Bürgenschutz durch Gläubigerdiligenz?: Zu den Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers gegenüber dem Bürgen [1 ed.] 9783428505197, 9783428105199

Seit langem kontrovers diskutiert wird die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang der Bürge vor den Folgen seiner Bürgscha

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Bürgenschutz durch Gläubigerdiligenz?: Zu den Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers gegenüber dem Bürgen [1 ed.]
 9783428505197, 9783428105199

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STEPHAN DREISMANN

Bürgenschutz durch Gläubigerdiligenz?

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 255

Bürgenschutz durch Gläubigerdiligenz? Zu den Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers gegenüber dem Bürgen

Von Stephan Dreismann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Dreismann, Stephan:

Bürgenschutz durch Gläubigerdiligenz? : zu den Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers gegenüber dem Bürgen / Stephan Dreismann. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 255) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10519-2

Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10519-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern in Dankbarkeit

Vorwort Die nachfolgende Arbeit hat als Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln vorgelegen. Sie wurde im wesentlichen in den Jahren 1998 und 1999 erstellt und befand sich zum Zeitpunkt der Abgabe auf dem Stand des 30.04.1999. Zum Zwecke der Veröffentlichung habe ich sie aktualisiert, so daß nunmehr Rechtsprechung und Literatur berücksichtigt sind, soweit diese bis zum 31.12.2000 veröffentlicht wurden. Anläßlich der Promotion gilt meine dankbare Erinnerung Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Alexander Lüderitz, an dessen Lehrstuhl ich während meines Studiums vier Jahre lang arbeiten durfte und der mein Interesse am Kreditsicherungsrecht geweckt hat. Er verstarb viel zu früh im Sommer 1998, ohne die Vollendung der von ihm mitangeregten Arbeit erleben zu können. Ich danke Herrn Professor Dr. Hanns Prütting für die spontane Bereitschaft, die Betreuung meiner Dissertation nach dem Tod von Herrn Professor Lüderitz zu übernehmen. Ich habe mich bei ihm und seinem Institut gut aufgehoben gefühlt. Herrn Professor Dr. Lieb bin ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens verbunden. Danken möchte ich ferner meinen Sozien der Rechtsanwaltskanzlei Hüttemann Nickel & Hoepner aus Leverkusen-Schlebusch. Sie haben mir nicht nur die Möglichkeit geboten, mein Promotionsvorhaben neben dem Berufseinstieg zu verwirklichen, sondern in besonderer Weise Geduld und Verständnis für die Befindlichkeiten eines Doktoranden bewiesen. Hervorheben möchte ich Herrn Rechtsanwalt Dr. Helmut Söll, dem ich für zahlreiche erhellende Gespräche danke, sowie meinen Freund und Kollegen Dr. Dominik Herfs für seine tatkräftige Unterstützung bei der EDV-mäßigen Erstellung der Textendfassung. Ein letzter und besonderer Dank gilt meinen Eltern. Ihre stete Unterstützung während meiner gesamten Schul- und Berufsausbildung sowie die vielseitige Förderung, die mir durch sie zuteil wurde, haben diese Arbeit erst ermöglicht. Bergisch Gladbach, im Januar 2001

Stephan Dreismann

Inhaltsverzeichnis Einleitung

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Erster Teil Das Schuldverhältnis und seine Pflichten

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A. Das Schuldverhältnis I. Der Begriff des Schuldverhältnisses II. Die rechtliche Struktur des Schuldverhältnisses 1. Der obligatorische Charakter 2. Der Relativitätsgrundsatz 3. Die Verknüpfungsfunktion III. Die schuldrechtlichen Entstehungstatbestände 1. Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäft und kraft gesetzlicher Bestimmung . 2. Das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen

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B. Das Pflichtenprogramm im Schuldverhältnis I. Die Einteilung schuldrechtlicher Pflichten 1. Hauptleistungpflichten a) Die Ambivalenz des Leistungsbegriffes b) Leistung als „geschuldetes Verhalten" c) Die typusbestimmenden Pflichten 2. Nebenpflichten a) Rechtsgrundlagen b) Die Einteilung der Nebenpflichten aa) Schutzpflichten und leistungsbezogene Nebenpflichten bb) Nebenleistungspflichten und unselbständige Nebenpflichten c) Terminologie d) Arten von Nebenpflichten aa) Leistungsbezogene Nebenpflichten (1) Schutzzweck und Geltungsgrund (2) Typen leistungsbezogener Nebenpflichten (a) Mitwirkungspflichten (b) Leistungstreuepflichten

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bb) Schutzpflichten

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(1) Schutzzweck und Geltungsgrund (2) Inhalt (3) Einheitliches gesetzliches Schutzpflichtverhältnis? cc) Informationspflichten (1) Schutzzweck und Geltungsgrund

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nsverzeichnis (2) Typen von Informationspflichten 47 (a) Auskunftspflichten 47 (b) Rechenschaftspflichten 47 (c) Aufklärungs- und Mitteilungspflichten 48 (aa) Vorvertragliche Aufklärungspflichten 48 (bb) Vertragliche Mitteilungspflichten 50 (d) Wahrheitspflicht 50 (e) Pflicht zur Verhandlungstreue 51 3. Obliegenheiten 52 II. Die Sanktionierung schuldrechtlicher Pflichten 52 1. „Klagbarkeit" 52 a) Vertraglich vereinbarte Pflichten 53 b) Gesetzlich vorgesehene Pflichten 53 c) Nebenpflichten aus Treu und Glauben 53 aa) Informationspflichten 54 bb) Leistungsbezogene Nebenpflichten 54 cc) Schutzpflichten 56 d) Obliegenheiten 56 2. Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen 57 a) Hauptleistungspflichten 57 b) Nebenpflichten 57 aa) Vorvertragliches Schuldverhältnis 57 (1) Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo 57 (a) Verletzung der allgemeinen Schutzpflichten 57 (b) Verletzung der Pflicht zur Verhandlungstreue 58 (c) Verletzung einer Aufklärungspflicht 58 (d) Verletzung der Wahrheitspflicht 60 (2) Weitere Ansprüche und Rechte 61 (a) Deliktische Schadensersatzansprüche 61 (b) Anfechtungsrecht nach § 123 BGB 61 (c) Einrede der unzulässigen Rechtsausübung 61 bb) Vertragliche oder gesetzliche Schuldverhältnisse 62 (1) Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung 62 62 (2) Rückwirkungen auf den Anspruch auf die Hauptleistung (3) Einrede der unzulässigen Rechtsausübung 63 (4) Vertragsliquidierung 63 c) Obliegenheiten 64 Zweiter Teil Die Bürgschaft als schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft

A. Das Wesen der Bürgschaft I. Die Stellung des Bürgschaftsvertrages im Gesetz II. Die Rechtsnatur des Bürgschaftsvertrages III. Rechtliche und wirtschaftliche Funktionen der Büigschaft

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nsverzeichnis IV. Abgrenzung zu verwandten Sicherungsgeschäften B. Die Rechtsverhältnisse zwischen den Beteiligten I. Gläubiger und Bürge 1. Zustandekommen des Bürgschafts Vertrages a) Vertragsschluß zwischen Gläubiger und Bürge b) Vertrag zugunsten Dritter 2. Beendigung des Bürgschaftsvertrages a) Erlöschen der Hauptschuld b) Partei Wechsel c) Kündigung oder Widerruf der Bürgschaftserklärung II. Gläubiger und Schuldner III. Bürge und Schuldner C. Die I. II. III.

wesentlichen Grundsätze des Bürgschaftsrechtes Das Akzessorietätsprinzip Die Subsidiarität der Bürgschaft Die Vorläufigkeit der Bürgenhaftung

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D. Die Arten der Bürgschaft I. Reguläre Bürgschaft, selbstschuldnerische Bürgschaft und Ausfallbürgschaft .. II. Kreditbürgschaft und Kontokorrentbürgschaft III. Höchstbetrags-und Teilbürgschaft IV. Sonstige Bürgschaftsformen

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E. Die Pflichten der Parteien des Bürgschaftsvertrages I. Die Bürgenpflichten II. Gläubigerpflichten?

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Dritter Teil Die Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers in der wissenschaftlichen Diskussion

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A. Die Entscheidung des historischen Gesetzgebers I. Der Inhalt der Gesetzgebungsmaterialien 1. Der Dresdener Entwurf von 1866 2. Die 1. Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches 3. Die Kommission für die 2. Lesung des Entwurfes des Bürgerlichen Gesetzbuches II. Die Aussagekraft der Gesetzgebungsmaterialien 1. Die Kritik an der getroffenen Wertentscheidung 2. Werteverschiebung im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens? 3. Unverbindlichkeit infolge Gesetzesauslegung? 4. Die Reichweite der gesetzgeberischen Entscheidung

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B. Die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansichten I. Die Rechtsprechung

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nsverzeichnis 1. Die herkömmliche Auffassung a) Die Ablehnung von „Sorgfaltspflichten auch als Nebenpflichten" b) Die Bindung an Treu und Glauben, §242 BGB 2. Wandel der Rechtsprechung? II. Der Meinungsstand in der Literatur 1. Die der Rechtsprechung folgende Literaturansicht 2. Die Gegenauffassung von den Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers ... 3. Die differenzierende Ansicht 4. Die Auffassung von den erweiterten Aufklärungspflichten des Bürgschaftsgläubigers, insbesondere zur Überwindung von Situationen struktureller Vertragsdisparität

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C. Die eigene Auffassung 111 I. Die Bewertung der wesentlichen Argumentationslinien von Rechtsprechung und Literatur 111 1. Die Vernachlässigung der dogmatischen Herleitung von Nebenpflichten in Schuldverhältnissen 111 2. Die gegen die Existenz von Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers erhobenen Einwände 112 a) Der Regelungsgehalt der § § 765 ff BGB, insbesondere der Ausnahmecha113 rakter des § 776 BGB b) Die Einordnung der Bürgschaft in die Gruppe der einseitig verpflichtenden Verträge 114 c) Die Beeinträchtigung des Sicherungszweckes der Bürgschaft 117 d) Die Entwertung der Bürgschaft als Kreditsicherungsmittel 119 3. Die für das Bestehen von Gläubigerpflichten angeführten Argumente 120 a) Das Verbot eines bürgschaftsvertraglichen Nachlässigkeitsspielraumes . 120 b) Die fehlende Einstandspflicht des Bürgen für das Gläubigerverhalten ... 123 c) Das eigene Gläubigerinteresse 124 d) Die Rechtsstellung des Bürgen 124 4. Die Differenzierung zwischen Gläubigerpflichten vor und nach Vertragsschluß 125 5. Erweiterte Aufklärungspflichten des Gläubigers als Instrument des Bürgenschutzes 126 a) Die herkömmlichen Begründungsansätze 127 b) Aufklärungspflichten zur Überwindung von Situationen struktureller Vertragsdisparität 128 aa) Die Gebotenheit der Bürgenaufklärung 128 bb) Die Tauglichkeit der Bürgenaufklärung 129 (1) Die fehlende Geschäftserfahrung als pflichtenbegründendes Kriterium 129 (2) Die Überwindbarkeit der Vertragsdisparität 132 II. Grundsätze der Anerkennung von Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers .. 135 1. Der dogmatische Ansatz 135 2. Die bürgschaftsspezifischen Parameter 137 a) Der Erklärungsgehalt des Verlangens nach der Bürgschaft 138 aa) Das Verhalten des Gläubigers gegenüber dem Bürgen 139 bb) Die wirtschaftliche Lage des Hauptschuldners 139

nsverzeichnis b) Das Vorgehen des Gläubigers gegen den Hauptschuldner und dritte Sicherungsgeber 140 aa) Die selbstschuldnerische Bürgschaft 140 bb) Die reguläre Bürgschaft 142 cc) Die Ausfallbürgschaft 142 c) Sicherungszweck und Risikoübernahme 143 aa) Die Respektierung der Risikoverteilung durch das Pflichtenprogramm 144 bb) Der Inhalt der Risikoübernahme 145 cc) Die Auflösung von Interessengegensätzen 148 d) Die Eigenverantwortlichkeit des Bürgen 148 aa) Die Schutzverantwortung 149 bb) Die Informationsverantwortung 150 e) Die Subsidiarität von Nebenpflichten gegenüber gesetzlichen Schutzinstrumenten 151 Vierter

Teil

Die Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers in der Einzelbetrachtung A. Gläubigerpflichten im Vertragsanbahnungsverhältnis I. Allgemeine Schutzpflichten II. Informationspflichten 1. Das Verhältnis vorvertraglicher Informationspflichten zu dem Bankgeheimnis a) Grundlagen und Umfang des Bankgeheimnisses b) Grenzen des Bankgeheimnisses c) Die Kollision zwischen Bankgeheimnis und Informationspflicht aa) Herrschende Meinung: Interessenabwägung bb) Eigene Auffassung: Befreiung oder Ablehnung 2. Die vorvertraglichen Gläubigerpflichten zur Information im einzelnen a) Die Wahrheitspflicht b) Aufklärungspflichten aa) Grundsatz: Keine Aufklärungspflicht bb) Mögliche Ausnahmen (1) Aufklärungspflichten gegenüber jedem Bürgen (a) Einzelheiten aus dem Hauptschuldverhältnis (b) Weitere Verbindlichkeiten (c) Sonstige Sicherheiten (d) Besonderheiten der Vertragsgestaltung (aa) Haftung für Nebenkosten der Hauptforderung (bb) Besonders hohes Haftungsrisiko (cc) Bürgschaft auf erstes Anfordern (2) Aufklärungspflichten bei Wissensdefiziten des Bürgen über sein „erhöhtes" Bürgschaftsrisiko (a) Aufklärungspflichten bei einem von dem Gläubiger veranlaßten Bürgenirrtum

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nsverzeichnis (aa) Die in Rechtsprechung und Literatur herrschende Auffassung (bb) Kritik der herrschenden Meinung (b) Aufklärungspflichten bei sonstigen Wissensunterschieden .. (aa) Die herrschende Meinung: Aufklärungspflicht bei erkanntem Irrtum oder Wissensvorsprung (bb) Die Gegenmeinung: Aufklärungspflicht nur bei fehlendem Informationszugang des Bürgen (cc) Der eigene Ansatz α) Kritik der vertretenen Meinungen ß) Die Lösung: Aufklärungspflicht nur bei vertragsuntypischen Risiken αα) Risiken jenseits der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und des Leistungswillens des Hauptschuldners ßß) Der bevorstehende wirtschaftliche Zusammenbruch des Hauptschuldners (3) Aufklärungspflichten bei besonders engen Beziehungen zwischen Gläubiger und Bürge (a) Laufende Geschäftsbeziehungen (b) Überschreitung der Rolle als Bürgschaftsgläubiger (4) Aufklärungspflichten gegenüber bestimmten Bürgengruppen ... (a) Der geschäftsunerfahrene Bürge (b) Der mittellose Bürge (c) Ehegatte oder Lebenspartner des Hauptschuldners als Bürge c) Auskunftspflichten aa) Der Meinungsstand bb) Die eigene Auffassung d) Pflicht zur Verhandlungstreue III. Pflichten zur Bonitätsprüfung IV. Ablehnungspflichten

B. Gläubigerpflichten nach Abschluß des Bürgschaftsvertrages I. Mitwirkungspflichten 1. Mitwirkung bei genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäften 2. Pflicht zur Annahme der Bürgenleistung II. Allgemeine Schutzpflichten III. Schutzpflichten bei der Schuldabwicklung 1. Kollusives Zusammenwirken mit dem Schuldner 2. Kreditierung des Hauptschuldners a) Außerhalb der Deckung durch die Bürgschaft b) Im Haftungsrahmen der Bürgschaft aa) Konkludente Übernahme einer Nebenpflicht bei Bürgschaften für künftige Verbindlichkeiten bb) Einschränkende Auslegung der Bürgschaft cc) Diligenzpflicht aus Treu und Glauben (1) Die Ansicht der Rechtsprechung (2) Die Auffassung der Literatur

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nsverzeichnis (3) Die eigene Meinung 211 c) Bei einer Ausfallbürgschaft 216 3. Die Verwendung des Kredites durch den Hauptschuldner 216 4. Die treuwidrige Herbeiführung des Büigschaftsfalles 219 a) Die Verhinderung der Schuldtilgung 220 aa) Die Nichtannahme von Tilgungsleistungen 220 (1) Bei einer regulären oder selbstschuldnerischen Bürgschaft 220 (2) Bei einer Ausfallbürgschaft 222 bb) Die Veranlassung des Schuldners oder eines Dritten, die Hauptschuld nicht zu erfüllen 223 cc) Die „Verrechnung" von Schuldnerleistungen auf ungesicherte Forderungen und die Aufrechnung des Gläubigers mit solchen Ansprüchen 227 b) Die Veranlassung des Schuldnerzusammenbruches 227 aa) Bei einer regulären oder selbstschuldnerischen Bürgschaft 228 bb) Bei einer Ausfallbürgschaft 230 5. Sonstige Pflichten bei der Schuldabwicklung 231 a) Erwerb weiterer Forderungen gegen den Hauptschuldner 231 b) Verhinderung von Risikoerhöhungen durch Dritte 232 6. Einrede der unzulässigen Rechtsausübung 232 IV. Vertragliche Informationspflichten 233 1. Das Verhältnis vertraglicher Informationspflichten zu dem Bankgeheimnis . 233 2. Die vertraglichen Gläubigerpflichten zur Information im einzelnen 235 a) Die Wahrheitspflicht 235 b) Mitteilungspflichten 236 aa) Der Meinungsstand 236 bb) Die eigene Auffassung 237 (1) Kritik der vertretenen Ansichten und Grundsätze der Anerkennung von Mitteilungspflichten 237 (2) Fallgruppen möglicher Mitteilungspflichten des Bürgschaftsgläubigers 241 (a) Erfüllung der Hauptschuld und wirtschaftliche Entwicklung des Hauptschuldners 241 (b) Veränderungen im Hauptschuldverhältnis 244 (aa) Weitere Kreditgewährung 244 (bb) Sonstige Entwicklungen im Hauptschuldverhältnis 245 (c) Bestehen der Bürgschaft 246 (d) Wissensunterschiede mit Bezug zu dem Risiko der Bürgschaft 248 (e) Überschreitung der Rolle als Bürgschaftsgläubiger 249 (f) Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Hauptschuldner und Inanspruchnahme anderweitiger Sicherheiten 249 (aa) Analoge Anwendung von § 1166 BGB? 249 α) Der Streitstand 250 ß) Die eigene Meinung 251 (bb) Mitteilungspflicht aus Treu und Glauben 252 c) Auskunftspflichten 253

nsverzeichnis aa) Der Meinungsstand bb) Die eigene Auffassung (1) Grundsätze eines Auskunftsanspruches des Bürgen gegen den Gläubiger (a) Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung (b) Möglichkeiten des Bürgenrückgriffes (c) Befreiungsanspruch nach § 775 BGB (d) Einwendungen gegen die Bürgschaftsforderung (e) Kündigungsrechte des Bürgen (2) Die auskunftspflichtigen Tatsachen im einzelnen (a) Der Stand der Hauptschuld (b) Der Stand der Bürgschaftsschuld (c) Sonstige Umstände aus dem Hauptschuldverhältnis (d) Die wirtschaftliche Lage des Hauptschuldners (e) Besondere Auskunftspflichten des Gläubigers einer regulären Bürgschaft (f) Besondere Auskunftspflichten des Gläubigers einer Ausfallbürgschaft (g) Voraussetzungen der §§ 768,770,776 BGB (h) Bestehen und Inhalt anderweitiger Sicherheiten (i) Auskunftsanspruch bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Mitteilungspflicht? Schutzpflichten bei der Rechtsverfolgung gegenüber dem Hauptschuldner 1. Ausfallbürgschaft 2. Reguläre und selbstschuldnerische Bürgschaft a) Der Meinungsstand aa) Die herrschende Ansicht bb) Die Gegenauffassungen cc) Stellungnahme zu den vertretenen Meinungen (1) Keine Gläubigerpflichten bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft (2) Keine Gläubigerpflichten bei der regulären Bürgschaft b) Grundsatz: Keine Diligenzpflichten c) Mögliche Ausnahmen aa) Schadensminderungspflicht bei Vertragsverletzungen des Hauptschuldners (1) Der Meinungsstand (2) Stellungnahme (a) Der Vorrang der Dispositionsfreiheit des Bürgschaftsgläubigers (b) Die Möglichkeiten des Bürgen zum Selbstschutz (aa) Bei Kreditbürgschaften (bb) Bei Bürgschaften für Ansprüche aus Gebrauchsüberlassungsverträgen bb) Aufrechnungspflicht bei Vermögensverfall cc) Rücksichtnahmeverpflichtung bei Stundung der Hauptforderung ... dd) Anmeldung der Hauptforderung zur Insolvenztabelle

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nsverzeichnis ee) Nebenpflicht bei Hinweisen des Bürgen VI. Schutzpflichten bei der Behandlung weiterer Sicherungsrechte 1. Ausfallbürgschaft 2. Reguläre und selbstschuldnerische Bürgschaft a) Aufgabe einer Sicherheit durch den Gläubiger, § 776 BGB aa) Erfaßte Sicherungsrechte bb) „Aufgeben" i.S.d. §776 S.l BGB (1) Nur aktives Tun oder auch passives Verhalten? (2) Nur Vorsatz oder auch Fahrlässigkeit? (3) Zusammenfassung zum Begriff der „Aufgabe" einer Sicherheit (a) Aufgabe im Rahmen der Erhaltung (b) Aufgabe im Rahmen der Verwertung cc) Verlust einer Ersatzmöglichkeit des Bürgen dd) Abdingbarkeit des §776 BGB (1) Durch Individualvertrag (2) Durch Formularvertrag b) Bürgenschutz jenseits des §776 BGB aa) Bürgeneinreden gem. § 76811 BGB und § 770 II BGB bb) Weiterreichende Diligenzpflichten? cc) Verbot willkürlichen Gläubigerhandelns C. Pflichten des Bürgschaftsgläubigers nach Ausgleich der Bürgschaftsforderung I. Technische Mitwirkungspflichten 1. Übertragung nichtakzessorischer Sicherungsrechte 2. Herausgabe von Sicherungsgut 3. Übergabe von Unterlagen II. Informationspflichten 1. Auskunftspflichten 2. Mitteilungspflichten

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Fünfter Teil Die Sanktionierung der Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers

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A. Klagbarkeit

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B. Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen I. Verstöße gegen Nebenpflichten aus dem VertragsanbahnungsVerhältnis 1. Verletzung der allgemeinen Schutzpflicht 2. Verstoß gegen die Pflicht zur Verhandlungstreue 3. Aufklärungspflichtverletzungen und Verstöße gegen die vorvertragliche Pflicht zur Wahrheit a) Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo aa) Anspruchsinhalt bb) Kausalitätsnachweis cc) Anforderungen an das Verschulden b) Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, § 123 BGB c) Deliktischer Schadensersatzanspruch

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nsverzeichnis d) Einrede der unzulässigen Rechtsausübung 314 e) Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrages, § 138 BGB 315 f) Verhältnis der verschiedenen Rechtsfolgen 316 II. Pflichtverletzungen nach Abschluß des Bürgschaftsvertrages 318 1. Verletzung der allgemeinen Schutzpflicht 318 2. Verstoß gegen eine Mitwirkungspflicht 318 3. Diligenzpflichtverletzungen des Bürgschaftsgläubigers 318 a) Selbstschuldnerische und reguläre Bürgschaft 318 aa) Die Rechtsnatur der Diligenzpflichten 319 bb) Die Rechtsfolgen im einzelnen 321 (1) Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung 321 (a) Anspruchsinhalt 321 (b) Kausalitätsnachweis 323 (c) Anforderungen an das Verschulden 323 (2) Weitere Rechtsfolgen 323 b) Ausfallbürgschaft 324 aa) Der Meinungsstand 324 bb) Die eigene Auffassung 325 (1) Verstoß gegen Nebenpflichten bei der Rechtsverfolgung und Verwertung anderer Sicherheiten 325 (2) Verletzung von Informationspflichten 326 Sechster Teil Ergebnisse der Untersuchung

327

Literaturverzeichnis

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Sachwortverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis a. Α. ABGB AcP AGB AGB-Banken AGBG AGB-Sparkassen AktG AP Art. AT Aufl. BAG BAGE BauR BayOblG BayOblG BB Begr. BGB BGH BGHZ BHO Bl. BörsG Bsp. BT BVerfG BVerfGE BVerwG bzw. DB ders. dies. DNotZ d. h. dresd. 2*

anderer Ansicht Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen der Banken Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen der Sparkassen Aktiengesetz Arbeitsrechtliche Praxis Artikel Allgemeiner Teil Auflage Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Baurecht Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichtes in Zivilsachen Der Betriebs-Berater Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Blatt Börsengesetz Beispiel(e) Besonderer Teil Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise Der Betrieb derselbe dieselbe(n) Deutsche Notar-Zeitschrift das heißt dresdener

20 EG EGInsO Einf. Einl. EuGH EWG EwiR f FamRZ ff FN FS GB GenG gem. GG ggf. GK GmbH GmbHG GOA grds. HaustWG Hdb. HGB h. L. h. M. HRR Hrsg. HS i. d. R. InsO i.S.d. i.S.e. i. V. m. i. w. S. JA JurBl JuS JZ Kap. KG KO KRG KWG

Abkürzungsverzeichnis Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Einführung Einleitung Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fortfolgende Fußnote Festschrift Gesetzbuch Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Großkommentar Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Geschäftsführung ohne Auftrag grundsätzlich Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften Handbuch Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber Halbsatz in der Regel Insolvenzordnung im Sinne des im Sinne eines in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kammergericht Konkursordnung Kontrollratsgesetz Gesetz über das Kreditwesen

Abkürzungsverzeichnis LG Lit. LM MDR Mot. MünchKomm m. w. N. NJW NJW-RR Nr. nv NZA OLG OLG-Rep. PflVG Prot. Rdn. RG RGRK RGZ Rspr. S. S. s. ScheckG SchuldR Schufa SchweizOR SeuffA sog. StVG u. a. Überbl. Urt. u. U. v. VerbrKrG Verf. VerglO VerlG VersR vgl. VO Vorbem.

Landgericht Literatur Lindenmaier-Möhring Monatsschrift für Deutsches Recht Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Oberlandesgericht OLG Report Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs Randnummer Reichsgericht Reichsgerichtsrätekommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtsprechung Seite(n) (in Verbindung mit Literaturnachweisen) Satz (in Verbindung mit §§) siehe Scheckgesetz Schuldrecht Schutzgemeinschaft für Allgemeine Kreditsicherung GmbH Schweizerisches Obligationenrecht Seuffert's Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten sogenannte(n) Straßenverkehrsgesetz unter anderem Überblick Urteil unter Umständen . vor Verbraucherkreditgesetz Verfasser Vergleichsordnung Gesetz über das Verlagsrecht Versicherungsrecht vergleiche Verordnung Vorbemerkung

22 WG WamR WEG WG WM WobauG WuB WuM z.B. ZBB ZfA ZGR ZgS Ziff. ZIP ZMR ZPO

Abkürzungsverzeichnis Gesetz über den Versicherungsvertrag Warneyers Rechtsprechung des Reichsgerichts Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht Wechselgesetz Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapiermitteilungen Wohnungsbaugesetz Wirtschafts- und Bankrecht Wohnungswirtschaft und Mietrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozeßordnung

Einleitung Das Bürgschaftsrecht ist seit langem Gegenstand umfassender Erörterungen in Rechtsprechung und Literatur. Diese konzentrieren sich, obwohl Bürgschaftsverpflichtungen für jede Form schuldrechtlicher Verbindlichkeiten unabhängig von deren Inhalt, Art und Rechtsgrund übernommen werden können, in besonderer Weise auf solche Bürgschaften, die Darlehensforderungen des Gläubigers sichern. In kaum einem anderen Gebiet des Schuldrechts prallen dabei gegensätzliche Auffassungen über das Verhältnis von Privatautonomie und Verbraucherschutz so unversöhnlich aufeinander wie in diesem klassischen Bereich der Kreditsicherung. Die Gründe hierfür sind offensichtlich: Bei der Bürgschaft handelt es sich für den Bürgen häufig um ein ausschließlich fremdnützig bestimmtes Rechtsgeschäft. Sie bezweckt die Befriedigung des Sicherungsbedürfnisses des Gläubigers; mittelbar ermöglicht sie dem Hauptschuldner, seinen Kreditbedarf zu decken. Das Interesse des Bürgen erschöpft sich demgegenüber vielfach darin, daß der Bürgschaftsfall nicht eintritt, damit seine Inanspruchnahme unterbleibt. Dieser einseitigen Orientierung an den Interessen seines Vertragspartners entspricht es, daß dem Bürgen durch den Bürgschaftsvertrag das Risiko der Nichterfüllung der gesicherten Forderung vollumfänglich zugewiesen wird. Dies gilt auch in den Fällen, in denen er die Bürgschaft nicht aus altruistischen Motiven übernimmt, etwa weil er von dem Gläubiger oder dem Hauptschuldner eine Avalprovision erhält oder der Bürge an der Gewährung des zu sichernden Darlehens wirtschaftlich interessiert ist. Selbst wenn die Bürgschaftsübernahme ausnahmsweise im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages erfolgt, sich also der Gläubiger dem Bürgen gegenüber zu der Erbringung einer Hauptleistung, beispielsweise der Kreditierung des Schuldners, verpflichtet, ändert dies an der ausschließlichen Zuweisung des Nichterfüllungsrisikos an den Bürgen nichts. Dieser tragen die Regelungen der §§ 765 ff BGB Rechnung, aus denen sich für den Bürgschaftsgläubiger im wesentlichen Rechte ergeben, während den Bürgen ausschließlich Pflichten treffen. Lediglich § 776 BGB normiert eine Verhaltensanforderung zu Lasten des Gläubigers und sanktioniert deren Verletzung mit dem Verlust des Bürgschaftsanspruches. Hinzu kommt, daß die überwiegende Zahl der Kreditbürgschaften gegenüber Banken und anderen Kreditinstituten übernommen werden, die zumeist Vertragsformulare verwenden, die die ohnehin schon eng begrenzten gesetzlichen Schutzinstrumente des Bürgen zusätzlich beschneiden und hierdurch die rechtliche Stellung des Bürgschaftgläubigers weiter stärken. Schließlich und vor allem aber ist die Übernahme einer Bürgschaft ein außerordentlich riskantes Rechtsgeschäft, weil der Bürge auf den Eintritt des Bürgschaftsfalles im Regelfall wenig oder keinen Einfluß hat, sofern es sich bei ihm nicht um den Geschäftsführer oder (Mehrheits-)Gesellschafter des Hauptschuldners handelt. Seine Einstands-

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Einleitung

pflicht hängt von der Entwicklung des Hauptschuldverhältnisses und der Vermögenslage bei dem Schuldner ab. Während der Gläubiger aufgrund seiner Beteiligung an dem der gesicherten Forderung zugrundeliegenden Rechtsverhältnis in der Lage ist, die für die Realisierung des Büigschaftsrisikos relevanten Faktoren zu beeinflussen, fehlt es dem Bürgen häufig bereits an der Möglichkeit, in das für ihn fremde Hauptschuldverhältnis Einblick zu nehmen. Tritt der Bürgschaftsfall ein und wird der Bürge in Anspruch genommen, sind die wirtschaftlichen Folgen vielfach einschneidend, teilweise sogar vernichtend. Regelmäßig werden Bürgschaften nicht für geringfügige Forderungen übernommen, sondern sichern umfängliche Kreditvergaben, teilweise sogar sämtliche Forderungen aus einer Geschäftsbeziehung. Nicht zuletzt deshalb ist die Diskussion um die sog. Schuldturmproblematik in den vergangenen Jahren vielfach vor dem Hintergrund bürgschaftsrechtlicher Fallgestaltungen erfolgt. In dieser Situation liegt es nahe, nach Möglichkeiten des Bürgenschutzes jenseits der Anwendung der einseitig die Interessen des Gläubigers berücksichtigenden Regeln der §§ 765 ff BGB Ausschau zu halten. Hierzu bieten sich zwei unterschiedliche Wege an, die sich mit den Schlagworten Unverbindlichkeits- und Freistellungslösung umschreiben lassen. Bei der Unverbindlichkeitslösung geht es um die Überprüfung der Wirksamkeit der von dem Bürgen eingegangenen Verpflichtung. Diese erfolgt im Wege der Anwendung der allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, insbesondere des § 138 BGB sowie der Normen des AGBG. Sie kann zu einer Nichtigkeit des gesamten Bürgschaftsvertrages oder einzelner seiner Bestimmungen führen. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht demgegenüber die Erörterung des zweiten Schutzansatzes. Dieser akzeptiert die übernommene Bürgschaftsverpflichtung als wirksam. Der als notwendig erachtete Bürgenschutz wird durch die Statuierung von Gläubigerpflichten gewährleistet. Der Bürgschaftsgläubiger ist danach gehalten, bei seinem Handeln gegenüber dem Hauptschuldner oder dritten Sicherungsgebern in gewissem Umfang die Interessen des Bürgen zu berücksichtigen. Verstößt er gegen eine solche Nebenpflicht, kann er den Bürgen insoweit nicht in Anspruch nehmen, als sich die Pflichtverletzung auf die Bürgschaftsforderung auswirkt. In diesem Umfang hat er ihn von der übernommenen Bürgschaftsverpflichtung freizustellen. Inwieweit ein Schutz des Bürgen mittels der Annahme sog. Diligenzpflichten des Bürgschaftsgläubigers möglich ist, wird in der Rechtsprechung und im wissenschaftlichen Schrifttum kontrovers diskutiert. Während der BGH und die ihm durchgängig folgenden Obergerichte seit langem aufgrund des einseitig verpflichtenden Charakters der Bürgschaft das Bestehen von „Sorgfaltspflichten des Bürgschaftsgläubigers auch als Nebenpflichten" im Grundsatz ablehnen, hält man in der Literatur den Gläubiger teilweise in erheblichem Umfang für verpflichtet, auf die Belange des Bürgen Rücksicht zu nehmen. Im Anschluß an die Entscheidungen des BVerfG zu der zivilgerichtlichen Inhaltskontrolle von Verträgen, die das Ergebnis einer unterschiedlichen Verhandlungsstärke der Vertragsparteien sind, werden zudem vielfach Aufklärungspflichten des Bürgschaftsgläubiger im Rahmen der Vertragsver-

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handlungen mit dem Bürgen als Mittel der Überwindung von Situationen struktureller Vertragsdisparität befürwortet. Innerhalb dieser deutlich voneinander abweichenden Grundpositionen finden sich eine Vielzahl unterschiedlicher Lösungsansätze für die konkreten Probleme des Einzelfalles. Auch die Rechtsprechung erkennt nämlich an, daß der Bürgschaftsgläubiger an die Grundsätze von Treu und Glauben gebunden ist. Sie läßt daher von dem angenommenen Prinzip des Nichtbestehens von Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers gegenüber dem Bürgen verschiedene Ausnahmen zu. Umgekehrt werden von den Gegenauffassungen in der Literatur mit Rücksicht auf die vertraglich vereinbarte Risikoverteilung Einschränkungen bei der Anerkennung von Gläubigerpflichten befürwortet. Innerhalb der verschiedenen Meinungsgruppen hat sich daher durch die Annahme von Regel-Ausnahme-Verhältnissen im Laufe der Jahre eine umfängliche Kasuistik entwickelt, die es den an einem Bürgschaftsverhältnis beteiligten Parteien zunehmend schwerer macht, das Pflichtenprogramm des Gläubigers gegenüber dem Bürgen zu erfassen. Hinzu kommt, daß sich in jüngerer Zeit die Anzeichen dafür mehren, daß die Rechtsprechung künftig von dem Postulat des Nichtbestehens von Gläubigerpflichten aus dem Bürgschaftsverhältnis Abstand nehmen könnte. Ziel der Arbeit ist es zum einen, die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Zum anderen soll der Versuch unternommen werden, die zahlreichen Einzelpflichten, die in Rechtsprechung und Schrifttum Anerkennung gefunden haben, zu systematisieren und auf ihre Vereinbarkeit mit den Besonderheiten des Bürgschaftsverhältnisses zu untersuchen. Dabei wird es vor allem darum gehen, die Diskussion über die Diligenzpflichten des Bürgschaftsgläubigers auf die Grundlagen der Anerkennung von Nebenpflichten in Schuldverhältnissen zurückzuführen. Von diesen hat sie sich nämlich weitgehend entfernt. Argumentiert wird wechselseitig im wesentlichen mit rechtspolitischen Erwägungen. Will man jedoch letztlich beliebige Billigkeitsentscheidungen vermeiden, muß sich die Statuierung von Gläubigerpflichten im Bürgschaftsverhältnis an den Tatbestandsvoraussetzungen orientieren, die allgemein für die Nebenpflichten in Schuldverhältnissen entwickelt worden sind. Die Untersuchung befaßt sich deshalb zunächst mit den Grundlagen der gegenseitigen Pflichten, die die Partner eines Schuldverhältnisses treffen. Weil Inhalt und Umfang der sog. Nebenpflichten zu einem großen Teil auch davon abhängig sind, welches konkrete Rechtsverhältnis zwischen den Parteien besteht, werden im Anschluß die wesentlichen Besonderheiten des Bürgschaftsvertrages erörtert. Sodann finden die sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Regelungsabsichten und Wertentscheidung der Gesetzesverfasser zu den Diligenzpflichten des Bürgschaftsgläubigers Erwähnung. Nach einer ausführlichen Darstellung der verschiedenen in der Rechtsprechung und im Schrifttum vertretenen Positionen und einer Untersuchung ihrer wesentlichen Argumentationslinien, sollen bürgschaftspezifische Parameter für das Bestehen von Gläubigerpflichten entwickelt werden, die es ermögli-

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chen, die einschlägigen Problemstellungen interessengerechten Lösungen zuzuführen. Sodann werden die von Rechtsprechung und Literatur im Laufe der Jahre entwickelten Einzelpflichten auf ihre Vereinbarkeit mit den erarbeiteten Grundsätzen überprüft. In ihrem abschließenden Teil befaßt sich die Untersuchung mit der Sanktionierung von Gläubigerpflichten im Bürgschaftsverhältnis.

Erster Teil

Das Schuldverhältnis und seine Pflichten Bevor man sich den Anforderungen an das Verhalten des Bürgschaftsgläubigers gegenüber dem Bürgen nähert, ist ein Blick auf das Pflichtenprogramm erforderlich, welches sich aus zivilrechtlichen Schuldverhältnissen1 ableiten läßt. Dabei geht es insbesondere darum, die verschiedenen Verpflichtungen der Partner von Schuldverhältnissen zu strukturieren und einer inhaltlichen Bestimmung zuzuführen.

Λ. Das Schuldverhältnis I. Der Begriff des Schuldverhältnisses Nach §241 S. 1 BGB ist der Gläubiger kraft des Schuldverhältnisses berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Eine nähere Begriffsbestimmung findet sich nicht. Diese zu entwickeln, hat der historische Gesetzgeber bewußt der juristischen Wissenschaft überlassen2. Auch an zahlreichen anderen Stellen des BGB wird auf das Vorliegen eines Schuldverhältnisses abgestellt. Dabei geht das Gesetz von keiner einheitlichen Begrifflichkeit aus. Verschiedene Vorschriften verstehen unter einem Schuldverhältnis die einzelne Leistungsbeziehung3; bei ihnen fällt der Begriff des Schuldverhältnisses mit dem der Forderung zusammen4. Hieraus ergibt sich die Definition des Schuldverhältnisses im engeren Sinne als die rechtliche Forderungsbeziehung, die den Gläubiger eines einzelnen Anspruches mit dem zu der korrespondierenden Leistung verpflichteten Schuldner verbindet5. Andere Regelungen6 gehen demgegenüber von einer umfassenderen Begrifflichkeit aus, indem sie als Schuldverhältnis die Gesamtheit der Rechtsbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner ansehen7. Aus ihnen leitet sich die Definition des 1

Öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse sollen im Rahmen dieser Arbeit außer Betracht bleiben. 2 Vgl. Mot. II, S.2. 3 Z.B. §§243 II, 3621, 3641, 3971,405 und 781 BGB. 4 Palandt-Heinrichs, BGB, Einl. v. §241 Rdn. 1; vgl. auch BGHZ 10, 391 (395). 5 MünchKomm-Kramer, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 12. 6 Z.B. §§2731, 2921,4251 BGB. 7 Valandt-Heinrichs, BGB, Einl. v. §241 Rdn. 2.

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1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

Schuldverhältnisses im weiteren Sinne ab. Hierunter versteht man ein komplexes Rechtsverhältnis, in dem sich zwei oder mehrere Personen als einander zu bestimmten Leistungen berechtigt und verpflichtet gegenüberstehen, und das regelmäßig eine Vielzahl einzelner Forderungen, Gestaltungsrechte und Rechtslagen umfaßt 8. Im folgenden findet der Begriff des Schuldverhältnisses ausschließlich in seinem weiteren Sinne Verwendung.

II. Die rechtliche Struktur des Schuldverhältnisses 1. Der obligatorische Charakter Wesentlich für die rechtliche Struktur des Schuldverhältnisses ist zunächst dessen obligatorischer Charakter. Wenigstens eine seiner Parteien muß einer anderen an dem Schuldverhältnis beteiligten Person rechtlich zu einem Verhalten verpflichtet sein9. Dem entspricht es, daß zumindest ein Partner des Schuldverhältnisses gegenüber einem anderen ein Recht erwirbt. Ganz überwiegend dienen Schuldverhältnisse in der Praxis der Verwirklichung von Vermögensinteressen der an ihnen beteiligten Parteien10. Zwingend notwendig ist dies jedoch nicht. Für die rechtliche Einordnung als Schuldverhältnis ist nicht entscheidend, daß auf seiner Grundlage einem Partner ein Vermögensvorteil zugewendet wird. Vielmehr kann auch die Vermittlung ideeller Güter Gegenstand eines Schuldverhältnisses sein11.

2. Der Relativitätsgrundsatz Im Rahmen eines Schuldverhältnisses werden grds. nur die an ihm beteiligten Parteien berechtigt und verpflichtet. Dritte sind demgegenüber in sein rechtliches Gefüge regelmäßig nicht einbezogen. Sie erwerben aus dem für sie fremden Schuldverhältnis weder Ansprüche noch sehen sie sich Forderungen seiner Parteien ausgesetzt. Das Schuldverhältnis ist demnach eine lediglich zweipolige Beziehung zwischen den an ihm beteiligten Relationspartnern12, wobei sich auch eine Mehrheit von Schuldnern und Gläubigern gegenüberstehen kann. Die von einem Schuldverhältnis umfaßten Ansprüche bestehen als relative Rechte nur gegenüber der anderen 8

Vgl. Soergel-Te ichmann, BGB, vor §241 Rdn. 3; MünchKomm-Kramer, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 12; Larenz, SchuldR AT, § 21; Fikentscher, SchuldR, Rdn. 23. 9 MünchKomm -Kramer, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 28. 10 Vgl. Esser/Schmidt, SchuldR AT 1, § 1; Larenz, SchuldR AT, §21. 11 Ganz h. M., RGZ 87, 289 (293); Staudinger-Sc/iro/Λ, BGB, §241 Rdn. 38 ff; MünchKomm-Kramer, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 40; RGRK-Alff, BGB, vor § 241 Rdn. 9; Larenz, SchuldR AT, §21; a. A. Henckel AcP 174 (1974), 97 (124); vgl. bereits Mot. II, S.5. 12 MünchKomm-Kramer, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 14.

Α. Das Schuldverhältnis

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Partei. Hierin unterscheidet sich die schuldrechtliche Forderung von den absoluten Rechten, deren Hauptfall die dinglichen Rechte sind, und die als Herrschaftsrechte gegenüber jedermann wirken13. Folge des Relativitätsgrundsatzes ist die Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Schuldners gegenüber den Ansprüchen des Gläubigers auf solche Einwendungen und Einreden, die ihm aus dem zwischen den Parteien bestehenden Schuldverhältnis erwachsen. Lediglich § 273 I BGB erweitert den Schuldnerschutz über das einzelne Schuldverhältnis hinaus, indem die Vorschrift für ein Zurückbehaltungsrecht das Bestehen eines fälligen und konnexen, d. h. mit dem Gläubigerrecht auf einem innerlich zusammenhängenden, einheitlichen Lebensverhältnis beruhenden14 Gegenanspruches ausreichen läßt. Dagegen führt die Bipolarität von Forderung und Gegenrecht dazu, daß es dem Schuldner verwehrt ist, dem Anspruch des Gläubigers Einwendungen aus einem Rechtsverhältnis zu einem Dritten entgegenzuhalten15. Die Relativität des Schuldverhältnisses erfährt jedoch verschiedene Ausnahmen, die sich teils unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, teils aufgrund richterlicher Rechtsfortbildung Geltung beanspruchen. So wird durch einen echten Vertrag zugunsten Dritter i. S. d. §§ 328 ff BGB ein Forderungsrecht des Begünstigten begründet, der selbst nicht Partei des Vertragsverhältnisses ist. Bei einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 16 partizipiert eine nicht an dem Schuldverhältnis beteiligte Person an den Nebenpflichten17 des Schuldners dergestalt, daß sie im Fall ihrer Verletzung einen eigenen vertraglichen Schadensersatzanspruch erwirbt 18. Verschiedene gesetzliche Vorschriften normieren zudem Ansprüche gegen Personen, die an dem der Forderung zugrundeliegenden Rechtsverhältnis nicht beteiligt sind19, oder sehen umgekehrt Ansprüche eines Dritten aus einem für ihn fremden Schuldverhältnis vor 20. Auch die Unzulässigkeit, Einwendungen oder Einreden aus anderen Schuldverhältnissen abzuleiten, gilt nicht grenzenlos21. Für das Bürgschaftsverhältnis sind in diesem Zusammenhang die den Grundsatz der Akzessorie13

Paiandt-Bassenge, BGB, Einf. v. § 854 Rdn. 2. Vgl. BGHZ 92, 194 (196); 115, 99 (103). 15 Palandt-T/emnc/w, BGB, Einl. v. §241 Rdn. 3; Henke, Relativität, S.45ff. 16 Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wird von der Rechtsprechung auf eine ergänzende Vertragsauslegung (vgl. BGHZ 56, 269 (273); NJW 1984, 355 (356); zustimmend Palandt-Heinrichs, BGB, § 328 Rdn. 14; Dahm JZ 1992,1167 (1169f)) gestützt, während die Literatur ihn überwiegend als Ergebnis einer auf § 242 BGB beruhendenrichterlichen Fortbildung dispositiven Rechtes (vgl. MünchKomm-Gottwald, BGB, § 328 Rdn. 80; Larenz, SchuldR AT, § 17II; Bayer JuS 1996,473 (475f)) ansieht. 17 Zum Begriff der Nebenpflichten vgl. unten S. 39 f. 18 Vgl. BGHZ 49,350 (353); 56,269 (273); NJW 1984,355 (356); Pälandt-Heinrichs, BGB, §328 Rdn. 13, 19. 19 Z.B. §§556 III, 604IV BGB. 20 Vgl. §§991 II BGB, 421 HGB, 3 Ziff. 1 PflVG. 21 Vgl. z.B. §9111 VerbrKrG. 14

1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

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tät der Bürgschaft deutung.

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stärkenden Bürgeneinreden der §§ 76811,7701, II BGB von Be-

3. Die Verknüpfungsfunktion Als „komplexe Einheit"23 gegenseitiger Rechtsbeziehungen umfaßt das Schuldverhältnis regelmäßig eine ganze Reihe verschiedener rechtlicher Elemente. Im Vordergrund stehen die seine Parteien treffenden Pflichten sowie die mit diesen korrespondierenden Forderungen. Darüber hinaus können sich Gestaltungsrechte in der Form von Änderungs- und Beendigungsbefugnissen, Gläubigerobliegenheiten sowie sonstige Rechtslagen, etwa Einziehungsberechtigungen und Empfangszuständigkeiten, ergeben24. Im Verhältnis zu seinen rechtlichen Elementen kommt dem Schuldverhältnis eine lediglich verknüpfende Funktion zu. Es besitzt selbst keinen eigenständigen Regelungsinhalt; seinen verschiedenen Elementen fügt es nichts hinzu, was nicht schon in diesen enthalten wäre25. Das Schuldverhältnis hat daher Bedeutung nur als „sinnhaftes Gefüge" 26, das die von ihm umfaßten Elemente zu einem Ganzen verknüpft, und das bestehen bleibt, wenn einzelne seiner Forderungen durch Erfüllung erlöschen, Gestaltungsrechte ausgeübt werden oder infolge Nichtausübung untergehen27. Weil das Schuldverhältnis von den in ihm wohnenden rechtlichen Elementen unabhängig ist, kann es, ohne seinen rechtlichen Charakter als „dasselbe" Rechtsverhältnis zu verlieren, durch Parteivereinbarung oder kraft Gesetzes seinem Inhalt nach geändert werden; selbst die an ihm beteiligten Personen können wechseln; die Identität des Schuldverhältnisses bleibt gleichwohl unverändert28.

I I I . Die schuldrechtlichen Entstehungstatbestände Nach dem Charakter ihrer Entstehungstatbestände lassen sich rechtsgeschäftliche und gesetzliche Schuldverhältnisse unterscheiden. Eine Sonderstellung kommt dem Schuldverhältnis der Vertragsanbahnung zu.

22 23 24

Dazu unten S. 75 f. So Gernhuber, Schuldverhältnis, §213 a. MünchKomm-Kramer, BGB, Einl. zu §§241 ff Rdn.22; Gernhuber, Schuldverhältnis, §2

ΠΙ1. 25 26 27 28

Gernhuber, Schuldverhältnis, §213b. Vgl. Larenz, SchuldR AT, § 2 V. Larenz, SchuldR AT, §2V. MünchKomm-Kramer, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 12.

Α. Das Schuldverhältnis

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1. Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäft und kraft gesetzlicher Bestimmung Die Begründung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse erfolgt regelmäßig durch zweiseitigen Vertragsschluß, also im Wege der Einigung der an dem Schuldverhältnis beteiligten Parteien. Diese kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen 29. Durch einseitige Willenserklärungen werden Schuldverhältnisse zwar häufig geändert oder aufgehoben, beispielsweise im Rahmen einer Kündigung oder durch die Ausübung von gestaltenden Wahlrechten. Die Entstehung von Schuldverhältnissen herbeizuführen, sind Erklärungen einer Partei dagegen nur ausnahmsweise in der Lage30. Notwendig für die Begründung eines vertraglichen Schuldverhältnisses ist, daß seine Partner in dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses den übereinstimmenden Willen haben, eine rechtliche Bindung zumindest einer Seite auszulösen. Demgegenüber stellen Abreden, die ausschließlich auf einem außerrechtlichen Geltungsgrund, insbesondere einer „sozialen Verständigung" wie Freundschaft oder Kollegialität beruhen, kein Schuldverhältnis dar 31. Insbesondere reine Gefälligkeitshandlungen vollziehen sich außerhalb von Schuldverhältnissen32, solange dem Verhalten der Parteien der Wille, eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung zur Ausführung der Gefälligkeit oder zumindest zur sorgfältigen Durchführung für den Fall ihrer Vornahme33 zu begründen, nicht entnommen werden kann. Daneben finden Schuldverhältnisse ihre Grundlage unmittelbar in gesetzlichen Bestimmungen34. Auslösendes Moment ist hierbei ein bestimmtes Verhalten einer 29 Mittels schlüssiger Willenserklärungen kommen z.B. die sog. „faktischen Schuldverhältnisse" zustande, bei denen, wenn im Bereich des modernen Massenverkehres und der Daseinsvorsorge Leistungen zu bestimmten, nicht näher ausgehandelten Bedingungen angeboten werden, der Vertragsschluß durch das Leistungsangebot als Realofferte einerseits sowie die Inanspruchnahme der Leistung andererseits erfolgt; vgl. BGHZ 95, 393 (399); BGH NJW-RR 1991, 176; OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 436 (436f); Esserl Schmidt, SchuldR AT 1, § 1012; a. A. Erman-Werner, BGB, Einl. §241 Rdn. 19; Janke/Weddige BB 1985,758 (759ff): Schuldverhältnis durch sozialtypisches Verhalten. 30 Bsp. hierfür sind die Auslobung gem. § 567 BGB oder die Begründung einer Stiftung (vgl. Blomeyer, SchuldR AT, § 17 II/l). Umstritten ist, ob die sog. harte Patronatserklärung einen weiteren Fall eines einseitigen LeistungsVersprechens darstellt; so Schneider ZIP 1989, 619 (624); dagegenHabersackZl Ρ 1996, 257 (260ff). 31 Palandt-Heinrichs, BGB, Einl. v. §241 Rdn.9; Gernhuber, Schuldverhältnis, §711. 32 Vgl. MünchKomm -Kramer, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 29. 33 Dieses sog. Gefälligkeitsverhältnis, aus dem sich keine Hauptleistungspflichten ergeben, dem aber mit Rücksicht auf den Charakter der Gefälligkeit und insbesondere ihre wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Begünstigten bestimmte Nebenpflichten des Gefälligen entnommen werden können, wird teils als rechtsgeschäftliches (so BGHZ 21,102 (106f); BGH 1974,1705 (1706); Fikentscher, SchuldR, Rdn. 25; Willoweit JuS 1986,96 (106f)), teils als gesetzliches Schuldverhältnis (so MünchKomm -Kramer, BGB, Einl. v. §§ 241 ff BGB Rdn. 34; Flume, BGB ATII, §7, 5; Schwerdtner NJW 1971, 1673 (1675)) qualifiziert. 34 Z.B. §§667 ff; 812ff; 823 ff BGB.

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1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

Partei, das rechtsgeschäftlicher wie tatsächlicher Natur sein kann. Auch soweit ein rechtsgeschäftliches Handeln betroffen ist, kommt es im Gegensatz zu der vertraglichen Begründung eines Schuldverhältnisses auf einen Rechtsbindungswillen des Handelnden nicht an. Vielmehr entstehen gesetzliche Schuldverhältnisse unabhängig von dem Willen der Parteien allein aufgrund der Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes35.

2. Das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen Nach heute allgemeiner Meinung begründet zudem bereits die Aufnahme von Vertragsverhandlungen ein Schuldverhältnis zwischen den Verhandlungspartnern, das zwar noch nicht zu einer Hauptleistung, wohl aber zur wechselseitigen Rücksichtnahme und zur Anwendung verkehrsüblicher Sorgfalt im Verhalten gegenüber dem anderen Teil verpflichtet 36. Dieses sog. Vertragsanbahnungsverhältnis wird daher auch als Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht bezeichnet37. Für den Fall einer Verletzung der aus ihm resultierenden Pflichten ergibt sich eine Haftung nach Vertragsgrundsätzen (sog. culpa in contrahendo), die neben die für den geschäftlichen Bereich als unzulänglich erwiesene Haftung aus unerlaubter Handlung tritt. Entsprechendes gilt in solchen Fällen, in denen es zu Vertragsverhandlungen noch nicht gekommen ist, sondern sich eine Person erst zur Anbahnung eines geschäftlichen Kontaktes in den Einflußbereich eines Anderen begibt38. Demgegenüber ist ein bloß sozialer Kontakt zwischen zwei Personen nicht geeignet, ein Schuldverhältnis entstehen zu lassen39. Denn das vertragsrechtliche Haftungssystem des BGB ist gerade für Leistungsstörungen, die geschäftliches Verhalten voraussetzen, konzipiert und kann mit seiner Haftung für fahrlässige Vermögensschädigungen auch nur insoweit als angemessen angesehen werden. Die Anwendung der Grundsätze der allgemeinen Verschuldenshaftung nach vertraglichen Grundsätzen auf das Vertragsanbahnungsverhältnis ist das Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung und zwischenzeitlich gewohnheitsrechtlich aner35

Palandt-Z/ewnc/w, BGB, Einf. v. §305 Rdn.5. BGHZ 60, 221 (223 f); 71, 386 (392ff); BGH NJW 1998, 302; Palandt-//ewnc/w, BGB, § 276 Rdn. 65 f; RGRK-A/#, BGB, § 276 Rdn. 96; MünchKomm-Emmerich, BGB, vor § 275 Rdn.52; Medicus, Keller-FS, S.205 (210ff). 37 Vgl. Paiandt-Heinrichs, BGB, Einl. v. § 241 Rdn. 8; Lorenz, SchuldR AT, § 21; weitere Schuldverhältnisse ohne primäre Leistungspflicht sind ζ. B. das Rechtsverhältnis zwischen Schuldner und Drittem beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sowie das Gefälligkeitsverhältnis. 38 BGHZ 66, 51 (54f); NJW 1962, 31 (32); VersR 1968, 993 (994); MünchKomm-/toÄ, BGB, §242 Rdn. 200; Soergel-Wiedemann, BGB, vor §275 Rdn. 244; Nirk, Möhring-FS, 385 (404 f); Medicus, Keller-FS, 205 (211). 39 Ganzh.M., vgl. BGHZ66,51 (54f); MünchKomm-/?oi/i, BGB, §242 Rdn.204; PalandtHeinrichs, BGB, § 276 Rdn. 66; Brox, SchuldR AT, Rdn. 56; a. A. die sog. Lehre vom sozialen Kontakt, vgl. Dölle ZgS 103 (1943), 67 (74). 36

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldveiältnis

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kannt . Sie hat nunmehr in § 11 Ziff. 7 AGBG durch den Gesetzgeber ihre Bestätigung gefunden. Dogmatisch ist das Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen als gesetzliches Schuldverhältnis anzusehen41. Zwar wird es gelegentlich, insbesondere in der Rechtsprechung, als „vertragsähnliches Vertrauensverhältnis" bezeichnet42. Seine Vertragsähnlichkeit ergibt sich indes nicht aus der Nähe zu dem (erhofften) Vertragsschluß, sondern aufgrund der Anwendung vertraglicher Haftungsgrundsätze. Die Einordnung als gesetzliches Schuldyerhältnis folgt demgegenüber daraus, daß das Schuldverhältnis der Vertragsanbahnung unabhängig von dem Willen der Parteien allein aufgrund der Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder eines diese vorbereitënden geschäftlichen Kontaktes entsteht43.

B. Das Pflichtenprogramm im Schuldverhältnis Eine abschließende Erfassung sämtlicher in Schuldverhältnissen bestehender Pflichten scheitert bereits an dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dieser gestattet es den Parteien nämlich nicht nur zu entscheiden, ob sie überhaupt eine Verpflichtung eingehen wollen (Abschlußfreiheit), sondern auch mit welchem Inhalt sie sich gegenseitig binden (Gestaltungsfreiheit) 44. Den Vertragsparteien ist es daher im Rahmen der allgemeinen, insbesondere durch die Vorschriften der §§ 134, 138 und 242 BGB sowie der §§ 9-11 AGBG konkretisierten Grenzen der Vertragsfreiheit möglich, das Pflichtenprogramm ihres Schuldverhältnisses nach eigenem Gutdünken festzulegen. Darüber hinaus können die Beteiligten bestimmte Verhaltensanforderungen treffen, ohne daß diese ausdrücklich vereinbart worden wären. Solche Pflichten finden ihre Grundlage in § 242 BGB. Aus der dort normierten Bindung der Parteien an Treu und Glauben wird ein ganzes Bündel inhaltlich höchst unterschiedlicher Pflichten abgeleitet, die teils der Sicherung der Erbringung der von den Parteien vereinbarten Hauptleistung, teils dem Schutz der Rechtsgütersphäre der Parteien dienen45. Ihr Umfang und ihre inhaltliche Ausgestaltung bestimmt sich - dem Charakter des 40

Vgl. BGH NJW 1979,1983; Staudinger-LowwcÄ, BGB, vor §275 Rdn. 52; Palandt-//*wrichs, BGB, §276 Rdn. 65; Gottwald JuS 1982, 877. 41 Vgl. nur BGHZ 66, 51 (54); Palandt-Z/ewnc/tf, BGB, §276 Rdn. 65; MünchKommEmmericK BGB, vor § 275 Rdn. 52; MünchKomm-/toiA, BGB, § 242 Rdn. 199; Larenz, SchuldR AT, §9Ia; a. A. Ballerstedt AcP 151 (1950/51), 501 (507): „zweite Grundform" des Rechtsgeschäftes. 42 Vgl. BGHZ 71, 386 (395); BGH W M 1968,531; NJW 1970, 1840; 1977, 376; PälandtHeinrichs, BGB, § 276 Rdn. 65. 43 Bei der Begründung geschäftlicher Kontakte handelt es sich nicht um ein Rechtsgeschäft, sondern um einen Realakt; vgl. Larenz, SchuldR AT, § 91a 1. 44 Palandt-//ewnc/w, BGB, Einf. v. § 145 Rdn. 7 ff. 45 Vgl. MünchKomm-/?or/i, BGB, § 242 Rdn. 115 ff; s. dazu unten S. 41 ff. 3 Dreismann

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1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

§ 242 BGB als Generalklausel entsprechend - anhand der Umstände des Einzelfalles, da sich nur aus diesen das nach Treu und Glauben konkret geschuldete Verhalten ableiten läßt. Eine Untersuchung des Pflichtenprogrammes in Schuldverhältnissen kann daher nur zweierlei leisten, nämlich die Darstellung und inhaltliche Bestimmung der wesentlichen, regelmäßig in Schuldverhältnissen vorkommenen Pflichten einerseits sowie ihre Strukturierung, d. h. die Erfassung in bestimmten Pflichtenkategorien, andererseits. Mit letzterem soll begonnen werden.

I. Die Einteilung schuldrechtlicher Pflichten Ausgangspunkt der Einteilung schuldrechtlicher Pflichten ist § 241 S. 1 BGB. Hiernach ist der Gläubiger „kraft" des Schuldverhältnisses berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu verlangen.

1. Hauptleistungpflichten a) Die Ambivalenz des Leistungsbegriffes Ebenso wie der Begriff des Schuldverhältnisses vom BGB nicht näher definiert wird, läßt das Gesetz offen, was es unter der von dem Schuldner zu erbringenden Leistung versteht. Es verwendet den Begriff der Leistung zudem an einigen Stellen mit unterschiedlicher Bedeutung, indem es ihn teils erfolgs-, teils verhaltensbezogen versteht46. Für jede schuldrechtliche Norm bedarf es daher der individuellen Bestimmung, ob die geschuldete Leistung lediglich in einer Handlung oder aber in einem durch sie herbeizuführenden Erfolg besteht. In dieser Ambivalenz des Leistungsbegriffes zeigt sich letztlich die Doppelfunktion des Schuldverhältnisses als Ordnung von Verhaltenspflichten des Schuldners einerseits und Mittel der Verwirklichung erfolgsbezogener Gläubigerinteressen andererseits47. b) Leistung als „geschuldetes Verhalten" Für eine Definition des schuldrechtlichen Leistungsbegriffes ist ferner zweierlei entscheidend: Weil die Erfüllung von Vermögensinteressen nicht notwendig zum Inhalt eines Schuldverhältnisses gehört48, kann der spezielle Leistungsbegriff des Bereiche46 Während z.B. §362IBGB auf den Erfolg abstellt, bezieht sich §241 S.2BGB auf ein Verhalten; vgl. eingehend zur Ambivalenz des Leistungsbegriffes Wieacker, Nipperdey-FS I, S. 783 (784ff). 47 Wieacker, Nipperdey-FS 1,783 spricht von den beiden Aspekten des Sichverhaltensollens und der Interessenverwirklichung. 48 s. schon oben S.28.

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldverhältnis

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rungsrechtes, der jede bewußte und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens erfaßt 49, für die allgemeine Bestimmung schuldrechtlicher Leistungspflichten keine Gültigkeit beanspruchen50. Zudem wird durch § 241 S. 2 BGB, wonach die kraft des Schuldverhältnisses zu erbringende Leistung auch in einem Unterlassen bestehen kann, klargestellt, daß nicht nur ein positives Tun als Leistung anzusehen ist. Vielmehr unterfällt dem schuldrechtlichen Leistungsbegriff jedwedes denkbare Schuldnerverhalten, also beispielsweise auch ein Dulden, Einwilligen, die Abgabe von Willenserklärungen oder die Nichtausübung eigener Rechte51. Der schuldrechtliche Leistungsbegriff ist daher weit zu verstehen: Zu der geschuldeten Leistung gehört alles, was „kraft" des Schuldverhältnisses von dem Schuldner gefordert werden kann. Als Leistung ist mithin das gesamte geschuldete Verhalten anzusehen52, unabhängig davon, ob das Schuldverhältnis die Herbeiführung eines - nicht zwingend vermögensrelevanten - Erfolges, die Entfaltung eines Tätigwerdens des Schuldners ohne Erfolgsbezug oder ein rein passives Schuldnerverhalten zum Gegenstand hat.

c) Die typusbestimmenden Pflichten Im Rahmen dieses umfassenden Leistungsbegriffes lassen sich die Hauptleistungspflichten53 - teilweise auch Hauptpflichten 54 oder selbständige Leistungspflichten 55 genannt - als eigenständige Gruppe im schuldrechtlichen Pflichtenprogramm erfassen. Hierunter sind die Pflichten zu verstehen, die dem Schuldverhältnis seine spezifische Eigenart verleihen56. Sie stehen im Mittelpunkt vieler - wenn auch nicht aller 57 - Schuldverhältnisse und prägen deren wesentlichen Inhalt. 49 So die ganz h. M.: BGHZ 40, 272 (277); 58, 184 (188); Staudinger-Lore/iz, BGB, § 812 Rdn.4f; Reuter!Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, §4 II 2 a; kritisch: MünchKommLieb, BGB, §812 Rdn. 23 ff; vgl. auch Canaris , Larenz-FS, 799 (836ff). 50 Vgl. Jauernig-Vollkommen BGB, §241 Rdn. 7; Erman-Werner, BGB, Einl. §241 Rdn.25; Larenz, SchuldR AT, §21; a. A. Gernhuber, Schuldverhältnis, §2 III 3 a. 51 Vgl. Staudinger-ScAmw//, BGB, §241 Rdn. 59. 52 Vgl.bereitsRGZ 160,310(314); fernerStaudinger-Sc/zm/dr,BGB, §241 Rdn.59;ErmanWerner, BGB, Einl. § 241 Rdn. 23: Leistung als „Erfüllung der Hauptpflichten und der Nebenpflichten". 53 Diese Terminologie wird u. a. verwendet von MünchKomm-tframer, BGB, § 241 Rdn. 15; Palandt-Heinrichs, BGB, Einl. v. §241 Rdn. 6; Jauemig-Vollkommer, BGB, §241 Rdn. 9; Larenz, SchuldR AT, §21. 54 Erman-Werner, BGB, Einl. §241 Rdn. 25; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn. 206f. 55 Gernhuber, Schuldverhältnis, §21114. 36 Vgl. Palandt-//einrichs, BGB, Einl. v. §241 Rdn. 6; Jauernig-Vollkommer, BGB, §241 Rdn. 9. 57 Das Bestehen von Hauptleistungspflichten ist nicht notwendige Voraussetzung eines Schuldverhältnisses. An Hauptleistungspflichten fehlt es bei den sog. Schuldverhältnissen ohne primäre Leistungspflicht; vgl. dazu oben S.32.

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1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

Im Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse gehören die essentiellen, den Vertragstyp charakterisierenden Verbindlichkeiten der Parteien zu den Hauptleistungspflichten58. Das Fehlen oder die wesentliche Änderung einer Hauptleistungspflicht bewirkt die Zugehörigkeit des Vertrages zu einer anderen Vertragsart 59. Bei den gesetzlichen Schuldverhältnissen werden die Hauptleistungspflichten durch die Anordnung der wesentlichen Rechtsfolge des tatbestandsverwirklichenden Schuldnerverhaltens bestimmt.

2. Nebenpflichten Das Schuldverhältnis erschöpft sich jedoch nicht in der Erbringung der dem Schuldner obliegenden Hauptleistung. Daneben gibt es zahlreiche weitere Verhaltensanforderungen, die nicht seinen Typus bestimmen und deshalb nicht zu den Hauptleistungspflichten zu zählen sind. a) Rechtsgrundlagen Zum einen steht es den Parteien frei, vertraglich über die Hauptleistungen hinausgehende Pflichten einer oder beider Seiten zu vereinbaren. Soweit dies nicht geschehen ist, können sich solche zusätzlichen Pflichten aus speziellen gesetzlichen Regelungen oder aus ergänzender Vertragsauslegung ergeben. Schließlich umfaßt jedes Schuldverhältnis als vom Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beherrschte Sonderverbindung Pflichten zur wechselseitigen Rücksichtnahme, zur Beachtung der berechtigten Belange des anderen Teiles sowie zu einem Verhalten insgesamt, wie es unter redlich und loyal denkenden Geschäftspartnern erwartet werden kann. Auch aus § 242 BGB lassen sich daher wechselseitige Pflichten der an einem Schuldverhältnis beteiligten Parteien ableiten. Inhalt und Intensität dieser Pflichten hängen entscheidend von der Art des ihnen zugrundeliegenden Schuldverhältnisses ab60. b) Die Einteilung der Nebenpflichten Sichtet man die vorhandene Literatur über diejenigen Pflichten aus Schuldverhältnissen, die nicht zu den Hauptleistungspflichten zählen, stößt man auf erhebliche Differenzen sowohl in der Terminologie als auch in der Abgrenzung der verschiedenen Pflichtengruppen. Eine einheitliche Systematisierung hat sich bis heute ebenso wenig durchsetzen können wie eine gemeinsame Begrifflichkeit 61. Hinter58

MünchKomm-Kramer, BGB, §241 Rdn. 15. Vgl. Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn. 206. 60 MiinchKomm-Kramer, BGB, §241 Rdn. 18; Jauernig-Vollkommer, BGB, §241 Rdn. 9; Erman-Werner, BGB, § 242 Rdn. 51,55. 61 Vgl. Staudinger-ScÄm/Λ, BGB, Einl. zu §§241 ff Rdn. 309; MünchKomm-/torA, BGB, § 242 Rdn. 115; Palandt-Heinrichs, BGB, § 242 Rdn. 27. 59

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldverältnis

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grund der Diskussion um die Einteilung schuldrechtlicher Pflichten ist nicht zuletzt, daß von den verschiedenen Meinungsgruppen nicht ausschließlich systematische Interessen verfolgt werden. Vielmehr versucht man, mit der Erfassung von Pflichten in bestimmten Gruppen zugleich rechtliche Problemstellungen zu lösen. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob die Erfüllung einer bestimmten Pflicht verlangt, diese also ggf. eingeklagt werden kann, oder ob der Berechtigte auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen für den Fall ihrer Verletzung beschränkt ist62. aa) Schutzpflichten und leistungsbezogene Nebenpflichten Weitgehend Einigkeit besteht, daß zwischen solchen Nebenpflichten zu unterscheiden ist, die der Verwirklichung des Leistungsinteresses der Parteien dienen und solchen, die den Schutz ihrer Integritätsinteressen bezwecken63. Bei den Verhaltensanforderungen der erstgenannten Pflichtengruppe, die als leistungsbezogene Nebenpflichten bezeichnet werden können, geht es um die Art und Weise der Leistungserbringung sowie die Sicherung des Leistungserfolges. Die zweite Kategorie von Nebenpflichten, ganz überwiegend Schutzpflichten genannt, soll verhindern, daß die Parteien an ihren sonstigen Rechten oder Rechtsgütern Schaden nehmen. bb) Nebenleistungspflichten und unselbständige Nebenpflichten Häufig werden die leistungsbezogenen Nebenpflichten, also alle dem Erfüllungsinteresse der Parteien dienenden Verhaltensanforderungen, die nicht Hauptleistungspflichten sind, noch einmal in zwei getrennten Gruppen erfaßt. Danach soll zwischen den unselbständigen Nebenpflichten einerseits und den Nebenleistungspflichten (auch selbständige Nebenpflichten genannt64) andererseits zu unterscheiden sein65. Problematisch ist indes die Abgrenzung der beiden Pflichtenkategorien. Ganz überwiegend wird die Differenzierung anhand des Kriteriums der „Klagbarkeit"66 vorgenommen67. Während den Nebenleistungspflichten ein „Eigenzweck" zukom62

Kritisch zu den Versuchen, mittels der Kategorisierung von Pflichten praktische Fragen zu lösen, Staudinger-Schmidt, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 312ff, der diese Ansätze zu Recht als „begriffsjuristisches Vorgehen" bewertet. 63 Vgl. z.B. MünchKomm-/?oiA, BGB, §242 Rdn. 116f; Pdandt-Heinrichs, BGB, Einl.v. §241 Rdn.6f, §242 Rdn. 27 ff; Jauemig-Vollkommer, BGB, §241 Rdn.9f; Medicus, SchuldR AT, Rdn. 416 f. 64 So Emian-Werner, BGB, § 242 Rdn. 55. 65 Entsprechende Differenzierungen finden sich ζ. B. bei MünchKomm-Aramer, BGB, § 241 Rdn. 14ff; MünchKomm-/tor/z, BGB, §242 Rdn. 140f; MünchKomm-Emmerich, BGB, vor § 275 Rdn. 282; Erman-Werner, BGB, § 242 Rdn. 54f; Larenz, SchuldR AT, § 21; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn. 206ff; Gernhuber, Schuldverhältnisse, §21114; IV 2. 66 Kritisch zu diesem Begriff StsmdingcT-Schmidt, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 319. 67 Vgl. vor allem MünchKomm -Kramer, BGB, § 241 Rdn. 14; MünchKomm-Emmerich, BGB, vor § 275 Rdn. 282; Palandt-Heinrichs, BGB, § 242 Rdn. 25; Erman-Werner, BGB, § 242 Rdn. 54.

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1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

men soll, so daß diese Gegenstand von Erfüllungsansprüchen seien und deshalb mit Hilfe von Leistungs- und Unterlassungsklagen verfolgt werden könnten68, wäre der von einer unselbständigen Nebenpflicht Geschützte von vornherein darauf beschränkt, im Fall ihrer Verletzung Schadensersatzansprüche geltend zu machen69. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Unterscheidung nach der „Klagbarkeit" ist schon deshalb wenig überzeugend, weil sie eine klare Zuordnung einzelner Pflichten in eine der unterschiedenen Gruppen verhindert70. Eine konsequente Systematisierung sämtlicher Verhaltensanforderungen wird auf diese Weise verhindert. Vor allem aber spricht gegen die vorgenommene Abgrenzung, daß es sich bei der Frage, ob und wann Nebenpflichten Gegenstand von Erfüllungsansprüchen sein können, um ein komplexes, schematischen Lösungen nicht zugängliches Problem handelt71. Die Einteilung von Pflichten in klagbare Nebenleistungs- und unklagbare Nebenpflichten birgt deshalb die Gefahr begriffsjuristischer, nicht an den Erfordernissen des Falles orientierter Lösungen72. Soweit man versucht, dem dadurch zu begegnen, daß die unselbständigen Nebenpflichten als „grundsätzlich"73 oder „im allgemeinen"74 unklagbar bezeichnet werden, „ausnahmsweise"75 jedoch ein schutzwürdiges Interesse an ihrer klageweisen Durchsetzung anerkannt werden soll, zeigt sich endgültig die Unbrauchbarkeit der Kriterien der „Klagbarkeit" und des „Eigenzwekkes" für die Unterscheidung von Nebenpflichten. In Ermangelung geeigneter Anhaltspunkte76 für eine Abgrenzung sollte daher auf eine Differenzierung zwischen Nebenleistungs- und leistungsbezogenen Nebenpflichten verzichtet werden77. Im Rahmen dieser Arbeit wird ausschließlich der letztgenannte Begriff verwendet. 68 Wer dies konsequent durchhält, muß auch in Schutzpflichten Nebenleistungspflichten sehen, soweit diese im Einzelfall einklagbar sind, so z.B. MünchKomm-Kramer, BGB, §241 Rdn. 14. 69 Allerdings haben es die Parteien nach dieser Auffassung in der Hand, durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen bloße Nebenpflichten in den Stand einer klagbaren Nebenleistungspflicht zu erheben; vgl. Larenz, SchuldR AT, §21. 70 So muß Erman-Werner, BGB, § 242 Rdn. 55, einräumen, daß sich verschiedene Pflichten inhaltlich und funktionell so überschneiden können, daß eine durchgehende Zuweisung zu den Nebenleistungs- oder Nebenpflichten nicht möglich ist. 71 Vgl. hierzu unten S.52ff. 72 Ebenso Staudinger-ScAm/Λ, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 315. 73 Vgl. Erman-Werner, BGB, §242 Rdn. 54. 74 So Larenz, SchuldR AT, § 21. 73 Palandt-//emr/c/w, BGB, §242 Rdn. 25. 76 Auch Staudinger-ScAm/Vfr, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 323, weist auf die nicht hinreichenden Abgrenzungskriterien hin. 77 Ähnlich Jauernig-VWollkämmer, BGB, § 241 Rdn. 9; allerdings wird dort für alle Pflichten, die nicht Hauptleistungspflichten oder Schutzpflichten sind, der Begriff „Nebenleistungspflichten" verwendet. Dies ist natürlich ebenso möglich. Für den Terminus „leistungsbezogene Nebenpflichten" spricht jedoch die auf diese Weise mögliche Verknüpfung dieser Pflichtengruppe mit den Schutzpflichten.

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldverältnis

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c) Terminologie Für die vorstehend als Nebenpflichten bezeichneten Verhaltensanforderungen werden im Schrifttum vielfach andere Begriffe verwendet. Eine einheitliche Terminologie zur Erfassung der neben den Hauptleistungspflichten existierenden weiteren Pflichten der Parteien eines Schuldverhältnisses hat sich bislang nicht durchgesetzt. Eine verbreitete Auffassung befürwortet die Bezeichnung „Verhaltenspflichten" 78 oder „weitere Verhaltenspflichten" 79, weil sich auf diese Weise alle Anforderungen erfassen ließen, die den Parteien mit Rücksicht auf Treu und Glauben bei der Anbahnung, Vorbereitung und Abwicklung eines Schuldverhältnisses abverlangt werden. Die beabsichtigte Abgrenzung zu den (Haupt-)Leistungspflichten ist jedoch terminologisch wenig überzeugend. Auch bei einer Leistung handelt es sich um eine Form des Verhaltens. Der Begriff „weitere" Verhaltenspflicht ist zudem bei den Schuldverhältnissen ohne primäre Leistungspflicht80 mißverständlich, weil eine „weitere" Pflicht impliziert, daß es auch eine andere, nämlich eine vorrangige Verpflichtung gibt. Andere Autoren sprechen von „Sorgfaltspflichten" 81. Damit soll zum Ausdruck kommen, daß das wesentliche Merkmal dieser Pflichtengruppe die Verpflichtung der an einem Schuldverhältnis Beteiligten zu einem sorgfältigen Handeln sei. Allerdings charakterisiert diese Begrifflichkeit eher einen Haftungsmaßstab denn ein geschuldetes Verhalten. Auch bei der Erfüllung der Hauptleistungspflichten haben die Parteien sorgfältig zu verfahren. Mit der Verwendung des hier bevorzugten terminus „Nebenpflichten" 82 wird dem Umstand Rechnung getragen, daß es sich bei diesen Verhaltensanforderungen - in Abgrenzung zu den Hauptleistungspflichten - nicht um die wesentliche Obligation des Schuldverhältnisses handelt. Soweit die Nebenpflichten dem Leistungsinteresse dienen, sind sie lediglich in bezug auf die Hauptleistung von Be78

Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn. 208. Palandt-Heinrichs, BGB, Einl. v. §241 Rdn. 7; Larenz, SchuldR AT, §21; Gernhuber, Schuldverhältnisse, § 2IV 2. 80 Auf der Grundlage des hier vertretenen umfassenden Leistungsbegriffes (vgl. oben S. 340 müßte eigentlich von Schuldverhältnissen ohne primäre //awpfleistungspflicht gesprochen werden, da sich auch die Erfüllung von Nebenpflichten als Leistung darstellt. Weil der Begriff der Schuldverhältnisse ohne primäre Leistungspflicht sich indes durchgesetzt hat, wird er auch nachfolgend Verwendung finden. 81 Vgl. Werner Lorenz JZ 1960,108 (111); Stürner JZ 1976, 384 (384 ff); Evans-von Krbek AcP 179 (1979), 85 (85 ff). 82 Ebenso MilnchKomm-Emmerich, BGB, vor §275 Rdn. 282 ff; Esser/Schmidt, SchuldR AT 1, § 6IV; Brox, SchuldR AT, Rdn. 13; Canaris JZ 1965,475; von Bar AcP 179 (1979), 452 (467); soweit teilweise zwischen „selbständigen" und „unselbständigen" Nebenpflichten differenziert wird (vgl. z.B. MünchKomm -Kramer, BGB, §241 Rdn. 14, 18; Palandt-//ewnc/w, BGB, § 242 Rdn. 25, Erman-Werner, BGB, § 242 Rdn. 54f) ist diese Abgrenzung identisch mit der Unterscheidung von Nebenpflichten und Nebenleistungspflichten (letztere werden als „selbständige Nebenpflichten" bezeichnet), auf die vorliegend verzichtet werden soll. 79

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1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

deutung und daher auch nur im Zusammenhang mit dieser verwendbar. Sie sind mithin lediglich als „Nebenaspekt" relevant. Schützen Nebenpflichten das Integritätsinteresse der Parteien, sind sie ohnehin nicht zentraler Inhalt des Schuldverhältnisses. Der auch im Rahmen der Bezeichnung als „Nebenpflichten" bestehenden Gefahr der Irritation bei den Schuldverhältnissen ohne primäre Leistungspflicht (der Begriff „Nebenpflicht" kann zu dem Schluß verleiten, es müsse auch eine „Hauptpflicht" existieren), läßt sich dadurch begegnen, daß man im Zusammenhang mit diesen Schuldverhältnissen die den konkreten Typus der Nebenpflicht kennzeichnenden Begriffe, insbesondere also die Bezeichnungen Schutz- oder Aufklärungspflichten verwendet. Speziell in dem hier untersuchten Bereich der möglichen Pflichten des Bürgschaftsgläubigers, die Interessen des Bürgen zu wahren, ist darüber hinaus der Begriff „Diligenzpflichten" verbreitet. Mit diesem überkommenen, schon in den Gesetzesmaterialien verwendeten Ausdruck83 werden teilweise sämtliche Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers bezeichnet, unabhängig davon, ob diese vor oder nach Vertragsschluß bestehen sollen84. Andere beschränken seine Anwendung auf die Verhaltensanforderungen, denen sie den Gläubiger in Bezug auf den Gebrauch und die Geltendmachung der Hauptforderung unterwerfen 85. Soweit im Rahmen dieser Arbeit von „Diligenzpflichten" die Rede ist, sind solche vertraglichen oder vorvertraglichen Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers gemeint, die der Begrenzung des von dem Bürgen übernommenen bzw. zu übernehmenden Risikos oder der Sicherung der Realisierbarkeit seiner Rückgriffsansprüche gegen den Hauptschuldner oder dritte Sicherungsgeber dienen. Nicht als Diligenzpflichten bezeichnet werden die in jedem Schuldverhältnis bestehenden allgemeinen Verhaltensanforderungen, die keinen Bezug zu der bürgschaftsspezifischen Risikoverteilung aufweisen. Hierdurch soll der prägenden Verwendung des Begriffes in den Gesetzesmaterialien Rechnung getragen werden. Gleichzeitig dient die vorstehende Abgrenzung dazu, die Besonderheiten der Gläubigerpflichten im Bürgschaftsverhältnis zu betonen.

d) Arten von Nebenpflichten Innerhalb der schuldrechtlichen Nebenpflichten sind nach ihrer Schutzfunktion, also nach der Art des Interesses, das der Berechtigte an ihrer Einhaltung hat, drei Gruppen zu unterscheiden.

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Vgl. Mot. II, S. 678 ff; Prot. II, S. 1029. SoKnütel, Flume-FS 1,559 (563); Fontaine, Diligenzpflichten, S.6f; Groeschke, Schuldturmproblematik, S. 120 FN 1. 85 Stüven, Diligenzpflicht, S.3f. 84

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldveihältnis

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aa) Leistungsbezogene Nebenpflichten (1) Schutzzweck und Geltungsgrund Die bereits erwähnten leistungsbezogenen Nebenpflichten dienen der Verwirklichung und Sicherung des Interesses der Parteien an der Erfüllung der Hauptleistungspflichten86. Ihre Aufgabe ist es vornehmlich, den jeweiligen Gläubiger in die Lage zu versetzen, die Hauptleistung des Schuldners entgegenzunehmen und sie bestimmungsgemäß zu nutzen. Die leistungsbezogenen Nebenpflichten sind also wie die Hauptleistungspflichten ausgerichtet auf den durch das Schuldverhältnis zu erreichenden status ad quem; sie bezwecken letztlich die Sicherung eines leistungskonformen Gesamtverhaltens, das der sinn- und zweckgerichteten Abwicklung des Obligationenprogrammes dient. Aus ihrer Bezogenheit auf die Hauptleistung folgt, daß es leistungsbezogene Nebenpflichten in Schuldverhältnissen ohne primäre Leistungspflicht, insbesondere also im Vertragsanbahnungsverhältnis, nicht gibt87. Demgegenüber können sie als nachwirkende Vertragspflichten trotz Erfüllung der Hauptleistungspflichten und vollständiger Abwicklung des Vertragsverhältnisses fortbestehen 88. Innerer Geltungsgrund dieser Verhaltensanforderungen ist - soweit sie sich nicht auf ausdrückliche Parteivereinbarungen oder gesetzliche Regelungen stützen - im Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse der Wille der Parteien zum Leistungsaustausch89. Bei den gesetzlichen Schuldverhältnissen stützen sie sich auf die gesetzgeberische Wertung, die den Vorschriften des jeweiligen Schuldverhältnisses zugrundeliegt. (2) Typen leistungsbezogener Nebenpflichten Bei den leistungsbezogenen Nebenpflichten kann weiter zwischen Mitwirkungsund Leistungstreuepflichten unterschieden werden. (a) Mitwirkungspflichten Die Parteien eines Schuldverhältnisses sind einander verpflichtet, zur Erreichung des Vertragszweckes und zur Sicherung des Erfolges der Hauptleistung zusammen86 MünchKomm-ZtaA, BGB, §242 Rdn. 116, 147; MünchKomm-Kramer, BGB, §241 Rdn. 19; Medicus, SchuldR AT, Rdn. 417; ders., Bürgerliches Recht, Rdn. 208; Gernhuber, Schuldverhältnisse, §2IV 2. 87 Vgl. Medicus, SchuldR AT, Rdn. 417. 88 MünchKomm-/?oi/i, BGB, § 242 Rdn. 161 ff. 89 Vgl. MünchKomm-/?orA, BGB, § 242 Rdn. 116, 147, der indes die gesetzlichen Schuldverhältnisse vernachlässigt.

1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

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zuwirken . Hierbei obliegt es ihnen, nach Treu und Glauben die Voraussetzungen für die Durchführung des Vertrages zu schaffen, insbesondere dem Entstehen von Erfüllungshindernissen vorzubeugen oder solche zu beseitigen. Mitwirkungspflichten bestehen allerdings nur, soweit nicht der ausschließliche Interessen- und Risikobereich einer Seite betroffen ist91. Der Hauptanwendungsbereich von Mitwirkungspflichten liegt bei den genehmigungsbedürftigen Schuldverhältnissen. Sofern das Rechtsgeschäft im übrigen wirksam ist, sind beide Parteien verpflichtet, alles zu tun, um die erforderliche Genehmigung herbeizuführen und alles zu unterlassen, was ihre Erteilung gefährden oder vereiteln könnte92. Dies gilt unabhängig davon, ob das Verpflichtungs- oder das Erfüllungsgeschäft genehmigungsbedürftig ist93. Das beiderseitige Pflichtenprogramm kann dabei sogar soweit gehen, daß zumutbare Vertragsanpassungen vorzunehmen sind, wenn sich nur so die benötigte Genehmigung erreichen läßt94. Mitwirkungspflichten bei der Vertragsdurchführung treffen im wesentlichen den Schuldner95. Dieser kann nach Treu und Glauben verpflichtet sein, den Gläubiger in den Stand zu versetzen, die Hauptleistung vertragsgemäß verwenden zu können, beispielsweise dadurch, daß er ihn in die Benutzung des gelieferten Gegenstandes einweist oder ihm zur Nutzung erforderliche Urkunden zugänglich macht. Zurückhaltung ist dagegen geboten bei der Anerkennung von Gläubigerpflichten, dem Schuldner die Leistungserbringung zu erleichtern oder durch zumutbare Mitwirkungshandlungen ein Unvermögen des Schuldners zu verhindern96. Bei diesen handelt es sich häufig um bloße Obliegenheiten97, die entweder die Verantwortlichkeit des Schuldners für eine Leistungsstörung beseitigen oder aber zum Annahmeverzug des Gläubigers führen 98. 90

MünchKomm-ZtorA, BGB, § 242 Rdn. 167; Palandt-//emric/w, BGB, § 242 Rdn. 32, § 276 Rdn. 118; Erman-Werner, BGB, §242 Rdn. 67. 91 BGH ZIP 1982, 742 (743); 1990, 224 (226); MünchKomm-ZtorA, BGB, § 242 Rdn. 167. 92 BGHZ 14, 1 (2); 67, 34 (35); BVerwG NJW-RR 1986, 756 (758); Paiandt-Heinrichs, BGB, § 242 Rdn. 33, § 275 Rdn. 27. 93 Auch wenn bei den genehmigungsbedürftigen Verpflichtungsgeschäften mangels wirksamen Vertragsschlusses vor Erteilung der Genehmigung kein Erfüllungsanspruch besteht (vgl. BGH NJW 1993,648 (651)), handelt es sich bei der diesbezüglichen Mitwirkungspflicht dogmatisch um eine leistungsbezogene Nebenpflicht, weil sie den Abschluß eines (wenn auch schwebend unwirksamen) Vertrages voraussetzt. Nach zutreffender Auffassung wird daher für Pflichtverletzungen nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung gehaftet, vgl. BGH MDR1963,837 (838); L M Nr.4 zu Art.IV KRG 45; MünchKomm-ZtoA, BGB, §242 Rdn. 174; a. A. RGZ 114, 155 (159); Palandt-Heinrichs, BGB, §275 Rdn. 27: culpa in contrahendo. 94 BGH NJW 1960, 523; DNotZ 1966, 739 (742f); MünchKomm-ZtoA, BGB, § 242 Rdn. 172. 95 Vgl. MünchKomm-/?oi/i, BGB, §242 Rdn. 177ff. 96 Vgl. dazu Erman-Werner, BGB, § 242 Rdn. 67. 97 s. unten S. 52. 98 MünchKomm-ZtofA, BGB, §242 Rdn. 179.

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(b) Leistungstreuepflichten Nach Treu und Glauben sind die Parteien eines Schuldverhältnisses ferner zur gegenseitigen Leistungstreue verpflichtet". Dazu gehört es, alles zu unterlassen, was den Vertragszweck oder den Leistungserfolg gefährdet. Der Schuldner ist darüber hinaus verpflichtet, alles zu tun, um den Leistungserfolg vorzubereiten, herbeizuführen und zu sichern100. Hierzu trifft ihn vom Abschluß des Vertrages bis zur endgültigen Erbringung der Hauptleistung eine umfassende Erhaltungs- und Obhutspflicht hinsichtlich des Schuldgegenstandes101. Gegen ihre Pflicht zur Leistungstreue verstoßen die Parteien, wenn sie die Erfüllung des Vertrages ernsthaft verweigern 102 oder sich grundlos vom Vertrag lossagen, insbesondere indem sie diesen ungerechtfertigt kündigen103. Ferner ist es ihnen verboten, durch schwere UnZuverlässigkeiten die Vertrauensgrundlage des Vertrages zu gefährden 104. Im Einzelfall können sich aus einem Schuldverhältnis Pflichten zur gegenseitigen Unterstützung, nötigenfalls auch gegen Dritte, sowie zur Wahrung der Interessen des anderen Teiles ergeben105. Dies kommt vor allem bei Dauerschuldverhältnissen mit dienst-, arbeits- oder gesellschaftsrechtlichem Charakter sowie bei Geschäftsbesorgungs- oder Treuhandverträgen in Betracht106. Allerdings ist keine Partei gehalten, gleichrangige eigene Interessen gegenüber den Belangen des Partners zurückzustellen107. Die Verpflichtung zur Leistungstreue besteht als nachwirkende Treuepflicht selbst nach vollständiger Abwicklung des Vertragsverhältnisses fort 108. Sie verbietet es den Partnern, sich die gegenseitig gewährten Vorteile nach Vertragsende wieder zu entziehen oder diese wesentlich zu schmälern. Zu der geschuldeten Leistungstreue kann es auch gehören, während des Laufes des Schuldverhältnisses und möglicherweise für einen gewissen Zeitraum danach einen den Leistungserfolg gefährdenden eigenen Wettbewerb gegenüber dem Vertragspartner zu unterlassen und die Konkurrenztätigkeit Dritter nicht zu fördern 109. " V g l . MünchKomm-Zto/A, BGB, §242 Rdn. 147ff; Palandt-Heinrichs, BGB, §242 Rdn. 27 ff; Emmerich, Leistungsstörungen, §21 II. 100 BGH NJW 1978, 260; 1983, 998; NJW-RR 1989, 1393 (1395). 101 MünchKomm-ZtofA, BGB, §242 Rdn. 148; Palandt-Heinrichs, BGB, §242 Rdn. 28. 102 BGHZ 49,56 (59f); 65, 372 (3740; 90, 302 (308). 103 BGHZ 53,150 (151); 89,296 (301 f); BGH NJW 1967,248 (248 f); 1988,1269: kritisch zu einer unberechtigten Kündigung als Verstoß gegen die Leistungstreuepflicht Klinkhammer NJW 1997,221 (221 f). 104 BGH NJW 1978, 260; 1978,416 (416f); BB 1991, 2393. 105 BGH W M 1968,1299 (1301); MünchKomm-/toA, BGB, §242 Rdn. 158; Palandt-//*wrichs, BGB, §242 Rdn. 31. «* Vgl. MünchKomm-/toA, BGB, §242 Rdn. 158 ff. 107 BGH L M Nr. 21 zu §455 BGB. 108 BGH NJW-RR 1990,141 (142); MünchKomm-Emmerich, BGB, vor §275 Rdn.402; Palandt-Heinrichs, BGB, §242 Rdn. 2; §276 Rdn. 121. 109 Vgl. hierzu MünchKomm-fofA, BGB, §242 Rdn. 156.

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1. Teil: Das Schuld Verhältnis und seine Pflichten

bb) Schutzpflichten Von den leistungsbezogenen Nebenpflichten sind die Schutzpflichten zu unterscheiden. (1) Schutzzweck und Geltungsgrund Letztere bezwecken den Schutz des Integritätsinteresses der an dem Schuldverhältnis beteiligten Parteien110. Ihre Verletzung beeinträchtigt nicht die Erbringung der Hauptleistung, sondern führt zu einer Schädigung der sonstigen Rechte oder Rechtsgüter eines der Partner des Schuldverhältnisses. Bei den Schutzpflichten geht es also nicht um eine Förderung des Erfüllungsinteresses des Gläubigers. Vielmehr haben sie die Funktion, Eingriffe in den Rechtskreis der Parteien eines Schuldverhältnisses zu verhindern, und zwar sowohl zum Schutz ihrer körperlichen Integrität als auch zur Bewahrung ihres Güter- oder Vermögensstandes. Da die Schutzpflichten von einem Leistungsinteresse unabhängig sind, setzen sie einen Vertragsschluß nicht voraus. Sie bestehen deshalb in rechtsgeschäftlichen wie gesetzlichen Schuldverhältnissen, also auch in solchen ohne primäre Leistungspflicht. Der Rechtgrund der Schutzpflichten ergibt sich nach h.M. 1 1 1 aus den durch die Begründung des Schuldverhältnisses eröffneten Einwirkungsmöglichkeiten auf den fremden Rechtskreis sowie dem hierdurch bestehenden besonderen Vertrauensverhältnis zwischen seinen Partnern. Entwickelt wurden sie vor allem deshalb, weil sich der deliktische Schutz der Rechtsgütersphäre im Rahmen von schuldrechtlichen Sonderverbindungen wegen des fehlenden Vermögensschutzes, der Entlastungsmöglichkeit für Gehilfenhandeln sowie der Beweislastverteilung als unzureichend erwiesen hat112. (2) Inhalt Die verschiedenen Schutzpflichten lassen sich ihrem Inhalt nach dahingehend zusammenfassen, daß die Parteien eines Schuldverhältnisses sich bei dessen Anbahnung und Abwicklung so zu verhalten haben, daß andere Beteiligte in ihren Rechts110 BGH NJW 1983, 2813 (2814); KG NJW 1985, 2137; Soeigel-Teichmann, BGB, §242 Rdn. 178; MünchKomm -Kramer, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 72; §241 Rdn. 19; MünchKomm-ZtofA, BGB, §242 Rdn. 117, 183; Jauernig-Vollkommer, BGB, §241 Rdn. 10; Huber AcP 177 (1977), 281 (288 ff); kritisch Ptiandt-Heinrichs, BGB, § 242 Rdn. 35, mit dem Hinweis, daß der Schutz des Erhaltungsinteresses zwar primärer Zweck der Schutzpflichten sei, diese aber mittelbar auch der Sicherung des Leistungsinteresses dienten. m BGH W M 1976, 427 (428); MünchKomm-Kramer, BGB, Einl. zu §§ 241 Rdn. 72; MünchKomm-ZtorA, BGB, §242 Rdn. 130; Henssler, Risiko, S. 143. 112 Vgl. MiinchKomm-Emmerich, BGB, vor §275 Rdn.294; Paiandt-Heinrichs, BGB, §242 Rdn. 8; §276 Rdn. 67.

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gütern nicht geschädigt werden . Es besteht daher eine umfassende, durch das Kriterium der Zumutbarkeit begrenzte, schuldrechtliche „Nichtschädigungspflicht", die neben eine etwaig gleichzeitig bestehende deliktische Verkehrssicherungspflicht tritt. Die Haftung für Schutzpflichtverletzungen nach Vertragsgrundsätzen setzt stets voraus, daß die Rechtsgutverletzung in Zusammenhang mit der durch das Schuldverhältnis begründeten erhöhten Einwirkungsmöglichkeit auf den fremden Rechtskreis steht114. Solange die gesteigerten Einwirkungsmöglichkeiten andauern und die Parteien daher gezwungen sind, in einem höheren Maße als sonst auf die Wahrung ihres Vermögens- und Güterstandes durch den Partner des Schuldverhältnisses zu vertrauen, werden sie von den Schutzpflichten erfaßt. Diese existieren daher nicht nur im Stadium der Vertragsanbahnung und -durchführung, sondern können als nachwirkende Schutzpflichten trotz beiderseitiger Erfüllung des Vertrages fortbestehen 115. (3) Einheitliches gesetzliches Schutzpflichtverhältnis? Von im wesentlichen dogmatischer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die umstrittene Frage, ob die Schutzpflichten teils gesetzlicher, teils vertraglicher Natur sind, je nachdem, ob sie sich auf das Vertragsanbahnungsverhältnis oder den Zeitraum nach Vertragsschluß beziehen116, oder ob von der Existenz eines einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses als Grundlage sämtlicher auf das Integritätsinteresse bezogener Verhaltensanforderungen auszugehen ist117. Gegen die Einordnung aller Schutzpflichten als gesetzliche Pflichten spricht jedoch, daß die Annahme, nach Vertragsschluß würden zwei parallele Rechtsverhältnisse bestehen, nämlich eines der vertraglichen Leistungs- und eines der gesetzlichen Schutzpflichten, ausgesprochen konstruiert wirkt 118. Auch vernachlässigt man auf diese Weise, daß der Vertragsinhalt Auswirkungen auf Umfang und Intensität der Schutzpflichten haben kann, beispielsweise im Rahmen von vertraglich vereinbarten oder gesetzlich für bestimmte Vertragstypen vorgesehenen Haftungsmilderungen 119. Schließlich 113 BGH NJW 1983,2814; KG NJW 1985,2137; MünchKomm-tfofA, BGB, §242 Rdn. 187; Soergel-Teichmann, BGB, § 242 Rdn. 178; Palandt-Heinrichs, BGB, § 242 Rdn. 35, § 276 Rdn. 117. 114 Vgl. OLG Saarbrücken NJW-RR 1995, 23 (24). 113 MünchKomm -Emmerich, BGB, vor §275 Rdn. 403. 116 So die sog. Umwandlungstheorie; vgl. Staudinger-LöwwcA, BGB, vor §275 Rdn. 26; Palandt-Heinrichs, BGB, §276 Rdn. 106; Gernhuber, Schuldverhältnisse, §2IV4c. 117 So die von Canaris JZ 1965, 475 (478ff) begründete sog. Einheitstheorie, vgl. auch Frost, Schutzpflichten, S.202f; von Lackum, Verschmelzung, S. 158 ff. 118 Henssler, Risiko, S. 132; vgl. auch Gernhuber, Schuldverhältnisse, § 2 I V 4c, der zu Recht von einem „Überschuß an rechtlicher Durchdringung des tatsächlichen Geschehens" spricht. 119 Inwieweit Haftungsmilderungen auch für Schutzpflichten gelten, ist durch Auslegung zu ermitteln; vgl. Medicus, SchuldR AT, Rdn. 419; zurückhaltend MünchKomm-Emmerich, BGB, vor §275 Rdn. 300.

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1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

verstellt die Lehre von dem einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis den Blick auf die Bedeutung wiederholter Verstöße gegen Schutzpflichten für das gesamte Schuldverhältnis, nämlich als zur Beendigung desselben berechtigende Gefährdung des Vertragszweckes120. Es erscheint daher zutreffend, davon auszugehen, daß die vorvertraglich auf dem gesetzlichen Schuldverhältnis der Vertragsanbahnung beruhenden Schutzpflichten in einem später geschlossenen vertraglichen Schuldverhältnis aufgehen und sodann als vertragliche Nebenpflichten einzuordnen sind121. cc) Informationspflichten Separat zu erfassen sind schließlich die Informationspflichten der Parteien eines Schuldverhältnisses. (1) Schutzzweck und Geltungsgrund Diese lassen sich weder durchgängig dem Ziel der Sicherung des Leistungsinteresses noch den Schutzpflichten zuordnen122. Die begehrte Information kann nämlich sowohl für den Gläubiger zum Zwecke der Durchsetzung seines Anspruches auf die Hauptleistung als auch für eine der beiden Parteien des Schuldverhältnisses zur Sicherung ihrer Rechtsgütersphäre erforderlich sein. Dementsprechend besteht bei den Informationspflichten kein einheitlicher Geltungsgrund123. Soweit sie dem Leistungsinteresse dienen, beruhen sie auf dem vertraglichen Willen der Parteien zum Leistungsaustausch. Bezwecken sie den Schutz des Integritätsinteresses, stützen sie sich auf die Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen durch diejenigen, die ihre Rechtsgütersphäre einander im Rahmen eines Schuldverhältnisses öffnen. Im vorvertraglichen Schuldverhältnis sollen Informationspflichten den Verhandlungspartner vor dem Abschluß eines seinen Interessen nicht entsprechenden Vertrages schützen. Auch soweit hier der Enttäuschung eines künftigen Leistungsinteresses vorgebeugt wird, dienen sie dort insgesamt dem Schutz vor nachteiligen Dispositionen und damit der Sicherung des auf die allgemeine Vermögenssphäre bezogenen Integritätsinteresses des Informationsbedürftigen 124. 120

Vgl. hierzu BGH NJW 1968, 1444 (1444f); BB 1991, 2393 (2393f); BAG NJW 1981,

188. 121

Ebenso wohl BGHZ 63, 382 (388); BGH JZ 1964, 654 (655); offengelassen von BGHZ 66, 51 (56 f); BGH W M 1976, 427 (428 f); eher für die gegenteilige Ansicht BGHZ 70, 337 (344). 122 Palandt-Heinrichs, BGB, § 276 Rdn. 119. >» Vgl. MünchKomm-/fo//z, BGB, §242 Rdn. 118. 124 Ebenso MünchKomm-forA, BGB, § 242 Rdn. 118.

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldveiältnis

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(2) Typen von Informationspflichten Die verschiedenen Informationspflichten lassen sich in Aufklärungs-, Mitteilungs-, Auskunfts-, Rechenschafts- sowie Wahrheitspflichten unterscheiden. Auch die Pflicht zur Verhandlungstreue im Vertragsanbahnungsverhältnis kann als Anwendungsfall der Informationspflichten erfaßt werden. (a) Auskunftspflichten Für verschiedene vertragliche und gesetzliche Schuldverhältnisse sehen spezielle gesetzliche Vorschriften Auskunftspflichten eines Beteiligten vor 125 . Über diese Regelungen hinaus kann sich eine entsprechende Verpflichtung aufgrund rechtsgeschäftlicher Abreden oder aus § 242 BGB ergeben. Eine allgemeine Auskunftspflicht im Rahmen von Schuldverhältnissen besteht jedoch nicht126. Der in ständiger Rechtsprechung127 entwickelte und inzwischen zu Gewohnheitsrecht erstarkte 128 Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben erfordert, daß der Berechtigte nach dem Wesen des Schuldverhältnisses in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang eines Rechtes im Ungewissen und der Verpflichtete ünschwer in der Lage ist, die für die Beseitigung der Ungewißheit erforderliche Auskunft zu erteilen. Der Auskunftsanspruch aus § 242 BGB kann gleichermaßen innerhalb von rechtsgeschäftlichen wie gesetzlichen Schuldverhältnissen bestehen. Er richtet sich - im Gegensatz zu den Aufklärungspflichten - nicht auf die spontane Information des Begünstigten, sondern ist nur dann zu erfüllen, wenn die Auskunft ausdrücklich verlangt wird 129 . Als Wissenserklärung bedarf sie grds. der Schriftform 130, in einfach gelagerten Fällen kann jedoch auch eine mündliche Auskunft genügen131. (b) Rechenschaftspflichten Bei einer Rechenschaftslegung handelt es sich um eine rechtfertigende, qualifizierte Art der Auskunft 132. Sie erfordert nach § 2591 BGB eine übersichtliche, in sich 125 Z.B. §§402, 444, 666 BGB (vertragliche Schuldverhältnisse); §§681 S.2 i. V.m.666, 1605, 2057, 23141 BGB (gesetzliche Schuldverhältnisse); §260 BGB begründet einen Auskunftsanspruch für jeden, der einen Inbegriff von Gegenständen herauszugeben hat, gleich ob sich seine Verpflichtung aus Vertrag oder Gesetz ergibt. 126 BGHZ 74, 379 (380); NJW 1978, 1002; 1981, 1733; 1988, 1906; Erman-Werner, BGB, § 242 Rdn.65; Lüke JuS 1986, 2 (20127 Vgl. nur BGHZ 10,385 (387); 55,201 (203); 81,21 (24); 91,154 (171); 95,285 (2870; BGH NJW 1995, 386 (387). 128 Köhler NJW 1992, 1477 (1480); Stephan Lorenz JuS 1995, 569 (573). 129 Kopeke, Positive Vertragsverletzung, S. 115; Klingler, Aufklärungspflicht, S.20. 130 OLG München FamRZ 1995, 737. 131 Soergel-Wolf BGB, §260 Rdn. 57. 132 Vgl. BGHZ 93, 327 (3290-

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1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

verständliche Zusammenstellung von Einnahmen und Ausgaben. Jenseits ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen133 oder vertraglicher Vereinbarungen ergibt sich eine Rechenschaftspflicht aus § 242 BGB i. S. e. allgemeinen Rechtsgrundsatzes für jeden, der fremde Angelegenheiten besorgt oder solche, die zugleich fremde und eigene sind134. Ob die Geschäftsbesorgung im Rahmen eines rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses erfolgt, spielt keine Rolle. Die Grenze für Bestehen und Umfang einer Rechenschaftspflicht wird - wie bei der Auskunftspflicht - im wesentlichen durch den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit für den Belasteten bestimmt135. (c) Aufklärungs- und Mitteilungspflichten Während die Begriffe Auskunfts- und Rechenschaftspflichten weitgehend festgelegt sind, erfahren die übrigen Informationspflichten häufig unterschiedliche Bezeichnungen und weitergehende Differenzierungen. So ist von Aufklärungs-, Anzeige», Hinweis-, Belehrungs-, Mitteilungs-, Benachrichtigungs-, Offenbarungsund Warnpflichten die Rede, ohne daß inhaltliche Unterschiede deutlich werden. Stets geht es um die Verpflichtung, den anderen Teil spontan, d. h. ohne besonderes Verlangen, über erkennbar entscheidungserhebliche Umstände zu informieren 136. Im Rahmen dieser Arbeit wird lediglich zwischen Aufklärungs- und Mitteilungspflichten unterschieden. Die unaufgeforderte Information im vorvertraglichen Bereich soll als Aufklärung, ein entsprechendes Verhalten nach Vertragsschluß als Mitteilung bezeichnet werden.vollständig (aa) Vorvertragliche Aufklärungspflichten Bei Verhandlungen über den Abschluß eines Vertrages ist es grds. Sache jeder Partei selbst, sich über die Marktverhältnisse sowie die Chancen und Risiken des angedachten Geschäftes zu informieren. Zwischen den Parteien des vorvertraglichen Schuldverhältnisses besteht diesbezüglich ein natürlicher Interessenwiderstreit, weil jede Seite mit dem erhofften Vertragsschluß eigene Zwecke verfolgt und berechtigterweise einen hieran ausgerichteten, für sich selbst möglichst günstigen Vertragsinhalt anstrebt. Dabei ist es regelmäßig zulässig, bessere Marktkenntnisse und sonstige Informationsvorsprünge auszunutzen, um auf diese Weise ein vorteilhaftes 133

Z.B. §§666,16981,1890,2218 BGB, §28 III, IV WEG, §87c HGB; §259 BGB ist dagegen keine Anspruchsgrundlage, sondern regelt die Art und Weise, in der Rechenschaft abzulegen ist; vgl. MünchKomm-KW/er, BGB, §259 Rdn. 1 f. 134 BGHZ 10, 385 (386f); BGH NJW 1959,1963; Palandt-Heinrichs, BGB, §261 Rdn. 18; Erman -Werner, BGB, § 242 Rdn. 65. 135 BGHZ 81, 21 (24 f); BGH NJW 1982, 573 (574); Palandt-Heinrichs, BGB, §261 Rdn. 18. 136 Vgl. nur MünchKomm-ZtofA, BGB, § 242 Rdn. 210; Rümker, Bankrechtstag 1992, 29 (30).

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldveiältnis

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Verhandlungsergebnis zu erreichen. Eine allgemeine Aufklärungspflicht, den anderen Teil über sämtliche für den Vertragsschluß relevanten Umstände zu informieren, besteht nicht137. Trotz dieses Interessengegensatzes kann es den Parteien des Vertragsanbahnungsverhältnisses obliegen, den anderen Teil über für seine Vertragsentscheidung erkennbar entscheidungserhebliche Umstände aufzuklären. Voraussetzung hierfür ist, daß eine spontane Information nach Treu und Glauben und der Verkehrsauffassung redlicherweise erwartet werden darf 38 . Die Statuierung von Aufklärungspflichten erfordert eine Abwägung zwischen dem berechtigten Gewinnstreben einerseits und der nach § 242 BGB gegenüber dem Verhandlungspartner bestehenden Pflicht zu einem redlichen und loyalen Verhalten andererseits. Diese erfolgt im Rahmen eines „beweglichen Systems" anhand verschiedener Kriterien, zu denen insbesondere der Informationsbedarf des Begünstigten, die Informationsmöglichkeiten des Verpflichteten sowie die Intensität der gegenseitigen Beziehungen gehören139. Für das Bestehen einer Aufklärungspflicht sprechen u. a. die besondere Tragweite der dem Aufklärungsbedürftigen unbekannten Information, insbesondere deren Eignung, den Zweck des abzuschließenden Vertrages zu vereiteln140, eine besondere Vertrauensprägung der vorvertraglichen Rechtsbeziehungen141 sowie die persönlichen Verhältnisse der Parteien, insbesondere die Intensität des Informationsgefälles142. Auch die näheren Umstände der Vertragsverhandlungen vermögen eine Aufklärungspflicht zu begründen, so ζ. B. wenn der Pflichtige den Anschein besonderer Sachkunde erweckt143. Schließlich ist zu berücksichtigen, ob der Aufklärungsbedürftige sich nach speziellen Gegebenheiten erkundigt und dadurch zum Ausdruck bringt, an der Kenntnis bestimmter Umstände besonders interessiert zu sein144. Keine Aufklärungspflicht besteht dagegen über geschäftstypische Risiken und allgemeine Marktverhältnisse sowie regelmäßig bei Geschäften mit spekulativem Charakter 145. Begrenzt werden Aufklärungspflichten durch das Geheimhaltungsinteresse Dritter 146 sowie die schutzwürdigen Belange des Aufklärungspflichtigen. 137 BGH W M 1970,132 (133); 1976,50 (51); NJW 1971,1795 (1799); 1983,2493 (2493f); Emmerich, Leistungsstörungen, S.49. 138 BGHZ 47,207 (211); 60,221 (224); NJW 1971,1795 (1799); 1989,763 (764); NJW-RR 1991,439(440). 139 Vgl. Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 414ff; Breidenbach, Informationspflichten, S.62ff; Rümker, Bankrechtstag 1992, 29 (37 ff). 140 BGH NJW 1971, 1795 (1799); 1974, 849 (851); 1979, 2243; 80, 2460 (2460f); W M 1971,1096 (1097); 1988,1449 (1450). 141 BGH NJW 1992, 300 (302). 142 BGHZ 47,207 (211); NJW 1974, 849 (851); 1977,1055 (1056); 1992, 300 (302); OLG Brandenburg NJW-RR 1996, 724 (726). 143 LG Berlin NJW-RR 1989, 504 (505). 144 MünchKomm-Emmerich, vor § 275 Rdn. 82. 145 Vgl. MünchKomm-ZtofA, BGB, §242 Rdn. 222f. 146 Zu dem Konflikt zwischen Aufklärungspflicht und Bankgeheimnis vgl. unten S. 154ff.

4 Dreismann

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1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

Dieser ist regelmäßig nicht verpflichtet, sich Informationen erst zu beschaffen. Vielmehr muß - von in engen Grenzen möglichen Ausnahmefällen abgesehen - nur über Tatsachen aufgeklärt werden, die dem Pflichtigen bereits bekannt sind147. Inhalt und Umfang von Aufklärungspflichten werden retrospektiv ermittelt. Im Gegensatz zu den Auskunftspflichten, bei denen es um Informationen geht, an denen der Berechtigte sein künftiges Verhalten orientieren will, betreffen die Aufklärungspflichten solche Umstände, deren Kenntnis der Berechtigte benötigt hätte, um sein früheres Handeln nach diesen auszurichten148. Ob eine Aufklärungspflicht im konkreten Fall bestand, ist daher immer erst nach Bekanntwerden der vorenthaltenen Information festzustellen. (bb) Vertragliche Mitteilungspflichten Vertragliche Mitteilungspflichten können sich, sofern sie nicht im Einzelfall auf gesetzlichen Regelungen149 oder vertraglichen Vereinbarungen beruhen, aus den Erfordernissen von Treu und Glauben ergeben. Für ihre Bestimmung gelten die Grundsätze entsprechend, nach denen sich das Bestehen vorvertraglicher Aufklärungspflichten richtet 150. Als vertragliche Pflichten werden sie in besonderer Weise von der Art des Vertragsverhältnisses und der Intensität der aus ihm erwachsenen Vertrauensbeziehung bestimmt. Daher bestehen bei Verträgen mit personenrechtlichen Elementen, längerer Bindungsdauer undfiduziarischem Charakter Mitteilungspflichten in größerem Umfang als bei solchen Schuldverhältnissen, die auf den kurzfristigen und einmaligen Austausch von Leistungen gerichtet sind151. (d) Wahrheitspflicht Von den Pflichten zur Erteilung von Informationen ist die allgemeine Wahrheitspflicht zu unterscheiden. Diese besteht nicht nur, wenn Auskunft oder Aufklärung geschuldet wird. Vielmehr ist es den Parteien von gesetzlichen wie rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnissen generell untersagt, den Partner falsch zu unterrichten. Werden daher aus eigenem Antrieb oder auf Befragen Informationen erteilt, müssen diese stets inhaltlich zutreffen und vollständig sein152. Scheut der Befragte die ord147

Vgl. BGH WM 1992,602 (603); MünchKomm-/toÄ, BGB, §242 Rdn. 217; Emmerich, Leistungsstörungen, S.49. 148 Vgl. MünchKomm-/?oi/i, BGB, § 242 Rdn. 210; Palandt -Heinrichs, BGB, § 242 Rdn. 37; Klingler, Aufklärungspflicht, S.21; Werres, Aufklärungspflichten, S.4. 149 Vgl. §§5451, §650 II BGB. 150 MünchKomm -Emmerich, BGB, vor § 275 Rdn. 285. 151 Vgl. auch Erman -Werner, BGB, § 242 Rdn. 63; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 50. 152 s. hierzu BGH NJW 1998,302; NJW-RR 1994,76 (77); 1997,144 (145); MünchKommRoth, BGB, §242 Rdn. 211; Palandt -Heinrichs, BGB, § 123 Rdn. 5 a; Gernhuber, Schuldverhältnisse, §8118.

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldverhältnis

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nungsgemäße Beantwortung einer Frage, hat er diese, wenn eine Aufklärungs- oder Auskunftspflicht nicht besteht, zurückzuweisen. Ein Recht zur Lüge besteht auch bei unzulässigen Fragen nicht153. (e) Pflicht zur Verhandlungstreue Im vorvertraglichen Schuldverhältnis sind die Parteien schließlich verpflichtet, sich dem Partner gegenüber verhandlungstreu zu verhalten. Dies verbietet es, Erwartungen hinsichtlich des Zustandekommens des Vertrages zu erwecken, die nach dem jeweiligen Verhandlungsstand und den eigenen Absichten nicht (mehr) gerechtfertigt sind154. Die Pflicht zur Verhandlungstreue soll es den Parteien des vorvertraglichen Schuldverhältnisses ermöglichen, die Chancen auf den Abschluß des Vertrages zutreffend einzuschätzen und damit die Risiken zu erfassen, die mit der Fortsetzung der Verhandlungen verbunden sind. Regelmäßig handelt es sich insoweit um Fälle unterlassener Benachrichtigung155, so daß sich die Verhandlungstreuepflicht als Fall der Informationspflichten begreifen läßt. Gegen seine Pflicht zur Verhandlungstreue verstößt, wer nur scheinbar verhandelt, obwohl er den Abschluß des Vertrages nicht ernstlich anstrebt oder den Partner mit nicht gerechtfertigten Versicherungen davon abhält, die Verhandlungen einzustellen156. Auch der grundlose Abbruch von Vertragsverhandlungen, bei dem die Pflichtverletzung darin liegt, daß von einem Vertragsschluß ohne triftigen Grund abgesehen wird, obwohl bei dem Verhandlungspartner vorher in zurechenbarer Weise das Vertrauen erweckt wurde, der Vertrag werde Zustandekommen157, sowie das Verbot der Verursachung von Abschlußmängeln158 lassen sich als Fälle der Pflicht zur Verhandlungstreue einordnen.

153 Vgl. Emmerich, Leistungsstörungen, S.49f; Gernhuber, Schuldverhältnis, §8118; streitig ist in diesem Zusammenhang, ob das von Rspr. und Lit. angenommene Recht des Arbeitnehmers, im Einstellungsgespräch unzulässige Fragen des Arbeitgebers unrichtig zu beantworten (vgl. BAGE 5,159 (163); BAG NJW 1985,645), eine Ausnahme von diesem Grundsatz darstellt (so MünchKomm-ZtorA, BGB, § 242 Rdn. 211) oder in diesem Fall lediglich keine arglistige Täuschung vorliegt (so Gernhuber, Schuldverhältnis, § 8 II 8). 154 Gernhuber, Schuldverhältnis, § 8 II 6 a. 155 Larenz, SchuldR AT, § 91 a 3. 156 Gernhuber, Schuldverhältnis, §8 II 6 a. 157 Vgl. BGHZ 71, 386 (395); 76, 343 (349); BGH NJW 1975, 1774; MünchKommEmmerich, BGB, vor §275 Rdn. 158 ff; Ptûanât-Heinrichs, BGB, §276 Rdn. 72 ff; a. A. Münch-Komm-ZtorA, BGB, § 242 Rdn. 126, der in diesen Fällen eine von Pflichtverletzungen losgelöste Vertrauens- oder Anscheinshaftung annimmt. 158 Vgl. dazu Palandt-//einrichs, BGB, § 276 Rdn. 77.

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1. Teil: Das Schuld Verhältnis und seine Pflichten

3. Obliegenheiten Von den Hauptleistungs- und den Nebenpflichten sind die sog. Obliegenheiten zu unterscheiden, deren Rechtsnatur umstritten ist. Früher wurden sie häufig als „Pflichten geringerer Intensität" angesehen, also als echte Rechtspflichten mit abgeschwächter Sanktion159; heute versteht man sie ganz überwiegend als Verhaltensanforderungen im eigenen Interesse des Belasteten, denen nicht der Charakter einer Rechtspflicht zukommt160. Für den Begünstigten begründen sie weder einen Erfüllungsanspruch noch Klage- oder Vollstreckungsmöglichkeiten; durch ihre Verletzung werden keine Schadensersatzansprüche ausgelöst. Den Belasteten treffen vielmehr für den Fall ihrer Nichtbeachtung andere Rechtsnachteile; insbesondere sind Obliegenheitsverletzungen mit dem Verlust oder der Minderung einer günstigen Rechtsposition sanktioniert161. Beispiele für Obliegenheitenfinden sich vor allem im Versicherungsrecht 162. Daneben bestehen zivilrechtliche Anzeige- und Rügeobliegenheiten (z.B. § 149 BGB; § 377 HGB) sowie Obliegenheiten zur Schadensfernhaltung (vgl. §§ 254, 351 BGB). Ferner zu nennen sind die den Annahmeverzug begründende Mitwirkungsobliegenheit des Gläubigers nach § 293 BGB sowie die Obliegenheit, Anfechtungsrechte ohne schuldhaftes Zögern geltend zu machen (§1211 BGB).

II. Die Sanktionierung schuldrechtlicher Pflichten Bei der Sanktionierung schuldrechtlicher Pflichten muß zwischen dem Primäranspruch auf Erfüllung und Sekundäransprüchen für den Fall ihrer Verletzung unterschieden werden.

1. „Klagbarkeit" Die Frage, welche der verschiedenen schuldrechtlichen Pflichten Gegenstand von Erfüllungsansprüchen sein können mit der Konsequenz, daß der Berechtigte sie gerichtlich durchzusetzen vermag, wird im allgemeinen unter dem Begriff der „Klagbarkeit" behandelt163. Dabei ist zu differenzieren: 159

Vgl. die sog. (eingeschränkte) Verbindlichkeitstheorie; z.B. Reimer Schmidt, Obliegenheiten, S. 104; Anklänge noch bei Soergel-Teichmann, BGB, vor § 241 Rdn. 7; unklar MiXnchKomm-Kramer, BGB, Einl. v. §241 Rdn. 44. 160 So die sog. Obliegenheitstheorie; vgl. ζ. B. Palandt-//ewric/w, BGB, Einf. v. § 241 Rdn. 16; Fikentscher, SchuldR, Rdn. 32; Esser/Schmidt, SchuldR AT 1, §6 V I 3; Gernhuber, Schuldverhältnisse, §21111, 8119; Wieling AcP 176 (1976), 334 (347f). 161 BGHZ 24, 378 (382); BGH NJW 1995,401 (402); OLG Hamm VersR 1970, 319 (320); Palandt-//emr/c/w, BGB, Einl. v. § 241 Rdn. 16; Wieling AcP 176 (1976), 334 (346). 162 Vgl. z.B. §§6, 62 W G . 163 Vgl. dazu auch schon oben S. 37 f.

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldverältnis

a) Vertraglich

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vereinbarte Pflichten

Uneingeschränkt klagbar, d.h. mit Erfüllungsansprüchen verfolgbar, sind sämtliche Pflichten, die die Parteien vertraglich vereinbart haben164. Hierzu gehören die Hauptleistungspflichten ebenso wie diejenigen Nebenpflichten, die sich unmittelbar oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aus den Abreden der Parteien ergeben. Durch die vertragliche Vereinbarung ist die Verpflichtung des Schuldners zu der Vornahme einer bestimmten Handlung oder Unterlassung verbindlich festgelegt; korrespondierend hierzu erwirbt der Gläubiger das Recht, die Erfüllung dieser Pflicht verlangen zu können. Dabei kommt es auf den Schutzzweck dieser Pflichten nicht an. Die Klagbarkeit besteht also unabhängig davon, ob es sich um vertraglich vereinbarte Nebenpflichten leistungsbezogenen Charakters, um Schutz- oder Informationspflichten handelt. Allerdings können die Parteien ausdrücklich oder konkludent in ihrer Abrede eine Erfüllungsverpflichtung ausschließen und so den Berechtigten auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beschränken165. In diesen Fällen fehlt es dann ausnahmsweise an der Klagbarkeit einer vereinbarten Verpflichtung. b) Gesetzlich vorgesehene Pflichten Entsprechendes gilt für die Rechtspflichten, die aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Vorschriften bestehen. Mit der normierten Verpflichtung des Schuldners zur Vornahme oder Unterlassung einer Handlung korrespondiert das Recht des Gläubigers, ihre Erfüllung verlangen und dies nötigenfalls im Klagewege durchsetzen zu können166. Eine Beschränkung auf Schadensersatzansprüche für den Fall der Verletzung einer solchen Nebenpflicht kennt das Gesetz nicht. Ausnahmweise nicht klagbar sind die wenigen gesetzlich vorgesehenen Mitteilungspflichten 167. Weil diese die Unkenntnis des berechtigten Vertragsteiles von der zu erteilenden Information voraussetzen, ist die Geltendmachung von Erfüllungsansprüchen aus faktischen Gründen ausgeschlossen. c) Nebenpflichten aus Treu und Glauben Als problematisch verbleiben diejenigen Nebenpflichten, die sich aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ableiten. Inwieweit diese klagbar sind, ist 164

Staudinger-ScAm/df, BGB, Einl. zu §§241 ff Rdn. 320; MünchKomm-tfraroer, BGB, § 241 Rdn. 16; Larenz, SchuldR AT, § 21; Köhler AcP 190 (1990), 496 (496ff). 165 Vgl. Staudinger-ScA/mVfc, BGB, Einl. zu §§ 241ff Rdn. 320. 166 Vgl. MünchKomm-forA, BGB, § 242 Rdn. 209; MünchKomm -Kramer, BGB, § 241 Rdn. 14ff; Staudinger-ScAmiYfr, BGB, Einl. zu §§ 241ff Rdn. 321. 167 Vgl. z.B. MünchKomm-Voelskow, BGB, §545 Rdn. 10.

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1. Teil: Das Schuld Verhältnis und seine Pflichten

umstritten, wobei zwischen den einzelnen Typen von Nebenpflichten unterschieden werden muß. aa) Informationspflichten Einigkeit besteht bei den Informationspflichten. Während die Auskunfts- und Rechenschaftspflichten mit Erfüllungsansprüchen verfolgt werden können, scheidet eine Klagbarkeit von Aufklärungs- und Mitteilungspflichten aus168. Bei den letzteren geht es um die spontane Information des Vertrags- oder Verhandlungspartners über diesem unbekannte Tatsachen; sie werden retrospektiv, d. h. nach Bekanntwerden der vorenthaltenen Information ermittelt. Die für das Bestehen von Aufklärungs· und Mitteilungspflichten erforderliche Unkenntnis des Berechtigten steht der Verwirklichung von Erfüllungsansprüchen entgegen. Ebenfalls unklagbar sind die Wahrheitspflicht sowie die Pflicht zur Verhandlungstreue, weil sich deren Verletzung erst in der Übermittlung der unrichtigen Information oder der Erweckung des falschen Eindruckes über den Verhandlungsstand realisiert. Die Wahrheitspflicht ist daher selbst dann nicht klagbar, wenn der Verstoß im Rahmen der Erfüllung einer Auskunfts- oder Rechnungslegungsverpflichtung erfolgt. Materielle Mängel der Auskunft begründen keinen Anspruch auf Nacherfüllung, sondern vielmehr auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach §§259 II, 260 II BGB 169 . bb) Leistungsbezogene Nebenpflichten Die wohl überwiegend vertretene Auffassung 170 unterscheidet bei den leistungsbezogenen Nebenpflichten zwischen selbständigen Pflichten mit Eigenzweck, die klagbar sein sollen, und unselbständigen Nebenpflichten, bei denen der Berechtigte regelmäßig auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Fall ihrer Verletzung beschränkt sei. Zu der erstgenannten Pflichtengruppe werden die Mitwirkungspflichten sowie die Pflicht zur Unterlassung von Wettbewerb gezählt. Nicht selbständig einklagbar seien dagegen grds. die Leistungstreuepflichten sowie diejenigen Unterlassungspflichten, die nur Kehrseite der positiven Hauptleistungspflicht sind. Ausnahmsweise sollen jedoch auch diese Pflichten durchsetzbar sein, wenn im Fall ihrer Verletzung 168 MünchKomm-/?ofÄ, BGB, § 242 Rdn. 231; Pàìandl-Heinrichs, BGB, § 242 Rdn. 37; Medicus, SchuldR AT, Rdn. 424; Rümker, Bankrechtstag 1992, 29 (31); Klingler, Aufklärungspflicht, S.20f; Wer res, Aufklärungspflichten, S.4. 169 BGH L M Nr. 3, 6 zu § 254 ZPO; BAG AP § 611 (Konkurrenzklausel) Nr. 26. 170 RGZ 72, 393 (394); OLG Frankfurt JZ 1985, 337; Münch-Komm-/tor/i, BGB, §242 Rdn. 140f; MünchKomm -Kramer, BGB, § 241 Rdn. 14ff; Palandt-Heinrichs, BGB, § 242 Rdn. 25; Erman -Werner, BGB, §242 Rdn.54f; Evans-von Krbek AcP 179 (1979), 85 (102 f); von Bar AcP 179 (1979), 452 (464); Henckel AcP 174 (1974), 97 (111); vgl. auch schon oben S.37 f.

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldveriiältnis

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eine ernsthafte Gefährdung des Hauptleistungserfolges droht, die durch eine bestimmte Maßnahme verhindert werden kann, die Klage auf Erfüllung der Hauptleistungspflicht dem Gläubiger keinen ausreichenden Schutz bietet und diesem mit einem auf Geldersatz gerichteten Schadensersatzanspruch nicht gedient ist171. Überzeugender erscheint die Gegenansicht, die davon ausgeht, daß prinzipiell die Erfüllung aller Arten von Pflichten verlangt werden kann172. Hierfür spricht bereits, daß unsere Rechtsordnung den gerichtlichen Schutz rechtlicher Interessen gewährleistet, so daß die fehlende Durchsetzbarkeit von Pflichten der Begründung bedarf und nicht etwa umgekehrt deren Klagbarkeit173. Aus der einhellig befürworteten Klagbarkeit der gesetzlich normierten Nebenpflichten ergibt sich die Grundentscheidung des BGB, daß Verhaltensanforderungen des Partners eines Schuldverhältnisses regelmäßig durchsetzbar sind, der Berechtigte also deren Erfüllung verlangen kann und nicht nur auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen angewiesen ist. Im übrigen wird selbst im Deliktsrecht in den Fällen, in denen das Gesetz einen Schadensersatzanspruch zum Schutz bestimmter Rechtspositionen gewährt, die Existenz von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen als vorbeugender Rechtsschutz anerkannt174. Ist der Berechtigte dort also nicht auf Schadensersatzansprüche beschränkt, muß dies für das umfassender ausgestaltete Pflichtenprogramm innerhalb von Schuldverhältnissen erst recht gelten. Eine Beschränkung auf schuldrechtliche Schutzpflichten ist insoweit nicht möglich175. Denn der Schutz des Leistungsinteresses im Rahmen schuldrechtlicher Sonderverbindungen ist dem des Integritätinteresses zumindest gleichwertig. Die Anerkennung der prinzipiellen Klagbarkeit leistungsbezogener Nebenpflichten bedeutet indes nicht, daß in der Praxis tatsächlich sämtliche Pflichten Gegenstand einer Klage sein können. Erhebliche Einschränkungen im Faktischen ergeben sich daraus, daß der Begünstigte von der Bedrohung seines Leistungsinteresses häufig keine Kenntnis hat. Vermittelt sich ihm diese erstmals durch die Pflichtverletzung, mit der zugleich bereits der Schaden eintritt, ist er von vornherein auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen angewiesen. Bei einer möglichen Klage auf die Erfüllung einer Nebenpflicht ist zudem zu beachten, daß sich das begehrte Verhalten 171

MünchKomm-/?oiA, BGB, §242 Rdn. 141; Palandt-Heinrichs, BGB, §242 Rdn. 25; vgl. auch Stürner JZ 1976,384 (385 ff), der die Klagbarkeit auch in diesen Fällen verneint, aber einen Anspruch auf Erlaß von Sicherungsmaßnahmen im Rahmen einer einstweiligen Verfügung annimmt; dagegen überzeugend Medicus, SchuldR AT, Rdn. 424, mit dem Hinweis, daß auch der einstweiligen Verfügung ein klagbarer materiell-rechtlicher Erfüllungsanspruch zugrunde liegen muß. 172 Staudinger-ScAm/di, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 328 ff; wohl auch Jauernig-Vollkommer, BGB, §241 Rdn. 9;ferner Gernhuber, Schuldverhältnisse, §2IV 3; Medicus, SchuldR AT, Rdn. 424 f; zurückhaltender jedoch dersBürgerliches Recht, Rdn. 208; Esserl Schmidt, SchuldR AT 1, §6IV; Motzer JZ 1983, 884 (886f). 173 Gernhuber, Schuldverhältnis, §2IV 3. 174 Vgl. hierzu nur Palandt-Bassenge, BGB, § 1004 Rdn. 2. 175 So aber MünchKomm -Roth, BGB, § 242 Rdn. 209.

1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

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ausreichend konkretisieren lassen muß. Häufig kann den leistungsbezogenen Nebenpflichten auf unterschiedlichste Weise Rechnung getragen werden. Es ist dann Sache des Verpflichteten zu entscheiden, wie er seiner Obligation nachkommt. Dieses Wahlrecht darf ihm der Geschützte nicht durch Klage auf ein bestimmtes Verhalten nehmen. Dem ist im Rahmen des Klageantrages Rechnung zu tragen; erforderlichenfalls muß auf die Grundsätze zur Wahlschuld zurückgegriffen werden176. Im Rahmen von Unterlassungsklagen sind zudem die materiellen Grenzen zu beachten, die auch bei quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen anerkannt sind. Insbesondere ist eine Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr erforderlich 177. Schranken für die Klagbarkeit von Nebenpflichten können sich ferner unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung ergeben178. Schließlich sind die prozessualen Voraussetzungen für jede Klage zu beachten. Insbesondere das Rechtsschutzbedürfnis sowie die Konkretheit des Klageantrages können bei der gerichtlichen Durchsetzung leistungsbezogener Nebenpflichten Schwierigkeiten bereiten. cc) Schutzpflichten Entsprechende Voraussetzungen gelten für die Klagbarkeit von Schutzpflichten, bei denen die Grundsätze des quasinegatorischen Unterlassungsanspruches schon aufgrund der Rechtsähnlichkeit mit den deliktischen Ansprüchen anwendbar sind. Diese können daher bei Vorliegen der aufgezeigten Voraussetzungen Gegenstand klagbarer Erfüllungsansprüche sein. Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten kann im Einzelfall der Klagbarkeit jedoch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen, wenn dem Gefährdeten ein Abbruch der Leistungsbeziehung oder des sozialen Kontaktes eher zumutbar ist als dem Verpflichteten die Erfüllung der Schutzpflicht 179. d) Obliegenheiten Der Begünstigte einer Obliegenheit kann deren Erfüllung nicht verlangen, sofern die Parteien nicht ausnahmsweise Abweichendes vereinbart haben. Die Konsequenzen von Obliegenheitsverletzungen bestehen ausschließlich in dem Verlust oder der Minderung einer Rechtsposition des mit der Obliegenheit Belasteten180.

176

Vgl. auch Staudinger-5c/im/^, BGB, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 334. Köhler AcP 190 (1990), 496 (508 ff). 178 Vgl. dazu Staudinger-Sc/im/cfr, BGB, Einl. zu §§241 ff Rdn. 336; weitergehend Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn. 208, der generell eine „Abwägung zwischen den Gläubiger- und den Schuldnerinteressen" verlangt. 179 MünchKomm-/toÄ, BGB, §242 Rdn. 209. 180 s. oben S.52. 177

Β. Das Pflichtenprogramm im Schuldverältnis

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2. Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen Verstoßen die Partner eines Schuldverhältnisses gegen eine sie treffende Verhaltensanforderung, richten sich die rechtlichen Konsequenzen nach der Art der verletzten Pflicht. a) Hauptleistungspflichten Die Rechtsfolgen der Verletzung einer Hauptleistungspflicht ergeben sich - abhängig davon, ob eine Nicht- oder eine Schlechtleistung vorliegt - aus den Vorschriften des Unmöglichkeits-, Verzugs- oder Sachmängelgewährleistungsrechtes. Ergänzend kommen die Regeln der positiven Vertragsverletzung zur Anwendung. b) Nebenpflichten aa) Vorvertragliches Schuldverhältnis Ein schuldhafter Verstoß gegen Pflichten aus dem Vertragsanbahnungsverhältnis begründet regelmäßig eine Haftung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo. Die weiteren Rechtsfolgen sind davon abhängig, ob der Verpflichtete vorsätzlich oder bloß fahrlässig gehandelt und welche Art der Nebenpflicht er verletzt hat. (1) Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo Aus jeder schuldhaften Pflichtverletzung im Vertragsanbahnungsverhältnis erwächst dem Geschädigten ein Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo. Dessen Umfang bemißt sich nach den §§ 249 bis 252 BGB 181 . Der Geschädigte kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne die Nebenpflichtverletzung stünde (vgl. §249 S.l BGB). (a) Verletzung der allgemeinen Schutzpflichten Bei einer Verletzung der Verpflichtung, sich so zu verhalten, daß Körper, Leben, Eigentum und sonstige Rechtsgüter des anderen Teiles nicht geschädigt werden, richtet sich der Anspruch auf den Ersatz des beeinträchtigten Integritätsinteresses182. Eine Begrenzung des Anspruches durch das Erfüllungsinteresse findet nicht statt. Der Pflichtige ist also auch insoweit einstandspflichtig, als das Erhaltungsinteresse des Geschädigten über das Interesse an dem Zustandekommen und an der Erfüllung des Vertrages hinausgeht183. 181 182 183

Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 276 Rdn. 99. MünchKomm-Emmerich, BGB, vor § 275 Rdn. 200. Vgl. Larenz, SchuldR AT, § 9 Ia 3.

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(b) Verletzung der Pflicht zur Verhandlungstreue Verstöße gegen die Pflicht zur Verhandlungstreue begründen eine Haftung für den Vertrauensschaden184, weil die Erstattung des Erfüllungsinteresses im Ergebnis auf einen Kontrahierungszwang hinausliefe 185. Zu ersetzen sind regelmäßig die nutzlosen Aufwendungen, die der andere Teil im Hinblick auf den erhofften Vertragsschluß im Anschluß an die Pflichtverletzung getätigt hat. (c) Verletzung einer Aufklärungspflicht Auch bei der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten ist der Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo regelmäßig auf die Erstattung des Vertrauensschadens gerichtet186. Die konkreten Rechtsfolgen hängen davon ab, ob der später geschlossene Vertrag bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu denselben oder anderen Bedingungen zustande gekommen oder ob der Vertragsschluß unterblieben wäre. Hätten die Parteien auch ohne die Aufklärungspflichtverletzung denselben Vertrag geschlossen, hat sich der Pflichtverstoß im Ergebnis nicht ausgewirkt; mangels eines Schadens scheiden Ansprüche des Geschützten aus. Für die Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen gilt § 282 BGB entsprechend187. Ein „aufklärungsrichtiges Verhalten" des Geschützten wird vermutet, so daß es Sache des Pflichtigen ist, den Beweis zu führen, daß der Geschützte auch bei erfolgter Aufklärung den zustandegekommenen Vertrag geschlossen hätte. Wäre bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht kontrahiert worden, weil der aufgeklärte Teil den Vertrag nicht oder der Pflichtige ihn nicht zu den dann verlangten Bedingungen geschlossen hätte, besteht der Schaden des durch die unterbliebene Aufklärung Getäuschten in der Eingehung des inhaltlich nachteiligen Vertrages188. Nach ständiger Rechtsprechung189 und h. M. in der Literatur 190 ist er daher berechtigt, von dem Pflichtigen die Rückgängigmachung des Vertragsschlusses zu verlangen. Voraussetzung hierfür ist allerdings das Bestehen eines Vermögensschadens, der immer 184

Gernhuber, Schuldverhältnisse, § 8 II6b; Larenz, SchuldR AT, §9 Ia 3. BGH NJW-RR 1988, 288 (289); WM 1981, 787 (788); MünchKomm-Emmerich, BGB, vor §275 Rdn. 165, 207. 186 BGHZ 114, 87 (94); Palandt-//emr/cA.y, BGB, § 276 Rdn. 100. 187 Vgl. BGHZ 61, 118 (1220; 99, 101 (108); BGH WM 1990, 1301 (1303); 1998, 302 (303); NJW 1993, 257 (258); OLG Düsseldorf WM 1984, 82 (86). 188 Vgl. zu dem Abschluß eines Vertrages als Schaden: Brandner, Fischer-FS, 19 (23 f); Kothe ZBB 1989, 130 (133); kritisch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S.79f. 189 Z.B. BGH NJW 1985,1769 (1771); 1991,1673 (1674f); 1993,2107; 1998,302 (303f); NJW-RR 1988, 744; OLG Celle W M 1988, 1436 (1437). 190 Vgl. MünchKomm -Emmerich, BGB, vor §275 Rdn. 96; Palandt-Heinrichs, BGB, §276 Rdn. 78; RGRK -Alff, BGB, §276 Rdn. 111; Erman -Battes, §276 Rdn. 125 ff; Fikentscher, Schuldrecht, Rdn. 74; Gernhuber, Schuldverhältnisse, §8III3; NirJc, Möhring-FS, 385 (405 ff); Dörner NJW 1979, 242 (243 f); Schubert AcP 168 (1968), 470 (504ff). 185

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dann vorliegt, wenn die mit dem abgeschlossenen Vertrag verbundenen Verpflichtungen und sonstigen Nachteile durch die dem Getäuschten aufgrund des Vertrages entstehenden Vorteile nicht ausgeglichen werden191. Bis zu seiner Entlassung aus dem Vertrag kann der Geschädigte seinen Schadensersatzanspruch der Inanspruchnahme aus dem eingegangenen Vertragsverhältnis einredeweise entgegenhalten192. Der Anspruch auf Befreiung von der eingegangenen Verbindlichkeit wird von einem Teil des Schrifttums 193 jedenfalls für den Fall der bloß fahrlässigen Verletzung einer Aufklärungspflicht mit dem Hinweis abgelehnt, daß das System der Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe des BGB eine Vertragsaufhebung bei unvorsätzlicher Irreführung ausschließe. Insbesondere aus § 123 BGB folge, daß die Entlassung aus einer eingegangenen Verbindlichkeit nur bei arglistigem Handeln des Aufklärungsverpflichteten erreicht werden könne194. Andere Autoren195 wollen zwar die Vertragsaufhebung an sich zulassen, diese jedoch den Ausschlußfristen der Anfechtungsrechte unterwerfen. Die Argumentation mit den gesetzlich normierten Folgen irrtümlich abgegebener Willenserklärungen greift indes bereits deshalb zu kurz, weil das Schuldverhältnis aus Vertragsanbahnung von Rechtsprechung und Literatur im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt worden ist196. Richterliche Rechtsfortbildung, mit der neue Wertungen vollzogen werden, setzt sich aber notwendig in Widerspruch zu älteren gesetzlichen Regelungen, die diesen Wandlungen noch nicht Rechnung tragen konnten197. Zudem wird verkannt, daß die Schadensersatzhaftung über die für das Anfechtungsrecht ausreichende Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verhandlungspartners hinaus das Vorliegen eines Vermögensschadens erfordert. Dieser Unterschied rechtfertigt es, auch dem fahrlässig Getäuschten einen Anspruch auf Vertragsaufhebung zu geben. Dafür spricht schließlich auch, daß die Parteien nach Vertragsschluß unstreitig bereits für fahrlässige Verstöße gegen Mitteilungspflichten haften. Es besteht aber kein Anlaß, Verhaltensanforderungen im Vertragsanbahnungsverhältnis einzuschränken und dadurch denjenigen zu privilegieren, der fahrlässig einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht nicht nachkommt. Der Geschädigte 191

Vgl. BGH NJW 1998, 302 (303); 1998, 989 (899); Pälandt-//emr/c/w, BGB, § 276 Rdn. 78; a. A. Stephan Lorenz ZIP 1998,1053 (1055 f). 192 BGH NJW 1995, 190 (191); 1997,1045 (1047). 193 Canaris ZGR 1982, 395 (416ff); Liebs AcP 174 (1974), 26f; H opt, Kapitalanlegerschutz, S. 240; Schumacher, Vertragsaufhebung, S.23ff; Medicus JuS 1965, 209 (212ff); differenzierend aber ders., Bürgerliches Recht, Rdn. 150; ihm folgend Wer res, Aufklärungspflichten, S. 91 f. 194 Anders Grigoleit NJW 1999, 900 (903), der ein Anfechtungsrecht gem. § 1231 BGB im Wege „gesetzeskorrigierender Rechtsfortbildung" auch bei fahrlässigen Täuschungen befürwortet. 195 Z.B. MünchKomm-Kramer, BGB, § 123 Rdn. 30: § 121 BGB analog; Larenz, SchuldR AT, §9Ia 2: analoge Anwendung des § 124 BGB; ebenso Remiche JA 1982,1 (5ff). 196 Vgl. hierzu schon oben S. 32f. 197 Vgl. Gernhuber, Schuldverhältnisse, §8113.

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1. Teil: Das Schulderhältnis und seine Pflichten

einer Aufklärungspflichtverletzung hat daher auch dann einen Anspruch auf Entlassung aus der eingegangenen Verbindlichkeit, wenn der andere Teil ihn lediglich fahrlässig nicht informiert hat. An die Fristen der §§ 12111, 1241 BGB ist er nicht gebunden. Allerdings ist es dem Geschädigten wahlweise auch möglich, an dem abgeschlossenen Vertrag festzuhalten. Ist infolge der Verletzung der Aufklärungspflicht das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung gestört, steht ihm anstelle des Anspruches auf Entlassung aus der eingegangenen Verbindlichkeit ein Anspruch auf Vertragsanpassung zu 198 . Er kann Herabsetzung seiner Leistung auf ein angemessenes Maß und die Riickabwicklung einer bereits erbrachten Mehrleistung verlangen, ohne daß er nachweisen müßte, daß sich der Aufklärungsverpflichtete auf den abgeänderten Vertrag eingelassen hätte199. Wenn er jedoch im Einzelfall beweisen kann, daß der Vertrag bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu anderen, für ihn günstigeren Konditionen zustandegekommen wäre, steht ihm als Teil seines Vertrauensschadens auch der aus dem günstigeren Geschäft entgangene Gewinn zu 200 . \

Der Anspruch auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo wegen einer Aufklärungspflichtverletzung unterliegt im übrigen der Anwendung des § 254 BGB. Er kann sich daher wegen eines Mitverschuldens des Geschädigten reduzieren, etwa weil dieser die aufklärungsbedürftigen Umstände hätte kennen können oder zumutbare eigene Erkundigungen unterlassen hat. In diesem Fall besteht ein Anspruch auf eine teilweise Entlassung aus der eingegangenen Verbindlichkeit201. (d) Verletzung der Wahrheitspflicht Auch bei Verstößen gegen die Wahrheitspflicht ist das negative Interesse zu ersetzen. Es gelten dieselben Grundsätze wie bei der Verletzung einer Aufklärungspflicht. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn ihm gegenüber zutreffende Angaben gemacht worden wären 202.

198

BGHZ 69, 53 (56 ff); 111, 75 (82); 114, 87 (94); NJW 1989, 1793 (1794); 1993, 1323 (1325); 1994, 663 (664); NJW-RR 1994, 76 (77); Soergel-Wiedemann, BGB, vor § 275 Rdn. 196 ff. 199 MünchKomm-Emmerich, BGB, vor §275 Rdn. 203; kritisch Willemsen AcP 182, 515 (552ff); Tiedtke W M 1993,1228 (1230f); vgl. auch Palmdt-Heinrichs, BGB, §276 Rdn. 102, der ebenfalls Bedenken anmeldet, den Anspruch auf Vertragsanpassung aber als Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung anerkennen will. 200 BGH NJW 1965,811 (814); 1972, 822 (824); 1988,2234 (2236); W M 1965,674 (675); 1983, 1385 (1386); MünchKomm -Emmerich, BGB, vor §275 Rdn. 202. 201 Vgl. OLG Hamm ZIP 1982,1061 (1062); auch schon RG HRR 1930 Nr. 213. 202 BGHZ 116,209 (212ff); NJW 1981,1035 (1035f); NJW-RR 1996,826 (828); 1997,144 (145); OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1312; Pzlandt-Heinrichs, BGB, Vorbem. v. §249 Rdn. 18, §276 Rdn. 78.

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(2) Weitere Ansprüche und Rechte (a) Deliktische Schadensersatzansprüche Neben den Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo können deliktische Ersatzansprüche treten. Bei den allgemeinen Schutzpflichten reicht hierfür ein fahrlässiges Verhalten aus. Dieses kann Ansprüche nach § 8231 BGB und § 823 II BGB i. V. m. einem Verstoß gegen ein fahrlässig begehbares Schutzgesetz begründen. Verletzungen vorvertraglicher Informationspflichten lösen demgegenüber nur dann deliktische Schadensersatzansprüche aus, wenn der Schädiger vorsätzlich handelt. Denn die Verhandlungstreue- sowie die Aufklärungs- und die Wahrheitspflicht bezwecken den Schutz des von § 8231 BGB nicht erfaßten Vermögens des Verhandlungspartners. Deliktische Ansprüche bestehen deshalb nur unter den Voraussetzungen der Vorsatzhaftung nach § 826 BGB oder § 823 II BGB i. V. m. § 263 StGB 203 . (b) Anfechtungsrecht nach § 123 BGB Im Fall der arglistigen Verletzung einer Aufklärungs- oder der Wahrheitspflicht ist der Geschädigte zudem berechtigt, seine auf den Vertragsabschluß gerichtete Willenserklärung nach § 1231 BGB anzufechten. Auch das Verschweigen von Tatsachen stellt sich als arglistige Täuschung dar, sofern eine entsprechende Aufklärungspflicht vorsätzlich verletzt wird 204. Erklärt der Geschädigte die Anfechtung, kann er darüber hinaus seinen weitergehenden Schaden, insbesondere nutzlose Aufwendungen, nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo ersetzt verlangen205. (c) Einrede der unzulässigen Rechtsausübung Schließlich steht dem Geschädigten bei einer Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungs- oder Wahrheitspflicht u. U. gegen seine Inanspruchnahme aus der eingegangenen Verpflichtung die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung zu. Das Ausnutzen unredlich erworbener Rechtsstellungen ist als Fallgruppe der unzulässigen Rechtsausübung anerkannt206. Danach kann derjenige, der durch ein unredliches Verhalten oder durch eine Täuschung einen Vertragsschluß herbeiführt, gem. § 242 BGB gehindert sein, die Rechte aus dem Vertrag auszuüben207. 203

Vgl. auch Grigoleit NJW 1999, 900 (900 FN 1). Vgl. Palandt-//einrichs, BGB, § 123 Rdn. 5. 205 MünchKomm -Kramer, BGB, § 123 Rdn. 30; Grigoleit NJW 1999, 900 (903). 206 Vgl. MünchKomm-Äör/i, BGB, §242 Rdn. 288 ff; Palandt-H einrichs, BGB, §242 Rdn. 43 ff. 207 BGH NJW 1979, 1983; OLG Stuttgart NJW 1982, 2608 (2608f); OLG Hamm W M 1991, 847 (848). 204

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Dies gilt jedoch nicht zwangsläufig für jeden Fall der Täuschung. Einen allgemeinen Grundsatz, daß nur derjenige Rechte geltend machen kann, der sich selbst rechtstreu verhalten hat, gibt es nämlich nicht208. Daher führen Pflichtverletzungen unter den gesetzlichen Voraussetzungen grds. nur zu dem Entstehen von Schadensersatzansprüchen und nicht zu einem Wegfall eigener Rechte209. Für den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist weitergehend erforderlich, daß sich nach Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles die Inanspruchnahme des getäuschten Vertragspartners als mit Treu und Glauben schlechterdings unvereinbar darstellt. bb) Vertragliche oder gesetzliche Schuldverhältnisse (1) Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung Die Verletzung leistungsbezogener Nebenpflichten oder der Verstoß gegen Schutzpflichten aus vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen - mit Ausnahme des gesetzlichen Schuldverhältnisses der Vertragsanbahnung - löst unter der Voraussetzung des Verschuldens eine Haftung des Verpflichteten nach den Regeln der positiven Vertragsverletzung aus210. Der Geschädigte erwirbt einen gem. § 249 S. 1 BGB auf Schadensausgleich durch Naturalrestitution gerichteten Anspruch. Dieser erfaßt alle unmittelbaren und mittelbaren Nachteile des schädigenden Verhaltens, ohne daß es dabei auf eine Unterscheidung zwischen positivem und negativem Interesse ankommt211. Die im Fall des Mitverschuldens des Verletzten gem. § 254 BGB geminderte Schadensersatzforderung tritt neben seinen fortbestehenden Anspruch auf Erfüllung sämtlicher Hauptleistungs- und Nebenpflichten. (2) Rückwirkungen

auf den Anspruch auf die Hauptleistung

Bei der Verletzung einer leistungsbezogenen Nebenpflicht sind Rückwirkungen auf die Hauptleistungsverpflichtung möglich. Führt der Pflichtverstoß dazu, daß diese nicht, nicht rechtzeitig, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß erfüllt werden kann, löst er die Rechtsfolgen der entsprechenden Verletzung der Hauptleistungspflicht aus212. 208

BGH NJW 1971, 1747 (1747f); BAG DB 1974,2355 (2357). Ebenso Palandt-//ewnc/w, BGB, § 242 Rdn. 46; Soergel-Teichmann, BGB, § 242 Rdn. 287. 210 Vgl. MünchKomm-Emmerich, BGB, vor § 275 Rdn. 218; Medicus, SchuldR AT, Rdn. 416 f; trotz der insoweit mißverständlichen Bezeichnung werden auch Nebenpflichten aus gesetzlichen Schuldverhältnissen erfaßt, vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, §276 Rdn. 104, 108. 211 BGHZ 11, 80 (83 ff); BGH NJW 1989, 2115 (2116); Kopeke, Positive Vertragsverletzung, S. 134 ff. 212 Vgl. MünchKomm-ßrt/z, BGB, § 242 Rdn. 134; Erman-Werner, BGB, § 242 Rdn. 69. 209

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(3) Einrede der unzulässigen Rechtsausübung Die Verletzung leistungsbezogener Nebenpflichten kann ferner den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begründen, wenn sich die Geltendmachung vertraglicher Ansprüche des Verpflichteten als widersprüchliches Verhalten darstellt. Voraussetzung hierfür ist, daß die Pflichtverletzung in einem Zusammenhang mit der Forderung des Pflichtigen steht. Dann kann es sich als unzulässig darstellen, wenn der Schuldner den Anspruch trotz Verletzung eigener Pflichten verfolgt 213. Bei der Anwendung des § 242 BGB in diesem Zusammenhang ist indes Zurückhaltung geboten. Es gilt das zum vorvertraglichen Schuldverhältnis Ausgeführte entsprechend. Pflichtverletzungen begründen regelmäßig lediglich Schadensersatzansprüche. Für die Anwendung der Regeln der unzulässigen Rechtsausübung bedarf es im Einzelfall der Feststellung, daß sich die Geltendmachung des Anspruches infolge der vorangegangenen Pflichtverletzung als treuwidrig darstellt.

(4) Vertragsliquidierung Schließlich können besonders gravierende Verstöße gegen leistungsbezogene Nebenpflichten sowie gegen Schutzpflichten ein Recht des Geschädigten begründen, das geschlossene Vertrags Verhältnis zu beenden. Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung214 neben einer Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung voraus, daß dem Gläubiger unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Falles nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Vertrages und damit die Bewirkung der ihm an sich obliegenden Leistungen nicht mehr zugemutet werden kann. Demgegenüber dürfte es in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Tatbeständen der §§280111, 32512 BGB zutreffender sein, darauf abzustellen, ob nach den individuellen Verhältnissen des Gläubigers infolge der Vertragsverletzungen des Schuldners bei objektiver Betrachtungsweise das Interesse des Gläubigers an der weiteren Vertragsdurchführung entfallen ist 215 . Praktische Auswirkungen haben die unterschiedlichen Ansätze indes regelmäßig nicht216.

213 Vgl. BGH NJW 1959, 241; 1981, 2297; auch schon RGZ 152, 330 (337f); Erman'Werner, BGB, §242 Rdn. 69; Palandt-Heinrichs, BGB, §242 Rdn. 46. 214 Vgl. z.B. BGH WM 1977,220 (221); 1984,1375 (1376); NJW 1977,35 (35f); 1978,260 (260f); 1978, 416 (416f); 1981, 679 (679f); 1982, 2316; OLG Düsseldorf NJW 1989, 2627

(2628).

215 Ebenso MünchKomm -Emmerich, BGB, vor §275 Rdn. 316; Emmerich, Leistungsstörungen, §2211 a; Schünemann, JuS 1987, 1 (8f). 2,6 Vgl. MünchKomm-Emmerich, BGB, vor §275 Rdn. 318.

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c) Obliegenheiten Obliegenheiten, also Verhaltensanforderungen in eigener Sache, sind demgegenüber grds. nicht geeignet, im Fall ihrer Verletzung Schadensersatzansprüche zu begründen. Vielmehr ist der Verstoß gegen eine Obliegenheit für den mit ihr Belasteten mit dem Verlust oder der Minderung einer günstigen Rechtsposition verbunden217. Problematisch kann dies sein, wenn im Einzëlfall der Rechtsverlust wirtschaftlich schwerer wiegt als eine Schadensersatzverpflichtung. Für diesen Fall wird erwogen, daß der Rechtsverlust durch die Leistung von Schadensersatz abgewendet werden kann218. In Ausnahmefällen können Obliegenheitsverletzungen zu Schadensersatzansprüchen aus positiver Vertragsverletzung führen. Dies gilt zumindest dann, wenn die Parteien die Obliegenheit durch vertragliche Vereinbarung in den Stand einer Rechtspflicht gehoben haben219. Darüber hinaus sollen nach der Rechtsprechung des BGH bei manchen Rechtsverhältnissen, insbesondere im industriellen Anlagenbau, die Abnahme- und Mitwirkungsobliegenheiten als „Vertragspflichten im weiteren Sinne" anzusehen sein, deren Verletzung Schadensersatzansprüche des Geschützten auslöse220.

217 218 219 220

s. schon oben S.52. Vgl. MünchKomm-/?of/i, BGB, §242 Rdn. 137. s. auch schon oben S.56. Vgl. z.B. BGHZ 11, 80 (83); 50,175 (178f); BGH W M 1986, 73 (74).

Zweiter Teil

D i e Bürgschaft als schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft Bei der Erörterung des schuldrechtlichen Pflichtenprogrammes hat sich gezeigt, daß für das Bestehen und den Umfang von Nebenpflichten die Art des zwischen den Parteien bestehenden Schuldverhältnisses von entscheidender Bedeutung ist. Nachfolgend soll daher auf die wesentlichen Besonderheiten des Bürgschaftsvertrages eingegangen werden.

A. Das Wesen der Bürgschaft I. Die Stellung des Bürgschaftsvertrages im Gesetz Systematisch gehört die Bürgschaft zu der Gruppe der sichernden und bestärkenden Verträge1. Für diese ist kennzeichnend, daß sie sich auf eine bereits bestehende Schuld beziehen. Dieser Grundtypus gesetzlich geregelter, rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse wird ferner durch den Vergleich (§ 779 BGB), das Schuldversprechen (§ 780 BGB) und das Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB) gebildet.

II. Die Rechtsnatur des Bürgschaftsvertrages Die Bürgschaft besteht gem. § 7651 BGB als vertraglich begründetes Rechtsgeschäft zwischen Gläubiger und Bürge2. Sie ist gerichtet auf die Sicherung einer Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner. Bei der Bürgschaft handelt es sich daher um eine Form der Interzession, d. h. des Eintretens für eine fremde Schuld3. Mit dem Bürgschaftsvertrag wird eine von der Verbindlichkeit des Hauptschuldners verschiedene Verbindlichkeit des Bürgen begründet. Dieser übernimmt nicht eine fremde Schuld als eigene, sondern geht eine selbständige, neue Verpflichtung neben der schon bestehenden Verbindlichkeit des Hauptschuldners ein. Die Bürg1

MünchKomm -Habersack, BGB, vor § 765 Rdn. 3. Zu dem Abschluß der Bürgschaft als Vertrag zugunsten Dritter zwischen Bürge und Schuldner vgl. unten S. 70. 3 Staudinger-//