Geschichte so nicht begriffen, sondern steht, einzelne Facta mit einzelnen Gesezen verglichen, im Gegensaz mit der Wissenschaft. - Die Rathschläge des Eudämonismus wenden sich an die Willkühr, und die Willkühr ist, was gegen das Gesez irrational ist. In dieser Art seine ganze Richtung als zufällig zu denken kann die Seligkeit nicht sein. Auch die Geschichte erscheint so nur als ein blindes Spiel der Willkühr. Die eigentliche Form für die Ethik also ist die schlichte Erzählung: das Aufzeigen jener Geseze (die also als Naturgeseze

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dargestellt werden ohne Widerspruch des Erfolges) in der Geschichte. Diese Nachweisung kann 1 ihrer Natur nach vielseitig sein und muß es auch, um die Anschauung zu üben. Natürlich geht sie nicht auf jedes Einzelne, sondern immer auf das ethisch construirte Einzelne. Findet man sie in manchem nicht, so ist eben in diesem das Erkennen nicht selbständig; es ist also nichts für sich. Die Alten drückten dies so aus: alle Abirrung vom Sittlichen sei Mangel an Erkenntniß; denn die Sittlichkeit ist eben das rechte Selbsterkennen. Nur aus der Sittlichkeit kann die Moral hervorgehn, und die dargestellte Sittlichkeit kann wieder auf die Erweckung der Sittlichkeit wirken. Dritte Stunde. Dies führt uns auf die verschiedenen Zustände der Sittenlehre. Die bisherigen Formen genügen nicht; sie sind aber doch da gewesen, die rechte ist noch nicht da, wird auch nicht sogleich in ihrer Vollkommenheit kommen. Die wissenschaftliche Vervollkommnung der Ethik ist abhängig, wie wir gesehen haben, von der Gesinnung. Sie fing mit Gnomen an, die sich auf die niederen Verhältnisse beziehen. In den ersten sokratischen Schulen kam die wahre philosophische Anschauung dazu, und eine wissenschaftliche Periode begann, sie zerfiel bald wieder anderwärts in Epikureismus, Dialektik und Räsonniren über Einzelheiten. Resultat. Die Fortschritte der Wissenschaften sind schwankend, solange ein Mißverhältniß stattfindet zwischen der Gesinnung und dem wissenschaftlichen Triebe. Jenes Uebergewicht giebt Religion, die aber beim wissenschaftlichen Beginnen in falsche Mysti!< ausartet. Dieses Uebergewicht giebt dialektische Virtuosität, die aber beim Ausfüllen des wissenschaftlichen Fachwerkes das Rechte nicht finden kann. Sie ist ferner abhängig von der theoretischen Seite der Philosophie, weil diese ihr den Menschen geben muß, dessen klare 1

kann kcwr. aus: muss.

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Anschauung wieder das höchste Resultat der theoretischen Philosophie ist. Die theoretische Philosophie hängt aber selbst wieder von de!" Gesinnung ab. Also sind beide nur annähernd an ihre Vollkommenheit möglich. Dies führt auf die Frage, was man an die Spize der Sittenlehre stellen soll. Die Grundsäze, Beschreibung des Verfahrens durch Ableitung. Man kann die ursprüngliche Anschauung nicht in einen Saz zusammenfassen,/ und könnte man es, so würde man durch das fernere Verfahren sich von der historischen Form und von der Continuität der Anschauung entfernen. Man muß also unmittelbar in der Anschauung haften bleiben. Vierte Stunde. Unter die nachtheiligen Folgen der Behandlung in Grundsäzen und Säzen gehört auch die Sklaverei der Formeln und Worte. Die sittliche Anschauung sezt nun den Menschen, soweit ihn die theoretische Philosophie als Natur giebt, mit seinem geistigen Vermögen als Leib und sezt diesem als Seele entgegen die Freiheit des Vermögens der Ideen, d. h. als regierenden Trieb, welcher zu allen Thätigkeiten jener andern die hervorbringende und ordnende Ursache ist. Alles wird also in diesem Akt des reinen Erkennens angeschaut. Gegensaz dieser Ansicht gegen die gewöhnliche, wo die Freiheit nur als das beschränkende Princip erscheint. In lezterm ist also nur das Interesse der Natur das Positive, und das Resultat ist: die Freiheit ist nur da, um das Zusammenbestehen der vereinzelten Naturen möglich zu machen, wobei man sich im Kreise herumdreht. Denn warum sollen sie zusammen bestehen? Weil die Freiheit in ihnen isl Auch erscheint so alles im Zwiespalt. Von unserer Anschauung aus erscheint die Persönlichkeit als das Beschränkende. Wir haben darzustellen, was so von dem höhern Vermögen beseelt der menschliche Geist producirt. Es ist nicht ein anderes Resultat, als was auch der Mensch als Natur betrachtet giebt. Denn in der Natur muß alles als möglich gesezt und also auch

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seinem Wesen nach beschrieben werden, was durch Freiheit sein soll, und so wird alles dort gesezt, aber nur durch die Intelligenz das Ganze producirt; in der Ethik wird es kategorisch gesezt und als seine Production das Einzelne und Ganze. Die theoretische Philosophie zeigt den Entwicklungsgang des Producirens den Naturgesezen der Erde unterworfen. Die praktische Philosophie kann, so wenig sie den Menschen ohne Freiheit sezen kann, so wenig ihn auch ganz als Freiheit sezen, und sofern er es nicht ist, bleibt jene Unterworfenheit aber doch von Freiheit durchdrungen. Wie in der Naturbetrachtung alles eins ist und harmonisch, so auch in der ethischen überspringen wir den Zwiespalt. Das Böse ist an sich nichts und kommt nur zum Vorschein mit dem Guten zugleich, inwiefern dies als ein Werdendes gesezt wird. Fünfte Stunde. Um die Anschauung klarer zu machen, vergleiche man sie mit den gewöhnlichen Grundsäzen 1 , vornehmlich dem der allgemeinen Gesezmäßigkeit, dem der Glückseligkeit, dem der Gottähnlichkeit Allgemeine Gesezmäßigkeit kann nicht angetroffen werden in dem Interesse der Persönlichkeit, denn da erscheint die Vorherbestimmung des Handeins nur als Willkühr, als absolut Ungesezmäßiges. Aber der Gedanke ist auch nicht die Beschränkung des Interesses der Freiheit, denn man bekommt keinen Inhalt damit, sondern nur das leere Fachwerk. Der Inhalt, der nicht mit gesezt wird, ist also auch nicht erkannt, und darum ist von der Anschauung nur ein leerer Gedanke übrig geblieben. Das Höhere ist nur geahnet seiner Form nach als Gegensaz gegen das Niedrige. - Die Glückseligkeit ist das höchste und völlig befriedigte Gefühl des Lebens. Der Inhalt liegt allerdings in der Persönlichkeit, allein die Form, welche der Begriff ausspricht, kann nicht durch die Persönlichkeit hervorgebracht f werden. Denn die verschiedenen Factoren des 1

Grundsizen luwr.

IltiS:

Pflichten.

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Lebens erscheinen in relativen Gegensäzen und so das leben in jedem Moment gehemmt. Die Form kann nur dann gegeben werden, wenn die Vernunft als Seele eingetreten ist und so jeder Factor eine neue Beziehung auf sie bekommt und aus dem relativen Gegensaz herausgehoben wird. In dieser Formel ist also auch die höhere Beseelung indirect enthalten; sie ist nicht inhaltsleer, aber bedingungslos. Die Natur der Bedingung ist nicht erkannt, sondern sie ist nur geahndet. - Die Gottähnlichkeit scheint nicht dargestellt werden zu können, wo das absolute Erkennen nur als Seele des Einzelnen behandelt wird. Allein die alte Philosophie sezte eben so das Universum als ein lebendes und Beseeltes und dann wieder den Poiiq, eben die Idee als Princip gedacht, als die Seele dieser Seele grade wie unsere Grundanschauung, die also ganz in jener enthalten ist. Das Verhältniß jener beiden Formeln zu unserer Anschauung erregt die Hoffnung, daß diese die Aufgabe lösen wird ohne Halbheit und Negativität. Das Verhältniß der leztern erregt die Hoffnung, daß wir im rechten Parallelismus mit der theoretischen Seite der speculativen Philosophie bleiben werden. Die Behandlungsweise der Ethik wird auch am besten klar werden durch Vergleichung mit dem bisherigen. Bei den Alten höchstes Gut und Tugend, bei den Neuen Tugend und Pflicht. Diese beiden stehn in einem Gegensaz: wenn die Tugend gegeben ist, hört die Pflicht auf; so lange man die Pflicht einschärfen muß, ist die Tugend noch nicht da. Höchstes Gut und Tugend verhalten sich wie das Ganze zu seinem Integral oder wie die Linie zu ihrer Function. So scheint der Pflichtlehre höchstens ein kritischer Werth zuzukommen und die Tugendlehre fast überflüssig zu sein in Vergleich mit der vonl dem höchsten Gut. Eine bessere Ansicht giebt die Vergleichung mit der Natur. Das höchste Gut ist die Kosmographie, die ganze Organisation 1

V erschrilbm: nach

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der Tugendlehre ist die Dynamik, die Pflichtlehre ist die speculative Ansicht der einzelnen Oscillationel'!, durch welche doch das Ganze entsteht. Sechste Stunde. Zusäze zum vorigen. Das Princip der Vervollkommnung war nicht angeführt worden, weil es nicht so gut zur Erläuterung dienen kann. Uebereinstimmung des Zufälligen mit dem Wesentlichen. Das Zufällige ist irrational mit dem Wesentlichen. Es kann also nur heißen: das Zufällige soll aufgehoben, ins Wesentliche verwandelt werden. Und so stellt die Formel auch unsere Anschauung dar; allein man sieht auch, daß sie als Formel nicht zu brauchen ist. - Durch den Ausdruck der Gottähnlichkeit hat Plato den Geist seiner Ethik dargestellt, als Formel sie aber nicht gebraucht. Sie beruhte als solche auf dem gernißbrauchten Oegensaz des Mikrokosmos und Makrokosmos, der aber besser innerhalb der Ethik selbst stehn bleibt zwischen dem Einzelnen und Ganzen. - Die drei Behandlungsarten waren neulich mehr negativ dargestellt, jezt auch an und für sich. Die Vernm1ft soll Seele sein. Das beseelende Princip bildet, erhält sich Leib und Leben: wir müssen also die Vernunft finden als sich die menschliche Natur aneignend und sich nun als Seele mit dem Ganzen in Wechselwirkung erhaltend. Dieses in seiner Totalität gedacht ist die Lehre vom höchsten Out. Alles Handeln dieser Seele geht aber durch die Natur, I welche sie sich angebildet hat. Diese Natur hat ihre Thätigkeiten und Qualitäten, welche aber eine neue Dignität erhalten durch die Beseelung der Vernunft und nun ihr Produciren im Einzelnen, in der räumlichen Vertheilung angeschaut, das ist die Tugendlehre. Ferner geht ihre Thätigkeit durch einzelne Momente, verschiedene Handlungen, die in den Einzelnen gleichförmig sind, zumeist besonderen Seiten des Lebens angehörend, einzelne Fundionen verrichtend. In diesen den Charakter des Ganzen erkennen ist die Darstellung unter Form der Pflichtenlehre. Man muß alle drei verbinden. Sonst sieht

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man nicht, wie zum Ganzen die Elemente im Einzelnen liegen, weder im Raum noch in der Zeit. Wir haben die Ethik gefunden als den ganzen Gegensaz zur Physik, praktische Philosophie, in der man gewöhnlich mehrere Abtheilungen macht. Allgemeine praktische Philosophie und eigentliche Sittenlehre. Die erste Betrachtung der Vernunft ohne Betrachtung der menschlichen Natur. Entweder nur eine Verwandlung der Ideen in abstrakte Begriffe oder Allerhöchstes der Philosophie. Identität des Mikrokosmus und Makrokosmus; an lezteres aber hat Niemand gedacht. Angewandte Sittenlehre, einzelne Disciplinen neben der Sittenlehre. Sie sind von zweierlei Art. Ascetik und Pädagogik sezen eigentlich Mittel zum Besserwerden; in der Ethik kann es aber keine Mittel geben. jedes Handeln soll entweder für sich sein, oder es darf auch als Mittel nicht sein. Anders ist es bei einzelnen Künsten, die eine Technik haben. Siebente Stunde. Fortsezung. Anders ist es mit Politik, Oeconomik. Dies sind wirkliche Theorien. Allein eben so hängt, wie wir gesehen haben, jede Theorie eines Producirens mit der Ethik zusammen, und es ist falsch einige in eine nähere Beziehung damit zu bringen als andere. Grammatik und Poetik sind eben so im Verhältniß wie Politik. Diese falsche Ansicht hängt zusammen mit dem gleich anfangs getadelten Beschränken des Gebietes der Ethik. - Wir werden also in einem Stück ohne weitere Absonderung das Ganze behandeln unter den aufgestellten Formen. Wiederholung der einleitenden Ideen in kurzen Säzen. Wesen und Umfang der Ethik. So gewiß sie wissenschaftliche Darstellung des menschlichen Handeins ist, so gewiß ist sie die ganze Eine Seite der Philosophie, der nur noch Eine andere gegenübersteht. Zustand und Werden der Ethik. Beide Seiten stehen in einem Verhältniß gegenseitiger Abhängigkeit vermittelst der

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gleichen Nothwendigkeit der Gesinnung und der Wissenschaftlichkeit; können sich also auch nur gemeinschaftlich und parallel der Vollkommenheit nähern. Form und Stil der Ethik. Der Stil der Ethik ist der historische. Denn nur wo Erscheinung und Gesez als dasselbe gegeben ist, ist eine wissenschaftliche Anschauung. Im Sollen ist ein Zwiespalt gesezt, im Rathgeben ein Aeusseres und Bedingtes. Der Stil kann also weder imperativisch noch consultativisch sein. Daher ist auch die Form der Ethik die Entwickelung einer Anschauung. An die Spize wird gesezt der Umriß: Be-/ seeJung der menschlichen Natur durch die Vernunft. Die gewöhnlichen Principien enthalten nur einzelne Seiten dieser Anschauung, die Gesezmäßigkeit, die Form, die freilich nur aus der Vernunft hervorgehen kann, ohne den Inhalt, die Glückseligkeit, den Inhalt, der nur durch die Vernunft in der Natur kann hervorgebracht werden. Die Vervollkommnung die Aufhebung der Irrationalität zwischen Natur und Vernunft. Die Gottähnlichkeit des Ganzen aber nur unter Voraussezung einer Analogie mit dem Universum, die sich wieder auf die Ethik zurückführt. Von den verschiedenen Darstellungen der Ethik. Es ist darzustellen das ganze organisirte Leben als höchstes Gut. Die Beseelung in der Vereinzelung der Person als neue Qualität, Tugendlehre. Die Beseelung in der Vereinzelung der Zeit als Vernunftinhalt des Momentes, Pflichtenlehre. Einieitung in die Darstellung des höchsten Gutes. Höchst ist gar nicht comparativ zu nehmen als Einzelnes, sondern als Totalität. Gut ist hier nur die Affirmation dessen, was in der Idee liegt. Also die vollständige Beseelung. Als höchstes Gut zugleich am vollständigsten Wissenschaft der Geschichte. Die Zusammenhaltung dieser beiden Bestimmungen muß es klar machen.

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Achte Stunde. Das Leben erscheint überall in verschiedenen Functionen, die mit einander in relativen Gegensäzen stehn, aber doch einzeln weder verstanden werden noch existiren können, sondern in nothwendiger Verbindung stehen. So müssen wir also auch das Leben der beseelenden Vernunft finden; in Einzelheiten müssen wir es betrachten, die aber organisch und nothwendig zusammenhängen. Dasselbe will nun sagen Wissenschaft der Geschichte. Die merkwürdigen Erscheinungen der Geschichte sind nichts anders als die in Masse heraustretenden einzelnen Functionen, die das Bewußtsein ihres Zusammenhanges mit dem Ganzen oft nicht in sich haben. A II gemeiner Um riß. Um diesen richtig zu zeichnen, müssen wir von der Anschauung des Lebens ausgehn. Abgeschlossenes Dasein und Gemeinschaft mit dem Ganzen. Je höher ausgebildet, desto bestimmter abgeschlossen das Dasein, desto freier die Gemeinschaft. Das abgeschlossene ist das Gebundensein aller Naturkräfte in einem Centro. Die Gemeinschaft ist ein in sich Aufnehmen und ein aus sich Hervorbringen. Auf den niedrigsten Stufen ist jenes nur eine organische Vereinigung, dieses nur ein anorganisches Absezen; auf den höheren Stufen steigt jenes zur Wahrnehmung, dieses zur Erzeugung. Im vernünftigen Leben ist das in sich Aufnehmen ein Erkennen, Einsehn, das aus sich Hervorbringen ein Darstellen, die Zeugung nur ein Darstellen der Natur, die Kunst ein Darstellen der Idee. Diese Wechselwirkung von Einsehen und Darstellen ist die Oscillation des sittlichen Lebens, und keins von beiden kann ohne das andere gedacht werden. Den Prozeß dieser Operation und die Vermittelung dazu muß sich die Vernunft erst bilden. Die Welt hat in der Ethik keinen anderen Bezug als hierauf; sie ist Object für die Erkenntniß oder Symbol für die Darstellung oder Organ für beides. Drei Sphären, die ihrer Function, aber nicht ihrem Materiale nach getrennt sind. Jedes in der Welt soll alles werden ; aber inwiefern es eins ist, ist es keins von den

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andem beiden. Die erste und dritte sind einander entgegengesezt. Die Sphäre der Objecte fängt von der Peripherie an (wiewo! immer eine größere gesezt wird) und endigt im Mittelpunkt. Die der Organe fängt im Mittelpunkt an und endigt an der Peripherie. (Daher Meteorologie und Astronomie das größte der Organbildung, Psychologie und Mathem[atik] [?) das Ende des Wissens). Die Sphäre des Symbolisirens ist die VermitteJung von beiden. Je mehr Wissen, desto mehr darstellende Ideen; je mehr Organe, desto mehr Symbole. - Ferner indem die 1 Vernunft Seele wird, wird sie in Persönlichkeiten zertheilt, in Raum und Zeit versezt. Ihr Erkennen hat nun immer eine persönliche Beziehung, ihr Darstellen ist für die Person und für den Moment. Die Ideen aber sind gar nicht in der Zeit und in einem endlichen Mittelpunkt. Soll sie also als beseelendes Princip auch ihre Natur als Vernunft behalten, so muß diese Beschränkung aufgehoben werden. Dieses Sezen eines Persönlichen und Zeitlichen und Aufheben der Persönlichkeit und der Zeit darin ist die andere Oscillation des Lebens. Neunte Stunde. Dies läuft auf das erste hinaus. Denn durch jedes Erkennen wird ein Persönliches gesezt. Durch jedes Darstellen wird die Persönlichkeit darin aufgehoben. Zu merken ist aber noch ein Oegensaz in der Bedingung des Lebens. Die niederen Stufen des Lebens haben nur Eigenthümlichkeit in der Gattung. Der Mensch hat auch Eigenthümlichkeit in der Person. Soll nun die Vernunft durchaus Seele sein, so muß sie auch diese Eigenthümlichkeit beseelen, auch mit ihr eins werden. Die natürliche Eigenthümlichkeit ist Temperament, Constitution, die sittliche ist Charakter. Es muß also alles individuell sein, aber es muß auch alles wieder identisch sein, welches im Leben nicht anders als in einem relativen Hervortreten kann gedacht werden. Hieraus ergiebt sich folgende allgemeine Uebersicht. Die Fundionen des Lebens sind Bilden der Natur zum Organ und Gebrauch des Organs zum Handeln der Vernunft. Andere giebt es nicht als diese. Denn in diesen ist das Wesen des beseelenden

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Princips erschöpft. Sie gehören aber auch beide zum sittlichen Leben und nicht etwa die erste vor den Anfang desselben. Denn Organe können nicht anders gebildet werden als durch den Gebrauch; es giebt nur Selbstbildung; und mit dem vermehrten Wissen im Gebrauch entstehen auch neue Aufgaben der Organbildung. Diese beiden Fundionen stehen also in einer nothwendigen Wechselverbindung, in lebendigem organischen Zusammenhang. Diese beiden Functionen können nun einen verschiedenen Cha· rakter haben, indem auf der einen Seite mehr der Charakter der Identität der Vernunft hervortritt, auf der anderen mehr der Charakter der Individualität. Allein es darf nur relativ sein. Daher erhalten wir ein Bilden der Organe mit hervorstehendem Charakter der Individualität, dem aber auch die Identität muß eingeprägt sein, nur untergeordnet. Ferner ein Bilden der Organe, in welchem beide Factaren in umgekehrtem Verhältnis stehen. Eben so einen Gebrauch der Organe zum Wissen und Darstellen mit hervortretender Individualität und mit hervortretender Identität. Um dieses Fachwerk auszufüllen, müssen wir noch genauer zum Menschen als Naturwesen zurückkehren. I Zehnte Stunde. In jedem Leben ist etwas dem Erkennen und dem Darstellen Analoges. Dies ist der Unterschied zwischen dem Thier und dem Menschen auch als Natur. Beim Thier ist das in sich Aufnehmen mehr Gefühl als Wahrnehmung oder Anschauung, das aus sich Hinstellen in die Welt mehr organische Secretion als Darstellung für sich. Aber noch größer der Unterschied zwischen den Functionen des Menschen als Natur und denen des von der Vernunft beseelten. Denn bei dem ersten hat doch alles nur eine Beziehung auf die Persönlichkeit, auf das Gefühl und das organische Bedürfniß. In der Vernunftbeseelung soll alles Aufnehmen und Darstellen sich auf die Ideen beziehen und Ideen enthalten, ja auch die persönliche Beziehung soll nur so mitgegeben sein. Aber freilich die Natur kann keine

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andere Fundion verrichten, und nur im Einzelnen sollen und können die Ideen erkannt werden. Daher scheint es, als sei keine besondere Bildung der Organe nöthig. Allein sowol in den Affectionen der körperlichen Sinne als in denen der psychischen Kräfte ist ein physischer Zusammenhang, durch welchen Folge und Gehalt der ins Unendliche decomponibeln und also auch componirten einzelnen Fundionen . Die Beziehung auf die Idee erfodert aber eine andere Composition und Folge. Das Bilden besteht aber darin, daß durch den beseelenden Reiz der Vernunft der bloß animalische und psychische Zusammenhang überwältigt 1 und der sittliche an die Stelle gesezt 2 werden. Und dies ist eine, in der Zeit gedacht, nie zu beendende Aufgabe. Dies erklärt nun schon den näheren Gehalt der zweiten Function. In allem sollen Ideen angeschaut, in alles sollen Ideen eingebildet werden. Keine Vorstellung soll bloß auf ihren sinnlichen Grund zurückgeführt werden, keine Darstellung bloß einem persönlichen Zweck dienen. Was leisten nun die beiden relativ entgegengesezten Charaktere dieser Fundionen? Was die Vernunft mit dem Charakter ihrer ursprünglichen Freiheit und Einheit bildet, das hat keine persönliche Geltung. Für wen also? Für die Vernunft überhaupt, wie sie als überhaupt und nicht als persönlich beseelendes Princip gebildet hat. Die Vernunft ist aber nur in den Persönlichkeiten vertheilt gegeben, also für die Gesamtheit der Persönlichkeiten, für die Gemeinschaft, es ist ein absolut Gemeinschaftliches. Was die Vernunft als Seele des Einzelnen bildet, das soll auch den Charakter der Eigenthümlichkeit haben und für ihn abgeschlossen sein. Die Aufgabe jedem den entgegengesezten Charakter einzuprägen bedeutet also: das absolut Gemeinschaftliche soll wieder ein Individuelles werden; das Individuelle soll wieder in eine Gemeinschaft treten. ' überwältigt iorr. und der sittliche

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/Elfte Stunde. Dem Individuellen schreiben wir nemlich den

Charakter der Unübertragbarkeit zu. Das angebildete Organ, insofern es Organ der Eigenthümlichkeit ist, kann es nicht eines Anderen werden. Die Erkenntniß, insofern Eigenthümlichkeit in ihr niedergelegt ist, kann nicht eben so lebendige Erkenntniß eines Anderen werden. Im Produciren selbst sind beide Factoren unzertrennlich und so auch beide Charaktere. Durch den Gebrauch bildet sich das Organ, und durch das Bilden entsteht Erkennbares. Die Eigenthümlichkeit wäre keine, wenn sie nicht in Gemeinschaft träte: denn sie existirt nur relativ gegen andere. Und die Gemeinschaft hätte kein Fundament, wenn es nicht die Eigenthümlichkeit wäre. Hieraus folgt zweierlei. Erstlieh: keines von den vier Gliedern kann in seinem ganzen Umfang recht verstanden werden ohne das andere, weil jedes auf alle zurückweiset. Daher man in allen zugleich fortschreiten muß, erst der Umriß, dann die weitere Auszeichnung Zweitens, daß jedes recht betrachtet das Ganze der Sittlichkeit in sich enthält. 1. Aelteste Vorstellung des höchsten Gutes Ebenbild Gottes; Gott als Herrscher gedacht. Herrschaft des Menschen über die Erde gle-ich vollständiger Organbi!dung, denn man beherrscht nur seine Organe, und alles Beherrschte wird Organ. Diese Herrschaft erfodert ein gänzliches Durchschauen der Natur; sie ist nur möglich in absoluter Gemeinschaft; jeder kann sein Maximum nur beitragen durch Eigenthümlichkeit. - In den neueren Zeiten ist diese Ansicht wiedergekommen unter der Idee einer vollkommenen Kultur. Nur dann zu verachten, wenn dabei von der Vernunft abgesehen wird und alles der Persönlichkeit dienen soll; sonst aber dem Höchsten gleich, alles Sittliche in sich begreifend. 2. In der griechischen Philosophie das Ganze unter der Idee des absoluten Wissens. Mythische (= das Ewige in Zeit und Raum gesezt) Vorstellung vom Einkerkern der Vernunft in die Persönlichkeit als Verlieren der Erkenntniß, weil sie nun erst lernen muß durch die Organe anschaun.

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Alles Gute als rückkehrende Erinnerung, alles Böse als VergeBlichkeit und Unwissenheit. 3. Unter dem Charakter der Gesezmäßigkeit wollen in unsern Zeiten die bürgerlichen Menschen die ganze Sittlichkeit anschaWJ. Mit Recht, denn ohne Gemeinschaft kann die VernWJft im Einzelnen nicht zur Identität hinaufsteigen. Aber sie muß die Individualität mitbringen, sonst bringt sie ja nur ein Organ mit, das sich erst ein beseelendes Princip sucht. So ist das Reich Gottes die höchste Idee, in der auch totales Erkennen WJd Organisiren liegt. 4. Unter dem Charakter der unbeschränkten Eigenthümlichkeit haben die künstlerischen Menschen die ganze Sittlichkeit darstellen wollen. Sie liegt auch darin. Wo Erkenntniß fehlt, bleibt Unbestimmtes; wo Organ fehlt, bleibt Lückenhaftes und ohne Gemeinschaft beides. /Zwölfte Stunde. Anfang der allgemeinen Uebers ich t mit der organisirenden Function. Von dem Mittelpunkt eines menschlich animalischen Lebens bildet sich die Vernunft Organe an. Zuerst die unmittelbaren, den Leib. Wie Sehen und Hören ein ganz anderes ist beim Menschen als beim Thier, so auch ein ganz anderes beim vernünftigen Menschen als beim natürlichen. Das Sehen des Naturforschers, das Hören des Musikers. Dann das erweiterte Physische. Auch hier Analogie mit den Kunsttrieben der Thiere. Wie diese nichts gegen das Treiben des natürlichen Menschen, so diese nichts gegen das des sittlichen. (Der Streit jezt am klarsten, da jene oft auch die Wissenschaft zum Darstellen der Persönlichkeit brauchen wollen, und diese als unmittelbaren Selbstzweck nicht verstehn.) Es soll alles die Stufen der Verbindung durchgehn von Object, Symbol WJd Organ; alles soll jedes sein nur in verschiedener Beziehung, und zwar nicht für die Persönlichkeit, sondern für die Vernunft. Dies schon ist nur gegeben nach der Organisirung des Physischen. Dieses als Combinationsvermögen gesezt und als Talent. Talent Harmonie einzelner physischer und psychischer Functionen mit einzelnen Qualitäten der Natur. Denkt man es sich abstrahirt

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vom Erkennen, so bildet es keine Function des sittlichen Lebens. Talent an sich gehört der Persönlichkeit an. Diese organisirende Function hat durchaus den Charakter der Gemeinschaftlichl~eit. Es ist kein Soll, keine Beschränkung, sondern unmittelbar selbst gegeben im Organisiren der Vernunft. Denn sonst müßte jeder wieder zerstören, was der Andere organisirt hätte, um es für sich zu organisiren. Was von irgend einem Punkt aus, ist für die Vernunft überhaupt und was für diese, ist für jeden Punkt organisirt. Dies ist der Zustand des Rechtes. Alles Organisiren muß gleich mit diesem und in Beziehung auf diesen betrachtet werden. Diese Gemeinschaftlichkeit soll sich aber wieder organisiren, und das giebt die I d e e d e s Staates. Eben so hat alles Organisiren auch gleich den Charakter der Eigenthümlichkeit und ist insofern unübertragbar. Aber auch dieses Unübertragbare soll doch in Gemeinschaft treten. Dreizehnte Stunde. Das vorige wieder aufgenommen bei dem Begriff eines Talentes. Es liegt ein besonderes Verhältniß zu einem bestimmten Theile der Natur dabei zum Grunde. Die Alten sagten, das Gleiche würde nur vom Gleichen erkannt. Hieran knüpfen sich am besten die beiden entgegengesezten Charaktere. So wie jedes einzelne Talent sich auf eine bestimmte Seite der Natur im Ganzen bezieht, so auch jedes zum Organ der Vernunft Erhobene auf die Vernunft im Ganzen, also auch auf I die Gesamtvernunft der Einzelnen. Indem jeder bildet, will er auch für die Andern bilden, ihre Vernunft soll auch durch dies Organ erkennen ; dies der Charakter der absoluten Gemeinschaftlichkeit. Dies ist keine fremde von außen herzukommende Bedingung und Foderung, sondern in der Sache selbst gegeben durch die Beziehung auf eine ganze Naturseite, die doch von einer Persönlichkeit aus nicht kann erreicht werden. - Eben so aber wie ein Talent sich auf die ganze Naturseite bezieht, griindet es sich doch auch in der Eigenthümlichkeit des Einzelnen. Ohne sie würde es kein Talent sein, kein bestimmtes Maaß haben; ohne

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sie hinge dies organische Fragment weit genauer mit den übrigen gleichartigen Fragmenten zusammen als mit der Persönlichkeit und durch sie mit andern Organen. Also wird mit dem Organ als Talent auch die Eigenthümlichkeit gebildet, durch die sein Verhältniß zu den übrigen gegeben ist, und dieses Bilden hat den Charakter der Unübertragbarkeit, das Bewußtsein, daß es ein rein in sich abgeschlossenes ist. Und ohne dies giebt es eigentlich gar keine Ansprüche auf ein einzelnes Leben; es läßt sich sittlich nur unter der Bedingung der EigE.nthümlichkeit denken. Bei der MUtheilung eines Resultates wird nur das Erkannte an sich Eigenthum des Andern, die Eigenthümlichkeit des Andern wird nur Object der Erkenntniß, das er nie ganz rein in sich auflösen kann. Dieser zwiefachen Ansicht ist nun noch das lezte hinzuzufügen, nemlich: die Vernunft prägt einer jeden auch wieder den Charakter der entgegengesezten ein. Die absolute Gemeinschaftlichkeit des Organisirens wieder individualisirt giebt die Idee des Staates. Denn es heißt: eine Masse davon soll eine Unübertragbarkeit an das Uebrige annehmen und eine besondere Bestimmtheit in sich. Aus der Gemeinschaftlichkeit sol1 wieder eine EigenthümJichkeit hervortreten. Eine gemeinschaftliche Eigenthümlichkeit muß also das vereinigende Princip sein. Die Natur giebt uns hiezu schon die Bedingung in der physischen Constitution. Durch die großen klimatischen und kosmischen Verhältnisse wird sie in großen Massen eigenthümlich gestaltet, und indem die Vernunft auch diese Eigenthümlichkeit durchdringt und anzieht und sie zum Organ des Erkennens erhöht, entsteht der Staat. Er ist eine bestimmte unübertragbare Weise des gemeinschaftlichen Organisirens und das höchste Bestimmte in dieser Function. Aber auch nur in dieser. Das Erkennen und Darstellen geschieht zwar allerdings innerhalb des Staats, weil ihm alles Wirkliche zugetheilt ist, aber nicht in ihm; es kann seiner Organisation I nicht unterworfen sein. lrrthum der Alten von der Zulänglichkeil des Staates zum höchsten Gut. - Eben so soll auch der Eigenthümlichkeit,

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dem Unübertragbaren wieder der Charakter der Gemeinschaft aufgedrückt werden. Nemlich das als Organ eigenthümlich Oebildete ist zugleich Object der Erkenntniß und Symbol für die Andern, und es wird gleich mit diesem Bewußtsein und in dieser Idee gebildet. Sonst wäre auch das Versezen des Erkennens in die Eigenthümlichkeit eine Beschränkung. Nur durch diese Gemeinschaft wird sie aufgehoben und das Bewußtsein wieder erzeugt. Dies ist die Idee der freien 0 es eIlig ke i t. Ihre eigentliche Tendenz ist die Eigenthümlichkeit der Organe zur Anschauung zu bringen. Vierzehnte Stunde. Zweite Function. Gebrauch der Natur als Organ des Erkennens. In der Vernunft an sich, im absoluten Sein der Ideen ist Erkennen und Darstellen identisch. Im Endlichen wird diese Identität eine Oscillation. Diese Oscillation kommt nun in jeder Fundion der Natur im sittlichen Leben vor. Jede Anschauung wird auf Ideen bezogen, jedes Gefühl ist Bewußtsein von dem Zustande des sittlichen Lebens, also Bewußtsein von der Harmonie des Organs zur Vernunft. Es besteht in einer zwiefachen Totalität: daß die Natur überall für die Vernunft gebraucht werde, und daß alles, was in der Vernunft an sich liegt, auch durch die Natur in der endlichen Vernunft zum Bewußtsein komme. Die Möglichkeit dieses liegt in der durch die Naturphilosophie aufgezeigten Harmonie der menschlichen Natur mit der allgemeinen. Wir glauben in Anschauung und Gefühl wahrzunehmen, was nicht diesen Charakter hat. Allein eben insofern verschwindet auch die Persönlichkeit in leeren Schein. Es sind organische Bewegungen, die ihr Centrum anderwärts haben, in einer gemeinschaftlichen Sittlichkeit und Individualität. Das ist die sittliche Ansicht des Gemeinen: und eben weil es doch überall noch Gemeines giebt, erscheint uns die Sittlichkeit als ein Werdendes. In jeder Natur mag etwas sein, das noch nicht von der einwohnenden Vernunft in Besiz genommen ist.

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Fünfzehnte Stunde.1 Der Vernunftgebrauch der Natur soll nun hervortreten theils mit dem Charakter der Identität, theils mit dem der Eigenthümlichkeit. Ersteres indem die Handlung als eine absolut gemeinschaftliche gesezt wird. Hiezu gehört zweierlei: sie muß gesezt werden als für alle von demselben Gehalt, und sie muß I wirklich aus den Gränzen der Persönlichkeit heraustreten und Anderen angehören. jenes, das Erkennen unter der Voraussezung der Gültigkeit und des gleichen Gehaltes für alle, heißt Denken. Dieses aus der Persönlichkeit Herausgehn und sich Aeußern heißt Sprechen. Das Denken soll hier nicht etwa der Anschauung entgegen gesezt werden, sondern die Anschauung selbst sein, der Ausdruck ist nur gewählt wegen der nahen Beziehung auf die Sprache. Wir finden wirklich einiges Erkennen als ein Denken. Das Aeußerlichwerden, das Sprechen, ist nur möglich unter der organischen Bedingung eines vermittelnden und modificabeln Mediums. Die Naturseite der Sprache ist noch wenig bekannt, ihr Wichtigstes wäre die Bedeutsamkeit der Sprachelemente organisch zu deduciren. Ehe dies nicht geschehen ist, muß auch in der ethischen Darstellung vieles als Postulat erscheinen. Nur muß man nicht auf die Absurdität gerathen auch das Physische an der Sprache ethisch deduciren zu wollen. Hier gilt es vorläufig nur den Hauptcharakter, daß Denken und Sprechen identisch sein muß. Und so finden wir auch alles Denken als ein inneres Sprechen und alles innere Sprechen als Tendenz zum Aeußern. Wir vernehmen unsere Gedanken selbst nu1 durch Worte. In dieser Identität ist nun Sprache das E 1e m e n t des einen Gliedes dieser Function des sittlichen Lebens. Das Erkennen tritt aber auch hervor auf der andern Seite mit dem Charakter der Eigenthümlichkeit d. h. der Unübertragbarkeit. Das nennen wir nun im eigentlichen Sinne Gefühl. In dem Maaß, als in jeder einzelnen Lebensoperation Gefühl ist, ist auch Un1

Bemnkung am Rande: NB. Einmal ausgesezt wegen Unwohlseins.

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Übertragbarkeit darin. Diese Unübertragbarkeit gilt aber nicht nur zwischen mehreren Personen, sondern auch zwischen mehreren Momenten desselben Lebens. Die Einheit des Lebens und die Identität der in die Einzelnen vertheilten Vernunft würde also ganz aufgehoben, wenn das Unübertragbare nicht wieder ein Gemeinschaftliches und Mittheilbares werden könnte. Und hier ist also der Grund von der nothwendigen Einpflanzung des entgegengesezten Charakters. Dies geschieht nun durch das Darstellen und vermittelst der beständigen Oscillation zwischen dem 1 Erkennen und Darstellen. Zu dieser giebt es nun eine Analogie in der bloßen Organisation. Jede Einwirkung nach innen, die ein Gefühl wird, treibt auch durch organische Nothwendigkeit wieder nach außen. Dieses Aeußerlichwerden des Gefühls hat aber nicht den Charakter der Sprache. Es geschieht nicht als Erregungsmittel derselben Thätigkeit in Andern; sondern es soll nur erkannt werden. Nun ist jedes Vernunftgefühl im Einzelnen eingehüllt in eine organische Operation und wird auch durch eine solche wieder äußerlich. D~r Vernunftgehalt wird mittheilbar durch Anbilden der Organe für die Vernunft. Bezeichnung der Organe für die Individualität: Ton, Geberde, vorzüglich Antliz, Auge. Das Erkennen gründet sich nun auf jene organische Nothwendigkeit. Man sezt Organisation und Erfahrung gleich, also auch ein Erkennen der Einwirkung aus der Rückwirkung. Das Darstellen auf den Vernunftgehalt bezogen und im Großen angesehn ist Kunst. Sechzehnte Stunde. Daß das beschriebene Aeußerlichwerden des Gefühls Element großer Zweige der Kunst ist, ist klar: musikalisch, mimisch und dadurch auch plastisch. Aber auch die Kunst selbst ist nichts anderes. 1. Jedes Kunstwerk will verstanden sein, aber keines so wie die Sprache. Vielmehr sagen wir von jedem Kunstwerk, daß es nie ganz könne verstanden werden. Darin liegt theils, daß die darin enthaltene Idee irrational ist gegen das Verstehen, d. h. gegen das Denken und Sprechen, theils eine

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gewisse Unendlichkeit an sich, und diese bezieht sich eben auch auf die Individualität, da ja alles in Einem ist. 2. Wenn man sagt, geschichtlich sei das erste in der Kunst das bloße Abbilden äußerer Gegenstände, so fällt dies eben in die Approximation des Menschen zum Thier, wo Anschauung vom Gefühl sich noch nicht so sondert, wo auch Sprache sich nicht in Mimik und Bildendes gesondert hat. Je höher hinauf, desto mehr schließt sich die Kunst an das Gefühl an. 3. Wenn man sagt, der Künstler solle nicht auf das Gefühl arbeiten, sondern nur eine Anschauung rein hinstellen, so stellt er doch immer die höhere Anschauung hin (eben wie die Vernunft die empirische), in der sich das Gefühl besonders spiegelt (welches auch von der Darstellung der menschlichen Gestalt gilt, in der eben das Grundgefühl des sittlichen Lebens, daß die Natur ein vollkommenes Organ der Vernunft ist, sich abspiegelt). Und eben je vollkommener die Anschauung ein Zeichen des Gefühls ist, um desto weniger darf, da ja das Gefühl nur erkannt werden soll, noch besonders I auf seine Erregung gearbeitet werden. 4. kann man sagen, daß doch die höchste Kunst die Sprache zum Element hat und diese doch nicht das Aeußerlichwerden des Gefühls ist. Die Sprache giebt aber nur die Elemente. Was das Kunstwerk macht, ist die freie Combination durch Fantasie, die aber die Vernunft ist unter dem Charakter der Eigenthümlichkeit in der Function des Darstellens, und die Fantasie denken wir uns immer in der genauesten Verbindung mit dem Gefühl. Auch soll in jedem Kunstwerk durch Sprache das musikalische Element vornemlich hervortreten. Ferner soll nun wie Denken und Sprechen, so auch Gefühl und Darstellen in sittlicher Bedeutung eins sein. Dies findet sich. Nicht nur ist jeder sittliche Mensch als solcher mimischer Künstler, und Künstler in seiner erworbenen Organisation, sondern jedem Gefühl entspricht auch ein anderes Bilden, das heraustritt, wenn es ein gebildetes Organ findet. Die eigentliche Sphäre des Gefühls im sittlichen Sein ist nun die Religion. Denn des sittlichen

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Lebens kann man sich nicht bewußt werden, wenn man sich nicht des beseelenden Princips auch als Vernunft d. h. in seiner Identität mit dem Absoluten bewußt ist. Und diese Beziehung unmittelbar gegeben ist eben Religion. Also muß auch Religion und Kunst zusammenfallen, und die sittliche Ansicht der Kunst besteht eben in ihrer Identität mit der Religion. Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös. Alles, was diese Beziehung nicht in sich selbst hat und doch Kunst sein will, ist es nur als Element eines andem. Wie nun das unübertragbare Gefühl nothwendig zugleich wieder äußerlich wird und den Charakter der Gemeinschaft annimmt, so muß auch das allgemeingültige Denken wieder den Charakter der Eigenthümlichkeit annehmen. Zuerst von Seiten der Sprache angesehn heißt das: die Sprache muß sich individualisiren. Sonst kann sie nur als Vermögen gedacht werden, aber nicht wirklich existiren. So ist es auch. Im lndividualisiren hängt die Sprache zuerst als höchstes Product der Organisation ab von den großen kosmischen Bedingungen der Organisation überhaupt. Dann steigt sie herab, und das Bestimmteste ist das lndividualisiren für jeden einzelnen Menschen in Stil und Sprachgebrauch. Diesen erkennen wir alle als wahr und nothwendig an, so gewiß wir an eine höhere Kritik glauben. 1Siebzehnte Stunde.1 Das lndividualisiren der Sprache besteht nicht bloß in dem verschiedneo Körper, in dem Tönen (vielmehr muß da in der Bedeutsamkeit der Buchstaben eine Identität im Großen stattfinden), sondern im Gehalt, in der Unübertragbarkeit der ganzen Sphäre eines Wortes durch irgend eines in einer anderen Sprache, und dies muß durch das Ganze gehn. Daher nun das lndividualisiren von Seiten des Denkens angesehen uns führt auf ein eigenthümliches mit der Sprache zusammen gewachsenes Wissen, welches ebenfalls unübertragbar ist. ' Bmurkung am Ranth: NB.: Einmal ausgesezt wegen Massow.

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Nun ist aber, wie die Religion die Vollendung und die eigentliche Sphäre des Gefühls, so die Vollendung und Sphäre alles Denkens die Wissenschaft, die Speculation, die Philosophie. Also eben diese individualisirt sich in und mit der Sprache. Hieraus folgt nun, was von dem Streben nach einer einzigen Philosophie zu halten ist. Es ist keine solche möglich in der Wirklichkeit, weil schon die ersten Elemente, woraus sie bestehn muß, in jeder Sprache andere sind. Nicht morgenländische und abendländische wird jemals gleich werden, nicht einmal griechische und deutsche, weil wir keinen POV!;, keinen lora!; haben, sondern andere Elemente. Diejenigen nun, die zusammen eine eigenthümliche Philosophie und Sprache bilden, sind die Akademie. Beides gehört zusammen. Man kann sagen, alles Philosophiren thue nichts als die Sprache entwickeln; auch die Sprache sei nichts anders als die Darstellung der eigenthümlichen Philosophie. Allerdings ist aber der innere Gehalt jeder Philosophie derselbe, die Anschauung der Natur und der Vernunft, die objectiv überall dieselbigen sind; er ist aber nicht abzutrennen von der großen nationalen und klimatischen Individualität. Dagegen ist aber auch gewiß, daß mehrere Philosophieen in einer Sprache nur ein Schein sind, der daraus entsteht, daß die Einzelnen nicht von ihrem Standpunkt aus in das Centrum der Individualität, der sie angehören, recht einzudringen vermögen. Die unablösbare und unübertragbare Individualität des Denkens und Sprechens würde nun wieder isoliren und ein Abgeschlossenes bilden; sie muß sich also wieder zum Allgemeinen und Identischen zu organisiren streben, indem sie Keim und Trieb zur Gemeinschaft in sich trägt. So wird die Gemeinschaft der Akademieen die höchste Vereinigung der beiden entgegengesezten Charaktere, des Allgemeinen und Besonderen in dieser Function. Dasselbe gilt in der entgegengesezten Sphäre des Gefühls. Das Mittheilen desselben individualisirt sich, je nachdem die Identität großer organischer Bedingungen einen bestimmten Kreis der Verständlichkeit bildet; und diese individuelle Einheit des Gefühls

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selbst und der Darstellung ist die Idee ein e r K i r c h e. Diese dürfen sich auch wieder nicht isoliren, sondern der ganze ProzeH wird erst vollendet durch die auf gegenseitiger Anerkennung beruhende freie Gemeinschaft aller Kirchen. Hiedurch ist der Umriß des Ganzen in seinen größten und lezten Resultaten vollendet. 1Achtzehnte Stunde. Vor der Behandlung des Einzelnen noch einige Bemerkungen. 1. Es läuft alles hinaus auf die Identität des Allgemeinen und des Besonderen. Nur wo man diese nicht sezt, erscheint etwas als böse, aber das geschieht auch nur, wo man durch einzelne Bestimmungen sich die ethische Anschauung beschränken läßt. Die ethische Einheit ist eben diese Identität. Alles außer ihr Gesezte ist nur Fragment oder Element. Den Einzelnen als böse sezen heißt nichts anderes als die Voraussezung zurücknehmen, daß er diese Identität in sich selbst habe. Sieht man ihn nun bloß als einzelnes Organ an und kann die Handlung wirklich auf einen andem Mittelpunkt reduciren, so hört sie auch auf böse zu erscheinen. Eben so muß man aber auch als böse sezen jeden einzelnen Akt der Vemunftoperation, wenn man ihn aus seinem Streben sich zu potenziren und die relativen Gegensäze zu verschmelzen herausreißt und in diesem gehemmten Zustande betrachtet. Bloßer Trieb auf Gemeinschaft der Organe, der sich noch nicht organisirt zur Individualität, ist böse. Staat, der nicht in Gemeinschaft treten will, Kirche, die nicht andere anerkennen will, alles böse, aber alles das ist auch eigentlich nicht. Es ist seiner Natur nach im Werden begriffen, und diese Function wird nur noch übersehen. - In beiden, im Einzelnen und in großen Akten sezt man das Böse theils als Unvermögen, theils als Verderben. Ersteres, wenn es als das Allgemeine erscheint und nicht zur Existenz im besonderen kommt; denn so existirt es nur als bloßes Vermögen d. h. in Beziehung auf die Anschauung als Unvermögen. Lezteres, wenn es als das Besondere erscheint,

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das nicht zur Gemeinschaft heraus will; denn dann erscheint es als den Charakter der Identität verschmähend, als egoistisch. Eine intolerante Kirche, ein geschlossener Staat ist egoistisch. 2. Jedes von den besonderen Resultaten existirt nur für die Abstraktion für sich; in der Anschauung ist jedes mit allen andern eins. Weil Organbildung nur durch Organgebrauch erfolgt, so hängt der Staat zusammen mit dem individuellen Wissen, die freie Geselligkeit mit der Kunst und der Religion. Weil das Allgemeine und das Besondere eins ist, sind Gemeinschaft und Eigenthum, Philosophie und Religion wechselseitig durch einander hervorgebracht, Kunst, Sprache in beständigem Uebergehn ineinander begriffen. Auch in der Betrachtung des Einzelnen haben wir uns also dieser Idee nur recht bemächtigt, wenn uns dieser nothwendige Zusammenhang zugleich mit erscheint. I Neunzehnte Stunde. Wir betrachten zuerst das organisirende Vermögen der Vernunft und zwar unter seinem allgemeinen Charakter. Die Vernunft eignet sich die Natur an als Organ des Erkennens und des ldeendarstellens. Dieses ist als Natur nicht gegeben, sondern ist nur zu denken als Resultat der Beseelung durch Vernunft. Die organischefunction des natürlichen Menschen unterscheidet sich von der des Thieres durch Auseinandertreten der Anschauung und des Gefühls im Erkennen, durch ein unabhängigeres Hinstellen des Werkes zwischen das Subject und die Welt. Beides aber hat doch noch keinen Ideengehalt Der Gegenstand wird gedacht durch Prädikate, die sich auf das Gefühl zurückbeziehen. (Daher das Bestreben der falschen Empiriker die höhern Begriffe als abstrahirt von den Gefühlen zu betrachten.) Das Werk enthält nur eine Beziehung der Natur auf die Organisation für die Persönlichkeit. Das Geschäft der Vernunft ist nun das Erheben dieses organischen Vermögens zur Potenz der Idee. Im Erkennen wird jeder einzelne Gegenstand auf das Ganze bezogen, nicht auf das persönliche Gefühl. Daher eine ganz andere Construction der Gegenstände

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und der Qualitäten. Für diese sollen nun die Organe geübt werden. Die Vernunft bildet sich für jede bestimmte Art des Erkennens und Darstellens ein eignes Organsystem = Talent. Und so ist der Inhalt des Ganzen die vollkommene Ausbildung aller Talente. 1 Im Einzelnen und für ihn selbst sind seine Talente durch die Individualität bestimmt und sie bestimmend. Im Ganzen erscheinen die in jedem Einzelnen zusammenkommenden mehreren Talente nur als Fragmente, und auch dies führt von jedem Punkt aus auf die Nothwendigkeit der Gemeinschaft. Um die Thätigkeit in ihrem Umfang aufzufassen, muß man auf den erweiterten Begriff des Organs zurückgehn, erweitert nicht nur durch die Identität des Physischen und Psychischen, sondern auch des Unmittelbaren und Erworbenen. Die persönliche Natur ist nur der Punkt, von welchem die Thätigkeit ausgeht und alles ergreift, was mit ihr in Verbindung treten kan.n. Für diese Function besteht die ganze Außenwelt nur aus Einzelheiten. Sie steht dem beseelenden Princip als Chaos entgegen, und erst durch das Aneignen und nach Maaßgabe desselben wird sie wirklich Welt. (Von hier aus erklärt sich sowol die antike Idee des Chaos als die moderne, daß nemlich die Welt erst wird dadurch, daß wir sie sezen, was freilich die möglichst subjectivirte Ansicht ist). Wobei man freilich nicht vergessen muß, daß die organisirende und die erkennende Thätigkeit in der genauesten Wechselbeziehung stehn. Die Welt wird auch wieder erst dadurch, daß sie erkannt wird, aneignungsfähig. Diese beiden Factoren finden sich auch im Einzelnen im relativen Gegensaz. Alles selbst Organische tritt zuerst für das Erkennen heraus, also das Bilden zurückhaltend (Respect vor dem Lebenden), alles Anorganische zuerst als bildungsbedürftig (also den Gebrauch als 1

SpiJiern Z usa#{ ""' Ratlde:

für die Vernunft überhaupt sind die gleich·

namigen Talente aller Wesen nur Eins. des Identischen Charakters.)

(Das gehört aber in die Bestimmung

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Mittel erleichternd). Daher nie ein Widerspruch stattfinden kann zwischen der organisirenden und erkennenden Thätigkeit. Die Abstufungen I des Verhältnisses der Vernunft zur Welt in ihrer organisirenden Function haben wir uns dargestellt in zwei Extremen: die Persönlichkeit als das unmittelbar Gegebene, das Ueberirdische als das nie - als Organ nemlich, sondern nur als Object der Erkenntniß - zu Gebende. Dies ist aber nur eine Asymptote, denn auch das Ueberirdische wird als Natur zugleich Organ in der Astronomie und Astrologie. Was uns Organ ist, das haben wir in unserer Gewalt, denn hierauf geht eigentlich jeder Besiz.1 Das Ganze ist also von dieser Seite anzusehen. Die Vernunft soll die ganze Natur in ihre Gewalt bringen. Beide Ansichten zusammen, Ausbildung aller Talente, Knechtschaft der ganzen Natur geben nun die vollständige Idee. So dachten es sich auch die Alten, aber mehr das eine von der positiven, das andere von der negativen Seite. Alles in der Vernunft soll sein Organ haben. Nichts in der Natur soll der Vernunft als Hinderniß entgegenkommen. Daraus entstanden ihnen vier Güter laX,Vr:, el}(pvta, fJrlem, eiJ1:vzla. Zwei davon scheinen uns nicht sittliche Begriffe zu sein. Denn in der el}(pvta wird eine Zulänglichkeil unmittelbarer Organe gedacht vor der Thätigkeit der Vernunft, in der efJrvzla eine Abwesenheit alles Hinderlichen Spämer Zusal{ am Ra11/Ü: Umfang der Kultur Ist, was geleistet wird durch Gymnastik, geistliche und leibliche, zunächst anschließend an die er· kennende Function. Mechanik, Gebrauch der Natur als erweitertes Organ des Seins und Werdens. auch als Sicherung des abgeschlossenen Daseins. NäChstes Object die elemen· tarischen universellen Kräfte. Agrikultur, Object die productive organische Kraft der Natur. Nächste Tendenz freilich Zerstörung des Besonderen zur Erhaltung der menschlichen Organisation. Aber zugleich auch Gattung erhaltend und veredelnd, also in der Identität mit der Erhöhung des Vernunftgehaltes. Sammlung des wissenschaftlichen Apparates, rein erhaltende Thätigkeit. Uebergang in das Gebiet der erkennenden Function. 1

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ohne Thätigkeit der Vernunft. Dies geschieht nur, wenn man die ganze Thätigkeit in der Zeit gehemmt sezt und auf den Einzelnen bezieht. So entsteht freilich eine Möglichkeit, daß Hinderniß entgegenkomme. Denn wird die organisirende Thätigkeit unvollendet gesezt, so ist Unglück möglich. Daß nun dem Einzelnen dieses nicht begegnet, ist Glück, wiefern es nicht Resultat seiner Vernunftthätigkeit ist, aber es ist doch nur Resultat der Vernunftthätigkeit außer ihm, mit der er sich zu identisiren hat. Zwanzigste Stunde. Dieselbe Bewandniß hat es mit der dlcpvta, der guten Natur. Wir sezten in jeder Person eine Eigenthümlichkeit der Organisation; allein diese ist für die Vernunft vor ihrer eignen Thätigkeit auch nur Differenz, kein Besser oder Schlechter, eiJ ~ :~ea"wq. Es liegt darin Prädetermination zu einzelnen Talenten, aber jedes Talent als sittliche Einheit aufgefaßt ist für die Vernunft von gleichem Werth. Ein Besser und Schlechter muß allemal ein Mehr und Minder sein, und dies sezen wir überall nur durch die Vernunftthätigkeit. Auf der andern Seite sezen wir allerdings eine Natur edler als die andere in Racen und Geschlechtern. Aber dieses nicht abgesondert von der Vernunftthätigkeit, sondern als Einfluß derselben auf die erzeugende und bildende Naturkraft selbst. So giebt es eine wq;vta, aber so ist sie auch etwas Sittliches, wenn der Einzelne sich nur nicht dem Ganzen entgegenstellt, sondern sich vielmehr als Ausdruck desselben ansieht. Die ganze angeführte Eintheilung der Alten ist aber übrigens schlecht begründet. Denn sie beruht, auch jenen Schein hinweggenommen, auf einer strengen Scheidung zwischen der Bildung I der mittelbaren und unmittelbaren Organe. Diese ist aber nicht natürlich; denn beide können nicht als gesondert und auf einander folgend gedacht werden, sondern sind streng durch einander bedingt. Die Ausbildung der Persönlichkeit bestimmt die Anbildung der Natur und umgekehrt. Daher ist es besser das Ganze zusammen zu lassen, und so ist es das, was wir ausdrücken wollen in der Idee der Kultur.

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Es hat immer in der Ethik Widersacher der Kultur gegeben.1 Dies muß uns abgeschmackt erscheinen, denn ohne Organbildung für die Vernunft könnte es überhaupt kein sittliches Leben geben. Wie kann also jenes Geschäft der Keim des Verderbens sein ? Die Ursache liegt aber darin, daß man die Idee zerrissen und ihre Elemente einzeln im Gegensaz gegen einander aufgestellt hat, da man denn natürlich nach Auflösung der sittlichen Einheit Unsittliches bekommen muß. Um uns dafür zu hüten, müssen wir uns noch einmal ihren Gehalt, aber in Ansicht auf diese Untrennbarkeit der Elemente anschaulich machen. Sieht man auf die Thätigkeit der Vernunft durch die Natur, so muß das organisirende Vermögen eine zwiefache Thätigkeit ausüben, eine intensive, wodurch überhaupt der Function des Organs der Charakter des Erkennens oder Darsieliens aufgeprägt wird, und eine extensive, wodurch die Fertigkt"it und der Gehalt des Organs vermehrt wird. 2 Betrachtet man nun jede Function als besonderes Talent, so ist jenes die Ausbildung des Geistes desselben und ist die Einführung eines neuen und eignen Combinationsgesezes. Denn die höhere Anschauung unterscheidet sich von der niedem durch eine andere Combination. Die andere ist die Ausbildung des Sinnes, um jenem neuen Gesez zu folgen und sich gegen die Reize der sinnlichen Anschauung abzuhärten. Sieht man auf die Aneignung der Natur an die Vernunft, so ist sie entweder Aneignung für ihre Vereinzelung, für das persönliche Leben oder Aneignung für ihr eigenthümliches Geschäft, für das Erkennen. jeder Theil der Natur ist als gebildet unmittelbares Organ des Erkennens durch seine besondere Beschaffenheit, indem er seine Gattung, eine eigne Naturthätigkeit repräsentirt. jeder kann als 1

Späler..- Zusal{ am Rantle: Der Mißverstand auch daher, wenn man aus

dem Gleichgewicht der gymnastischen und appropriirenden Natur herausgeht. • Spälerer Zusalf am Rand1: Fertigkeit ohne Erhöhung des Vernunftgehaltes ist nur Mechanismus. Erhöhung, die keine Fertigkeit - die wire nur Spielerei.

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ungebildet, als bloße Masse in unmittelbare organische Vereinigung treten. Jene Thätigkeit erhält das Object, diese zerstört es. Beide müssen aber ein und dasselbe sein. Dies wird vermittelt durch den Gegensaz des Veränderlichen und Unveränderlichen in den Objecten. Jenes gehört der zerstörenden, dieses der erhaltenden Thätigkeit. Wer Früchte pflückt, muß die Pflanze erhalten, wer erntet, muß säen. Das eine Element ohne das andere ist Barbarei.l Je unorganisirter, desto mehr kündigt sich jedes Object als für die zerstörende Thätigkeit an, je organisirter, desto mehr hat es durch sich selbst repräsentativen Werth, und der Mensch als höchstes darf an sich genommen nur repräsentatives Organ sein. Das Resultat der zerstörenden Anbildung ist Lebensapparat, das Resultat der erhaltenden ist wissenschaftlicher Apparat. So finden wir die Kultur als unentbehrlich für alle Functionen des sittlichen Lebens, aber eben nur in der Einheit dieser Elemente. 1Einundzwanzigste Stunde. Eben so müssen auch in Talenten Bildung des Sinnes und des Geistes eins sein. Jene ohne diese könnte nur eine todte Fertigkeit geben, die ihr belebendes Princip außer sich suchen müßte; diese ohne jene ein leeres Raisonniren, das sich erst Resultate borgen muß. 2 Aber wo eins als wirkliche Bildung der Vernunft ohne das andere ist, da ist es gewiß nur ein Angelerntes, und eine fremde Vernunft hat sich die Seele als Organ 1

Spiiürer Zusalf ""' Rantl1: Die erhaltende ohne Einheit mit der zerstören-

den ist Miluologie, größtentheils sentimentale. • Spälerer Zuslllf 11m Raw: Kynische Polemik gegen die Abhängigkeit. Stoische gegen den Lustgehalt und das nicht selbst Vernunftsein dessen, was angebildetes Organ der Vernunft ist Sie konnte sich über den Gegensaz zwischen Vernunft und Sinnlichkeit nicht erheben. Modeme theils als ob die Kultur erkenntnißlos mache (man sieht die ldentitit der erkennenden und der bildenden Function nicht), theils als ob sie feigherzig mache. Aber in dieser Idee ist Besiz und Gemeinschaft in einander und wenn die Menschen am ersten ausschließlich hingen, so kommt es daher, weil sie mit ihrem persönlichen Dasein zu sehr aus dem Staat hinaus versezt sind.

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angebildet, so daß doch die Thätigkeit wieder als Vernunftthätigkeit erscheint. Oefter aber scheint wol das Einseitige nur Vernunftbildung zu sein. Bei geistloser Empirie kann auch der Sinn nicht für die höhere Anschauung gebildet sein und bei Mangel an eigner Anschauung auch nicht das combinatorische Vermögen. Auch Lebenserhaltung und Sinnesbildung muß Eins sein. Man hat nicht Recht sich aus der Natur organisch anzueignen, wenn man nicht für die Vernunftbildung aneignet. Die Selbsterhaltung ist nur unter dieser Bedingung eine sittliche Handlung. Daher die Frage, wie man ein Recht dazu bekommt, nicht uneben ist. Das sittliche Wesen der Idee der Kultur wird auch dadurch klar, daß, sobald man das auflöset, was uns verbunden erschien, in unauflösliche Gegensäze zerfällt. Wenn Ausbildung und Anbildung nicht auf den Vernunftzweck bezogen werden, so können sie nur Beziehung haben auf das animalische Leben, die Glückseligkeit im innern Sinne. In diesem streiten Trägheit und Lustsinn und sind nur durch das Sezen eines bestimmten Quantum zu befriedigen, welches gar nicht das ganze Gebiet der Vernunftaufgabe umfassen kann. Je mehr man ahnerachtet dieser Beschränkung die Elemente aus beiden nehmen will, um desto deutlicher kommt nur die Unzulänglichkeit von beiden an den Tag. Das Anbilden kann doch nicht vor Unlust von innen schüzen; das Ausbilden nicht vor Unlust von außen. Daher wird man auf ein Element ausschließend getrieben und so entstehen die beiden Gesinnungen: die abstatische, die im Ausbilden, in der Stärke und Gesundheit, geistig in der e(}(pvta, das Anbilden verachtet und die dissolutive, die im Anbilden Entschädigung sucht für den unausgebildeten krankhaften Zustand. Dies um das sittliche Wesen der Kultur und die Mißverständnisse in dem Tadel derselben geltend zu machen. Mit der I heutigen Art die Kultur als die Tendenz auf das Nüzliche zu verschreien, steht es eben so. Wenn nicht jeder, der dergleichen betreibt, die sittliche Einheit der Idee in sich hat, so steht es ja

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dem Klagenden frei sie in sich selbst zu sezen. Er klagt also eigentlich nur über sich. Der Mißverstand ist desto ärger, weil dieselbe Ansicht zugleich den Staat als die höchste Idee anpreist, und der Staat beruht doch ganz auf der Basis der Kultur und ist nichts anders als die zur höchsten Potenz erhobene Kultur selbst. Dazu ist jezt aufzusteigen. Zweiundzwanzigste Stunde. Bisher ist die bildende Thätigkeit nur für .>ich betrachtet worden.t Sie kann aber als That nicht existiren, ohne die beiden Charaktere an sich zu haben, von denen wir abstrahirten. Denn so gewiß sie die That des Einzelnen sein soll, muß sie auch sein besonderes Wesen ausdrücken mit unübertragbarer Eigenthümlichkeit. Und so gewiß sie vernünftige That sein soll, muß sie über die Persönlichkeit hinausgehen. Mit diesen Charakteren können wir sie aber auch nicht anders als nach einander, also aufs neue durch Abstraction betrachten; wir erinnern uns nur, daß es Abstraction ist. 1

Späterer Zus/11( am Raruh: Als vemunftmlßig liegt nothwendig in der

Thitlgkeit das Vernunftbezogenwerden auf das persönliche Bedürfnlß und damit das Herausgehn über dasselbe. Bilden mit allen Krlften. auch die man nlchtl für sich bnucht, und alles, auch was man nichtl braucht, für die Vernunft an sich. Hiemit zugleich der Grund zur Theilung der Geschifte. Denn was für die Persönlichkeit abgeht, rechnet man darauf, daß nun auch die Totalitit der Vernunft beseelende Kraft für jede einzelne Persönlichkelt ist und also den Mangel erginzt. Beldes ist eins und daher das leere Weggeben nicht sittlich. Sondern das lezte Glied muß auf irgend eine Weise in jeder Handlung mit reprlsentirt sein, also Tausch. Diese ganze Reprisentation ist aber nur möglich zwischen einzelnen Persönlichkeiten (gleichviel ob mehrere, sie werden aber als einzelne gesezt). Vielfältige Abstufungen in der Mittelbarkelt und Unmittelbarkeit des Tausches von der unmittelbaren Tradition an bis zu dem Geben, wo nur in der Idee des Gebenden die Ueberzeugung liegt von seinem Empfangen durch die Gemein· schaft überhaupt, welche jener Einzelne reprisentirt. 1

Im Mllfi1IS'Iwipl ##111 hier untl i• folgmrlm öflers tlu Abliir(flfll: lj1 0.

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Die Beziehung einer Thätigkeit auf die Vernunft an sich offenbart sich nicht nur durch das Hinausgehn über die Persönlichkeit, welches nur ein negativer Gedanke wäre, sondern durch die Beziehung auf die Totalität aller Persönlichkeiten, nemlich auf die ihnen einwohnende Vernunft, und so durch ein zwiefaches Hindurchgehn durch die Natur von der einzelnen Vernunft auf die Totalität der vereinzelten Vernunft, also auf die ganze Vernunft an sich. In diesem Charakter liegt also die Voraussezung einer solchen Totalität, die Bereitwilligkeit die einzelnen Glieder anzuerkennen, der Trieb auf Gemeinschaft. (Anmerkung: Man sieht, die Frage, wie der Mensch überhaupt dazu komme andere Wesen als Menschen zu behandeln, kann vom Standpunkt der Sittlichkeit nicht aufgeworfen werden. Wer Sittlichkeit sezt, sezt einen Trieb Andere zu suchen und anzuerkennen. Dieser Trieb ist das innere Wesen der Sittlichkeit von einer bestimmten Seite angesehen. Aber vom Standpunkt der Persönlichkeit erscheint diese Anerkennung als eine unnatürliche Beschränkung, weil es das Bequemste wäre die Menschen als Sache zu behandeln. Daher auf der einen Seite die Ansicht, das Recht des Stärkeren wäre das natürliche, auf der andern die Bemerkung, die Uebe selbst wäre als Sympathie aus der Persönlichkeit zu erklären.) (Anmerkung: Wenig anders ist es mit der Frage, auf was für Zeichen in concreto die Anerkennung beruhe. Sie stammt auch vom Standpunkt der Persönlichkeit, wo die Lust zur Anerkennung fehlt. Denn wenn man von der f Identität der bildenden und erkennenden Thätigkeit ausgeht, so muß mit der ersten Regung der bildenden Thätigkeit auch ein allgemeines Erkennen des unmittelbaren Organs verbunden sein, und dies muß dem Gemeinschaftstriebe gleich entgegentreten. Wozu noch kommt, daß das Organisirte, am meisten also der Mensch, sich schon am meisten der erkennenden Thätigkeit als repräsentirendes Organ aufdringt. Findet also nur die Identität beider Thätig-

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keiten statt, so ist die Frage gleich aufgelöst. Geht man aber auch in die Sphäre der Möglichkeit des Irrthums, sezt aber nur den Trieb zur Gemeinschaft, so wird dieser seiner Natur nach das Gebiet der Anerkennung auf all~s Lebende ausdehnen und durch Versuche hernach die wahre Sphäre der Möglichkeit der Gemeinschaft finden. Das Andemonstriren kann nur nöthig sch~inen vom Standpunkt der Persönlichkeit.) Diese Anerkennung hat nun zwei Elemente. Erstlieh: was von einem Andern organisirt ist, ist es für die Vernunft überhaupt und bedarf also der Bildung eines Andern nicht mehr. Zweitens: das Organ eines jeden Organisirenden kann auch das des Andern werden. - ad 1. Ohne diese Annahme würde statt der Gemeinschaft und der daraus entstehenden Vermehrung vielmehr die bildende Thätigkeit der Vernunft auf Null kommen, weil jeder das des Andern wieder umbildete. Die Nichtigkeit leuchtet von selbst ein. Aber es fragt sich wieder, wie man das Gebildete erkennt, da doch die Außenwelt der bildenden Function nur als Chaos erscheint. Antw: beruht auf der Identität der bildenden und erkennenden Thätigkeit. Das zu Bildende bildet ein organisches Ganze. Wer also eine bestimmte Vorstellung von einem hat, was er bilden will, hat es auch von dem übrigen, und also muß dieses, wo er es findet, auch den Gedanken seines Problems erregen und als ihm entsprechend auffallen. Die Schwierigkeit also wieder nur für den, der diese Identität nicht voraussezt. (Anmerkung: Hält man die aufgestellten Schwierigkeiten zusammen, so findet man sie am meisten in den Darstellungen aufgestellt, in welchen das sittliche Princip nur als beschränkendes erscheint; man sieht also aufs neue, wie diese vom Standpunkt der Persönlichkeit ausgehn.) Soll man etwas bestimmen, so ist es nicht das Kunstwerk (nach Fichte und Schelling), welches ja auf die Individualität geht, sondern nur Zahl, Maaß, Gestalt, Spuren von Arithmetik und Geometrie. Auch kein Schauer (nur die Persönlichkeit kann sich unangenehm gehemmt fühlen), sondern

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Liebe und reine Freude an dem Product, das man als eigenes ansieht. Dreiundzwanzigste Stunde. (Vor der fortsezung noch eine allgemeine Bemerkung. Der Trieb auf Gemeinschaft gründet sich nicht auf die bildende function besonders, sondern auf den Charakter der Identität im Allgemeinen und bekommt in Beziehung auf jede I function seine eigne Gestalt. Hier geht er aber nun darauf an der Gestalt und am zweckmäßigen Wirken nach außen die Menschen aufzufinden. für die erkennende function bekommt er eine andere Gestalt). ad 2. Daß das Organ jedes Organisirenden das des andern werden kann. Natürlich nicht durch Besiz als Organ, sondern nur durch Gebrauch für einzelne fälle. Hiezu läßt sich eine zwiefache Weise denken. a. Uebertragung eines schon Organisirten in den Kreis eines Anderen. b. Gebrauch eines organisirenden Vermögens für die Zwecke eines Andern. Jenes wird als Handlungsweise Wohlthätigkeit, dieses als Handlungsweise Dienstfertigkeit genannt. Da nun ein Trieb auf diese Handlungsweisen in der organisirenden Thätigkeit selbst liegt, so muß also mit dieser gesezt sein als Bedingung der ersten die Tendenz die Producte möglichst ablösbar zu machen vom Vermögen - denn nur in diesem Maaß kann der Andere sie gebrauchen - als Bedingung der leztern die Möglichkeit jeden Endzweck der andern zu erfahren - denn nur so kann jeder sein Vermögen für die Andern in Thätigkeit sezen. Diese Bedingungen sind aber natürlich begrenzt. Denn es giebt Producte, die gar nicht mehr vom Vermögen oder von der Person getrennt werden können, ohne zugleich ihre Organisation zu verlieren. Eben so ist in jedem Zweck eines Andern zugleich etwas von seiner Individualität, also für die Erkenntniß Unübertragbares. Daher verhalten sich beide Bedingungen zu einander als Ergänzungen. Die möglichste Trennbarkeit der Producte wird dargestellt durch das Geld, und dies ist die sittliche Bedeutung desselben. Die möglichste Erkennbarkeit der Zwecke Andrer wird gegeben durch

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die Sprache, die also in dieser Beziehung als Product der bildenden Thätigkeit mit dem Gemeinschaftscharakter gedacht erscheint.1 (Dies der Grund ihrer Identificirung mit dem Staate.) Sie steht in dieser Beziehung dem Gelde grade entgegen; ihre Gewalt besteht in der Ueberredung das Vermögen in Thätigkeit zu sezen, ohne daß man sich um die Producte bemüht. Daher auch das verba valent sicut numeri. Auch diese hat also eine sittliche Bedeutung. Aber betrachtet man die Sprache, die doch ihrer Natur nach dem Erkennen angehört, ausschließlich aus diesem Gesichtspunkt, so geht man eben aus ihrer sittlichen Einheit heraus und muß dann auch die Ideen daraus verdrängen wollen. und dies ist die moderne Ansicht, über die wir uns aber mit Recht beschweren. - Das Geld macht auf der andem Seite die Uebertragung der Pro-fducte möglich· ohne irgend eine andere Gemeinschaft; und eben hierin besteht seine Vollkommenheit. Es muß einen absoluten Werth für alle haben und gar keine Ueberredung dazu gehören, welches beim Tausch nicht Statt findet. Daher wo noch kein wahres Geld existirt, die Kultur auch gewiß noch in ihrer Kindheit ist. Daher wahres Geld kosmopolitischer ist als Sprachen und über den Staat hinausgeht. Daher immer noch eine Unvollkommenheit des Geldes ist, wenn es zugleich Waare ist zu irgend einem andem Behuf.2 Das wahrste Geld bis jezt Spiiler" Zuslllr am Ranü: Die Sprache gehört gar nicht hieher, sondern nur (in demselben Verhältniß zum Streben nach Ablösbarkeit wie die Thätigkeit des Vermögens zum Product selbst) ein Streben die Vermögen in solchen Stand zu sezen, daß ein Andrer durch sie thätig sein kann, und die Andem so, daß ich durch sie thitig sein kann, d. h. zusammengehörig Imitation und Ueberredung als Streben nach Gleichförmigkeit der Thätigkelt, worin die Verständigung durch Zeichen mit begriffen ist. Die klimatischen Verschiedenheiten sind schon zu sehn als Grenzen der Verständigung sowol als der Nachbildung. Daher diese Seite weniger kosmo· politisch als das Geld. 2 Späterer Zusatr am Rarule: Waare wird das Geld nur durch die Theilung der Sphäre der absoluten Gemeinschaft in die der Staaten. Metall als das Anorganische, absolut Starre, als der Kern der Brde. 1

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ist Metallgeld. Es hängt aber gar nicht ab historisch von dem Werthe der kostbaren Metalle in der Verarbeitung, vielmehr ist diese noch seine einzige Unvollkommenheit. (Naturansicht des Metallgeldes ist die innere Einwohnung des Uchtes als ursprünglichen Mediums der Gemeinschaft.) 1 Daher wo das Geld aus dem Gegensaz heraustritt und sich wieder mit der Sprache vermischt als wahres Papiergeld, auch die Gemeinschaft gelähmt wird und die Kultur in Verfall ist. Das Object des Triebes auf Gemeinschaft ist eigentlich unmittelbar die Gattung, und der Einzelne muß sich immer als Repräsentant derselben entweder für die bestimmte Foderung oder im Allgemeinen legitimiren. Diese Legitimation und die damit verbundene Anerkennung der Foderung ist die sittliche Bedeutung des Vertrages. 1 Die Schwierigkeiten, die man in der Theorie findet, betreffen auch nur die äußeren Fonnen. Man erklärt hieraus auch leicht den scheinbaren Widerspruch zwischen Staat vor dem Vertrag und Vertrag vor dem Staate. Man sieht auch, daß Sprache und Geld der allgemeine Präliminärvertrag sind. Vierundzwanzigste Stunde. So wie nun Geld und Sprache Elemente des Staates und der Staatenverbindung sind, so ist Gemeinschaft der Organe überhaupt Element der Familie.3 Die Gemeinschaft bedarf nemlich nicht ausschließend grade auf vorübergehende Handlungen zu gehn vermittelst eines Vertrages, sondern sie kann ein bleibendes Verhältniß sein. Die Nothwendigkeit 1 SpÄIII'w Zllllll( am RMitl•: Die Erfüllung des Wechsels geht noch über dss Geld hiaaus, indem es auch im Transport jede Ungleichheit, die erst einer Ueberredung bedürfte, aufheben will. • Spiilerw Zusalt am Ramh: Vertrag ist Element, vorläufige Privatformation des Staates. Vollständigkeit der äußern form des Vertrages entsteht nur mit dem Staat zugleich. • SpÄIII'w Zusfllt am RMIIÜ: Die Familie gar nicht hieher, sondern nur angedeutet die mögliche Mannigfaltigkeit in der Gemeinschaft der Organe nach verschiedenen Abstufungen und zwar erst weiter unteu.

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einer fortdauernden Gemeinschaft der Organe ist gegeben in der natürlichen Beschaffenheit, daß die Persönlich~