Bürgervollzugsklagen: Die Durchsetzung von Umweltrecht gegenüber Anlagenbetreibern durch Private in den USA und Deutschland [1 ed.] 9783428503773, 9783428103775

David Elshorst untersucht rechtsvergleichend die juristischen Möglichkeiten betroffener Bürger, ohne Hilfe staatlicher V

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Bürgervollzugsklagen: Die Durchsetzung von Umweltrecht gegenüber Anlagenbetreibern durch Private in den USA und Deutschland [1 ed.]
 9783428503773, 9783428103775

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Schriften zum Umweltrecht Band 119

Bürgervollzugsklagen Die Durchsetzung von Umweltrecht gegenüber Anlagenbetreibern durch Private in den USA und Deutschland Von

David Elshorst

Duncker & Humblot · Berlin

David Eishorst

· Bürgervollzugsklagen

Schriften zum U m w e l t r e c h t Herausgegeben von Prof. Dr. M i c h a e l K l o e p f e r , Berlin

Band 119

Bürgervollzugsklagen Die Durchsetzung von Umweltrecht gegenüber Anlagenbetreibern durch Private in den USA und Deutschland

Von David Eishorst

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Eishorst, David: Bürgervollzugsklagen : die Durchsetzung von Umweltrecht gegenüber Anlagenbetreibern durch Private in den USA und Deutschland / David Eishorst. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 119) Zugl.: Bayreuth, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10377-7

Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-10377-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Dissertation ist die Frucht eines Studienaufenthaltes in den USA, bei der ich auf das vorliegende Thema aufmerksam geworden bin. Soweit ich sehe, ist es in Deutschland den Umweltrechtlern weitgehend unbekannt, dass es im Umweltrecht der USA das Rechtsinstitut der Citizen Suits gibt. Hoffentlich kann die Arbeit einige Denkanstöße geben. Das Werk ist von der Universität Bayreuth im Jahr 2000 als Dissertation angenommen worden. Zu Dank verpflichtet bin ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. h.c. mult. Peter Häberle, der mich während meines gesamten Studiums wohlwollend begleitet hat und auch das von mir gewählte Thema meiner Doktorarbeit freundlich angenommen hat. Ebenso danke ich Herrn Professor Dr. Wilfried Berg, der die Zweitkorrektur übernommen hat. Diese Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die freundliche Unterstützung der juristischen Fakultäten der Tulane University (New Orleans) und der George Washington University (Washington D.C.), die mir freundlicherweise den Zugang zu ihren Bibliotheken gewährten. Danken möchte ich auch meiner lieben Frau Bettina Eishorst, die insbesondere in der Schlussphase der Anfertigung dieser Dissertation stets Verständnis und Belastbarkeit gezeigt hat. Schließlich gilt mein Dank auch Herrn Jens-Peter Schütt, der mir rechtzeitig meine Möglichkeiten vor Augen geführt hat. Frankfurt, im Mai 2002

David Eishorst

Inhaltsverzeichnis Α. Einführung I. Einführung in das Thema II. Der Gang der Untersuchung

15 15 17 Teil 1

Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht B. Geschichte der Citizen Suits I. England II. USA 1. Die Qui Tarn Actions 2. Die Informers Actions 3. Die Citizen Suits im heutigen Recht

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C. Der Hintergrund: Amerikanisches Verwaltungsrecht im Überblick I. Verfassungsrechtliche Vorgaben 1. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Umweltrecht 2. Die Verfassungsmäßigkeit der Agencies unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung - die Delegation Doctrine 3. Die Due Process- Anforderungen an das Verwaltungsverfahren a) Die Entscheidung des Supreme Court in Goldberg v. Kelly b) Due Process heute: Mathews v. Eldridge II. Die Behörden in den USA und ihr Verwaltungsrecht III. Verwaltungshandeln in den USA - der APA 1. Verwaltungshandeln im Einzelfall a) Die Formal Adjudication aa) Der Administrative Law Judge (ALJ) bb) Der Anwendungsbereich der Formal Adjudication cc) Das Verfahren der Formal Adjudication b) Die Informal Adjudication c) Die Durchsetzung von Verwaltungsanordnungen 2. Rechtsetzung durch die Verwaltung a) Die verschiedenen Arten der Rule aa) Legislative Rules bb) Interpretive Rules cc) Procedural Rules dd) General Statements of Policy

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Inhaltsverzeichnis

b) Das Verfahren des Informal Rulemaking 44 aa) Notice 45 bb) Comment 46 cc) Die Veröffentlichung und das Statement of Basis and Purpose 47 c) Das Verfahren des Formal Rulemaking 49 IV. Kontrolle des Verwaltungshandelns in den USA 49 1. Fehlende eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit 50 2. Gerichtliche Überprüfung von Verwaltungshandeln 51 a) Der Zugang zu gerichtlicher Kontrolle 51 aa) Das Standing 51 (1) Die verfassungsrechtlichen Elemente 52 (a) Injury in Fact 53 (b) Causation 55 (c) Redressability 55 (2) Zweckmäßigkeitserwägungen der Gerichte - Prudential Limitations 55 bb) Die Fälle des gesetzlichen Ausschlusses gerichtlicher Überprüfung 56 (1) Spezialgesetzlicher Ausschluß gerichtlicher Kontrolle . . 57 (2) Ausschluß der gerichtlichen Kontrolle behördlicher Ermessensentscheidungen 58 (3) Die Überprüfung der Entscheidung der Behörde, Vollzugsmaßnahmen einzuleiten 59 cc) Die zeitliche Zulässigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes 60 b) Der Maßstab gerichtlicher Kontrolle 61 aa) Die Überprüfung behördlicher Tatsachenermittlung 62 (1) Der Maßstab des Substantial Evidence 62 (2) Der Arbitrary and Capricious-Maßstab der Überprüfung 64 bb) Der Stellenwert behördlicher Rechtsansichten - Chevron v. NRDC 66 D. Überblick über den Clean Water Act (CWA) 69 I. Die Geschichte des amerikanischen Wasserrechts 69 II. Der Aufbau des CWA im Überblick 71 III. Das National Pollution Discharge Elimination System (NPDES) 73 1. Die technologiebezogenen Grenzwerte 74 a) Best Practical Technology Currently Available - BPT 75 b) Best Conventional Pollutant Control Technology - BCT 76 c) Best Available Technology Economically Achievable - BAT .... 76 d) New Source Performance Standards - NSPS 76 e) Der Erlaß technologiebezogener Grenzwerte 77 f) Best Professional Judgement - BPJ 77 2. Die wasserqualitätsbezogenen Grenzwerte 78

Inhaltsverzeichnis

a) Die Water Quality Standards im engeren Sinn 78 b) Die Umsetzung der Water Quality Standards in Beschränkungen für die Schadstoffeinleitung 79 3. Das NPDES-Genehmigungsverfahren sowie Inhalt, Änderung und Anfechtung der Genehmigung 80 a) Der Antrag und das Verfahren 80 b) Der Inhalt der Genehmigung 83 c) Die Änderung, Übertragung und der Widerruf der Genehmigung 84 d) Die Anfechtung der Genehmigungsentscheidung 85 IV. Schadstoffeinleitung über ein Klärwerk 86 1. Vorschriften zur Schadstoffbegrenzung durch Klärwerke 87 a) Die Schadstoffreduktion durch das Klärwerk 87 b) Die indirekte Schadstoffreduktion über das Klärwerk - Pretreatment Programs 88 2. Allgemeine und kategorische Grenzwerte für indirekte Einleiter.... 89 a) Die General Pretreatment Standards 89 b) Die kategorischen Grenzwerte (Categorical Pretreatment Standards) 90 3. Die Nutzung von Synergieeffekten zwischen Klärwerk und indirekter Schadstoffquelle 90 4. Vergleich von NPDES für direkte Einleiter mit den Regeln für indirekte Einleiter 91 V. Schadstoffe aus diffusen Quellen 92 VI. Umsetzung und Vollzug des CWA durch Bund und Bundesländer 93 1. Die Umsetzung des CWA durch EPA und Beteiligung der Bundesstaaten 94 2. Die Übertragung der Umsetzung des CWA auf die Bundesstaaten . . 94 3. Der staatliche Vollzug des CWA 95 a) Vollzug mittels Civil Enforcement 96 b) Der Vollzug mittels Administrative Enforcement 98 c) Vollzug durch Citizen Suits 98 E. Überblick über den Clean Air Act (CAA) 99 I. Die Geschichte des CAA 99 1. Gesetze zur Reinhaltung der Luft vor 1970 99 2. Der CAA ab 1970 - Überblick über die Regelungen des Gesetzes. . 100 II. Die Regelungen des CAA - New Source Performance Standards 102 III. Die Regelungen des CAA - National Ambient Air Quality Standards . . 102 1. Die Behandlung der Attainment Areas 104 2. Die Regelung in den Non-Attainment Areas 106 IV. Die Regelungen des CAA - Hazardous Air Pollutants 108 1. Anwendungsbereich 108 a) Gefährliche Luftschadstoffe - Hazardous Air Pollutants 108

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Inhaltsverzeichnis

b) Die betroffenen Emittenten 109 2. Vorgaben zur Bekämpfung gefährlicher Luftschadstoffe 110 a) Technologiebezogene Grenzwerte - M ACT 110 b) Technologiebezogene Grenzwerte - GACT 111 c) Gesundheitsbezogene Grenzwerte - Residual Risk Standard .... 111 3. Weitere Regelungen 111 V. Die Umsetzung des CAA - Genehmigungen 112 1. Hintergrund 112 2. Umsetzung der Genehmigungsvorschriften durch die Länder 113 3. Genehmigungspflichtige Anlagen 113 4. Das Genehmigungsverfahren 114 a) Zeitpunkt und Inhalt des Genehmigungsantrags 114 b) Prüfung durch die Genehmigungsbehörden 115 c) Anfechtung durch Dritte 115 5. Der Bestandsschutz durch die Genehmigung - Permit Shield 116 VI. Die Durchsetzung des CAA - Vollstreckung 116 1. Die Vollstreckung durch die Verwaltung - Administrative Orders.. . 117 a) Die Arten der Administrative Order 117 b) Der Rechtsschutz 118 2. Die Vollstreckung durch die Gerichte - Civil Action 118 F. Der Gesetzesvollzug durch Citizen Suit- Normen im amerikanischen Umweltrecht 120 I. Der Sinn der Citizen Suit- Normen 120 II. Klagen gegen Regelungsadressaten 122 1. Die möglichen Klageziele 122 a) Primärvollzug durch Citizen Suits 123 b) Sekundärvollzug - Die Verhängung von Bußgeldern 124 2. Die möglichen Beteiligten 125 a) Mögliche Kläger 125 b) Der Regelungsadressat als Beklagter 126 3. Die Anforderungen an die Begründetheit 127 a) Die Violation 127 b) Formelle Anforderungen: die Notice 128 III. Klagen gegen die Durchführungsbehörde 129 1. Voraussetzungen und Ziel der Klage 129 2. Die Durchführungsbehörde als Beklagte 130 IV. Das Verhältnis des Bürgervollzugs zum Staatsvollzug nach der gesetzlichen Regelung 131 1. Vorrang staatlicher Vollzugsmaßnahmen 131 a) Sinn der Diligent Prosecution-Kìauseì 131 b) Die „staatliche Vollzugsmaßnahme vor einem Gericht" 133 c) Welche Art von staatlichem Vollzug begründet Vorrang? 135 aa) Die Entscheidung in Scituate 136

Inhaltsverzeichnis

(1) Sachverhalt 136 (2) Urteilsgründe 136 (3) Kritische Würdigung 137 bb) Andere Entscheidungen 139 2. Anzeige an die Vollzugsbehörde 139 3. Beitrittsrechte des Staates 140 4. Gesamtbetrachtung 140 V. Sonstige Inhalte der Citizen Suit- Normen 141 1. Das Problem der Prozeßkosten 141 2. Andere Anspruchsnormen 142 VI. Rahmenbedingungen 142 1. Munition für die Citizen Suits : Monitoring and Reporting 142 2. Die Grenzen der Verfolgbarkeit vergangener Verstöße 145 a) Die Entscheidung des Supreme Court in Gwaltney II 145 b) Gwaltney III - Die Nachfolgeentscheidung des 4th Circuit 146 c) Dagegen: ASLF v. Whiting Roll-Up Door Manufacturing Corp. . 146 3. Der Permit Shield - Die Entscheidung in Eastman Kodak 149 a) Rechtswidrigkeit und genehmigungskonformes Verhalten 149 b) Lösungsansätze 150 c) Die Entscheidung Atlantic States Legal Foundationnc. v. Eastman Kodak Co 151 d) Kritische Würdigung 152 VII. Verfassungsmäßigkeit der Citizen Suit- Normen (insb. Lujan v. Defenders of Wildlife) 152 1. Citizen Suits und Art. III U.S.-Constitution 153 a) Die Entscheidung des Supreme Court 154 b) Kritische Würdigung des Urteils 156 2. Citizen Suits und Art. II U.S. Constitution: Gewaltenteilung 158 3. Scalias Auffassung vom Verhältnis von Klagebefugnis und Gewaltenteilung 160 a) Gewaltenteilung als Begründung für die Klagebefugnis 160 b) Kritische Würdigung der Auffassung Scalias 163 aa) Kein Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung durch citizen suit- Normen 164 bb) Die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes bei weit verbreiteten Rechtsgutsverletzungen 166 cc) Wirksamkeit des politischen Prozesses zum Schutz der individuellen Freiheit 169

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Inhaltsverzeichnis

Teil 2 Untersuchung der Citizen Suit- Normen ähnlichen Ansprüche im Deutschen Recht G. Der Gesetzesvollzug durch Bürger nach Deutschem Recht I.

Anspruchsgrundlagen 1. Bürgervollzugsklage - Primärvollzug mit Hilfe des § 823 Abs. 2 BGB a) Vergleichbarkeit des Klageziels b) Begründetheitsanforderungen des quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs aa) Umweltrechtliche Verhaltensgebote als Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB (1) Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (2) Die Einbeziehung des Klägers in den Schutzbereich der Norm (3) Die Einbeziehung des gefährdeten Rechtsguts in den Schutzbereich der Norm bb) Rechtswidrigkeit - das Verhältnis zur Duldungspflicht nach § 906 BGB cc) Verschulden und Besorgnis künftiger Beeinträchtigung (1) Unterlassunganspruch auch ohne Verschulden (2) Besorgnis künftiger Beeinträchtigung c) Mögliche Beteiligte quasinegatorischer Unterlassungsklagen nach § 823 Abs. 2 BGB 2. Bürgervollzugsklage - Primärvollzug mit Hilfe der negatorischen Unterlassungsklage a) Vergleichbarkeit des Klageziels b) Mögliche Beteiligte aa) Mögliche Kläger einer negatorischen Unterlassungsklage.. . bb) Mögliche Beklagte c) Begründetheitsanforderungen des negatorischen Unterlassungsanspruches aa) Ausschluß der negatorischen Unterlassungansprüche nach § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB bb) Umweltrechtliche Grenzwerte im Rahmen des § 906 Abs. 1 BGB cc) Beweislastverteilung im Rahmen des § 906 Abs. 1 BGB . . . dd) Ausschluß des negatorischen Unterlassungsanspruches nach § 906 Abs. 2 BGB 3. Primärvollzug nach Deutschem öffentlichen Umweltrecht? a) Keine Klage gegen den Regelungsadressaten direkt

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b) Verpflichtungsklage gegen die Durchführungsbehörde als Klage gegen den Regelungsadressaten nach deutschem öffentlichen Umweltrecht? 4. Sekundärvollzug 5. Klagen gegen den Staat als Regelungsadressaten a) Klagen gegen Durchführungsbehörden nach deutschem öffentlichen Umweltrecht aa) Klagen zur Verpflichtung zu gesetzlich vorgeschriebenem Verwaltungshandeln? bb) Insbesondere Normerlaßklagen b) Klagen gegen Durchführungsbehörden nach deutschem Umwelt-Privatrecht 6. Schadensersatzansprüche nach Um weit-Privatrecht und öffentlichem Umweltrecht II. Das Verhältnis des Bürgervollzugs zum Staatsvollzug nach deutschem Recht 1. Notwendigkeit des staatlichen Vollzugsprimats a) Gründe für ein staatliches Vollzugsprimat b) Die Kritik im Schrifttum c) Eigene Stellungnahme 2. Staatliches Vollzugsprimat de lege lata III. Rahmenbedingungen 1. Die Ausschlußnormen des deutschen Rechts a) Die Ausschlußnorm des § 14 BImSchG b) Die Ausschlußnorm nach § 11 WHG c) Die Ausschlußnorm nach § 75 Abs. 2 VwVfG 2. Der Informationsanspruch des Bürgers nach deutschem Recht a) Informations- und Berichtspflichten der Regelungsadressaten nach deutschem Recht b) Zugang der Bürger zu umweltrelevanten Informationen nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) aa) Anspruchsberechtigte und -verpflichtete des Informationsanspruchs bb) Informationen über die Umwelt cc) Ausschlußgründe (1) Der Schutz freiwillig übermittelter Daten - § 7 Abs. 4 S. 1 UIG (2) Der Schutz der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse § 8 Abs. 1 S. 2 UIG dd) Die Art der Informationseiteilung ee) Die Kosten der Informationserteilung 3. Das Problem der Prozeßkosten a) Das Prozeßkostenrisiko im Prozeß vor den Verwaltungsgerichten. b) Das Prozeßkostenrisiko im Zivilprozeß

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Inhaltsverzeichnis

Teil 3 Rechtsvergleich der Citizen SwiY-Normen mit dem Deutschen Umweltrecht H. Der Vergleichsmaßstab - Das Tertium

Comparationis

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I. Die Ergebnisse - Vergleich der Regelungen mit Blick auf das Tertium Comparationis 216 I. Die Klage gegen den privaten Regelungsadressaten im Vergleich 216 1. Die möglichen Klageziele im Vergleich 216 2. Die möglichen Beteiligten im Vergleich 217 3. Die Anforderungen an die Begründetheit im Vergleich 218 II. Die Klage gegen den Staat als Regelungsadressaten im Vergleich 218 III. Das Verhältnis des Bürgervollzugs zum Staatsvollzug im Vergleich . . . . 219 IV. Die Rahmenbedingungen im Vergleich 220 1. Der Zugang zu Umweltinformationen im Vergleich 220 2. Das Problem der Prozeßkosten im Vergleich 220 3. Die Präklusionsregeln im Vergleich (Permit Shield und Ausschlußnormen) 220 J. Appendix 1 - Die Citizen Suit-Normen im Wortlaut 222 I. Clean Air Act 222 II. Clean Water Act 225 III. Comprehensive Environmental Response, Compensation and Liability Act 227 IV. Deepwater Ports Act 229 V. Emergency Planning and Community Right-to-Know Act 231 VI. Endangered Species Act 233 VII. Energy Policy and Conservation Act 234 VIII. Hazardous Liquid Pipeline Safety Act 236 IX. Marine Protection, Research and Sanctuaries Act 237 X. Noise Control Act 238 XI. Outer Continental Shelf Lands Act 240 XII. Powerplant and Industrial Fuel Use Act 241 XIII. Resources Conservation and Recovery Act 242 XIV. Safe Drinking Water Act 245 XV. Surface Mining Control and Recovery Act 247 XVI. Toxic Substances Control Act 248 K. Appendix 2 I. Ausgewählte amerikanische Gesetze im Internet 1. Die Vereinigten Staaten - Bundesrecht 2. Gesamtdarstellung

251 251 251 252

L. Literaturverzeichnis

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Stichwortverzeichnis

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„Wir müssen von dem hohen Roß herunter, daß Lösungen für unsere Probleme nur in Deutschland gefunden werden können. Der Blick auf den eigenen Bauchnabel verrät nur wenig Neues. Jeder weiß, daß wir eine lernende Gesellschaft sein müssen. Also müssen wir Teil einer lernenden Weltgesellschaft werden, einer Gesellschaft, die rund um den Globus nach den besten Ideen, den besten Lösungen sucht." (Bundespräsident Roman Herzog, Rede vom 26.04.1997)

A. Einführung I. Einführung in das Thema In allen modernen Industriestaaten hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Regelungsmaterie herausgebildet, die mit dem Schlagwort „Umweltrecht" bezeichnet werden kann. Das Umweltrecht dient seiner Zielsetzung nach der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen und mit unterschiedlich starker Betonung je nach Rechtskultur - der Erhaltung der Umwelt als solcher, verstanden als ökosystematische Lebensgrundlage für Tiere und Pflanzen. Dieses Ziel zu erreichen ist nicht möglich ohne die Einschränkung der Gestaltungsspielräume der Menschen. Daher ist Umweltrecht auch eine Rechtsmaterie, die sich mit der Reglementierung menschlicher Verhaltensweisen im weitesten Sinne befaßt, seien sie wirtschaftlicher, kultureller oder sonstiger Art (z.B. Sport und Freizeit). Den Schwerpunkt der Reglementierung bildet dabei der wirtschaftende Mensch. Industrie, Gewerbe und Handwerk werden durch die verschiedensten Gesetze den unterschiedlichsten Zwängen unterworfen, damit negative Auswirkungen ihres Handelns auf die Umwelt möglichst vermieden oder zumindest abgeschwächt werden. Im Umweltrecht ebenso wie in anderen Rechtsgebieten dient die Existenz von Rechtsnormen, die bestimmte Verhaltensgebote postulieren, für sich genommen den jeweiligen Zielen noch nicht. Es bedarf einer Umsetzung der gesetzlichen Gebote: die Gebote müssen von den Regelungsadressaten auch befolgt werden. Zum Teil ist dazu keine weitere Anstrengung nötig, insbesondere dann, wenn Rechtstreue vorteilhaft ist. Wenn aber die Interessenlage nicht so eindeutig ist, vor allem wenn wirtschaftliche Vorteile aus der Nichtbefolgung von Geboten zu ziehen sind, bedarf es erfahrungsgemäß Dritter, die für die Befolgung des Rechts sorgen.

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Α. Einführung

In den Bereichen des bürgerlichen Rechts sind diese Dritten normalerweise Private, seien es Bürger oder juristische Personen aller Art, die rechtswidrigem Verhalten in der Regel mit Hilfe der Gerichte entgegenwirken. Zu nennen ist der Käufer, der seinen vertraglichen Anspruch auf mangelfreie Ware einklagt, oder die Verbraucherorganisation, die allgemeine Geschäftsbedingungen eines Unternehmens vor Gericht auf den Prüfstand stellt. Im Bereich des Strafrechts ist es der Staat in Form von Polizei und Staatsanwaltschaft, der den Mörder, den Dieb oder den Schläger vor Gericht und damit zur Bestrafung bringt. Im Umweltrecht sind es in Deutschland traditionell Behörden, vor allem die Landratsämter und Regierungspräsidien, welche über die Einhaltung der Umweltgesetze wachen. Die Umsetzung des Umweltrechts erfolgt dabei, zeitlich gesehen, in zwei Phasen. Vor Beginn einer einschlägig regulierten menschlichen Tätigkeit, etwa dem Bau und Betrieb einer Fabrik, wachen die Behörden über die Einhaltung des Umweltrechts mittels bestimmter (Genehmigungs-)Verfahren wie der Baugenehmigung oder der wasserrechtlichen Erlaubnis (Genehmigungsphase). Nach Aufnahme der Aktivität erfolgen die Kontrolle dieses Verhaltens und die Durchsetzung am Maßstab der erteilten Genehmigung, ansonsten anhand der einschlägigen Gesetze und Verordnungen (Überwachungsphase). Bürgern steht in Deutschland herkömmlich nur eine eingeschränkte Rolle bei der Durchsetzung des objektiven Umweltrechts zu. Sie können sich als Nachbarn, Betroffene oder interessierte Öffentlichkeit in Genehmigungsverfahren einschalten und Bedenken und Anregungen zum Ausdruck bringen. In der Überwachungsphase können sie die Behörden auf Mißstände wie Lärm und Gestank aufmerksam machen und auf deren Beseitigung durch die Behörden dringen. Nur ausnahmsweise aber können sie eine Behörde gerichtlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichten. Dem entsprechend liegt der Schwerpunkt der Partizipation des Bürgers an der Umsetzung des Umweltrechts gegenwärtig auf der Genehmigungsphase, d.h. vor der Erteilung einer Betriebsgenehmigung - in Anhörungen im Genehmigungsverfahren und ggf. in der gerichtlichen Anfechtung einer erteilten Genehmigung. Man tut dem deutschen Umweltrecht kein Unrecht, wenn man feststellt, daß seine Um- und Durchsetzung in der Überwachungsphase zuallererst dem Staat mit seinen Behörden zugewiesen ist und den Bürgern, Initiativen oder auch Konkurrenten eine untergeordnete, nachrangige und letztlich passive Rolle zugedacht ist. Das ist nicht selbstverständlich, wie ein Blick auf die Rechtslage in den USA zeigt. Dort stellen die Bürger neben den Behörden, welche auch in den USA auf allen staatlichen Ebenen mit der Einhaltung des Umweltrechts

Α. Einführung

betraut sind, eine weitere Kraft dar, welche ergänzend hinzutritt. Die Bürger sind seit 1970 in den USA zur Durchsetzung des Umweltrechts auch und vor allem nach Erteilung einer Genehmigung (in der zweiten Phase) berufen. Den Rahmen für diese Rechtsmacht der amerikanischen Bürger geben die sogenannten „citizen suit"- Normen ab. Citizen suits sind in allen wichtigen Umweltgesetzen der USA enthalten und verschaffen den Bürgern die Möglichkeit, die Einhaltung der gesetzlichen oder in einer Genehmigung festgeschriebenen Umweltstandards durchzusetzen. Sie geben den Bürgern Klagerechte, mit denen sie direkt einen Rechtsbrecher vor Gericht verklagen können. Das Rechtsinstitut des citizen suit zeichnet sich dadurch aus, daß ein direktes Vorgehen gegen den Regelungsadressaten, ohne Umweg über eine Behörde, möglich ist. Daneben haben die citizen suits noch weitere Facetten, die erwähnenswert sind: neben der Durchsetzung des Umweltrechts können z.B. auch civil penalties zur Ahndung der Verstöße gegen das Bundesrecht eingeklagt werden. Damit sollen insbesondere die wirtschaftlichen Vorteile, welche die Mißachtung von Umweltgesetzen regelmäßig mit sich bringen, abgeschöpft werden. Citizen suits stellen damit ein mächtiges Instrument zur Durchsetzung des Umweltrechts dar.

I I . Der Gang der Untersuchung Diese Arbeit wird sich auf die zuerst skizzierte Funktion der citizen suits konzentrieren: auf die Rechtsmacht Privater, neben den Behörden Umweltrecht direkt gegen einen Regelungsadressaten durchzusetzen. Im ersten Teil erfolgt eine Untersuchung der citizen suits in ihrer Ausprägung im US-amerikanischen Umweltrecht. Dabei wird neben der geschichtlichen Entwicklung vor allem auch die Beleuchtung des Hintergrundes, in den dieses Rechtsinstitut eingebettet ist, erforderlich sein. Ohne diesen Hintergrund ist wegen der großen Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Recht ein Verständnis der citizen suits kaum möglich. Hierfür wird zusammen mit einer Kurzdarstellung des amerikanischen allgemeinen Verwaltungsrechts und des Zugangs zur Gerichtsbarkeit (Prozeßrecht) auch eine Darstellung zweier wesentlicher amerikanischer Umweltgesetze (namentlich des Clean Water Act und des Clean Air Act) nützlich sein, an die sich dann die Diskussion der wichtigsten, die citizen suits betreffenden Streitfragen anschließt. Im zweiten, rechtsvergleichenden Teil schließt sich die Untersuchung der Frage an, ob eine den citizen suits ähnliche Rechtsmacht auch in Deutschland vorhanden ist. Nach der hier vertretenen, vielleicht überraschenden 2 Eishorst

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Α. Einführung

Auffassung ist dies der Fall - allerdings handelt es sich nicht um Verwaltungsrecht, sondern um Zivilrecht, welches hierfür nutzbar gemacht werden muß. Die quasi-negatorische Unterlassungsklage gem. §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB analog in Verbindung mit einem (nötigenfalls durch eine Genehmigung konkretisierten) Schutzgesetz ermöglicht es dem Bürger auch in Deutschland, Verstöße gegen das auf einen Regelungsadressaten anwendbare Umweltrecht gerichtlich zu bekämpfen. Bisher liegt diese Rechtsmacht allerdings in einem Dornröschenschlaf. Nicht Thema dieser Arbeit ist, welche Möglichkeiten es de lege ferenda gäbe, das Umweltrecht zu verbessern. Ebensowenig geht es hier um die Möglichkeiten des Rechts, Umweltschutz über den in Grenzwerten und Richtlinien erklärten Willen des Gesetzgebers hinaus zu betreiben (etwa mit Hilfe der §§ 1004, 906 und § 823 Abs. 1 BGB). Schließlich sollen auch die Möglichkeiten der Verbandsklage oder Interessentenklage nicht behandelt werden. Diese Arbeit untersucht „nur", wie Bürger gegen einen Regelungsadressaten vorgehen können, der gegen das auf ihn schon jetzt anwendbare, in Genehmigungen oder sonstigen verbindlichen Regelwerken kodifizierte Umweltrecht verstößt. Anders gewendet geht es um die Frage, ob und wie Bürger den Behörden bei der Bekämpfung des vielzitierten Vollzugsdefizits im Umweltrecht zur Seite stehen können. Diese Frage wird für das amerikanische und das deutsche Recht untersucht.

Teil 1 Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht B. Geschichte der Citizen Suits Das amerikanische Recht ist eine „common-law " Rechtsordnung. Sie hat ihre Wurzeln in der Rechtsordnung Englands, welche die ersten Siedler mit in die neue Welt brachten. Schon früh trennte sich die Entwicklung der beiden Rechtsordnungen und es bildete sich immer stärker ein eigenständiges common law der USA heraus. Eine Darstellung der Geschichte der citizen suits beginnt deshalb in England, hat ihren Schwerpunkt aber in der Entwicklung des Rechts seit dem 18. Jahrhundert in Amerika. Das Rechtsinstitut des citizen suit im Umweltrecht ist selbstverständlich - ebenso wie der Großteil des Umweltrechts selbst - eine Entwicklung der jüngeren Geschichte. In den USA tauchte die erste citizen suit- Norm des Umweltrechts 1970 im Clean Air Act § 304 auf. Doch reichen die Wurzeln dieses Rechtsinstitutes Jahrhunderte zurück.

I. England Das englische Recht kannte von alters her die Möglichkeit, mittels des writ of mandamus vor allem (untere) Gerichte, aber auch Privatpersonen und die Verwaltung dazu zu zwingen, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, zu der diese gesetzlich verpflichtet waren 1 . Mandamus konnte ferner beantragt werden, um Abhilfe zu schaffen, wenn dem Kläger seine Rechte rechtswidrig vorenthalten wurden 2 . Der originäre Anwendungsbereich dieses writ ist der Machtmißbrauch durch untere Gerichte, die gesetzeswidrig einem Kläger Rechtsschutz verweigern. Der writ of mandamus stand auch einem „Unbeteiligten" (stranger) zur Verfügung. Mit einem mandamus- Verfahren konnte man somit die Einhaltung des objektiven Rechts verlangen. Dieses Rechtsinstitut setzte nicht die Verletzung eines eigenen, subjektiven Rechts voraus. Das war zwar der Normalfall, aber nicht unabdingbar nötig. Schon vor der Gründung der 1 2

2*

Vgl. Sunstein /, S. 172. Vgl. Boyer/Meidinger, S. 946 ff.

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Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

USA kannte das englische Recht die Möglichkeit, daß Unbeteiligte den Staat zu einem bestimmten Verhalten zwingen konnten 3 . Als Gegenstück zum writ of mandamus gilt der writ of prohibition. Wenn in einem Verfahren vor einem Gericht oder einem anderen, mit ähnlicher Entscheidungsgewalt ausgestatteten Gremium die Grenzen der Rechtsprechungskompetenz dieses Gerichtes entgegen dem Recht überschritten wurden, so bot der writ of prohibition Abhilfe. Ein übergeordnetes Gericht wies das seine Kompetenzen überschreitende Gericht an, dies zu unterlassen. Diese Klagemöglichkeit stand zuvörderst natürlich einem am Verfahren Beteiligten zu, der einen Anspruch auf eine gerichtliche Verfügung hatte. Daneben stand der writ of prohibition aber auch Unbeteiligten (strangers) zu 4 . Diese konnten eine zulässige Klage anstrengen; es lag allerdings im Ermessen des Gerichts, ob es mittels einer Verfügung Abhilfe schaffen wollte oder nicht. Der „Unbeteiligte" nahm dabei ein öffentliches Interesse wahr. Dies war seit Jahrhunderten anerkannt und wurde z.B. auch schon in Lehrbüchern aus der Zeit der Gründung der USA so dargestellt. So heißt es in einer Darstellung des englischen Rechts aus dem Jahre 1797: „And the kings courts that may award prohibitions, being informed either by the parties themselves, or by any stranger , that any court temporali or ecclesiasticall doth hold plea of that (whereof they have no jurisdiction) may lawfully prohibit the same (.. .)."5 (Hervorhebungen durch Verfasser) Das gleiche galt auch für den writ of certioari. Hierbei handelte es sich um einen Antrag an ein höheres Gericht, das Urteil eines Untergerichtes einer Überprüfung zu unterziehen. Die Entscheidung darüber, ob der Antrag angenommen wurde, stand im freien Ermessen des höheren Gerichts. Auch certioari stand strangers anerkanntermaßen zu 6 .

I I . USA Die Entwicklung in den USA orientierte sich zunächst am englischen Recht. Schon sehr früh wandten die Gerichte die o.g. Rechtsinstitute auch in den USA an. Ein Gericht in South Carolina verfügte 1794 einen writ of prohibition auf Antrag eines Unbeteiligten. 7 Ein Gericht in New Jersey erkannte im gleichen Jahr das Recht eines Unbeteiligten an, ein writ of certiorari zu beantragen, und ließ damit praktisch einen citizen suit zu 8 . 3

Vgl. Sunstein I, S. 172 mit Rspr.-Nachweisen aus dem frühen 18. Jh. Vgl. Berger, S. 819; Winter, S. 1394 f.; Sunstein I, S. 171. 5 Vgl. Coke, Institutes of the Law of England, 1797, S. 602; zit. nach: Sunstein I, S. 171. 6 Sunstein I, S. 172; Berger, S. 823; jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen. 7 Zylstra v. Corporation of Charleston, 1 S.C.L. (1 Bay) 382, 398, (1794). 4

Β. Geschichte der Citizen Suits

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Auch auf Bundesebene gab es vereinzelte Beispiele dafür, daß sich das aus England überkommene Recht in den USA weiter entwickelte. Im Jahre 1875 befaßte sich der Supreme Court mit einem writ of mandamus auf Antrag von Unbeteiligten 9 . In diesem Fall wollten Händler eine Eisenbahngesellschaft zum Bau einer bestimmten Bahntrasse zwingen. Sie strengten ein mandamus- Verfahren an, „to compel the Union Pacific Railroad Company to operate its road as required by law". 10 Der Supreme Court stellte fest, daß die Händler eine Pflicht der Eisenbahngesellschaft „der allgemeinen Öffentlichkeit gegenüber" durchzusetzen trachteten und „kein anderes Interesse als ein solches, welches auch alle anderen haben" hierfür geltend machen konnten. 11 Dennoch nahm sich das Gericht des Falles in der Sache an. Es hielt die Klage also für zulässig. Auch der Gesetzgeber schuf schon früh Rechtsinstitute, die in ihrer Struktur den heutigen citizen suits ähneln. Es handelt sich dabei um die sog. „qui tam u-actions sowie um die informers actions . 1. Die Qui Tarn Actions Der Kongress schuf in den jungen Jahren der USA eine ganze Reihe der qui tarn actions. Eine qui tarn action liegt vor, wenn ein Gesetz eine Verletzung der Rechte des Staates mit einer Geldstrafe belegt, welche nicht nur durch staatliche Organe, sondern (auf dem Zivilwege) auch durch Privatleute eingetrieben werden kann 1 2 . Im Falle der Verurteilung auf Betreiben eines Privaten geht die verhängte Geldstrafe zum Teil an die Staatskasse, zum Teil an den Kläger. Der Bürger tritt dabei für den Staat auf (sog. private attorney general ): für Zulässigkeit (etwa das standing 13) und Begründetheit der qui tarn action kommt es darauf an, ob die Zulässigkeits- und 8

State v. Justices of Middlesex, 1 NJ.L. 283, 294 (1794). Vgl. auch den Fall State v. Corporation of New Brunswick, 1 N.J.L. 450, 451 (1795), in dem das Gericht ausdrücklich die Ansicht ablehnt, es solle einen writ of certiorari vom Nachweis einer tatsächlichen oder möglichen Rechtsverletzung abhängig machen (Es wird die Auffassung abgelehnt „... [the] court ought not to award a certiorari on the mere prayer of an individual, unless he will previously lay some cause before them tending to show that he is or may be affected by the operation of the by-law ...".). 9 Union Pacific Railroad v. Hall , 91 U.S. 343 (1875). 10 Ebenda. 11 Union Pacific Railroad v. Hall , 91 U.S. 343, 354 f. (1875) m.w.N. aus jener Zeit. 12 Vgl. Sunstein /, S. 175 f.; Feld, S. 164; Sive, S. 49. 13 United States ex rei Kreindler v. United Technologies, 985 F. 2d 1148, 1154 (1993).

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Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

Begründetheitsvoraussetzungen vorgelegen hätten, wenn der Staat selbst geklagt hätte 14 . Diese Verfahren dienten der besseren Durchsetzung der jeweiligen Gesetze. Gesetze gegen den Alkoholschmuggel 15 , gegen bestimmte Arten des Handels mit Indianerstämmen 16 oder gegen den Sklavenhandel außerhalb der U S A 1 7 enthielten qui tarn actions. Noch 1986 wurde eine qui tarn action zur Korruptionsbekämpfung wiederbelebt 18 . Dabei handelte es sich keineswegs um eine unerhörte Neuheit. So befand der Supreme Court: „Statutes providing for action by a common informer, who himself has no interest whatever in the controversy other than that given by statute, have been in existence for hundreds of years in England, and in this country ever since the foundation of our Government/' 19 Klagen gegen den Staat waren aber nicht möglich. Die Klage richtete sich ausschließlich gegen einen anderen Bürger. 2. Die Informers

Actions

Von den qui tarn actions zu unterscheiden sind die informers actions , die einem anderen Ziel dienten: hier ging es um die Durchsetzung von Pflichten, die der Allgemeinheit gegenüber bestanden20. Auch bei den informers actions konnte der obsiegende Kläger auf einen Anteil an erkannten Bußgeldern hoffen. Die informers action war, so dies im Gesetz vorgesehen war, nicht nur gegen Private, sondern auch gegen die Verwaltung zulässig 2 1 . Sie konnte also dazu verwendet werden, die Verwaltung zur Beachtung der Gesetze anzuhalten. 3. Die Citizen Suits im heutigen Recht Die erste citizen suit- Norm des amerikanischen Umweltrechts enthielt § 304 Clean Air Act von 1970 (heute 42 U.S.C. § 7604). Ihr folgten gleichartige Normen in praktisch allen Umweltgesetzen. So enthalten der Clean 14

Hecker, S. 31. Act of March 3, 1791, ch. 15, § 44, 1 Stat. 199, 209. 16 Act of May 19, 1796, ch. 30, § 18, 1 Stat. 469, 474. 17 Act of Mar. 22, 1794, ch. 11, § 2, 1 Stat. 347, 349. 18 Änderung des False Claims Act, 31 U.S.C. §§ 3729-3733, um Korruption bei der Vergabe von Aufträgen an die Waffenindustrie zu bekämpfen; vgl. Feld, S. 164 ff., Krent/Shenkman, S. 1820. 19 United states ex. rei. Marcus v. Hess, 317 U.S. 537, 541 n. 4 (1943) (unter Berufung auf Marvin v. Trout , 199 U.S. 212, 225 (1905)). Vgl. hierzu auch Boyer/ Meidinger, S. 955 ff. 20 Vgl. Feld, S. 164. 21 Vgl. Boyer/Meidinger, S. 953 ff. 15

Β. Geschichte der Citizen Suits

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Water Act (33 U.S.C. § 1365), der Comprehensive Environmental Response, Compensation and Liability Act (42 U.S.C. § 9659), der Deepwater Ports Act (33 U.S.C. § 1515), der Emergency Planning and Community Right-to-Know Act (42 U.S.C. § 11046(a)(1)), der Endangered Species Act (16 U.S.C. § 1540(g)), der Energy Policy and Conservation Act (42 U.S.C. § 6305), der Hazardous Liquid Pipeline Safety Act (49 U.S.C. § 2014), der Marine Protection, Research and Sanctuaries Act (33 U.S.C. § 1415(g)(1)), der Noise Control Act (42 U.S.C. §4911), der Outer Continental Shelf Lands Act (43 U.S.C. § 1349(a)), der Powerplant and Industrial Fuel Use Act (42 U.S.C. § 8435), der Resources Conservation and Recovery Act (42 U.S.C. § 6972), der Safe Drinking Water Act (42 § 300j-8), der Surface Mining Control and Reclamation Act (30 U.S.C. § 1270) und der Toxic Substances Control Act (15 U.S.C. § 2619(a)) allesamt citizen suit- Normen, die sich in den Einzelheiten der Voraussetzungen, der Rechtsfolgen und auch der Reichweite unterscheiden mögen, die aber bei allen Unterschieden im Detail gemeinsam haben, Privaten die Durchsetzung des jeweiligen Gesetzes neben dem Staat anzuvertrauen.

C. Der Hintergrund: Amerikanisches Verwaltungsrecht i m Überblick Ein Verständnis der citizen suits ist unmöglich ohne ein Verständnis des amerikanischen Verwaltungsrechts, in welches diese Vorschriften eingebettet sind. Die für den deutschen Juristen erstaunliche „Privatisierung" von Verwaltungsrecht, welche citizen suits darstellen, ist nur verständlich, wenn der Kontext mit berücksichtigt wird. Denn das amerikanische allgemeine Verwaltungsrecht unterscheidet sich deutlich vom deutschen. Dies gilt nicht so sehr für die Formen des Verwaltungshandelns; hier begegnen dem deutschen Juristen häufig bekannte Rechtsstrukturen wieder, wenn auch zuweilen in anderem Gewand. So begegnet einem die „Verordnung" als legislative rule wieder. Der V A heißt adjudication oder order 1'2. Das amerikanische System der Kontrolle von Verwaltungshandeln unterscheidet sich aber sehr von dem der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit - was damit beginnt, daß eine Verwaltungsgerichtsbarkeit im deutschen Sinne, d.h. ein eigenständiger Gerichtszweig für Verwaltungsangelegenheiten, überhaupt nicht existiert. Diese Unterschiede des amerikanischen und deutschen Verwaltungsrechts beeinflussen die Position, welche die citizen suits im Recht einnehmen. Daher werden als Hintergrund der citizen suit- Normen die verfassungsrechtlichen Vorgaben des amerikanischen Verwaltungsrechts, wie sie die U.S. Const, festschreibt und anschließend die verschiedenen Formen des Verwaltungshandelns dargestellt. Schließlich wird auf die in den USA verfügbare gerichtliche Kontrolle von Verwaltungshandeln eingegangen.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben Das Verwaltungshandeln der Behörden in den USA wird auf vielfältige Weise vom amerikanischen Verfassungsrecht beeinflußt. Unmittelbare Auswirkungen auf das Verwaltungsrecht im Umweltbereich hat die föderale Struktur der Verfassung; sie spiegelt sich zum einen in verfassungsrechtlichen Beschränkungen der Bundesgesetzgebung (dazu unter 1.), zum ande1

Vgl. 5 U.S.C. § 551(6),(7) Diese Charakterisierungen besagen selbstverständlich nicht, daß es nicht im einzelnen klare Unterschiede auch zwischen Verordnung und rule , VA und adjudication gibt. Dazu näher unten S. 34 ff. 2

C. Amerikanisches Verwaltungsrecht im Überblick

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ren im Aufbau der wichtigsten Umweltgesetze wider 3 . Von allgemeiner Bedeutung für das Verwaltungsrecht der USA ist die in der Verfassung fest verankerte Gewaltenteilung (vgl. die Art. I, I I und I I I U.S. Const. 4 ); diese hat in der Vergangenheit häufig zu Angriffen auf die Verfassungsmäßigkeit der agencies geführt (hierzu unter 2.), ist ein wesentlicher topos bei der Beurteilung des Verwaltungshandelns durch die Gerichte 5 und dient in jüngerer Zeit als Hintergrund von Angriffen auf die Verfassungsmäßigkeit der citizen suit- Normen6. Konkrete Auswirkungen auf das Verwaltungsverfahren im Einzelfall können schließlich die due process- Bestimmungen des 5. und 14. Verfassungszusatzes haben (hierzu unter 3.).

1. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Umweltrecht Ebenso wie in der Bundesrepublik Deutschland ist auch in den USA der Bund grundsätzlich nur dort zur Gesetzgebung befugt, wo die Verfassung dies ausdrücklich zuläßt. Eine ausdrückliche Gesetzgebungskompetenz für das „Umweltrecht" kennt die U.S. Const, nicht. Die Kompetenznorm für umweltrechtliche Regelungen wird heute in Art. I See. 8 cl. 3 U.S. Const.7 erblickt, der Norm, welche dem Bund die umfassende Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Handels zwischen den Bundesstaaten gibt (sog. commerce clause). Nachdem der U.S. Supreme Court zunächst heftigen Widerstand gegen eine Ausdehnung der Bundesgesetzgebung auf der Grundlage der commerce clause geleistet hatte, übt er seit nunmehr 50 Jahren 8 in diesem Bereich äußerste Zurückhaltung und läßt dem Kongress fast völlig freie Hand. Das Gericht verzichtet auf eine genaue Definition des Begriffs „commerce" und läßt genügen, wenn der gesetzlich geregelte Komplex in seiner Gesamtheit einen Einfluß auf den Handel zwischen den Staaten der USA haben kann 9 . Auf der Grundlage dieser Ermächtigungsnorm hat der 3

Hierzu bei der Darstellung des CWA ab S. 93 und des CAA ab S. 99. Art. I Sec. 1 U.S. Const.: „All legislative Powers herein granted shall be vested in a Congress of the United States (...)". Art. II Sec. 1 U.S. Const.: „The executive Power shall be vested in a President of the United States of America (...)". Art. III Sec. 1 U.S. Const.: „The judicial Power of the United States shall be vested in one supreme Court and in such inferior Courts as the Congress may from time to time ordain and establish (...)". 5 Näher dazu unten S. 61. 6 Näher hierzu unten S. 152. 7 „The Congress shall have the power - (...) 3. To regulate commerce (...) among the several states, and with the Indian tribes (...)" 8 Nach der Entscheidung National Labor Relations Board v. Jones & Laughlin Steel Corp., 301 U.S. 1 (1937). 9 Vgl. Dwyer , S. 10422. 4

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Teil 1: Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

Bund eine umfassende Regelung des gesamten modernen Umweltrechts vorgenommen 10 . Fast jede umweltrelevante Aktivität kann in irgendeiner Form auch mit dem Handel in Zusammenhang gebracht werden. In jüngster Zeit hat das Gericht in der Entscheidung United States v. Lopez11 zu erkennen gegeben, daß die commerce clause nicht vollkommen grenzenlos als Grundlage für Bundesgesetzgebung herhalten kann. Soweit ersichtlich wurden hieraus jedoch noch keinerlei Konsequenzen für Umweltgesetze mit nur entfernterer Beziehung zum Handel zwischen den Staaten gezogen 12 . Weitere wichtige Kompetenznormen für die Umweltgesetzgebung sind das Recht des Bundes, Normen zur Verwaltung der im Eigentum des Bundes stehenden Ländereien zu erlassen, Art. IV See. 3 cl. 2 U.S. Const. Wenn man bedenkt, daß insbesondere im Westen der USA dem Bund über 300 Millionen Hektar Land gehören und in Alaska noch einmal die gleiche Größenordnung hinzukommt 13 , so wird einem die Bedeutung dieser Norm klar. Unter anderem zählen zu diesem Landbesitz die weltbekannten Nationalparks und Wälder. Teilweise ergehen umweltrechtliche Maßnahmen auch auf Grundlage des Rechts des Bundes, Ausgaben zum Wohle der Allgemeinheit (public welfare) zu tätigen, Art. I See. 10 cl. 1 und See. 8 cl. 1 U.S. Const. Schließlich darf in Zeiten einer zunehmenden internationalen Zusammenarbeit auch das Recht des Bundes zum Abschluß von völkerrechtlichen Verträgen mit anderen Staaten nicht unerwähnt bleiben, Art I I See. 2 cl. 2 U.S. Const. Es gibt eine Vielzahl von solchen Verträgen und Erklärungen mit unterschiedlicher rechtlicher Bindungskraft. Normalerweise wird die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Umweltbereich in der Praxis nicht problematisch. Das amerikanische Umweltrecht ist in dieser Hinsicht, ungeachtet U.S. v. Lopez, nicht umstritten. Dagegen wurde und wird die Verfassungsmäßigkeit des Verwaltungshandelns 14 der agencies immer wieder vor Gericht angegriffen.

10 Dies meint vornehmlich die nach 1970 erlassenen Umweltgesetze, welche nach Zahl und Bedeutung alle wesentlichen Umweltgesetze umfassen. Vor dieser Zeit wurden die Gesetze mit umweltrechtlichem Regelungsgehalt vor allem auf die Treaty Clause (Art. II See. 2 cl. 2 U.S. Const.) sowie auf die Property Clause (Art. IV See. 3 cl. 2 U.S. Const.) gestützt, vgl. Dwyer, S. 10428 Fn. 84. 11 United States v. Lopez, 115 S.Ct. 1624 (1995). 12 Dwyer (S. 10426 ff.) meint auch, daß solche Konsequenzen nicht zu erwarten seien. 13 Vgl. Findley/Farber S. 68 f. 14 Und auch der agencies selbst, vgl. Gellhorn/ Levin, S. 11.

C. Amerikanisches Verwaltungsrecht im Überblick

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2. Die Verfassungsmäßigkeit der Agencies unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteiiung - die Delegation Doctrine Die U.S. Const, hat klar ein System der Gewaltenteilung festgeschrieben 1 5 . Ein solches System kennt grundsätzlich keine Staatsgewalt, welche zugleich Recht setzt, Verstöße gegen dieses Recht verfolgt und über diese Verstöße richtet. Genau diese Kombination der legislativen, exekutiven und judikativen Staatsgewalt ist aber ein Kennzeichen der Verwaltung durch agencies. Die agency darf mittels legislative rule Recht setzen, Verstöße hiergegen verfolgen und mittels einer order ahnden, über deren Erlaß sie selbst zu befinden hat. Daß dies grundsätzlich zulässig ist, mutet dem deutschen Juristen völlig selbstverständlich an. Tatsächlich ist dies heute auch in den USA praktisch anerkannt; denn seit nunmehr 50 Jahren hat der Supreme Court kein Gesetz mehr wegen eines Verstoßes gegen die sog. delegation doctrine für verfassungswidrig erklärt. Es war aber nicht immer unumstritten. Die delegation doctrine behandelt die Frage, in welchen Grenzen den agencies als Teilen der Exekutive auch legislative und judikative 1 6 Staatsgewalt beigegeben werden darf. Sie erfüllt damit einen ähnlichen Zweck wie die deutsche Verfassungsnorm des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG 1 7 . Die frühen Entscheidungen des Supreme Court zur delegation doctrine sind durch eindeutige Bekenntnisse geprägt, welche den Gewaltenteilungsgedanken der Verfassung hochhalten und die sich bildenden Gemengelagen in Form der neuen agencies nicht wirklich zur Kenntnis nehmen 18 . Dennoch hatte dies nicht die Ungültigkeit der angegriffenen Normen zur Folge. Statt dessen erklärte das Gericht einfach, es liege in den zu betrachtenden Fällen nicht wirklich eine Ermächtigung vor, vielmehr sei die agency nur dazu berufen, Details des Gesetzes auszufüllen bzw. den Anlaß für die Ausführung des gesetzgeberischen Willens zu bestimmen 19 . 15

Vgl. zum Wortlaut der maßgeblichen Verfassungsartikel oben S. 25, Fn. 4. Der folgende Text wird sich primär mit dem Hauptanwendungsbereich der delegation doctrine , der Ermächtigung zur Rechtsetzung, befassen. Die Übertragung judikativer Funktionen auf agencies ist unstreitig möglich; vgl. Gellhorn/Levin, S. 29 f. 17 Das amerikanische Recht stellt wesentlich geringere Anforderungen an die Ermächtigungsnorm als dies Art. 80 GG in seiner Interpretation durch das BVerfG tut; vgl. ebenso Pünder, S. 67, 105; Rose-Ackerman, S. 1288 f. 18 Vgl. die Entscheidungen in United States v. Grimaud , 220 U.S. 506, 517, 520 (1911); schon früher hieß es in Field ν. Clark , 143 U.S. 649 (1892): „That Congress cannot delegate legislative powe (...) is a principle universally recognized as vital to the integrity and maintenance of the system of government ordained by the constitution." (S. 692). Eine ausführlichere Darstellung der Entwicklung der delegation doctrine findet sich bei Pünder S. 40 ff. 16

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Teil 1: Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

Allmählich wandelte sich diese leugnende Haltung aber hin zu der Form, welche die delegation doctrine auch heute noch hat: festzustellen, ob der Gesetzgeber die Willkür der agency in der Ermächtigungsnorm durch ausreichende Anhaltspunkte zum Inhalt des auszuübenden Ermessens hinreichend begrenzt hat. In einer berühmten Entscheidung 20 formulierte der Supreme Court, daß eine verfassungskonforme Ermächtigung ein „erkennbares Prinzip" enthalten muß, an welches sich die agency halten muß 2 1 . In den 30er Jahren erkannte das Gericht in drei Fällen 2 2 Ermächtigungsnormen wegen des Verstoßes gegen die delegation doctrine für verfassungswidrig. In allen drei Fällen enthielten die Gesetze nach Ansicht des Gerichts keinerlei Anhaltspunkte, nach denen die ermächtigte agency ihr Ermessen hätte richten können. Zudem mangelte es an verfahrensrechtlichen Mechanismen, welche eine faire Beteiligung der Betroffenen garantierten 23 . Seither hat es keine Fälle mehr gegeben, in denen die delegation doctrine als Begründung für die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes herangezogen wurde. Der Supreme Court lockerte zunehmend die Anforderungen an Ermächtigungsnormen 24 bis hin zu der Feststellung, daß verfassungsrechtliche Fragen durch die Ermächtigungsnorm nur aufgeworfen würden, wenn es der Norm so an ermessensbegrenzenden Anhaltspunkten mangelt, daß es in einem ordentlichen Verfahren unmöglich wäre festzustellen, ob der Wille des Kongreß befolgt wurde. Daran hält das Gericht bis heute fest 25 . 19 Vgl. Gellhorn/Levin, S. 13; eine Auffassung vom Handeln moderner Behörden, welche an das klassische Verständnis vom Richter als „Mund des Gesetzes" ohne eigenen schöpferischen Anteil gemahnt. 20 J. W. Hampton, Jr. ν. United States, 276 U.S. 394 (1928); vgl. auch Buttfield v. Stranahan, 192 U.S. 470, 496 (1904). 21 In den Worten des Gerichts: „[A permissible delegation must contain an] intelligible principle to which [the agency must] conform."; J. W. Hampton, Jr. v. United States , 276 U.S. 394, S. 409 (1928). 22 Panama Refining Co. v. Ryan , 293 U.S. 388, 414 f. (1935); A. L. A. Schechter Poultry Corp. v. United States , 295 U.S. 495, 529 ff., 542 (1935); Carter v. Carter Coal Co., 298 U.S. 238, 291 ff. (1936). 23 Gellhorn/Levin , S. 14 ff. 24 Vgl. z.B. Yakus v. United States , 321 U.S. 414, 423 ff., 426 (1944). Reismann, S. 62. 25 Siehe Skinner v. Mid-American Pipeline Co., 109 S.Ct. 1726 (1989); Mistretta v. United States , 488 U.S. 361, 371 ff. (1989). In jüngster Zeit hat es einige dissenting opinions des Justice Rehnquist gegeben, in denen dieser Ermächtigungsnormen wegen Verstoßes gegen die delegation doctrine für verfassungswidrig erklärt wissen wollte; das Gericht schloß sich dem jedoch jeweils nicht an. Vgl. Industrial Union Department, AFL-CIO v. American Petroleum Inst., 448 U.S. 607 (1980), wo das Gesetz zum Erlaß von Rechtsverordnungen zum Arbeitsschutz „to the extent feasible" ermächtigt hatte; ebenso American Textile Manufacturers Inst. v. Donovan , 452, U.S. 490 (1981).

C. Amerikanisches Verwaltungsrecht im Überblick

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Das bedeutet nicht, daß die Gerichte eine Überprüfung der Reichweite der Ermächtigungsnormen aufgegeben hätten. Sie bedienen sich dabei inzwischen aber anderer Methoden. Statt mittels der delegation doctrine eine Ermächtigungsnorm für verfassungswidrig zu erklären und damit zugleich u.U. zentrale Regelungsbereiche eines Rechtsgebietes auszuschalten, legen die Gerichte die Ermächtigungsnorm eher (verfassungskonform) eng aus 26 . Ferner wendet sich der Blick zunehmend den bereitgestellten Verfahren sowie den (gerichtlichen) Überprüfungsmöglichkeiten des Verwaltungshandelns zu. Faire Verfahren vor einem unabhängigen Entscheider sind somit auch für die delegation doctrine wichtig 2 7 , wenngleich sie ihre volle verfassungsrechtliche Bedeutung erst unter dem Gesichtspunkt des due process of law zeigen.

3. Die Due Process -Anforderungen an das Verwaltungsverfahren Das Verwaltungsverfahren ist in den USA für den weit überwiegenden Teil der Verfahren, die informal adjudications , nicht in einem allgemeinen Gesetz näher kodifiziert. Der Administrative Procedure Act schweigt sich hierzu aus. So liegt die Verantwortung für die gerechte Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens in der Regel bei der das jeweilige Gesetz durchführenden agency , sofern (was nicht selten ist) das durchzuführende Gesetz keine näheren Vorgaben enthält. Unter diesen Voraussetzungen spielen die verfassungsrechtlichen Garantien eines rechtsstaatlichen Verfahrens im 5. und 14. Verfassungszusatz eine wichtige Rolle 2 8 . Das amerikanische Verwaltungsrecht hatte bis zum Anfang dieses Jahrhunderts der genauen Ausgestaltung des due process of law noch kaum Beachtung geschenkt. Die ersten Entscheidungen des Supreme Court fielen mit den Urteilen zu Londoner v. City of Denver 29 und Bi-Metallic Investment Co. v. Colorado 30. Erst in den 70er Jahren erfolgte dann jene intensive Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren, die zuweilen die „due process explosion " genannt wird 3 1 . 26

Vgl. Kent v. Dulles , 357 U.S. 116 (1958); Zemel v. Rusk , 381 U.S. 1 (1965); National Cable Television Association v. United States , 415 U.S. 336 (1974). 27 Vgl. Panama Refining Co. v. Ryan , 293 U.S. 388 (1935); A. L. A. Schechter Poultry Corp. v. United States , 295 U.S. 495, 537 (1935). 28 Dort heißt es: (V. Amendm.) „No person (...) [shall] be deprived of life, liberty, or property, without due process of law (...)". (XIV. Amendm.) ,,[N]or shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law (...)". 29 Londoner v. City of Denver, 210 U.S. 373, 386 (1908). 30 Bi-Metallic Investment Co. v. Colorado , 239 U.S. 441 (1915).

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a) Die Entscheidung des Supreme Court in Goldberg v. Kelly Die due process explosion begann mit der Entscheidung Goldberg v. Kelly 32, in der der Supreme Court über die Klagen von Sozialhilfeempfängern zu entscheiden hatte, denen die staatliche Hilfe entzogen zu werden drohte. Die Kläger meinten, daß ihnen vor dem Entzug der Sozialhilfe kein due process , d.h. kein rechtsstaatliches Verfahren zuteil worden sei. Der Supreme Court schloß sich dieser Auffassung an und schrieb einen außerordentlich detaillierten Katalog an Verfahrensanforderungen fest 33 . In der Folgezeit fällte das Gericht eine Reihe von Entscheidungen zum due process 34, in denen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Verwaltungsverfahren herausgearbeitet wurden. Erwähnenswert ist hier als Gegenpol zu Goldberg v. Kelly mit nur minimalen Anforderungen an due process der Fall Goss v. Lopez, wo ein Schüler aus disziplinarischen Gründen für 10 Tage vom Schulbesuch ausgeschlossen wurde. Das Gericht verlangte abgesehen von einer Mitteilung nur die Möglichkeit einer vorherigen mündlichen Stellungnahme.

b) Due Process heute: Mathews v. Eldridge Schließlich erging die Entscheidung, welche den noch heute gültigen Standard für die Beurteilung des due process im Verwaltungsverfahren vorgibt: Mathews v. Eldridge. Hier entwickelte der Supreme Court die Kriterien, nach denen die verfassungsmäßigen Anforderungen an ein Verwaltungsverfahren zu beurteilen sind. Es sind dies drei Faktoren: (1.) das be31

Henry Friendly , „Some Kind of Hearing", 123 University of Pennsylvania Law Review 1267 (1973); zit. nach Fox , S. 94 Fn. 13. 32 Goldberg v. Kelly , 397 U.S. 254 (1970). 33 Im einzelnen verlangte es (1) eine rechtzeitige und ausreichende Bekanntgabe des Bescheides, (2) eine mündliche Anhörung (3) vor einem unparteiischen Entscheider mit (4) der Möglichkeit der Befragung gegnerischer Zeugen, (5) der Möglichkeit des Kreuzverhörs und (6) dem Recht auf einen Anwalt, (7) die Anfertigung einer Akte als (8) ausschließlicher Grundlage für die Entscheidung und schließlich (9) die Angabe von Gründen in der Entscheidung. All diese Anforderungen folgten im konkreten Fall nach Ansicht des Supreme Court direkt aus der Verfassung! Goldberg v. Kelly, 397 U.S. 254, 266 ff. (1970). 34 Die o.g. due process explosion ; z.B. Bell v. Burson, 402 U.S. 535 (1972) zur Frage des Entzugs einer Fahrerlaubnis; Morissey v. Brewer , 408 U.S. 471 (1972) - zur Frage des Widerrufs der Bewährung; Perry v. Sinderman, 408 U.S. 593 (1972) - zur Kündigung eines Lehrers; Wollf v. McDonnell , 418 U.S. 539 (1974) - zu den Rechten Strafgefangener; Arnett v. Kennedy, 416 U.S. 134 (1974) zur Entlassung eines festangestellten Arbeiters im öffentlichen Dienst; Goss v. Lopez, 419 U.S. 565 (1975) - zum Ausschluß eines Schülers vom Schulbesuch für 10 Tage oder weniger.

C. Amerikanisches Verwaltungsrecht im Überblick

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troffene private Interesse; (2.) das dem angegriffenen Verwaltungsverfahren inhärente Risiko einer Fehlentscheidung und (3.) das Interesse der Öffentlichkeit/des Staates35 an der Beibehaltung des bestehenden Verfahrens unter Berücksichtigung sowohl der finanziellen als auch der administrativen Belastung der Auferlegung eines neuen Verfahrens 36. Bei der Beurteilung des betroffenen privaten Interesses ist festzustellen, welchen Inhalt das private Interesse hat, ob dieses Interesse durch die due process-clauses geschützt wird und wie das private Interesse zu gewichten ist 3 7 . Sodann ist das vorhandene, angefochtene Verfahren auf seine Fehleranfälligkeit hin zu analysieren. Schließlich verlangt die Berücksichtigung des Interesses der Öffentlichkeit bzw. des Staates eine Beurteilung der Frage, ob das Gewicht des betroffenen privaten Interesses den zusätzlichen Aufwand an Geld und Verwaltungsverfahren rechtfertigt; dabei ist zu bedenken, daß Geld, welches für ein aufwendiges Verfahren ausgegeben werden mußte, den eigentlichen Aufgaben der jeweiligen agency entzogen ist. Mit Hilfe einer solchen Analyse „finden" die Gerichte im Einzelfall die verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Verwaltungsverfahren. Eindeutig vorhersehbar sind diese (Wert-)Entscheidungen nicht. Die Anforderungen liegen zwischen dem Maximum von Goldberg v. Kelly und den minimalen Anforderungen von Goss v. Lopez. Regelmäßig stehen die Gerichte einem Verfahren, welches keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten vor der eigentlichen Entscheidung bietet, eher skeptisch gegenüber 38 . Wenn aber ein Fehler ohne bleibende Schädigung der privaten Interessen rückgängig gemacht werden kann, so darf durchaus der Schwerpunkt der Anhörung erst nach der Entscheidung liegen 39 . Due process normiert die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren. In der Regel ist es nicht notwendig, auf diesen Mindestmaßstab zurückzugreifen, weil entweder gesetzlich oder durch legislative rule die jeweilige Behörde an ein Verfahren gebunden ist, welches due process nicht nur beachtet, sondern übertrifft 40 . Dies gilt namentlich für die Verfahren der EPA 4 1 , welche durch die jeweili35

Das Gericht benutzt ohne eine Differenzierung public interest und government interest. 36 Mathews v. Eldrigde, 424 U.S. 319, 335 (1976). 37 Geht es um „lebensnotwendige" Interessen (wie in Goldberg v. Kelly) oder um rein finanzielle Interessen etc. 38 Fox, S. 105. 39 So z.B. in Arnett v. Kennedy, 416 U.S. 134, 157 f. (1974). 40 So auch Fox, S. 108. 41 Die Environemental Protection Agency (EPA) ist die bedeutendste Umweltbehörde der USA.

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Teil 1: Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

gen Umweltgesetze sowie durch rules bis ins einzelne ausgestaltet sind und häufig höheren Ansprüchen genügen, als selbst Goldberg v. Kelly forderte.

II. Die Behörden in den USA und ihr Verwaltungsrecht Eine Betrachtung der Struktur der Verwaltung in den USA und ihrer rechtlichen Grundlagen bietet ein Bild verwirrender Vielfältigkeit. Der Grund hierfür ist die U.S. Const., welche ein striktes System der Gewaltenteilung und des Föderalismus festschreibt (Art. I, I I und I I I U.S. Const. 42 ). Nimmt man zunächst die Bundesebene mit den federal agencies in den Blick, zeigt sich, daß viele amerikanische Behörden Teil der executive branch im engeren Sinn sind, d. h. sie unterstehen direkt einem Ministerium und haben als obersten Dienstherrn den Präsidenten der U S A 4 3 . Diese Behörden werden mit dem Begriff der executive agencies bezeichnet. Daneben gibt es noch eine weitere Gruppe von agencies , welche direkt der Exekutive angehören; sie unterscheiden sich von den executive agencies dadurch, daß sie keinem Ministerium zugeordnet sind, sondern dem Präsidenten direkt unterstellt sind und von ihm angewiesen werden können. Diese agencies werden independent agencies genannt. Zu dieser letztgenannten Gruppe gehört auch die für das amerikanische Umweltrecht mit Abstand bedeutsamste agency , die Environmental Protection Agency (EPA). Die independent agencies dürfen nicht verwechselt werden mit der dritten Gruppe von agencies , den independent regulatory agencies 44 Diese Gruppe unterscheidet sich von den executive und den independent agencies vor allem dadurch, daß sie vom Kongress konstituiert wird und nur diesem verantwortlich ist. Die independent regulatory agencies sind keinem Bundesministerium unterstellt; sie werden - jedenfalls rechtlich - nicht von dem Präsidenten oder einem Minister überwacht; der Präsident kann ihre Führung nicht nach seinen Präferenzen austauschen. Es existieren über 100 federal agencies mit den unterschiedlichsten Aufgaben 45 . Betrachtet man die allgemeinen Verfahrensvorschriften, nach denen diese ihr Handeln ausrichten, so lassen sich drei Komponenten feststellen, aus denen sich letztendlich der rechtliche Rahmen für das Verwaltungshandeln einer konkreten agency ergibt: zum ersten der Administrative Procedure Act (APA) von 1946; zum zweiten das Errichtungsgesetz der 42

Vgl. oben S. 25, Fn. 4. Hierzu und zum folgenden Linneweber, bei B.III. 1. und 2. 44 Eine Aufzählung dieser independent reguatory agencies findet sich in 44 U.S.C. § 3502 (10). 45 Linneweber, bei B.III.2. 43

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jeweiligen agency , welches regelmäßig besondere Verfahrensvorschriften enthält; und zum dritten die rules 46, welche die jeweilige agency sich selbst auf der Grundlage von Ermächtigungen in den vorgenannten Gesetzen für ihr Verfahren gegeben hat. Im Ergebnis hat jede agency ihr ganz eigenes Verwaltungsrecht, zusammengesetzt aus drei Komponenten, von denen nur eine 47 allgemeine Gültigkeit hat. Nimmt man den föderalen Aufbau der USA mit in das Bild, so verstärkt sich die schon auf Bundesebene vorgefundene Zersplitterung des allgemeinen Verwaltungsrechts: jeder Bundesstaat hat eigene state agencies . Deren rechtliche Grundlagen finden sich in der Landes-Verfassung, welche ihren Beitrag zum Aufbau der jeweiligen Landesverwaltung liefert, sowie (in ungefähr zwei Dritteln der Staaten) in eigenen Landes-ΑΡΑ. Zwar gibt es Modellentwürfe für Landes-ΑΡΑ (Model State Administrative Procedure Act, MS-ΑΡΑ), die zu einer Vereinheitlichung beitragen sollen; da es derer jedoch zwei sind (einer von 1961 sowie ein weiterer von 1981), welche sich nicht unerheblich unterscheiden und da außerdem die Länder sich durchaus nicht scheuen (ganz im Sinne der „Werkstatt" Föderalismus 48 ), die MS-ΑΡΑ nach ihrem Belieben abzuwandeln, gesellen sich also zur Hundertschaft Verwaltungsrecht der federal agencies noch zahllose weitere state agencies (mit ihren jeweils eigenen Errichtungsgesetzen und rules). Was zum Landes-Verwaltungsrecht gesagt wurde, läßt sich zudem noch auf die kommunale Ebene mit deren agencies erweitern. Linneweber berichtet, daß selbst gut informierte Fachleute des US-amerikanischen Verwaltungsrechts „die Frage nach einer konkreten Anzahl von agencies nicht beantworten [konnten], nicht zuletzt [wegen der] Landes- und Kommunalagencies, über deren Anzahl nicht einmal eine Schätzung möglich erschien." 49 Trotz dieser Probleme lassen sich fundierte Aussagen zum amerikanischen allgemeinen Verwaltungsrecht treffen, jedenfalls soweit es für die Zwecke dieser Arbeit notwendig ist. Citizen suit- Normen finden sich zum größten Teil in Umweltgesetzen des Bundes. Die wichtigste Umweltbehörde der USA ist die EPA. Damit reduziert sich die abzudeckende Bandbreite beträchtlich. Im folgenden wird es vor allem um das Verwaltungsrecht des Bundes und der EPA gehen. Das bedeutet eine Auseinandersetzung vor allem mit dem Federal Administrative Procedure Act, den Verfahrensregeln enthaltenden einzelnen Umweltgesetzen 50 und den rules der EPA. 46 In diesem Zusammenhang mit einer Rechtsverordnung im deutschen Sinne gleichzusetzen. 47 Der Administrative Procedure Act. 48 Häberle (Werkstatt), S. 20. 49 Linneweber, bei B.III.2. 3 Elshorst

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I I I . Verwaltungshandeln in den USA - der APA Das Verwaltungshandeln der amerikanischen agencies kann grob in zwei Kategorien aufgeteilt werden: in das Verwaltungshandeln im Einzelfall (konkret-individuelle adjudication 51) und in rechtsetzendes Verwaltungshandeln (abstrakt-generelles rulemaking). Der Administrative Procedure Act (APA) gibt diese Zweiteilung systematisch vor 5 2 . Sie wird auch dort nachvollzogen, wo sich das Verwaltungshandeln nicht am APA, sondern an besonderen Verfahrensgesetzen oder an Landes-APA orientiert. Anders als im deutschen Verwaltungsrecht erfolgt die Einordnung eines Verwaltungshandelns in den USA weniger nach ihrem materiellen Gehalt, sondern vor allem nach dem dabei beobachteten Verfahren. Man unterscheidet nach dem Verfahren formal rulemaking und informal rulemaking sowie formal adjudication und informal adjudication , nicht primär nach dem materiellen Gehalt zwischen Verordnung 53 bzw. der VerwaltungsVorschrift 54 und Verwaltungsakt. Die amerikanische Verwaltungsrechtswissenschaft ist sich nicht einig, welchem Aspekt bei der wissenschaftlichen Betrachtung der Vorrang gebührt, dem inhaltlichen oder dem formalen 55 . 1. Verwaltungshandeln im Einzelfall Verwaltungshandeln im Einzelfall stellt die große Masse des Verwaltungshandelns dar. Dabei geht es nicht nur um das auf Rechtswirkungen gerichtete Verwaltungshandeln, welches in einer order mündet, sei es nach formal adjudication , sei es nach informal adjudication. Es geht auch um die ungezählten Fallgestaltungen „schlichten" Verwaltungshandelns, wie 50

Die EPA wurde 1970 durch Präsidialerlaß geschaffen, Reorg. Plan No. 3 of 1970, 84 Stat. 2086 (1970), nachgedruckt in 5 U.S.C, app. zu 1343 (1988); vgl. Glicksmann /, S. 1 Fn. 1. Dieser Erlaß enthielt selbst keine Verfahrensregeln. Vielmehr finden sich diese in den Umweltgesetzen, welche die EPA durchzuführen beauftragt ist. 51 Über die Terminologie herrscht in der amerikanischen Verwaltungsrechtswissenschaft keine Einigkeit. Nach der Definition in § 551 (7) APA bezeichnet adjudication eigentlich nur das Verfahren, während das Ergebnis (der VA) dann order heißt. Dennoch wird in der Literatur fast durchgängig von adjudication gesprochen, vgl. z.B. Gellhorn/Levin, S. 242 ff. So wird es auch diese Arbeit im folgenden halten. 52 Vgl. §§ 553, 554 APA und die Definitionen von rule und order in § 551 (4) und (6) APA. 53 Im Sinne eines materiellen Gesetzes. 54 Im Sinne behördeninternen, nicht außenwirksamen Rechts. 55 Fox , S. 206: „(...) administrative law scholars have never decided wether it is better to study these actions from the standpoint of the substantive decisions made by the agency (...) or to study these actions strictly on the basis of procedure (...)"

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z.B. Rat und Auskunft, Inspektionen und Untersuchungen, Pressemitteilungen und viele mehr. Der APA behandelt nur einen kleinen Ausschnitt aus diesen Fallgestaltungen: die formal adjudication und die informal adjudication. Dabei wird die zahlenmäßig 56 unbedeutendere formal adjudication in §§ 554, 556 und 557 APA in allen Einzelheiten behandelt, während die praktisch viel bedeutsamere 57 informal adjudication nur in § 555(e) APA quasi nebenbei erwähnt wird. a) Die Formal Adjudication Die formal adjudication ist ein nach besonderen Verfahrensvorschriften zu führendes Verwaltungsverfahren, an dessen Ende der Erlaß einer order , d.h. eines Verwaltungsakts steht. Die Einzelheiten zum Verfahren, aber auch zu den Beteiligten und den „Entscheidern" finden sich in §§ 554, 556 und 557 APA. Formal adjudication führt zu einer Entscheidung eines unabhängigen „Entscheiders" (i.d.R. des Administrative Law Judge) auf der Grundlage einer Akte (der record ), welche der Entscheider in einer gerichtsähnlichen Anhörung (mit Beweisen, Zeugenvernehmung und ggf. der cross examination) erstellt hat. Die Entscheidung stellt dabei die Anwendung des jeweiligen Rechts auf die festgestellten Fakten dar. Sie kann normalerweise mit einem Widerspruch zur Behördenleitung angegriffen werden. aa) Der Administrative

Law Judge (ALJ)

Die unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung und des möglichen Machtmißbrauchs problematische, unter dem Gesichtspunkt der Funktionalität aber wesentliche Vereinigung von Sachverhaltserforschung, Entscheidung und Vollstreckung innerhalb einer Behörde war in den 40er Jahren Anlaß für einen Bericht des Attorney General, in welchem dieser die Einrichtung unabhängiger Entscheider empfahl 58 . Der APA hat daraufhin den 56 Nur ca. 10% des Verwaltungshandelns. Absolut ist die Zahl aber dennoch beeindruckend: jährlich werden über 400.000 formal adjudications durchgeführt. Der Löwenanteil hiervon liegt auf dem Gebiet des Sozialrechts, also bei der Verteilung staatlicher Zuwendungen aller Art; vgl. Linneweber, unter Β. IV. 2. a). 57 Aman/Mayton (S. 256) nennen die informal adjudication den „Lebensfunken des Verwaltungsverfahrens". Absolut machen die informal adjudications ca. 90% der amerikanischen Verwaltungsentscheidungen aus, vgl. Linneweber unter Β. IV. 2. a). 58 Report of the Attorney General's Committee on Administrative Procedure AF50 (1941), S.Doc. No. 8, 77th Congress, 1st Session (1941).

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Administrative Law Judge 59 geschaffen, um den Anschein der Voreingenommenheit der behördlichen Entscheidung soweit als möglich auszuräumen. Der ALJ ist ein speziell ernanntes Mitglied der entscheidenden Behörde, welches die Verwaltungsentscheidung konkret fällt. Er ist in der Funktion abzugrenzen von den Mitgliedern der Behörde, welche das von der Behörde für entscheidungserheblich gehaltene Material zusammenstellen, sowie von dem Betroffenen und seinen Vertretern. Der ALJ ist innerhalb der Behörde weitgehend unabhängig. Seine Amtszeit 6 0 und seine Bezahlung 6 1 sind der Einflußnahme der Behördenspitze entzogen. Außerdem muß er sich, anders als andere Mitglieder der Behörde, keinen Leistungsbewertungen stellen 62 . Der APA ist um eine größtmögliche Neutralität des ALJ bemüht. Ihm sind daher behördeninterne Kontakte 63 zu den den Sachverhalt erforschenden Mitgliedern der Behörde, welche die „gegen" den betroffenen Bürger sprechenden Fakten zusammenstellen und präsentieren, untersagt. Ebenso sind ihm Kontakte zum Betroffenen untersagt 64 . Wenig überraschend darf auch kein Mitglied der Behörde zugleich den Sachverhalt ermitteln und ALJ sein 65 . Wenn Befangenheit zu befürchten ist, erlaubt § 556(b) die Ablehnung eines ALJ. Insofern hat der ALJ eine Stellung, die der eines Richters nicht unähnlich ist 6 6 .

bb) Der Anwendungsbereich der Formal Adjudication Der APA ist ein subsidiäres Gesetz, welches nur dann zur Anwendung kommt, wenn es nicht durch speziellere Vorschriften verdrängt wird. Aus diesem Grunde gibt es keine automatische Anwendung der formal adjudication. § 554(a) APA bestimmt die Durchführung der formal adjudictaion: 59

Vgl. hierzu Aman/Mayton S. 242-255. 5 U.S.C.A. § 5362 (1976). 61 5 U.S.C.A. § 5362 (1976). 62 5 U.S.C.A. § 4301 (1976). 63 Vgl. § 554(d)(2) APA 64 Sogenannte „ex parte"-Kontakte, vgl. § 557(d)(1) APA. 65 § 554(d) APA. 66 In den USA wird immer wieder der Vorschlag gemacht, die ALJ über ihre bestehende relative Unabhängigkeit hinaus vollständig aus dem behördlichen Rahmen herauszulösen, vgl. Lubbers , S. 268 ff. Eine solche Entwicklung würde wohl den Beginn einer Entwicklung hin zur eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit in den USA bedeuten, vgl. zur vergleichbaren Entwicklung nach deutschem Recht Stolleis, S. 20 ff. Bisher sind solche Vorschläge aber nicht aufgegriffen worden, vgl. Aman/Mayton, S. 200 f. 60

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„(...) in every case of adjudication required by statute to be determined on the record after opportunity for an agency hearing (...)" Immer dann also, wenn ein Gesetz verlangt, daß die Entscheidung auf der Grundlage aktenkundiger Fakten nach einer Anhörung 67 mit dem Betroffenen getroffen werde, ist eine formal adjudication angezeigt. Der amerikanische Gesetzgeber schafft nur selten dadurch klare Verhältnisse, daß er in einem Gesetz die Worte „on the record after opportunity for a hearing" verwendet. Vielmehr bedient er sich daneben einer Vielzahl weiterer Formulierungen. Daraus wird im amerikanischen Recht aber nicht automatisch der Schluß gezogen, die formal adjudication sei nicht anzuwenden 68 . Amerikanische Gerichte haben im Laufe der Zeit unterschiedliche Standpunkte zu der Frage eingenommen, wann ein Gesetz eine formal adjudication verlangt. Es sind drei unterschiedliche Ansätze zu erkennen: Zum einen die „Zauberwort"-Theorie 69 , nach der ausschließlich bei Verwendung des Wortlauts von § 554(a) 70 APA eine formal adjudication vorgeschrieben ist 7 1 . Diesem formalistischen Ansatz ähnlich sind Entscheidungen, die unter Berufung auf die Entscheidung des Supreme Court in Chevron U.S.A., Inc. v. NRDC 72 bei Zweifeln über den Willen des Gesetzgebers die Frage der Behörde zur Entscheidung überlassen 73. Beiden Ansätzen gemeinsam ist, daß sie die oft mühselige Erforschung des Willens des Gesetzgebers nach den anerkannten Auslegungsmethoden 74 vermeiden. Demgegenüber steht der Ansatz, der die Frage nach dem Sinn und Zweck der Norm und dem Willen des Gesetzgebers zu entscheiden sucht 75 : war es die Absicht des Gesetzgebers, eine formal adjudication durchzufüh67 Das bedeutet wesentlich mehr als die Anhörung des Betroffenen nach § 28 VwVfG; es ähnelt mehr dem Verfahren nach §§ 66, 67 VwVfG (Förmliches Verwaltungsverfahren). Zu den Einzelheiten s. unten S. 46. 68 Ebenso in Deutschland: auch hier kommt es auf die Auslegung des jeweiligen Norm an, vgl. nur Stelkens/Bonk-Sachs, § 63 Rn. 30 f. m.w.N. 69 So wörtlich Aman/May ton S. 205. 70 Nämlich „hearing on the record", s. ο. 71 So etwa United States v. Florida East Coast Ry. Co., 410 U.S. 224, 93 S.Ct. 810 (1973). 72 In der Entscheidung hatte das Gericht die sog. Chevron-doctrine begründet, nach der sich ein Gericht bei Fragen der Auslegung eines Gesetzes unter bestimmten Voraussetzungen der Interpretation der Behörde beugen soll. Im einzelnen hierzu unten S. 66. 73 Vgl. Chemical Waste Management, Inc. v. U.S. E.P.A., 873 F.2d 1477, 1480 (D.C. Circ. 1989) 74 Hier insb. der historischen und der systematischen Auslegung. 75 Z.B. Seacoast Anti-Pollution League ν. Cosile , 573 F.2d 872 (1st Circ. 1978); Marathon Oil Co. v. E.P.A., 564 F.2d 1253, 1263 (9th Circ 1977); Aman/Mayton S. 206 f. m.w.N.

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ren, selbst wenn eine abweichende Formulierung verwendet wird? Dabei kommt es u.a. darauf an, ob die in Rede stehenden Entscheidungen eher der Tatsachenfindung oder eher Grundsatzentscheidungen des Verwaltungshandelns im konkreten Fall dienen. Im letzteren Fall ist die auf möglichst faire Tatsachenermittlung zugeschnittene formal adjudication strukturell eher ungeeignet. Im einzelnen Fall läßt sich daher nicht immer zweifelsfrei sagen, ob das jeweilige Gesetz eine formal adjudication vorschreibt oder nicht. Wenn dies aber der Fall ist, so geht das Verfahren den folgenden Gang. cc) Das Verfahren der Formal Adjudication Formal adjudication bedeutet, daß (1) Betroffene in bestimmter Form darauf hingewiesen werden, daß ein Verfahren der formal adjudication eingeleitet wurde, (2) die Sachverhaltsermittlung durch einen unparteiischen Entscheider (i.d.R. den ALJ) in einer gerichtsähnlichen Anhörung erfolgt, in der auch der Betroffene Gelegenheit hat, Beweisanträge zu stellen und die Tatsachenbehauptungen der Behörde zu widerlegen, (3) sowie schließlich die Entscheidung allein auf der Grundlage der in der Anhörung gewonnenen aktenkundigen Fakten (der record). „Betroffene" sind zunächst die Parteien 76 . Dies sind neben dem unmittelbar vom Verwaltungshandeln betroffenen Adressaten auch solche Personen, die als Betroffene von der Behörde zugelassen wurden. Die Zulassung kann „zu einem begrenzten Zweck" erfolgen. Ferner sind Betroffene die Kreise, welche zulässigerweise als Intervenienten auf das Verfahren Einfluß nehmen dürfen. Der Begriff des „Intervenienten" ist im APA nicht definiert; er wird zumeist auch in den Verfahrensgesetzen der jeweiligen agency nicht präzis umrissen. In der Praxis wird der Begriff aber zugunsten einer umfassenden Beteiligung der Öffentlichkeit weit ausgelegt 77 . Wer ein berechtigtes Interesse dartun kann, wird regelmäßig zugelassen. Der Hinweis der agency an die Betroffenen auf eine formal adjudication verlangt nach der Bekanntgabe von Zeit, Ort und Art der Anhörung; der gesetzlichen Ermächtigung und Zuständigkeit, auf deren Grundlage die Anhörung stattfindet; sowie nach einer Beschreibung der tatsächlichen und rechtlichen Anliegen, die behandelt werden sollen 78 . Insofern dient der Hinweis ähnlichen Zwecken wie die Bekanntmachung der Auslegung z.B. 76

Nach der Definition der party in § 551(3) APA handelt es sich um „a person or agency named or admitted as a party, or properly seeking and entitled as of right to be admitted as aparty in an agency proceeding, and a person or agency admitted by an agency as a party for limited persons". 77 Aman/Mayton S. 219.

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eines Bebauungsplanes mit „Anstoßfunktion", die den interessierten Bürger anhält, sich zu informieren und zu beteiligen 79 . Wenn der Hinweis der agency diesen Anforderungen nicht oder nicht ausreichend 80 genügt, so kann darin eine Verletzung des due process liegen 81 . Vor der eigentlichen Anhörung erhalten die Parteien Gelegenheit zur discovery >, d.h. zur Einsichtnahme in das Tatsachenmaterial der jeweiligen Gegenseite. Dadurch wird sichergestellt, daß jede Partei alle relevanten Informationen hat, bevor das Verfahren beginnt. Dem gleichen Zweck dienen die prehearing conferences 82. Die Anhörung stellt den Kern der formal adjudication dar. Sie ist gerichtsähnlich ausgestaltet. Streitige Tatsachen sind zu beweisen. Dazu sind (z.T. umfangreiche und kostspielige) Beweisaufnahmen durchzuführen 83 . Der ALJ ist allerdings in der Zulassung von Beweisanträgen wie überhaupt in der prozessualen Behandlung von Beweisen freier als ein „echter" Richter 8 4 . Die rules of evidence der Gerichte gelten nicht in einer formal adjudication* 5. So kann der ALJ z.B. auch Beweise vom Hörensagen zulassen und diesen sogar größeres Gewicht beimessen als direkten Zeugenaussagen 8 6 . Der ALJ kann Tatsachen, die der Behörde allgemein bekannt sind 8 7 , mittels einer official notice aktenkundig machen 88 ; er muß dies allerdings den Betroffenen deutlich machen, damit diese Gelegenheit zur Stellungnahme und ggf. zum Gegenbeweis erhalten. Die Beweislast liegt nach § 556 (d) APA bei der Partei, welche das Verwaltungshandeln betreibt, in der Regel also bei der agency* 9. 78

Vgl. § 554(b) APA: „Persons entitled to notice of an agency hearing shall be informed of - (1) the time, place, and nature of the hearing; (2) the legal authority and jurisdiction under which the hearing is to be held; and (3) the matters of fact and law asserted. (...)". 79 Vgl. § 3 Abs. 2 S. 2 BauGB; hierzu BVerwGE 69, 344, 345 f.; Dürr, S. 42. 80 Z.B. indem wichtige Problembereiche unerwähnt bleiben. 81 Vgl. die Entscheidung des Supreme Court in Memphis Light, Gas and Water Div. v. Craft , 436 U.S. 1, 13 ff. (1978). 82 Vgl. Aman/Mayton S. 223. 83 Vgl. Aman/Mayton S. 225; eine cross examination der Zeugen wie überhaupt der Zeugenbeweis ist zwar möglich, aber nicht zwingend vorgeschrieben. In den Worten des Gesetzes (§ 556 (d) S. 5 APA): „A party is entitled to present his case or defense by oral or documentary evidence, to submit rebuttal evidence, and to conduct such cross-examinations as may be required for a full and true disclosure of the facts." 84 Vgl. § 556 (d) APA. 85 Vgl. Aman/Mayton S. 225. 86 Vgl. Richardson v. Perales 402 U.S. 389, 402 (1971); Aman/Mayton S. 228. 87 Am ehesten vergleichbar wohl den „offenkundigen Tatsachen" vgl. § 291 ZPO. 88 Vgl. hierzu § 556 (e) S. 2 APA; Aman/Mayton S. 232.

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Allein auf der Grundlage der in der Anhörung ermittelten aktenkundigen Tatsachen, der r e c o r d , trifft der ALJ sodann die vorläufige Entscheidung der Behörde. Diese kann mit einem Widerspruch zur Behördenspitze angefochten werden, welche bei ihrer Entscheidung alle Entscheidungsgewalt hat, die der ALJ auch hatte 91 . Wenn kein Widerspruch eingelegt wird und die Behördenspitze auch selbst keine Einwände gegen die Entscheidung des ALJ hat, wird die vorläufige Entscheidung endgültig.

b) Die Informal Adjudication Verwaltungshandeln, welches einerseits eine Verwaltungsentscheidung im Einzelfall mit Außenwirkung beinhaltet, andererseits aber weder unter das rulemaking noch unter formal adjudication fällt, ist in der Regel sog. informal adjudication. Mittels der informal adjudication werden ca. 90% aller Verwaltungsentscheidungen gefällt. Dennoch ist sie im APA nicht im einzelnen geregelt, sondern nur in § 555(e) APA angesprochen 92. Dort wird (nur) verlangt, daß die Ablehnung eines Antrags mittels einer begründeten Mitteilung zu erfolgen hat. Eine weitergehende allgemeine Regelung des Verwaltungsverfahrens für informal adjudications kennt das amerikanische Verwaltungsrecht nicht. Das bedeutet nicht, daß alle der informal adjudication unterfallenden Verfahrensentscheidungen der behördlichen Willkür anheim gegeben wären. Davor schützen schon die Anforderungen des due process 93. Außerdem enthalten die Errichtungsgesetze der jeweiligen agency ebenso wie in der Regel auch das umzusetzende Verwaltungsgesetz selbst Verfahrensvorschriften, welche die informal adjudication (oftmals bis ins Detail) steuern. Schließlich geben sich die agencies selbst Verfahrensvorschriften mittels der legislative rule , an die sie selbst dann auch gebunden sind. So ist es auch im Umweltrecht. Diese Arbeit wird zur informal adjudication im Rahmen der Behandlung der einzelnen amerikanischen Umweltgesetze Stellung nehmen 94 . 89

Vgl. § 556 (d) S. 1 APA: „Except as otherwise provided by statute, the proponent of a rule or order has the burden of proof. (...)"; Aman/M ay ton S. 238. 90 Vgl. § 556 (e) S. 1 APA: „The Transcript of testimony and exhibits, together with all papers and requests filed in the proceeding, constitutes the exclusive record for decision (...)". 91 Vgl. § 557 (b) APA. 92 Dort heißt es: „Prompt notice shall be given of the denial (...) of a written application, petition, or other request (...) [T]he notice shall be accompanied by a brief statement of the grounds for denial." 93 Vgl. dazu oben S. 29. 94 Vgl. unten zum CWA S. 80 ff., zum CAA S. 114 ff.

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c) Die Durchsetzung von Verwaltungsanordnungen Wenn die Behörden, sei es nach formal, sei es nach informal adjudication , eine Verwaltungsanordnung für einen Einzelfall erlassen haben, so müssen sie diese notfalls auch durchsetzen. Im deutschen Recht ist dies eine der Behörde selbst überlassene Aufgabe, welche sie mit den Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts erfüllt. Ein Verwaltungsvollstreckungsrecht in diesem Sinne kennt das amerikanische Verwaltungsrecht nicht. Ganz nach der Lehre von der Gewaltenteilung muß sich die agency vielmehr zur zwangsweisen Durchsetzung ihrer order der Gerichte bedienen und dort eine injunction erwirken. Häufig darf eine agency hohe administrative penalties (Geldbußen) für den Fall des Verstoßes gegen ein Gesetz, eine Verordnung oder eine order verhängen. Auch diese kann sie nur mittels einer civil action vor Gericht eintreiben. Dem entsprechend enthalten die Verwaltungsgesetze zuweilen Anspruchsgrundlagen für den Verstoß gegen eine administrative order 95. Auf diese Weise wird die Rechtsdurchsetzung für die Verwaltung erleichtert und so etwas wie Bestandskraft der order geschaffen, weil die Verwaltung nicht mehr die der order zugrundeliegenden Entscheidung vor Gericht verteidigen muß. Häufig ist aber die order im gerichtlichen Durchsetzungsverfahren voll überprüfbar 96 . Einzelheiten zum Vollstreckungsverfahren finden sich bei der Behandlung der einzelnen amerikanischen Umweltgesetze 97 .

2. Rechtsetzung durch die Verwaltung Verwaltungshandeln, welches nicht der Regelung eines Einzelfalles dient, sondern der Aufstellung allgemeiner Regeln und Grundsätze, unterfällt regelmäßig der Definition einer rule gem. § 551(4) APA: ,,[R]ule means (...) an agency statement of general or particular applicability and future effect designed to implement, interpret or prescribe law or policy or describing the organization, procedure, or practice requirements of an agency (.. .)." 98 95 Vgl. z.B. 42 U.S.C. § 7524(c)(6) (Clean Air Act), 33 U.S.C. § 1319(g)(9) (Clean Water Act); 15 U.S.C. § 2615(a)(4) (Toxic Substances Control Act); 42 U.S.C. § 330h-2(c)(7) (Public Health Service Act). 96 Zum Beispiel 16 U.S.C. § 1540(a)(1) (Endangered Species Act); 97 Vgl. unten zum CWA S. 95 und zum CAA S. 116. 98 Aus historischen Gründen unterfallen auch einige Fälle konkret-individuellen Verwaltungshandelns der Definition der rule\ sie sind in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Namentlich „the approval or prescription for the future of rates, wages, corporate or financial structures or reorganizations thereof, prices, facilities, appliances, services or allowances therefor or of valuations, costs, or accounting, or practices bearing on any of the foregoing." § 551(4) APA am Ende.

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a) Die verschiedenen Arten der Rule Die Definition des § 551(4) APA umfaßt neben der „Verordnung" im Sinne des deutschen Rechts, also neben Gesetzen im materiellen Sinn, auch das Spektrum der deutschen Verwaltungsvorschriften, sowie weitere interne Organisationsakte wie z.B. die Bekanntgabe der generellen policy" einer Behörde. Das amerikanische Verwaltungsrecht 100 unterscheidet die legislative rule (auch ungenauer substantive rule genannt), interpretive rules , procedural rules sowie general statements of policy. Der Abgrenzung der verschiedenen Arten der rule wird im amerikanischen Verwaltungsrecht viel Aufmerksamkeit gewidmet. Der Grund dafür liegt darin, daß nur die legislative rule unter Beachtung eines Verfahrens (formal oder informal rulemaking) erlassen werden muß, während alle anderen rules ohne jedes Verfahren von der agency erlassen werden dürfen 1 0 1 ' 1 0 2 . Da die Behörden nicht selten versuchen, ohne Beobachtung des vorgeschriebenen Verfahrens unter dem „Deckmantel" einer gesetzesinterpretierenden 103 oder ermessenslenkend e n 1 0 4 rule eine legislative rule zu erlassen, kommt es häufig auf die Einordnung einer rule in die verschiedenen Kategorien an, um die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu bestimmen. Diese Einordnung wird erschwert durch sehr allgemein gehaltene Ermächtigungsgesetze und das Fehlen eines Zitiergebotes iSd. Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG. aa) Legislative Rules Jede rule , welche gegenüber den Betroffenen eine rechtliche Bindungswirkung beansprucht, ist als legislative rule einzuordnen. Die Frage, ob der 99

Der Begriff der policy ist mehrdeutig und hat im Deutschen keine exakte Entsprechung. Er ist hier am besten mit „politischer Linie" zu übersetzen, kann aber auch „Methode, Verfahren" oder „Politik" im engeren Sinne meinen. Vgl. MuretSanders zum Stichwort policy. 100 Vgl. hierzu Pierce/Shapiro/Verkuil S. 284 ff.; Aman/Mayton S. 40 ff.; Gellhorn/Levin S. 309 ff.; Anthony, S. 1 ff.; Fox S. 123 ff. 101 Vgl. § 553(b) S. 3 APA. 102 Eine Ausnahme besteht: wenn die Behörde „aus gutem Grund", der beim Erlaß der rule mit anzugeben ist, zu dem Ergebnis kommt, daß die Anforderungen des formal oder informal rulemaking „unpraktisch, unnötig oder wider das öffentliche Interesse" wären, vgl. § 553(b)(B) APA. Diese Ausnahme wird eng ausgelegt. Sie ist anwendbar in Notfällen, wo die Zeit für ein ordnungsgemäßes Verfahren nicht bleibt, sowie in Fällen, wo das Verfahren selbst das gewünschte Ergebnis vereiteln würde (ein Beispiel für letzteres findet sich in Nader v. SawhilU 514 F.2d 1064, 1068 (1975)). 103 Die interpretative rule. 104 Das general statement of policy. 105 Also ein Gesetz im materiellen Sinn.

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rule diese Bindungswirkung zukommt, beantwortet sich wesentlich unter Rückgriff auf den Willen der agency , welche die rule erlassen hat. Wenn diese der rule eine bindende Wirkung beimessen wollte, so handelt es sich um eine legislative rule 106. Ein weiteres Kriterium zur Einordnung der rule ist, ob sie den Betroffenen Rechte oder Pflichten nimmt oder auferlegt. Wenn der Rechtskreis der Betroffenen erweitert oder reduziert wird, so spricht dies für eine legislative rule 107. Bei der inhaltlichen Überprüfung einer legislative rule legen die Gerichte einen sehr zurückhaltenden Maßstab a n 1 0 8 . Überschneidungen mit den interpretive rules und den statements of general policy sind unausweichlich. So kann auch eine „großzügige" Interpretation eines Gesetzes den Rechtskreis der Betroffenen (faktisch) erweitern oder reduzieren 109 ; rechtsdogmatisch wird dem Bürger durch eine Interpretation zwar nicht mehr gegeben oder genommen, als ihm ohnehin zustand. Wegen der noch zu schildernden Zurückhaltung der Gerichte bei der Auslegung unbestimmter Gesetze (Chevron U.S.A. v. NRDC no) und der daraus erwachsenden starken Position der agencies bei der Rechtsauslegung ist aber häufig die Ansicht der agency entscheidend für die Rechte der Bürger. Ähnliches gilt auch für ein policy statement. bb) Interpretive Rules Eine interpretive rule enthält Aussagen einer Behörde zu ihrer Interpretation des Gesetzes. Definitionsgemäß setzt sie damit kein „neues" Recht, sondern klärt nur Fragen des bestehenden Rechts 111 . Im deutschen Verwaltungsrecht ist diese Rechtsfigur als die „gesetzesinterpretierende Verwaltungsvorschrift" bekannt 112 . Rechtlich ist eine interpretive rule mangels Bindungswirkung nicht bindend für den Bürger oder die Gerichte. Faktisch wird ein Gericht eine solche Gesetzesinterpretation nicht einfach übergehen, sondern ihr einiges Gewicht zubilligen 1 1 3 . Aus diesem Grunde nehmen auch die Betroffenen sie sehr ernst. 106

Pacific Gas & Electric Co. v. Federal Power Commission , 506 F.2d 33, 38 (D.C. Circuit 1974), Aman/Mayton S. 288. 107 Vgl. hierzu Aman/Mayton S. 91 ff.; Pierce/Shapiro/Verkuil S. 291; Anthony S. 16 mit weiteren Unterscheidungstheorien. 108 Vgl. dazu unten S. 66 ff.; Aman/Mayton S. 287. 109 Anthony S. 7 f. 110 Chevron U.S.A. ν. National Resources Defense Council, Inc., 467 U.S. 837 (1984). Vgl. hierzu im Einzelnen unten S. 66 ff. 111 Joseph v. U.S. Civil Service Commission , 554 F.2d 1140, 1153 (D.C. Circuit 1977); General Motors Corp. v. Ruckeishaus, 724 F.2d 979, 985 (D.C. Circuit 1983); Aman/Mayton S. 285. 112 Vgl. hierzu BVerfGE 78, 214, 226; Stelkens/Bonk-Leo/iÄflrrf § 1 Rn. 193.

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cc) Procedural Rules Die procedural rule ist ebenfalls von den formalen Voraussetzungen des formal bzw. informal rulemaking ausgenommen, obwohl sie materielles Recht neu schafft, nämlich Verfahrensrecht der Behörde. Mit der procedural rule bestimmt die agency , welche formellen Voraussetzungen genau z.B. an einen Antrag o.ä. zu stellen sind; z.B. die Anzahl der Durchschriften, beizufügende Unterlagen, Fristen etc. Weil die procedural rule aber keine Bestimmungen mit Auswirkungen auf das materielle Ergebnis des jeweiligen Verwaltungsverfahrens enthalten darf, erschien dem Gesetzgeber die Unterwerfung unter die formellen Erlaßverfahren unnötig 1 1 4 . dd) General Statements of Policy Diese Art der rule ähnelt der „ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift" des deutschen Verwaltungsrechts. Ein policy statement kann für sich keine Bindungswirkung beanspruchen; im Rechtsstreit über ein Verwaltungshandeln, welches sich nach der policy richtet, muß die Behörde daher nach wie vor dartun, daß ihr Handeln auf das Gesetz gestützt ist und alle Voraussetzungen desselben vorliegen 115 . Von den genannten vier verschiedenen Arten von rules muß nur die legislative rule unter Beobachtung eines bestimmten Verfahrens erlassen werden; die anderen sind ohne weiteres gültig. Nach dem APA kann eine legislative rule in zwei verschiedenen Verfahren erlassen werden: entweder mittels informal rulemaking oder mittels formal rulemaking. In der Praxis die Regel ist das informal rulemaking. b) Das Verfahren

des Informal Rulemaking

Das Verfahren des informal rulemaking besteht aus drei Schritten, nämlich (1) der Publikation einer Anzeige des geplanten Verordnungsvorhabens im Federal Register (notice), (2) einer Phase der Öffentlichkeitsbeteiligung (i comment )116 sowie (3) der Veröffentlichung der rule im Federal Register, zusammen mit einer Umschreibung von Begründung und Sinn (statement of 113

Vgl. hierzu unten S. 61 ff.; das „spezifische Gewicht" ist allerdings geringer als bei der legislative rule. Vgl. auch Aman/May ton S. 285. 1,4 Vgl. Pickus v. U.S. Board of Parole, 507 F.2d 1107 (D.C. Circuit 1974); Aman/Mayton S. 289. 115 Instruktiv auch hier das Urteil Pacific Gas & Electric Co. v. Federal Power Commission, 506 F.2d 33, 38 (D.C. Circuit 1974); dort heißt es: „When the agency applies the policy in a particular situation, it must be prepared to support the policy just as if the policy statement had never been issued."

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basis and purpose). Dies ergibt sich aus § 553(b)-(d) APA. Die drei Schritte stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern müssen im Zusammenhang gesehen werden. So ergeben sich z.B. Anforderungen an die notice aus dem Sinn der comment- Phase und auch aus dem Zweck des statement of basis and purpose 111. aa) Notice Das Verfahren beginnt mit der notice , d.h. der Veröffentlichung des Wortlauts eines Verordnungsentwurfs oder des wesentlichen Inhalts der geplanten Verordnung 118 . Diese soll eine „Anstoßfunktion" ausüben und interessierte und/oder betroffene Bürger dazu anregen, Kommentare und Meinungen abzugeben 119 . Es ist der Behörde verwehrt, die geplante rule auf nicht in der notice angesprochene Gebiete rechtlicher oder tatsächlicher Art auszudehnen. Damit soll verhindert werden, daß die Behörde „bei Gelegenheit" des Erlasses einer unverfänglichen rule wichtige Änderungen in anderen Bereichen vornimmt, ohne daß die interessierte und betroffene Öffentlichkeit hierzu Stellung nimmt 1 2 0 . Diese Anforderung darf andererseits nicht so weit gehen, daß eine Behörde an den Inhalt der notice gebunden ist, dergestalt, daß Ergebnisse der comment- Phase nicht in einer Änderung der geplanten rule münden dürften. Dann würde das Verfahren seinen Sinn verlieren 121 . Die Gerichte verlangen in der notice inzwischen auch die Angabe auch der faktischen Grundlagen des Entwurfs und der wissenschaftlichen Methodik, die zu ihrer Erlangung verwendet wurden 1 2 2 . Nur mit diesen Angaben 116

Hierdurch unterscheidet sich die amerikanische Verordnungsgebung deutlich von der deutschen, die eine gesetzlich vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung nicht kennt. Vgl. kritisch hierzu Rose-Ackerman, S. 1290 ff. 117 Vgl. Pierce/Shapiro/Verkuil S. 296 f. us Ygi § 553(b)(3) APA. Ferner muß die notice auch die Rechtsgrundlage der geplanten Verordnung sowie Zeit Ort und Art der öffentlichen Beteiligung angeben, § 553(b)(l)-(2) APA. 119 In den Worten eines Berufungsgerichts: „The proper test is wether the notice would fairly appraise interested persons of the subjects and issues the agency was considering." United Steelworkers of America v. Schuylkill Metals Corp., 828 F.2d 314, S. 317. 120 Vgl. z.B. Wagner Electric v. Volpe , 466 F.2d 1013, 1019 (3d Circuit 1972); Pierce/Shapiro/Verkuil S. 297 f. 121 Vgl. in diesem Sinne South Terminal Corp. v. EPA , 504 F.2d 646, 659 (1st Circuit 1974); auch American Frozen Food Institue v. Train , 539 F.2d 107 (D.C. Circuit 1976); Aman/Mayton S. 54. 122 Vgl. z.B. Portland Cement Association v. Ruckelshaus, 486 F.2d 375, 392 ff. (D.C. Circuit 1973); United States v. Nova Scotia Food Products Corp., 568 F.2d 240, 251 f. (2d Circuit 1977).

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Teil 1: Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

sei eine informierte Öffentlichkeit in der Lage, die faktische Basis einer rule zu analysieren und gegebenenfalls anzugreifen. Nach Auffassung der Gerichte ergibt sich diese Anforderung aus dem Gesetz 123 .

bb) Comment Auf der Grundlage der notice erfolgt dann die Beteiligung der Öffentlichk e i t 1 2 4 . Diese erstreckt sich mindestens auf das Recht, schriftlich Tatsachen und Ansichten mitzuteilen, die ein Teil der auch hier anzufertigenden record werden. Nicht notwendig gibt es eine mündliche Anhörung mit Zeugenbefragungen oder gar dem Recht auf Kreuzverhör. Insofern unterscheidet sich die comment- Phase deutlich von dem hearing der formal adjudication. Während letztere dem amerikanischen Gerichtsverfahren weitgehend nachgebildet ist, erlaubt das informal rulemaking eine wesentlich größere Freiheit der agency bei der Verfahrensgestaltung. Hintergrund dieser größeren Freiheit ist zum einen, daß es „schlicht unmöglich" 1 2 5 ist, bei der Verordnungsgebung in einem gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahren in annehmbarer Zeit zu Ergebnissen zu kommen. Dies liegt an der möglichen Zahl der Beteiligten und der Menge der jeweils aufgeworfenen (streitigen) Sachfragen. Zum anderen ist Inhalt einer rule häufig weniger die Ermittlung von Fakten als die Entscheidung der generellen politischen Richtung, welche die agency zu verfolgen gedenkt unter Berücksichtigung des (rechtlichen) Umfeldes, in welcher sie agiert. Für solche policy- Entscheidungen eignet sich ein informelles Verfahren wesentlich besser 126 . Wenn auch die comment- Phase nicht so stark durch formale Zwänge geprägt ist, so kann sie andererseits auch nicht einfach weggelassen werden. Eine Behörde muß „wesentliche" Einwendungen behandeln und sich mit ihnen auseinandersetzen, § 553(c) A P A 1 2 7 . Ferner ist in solchen Fällen 123 Dies ist zwar auf der Grundlage des Wortlauts (terms or substance of the proposed rule or a description of the subjects and issues involved - § 553(b)(3) APA) eine kühne Behauptung; Sinn dieser Interpretation des Gesetzes ist es aber, diese Anforderung auch im Gefolge der Entscheidung Vermont Yankee Nuclear Power Corp. v. National Resources Defense Council, Inc., 435 U.S. 519 (1978) aufrechtzuerhalten. 124 Eine solche fehlt im deutschen Recht der Verordnungsgebung zwar nicht völlig, beschränkt sich jedoch auf informelle Kontakte vor allem der gut organisierten Interessengruppen zum Verordnungsgeber. Vgl. Pünder S. 149. 125 Vgl. mit deutlichen Worten Pierce/Shapiro /Verkuil S. 292. 126 Pierce/Shapiro/Verkuil S. 292, wo von dem „disastrous effect" die Rede ist, den übermäßige formelle Anforderungen (insb. des formal rulemaking) auf die Verordnungstätigkeit hat. 127 Dieser verlangt eine „consideration of the relevant matter presented".

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auch ein Eingehen auf die Einwendung im statement of basis and purpose gefordert 128 . Damit ein Gericht überprüfen kann, ob die Behörde diesen Verpflichtungen nachgekommen ist, muß diese schließlich auch eine record zusammenstellen, anhand derer die Überprüfung stattfindet 129 . Diese muß zwar nicht den gleichen Ansprüchen genügen wie eine record in einer formal adjudication: ; dennoch wird den Behörden durch diese Anforderung eine erhebliche Last aufgebürdet 130 . So muß diese record neben den auf der Grundlage des APA eingereichten Einwendungen der Bürger auch andere Unterlagen enthalten, auf die sich die Behörde bei der Entscheidungsfindung gestützt hat. Die record muß ferner auch Material enthalten, welches auf der Grundlage von zusätzlich zu den Anforderungen des APA ergriffenen Verfahrensmaßnahmen entwickelt wurde, z.B. auf der Grundlage von spezialgesetzlichen Anforderungen einer mündlichen Anhörung mit dem Recht der Zeugenbefragung. Sie darf schließlich nur aus Material bestehen, welches der Behörde vor dem Erlaß der rule in Händen waren. Die sog. post-hoc-rationalizations sind nicht zulässig 131 . Auf der Grundlage dieser record ergeht dann die Entscheidung der Behörde, welche zum Erlaß der rule führt. Diese Entscheidung muß ein Produkt „vernünftigen Entscheidens" sein. Dies festzustellen, bedienen sich die Gerichte vornehmlich der statement of basis and purpose . cc) Die Veröffentlichung und das Statement of Basis and Purpose Das Gesetz fordert in § 553(c) nur „a concise general statement of (...) basis and purpose " der erlassenen Verordnung. Jedoch ist vor einer „übermäßig wörtlichen Auslegung der Begriffe concise and general zu warnen" 1 3 2 . Die Anforderungen des Gesetzes sind vielmehr im Lichte des Bedürfnisses der Gerichte auszulegen, die Kernpunkte der behördlichen Entscheidung und deren Hintergründe zu verstehen. Daher fordern die Gerichte heute eine Begründung der Verordnung, die kaum noch concise and general genannt werden kann, vielmehr als umfassend und tiefgehend ein128 Ygj z β Action o n Smoking and Health v. Civil Aeronautics Board , 699 F.2d 1209, S. 1216 (D.C. Circuit 1983). 129 Aman/Mayton S. 61; kritisch wegen der Auswirkungen Pierce/Shapiro/Verkuil S. 304 ff. 130 Vgl. hierzu Pierce/Shapiro/Verkuil S. 304, 305 mit Beispielen. 131 Vgl. Citizens to Preserve Overton Park, Inc. ν. Volpe, 401 U.S. 402, 419 (1971); die dem Gericht vorzulegende record muß danach aus Material zusammengestellt sein, das zum Zeitpunkt der Entscheidung bei der Behörde bereits vorhanden war. 132 So ausdrücklich Automotive Parts & Accessories Association v. Boyd, 407 F.2d 330, S. 338 (D.C. Circuit 1968).

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zustufen ist. Zeitweise verlangten die Gerichte z.B. eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen Zwecken des Gesetzes und den Entscheidungsfaktoren, mit den Gründen etwaiger Zweifel am zugrundegelegten Tatsachenmaterial, mit plausiblen Alternativen zu der schließlich erlassenen Verordnung sowie mit jedem wesentlichen Aspekt, der in einer Einwendung vorgetragen worden w a r 1 3 3 . Selbst wenn diese Anforderungen erfüllt wurden, hatte die rule zuweilen keinen Bestand, wenn das Gericht z.B. zu dem Ergebnis kam, ein Gesichtspunkt sei nicht ausreichend gewürdigt worden 1 3 4 . In jüngerer Zeit sind aber gegenläufige Tendenzen erkennbar, die die Anforderungen an die Behörde niedriger schrauben 135 . Diese Tendenz könnte auf Urteile des Supreme Court zu Anforderungen zurückgehen, die von den Berufungsgerichten an das von den agencies zu beachtende Verfahren gestellt worden waren. In den siebziger Jahren hatten diese über die gesetzlichen Anforderungen an das Verfahren hinaus weitere Anforderungen an das Verfahren gestellt 1 3 6 , bei deren Nichteinhaltung eine rule der Nichtigkeit verfiel. Hierzu gehörten z.B. mündliche Anhörungen, das Recht auf ein Kreuzverhör der Zeugen etc.; auf der Grundlage dieser Rechtsprechung entstand eine zwischen informal und formal rulemaking angesiedelte neue Verfahrensform: das hybrid rulemaking 131. Der Supreme Court verwarf diese Tendenz der Rspr., höhere Anforderungen an das Verordnungsverfahren zu stellen als im Gesetz ausdrücklich enthalten, in der Entscheidung Vermont Yankee Nuclear Power Corp. v. National Resources Defense Council, Inc. 13S Dabei stellte er klar, daß es die Aufgabe des Kongress sei, weitere Anforderungen an das Verordnungsverfahren zu stellen, nicht Aufgabe der Gerichte 139 . 133

Hierzu Pierce/Shapiro /Verkuil S. 302. Scenic Hudson Preservation Conference v. Federal Power Commission , 354 F.2d 608, 620 ff. (2d Circuit 1965); International Ladies' Garment Workers' Union v. Donovan , 722 F.2d 795, 815 ff. (D.C. Circuit 1983). 135 Vgl. Pension Benefit Guaranty Corp. v. LTV Corp., 496 U.S. 633, 645 (1990); hier stellte das Gericht klar, daß eine Behörde nur auf die Gesetzeszwecke eingehen muß, die in dem zum Verordnungserlaß ermächtigenden Gesetz enthalten sind. Ferner Mobil Oil Exploration & Producing Southeast, Inc. v. United Distribution Co., 498 U.S. 211, 231 (1991), wo das Gericht unbeanstandet ließ, das eine Behörde beim Erlaß einer Verordnung zur Lösung eines Problems die negativen Auswirkungen des Erlasses auf eine anderes Problem nicht berücksichtigte. 136 vgl z β. Mobil Oil Corp. v. Federal Power Commission, 483 F.2d 1238, 1254 ff. (D.C. Circuit 1973); United States v. Nova Scotia Food Products Corp., 568 F.2d 240 (2d Circuit). 134

137

Hierzu Aman/Mayton S. 63 ff.; Gellhorn/Levin S. 329 ff. Vermont Yankee Nuclear Power Corp. v. National Resources Defense Coun cil, Inc., 435 U.S. 519, 524 f. (1978). 139 Der Gesetzgeber hat inzwischen einige dieser ursprünglich gerichtlichen Anforderungen kodifiziert und damit euch das hybrid rulemaking positiviert. 138

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Auch nach Vermont Yankee sind die oben geschilderten Anforderungen an notice , comment und statement of basis and purpose jedoch (weiter) gültig. Denn bei diesen Anforderungen handelt es sich nicht um Additionen der Gerichte sondern um die Anforderungen des APA selbst 140 . c) Das Verfahren

des Formal Rulemaking

Ebenso wie bei der adjudication gibt es auch beim rulemaking neben der „formlosen" eine „formale" Variante, das formal rulemaking. Es kommt gem. § 553(c) S. 3 APA nur in den Fällen zur Anwendung, in denen „rules are required by statute to be made on the record after opportunity for an agency hearing". Dieser Wortlaut entspricht dem Wortlaut des § 554(a) APA, wo geregelt ist, wann eine formal adjudication durchzuführen ist. Anders als in jenem Zusammenhang kommt nach Ansicht der Rspr. ein formal rulemaking jedoch nur in Betracht, wenn das zum Verordnungserlaß ermächtigende Gesetz genau diese Worte wiederholt 141 . Der Grund für diese Strenge ist darin zu sehen, daß formal rulemaking nach allgemeiner Auffassung für den Erlaß einer gewöhnlichen legislative rule , d. h. einer abstrakt-generellen Regelung mit dem Ziel des Ausgleichs einer Vielzahl von widerstreitenden Interessen, nicht geeignet ist. Dies wird deutlich, wenn man die Struktur des formal rulemaking betrachtet. Nach § 553 (c) S. 3 APA treten nach der notice die Vorschriften der §§ 556, 557 APA, also der das Verfahren der formal adjudication regelnden Normen an die Stelle von comment und statement of basis and purpose. Das bedeutet, daß alle Anforderungen der gerichtsähnlichen formal adjudication in einem Verfahren materieller Gesetzgebung zu erfüllen sind. Das Verfahren wird damit enorm zeitaufwendig und kostspielig, ohne deswegen bessere Ergebnisse zu liefern 1 4 2 . Aus diesem Grunde hat es auch kaum praktische Bedeutung erlangt.

IV. Kontrolle des Verwaltungshandelns in den USA Zur Kontrolle des Verwaltungshandelns sind in den USA ebenso wie in Deutschland die Gerichte berufen. Allerdings sind bedeutende Unterschiede zum deutschen Recht zu verzeichnen. So fehlt die verfassungsrechtliche 140

So auch Aman/Mayton S. 65. Der „magic words"-Ansatz; vgl. United States v. Allegheny -Ludlum Steel Corp., 406 U.S. 742, 757 (1972); United States v. Florida East Coast Railway Co., 410 U.S. 224, 234 ff. (1973). 142 So die ohne weiteres nachvollziehbare Ansicht von Pierce/Shapiro/Verkuil S. 292. 141

4 Elshorst

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Verankerung einer gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns; eine Rechtsweggarantie entsprechend Art. 19 Abs. 4 GG kennt die U.S. Const. nicht 1 4 3 . Ferner sind zu nennen das Fehlen einer eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit und gravierende Unterschiede zwischen Deutschland und den USA sowohl was den Zugang zu gerichtlicher Kontrolle betrifft 1 4 4 als auch was den Maßstab der dann einsetzenden gerichtlichen Kontrolle angeht 145 . 1. Fehlende eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit Das amerikanische Rechtssystem kennt keine spezialisierte Verwaltungsgerichtsbarkeit 146 . Der amerikanische Richter ist historisch bedingt 1 4 7 ein Generalist. Die amerikanische Gerichtsbarkeit organisiert sich weniger nach Fachgebieten als vielmehr nach Rechtsquellen: es gibt eine eigene Bundesgerichtsbarkeit, welche über die Einhaltung der Bundesgesetze wacht, sowie in jedem Bundesstaat eine Landesgerichtsbarkeit mit voll ausgebildetem Instanzenzug, die die Fragen des Landesrechts entscheidet. Abgesehen vom „Ursprung" des Rechtsstreits (Bundes- oder Landesrecht) entscheiden amerikanische Gerichte alle Fälle aus allen Rechtsgebieten. Im amerikanischen Recht ist man sich mehrheitlich einig, daß insgesamt die Vorteile des Generalistentums dessen Nachteile überwiegen. Die Nachteile des Generalisten sind aber gerade in den hochspezialisierten Bereichen des Umweltrechts beträchtlich. Dem Generalisten bleibt die intime Kennt143 144 145

stellen. 146

Ebenso Dolzer, S. 583. Also Fragen der Zulässigkeit von Klagen im weitesten Sinn. Also die Fragen, die sich bei der Beurteilung der Begründetheit einer Klage

Vgl. auch Dolzer, S. 583. Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Der Kongress schuf z.B. folgende speziellen Gerichtszweige: den Court of Claims (ein Spezialgericht für die Geldansprüche gegen die öffentliche Hand); den Customs Court und den Court of Customs and Patent Appeals (das Beschwerdegericht in Zoll und Patentsachen) und den Court of Military Appeals. Entscheidungen dieser Gerichte werden gewöhnlich direkt beim U.S. Supreme Court angefochten. Die Einzelheiten finden sich gesetzlich geregelt in U.S.C. Titel 28. 147 Als die Väter der U.S.Const. 1776 sich mit der Frage der Einrichtung von Gerichten befassen mußten, war der bis in alle Einzelheiten verästelte Verwaltungs-, Sozial- und Wohlfahrtsstaat der heutigen Zeit unvorstellbar. Man kannte Strafrecht und Zivilrecht. Verwaltungsrecht steckte, so man die Geburt denn schon bejahen wollte, noch nicht einmal in den Kinderschuhen. So begnügte man sich mit der Einrichtung des U.S. Supreme Court und der Ermächtigung, weitere Gerichte nach Bedarf einzurichten: Art. III § 1 U.S. Const.: „The judicial Power of the United States, shall be vested in one supreme Court, and in such inferior Courts as the Congress may from time to time ordain and establish (...)" Bis zum heutigen Tag widersteht der Congress allen Bestrebungen, spezialisierte Gerichtszweige einzurichten (vgl. Lubbers , S. 268 ff.).

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nis eines komplexen Gesetzeswerks verschlossen, weil diese regelmäßige Praxis voraussetzt. Dies ist besonders mißlich im Bereich des Verwaltungsrechts, wo Entscheidungen Auswirkungen weit über den konkreten Einzelfall hinaus haben können, z.B. wenn ein Gericht die Auslegung eines Gesetzes durch eine agency ablehnt. Wie noch zu zeigen sein w i r d 1 4 8 , bleibt die fehlende Spezialisierung amerikanischer Gerichte nicht ohne Konsequenzen; diese zeigen sich vor allem in dem Stellenwert, den die Feststellungen und Rechtsansichten der agency vor amerikanischen Gerichten genießen.

2. Gerichtliche Überprüfung von Verwaltungshandeln a) Der Zugang zu gerichtlicher

Kontrolle

Der Zugang zu amerikanischen Gerichten, d.h. die Zulässigkeit einer Klage, beurteilt sich nach einer Vielzahl von Kriterien. Nicht alle dieser Zulässigkeitsvoraussetzungen sind für die Untersuchung der citizen suitNormen von Belang. Wichtig sind vor allem drei Fragen: Wer kann klagen, wogegen kann geklagt werden und wann kann geklagt werden. Vor der Untersuchung der speziellen Antworten der citizen suit- Normen auf diese Fragen steht die Darstellung der allgemeinen Regelungen des amerikanischen Prozeßrechts. aa) Das Standing Zur Frage, wer klagen kann, nimmt die standing doctrine Stellung 1 4 9 . Der Begriff des standing 150 hat im amerikanischen Recht zwei Bedeutun148

Vgl. unten zum Stellenwert behördlicher Rechtsansichten S. 66 ff. Das amerikanische Prozeßrecht kennt auch ein „abgeleitetes" standing , d.h. das standing von Organisationen, die an sich nicht die geltend gemachten Beeinträchtigungen erleiden können (etwa die Beeinträchtigung aesthetischer Interessen). Organisationen müssen, um eine injury in fact beanspruchen zu können, folgende Voraussetzungen erfüllen, vgl. Gellhorn/ Lev in S. 373; Smith, B. S. 867; Steuer/Juni, S. 192; Rice, S. 204; Hunt v. Washington Apple Advertising Community, 432 U.S. 333 (1977): (a) ihre Mitglieder müßten, wenn der Organisation das standing verweigert würde, selber standing haben; (b) das mit der Klage verfolgte Interesse muß im Zusammenhang mit dem Zweck der Organisation stehen und (c) weder die Klage noch die verlangte Abhilfe dürfen die höchstpersönliche Beteiligung eines Mitglieds notwendig machen. Die beiden letzteren Voraussetzungen sind in der Praxis nicht schwierig darzutun. Dagegen ist die erste Voraussetzung oft streitig. Vgl. Humane Society v. Hödel, 840 F.2d 45 (D.C. Circ. 1988). 150 Hierzu eingehend Logan, S. 42 ff. Aus dem deutschen Schrifttum Ehlers, S. 156 ff. 149

4*

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Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

gen: zum einen eine engere Bedeutung, die direkt aus Art. III U.S. Const, stammt. Dabei geht es um die verfassungsrechtlich unabdingbaren Mindestvoraussetzungen, ohne die eine Klage vor einem amerikanischen Bundesgericht unzulässig ist (constitutional standing ). Zum anderen steht standing (in einem allgemeinen Sinn) für die Voraussetzungen der Klage, die mit der subjektiven Rechtsverletzung des Klägers zusammenhängen. Hierzu zählen (neben den verfassungsrechtlichen) weitere Voraussetzungen, die auf Zweckmäßigkeitserwägungen der Gerichte beruhen {prudential limitations)^ . Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Elementen der standing- Doktrin ist, daß die prudential limitations - anders als die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen - nach allgemeiner Auffassung durch den einfachen Gesetzgeber außer Kraft gesetzt werden können 1 5 2 .

(J) Die verfassungsrechtlichen

Elemente

Der Begriff des standing kommt in der U.S. Const, nicht vor. Er wird jedoch allgemein als eine Ausformung der in Art. III U.S. Const, niedergelegten Maßgabe angesehen 153 , daß sich die Tätigkeit der Judikative (nur) auf „cases or controversies" beschränken soll 1 5 4 . Verwendet wurde der Begriff erstmals 1939 1 5 5 . Um verfassungsrechtliches standing zu haben 1 5 6 , muß (1.) der Kläger eine „tatsächliche Verletzung" erlitten haben (injury in fact); (2.) muß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verletzung und dem Klageanlaß bestehen (causation ); und (3.) muß ein obsiegendes Urteil in der Lage sein, der Verletzung abzuhelfen (redressability) 151. 151

Rice, S. 202. Smith , Β., S. 865. 153 Zur Geschichte der standing doctrine vgl. Sunstein /, S. 168, der auch nachweist, daß der Begriff des standing erst in den letzten zwanzig Jahren in der Judikatur des Supreme Court eine nennenswerte Rolle spielt. Ferner Smith, B., S. 863 ff.; Rice, S. 201 ff. 154 Bemerkenswerterweise kommt case or controversy als Begriff in Art. III U.S. Const, ebenfalls nicht vor. Vielmehr nennt Art. III U.S. Const, eine Reihe von cases und controversies , auf die sich die rechtsprechende Gewalt der (Bundes-)Gerichte verfassungsmäßig mindestens beziehen soll. Das „Destillat" hieraus ist dann die allgemeine Anforderung an jede Klage, daß ein case or controversy vorliegen muß. 155 In der Entscheidung des Supreme Court aus der Feder des berühmten Justice Felix Frankfurter in Sachen Coleman ν. Miller, 307 U.S. 433, 460 (1939). 156 Hierzu Sunstein I, S. 193 f.; Smith, B., S. 866-871; Steuer/Juni, S. 189; auch Dolzer S. 586 ff.; Rice, S. 201 ff. 157 Wollte man den Versuch einer Übertragung in deutsche Rechtstermini wagen, so könnte man von subjektiver Rechtsgutverletzung, Kausalität und Rechtsschutzbedürfnis sprechen. Aber schon der deutsche Begriff der „Rechtsgutsverletzung" ist ein viel zu enges Korsett für das Verständnis der Bedeutung der injury in fact. 152

C. Amerikanisches Verwaltungsrecht im Überblick

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(a) Injury in Fact Das wichtigste Element des constitutional standing ist ohne Zweifel das Erfordernis einer injury in fact. Es setzt tatsächliche oder drohende persönliche Betroffenheit durch die Verletzung eines geschützten Guts voraus 158 . Traditionell von den geschützten Gütern umfaßt sind physische, geistige und wirtschaftliche Schädigungen. Injury in fact dient dem Ausschluß der echten Popularklage 159 . Sie ist normalerweise nicht schwer darzutun 160 ; dies gilt insbesondere für civil actions , wo die injury in fact sich in der Regel aus dem geltend gemachten Klageanspruch ergibt. Aber auch in Streitigkeiten, die im deutschen Sinn dem Gebiet des öffentlichen Rechts zuzuordnen wären, erreicht injury in fact nie auch nur annähernd die Ausschlußwirkung, welche in Deutschland die Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO hat 1 6 1 . Insbesondere beschränkt sich die injury in fact nicht auf die Untersuchung der Möglichkeit einer Verletzung subjektiver Rechte im deutschen Sinn, sondern schließt bloße Interessen (im deutschen Sinn) ein. Gewöhnlich scheitert eine Klage nur dann an fehlender injury in fact , wenn der Kläger überhaupt keine relevante Beziehung zum mit der Klage angegriffenen Verhalten dartun kann. Dabei muß die hier maßgebliche Beziehung, um es nochmals zu wiederholen, anders als bei der deutschen Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) keine rechtliche Beziehung sein. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen: Der Supreme Court läßt über physische, geistige und wirtschaftliche Beeinträchtigungen hinaus in ständiger Rspr. auch die Beeinträchtigung ästhe158

Smith, S. 866 u. S. 875 ff. Der Begriff wird hier in seinem engen Sinn als echte „Jedermann"-Klage verstanden und ist von der Interessentenklage und insbesondere der Verletztenklage abzugrenzen. § 42 Abs. 2 VwGO läßt allein letztere zu und soll neben der Popularklage auch die Interessentenklage verhindern. Vgl. hierzu Schoch-Wahl/Schütz § 42 Abs. 2 Rn. 7 ff.; Ehlers, S. 141; Ehlers (NVwZ), S. 111. 160 Ebenso Ehlers, S. 163. Einen anderen Eindruck kann man allerdings aus dem Studium der amerikanischen Literatur zum standing gewinnen. Dort wird durch viele Autoren die zunehmende Erschwerung insbesondere der umweltrechtlichen Klage durch immer höhere Anforderungen der Gerichte an das standing beklagt. Dies ist nur verständlich, wenn der Hintergrund verdeutlicht wird: die jeweiligen Autoren (vgl. etwa Smith, B., Rice u.a.m.) halten zum einen umweltrechtliche Klagen zumeist für ein wünschenswertes Mittel zur Durchsetzung des Umweltrechts; zudem war das standing noch vor 20 Jahren eine wesentlich niedrigere Hürde als heute. Vgl. dazu die Fallbeispiele Sierra Club v. Morton, 405 U.S. 727 (1972), Japan Whaling Association v. American Cetacean Society, 478 U.S. 221 (1986), United States v. Students Challenging Regulatory Agency Procedures, 412 U.S. 669 (1973). 161 Ebenso Jarass/DiMento S. 428. 159

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tischer und wissenschaftlicher Interessen im weitesten Sinn sowie von Erholungsinteressen (z.B. durch die Zerstörung der Landschaft oder die Vertreibung wildlebender Tiere) als injury in fact z u 1 6 2 . Im Verfahren Sierra Club v. Morton klagte der Sierra C l u b 1 6 3 gegen ein geplantes Vorhaben in einem Park mit dem Vorbringen, die Entwicklung „würde die Szenerie sowie die natürlichen und geschichtlichen Sehenswürdigkeiten des Parks zerstören und den Genuß des Parks durch spätere Generationen beeinträchtigen". Wenn auch der Supreme Court im konkreten Fall der Klage nicht stattgab, so erkannte er doch an, daß die genannten Interessen grundsätzlich geeignet seien, eine injury in fact darzutun 164 . Im Verfahren Japan Whaling Association v. American Cetacean Society wurde diese Rspr. bestätigt. In diesem Verfahren brachte die American Cetacean Society vor, daß die Möglichkeiten des Studiums und der Beobachtung von Walen ihrer Mitglieder durch internationale Verträge der US-Regierung mit Japan negativ berührt würden. Der Supreme Court stellte in einer Fußnote fest, daß die Kläger „unzweifelhaft dadurch eine ausreichende injury in fact dargetan haben, daß die Beobachtung und das Studium von Walen durch ihre Mitglieder durch fortgesetzten Walfang negativ berührt werden würde" 1 6 5 . Seinen Zenith 1 6 6 erreichte diese Aufweichung der injury in fact in der Entscheidung United States v. Students Challenging Regulatory Agency Procedures (kurz SCRAP) 1 6 7 . In diesem Verfahren klagten u.a. fünf Jurastudenten gegen eine Genehmigung, die die Interstate Commerce Commission ( I C C ) 1 6 8 den Eisenbahnen für einen Aufschlag von 2,5 % auf die Frachtgebühren für den Transport von wiederverwertetem Material erteilt hatte. Sie argumentierten für injury in fact wie folgt: durch die Erhöhung der Frachtgebühren würden sich die Kosten des Recycling insgesamt erhöhen, was zu einem geringeren Anreiz zum recyclen und letztendlich daher zu mehr Müll in öffentlichen Parks führen würde. Dies würde zu einer Beeinträchtigung der aesthetischen und Freizeitinteressen der klagenden Studenten führen, welche alle die öffentlichen Parks nutzten. Der Supreme Court erkannte das standing a n 1 6 9 . Das Gericht verlangte dabei keinen konkreten Nachweis einer Beeinträchtigung, sondern unterstellte diese. Die 162

Sive S. 50, 52; Ehlers, S. 162. Eine bekannte Naturschutzorganisation in den USA. 164 Sierra Club v. Morton, 405 U.S. 727, 734 f. (1972). Hierzu Smith, B., S. 875 f. 165 Japan Whaling Association v. American Cetacean Society, 478 U.S. 221, 230 Fußnote 4 (1986). 166 So die Einschätzung durch Rodgers, S. 104; ebenso Sive, S. 52; Feld, S. 151. 167 United States v. Students Challenging Regulatory Agency Procedures, 412 U.S. 669 (1973). 168 Die ICC ist eine Behörde, die die Frachtgebühren im Gütertransport zwischen den Bundesstaaten der USA überwacht und z.T. festsetzt. 163

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Kläger hätten in ausreichender Weise Tatsachen vorgetragen 170 , die eine solche Annahme trügen. Der Supreme Court legt seit SCRAP, insbesondere in jüngerer Zeit, strengere Maßstäbe an die injury in fact a n 1 7 1 . Die Betonung liegt dabei weniger auf einer Einschränkung der geschützten Rechte (wie z.B. Freizeitinteressen) als in einer Verschärfung der Anforderungen an die Darlegung. In jüngerer Zeit werden außerordentlich detaillierter Vortrag und Beweise zum Vorliegen der injury in fact verlangt. Dies führt vor allem zu einem erheblichen Argumentationsaufwand der Kläger in diesem Bereich. (b) Causation Dagegen verlangt das zweite Element des constitutional standing , das Element der causation , daß die injury mit der Handlung, die Gegenstand der Klage ist, kausal verknüpft werden kann. Dies ist der Fall, wenn sie in angemessener Weise auf das angeblich widerrechtliche Verhalten der Gegenpartei zurückgeführt werden kann 1 7 2 . Dies bedeutet nicht den Nachweis etwa äquivalenter Kausalität. Vielmehr geht es - negativ - darum, daß die Verknüpfung nicht z.B. durch die Handlung eines Dritten unterbrochen ist. (c) Redressability Das letzte Element, die redressability, hat folgende Funktion: indem eine Klage nur zulässig ist, wenn die verlangte gerichtliche Abhilfe auch geeignet ist, den Schaden zu beheben 173 , schützen sich die Gerichte vor Verfahren, in denen ihre Urteile letztlich ohne echte Wirkung blieben. Verfahren, die den eigentlichen Konflikt nicht lösen, sondern nur einen Rat für die Lösung zu geben vermögen, sind nicht Sache der Judikative. (2) Zweckmäßigkeitserwägungen

der Gerichte - Prudential Limitations

Zusätzlich zu den verfassungsmäßigen Anforderungen an das standing werden aus Zweckmäßigkeitserwägungen durch die Gerichte weitere Voraussetzungen an die Zulässigkeit einer Klage gestellt {prudential limita169

Das Gericht führte aus, daß die Studenten für den Fall, daß die vorgetragenen Beeinträchtigungen nachgewiesen würden, „mitten unter" die betroffenen Geschädigten einzureihen seien; SCRAP, 412 U.S. 669, 689-690. 170 Ausreichend war die Darlegung. Ein Nachweis wurde nicht gefordert. 171 Vgl. hierzu insb. Lujan v. Defenders of Wildlife, 504 U.S. 555, 561 f., 571 ff. (1992). Wie hier auch Rice, S. 211 f. 172 Smith, B., S. 869 f.; Ehlers, S. 164 ff. 173 Vgl. Smith, B., S. 870 f.

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tions) 174. Dazu zählen (1.), daß der Anspruch in den Schutzbereich der gesetzlichen oder verfassungsrechtlichen Schutzbestimmung f ä l l t 1 7 5 ; (2.) der Ausschluß von Klagen, die auf allgemeinen Beeinträchtigungen beruhen (sog. generalized grievance) 116 und (3.) daß die Interessen und Rechte, die der Kläger zur Stützung seiner Klage heranzieht, solche des Klägers sind 1 7 7 . Im Unterschied zu den Elementen des constitutional standing können die prudential limitations im Einzelfall nach dem Ermessen des Gerichts oder auch generell durch gesetzliche Vorschriften außer Kraft gesetzt werden. Zudem gibt es eine Reihe von Ausnahmen. Eine der wichtigsten Fallgruppen gesetzlicher Ausnahmen von prudential limitations sind die citizen suits™. Diese haben häufig Sachverhalte zum Gegenstand, die ohne citizen sw/i-Normen als generalized grievance oder mangels Verletzung eigener Rechte unzulässig wären. bb) Die Fälle des gesetzlichen Ausschlusses gerichtlicher Überprüfung Wenn die Frage des standing beantwortet ist, so muß unter verschiedenen Aspekten untersucht werden, ob nicht im konkreten Fall der Zugang zu gerichtlicher Kontrolle ausgeschlossen ist. Die sovereign immunity-doctrine hat das Problem zum Inhalt, inwiefern der Staat überhaupt verklagt werden kann 1 7 9 . Im Rahmen der Prüfung der jurisdiction 1* 0 des Gerichts können die Probleme eines gesetzlichen Ausschlusses gerichtlicher Überprüfung für 174

Vgl. hierzu Steuer/Juni, S. 189 f.; Smith, B., S. 871 ff. Vgl. hierzu Association of Data Processing Services Organizations ν. Camp, 397 U.S. 150, 153 ff. (1970). 176 Vgl. hierzu Massachusetts v. Mellon, 262 U.S. 447, 488 (1923); Ex parte Levitt, 302 U.S. 633, 634 (1937). 177 Vgl. hierzu McGowan v. Maryland, 366 U.S. 420, 429 (1961); Warth v. Seidin, 422 U.S. 490, 499 (1975). 178 Ebenso Steuer/Juni, S. 224 mit umfangreichen Rspr.-Nachweisen; Smith, B., S. 911. 179 Für deutsche Juristen wegen Art. 19 Abs. 4 GG überraschend ist es für das amerikanische Recht nicht selbstverständlich, daß ein Bürger den Staat verklagen kann. Eine dieses Recht verbürgende Verfassungsbestimmung kennt die U.S. Const, nicht. Dies ist historisch bedingt. Ausgehend von der Rechtsordnung Englands (The king can do no wrong) besagt die sovereign immunity doctrine, daß sich der Souverän (der Staat) nicht vor einem Gericht zu verantworten braucht. Potentiell birgt diese Doktrin einen vollständigen Ausschluß jeglicher Klagemöglichkeit gegen den Staat (Aman/Mayton S. 342). Tatsächlich ist diese Doktrin heute jedoch praktisch bedeutungslos. Denn der Staat kann, durch Gesetz, auf seine Immunität gegen Klagen verzichten. Dies hat er heute praktisch ausnahmslos getan, so daß die sovereign immunity doctrin heute kein Hindernis für die gerichtliche Überprüfung von Verwaltungshandeln darstellt (Aman/Mayton S. 343 f.). 175

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die Zulässigkeit von citizen suit- Normen Bedeutung erlangen. Die Klärung dieser Frage umfaßt drei Aspekte: ob eine gerichtliche Überprüfung ausgeschlossen ist, weil das jeweilige Gesetz dies bestimmt; oder weil die konkrete Problematik in das freie Ermessen der Behörde gestellt ist; schließlich, ob die Kontrolle ausgeschlossen ist, weil es um die Entscheidung über Fragen des Vollzugs des jeweiligen Gesetzes geht. (1) Spezialgesetzlicher

Ausschluß gerichtlicher

Kontrolle

In den USA können gesetzliche Bestimmungen den Ausschluß bestimmten Verwaltungshandelns von gerichtlicher Kontrolle verfügen 181 . Der APA bestimmt in 5 U.S.C. § 701(a)(1) 182 : „This chapter applies (...) except to the extent that - (1) statutes preclude judicial review; (...)" Ein Gesetz kann dabei sowohl explizit als auch implizit die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungshandeln ausschließen. Es gilt jedoch eine starke Vermutung zugunsten gerichtlicher Kontrolle (strong presumption of reviewability). Um zu einem Ausschluß gerichtlicher Kontrolle durch ein Gesetz zu kommen, verlangen die Gerichte „klare und überzeugende Beweise" vom diesbezüglichen Willen des Kongresses 183 . Normalerweise haben Be180

Die jurisdiction beschäftigt sich mit der Frage der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der Gerichte. Venue klärt die Frage der örtlichen Zuständigkeit. Oft ist sie in den einschlägigen Gesetzen ausdrücklich geregelt. Ansonsten greifen verschiedene allgemeine Gesetze und Rechtsprinzipien, mit denen das örtlich zuständige Gericht bestimmt werden kann. Die sachliche Zuständigkeit ist die jurisdiction im engeren Sinne. Weil es in den USA eine Bundes- und daneben eine Landesgerichtsbarkeit gibt, wobei die Zuständigkeit der Bundesgerichte sich in der Regel aus einer ausdrücklichen Zuständigkeitszuweisung ergeben muß, muß eine Klage zu einem Bundesgericht immer auch die Voraussetzung der sachlichen Zuständigkeit des Bundesgerichts dartun. In der Regel ist dies im einschlägigen Gesetz bereits angesprochen. Weiter gibt es Auffangbestimmungen und die federal question doctrine , die ebenfalls die Zuständigkeit der Bundesgerichtsbarkeit zu begründen vermögen. 181 Hierzu aus dem deutschen Schrifttum Dolzer S. 583 ff. 182 Diese Bestimmung stellt das Ende einer längeren Entwicklung dar, die im 19. Jahrhundert begann, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: zu dieser Zeit waren die Gerichte grds. nicht willens, Ermessensentscheidungen der Behörden zu kontrollieren, es sei denn, dies war ausdrücklich im Gesetz vorgesehen (vgl. Martin v. Mott, 25 U.S. 19 (1827)). Diese Einstellung der Gerichte änderte sich erst zu Beginn des 20. Jh. (vgl. American School of Magnetic Healing v. Me Annuity, 187 U.S. 94 (1902); Gegiow v. Uhi , 239 U.S. 3 (1915)) und gewann in den 20er Jahren an Dynamik, als die Gerichte zunehmend mit dem Handeln immer zahlreicher werdender agencies konfrontiert wurden. § 701(a) APA kodifizierte 1946 den Stand der Rechtsprechung. Vgl. zum ganzen Levy/Duncan , S. 597-602. 183 Vgl. Abbott Laboratories v. Gardner, 387 U.S. 136 (S. 140 f.).

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hauptungen dieser Art vor Gericht keinen Erfolg 1 8 4 . Die Gerichte betrachten einen vollkommenen Ausschluß gerichtlicher Kontrolle als „extreme Position", welche ernste verfassungsrechtliche Probleme aufwerfe 185 . (2) Ausschluß der gerichtlichen Kontrolle Ermessensentscheidungen

behördlicher

Neben ausdrücklichem oder implizitem gesetzlichen Ausschluß gerichtlicher Kontrolle kennt der APA auch einen Ausschluß gerichtlicher Kontrolle für solche Behördenentscheidungen, die in das freie Ermessen der Behörde gestellt sind 1 8 6 . Es heißt in § 701(a)(2) APA: „This chapter applies (...) except to the extent that - (...) (2) agency action is committed to agency discretion by law." Das bedeutet aber nicht, wie eine wörtliche Übersetzung vielleicht nahelegen könnte, daß der APA alle Ermessensentscheidungen von gerichtlicher Kontrolle ausnimmt. Denn das Gesetz bestimmt in § 706(2)(A) APA: „(...) The reviewing court shall - (...) hold unlawful and set aside agency action, findings, and conclusions found to be - (A) (...) an abuse of discretion (...)". Das heißt, daß der APA selbst die gerichtliche Aufhebung von ermessensmißbräuchlichem Behördenhandeln und somit die gerichtliche Kontrolle auch von solchem Ermessenshandeln vorsieht. Die Zusammenschau von § 701 und § 706 APA ergibt, daß aus der Gesamtheit der Ermessensentscheidungen ein Teil überprüfbar sein muß (§ 706 APA), während ein anderer gerichtlicher Kontrolle entzogen sein soll (§ 701 APA). Bei der Bestimmung des Bereiches, der dem freien Ermessen der Behörden überlassen bleiben soll, prägte der Supreme Court in der Entscheidung Citizen's to Preserve Overton Park v. Volpe 187 diese Formel: nur in den seltenen Fällen, in denen Gesetze so allgemein gehalten seien, daß in einem konkreten Fall kein anzuwendendes Recht gegeben sei 1 8 8 , komme § 701 APA zur Anwendung. Diese no law to apply- Formel sorgt dafür, daß die weit überwiegende Zahl von Ermessensentscheidungen der Behörden gerichtlich überprüfbar sind 1 8 9 . 184

Aman/Mayton, S. 361 ff., insb. 365 f. Johnson v. Robinson, 415 U.S. 361, 367 (1974). 186 Hierzu Dolzer S. 585 f. 187 Citizen's to Preserve Overton Park v. Volpe, 401 U.S. 402 (1971). 188 „(...) in those rare instances where statutes are drawn in such broad terms that in a given case there is no law to apply." Citizen's to Preserve Overton Park v. Volpe, 401 U.S. 402, 410 (1971) unter Berufung auf die Gesetzgebungsgeschichte. 189 Eine hiervon zu unterscheidende Frage ist die nach dem Maßstab der Überprüfung, welche das Gericht an die Entscheidung anlegen wird. Hierzu unten S. 61 ff. 185

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(3) Die Überprüfung einzuleiten

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der Entscheidung der Behörde, Vollzugsmaßnahmen

In einer Entscheidung aus dem Jahre 1985 hatte der Supreme Court sich mit einem Fall zu beschäftigen, in dem die Kläger eine agency zwingen wollten, wegen Gesetzesverstoßes Vollzugsmaßnahmen gegen einen Dritten einzuleiten 190 . Die agency hatte unter Berufung u.a. auf das ihr hier zustehende „freie Ermessen" ein Einschreiten abgelehnt. Der Supreme Court hielt diese Behördenentscheidung aufrecht und stellte zudem die Regel auf, daß eine Behördenentscheidung, keine Vollzugsmaßnahmen einzuleiten, generell einer Vermutung gegen ihre gerichtliche Überprüfbarkeit unterliegt (presumption of unreview ability). Das Gericht führte drei Gründe an: erstens seien die Behörden besser als die Gerichte in der Lage, Vollzugsentscheidungen zu treffen, zweitens bedeute eine Entscheidung zur Untätigkeit keine Ausübung der Staatsgewalt und biete daher keine greifbaren Ansatzpunkte für eine gerichtliche Überprüfung und drittens sei die Entscheidung, keine Vollzugsmaßnahmen einzuleiten, vergleichbar mit dem Strafverfolgungsermessen, welches traditionell nicht überprüfbar sei 1 9 1 . Die Entscheidung des Supreme Court in Heckler v. Chaney nennt Ausnahmen. Dazu gehören Entscheidungen, die in verfassungsmäßig garantierte Rechte eingreifen 192 , ebenso wie die systematische Ablehnung einer Behörde, Maßnahmen zum Vollzug eines Gesetzes zu ergreifen, wenn dies auf einen Verstoß der Behörde gegen ihre gesetzlichen Verpflichtungen schließen läßt 1 9 3 , die Ablehnung von Vollzugsmaßnahmen trotz fehlendem Ermessen bzgl. der Vollzugsentscheidung 194 und schließlich die Ablehnung von Vollzugsentscheidungen auf der Grundlage angeblich fehlender Zuständigkeit 195 . 190

Heckler v. Chaney, 470 U.S. 821 (1985). In dem Verfahren versuchten zum Tode durch die Injektion eines Giftes verurteilte Strafgefangene die Food and Drug Administration (FDA) dazu zu zwingen, auf der Grundlage des Food, Drug and Cosmetic Act den Gebrauch der Gifte zum vorgesehenen Zweck (Tötung von Strafgefangenen) zu unterbinden. Die FDA lehnte dies mit dem Hinweis auf fehlende Zuständigkeit und ihr „freies Ermessen" in dieser Frage ab. Das Berufungsgericht hatte unter Anwendung des no law to a/?/?/;y-Maßstabes der Klage stattgegeben (Chaney v. Heckler, 718 F.2d 1174 ff. (D.C. Circuit 1983)). 191 Diese Entscheidung ist auf Kritik gestoßen (z.B. Levy/Duncan , S. 623 ff.), welche sich auch auf die dissenting opinion eines der Richter berufen konnte. Dieser stimmte dem Gericht zwar im Ergebnis zu, wandte sich aber wider die „Vermutung gegen gerichtliche Überprüfbarkeit", weil staatliches Tun und Unterlassens gleich zu behandeln sei. Untätigkeit des Staates könne für die Betroffenen ebenso dramatische Folgen haben wie ein Tun (Heckler v. Chaney, 470 U.S. 821, 840 ff., 851 (1985) - Justice Marshall, conc.). 192 Heckler v. Chaney, 470 U.S. 821, 838 (1985). 193 Heckler v. Chaney, 470 U.S. 821, 833 Fn. 4 (1985). 194 Heckler v. Chaney, AIO U.S. 821, 835 f. (1985).

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Im Gefolge von Heckler v. Chaney lehnen die Gerichte in den USA es inzwischen in vielen Fällen ab, Entscheidungen über die Einleitung von Vollzugsmaßnahmen zu überprüfen 196 . Zum Teil wird die Entscheidung aber auch über diesen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus ausgedehnt, z.B. auf Behördenunterlassen in anderen Bereichen 197 . Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die amerikanischen Gerichte das Verwaltungshandeln der Behörden in den meisten Fällen zur gerichtlichen Überprüfung annehmen. Restriktiver ist die Handhabung im Bereich des behördlichen Ermessens, Vollzugsmaßnahmen einzuleiten. Zu einer Entscheidung in der Sache kommt es aber nur, wenn der Rechtsstreit bereits zur Entscheidung reif ist (sog. timing 19*). cc) Die zeitliche Zulässigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes Nach amerikanischen Verwaltungsrecht kann ein Bürger nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt die verwaltungsgerichtliche Überprüfung behördlichen Handelns erreichen. Vielmehr bedarf es des richtigen timings , wenn nicht die Klage vom Gericht schon aus diesem Grunde abgewiesen werden soll. Timing umfaßt zwei Elemente, nämlich die Ausschöpfung aller Abhilfemöglichkeiten der Verwaltung (exhaustion of administrative remedies) und die sog. ripeness. Die Doktrin der exhaustion of administrative remedies 199 besagt, daß einzelne Handlungen während eines Verwaltungsverfahrens nicht unabhängig von dem Ergebnis des Verwaltungsverfahrens angreifbar sein sollen. In dieser Form hat sie sich auch im § 704 APA niedergeschlagen 200 . Ausnahmen sind anerkannt bei klaren und eindeutigen Gesetzesverstößen, wo die Versagung gerichtlicher Kontrolle zur unwiderruflichen Beeinträchtigung der Rechte des Bürgers führen würde 2 0 1 . Die Gerichte erkennen mit der 195

Heckler v. Chaney, 470 U.S. 821, 833 Fn. 4 (1985). Levy/Duncan S. 612 f.; Aman/Mayton S. 379 ff. 197 Aman/Mayton S. 381. Dies, obwohl unter den Begriff der „agency action" nach der Definition des § 551(13) APA auch die „failure to act" fällt! 198 Aman/Mayton S. 341, 403 ff. 199 Vgl. hierzu Aman/Mayton S. 404 ff.; Myers v. Betlehem Shipbuilding Corporation, 303 U.S. 41, 51 (1937). 200 Dort heißt es: „(.. .)[F]inal agency action (...) [is] subject to judicial review. A preliminary, procedural, or intermediate agency action or ruling not directly reviewable is subject to review on the review of the final agency action." 201 Vgl. z.B. Leedom v. Kyne , 358 U.S. 184 (S. 190); Utah Fuel Co. v. National Bituminous Coal Commission, 306 U.S. 56 (S. 59). Hohe Kosten oder sonstige allgemeine Nachteile allein genügen aber nicht, vgl. Myers ν. Betlehem Shipbuilding Corp., 303 U.S. 41 (S. 58); Ticor Title Insurance Co. v. Federal Trade Commission, 814 F.2d 731 (D.C. Circuit). 196

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exhaustion doctrine bei der Entscheidung über die Zulassung einer Klage die legitimen Bedürfnisse und Interessen der Verwaltung an, sich nicht vor einer endgültigen Entscheidung schon gerichtlicher Kontrolle stellen zu müssen 202 . Nicht wesentlich andere Anforderungen an die Zulässigkeit der Klage stellt die ripeness doctrine. Allerdings liegt der Schwerpunkt auf optimaler Ausnutzung gerichtlicher Ressourcen und bestmöglicher Aufbereitung der wesentlichen Aspekte des Streites für die Gerichte. Auch unter ripeness prüfen die Gerichte in Zweifelsfällen, inwieweit der Streitfall schon bereit für die gerichtliche Kontrolle ist (fitness for review) und die Schwere der Nachteile, welche die Versagung gerichtlichen Rechtsschutzes nach sich zöge (hardship to the parties) 203. Das prozessuale Gegenstück zur ripeness ist die mootness, die Erledigung des Rechtsstreits 204 . b) Der Maßstab gerichtlicher

Kontrolle

Die vorangegangenen Ausführungen zur gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungshandeln haben sich ausschließlich mit dem Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz beschäftigt. Mindestens ebenso wichtig ist, wie ein amerikanisches Gericht inhaltlich einen solchen Streitfall entscheiden wird, d.h. welchen Maßstab das Gericht bei der Überprüfung des Verwaltungshandelns anlegen wird. Die Frage nach dem vom Gericht anzulegenden Maßstab gliedert sich nach der vorherrschenden Einteilung in der amerikanischen Verwaltungsrechtswissenschaft 205 in drei Teilfragen, welche ihrerseits wieder zu untergliedern sind. Diese Dreiteilung geht von einer Analyse der Stadien aus, die jedwedes Verwaltungshandeln durchlaufen muß: zunächst geht es darum, die relevanten Fakten zu ermitteln; sodann ist das auf das jeweilige Problem anzuwendende Recht zu ermitteln; schließlich sind die gefundenen Rechtssätze auf die ermittelten Fakten anzuwenden 206 . Diese dogmatisch einleuchtende Dreiteilung wird in den Entscheidungen der Gerichte nur selten zum Ausdruck gebracht. In der Regel gehen die Überprüfung des zweiten und dritten Stadiums ineinander über 2 0 7 . 202

Aman/Mayton S. 414. Abbott Laboratories v. Gardner, 387 U.S. 136 (S. 149); Aman/Mayton S. 415. 204 Brugger S. 17 f.; Flast v. Cohen, 392 U.S. 83, S. 95 (1968) 205 Ausdrücklich Aman/Mayton S. 443; auch Gellhorn/Levin S. 76; ebenso gliedern ihr Lehrbuch Pierce/Shapiro/Verkuil S. 336 ff., S. 348 ff., S. 353 ff. 206 Vgl. Aman/Mayton S. 443; Pierce/Shapiro/Verkuil S. 336 ff., S. 348 ff., S. 353 ff.; Gellhorn/Levin S. 76. 207 Vgl. z.B. den Fall O'Leary v. Brown-Pacific-Maxon, 340 U.S. 504 (1951) und die Besprechung bei Aman/Mayton S. 440 ff. 203

Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

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Dem entsprechend ist die Frage nach dem Maßstab gerichtlicher Kontrolle aufzuteilen nach dem Maßstab, mit dem die behördlichen Tatsachenermittlungen zu überprüfen sind (unter aa)) und dem Stellenwert behördlicher Rechtsinterpretation und der Prüfungsdichte im Rahmen der Anwendung des Rechts im konkreten Fall (unter bb)).

aa) Die Überprüfung behördlicher Tatsachenermittlung Der APA kennt drei verschiedene Maßstäbe, nach denen behördliche Tatsachenermittlungen überprüft werden können: den arbitrary and capriciousOfìQ " 9Π ο standard , den substantial evidence-standard und eine Uberprüfung de novo 210, d.h. eine vollständige Wiederholung der Tatsachenermittlung vor dem Gericht. Nach herkömmlicher Auffassung steigt die gerichtliche Prüfungsdichte vom arbitrary and capricious- über den substantial evidenceStandard an, bis sie bei der de rcovo-Überprüfung 211 allumfassend w i r d 2 1 2 . Zugleich unterscheiden sich die Maßstäbe in ihrem Anwendungsbereich. ( 1 ) Der Maßstab des Substantial Evidence Grundsätzlich wird die behördliche Tatsachenermittlung in den Fälle der formal adjudication 213 und des formal rulemaking 214 nach dem substantive evidence standard 215 überprüft. So bestimmt es der APA in § 706(2)(E). In diesen Verfahrensarten hat die agency im Laufe des Verfahrens eine umfassende Akte zusammengetragen, die als ausschließliche Basis für ihre Entscheidung dient. Den Inhalt dieser „harten Fakten" zu überprüfen wird all208

§ 706(2)(A) APA. § 706(2)(E) APA. 210 § 706(2)(F) APA. 211 Die Überprüfung de novo, in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts noch allgemein üblich, ist heute sehr selten, vgl. Gellhorn/Levin S. 106 f.; Aman/Mayton S. 458 ff.; denn der Supreme Court hat in Citizens to Preserve Overton Park, Inc. v. Volpe, 401 U.S. 402, 415 (1971) den einschlägigen § 706(2)(F) APA eng dahin ausgelegt, daß dieser nur in zwei Fällen anwendbar sei: (1) wenn es sich bei dem Verwaltungshandeln seiner Natur nach um adjudication handele und das von der Behörde beobachtete Verfahren ungenügend sei; und (2) wenn Tatsachenfragen, die der Behörde noch nicht vorgelegen hatten, in einem Verfahren zur Durchsetzung von nonadjudicatory Verwaltungshandeln auftauchen. Wegen seiner geringen Bedeutung wird der Überprüfung de novo hier nicht weiter nachgegangen. 212 Vgl. z.B. Gellhorn/Levy S. 74. 213 Vgl. hierzu oben S. 35 ff. 214 Vgl. hierzu oben S. 49 ff. 215 Übersetzung in etwa: „Hinreichender Beweis", vgl. Romain S. 278 unter dem Stichwort evidence. 209

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gemein der Maßstab der substantial evidence als geeignet angesehen. Dabei ist die gesamte Akte bei der Beurteilung heranzuziehen 216 . Diesen Maßstab inhaltlich zu definieren tun sich die amerikanischen Gerichte schwer. Der Supreme Court hat ihn etwa wie folgt definiert: substantial evidence sei „mehr als ein Fünkchen eines Beweises. Gemeint sind wesentliche Beweise, die ein vernünftiger Geist zur Stützung einer Schlußfolgerung als ausreichend ansehen k ö n n t e . " 2 1 7 ' 2 1 8 Für eine konkrete Rechtsanwendung sind diese und andere Definitionen wenig aussagekräft i g 2 1 9 . In der Literatur wird daher die Anwendung dieses Maßstabes auch „eher als Kunst denn als Wissenschaft" bezeichnet 220 . Einigkeit besteht aber darin, daß ein Gericht bei der Anlegung des substantial evidence- Maßstabs die von der agency gefundenen Tatsachen und die daraus gezogenen Folgerungen „achten" soll. Das Gericht soll nicht ohne weiteres seine eigenen Schlußfolgerungen an die Stelle derer der agency setzen, sondern den Ergebnissen der agency mit „erheblicher Achtung" 2 2 1 begegnen, auch wenn u.U. der Richter selbst die Entscheidung so nicht getroffen hätte. Substantial evidence bedeutet nicht, daß die agency nachweisen muß, daß ihr Ergebnis das einzig richtige ist, sondern (nur), daß ihr Ergebnis sich auf hinreichende Beweise in der Akte stützen läßt. Dies schließt nicht aus, daß sich auch ein anderes Ergebnis ebenso auf die Akte stützen ließe 2 2 2 . Auch in einem solchen Fall soll das Gericht den Ergebnissen der agency Vorrang gewähren. Der Grund für diese weitgehende Zurückhaltung der Gerichte bei der Überprüfung der von der agency gefundenen Tatsachen wird in ihrer überlegenen sachlichen Kompetenz gesehen. Eine agency ist in der Regel auf die ihr übertragene Aufgabe spezialisiert und hat daher von vornherein 216 Und nicht etwa nur die Teile der Akte, welche das gefundene Ergebnis stützen könnten. Klargestellt in Universal Camera Corp. v. NLRB, 340 U.S. 474, S. 487 f. (1951). 217 Consolidated Edison Co. v. NLRB, 305 U.S. 197 S. 229 (1938). 218 Es gibt noch eine Reihe weiterer Definitionsversuche. Vgl. NLRB v. Columbian Enameling & Stamping Co., Inc., 306 U.S. 292, S. 300 (1939): substantial evidence „muß mehr leisten als den bloßen Verdacht der darzulegenden Tatsache zu erregen (...)"; oder eine Definition der Wissenschaft: „Ein Richter darf (...) [die behördliche Entscheidung] aufheben, wenn nach seiner gewissenhaften Auffassung das gefundene Ergebnis fairerweise nicht durch die Akte gestützt werden kann; oder (...) er gewissenhafterweise nicht der Schlußfolgerung entgehen kann, daß das gefundene Ergebnis unfair ist." (.Jajfe I S. 1239). 219 Aman/Mayton S. 444 f.; Gellhorn/Levin S. 93. 220 Aman/Mayton S. 446. 221 Das allgemein verwandte Wort lautet considerable deference. Vgl. Aman/ Mayton S. 448; Pierce/Shapiro/Verkuil S. 337. 222 Pierce/Shapiro/Verkuil S. 337; Aman/Mayton S. 448.

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Teil 1: Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

Sachverstand in Bezug auf die zu ermittelnden Fakten, der dem Gericht fehlt 2 2 3 . Der (oft auch bei informal adjudication nach dem Verfahrensrecht der agency) tätige ALJ kennt zudem auch die gesetzliche Materie in der Regel besser als das Gericht 2 2 4 . Das bedeutet, daß ein Kläger, der eine Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen einer Verwaltungsentscheidung begehrt, sogar bei Anlegung des „strengsten" Maßstabs, des substantial evidence-Maßstabs, eher geringe Chancen auf Aufhebung der Ergebnisse der agency hat, wenn sich die Entscheidung nur einigermaßen auf in der Akte enthaltene Fakten stützen kann 2 2 5 .

(2) Der Arbitrary

and Capricious-Maßstab der Überprüfung

Wenn eine agency nicht nach den Regeln des formal adjudication oder formal rulemaking ihr Verwaltungshandeln aktenkundig machen muß, in den Fällen der informal adjudication und vor allem des informal rulemaking 226 also, werden die gefunden Tatsachen gerichtlich unter Anwendung des arbitrary and capricious-Maßstabes geprüft. Dies bestimmt § 706(2)(A) APA227. Im Bereich des informal rulemaking , dem Hauptanwendungsbereich des arbitrary and capricious-Maßstabes, geht es sehr häufig um behördliche Richtungsentscheidungen, die weniger faktischer als vielmehr politischer Natur sind 2 2 8 . Die zugrundeliegenden Fakten können häufig nicht genau ermittelt werden, etwa weil es sich um mit vielen Unsicherheiten behaftete Prognosen handelt. Es wird daher allgemein anerkannt, daß den agencies bei dieser Art von Entscheidung ein sehr großer Spielraum eingeräumt werden muß. Die Anwendung des arbitrary and capricious- Maßstabes bedeutet, daß bei der gerichtlichen Überprüfung untersucht wird, ob die Entscheidung auf einer Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte beruht, sowie ob ein klarer Fall einer Fehlentscheidung vorliegt 2 2 9 . 223

Pierce/Shapiro/Verkuil S: 337 f.; Aman/Mayton S. 447 f. Hier zeigt sich eine der oben S. 50 f. angedeuteten Konsequenzen des allgemeinen Verwaltungsrechts für die gerichtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns. 225 Aman/Mayton S. 449; deutlicher noch Fox S. 4 („A lawyer must win a case at the agency or likely not win it at all"). 226 Vgl. oben S. 40 ff., S. 44 ff. 227 Die Norm lautet: „The reviewing court shall - (...) (2) hold unlawful and set aside agency action, findings, and conclusions found to be - (A) arbitrary, capricious, an abuse of discretion, or otherwise not in accordance with the law; (...)". 228 Vgl. die auf diese Weise erlassenen legislative rules. Hierzu oben S. 42 f. 224

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Herkömmlicherweise wird der arbitrary and capricious-M&ßstab als weniger stringent als der der substantial evidence angesehen 230 . Die Begründung beruht auf Gewaltenteilungs- und Demokratieerwägungen: wenn die Legislative nicht in der Lage 2 3 1 oder nicht willens ist, politische Entscheidungen selbst zu treffen, sondern diese an die Exekutive delegiert, so widerspricht es dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn die Judikative unter dem Deckmantel der rechtlichen Überprüfung ihre eigenen politischen Ansichten an die Stelle derer der agency setzt. Dies gilt umso mehr, weil die Gerichtsbarkeit von allen Staatsgewalten die am wenigsten demokratisch legitimierte ist. Die Spitzen einer agency sind demgegenüber Volksvertretern verantwortlich, die ihrerseits direkt durch Wahlen demokratisch legitimiert sind 2 3 2 . In der praktischen Anwendung ergeben sich kaum Unterschiede zwischen dem substantial evidence- und dem arbitrary and capricious-Maßstab. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber dazu übergegangen ist, in bestimmten Fälle auch informal agency action dem substantial evidence-Maßstab zu unterwerfen. Dies gilt vor allem für den Erlaß von Verordnungen in den Fällen des hybrid rulemaking 233. Wenn die Konvergenz der beiden Maßstäbe auch noch nicht höchstrichterlich anerkannt ist, so ist sie es doch in der Praxis vieler Berufungsgerichte 234 und eines großen Teils der Literatur235. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die amerikanischen Gerichte den agencies bei der Ermittlung von Tatsachen einen weiten Spielraum 229

So die Definition des Supreme Court: „[The Court] must consider wether the decision was based on a consideration of the relveant factors and wether there has been a clear error of judgment." Citizens to Preserve Overton Park, Inc. v. Volpe , 401 U.S. 402, 416 (1971). 230 Vgl. die Entscheidung des Supreme Court in American Paper Institute v. American Electric Power Service Corp., 461 U.S. 402, 412 Fn. 7 (1983): „more lenient". 231 Z.B. bei technisch hochkomplexen Sachverhalten, die sich zudem schnell ändern können. 232 So etwa Pierce/Shapiro/Verkuil S. 334; Gellhorn/Levin S. 84; vgl. auch Chevron U.S.A. v. NRDC, 467 U.S. 837 (1984). 233 In den Fällen des hybrid rulemaking steht das Verwaltungsverfahren zwischen dem streng formalen Ansatz des formal rulemaking und dem minimalistischen Ansatz des informal rulemaking. Vgl. hierzu Aman/Mayton S. 452 ff. 234 Z.B. Association of Data Processing Service Organizations, Inc. v. Board of Governors , 745 F.2d 677, 683 f. (D.C. Circuit 1984); Pacific Legal Foundation v. Department of Transportation, 593 F.2d 1338, S. 1343 Fn. 35 (D.C: Circuit 1979); Associated Industries v. United States Department of Labor, 487 F.2d 342 S. 349 f. (2d Circuit 1973). 235 Aman/Mayton S. 455 f., insb. Fn. 14 mit umfangreichen Nachweisen; Pierce/ Shapiro/Verkuil S. 341 ff. 5 Elshorst

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Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

lassen. Die gefundenen Tatsachen werden nur dann gerichtlich aufgehoben, wenn sie - selbst bei „erheblicher Achtung" der Ansichten der Behörde sich nicht auf hinreichende Beweise in der Akte stützen lassen bzw. klar fehlerhaft sind. Insgesamt ist dies ein die agency stärkender Befund, der den Bürger zu starkem Engagement schon im Verwaltungsverfahren zwingt. bb) Der Stellenwert behördlicher Rechtsansichten - Chevron v. NRDC Sind die Tatsachen festgestellt, von denen im jeweiligen Fall auszugehen ist, so wird ein Gericht bei der Überprüfung von Verwaltungshandeln sich als nächstes der Frage zuwenden, ob die agency das auf den Fall anzuwendende Recht korrekt ermittelt hat. Hier könnte eine eingehende und gründliche Überprüfung erfolgen, denn die Beurteilung von Rechtsfragen ist ureigenstes Metier der Gerichte. Welcher Stellenwert der Rechtsansicht der agency vor Gericht zukommt, hat der Supreme Court 1984 in seiner berühmten Entscheidung Chevron U.S.A. ν. Natural Resources Defense Council 236 dargetan 237 . Danach hat ein Gericht bei der Überprüfung von Verwaltungshandeln in zwei Schritten vorzugehen: zunächst ist zu untersuchen, ob der Gesetzgeber das konkret in Frage stehende Problem angesprochen hat; wenn dies der Fall ist, müssen Gericht und agency diesem klar ausgedrückten Willen des Gesetzgebers entsprechen. Ist dies aber nicht der Fall, so darf das Gericht nicht einfach seine Interpretation an die Stelle der behördlichen Gesetzesauslegung setzen; vielmehr ist dann die Frage, ob die Rechtsansicht der Behörde auf einer zulässigen Interpretation des Gesetzes beruht 2 3 8 . 236

Chevron U.S.A. ν. Natural Resources Defense Council, 467 U.S. 837 (1984). Vorangegangen war dem eine jahrzentelang unklare Position des Supreme Court, der mal der Rechtsansicht der Behörde Vorrang vor eigener gerichtlicher Interpretation einräumte (z.B. National Labour Relations Board v. Hearst Publications , 322 U.S. I l l , 130 f. (1944)), dann wieder das Primat der Gesetzesauslegung für sich selbst beanspruchte (National Labour Relations Board v. Bell Aerospace , 416 U.S. 267, 274 ff. (1974)). Vgl. hierzu auch Pierce/Shapiro /Verkuil S. 348 f. 238 Chevron U.S.A. ν. Natural Resources Defense Council , 467 U.S. 837, 842 f. (1984). Die Bedeutung dieser Passage rechtfertigt eine wörtliche Wiedergabe: „When a court reviews an agency's construction of the statute it administers, it is confronted with two questions. First, always, is the question of whether Congress has directly spoken to the precise question at issue. If the intent of Congress is clear, that is the end of the matter; for the court, as well as the agency, must give effect to the unambigously expressed intent of Congress. If, however, the Court determines Congress has not directly adressed the precise question at issue, the court does not simply impose its own construction on the statute, as would be necessary in the absence of an administrative interpretation. Rather, if the statute is silent or ambigous with respect to the specific issue, the question for the court is wether the agency's answer is based on a permissible construction of the statute." 237

C. Amerikanisches Verwaltungsrecht im Überblick

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Diese Entscheidung war wegweisend und hat zu einer merklichen Verschiebung in der Beurteilung behördlicher Rechtsansichten durch amerikanische Gerichte geführt 239 . Diesen Rechtsansichten wird nunmehr in den Fällen, in denen ein Gesetz nicht zu der precise question at issue Stellung genommen hat, ein hohes Gewicht zuerkannt. Hinzu kommt, daß die Gerichte der behördlichen Rechtsinterpretation auch in anderen Fällen Gewicht zumessen, so z.B. wenn der Kongress selbst klargestellt hat, daß er ein Gesetz primär durch eine agency interpretiert sehen w i l l 2 4 0 , oder wenn der Kongress in Kenntnis einer behördlichen Gesetzesinterpretation von einer klarstellenden Änderung des Gesetzes absieht 241 , wenn es sich um eine langandauernde, einheitliche Gesetzesinterpretation handelt 2 4 2 oder wenn die Öffentlichkeit erkennbar sich auf die behördliche Rechtsauslegung verläßt 243 . Dabei wird das Gericht einer in der Form einer rule erlassenen behördlichen Rechtsinterpretation eher den Vorrang lassen als (bloß) internen Stellungnahmen 244 . Dies ergibt bei unklarer Gesetzeslage ein hohes Gewicht der Rechtsansicht der Behörden schon bei der Ermittlung des auf den konkreten Fall anzuwendenden Rechts. Der Grund für diese Zurückhaltung der amerikanischen Gerichte ist maßgeblich in der Erkenntnis zu erblicken, daß bei unklarer und mehrdeutiger Gesetzeslage Fragen der Gesetzesinterpretation sich von politischen Fragen nicht klar trennen lassen. Aus den schon genannten Gewaltenteilungs- und Demokratieerwägungen 245 ergibt sich dann nach Ansicht der Gerichte das Primat der agency in Bezug auf die Fragen der policy , um die es hierbei vielfach geht. Damit soll nun nicht der Eindruck erweckt werden, als würden die Gerichte nicht auch ihre eigenen (Rechts-)Ansichten vor die Ansichten der agency setzen - wenn sie es wollen. So besteht durchaus nicht immer Einigkeit, ob der Kongress seinen Willen „eindeutig" zum Ausdruck gebracht hat. Diese Frage läßt sich häufig selbst erst wieder mit Hilfe richterlicher Interpretations- und Auslegungskunst beantworten 246 . Dabei kommt es 239

Pierce/Shapiro/Verkuil S. 351. Aman/Mayton S. 479 mit Beispielen. 241 Bob Jones University ν. United States, 461 U.S. 574, 599 ff. (1983); Aman/ Mayton S. 480. 242 Saxbe v. Bustos, 418 U.S. 65 (1974); Aman/Mayton S. 484. Der umgekehrte Fall, d. h. eine uneinheitliche Gesetzesinterpretation, bedeutet nicht automatisch, daß das Gericht der Rechtsansicht der agency nunmehr keinen Wert zumessen wird, wenn die Behörde ihre Entscheidung ausreichend begründet hat; ist dies aber nicht der Fall, so wird das Gericht in aller Regel selbst und umfassend das Gesetz auslegen; vgl. ebenda S. 486. 243 Aman/Mayton S. 488. 244 Aman/Mayton S. 489 f. 245 Oben S. 65. 240

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Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

durchaus vor, daß die Gerichte andere Auslegungsmethoden wählen als die agency oder sich widersprechende Ergebnisse der Auslegungsmethoden unterschiedlich gewichten 247 . Im Ergebnis hat sich das richterliche Tätigkeitsfeld dann nur verlagert. Die von der Ermittlung des anzuwendenden Rechts zu trennende Frage der Anwendung des Rechts auf den konkreten Fall durch die Behörde schließlich ist ebenfalls von Zurückhaltung der Gerichte bei der Überprüfung des Verwaltungshandeln geprägt. Dabei ist daran zu erinnern, daß die Gerichte häufig nicht zwischen Ermittlung und Anwendung des Rechts trennen. Die Gerichte sind hier vor allem wegen der Verquickung von Tatsachen·, Rechts- und Ermessensfragen 248 zurückhaltend, etwa ebenso sehr wie bei der Beurteilung der behördlichen Tatsachenermittlung. Die Gründe sind wiederum die bereits erwähnten gewaltenteilungs- und demokratietheoretischen Erwägungen 249 . Eine Gesamtbeurteilung der inhaltlichen Überprüfung behördlicher Entscheidung durch amerikanische Gerichte erbringt das folgende Ergebnis: Die Gerichte sind außerordentlich zurückhaltend bei der Überprüfung der behördlichen Tatsachenermittlung ebenso wie bei der Überprüfung der Anwendung des Rechts auf die ermittelten Tatsachen. Dem gegenüber sind sie grundsätzlich eher bereit, die Ermittlung des anzuwendenden Rechts und die Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens durch die agency inhaltlich voll nachzupüfen 250 . Es bleibt aber festzuhalten, daß Chevron auch in diesem Bereich eine deutliche Verschiebung der Gewichte hin zu den agencies gebracht hat.

246 Beispiele bei Aman/Mayton S. 471 ff. Eine Mindermeinung lehnt demgegenüber die Anwendung der hergebrachten Auslegungsregeln zur Beantwortung der Frage, ob der Kongress seinen Willen eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, überhaupt ab. Danach muß sich der Wille des Gesetzgebers aus dem Gesetzeswortlaut ergeben; insbesondere die historische Auslegung wird abgelehnt. Vgl. hierzu ablehnend Schwarz, S. 45 ff. Es liegt auf der Hand, daß diese Lesart von Chevron zu einer deutlich höheren Zahl „unklarer" Äußerungen des Gesetzgebers führt und zugleich die Macht der Exekutive klar erweitert. Der prominenteste Verfechter dieser Auffassung ist Antonin Scalia, Richter am U.S. Supreme Court, der diese Auffassung in einem Briefwechsel mit einem anderen Richter vertrat, zit. nach Schwarz, S. 46 ff. 247 Pierce/Shapiro/Verkuil S. 351 ff. 248 Die sog. mixed questioni s] of law and fact, vgl. Aman/Mayton S. 441. 249 Vgl. oben S. 65. 250 hiej- Jarass (Besonderheiten) S. 386; Dolzer S. 588 f.; anderer Ansicht Piinder S. 224, soweit es um die Kontrolle exekutiver Normsetzung geht.

D. Überblick über den Clean Water Act ( C W A ) Der Clean Water Act (CWA) ist das bei weitem wichtigste Wasserschutzgesetz der USA. Es enthält alle wesentlichen Anstrengungen, welche in den USA zur Reinhaltung der Gewässer unternommen werden.

I. Die Geschichte des amerikanischen Wasserrechts Die Geschichte des CWA ist die Geschichte der langsam reifenden Erkenntnis, daß die amerikanischen Gewässer gegen Verschmutzung nur unzureichend geschützt wurden. Als direkte Folge dieser Erkenntnis wurde einerseits die staatliche Regelungsgewalt schrittweise vom Bund an sich gezogen und andererseits der Vollzug des Wasserrechts immer stärker forciert, nicht zuletzt durch die Einführung der citizen suit- Normen in 33 U.S.C. § 13651. Die Anfänge des Wasserrechts der USA sind im Rivers and Harbors Act von 18992 (auch als Refuse Act bekannt) zu sehen. Dieses Gesetz enthielt ein Verbot der Einleitung aller Arten von Abfall in schiffbare Gewässer 3, welche die Schiffahrt behindern würden oder behindern könnten. Dabei wurde unter „Abfall" nur solcher Abfall verstanden, welcher tatsächlich geeignet war, ein Hindernis für die Schiffahrt darzustellen, also größere feste Gegenstände4. Im Jahre 1948 wurde dann der Vorläufer des heutigen CWA, der Federal Water Pollution Control Act (FWPCA 1948) erlassen. Dieses Gesetz hatte zwar Anlagen zu einem Gewässerschutzgesetz, konnte diese aber systembedingt nicht anbringen. Es ging von der Annahme aus, daß die Abfallbeseitigung eine der wesentlichen Nutzungen von Gewässern darstellt. Der FWPCA 1948 war zudem durch starke gesetzgeberische Zurückhaltung geprägt, bedingt durch die Auffassung des Bundesgesetzgebers, der Wasserschutz sei eigentlich Sache der einzelnen Bundesstaaten5. Sowohl der Refuse Act als auch der FWPCA hatten bis in die 60er Jahre hinein 1

Zum Text der Norm vgl. Appendix 1. Der CWA im Internet: http:// www.law.cornell.edu/uscode/33/ch26.html. 2 Normiert in 33 U.S.C. § 407. Neben dem Refuse Act existierten noch z.B. der Oil Pollution Act von 1924. 3 Die sog. navigable waters; ein Begriff, der auch im heutigen CWA verwandt wird, allerdings mit anderer Bedeutung. Vgl. unten S. 71, Fn. 17. 4 Vgl. Fogarty S. 6. 5 Vgl. Fogarty S. 7.

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Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

keine echte Bedeutung zum Schutz der Gewässer und der Umwelt, letzterer vor allem wegen einer sehr geringen Reichweite 6 und kaum zu überwindender Hürden vor der Einleitung von Maßnahmen gegen einen konkreten Verschmutzer 7. Dies änderte sich durch zwei Entscheidungen des Supreme Court 8 , die den Anwendungsbereich des Refuse Act wesentlich erweiterten, indem sie unter „Abfall" alle Arten von Abfällen subsumierten. Als Ergebnis dieser neuen Auslegung war nun plötzlich jegliche Einleitung von Abfällen grundsätzlich verboten. Die mit der Ausführung des Refuse Act betraute agency , der Army Corps of Engineers , wurde zusammen mit EPA beauftragt, ein Genehmigungssystem für Schadstoffeinleitungen zu entwickeln. Im Jahre 1971 hatten alle Gewerbebetriebe, welche Schadstoffe in Gewässer einleiteten, um eine solche Genehmigung nachzusuchen9. Das neue Genehmigungssystem war nur von kurzer Dauer, denn schon Ende 1971 wurde es gerichtlich 10 wegen Verstoß gegen höherrangiges Recht für nichtig befunden. In der Zwischenzeit hatte der Gesetzgeber aber auch am FWPCA wichtige Änderungen vorgenommen. 1965 wurden erstmals die Water Quality Standards eingeführt. Hierbei handelt es sich um Grenzwerte für Schadstoffe, welche in einem Gewässer nicht überschritten werden dürfen 11 . Wenn diese Änderung auch praktisch nur wenig Auswirkungen hatte, weil der Erlaß dieser Grenzwerte verfahrensrechtlich sehr beschwerlich ausgestaltet war, so signalisierte sie einen bedeutsamen Wechsel in dem dem FWPCA zugrundeliegenden gesetzgeberischen Konzept: nicht länger mehr wurden die Gewässer der USA als „offene Abwasserkanäle" begriffen 12 . 1966 wurden den industriellen Schadstoffeinleitern erstmals Berichtspflichten über Art und Menge der eingeleiteten Schadstoffe auferlegt. 1970 schließlich wurden strafrechtliche und schadensersatzrechtliche Folgen unerlaubter Schadstoffeinleitung und vor allem auch ein Erlaubnissystem für Schadstoffeinleitungen eingeführt 13 . 6

Das Gesetz war anwendbar nur auf sog. interstate waters. Um gegen einen Verschmutzer vorgehen zu können, mußte diesem nachgewiesen werden, daß seine Einleitungen in ein Gewässer eine Gefahr für die Gesundheit oder das Wohlergehen von Personen in einem anderen Staat als dem Staat, in welchem die Einleitung erfolgte, darstellten. Vgl. hierzu Fogarty S. 7; Fish S. 212. 8 United States v. Republic Steel Corp., 362 U.S. 482, 486 ff. (1960); United States v. Standard Oil Co., 384 U.S. 224 (1966). 9 Vgl. Fogarty S. 6. 10 Kalur v. Resor, 355 F. Supp 1, 1 ELR 20637 (Distr. D.C. 1971). 11 Eingehend unten S. 78 ff. 12 Vgl. Fogarty S. 8, der von open sewers spricht. 13 Vgl. Fogarty S. 8, 9. 7

D. Überblick über den Clean Water Act (CWA)

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Zum Zeitpunkt der Nichtigerklärung des Genehmigungssystems, welches unter dem Refuse Act aufgebaut worden war, war die Zeit also bereit für den Erlaß des modernen Federal Water Pollution Control Act von 1972, besser bekannt als Clean Water Act. Mit diesem völlig neu gestalteten Wasserrecht begann die Ära des modernen amerikanischen Wasserrechts, gekennzeichnet durch eine starke Stellung des Bundes und strikte gesetzliche Vorgaben und Kontrollen.

I I . Der Aufbau des CWA im Überblick Der - äußerst umfangreiche 14 - Clean Water Act setzt sich in 33 U.S.C. § 1251(a), dem ersten Satz des ersten Paragraphen, ein ehrgeiziges Ziel: „The objective of this chapter is to restore and maintain the chemical, physical and biological integrity of the Nation's waters." Um dieses Ziel zu erreichen unterwirft das Gesetz alle direkten und indirekten Schadstoffeinleitungen 15 (d.h. solche, welche vor dem Eintritt in ein Gewässer ein öffentliches Klärwerk durchlaufen) aus diskreten Schadstoffquellen 16 in amerikanische Gewässer 17 Grenzwerten für die Menge der Schadstoffe 18, welche das Abwasser enthalten darf. Diese Grenzwerte orien14

Rodgers nennt das Gesetz einen „einschüchternden Akt des Kongresses", eine colossal compilation (S. 247). In den „Selected Environmental Law Statutes" der West Publishing Co. nimmt der CWA 170 eng bedruckte Seiten ungefähr der Größe 20 χ 26 cm ein. 15 Die „Einleitung eines Schadstoffes" (discharge of a pollutant) ist nach 33 U.S.C. § 1362(12) definiert als die direkte Addition von Schadstoffen aller Art durch eine diskrete Schadstoffquelle in ein Gewässer. Nicht umfaßt sind damit die Einleitung über ein Klärwerk und diffuse Schadstoffquellen. Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 8 f. 16 Die „diskrete Schadstoffquelle" (point source) ist in 33 U.S.C. § 1362(14) definiert als jeder abgegrenzte und unterscheidbare Abieiter, von dem Schadstoffe abgelassen werden oder werden können. Dies umfaßt vor allem Abwasserrohre, -gräben und -kanäle, aber auch Land- oder Wasserfahrzeuge, welche zu diesem Zweck benutzt werden. Die Gerichte legen den Begriff sehr weit aus und haben z.B. auch zu Übungszwecken Bomben in Gewässer abwerfende Kampfflugzeuge als point source angesehen, vgl. Weinberger v. Romero-Barcelo, 456 U.S. 305 (1982). 17 Der zentrale Begriff des „Gewässers" (navigable waters) wird in 33 U.S.C. § 1362(7) als „the waters of the United states, including the terrritorial seas" definiert. Entgegen dem Wortlaut ist es völlig unerheblich, ob die Gewässer schiffbar sind oder nicht. Der Begriff wird von EPA und den Gerichten so weit wie überhaupt möglich ausgelegt, deckt allerdings nicht das Grundwasser ab. Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 10 ff. 18 Ein „Schadstoff (pollutant) im Sinne des CWA ist gem. 33 U.S.C. § 1362(6) Müll und Abfall im weitesten Sinne, also nicht beschränkt auf flüssigen oder wasserlöslichen Abfall. Es ist auch unerheblich, ob es sich um natürliche oder künstliche Stoffe handelt (Sand fällt darunter). Sogar die Erwärmung eines Gewässers

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Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

tieren sich an den technologischen Möglichkeiten (technology-based limitations) und, wenn erforderlich, an der im jeweiligen Gewässer erwünschten Nutzung (water quality-based limitations). Sie unterscheiden sich je nach Art der Gewerbebetriebe und auch danach, ob der schadstoffeinleitende Betrieb als existing source oder als new source anzusehen ist. Das Mittel, mit dem die Einhaltung dieser Grenzwerte erreicht werden soll, ist ein umfassendes Genehmigungssystem, das NPDES, regelungstechnisch ausgestaltet als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Es findet Anwendung auf die diskreten, direkten Schadstoffquellen. Es wird flankiert von den Anforderungen, welche an die indirekte Einleitung gestellt werden. Umfassende Berichtspflichten des Betriebes über seine Schadstoffeinleitungen und verschiedene Vollzugsmechanismen des CWA, die auch schmerzliche Strafen vorsehen, runden das Bild ab. Der Darstellung des NPDES als des wichtigsten Regelungsinstruments des amerikanischen Wasserrechts (unter C.) wird eine Darstellung des Gesetzes in Bezug auf die indirekten, diskreten Schadstoffquellen folgen (unter D.). Neben den diskreten Schadstoffquellen werden auch die diffusen Schadstoffeinleitungen 19 (ablaufendes Regenwasser, Rückfluß landwirtschaftlicher Bewässerung etc.) Regelungen unterworfen, die die Schadstoffmengen soweit wie möglich reduzieren sollen. Dies geschieht vor allem mittels der sog. best management practices , welche Vorgaben für die Minimierung von Schadstoffeinleitungen aus diffusen Quellen geben. Diese werden unter E. dargestellt. Ein Überblick über den CWA darf nicht verschweigen, daß das Gesetz bei aller Regelungsdichte nicht als „vollständig" bezeichnet werden kann 2 0 . Es läßt z.B. das Grundwasser völlig außer Betracht 21 , weil dieses nicht der wird als „Schadstoff angesehen. Nicht umfaßt sind aber die Schiffsabfälle iSd. 33 U.S.C. § 1322(a)(6) und unter bestimmten Voraussetzungen Einleitungen zur Ölund Gasförderung. Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 9 f. 19 Eine „diffuse Schadstoffquelle" (nonpoint source) ist gesetzlich nicht definiert, wird aber von EPA definiert (EPA, Nonpoint Source Guidance, zit. nach Wiltshire S. 245) als Schadstoffeinleitung von einer nicht als diskrete Schadstoffquelle anzusehenden Quelle, insbesondere durch ablaufendes Wasser im Zusammenhang mit Land- und Forstwirtschaft, Bauarbeiten und städtischer Bebauung. Diese Schadstoffeinleitung muß zu einer menschlich induzierten Veränderung der Beschaffenheit des Wassers führen. 20 Vgl. Fogarty S. 20. 21 Grundwasserverschmutzung ist zwar im CWA nur unvollständig geregelt, wird dafür jedoch von den Staaten reguliert. Unter gewissen Voraussetzungen kann Grundwasser dem Regelungsbereich des CWA unterfallen: wenn es sich um sog. contributary groundwater handelt, d.h. Grundwasser, welches direkt mit Oberflächenwasser zusammenhängt. In diesem Fall hat die Verschmutzung des Grundwas-

D. Überblick über den Clean Water Act (CWA)

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Definition des „Gewässers" unterfällt. Ebenso enthält das Gesetz nur wenig zum Problem des Schutzes der sog. wetlands , d.h. der Sümpfe, Moore etc.; schließlich werden auch die Schadstoffeinleitungen aus Schiffen nur unvollständig erfaßt.

I I I . Das National Pollution Discharge Elimination (NPDES)

System

Das National Pollution Discharge Elimination System (NPDES) ist das umfassende gesetzliche Regelungssystem des C W A 2 2 zur Begrenzung der direkten Schadstoffeinleitung durch diskrete Schadstoffquellen. Es geht hierbei vor allem um die gewerblichen und industriellen Schadstoffeinleiter, die ohne „Umweg" über ein öffentliches Klärwerk ihre Abwässer direkt in Gewässer einleiten. Aber auch andere als gewerbliche bzw. industrielle Einleiter werden erfaßt, z.B. öffentliche Einrichtungen. Nicht unter das NPDES fallen die diffusen Schadstoffquellen und, als zweite große Gruppe von diskreten Schadstoffquellen, die indirekten Einleiter. Der CWA sucht die Schadstoffeinleitung im Rahmen des NPDES vor allem mittels technologiebezogener Grenzwerte (den technology-based limitations oder effluent standards ) zu begrenzen. Sie richten sich vor allem nach den technischen Standards innerhalb einer Industrie-Kategorie und sind bezogen auf den Schadstoffgehalt des Abwassers einer Schadstoffquelle. Je nach Errichtungszeitpunkt der Schadstoffquelle und Schadstoffklasse ist der angelegte technische Maßstab strenger oder laxer. Externe Faktoren wie die Auswirkungen eines Schadstoffes auf Mensch und Natur spielen eine Rolle nur bei der (legislativen) Entscheidung, welcher der verschiedenen technologiebezogenen Grenzwerte heranzuziehen ist. Die Auswirkungen eines Schadstoffes auf Mensch und Natur sind entscheidend beim zweiten Ansatz des CWA zur Begrenzung der Schadstoffeinleitung, den water quality standards. Hierbei handelt es sich um „den rechtlichen Ausdruck der (höchst-)zulässigen Schadstoffmenge in einem bestimmten Abschnitt eines Gewässers." 23 Diese höchstzulässige Schadstoffmenge bezieht sich nicht auf das Abwasser, sondern auf das aufnehmende Gewässer. Werden die jeweiligen Werte überschritten, so hat dies Konsequenzen für die Schadstoffmengen, die durch Abwasser eingeleitet werden dürfen. Nötigenfalls müssen Schadstoffe noch über die strengsten technologiebezogenen Grenzwerte hinaus zurückgehalten werden. sers die gleichen Folgen für das Oberflächengewässer wie dessen direkte Verschmutzung und wird dementsprechend unter das CWA gezogen. Vgl. Quatrochi, 609f., 618 ff. 22 Kodifiziert in 33 U.S.C. § 1342. 23 Vgl. Rodgers S. 343, Fogarty S. 5.

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Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

Die beiden im CWA enthaltenen Ansätze spiegeln unterschiedliche Regelungsphilosophien wider, welche in den USA seit jeher miteinander um die Vorherrschaft ringen: ob nämlich Wasserverschmutzung ein Ausdruck der Freiheit des Menschen ist oder ob es sich hierbei um eine im Grunde moralisch abzulehnende Verhaltensweise handelt 24 . In anderen Worten: ob die regelungsfreie Marktwirtschaft oder die schadstofffreie Gesellschaft die Norm sein soll. Aus diesen unterschiedlichen Grundeinstellungen ergeben sich z.T. bedeutsame Konsequenzen: ob der Kontrollaufwand von den Schadstoffeinleitern oder von der Gesellschaft zu tragen ist, ob eher marktwirtschaftliche oder eher ordnungsrechtliche Regelungsinstrumente einzusetzen sind, ob bei ungewissen Auswirkungen einer Aktivität Zweifel für oder gegen die Zulässigkeit dieser Aktivität sprechen und wer die Beweislast hierfür trägt, ob die Kosten für Schadstoffbegrenzung den Nutzen übersteigen dürfen oder nicht - dies wird von den Anhängern der unterschiedlichen Richtungen unterschiedlich beantwortet 25 . Für den CWA kann festgehalten werden, daß die Anhänger des „moralischen" Ansatzes mit der Dominanz der technologiebezogenen Grenzwerte im NPDES die Oberhand gewonnen haben 26 . Der freiheitliche Ansatz lebt in den water quality standards weiter.

1. Die technologiebezogenen Grenzwerte Die technologiebezogenen Grenzwerte verlangen von allen Schadstoffquellen die Einhaltung bestimmter Grenzwerte, die auf der Grundlage der Leistungsfähigkeit der schadstoffbegrenzenden Technologie in der jeweiligen Industrie-Kategorie ermittelt werden 27 , ohne daß damit eine bestimmte Technik vorgeschrieben würde 28 . Je nach dem bei der Ermittlung angelegten Maßstab (z.B. „guter technischer Durchschnitt" oder das „technisch Beste vom Besten") sind die Grenzwerte strenger oder laxer. Regelungstechnisch hat diese Verfahrensweise den Vorteil, daß über hoch abstrakte Formeln („Wohl der Allgemeinheit") hinaus auf der Ebene des Gesetzes Aussagen über die Strenge der Grenzwerte getroffen werden können, ohne daß die Flexibilität unbestimmter Rechtsbegriffe aufgegeben wird. 24

Hierzu eingehend Rodgers S. 259 ff. Rodgers, S. 259. 26 Vgl. diesen Ausspruch des Gesetzes: ,,[T]he discharge of any pollutant by any person shall be unlawful" (eingeschränkt durch die nach Maßgabe des CWA erlaubten Einleitungen), 33 U.S.C. § 1311(a). S. auch Rodgers S. 260. 27 Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 14, 16. 28 Im „Wie" der Einhaltung der Grenzwerte sind die Betrieb frei, vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 16. 25

D. Überblick über den Clean Water Act (CWA)

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Die Grenzwerte sind mannigfaltig differenziert. Sie unterscheiden sich (natürlich) von Schadstoff zu Schadstoff, wobei Schadstoffe generell in drei Klassen eingeteilt werden: die „konventionellen", die „nicht-konventionellen" und die „toxischen" Schadstoffe 29. Sie unterscheiden sich aber auch (in Bezug auf den gleichen Schadstoff) von industrieller Kategorie zu industrieller Kategorie 30 (wenn z.B. eine bestimmte sehr leistungsfähige Technik in bestimmten Bereichen nicht einsetzbar ist). Das heißt, daß der anwendbare Grenzwert z.B. für Schwebstoffe unterschiedlich sein kann, je nachdem, ob er sich z.B. auf ein Stahlwerk oder auf ein Werk der chemischen Industrie bezieht. Die Grenzwerte unterscheiden sich schließlich innerhalb derselben Industrie-Kategorie nach dem Zeitpunkt der Errichtung der Schadstoffquelle, nämlich danach, ob die Schadstoffquelle als new source oder als existing source anzusehen ist. Das Gesetz unterscheidet vier 3 1 verschiedene Maßstäbe für die technologiebezogenen Grenzwerte: BPT, BCT und BAT für die sog. existing sources und NSPS für die new sources. Hinter diesen Buchstaben verbergen sich die folgenden technischen Maßstäbe.

a) Best Practical Technology Currently

Available - BPT

Die geringsten Anforderungen stellt die best practical control technology currently available (BPT) 3 2 ; diese Grenzwerte galten übergangsweise nach der Einführung des NPDES und waren bis spätestens zum 01.07.1977 einzuhalten. BPT ist der Ausgangspunkt der Schadstoffbegrenzung. Die für eine Industrie-Kategorie anzuwendenden Grenzwerte werden aus dem „Durchschnitt der Besten" gebildet. Der Begriff der „Besten" kann dabei durchaus die Hälfte aller Betriebe innerhalb einer Kategorie oder mehr umfassen 33. Bei der Ermittlung der BPT hat die EPA auch das Verhältnismäßigkeit der Kosten des Einsatzes der schadstoffbegrenzenden Technik zur erzielten Schadstoffreduktion zu beachten 34 . 29 Konventionelle Schadstoffe sind in 33 U.S.C. § 1314(a)(4), toxische Schadstoffe sind in 33 U.S.C. § 1317(a)(1) definiert. Nicht-konventionelle Schadstoffe sind alle Schadstoffe, die weder konventionell noch toxisch sind, vgl. Wardzinski/ Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 49 Fn. 74. 30 Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 14. 31 Nicht hinzugezählt werden an dieser Stelle die pretreatment standards (hierzu unten S. 89 ff.), welche auf die indirekten Schadstoffeinleiter Anwendung finden. Hier geht es nur um die auf direkte Schadstoffquellen anwendbaren Maßstäbe. 32 Vgl. 33 U.S.C. § 1314(b)(1)(B); hierzu Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 17. 33 Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 49 Fn. 64. 34 Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 18.

Teil 1: Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

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b) Best Conventional Pollutant Control Technology - BCT BPT wurde schrittweise ersetzt durch die strengeren 35 Anforderungen der best conventional pollutant control technology (BCT) 3 6 für alle konventionellen Schadstoffe. BCT ist der nächste Schritt der Schadstoffbegrenzung. BCT-Grenzwerte müssen mindestens so streng oder strenger sein als BPT. Ob eine Schadstoffquelle von BPT zu BCT übergehen muß, beurteilt sich nach den Ergebnissen zweier komplexer Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Kosteneffektivität im gegebenen Fall 3 7 . c) Best Available Technology Economically Achievable - BAT Der strengste reguläre technische Maßstab ist die best available technology economically achievable ( B A T ) 3 8 für die nicht-konventionellen und toxischen Schadstoffe. Dieser Maßstab wird gebildet nach den „Besten der Besten" innerhalb einer Industrie-Kategorie, d.h. nach dem Industriebetrieb, der als Vorbild für das technisch Mögliche dienen kann 3 9 . Die Implementierungskosten spielen im Rahmen von BAT eine geringere Rolle als bei BPT und B C T 4 0 Die Schadstoffbegrenzung muß nur „wirtschaftlich erreichbar" (economically achievable) sein. d) New Source Performance

Standards - NSPS

Schließlich gibt es die new source performance standards (NSPS) 41 . Diese ersetzen BPT, BCT und BAT (nur) für die sog. new sources. Definitionsgemäß fallen unter diesen Begriff nur die nach dem Erlaß von NSPSGrenzwerten errichteten neuen Schadstoffquellen 42. Die NSPS regeln umfassend alle Schadstoffe, konventionelle, nicht-konventionelle und toxische. Die NSPS-Grenzwerte können noch strenger sein als BAT, sind diesen aber in der Praxis in der Regel angeglichen 43 . Kosten spielen eine noch geringere Rolle als bei BAT. 35

Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 18. Vgl. 33 U.S.C. § 1314(b)(4)(A). 37 Das erste Verfahren vergleicht die Kosten für BCT mit den Kosten, welche eine Aufrüstung eines öffentlichen Klärwerkes verursachen würde (POTW cost-comparison test); das zweite Verfahren ist der industry cost-effectiveness test. Vgl. hierzu Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 18 f. 38 Vgl. 33 U.S.C. § 1314(b)(2)(B). 39 Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 20. 40 Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 20. 41 Siehe 33 U.S.C. § 1316(b)(1)(B). 42 Siehe 33 U.S.C. § 1316(a)(2). 36

D. Überblick über den Clean Water Act (CWA)

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e) Der Erlaß technologiebezogener Grenzwerte Die im konkreten Fall auf eine Anlage anwendbaren Grenzwerte ergeben sich aus den für eine Industrie-Kategorie erlassenen Abwasserrichtlinien (effluent guidelines ) der EPA 4 4 . Hierbei handelt es sich um legislative rules , welche von der EPA in einem Verfahren des informal rulemaking 45 erlassen werden. Vorbereitend erhebt die EPA detaillierte Informationen über die jeweilige Industrie-Kategorie und wertet diese statistisch aus. Aus diesen Informationen entwickelt sie verschiedene Regelungsalternativen, die sie auf ihre Auswirkungen (Schadstoffreduktion, Kosten, wirtschaftliche bzw. Umweltauswirkungen) hin untersucht. Die Alternative, für die sie sich dann entscheidet, wird in einen konkreten Katalog von Grenzwerten umgesetzt und so in das notice and commerci-Verfahren des informal rulemaking eingebracht. Einwendungen der Öffentlichkeit werden bearbeitet und ggf. in die effluent guidelines eingearbeitet. Schließlich muß EPA die endlich erlassene rule vor Gericht verteidigen 46 . Das Verfahren dauert in der Regel ungefähr fünf Jahre, zuweilen länger. Bisher hat EPA über 50 effluent guidelines erlassen und dadurch über 90.000 Schadstoffquellen erfaßt 47 . f) Best Professional

Judgement - BPJ

Was aber, wenn für eine bestimmte Industrie-Kategorie noch keine effluent guidelines und somit auch keine konkreten Grenzwerte existieren? In diesem Fall ist die genehmigende Behörde gehalten, die Grenzwerte nach ihrer besten sachverständigen Einschätzung (best professional judgement 48) im Einzelfall zu ermitteln und festzusetzen. Dabei sind die gesetzlich vorgegebenen Maßstäbe (BPT, BCT und BAT) ebenso zu beachten wie die sonstigen Faktoren, welche EPA bei der Ermittlung der Grenzwerte zu beachten hätte 49 .

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Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 20. Vgl. 33 U.S.C. § 1314(b); Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 21 f. 45 Vgl. hierzu oben S. 44 ff. 46 Fast alle effluent guidelines wurden vor Gericht angegriffen, vgl. Wardzinski/ Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 22. 47 Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 21. 48 So 33 U.S.C. § 1342(a)(1). 49 Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 22. 44

Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

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2. Die wasserqualitätsbezogenen Grenzwerte Der zweite Ansatz des CWA zum Schutze der Gewässer vor Verschmutzung sind die water quality standards. Bei diesen handelt es sich nicht primär um naturwissenschaftliche Aussagen in Gesetzesform, sondern vor allem um programmatische Aussagen über die gesellschaftlich gewollte Wasserqualität in einem bestimmten Abschnitt eines Gewässers, „den rechtlichen Ausdruck der (höchst-)zulässigen Schadstoffmenge in einem bestimmten Abschnitt eines Gewässers." 50 Erst in einem zweiten Schritt ergeben sich aus diesen Programmaussagen dann konkrete Beschränkungen für die Schadstoffeinleitung. Anwendung finden die wasserqualitätsbezogenen Grenzwerte nur, wenn die technologiebezogenen Grenzwerte keinen ausreichenden Schutz des Gewässers zu vermitteln vermögen 51 . a) Die Water Quality Standards im engeren Sinn Die water quality standards werden nicht von EPA, sondern von den Bundesstaaten erlassen 52. Diese sind verpflichtet, die erwünschte Nutzung ihrer Gewässer sowie (falls erforderlich) die Wege zur Erreichung dieses Ziels festzusetzen. Water quality standards setzen sich aus drei Elementen zusammen: Erstes Element ist die vorgesehene Nutzung («designated use) des Gewässers bzw. Gewässerabschnitts 53. Hierunter fallen Zweckbestimmungen wie z.B. Freizeitnutzung (Schwimmen etc.), Trinkwasserversorgung, Wachstum und Vermehrung von Fischen und anderen Lebensformen, Landwirtschaft und, in besonderen Fällen, die Bestimmung als „Gewässer hoher Qualitat-54 Zweites Element sind Aussagen über den zulässigen Schadstoffgehalt in dem Gewässer (water quality criteria). Diese Aussagen können textlich (z.B. ,free from floating debris , scum and other floating materials ") oder numerisch ("nicht mehr als 200 Mikrogramm Schwebstoffe pro Liter") getroffen werden. Die Aussagen sind grds. nach Schadstoffen zu differenzieren. Drittes Element ist die antide gradation policy , d.h. die Strategie des Bundesstaates gegen eine Verschlechterung der Wasserqualität. 50 51 52 53

S. 26. 54

Vgl. Rodgers S. 343, Fogarty S. 5. Vgl. 33 U.S.C. § 1312(a). Vgl. 33 U.S.C. § 1313(a) und (c). Hierzu Rodgers S. 344 f.; Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey Sog. high quality aquatic habitats , die vornehmlich dem Naturschutz dienen.

D. Überblick über den Clean Water Act (CWA)

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Die water quality standards werden zwar von den Bundesstaaten entwikkelt; sie sind aber EPA zur Genehmigung vorzulegen. Dadurch wird z.B. sichergestellt, daß die standards eines stromaufwärts liegenden Bundesstaates nicht die eines stromabwärts liegenden Bundesstaates beeinträchtigen. Alle drei Jahre sind die Bundesstaaten zur Überprüfung und Anpassung ihrer water quality standards gehalten. b) Die Umsetzung der Water Quality Standards in Beschränkungen für die Schadstoffeinleitung Wenn für ein Gewässer water quality standards existieren, so können daraus ggf. über die technologiebezogenen Grenzwerte hinaus Beschränkungen für die Schadstoffeinleitung hergeleitet werden. Dies kann zum einen geschehen durch Erlaß einer Verordnung durch EPA, also auf Bundesebene, 33 U.S.C. § 1312(a). Diese Ermächtigung wird jedoch kaum genutzt 55 ; sie stellt auch einen Fremdkörper im System der grundsätzlich den Bundesstaaten überlassenen water quality standards dar. Bedeutsamer ist die Umsetzung über die Festsetzung einer sog. total maximum daily load ( T M D L ) 5 6 . Diese T M D L werden von den Bundesstaaten für die Gewässer entwickelt, welche trotz des Einsatzes der technologiebezogenen Grenzwerte die water quality standards nicht einhalten. Sie setzen für diese Gewässer zunächst pro Schadstoff die höchstzulässige Menge fest 57 , mit der die water quality standards eingehalten werden können und teilen diese dann unter die Schadstoffquellen auf. Aus der Schadstoffmenge, welche auf eine konkrete Schadstoffquelle entfällt, ergibt sich dann der einzuhaltende wasserqualitätsbezogene Grenzwert des Abwassers im konkreten Fall. T M D L können nur entwickelt werden, wenn zuvor sowohl water quality standards als auch technologiebezogene Grenzwerte erlassen wurden 58 . Die Wirtschaftlichkeit oder die technische Erreichbarkeit des Grenzwertes spielen bei seiner Entwicklung grundsätzlich keine Rolle 5 9 . T M D L sind vor allem für konventionelle und nicht-konventionelle Schadstoffe vorgesehen 60. 55

Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 34. Vgl. 33 U.S.C. § 1313(d). 57 Dabei ist eine margin of safety einzuhalten, um mögliche Wissensdefizite abzugleichen; Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 36. 58 Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 38 f. 59 Vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGaffey S. 36. 60 Wenn auch EPA der Ansicht ist, TMDL auch für toxische Schadstoffe erlassen zu dürfen, vgl. 43 Fed. Reg. 60.662 (29.02.1978), zit. nach Wardzinski/Sandalow/ Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 54 Fn. 178. Anderer Ansicht in einem obiter dictum Natural Resources Defense Council v. EPA, 915 F.2d 1314, 1321 (9th Circ. 1990). 56

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Teil 1 : Citizen Suits im US-Amerikanischen Recht

Für die toxischen Schadstoffe erfolgt die Umsetzung der water quality standards über die sog. individual control strategies (ICS) 6 1 . Der CWA verlangt von den Bundesstaaten, diejenigen Gewässer zu ermitteln, welche aufgrund von Schadstoffeinleitungen trotz Anwendung der technologiebezogenen Grenzwerte die jeweiligen water quality standards bzgl. toxischer Schadstoffe nicht einhalten und diese Gewässer in Listen aufzuführen 62 . Sodann sind alle diskreten Schadstoffquellen, welche zur Überschreitung der standards führen, inklusive der jeweils ausgestoßenen Schadstoffmengen zu ermitteln und aufzulisten 63 . Jede aufgelistete Schadstoffquelle muß nun zusammen mit EPA eine individual control strategy erarbeiten, welche mit den ICS der anderen Schadstoffquellen geeignet ist, innerhalb dreier Jahre die Einhaltung der water quality standards für toxische Schadstoffe zu gewährleisten 64 . Konkret bedeutet dies eine Änderung der NPDES-Genehmigung der betroffenen Anlage.

3. Das NPDES-Genehmigungsverfahren sowie Inhalt, Änderung und Anfechtung der Genehmigung Ohne eine Genehmigung ist jede Einleitung von Schadstoffen grundsätzlich verboten 65 . Um den Gewässerschutz zu gewährleisten wird eine diskrete, direkt einleitende Schadstoffquelle eine Genehmigung unter dem NPDES nur erhalten, wenn diese die oben beschriebenen technologie- und wasserqualitätsbezogenen Grenzwerte enthält. Das Genehmigungsverfahren ist dabei ein Verfahren der informal adjudication , durchgeführt von der EPA oder, wenn diese Rechtsmacht einem Bundesstaat übertragen wurde 6 6 , von der jeweiligen agency dieses Bundesstaates.

a) Der Antrag und das Verfahren Es gibt zwei Arten von Genehmigungen, mit denen der Betreiber einer Anlage die Erfordernisse des CWA erfüllen kann: individuelle NPDES-Genehmigungen und allgemeine NPDES-Genehmigungen 67 . 61

Vgl. 33 U.S.C. § 1314(1). Die sog. A- und B-Listen, s. hierzu Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/ McGaffey S. 40 f. 63 Die sog. C-Liste, vgl. Wardzinski/Sandalow/Burgin/Ginsberg/McGajfey S. 41. 64 Vgl. 33 U.S.C. § 1314(1)(1)(D). 65 ,,[T]he discharge of any pollutant by any person shall be unlawful" (eingeschränkt durch die nach Maßgabe des CWA genehmigten Einleitungen), 33 U.S.C. § 1311(a). 66 Hierzu unten S. 94 ff. 62

D. Überblick über den Clean Water Act (CWA)

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Das individuelle Genehmigungsverfahren beginnt mit dem Antrag, der spätestens 180 Tage vor Beginn des Anlagenbetriebs vollständig eingereicht worden sein muß 6 8 . Der Antrag muß eine Reihe von Angaben enthalten, insb. zur Art der Anlage, zu den sonstigen erteilten Genehmigungen und zu der die NPDES-Genehmigung erfordernden Tätigkeit im Betrieb 69 . Die EPA prüft die Vollständigkeit der Unterlagen und fordert ggf. fehlende Angaben nach. Sie trifft sodann eine erste Entscheidung zur Genehmigunsfähigkeit des Antrags 70 . Wenn sie die Genehmigung ablehnen will, benachrichtigt sie den Antragsteller und die Öffentlichkeit. Wenn sie die Genehmigung erteilen möchte, so erstellt sie einen Genehmigungsentwurf, der unter Angabe der Grenzwerte und aller wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen, methodischen und sonstigen Problembereiche mittels notice veröffentlicht wird 7 1 . Auch der jeweilige Bundesstaat wird beteiligt: er muß mittels der state certification bescheinigen, daß die geplante Genehmigung das einschlägige Recht des Bundesstaates einhält 72 . Ohne diese Aussage oder einen Verzicht hierauf (waiver ), darf EPA keine Genehmigung 73 erteilen. Ferner darf der Bundesstaat, wenn er die Genehmigung nur in modifizierter Form zulassen will, Auflagen und Grenzwerte entsprechend seinen Gesetzen selber festlegen 7 4 . Zulässig sind auch Auflagen, die „andere angemessene Anforderungen des Landes[wasser]rechts" umsetzen (33 U.S.C. § 1341(s)) 75 . 67

Im nachfolgenden soll es nur um die individuelle Genehmigung gehen, denn nur bei dieser wird das volle Genehmigungsverfahren durchgeführt. Die allgemeine Genehmigung ist eine in der Form der legislative rule erlassene Genehmigung, die eine ganze Gruppe oder Kategorie gleichartiger Anlagen umfaßt. Um eine solche Genehmigung zu erhalten, muß der Anlagenbetreiber, dessen Anlage einer solchen Gruppe oder Kategorie zuzuordnen ist, nur eine Anzeige an EPA schicken, welche gewisse Informationen zu seiner Anlage enthalten muß. Inhaltlich unterscheidet sich eine allgemeine Genehmigung nicht von einer individuellen Genehmigung; sie enthält insbesondere alle Grenzwerte und sonstigen Anforderungen an die Anlage, welche auch in einer individuellen Genehmigung enthalten sind. Die allgemeine Genehmigung wurde von EPA als verfahrensrechtliches Instrument entwickelt, um die Menge der Genehmigungsverfahren auf die wirklich problematischen Fälle zu reduzieren. EPA kann, wenn sie es für erforderlich erachtet, den Anlagenbetreiber anhalten, um eine individuelle Genehmigung nachzusuchen. 68 Fogarty S. 10; Wardzinski/Wiltshire/Fastenau S. 60. 69 Wardzinski/Wiltshire/Fastenau S. 61. 70 Wardzinski/Wiltshire/Fastenau S. 72 f. 71 Wardzinski/Wiltshire/Fastenau S. 73. 72 Hierzu können Fristen gesetzt werden, deren ergebnisloses Verstreichen als Verzicht gilt. Vgl. Wardzinski/Wiltshire/Fastenau S. 75 ff. 73 Dies gilt ebenso für neue Genehmigungen wie für wesentliche und unwesentliche Modifikationen. Bei Modifikationen hat der Bundesstaat zudem die Möglichkeit, über die zu ändernden Bestandteile der Genehmigung hinaus Änderungen zu fordern. Vgl. Hill S. 28. 6 Elshorst

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Die Auflagen und Änderungen sind in der state certification unter Verweis auf die Rechtsgrundlage und unter Hinweis darauf, inwiefern EPA hiervon abweichen darf, im einzelnen aufzuführen. Allgemeine Ausführungen ohne Bezug zum korrekten Fall gelten als Verzicht des Bundesstaates auf seine Rechte. Hält sich der Bundesstaat an die Voraussetzungen, so muß EPA den Inhalt des certificate ungeprüft in die NPDES-Genehmigung übernehmen 76 , wenn nicht ein „klarer Rechtsverstoß" vorliegt 77 . Auf die notice hin können 30 Tage lang Einwendungen gegen die Genehmigung vorgebracht und ggf. schriftlich eine öffentliche Anhörung beantragt werden (