Bondholder Governance nach dem Schuldverschreibungsgesetz: Eine Untersuchung der Reichweite der Rechte der Gläubiger bei einer außergerichtlichen Anleiherestrukturierung [1 ed.] 9783428582020, 9783428182022

Mit dem deutlichen Anstieg des Anleihemarktes sowie zugenommener Risikoaversion der Anleger nach der Finanzkrise 2007 bi

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Bondholder Governance nach dem Schuldverschreibungsgesetz: Eine Untersuchung der Reichweite der Rechte der Gläubiger bei einer außergerichtlichen Anleiherestrukturierung [1 ed.]
 9783428582020, 9783428182022

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Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen Abteilung B: Rechtswissenschaft Herausgegeben von Peter O. Mülbert, Uwe H. Schneider und Dirk A. Verse

Band 220

Bondholder Governance nach dem Schuldverschreibungsgesetz Eine Untersuchung der Reichweite der Rechte der Gläubiger bei einer außergerichtlichen Anleiherestrukturierung

Von

Galina Matjuschkin

Duncker & Humblot · Berlin

GALINA MATJUSCHKIN

Bondholder Governance nach dem Schuldverschreibungsgesetz

Un t e r s u c h u n g e n ü b e r d a s Spar-, Giro- und Kreditwes en Abteilung B: Rechtswissenschaft Schriften des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Herausgegeben von

Prof. Dr. Peter O. Mülbert, Prof. Dr. Dr. h. c. Uwe H. Schneider, Prof. Dr. Dirk A. Verse

Band 220

Bondholder Governance nach dem Schuldverschreibungsgesetz Eine Untersuchung der Reichweite der Rechte der Gläubiger bei einer außergerichtlichen Anleiherestrukturierung

Von

Galina Matjuschkin

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Vereins zur Förderung des Deutschen, Europäischen und Vergleichenden Wirtschaftsrechts e.V. Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen und zum Druck freigegeben.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7352 ISBN 978-3-428-18202-2 (Print) ISBN 978-3-428-58202-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern gewidmet

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2020 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Veröffentlichungen und gesetzgeberische Entwicklungen wurden bis April 2020 berücksichtigt. Vor allem bin ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Christoph A. Kern zu Dank verpflichtet, der die Arbeit hervorragend betreut und wertvolle Hinweise gegeben hat. Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Hommelhoff danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Weiterhin danke ich Prof. Dr. Dirk A. Verse für die intensive Diskussion sowie die Möglichkeit, meine Arbeit in dieser gemeinsam mit Prof. Dr. Peter O. Mülbert und Prof. Dr. Dr. h. c. Uwe H. Schneider herausgegebenen Schriftenreihe zu veröffentlichen. Ich möchte mich auch bei Prof. Dr. Dres. h. c. Theodor Baums bedanken. Seine zahlreichen Arbeiten, kritisches Denken und Interesse am Schuldverschreibungsrecht haben mir den Anreiz für das Thema gegeben. Mein Dank gilt zudem dem Verein zur Förderung des Deutschen, Europäischen und Vergleichenden Wirtschaftsrechts e. V. für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Widmen möchte ich die Arbeit meinen Eltern, deren Unterstützung mein Studium und meine Promotion ermöglicht hat. Hanau, im November 2020

Galina Matjuschkin

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 

17

I. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Kapitel 1

Mehrheitsprinzip 

23

§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht . . . . . . 23 A. Akkordstörer-Problem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Keine Bindung an Mehrheitsentscheidung ohne spezielle Grundlage . . 25 C. Das Akkordstörer-Problem im Schuldverschreibungsrecht . . . . . . . . . . . 26 I. Der Begriff der Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Der Begriff der (Teil-)Schuldverschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 III. Rechtliche Unabhängigkeit der Anleihegläubiger im unkoordinierten Zustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 IV. Inter-partes-Wirkung der Mehrheitsentscheidung (RGZ 22, 61) . . . 29 D. Gesetzgeberische Bestrebungen zur Lösung des Akkordstörer-Pro­ blems  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Schuldverschreibungsgesetz 1899 als Instrument der Gläubiger­ koordination  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Die Entwicklung der Idee des kollektiven Handelns: vormundschaftliche Betreuung vs. Gläubigerautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. „Minor pars sequatur maiorem“-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 E. Koordinationsmechanismus des Mehrheitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Auslöser für eine nachträgliche Anpassung der Anleihebedingungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Vertragscharakter der Anleihebedingungen und der Begriff der Anleiherestrukturierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Anleihevertragswerk als unvollständiger Vertrag . . . . . . . . . . . . . 37 3. Typische Restrukturierungsszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Motive für das opponierende Verhalten der Akkordstörer . . . . . . . . 40 1. Einstimmigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Free-rider-Problem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3. Side-payments-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4. Diskrepanz zwischen individueller und kollektiver Rationalität . 48

10 Inhaltsverzeichnis a) Gefangenendilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefangenendilemma und Anleihegläubiger . . . . . . . . . . . . . . c) Die Bedeutung von institutionellen Investoren . . . . . . . . . . . F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48 50 52 56

§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Mehrheitsprinzip nach dem SchVG 1899: Formalisierung der Gläubigerautonomie und die Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mehrheitserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweckbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitliche Befristung und Wiederaufleben der Rechte im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kein Verzicht auf Kapitalansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nennwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Keine Einbeziehung von Auslandsanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Problem der Stärkung der internationalen Konkurrenz­ fähigkeit des deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Mehrheitsprinzip im SchVG 2009: Stärkung der Anleihegläubiger­ rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Korrektur der Regelung hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltung für Auslandsanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Einschränkung hinsichtlich des Nennwerts . . . . . . . . . . . . 3. Nachträgliche Einbeziehung der Altanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Neue Kriterien des sachlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . a) Gesamtemission  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhaltsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Begebung nach deutschem Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit: Erweiterung des Anwendungsbereichs des SchVG 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Restrukturierungsoptionen nach dem SchVG 2009 . . . . . . . . . . . . . 1. Aufhebung der Einschränkung hinsichtlich der Zweck­ bestimmung des Mehrheitsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine zeitliche Befristung für Mehrheitsbeschlüsse . . . . . . . . . . 3. Stärkung der kollektiven Rechtsmacht der Anleihegläubiger . . . a) Mehrheitserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Opt-in-Erfordernis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zulässige Gegenstände von Mehrheitsbeschlüssen . . . . . . . . aa) Zinssatz (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 SchVG 2009) . . . . . . . . . . . . bb) Hauptforderung (§ 5 Abs. 3 Nr. 2, 3 SchVG 2009) . . . . cc) Debt-Equity-Swap (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 Alt. 1 SchVG 2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58 59 59 60 60 63 63 64 65 66 68 72 73 73 74 74 76 76 77 78 79 80 80 80 81 81 82 82 83 83 84

Inhaltsverzeichnis11 dd) Umtausch in andere Wertpapiere oder Leistungs­ versprechen (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 und 3 SchVG 2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 ee) Rang der Forderung (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SchVG 2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 ff) Sicherheiten (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SchVG 2009) . . . . . 91 gg) Kündigungsrechte (§ 5 Abs. 3 S. 1 N.. 8 SchVG 2009)  92 hh) Schuldnerersetzung (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 9 SchVG 2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 ii) Währung (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 SchVG 2009) . . . . . . . 96 jj) Nebenbestimmungen (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 10 SchVG 2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 d) Mitverpflichtete, § 22 SchVG 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 III. Perspektiven des neuen SchVG 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 C. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Kapitel 2

Das Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts 

103

§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht  . . . . . . . . . . . . . . . 104 A. § 316 (b) TIA und die absoluten Rechte der Anleihegläubiger . . . . . . . . 104 I. Ausgangspunkt: Mehrheitsklauseln auch ohne spezielle gesetzliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 II. Zweck und Begründung der Beschränkung des § 316 (b) TIA  . . . . 106 1. Schutz vor „backroom deals“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Konvergenz mit der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Negotiable test  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Geltungsbereich des § 316 (b) TIA  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 IV. Folge des Verbots des § 316 (b) TIA für eine Anleiherestrukturierung: Suche nach den Alternativen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 B. Alternative Restrukturierungstechniken   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. (Early) redemption  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Open market and privately negotiated repurchase (bond buyback) . 116 III. Tender offer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 IV. Exchange offer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 V. Exit consents  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Die Struktur von exit consents  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Entscheidungsmatrix bei exit consents  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Coercive offer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4. Rechtliche Zulässigkeit der Technik „exit consents“ nach der US-Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Zulässigkeit der Zwangselemente  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Zulässigkeit der Umgehung des § 316 (b) TIA  . . . . . . . . . . 125

12 Inhaltsverzeichnis aa) Weite Auslegung des § 316 (b) TIA  . . . . . . . . . . . . . . . bb) Enge Auslegung des § 316 (b) TIA  . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Marblegate-Fall  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nach dem Marblegate-Prozess  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127 128 130 138 143

§ 4 Anleiherestrukturierung nach englischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zulässigkeit von Mehrheitsklauseln kraft Vertragsfreiheit  . . . . . . . . . . . B. Keine ausdrücklichen Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zulässige Restrukturierungsoptionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Azevedo-Fall  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Assénagon-Fall  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

144 145 145 146 147 147 148 153

§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Überwindung grundsätzlicher Bedenken gegen Machtmissbrauch der Anleihegläubigermehrheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zulässigkeit der Technik „exit consents“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliche Zulässigkeit der Hauptelemente  . . . . . . . . . . . . . . . II. Freiwilliger Umtausch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mögliche Kollision mit gesetzlichen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . 1. Positive Einflussmöglichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mögliche Kollision mit dem Gleichbehandlungsgebot nach dem SchVG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gleichbehandlung als Konsequenz der kollektiven Bindung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gleichbehandlung und Mehrheitsbeschluss  . . . . . . . . . cc) Gleichbehandlung und Sondervereinbarungen  . . . . . . . b) Verbot des Stimmenkaufs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anlehnung an das aktienrechtliche Verbot des Stimmenkaufs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unzulässiger (besonderer) Vorteil i. S. d. § 6 Abs. 2 SchVG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Stimmbindungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kapitalmarktrechtliches Gebot der Gleichbehandlung (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Negative Einflussmöglichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Missbrauch von Stimmrechten seitens der Anleihe­ gläubigermehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Empty-Voting-Effekte im Anleiherecht: Auseinanderfallen von Einwirkungsmacht und wirtschaftlicher Risikotragung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Altanleihe und Aushöhlung der Rechte der Minderheit  . . . . . . . .

154 154 155 156 157 158 158 159 159 161 162 164 165 165 169 170 172 172 173 175

Inhaltsverzeichnis13 (1) Gesellschaftsrechtliche Treuepflichten  . . . . . . . . . . (2) Treuepflichten innerhalb der Rechtsgemeinschaft nach Bruchteilen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Insolvenzrechtliche Treuepflichten  . . . . . . . . . . . . . (4) Kein Obstruktionsverbot im Schuldverschreibungsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglicher Verstoß seitens des Emittenten  . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176 180 182 184 186 189 190

Kapitel 3

Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters 

193

§ 6 Vorüberlegung zu der Funktion des gemeinsamen Vertreters  . . . . . . . . . . . . A. Koordination von Gläubigerwillen und -rechten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Neutralisierung von „grab and run“-Instinkten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Informationsintermediär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Transaktionskostensenkung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194 194 195 196 196

§ 7 Gestaltung des Instituts des gemeinsamen Vertreters nach dem SchVG  . . . A. Bestellung des gemeinsamen Vertreters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wahlvertreter-Modell  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragsvertreter-Modell  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Aufgaben des gemeinsamen Vertreters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufgaben nach dem Gesetz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einberufung und Leitung der Gläubigerversammlung  . . . . . . . . 2. Informationsrechte gegen den Emittenten   . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berichtspflicht gegenüber den Anleihegläubigern  . . . . . . . . . . . II. Übertragene Aufgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Weisungsgebundenheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Haftung des gemeinsamen Vertreters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Kostentragung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Rechtsgeschäftliche Bestellung des gemeinsamen Vertreters  . . . . . . . . . I. Konstruktion bei dem Vertragsvertreter-Modell  . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konstruktion bei dem Wahlvertreter-Modell  . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellungnahme zu der Vertragspartei-Eigenschaft der Anleihe­ gläubiger  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197 198 198 201 203 203 203 204 205 205 207 207 210 210 211 212 213

§ 8 Anleihegläubigervertreter in der internationalen Anleihepraxis  . . . . . . . . . . 216 A. US-amerikanisches Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 B. Englisches Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 § 9 Gesamtbewertung der Regelungen des SchVGzum gemeinsamen Vertreter   222 A. Zum Vertrags- und Wahlvertretermodell des SchVG . . . . . . . . . . . . . . . . 223

14 Inhaltsverzeichnis B. Zum Umfang des verdrängenden Mandats  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zum einheitlichen Haftungsmaßstab  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zu Interessenkonflikten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausschlusskriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutzmechanismen de lege lata  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schutzmechanismen de lege ferenda  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gemeinsamer Vertreter als Finanzgläubiger  . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinsamer Vertreter aus der Sphäre des Emittenten  . . . . . . . 3. Weitere Schutzmechanismen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorschlag zu einer Änderung des SchVG  . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Das (Schein-)Dilemma des gemeinsamen Vertreters  . . . . . . . . . . . . . . . I. Kritikpunkte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auseinandersetzung mit der Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu der Rolle des gemeinsamen Vertreters als Informationsagenten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Vergütungssystem des gemeinsamen Vertreters  . . . . . . . . . 3. Zur Weisungserteilung durch Anleihegläubiger  . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis: Keine Notwendigkeit der Aktivierung der Rolle des gemeinsamen Vertreters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

224 225 226 226 228 230 230 232 233 233 234 235 237 237 238 239 239 241

Kapitel 4

Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen 

§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Verhältnis zu anderen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen rechtswidrige Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gegenstand der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anfechtungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verletzung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verletzung der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschlussmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlerhafte Einberufung und Durchführung der Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Informationsmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Technische Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltsfehler  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichbehandlungsgrundsatz, Leistungs- und Hauptforderungsausschlussverbot  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Beschlusskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfolgung von Sondervorteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244 245 247 247 249 249 249 250 250 250 252 253 253 253 254 257

Inhaltsverzeichnis15 D. Anfechtungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bei Teilnahme an der Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bei Nichtteilnahme an der Abstimmung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Beklagter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Wirkung der Anfechtungsklage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Freigabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Wirkung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259 259 262 263 263 263 264 266 270 272

§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schwächen des Anfechtungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unvollständige Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gefahr des Klagerechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das kollektivrechtliche Schutzsystem ist konzeptionell verfehlt . . . B. Vorschlag des Arbeitskreises Reform des Schuldverschreibungsrechts: Wertersatz statt Kassation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vorteile des Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Eigener Vorschlag: Schutz des status quo statt Wertersatz . . . . . . . . . . . E. Überlegungen zur Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Einwand des individuellen „Freikaufens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Einwand der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Zwischenresümee  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorschlag des Arbeitskreises Reform des SchVG  . . . . . . . . . . . . . . II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Hauptthesen des eigenen Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

276 276 276 277 278



Ergebnisse der Untersuchung 

280 281 282 285 285 287 288 289 289 291 292 293 296

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

Einleitung Seit der letzten Finanzkrise aus den Jahren 2007 bis 2009 lässt sich in Deutschland eine starke Nutzung des Anleihemarktes feststellen. Deutsche Unternehmen finanzieren sich zunehmend direkt über die Kapitalmärkte. Im Jahr 2018 war für Unternehmensanleihen erstmals die Schwelle von 100 Milliarden Euro überschritten.1 Auch in Europa zeichnet sich Deutschland als das Land mit den meisten Neuemissionen aus.2 Dieser positive Trend kann sich in der Zukunft forstsetzen. Angesichts dieses Wachstums könnte man sogar bereits über strukturelle Verschiebungen in der Unternehmensfinanzierung sprechen. Der Bankkredit als klassische Form der Fremdfinanzierung büßt langsam an Bedeutung ein.3 Aufgrund höherer Eigenkapitalanforderungen sowie wegen strenger regulatorischer Vorschriften sind die Banken gezwungen, ihre Angebotsbedingungen für Kredite zu verschärfen und sich von neuen Engagements zurückzuhalten.4 Es besteht zwar für Unternehmen die Möglichkeit, auf ein Schuldscheindarlehen auszuweichen, das rechtlich auch ein Darlehen i. S. d. § 488 BGB darstellt. Der Markt der Schuldscheine weist allerdings mangels Börsenzulassung der Darlehen sowie wegen der Ausrichtung auf einen relativ kleinen Kreis der Investoren (Banken und Versicherungen) noch ziemlich geringe Liquidität auf. Als alternative Fremdfinanzierungsquelle können Schuldscheindarlehen weder Bankkredite noch Anleihen ersetzen.5 1  Siehe Statistiken zu Emissionsvolumina für Unternehmensanleihen unter: https:// de.statista.com/statistik/daten/studie/512554/umfrage/emissionsvolumen-von-unter nehmensanleihen-in-deutschland/ (Stand: 17.01.2019); vgl. auch (für InvetsmentGrade Bonds) Kögler, Starker Jahresauftakt für Corporate Bonds, abrufbar unter: ­https://www.dertreasurer.de/news/finanzen-bilanzen/starker-jahresauftakt-fuer-corpo rate-bonds-2008681/; Frühauf, Unternehmen vor Rekordjahr bei Anleihen, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/finanzen/anleihen-zinsen/finanzierung-deutscherunternehmen-ueber-anleihen-14866148.html. 2  Frühauf, a. a. O. 3  Siehe dazu auch Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juli 2018, S. 63 f., 69. 4  Kaya/Meyer, Unternehmensanleihen in Europa, Wo stehen wir und wohin geht die Reise?, S. 1, 3, abrufbar unter: https://www.dbresearch.de/PROD/RPS_DE-PROD/ PROD0000000000444479/Unternehmensanleihen_in_Europa %3A_Wo_stehen_wir_ und_.pdf; Oulds, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 4, Kap. 1 Rz. 1.3; Frank/Siebel, CFb 2012, 218. 5  Vgl. Oulds, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 4, Kap. 1 Rz. 1.3; Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juli 2017, S. 19.

18 Einleitung

Schließlich darf die noch andauernde Niedrigzinsphase nicht außer Acht gelassen werden. Sie zwingt Investoren, nach alternativen Anlagen mit höheren Renditen zu suchen. Starke Nachfrage seitens der Anleger treibt das Emissionsvolumen bei Unternehmensanleihen nach oben. Der sog. search for yield in einem Niedrigzinsumfeld scheint heutzutage einer der wichtigsten Gründe zu sein für die Stärkung der Fremdfinanzierung über Anleihe­ emissionen und insbesondere für den Trend deutscher Unternehmen, Bankkredite durch Anleihen zu substituieren.6 Im derzeitigen Marktumfeld erhöht sich nicht nur die Attraktivität des Anleihemarktes. Es erhöht sich auch das Interesse der Anleger, im Streben nach hohen Renditen riskante Produkte zu erwerben, bzw. das Interesse der Emittenten, solche Produkte am Kapitalmarkt anzubieten. „[I]nvestors have an insatiable demand for higher yields, a collective hunger that Wall Street has been only too happy to feed.“7 Man sieht den heutigen Markt der Anleihen als „fueled by excessive optimism among inverstors“ an, die denken, dass „the good times will never end“, „[and as a result who] take on more risk than they can reasonably expect to handle.“8 Die Veränderung des ­Risikoappetits der Anleger und der Aufwärtstrend der Anleihekurse deuten einige Marktforscher in letzter Zeit als Anzeichen – wenn nicht bereits für die Überhitzung des Marktes, dann zumindest – für eine deutliche Blasenbildung.9 Ändert sich in der Zukunft die Nachfrage z. B. aufgrund einer Rezession, können insbesondere Unternehmen mit überbewerteten Anleiheprodukten mit einem dann wieder begrenzten Zugang zu Finanzmitteln zu

6  Oulds, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 4, Kap. 1 Rz. 1.4; Kaya/ Meyer, Unternehmensanleihen in Europa, Wo stehen wir und wohin geht die Reise?, S. 1, abrufbar unter: https://www.dbresearch.de/PROD/RPS_DE-PROD/PROD00000 00000444479/Unternehmensanleihen_in_Europa %3A_Wo_stehen_wir_und_.pdf; Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juli 2017, S. 24 ff. 7  Cohan, The Big, Dangerous Bubble in Corporate Debt, abrufbar unter: https:// www.nytimes.com/2018/08/09/opinion/corporate-debt-bubble-next-recession.html. 8  Kirty, Chart of the Week: When High Yield Goes Boom, IMFBlog, abrufbar unter: https://blogs.imf.org/2018/06/26/chart-of-the-week-when-high-yield-goes-boom/. 9  Vgl. Kaya/Meyer, Unternehmensanleihen in Europa, Wo stehen wir und wohin geht die Reise?, S. 11, 16, abrufbar unter: https://www.dbresearch.de/PROD/RPS_ DE-PROD/PROD0000000000444479/Unternehmensanleihen_in_Europa %3A_Wo_ stehen_wir_und_.pdf; Spreadbury, Der Anleihemarkt steckt in einer Blase, BörsenZeitung, abrufbar unter: https://www.boersen-zeitung.de/index.php?li=1&artid=2017 227812; Blume, Warum die Rally am Anleihemarkt ein Grund zur Sorge ist, Handelsblatt, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/anleihen/bond maerkte-warum-die-rally-am-anleihemarkt-ein-grund-zur-sorge-ist/24573506.html? ticket=ST-9009170-VW7zBFbuSQMcxuiT0CxH-ap6; vgl. auch für den US-Anleihemarkt Cohan, The Big, Dangerous Bubble in Corporate Debt, abrufbar unter: https:// www.nytimes.com/2018/08/09/opinion/corporate-debt-bubble-next-recession.html.

Einleitung19

kämpfen haben und die Ausfallquoten und Ausfallwahrscheinlichkeiten stei­ gen.10 I. Gegenstand der Untersuchung Unter diesen Umständen, also angesichts des deutlichen Anstiegs des An­ leihemarktes sowie der zugenommenen Risikoaversion der Anleger, gewinnt stark an Bedeutung insbesondere das am 5. August 2009 in Kraft getretene Schuldverschreibungsgesetz (im Folgenden „SchVG“).11 Die Aufgabe dieses Gesetzes besteht in der Ermöglichung einer Koordination der Anleihegläubi­ ger, damit sie wie eine Gruppe, ein rechtlicher Verband, auftreten und dem Emittenten gegenüber einen einheitlichen Willen bilden können, wenn die Möglichkeit entsteht, die Anleihe außergerichtlich zu restrukturieren. Die Anleihebedingungen als Vertragswerk sind nicht in der Lage, diese Koordinationsfunktion zu erfüllen. Aufgrund ihres unvollständigen Charak­ ters können sie die Rechtbeziehungen zwischen dem Emittenten und den Gläubigern für alle in der Zukunft entstehenden Szenarien, sei es die unmit­ telbare Abwendung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emitten­ ten oder z. B. auch die Anpassung der Bedingungen an neue rechtliche und insbesondere steuerliche Gegebenheiten, nicht regeln. Auch die Anleihe­ gläubiger selbst demonstrieren keine Fähigkeit, freiwillig zu kooperieren, selbst wenn eine solche Kooperation im Interesse der ganzen Gruppe vorteil­ haft ist. In ihrem Naturzustand fehlt ihnen der Anreiz, mit Zustimmung des Emittenten die Anleihe zur „Rettung“ ihrer Zahlungsansprüche zu restruktu­ rieren. Aus diesem Grund bedarf es eines Koordinationsmechanismus, also einer speziellen Bondholder Governance, die zulässt, die Rechtsbeziehung zwischen den Gläubigern und dem Emittenten sowie in erster Linie unter den Gläubigern selbst einem bestimmten Rahmen zu unterwerfen und den unor­ ganisierten Zustand, der die Grundlage für destruktives, gruppenbezogen ir­ rationales Verhalten bereiten kann, zu überwinden. Gerade diese Funktion übernimmt das Schuldverschreibungsgesetz. Es schafft den erforderlichen Regelungsrahmen für Bondeholder Governance und hilft so, auf gesetzlicher Grundlage die holdouts „auszuschließen“ bzw. ihre Einwirkungsmacht zu 10  Kaya/Meyer, Unternehmensanleihen in Europa, Wo stehen wir und wohin geht die Reise?, S. 1, abrufbar unter: https://www.dbresearch.de/PROD/RPS_DE-PROD/ PROD0000000000444479/Unternehmensanleihen_in_Europa %3A_Wo_stehen_wir_ und_.pdf. 11  Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung v. 31.07.2009 (BGBl. I S. 2512), Art. 1, zuletzt geändert durch Art. 24 Abs. 21 des Gesetzes v. 23.06.2017 (BGBl. I S. 1693), in Kraft getreten am 05.08.2009.

20 Einleitung

reduzieren, wenn sie sich der Verfolgung des Gruppeninteresses – der „Rettung“ der Anleihe – entgegensetzen. Der Gesetzgeber hat sich für den Mehrheitsgrundsatz entschieden: In der Gruppe der Anleihegläubiger bestimmt nun die Mehrheit den Willen der ganzen Gruppe. Der Minderheit, die opportunistisch handelt, weil sie vom Schutz individuell rationalen Interesses verführt wird, wird durch das Gesetz ihre Stimme genommen. Seit dem Erlass des SchVG ist es nun zehn Jahre her. Welche Bedeutung hat das Gesetz inzwischen für die Praxis erlangt? Ist es dem Gesetzgeber gelungen, eine effektive Bondholder Governance im Rahmen der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung zu ermöglichen? Dieser Hauptfrage widmet sich die vorliegende Arbeit. Es soll analysiert werden, inwieweit der geltende Mehrheitsgrundsatz den Anleihegläubigern tatsächlich hilft, ihren Naturzustand zu verlassen und zügig und ohne großen Aufwand einheitlich im Wege einer Mehrheitsentscheidung aufzutreten. Denn es darf nicht vergessen werden, dass das SchVG 2009 nicht den ersten Versuch des Gesetzgebers darstellt, das sog. Dilemma der Anleihegläubiger zu lösen. Im alten SchVG 189912, dem Vorläufer des heutigen Gesetzes, war der Mehrheitsgrundsatz ebenfalls festgelegt. Das Ziel des Gesetzgebers war allerdings nicht erreicht, denn die Praxis hatte das Gesetz nicht akzeptiert. Ob es im Wege der Reform des Gesetzes im Jahr 2009 gelungen ist, die bislang geltenden Restriktionen aufzuheben und den Gläubigern zum Zwecke des Widerstands gegen holdouts die erforderliche Autonomie zu gewähren, wird im Folgenden näher untersucht. Parallel zu der Analyse des SchVG 2009 muss auch der Frage nachgegangen werden, ob das Gesetz auch im Vergleich zu den anderen Rechtsordnungen, die für den Anleihemarkt heutzutage immer noch die größte Bedeutung haben, nämlich das US-amerikanische und englische Recht, seine Stärke ­demonstrieren kann oder – umgekehrt – ob diese Rechtsordnungen einen besseren Vorschlag zur Bondholder Governance anbieten können. Bei der Reform des SchVG 2009 weist der Gesetzgeber ausdrücklich darauf hin, dass – angesichts des Umstandes, dass die Märkte für Anleihen international geworden sind – das SchVG auch auf internationaler Ebene seine Konkurrenzfähigkeit demonstrieren soll.13 Die Stärkung der Attraktivität des deutschen Rechts der Anleiherestrukturierung war für den Gesetzgeber sogar das Hauptmotiv für die Reform 2009. Insofern stellt sich die nachfolgende Untersuchung auch zum Ziel zu analysieren, inwieweit der Regelungsmechanis12  Gesetz, betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen, v. 04.12.1899, RGBl. 1899 I, S. 691, zuletzt geändert durch Art. 53 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung v. 05.10.1994, BGBl. I 1994, S. 2911. 13  Vgl. Regierungsbegründung zum SchVG 2009 v. 29.04.2009, BT-Drs. 16/12814, S.  1, 13 f.

Einleitung21

mus des SchVG seiner Effektivität nach hinter diesen Rechtsordnungen steht und ob das Gesetz an deren Standards angepasst werden soll. Die Arbeit dient nur der Erörterung der Koordination der Anleihegläubiger derselben Anleihe. Probleme der anleiheübergreifenden Restrukturierung gehören nicht zum Gegenstand der Untersuchung. Ebenso wenig werden die insolvenzrechtlichen Besonderheiten und das Abstimmungsverfahren dargestellt. Schließlich lässt die Arbeit unterschiedliche Typen von Schuldverschreibungen außer Acht: Die Problematik der Bondholder Governance wird anhand der Rechtsbeziehung aus einer klassischen Anleihe betrachtet, deren Schuldverschreibungen einen Anspruch auf Zahlung des Kapitals und der Zinsen verbriefen. II. Gang der Untersuchung Die Untersuchung beginnt mit der Darstellung der Akkordstörerproblematik im Anleiherecht. Im ersten Kapitel wird gezeigt, aus welchem Grund die Anleihegläubiger sich in ihrem Naturzustand zu einer freiwilligen Kooperation nicht bereit zeigen und welche Wirkung die Geltung des Einstimmigkeitsprinzips für die außergerichtliche Anleiherestrukturierung demonstrieren kann. Sodann wird der Organisationseffekt des Mehrheitsgrundsatzes dargestellt und erklärt, warum das alte SchVG 1899 keine Anwendung in der Praxis finden konnte und wie das Gesetz später im Jahr 2009 reformiert wurde. Am Ende des Kapitels wird der Katalog der möglichen Restrukturierungsoptionen nach dem geltenden SchVG 2009 genannt und über die ersten Erfahrungen aus der Praxis berichtet. Das zweite Kapitel widmet sich der rechtsvergleichenden Untersuchung. Es wird gezeigt, wie der Mehrheitsgrundsatz im US-amerikanischen und englischen Recht geregelt ist und welche Restriktionen für die restrukturierungswillige Mehrheit in diesen Rechtsordnungen gelten. Die jüngste Rechtsprechung und die Reaktion im Schrifttum zeigen, dass das Thema der Bestimmung der zulässigen Grenzen der Restrukturierung der Anleihen auf großes Interesse stößt. Besondere Bedeutung zeigt im Rahmen der ganzen Diskussion die Technik „exit consents“. Obwohl das US-amerikanische und englische Recht im Vergleich zum deutschen Recht Mehrheitsbefugnisse ipso jure zulassen, sind die Anleihegläubiger in ihren Restrukturierungsmöglichkeiten bei der Anwendung dieser Technik beschränkt bzw. es besteht ein nicht unerhebliches Anfechtungsrisiko, was holdouts gerne ausnutzen. Aufgrund der Bedeutung der Technik für den US-amerikanischen und englischen Anleihemarkt wird im zweiten Kapitel deren Zulässigkeit nach deutschem Recht untersucht. Bis jetzt wurde diese Frage im deutschen Schrifttum nicht näher analysiert.

22 Einleitung

Im dritten Kapitel wird die Figur des gemeinsamen Vertreters der Anleihegläubiger vorgestellt. Es wird dargestellt, welche Funktionen der gemeinsame Vertreter in der Theorie erfüllen muss und welche Rolle er in der Praxis auf der Grundlage des SchVG tatsächlich spielt. Die Untersuchung muss die Frage beantworten, ob die Kritik zu der angeblich bestehenden Diskrepanz der Figur des Vertreters in der Theorie und in der Praxis gerechtfertigt ist. Nach einer vergleichenden Betrachtung wird auch der Versuch unternommen zu zeigen, ob die Standards des US-amerikanischen und englischen Rechts zum Rechtsinstitut des trustee im Vergleich zu solchen des SchVG eine effektivere Repräsentation der Gläubiger ermöglichen. Im vierten Kapitel wird das Rechtsschutzsystem der opponierenden Minderheit dargestellt. Dessen Vorteile und Nachteile, insbesondere die Gefahr des Missbrauchs des Klagerechts in Folge der Anfechtung des Mehrheits­ beschlusses mit kassatorischer Wirkung, die die anderen Rechtsordnungen gerade nicht vorsehen, werden genannt. Sodann werden die existierenden Vorschläge zur Reform des Gesetzes hinsichtlich des Anfechtungsrechts analysiert und das eigene Konzept erarbeitet, das das erforderliche Gleichgewicht der Rechte der Mehrheit und der Minderheit gewähren könnte, ohne die Restrukturierung zu hindern.

Kapitel 1

Mehrheitsprinzip Die nachstehende Untersuchung beginnt mit der Erklärung, welchem grundlegenden Problem der Prozess der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung ausgesetzt ist, soweit keine Bondholder Governance ermöglicht wird. Zunächst wird gezeigt, dass das Szenario eines klassischen Gefangenen­ dilemmas auf Anleihegläubiger übertragen werden kann – und zwar selbst dann, wenn in der Rolle der Erwerber institutionelle Investoren auftreten. Sodann wird der Frage nachgegangen, welche Mechanismen das Gesetz zur Lösung dieses Dilemmas vorsieht und insbesondere welche konkreten Optio­ nen bzw. Befugnisse es den Anleihegläubigern zur Ermöglichung der Bildung eines einheitlichen Willens dem Emittenten gegenüber, also zur Ermöglichung der Selbstkoordination, zur Verfügung stellt.

§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht A. Akkordstörer-Problem „Die Minderheit hält wenig von der Mehrheit, bis jene auf ihrer Seite steht.“1

1991 hat der BGH in dem sog. „Akkordstörer“-Urteil2 entschieden, dass die Minderheit einer Mehrheitsentscheidung nicht ohne weiteres unterworfen ist. In dem Fall ging es um die Abwendung eines der coop-Gruppe drohenden Insolvenzverfahrens. Etwa 150 Bankengläubiger schlossen mit den Unternehmen dieser Gruppe (einschließlich der Beklagten) eine außergerichtliche Sanierungsvereinbarung, kraft derer sie auf ¾ ihrer ungesicherten Forderungen verzichteten. Mehr als 75 % der Bankengläubiger stimmten dem Vergleich zu. Als eine Bank, die zur überstimmten Minderheit gehörte und dem vorgeschlagenen Sanierungskonzept mit einem teilweisen Forderungsverzicht 1  Michael Wollmann, „Entgrenzte Grauzonen“, deutscher Aphoristiker und Philosoph (*1990). 2  BGH, Urt. v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, ZIP 1992, 191 ff.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

nicht beitreten wollte, die Rückzahlung des Darlehens in voller Höhe gefordert hatte, trat die Beklagte dem Verlangen unter Berufung auf die Sanierungsvereinbarung entgegen. Es entstand die Frage, ob ein privatautonom initiierter, außergerichtlicher Sanierungsvergleich, den die Mehrheit der Gläubiger befürwortet, eine Bindungswirkung für die dissentierenden Gläubiger entfaltet. Der BGH hat dies ausdrücklich verneint. Keine Bindungswirkung besteht nach Auffassung des Gerichts selbst dann, wenn der Sanierungsvergleich sich als wirtschaftlich vernünftige Alternative zur Insolvenz aufweist und einzelne „Akkordstörer“ diesem Vergleich „aus bösem Willen, aus Eigensinn oder volkswirtschaftlicher Einsichtslosigkeit … widerstreben“.3 Mit anderen Worten ist der Vergleich auch dann nicht bindend, wenn solche Gläubiger versuchen, auf Kosten anderer „Kapital [zu] schlagen“4. „Die geltende Rechtsordnung stellt [ ] keine Instrumente bereit, die [dissentierende Minderheit] … zum Beitritt zum außergerichtlichen Sanierungsvergleich zu zwin­ gen.“5 Rein „[v]olkswirtschaftliche und sozialpolitische Erwägungen, so berechtigt sie sein mögen, reichen [ebenfalls] … nicht aus.“6 Eine außergerichtliche Restrukturierungsvereinbarung entfaltet somit eine Bindungswirkung nur für diejenigen, die ihr zugestimmt haben. Scheint unter diesen Umständen der Umfang des Sanierungsgedankens als zu eng gefasst zu sein, kann der Richter – nach Ansicht des BGH – auch im Wege der Rechtsfortbildung nicht eingreifen. Es sei die Aufgabe des Gesetzgebers, weitere Bindungsmechanismen im Gesetz festzulegen. Mangels gesetzlicher Grundlage seien die außenstehenden Gläubiger an einer uneingeschränkten Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen den Schuldner nicht gehindert.7 Interessant ist anzumerken, dass ein Jahr später ein New Yorker Gericht in einem ähnlichen Fall ebenfalls entschieden hat, dass ein prinzipielles Einverständnis der Hauptgläubiger mit dem in eine Krise geratenen Schuldner über 3  Siehe allgemeine Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Vergleich zur Abwendung des Konkurses (Vergleichsordnung), RT-Drucks. Nr. 2340, III. Wahlperiode 1924/25, S. 14; zitiert auch vom BGH, Urt. v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, ZIP 1992, 191 (194). 4  BGH, Urt. v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, ZIP 1992, 192. 5  BGH, a. a. O., S. 193. Mangels einer schuldrechtlichen oder gesellschaftsähnlichen Sonderverbindung zwischen den Gläubigern des in eine Krise geratenen Unternehmens bestehen außerdem keine Treue- oder Kooperationspflichten, sich dem Vergleich anzuschließen. Zustimmend dazu Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 198 f.; a. A. Eidenmüller, ZZP 121 (2008), 273 (290). Umfassend zum System von Kooperationspflichten im Vorfeld der Insolvenz zur Verringerung des Kollektivhandlungsproblems Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 583 ff. 6  BGH, Urt. v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, ZIP 1992, 194. 7  BGH, a. a. O., S.  194.



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 25

finanzielle Restrukturierung zum Zwecke der Vermeidung der Insolvenz nicht zur Einschränkung des Rechts eines dissentierenden Gläubigers führt, seine Zahlungsansprüche gegen den Schuldner im vollen Umfang geltend zu machen.8 Das Argument des Schuldners, dies könne zu dem sog. unkoordinierten „Windhundrennen“ anderer Gläubiger sowie zur Gefährdung des Restrukturierungsprozesses führen, zeigte keine Wirkung. Geleitet von dem Verständnis „[a] debtor that is in default cannot hold a creditor hostage to its desire to effect a restructuring“9, hat das Gericht das Urteil zu Gunsten des Gläubigers gefällt. Die Interessen eines sanierungswilligen Schuldners und der Gläubigermehrheit überwiegen also nicht ohne weiteres die Interessen eines dissentierenden Minderheitsgläubigers.

B. Keine Bindung an Mehrheitsentscheidung ohne spezielle Grundlage In beiden oben erwähnten Fällen verneinten die Gerichte die Möglichkeit, die opponierenden Gläubiger an die Entscheidung der Mehrheit zu binden. Ob die mangelnde Solidarität der Gläubiger auf dem Wunsch beruhte, Sondervorteile auf Kosten anderer zu erlangen, oder ob die Gläubiger prinzipiell mit der Sanierung des Schuldners einverstanden waren, war irrelevant. Entscheidend war, dass es an einer speziellen Rechtsgrundlage fehlte, die eine Bindung aller und nicht nur sanierungswilliger Gläubiger ermöglicht.10 Es bestand im Vorfeld der Insolvenz kein die Geltung des Mehrheitsprinzips versehender Koordinationsmechanismus, der zuließ, die Gläubiger wie einen rechtlichen Verband zu organisieren, damit sie einen einheitlichen Willen dem Schuldner gegenüber fassen könnten.11 8  Chase Manhattan Bank, N.A. v. Cenvill Properties, Inc., No. 91 Civ. 6924 (JFK) (S.D.N.Y., v. 04.06.1992; summary judgment); siehe zum Fall Brandon, 110 Banking L.J. 68 ff. (1993); Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 588. Im Akkordstörer-Fall (BGH, Urt. v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, ZIP 1992, 194) hat der BGH die prinzipielle Sanierungsbereitschaft des Akkordstörers ebenfalls nicht als ausreichend für die Bindung an die Mehrheitsentscheidung betrachtet. 9  Brandon, 110 Banking L.J. 68, 72 (1993). 10  Vgl. auch Brandon, 110 Banking L.J. 68, 72 (1993) („the terms of the agreement and general principles of commercial law govern the rights of a creditor to be repaid“); BGH, Urt. v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, ZIP 1992, 191 (193) („Bei einem außergerichtlichen Vergleich fehlt es an einer Gesetzesbestimmung, derzufolge sein Inhalt auch für solche Gläubiger maßgeblich ist, die sich ihm nicht angeschlossen haben.“). 11  Siehe auch Grünewald, Mehrheitsherrschaft, S. 5 („Ein zentrales Problem ist stets die Einbindung der für ein Sanierungsvorhaben relevanten Personen.“).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Da, wo keine Rechtsgrundlage für die „Vergemeinschaftung“ der Gläubiger ersichtlich ist, bleiben sie in ihrem unorganisierten Zustand. Im Verhältnis zum Schuldner stehen sie mit ihren einzelnen Forderungen nebeneinander und ihre rechtliche Einbindung ist nicht möglich. Dies führt konsequenterweise dazu, dass jeder Gläubiger die Macht erlangt, eine Restrukturierungsvereinbarung mit dem in eine Krise geratenen Schuldner zu blockieren, da übrige Gläubiger das Sanierungskonzept nur dann unterstützen, wenn alle gleichermaßen teilweise auf ihre Forderungen verzichten.

C. Das Akkordstörer-Problem im Schuldverschreibungsrecht Anleihegläubiger, wenn sie nicht als eine einheitliche Gruppe organisiert sind, können dem Akkordstörer-Problem bei der Notwendigkeit, Anleihebedingungen an neue wirtschaftliche oder tatsächliche Gegebenheiten anzupassen, in gleicher Weise ausgesetzt sein. Dies zu verdeutlichen, hilft die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Anleihe und der Schuldverschreibung. I. Der Begriff der Anleihe Eine Anleihe stellt ein Finanzprodukt dar und dient dem Emittenten (einem Unternehmen oder einem Staat), Kapital vom Publikum in großem Umfang aufzunehmen. Diese Funktion wird durch die Emission mehrerer inhaltsgleicher, vertretbarer Schuldverschreibungen – in der Praxis als Teilschuldverschreibungen bezeichnet12 – erfüllt, die deren Inhabern auf Grundlage von einheitlichen Anleihebedingungen gleiche Rechte gewähren.13 Eine Anleihe besteht somit aus gleichartigen Schuldverschreibungen und kann als Oberbegriff der bei der Kapitalaufnahme begründeten Rechtsverhältnisse zwischen dem Anleiheschuldner (Emittenten) und den Anleihegläubigern bezeichnet werden.14

12  Hartwig-Jacob,

in: FraKommSchVG, § 1 Rn. 12. Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 58; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (16); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 12 f.; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 36 Rn. 1; Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 1 Rn. 13; Than, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (5). 14  Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 12; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 69; Lerche/Plank, in: Baur/Kantowsky/Schulte, Stakeholder Management in der Restrukturierung, S. 177; vgl. auch Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., Rn. 9.179. 13  Vgl.



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 27

II. Der Begriff der (Teil-)Schuldverschreibung Einzelne (Teil-)Schuldverschreibungen, in die eine Anleihe zerfällt, verbriefen das Leistungsversprechen des Emittenten i. S. d. § 793 BGB (abstraktes Schuldversprechen) gegenüber den Erwerbern (Anleihegläubigern). Eine Schuldverschreibung stellt somit eine Urkunde15 dar, in der der Emittent als deren Aussteller eine Leistung verspricht. Nach Maßgabe des verbrieften Versprechens kann der Erwerber der Schuldverschreibung die Leistung verlangen. Die vom Emittenten geschuldete Leistung besteht bei einer „klassischen“ Anleihe in der zukünftigen (Rück-)Zahlung16 des Kapitals und dessen Ver15  Die Errichtung der Urkunde stellt die notwendige Voraussetzung der Entstehung der Forderung dar. Dies entspricht dem allgemeinen wertpapierrechtlichen Skripturprinzip (§§ 793 Abs. 1 S. 1, 796 BGB, § 2 SchVG): Anleihebedingungen können die schuldrechtliche Beziehung zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern nur dann regeln, wenn sie in der Urkunde enthalten sind, Horn, ZHR 173 (2009), 12 (33); vgl. auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, Kap. 17, § 1 Rn. 16 („Die Errichtung der Urkunde hat konstitutive Bedeutung.“); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 17 f.; BGH, Urt. v. 22.03.2018 – IX ZR 99/17, BB 2018, 1871 (1872). Dies bedeutet aber nicht, dass für jede einzelne Teilschuldverschreibung eine Urkunde ausgestellt werden muss. In der Praxis schließt der Emittent in der Regel die Ausgabe von Einzelurkunden in den Anleihebedingungen ausdrücklich aus. Es wird nur eine Sammelurkunde i. S. d. § 9a Abs. 1 S. 1 DepotG – meistens als Globalurkunde bezeichnet – ausgestellt (Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 36 Rn. 3; Than, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (6 f.)). Die Anleihegläubiger sind in diesem Fall kraft Gesetzes (§§ 9a Abs. 2, 6 Abs. 1 DepotG) Miteigentümer der Globalurkunde nach Bruchteilen entsprechend den von ihnen gehaltenen Schuldverschreibungen zum Gesamtbestand. Diese Art der Verbriefung der Rechte der Anleihegläubiger erfüllt lediglich eine technische Funktion. Sie beseitigt die Notwendigkeit der Ausstellung mehrerer Urkunden bzw. ermöglicht die Zusammenfassung der Anleihebedingungen in einer einheitlichen Urkunde (Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 1 Rn. 62; ders., Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, S. 25; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 761; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 18; Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., Rn. 11.231, 11.237; Scherer/Martin, in: DepotG, § 9a Rn. 4). 16  Eine Schuldverschreibung verbrieft eine Forderung aus einem abstrakten Schuldversprechen. Es entsteht kein Anspruch auf Rückzahlung wie bei einem Darlehensvertrag. Kapitalaufnahme mittels einer Anleihe kann nur rein wirtschaftlich gesehen als Darlehensgewährung durch das Publikum bezeichnet werden. In rechtlicher Hinsicht besteht zwischen dem Emittenten und jedem einzelnen Anleihegläubiger kein Darlehensverhältnis i. S. v. §§ 488 ff. BGB. Streng juristisch handelt es sich daher nicht um eine Rückzahlung des Kapitals. Vgl. dazu Baums, ILF Working Paper Series, No.  ­ 145, S.  10 (2015); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S.  13 f.; Maier-Reimer, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 136 (151); Seibt/Schwarz, ZIP 2013, 401 (407); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 83; OLG Frank-

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

zinsung.17 Schuldverschreibungen verbriefen schuldrechtliche Forderungsrechte.18 Da alle (Teil-)Schuldverschreibungen einer Anleihe auf der Geltung einheitlicher Anleihebedingungen beruhen, erlangt jeder Erwerber der Schuldverschreibung gleiche Anleihegläubigerforderungsrechte. Die Funktion der Schuldverschreibung und der in ihr niedergelegten einheitlichen Anleihebedingungen besteht also darin, jedem Erwerber gleiche Rechte im Verhältnis zum Emittenten einzuräumen. Die Gleichartigkeit der Rechte stellt die notwendige Voraussetzung der Handelbarkeit der Schuldverschreibungen als Wertpapiere dar.19 Ohne sie wäre das Funktionieren „des auf schnelle und anonyme Abwicklung des Massengeschäfts ausgerichteten Kapitalmarktes“ nicht vorstellbar.20 III. Rechtliche Unabhängigkeit der Anleihegläubiger im unkoordinierten Zustand Die Einräumung gleicher Rechte auf Grundlage der Anleihebedingungen hebt aber nicht den rechtlich unabhängigen Status jedes einzelnen Anleihegläubigers auf. Zwischen dem Emittenten und jedem einzelnen Anleihegläubiger entsteht jeweils ein gesondertes Schuldverhältnis.21 Die Anleihegläubiger stehen aber furt, Urt. 17.09.2014 – 4 U 97/14, ZIP 2014, 2176 (2178) („An der Anwendbarkeit [des § 490 Abs. 1 BGB] bestehen trotz des wirtschaftlichen Charakters der Inhaberschuldverschreibung als Darlehen Zweifel, weil der Gesetzgeber sich im Interesse der Verkehrsfähigkeit von Inhaberschuldverschreibungen bewusst dafür entschieden hat, diese in den §§ 793 ff. BGB getrennt von den §§ 488 ff. BGB zu regeln … Diese Spezialregelungen schließen einen Rückgriff auf die Bestimmungen zum Darlehensvertrag … aus.“); siehe auch BGH, Urt. v. 31.05.2016 – XI ZR 370/15, BB 2016, 1677 (1678). 17  Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 32; Oulds, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 1 Rn. 2; Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 1 Rn. 9 ff.; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 36 Rn. 1; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 68; Leuering/Zetsche, NJW 2009, 2856; Kaulamo, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, §17 Rn. 38. 18  Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 1 Rn. 10; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (17); Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 58; Klerx/Penzlin, BB 2004, 791 (792). 19  Vgl. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 17; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (17 f.); ders., BKR 2009, 446 (448); Steffek, in: FS Hopt, S. 2597 (2602); Heldt, in: FS Teubner, S. 315 (319). 20  Zur Bedeutung inhaltlich gleicher Ausgestaltung der Schuldverschreibungen siehe BGH, Urt. v. 28.06.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 311, 317. 21  Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 1; BGH, Beschl. v. 14.07.2016 − IX ZA 9/16, NZI 2016, 1014; vgl. auch Siebel, Rechtsfragen internatio­



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 29

trotz der Geltung der einheitlichen Bedingungen in keiner rechtlichen Beziehung zueinander. Sie können ihre Rechte selbständig geltend machen22 und sind lediglich wirtschaftlich verbunden.23 Die Gleichartigkeit der Forderungsrechte liefert an sich noch keine rechtliche Grundlage für die „Vergemeinschaftung“ der Anleihegläubiger mit der Möglichkeit, die Anleihegläubigergesamtheit durch eine Mehrheitsentscheidung oder anders zu organisieren.24 Im unkoordinierten Zustand sind die Anleihegläubiger unverbunden und rechtlich voneinander unabhängig. Das Akkordstörer-Problem ist mithin vorprogrammiert. IV. Inter-partes-Wirkung der Mehrheitsentscheidung (RGZ 22, 61) Bereits im vorletzten Jahrhundert hat das Reichsgericht im Streit über die Bindungswirkung eines Mehrheitsbeschlusses der Anleihegläubiger entschieden, dass ipso jure keine Unterordnung des Einzelnen besteht. Es entsteht unter den Anleihegläubigern nach Auffassung des Gerichts weder „ein[ ] sozietätsmäßige[s] oder sozietätsähnliche[s] Verhältnis[ ] … mit Unterordnung des einzelnen unter ein gemeinschaftliches Interesse“ noch „ein[ ] körperschaftliche[r] Verband[ ] … mit einer zur Veränderung der Rechte der einzelnen befugten Autonomie“.25 Der Mehrheitsbeschluss gilt also nur für diejenigen, die ihm zugestimmt haben. Die Einbindung aller Anleihegläubiger zum Zwecke der Vermeidung, dass die Restrukturierung auf Kosten eines Teils der Gläubiger erfolgt, ist somit ausgeschlossen. An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand, dass von der Restrukturierung der Anleihe im Endergebnis jeder Gläubiger profitieren kann, nichts.

naler Anleihen, S. 677; Frank/Siebel, CFb 2012, 218 (219); Amato, 6 Bocconi Legal Papers 237, 253 f. (2015). 22  Vgl. Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 1 Rn. 13; Steffek, in: FS Hopt, S. 2597 (2607); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 13. 23  Penner, Restrukturierungsklauseln, S. 105; vgl. auch Heldt, in: FS Teubner, S. 315 (319). 24  Vgl. Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 77 f.; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (46 f.); siehe auch Than, in: FS Coing, S. 521 (530) („Gleichwohl bleibt ein gewisses Unbehagen, dass durch Beschluss einer Mehrheit von Anleihegläubigern in die Rechte einer ‚dissenting monority‘ eingegriffen werden kann. Dies ist zwar im Gesellschaftsrecht ein selbstverständliches Prinzip, in sonstigen Bereichen jedoch nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung verwirklicht.“); Schneider, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 69 (73); Heldt, in: FS Teubner, S. 315 (318); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, Einf., Rn. 11. 25  RG, Urt. v. 14.01.1888 – I 320/87, RGZ 22, 61 (64).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

D. Gesetzgeberische Bestrebungen zur Lösung des Akkordstörer-Problems I. Schuldverschreibungsgesetz 1899 als Instrument der Gläubigerkoordination Die Notwendigkeit der Schaffung eines speziellen Koordinationsmechanismus für die Anleihegläubiger (Bondholder Governance), damit die Mehrheit den einzelnen Akkordstörern wirksam entgegenstehen könnte, wurde vom Gesetzgeber bereits im 19. Jahrhundert erkannt. Das Problem des kollektiven Handelns der Anleihegläubiger wurde zum Gegenstand des gesetzgeberischen Interesses, noch lange bevor die wissenschaftliche Diskussion über das Störungspotenzial eines im Eigeninteresse handelnden Individuums beim Erreichen des Gruppenziels (des Kollektivguts) aus ökonomischer Sicht (das sog. Kollektivhandlungsproblem) entstanden war.26 Auf die Wirkung der Unverbundenheit der Anleihegläubiger weist der Gesetzgeber in der amt­ lichen Begründung zum „Gesetz, betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen“ (später Schuldverschreibungsgesetz vom 4. Dezember 189927 (im Folgenden „SchVG 1899“)) ausdrücklich hin: „Schon lange wird das Bedürfnis empfunden, den Besitzern derartiger Schuldverschreibungen die wirksame Geltendmachung ihrer Rechte zu erleichtern. Das hauptsächliche Hindernis, das hierbei zu beseitigen ist, liegt in dem Mangel einer Verbindung zwischen den einzelnen Besitzern der Schuldverschreibungen. Dem Schuldner steht eine große Zahl ihrer Person nach unbekannter Gläubiger gegenüber, die zwar überreinstimmende Interessen haben, sich aber bei einer Gefährdung derselben nicht oder nur schwer zu gemeinsamem Handeln zusammenfinden können. Um hierfür den Weg zu eröffnen, ist eine rechtliche Organisation der Schuldverschreibungsbesitzer notwendig.“28 Der Gesetzgeber stellte sich die Aufgabe, die Anleihegläubiger aufgrund einer speziellen Rechtsgrundlage handlungsfähig zu machen, und verkündete die Koordination der Anleihegläubiger als Hauptziel des zukünftigen SchVG 1899.29

auch Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 248. 1899 I, S. 691 ff.; zuletzt geändert durch Art. 53 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung v. 05.10.1994, BGBl. I 1994, S. 2911 (2937 f.). 28  Regierungsbegründung v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 907; Hervorhebung hinzugefügt. 29  Regierungsbegründung v. 03.02.1899, a. a. O., S. 908. 26  Siehe

27  RGBl.



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 31

II. Die Entwicklung der Idee des kollektiven Handelns: vormundschaftliche Betreuung vs. Gläubigerautonomie Die Idee, die Anleihegläubiger wie eine rechtliche Einheit zu organisieren, war zum Zeitpunkt der Entstehung des SchVG 1899 nicht neu. Es gab bereits mehrere Kodifikationsversuche zur „Vergemeinschaftung“ der Gläubiger, die dem Gesetzgeber als Vorbilder dienten.30 Zu erwähnen ist zunächst der Gesetzesentwurf des Reichsjustizamtes über Faustpfandrecht für Pfandbriefe und ähnliche Schuldverschreibungen aus dem Jahr 1879.31 Der Entwurf basierte auf dem Gedanken, dass dingliche Sicherungsrechte der Gläubiger im Konkurs- und Zwangsvollstreckungsverfahren kollektiviert werden können. Er konstituierte die Gläubigerversammlung ausdrücklich als Organ zur Willensbildung mittels eines Mehrheitsbeschlusses mit bindender Wirkung für alle Gläubiger. Obwohl der Entwurf im Endergebnis nicht zur Verabschiedung gelangte, nutzten mehrere deutsche Einzelstaaten – aufgrund einer besonderen Ermächtigungsnorm – die Möglichkeit, in Anlehnung an den Entwurf entsprechende Landesgesetze zu beschließen.32 Sie haben die Idee der kollektiven Wahrnehmung von Gläubigerrechten auf gesetzlicher Ebene weiterentwickelt. Besondere Aufmerksamkeit des historischen Gesetzgebers bei der Fassung des SchVG 1899 verdiente das Pfandbriefgesetz Sachsen-Coburg-Gotha vom 4. April 188533, in dem im Unterschied zu anderen Landesgesetzen der Ge30  Regierungsbegründung v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 907; einige Gesetze sind als Anlage beigefügt, S. 918 ff.; ausführlich zu den gesetzgeberischen Vorläufern des SchVG 1899 siehe Vogel, Die Vergemeinschaftung, S.  81 ff. 31  Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 4. Legislaturperiode, II. Session 1879, 4. Anlageband, Aktenstück Nr. 50, S. 421 ff. 32  Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 99; für Braunschweig siehe das Gesetz, betreffend die Hypotheken für die auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen und Verpflichtungsscheine (v. 30. März 1881), ZHR 27 (1881), 448 ff.; für Bayern Gesetz, betreffend einige Bestimmungen über Inhaberpapiere (v. 18.03.1896), ZHR 46 (1896), 443 ff.; für Baden Gesetz, betreffend die Pfandrechte für Schuldverschreibungen auf Inhaber (v. 12.04.1892), ZHR 42 (1892), 210 ff.; für Elsass-Lothringen Gesetz, betreffend das Pfandrecht für die von Bodenkreditanstalten ausgegebenen Schuldverschreibungen (v. 22.05.1893), ZHR 43 (1893), 192 ff.; für MecklenburgSchwerin und Mecklenburg-Strelitz Mecklenburg-Strelitzʼsche Verordnung, betreffend das Faustpfandrecht für Pfandbriefe und ähnliche Schuldverschreibungen (v. 03.03.1894), ZHR 44 (1894), 170 ff.; für Schwarzburg-Sonderhausen Pfandbriefgesetz (v. 15.01.1896), ZHR 46 (1896), 195 ff. 33  Gesetz, betreffend die Sicherstellung der Rechte der Besitzer von Pfandbriefen, ZHR 31 (1885), 264  ff.; siehe auch die Regierungsbegründung zum SchVG v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages,

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

danke der Stärkung der Gläubigerautonomie den Schwerpunkt bildete.34 Die Gläubigerversammlung wurde mit der ausschließlichen Kompetenz ausgestattet, Mehrheitsbeschlüsse zur Aufgabe von Rechten und zur Wahrung gemeinsamer Interessen zu fassen. Dabei wurde ausdrücklich klargestellt, dass Beschlüsse für alle, d. h. auch für dissentierende Gläubiger, bindende Wirkung entfalten. Hervorzuheben ist das Recht der Gläubigerversammlung, über einen Rechtsverzicht zu beschließen, und zwar bezogen nicht nur auf das Faustpfandrecht, sondern auch in Ansehung der Forderung selbst.35 Keine Einschränkungen machte außerdem das Gesetz für die Gläubiger hinsichtlich des Zwecks der Beschlussfassung. Verzichtbeschlüsse waren zulässig nicht nur zum Zwecke der Abwendung einer Zwangsliquidation.36 Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Gläubiger als eine rechtlich organisierte Einheit auch außerhalb des Konkurses auftreten können. Das Landesgesetz ging dank seiner innovativen Vorschriften selbst über die Regelungen des späteren SchVG 1899 hinaus37 und verdiente seinerzeit zu Recht den Vorbildstatus. In der amtlichen Begründung zum SchVG 1899 erwähnte der Gesetzgeber außerdem das preußische „Gesetz, betreffend das Pfandrecht an Privateisenbahnen und Kleinbahnen und die Zwangsvollstreckung in dieselben, vom 19. August 1895“38. Wie das Pfandbriefgesetz Sachsen-Coburg-Gotha räumte das preußische Eisenbahngesetz der Gläubigerversammlung das Recht ein, im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zu handeln, und legte den Beschlüssen, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 907 („Sehr eingehend sind die fraglichen Beschlüsse in dem sachsen-coburg-­ gothaischen Gesetze vom 4. April 1885 geregelt, das durch die schwierige Lage veranlasst worden war, in welcher sich damals die Deutsche Grundkreditbank in Gotha befand. Das Gesetz sollte die Wiederherstellung geordneter Zustände bei dem genannten Institut einleiten und hierbei kam es zunächst darauf an, eine Herabsetzung des Zinsfußes der Pfandbriefe durch Mehrheitsbeschluss der Pfandbriefbesitzer herbeizuführen.“). 34  Dazu ausführlich siehe Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 101 ff. 35  So auch Hecht, DJZ 1898, 364 (365). 36  Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 102. 37  § 11 Abs. 1 SchVG 1899 erlaubte die Einschränkung der Rechte der Gläubiger nur zur Abwendung der Zahlungseinstellung oder des Insolvenzverfahrens. 38  ZHR 45 (1895), 282 ff.; beschlossen in teilweiser Anlehnung an den „Entwurf eines Gesetzes [des Reichsjustizamtes] über das Pfandrecht an Eisenbahnen und die Zwangsvollstreckung in dieselben“, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 4. Legislaturperiode, II. Session 1879, 5. Anlageband, Aktenstück Nr. 130, S. 695 ff. (dieses Gesetzgebungsvorhaben ist ebenfalls gescheitert). Beide Gesetze sind zitiert in der Regierungsbegründung zum SchVG 1899 v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2.  Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S.  907, 919 f.



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 33

was die Verfasser des SchVG 1899 besonders hervorhoben, „in weitem Umfange verbindliche Kraft bei“.39 Als Gegenmodell der Idee der Konstituierung des organisierten Handelns der Anleihegläubiger auf Grundlage einer Mehrheitsentscheidung sah der Gesetzgeber das österreichische Kuratorengesetz40 vom 24. April 1874.41 „Dieses Gesetz legt die Wahrnehmung der Interessen der Schuldverschreibungsbesitzer nicht in deren eigene Hand, sondern lässt die gerichtliche Bestellung eines Kurators eintreten, sobald wegen des Mangels einer gemein­samen Vertretung entweder die Rechte der Besitzer gefährdet oder die Rechte eines Anderen in ihrem Organe gehemmt werden. Nach der Bestellung eines Kurators sind die einzelnen Gläubiger nicht mehr befugt, in den die Gesamtheit betreffenden Angelegenheiten ihre Rechte aus den Schuldverschreibungen selbständig geltend zu machen. Durch ein späteres Gesetz42 wurde dem Kurator für gewisse Fälle ein Ausschuss an die Seite gesetzt, dessen Mitglieder in einer Versammlung der Schuldverschreibungsbesitzer gewählt werden konnten; dieser Ausschuss hatte aber nur die Stellung eines begutachtenden Beirats ohne entscheidende Stimme.“43 Dem österreichischen Gesetz wurde somit der Gedanke zugrunde gelegt, dass Anleihegläubiger nur durch einen einseitig vom Gericht bestellten Kurator handlungsfähig sein können. Sie selbst haben weder das Recht zur selbständigen Rechtsverfolgung noch die rechtliche Möglichkeit, einen Mehrheitswillen im Rahmen einer Gläubigerversammlung zu bilden.44 Insofern war das österreichische Regelungskonzept von der Idee der „Vergemeinschaftung“ der Anleihegläubiger am weitesten entfernt. III. „Minor pars sequatur maiorem“-Prinzip Auf Grund der Untersuchung inländischer und ausländischer Regelungsvorschriften kamen die Verfasser des späteren SchVG 1899 zum Schluss, 39  Regierungsbegründung zum SchVG 1899 v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 907. 40  Gesetz, betreffend die gemeinsame Vertretung der Rechte der Besitzer von auf Inhaber lautenden oder durch Indossament übertragbaren Schuldverschreibungen und die bücherliche Behandlung der für solche Teilschuldverschreibungen eingeräumten Hypothekarrechte, ÖRGBl. 1874, XV, 95 ff. Ausführlich zum österreichischen Gesetz siehe Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 106 ff. 41  Die Verfasser des SchVG 1899 hatten mehrere ausländische Regelungswerke untersucht, siehe dazu die Regierungsbegründung zum SchVG 1899 v. 03.02.1899, a. a. O., S.  907 f., 920 ff. 42  Das ergänzende Gesetz v. 05.12.1877, ÖRGBl. 1877, XXXIX, 111 ff. 43  Regierungsbegründung zum SchVG 1899 v. 03.02.1899, a. a. O., S. 907. 44  Siehe auch Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 107 f.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

dass der Weg zu einer effektiven Koordination der Gläubiger darin liegt, einen einheitlichen Willen im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zu bilden.45 Nicht die Beschränkung der Rechte der Anleihegläubiger, sondern im Gegenteil die Gewährung von mehr Autonomie, d. h. auch der Befugnis, mehrheitlich zu entscheiden, sollte das bestehende Organisationshindernis beseitigen. Dies hebt der Gesetzgeber als Hauptgedanke hervor. So heißt es in der amtlichen Begründung zum SchVG 1899: „Die Aufgabe eines solchen Gesetzes ergibt sich aus dem Vorstehenden von selbst. Es kann sich nicht darum handeln, die Besitzer der Schuldverschreibungen einer vormundschaftlichen Fürsorge zu unterstellen, wie dies durch das oben erwähnte österreichische Gesetz geschehen ist. Hierzu fehlt es an einem genügenden Grunde. Das Hindernis für die einheitliche Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen der Schuldverschreibungsbesitzer liegt in der großen Zahl der Beteiligten, in dem Umstand, dass diese der Regel nach nicht bekannt sind, und in der Unmöglichkeit, die Zustimmung aller Einzelnen zu den erforderlichen Maßnahmen zu erlangen. Dadurch wird aber nicht eine vormundschaftliche Vertretung, sondern nur die Organisation zu einem Verband notwendig, dessen Beschlüsse unter den zum Schutz der Einzelnen notwendigen Bedingungen und Einschränkungen für alle Besitzer der Schuldverschreibungen verbindlich sind. Dieser Gesichtspunkt ist für die Vorschriften des Entwurfs maßgebend.“46

Der Gesetzgeber entschied sich für die Festlegung des Mehrheitsprinzips. Gleich am Anfang des Gesetzes, im § 1 Abs. 1, wurde bestimmt, dass die von der Versammlung der Gläubiger gefassten Beschlüsse, die der Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen dienen, verbindliche Kraft für alle haben.47 Mit der Festlegung des Mehrheitsprinzips wurde eine spezielle gesetzliche Grundlage geschaffen, die helfen sollte, eine kollektivähnliche Rechtsbeziehung herzustellen und ein koordiniertes Anleihegläubigerhandeln dem Emittenten gegenüber zu ermöglichen. Entscheidet sich die Mehrheit für die Änderung der Anleihebedingungen, sind die Akkordstörer nun an diese Entscheidung gebunden. Als Minderheit können sie den kooperationswilligen Anleihegläubigern nicht mehr entgegentreten (minor pars sequatur maioauch Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (222). v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 908. 47  § 1 Abs. 1 SchVG 1899 lautet: „Sind von jemand, der im Inland seinen Wohnsitz oder seine gewerbliche Niederlassung hat, im Inland Schuldverschreibungen mit im voraus bestimmten Nennwerten ausgestellt, die nach dem Verhältnis dieser Werte den Gläubigern gleiche Rechte gewähren, und betragen die Nennwerte der ausgegebenen Schuldverschreibungen zusammen mindestens dreihunderttausend Deutsche Mark und die Zahl der ausgegebenen Stücke mindestens dreihundert, so haben die Beschlüsse, welche von einer Versammlung der Gläubiger aus diesen Schuldverschreibungen zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen gefaßt werden, nach Maßgabe dieses Gesetzes verbindliche Kraft für alle Gläubiger der bezeichneten Art.“ 45  Siehe

46  Regierungsbegründung



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 35

rem48). Sie müssen sich an der Restrukturierung der Anleihe in gleicher Weise beteiligen und entsprechende Kosten wie die Mehrheit tragen.

E. Koordinationsmechanismus des Mehrheitsprinzips Die gesetzliche Festlegung des Mehrheitsprinzips hat nach der Idee des Gesetzgebers zum Ziel, den Störungsfaktor individueller Rechtsmacht der – wie bereits erwähnt, rechtlich unverbundenen – Anleihegläubiger zu überwinden. Bevor die Gesetzesregelung über die Mehrheitsentscheidung im Einzelnen untersucht wird, soll zunächst die Regelungsfunktion des Mehrheitsprinzips näher dargestellt werden. Es wird im Weiteren gezeigt, in welchen Fällen das Handeln der Anleihegläubiger überhaupt notwendig ist, was also eine Anleiherestrukturierung darstellt, und worin genau die Ursachen des opponierenden Verhaltens der Akkordstörer bestehen, die die Notwendigkeit der Bindung der dissentierenden Minderheit an den Mehrheitswillen erklären. I. Auslöser für eine nachträgliche Anpassung der Anleihebedingungen 1. Vertragscharakter der Anleihebedingungen und der Begriff der Anleiherestrukturierung Der Inhalt des Rechtverhältnisses zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern wird durch die allgemeinen, die Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen regelnden Vorschriften der §§ 793 ff. BGB und durch die Anleihebedingungen bestimmt.49 Da der Gesetzgeber in den §§ 793 ff. BGB keine konkreten Aussagen zum Inhalt des Leistungsversprechens des Emittenten trifft, übernehmen die Anleihebedingungen die Rolle der „Zentralvorschrift“. Die Anleihebedingungen, bei deren Bestimmung der Emittent weitgehend frei ist50, konkretisieren also das abstrakte Schuldversprechen i. S. d. § 793 Abs. 1 S. 1 BGB und die kor48  Baltzer,

Der Beschluss, S. 192. in: FraKommSchVG, § 2 Rn. 14; ders., Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, S. 195; Than, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 4 f.; Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., Rn. 9.195, 9.197; 4. Aufl., Rn. 15.331 ff.; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 18; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 173; Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 (398). 50  Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 19 f. 49  Hartwig-Jacob,

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

respondierenden Rechte der Anleihegläubiger und individualisieren so die jeweilige Anleihe als Finanzprodukt auf dem Kapitalmarkt.51 Was die rechtliche Natur der Anleihebedingungen betrifft, besitzen sie Vertragscharakter.52 Nach dem allgemeinen Grundsatz des § 311 Abs. 1 BGB 51  Vgl. Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 174; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, S. 195. 52  Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 767 ff.; Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 44; Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 2 Rn. 47; Hopt, in: FS Steindorff, S. 341 (378); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 175; Joussen, WM 1995, 1861 (1865). Anleihebedingungen werden nach h. M. zum Inhalt des Begebungsvertrags (zu diesem Vertrag gleich unten) als schuldrechtlichen Vertrags kraft Verweises auf die Urkunde. Nach a. A. (siehe insbesondere Assmann, WM 2005, 1053 (1056 f.)) sind Anleihebedingungen nur ein Teil des Skripturakts, also eines einseitigen Rechtsgeschäfts; in dieser Richtung auch Zöllner, Wertpapierrecht, S.  39 f.; Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 (401); vermittelnde Ansicht bei v. Randow, ZBB 1994, 23 (25 f.). Die Frage nach der Rechtsnatur der Anleihebedingungen überschneidet sich mit der Frage, wie die Rechte aus Schuldverschreibungen begründet werden (dazu Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 37 Rn. 61 ff.; einen guten Überblick zu allen Theorien bietet Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre, S. 34 ff.). Nach h. M. führt der Abschluss eines Begebungsvertrags zwischen dem Emittenten und dem Ersterwerber zusammen mit der Errichtung der Schuldverschreibungs­ urkunde zur Entstehung des verbrieften Forderungsrechts des Anleihegläubigers. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass rechtsgeschäftliche Verpflichtungen durch Verträge begründet werden (§ 311 Abs. 1 BGB), soweit gesetzlich nicht anders normiert ist (dies gilt nur für die Auslobung i. S. d. § 657 BGB). Der Skripturakt allein reicht somit nicht aus. Der Begebungsvertrag weist dabei einen Doppelcharakter auf. Er ist ein schuldrechtlicher Vertrag, in dem sich der Emittent verpflichtet, dem Ersterwerber das verbriefte Recht zu verschaffen, und gleichzeitig ein Verfügungsvertrag, d. h. dem Ersterwerber wird das Eigentum an der Schuldverschreibungsurkunde sachenrechtlich übertragen (siehe dazu Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 2 Rn.  44 ff.; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre, S. 335 f.). Der Eigentumsübergang geschieht grundsätzlich durch Einigung und Übergabe des Papiers (insoweit gilt der Grundsatz „Das Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier“, §§ 929 ff. BGB; da Schuldverschreibungen meistens durch eine Globalurkunde verbrieft werden und die Ausgabe von effektiven Stücken in den Anleihebedingungen ausgeschlossen wird, wird lediglich über das Miteigentum an der Globalurkunde verfügt; die Übertragung erfolgt durch entsprechende Depotbuchungsvorgänge bei einer Wertpapiersammelbank, siehe z. B. AGB von Clearstream Banking AG, Frankfurt (CBF) Ziff. XXI (1): „Bruchteile am Sammelbestand von Wertpapieren derselben Art, die CBF für einen Kunden verwahrt, werden an einen anderen Kunden durch Einigung und Übergang des Mitbesitzes, den CBF jeweils dem Kunden vermittelt, übertragen … Der Mitbesitz geht durch Begründung eines Besitzmittlungsverhältnisses zwischen CBF und dem erwerbenden Kunden und Umstellung des Besitzmittlungswillens der CBF bezüglich der zu übertragenden Bruchteile über. Der Besitzübergang ist abgeschlossen, sobald CBF auf Anweisung des veräußernden Kunden dessen Depot belastet sowie die Bruchteile dem Depot des erwerbenden Kunden



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 37

kann ein Schuldverhältnis seinem Inhalt nach nachträglich geändert werden. Aufgrund des Vertragscharakters können Anleihebedingungen somit inhaltlich auch modifiziert werden. Eine solche inhaltliche Modifizierung der Bedingungen, zu denen eine Anleihe ursprünglich begeben wird, bezeichnet man als Anleiherestrukturierung.53 2. Anleihevertragswerk als unvollständiger Vertrag In der Praxis können unterschiedliche Gründe eine nachträgliche Änderung von Anleihebedingungen notwendig machen. Generell entsteht aber die Notwendigkeit einer Anpassung wegen der zukunftsbezogenen Natur der Anleihebedingungen.54 Die neue Institutionenökonomik bezeichnet solche zukunftsbezogene Vertragswerke als unvollständige Verträge (incomplete agreements)55, also als Verträge, die das Austauschverhältnis von zwei Parteien ex ante nur lückenhaft regeln. Solche Regelungslücken entstehen aus dem Grund, dass die Parteien meistens zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht in der Lage sind, alle möglichen zukünftigen Eventualitäten vorherzusehen. Selbst dann, wenn dies möglich wäre, ist ihre Fähigkeit, relevante Konsequenzen zukünftiger Umweltentwicklungen für ihr Leistungsverhältnis zu erfassen, begrenzt (bounded rationality).56 Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es auch ökonomisch, aus Kostengründen, nicht sinnvoll scheint, alle Modalitäten und Bedingungen anfänglich auszuhandeln.57 gutgeschrieben hat“; siehe dazu Scherer/Martin, in: DepotG, § 9a Rn. 5; Bliesener, in: FS Hopt, S. 355 (363 f.); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 18 f.; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 767 ff.; BGH, Beschl. v. 16.07.2014 – IXa ZB 24/04, BGHZ 160, 121 (124). 53  Penner, Restrukturierungsklauseln, S. 98. 54  Reps, Rechtswettbewerb, S. 188; vgl. auch Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S.  36 ff.; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 142. 55  Williamson, 22 J.L. & Econ. 233, 237 f. (1979); Hart/Moore, 56 Econometrica 755, (1988); Maskin/Tirole, 66 Review of Economic Studies 83 (1999); Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 21, 278 f.; v. Werder, Führungsorganisation, S.  7 f.; Spicher, Kapitalmarkt, unvollständige Verträge und Finanzintermediäre, S. 85; Schmidtchen, RabelsZ 1995, 56 (63); allgemein zur ökonomischen Analyse des Vertragsrechts und zum Konstrukt des vollständigen Vertrags siehe Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 431 ff. 56  Vgl. Simon, Administrative Behavior, 4. Aufl., S. 24 („[human behavior] is intendedly rational, but only limitedly so“); zur Implementierung im Rahmen der Transaktionskostentheorie siehe Williamson, 22 J.L. & Econ. 233, 241 (1979). 57  Zu den Ursachen des incomplete contracting siehe Williamson, 22 J.L. & Econ. 233, 237 (1979) („long-term contracts executed under conditions of uncertainty are ones for which complete presentation is apt to be prohibitively costly if not impossi-

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Dort, wo es für die Parteien ex ante nicht möglich ist, eine vollständige Regelung zu treffen, wird die Notwendigkeit einer Nachverhandlung vorprogrammiert. Ebendieses Problem charakterisiert das Rechtsverhältnis zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern, denn Anleihen haben meistens lange, über mehrere Jahre bzw. Jahrzehnte hinausgehende Laufzeiten (bei perpetual bonds gar ohne Laufzeitbegrenzung).58 Bei solchen lang laufenden Verhältnissen scheint es unmöglich, in den Anleihebedingungen alle Entwicklungen zu prognostizieren. „Sobald die unbekannte Zukunft zur Gegenwart wird“59, muss ex post eine Revision bzw. Vervollständigung der Regelungen des Anleihevertragswerks ermöglicht werden. 3. Typische Restrukturierungsszenarien Die Gründe, die ad hoc eine Anpassung der Anleihebedingungen notwendig machen, ex ante aber nicht genau prognostiziert werden können, lassen sich in mehrere Gruppen klassifizieren. Der Hauptanwendungsfall einer Anleiherestrukturierung ist und bleibt die Abwendung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten, das sowohl wegen der Veränderung von objektiven gesamtwirtschaftlichen Umständen als auch wegen eines Fehlverhaltens des Emittenten am Markt drohen kann.60 Wenn der Fortführungswert den Liquidationswert des Unterble. Problems of several kinds arise. First, not all future contingencies for which adaptions are required can be anticipated at the outset. Second, the appropriate adaptations will not be evident for many contingencies until the circumstances materialize. Third, except as changes in states of the world are unambiguous, hard contracting between autonomous parties may well give rise to veridical disputes when statecontingent claims are made.“); vgl. auch Hart/Moore, 56 Econometrica 755 (1988) („The difficult task facing the drafters of a contract is to anticipate and deal appropriately with the many contingencies which may arise during the course of their trading relationship. Since it may be prohibitively costly to specify, in a way that can be enforced, the precise actions that each party should take in every conceivable eventuality, the parties are in practice likely to end up writing a highly incomplete contract. Problems of incomplete contracting have for some time been recognized as having important implications for the efficiency of long-term economic relationship.“); Schmidtchen, RabelsZ 1995, 56 (63); Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 21; Spicher, Kapitalmarkt, unvollständige Verträge und Finanzintermediäre, S.  85 ff. 58  Zur langen Laufzeit und Anpassungsnotwendigkeit siehe auch die Regierungsbegründung zum SchVG 2009 v. 29.04.2009, BT-Drs. 16/12814 (im Folgenden „Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814“), S. 14; ähnlich Kahan/Tuckman, 66 The Journal of Business 499 (1993); vgl. auch Baums, ILF Working Paper Series No. 52, 2006, S. 23. 59  Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 279. 60  Vgl. Hopt, in: FS Steindorff, S. 341 (346 f.); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 44; ders., in: Ekkenga/Schröder, Hdb. AG-Finanzierung, Kap. 12



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nehmens überschreitet oder ihm entspricht und Anleihen den größten Teil des Fremdkapitals ausmachen, sollte der Emittent einen Sanierungsplan erarbeiten und sich rechtzeitig um eine Verhandlung mit den Anleihegläubigern über die Änderung der Anleihebedingungen bemühen.61 Das Ziel des Emittenten ist in erster Linie die Verhinderung der vorzeitigen Fälligstellung der gesamten Anleihe durch die Ausübung des Kündigungsrechts durch Anleihegläubiger bzw. die Rückgängigmachung der Fälligkeit, weil dies nur zu einer weiteren bilanziellen Belastung des Emittenten führt.62 Lassen sich die Anleihegläubiger auf die vorgeschlagene Restrukturierung ein und kündigen sie die Anleihe nicht, verzichten sie gleichzeitig teilweise auf ihre Forderungen und erbringen damit einen Sanierungsbeitrag.63 Dieser Sanierungsbeitrag kann auch in anderen Formen geleistet werden, insbesondere durch Verringerung oder Stundung der Hauptforderung und Zinsbeträge, durch Umtausch der Anleiheforderungen in Geschäftsanteile sowie Freigabe von Sicherheiten. Beim Erfolg der Sanierung wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Emittenten wiederhergestellt, was den Anleihegläubigern hilft, ihre Kapitaleinlage zurück zu erhalten. Eine Anleiherestrukturierung setzt nicht zwingend eine unmittelbare Finanzkrise des Emittenten voraus. Die Notwendigkeit einer Abänderung der Anleihebedingungen kann viel früher entstehen. So werden z. B. unterschiedliche Finanzierungsverträge eines Unternehmens meistens über die sog. cross-default-clauses miteinander verbunden, u. a. auch Anleihen. Mit Hilfe dieser Klauseln können Anleihegläubiger ihre Schuldverschreibungen kündigen, falls der Emittent financial covenants eines anderen Finanzierungs­ vertrages, z. B. eines Kreditvertrages mit einer Bank, verletzt. Durch die Kettenreaktion der Fälligstellung mehrerer Verbindlichkeiten kann das ganze Unternehmen lahmgelegt werden. Um dem Dominoeffekt der cross-defaultKlauseln entgegenzuwirken, werden schnell Nachverhandlungen mit den Gläubigern durchgeführt und Verbindlichkeiten restrukturiert, obwohl noch keine unmittelbare Existenzkrise des Unternehmens droht. Eine Anleihe­ restrukturierung kann mithin bereits im Vorfeld der Insolvenz erfolgen.64 Eine Anpassung von Anleihebedingungen kann auch bei einer nachträg­ lichen Änderung von steuerrechtlichen Gegebenheiten (etwa bei der ÄndeRn. 6; Steffek, in: FS Hopt, S. 2597 (2599 f.); Friedl, in: FraKommSchVG, § 19 Rn. 59. 61  Vgl. Winkeljohann/Wohlschlegel/Dorenkamp, WPg 2005, 562 (563, 565 ff.). 62  Steffek, in: FS Hopt, S. 2597 (2600); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 154 f.; vgl. auch Lorenz/Pospiech, DB 2009, 2419. 63  Vgl. Steffek, in: FS Hopt, S. 2597 (2600); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 155. 64  Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 143.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

rung des Steuersatzes oder einer Verschärfung der Steuerpraxis) erforderlich sein, wenn sie zu einer negativen Wirkung auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Anleihe führt.65 Hilfreich ist die Restrukturierung außerdem bei einer Durchführung von Umstrukturierungsmaßnahmen, um z. B. eine andere Finanzierungsgesellschaft als Schuldner einzusetzen (Austausch des Schuld­ners).66 Wenn sich während der Laufzeit der Anleihe die tatsächlichen oder rechtlichen Gegebenheiten ändern, erfolgt in allen diesen Szenarien eine Anleiherestrukturierung im Interesse sowohl des Emittenten als auch der Anleihegläubiger.67 Der primäre Zweck einer Anpassung von Anleihebedingungen – wovon der Emittent ebenfalls, allerdings rein reflexartig, profitiert – besteht dabei darin, die (Rück-)Zahlung der Kapitaleinlage der Gläubiger zu sichern. II. Motive für das opponierende Verhalten der Akkordstörer „Das wirkliche Handeln weicht erheblich von dem Idealbild objektiver Rationalität ab.“68

Ist die Notwendigkeit einer Anleiherestrukturierung wegen der Veränderung der wirtschaftlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen in der expost-Phase entstanden, kann die Änderung der Anleihebedingungen durch das Verhalten der Akkordstörer blockiert werden. Wie bereits erwähnt, ist das Akkordstörer-Problem im Anleiherecht vorprogrammiert. Was zwingt aber einzelne Anleihegläubiger, als Akkordstörer zu handeln, wenn sogar eine ganz überwiegende Mehrheit sich bereit erklärt, einem Änderungsvorschlag des Emittenten zuzustimmen und eigene (!) finanzielle Opfer zur „Rettung“ der Anleihe zu bringen? Was sind die Motive für das opponierende Verhalten der Akkordstörer? Warum besteht also eine Diskrepanz zwischen dem individuellen und dem kollektiven Handeln, die den Gesetzgeber zwingt, einen speziellen Koordinationsmechanismus zu schaffen? Der Erklärung der genauen Ursachen solcher destruktiven Strategien im Anleiherecht widmet sich die weitere Untersuchung.

65  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 14; Steffek, in: FS Hopt, S. 2597 (2600); Hopt, in: FS Steindorff, S. 341 (346 f.); Reps, Rechtswettbewerb, S. 190; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 142. 66  Steffek, in: FS Hopt, S. 2597 (2600); Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 14; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 44; vgl. auch Reps, Rechtswettbewerb, S.  190 f.; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 142. 67  Baums, ZBB 2009,1 (5); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 142. 68  Herbert Simon, „Das Verwaltungshandeln“, US-amerikanischer Sozialwissenschaftler (*1916–2001).



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 41

1. Einstimmigkeitsprinzip Als Ausgangspunkt muss geklärt werden, dass jedem einzelnen Anleihegläubiger individuelle Rechtsmacht zusteht. Aufgrund des Vertragscharakters des Anleihevertragswerks und der Geltung des § 311 Abs. 1 BGB bedarf eine nachträgliche Änderung der Anleihebedingungen einer Einigung zwischen dem Emittenten und den Gläubigern (Änderungsvertrag). Das Leistungsversprechen des Emittenten und die korrespondierenden Rechte der Anleihegläubiger können nicht durch einseitige Erklärung geändert werden.69 Nur wenn dem Änderungsvorschlag des Emittenten jeder einzelne Anleihegläubiger zustimmt, können die Anleihebedingungen zum Zwecke einer Anleiherestrukturierung modifiziert werden (Einstimmigkeitsprinzip). Verweigert dagegen nur ein einziger Anleihegläubiger seine Zustimmung, sind die Anleihebedingungen nicht geändert.70 Individuelle Rechtsmacht der Anleihegläubiger hilft einerseits, die Geltung der einheitlichen Anleihebedingungen und damit die Fungibilität der Schuldverschreibungen zu sichern. Andererseits, obwohl die Anleihegläubiger im Verhältnis zueinander in keinem rechtlichen Verhältnis stehen und nur wirtschaftlich verbunden sind, erlangt ein einzelner Gläubiger die Möglichkeit, den Restrukturierungsvorgang – unabhängig von seinem Anteil am Gesamtbetrag der Anleihe – zu hindern.71 Das Risiko, dass der Änderungsvertrag an der fehlenden Zustimmung eines Gläubigers scheitert, ist umso höher, je größer die Gruppe der Gläubiger ist.72 Da Schuldverschreibungen einer Anleihe meistens von einer Vielzahl von Anleihegläubigern im Streubesitz gehalten werden und der Emittent als Schuldner einer großen Zahl von Gläubigern gegenübersteht73, reduziert sich die Wahrscheinlichkeit einer einstimmigen Änderung der Anleihebedingungen faktisch auf Null. Das Einstimmigkeitserfordernis macht eine Anleihe­ restrukturierung in der Praxis unmöglich.74 69  Siehe auch Lorenz/Pospiech, DB 2009, 2419; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 175. 70  Vgl. Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 44; Baums, Recht der Unternehmens­ finanzierung, § 48 Rn. 6 f.; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 606 f.; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 175; Penner, Restrukturierungsklauseln, S.  99 f.; Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (529). 71  So auch Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 6 f. 72  Ähnlich Brudney, 105 Harvard L. Rev. 1821, 1857 (1992) („the power of the debtor [to hold out] … is greater in the case of dispersed lenders than in the case of a sole lender“); Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 756 (1997); Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 2 f.; Baltzer, Der Beschluss, S. 215. 73  Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (478); Lürken, CFl 2011, 352 (353); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 143 f.; Meier/Schauenburg, CFl 2012, 161 (162). 74  So auch Hopt, in: FS Steindorff, S. 341 (345); Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 13; vgl. auch Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (529); Klerx/Penzlin, BB 2004, 791 (793); Choi/Gulati, 22 IFLR 15 (September 2003).

42

Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Die negative Wirkung individueller Rechtsmacht der Akkordstörer oder das Problem der Unverbundenheit der Anleihegläubiger bezeichneten die Verfasser des SchVG 1899, wie bereits erwähnt, als Hauptproblem des ­Anleiherechts. Sie beabsichtigten, dieses Problem durch den Koordinations­ mechanismus der Mehrheitsentscheidung zu beseitigen.75 Warum müssen aber die Anleihegläubiger überhaupt koordiniert und einzelne Akkordstörer an den Willen der Mehrheit gebunden sein, wenn jeder von der Anpassung der Anleihebedingungen profitieren kann? Es wurde bereits erklärt, dass eine Anleiherestrukturierung nicht ausschließlich dem Interesse des Emittenten dient. Sie hat positive Effekte auch für die Anleihegläubiger. Am deutlichsten sieht man dies am Beispiel einer Anpassung der Bedingungen in Sanierungsfällen. Gerade in diesem Szenario handelten die Gläubiger im vom BGH im Jahr 1991 entschiedenen Akkordstörer-Fall.76 Um eine Insolvenz des Schuldners zu vermeiden, entschloss sich die Mehrheit der Gläubiger, auf einen Teil ­ihrer Forderungen zu verzichten. Wenn aber die Befriedigungschancen der Gläubiger im Wege einer freien Sanierung erhöht werden können, warum verweigern dann die Akkordstörer ihre Mitwirkung? 2. Free-rider-Problem Die Antwort auf diese Frage liegt in dem Wunsch der Akkordstörer, sich an einer Anleiherestrukturierung auf Kosten der übrigen Gläubiger zu beteiligen, d. h. ohne einen eigenen Beitrag zu erbringen. Die Strategie und die Logik eines Akkordstörers lassen sich an einem abstrakten und sehr vereinfachten Beispiel erklären. Gehen wir zunächst davon aus, dass der Emittent X eine Anleihe im Volumen von 2 Mio. Euro begeben hat und es nur zwei Anleihegläubiger A und B gibt, die Schuldverschreibungen jeweils im Nennwert von 1 Mio. Euro erworben haben. Zum Zeitpunkt der Emission war der Emittent X finanziell ausgestattet und hatte eine sehr gute Bonität. Trotzdem, unerwartet für alle, gerät er in eine Krise, die dazu führt, dass der cashflow des Emittenten von 2 auf 1 Mio. Euro sinkt und die Anleihe erheblich an Marktwert verliert. Sie wird mit einem Abschlag von 50 % gehandelt. Die Anleihegläubiger halten nun Schuldverschreibungen jeweils im Wert von nur 0,5 Mio. Euro. Der Emittent X, da er nicht mehr in der Lage ist, die Anleihegläubiger vollständig auszubezahlen, bietet A und B eine Anleiherestrukturierung durch Umtausch ihrer Forderungen aus Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile (debt-equity-swap). A und B, wenn beide zustimmen, können entsprechend ihrem Anteil am Gesamtvolumen der Anleihe jeweils 50 % der Gesellschaftsanteile des Emittenten erlangen. Da auch Baums, ZBB 2009, 1 (3); Seibt, ZIP 2016, 1997 (1001). v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, ZIP 1992, 191 ff.

75  Siehe 76  Urt.



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 43

der Marktwert des Unternehmens nach der Finanzkrise 1 Mio. Euro beträgt, entspricht dies 0,5 Mio. Euro, also dem aktuellen Wert der Schuldverschreibungen von A oder B. Nun entscheidet sich A in der Hoffnung, B würde dies auch tun, das Angebot des Emittenten X anzunehmen und seine Schuldverschreibungen zum Zwecke der Restrukturierung der Anleihe umzutauschen. Er hofft, dass die Sanierung des Emittenten X durch die Sanierungsbeiträge von A und B gelingt und er dadurch seine Befriedigungschancen in der Zukunft erhöhen kann. B verweigert aber den Umtausch und übernimmt die Rolle eines Akkordstörers. Unter diesen Umständen befindet sich B in der besten Position, denn der gesamte Wert des Unternehmens X verschiebt sich zu ihm. B kann seine Ansprüche aus den Schuldverschreibungen vollständig, d. h. in Höhe von 1 Mio. Euro, geltend machen; er wird als Gläubiger vor A, dem Eigentümer des Unternehmens, ausbezahlt. A bleibt dagegen mit dem Unternehmen ohne jeglichen Wert, also mit nichts.77 Mit Hilfe dieses Beispiels sieht man, dass es für B individuell rational ist, der Anpassung der Bedingungen zum Zwecke der Anleiherestrukturierung nicht zuzustimmen und A die Möglichkeit zu geben, den für die Sanierung erforderlichen Beitrag zu erbringen. A, der sanierungswillige Gläubiger, wird von B, dem dissentierenden Gläubiger, faktisch ausgebeutet.78 Die auf zwei Teilnehmer modellierte Situation lässt sich auf die Fälle übertragen, wenn der Emittent, was eher der Praxis entspricht, einer großen Zahl der Anleihegläubiger gegenübersteht. B bleibt in der Rolle des kooperationsunwilligen Akkordstörers (Minderheit), A wird dabei durch die Vielzahl von Anleihegläubigern (Mehrheit) ersetzt. Wenn eine Anleiherestrukturierung die Befriedigungschancen im Vergleich zur Insolvenzquote erhöhen kann und gruppenbezogen gesehen für alle Anleihegläubiger einen Mehrwert schafft, d. h. allen zugute kommt79, bleibt es aus Sicht eines einzelnen Akkordstörer-Gläubigers taktisch günstiger, wenn die anderen Gläubiger der Änderung der Anleihebedingungen zustimmen und auf ihre Ansprüche teilweise verzichten, er selbst jedoch die Mitwirkung verweigert. Mangels seiner Mitwirkung bleiben die Anleihebedingungen nicht geändert und die Ver77  Das Beispiel ist entnommen aus dem Aufsatz von Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1243 ff. (2016). 78  Vgl. Roe, 97 Yale L.J. 232, 238 (1987) („value will flow from the consenting creditor to the holdout creditor“); Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1245 (2016) („Hence, this hypothetical restructuring amounts to a transfer of wealth from one bondholder to another, and does nothing to shore up the troubled issuer“). 79  Vgl. Schmolke, ZGR 2007, 701 (707); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S.  43 ff.; Klerx/Penzlin, BB 2004, 791 (793).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

gleichsvereinbarung bindet nur diejenigen, die sich ihr angeschlossen haben. Die sanierungswilligen Anleihegläubiger, gebunden nun an die Vereinbarung mit dem Emittenten, erbringen durch den teilweisen Forderungsverzicht einen Sanierungsbeitrag. Gelingt die Sanierung, ist der Emittent wieder in der Lage, die Ansprüche der Gläubiger zu erfüllen, u. a. die Ansprüche der Anleihegläubiger, die der Anpassung der Bedingungen nicht zugestimmt haben. Gerade ihre Forderungen bleiben von der freien Sanierung unberührt und bestehen aufgrund der Geltung der ursprünglichen Anleihebedingungen in voller Höhe. So können die Akkordstörer ihre Kapitaleinlage nebst Zinsen auf Kosten anderer Gläubiger vollständig zurückerlangen.80 Die Akkordstörer teilen den Erfolg der Sanierungsbemühungen aller, tragen dabei aber selbst keine Kosten. Sie „fahren auf dem Trittbrett mit“81 und werden dementsprechend als Trittbrettfahrer bezeichnet (free rider).82 Das Problem der Anleiherestrukturierung würde aber kein so großes Interesse seitens des Gesetzgebers und der Wissenschaft hervorrufen, wenn der einzige Grund der „Besorgnis“ das unfaire Verhalten einzelner Trittbrettfahrer wäre. Das Problem bereitet vielmehr die Folgewirkung dieses opponierenden Verhaltens: Die übrigen Anleihegläubiger, die die positiven Effekte eines kooperativen Handelns erkennen, können die mangelnde Solidarität einzelner Akkordstörer bei der Notwendigkeit einer Anpassung der Anleihebedingungen in der ex-post-Phase voraussehen und dieselbe Strategie übernehmen.83 Sie werden selbst zu den Akkordstörern, denn niemand möchte, dass seine Bemühungen den anderen zugute kommen, obwohl nur er zum 80  Roe, 97 Yale L.J. 232, 236 (1987) („bondholders that do not exchange will be enriched at the expense of those that do“); vgl. auch Meier/Schauenburg, CFl 2012, 161 (162); Horn, in: FS Nobbe, 601 (617); Heldt, in: FS Teubner, S. 315 (316 f.). 81  Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 51. 82  Dazu ausführlich Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S.  50  ff.; Baums, ILF Workung Paper Series No. 52, S. 18; vgl. auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 210; zu diesem Problem im US-amerikanischen Recht (meistens unter Bezeichnung als hold-out-Problem) Roe, 97 Yale L.J. 232, 236 (1987); Coffee/ Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1222 ff. (1991); Bab, 91 Columbia L. Rev 846, 849 (1991); Brudney, 105 Harvard L. Rev. 1821, 1856 ff. (1992); Peterson, 103 Yale L.J. 505, 513 f. (1993); Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 751 ff. (1997); ­Kahan, 77 N.Y.U. L. Rev.1040, 1055 f. (2002); Antonoff, The Metropolitan Corporate Counsel, 17 (October 2013); Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1243 ff. (2016); Bratton/Levitin, ILE, Research Paper No. 17-9, 1, 11 f. (2017); Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 2 f. 83  Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1223 (1991) („Moreover, not only do the defecting bondholderʼs gains potentially come at the expense of the other bondholders, but one bondholderʼs opportunistic behavior may dissuade the other bondholders from engaging in collective action because they fear they will be exploited by those that hold out“); Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 849 (1991); zu dieser Folge auch Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1246 (2016); Hofmann/Keller, ZHR 175



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 45

Erreichen des kollektiven Erfolgs beigetragen hat. Niemand möchte also, dass die anderen von dem von ihm geschaffenen Mehrwert kostenlos profitieren. Diese Logik hindert im Endergebnis die ganze Anleiherestrukturierung. Dem Emittenten bleibt nur, Insolvenz anzumelden und die Anleihegläubiger auf eine Insolvenzquote zu verweisen, obwohl die Befriedigungschancen bei einer Anleiherestrukturierung höher sein können. Wenn das Verhalten gruppenbezogen rational ist (kollektive Rationalität), heißt dies noch nicht, dass Einzelne ihr individuelles Verhalten daran ausrichten werden.84 Die individuelle Rationalität kann der kollektiven Rationalität entgegenstehen. 3. Side-payments-Problem85 Akkordstörer sind nicht auf die Trittbrettfahrer-Strategie beschränkt. Sie können als Alternative eine andere Taktik wählen. Statt bloß passiv zu bleiben und zuzuschauen, wie sich die anderen bemühen, den Emittenten zu „retten“, können die Akkordstörer die Initiative ergreifen. Statt den status quo ante auf Kosten der sanierungswilligen Gläubiger zu schützen, vorausgesetzt die Restrukturierung gelingt, können sie versuchen, einen zusätz­ lichen Profit zu generieren. Die Gläubiger können unter Umständen die sog. blocking position86 übernehmen. Es besteht die Möglichkeit, sich für die Beteiligung an der Anpas(2011), 684, 695; Berdejó, Revisiting the Voting Prohibition in Bond Workouts, 89 Tul. L. Rev. 541, 551 (2015). 84  Grundlegend zur Diskrepanz zwischen individueller und kollektiver Rationalität in großen Gruppen siehe Mancur, Die Logik des kollektiven Handelns, S. 1 ff. 85  Dieses Problem wird in der englischsprachigen Literatur als „hold-out-problem“ bezeichnet (siehe z. B. Antonoff, The Metropolitan Corporate Counsel, 17 (October 2013); Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 753 ff. (1997); Bratton/Levitin, ILE, Research Paper No. 17/9, 1, 4 (2017)). Man spricht auch von „hold-out-creditors“, Roe, 97 Yale L.J. 232, 236 (1987); Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1223 (1991); Peterson, 103 Yale L.J. 505, 513 (1993); Kahan, 77 N.Y.U. L. Rev.1040, 1055 f. (2002); Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 166 f. (2015)). Den Begriff („hold out“) kann man eher als Oberbegriff für die Taktik eines Akkordstörers benutzten: Sowohl der Trittbrettfahrer als auch der „räuberische“ Gläubiger (side-payments-Konstellation) basieren ihr Verhalten auf der Idee der Verweigerung der Änderung der Anleihebedingungen. Beim free riding weigert sich der Trittbrettfahrer, die Kooperation zu unterstützen; im side-payments-Fall droht der Anleihe­ gläubiger mit der Verweigerung seiner Mitwirkung. 86  Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1223, Fn. 50 (1991); siehe auch Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 755 (1997) („the individual voter is aware

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

sung von Anleihebedingungen additional payments87 ausbezahlen zu lassen. Der Gläubiger kann vom Emittenten verlangen, „a special side deal“88 abzuschließen, bzw. er „force[s] the company to sweeten its offer“89.90 Sonst droht er, seine Mitwirkung zu verweigern. Nun fährt der Akkordstörer nicht auf dem Trittbrett, sondern zahlt den Fahrpreis und fährt mit allen kooperationswilligen zahlenden Fahrgästen zusammen. Er verlangt aber dafür einen Bonus (z. B. dass er während der Fahrt einen Sitzplatz oder kostenlos eine Fahrkarte für die Rückfahrt bekommt). Im Unterschied zu einem Trittbrettfahrer ist er an der Anpassung der Anleihebedingungen interessiert und ist bereit, einen Sanierungsbeitrag wie die anderen zu leisten; er fordert aber, dafür besonders belohnt zu sein. Die Solidarität des Akkordstörers muss also abgekauft werden. In dieser Konstellation kann sich der Emittent erpressbar machen.91 Er akzeptiert die blocking position des dissentierenden Gläubigers und lässt sich ausbeuten.92 that she has the power to influence the outcome of the vote“); ähnlich Antonoff, The Metropolitan Corporate Counsel, 17 (October 2013). 87  Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 755 (1997). 88  Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1223, Fn. 50 (1991). 89  Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 849 (1991). 90  Zur Rechtmäßigkeit solcher Abfindungen siehe die Anmerkung von Coffee/ Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1223, Fn. 50 (1991) („Because bondholders generally do not owe each other fiduciary duties, they are under no obligation not to demand such a premium.“). Zur Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht siehe Kapitel 2 §  5 B. III. 1. 91  Schmidtbleicher (Die Anleihegläubigermehrheit, S.  54  ff.) bezeichnet dieses Problem als „hold-up-Problem“ (Raubüberfall; so auch in Bezug auf ähnliche Situation im Insolvenzrecht Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 617 f., Fn. 3). In der neuen Institutionenökonomik bezeichnet man als „hold up“ allgemein die Situation, wenn ein Vertragspartner in der ex-post-Phase opportunistisch handelt und dem anderen keine Möglichkeit gibt, dieses Verhalten zu sank­ tionieren (vgl. Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, S. 163; als Problem erkannt ursprünglich von Williamson, Markets and Hierarchies, 1 ff.; Klein/Crawford/Alchian, 21 J.L. & Econ. 297 (1978). Zur Erklärung des Problems siehe Rogerson, 59 Rev. of Econ. Studies 777 (1992) („A hold-up problem occurs when two factors are present. First, parties to a future transaction must make non-contractible specific investments prior to the transaction in order to prepare for it. Second, the exact form of the optimal transaction … cannot be specified with certainty ex ante … [S]ubsequent bargaining will ‚rob‘ th[e investing party] of the value of their specific investments“ (a. a. O., S. 777); ähnlich Smith/King, 51 Arizona L. Rev. 1, 18 f. (2009) („holdup occurs when one contracting party threatens another with economic harm unless concessions are granted by the threatened party“); Graham/Peirce, 52 Law and Contemporary Problems 9, 10 (1989) (spricht von „economic duress“). Wichtig ist allerdings anzumerken, dass das hold-up-Problem als Folge des Abschlusses eines unvollständigen Vertrages entsteht (Smith/King, 51 Arizona L. Rev. 1, 18 (2009) („the most important



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 47

Dieses Szenario erinnert an das Problem von „räuberischen“ Aktionären im deutschen Aktienrecht. So versuchen einige Aktionäre, den Vollzug wichtiger Kapital- und Strukturmaßnahmen börsennotierter Gesellschaften zu blockieren, indem sie Anfechtungsklagen gegen entsprechende Beschlüsse der Hauptversammlung erheben. Sie nutzen die durch die Anfechtungsklage entstehende Registersperre93 für Beschlüsse aus, um die Gesellschaft zu einer hohen Abfindung oder Gewährung sonstiger Vorteile für die Rücknahme der Klage zu bewegen.94 Ihr primäres Ziel besteht nicht in der Kassation eines rechtswidrigen Beschlusses, sondern in der Ausnutzung des Schwebezustandes in Folge der Registersperre und insbesondere der Dauer des Beschlussmängelprozesses und des Freigabeverfahrens, um sich von der unter Zeitdruck stehenden Gesellschaft die Klage abkaufen zu lassen (Missbrauch des Anfechtungsrechts).95 implication of incomplete contracting is the potential for holdup“)). Zwar stellt ein Anleihevertragswerk einen unvollständigen Vertrag dar. Die „räuberische“ Position steht aber nicht allen, sondern nur den einzelnen Anleihegläubigern (oder sogar nur einem) zu und resultiert nur aus dem entscheidenden Gewicht seine Stimme im Vergleich zu den anderen. Auf dieses Problem ist jede Personenmehrheit bei einer Abstimmung angewiesen. Außerdem werden anfängliche spezifische Investitionen nicht seitens des Emittenten, sondern aller Anleihegläubiger getätigt (Kauf der Anleihe), die untereinander in keinem Vertragsverhältnis stehen. Aus diesem Grund scheint der Begriff „hold up“ im Anleiherecht unpassend zu sein. 92  Ausführlich zu diesem Problem Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 54 ff.; zum US-amerikanischen Recht siehe Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1223 (1991); Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 753 ff. (1997); Antonoff, The Metropolitan Corporate Counsel, 17 (October 2013); Bratton/Levitin, ILE, Research Paper No. 17/9, 1, 12 (2017). 93  Bei vielen eintragungsbedürftigen Beschlüssen kann es zu einer Registersperre kommen, entweder aus rechtlichen Gründen, weil das Gesetz eine Sperre anordnet (rechtliche Registersperre, z. B. § 319 Abs. 5 S. 2 AktG), oder aus faktischen Gründen (faktische Registersperre, z. B. bei Beschlüssen über Kapitalmaßnahmen; weil das Spruchrichterprivileg nach § 839 Abs. 2 S. 1 BGB für den Registerrichter nicht gilt, setzt er das Eintragungsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung aus, wenn die Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage völlig offen sind, §§ 381 S. 1, 21 Abs. 1 S. 1 FamFG); siehe dazu Baums/Keinath/Gajek, ILF Working Paper Series N. 65 (2007), S. 6; Baums, Gutachten F für den 63. Deutschen Juristentag, S. F 154 ff.; Schulenburg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht, S. 333; Sauer­bruch, Freigabeverfahren, S. 3 ff.; Schockenhof, ZIP 2008, 1945. 94  Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, Bd. 2, § 245 Rn. 39; Baums, Gutachten F für den 63. Deutschen Juristentag, S. F 156; ders./Keinath/Gajek, ILF Working Paper Series N. 65 (2007), S. 5 (sprechen in Bezug auf „räuberische“ Aktio­ näre ebenfalls von einer „hold up“-Situation). 95  Siehe dazu Baums, in: Timm, Missbräuchliches Aktionärsverhalten, 1990, S. 85; ders., Gutachten F für den 63. Deutschen Juristentag, S. F 144 ff.; ders./Drinhausen, ZIP 2008, 145 (147); Sauerbruch, Das Freigabeverfahren, S. 2 f.; Schmidt, 9 EBOR 637, 651 (2008); Wardenbach, ZGR 1992, 563 f.; Helm/Manthey, NZG 2010, 415; Schockenhof, ZIP 2008, 1945; zu empirischen Studien Baums/Vogel/Tacheva,

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Genauso opportunistisch können sich einzelne Anleihegläubiger bei einer Anleiherestrukturierung verhalten. Falls sie sich zu dieser destruktiven Strategie entschließen und bei der Nachverhandlung über den Preis für ihre Solidarität und Kooperationsbereitschaft zu großen Appetit demonstrieren, besteht die Gefahr, dass die positiven Effekte einer Anpassung der Bedingungen komplett aufgezehrt werden. „[They] may ‚push too far‘ and cause the trans­ action to fail, even though the transaction would have been beneficial for [them] too.“96 Wieder, wie im Fall des free riding, handeln Akkordstörer kollektiv irrational, wenn sie danach streben, ihre persönliche Wohlfahrt zu maximieren.97 4. Diskrepanz zwischen individueller und kollektiver Rationalität Sowohl in der free-rider- als auch in der side-payments-Konstellation besteht eine Diskrepanz zwischen individueller und kollektiver Rationalität. Der Akkordstörer, wenn er versucht, seinen eigenen individuellen Profit zu generieren, wählt nicht die Strategie des kollektiven Handelns. Mit seinem Blockadepotenzial gefährdet er aber eine Anleiherestrukturierung und schadet im Endergebnis sich selbst. Die Anleihegläubiger befinden sich in der Situation, die in der Spieltheorie als Gefangenendilemma (prisonerʼs dilemma) bezeichnet wird.98 a) Gefangenendilemma Das prisonerʼs dilemma99 dient als Grundmodell für die Situationen, in denen es für die Beteiligten gemeinsam günstiger ist, wenn jeder Einzelne Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Institut für Bankrecht, Arbeitspapier No. 86; Baums/Keinath/Gajek, ILF Working Paper Series No. 65 (2007); Baums/Drinhausen/ Keinath, ILF Working Paper Series No. 130 (2011); zu derselben Gefahr im Anleiherecht wegen der Vollzugsperre siehe Vogel, ZBB 2010, 211 (219 ff.); Baums, ZBB 2009, 1 (6 f.); Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (483); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 82; zu einem Reformvorschlag Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (846 ff.). 96  Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 756 (1997). 97  Zu den Unterschieden zwischen free-rider-Problem und side-payments-Problem (das letztere allerdings als hold-out-Problem bezeichnet) Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 756 ff. (1997). 98  Roe, 97 Yale L.J. 232, 237 (1987); Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1225 (1991); Peterson, 103 Yale L.J. 505, 513 f. (1993); Eidenmüller, JZ 2001, 1041 (1050); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 47 ff. 99  Das Modell eines sozialen Dilemmas bekam den Namen „Gefangenendilemma“ durch den amerikanischen Mathematiker Albert W. Tucker, der die Grundkonzeption 1950 von Merill M. Flood und Melvin Dresher übernommen hat.



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 49

von der Möglichkeit ausgeschlossen ist, eine nur seinem Interesse entsprechende Handlungsalternative zu wählen.100 Dieses Modell beruht auf der Idee der Beteiligung von zwei Untersuchungshäftlingen A und B, die vom Staatsanwalt beschuldigt sind, ein Verbrechen begangen zu haben. Sie werden getrennt verhört und können nicht miteinander kommunizieren. Der Staatsanwalt ist davon überzeugt, dass A und B sich schuldig gemacht haben, er hat aber keine ausreichenden Beweise dafür. Er stellt beide vor die Wahl, die Begehung der Tat zu gestehen oder zu schweigen. Es bestehen für A und B drei Alternativen. Erste Alternative: Falls beide schweigen, kann das Verbrechen nicht bewiesen werden und das Verfahren wird eingestellt. Der Staatsanwalt leitet aber ein anderes Verfahren wegen illegalen Waffenbesitzes ein und A und B bekommen eine Freiheitsstrafe von jeweils einem Jahr. Zweite Alternative: Wenn beide hingegen gestehen, wird eine hohe, aber nicht maximale Freiheitsstrafe verhängt (jeweils acht Jahre). Dritte Alternative: Falls nur einer gesteht und gegen den andern aussagt, bekommt der Kronzeuge nur drei Monate, der andere die maximale Freiheitsstrafe von zehn Jahren.101 Es ergibt sich folgende Matrix: Der Beschuldigte B schweigt

gesteht

schweigt

jeweils 1 Jahr

3 Monate für B / 10 Jahre für A

gesteht

3 Monate für A / 10 Jahre für B

jeweils 8 Jahre

Der Beschuldigte A

Abbildung 1: Das klassische Gefangenendilemma

100  Allgemein zum Gefangenendilemma siehe Luce/Raiffa, Games and Decisions, S.  94 ff.; Reisman, Theories of Collective Actions, S. 160 ff.; Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 759 ff. (1997); McAdams, 82 Southern California L. Rev. 214 ff. (2009); Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1226 f. (1991); Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 176 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 63 ff.; Schmidt, Ökonomische Analyse des Insol­ venzrechts, S. 18 f. Ausführlich zum Gefangenendilemma als Kooperationsproblem und zum Unterschied von einem Koordinationsproblem in der Spieltheorie siehe ­McAdams, 82 Southern California L. Rev. 209 ff. (2009). 101  Luce/Raiffa, Games and Decisions, S. 95.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Wie werden sich A und B verhalten? Wie ist ihre Strategie? Unter diesen Umständen scheint es für beide günstiger zu sein, zu schweigen. Dann droht nur eine Freiheitsstrafe von jeweils einem Jahr. Diese Strategie lohnt sich aber nur dann, wenn beide schweigen. Dieses Ergebnis ist kollektiv rational. Die Abwägung der Risiken einer Verurteilung aus individueller Sicht zeigt aber, dass weder A noch B diese Variante wählen. Denn falls A nicht aussagt, entsteht für B eine günstige Situation: Er kann den schweigenden A belasten, um die minimale Freiheitsstrafe von nur drei Monaten zu bekommen. Genauso denkt A. Er kann dieselbe Taktik wählen. Wenn beide gestehen, wird jedoch eine Freiheitsstrafe von jeweils acht Jahren verhängt. Zumindest im Vergleich zu der Möglichkeit, nur ein Jahr zu bekommen (wenn beide schweigen), stellt dies nicht die optimalste Variante dar. Das Gefangenendilemma zeigt, dass es für A und B rational ist, wenn sie miteinander kooperieren und zur Tat nicht aussagen. Dann kann ein optimales Ergebnis erreicht werden. Das eigennützige Verhalten jedes einzelnen schließt aber diese Variante aus. Handeln A und B individuell rational (Konstellation: „selbst gestehen/den anderen belasten“), verbüßen sie fast die maximale Strafe und schaden somit sich selbst. b) Gefangenendilemma und Anleihegläubiger Die Wirkung des Gefangenendilemmas lässt sich auf die Anleihegläubiger bei der Notwendigkeit einer Anpassung der Anleihebedingungen projizieren.102 Zum Zwecke der Übersichtlichkeit reduzieren wir wieder die Zahl der Anleihegläubiger auf nur zwei Teilnehmer A und B und stellen sie wie in der Konstellation „Trittbrettfahrer“ vor die Wahl, dem Angebot eines debt-equityswap, also eines Umtausches ihrer Forderungen aus Schuldverschreibungen von jeweils 1 Mio. Euro in Gesellschaftsanteile des Emittenten X, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist und nun über das Kapital von ­ 1 Mio. Euro verfügt, zuzustimmen oder die Mitwirkung zu verweigern. Wir gehen dabei davon aus, dass der Marktwert der Schuldverschreibungen wegen der Finanzkrise des Emittenten X erheblich gesunken ist und A und B 102  Zum Gefangenendilemma der Anleihegläubiger siehe Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S.  48 ff.; Roe, 97 Yale L.J. 232, 237, Fn. 12 (1987); Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1227 ff. (1991); Peterson, 103 Yale L.J. 505, 513 ff. (1993); Smith/Sharpe, 29 JIBFL 288 (2014); Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1598 (2014); Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 169 ff. (2015); Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1247 ff. (2016); Allen, Capital Market L.J. Vol. 7, No. 1, 55, 67 ff. (2012).



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 51

die Schuldverschreibungen nur zum Preis von jeweils 0,5 Mio. Euro weiter verkaufen können. Die Matrix für die Anleihegläubiger A und B wird wie folgt aussehen103: Anleihegläubiger B

Anleihegläubiger A

schweigt = stimmt gegen die Anpassung

gesteht = stimmt der Anpassung zu

schweigt = stimmt gegen die Anpassung

jeweils 0,5 Mio. Euro

1 Mio. Euro für A/ 0 für B

gesteht = stimmt der Anpassung zu

1 Mio. Euro für B/ 0 für A

jeweils 0,5 Mio. Euro + Y/2

Abbildung 2: Das Gefangenendilemma übertragen auf Anleihegläubiger

Außer A und B hat der Emittent X keine anderen Gläubiger. D. h. wenn beide den Umtausch ablehnen und die Anleihe kündigen, wenn sie also der Anleiherestrukturierung nicht zustimmen, können sie (aus dem Kapital von 1 Mio. Euro) nur in Höhe von jeweils 0,5 Mio. Euro ausbezahlt werden (Konstellation: „schweigt/schweigt“). Würde nur A in der Hoffnung, B werde es auch tun, den debt-equity-swap akzeptieren und seine Forderung aus der Schuldverschreibung gegen Geschäftsanteile umtauschen, würde er einen Sanierungsbeitrag leisten (er verzichtet auf seine Forderung aus der Schuldverschreibung im Marktwert von 0,5 Mio. Euro und „übergibt“ diesen Wert dem Emittenten X). B, für den es individuell rational ist, die Sanierung des Emittenten nicht auf eigene Kosten durchzuführen, würde der Anpassung der Anleihebedingungen konsequenterweise nicht zustimmen. Er erlangt damit die optimale Position, denn, wie bereits erklärt, der Wert des Verzichts des A verschiebt sich zum dissentierenden B.104 B profitiert von den Kosten des A und kann die vollständige Erfüllung des Anspruchs aus der Schuldverschreibung, d. h. in Höhe von 1 Mio. Euro, verlangen. B wird von A „finanziert“. Nach demselben Szenario entwickelt sich die Situation, wenn A und B diese Rollen tauschen und B die Anleiherestrukturierung unterstützt, A dagegen seine Zustimmung ver103  Eine 104  Vgl.

ähnliche Matrix bei Roe, 97 Yale L.J. 232, 237, Fn. 12 (1987). Roe, 97 Yale L.J. 232, 238 (1987).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

weigert. Dann bekommt A 1 Mio. Euro, B bleibt mit leeren Händen zurück (Konstellation: „einer schweigt/der andere gesteht“). Fühlen sich A und B von der Sanierungsnotwendigkeit überzeugt, stimmen sie der Änderung der Anleihebedingungen zu und erlangen die Geschäfts­ anteile von jeweils 0,5 Mio. Euro (Konstellation: „gesteht/gesteht“). Wird der Emittent erfolgreich saniert und der Gewinn die Summe von 1 Mio. Euro um Y übersteigen, können A und B ihre Kapitaleinlagen nicht nur vollständig ausbezahlt zurück erhalten, sie stehen sogar noch besser, da sie einen zusätzlichen Gewinn in Höhe von jeweils Y/2 erlangen.105 Dieses Ergebnis ist kollektiv rational, entspricht aber nicht der Taktik des auf das eigennützige Verhalten orientierten Anleihegläubigers. Wenn sich A und B wie Trittbrettfahrer verhalten und versuchen, sich auf Kosten des anderen zu bereichern, stimmen sie gegen den Umtausch und versetzen sich in die Situation mit dem schlechtesten Ergebnis. c) Die Bedeutung von institutionellen Investoren Es wird im – hauptsächlich englischsprachigen – Schrifttum die Ansicht vertreten, dass die Problematik des Gefangenendilemmas im Anleiherecht überschätzt sei. Man behauptet, es seien genügend empirische Nachweise vorhanden, die zeigten, dass Anleihegläubiger in der Lage seien, selbständig eine kollektiv rationale Entscheidung zu treffen.106 Argumentiert wird damit, dass Anleihen in den letzten Jahren überwiegend von institutionellen Investoren gekauft wurden und diese Tendenz sich in der Zukunft nicht ändere.107 Der Anteil dieser Investoren wird etwa auf 85 % geschätzt, der Anteil von Kleinanleger auf 15 %.108 „Institutions have replaced individuals as the lead­ ing bondholders.“109 105  Roe, 97 Yale L.J. 232, 237, Fn. 12 (1987); eine Erhöhung um Y/2 in der Konstellationen „einer gesteht/der andere schweigt“ findet allerdings nicht statt, weil sich der Wert des Sanierungsbeitrags des einen Teilnehmers zu dem anderen (dem Akkordstörer) vollständig verschiebt. Nach dessen Auszahlung bleibt das Unternehmen ohne Kapital. 106  Vgl. Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 171 (2015); Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 882 f. (1991). 107  Dies wird auch von Florstedt (WiVerw 2014, 155 (161 ff.)) diskutiert. 108  Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 171 (2015) („institutional investors hold 86 % of the US corporate bond market“); Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 882 f. (1991) („it is estimated that no more than 5–10 % of the bonds are owned by individuals“). Ähnliche Zahlen bei Roe, 97 Yale L.J. 232, 259 (1987) (95 % von institutionellen Investoren im junk bond market); Kahan, 77 N.Y.U. L. Rev. 1040, 1060 f. (2002) (64 %; er weist dabei auf die hohe Konzentration von Anleihegläubigern hin („bond ownership is significantly more concentrated than ownership of common stock. In many issues, the five largest holders will own 25 % of the out-



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 53

Das Ziel dieser Argumentation besteht darin zu demonstrieren, dass Anleihegläubiger dem opportunistischen Verhalten des Emittenten bei einer Anleiherestrukturierung im Wege eines Umtausches der alten Schuldverschreibungen gegen neue (exchange offer110) widerstehen können und dass diese Technik konsequenterweise keine Nötigungselemente (coercive restructuring tactic111) enthält.112. Der Mehrheit der Anleihegläubiger wird die Eigenschaft zugeschrieben, sich bei einem Restrukturierungsangebot des Emittenten schnell zu organisieren und die Sanierungschancen mit Hilfe von Spezia­ listen zu bewerten. Es wird behauptet, ihre Rolle bestehe nicht bloß in der Akzeptanz oder Verweigerung des Vorschlags des Emittenten. Sie seien in der Lage, zahlreiche Verhandlungen mit ihm über die Modalitäten des Um-

standing bonds and twenty to fifty holders will own a majority“); Çelik/Demirtaş/ Isaksson, OECD, Corporate Governance Working Papers, No. 16, 24 (2015) (81 %); Cai/Han/Li, Board of Governors of the Federal Reserve System, Intern. Finance, Discussion Papers, No. 1071, S. 3 (75 %); Schwarcz, Indenture Trustee Duties: The PreDefault Puzzle, S. 5, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3387414. Für den USamerikanischen corporate bond market können die Daten entnommen werden aus: Board of Governors of the Federal Reserve System, Financial Accounts of the United States, Flow of Funds, Balance Sheets, and Integrated Macroeconomic Accounts, z. B. das erste Quartal 2017, Tabelle L.213 „Corporate and Foreign Bonds“ (der Anteil von Kleinanlegern betrug 6,6 %, der Anteil von institutionellen Investoren 54,8 %). Zu Anleihen im Eurogebiet und in Deutschland allgemein siehe Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juli 2017, 17 ff.; siehe auch European Central Bank, securities holdings statistics (nach den Angaben der EZB (Stand: erstes Quartal 2017) beträgt der Anteil von institutionellen Investoren bei den auf Euro lautenden Unternehmensanleihen im Eurogebiet 20 % (der Anteil von Kleinanlegern 2,5 %), in Deutschland 11 % (bzw. 7,3 %); ähnlich für Mittelstandsanleihen (20–25 %) Lerche/Plank, in: Baur/Kantowsky/Schulte, Stakeholder Management in der Restrukturierung, S. 177 (182). 109  Bratton/Gulati, 57 Vanderbilt L. Rev. 1, 39 (2004); so auch Schwarcz, Indenture Trustee Duties: The Pre-Default Puzzle, S. 5, abrufbar unter: https://ssrn.com/ abstract=33874145. 110  Zu dieser Technik siehe unter Kapitel 2 § 3 B. IV. 111  Dazu näher unter Kapitel 2 § 3 B. V. 3. 112  Die Argumente sind als Reaktion auf die Entscheidung des High Court of Justice in Assénagon-Fall entstanden (Assénagon Asset Management S.A. v. Irish Bank Resolution Corporation Limited (formerly Anglo Irish Bank Corporation Limited), [2012] EWHC 2090 (Ch)), vgl. Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 187 (2015) („While there is some empirical evidence that coercive tactics have in the past proved to be a useful tool in corporate restructurings, fears of coercing bondholders into a prisoner’s dilemma-type scenario do appear to be exaggerated, given the possibility of bondholder co-ordination.“); siehe auch Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 881 ff. (1991) („Why have ‚coercive‘ techniques failed to coerce? … [because] bondholders can organize sufficiently quickly and efficiently to thwart an issuerʼs attempt to pressure them into tendering against their will  … [they] do not generally suffer from a prisonerʼs dilemma problem“).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

tausches zu führen, und zwar noch bevor das Angebot offiziell unterbreitet sei.113 Tatsächlich sind institutionelle Investoren professionell organisiert. Das ist schwer zu bestreiten. Dies ist aber noch kein Grund für die Ablehnung des Gefangenendilemmas im Anleiherecht. Das Gefangenendilemma stellt nicht nur das Problem von zwei Beschuldigten dar, die sich in unterschiedlichen Haftzellen aufhalten und miteinander nicht kommunizieren können. Das Gefangenendilemma illustriert vielmehr negative Folgen des opportunistischen Verhaltens eines kooperationsunwilligen Teilnehmers, der im Endergebnis sich selbst schadet. Es würde sich nicht viel ändern, wenn die Beschuldigten nach dem Gespräch mit dem Staatsanwalt über die bestehenden Alternativen die Möglichkeit erlangen würden, sich wie institutionelle Investoren zu „organisieren“ und über ihr zukünftiges Verhalten (gestehen oder schweigen) abzustimmen. Denn bei einer Abstimmungsmöglichkeit bleibt das Verhalten nicht erzwingbar. Eine Abstimmung des Verhaltens schließt nicht aus, dass die Beschuldigten ex post bewusst opportunistisch handeln.114 D. h. selbst bei der Abstimmung würden A und B darauf spekulieren, dem jeweils anderen gegenüber Vorteile zu erlangen115, weil es nach wie vor individuell rational bleibt, die „Gegenpartei“ zu belasten und sich auf deren Kosten zu privilegieren. Das Gefangenendilemma wird nicht ohne Grund als Modell bezeichnet, wo jeder Beteiligter nach dem Prinzip „take some action no matter what the others do“116 handelt. Mit anderen Worten stellt das Gefangenendilemma ein Spiel von Interessenkonflikten dar.117 Solange Interessenkonflikte bestehen, scheidet eine freiwillige Kooperation der Beteiligten aus. Die Lösung des Gefangenendilemmas liegt mithin nicht in einer bloßen Ermöglichung einer Kommunikation mit dem Emittenten und der Anleihegläubiger untereinander, sondern in der Erzwingung des abgestimmten Verhaltens. Denn die Hauptidee der Gefangenendilemma-Konstruktion besteht darin, dass ein optimales Ergebnis nur dann erreicht werden kann, wenn die Beschuldigten von der Möglichkeit ausgeschlossen werden (z. B. durch Erzwingungsmechanismen), ex post individuell rational zu handeln. Um dieses Ziel zu erreichen, muss das Abstimmungsergebnis bindend sein. 113  Vgl. Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 882 f. (1991); ähnlich Roe, 97 Yale L.J. 232, 259 (1987); Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 171 (2015). 114  So auch Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 760 f. (1997); Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 178. 115  Servatius, a. a. O., S.  178. 116  McAdams, 82 Southern California L. Rev. 217 (2009). 117  Dazu ausführlich McAdams, a. a. O., 217 ff.; auch Goshen, 70 Southern California L. Rev. 741, 761 (1997).



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 55

Das Gefangenendilemma der Anleihegläubiger ist mithin nicht ein Pro­ blem der Kommunikation, sondern ein Problem der Kooperation bzw. der Ermöglichung einer Koordination118 und allein die Möglichkeit für die institutionellen Investoren, sich schnell zu organisieren und aktiv mit dem Emittenten im Verhandlungsprozess zu beteiligen, gibt noch keine Garantie dafür, dass das obstruktive Verhalten der einzelnen im entscheidenden Zeitpunkt nicht stattfindet. So war auch im Akkordstörer-Fall kein Kooperationserfolg garantiert, obwohl, wie erwähnt, etwa 150 Banken (!) beteiligt waren.119 Die Konzentration der Mehrheit der Stimmen in den Händen von institu­ tionellen Investoren führt nicht automatisch zu deren Solidarität und Kooperationswilligkeit.120 Sonst würde der Anteil von erfolgreich durchgeführten Anleiherestrukturierungen etwa bei 100 % oder zumindest in einem sehr hohen Bereich liegen.121 Von solchen Ergebnissen berichtet aber niemand. Außerdem wäre die Zahl von Gerichtsentscheidungen über die Rechtmäßigkeit einer Mehrheitsentscheidung bei einer Anpassung von Anleihebedingungen viel geringer. Prozesse, in denen die sog. „Meilenstein-Urteile“ gefällt werden, werden nicht von Kleinanlegern, sondern gerade von institutionellen Investoren initiiert, die sich an den Willen der Mehrheit nicht gebunden fühlen und auf der Erfüllung ihrer Ansprüche im vollen Umfang beharren. Mithin bleibt festzustellen, dass die Beteiligung von institutionellen Investoren das Kollektivhandlungsproblem der Anleihegläubiger entgegen einzelner Ansichten im Schrifttum nicht löst und eine Anleiherestrukturierung ebenfalls gefährden kann. Institutionelle Investoren stehen auch vor der Gefahr, dass Einzelne von der Taktik individueller Rationalität „verführt“ wer118  Dieser Problematik waren sich auch die Verfasser des SchVG 1899 bewusst. Sie wiesen ausdrücklich auf die Notwendigkeit hin, den Mangel einer (rechtlichen) Verbindung zwischen den Anleihegläubigern zu beseitigen und eine einheitliche Willensbildung zu ermöglichen, selbst wenn sich einzelne bewusst „jeder Beteiligung enthalten“ (Regierungsbegründung v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 908, 913). Die Entscheidung der Mehrheit der Anleihegläubiger, die für alle verbindlich ist, muss nach der Vorstellung des historischen Gesetzgebers die Funktion des Erzwingungsmechanismus übernehmen. 119  Urt. v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, ZIP 1992, 191 ff. 120  So auch Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1223 (1991); vgl. auch Schwarcz, Indenture Trustee Duties: The Pre-Default Puzzle, S. 10 („The rise of activist investors has created a possible agency failure: such investors do not neces­ sarily act for the benefit of the other investors.“), abrufbar unter: https://ssrn.com/ab stract=3387414. 121  Die Gefahr der Nichtakzeptanz eines Restrukturierungsangebots wegen „misjudgment“ oder „bad offer“ soll dabei sehr gering sein, denn professionelle Investoren sind in der Lage, dank ihrer Erfahrungen, analytischer Fähigkeit und der Möglichkeit, Spezialisten zu beauftragen, alle Chancen und Risiken ihrer Sanierungsbemühungen zu erkennen bzw. ein besseres Angebot dem Emittenten zu unterbreiten.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

den und eine Anpassung der Anleihebedingungen verweigern. Jeder – gleich ob Kleinanleger oder institutioneller Investor – strebt danach, seine persön­ liche Wohlfahrt zu maximieren. „Aus der Annahme, dass Mitglieder einer Gruppe ein gemeinsames Interesse oder Ziel haben und sie alle besser daran wären, wenn dieses Ziel erreicht würde“, folgt nicht unbedingt, „dass die einzelnen Mitglieder einer solchen Gruppe, sofern sie sich rational im Eigeninteresse verhalten, so handeln werden, dass dieses Ziel erreicht wird“.122 Das Dilemma der Anleihegläubiger bestätigt die Hauptthese von Mancur Olson in seiner berühmten Arbeit „Die Logik des kollektiven Handelns“ (1965). Die Diskrepanz zwischen individueller und kollektiver Rationalität lässt sich nach Olson beseitigen, wenn die Anleihegläubiger „durch Zwang [zu einem gemeinsamen Handeln] genötigt werden oder … zusätzlich zu der Verwirklichung des gemeinsamen Interesses ein besonderer Anreiz geboten wird, unter der Bedingung, dass sie einen Teil der Kosten oder Lasten tragen, die die Verwirklichung des Gruppenziels erfordern“.123 Der Gesetzgeber wählte die erste Variante. In der „Organisation [der Anleihegläubiger] zu einem Verband, deren Beschlüsse für alle verbindlich sind“124, erkannte er das Mittel zur Überwindung des Missbrauchs individueller Rechtsmacht und den Hauptgrundsatz der Bondholder Governance nach dem SchVG. Eine Mehrheitsentscheidung mit bindender Wirkung für alle ermöglicht eine (freiwillige) Kooperation der Anleihegläubigermehrheit und gleichzeitig die Erzwingung der Beteiligung der koordinationsunwilligen Akkordstörer. Mit Hilfe dieses Koordinationsmechanismus soll das Dilemma der Anleihegläubiger gelöst werden.

F. Zusammenfassung Anleihegläubiger stellen in ihrem „Naturzustand“, also im unkoordinierten Zustand, keine rechtliche Einheit dar, die ermöglicht, sie zu organisieren und handlungsfähig zu machen. Zwischen dem Emittenten und jedem einzelnen Anleihegläubiger entsteht jeweils ein gesondertes Schuldverhältnis. Trotz der Geltung gleicher Bedingungen stehen die Anleihegläubiger im Verhältnis zueinander in keiner rechtlichen Beziehung; sie sind lediglich wirtschaftlich verbunden. Aufgrund dieses rechtlich unabhängigen Status können sie ihre Rechte selbständig geltend machen und sind nicht an die Entscheidung der

122  Olson,

Die Logik des kollektiven Handelns, S. 1 f. a. a. O., S.  2. 124  Regierungsbegründung v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 908. 123  Olson,



§ 1 Anleiherestrukturierung bei der Wirkung individueller Rechtsmacht 57

Mehrheit gebunden. Der Akkordstörer-Effekt ist damit faktisch vorprogrammiert. Entsteht die Notwendigkeit, die Anleihebedingungen ex post zu ändern und sie an die neuen tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, insbesondere um die Passivseite der Bilanz des Emittenten zu entlasten und seine Insolvenz abzuwenden (Anleiherestrukturierung), kann die Anleihegläubigergesamtheit ohne spezielle Bondholder Governance dem Risiko des destruktiven Verhaltens der Minderheit ausgesetzt sein. Minderheitsgläubiger können versuchen, sich an der Restrukturierung nicht zu beteiligen und die Mehrheit ihre eigenen finanziellen Opfer zur „Rettung“ der Anleihe bringen zu lassen, um danach vom Erfolg dieser Bemühungen zu profitieren (free-riding-Problem; Restrukturierung auf Kosten anderer Gläubiger). Alternativ besteht die Möglichkeit, wie die Mehrheit teilweise auf eigene Ansprüche zu verzichten, d. h. einen Restrukturierungsbeitrag zu leisten, sich aber die Zustimmung zum Restrukturierungsplan abkaufen zu lassen. Der Gläubiger kann verlangen, für seine Solidarität besonders belohnt zu werden (side-payments-Problem; Erpressung des Emittenten). In beiden Konstellationen besteht die Gefahr, dass die ganze Restrukturierung scheitert, obwohl die Mehrheit zustimmungsbereit ist. Soweit ein Gläubiger versucht, sich am Restrukturierungserfolg wie ein Trittbrettfahrer zu beteiligen, übernehmen auch die anderen Gläubiger dieselbe Strategie, denn keiner will, dass ein Dritter auf seine Kosten Kapital schlägt. Lässt sich der Emittent erpressen und bezahlt den Gläubiger für seine Kooperationsbereitschaft, kann der zu große Appetit des „räuberischen“ Gläubigers den positiven Effekt der Restrukturierung aufzehren. Obwohl der Gläubiger im Status des Akkordstörers individuell rational handelt und lediglich darauf abzielt, den eigenen Gewinn zu maximieren, ist sein Verhalten kollektiv irrational. Wenn er die Restrukturierung hindert, schadet er nicht nur sich selbst, er schadet in erster Linie auch den anderen Gläubigern. Mit dem in der Spieltheorie bekannten Gefangenendilemma lässt sich ein solches negatives Ergebnis gut erklären. Es beweist, dass die Verfolgung individueller Interessen durch die einzelnen Gläubiger sie selbst und die ganze Gläubigergesamtheit in die Situation mit dem schlechtesten Ergebnis versetzen kann. Es darf dabei nicht der Eindruck entstehen, dass die Anleihegläubiger heutzutage sich selbst organisieren und handlungsfähig machen können. Das Problem des Gefangenendilemmas liegt nicht darin, dass keine Kommunikation ermöglicht wird. Das Problem ist, dass die Beteiligten selbst bei der Abstimmung ihrer zukünftigen Strategien versuchen können, von dem Abstimmungsergebnis abzuweichen. Genauso ist die Lage im Anleiherecht. Selbst bei den institutionellen, also professionellen Investoren, die über große Informations- und Kommunikationskanäle verfügen, ist ein destruktives Ver-

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

halten nicht automatisch ausgeschlossen. Jeder Investor, sei er Klein- oder Großanleger, ist daran interessiert, seinen eigenen Profit zu maximieren. Die Lösung des Dilemmas der Anleihegläubiger liegt mithin nicht in der Ermöglichung einer bloßen Kommunikation mit dem Emittenten und der Anleihegläubiger untereinander, sondern in erster Linie in der Erzwingung des abgestimmten Verhaltens. Denn die Hauptidee des Gefangenendilemma besteht darin, dass ein optimales Ergebnis nur dann erreicht werden kann, wenn die Beteiligten von der Möglichkeit ausgeschlossen werden, ex post individuell rational zu handeln. Um dieses Ziel zu erreichen, muss das Abstimmungsergebnis bindend sein. Dieser Idee sind auch die Verfasser des SchVG 1899 gefolgt. Sie haben die Lösung des Dilemmas der Anleihegläubiger zu Recht in der Ermöglichung einer Mehrheitsentscheidung mit Bindungswirkung für alle identifiziert. Um die Gläubigergesamtheit handlungsfähig zu machen, entschlossen sie sich dazu, der Mehrheit mehr Autonomie zu gewähren und ihr zu erlauben, die dissentierende Minderheit an ihren Willen zu binden. Stimmt nun die Mehrheit der Restrukturierung im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zu, ist die Minderheit an diese Entscheidung gebunden. Das „Abstimmungsergebnis“ ist für sie bindend. Sie muss sich an der Restrukturierung beteiligen und denselben Beitrag leisten wie die Mehrheit. Die Bondholder Governance nach dem SchVG beruht auf der Idee der Geltung des „minor pars sequatur maiorem“-Prinzips. Mit diesem Prinzip lässt sich das Problem des Trittbrettfahrens vollständig lösen; es besteht keine Möglichkeit mehr, auf Kosten anderer Gläubiger vom Erfolg der Restrukturierung zu profitieren. Gleichzeitig wird das Risiko der Ausbeutung des Emittenten reduziert, denn die Stimme der opponierenden Minderheit ist nicht mehr entscheidend.

§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips Mit dem SchVG 1899 versuchte der Gesetzgeber, die Idee der Koordination der Anleihegläubiger durch Ermöglichung der Bindung aller an den Mehrheitswillen umzusetzen. Er entschied sich für die Geltung des „minor pars sequatur maiorem“-Prinzips. Im Weiteren wird gezeigt, wie genau dieses Prinzip funktioniert bzw. inwieweit die Kompetenz der Gläubigermehrheit nach dem SchVG 1899 bei der Anpassung der Anleihebedingungen an neue wirtschaftliche oder rechtliche Gegebenheiten reicht und welche Regelungsdefizite das Gesetz hat, die seine Anwendung in der Praxis hindern und es notwendig gemacht haben, das Gesetz etwa 100 Jahre später nach seinem Inkrafttreten grundlegend zu reformieren.



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 59

A. Mehrheitsprinzip nach dem SchVG 1899: Formalisierung der Gläubigerautonomie und die Konsequenzen I. Mehrheitserfordernisse Wie bereits erwähnt, legt der Gesetzgeber in der ersten Vorschrift des Gesetzes die verbindliche Wirkung des Mehrheitsbeschlusses fest (siehe § 1 Abs. 1 SchVG 1899). Nach § 10 Abs. 1 S. 1 SchVG 1899 bedürfen die Beschlüsse der Anleihegläubiger grundsätzlich der einfachen Mehrheit der Stimmen. Falls die Rechte der Anleihegläubiger durch einen Mehrheits­ beschluss beschränkt werden sollen, verlangt das Gesetz eine qualifizierte Mehrheit: Dem Beschluss muss eine Mehrheit von mindestens drei Vierteln der Stimmen zustimmen (§ 11 Abs. 2 SchVG 1899). Es gilt zusätzlich ein besonderes Quorum: Die Mehrheit muss wenigstens die Hälfte des Nennwertes der im Umlaufe befindlichen Schuldverschreibungen repräsentieren. Die Quorumvoraussetzung wurde durch Art. 1 Nr. 2 der Verordnung des Reichspräsidenten von 1932125 erleichtert. Der eingefügte § 11 Abs. 5 SchVG 1899 ermöglicht das Abhalten einer zweiten Versammlung der Anleihegläubiger zum Zwecke der Fassung eines Verzichtsbeschlusses, wenn in der ersten Versammlung ausschließlich das Erfordernis einer Dreiviertelmehrheit erfüllt wird. In einer zweiten Versammlung, die mit der einfachen Mehrheit einberufen werden kann, dürfen Beschlüsse allein mit mindestens drei Vierteln der Stimmen gefasst werden, d. h. sie ist beschlussfähig ohne Rücksicht auf den Nennwert der von der Mehrheit vertretenen Schuldverschreibungen. Um das Problem des Scheiterns einer Anleiherestrukturierung wegen bewusster Enthaltung der Beteiligung Einzelner in einer Gläubigerversammlung zu umgehen, stellt der Gesetzgeber auf die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ab. Die Stimmen der Nichterschienenen oder Enthaltungen können nicht als „Nein“-Stimmen mitgezählt werden. Die Mehrheit wird anhand der zustimmenden und ablehnenden Nennbeträge berechnet (§ 10 Abs. 1 S. 2 SchVG 1899), wobei nur die Stimmen der Anleihegläubiger gezählt werden, die ihre Schuldverschreibungen spätestens zwei Tage vor der Versammlung bei der im Gesetz näher bezeichneten Stelle hinterlegt haben (§ 10 Abs. 2 SchVG 1899). Nach dem Grundsatz „nemo iudex in causa sua“ legt der Gesetzgeber außerdem einen Stimmrechtsausschluss für die vom Emittenten gehaltenen Schuldverschreibungen fest (§ 10 Abs. 4 SchVG 1899).126 125  Verordnung des Reichspräsidenten über die gemeinsamen Rechte der Besitzer der Schuldverschreibungen v. 24.09.1932, RGBl. I, S. 447. 126  Das Gesetz sieht allerdings keinen Stimmrechtsausschluss für die mit dem Schuldner verbundenen Unternehmen vor. Außer in Fällen von Einpersongesellschaf-

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

II. Regelungsdefizite Obwohl der Gesetzgeber im SchVG 1899 der Mehrheit die Befugnis verleiht, Anleihebedingungen im Wege einer Mehrheitsentscheidung zu ändern, ist es ihm nicht gelungen, eine Grundlage für eine effektive Anleiherestrukturierung in der Praxis zu schaffen. Grund dafür ist der Umstand, dass das Gesetz eine Reihe von Einschränkungen enthält, die die Möglichkeit der Anwendung des Mehrheitsgrundsatzes faktisch ausschließen. 1. Zweckbestimmung Die erste wichtige Einschränkung, die das SchVG 1899 vorsieht, ist die Regelung, dass Mehrheitsentscheidungen nur zur Abwendung einer Zahlungseinstellung oder des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten zulässig sind (§ 11 Abs. 1 S. 1 SchVG 1899). Ursprünglich sah der Regierungsentwurf vom 3. Februar 1899, in dem die Idee der Überwindung der mangelnden Verbindung der Anleihegläubiger auf gesetzlicher Ebene zum ersten Mal präsentiert wurde, keine Zweckbestimmung eines Mehrheitsbeschlusses vor. Im Laufe der Beratungen im Reichstag entwickelten einige Abgeordnete – trotz überwiegender Begrüßung des Entwurfes im Schrifttum127 – eine tiefe Skepsis gegen die Geltung des Mehrheitsprinzips. Es wurde behauptet, durch die Verleihung der Aktionsfähigkeit gebe der Gesetzesentwurf der Mehrheit die Möglichkeit, „Obligationen ihres Wertes zu berauben“128; er schaffe sogar Anreize dafür, die Anleiherestrukturierung durch „künstliche Majoritäten“129 zur Durchsetzung von sachfremden Interessen zu missbrauchen. Besonders kritisiert wurde die rechtliche Stellung der Minderheit. Wegen der Bindung an den Mehrheitswillen wurde sie ten lehnt die Rechtsprechung die Möglichkeit der Erweiterung des Stimmrechtsausschlusses auf solche Unternehmen ab, siehe RG, Urt. v. 12.04.1935 – II 349/34, RGZ 148, 3 (15 ff.). 127  Siehe z. B. den Redebeitrag des Abgeordneten Büßing in der ersten Lesung des Regierungsentwurfes v. 07.03.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, S. 1386; Hecht, DJZ 1898, 364 (366); kritisch zum Gesetz, insbesondere zu seiner Notwendigkeit und zu seinen „tief eingreifenden“ Bestimmungen, v. Pechmann, DJZ 1900, 511 (515) (spricht von „rechtsmindernden Beschlüssen“). 128  v. Strombeck, Erste Lesung des Regierungsentwurfes v. 07.03.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, S. 1383. 129  v. Strombeck, Zweite Lesung des Entwurfes v. 18.11.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 4. Anlageband, S. 2894.



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als rechtlos angesehen. Man sprach von der „Vergewaltigung von Minori­ täten“.130 Die vorgebrachte Kritik blieb nicht ohne Folgen. Obwohl es der X. Reichstagskommission, an die der Regierungsentwurf nach der ersten Lesung überwiesen wurde, gelang, Bedenken gegen die verbindliche Kraft von Mehrheitsbeschlüssen in einigen Punkten zu entkräften und einen Kompromiss131 zu finden, blieb die Mehrheit der Abgeordneten von den kritischen Äußerungen beeindruckt. Sie entschloss sich zu einer restriktiven Gestaltung des Gesetzes wegen der Furcht vor der Gefahr des Missbrauchs der Mehrheits­ befugnisse und stimmte der Festlegung unmittelbarer Abwendung der Insol­ venzgefahr als Zweckbestimmung des Beschlusses zu. Die Beschränkung oder die Aufgabe von Rechten durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger ohne Anknüpfung an eine Insolvenzgefahr, so wie es der Regierungsentwurf vorsah, wurde also als zu weit gehend betrachtet.132 Der Versuch der Befürworter der Idee einer umfassenden Geltung des Majoritätsprinzips, die Abgeordneten in den ersten Lesungen des Gesetzesentwurfes an die langen Laufzeiten klassischer Anleihen, an den unvollständigen Vertragscharakter von Anleihebedingungen sowie die Schwerfälligkeit des Einstimmigkeitsprinzips zu erinnern, zeigte keine Wirkung. So argumentierte der Abgeordnete Schrader: „Das Gesetz ist … hervorgegangen aus der Überzeugung, dass in gewissen Fällen unser modernes Leben … im Interesse der Gläubiger selbst die Möglichkeit schaffen muss, Änderungen der Schuldverhältnisse vorzunehmen, was heute nicht möglich ist, wenn bei den in Betracht kommenden großen Schuldverhältnissen alle Gläubiger zustimmen sollen. Aus diesem Gesichtspunkte heraus ist die Vorlage des Gesetzes hervorgegangen … Ursprünglich nämlich war die Absicht der Vorlage, während der Dauer eines Schulverhältnisses einer starken Majorität von Gläubigern das Recht zu geben, Änderungen an dem Schuldverhältnis vorzunehmen … es [handelt] sich bei den meisten großen Schuldverhältnissen … um eine sehr lange Zeitdauer … 50, 60 Jahre und noch länger … und in dieser Zeit vollziehen sich die Veränderungen in den Verhältnissen des Schuldners, der 130  v. Strombeck, Erste Lesung des Regierungsentwurfes v. 07.03.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I.  Session 1889–1899, 2.  Anlageband, S.  1383, zu seiner Kritik siehe a.  a.  O., S. 1382 ff.; kritisch zum Gesetzesentwurf auch Lenzmann, a. a. O., S.  1388 f. 131  Bericht der X. Kommission über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 4. Anlageband, Nr. 362, S. 2348 ff. 132  Vgl. v. Strombeck, Zweite Lesung des Entwurfes v. 18.11.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 4. Anlageband, S. 2892.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Gläubiger, in den gesamten Geldverhältnissen, die es nötig machen können, Änderungen vorzunehmen im Interesse der Gläubiger. Diese Möglichkeit sollte das Gesetz schaffen. Es wollte dafür nicht nur den Fall der drohenden Zahlungseinstellung, des drohenden Konkurses setzen, sondern allgemein die Möglichkeit geben“.133 Das Argument für „die allgemeine Möglichkeit“ der Aktionsfähigkeit der Anleihegläubiger, also nicht bloß beschränkt auf die unmittelbare Abwendung des Insolvenzverfahrens, wurde ignoriert, und zwar bewusst.134 Mit der Einschränkung war die Hoffnung verbunden, von dem Gebrauch der Mehrheitsbefugnisse zum Zwecke einer Anleiherestrukturierung zumindest abschrecken zu können. Denn wenn der Entzug der Gläubigerrechte nur im Fall der drohenden Insolvenzgefahr zulässig sei, werde der Emittent davon abgehalten, die Anleihegläubigerversammlung einzuberufen, „da er sich scheuen müsse, seine Zahlungsunfähigkeit damit zu deklarieren“.135 Mit anderen Worten sollte das Eingreifen des Gesetzes selbst in den Fällen gehindert werden, in denen die Notwendigkeit der Organisation der Anleihegläubiger am ehesten entsteht.136 Die Reaktion auf den Regierungsentwurf im Reichstag zeigte, dass noch eine zu große Furcht vor der Missbrauchsgefahr durch die Mehrheit bestand. Die Idee, den Mehrheitsgedanken im Anleiherecht nutzbar zu machen, wurde akzeptiert, aber in einer sehr gekünstelten Form. Weitere Einschränkungen des Gesetzes verfestigten faktisch den rechtlosen Status der Anleihegläubigermehrheit.

133  Schrader, Zweite Lesung des Entwurfes v. 18.11.1899, a. a. O., S. 2892 f.; ähnlich der Abgeordnete Büßing, Zweite Lesung des Entwurfes v. 18.11.1899, a. a. O., S. 2894, 2897. 134  Gegen die Einwendung, das Gesetz finde sonst wegen der Zweckbestimmung des Beschlusses fast keine Anwendung, wurde als Argument vorgebracht, dass drohende Zahlungseinstellung oder drohende Insolvenz über das Vermögen des Emittenten nicht tatsächlich bestehen müssten. Es reiche vielmehr aus, wenn Anleihegläubiger vor der Fassung des Beschlusses subjektiv davon überzeugt seien. Siehe Rieberding, Zweite Lesung des Entwurfes v. 18.11.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 4. Anlageband, S. 2893. 135  Bericht der X. Kommission über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 4. Anlageband, Nr. 362, S. 2353. 136  Vgl. Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 141.



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2. Zeitliche Befristung und Wiederaufleben der Rechte im Insolvenzverfahren Bemerkenswerterweise wurde die Regelung über die Zweckbestimmung des Mehrheitsbeschlusses verschärft, und zwar im Rahmen der Insolvenzrechtsreform137 im Jahr 1994. Seit dem 1. Januar 1999 sieht § 11 Abs. 1 S. 1 SchVG 1899 vor, dass ein Rechtsverzicht von der Gläubigerversammlung höchstens für die Dauer von drei Jahren beschlossen werden kann. Wird innerhalb dieser Frist ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten eröffnet, leben alle Gläubigerrechte wieder auf (§ 11 Abs. 1 S. 2 SchVG 1899).138 Obwohl diese Regelung bis zur Reform des Gesetzes im Jahr 2009 nicht lange existierte, zeigte sie, dass das SchVG 1899 auch 100 Jahre später nach seinem Inkrafttreten ausschließlich als Instrument der Unternehmens­ sanierung interpretiert wurde.139 3. Kein Verzicht auf Kapitalansprüche Eine weitere Einschränkung sieht § 12 Abs. 3 SchVG 1899 vor. Nach dieser Vorschrift können die Anleihegläubiger auf ihre Kapitalansprüche im Wege eines Mehrheitsbeschlusses nicht verzichten. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall eines gerichtlichen Vergleichs im Insolvenzverfahren (seit 1933 § 19a Abs. 2 SchVG 1899). Bereits der Regierungsentwurf ging von der Idee aus, dass – abgesehen von Insolvenzfällen – die eigenen Opfer der Anleihegläubiger „eine bestimmte sachliche Grenze haben“ müssten und diese Grenze da liege, wo „dem Gläubiger der Verlust von Kapitalforderungen angesonnen“ werde.140

137  Art. 53 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung v. 05.10.1994, BGBl. I 1994, S. 2911 (2137 f.). 138  BGH, Urt. v. 31.05.2016 – XI ZR 370/15, BB 2016, 1677 (1678); siehe auch die Ergänzung zum Regierungsentwurf der Insolvenzordnung hinsichtlich der Änderung des SchVG 1899 v. 14.08.1992, BR-Drucks. 511/92, S. 96 f., in der die Vorschriften zum Minderheitenschutz als nicht ausreichend angesehen wurden. Nach der Begründung müsse die Neuregelung für die Zukunft ausschließen, dass „ein unren­ tables Schuldnerunternehmen längere Zeit durch erzwungene Opfer der Minderheitsgläubiger am Markt“ gehalten werde, BR-Drucks. 511/92, S. 97. Kritisch dazu Schneider, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 80 (weil zur Zeit des Gesetzgebungsverfahrens keine aktuellen Anwendungsfälle bekannt waren, die die Notwendigkeit der Einführung zusätzlicher Einschränkungen belegt hätten). 139  Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 145. 140  Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 912.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Die Verfasser des SchVG 1899 rechneten damit, dass die Durchsetzung solcher Maßnahmen, wie die Herabsetzung des Zinssatzes, die Bewilligung einer Stundung, die Freigabe von Sicherheiten und die Einschränkung der Ausübung des Kündigungsrechts, mit dem Effekt des Kapitalverzichts vergleichbar sind und für eine effektive Anleiherestrukturierung ausreichen. „Selbstverständlich“ war für die Verfasser, dass ein Umtausch der Forderungen aus Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile des Emittenten, also ein debt-equity-swap, als extreme Form eines Kapitalverzichts ausgeschlossen sein müsse.141 Der Grundsatz der Unantastbarkeit der Kapitalansprüche der Anleihegläubiger fand seine Kritiker bald nach dem Inkrafttreten des SchVG 1899. Es wurde realisiert, dass die Optionen, die das Gesetz zur Verfügung stellt, nur ein „Mindestprogramm“ darstellen und den Gläubigern zu enge Schranken setzen.142 Obwohl die Beseitigung des Verbots des Kapitalverzichts ausdrücklich gefordert und sogar als einer der Reformpunkte im Entwurf der Verordnung des Reichspräsidenten von 1932 vorgesehen wurde, war das Verzichtsverbot nicht aufgehoben.143 Eines der wichtigsten Instrumente der Anleiherestrukturierung bleibt für die Anleihegläubigermehrheit nach dem SchVG 1899 verboten.144 4. Nennwert Restriktiv ausgestaltet ist auch die Regelung zum sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. So ist im § 1 Abs. 1 SchVG 1899 bestimmt, dass von der Geltung des Mehrheitsprinzips nur Anleihen erfasst sind, deren Mindestvolumen (rechnerisch) 300.000 DM beträgt und von denen wenigstens 300 Stücke ausgegeben werden. Sinkt der Gesamtbetrag der im Umlauf befindlichen Schuldverschreibungen unter 100.000 DM oder sinkt deren Zahl unter 100, können die Anleihegläubiger von ihren Mehrheitsbefugnissen nicht mehr Gebrauch machen (§ 2 SchVG 1899). Mit dieser Regelung stellt der Gesetzgeber die Anwendung des Gesetzes faktisch zur Disposition des Emit141  Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 910. 142  Aus diesem Grund scheiterte z. B. die Restrukturierung einer Wandelanleihe der EM.TV Merchandising AG im Jahr 2004. Für eine Sanierung war ein massiver Kapitalverzicht und ein debt-equity-swap erforderlich; siehe dazu Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (223); Sester, AcP 209 (2009), 628 (632). 143  Dazu ausführlich Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 137 f. 144  Vgl. auch Leuering/Zetsche, NJW 2009, 2856 (2857); Vogel, ZBB 2010, 211 (212 f.); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 53; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (478); Hopt, in: FS Schwark, S. 441 (442); Meier/Schauenburg, CFl 2012, 161 (162); Podewils, DStR 2009, 1914.



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tenten, der durch den Rückerwerb der Schuldverschreibungen den Anleihegläubigern ihre Befugnisse wieder entziehen kann.145 Im Zusammenhang mit dem Nennwert der Anleihe sorgt allerdings ein anderer Aspekt für besondere Aufmerksamkeit. Da § 1 Abs. 1 SchVG 1899 vorschreibt, dass der Nennwert der Schuldverschreibungen im Voraus bestimmt sein muss, ist nach dem Wortlaut nicht deutlich, ob u. a. Genussscheine mit Verlustbeteiligung vom sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst sind.146 Nach einer langen Diskussion lehnten die Mehrheit der Literatur sowie Gerichte147 die Anwendbarkeit des Gesetzes ab148 und schlossen damit dieses Finanzierungsprodukt, das in der Praxis große Bedeutung erlangte, aus dem „Mindestprogram“ der Organisation der Anleihegläubiger aus. 5. Keine Einbeziehung von Auslandsanleihen Was den örtlichen Anwendungsbereich des Gesetzes betrifft, bestimmt § 1 Abs. 1 SchVG 1899, dass das Gesetz nur für Anleihen von Emittenten mit Sitz in Deutschland anwendbar ist, die ihre Anleihen ebenfalls in Deutschland ausgestellt haben. Anleihen ausländischer Emittenten oder Auslandsanleihen inländischer Emittenten sind vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen.149 Das Problem dieser Regelung besteht darin, dass dieser Ausschluss eine große Zahl von Anleihen betrifft. Inlandsanleihen stellen eher eine Ausnahme dar.150 Deutsche Unternehmen begeben Anleihen meistens über ausländische Niederlassungen. Es handelt sich bei diesen Niederlassungen um Finanzierungstöchter, die ihren Sitz meistens in den Niederlanden haben und eingeschaltet werden, um Kapital an den internationalen Kapitalmärkten im Wege der Begebung von Anleihen aufzunehmen und an inländische Muttergesellschaften weiterzureichen. Da sie über keine eigenen Vermögenswerte verfü-

auch Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 157. dazu Lorenz/Pospiech, DB 2009, 2419 ff. 147  Siehe OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.04.2006 – 20 W 158/06, ZIP 2006, 1388. 148  Abgelehnt wurde auch die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des Gesetzes. 149  Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S.  645; Bredow/Vogel, ZBB 2009, 221 (222); Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 1 Rn. 74; Veranneman, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., Einf., Rn. 9; Horn, BKR 2009, 446 (447); Leuering/ Zetzsche, NJW 2009, 2856 (2857); Grieser, Kreditwesen 2008, 397; Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (529); Than, in: FS Coing, S. 521 (524); Podewils, DStR 2009, 1914. 150  Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 57. 145  So

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

gen, sind die Anleihen mit einer Garantie der Muttergesellschaften besichert.151 Faktisch handelt es sich um inländische Anleihen.152 Der Einsatz ausländischer Finanzierungstochtergesellschaften macht allerdings die Anwendbarkeit des SchVG 1899 nicht möglich153, und zwar selbst dann, wenn die Anleihebedingungen die Wahl des deutschen Sachrechts vorsehen.154 III. Reformbedarf Die Regelungen des SchVG 1899, insbesondere § 1 Abs. 1, § 11 Abs. 1 und § 12 Abs. 3, sind für die umfassende Anleiherestrukturierung, wie die Praxis zeigt, nur bedingt geeignet.155 Obwohl der historische Gesetzgeber die Lösung des Kollektivhandlungsproblems der Anleihegläubiger in der Ermöglichung von Mehrheitsentscheidungen mit bindender Kraft für alle richtig erkannt hat, ist es ihm nicht gelungen, seine Furcht vor der Missbrauchsgefahr durch die Mehrheit zu überwinden.156 Er schließt eine große Zahl von Anleihen aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes aus und schränkt erheblich die Kompetenz der Anleihegläubigermehrheit dadurch ein, dass er sachliche Grenzen, vor allem in Form des Verbots des Kapitalverzichts, be151  Hopt, in: FS Steindorff, S. 341 (344 f.); Bredow/Vogel, ZBB 2009, 221 (222); Schneider, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 69 (74); Klerx/Penzlin, BB 2004, 791 (792); Heldt, in: FS Teubner, S. 315 (316); Schlitt/Schäfer, AG 2009 477 (478); Leuering/Zetzsche, NJW 2009, 2856 (2857); Bliesener/ Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, Einf., Rn. 5. Diese Form der Kapitalbeschaffung wird u. a. wegen der im Ausland geltenden Sondervorteile sowie wegen der niedrigeren regulatorischen Anforderungen gewählt, Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juni 2017, 17 (18) Fn. 2; zu steuerrechtlichen Vorteilen einer indirekten Emission Schlitt/Schäfer, CFl 2010, 252 (253); Meiisel/Bokeloh, CFl 2010, 35 (36, 39 f.). Für eine empirische Studie dazu siehe ­Eidenmüller/Engert/Hornruf, in: Behrens/Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse des Europarechts, S.  233 ff.; dies., ECGI Working Paper Series in France No. 292/2010. 152  Vgl. auch Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 155 f. 153  Hopt, in: FS Steindorff, S. 341 (347 ff.); Klerx/Penzlin, BB 2004, 791 (792); Baums, ILF Working Paper Series No. 52, 2006, S. 13; Bliesener, in: FS Hopt, S. 355 (361). 154  Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 1 Rn. 74; Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (529); vermittelnder Ansicht Than, in: FS Coing, S. 521 (524). Möglich wäre dann in Bezug auf die Koordination der Anleihegläubiger nur die Anwendung des deutschen allgemeinen Schuldrechts. Das BGB sieht aber keinen Koordinationsmechanismus vor. Dazu siehe Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 155 f. 155  Vogel, ZBB 2010, 211 (212); siehe auch Horn, ZHR 173 (2009), 12 (26 f.); Simon, CFl 2010, 159. 156  So auch Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 162; vgl. auch Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 57.



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stimmt.157 Dem Gesetz wird bewusst eine sehr bescheidene Rolle zugewiesen. Das SchVG 1899 wird nicht anders wahrgenommen als ein spezielles Regelwerk des Insolvenzrechts158, nach dem den Anleihegläubigern zwar erlaubt ist, organisiert aufzutreten, aber eher nur formal und auf keinen Fall präventiv schützend.159 Die Anleihegläubigermehrheit wird so engen Grenzen ausgesetzt, dass man sagen könnte, die eigentliche Idee, die ursprünglich im Gesetzesentwurf präsentiert wurde, nämlich die Anleihegläubiger wie einen rechtlichen Verband zu organisieren, im Endergebnis nicht anerkannt wurde. Auf Grundlage des SchVG 1899 identifiziert man einen Mehrheitsbeschluss in erster Linie als Mittel zur Einschränkung der Rechte und nicht als Erweiterung der Möglichkeiten für die Anleihegläubiger. Mit dieser Einstellung fokussierte der historische Gesetzgeber zu sehr auf die Bestimmungen zum Schutz der Minderheit und schloss faktisch aus, dass der Grundsatz der Handlungsfähigkeit der Anleihegläubiger eine reale Entwicklung auf gesetzlicher Ebene bekam. Auf die Restrukturierungsoptionen, die das Gesetz vorgesehen hat, griff man in der Praxis bis zum Inkrafttreten des neuen SchVG 2009 selten zurück. Ausnahmen sind Fälle zu Beginn des 20. Jahrhunderts, so z. B. beim Zusammenbruch der „Spielhagen-Banken“, bei der Sanierung einzelner Hypothekenbanken und der Reorganisation der Allgemeinen Deutschen Kleinbahngesellschaft sowie später in den 30er Jahren (nach der Erweiterung des Anwendungsbereichs des SchVG 1899 auf Gemeinden durch die Verordnung des Reichspräsidenten vom 24. September 1932) bei der Restrukturierung der kommunalen Anleihen der Städte Frankfurt am Main, Köln und Dresden. Genannt werden können aus jüngerer Zeit nur die Fälle Südmilch AG (1993), EM.TV Merchandising AG (2000), Rinol AG (2003), Deutsche Nickel AG (2004) und Augusta Technologie AG (2004).160 Für ein Gesetz, das über 157  Nach dem SchVG 1899 sind nur die Stundung sowie der Verzicht hinsichtlich der Zinsforderung, die Stundung der Hauptforderung, die Beschränkung der Kündigungsrechte sowie die Freigabe von Pfändern zulässig, dazu Regierungsbegründung v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 912; Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (223). 158  Cranshaw, BKR 2008, 504; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 167. 159  Klerx/Penzlin, BB 2004, 791 (793); Leuering/Zetsche, NJW 2009, 2856 (2857); kritisch auch Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477. 160  Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 23; Schneider, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 69 (77 ff.); Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (223); Hopt, in: FS Schwark, S. 441, Fn. 2; Oulds, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 1 Rn. 1; Grieser, Kreditwesen 2008, 397. Nicht in allen diesen Fällen erfolgte eine erfolgreiche Anleiherestrukturierung nach dem SchVG 1899. Die Restrukturierungsoptionen des Gesetzes reichten für die Rinol AG und die Augusta Technologie AG,

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

100 Jahre lang existierte, und angesichts der großen Bedeutung von Anleihen als Finanzierungsinstrumente ist dies ein unbefriedigendes Ergebnis. Faktisch hatte das Gesetz keine Bedeutung161; es wurde zu Recht als „totes Recht“162 bezeichnet. Es war so offensichtlich geworden, dass das Schuldverschreibungsrecht reformiert werden muss, und zwar grundlegend. IV. Das Problem der Stärkung der internationalen Konkurrenzfähigkeit des deutschen Rechts Der zu enge Geltungsbereich von Mehrheitsklauseln nach dem SchVG 1899 führte zu einem weiteren Problem: Das deutsche Recht der Anleihe­ restrukturierung zeigte im internationalen Wettbewerb keine Konkurrenz­ fähigkeit. Nach einer empirischen Studie bezogen auf den Europa-Raum wies Deutschland im Zeitraum 1980 bis 2008 den höchsten Abfluss von grenzüberschreitenden Anleiheemissionen auf, während die Niederlande, das Vereinigte Königreich, Luxemburg und Irland die höchsten Zuflüsse auf sich zogen.163 Die Ergebnisse der Studie zeigten also, dass Deutschland kein ­attraktiver Emissionsstandort im europäischen Markt für Unternehmensanleinicht dagegen für die EM.TV Merchandising AG (Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (223); Sester, AcP 209 (2009), 628 (632)). Man versuchte, auf eine Restrukturierung außerhalb des SchVG 1899 auszuweichen, entweder durch ein Umtauschangebot (EM.TV Merchandising AG) oder durch eine Sanierungsmigration in die englische Rechtsordnung durch den Wechsel des Satzungssitzes nach England (Deutsche Nickel AG; diesen Weg hat auch die Schefenacker AG 2004 gewählt, deren Anleihe nach New Yorker Recht begeben wurde; siehe dazu Steffek, in: FS Hopt, S. 2597 (2601); Lürken, in: Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap.  5 Rn.  262 ff.; Meier/Schauenburg, CFl 2012, 161 (162)). Die Deutsche Nickel AG und die Schefenacker AG wählten das Migrationsmodell, um Anleihen im Wege eines Company Voluntary Agreement restrukturieren zu können. Aber auch diese Option wurde bald unmöglich. 2006 entschied der High Court of Justice, dass eine bloße Verlegung des Satzungssitzes nach England, um das „Ausweichen“ auf das englische Insolvenzrecht zu ermöglichen, nicht mehr ausreicht. Entscheidend ist, ob der Mittelpunkt der geschäftlichen Interessen und Aktivitäten in England liegt (Hans Brochier Holdings Ltd. v. Exner, Case No. 5618/06 [2006] EWHC 2594 (CH)); dazu Bredow/ Vogel, ZBB 2008, 221 (224); Meier/Schauenburg, CFl 2012, 161 (162, Fn. 13). 161  Schlitt/Schäfer, AG 2007, 477 (478); Klerx/Penzlin, BB 2004, 791; Cranshaw, BKR 2008, 504; Horn, BKR 2009, 446; Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (222); Hopt, in: FS Schwark, S. 441. 162  Baums, ZHR 177 (2013) 807; Heldt, in: FS Teubner, S. 315 (316). 163  Eidenmüller/Engert/Hornruf, in: Behrens/Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse des Europarechts, S. 233 (235); dies., ECGI Working Paper Series in France No. 292/2010, S. 3.



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hen war. Dem Gesetzgeber war diese Entwicklung bekannt. Er erkannte, dass die Wahl des deutschen Rechts für internationale Anleihen keine wahre Alternative darstellt. Die Schwächen des SchVG 1899 hatten eine starke Abwanderung in fremde Rechtsordnungen zur Folge.164 Mehrere Anleihen, insbesondere Hochzinsanleihen (High Yield Bonds), wurden nach englischem oder New Yorker Recht begeben.165 Dieses Problem hat der Gesetzgeber im Rahmen der Reform des Schuldverschreibungsrechts ausdrücklich angesprochen. So heißt es in der Begründung des Referentenentwurfes des neuen SchVG aus dem Jahr 2008: „Dabei wird nicht verkannt, dass sich bei den internationalen Anleihen, die der freien Rechtswahl unterliegen, weltweit eine eindeutige Vormachtstellung des angloamerikanischen Vertragsrechts herausgebildet hat. Dem kann offenbar allein mit dem Hinweis auf die im deutschen Recht geltende Vertragsfreiheit nicht begegnet werden.“166 Dass das deutsche Recht durch schwache Konkurrenzfähigkeit gekennzeichnet ist, war außerdem Gegenstand der Besprechung auf internationaler Ebene. Den Anstoß für die Diskussion gaben Verschuldungskrisen in Schwellenländern in den 1990er Jahren (Mexiko, Russland, Brasilien, Asien, Argentinien, Uruguay) und insbesondere die Erkenntnis, dass Regelungsmechanismen zur Umschuldung von Anleihen der Staaten, die in eine Zahlungsnot geraten sind, nicht effektiv waren.167 Im Rahmen der Debatte über mögliche Umschuldungsmechanismen wurden mehrere Vorschläge präsentiert, einer davon vom Internationalen Währungsfords (im Folgenden „IWF“). Der IWF bestand auf die Schaffung eines internationalen Insolvenzrechts für Staaten 164  Cagalj,

Restrukturierung von Anleihen, S. 57. AG 2009, 477 (479); Schlitt/Hekmatt/Kasten, AG 2011, 429; Balz, ZBB 2009, 401 (403, 409); Plepelits, CFl 2010, 119 (121); Meier/Schauenburg, CFl 2012, 161 (163); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, Einf., Rn. 12; Lürken, CFl 2011, 352; Lerche/Plank, in: Baur/Kantowsky/Schulte, Stakeholder Management in der Restrukturierung, S. 177 (196); Wilkinson/Wood/Bright et al., Marblegate: what does it mean for European restructurings?, siehe Fn. 1 (Verweis auf Xtract Research), abrufbar unter: ­https://eurorestructuring.weil.com/overseas-jurisdiction/marblegate/; DAV, Stellungnahme zum RefE Nr. 41/2008, S. 3. 166  Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Anleihen und zur Anpassung kapitalmarktrechtlicher Verjährungsvorschriften v. 09.05.2008, S. 20; siehe auch Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 13. 167  Vgl. Schneider, in: Baums/Cahn, Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 70; Sester, AcP 209 (2009), 628 (632); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, Einf., Rn. 14; Horn, in: FS Nob­be, S. 601 (616 f.); Keller, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 159 (159); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 59; Bergfort, Die Bank 2006, Nr. 11, S. 24. 165  Schlitt/Schäfer,

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

sowie die Gründung eines internationalen Insolvenzgerichtshofs (Sovereign Debt Restructuring Mechanism)168. Diesem Vorschlag wurde aber nicht gefolgt. Der Plan des IWF wurde damals als „misguided“ und sogar als „a thinly veiled attempt to usurp power“ betrachtet.169 Bevorzugt wurde dagegen die Idee der Group of 10 (im Folgenden „G-10“), die von der Lösung auf vertraglicher Basis ausging. Auf Grundlage des sog. Rey-Report aus dem Jahr 1996170 empfahl die G-10 2002171, Standardklauseln in die Anleihebedingungen internationaler Staatsanleihen, die per Mehrheitsentscheidung eine einheitliche Willensbildung der Anleihegläubiger in der ex-post-Phase zum Zwecke einer Anleiherestrukturierung (sog. Collective Action Clauses) ermöglichen, aufzunehmen.172 Entsprechend diesen Empfehlungen verpflichteten sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im April 2003, Collective Action Clauses in Staatsanleihen aufzunehmen.173 In dem Empfehlungsbericht der G-10 wurde zusätzlich eine sehr wichtige Bemerkung zum deutschen Recht der Anleiherestrukturierung gemacht: „As far as Germany is concerned, statutory rules exist for domestic issuance. However, some market participants are of the view that legislative clarification would be necessary to support the validity of such clauses in sovereign bonds governed by German Law. While the German government has confirmed in public the validity of such clauses in sovereign bond issues, further legal clarification is now underway in order to encourage and promote the use of collective action clauses in foreign bonds issued in Germany.“174 168  Siehe den Aufsatz des IWF „The Design of Sovereign Debt Restructuring Mechanism – Further Considerations“ v. 27.11.2002, abrufbar unter: http://www.imf. org/external/np/pdr/sdrm/2002/112702.pdf. 169  Choi/Gulati, 22 IFLR 15 (2003); siehe auch Horn, ZHR 173 (2009), 12 (28); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, Einf., Rn. 15; Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (696 ff.); Hartwig-Jacob, in: FS Horn, S. 717 f.; Keller, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (165); Sester, AcP 209 (2009), 628 (631). 170  Group of Ten: The Resolution of Sovereign Liquidity Crises v. Mai 1996, siehe insbesondere S. 15 ff., abrufbar unter: http://www.bis.org/publ/gten03.pdf. Zum ReyReport siehe Audit, in: Paulus, A Debt Restructuring Mechanism for Sovereigns, S.  216 f.; Keller, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (164 f.). 171  Siehe Report of the G-10 Working Group on Contractual Clauses v. 26.09.2002, abrufbar unter: http://www.bis.org/publ/gten08.pdf. 172  Horn, ZHR 173 (2009), 12 (28); Sester, AcP 209 (2009), 628 (631); Bliesener/ Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, Einf., Rn. 17, 28 ff.; Hartwig-Jacob, in: FS Horn, S. 717 (717 f., 721 ff.). 173  Siehe dazu „Implementation of the EU commitment on Collective Action Clauses in documentation of International Debt Issuance“ v. 12.11.2004, ECFIN/CEFCPE (2004) REP/50483 final des Economic and Financial Committee; zum ESM-Vertrag v. 02.02.2012 siehe auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, Einf., Rn. 34 ff.



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 71

Aus Sicht der G-10 bestand also Zweifel darüber, ob man Mehrheitsklauseln in Anleihebedingungen nach deutschem Recht wirksam einbeziehen konnte. Die dem Bericht vorausgehenden Erklärungen der Bundesregierung und der Bundesbank, es bestünden keine rechtlichen Bedenken gegen die Aufnahme von solchen Mehrheitsklauseln in Anleihen ausländischer Emittenten175, hatten keine Wirkung gezeigt. Sie hatten also nicht geholfen, den bestehenden rechtlichen Zweifel zu überwinden. Diesen Zweifel hatte auch der IWF. Die Rechtsabteilung des IWF erstellte einen Bericht, in dem die rechtliche Zulässigkeit von Mehrheitsklauseln unterschiedlicher Rechtsordnungen, die damals auf dem Markt für Auslandsanleihen dominierten, geprüft wurde. Untersucht wurden dabei New Yorker Recht, englisches, japanisches sowie deutsches Recht. Hinsichtlich des deutschen Rechts enthielt der Bericht die Anmerkung, dass Auslandsanleihen, die deutschem Recht unterlägen, mit dem Problem der Anwendbarkeit des AGBRechts (§§ 305 ff. BGB) konfrontiert sein könnten und es nicht ausgeschlossen sei, dass bestimmte Mehrheitsklauseln wegen der Verletzung des „standard of fairness“ von Gerichten als unwirksam angesehen werden könnten. Dies sei der Grund, warum die Praxis auf Mehrheitsregelungen in Anleihebedingungen ganz verzichtet habe.176 Dieses negative Statement auf der internationalen Ebene konnte der deutsche Gesetzgeber nicht außer Acht lassen. Die Berichte der G-10 und des IWF wurden zum unmittelbaren Anstoß für die Reform des deutschen Schuldverschreibungsrechts.177 Das Ziel des Gesetzgebers bestand also nicht bloß in der Erweiterung der Kompetenz der Anleihegläubiger, um eine umfassende Anleiherestrukturierung zu ermöglichen, sondern in dem Schutz des Finanzplatzes Deutschland. Es war erkannt, dass die Attraktivität des deutschen Rechts als governing law für internationale Anleihen gestärkt werden 174  Report of the G-10 Working Group on Contractual Clauses v. 26.09.2002, S. 4 Fn. 3, abrufbar unter: http://www.bis.org/publ/gten08.pdf. 175  Erklärung der Bundesregierung zur Zulässigkeit von Umschuldungsklauseln bei ausländischen Staatsanleihen, die deutschem Recht unterliegen, v. 14.02.2000, in: Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank 1999, S. 117; dazu auch die Erklärung der Bundesbank im Monatsbericht (Dezember 1999), S. 48 f. Siehe auch Sester, AcP 209 (2009), 628 (631). 176  Siehe IWF, The Design and Effectiveness of Collective Action Clauses v. 06.06.2002, S. 7 f. abrufbar unter: https://www.imf.org/external/np/psi/2002/eng/ 060602.pdf. Zum Problem der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht siehe Hopt, in: FS Steindorff, S. 341 (370 ff.); Bliesener, in: FS Hopt, S. 355 (361); ders./Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 3 Rn. 19 ff.; Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 (401 f.); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (809 f.); v. Randow, in: Baums/Cahn, Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 ff. 177  Siehe auch Schneider, in: Baums/Cahn, Reform des Schuldverschreibungsrechts, 69 (72); Horn, BKR 2009, 446 (447); Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (529 f.).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

musste, und dass die Erreichung dieses Ziels wiederum die Erweiterung der Aktionsfähigkeit der Anleihegläubiger voraussetzte. So heißt es in der amt­ lichen Begründung zum Entwurf des neuen SchVG: „International war … bezweifelt worden, ob übliche Umschuldungsklauseln (sogenannte Collective Action Clauses – CAC) nach deutschem Recht zulässig sind. Diese Zweifel sollen beseitigt werden. Da die Märkte für Schuldverschreibungen interna­ tional geworden sind, soll das Schuldverschreibungsrecht international üblichen Anforderungen soweit wie möglich angepasst werden … Damit wird zugleich eine entsprechende Forderung der Group of Ten (G10) erfüllt. CACs … sind, soweit sie vom gesetzlichen Leitbild des Entwurfs nicht erheblich abweichen, nunmehr eindeutig auch nach deutschem Recht zu­ lässig.“178 Nach mehr als 100 Jahren nach dem ersten Entwurf des SchVG 1899 entschloss sich der Gesetzgeber, umfassende Mehrheitsklauseln in Anlehnung an die Praxis des internationalen Anleihemarktes zu erlauben. Ohne diesen Weg war eine Rettung des Ansehens des deutschen Rechts nicht vorstellbar.

B. Mehrheitsprinzip im SchVG 2009: Stärkung der Anleihegläubigerrechte Am 5. August 2009 trat das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemission in Kraft, also das neue Schuldverschreibungsgesetz (SchVG 2009).179 Das alte SchVG 1899 war aufgehoben; es gilt allerdings noch für die Anleihen, die vor dem 5. August 2009 ausgegeben wurden (Altanleihen, siehe § 24 Abs. 1 SchVG 2009).180 178  Begr.

RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 1, 14. über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung v. 31.07.2009 (BGBl. I S. 2512), Art. 1, zuletzt geändert durch Art. 24 Abs. 21 des Gesetzes v. 23.06.2017 (BGBl. I S. 1693), in Kraft getreten am 05.08.2009. Zur Begründung des Gesetzes siehe Referentenentwurf (RefE) v. 09.05.2008 (abgedruckt in ZBB 2008, 200–214) und Regierungsentwürfe v. 20.02.2009 (BR-Drs. 180/09) und v. 20.04.2009 (BT-Drs. 16/12814). Frühere Entwürfe des Bundesministeriums aus den Jahren 2003, 2004 und 2006 sind nicht veröffentlicht (erwähnt von Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (224 f.); Sester, AcP 209 (2009), 628 (632 f.); Horn, BKR 2009, 446 Fn. 4; Schlitt/ Schäfer, AG 2009, 477; Kusserow, WM 2011, 1645; Baums/Schmidtbleicher, ILF Working Paper Series No. 131, 1(6) (2012); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, Einf., Rn. 21 ff.; Heldt, in: FS Teubner, S. 315 (317); Schneider, in: Baums/Cahn, Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 69). 180  Die Gläubiger der Altanleihen können im Wege eines Mehrheitsbeschlusses mit Zustimmung des Emittenten das neue SchVG 2009 mit seinen Restrukturierungsoptionen für anwendbar erklären, § 24 Abs. 2 SchVG 2009. 179  Gesetz



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 73

Der Gesetzgeber wollte das Recht der Schuldverschreibungen neu regeln; er verkündete als Ziel der Reform die Abkehr vom restriktiven Modell des SchVG 1899 sowie die Erweiterung der Kompetenz der Anleihegläubiger, um ihnen den notwendigen Handlungsspielraum zu ermöglichen.181 Dafür sollten nach der Idee des Gesetzgebers die bekannten Schwächen des alten Schuldverschreibungsrechts, insbesondere der zu enge Anwendungsbereich des Gesetzes, beseitigt und die Regelungen an international übliche Anforderungen angepasst werden, damit das neue Gesetz konkurrenzfähig sein könne.182 I. Korrektur der Regelung hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Gesetzes 1. Geltung für Auslandsanleihen Um das von der G-10 angesprochene Problem der Einbeziehung von Auslandsanleihen zu lösen, verzichtete der Gesetzgeber auf die Einschränkung bezüglich des örtlichen Anwendungsbereichs des Gesetzes.183 Nach dem neuen SchVG 2009 ist es irrelevant, wo der Emittent seinen Sitz hat. Ebenso wenig entscheidend ist es, wo Anleihen platziert oder verwahrt sind. Wichtig ist nur, dass Anleihen nach deutschem Recht begeben sind (§ 1 Abs. 1 SchVG 2009).184 D. h. auch Anleihen von Emittenten mit Sitz im Ausland können nach dem SchVG 2009 restrukturiert werden, soweit sie deutschem Sachrecht unterstellt sind.185 Dies ermöglicht die Einbeziehung „formal ausländischer“ Anleihen deutscher Konzerne, die vor allem aus steuerlichen Gründen über ausländische Finanzierungsvehikel mit einer Garantie der Konzernmutter begeben werden.186

Vogel, ZBB 2010, 211 (212). RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 1, 13. 183  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 14. 184  Im RefE v. 09.05.2008 war dieses Kriterium nicht enthalten. Es wurde aufgrund der Empfehlung des Deutschen Anwaltvereins (DAV, Stellungnahme zum RefE Nr. 41/2008, S. 7) in die Regierungsentwürfe aufgenommen. 185  Baums/Schmidtbleicher, ILF Working Paper Series No. 131,1 (4) (2012); Horn, BKR 2009, 446 (447); zur Rechtswahlfreiheit siehe Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 1 Rn. 73; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (479); Weiß, ILF Working Paper Series No. 136, S. 3 (2013). 186  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 13; dazu auch Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (478 f.); Simon, CFl 2010, 159. 181  Vgl.

182  Begr.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

2. Keine Einschränkung hinsichtlich des Nennwerts Verzichtet hat der Gesetzgeber auch auf die Anknüpfung an den Nennwert der Schuldverschreibungen. Irrelevant für die Anwendbarkeit des neuen Gesetzes ist nun, in welchem Gesamtnennwert Schuldverschreibungen ausgegeben sind und insbesondere wie groß die Zahl der ausgegebenen Stücke ist. Dies bedeutet, dass das Gesetz auch dann eingreifen kann, wenn die Zahl der Erwerber der Schuldverschreibungen übersichtlich ist und der Emittent nicht dem Problem ausgesetzt ist, einer großen, anonymen Masse der Gläubiger gegenüberzustehen.187 Im Unterschied zum SchVG 1899 betrachtet das neue Gesetz die Notwendigkeit der Änderung von Anleihebedingungen nicht mehr im Zusammenhang mit der Lösung des von Mancur Olson entdeckten Problems der Selbst­ organisation von großen Gruppen188, sondern ausschließlich als Folge der Wirkung von zwei Parametern der Anleihe im unorganisierten Zustand, nämlich der Zukunftsbezogenheit des Anleihevertragswerkes und des VetoRechts jedes einzelnen Gläubigers bei der Geltung des Einstimmigkeitsprinzips, also von Parametern, die auch in kleinen Gruppen ihre Hinderniswirkung zeigen können. Im Wege der Reform des Schuldverschreibungsrechts entfiel u. a. auch die Einschränkung des § 1 SchVG 1899, dass der Nennwert der Schuldverschreibungen bei deren Ausstellung im Voraus bestimmt sein muss. Die Aufhebung dieser Einschränkung bedeutete, dass das neue Gesetz nun auch auf Genussscheine anwendbar ist189, für die der Weg einer Restrukturierung lange Zeit gerade ausgeschlossen war. 3. Nachträgliche Einbeziehung der Altanleihen Eine der wichtigsten Vorschriften ist die Übergansregelung des § 24 SchVG 2009 geworden. 187  Kritisch dazu Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (226). Wichtig ist anzumerken, dass die Anwendbarkeit des Gesetzes für die Frage entscheidend ist, ob zwingende Vorschriften der §§ 2–4 SchVG 2009 eingreifen. Ist der sachliche Anwendungs­ bereich eröffnet, führt dies nicht automatisch zu der Möglichkeit der Änderung der Anleihebedingungen im Wege eines Mehrheitsbeschlusses, da der Emittent diese Option ausschließen kann. 188  Mancur Olson vertritt in seiner Arbeit „Die Logik des kollektiven Handels“ die Ansicht, dass Mitglieder einer großen Gruppe kollektiv irrational handeln, wenn sie versuchen, ihre persönliche Wohlfahrt zu maximieren, und dass diese These nicht für kleine Gruppe gilt; siehe dazu Olson, Die Logik des kollektiven Handelns, S. 2 f., 35. 189  BGH, Urt. v. 01.07.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876 (1877).



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 75

§ 24 Abs. 1 S. 1 SchVG 2009 regelt, dass das Gesetz keine Anwendung auf Schuldverschreibungen findet, die vor seinem Inkrafttreten ausgegeben wurden, d. h. vor dem 5. August 2009.190 Für Altanleihen gilt nach § 24 Abs. 1 S. 2 SchVG 2009 weiter das alte SchVG 1899. § 24 Abs. 2 SchVG 2009 sieht allerdings eine zusätzliche Option für die Gläubiger von Altanleihen vor: Es besteht die Möglichkeit, Altanleihen durch den sog. nachtäglichen Opt-in in den Geltungsbereich des neuen Gesetzes einzubeziehen. Mit Zustimmung des Emittenten erlaubt das Gesetz den Gläubigern von Altanleihen, die Anleihebedingungen der Geltung des SchVG 2009 zu unterstellen, falls eine qualifizierte Mehrheit diesem Opt-in zustimmt. Wird ein Opt-in-Beschluss gefasst, können die Anleihegläubiger von dem erweiterten „Restrukturierungsprogramm“ des neuen Gesetzes (siehe § 5 Abs. 2 SchVG 2009) Gebrauch machen, d. h. z. B. die Hauptforderung reduzieren oder über einen Umtausch ihrer Forderungen in Gesellschaftsanteile des Emittenten (debt-equity-swap) beschließen, was nach dem alten SchVG nicht möglich war.191 Einige Zeit blieb allerdings eine nachträgliche Einbeziehung von Altanleihen „gesperrt“. Für Unternehmen wie Q-Cells SE und Pfleiderer AG führte dies zu gravierenden Folgen: Sie wurden gezwungen, Insolvenzanträge zu stellen.192 Der Grund dafür bestand darin, dass Gerichte die Vorschrift des § 24 Abs. 2 S. 1 SchVG 2009 sehr restriktiv auslegten. Sie betrachteten den Opt-in nur für Altanleihen als zulässig, die bereits vom Anwendungsbereich 190  Mit dem Tag der Ausgabe wird der Tag gemeint, an dem Schuldverschreibungen als begeben gelten. Maßgeblich ist damit der Zeitpunkt der Entstehung der verbrieften Forderung, der die Errichtung der Urkunde sowie den Abschluss eines Begebungsvertrages voraussetzt, der eine Doppelfunktion erfüllt: Zum einen ist der Begebungsvertrag ein schuldrechtlicher Vertrag, der eine Einigung über die Begründung der im Wertpapier verkörperten Forderung enthält, zum anderen ist der Begebungsvertrag ein dinglicher Vertrag, kraft dessen der Emittent als Aussteller das Eigentum an der Urkunde auf den ersten Nehmer überträgt. Bei der Begebung der Anleihen im Rahmen der Fremdemission, d. h. unter Einschaltung eines Bankenkonsortiums, ist der Tag der Ausgabe der Tag der Übernahme der Schuldverschreibungen nach dem Übernahmevertrag (Subscription Agreement). Im Wertpapierprospekt wird der Emissionstermin (Issue Date) angegeben. Siehe dazu Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 24 Rn. 3; Hartwig-Jacob/Friedl, in: FraKommSchVG, § 24 Rn. 5 f.; Veranneman, in Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 24 Rn. 4. 191  Erforderlich sind zwei Beschlüsse, ein Opt-in-Beschluss und ein Ausführungsbeschluss. Alternativ sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, im Wege der Fassung (nur) eines Mehrheitsbeschlusses über den Austausch der alten Schuldverschreibungen gegen neue Schuldverschreibungen mit geänderten Anleihebedingungen zu entscheiden, § 24 Abs. 2 SchVG 2009. Dazu ausführlich siehe Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 24 Rn. 8 ff. 192  Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (908); Meier/Schauenburg, CFl 2012, 161 (164).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

des alten SchVG 1899 erfasst waren.193 Der BGH hat in seinem Urteil (erst) im Jahr 2014 (im Zusammenhang mit einem anderen Fall) zu Recht entschieden, dass der Wortlaut, die Systematik, die Entstehungsgeschichte sowie die Intention des Gesetzgebers gegen solche Restriktion sprechen. § 24 Abs. 2 S. 1 SchVG 2009 stellt also eine eigenständige Regelung dar, die die Anwendung des neuen Rechts für alle Altanleihen eröffnet, d. h. auch wenn sie der Geltung des SchVG 1899 nicht unterfallen. Denn der Gesetzgeber – dem bewusst war, dass für eine große Zahl der noch einige Zeit laufenden Altanleihen trotz der Wahl deutschen Rechts keine Restrukturierungsmöglichkeiten zur Verfügung standen – wollte zumindest nachträglich die Befugnisse der Gläubigergesamtheit stärken und sie handlungsfähig machen, damit sie den einzelnen dissentierenden Gläubigern entgegenstehen können.194 „Schuldverschreibungen“ nach § 24 Abs. 2 S. 1 SchVG 2009 sind somit nicht Schuldverschreibungen im Sinne des SchVG 1899, sondern ausschließlich im Sinne des § 1 Abs. 1 des neuen SchVG 2009.195 4. Neue Kriterien des sachlichen Anwendungsbereichs § 1 Abs. 1 SchVG 2009 bestimmte drei neue Kriterien der Anwendbarkeit des Gesetzes. Erfasst sind Schuldverschreibungen aus Gesamtemission, die inhaltsgleich sind und deutschem Recht unterstehen. a) Gesamtemission Der Terminus „Gesamtemission“ entstammt den alten Vorschriften der §§ 795 und 808a BGB, die für das Inverkehrbringen der Schuldverschreibungen eine staatliche Genehmigung als Voraussetzung vorsahen.196 Da die Rolle und die Kontrollfunktion der staatlichen Genehmigung mittlerweile 193  Siehe (Pfleiderer-Fall, Freigabeverfahren) OLG Frankfurt a.  M., Beschl. v. 27.03.2012 – 5 AktG 3/11, WM 2012, 2277 ff.; (Q-Cells-Fall, Freigabeverfahren) LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23.01.2012 – 3-05 O 142/11, ZIP 2012, 474 ff.; dazu kritisch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 24 Rn. 5 ff.; Baums/Schmidtbleicher, ILF Working Paper Series No. 131 (2012), 1 ff.; Meier/Schauenburg, CFl 2012, 161 (164 ff.); Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (908); Keller, BKR 2012, 15 (16 ff.). Zum Restrukturierungsvorgang allgemein Lürken, in: Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 5 Rn.  267 ff. 194  Siehe auch BGH, Urt. v. 01.07.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876 ff. 195  Siehe BGH, Urt. v. 01.07.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876 (1877); dazu bereits Baums/Schmidtbleicher, ILF Working Paper Series No. 131, 1 (4) (2012). 196  Siehe dazu Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 1 Rn. 10.



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 77

kapitalmarktrechtliche Schutzvorschriften übernommen haben und §§ 795 und 808a BGB aufgehoben wurden, findet sich dieser Begriff nicht mehr im BGB.197 Auch im Referentenentwurf aus dem Jahr 2008 wurde vorgeschlagen, diesen Begriff durch den Terminus „Anleihe“ zu ersetzen.198 Dieser Idee wurde nicht gefolgt, da der Gesetzgeber im Endergebnis auf den Begriff der Gesamtemission als eines der Kriterien des sachlichen Anwendungsbereichs abgestellt hat. Anzumerken ist allerdings, dass die Zentralvorschrift des § 5 SchVG 2009, die die materielle Kompetenz der Gläubigermehrheit regelt, wieder von „Anleihe“ spricht. Insbesondere der Vergleich des Gesetzesentwurfs 2008 mit den Entwürfen aus dem Jahr 2009 zeigt, dass der Gesetzgeber diese Begriffe ausschließlich als Synonyme199 verwendet und ihnen gleiche Bedeutung beimisst wie dem Begriff der Gesamtemission im § 151 StGB200. Charakteristisch für eine Gesamtemission ist somit eine Emission einer Vielzahl gleichartiger, untereinander austauschbarer Schuldverschreibungen, die inhaltsgleich sind und deren Kapitalmarktfähigkeit vorausgesetzt werden kann.201 b) Inhaltsgleichheit Ein weiteres Kriterium des sachlichen Anwendungsbereichs stellt die Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibungen dar, die ihre Fungibilität und damit auch Handelbarkeit ermöglicht.202 Nach der Gesetzesbegründung sind Schuldverschreibungen inhaltsgleich, wenn sie „auf denselben Bedingungen beruhen und … in den Bedingungen 197  Art. 1 des Gesetzes zur Vereinfachung der Ausgabe von Schuldverschreibungen v. 17.12.1990, BGBl. I, S. 2839. 198  Dazu auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 1 Rn. 10; Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 Fn. 7. 199  Dafür spricht der identische Text des Abs. 1 im „B. Besonderen Teil, zu § 1 (Anwendungsbereich)“. 200  Siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 16 und Begr. RegE SchVG, BR-Drs. 180/09, S. 23. Nach § 151 Nr. 1 StGB werden Inhaber- und Orderschuldverschreibungen, die Teile einer Gesamtemission sind und die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprechen, dem Papiergeld gleichgestellt. Das Kriterium der Gleichstellung weist auf das massenhafte Vorkommen im Wirtschaftsverkehr und die damit gegebene Ähnlichkeit zu austauschbarem Geld hin; siehe Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397; Preuße, in: Preuße, SchVG, § 1 Rn. 3. 201  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 1 Rn. 12; vgl. auch Preuße, in: Preuße, SchVG, § 1 Rn. 4. 202  Zur Bedeutung der Inhaltsgleichheit siehe BGH, Urt. v. 28.06.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 311, 317; dazu auch Horn, ZHR 173 (2009), 12 (17 f., 44); ders., BKR 2009, 446 (448); Steffek, in: FS Hopt, S. 2597 (2602); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 17.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

gleiche Rechte für alle Schuldverschreibungen vorgesehen sind“.203 Dies ist u. a. der Fall, wenn Schuldverschreibungen nicht zum selben Zeitpunkt, sondern in verschiedenen Tranchen ausgegeben sind, sofern für sie im Übrigen gleiche Bedingungen gelten.204 Entgegen der amtlichen Begründung zum Gesetz sichert die Ausgabe von Schuldverschreibungen in einer Gesamtemission nicht notwendigerweise deren Inhaltsgleichheit. So sind z. B. einzelne Tranchen bei Asset-Backed-Securities, die in unterschiedliche Risikoklassen eingeteilt sind, insbesondere in Bezug auf den Rang der verbrieften Forderung, Sicherheiten und Zinsen, aufgrund des unterschiedlichen Risikogehalts nicht inhaltsgleich. Es liegt bei diesen Produkten keine einheitliche Gesamtemission inhaltsgleicher Schuldverschreibungen im Sinne von § 1 Abs. 1 SchVG 2009 vor. Diese Voraussetzung ist nur innerhalb jeder einzelnen Klasse erfüllt.205 c) Begebung nach deutschem Recht Das letzte Kriterium ist die Begebung von Schuldverschreibungen nach deutschem Recht. Um in den Anwendungsbereich des SchVG 2009 zu fallen, müssen Anleihen der Geltung des deutschen Rechts unterstellt sein. Der Anwendbarkeit des Gesetzes steht dabei nicht automatisch entgegen, dass einzelne Bestimmungen in den Anleihebedingungen die Geltung des ausländischen Rechts vorsehen (partielle Rechtswahl).206 § 1 Abs. 1 SchVG 203  Siehe RegE vom 20.04.2009, BT-Drucks. 16/12814, S. 16. Dabei kommt es nicht auf die Art der Verbriefung oder die Form und den Ort der Urkundenverwahrung an. Ebenso wenig ist entscheidend, ob der Anspruch auf Auslieferung einzelner Wertpapiere besteht, Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 16; dazu auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 1 Rn. 13 f. 204  RegE v. 20.04.2009, BT-Drucks. 16/12814, S. 18. Unterschiedlich ausgestaltet werden bei der Aufstockung einer Anleihe der Emissionspreis und der Verzinsungsbeginn. Diese Unterschiede entstehen aber nur als „technische“ Folge des späteren Emissionszeitpunktes. Sie beseitigen nicht die Inhaltsgleichheit der alten und neuen Schuldverschreibungen, siehe Preuße, in: Preuße, SchVG, § 1 Rn. 9; Vogel, in: Preuße, SchVG, § 5 Rn. 3. 205  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 1 Rn. 14; Oulds, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 1 Rn. 3; Preuße, in: Preuße, SchVG, § 1 Rn. 10. 206  So z. B. in dem sog. Pfleiderer-Fall. Es ging um eine Anleihe eines niederländischen Emittenten, deren Rechtswahlklausel die Geltung des deutschen Rechts ausdrücklich vorsah und nur für einzelne Bestimmungen, nämlich das Aufrechnungsverbot und die Nachrangklausel, das niederländische Recht für anwendbar erklärte. Das LG Frankfurt a. M. verneinte im Freigabeverfahren die Anwendbarkeit des SchVG 2009 wegen der teilweisen Geltung des niederländischen Rechts (Beschl. v. 27.10.2011 – 3-5 O 60/11, ZIP 2011, 2306 (2307)); vom OLG Frankfurt a. M. (­Beschl.



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2009 ist nicht im Sinne eines „Reinheitsgebots“ auszulegen.207 Ausschließ­ liche Rechtswahl zu Gunsten des deutschen Rechts ist nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit des SchVG 2009. Eine begrenzte Teilverweisung auf ausländisches Recht in den Anleihe­ bedingungen ist zulässig. Nach dem BGH bleibt diese Teilverweisung – soweit sie die Entstehung, den Inhalt und den Fortbestand der in der Schuldverschreibung verbrieften Forderung des Anleihegläubigers nicht tangiert – für die Bestimmung des Wertpapierrechtsstatuts, das u. a. nur einer Rechtsordnung zugewiesen werden kann208, unbeachtlich.209 Anleihebedingungen, die die Substanz der verbrieften Forderung nicht betreffen, also die sog. Nebenbestimmungen – selbst wenn sie ausländischem Recht unterstehen –, bestimmen nicht die Rechtswahl und schließen die Anwendbarkeit des SchVG 2009 nicht aus, soweit im Übrigen, d. h. für die wesentlichen Anleihebedingungen, die Geltung des deutschen Rechts ausdrücklich bestimmt wird oder dies zumindest die Auslegung der Anleihebedingungen ergibt.210 d) Fazit: Erweiterung des Anwendungsbereichs des SchVG 2009 Im Unterschied zum SchVG 1899 ist die Identität der verkörperten Rechte für die Anwendbarkeit des neuen Gesetzes nicht ausreichend. Abgesehen von der Voraussetzung, dass Schuldverschreibungen nach deutschem Recht begeben sein müssen, müssen sie zusätzlich aus einer Gesamtemission stammen. Insofern ist der Anwendungsbereich des SchVG 2009 enger gefasst, denn identische Rechte können Schuldverschreibungen vorsehen, ohne dass sie aus ein und derselben Emission stammen.211 Trotz der Geltung dieser Res­ triktion ist es dem Gesetzgeber gelungen, faktisch alle Schuldverschreibunv. 27.03.2012 – 5 AktG 3/11, ZIP 2012, 725 (729)) offen gelassen; bestätigt im Hauptsacheverfahren, LG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.11.2011 – 3-5 O 45/11). Die Klauseln über den Rangrücktritt und das Aufrechnungsverbot im Pfleiderer-Fall betreffen nicht den Fortbestand, und somit nicht die Substanz der verbrieften Forderung. Sie qualifizieren lediglich die Forderung, indem sie ihre Geltendmachung im Insolvenzfall einschränken, und schließen damit nicht die Anwendbarkeit des SchVG 2009, dazu siehe Weiß, ILF Working Paper Series No. 136, S. 11 f. (2013); kritisch auch Keller, BKR 2012, 15 (16). 207  Baums, ZHR 177 (2013), 807 (808 f.). 208  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 1 Rn. 5. 209  Vgl. BGH, Urt. v. 25.10.2005 – XI ZR 353/04, BGHZ 164, 361 (366 f.), ähnliche Fälle in RG, Urt. v. 23.06.1997 – IV 592/26, RGZ 118, 370 ff. und RG, Urt. v. 14.11.1929 – IV 665/28, RGZ 126, 196 ff. 210  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 1 Rn. 5; Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (910). 211  Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (225).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

gen der Geltung des SchVG 2009 zu unterstellen.212 Besondere Bedeutung gewinnt dabei die Übergangsregelung des § 24 Abs. 2 SchVG 2009, die durch einen nachträglichen Opt-in die Einbeziehung einer Altanleihe ermöglicht, und zwar unabhängig davon, ob sie vom Anwendungsbereich des SchVG 1899 erfasst war oder nicht. II. Restrukturierungsoptionen nach dem SchVG 2009 Als zweiten Schritt erweiterte der Gesetzgeber erheblich die materiellen Befugnisse der Anleihegläubiger bei der Fassung von Mehrheitsbeschlüssen. Dies war der Hauptpunkt der ganzen Reform: Zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Rechts war notwendig, gesetzlich festzulegen, dass Mehrheitsklauseln eindeutig zulässig sind. 1. Aufhebung der Einschränkung hinsichtlich der Zweckbestimmung des Mehrheitsbeschlusses Die erste Änderung betraf die Zweckbestimmung des Mehrheitsbeschlusses. Im neuen Gesetz verzichtete der Gesetzgeber ausdrücklich auf eine Regelung, die den Zweck der Mehrheitsentscheidung beschränkte. Die amtliche Begründung zum SchVG 2009 weist darauf hin, dass die Änderung der ­Anleihebedingungen „unabhängig vom Vorliegen eine Krise des Schuldners“ nun möglich ist.213 Eine Anleiherestrukturierung im Wege eines Mehrheitsbeschlusses außerhalb des Insolvenzverfahrens wird nicht mehr ausschließlich als Eingriff in die Rechtsposition dissentierender Anleihegläubiger interpretiert. Der Gesetzgeber spricht vielmehr von der Stärkung der Rechte der Gläubiger.214 2. Keine zeitliche Befristung für Mehrheitsbeschlüsse Des Weiteren verzichtete der Gesetzgeber auf die – durch die Insolvenzrechtsreform im Jahr 1994 in das alte SchVG 1899 eingeführte – zeitliche 212  Vom Anwendungsbereich des SchVG 2009 sind auch (verbriefte) Genussscheine und Namensschuldverschreibungen erfasst, Balthasar, ZHR 183 (2019), 662 (665); vgl. auch BGH, Urt. v. 16.01.2020 – IX ZR 351/18, NJW 2020, 986 (987); BGH, Urt. v. 22.03.2018 – IX ZR 99/17, BB 2018, 1871 (1872). 213  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 14; siehe dazu auch Leuering/Zetzsche, NJW 2009, 2856 (2857); Drygala, WM 2011, 1637 (1638). 214  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 1 („Die Gläubiger sollen gestärkt werden, indem ihre Befugnisse, mit Mehrheit über die Anleihebedingungen zu entscheiden, inhaltlich erweitert werden.“).



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Befristung der Geltung der Beschlüsse auf drei Jahre. Wie die Regelung zur Zweckbestimmung des Beschlusses der Anleihegläubiger wird die Befristung nicht mehr als notwendig zum Schutz der Minderheit betrachtet. 3. Stärkung der kollektiven Rechtsmacht der Anleihegläubiger Die Rolle der Zentralvorschrift wird § 5 SchVG 2009 zugewiesen. In dieser Vorschrift klärt der Gesetzgeber u. a. durch Aufzählung konkreter Optionen, inwieweit die Rechte der Anleihegläubiger zum Zwecke einer Anleiherestrukturierung reichen. a) Mehrheitserfordernisse Hinsichtlich der Mehrheitserfordernisse enthält das neue Gesetz keine wesentliche Abweichung von der Regelung des SchVG 1899: Über die Änderung der wesentlichen Anleihebedingungen kann mit einer Mehrheit von mindestens 75 % der teilnehmenden Stimmen beschlossen werden (§ 5 Abs. 4 SchVG 2009).215 Übernommen wurde auch die Regelung über die Möglichkeit der Einberufung einer zweiten Versammlung zum Zwecke der erneuten Beschlussfassung sowie das zusätzliche Quorum. Im Unterschied zum SchVG 1899 sieht allerdings das neue Gesetz eine Restriktion hinsichtlich der Quorumerfordernisse in einer zweiten Versammlung vor. Es müssen nun mindestens 25 % der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten sein (§ 15 Abs. 3 S. 1 SchVG 2009).216 Außerdem wurden Vorschriften eingeführt, die die Wirkung des Prinzips „nemo iudex in causa sua“ auf die mit dem Emittenten verbundenen Unternehmen (§ 271 Abs. 2 HGB) erweitern und das Anbieten bzw. die Annahme eines Vorteils für die Ausübung des Stimmrechts verbieten (§ 6 SchVG 2009). Neu geregelt wurden auch die Vorschriften über die Versammlung selbst: Der Gesetzgeber ermöglichte zusätzlich eine Abstimmung ohne (physische) Versammlung (§ 18 SchVG 2009).217

215  Anleihebedingungen können eine höhere Mehrheitsquote vorsehen (§ 5 Abs. 4 S. 3 SchVG 2009). 216  Dazu ausführlich Seibt, ZIP 2016, 997 (1006). 217  Nach der Aufforderung zur Stimmabgabe wird der Zeitraum angegeben (mindestens 72 Stunden), innerhalb dessen die Anleihegläubiger ihre Stimmen gegenüber dem Abstimmungsleiter (ein vom Emittenten beauftragter Notar oder der gemeinsame Vertreter) mittels Textform abgeben, dazu Horn, BKR 2009, 446 (452); Steffek, in: FS Hopt, S. 2597 (2612 ff.).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

b) Opt-in-Erfordernis Im neuen SchVG sieht der Gesetzgeber davon ab, Gläubigerrechte de lege lata einzuräumen. Im Gesetz wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass §§ 5 ff. keine zwingenden Vorschriften sind und ihr Anwendungsbereich nur dann eröffnet bzw. die Änderung der Anleihebedingungen im Wege eines Mehrheitsbeschlusses nur dann möglich ist, wenn der Emittent diese Option in den Anleihebedingungen vorsieht (der sog. Opt-in, § 5 Abs. 1 SchVG 2009).218 Über die Grenzen des „Ob“ und des „Wie“ einer Anleiherestrukturierung entscheidet somit der Emittent (Ermächtigungslösung).219 Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung dieser Ermächtigungsvorschrift dem Bedürfnis der Praxis Rechnung tragen, bestimmte Produkte, insbesondere sehr kurzlaufende Schuldverschreibungen (Commercial Papers), ohne Änderungsmöglichkeiten zu begeben.220 Dieses Erfordernis scheint dem Gesetz keine einschränkende Wirkung zu verleihen, denn Anleihebedingungen als Vertragswerk, unabhängig davon, ob Mehrheitsbefugnisse der Anleihegläubiger de lege lata bestehen oder nicht, können nicht allein durch einen entsprechenden Mehrheitsbeschluss geändert werden. Nach dem Grundsatz des § 311 Abs. 1 BGB bedarf die Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses der Zustimmung aller Vertragsparteien. Übertragen auf die Anleihebedingungen bedeutet dies, dass ohne Zustimmung des Emittenten als Schuldner ihr Inhalt, selbst wenn jeder Gläubiger der Restrukturierung zustimmt, nicht geändert werden kann und der Mehrheitsbeschluss keine rechtliche Wirkung für die Anleiherestrukturierung entfaltet. c) Zulässige Gegenstände von Mehrheitsbeschlüssen Der Gesetzgeber beschränkt sich nicht bloß auf eine abstrakte Regelung bezüglich der Möglichkeit der Anleihegläubiger, Anleihebedingungen im Wege von Mehrheitsentscheidungen zu ändern, sondern bereitet einen Katalog möglicher Restrukturierungsoptionen vor. Der Katalog, der nicht als abschließend formuliert wird221, soll die Diskussion über die Zulässigkeit von 218  Siehe auch Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18 („Anders als im SchVG 1899 sind Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger nicht zwingend vorgesehen, sondern es bleibt den Anleihebedingungen überlassen, ob und inwieweit solche möglich sind“); dazu auch Veranneman, in Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 5 Rn. 3. 219  Veranneman, in Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 5 Rn. 4; Friedl, BB 2012, 1102. 220  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18. 221  Siehe § 5 Abs. 3 S. 1 SchVG 2009 „insbesondere“; dazu auch Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (227); Florstedt, WiVerw 2014, 155 (157).



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 83

Mehrheitsklauseln nach deutschem Recht, insbesondere nachdem internationale Institutionen diesbezüglich ihren Zweifel geäußert haben, beenden und, wie es in der amtlichen Begründung heißt, Rechtssicherheit schaffen und das deutsche Recht international attraktiver machen, „denn entsprechende Klauseln sind in international üblichen Anleihebedingungen regelmäßig ent­ halten“.222 aa) Zinssatz (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 SchVG 2009) Die erste im Katalog genannte Maßnahme betrifft die Zinsforderung. Anleihegläubiger können über die Änderung der Fälligkeit, die Verringerung des Zinssatzes oder sogar über den völligen Ausschluss der Zinsforderung beschließen. Da das neue Gesetz keine zeitliche Befristung für die Restrukturierungsmaßnahmen ähnlich wie § 11 Abs. 1 S. 1 SchVG 1899 vorsieht, ist nun auch eine langfristige Stundung bzw. dauerhafte Herabsetzung der Zinsforderung rechtlich zulässig.223 bb) Hauptforderung (§ 5 Abs. 3 Nr. 2, 3 SchVG 2009) Eine weitere und gleichzeitig die wichtigste Option stellt nach dem SchVG 2009 die Möglichkeit der Herabsetzung der Hauptforderung dar (hair cut 224). Die ursprüngliche Idee der Verfasser des SchVG 1899, dass die Pflicht der Minderheit, sich dem Mehrheitswillen zu fügen, eine sachliche Grenze habe und insbesondere ein Verzicht auf Kapitalansprüche nicht gestattet sein dürfe225, wird unter Beachtung der internationalen Erfahrung, die gezeigt hat, dass die mit dieser Restriktion lange Zeit verknüpften Befürchtungen des übermäßigen Missbrauchs durch Mehrheiten grundlos sind, aufgegeben. Nun können die Anleihegläubiger durch Zustimmung zu der (u. a. langfristigen) Stundung oder Herabsetzung der Hauptforderung „einen sub­stantiellen Sanierungsbeitrag“ leisten.226 Ein Sanierungsbeitrag ausschließlich in der Form eines vollständigen Verzichts auf Kapitalforderungen ist andererseits nicht zulässig. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 S. 1 SchVG 2009, der im Unterschied zu Zinsforderungen (Nr. 1) keinen Ausschluss vorsieht (Nr. 2 und 3). 222  Begr.

RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18. Bredow/Vogel, ZBB 2009, 221 (223). 224  Zum Begriff siehe Bratton/Levitin, ILE, Research Paper No. 17-9, 1, 11 (2017); Grell/Splittgerber/Schneider, DB 2015, 111 (114). 225  Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 912. 226  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18. 223  Vgl.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Mit Hilfe der Option der Nr. 3 („Verringerung der Hauptforderung“), die keine prozentuale Begrenzung enthält, kann aber der Effekt eines „fast ganzen“ Zahlungsausschlusses erreicht werden.227 Die Idee des Gesetzgebers besteht offensichtlich darin, eine Restrukturierung der Anleihe als Alternative zum drohenden Totalverlust in der Insolvenz zu ermöglichen. Diese Alternativwirkung fällt im Fall eines Hauptforderungsverzichts, der keinen Ausgleich durch Einräumung weiterer Rechte (wie z. B. bei einem debt-equity-swap) vorsieht, vollständig aus. D. h. selbst wenn die Möglichkeit eines vollständigen Verzichts von Anfang an in den Anleihebedingungen vorgesehen ist, bleibt diese Restrukturierungsoption unzulässig.228 cc) Debt-Equity-Swap (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 Alt. 1 SchVG 2009) Im Wege der Reform des Schuldverschreibungsrechts erlaubte der Gesetzgeber auch einen debt-equity-swap, also einen Umtausch229 (swap) der ­Forderungen aus Schuldverschreibungen (debt) in Gesellschaftsanteile des Emittenten (equity).230 Gehen Anleihegläubiger davon aus, dass der Fortführungswert des Unternehmens des Emittenten höher ist als dessen Zerschlagungswert, können sie sich für den Umtausch entscheiden. Die Anleihegläubiger verzichten auf die Geltendmachung ihrer Forderungen und verringern die Schuldenlast des Emittenten. Das Erlöschen der Forderung entlastet langfristig die Passivseite der Bilanz, die die Aktiva des Unternehmens bis jetzt neutralisierte. Durch das Freiwerden der Aktiva erfolgt der faktische Mittelzufluss, der das Reinvermögen erhöht und dem Emittenten hilft, das Rating zu verbessern und 227  Bredow/Vogel,

ZBB 2009, 221 (227). Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 190. 229  Das Gesetz spricht auch von der Möglichkeit der „Umwandlung“ der Forderungen in Gesellschaftsanteile bei einem debt-equity-swap, was aber nicht möglich ist. Mit einer Umwandlung wird eine Inhaltsänderung der Forderungen gemeint, die eine bloße Vereinbarung zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern voraussetzt. Da aber bei dem Erwerb der Gesellschaftsenteile zusätzlich das Einhalten der Aufbringungsvorschriften (bei einer AG z. B. §§ 27 ff., 183 ff. AktG) erforderlich ist, reicht eine bloße Vereinbarung im Rahmen der „Umwandlung“ nicht aus. Möglich ist nur ein „Umtausch“, der auch die Zustimmung der Altgesellschafter erforderlich macht. Dazu nur Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 1, 5, 22. 230  Zur Diskussion über Wertpapierprospektpflichten bei einem Umtausch in Aktien oder andere Wertpapiere siehe Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 34  ff.; Cahn/Hutter/Kaulamo/ Meyer/Weiß, WM 2014, 1309 (1313 ff.); Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 5 Rn. 56 ff.; siehe auch Lerche/Plank, in: Baur/Kantowsky/Schulte, Stakeholder Management in der Restrukturierung, S. 177 (192 f.). 228  A. A.



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 85

neues Fremdkapital aufzunehmen, um die erforderliche Liquidität zu erhalten.231 Für die Anleihegläubiger bedeutet die Umsetzung des Umtauschs, dass sie Gesellschafter des Emittenten werden232 und die Möglichkeit erlangen, durch ihre Kontroll- und Mitspracherechte Einfluss233 auf das Geschäft des Emittenten während und nach der Restrukturierung zu nehmen, was insbesondere dann wichtig sein kann, wenn die Ursache der Restrukturierung im schlech231  Vgl. Redeker, BB 2007, 673 (674); Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279 (280); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 199 f.; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 30; Friedl, BB 2012, 1102. 232  In diesem Zusammenhang entsteht die Frage, ob der Umtausch gegen Art. 9 GG (negative Vereinigungsfreiheit) verstößt, denn in Folge eines solchen Umtauschs werden auch dissentierende Gläubiger zu Gesellschaftern. Sieht der Beschluss lediglich eine Erwerbsmöglichkeit vor, scheidet ein Verstoß aus. Bei dieser Konstellation handelt es sich um einen freiwilligen debt-equity-swap, d. h. zu Neugesellschaftern werden nur diejenigen, die ihr Erwerbsrecht ausüben. Schuldverschreibungen der opponierenden Anleihegläubiger werden verkauft und die Summe des Erlöses wird über das Depotkonto ausbezahlt; siehe dazu z. B. den Tagesordnungspunkt 5 des Mehrheitsbeschlusses im Pfleiderer-Fall, LG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.11.2010 – 3-5 O 45/11 (openJur 2012, 35344, Rn. 63 ff.); dazu auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 40, 46). Bei einer zwangsweisen Vergesellschaftung bestehen allerdings auch keine Bedenken, solange die erworbenen Anteile frei veräußerlich sind und dem Anleihegläubiger die Möglichkeit zusteht, aus der Vereinigung auszutreten, siehe dazu Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 34 f.; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 5 Rz. 58; siehe auch das Urteil des BVerfG v. 20.07.1954 – 1 BvR 459/52, BVerfGE 4, 7 (26) („Auch wenn man mit der herrschenden Meinung annimmt, dass Art. 2 Abs. 1 oder Art. 9 Abs. 1 GG einen verfassungsrechtlichen Schutz vor Zwangsinkorporierungen in bestimmte Vereine oder Gesellschaften gewähren, würde dieses Grundrecht der ‚negativen Vereinsfreiheit‘ durch die Zwangszuteilung von Aktien nicht verletzt werden. Die Aufbringungsschuldner würden zwar durch die Zuteilung von Aktien formell Mitglieder der betreffenden Aktiengesellschaft. Im Wirtschaftsleben wird die Aktie jedoch überwiegend als bloßes Vermögensrecht angesehen. Das ist um so mehr gerechtfertigt, als sich aus dem Erwerb voll eingezahlter Aktien bestehender Aktiengesellschaften für den Aktionär mitgliedschaftliche Pflichten in aller Regel nicht ergeben.“). Auch das Umwandlungsverbot gegen den Willen des Gläubigers in § 225a Abs. 2 S. 2 InsO hilft nicht weiter und kann nicht i. S. d. „erst recht“-Argumentes verwendet werden, denn diese Regelung des Insolvenzrechts ist auf unterschiedliche Gruppen der Gläubiger geschnitten, die – im Unterschied zu Anleihegläubigern – nicht von Anfang an der kollektiven Bindung unterworfen sind, dazu Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 5 Rz. 59; Friedl, BB 2012, 1103; im Ergebnis auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 43 f.; a. A. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 203 f.; Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 5 Rn. 44. 233  Zur Abgabe eines Pflichtangebots (§§ 29, 35 WpÜG) und der Befreiungsmöglichkeit (§ 37 Abs. 1 WpÜG i. V. m. § 9 S. 1 Nr. 3 WpÜG-AngebVO) siehe Redeker, BB 2007, 673 (677 ff.).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

ten Management des Unternehmens lag.234 Der Hauptvorteil des debt-equityswap besteht dabei darin, dass Anleihegläubiger von einer erfolgreichen Restrukturierung nicht beschränkt auf die Höhe des Nennbetrages der Forderung aus Schuldverschreibungen profitieren. Eine Erhöhung des Unternehmenswertes steht ihnen im Status der (Neu-)Gesellschafter zu.235 Gelingt es dagegen nicht, das Unternehmen des Emittenten zu „rehabilitieren“, und scheitert eine Sanierung, sind die Anleihegläubiger dem Risiko eines Totalverlustes des Investments ausgesetzt. Daher wird ein debt-equity-swap meistens von den Anleihegläubigern dann gewählt, wenn sich keine andere Restrukturierungsmaßnahme als Alternative darstellt und insbesondere keine Sicherheiten zu Gunsten der Anleihegläubiger bestellt sind.236 Rechtstechnisch erfolgt der Umtausch im Wege einer Sachkapitalerhöhung.237 Als Sacheinlage bringen die Anleihegläubiger ihre Forderungen aus Schuldverschreibungen ein.238 Handelt es sich bei dem Emittenten um eine Aktiengesellschaft, erfolgt die Schaffung der neuen, für den Umtausch benötigten Aktien häufig im Wege einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§ 182 Abs. 1 AktG). Da die neuen Aktien nur den Anleihegläubigern zugeteilt werden, muss das Bezugsrecht der Altaktionäre ausgeschlossen werden (§ 186 Abs. 3 AktG). Sowohl hinsichtlich der Kapitalerhöhung als auch hinsichtlich des Bezugsrechtsausschlusses muss die Hauptversammlung jeweils einen Beschluss fassen.239 Insofern sind die Anleihegläubiger auf die Mitwir-

234  Vgl. Redeker, BB 2007, 673; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 31; Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279 (284); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 201. 235  Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279 (280); Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 31. 236  Vgl. Redeker, BB 2007, 673; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 31; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 201. 237  Ist bereits eine Unterbilanz eingetreten, reicht die Durchführung des Umtausches nicht aus. Als erster Schritt muss das Grund- bzw. Stammkapital herabgesetzt werden. Dies erfolgt meistens im Rahmen einer vereinfachten Kapitalherabsetzung (§§ 229 ff. AktG). Die Unterbilanz wird dadurch beseitigt, dass das Grund- bzw. Stammkapital mit den Verlusten verrechnet wird. Ist die Gesellschaft überschuldet, erfolgt eine Kapitalherabsetzung auf Null. Der Beschluss über die Kapitalherabsetzung bedarf einer Mehrheit von drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals (§§ 229 Abs. 3, 222 Abs. 1 S. 1 AktG). Die Möglichkeit der Kapitalherabsetzung besteht auch für die GmbH (§§ 58a, 53 GmbHG). 238  Zivilrechtlich erfolgt die Einlage der Forderung durch Abtretung oder im Rahmen eines Erlassvertrages. Wird die Schuldverschreibung vom Emittenten endgültig aus dem Verkehr gebracht, erlischt die Forderung aufgrund der Konfusion. Dazu siehe Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279 (289); Vogel, ZBB 2010, 211 (213); Friedl, BB 2012, 1106; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 207; RG, Urteil v. 01.04.1935 – IV 179/34, RGZ 147, 233 (243 f.).



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 87

kung der Altaktionäre zwingend angewiesen. Gegen ihren Willen ist ein debt-equity-swap nicht möglich.240 Hieraus ergibt sich ein strategisches Blockadepotenzial für die opponierenden Altaktionäre, die zum Zwecke der Aussetzung der Eintragung ins Handelsregister gegen Beschlüsse Anfechtungsklagen erheben und dadurch die Sicherheit der Transaktion erheblich gefährden können.241 Zwar besteht grundsätzlich die Möglichkeit, im Wege der Durchführung eines Freigabeverfahrens (§ 246a AktG) das Problem der faktischen Registersperre zu umgehen. In Anbetracht der Dauer eines solchen Verfahrens kann dieser Umweg immer noch keine rasche Lösung für den unter starkem Zeitdruck stehenden Emittenten garantieren.242 Selbst wenn es gelingt, einen Konsens mit den Altaktionären zu finden und sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, dem debt-equity-swap zuzustimmen, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich eine opponierende Minderheit auch auf der Seite der Anleihegläubiger bilden kann, die dem Umtausch ebenfalls im Wege eines Beschlusses zustimmen müssen. Dieser Beschluss ist auch einem Anfechtungsrisiko ausgesetzt (§ 20 SchVG 2009). Die Sicherheit der Transaktion setzt somit eine Koordination sowohl auf gesellschaftsrechtlicher Ebene als auch auf der Ebene der Anleihegläubiger voraus. Ein weiteres Risiko aus Sicht der Anleihegläubiger stellt die Gefahr einer Nachschusspflicht nach den Grundsätzen der Differenzhaftung dar, falls der Wert der verbrieften Forderung, die als Sacheinlage bei der Sachkapitalerhöhung eingebracht wird, zu hoch angesetzt wird.243 Nach dem Grundsatz der 239  Beschlüsse bedürfen einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals, §§ 182 Abs. 1 S. 1, 186 Abs. 3 S. 3 AktG; zum Kapitalerhöhungsund Bezugsrechtsbeschluss siehe Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279 (280 ff.); Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 5 Rz. 51 ff.; Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238 (241). 240  Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983; Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279 (282); Redeker, BB 2007, 673 (675). Zu beachten ist andererseits, dass Altaktionäre aus der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht zur Zustimmung verpflichtet sein können; dazu siehe Girmes-Urteil des BGH v. 20.03.1995 – II ZR 205/94, WM 1995, 882 (886 f.). Zum Problem der „räuberischen“ Aktionäre siehe unter Kapitel 1 § 1 E. II. 3. 241  Vgl. Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279 (281 f.); Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983; zu Reformvorschlägen siehe Cahn/Hutter/Kaulamo/Meyer/Weiß, WM 2014, 1311. 242  § 246a Abs. 3 S. 6 Hs. 1 AktG sieht eine Soll-Frist von drei Monaten vor. Verzögerungen der Entscheidung müssen begründet werden (§ 246a Abs. 3 S. 6 Hs. 2 AktG). Nach einer empirischen Studie wird diese Frist von Gerichten in der Regel eingehalten, siehe dazu Baums/Drinhausen/Keinath, ILF Working Paper Series No. 130, 95 (2011), Baums/Keinath/Gajek, ILF Working Paper Series No. 65, 48 (2007). 243  Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279 (285); Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (912); Budde, ZinsO 2010, 2251 (2269).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

realen Kapitalaufbringung muss die Forderung fällig, liquide und wirtschaftlich vollwertig sein.244 Entscheidend ist nicht ihr Nennwert245, sondern ihr Zeitwert, also der tatsächliche Wert zum Zeitpunkt der Anmeldung der Sacheinlage im Handelsregister (§ 188 AktG). Für einen sanierungsbedürftigen Emittenten bedeutet das, dass sein Vermögen die eingebrachte Forderung decken muss, d. h. er muss in der Lage sein, die Forderung ohne Durchführung der Kapitalerhöhung bezahlen zu können.246 Das ist meistens nicht der Fall und erklärt, warum ein Abschlag (faktisch ein teilweiser Verzicht auf die Hauptforderung) auf den Nennwert der eingebrachten Forderung vorgenommen wird.247 Wird der reale Wert der Sacheinlage im Verhältnis zum Nennbetrag der zugeteilten jungen Aktien überbewertet, haftet der Anleihegläubiger in Höhe der Differenz. Die Haftung ist verschuldensunabhängig, so dass der Anleihegläubiger auch dann in Anspruch genommen werden kann, wenn er ein Werthaltigkeitsgutachten hat erstellen lassen.248 Die Grundsätze der Differenzhaftung verstoßen nicht gegen § 5 Abs. 1 S. 3 SchVG 2009, der eine Verpflichtung der Anleihegläubiger zur Leistung verbietet, denn diese Regelung schützt nicht gegen die gesetzliche Haftung aus dem erworbenen Gesellschaftsanteil.249 Andererseits greift das Leistungsverbot des § 5 Abs. 1 S. 3 SchVG 2009 in dem Fall ein, wenn ein Umtausch der Forderungen in GmbH-Geschäftsanteile geplant ist, für welche Nachschusspflichten gem. §§ 26 f. GmbHG bestimmt sind. Ein solcher debt-equity-swap ist rechtlich unzulässig; insbesondere dürfen die Anleihebedingungen, um diesen Umtausch zu ermöglichen, keine Abweichung vom § 5 Abs. 1 S. 3 SchVG 2009 vorsehen, da diese Vorschrift – anders z. B. als § 707 BGB – zwingend ist.250 244  Vgl.

auch BGH, Urt. v. 26.03.1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370 (373). Der Konzern 2009, 279 (272); Redeker, BB 2007, 673 (675); Vogel, ZBB 2010, 211 (213); Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 36; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 5 Rz. 67; a. A. (mit Reformvorschlägen) Cahn/Hutter/Kaulamo/Meyer/Weiß, WM 2014, 1309 f.; Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238. 246  Vgl. Priester, DB 2010, 1445; Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 984; Vogel, ZBB 2010, 211 (213). 247  Vogel, ZBB 2010, 211 (213); Friedl, BB 2012, 1102 (1105); Redeker, BB 2007, 673 (675); Cranshaw, ZinsO 2008, 421 (426). 248  Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279 (282 und 285); Redeker, BB 2007, 673 (676). 249  Geschützt werden müssen die Anleihegläubiger, für die aus dem Inhalt des Mehrheitsbeschlusses oder der Natur des Finanzinstruments eine Verpflichtung zur Leistung entsteht, siehe Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 36, im Ergebnis auch Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 5 Rz. 29. 250  Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 35. 245  Schmidt/Schlitt,



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 89

Wie man sieht, stellt ein debt-equity-swap eine zeitaufwendige und hochkomplexe Restrukturierungsvariante dar. Es bestehen nicht nur große wirtschaftliche und rechtliche Risiken in Bezug auf den Umtausch selbst, sondern auch im Zusammenhang mit den anderen Transaktionen, da der Umtausch zu einem Kontrollwechsel („change of control“) führt und Kündigungsrechte für andere Gläubiger des Emittenten aktivieren kann. Faktisch gesehen werden in den Abstimmungsprozess aus diesem Grund alle Seiten involviert.251 Trotz aller dieser Risiken wird der Umtausch der Forderungen im Wege eines debtequity-swap in der Praxis als eines der wichtigsten Restrukturierungsinstrumente betrachtet.252 dd) U  mtausch in andere Wertpapiere oder Leistungsversprechen (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 und 3 SchVG 2009) Alternativ kann der Umtausch der Forderungen aus Schuldverschreibungen in andere Wertpapiere oder Leistungsversprechen erfolgen. Der Umtausch hat nicht unbedingt zum Ziel die Ermöglichung einer Wandlung in Eigenkapital des Emittenten. Eingetauscht werden kann in Fremdkapital­ instrumente, z. B. in neue Schuldverschreibungen, die meistens verlängerte Laufzeiten und reduzierte Zinssätze in den Anleihebedingungen vorsehen. Für internationale Anleihen stellt dieses Instrument eine übliche Restrukturierungsoption dar.253 ee) Rang der Forderung (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SchVG 2009) Gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SchVG 2009 können nun Anleihegläubiger im Wege eines Mehrheitsbeschlusses auch über den Rang der Forderung im Insolvenzfall entscheiden.254 Gemeint ist der Rangrücktritt der Forderung i. S. d. § 39 Abs. 2 InsO. Die Vorschrift des § 39 Abs. 2 InsO und die Erwei251  Schmidt/Schlitt,

Der Konzern 2009, 279 (282 und 285). Der Konzern 2009, 279 (290); Redeker, BB 2007, 673; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 30; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 28; Weber, Liability Management Transaktionen, S. 42. 253  Vgl. Vogel, ZBB 2010, 211 (213). 254  In der Praxis unterscheidet man generell zwischen vorrangigen („preferred“ oder „senior debts“) und nachrangigen („subordinated“ oder „junior debts“) Anleihen sowie den Anleihen im gleichen Rang (unter sich), die die Geltung der Gleichrangbzw. „pari pasu“-Klausel vorsehen, siehe Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 471, 473 f., 476. Eine „pari pasu“-Klausel verbietet dem Emittenten, den Gläubigern anderer Forderungen eine vorrangige Befriedigung im Insolvenzfall zu gewähren, dazu Siebel, a. a. O., S.  474; Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (710). 252  Schmidt/Schlitt,

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

terung der Kompetenz der Anleihegläubigermehrheit im Falle einer Anleiherestrukturierung hinsichtlich des Rangrücktritts beruhen auf der Idee, dass Gläubiger im Insolvenzfall des Schuldners nicht verpflichtet sind, ihre Forderungen geltend zu machen. Ihnen steht es dementsprechend auch frei, ­darüber zu entscheiden, ob ihre Forderungen im Vergleich zu anderen Gläubigern nachrangig berichtigt werden. Der Grundsatz der Privatautonomie255 gestattet ihnen, diesbezüglich eine vertragliche Vereinbarung mit dem Schuldner abzuschließen.256 Stimmen die Anleihegläubiger dem Rangrücktritt zu, bleiben ihre Forderungen dem Bestand nach unberührt. Zivilrechtlich werden die Forderungen nicht zum Erlöschen gebracht. Sie existieren weiter. Nur ihr Rang im Insolvenzfall wird abgestuft. Für den Emittenten führt dies allerdings zu einem Vorteil, denn der vereinbarte Rangrücktritt beseitigt die Passivierungspflicht der betreffenden Forderungen. D. h. für die Beurteilung der Überschuldung des Emittenten nach § 19 Abs. 2 InsO bleiben die Forderungen aus den Anleihen unberücksichtigt, obwohl sie weiter zivilrechtlich bestehen. Dies soll helfen, die drohende Insolvenzgefahr abzuwenden.257 Scheitert die Sanierung des Emittenten, droht den Anleihegläubigern andererseits faktisch der vollständige Verlust, denn nach der Befriedigung vorrangiger Gläubiger des Emittenten nach § 38 InsO bleibt von der Insolvenzmasse nicht viel übrig. Selbst für eine teilweise Befriedigung der Anleihegläubiger sind die Aussichten in der Regel schlecht.258 Insofern tritt dieselbe Wirkung ein wie bei der Herabsetzung der Hauptforderung i. S. d. § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SchVG 2009. Im Unterschied zu dieser Option ist der Rangrücktritt allerdings attraktiver, weil die Forderungen aus Schuldverschreibungen beim Erfolg der Sanierung des Emittenten in voller Höhe weiter bestehen, also werthaltig bleiben.

255  Frei bestimmt werden kann auch die zeitliche Geltung des Rangrücktritts. Siehe Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 195; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 474; vgl. auch Budde, ZinsO 2010, 2251 (2261); Cranshaw, BKR 2008, 504 (507); Schmidt in: FS Raupach, S. 405 (409); Ehricke/Behme, MüKo, InsO, 4. Aufl., § 39 Rn. 92 f. 256  Hinsichtlich der Emittenten mit Insolvenzverfahren im Ausland ist für die Wirkung der vertraglichen Vereinbarung das ausländische Insolvenzstatut maßgeblich (Art. 7 Abs. 1 EuInsVO, außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung § 335 InsO), dazu Cranshaw, BKR 2008, 504 (507); Vogel, in: Preuße, SchVG, § 5 Rn. 33. 257  Budde, ZinsO 2010, 2251 (2261); Mihm, CFl 2010, 435 (439); Vogel, in: Preuße, SchVG, § 5 Rn. 33. 258  So auch Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 5 Rn. 41; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 198; Cranshaw, BKR 2008, 504 (507); vgl. auch Vogel, in: Preuße, SchVG, § 5 Rn. 33.



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 91

ff) Sicherheiten (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SchVG 2009) § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SchVG 2009 erlaubt der Anleihegläubigermehrheit den Austausch und die Freigabe von Sicherheiten.259 Eine ähnliche Regelung sieht das alte SchVG 1899 vor, das „eine Freigabe von Pfändern“ erlaubt.260 Als Sicherheiten kommen in Betracht Realsicherheiten261, deren Bedeutung mit der Zeit allerdings geringer geworden ist. Die Praxis geht von der Bestellung von Realsicherheiten ab.262 Bevorzugt werden stattdessen schuldrechtliche Sicherheiten. Da meistens in der Rolle des Emittenten der Schuldverschreibungen Finanzierungstochtergesellschaften auftreten, deren Kapitalausstattung und Kreditfähigkeit unzureichend sind, sehen die Anleihebedingungen als schuldrechtliche Sicherheiten Garantien der Muttergesellschaft oder der operativen Gesellschaften im Konzernverbund vor, dem dieser Emittent angehört.263 Neben der Garantie stellen die sog. financial covenants und insbesondere eine Negativerklärung (negative pledge)264 des Emittenten eine weitere wichtige Form der schuldrechtlichen Sicherheit dar265, deren Funktion darin besteht, zu sichern, dass das Vermögen des Emittenten möglichst lastenfrei erhalten bleibt.266 259  Sicherheiten spielen eine Rolle vor allem für Hochzinsanleihen, kurzlaufende Schuldverschreibungen im Rahmen von ABS-Transaktionen und Anleihen, die über ausländische Finanzierungstochtergesellschaften zu Zwecken der Konzernfinanzierung begeben werden, dazu Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 37 Rn. 43; vgl. auch Schlitt/Hekmatt/Kasten, AG 2011, 429 (437 f.). 260  Regierungsbegründung v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 912. 261  Z. B. Bestellung von Grundschulden auf Grundstücken; denkbar ist auch eine Bestellung von Pfandrechten an von dem Emittenten gehaltenen Gesellschaftsanteilen, dazu Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 5 Rn. 67; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 37 Rn. 49 f. 262  Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 425 f.; Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 5 Rn. 67; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 37 Rn. 48; irrelevant auch für High-Yield-Anleihen, dazu Schlitt/Hekmatt/Kasten, AG 2011, 429 (438). 263  Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 5 Rn. 67; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (50). 264  Der Emittent verpflichtet sich, während der Laufzeit der Anleihe keine anderen Verbindlichkeiten zu besichern oder nur bestimmte Sicherheiten zu bestellen, es sei denn, dass die Anleihegläubiger in gleicher Weise an solchen Sicherheiten beteiligt werden, Baums, ILF Working Paper Series No. 52, S. 34 (2006); Maier-Reimer, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 129 (151); Hofmann/ Keller, ZHR 175 (2011), 684 (710). 265  Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 455 f.; Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 5 Rn. 68. 266  Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 457.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Die Restrukturierungswirkung der Freigabe oder des Ersatzes der Sicherheiten, soweit sie zum Ausgleich des Ausfallsrisikos zu Gunsten der Anleihegläubiger bestellt sind, besteht darin, dass der Emittent die Möglichkeit erlangt, die Sicherheiten zu veräußern bzw. sie für eine neue Fremdkapital­ finanzierung zu nutzen, um Liquidität zu erhalten. gg) Kündigungsrechte (§ 5 Abs. 3 S. 1 N. 8 SchVG 2009) Wie das SchVG 1899, erhält das neue Gesetz der Anleihegläubigermehrheit das Recht, Kündigungsrechte zu beschränken oder auszuschließen. Das Recht zur Kündigung der Schuldverschreibung steht jedem einzelnen Anleihegläubiger zu und kann selbstständig ausgeübt werden, falls die Anleihebedingungen keine Einschränkung durch die Bestimmung einer nach einem Prozentsatz des ausstehenden Nennbetrages gerechneten Mindestzahl der Gläubiger (sog. Kollektivkündigung)267 vorsehen.268 Die Gründe, die zur Kündigung berechtigen, sind meistens in den Anleihebedingungen aufgelistet. Das sind in erster Linie die Fälle, wenn der Emittent Zahlungen aus der Anleihe nicht leistet, eine allgemeine Einstellung der Zahlungen bekanntgibt oder wenn über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Räumen die Anleihebedingungen den Anleihegläubigern bei einer Finanzkrise bzw. der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Emittenten keine Kündigungsrechte ein, stellt sich die Frage, ob ein Rückgriff auf die gesetzlichen Vorschriften, nämlich § 490 BGB und insbesondere § 314 BGB, die außerordentliche Kündigungsrechte regeln, möglich ist.269

267  Nach § 5 Abs. 5 SchVG 2009 darf zum Schutz der Minderheit der Mindest­ anteil nicht mehr als 25 % betragen. Die Frage ist, ob diese Kollektivkündigung die Kündigung der ganzen Anleihe (Gesamtkündigung) oder nur Wirkung für die kündigenden Anleihegläubiger zur Folge hat. Nach der amtlichen Begründung besteht keine Gesamtkündigung („solche Kündigung entfaltet ihre Wirkung nur für diejenigen Gläubiger, die ihr zugestimmt haben“, Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 19). Der Gesetzgeber, der das deutsche Schuldverschreibungsrecht international attraktiv machen und insbesondere „international üblichen Anforderungen soweit wie möglich“ anpassen wollte (Begr. RegE SchVG, a. a. O., S. 1, 14), hat allerdings übersehen, dass der Mindestzahl-Klausel, die eine international übliche Klausel darstellt, die Wirkung einer Gesamtkündigung zugeschrieben wird, siehe zum Problem Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816 f.); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 73 ff. 268  Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 504 f. 269  Gegen die Anwendbarkeit Trautrims, BB 2012, 1821 (1823 f.); Maier-Reimer, in: Baums/Cahn, die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 129 (135 ff.); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 81 ff.



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 93

§ 490 Abs. 1 BGB stellt eine darlehensrechtliche Vorschrift dar, die dem Darlehensgeber ein einseitiges Lösungsrecht im Falle einer wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers gibt. Der Darlehensgeber braucht also nicht den Eintritt des Zahlungsverzuges abzuwarten und kann das Vertragsverhältnis vorzeitig lösen.270 Trotz gewisser Funktionsähnlichkeit der Fremdkapitalaufnahme mittels eines Darlehens und einer Anleihe besteht kein solches Lösungsrecht für die Anleihegläubiger. § 490 Abs. 1 BGB findet keine Anwendung.271 Dies hat der BGH in seiner jüngsten Entscheidung im Jahr 2016 geklärt. Das Gericht betonnte, dass der Gesetzgeber Schuldverschreibungen ausschließlich den Regelungen der §§ 793 ff. BGB unterworfen habe, so dass sie in rechtlicher Hinsicht keinen Darlehenscharakter i. S. d. §§ 488 ff. BGB aufweisen könnten.272 Verneint hat der BGH zur Recht auch die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des § 490 BGB, weil ein Rückgriff auf die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts zulässig sei.273 Die Möglichkeit der Kündigung der Schuldverschreibungen aus wichtigem Grund nach § 314 Abs. 1 BGB, wenn „dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann“, hat der BGH – den Dauerschuldcharakter der Rechtsverhältnisse aus Schuldverschreibungen unterstellt274 – ebenfalls verneint, und zwar wegen der Kollision mit den Vorschriften des Schuldverschreibungsrechts. Nach Ansicht des BGH bestehe kein wichtiger Grund i. S. d. § 314 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung der Schuldverschreibungen bei 270  Baums, ILF Working Paper Series, No. 145, S. 10 (2015). § 490 Abs. 1 BGB gilt nicht, falls Vertragsparteien die Kündigung aus diesem Grund beim Vertragsschluss ausgeschlossen haben, Baums, a. a. O., S. 9, 17; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 490 Rn. 1; Seibt/Schwarz, ZIP 2013, 401 (409). 271  Maier-Reimer, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 129 (136); Seibt/Schwarz, ZIP 2013, 401 (407 f.); Baums, ILF Working Paper Series, No. 145, S. 10 (2015); vgl. auch Cranshaw, ZinsO 2008, 421 (423). 272  BGH, Urt. v. 31.05.2016 – XI ZR 370/15, BB 2016, 1677 (1678). Rechtsdogmatisch begründen Schuldverschreibungen keine Rückzahlungsansprüche aus einem Darlehen, sondern schlichte Zahlungsansprüche aus einem abstrakten Schuldversprechen, dazu bereits unter Kapitel 1 § 1 C. II. 273  BGH, Urt. v. 31.05.2016 – XI ZR 370/15, BB 2016, 1677 (1678); so auch Seibt/Schwarz, ZIP 2013, 401 (408). 274  Dafür auch Horn, BKR 2009, 446 (450); Baums, Recht der Unternehmens­ finanzierung, § 37 Rn. 102; Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (205); a. A. Bliesener/ Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 82 f.; Maier-Reimer, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 129 (135).

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Emittenten, wenn der Emittent zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung bereits Sanierungsbemühungen nach dem SchVG beabsichtigt und auch zeitnah entfaltet habe.275 Der Gesetzgeber habe mit dem Schuldverschreibungsgesetz das Ziel verfolgt, eine gleichmäßige Beteiligung aller Anleihegläubiger an der vorinsolvenzrechtlichen Sanierung des Emittenten zu ermöglichen. Dieses Ziel sei nach der Argumentation des BGH gefährdet und das Gesetz verliere seine praktische Bedeutung, wenn jeder einzelne Anleihegläubiger durch Kündigung eine „Ausstiegsmöglichkeit“ erlangen könne, um nicht von der im Wege der Sanierung später getroffenen Mehrheitsentscheidung der sanierungswilligen Anleihegläubiger gebunden zu sein.276 Insofern träten individuelle Interessen und Rechte der Einzelgläubiger solange zurück, bis die Sanierungsbemühungen endgültig scheiterten.277 In dem Fall, wenn dem Anleihegläubiger ein Kündigungsrecht wegen der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Emittenten dagegen ausdrücklich eingeräumt wird, er von diesem Recht wirksam Gebrauch macht und die Schuldverschreibung kündigt, würde sich die Situation nach dem BGH aber auch nicht ändern, weil die Kündigung des Rechtsverhältnisses nicht zur Aufhebung der Gläubigerstellung führe.278 Dies bedeutet, dass ein Mehrheitsbeschluss über die Änderung der Anleihebedingungen auch für einen solchen Anleihegläubiger rechtliche Bindungskraft entfalte, der zuvor gekündigt habe, da er weiter Anleihegläubiger bleibe. Dagegen spreche auch nicht die Vorschrift des § 4 S. 1 SchVG 2009 über die kollektive Bindung, die die Änderung der Anleihebedingungen „nur“ während der Laufzeit der Anleihe erlaube. Nach BGH bleibt „im Fall der außerordentlichen Kündigung der Schuldverschreibung … dessen Inhaber Gläubiger des Emittenten, bis dieser die Forderung vollständig erfüllt hat.279 Erst dann ist das Schuldverhältnis endgültig beendet. Die Kündigung der Schuldverschreibung dient nur dazu, die Fälligkeit der darin verbrieften Forderung herbeizuführen und dadurch den Leistungszeitpunkt festzulegen oder vorzuverlegen. Inhalt und 275  BGH,

Urt. v. 31.05.2016 – XI ZR 370/15, BB 1677 (1679). a. a. O., S.  1679. 277  BGH, a. a. O., S. 1679 (am Ende). In diesem Zusammenhang weist der BGH insbesondere darauf hin, dass die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse nicht automatisch dem Risikobereich des Emittenten zuzuordnen ist. Bei einer unbesicherten Anleihe übernimmt auch der Anleihegläubiger das Bonitätsrisiko des Emittenten, welches auch maßgeblich die Höhe des Zinses und den Marktpreis der Anleihe bestimmt. Dem Anleihegläubiger bleibt andererseits unbenommen, seine Schuldverschreibungen über den Kapitalmarkt zu veräußern und sich so des gesamten Schuldverhältnisses „Anleihe“ vollständig zu entledigen, BGH, a. a. O., S. 1679. 278  BGH, Urt. v. 08.12.2015 – XI ZR 488/14, ZIP 2016, 308 (309). 279  So auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 7. 276  BGH,



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 95

Umfang der in der Schuldverschreibung verbrieften Forderung im Übrigen bleiben dagegen durch die Kündigung unberührt.“280 Die im Zusammenhang mit der Kündigung der Anleihe diskutierte Frage, ob § 314 Abs. 1 BGB auf Anleihen bei einer Finanzkrise des Emittenten überhaupt anwendbar ist bzw. ob die Geltung dieser Vorschrift in den Anleihebedingungen ausgeschlossen werden kann, hat der BGH in seinen letzten Entscheidungen offen gelassen. Gegen die Zulässigkeit des Ausschlusses würde generell sprechen, dass § 314 Abs. 1 BGB – im Unterschied zur dispositiven Vorschrift des § 490 Abs. 1 BGB – eine zwingende Regelung darstellt. Als Ausfluss des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben und wegen des in der Vorschrift verkörperten, im Kern unentziehbaren Billigkeitsgedankens kann das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nach § 314 Abs. 1 BGB durch eine vertragliche Vereinbarung lediglich modifiziert und durch einen Katalog der Kündigungsgründe konkretisiert, nicht dagegen völlig ausgeschlossen werden.281 Diese Überlegung müsste eigentlich auch für Schuldverschreibungen gelten.282 Nach den letzten Entscheidungen des BGH scheint aber die Frage nach dem Ausschluss der Anwendbarkeit des § 314 Abs. 1 BGB an Relevanz erheblich verloren zu haben, weil – selbst dann, wenn der Ausschluss in den Anleihebedingungen unwirksam wäre – der wichtigste Grund für die spätere Berufung auf das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 Abs. 1 BGB im Vorfeld und während der Anleihe­ restrukturierung, nämlich die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Emittenten, nicht mehr ausreichend im Sinne „eines wichtiges Grundes“ ist. Es bleibt festzustellen, dass der BGH zum Schutz des Mehrheitsgedankens des neuen SchVG 2009 die Wirkung des Kündigungsrechts des einzelnen Anleihegläubigers – sei es das „unantastbare“ Kündigungsrecht nach § 314 Abs. 1 BGB oder ein vertragliches Kündigungsrecht – erheblich einschränkt. Der Anleihegläubiger kann seine Ausstiegsmöglichkeit durch Kündigung entweder aus dem Grund verlieren, weil er der Anleihegläubigermehrheit überhaupt erst die Chance geben muss, die Anleihe zu restrukturieren, oder aus dem Grund, dass er, obwohl er sein Kündigungsrecht ausübt, an den gefassten Mehrheitsbeschluss, der die Rechte der Anleihegläubiger gleichermaßen beschränkt, nachträglich gebunden wird, weil er seine Gläubigerstel280  BGH,

Urt. v. 08.12.2015 – XI ZR 488/14, ZIP 2016, 308 (309). BGH, Urt. v. 08.02.2012 – XII ZR 42/10, JR 2014, 31 (35). 282  Vgl. Baums, ILF Working Paper Series, No. 145, S. 18 (2015); ders., Recht der Unternehmensfinanzierung, § 37 Rn. 105; Seibt/Schwarz, ZIP 2013, 401 (410); Horn, BKR 2009, 446 (450); Maier-Reimer, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 129 (140 ff.). Gegen die Konkretisierungsmöglichkeit in den Anleihebedingungen LG Bonn, Urt. v. 25.03.2014 – 10 O 299/13, ZIP 2014, 1073 (1075). 281  Vgl.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

lung trotz der Kündigung weiter behält. D. h. selbst wenn er die Schuldverschreibung kündigt, wird er gezwungen, einen Sanierungsbeitrag wie die Mehrheit zu leisten. hh) Schuldnerersetzung (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 9 SchVG 2009) Eine weitere Möglichkeit stellt die Zustimmung der Anleihegläubigermehrheit zu einer Schuldnerersetzung dar, wenn also an die Stelle des Emittenten eine andere Gesellschaft tritt.283 Diese Option ist insbesondere von Bedeutung bei der Änderung steuerrechtlicher Gegebenheiten, z. B. wenn die Begebung der Anleihe über eine ausländische Finanzierungstochtergesellschaft erfolgt und nachträglich eine Quellensteuer auf Zinszahlungen eingeführt wird. Werden die Zahlungen wegen Steuerabzügen gemindert, erleiden die Anleihegläubiger einen Nachteil. Es liegt in ihrem Interesse, einem Wechsel des Schuldners mit einem günstigen Steuerregime zuzustimmen. Dies ist auch geboten bei der Umsetzung eines Unternehmenskaufs oder bei einer Umstrukturierung des Konzerns, dem der Emittent angehört.284 Der Schuldnerwechsel wird im Wege einer Schuldübernahme nach §§ 414 ff. BGB durchgeführt. Gemäß § 415 BGB wird ein Schuldübernahmevertrag zwischen dem Emittenten und dem neuen Schuldner abgeschlossen, der zu seiner Wirksamkeit zusätzlich einer Zustimmung der Anleihegläubigermehrheit bedarf.285 ii) Währung (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 SchVG 2009) Eher weniger relevant, dennoch im neuen Gesetz genannt ist die Möglichkeit der Änderung der Nennwährung der Anleihe. Diese Restrukturierungsoption war vom Gesetzgeber vor allem für internationale Anleihen gedacht, 283  Dazu kann der Emittent bereits in den Anleihebedingungen, d. h. ohne Zustimmung der Anleihegläubiger, ermächtigt werden. Solche Klauseln enthalten meistens die Anleihebedingungen der ausländischen Finanzierungstöchter der Konzernober­ gesellschaften, dazu, Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 52; ­Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 28; vgl. auch Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 638. 284  Vgl.  Maier-Reimer, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 129 (145 f.); Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 50; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 642 ff.; Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 5 Rn. 73; Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (203); Mihm, RdF 2019, 156. 285  Maier-Reimer, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 129 (153); Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 5 Rn. 73; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 415 Rn. 7.



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 97

für die, wie die Praxis zeigt, entsprechende Mehrheitsklauseln nicht unüblich sind.286 jj) Nebenbestimmungen (§ 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 10 SchVG 2009) Wie nach dem alten SchVG 1899 ist die Änderung von Nebenbestimmungen der Anleihebedingungen ebenfalls möglich und bedarf, soweit die Anleihebedingungen keine höhere Mehrheit vorsehen, lediglich der einfachen Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmen (§ 5 Abs. 4 S. 1 und 3 SchVG 2009). Der Begriff der Nebenbestimmungen wird nicht legal definiert. Man versteht darunter grundsätzlich die Bestimmungen über das anwendbare Recht, den Gerichtsstand, die Voraussetzungen der Geltendmachung der Ansprüche sowie der Ausübung der Rechte, Verjährungsfristen, Klauseln über die Verbriefung und Hinterlegung der Urkunde, Modalitäten der Zahlung etc. Ebenfalls können von dem Begriff der Nebenbestimmungen Handlungspflichten des Emittenten erfasst werden, die nicht in seinen Zahlungs- und Lieferpflichten bestehen und sichern, dass das Vermögen des Emittenten nicht weiter belastet wird (sog. Negativerklärung) und dass der Emittent die Forderungen aus der Anleihe erfüllt (financial covenants).287 d) Mitverpflichtete, § 22 SchVG 2009 § 22 SchVG 2009 erweitert die Geltung des Mehrheitsprinzips auf Mitverpflichtete. Viele Anleihen werden von Emittenten begeben, die keine eigenen Sicherheiten haben und aus diesem Grund einen Dritten mit seinem Vermögen für die Verpflichtungen aus Schuldverschreibungen als Sicherungsgeber (Mitverpflichtete i. S. d. § 22 SchVG 2009) einsetzen.288 So werden Anleihen, wie bereits erwähnt, häufig über Finanzierungstochtergesellschaften mit Sitz im Ausland unter Garantie der deutschen Muttergesellschaft emittiert. Anleihegarantien sind somit Hauptanwendungsfall des § 22 SchVG 2009.289

286  Vogel, in: Preuße, SchVG, § 5 Rn. 39; Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKomm­ SchVG, § 5 Rn. 69. 287  Dazu ausführlich Bliesener/Schneider, in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 29 f.; Vogel, in: Preuße, SchVG, § 5 Rn. 47; Schneider, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 69 (81). 288  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26. 289  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 22 Rn. 4.

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Werden die Anleihebedingungen angepasst, kann dies auch für die Bedingungen der Sicherungsabrede290 zwischen dem Emittenten und dem Sicherungsgeber notwendig sein. Der Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger hat allerdings keine Wirkung für Drittvereinbarungen des Emittenten, denn §§ 5 ff. SchVG 2009 erlauben lediglich die Änderung der Anleihebedingungen. Die Sicherungsabrede ist außerdem üblicherweise nicht Bestandteil von Anleihebedingungen, sondern eines separaten Vertrages zugunsten Dritter (der Anleihegläubiger), der in den Anleihebedingungen nur zusammenfassend referiert wird.291 Dazu muss beachtet werden, dass der Emittent einseitig oder mit der Zustimmung des Sicherungsgebers die Sicherungsabrede zu Lasten der Anleihegläubiger nicht ändern kann.292 Für die Modifizierung der Sicherungsabrede wäre somit die Zustimmung jedes einzelnen Anleihegläubigers erforderlich.293 Gerade dieses Problem versucht § 22 SchVG 2009 zu lösen. Die Vorschrift regelt, dass Anleihebedingungen vorsehen können, dass die §§ 5 bis 21 SchVG 2009 auf Sicherungsabreden mit Dritten entsprechende Anwendung finden. Geschieht dies, können die Bedingungen der Sicherungsabrede mit der Zustimmung der Mehrheit der Anleihegläubiger angepasst werden, vorausgesetzt, dass mit der Änderung auch der Emittent und der Sicherungsgeber einverstanden sind. Das Erfordernis der Zustimmung jedes einzelnen Anleihegläubigers entfällt dadurch. § 22 SchVG 2009 schafft somit eine Rechtgrundlage für die Geltung des Mehrheitsbeschlusses auch außerhalb der Anleihebedingungen.

290  Der Begriff der Sicherheiten ist weit auszulegen, Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 22 Rz. 4; vgl. auch Lawall, in: FraKomm­ SchVG, § 22 Rn. 6; Kusserow, WM 2011, 1645 (1650); Dippel/Preuße, in: Preuße, SchVG, § 22 Rn. 4. 291  Kusserow, WM 2011, 1645 (1650); vgl. auch Lawall, in: FraKommSchVG, § 22 Rn. 2; Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26. Falls die Sicherungsabrede Bestandteil der Anleihebedingungen ist, erfolgt die Änderung der Sicherungsabrede nach § 5 SchVG 2009. Dann liegt kein Fall von § 22 SchVG 2009, dazu Lawall, in: FraKommSchVG, § 22 Rn. 13. 292  Nach § 328 Abs. 2 BGB kann die Zustimmung des Drittenbegünstigten zur Änderung des Vertrages entbehrlich sein. Aus diesem Grund wird die Garantie unbedingt und unwiderruflich ausgestaltet, um sicherzustellen, dass eine Änderung ohne die Zustimmung der Anleihegläubiger ausscheidet, dazu Kusserow, WM 2011, 1645 (1651). Zu beachten ist auch, dass § 22 SchVG 2009 keine entsprechende Anwendung für Garantien findet, die ausländischem Recht unterliegen, da sich die Rechte des Drittbegünstigten nach dem Statut des Hauptvertrages richten (Art. 3, 12 VO (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)), Kusserow, a. a. O., S.  1651. 293  Lawall, in: FraKommSchVG, § 22 Rn. 2; vgl. auch Begr. RegE SchVG, BTDrs. 16/12814, S. 26.



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III. Perspektiven des neuen SchVG 2009 Das deutsche Recht der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung wurde mit dem SchVG 2009 letztlich auf eine ganz neue gesetzliche Grundlage gestellt.294 Dem neuen Gesetz liegt das richtige Verständnis zugrunde, dass die Willensbildung der Anleihegläubiger im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zur Stärkung ihrer Rechte führt. Die Änderung der Anleihebedingungen zum Zwecke einer Anleiherestrukturierung wird nicht mehr ausschließlich mit der Möglichkeit assoziiert, der Minderheit ihre Rechte zu nehmen oder die Anleihen ihres Wertes zu berauben. Der Gesetzgeber beachtete bei der Reform des Schuldverschreibungsrechts die Schwächen des alten Gesetzes, die ihm jegliche Markttauglichkeit genommen hatten und für den Status als „totes Recht“ verantwortlich waren, und versuchte, ein Gesetz zu schaffen, das den Wünschen des Anleihemarktes entspricht. Er erweiterte nicht nur den Anwendungsbereich des neuen Gesetzes, um die Einbeziehung faktisch aller Arten von Schuldverschreibungen zu ermöglichen; er entschloss sich auch dafür, die materiellen Befugnisse der Anleihegläubigermehrheit zu stärken. Mit der neu gefassten Vorschrift des § 22 SchVG 2009 geht das Gesetz einen Schritt weiter und ermöglicht die Geltung des Mehrheitsprinzips für Drittvereinbarungen des Emittenten, also auch außerhalb von Anleihebedingungen. Obwohl das neue SchVG 2009 schon fast 10 Jahre Probezeit hinter sich hat, blieb seine Anwendung für lange Zeit durch Gerichte „gesperrt“. Die fehlerhafte Gesetzesanwendung in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung295 insbesondere im Zusammenhang mit der Rechtswahl i.  S.  d. § 1 Abs. 1 SchVG sowie der Übergangsbestimmung des § 24 Abs. 2 S. 1 SchVG 2009 hinderte mehrere erste Versuche in der Praxis, eine Anleiherestrukturierung nach dem neuen Gesetz durchzuführen. Dies hat einige Emittenten gezwungen, einen Insolvenzantrag zu stellen, wie z. B. im Pfleiderer-Fall, oder sogar die Lösung im Wege der Abwanderung in fremde Rechtsordnungen zu suchen; ein Beispiel dafür stellt der IVG-Immobilien-AG-Fall dar.296 Ebenso fehlerhaft haben die Gerichte das Kündigungsrecht nach § 314 Abs. 1 oder nach § 490 Abs. 1 BGB bei Verschlechterung der Vermögenslage des Emittenten für gegeben gehalten, um den dissentierenden Anleihegläubigern während der Restrukturierung eine Ausstiegsmöglichkeit als letzte Rettungschance zu ermöglichen, was aber mit dem Grundgedanken des neuen Gesetzes nicht vereinbar war. Die Entscheidungen des BGH haben zwar geholfen, 294  Seibt/Schwarz,

ZIP 2015, 401. in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, Einf., Rn. 43. 296  Dazu Lürken, in: Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 5 Rn. 281 ff. 295  Bliesener/Schneider,

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

die Rechtslage zu klären und die zwischenzeitlich ergangene instanzgerichtliche Rechtsprechung zu korrigieren. Sie sind aber erst in den Jahren 2014– 2016 ergangen und es bleibt somit noch abzuwarten, was das neue Gesetz für die außergerichtliche Anleiherestrukturierung bringt.

C. Zusammenfassung Das SchVG 1899 war nicht geeignet für die außergerichtliche Anleihe­ restrukturierung. Obwohl die Verfasser des Gesetzes die Lösung des Dilemmas der Anleihegläubiger in der Koordination im Wege eines Mehrheitsbeschlusses richtig erkannt hatten, war es ihnen nicht gelungen, diese Idee auf gesetzlicher Ebene zu verwirklichen. Die Idee war nur Idee geblieben. Mit Leben wurde sie nicht gefüllt. Der Grund dafür ist zum einen, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes sehr eng gefasst ist. So kann das Gesetz nicht auf zahlreiche Anleihen der Finanzierungstöchter (deutscher Konzerne) mit Sitz im Ausland angewendet werden, obwohl die Anleihebedingungen die Geltung des deutschen Rechts vorsehen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Befugnisse der Gläubigermehrheit stark formalisiert sind. Die Anleiherestrukturierung wird vom historischen Gesetzgeber zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes nicht anders wahrgenommen denn als Instrument der Unternehmenssanierung. Aus diesem Grund darf sie nur zur Abwendung des Insolvenzverfahrens des Emittenten dienen. Die allgemeine Möglichkeit, einen Mehrheitsbeschluss zu fassen, besteht nicht. Mit dieser bewusst vorgenommenen Beschränkung war lange Zeit insbesondere die Hoffnung verbunden, den Emittenten von dem Gebrauch der Mehrheitsbefugnisse zumindest abschrecken zu können. Die Verfasser des Gesetzes rechneten damit, dass der Emittent die Anleihegläubigerversammlung nicht einberufen werde, da er sich scheuen müsse, seine Zahlungsunfähigkeit überhaupt zu deklarieren. Man zielte also darauf, das Eingreifen des Gesetzes selbst in den Fällen zu hindern, wo die Notwendigkeit der Organisation der Anleihegläubiger am ehesten entsteht. Auch 100 Jahre später hatte sich diese Einstellung nicht geändert. Im Wege der Reform im Jahr 1994 wurde entschieden, dass die Beschlüsse der Gläubigerversammlung höchstens auf drei Jahre befristet sein können. Zusätzlich sollten die Gläubigerrechte wieder aufleben, falls innerhalb dieser Frist ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten eröffnet wird. Zum Schutz der Minderheit vor einem möglichen Missbrauch seitens der Mehrheit schließt das alte SchVG 1899 außerdem den sog. hair cut aus. Dem Gesetz liegt der Gedanke zugrunde, dass die eigenen Opfer der Anleihegläubiger eine sachliche Grenze haben müssen und diese Grenze da liegt, wo dem Gläubiger der Verlust von Kapitalanforderungen angesonnen wird. Den



§ 2 Gesetzliche Gestaltung des Mehrheitsprinzips 101

Anleihegläubigern wird kein breiter Katalog möglicher Maßnahmen zur Verfügung gestellt: Erlaubt sind nur die Stundung bzw. Herabsetzung der Zinsforderung, die Stundung der Hauptforderung, die Beschränkung der Kündigungsrechte sowie die Freigabe von Sicherheiten. Die restriktive Gestaltung des SchVG 1899 zeigt, dass der historische Gesetzgeber nicht bereit war, den Anleihegläubigern die erforderliche Autonomie zu gewähren, von der er ursprünglich gesprochen hatte. Ihm fehlte noch der Mut, umfassende Mehrheitsklauseln zu erlauben. Er sah einen Mehrheitsbeschluss eher als Grundlage für einen Missbrauch seitens der restrukturierungswilligen Mehrheit. Der Gesetzgeber fokussierte zu sehr auf die Bestimmungen zum Schutz der Minderheit und schloss damit faktisch die reale Möglichkeit der Durchführung einer Anleiherestrukturierung aus. Die Ergebnisse in der Praxis beweisen dies. Es wurde in einer sehr übersichtlichen Zahl von Fällen versucht, Anleihen nach dem Regime des SchVG 1899 zu restrukturieren. Für das Gesetz, das über mehr als 100 Jahre lang existierte, ist das ein sehr unbefriedigendes Ergebnis. Erst nach und nach wird erkannt, dass das alte Gesetz den Bedürfnissen der Praxis nicht entspricht und „totes Recht“ darstellt. Der Ruf nach einer Reform erhält Gewicht, nachdem auf der internationalen Ebene hervorgehoben wird, dass das deutsche Recht für Anleihen nicht attraktiv ist und keine Konkurrenzfähigkeit insbesondere im Vergleich zum US-amerikanischen und englischen Recht demonstrieren kann. Aufgrund solcher negativen Äußerungen entschied sich der Gesetzgeber dafür, das SchVG zu reformieren, und zwar grundlegend. 2009 wird ein neues Schuldverschreibungsgesetz verabschiedet, das nach der Gesetzesbegründung dem Zweck dienen soll, das restriktive Modell des alten SchVG 1899 abzuschaffen und insbesondere festzulegen, dass Mehrheitsklauseln zukünftig auch nach deutschem Recht zulässig sind. Tatsächlich hebt der Gesetzgeber alle bis jetzt geltenden Beschränkungen auf. Als erstes wird der Geltungsbereich des neuen Gesetzes erheblich erweitert. Entscheidend ist nach dem neuen SchVG 2009 nur, dass Schuldverschreibungen in einer Gesamtemission ausgegeben werden, dass sie inhaltsgleich sind und der Geltung des deutschen Rechts unterstehen. Ob der Emittent seinen Sitz in Deutschland hat, ist nicht mehr relevant. Auslandsanleihen können somit ebenfalls restrukturiert werden. Die Übergansregelung des § 24 Abs. 1 SchVG ermöglicht außerdem eine nachträgliche Einbeziehung von Altanleihen, selbst wenn sie vom Anwendungsbereich des alten SchVG nicht erfasst sind. Obwohl die Regelung des neuen Gesetzes zu seinem Anwendungsbereich Restriktionen enthält, ist es dem Gesetzgeber gelungen, fast alle Arten der Schuldverschreibungen zu erfassen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem § 5 SchVG 2009 zu, der die materiellen

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Kap. 1: Mehrheitsprinzip

Befugnisse der Gläubiger regelt. Der Katalog der möglichen Maßnahmen, der bewusst nicht als abschließend formuliert wird, sieht alle wichtigen Restrukturierungsoptionen vor, die in der Praxis von internationalen Anleihen üblicherweise angewendet werden. Erlaubt ist u. a. der Verzicht auf Kapitalansprüche und der Umtausch von Forderungen aus Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile (der sog. debt-equity-swap). Restriktionen des alten Gesetzes hinsichtlich der Zweckbestimmung des Beschlusses oder hinsichtlich seiner zeitlichen Befristung gelten nicht mehr. Mit der Reform des SchVG zeigte der Gesetzgeber, dass er seine lange Zeit bestehenden Befürchtungen des übermäßigen Missbrauchs durch Mehrheiten vollständig aufgegeben hat und in der Lage ist, ein an die Bedürfnisse des Kapitalmarkts angepasstes Gesetz zu erlassen. Ob das neue SchVG das deutsche Recht der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung u. a. auf der internationalen Ebene tatsächlich attraktiv machen kann, wird sich in der Zukunft zeigen. Es kann aber bereits jetzt festgestellt werden, dass der Gesetzgeber mit der Gestaltung des Mehrheitsprinzips im SchVG 2009 auf dem richtigen Wege ist und zu einer effektiven Anleiherestrukturierung erheblich beigetragen hat.

Kapitel 2

Das Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts Wie bereits erwähnt, verfolgte der Gesetzgeber bei der Reform im Jahr 2009 das Ziel, das SchVG konkurrenzfähig zu machen. Das Hauptmotiv für die Reform war nicht der Wunsch, das 100 Jahre alte SchVG 1899 zu modernisieren oder die starren Restriktionen dieses Gesetzes, die die Anleihegläubiger ihres Selbstkoordinationsrechts faktisch beraubt haben, aufzuheben, sondern in erster Linie, das Image des deutschen Rechts zu retten, nachdem unterschiedliche internationale Institutionen ihre Zweifel über die rechtliche Zulässigkeit von Umschuldungsklauseln für Anleihen nach deutschem Recht und mithin Zweifel an der Attraktivität der deutschen Rechtsordnung geäußert haben. Während der Gesetzgeber Mitte der 1990er Jahre im Rahmen der Insolvenzrechtsreform noch von der Notwendigkeit einer zusätzlichen Beschränkung der ohnehin schwachen Rechte der Anleihegläubigermehrheit spricht, weil die Minderheit angeblich nicht ausreichend geschützt ist, und 1999 das SchVG 1899 entsprechend diesem Gedanken durch die Neuregelung über die zeitliche Befristung von Restrukturierungsmaßnahmen auf höchstens drei Jahre ändert, bleibt von dieser Einstellung 10 Jahre später nicht viel übrig. Der „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ wird zum Hauptthema der Schuldverschreibungsrechtsreform 2009 und die Position des Gesetzgebers ändert sich radikal. Im Bewusstsein, dass Märkte für Schuldverschreibungen international geworden sind, spricht der Gesetzgeber nun von der Stärkung der Rechte der Anleihegläubiger sowie von der Notwendigkeit, auf gesetzlicher Ebene festzulegen, dass Mehrheitsklauseln eindeutig auch nach deutschem Recht zulässig sind. In diesem Zusammenhang entsteht konsequenterweise die Frage, inwieweit es dem Gesetzgeber gelungen ist, ein attraktives Koordinationssystem im Rahmen einer Anleiherestrukturierung zu schaffen. Ist das Hauptziel des Gesetzgebers erreicht und kann nun das neue SchVG einen würdigen Platz im Wettbewerb der Rechtsordnungen einnehmen? Um diese Frage zu beantworten, bedarf das SchVG 2009 einer weiteren Untersuchung nun auf Vergleichsebene mit anderen Rechtsordnungen, in erster Linie mit den „Vertretern“ des common-law-Systems, also mit US-amerikanischem und englischem Recht. Die Attraktivität dieser Rechtsordnungen wurde bei der Diskussion

104 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

auf der internationalen Ebene um Umschuldungsklauseln in Anleihebedingungen besonders hervorgehoben.

§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht Als erstes wird im Rahmen des Rechtsvergleichs das US-amerikanische Recht der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung vorgestellt. Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf § 316 (b) Trust Indenture Act1 1939 (im Weiteren „TIA“). Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift ähnelt, wie zu zeigen sein wird, demjenigen des § 5 SchVG 2009 im deutschen Recht. Die Vorschrift bestimmt die Reichweite der Kompetenz der Anleihegläubigermehrheit bei einer Änderung der Anleihebedingungen und übernimmt aus diesem Grund die Rolle der Zentralvorschrift des US-amerikanischen Schuldverschreibungsrechts.

A. § 316 (b) TIA und die absoluten Rechte der Anleihegläubiger § 316 (b) TIA sieht folgende Regelung vor: „Notwithstanding any other provision of the indenture to be qualified, the right of any holder of any indenture security to receive payment of the principal of and interest on such indenture security, on or after the respective due dates expressed in such indenture security, or to institute suit for the enforcement of any such payment on or after such respective dates, shall not be impaired or affected without the consent of such holder, except as to a postponement of an interest payment consented to as provided in paragraph (2) of subsection (a), and except that such indenture may contain provisions limiting or denying the right of any such holder to institute any such suit, if and to the extent that the institution or prosecution thereof or the entry of judgment therein would, under applicable law, result in the surrender, impairment, waiver, or loss of the lien of such indenture upon any property subject to such lien.“2 § 316 (b) TIA spricht von dem Recht „to receive payment of the principal and interest“ und dem Recht „to institute suit for the enforcement of any such payment“. Diese Rechte gelten als absolute Rechte der Anleihegläubiger.3 Absolut sind sie, weil sie kraft Gesetzes bestehen. § 316 (b) TIA stellt 1  Das Gesetz v. 03.08.1939, Pub. L. 76-253, 53 Stat. 1149 (1939), 15 U.S.C.A. §§ 77aaa–77bbbb; 15 U.S.C. §§ 77ppp(b) (= § 316 (b) TIA). 2  Hervorhebung hinzugefügt. 3  Shuster, 14 ABI L. Rev. 431, 432 (2006); Kashner, 44 Bus. Law. 123 (127) (1988); Plotko/Paradise, After Marblegate: What Rights Do Holdout Bondholders Have?, S. 2 („sacred rights“).



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 105

eine zwingende Regelung dar und seine Geltung kann nicht durch den Anleihevertrag (indenture) beschränkt oder ausgeschlossen werden4, soweit der Geltungsbereich des TIA eröffnet ist. Im Schrifttum wird § 316 (b) TIA aus diesem Grund noch als bondholderʼs Bill of Rights bezeichnet.5 Der Regelungsinhalt der Vorschrift des § 316 (b) TIA besteht darin, dass die Ansprüche auf Zahlung des Kapitals und der Zinsen sowie die individuellen Klagerechte, die diese Ansprüche betreffen, ohne Zustimmung jedes einzelnen Anleihegläubigers nicht beeinträchtigt werden dürfen. Diese Rechte stellen die Kernrechte der Anleihegläubiger dar. Sie sind der „Verfügungskompetenz“ der Anleihegläubigermehrheit nach § 316 (b) TIA entzogen. Ein im Rahmen der Anleiherestrukturierung gefasster Beschluss über die Beschränkung der Kernrechte bzw. über die Änderung der core payment terms6 entfaltet mithin keine bindende Wirkung für die dissentierende Minderheit. § 316 (b) TIA sieht Ausnahmen von dem Beeinträchtigungsverbot vor7, und zwar hinsichtlich der Möglichkeit der Stundung der Zinsforderung bis zu drei Jahren aufgrund einer Mehrheitsentscheidung der Anleihegläubiger8 sowie hinsichtlich der Möglichkeit der Beschränkung des Klagerechts ohne gleichzeitige Betreibung einer Zwangsvollstreckung in Sicherungsrechte.9 Es 4  Shuster, 14 ABI L. Rev. 431, 432 (2006); vgl. auch American Bar Association, Annotated Trust Indenture Act, § 316 (15 U.S.C., § 77 ppp), 67 Bus. Law. 977, 1145 (2012); Continental Bank & Trust Co. v. First National Petroleum Tr., 67 F. Supp. 859, 871 (D.R.I., 1946); BOKF, N.A. v. Caesars Entertainment Corp., 144 F. Supp. 3d. 459, 466, 471 (S.D.N.Y. 2015). 5  Shuster, 14 ABI L. Rev. 431, 433 (2006). 6  Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 20 (2017); Roe, 97 Yale L.J. 232 (1987). 7  Dazu siehe auch Lürken, CFl 2011, 352 (354 f.). 8  Der Beschluss der Anleihegläubiger bedarf einer qualifizierten Mehrheit der Stimmen (75 %), falls die Anleihebedingungen keine höheren Mehrheitserfordernisse bestimmen. Ursprünglich plante der Kongress, für die Stundung der Zinsforderung eine maximal zulässige Dauer nur bis zu einem Jahr vorzusehen (siehe House of Representatives, Rep. No. 75-1619, 19 (1938); dass., Rep. No. 76-248, 26 (1939), ausdrücklich hingewiesen in dass., Rep. No. 76-1016, 36 (1939)). Im Laufe der Beratungen wurde aber die Frist verlängert und die Veränderung der Fälligkeit ermöglicht. Ähnliche zeitliche Grenzen sieht das SchVG 1899 vor, das allerdings liberaler ist: Im Unterschied zum TIA lässt das SchVG 1899 auch die Stundung der Hauptforderung als Restrukturierungsoption zu. 9  Die zweite Ausnahme des § 316 (b) TIA betrifft das sog. „election of remedies law“, das nur bei besicherten Anleihen in Betracht kommt (dazu Shuster, 14 ABI L. Rev. 431, 435 f. (2006); siehe auch American Bar Association, Annotated Trust Indenture Act, § 316 (15 U.S.C., § 77 ppp), 67 Bus. Law. 977, 1146 (2012); Lürken, CFl 2011, 352 (355)). Der Gesetzgeber wollte dem Umstand Rechnung tragen, dass in einzelnen Staaten die gerichtliche Geltendmachung der Zahlungsansprüche aus gedeckten Schuldverschreibungen ohne Betreibung der Zwangsvollstreckung in Sicherungsrechte als waiver of the security seitens der klagenden oder sogar aller An-

106 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

muss allerdings beachtet werden, dass die Bedeutung dieser Ausnahme­ regelungen sehr gering ist. Die absolute Macht der Anleihegläubiger hinsichtlich ihrer Kernrechte wird von diesen Ausnahmen faktisch nicht berührt. I. Ausgangspunkt: Mehrheitsklauseln auch ohne spezielle gesetzliche Grundlage Nachdem § 316 (b) TIA kurz vorgestellt wurde, ist es notwendig anzumerken, dass das US-amerikanische Recht im Unterschied zu deutschem Recht und dem SchVG 2009 keine spezielle Norm vorsieht, die die Einführung von Mehrheitsklauseln in Anleihebedingungen ausdrücklich erlaubt. Auch der TIA, der die Rechte von Anleihegläubigern behandelt, enthält lediglich eine Regelung, die die Geltung des Mehrheitsprinzips bei einer Anleiherestrukturierung beschränkt bzw. ganz ausschließt. Der US-amerikanische Gesetzgeber geht davon aus, dass die Änderung der Anleihebedingungen im Wege eines Mehrheitsbeschlusses, soweit die Anleihebedingungen dies vorsehen, grundsätzlich zulässig ist und keiner speziellen Ermächtigungsnorm bedarf. Dieses Recht besteht somit bereits kraft Vertragsfreiheit. Kraft Vertragsfreiheit kann der Anleihegläubigermehrheit die Befugnis erteilt werden, über die Änderung der Anleihebedingungen zu entscheiden, soweit die core payment terms, die die Kernrechte im Sinne des § 316 (b) TIA regeln, davon nicht betroffen sind. II. Zweck und Begründung der Beschränkung des § 316 (b) TIA Warum sind aber die core payment terms von der Geltung des Mehrheitsprinzips nach § 316 (b) TIA ausgeschlossen? Was erklärt den absoluten Schutzcharakter der Kernrechte der Anleihegläubiger? Um eine Antwort auf diese Frage zu geben, muss der historische Kontext des Gesetzes mitberücksichtigt werden.10

leihegläubiger gilt. Um dies zu vermeiden, erlaubte die Vorschrift des § 316 (b) TIA die Beschränkung des individuellen Klagerechts des Anleihegläubigers durch Anleihebedingungen, falls die Rechtsverfolgung eine Beeinträchtigung der Besicherung mit Pfandrechten sowie anderer Sicherungsrechte der ganzen Anleihe zur Folge hat. 10  Siehe dazu Roe, 97 Yale L.J. 232, 251 ff. (1987); Buchheit/Gulati, 51 Emory L.J. 1317, 1326 ff. (2002); Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 21 f. (2017); Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1601 (2014); Shuster, 14 ABI L. Rev. 431, 437 ff. (2006); Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1241 f. (2016).



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 107

1. Schutz vor „backroom deals“11 Der TIA trat in Kraft im Jahr 1939, in den Zeiten der Großen Depression, ausgelöst von der Börsenkrise 1929. Die Idee des Erlasses eines restriktiven Gesetzes entstand als Reaktion auf eine Studie der Securities and Exchange Commission (im Weiteren „SEC“), geleitet von William O. Douglas, dem zukünftigem Vorsitzenden der SEC, dem Richter des US Supreme Court und – laut der letzten Rechtsprechung – dem Hauptarchitekten der Restriktion des § 316 (b) TIA.12 Die SEC untersuchte Mehrheitsklauseln mehrerer Anleihen zum Zwecke der Anleiherestrukturierung und stellte fest, dass die Klauseln, obwohl sie das Problem der Bindung dissentierender Gläubiger lösen könnten, die Grundlage für Missbrauch seitens der sog. dominant groups und insbesondere corporate insiders schafften.13 Die SEC befürchtete, die Gesellschafter des Emittenten könnten durch den Kauf von Schuldverschreibungen oder anderweitige Kontrollmechanismen entscheidungserhebliche Stimmrechtanteile erlangen und der Änderung der Anleihebedingungen zustimmen, um im Endergebnis von dem beschlossenen Erlass der Forderung gegen den Emittenten als equity holders zu profitieren. „What the outsiders lost as bondholders, the insiders gained as stockholders.“14 Das System der Anpassung der Anleihebedingungen mit Hilfe von Mehrheitsklauseln führe aus Sicht der SEC zur Ausbeutung der Minderheit, die ohnehin meistens nicht in der Lage sei, ausreichende Information über die An­ leiherestrukturierung zu bekommen bzw. sie richtig zu bewerten.15 „[T]hese majority and dominant groups will not be adequate protectors of the minorities“, führte die SEC aus. „[They] cannot be expected to serve both assenters and dissenters assiduously.“16

11  Groendyke,

94 Texas L. Rev. 1239, 1241 (2016). 111 F.Supp. 3d 542, 614 (S.D.N.Y. 2015; dazu auch Roe, 97 Yale L.J. 232, 234 (1987)); ähnlich 846 F.3d 1, 10 (2017) („ ‚main proponent‘ of the legislation before Congress“). 13  SEC, Report on the Study and Investigation of the Work, Activities, Personnel and Functions of Protective and Reorganization Committees (1936), Part VI – Trustees under Indentures, S. 150; siehe auch Roe, 129 Harvard L. Rev. Forum 360, 365 (2016). 14  Roe, 97 Yale L.J. 232, 251 (1987); vgl. auch Buchheit/Gulati, 51 Emory L.J. 1317, 1328 (2002); Buchheit, 17 IFLR 13, 14 (1998). 15  SEC, Report on the Study and Investigation of the Work, Activities, Personnel and Functions of Protective and Reorganization Committees (1937), Part II – Committees and Conflict of Interest, S. 1; dazu auch Roe, 97 Yale L.J. 232, 252 (1987). 16  SEC, Report on the Study and Investigation of the Work, Activities, Personnel and Functions of Protective and Reorganization Committees (1936), Part VI – Trustees under Indentures, S. 149 f. 12  Siehe

108 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Diese Befürchtungen teilte der Kongress, als er nach dem Report – entsprechend dem Vorschlag der SEC – den TIA 1939 erließ, in dem die Änderung der Kernbedingungen in § 316 (b) verboten wurde. Die SEC und der Kongress gingen davon aus, dass eine Anleiherestrukturierung grundsätzlich nur in zwei Wegen möglich sein soll: Entweder stimmt jeder betroffene Anleihegläubiger der Anpassung der wesentlichen Bedingungen zu oder die Anleiherestrukturierung soll unter Kontrolle des Gerichts erfolgen, das den Restrukturierungsplan auf Fairness überprüfen und einer „inversion of the normal priorities in a corporate bankruptcy by which a companyʼs debt holders are paid off before the equity holders“ vorbeugen kann.17 Da der erste Weg nicht realisierbar ist, bleibt als einzig möglicher der Weg über richter­ liche Aufsicht. Die Kommission und der Kongress meinten dabei die Möglichkeit der Restrukturierung nach Sec. 77 B US Bankruptcy Act18, der später zum Chapter 11 des Bankruptcy Code19 geworden ist. Sec. 77 B ermöglichte gerade eine Reorganisation im Wege einer Mehrheitsentscheidung, allerdings unter Kontrolle eines Insolvenzgerichts. Die Kommission und der Kongress waren somit nicht gegen die Geltung von Mehrheitsklauseln an sich, solange der Restrukturierungsvorgang auf einer fairen Basis erfolgt.20 Gleichzeitig waren sie aber der Ansicht, dass eine außergerichtliche Anleiherestrukturierung auf einer fairen Basis nicht erfolgen kann, weil diese Art der Restrukturierung Missbrauchsmöglichkeiten zu Lasten der Minderheit schafft. Der Gesetzgeber sah somit § 316 (b) TIA als die Vorschrift an, deren Funktion eher darin besteht, den Weg zu der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung (out-of-court restructuring) zu verhindern.21

17  Buchheit/Gulati,

51 Emory L.J. 1317, 1328 (2002). v. 07.06.1934, Pub. L. 73-296, 48 Stat. 911. 19  Titel 11 in U.S.C., §§ 101–1330. 20  Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 22 (2017). 21  Vgl. House of Representatives, Rep. No. 75-1619, 19 (1938) („[e]vasion of judicial scrutiny of the fairness of debt-readjustment plans is prevented by this prohibition“); dass., Rep. No. 76-248, 26 (1939); dass., Rep. No. 76-1016, 56 (1939), dazu auch Roe, 97 Yale L.J. 232, 251 (1987); Shuster, 14 ABI L. Rev. 431, 438 (2006); Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1242 (2016). Diese Frage wird im MarblegateProzess (Marblegate Asset Management, LLC v. Education Management Corp.) relevant, siehe 846 F.3d 1 (2017), 75 F.Supp. 3d 592 (S.D.N.Y. 2014) und 111 F.Supp. 3d 542 (S.D.N.Y. 2015). 18  Gesetz



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 109

2. Konvergenz mit der Praxis Vollständigkeitshalber soll erwähnt werden, dass die Verfasser des TIA sich zum Erlass des restriktiven § 316 (b) TIA, der die Änderung der wesentlichen Anleihebedingungen verbietet, ohnehin durch die Praxis berechtigt fühlten. Die Zahl der US-amerikanischen indentures, die Mehrheitsklauseln zum Zwecke der Ermöglichung einer Anleiherestrukturierung vorsahen, war zu den Zeiten des Erlasses des TIA noch sehr gering.22 Der Grund dafür war, dass die Restrukturierungen meistens in einem anderen Wege, über die sog. equity receiverships, erfolgten.23 Die Emittenten, die dennoch in die Anleihebedingungen Mehrheitsklauseln eingeführt hatten, bestimmten, dass die Rechte jedes einzelnen Anleihegläubigers, „to receive his principal and interest when due and to bring suit therefore“, absolut sind.24 Emittenten übernahmen die Restriktion des zukünftigen § 316 (b) TIA hinsichtlich der Änderung der Kernbedingungen in den Anleihevertrag aus eigener Initiative. „[A] prohibition of this sort was perfectly standard in note and bond indentures“, heißt es in den Gesetzesmaterialien.25 Die Einführung des Beeinträchtigungsverbots war aus Sicht des Kongresses also gerechtfertigt, weil die Regelung des § 316 (b) TIA ohnehin die bereits bestehende Praxis der Anleiherestrukturierung widerspiegelte. Die Restriktion stellte zum Zeitpunkt des Erlasses des TIA an sich keine durchbrechende Vorschrift dar.26 3. Negotiable test Warum waren aber die Emittenten nicht bereit, umfassende Mehrheitsklauseln in Anleihebedingungen einzuführen, wenn dies vor dem Erlass des TIA gesetzlich nicht verboten war? Dies erklärt sich dadurch, dass Mehrheitsklauseln damals die Handelbarkeit von Anleihen behindern konnten.27 22  SEC, Report on the Study and Investigation of the Work, Activities, Personnel and Functions of Protective and Reorganization Committees (1936), Part VI – Trustees under Indentures, S. 143; vgl. auch Billyou, 57 Yale L.J. 595 und 596 (1948); Haines, 38 Michigan L. Rev. 63, 64 (1939). 23  Haines, a. a. O., S.  64. 24  House of Representatives, Rep. No. 76-1016, 56 (1939). 25  House of Representatives, a. a. O., S.  56. 26  Vgl. Roe, 97 Yale L.J. 232, 258 (1987); Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1242 (2016). 27  House of Representatives, Rep. No. 76-1016, 56 (1939) („[i]n many States it is necessary in order to preserve the negotiability of the notes or bonds“); dazu auch

110 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Die New York Stock Exchange, die die Zulassungsregeln faktisch für alle Anleihen bestimmt hatte, verlangte in Übereinstimmung mit dem Negotiable Instruments Law Anleihebedingungen ohne Umschuldungsklauseln. Die Forderung aus einer Schuldverschreibung musste „an unconditional promise … to pay a sum certain in money … payable … at a fixed or determinable future time“ enthalten.28 Sahen die Anleihebedingungen dagegen die Möglichkeit der Herabsetzung bzw. der Stundung der Hauptforderung vor, wenn die Mehrheit der Anleihegläubiger dieser Änderung zustimmt, war der Anspruch nicht mehr als unconditional, die Schuldverschreibung konsequenterweise nicht mehr als negotiable betrachtet.29 Dieser negotiable test zwang Emittenten zum Ausschluss der Option einer Änderung der Kernbedingungen im Anleihevertrag und diente im Endergebnis als zusätzliche Rechtfertigung für die Einführung der beschränkenden Regelung des § 316 (b) TIA für den Gesetzgeber. Später, als sich die Restrukturierungstechnik von equity receiverships als nicht mehr effektiv zeigte und die Frage nach der Nutzung von Umschuldungsklauseln für Emittenten wieder aktuell wurde, in erster Linie insbesondere nachdem die strikte negotibiality-Vorschrift für Schuldverschreibungen durch den Uniform Commercial Code 1951 aufgehoben wurde, entfielen die zusätzlichen Rechtfertigungsgründe für § 316 (b) TIA. Die Argumente des Kongresses, die beschränkende Regelung entspreche ohnehin der Praxis und sei für die Sicherung der Handelbarkeit von Schuldverschreibungen notwendig, trafen damit nicht mehr zu. Dies führte aber nicht zur Aufhebung der Restriktion des § 316 (b) TIA. D. h., dass wenn heutzutage die Bedingungen der Anleihen, die in den Anwendungsbereich des TIA fallen, die Anpassung der Kernbedingungen beschränken, erfolgt dies nun aus dem (einzigen) Grund, dass dies dem § 316 (b) TIA entspricht. Zeigt sich also der Emittent bereit, umfassende Umschuldungsklauseln in die Bedingungen seiner Anleihe einzuführen, ist er daran gesetzlich gehindert. Die Klauseln, die die Änderung der Kernbedingungen ausschließen, sind heutzutage zu den Standardklauseln geworden, nicht weil dies den Interessen der Praxis besser entspricht, sondern (nur) weil § 316 (b) TIA dies noch immer so verlangt.

Roe, 97 Yale L.J. 232, 256 ff. (1987); Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1242 (2016). 28  Roe, 97 Yale L.J. 232, 256 (1987); dazu auch Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1242 (2016); Billyou, 57 Yale L.J. 595 und 597 (1948); Roscoe, 41 Yale L.J. 799, 811 (1932). 29  Bestätigt auch vom New York Court of Appeal in Enoch v. Brandon, 249 N.Y. 263, 164 N.E. 45, 47 (1928) (dazu Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1242 (2016)) und President and Directors of Manhattan Co. v. Morgan, 242 N.Y. 38, 150 N.E. 594 (1926) (dazu Roscoe, 41 Yale L.J. 799, 801 (1932)).



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 111

Wie man sieht, haben sich die Argumentationsbasis und die Motive des Gesetzgebers, die hinter dem Erlass des § 316 (b) TIA stehen, erheblich geändert. Dennoch sah der Kongress keinen Anlass für eine Gesetzesreform bzw. die Änderung der Vorschrift. § 316 (b) TIA bleibt weiter bestehen. Aus dem Umstand, dass die Restriktion nicht aufgehoben war, kann lediglich geschlossen werden, dass sich die Position des Gesetzgebers hinsichtlich der Missbrauchsgefahr seitens der Anleihegläubigermehrheit bei einer Anleiherestrukturierung nicht geändert hat, auch nicht 70 Jahre später. Mit dieser Einstellung und Begründung befindet sich der US-Gesetzgeber noch auf dem „Stand“ der Argumentation der Verfasser des deutschen alten SchVG 1899, die ebenfalls sehr skeptisch waren und in einer freiwilligen außergericht­ lichen Anleiherestrukturierung eher nur die Aushöhlung der Rechte der opponierenden Minderheit gesehen haben. III. Geltungsbereich des § 316 (b) TIA Nachdem der Regelungsgehalt und die Funktion des § 316 (b) TIA erklärt worden sind, ist es notwendig zu zeigen, für welche Anleihen das gesetzliche Verbot der Änderung der wesentlichen Bedingungen überhaupt relevant ist, mit andern Worten, wie weit der Geltungsbereich der restriktiven Vorschrift des § 316 (b) TIA reicht. Als Grundregel gilt, dass der TIA auf „notes, bonds, debentures and other evidence of indebtedness, whether secured or not secured, to all certificates representing such an interest and to all guarantees of any of the aforementioned securities and certificates“ (vgl. § 304 (a) (1) TIA) Anwendung findet, soweit sie nicht ausdrücklich vom Geltungsbereich ausgeschlossen sind.30 Dabei ist zu beachten, dass unmittelbar § 316 (b) TIA von „indentures to be qualified“ spricht. Mit dem Begriff „qualifizierte“ bzw. „zu qualifizierende“ Anleihen meint der Gesetzgeber vor allem die Anleihen, für die eine Anmeldung (registration statement) bei der SEC nach dem Securities Act 193331 (im Folgenden „SA“) erforderlich ist (§ 303(9)(A) TIA).32 Der TIA knüpft somit den Geltungsbereich faktisch an denjenigen des SA.33 Greift der SA nicht, braucht die Anleihe nach dem TIA nicht qualifiziert zu werden. Insofern findet die Restriktion des § 316 (b) TIA z. B. keine Anwendung auf Anleihen:

30  Dazu auch Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15 Rz. 15.14. 31  15 U.S.C. § 77a et seq., Pub. L. 73–22, 48 Stat. 74. 32  Lürken, CFl 2011, 352 (354). 33  Vgl. Foulkes, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., Anhang 1, A, Rn. 11, 20.

112 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

– die nicht anmeldepflichtig nach dem SA sind, d. h. in erster Linie Angebote und Verkäufe an institutionelle Inverstoren (qualified institutional buyers (QIBs)), also Privatplatzierungen (§ 4(a)(2) SA)34; zu berücksichtigen ist aber, dass die Schuldverschreibungen, die im Rahmen eines Umtausches angeboten werden (exchange offer, § 3(a)(9) SA), trotz der Befreiung von der Anmeldepflicht nach SA einer TIA-Qualifikation bedürfen35; – Anleihen öffentlicher Emittenten/Garantiegeber (§  304(a)(4)(A) TIA i. V. m. § 3(a)(2) SA; § 304 (a)(6) TIA); – kurzfristige (bis zu neuen Monaten) Anleihen (§ 304(a)(4)(A) TIA i. V. m. § 3(a)(3) SA); – Anleihen der Emittenten, die keine kommerziellen Zwecke verfolgen (§ 304(a)(4)(A) TIA i. V. m. § 3(a)(4) SA); – Anleihen, die territorial (auf einen Staat) begrenzt zum Kauf angeboten werden (§ 304(a)(4)(A) TIA i. V. m. § 3(a)(11) SA); – Anleihen mit kleinem (Gesamt-)Emissionsvolumen (bis zu 10 Mio. $) in den letzten 36 Monaten (§ 304(a) (9) (B) TIA). Es lässt sich allgemein sagen, dass von der Geltung des § 316 (b) TIA faktisch alle Arten der Schuldverschreibungen privater Emittenten erfasst sind, soweit sie öffentlich angeboten werden, für einen territorial verstreuten Investorenkreis vorgesehen sowie nicht nur zum Zwecke einer kurzfristigen Finanzierung oder in kleinen Emissionsvolumina begeben werden. Dabei beschränkt § 316 (b) TIA seine Wirkung nicht auf heimische Emittenten, wie dies das deutsche alte SchVG 1899 macht. D. h. von der Restriktion können auch Nicht-US-Emittenten betroffen sein. Mit anderen Worten ist der Geltungsbereich des § 316 (b) TIA weit gefasst. Dazu muss unbedingt beachtet werden, dass, selbst wenn eine Qualifikation der Schuldverschreibungen nach dem TIA nicht erforderlich und der Emittent somit nicht an die Restriktion des § 316 (b) TIA gebunden ist – wie z. B. im Falle einer Privatplatzierung an institutionelle Investoren –, Anleihebedingungen meistens trotzdem eine Änderung der core payment terms durch Mehrheitsbeschluss entsprechend dem § 316 (b) TIA ausdrücklich ausschlie34  Foulkes, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., Anhang 1, A, Rn. 11 f.; Lürken, CFl 2011, 352 (354). Zum Begriff „qualified institutional buyer“ und zu den Voraussetzungen der Befreiung siehe Rule 144A (private resales of securities to institutions, 17 C.F.R. § 230.144A). Siehe auch in diesem Zusammenhang Regulation S (17 C.F.R. § 230.901–905), die diejenigen Angebote und Verkäufe von der Anmeldepflicht nach Sec. 5 Securities Act 1933 befreit, welche außerhalb der USA vorgenommen werden (d. h. die Befreiung gilt sowohl für US- als auch für Nicht-US-Emittenten). 35  Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15 Rz. 15.14; Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 192.



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 113

ßen.36 Die Restriktion des § 316 (b) TIA wird heutzutage für Anleihen unter Geltung des US-amerikanischen debt securities law als Marktstandard wahrgenommen, selbst wenn das Gesetz zur Beschränkung nicht zwingt. IV. Folge des Verbots des § 316 (b) TIA für eine Anleiherestrukturierung: Suche nach den Alternativen Aus dem bereits oben Gesagten folgt, dass eine Änderung der Anleihebedingungen im Wege eines Mehrheitsbeschlusses der Anleihegläubiger nach US-amerikanischem Recht grundsätzlich möglich ist. Das Recht, Mehrheitsklauseln in den Anleihevertrag einzuführen, besteht kraft Vertragsfreiheit und es bedarf im Unterschied zum deutschen Schuldverschreibungsrecht keiner speziellen Rechtsgrundlage. Eine Ausnahmeregelung stellt § 316 (b) TIA dar, der die Änderung der Kernbedingungen (hinsichtlich der Zahlungsansprüche aus der Hauptforderung und Zinsforderungen sowie entsprechender Einzelklagerechte) verbietet. Der Geltungsbereich dieser Verbotsnorm ist sehr weit gefasst: Erfasst sind – faktisch gesehen – alle Arten von Schuldverschreibungen privater Emittenten. Und selbst dann, wenn der Anwendungsbereich des TIA nicht eröffnet ist und Anleihen keiner TIA-Qualifikation bedürfen, enthalten Anleihebedingungen in der Praxis die Restriktion des § 316 (b) TIA, weil § 316 (b) TIA vom Anleihemarkt als Standard angesehen wird. Wenn aber die Änderung der wesentlichen Anleihebedingungen mit Bindungskraft für die dissentierende Minderheit für so viele Anleihen rechtlich nicht zulässig ist, wie soll dann eine Anleiherestrukturierung überhaupt funktionieren? Nach US-amerikanischem Recht bleibt die Möglichkeit einer Restrukturierung bestehen. Trotz des Verbots des § 316 (b) TIA bleibt für die restrukturierungswillige Mehrheit noch Raum für ein Handeln. Es gibt mehrere alter36  Kahan, NYU School of Law, Law & Economics Research Paper Series No. 1801, S. 2; Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 257; Wilkinson/ Wood/Bright, Marblegate: what does it mean for European restructurings?, am Anfang, abrufbar unter: https://eurorestructuring.weil.com/overseas-jurisdiction/marblegate/; Pellegrino/Chernick/Logue, Marblegate Decision Overturned by the Second Circuit Court of Appeals, am Anfang, abrufbar unter: https://www.paulhastings.com/ docs/default-source/PDFs/stay-current-marblegate-decision-overturned-by-the-se cond-circuit-court-of-appeals.pdf; Chapman/Haueter/Grinceri, Marblegate: Southern District’s TIA Decision Reversed – Now What?, S. 1, 3, abrufbar unter: https://www. sidley.com/en/insights/newsupdates/2017/02/marblegate-reversed; Pickerill, RIW 2017, 487 (491); vgl. auch Lürken, CFl 2011, 352 (354); zu Anleihen öffentlicher Emittenten Buchheit/Gulati, 51 Emory L.J. 1317, 1329 (2002) und Buchheit, 17 IFLR 13, 14 (1998); siehe schließlich den Bericht des IWF „The Design and Effectiveness of Collective Action Clauses“ v. 06.06.2002, S. 7, abrufbar unter: https://www.imf. org/external/np/psi/2002/eng/060602.pdf.

114 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

native Restrukturierungstechniken, die einerseits den status quo der Anleihegläubiger hinsichtlich ihrer Kernrechte auf Rückzahlung des Kapitals und der Zinsen wahren, andererseits aber die Umschuldung des Emittenten ermög­ lichen. Problematisch ist allerdings, dass einige Restrukturierungsoptionen eine direkte Umgehung des § 316 (b) TIA zum Ziel haben, was viele berechtigte Fragen nach ihrer rechtlichen Zulässigkeit hervorruft. Die US-Gerichte sehen sich in diesem Zusammenhang insbesondere in den letzten Jahren gezwungen, sich mit dem Problem der Auslegung des TIA auseinanderzusetzen. Diese Rechtsprechung erregt viel Aufmerksamkeit seitens der Praxis und der Wissenschaft, da sie faktisch die Grenzen einer zulässigen Anleiherestrukturierung bestimmt. Nach einer Darstellung alternativer Restrukturierungstechniken werden aus diesem Grund auch einige bedeutende Urteile kurz analysiert.

B. Alternative Restrukturierungstechniken Eine Anleiherestrukturierung erfolgt in zwei Wegen: über redemption oder repurchase von Schuldverschreibungen. Die letzte Variante, der repurchase, eröffnet vor allem den Weg zu einer Restrukturierung über tender offers oder exchange offers, die wiederum mit der rechtlich nicht unproblematischen Technik „exit consents“ kombiniert werden kann.37 I. (Early) redemption Als erste Alternative einer außergerichtlichen Restrukturierung von Anleihen bezeichnet man die redemption-Option. Sie gibt dem Emittenten die Möglichkeit, die Forderung aus der Schuldverschreibung früher zu tilgen. Grundsätzlich ist der Emittent nicht berechtigt, die Fälligkeit der Anleihe einseitig nach vorne zu verschieben, um früher aus dem Rechtsverhältnis mit dem Anleihegläubiger „auszusteigen“. Dieses Recht kann aber dem Emittenten nach den Anleihebedingungen zustehen. Eine redemption ist somit nur dann zulässig, wenn Anleihebedingungen sie ausdrücklich vorsehen.38 Nicht alle Finanzprodukte lassen diese Option zu. Insbesondere bei Nullkuponanleihen sowie commercial papers, die eine greater predictability of 37  Zu Restrukturierungstechniken siehe Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S.  7 ff.; Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15 Rz. 15.110 ff. 38  Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 8; Hutter, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, 3. Aufl., § 18 Rn. 101; vgl. auch Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429 (434).



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 115

return ermöglichen sollen, wird die redemption durch den Emittenten ausgeschlossen.39 Ist dies nicht der Fall und ist eine frühzeitige Tilgungsmöglichkeit zugelassen, können Anleihebedingungen die näheren Voraussetzungen regeln, insbesondere: – ob der Emittent das Tilgungsrecht in Bezug auf alle oder nur einen bestimmten Anteil der Schuldverschreibungen ausüben darf; – no-call period, d. h. der Zeitraum nach der Emission, währenddessen der Emittent das redemption-Recht nicht ausüben darf (bzw. unter der Voraussetzung ausüben darf, dass die Anleihegläubiger eine Vorfälligkeitsentschädigung bekommen)40; – redemption price (entsprechend dem Vorfälligkeitsentschädigungsgedanken zahlt der Emittent zum Ausgabepreis eine kleine Prämie bestehend aus einem Anteil des Kupons (75 % oder 50 %), die sich aber mit jedem Jahr reduziert und in dem sog. final call period ganz entfällt (dies kann ein Jahr oder früher vor dem ursprünglich vereinbarten Fälligkeitstermin erfolgen)41; – redemption notice (insbesondere die Frist (10–60 Tage) für die Bekanntmachung). Im Vergleich zu weiteren Restrukturierungsoptionen stellt die redemption eine einfachere Alternative dar. Der Emittent übt faktisch sein in Einzelheiten vertraglich geregeltes Recht aus und es greifen insofern keine besonderen regulatorischen Anforderungen. Die Ausübung des frühzeitigen Tilgungsrechts verursacht außerdem keine großen Transaktionskosten. Trotzdem ist es nicht ohne Nachteile. Der Hauptnachteil besteht darin, dass diese Technik, erstens, unmittelbar keine Änderung der Anleihebedingungen ermöglicht und, zweitens, nicht hilfreich in dem Fall ist, wenn der Emittent in eine Finanzkrise gerät und an Liquiditätsproblemen leidet. Dies nimmt der redemption-Option fast das ganze Restrukturierungspotenzial.

39  Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 8, Fn. 4; Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15 Rz. 15.110. 40  Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15 Rz. 15.111; Hutter, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, 3. Aufl., § 18 Rn. 103. 41  Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15 Rz. 15.112; Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 10; vgl. auch Hutter, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, 3. Aufl., § 18 Rn. 103.

116 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

II. Open market and privately negotiated repurchase (bond buyback) Scheidet die redemption als Alternative aus, kann sich der Emittent zum Rückkauf der Schuldverschreibungen (repurchase of debt securuties) entscheiden. Diese Variante bietet sich insbesondere dann an, wenn die Anleihe auf dem Markt unter ihrem Nennwert gehandelt wird (trading below par), was u. a. der Fall ist, wenn der Emittent finanzielle Schwierigkeiten hat.42 Mit dem Rückkauf kann der Emittent die Forderungen aus den Schuldverschreibungen durch Konfusion zum Erlöschen bringen, und zwar mit einem erheblichen Preisabschlag, weil er den Anleihegläubigern weniger als den Nennwert zahlt (Tilgung at a discount). Über diesen Weg kann der Rückkauf meistens erfolgen, wenn die Schuldverschreibungen auf eine kleine Zahl von Anleihegläubigern verstreut sind bzw. der Emittent einen Großanleihegläubiger identifizieren kann und eine Verhandlungsmöglichkeit über den Preis und den Anteil der zurückzukaufenden Schuldverschreibungen mit dieser Person besteht (privately negotiated repurchase). Alternativ kann der Emittent die Schuldverschreibungen im Wege eines open market repurchase mit Hilfe eines Brokers erwerben.43 III. Tender offer Solche Varianten, wie privately negotiated repurchase und open market repurchase, können genauso wie redemption schnell und einfach durchgeführt werden, weil sie keinen speziellen regulatorischen Anforderungen unterliegen. Der Nachteil dieser Techniken besteht aber darin, dass sie dem Emittenten nicht erlauben, alle bzw. den wesentlichen Teil der Schuldverschreibungen zurückzukaufen. Zu diesem Zweck sieht der US-Gesetzgeber eine andere Option vor, nämlich den Rückkauf im Wege eines tender offer. Trotz der Regulierung in zahlreichen Gesetzen findet man keine Legaldefinition des Begriffs „tender offer“. Aus diesem Grund ist die Feststellung, ob ein tender offer vorliegt, nicht immer einfach. Der Kongress und die SEC gehen sogar von der Notwendigkeit der Geltung eines offenen Begriffs aus, um ein möglichst weites Eingreifen der US Tender Offer Rules (zum Schutz

42  Vgl. Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 195; Wieneke, WM 2013, 1540. 43  Zu den Kriterien der Abgrenzung von einem tender offer siehe Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 17 f.



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 117

der Anleihegläubiger) zu gewährleisten.44 Die Rolle der Konkretisierung haben die US-Gerichte übernommen (siehe Wellman (eight-factor) test45 und Hanson test46). Grundsätzlich versteht man unter einem tender offer ein Angebot des Emittenten an die Anleihegläubiger, ihm ihre Schuldverschreibungen zu einem bestimmten/bestimmbaren Preis innerhalb eines bestimmten Zeitraums zum Kauf anzubieten (Aufforderung zur Abgabe eines Kaufangebots). Entscheidend ist in erster Linie nicht, dass das Angebot sich an ein breites Publikum, also an eine große Zahl von Personen, richtet, sondern eher, ob der Eindruck entsteht, dass sich die Anleihegläubiger in einer Drucksituation befinden, die sie zu einer schlecht informierten und unüberlegten Investitionsentscheidung zwingt. Faktisch gesehen erfolgt die Bestimmung von Komponenten eines tender offer heutzutage auf case-by-case-­ Basis.47 Wegen des Aspekts des Schutzes des Publikums ist diese Art des repurchase sehr streng reguliert. Zahlreiche regulatorische Anforderungen müssen von Emittenten beachtet werden, insbesondere hinsichtlich der Bestimmung der Bedingungen des Angebots. Obwohl die Durchführung dieser Technik zeit- und kostenaufwändig ist, gehört sie zu den bedeutendsten Restrukturierungstechniken. Der Nachteil ist aber derselbe: Der Emittent muss finanziell ausgestattet werden, um sich den Rückkauf seiner Schuldverschreibungen leisten zu können. IV. Exchange offer Exchange offers beruhen auf demselben Prinzip wie tender offers. Das Ziel des Emittenten besteht darin, seine Schuldverschreibungen zurückzuerwerben. Statt der Zahlung des Kaufpreises (cash consideration) bietet er jedoch neue Schuldverschreibungen (oder z. B. Aktien). Dem Anleihegläubiger wird vorgeschlagen, seine alten Schuldverschreibungen gegen neue umzutauschen (Anleiheumtausch). Exchange offers sind genauso wie tender offers sehr streng reguliert.

44  Vgl. Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 40 f. Die SEC veröffentlicht allerdings die sog. amicus briefs, in denen geklärt wird, ob bestimmte Fälle als tender offer betrachtet werden können. Die Position der SEC stimmt nicht immer mit der Position der Gerichte überein. Siehe dazu Gkoutzinis, a. a. O., S.  41 ff. 45  Siehe Wellman v. Dickinson, 475 F.Supp. 783, 823 ff. (S.D.N.Y. 1979); dazu auch Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 16. 46  Hanson Trust PLC v. SCM Corp., 774 F.2d 47 (2d Cir. N.Y. 1985), dazu auch Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 58 ff. 47  Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 40.

118 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Im Unterschied zu einem Rückkauf hat die Technik „exchange offer“ erhebliche Vorteile, die zulassen, ihr Restrukturierungspotenzial zu erhöhen. Zum einen kann der Emittent auf einen Anleiheumtausch zurückgreifen, wenn er Liquiditätsprobleme hat. Zum anderen kann durch Umtausch mittelbar eine „Änderung“ der Anleihebedingungen bewirkt werden, weil die Altanleihegläubiger ein neues Produkt mit neuen Bedingungen erlangen. Die neuen Anleihebedingungen sehen in erster Linie verlängerte Zahlungsfristen und (oder) die Herabsetzung der Hauptforderung vor48, was nach § 316 (b) TIA an sich verboten ist. Es liegt allerdings kein direkter Verstoß gegen § 316 (b) TIA vor. Die Vorschrift verbietet ihrem Wortlaut nach lediglich die Änderung der Hauptanleihebedingungen (durch Mehrheitsentscheidungen), nicht dagegen den freiwilligen Umtausch der alten Schuldverschreibungen gegen neue. V. Exit consents „Iʼm gonna make him an offer he canʼt refuse.“49

Obwohl solche Techniken wie „tender offer“ und „exchange offer“ bei der außergerichtlichen Restrukturierung hilfreich sind, reichen sie aus Sicht eines Emittenten nicht immer aus, um den Erfolg des Restrukturierungsprozesses zu sichern. Der Nachteil dieser Techniken –ungeachtet der Notwendigkeit, strenge regulatorische Anforderungen einzuhalten – besteht darin, dass sie bloß Anreize zur Beteiligung der Anleihegläubiger an der Änderung der ­Anleihebedingungen schaffen, sei es durch das Anbieten einer Prämie oder durch den Umtausch gegen neue Schuldverschreibungen. Mögliche Anreize für destruktives Verhalten seitens der Akkordstörer und, allgemein gesagt, das hold-out-Problem als Hauptproblem des Anleiherestrukturierungsrechts können dabei weiter bestehen. Will der Emittent aber nicht bloß Anreize für die Beteiligung an der Restrukturierung schaffen, sondern seine Anleihegläubiger faktisch dazu zwingen50 und dadurch den hold-out-Effekt erheblich reduzieren, nutzt er eine 48  Die Anleihebedingungen der neuen Schuldverschreibungen können den Vorrang der Forderungen in der Kapitalstruktur im Vergleich zu denjenigen aus den alten Schuldverschreibungen, eine Erhöhung des Zinssatzes oder andere Sicherheiten vorsehen, dazu Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 25; Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15 Rz. 15.124; Lürken, CFl 2011, 352 (355). 49  Zitat aus dem US-amerikanischen Film „The Godfather“ (1972) von Francis Ford Coppola, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Mario Puzo. 50  Vgl. Roe, 129 Harvard L. Rev. Forum 360, 366 f. (2016); Balthasar, ZHR 183 (2019), 662 (672); siehe auch das Urteil im Fall Assénagon, [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 3.



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 119

andere Technik, die sog. exit-consent-Technik. Diese Technik dient heutzutage als Hauptinstrument bei der Restrukturierung von Anleihen unter Geltung des US-amerikanischen Rechts.51 1. Die Struktur von exit consents Was steckt hinter dem Begriff „exit consents“ und wie werden exit consents rechtlich strukturiert? Die Struktur erinnert an diejenige bei exchange offers mit einer zusätzlichen Komponente, und zwar einer Zwangskomponente. Das Ziel des Emittenten besteht darin, den Umtausch gegen neue Schuldverschreibungen nicht bloß als eine Alternative vorzustellen, sondern, wie bereits erwähnt, dazu zu zwingen. Dies kann erreicht werden, wenn dem Anleihegläubiger eine reale Wahlmöglichkeit zwischen der Annahme des Umtauschangebots und dessen Ablehnung (mit der Möglichkeit, Altschuldverschreibungen weiter zu behalten) faktisch genommen wird. Die Aufgabe des Emittenten besteht dabei darin, die Folgen der Ablehnung des Umtauschangebots für den Anleihegläubiger möglichst ungünstig zu gestalten bzw. die Folgen mit eheblichen negativen Konsequenzen, die die Werthaltigkeit der Forderung betreffen, zu verbinden. Das Umtauschangebot, zu dessen Annahme der Anleihegläubiger rechtlich nicht verpflichtet ist, wird nach dem Prinzip „an offer you canʼt refuse“52 gestaltet. Entsprechend diesem Prinzip strukturiert der Emittent die Anleiherestrukturierung wie folgt: 1) Der Emittent bietet dem Anleihegläubiger an, die Schuldverschreibungen umzutauschen (dies ist das exchange offer, das wiederum aus einem tender offer und dem Verkauf der neuen Schuldverschreibungen (oder z. B. Aktien) besteht). 2) Von den umtauschwilligen Anleihegläubigern verlangt der Emittent, der Änderung bestimmter Bedingungen der Altschuldverschreibungen im Wege einer Mehrheitsentscheidung zuzustimmen (consent solicitaton53),

51  Vgl. Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 285; Herrmann, 66 Rutgers L. Rew. 775, 776 (2014); Anderson-Parson/Keasler/Byerly, 3 Int. J. Financial Stud. 230 f. (2015); Herrmann, 66 Rutgers L. Rev. 775, 776 (2014); Levine, „Everybody’s Doing It“ Legal Theory Does Not Protect English Bank Restructurings, Dealbreaker, v. 27.12.2012 („[exit consents] become standard[ ] worldwide“), abrufbar unter: http://dealbreaker.com/2012/07/everybodys-doing-it-legal-theory-does-not-pro tect-english-bank-restructurings. 52  Smith/Sharpe, 29 JIBFL 288 (2014). 53  Zum Begriff „consent solicitation“ siehe auch Hutter, in: Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung, 3. Aufl., § 18 Rn. 95.

120 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

soweit § 316 (b) TIA, der die Änderung der core payment terms verbietet, nicht eingreift.54 Zum Gegenstand der Mehrheitsentscheidung werden die Bedingungen, die eigentlich zum Schutz der Anleihegläubiger gedacht sind. So stimmen die Anleihegläubiger in erster Linie der Einführung der sog. subordina­tion clause zu, die die Begebung einer neuen senior Anleihe (die im Wege des Umtausches angeboten wird) mit in der Insolvenz vorrangigen Forderungen ermöglicht. Der Vorrang-Effekt kann zusätzlich dadurch gestärkt werden, dass der Emittent in den Bedingungen der neuen Anleihe kürzere Fälligkeitsfristen vorsieht.55 Außerdem können die Anleihegläubiger der Aufhebung der Garantie der Muttergesellschaft oder der Freigabe der Sicherheiten zustimmen, selbst wenn diese Sicherheiten als einziges Garantiemittel der Werthaltigkeit der Anleiheforderungen auftreten. Mit der Aufhebung bzw. Änderung der Schutzklauseln (covenant stripping56) verfolgt der Emittent das Ziel, die Altschuldverschreibungen möglichst unattraktiv im Vergleich zu den neuen Schuldverschreibungen zu gestalten, um die Anleihegläubiger zum „Austritt“ (exit) zu bewegen. Aus diesem Grund bezeichnet man die Technik als exit consents.57 Mit anderen Worten beruht die Idee der exit-consents-Technik auf dem Umtausch der Schuldverschreibungen mit der Aufhebung der Schutzklauseln der Altanleihe.58 Obwohl der Umtausch als freiwillige Option konstruiert wird, sieht der Anleihegläubiger keine andere Möglichkeit für sich als „auszutreten“. Denn, falls er das Umtauschangebot des Emittenten nicht akzeptiert, die Mehrheit der Gläubiger der Änderung der Bedingungen aber zustimmt und ihre Schuldverschreibungen gegen neue umtauscht, besteht für ihn die Gefahr, dass ihm nur nachrangige und wertlose Schuldverschreibungen verbleiben.59 Formal muss der Emittent die ursprünglichen Verbindlichkeiten der opponierenden Gläubiger, also holdouts, aus Altschuldverschrei54  Die Mehrheitserfordernisse bestimmen sich nach den Bedingungen der Altschuldverschreibungen. 55  Vgl. Roe, 129 Harvard L. Rev. Forum 360, 365 f. (2016); Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1227 (1991); Kaplan/Hebbeln, The Anglo-American Indenture, S. 22. 56  Lürken, CFl 2011, 352 (355); Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15 Rz. 15.137; Hutter, in: Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung, 3. Aufl., § 18 Rn. 106. 57  Siehe auch Peterson, 103 Yale L.J. 506 (1993); Keller, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (168). 58  Vgl. Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 14 (2017). 59  Dazu und zu der Struktur der Technik siehe Houghton/Malthasen/Edmonson, Exit Consents, S. 1, abrufbar unter: https://m.lw.com/thoughtLeadership/exit-consents;



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 121

bungen weiter wie gewöhnlich bedienen. Hinter diesen Schuldverschreibungen stecken aber möglicherweise keine wertvollen Forderungen mehr, da z. B. Sicherheiten aufgrund des Mehrheitsbeschlusses der umtauschwilligen Anleihegläubiger freigegeben worden sind. 2. Entscheidungsmatrix bei exit consents Die Entscheidungsstruktur bei der Anwendung der exit-consents-Technik kann ähnlich als diejenige des prisonerʼs dilemma modelliert werden.60 Die Position des Anleihegläubigers, der nicht über einen wesentlichen Anteil der Schuldverschreibungen verfügt, um das Ergebnis der Abstimmung über die Änderung der Bedingungen beeinflussen zu können, erinnert an die Position des Gefangenen, der in der Situation, wenn keine Koordinationsmöglichkeit mit anderen besteht, eine Wahlentscheidung treffen muss, die wiederum – wie gleich gezeigt wird – aus seiner Sicht nicht immer die günstigste ist. Wenn z. B. der Emittent X Schuldverschreibungen zu einem Nennwert von jeweils 1.000 Euro begeben hat, aber in finanzielle Schwierigkeiten gerät, sodass der Marktwert der Schuldverschreibungen auf jeweils 450 Euro sinkt, kann der Anleihegläubiger A vor die Wahl gestellt werden, entweder seine Schuldverschreibungen weiter zu behalten oder ein Umtauschangebot des Emittenten, das als exit consent strukturiert wird, anzunehmen. Gehen wir davon aus, dass der Emittent im Rahmen des Umtausches neue Schuldverschreibungen zum Wert von 450 Euro unter der Bedingung anbieten kann, dass die Anleihegläubiger der Aufhebung der Schutzbedingungen der Altanleihe mit Einhaltung aller Mehrheitserfordernisse zustimmen. Das covenant stripping wird zur Folge haben, dass der Wert der Altschuldverschreibungen jeweils auf 400 Euro weiter sinkt. Glaubt nun der Anleihegläubiger A, dass der reale Wert seiner Altschuldverschreibung 500 Euro beträgt61 und dass es ihm noch gelingt, sie zu diesem Preis – selbst wenn die Mehrheit der Anleihegläubiger das Angebot des Emittenten ablehnt – zu verkaufen, sieht seine individuelle Entscheidungsmatrix wie folgt aus:62

Kahan/Tuckman, 66 The Journal of Business 499, 502 ff. (1993); Amato, 6 Bocconi Legal Papers 237, 238 (2015). 60  Vgl. Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1227 ff. (1991); Buchheit/Gulati, 48 UCLA L. Rev. 59, 69 (2000); siehe auch Peterson, 103 Yale L.J. 505, 507 (1993) und das Urteil im Assénagon-Fall, [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 4. 61  Holdouts neigen dazu, den Wert ihrer Schuldverschreibungen zu überbewerten, vgl. Herrmann, 66 Rutgers L. Rev. 796 (2014). 62  Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1228 f. (1991); eine ähnliche Matrix (allerdings mit einem debt-equity-swap) findet man im Aufsatz von Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1247 ff. (2016).

122 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts Mehrheit der Anleihegläubiger

Anleihegläubiger A

behalten die Altschuldverschreibungen

Umtausch

behält die Altschuldverschreibungen

500 Euro

400 Euro

Umtausch

500 Euro

450 Euro

Abbildung 3: Entscheidungsmatrix aus Sicht des Anleihegläubigers A bei der Anwendung der Technik „exit consents“

Diese Matrix zeigt, dass aus Sicht eines einzelnen Anleihegläubigers kein Dilemma entsteht, falls die Mehrheit das covenant stripping mit einer Umtausch-Option ablehnt und die Altschuldverschreibungen behält (siehe die linke weiße Spalte „500/500“). Wenn aber die Mehrheit der Anleihegläubiger das Umtauschangebot des Emittenten annimmt, um sich den „exit“ aus der Altanleihe zu ermöglichen, ist der Anleihegläubiger A darauf angewiesen, dem Angebot in gleicher Weise zuzustimmen (siehe die rechte graue Spalte „400/450“). Denn dann kann er 450 Euro statt nur 400 Euro erlangen. Solange die Anleihegläubiger unkoordiniert bleiben, folgen sie dieser Strategie. D. h. sie werden immer dem Umtauschangebot mit einem covenant stripping zustimmen, obwohl das (koordinierte) Ablehnen des Angebots für sie eine bessere Option darstellen kann.63 3. Coercive offer Die Wirkung von exit consents besteht darin, dass sie die Anleihegläubiger zwingen, das Umtauschangebot des Emittenten zu akzeptieren, selbst wenn die Anleihegläubiger das Angebot an sich nicht optimal finden. Um nicht mit leeren Händen dazustehen, stimmen sie dem „exit“ zu und ermöglichen damit eine Restrukturierung der Anleihe.64 Wegen des Zwangselements, das das Angebot des Emittenten zu einem „offer you canʼt refuse“ macht, wird 63  Siehe dazu auch Roe, 129 Harvard L. Rev. Forum 360, 366 (2016); Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 169 f. (2015). 64  Vgl. Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1225 ff. (1991); Buchheit/Gulati, 48 UCLA L. Rev. 59, 68 f. (2000); Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1249 (2016);



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 123

diese Taktik als coercive (nötigend) und das Umtauschangebot als coercive offer bezeichnet.65 Wenn aber die Anwendung dieser Technik der Restrukturierung die An­ leihegläubiger zu Opfern macht, indem sie ihnen das Recht auf freie Wahl nimmt, und somit ein Potenzial zum Missbrauch seitens des Emittenten schafft66, muss gefragt werden, ob exit consents als Restrukturierungstechnik überhaupt rechtlich zulässig sind. Mit dieser Frage beschäftigten sich auch die US-Gerichte. Sie teilen, wie gleich gezeigt wird, die Ansicht, dass Umtauschangebote, die mit einem cove­nant stripping verlinkt werden, tatsächlich eine Zwangsnatur aufweisen. Es wird allerdings argumentiert, dass dies allein nicht ausreiche, um die Restrukturierungstechnik als unzulässig zu qualifizieren. Ein coercive offer kann nach der US-Rechtsprechung vom „legal [issuerʼs] right to make an offer“67 gedeckt werden. 4. Rechtliche Zulässigkeit der Technik „exit consents“ nach der US-Rechtsprechung a) Zulässigkeit der Zwangselemente Leading case, auf dem die US-Rechtsprechung zu der Problematik von coercive exit consents beruht, ist die Gerichtsentscheidung im Fall Katz v. Oak Industries, Inc. aus dem Jahr 198668.69 In diesem Fall, der hier vereinfacht dargestellt wird, ging es um den Emittenten Oak Industries, Inc., der in finanzielle Schwierigkeiten geraten war Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 169 f. (2015); Amato, 6 Bocconi Legal Papers 237, 238 (2015). 65  Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207 (1991); Peterson, 103 Yale L.J. 505, 507, 513 (1993); Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15 Rz. 15.137; Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1249 (2016); Kahan/Tuckman, 66 The Journal of Business 499, 502 (1993); siehe auch „Katz v. Oak Industries“-Fall, 508 A.2d 873 (Del. Ch. 1986). 66  Vgl. Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1249 (2016). 67  Kass v. Eastern Airlines (Del. Ch. 1986), 12 Delaware Journal of Corporate Law, Unreported Cases, 1074, 1077 (1987). 68  508 A.2d 873 (Del. Ch. 1986). 69  Dazu und zum Fall siehe Buchheit/Gulati, 48 UCLA L. Rev. 59, 70 ff. (2000); Rock, 163 University of Pennsylvania L. Rev. 2019, 2042 ff. (2015); Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 25 (2017); Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1592, 1602 f. (2014); Diaz/Funk/Kim/Rogers/Sawhney, The Enduring Legality of Exit Consents: A Realistʼs Guide, S. 5 f., abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3160274.

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und die Anleihegläubiger zum Zwecke einer Restrukturierung um die Zustimmung zum Umtausch der Altschuldverschreibungen in payment certifi­ cates bat, die mit einer Prämie (über dem Marktpreis der Anleihe) versehen waren. Der Restrukturierungsplan sah unter anderem als Bedingung die Zustimmung von 85 % der Anleihegläubiger zu dem geplanten Umtausch sowie die Aufhebung aller wesentlichen financial covenants der Anleihe (covenant stripping) vor. Der Anleihegläubiger Katz sah darin einen Vertragsbruch seitens des Emittenten wegen der Nutzung der exit-consents-Technik und verklagte diesen vor Gericht. Das Gericht hob in seiner Entscheidung in erster Linie hervor, dass die Verhältnisse zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern vertragsrechtlicher Natur70 seien und ein Vertragsbruch nur bei der Verletzung von Pflichten bejaht werden könne, die entweder im Vertrag geregelt seien oder nach Treu und Glauben bestehen (implied obligation of good faith and fair dealing). Da die Anleihebedingungen das fragliche exchange offer nicht ausdrücklich verboten, prüfte das Gericht die Verletzung der implied contractual obligations des Emittenten71, indem es fragte, ob die Parteien, hätten sie das beschriebene Restrukturierungsszenario vorhergesehen, die Möglichkeit eines Umtausches mit einem exit consent in den Anleihebedingungen ausgeschlossen hätten (legal test).72 Dies wurde in der Gerichtsentscheidung verneint.73 „Such an implication [that the issuer may not offer an inducement to bondholders to consent to such amendments] … would be wholly inconsistent with the strictly commercial nature of the relationship“, führte das Gericht aus.74 Das Gericht geht also davon aus, dass exit consents coercive sind, weil der Emittent die Anleihegläubiger zum Umtausch zwingt. Trotzdem betrachtet das Gericht diesen Umstand nur dann für relevant, wenn die Nutzung dieses 70  508

A.2d 873, 879 (Del. Ch. 1986). die Erklärung dazu (508 A.2d 873, 880 (Del. Ch. 1986)): „If the purpose of contract law is to enforce the reasonable expectations of parties induced by promises, then at some point it becomes necessary for courts to look to the substance rather than to the form of the agreement, and to hold that substance controls over form. What courts are doing here, whether calling the process ‚implication‘ of promises, or interpreting the requirements of ‚good faith‘, as the current fashion may be, is but a recognition that the parties occasionally have understandings or expectations that were so fundamental that they did not need to negotiate about those expectations.“ 72  508 A.2d 873, 880. 73  508 A.2d 873, 881. 74  508 A.2d 873, 881. 71  Siehe



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Zwangselements gleichzeitig eine Vertragsverletzung gewesen wäre.75 Da der legal test nach Ansicht des Gerichts, wie bereits erwähnt, negativ ausfiel, war der Zwang der exit consents per se nicht „wrongfully coercive“ oder „inappropiately coercive“76 und wurde im Endergebnis als rechtlich zulässig betrachtet. Der zweite Prüfungspunkt, der für das Gericht bestimmend war – den das Gericht allerdings in einer anderen Entscheidung, nämlich im Fall Kass v. Eastern Airlines77, näher erklärte –, war die Gleichbehandlung von Anleihegläubigern. Im Fall Kass v. Eastern Airlines beabsichtigte der Emittent, eine Prämie an diejenigen Anleihegläubiger zu zahlen, die dem covenant stripping zustimmen, und zwar der Aufhebung der Klauseln in den Anleihebedingungen, die die Zahlung von Dividenden an Aktionäre des Emittenten nach der Restrukturierung verbot. Das Gericht argumentierte, dass eine Verletzung des implied covenant of good faith seitens des Emittenten nur dann ausscheide, wenn der Emittent das Angebot an alle Anleihegläubiger unter gleichen Bedingungen richte.78 Solange also einzelne Anleihegläubiger gleich behandelt werden, schafft der Emittent einen right incentive to consent mit der Folge, dass das Angebot zum Zwecke einer Anleiherestrukturierung nicht beanstandet werden kann. b) Zulässigkeit der Umgehung des § 316 (b) TIA Nach den Urteilen Katz v. Oak Industries und Kass v. Eastern Airlines wird die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit von exit consents in der Rechtsprechung nicht mehr besonders problematisiert. Die Argumentation und die Kriterien, die in diesen Urteilen entwickelt sind, wurden vollständig 75  Siehe auch Diaz/Funk/Kim/Rogers/Sawhney, The Enduring Legality of Exit Consents: A Realistʼs Guide, S. 5, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3160274. 76  508 A.2d 873, 879 (Del. Ch. 1986). 77  12 Delaware Journal of Corporate Law, Unreported Cases, 1074, 1077 (1987); dazu auch Buchheit/Gulati, 48 UCLA L. Rev. 59, 72 f. (2000); Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1603 f. (2014); Diaz/Funk/Kim/Rogers/Sawhney, The Enduring Legality of Exit Consents: A Realistʼs Guide, S. 6 f., abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3160274. Das Erfordernis der Gleichbehandlung der Anleihegläubiger war bereits im Katz v. Oak Industries-Urteil erwähnt, siehe 508 A.2d 873, 881 (Del. Ch. 1986). 78  12 Delaware Journal of Corporate Law, Unreported Cases, 1074, 1080 ff. (1987) („The fact that the offer [ ] is one made publicly to all voters on the same terms – that each bondholder is free to accept or reject it – precludes[ ] a conclusion that it disenfranchises any voter or group of voters (although the same could not perhaps be said w[h]ere the offer of consideration in exchange for a bondholderʼs vote not made to all bondholders on the same terms).“).

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von anderen Gerichten akzeptiert und dienen auch heutzutage als Leitfaden in Anleiherestrukturierungsprozessen.79 „[E]xit consents survived judicial scrutiny.“80 Wichtig ist aber dabei zu verstehen, dass sich damit lediglich der Streit über den Nötigungscharakter des Umtauschangebots erledigte. Die Diskussion über die rechtliche Zulässigkeit von exit consents ging weiter, allerdings unter einem anderen Aspekt. Nachdem das Argument hinsichtlich der Nutzung des Zwangselements – solange der Emittent das Gleichbehandlungsgebot einhält – entfiel, konzentrierte sich die Kritik auf den weiteren Bestandteil der Technik, nämlich auf das covenant stripping. Es ging um die Frage, ob die Änderung bzw. Aufhebung von Schutzklauseln in Anleihebedingungen aufgrund einer Mehrheitsentscheidung von Anleihegläubigern gegen § 316 (b) TIA verstößt. Die Argumente der restrukturierungsunwilligen Anleihegläubiger beruhten hauptsächlich auf der Idee, dass exit consents eine Umgehung des § 316 (b) TIA darstellen. Denn wenn § 316 (b) TIA die Änderung der core terms verbietet, solle auch die Änderung der anderen Anleihebedingungen, die zum Schutz der Anleihegläubiger vorgesehen sind, unzulässig sein, wenn die Anleihe ohne diese Schutzbedingungen erheblich an ihrem Wert verliert. Nach den letzten Entscheidungen der New Yorker Gerichte aus den Jahren 2015–2017 gewinnt die Diskussion um die Umgehung des TIA und die Auslegung des § 316 (b) TIA erheblich an Interesse. Man kann sagen, dass dieses Thema zum Hauptthema des außergerichtlichen Anleiherestrukturierungsrechts nach US-amerikanischem Recht wurde. Problematisch ist aber, dass es für die US-Gerichte Schwierigkeiten bereitet, eine einheitliche Position hinsichtlich der Rechte der Anleihegläubigermehrheit zu erarbeiten und anhand des Wortlauts und der Gesetzesmaterialien zu bestimmen, ob § 316 (b) TIA die dissentierende Minderheit über die direkte Änderung der wesentlichen Anleihebedingungen hinaus schützt oder bloß einen formalen Anspruch auf Zahlung einräumt.81

79  Vgl. Kaplan/Hebbeln, The Anglo-American Indenture, S. 22 ff.; Buchheit/Gulati, 48 UCLA L. Rev. 59, 72 f. (2000). 80  Drake, 63 Duke L.J. 1589 (2014); so auch im Urteil im Assénagon-Fall, [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 5. 81  Zu Übersicht über die Rechtsprechung siehe BOKF v. Caesars Entertainment Corp., 144 F.Supp. 3d 459, 477 (S.D.N.Y. 2015); Waxman et al. v. Cliffs Natural Resources, Inc. (Fall-Nr. 1:16-cv-01899, S.D.N.Y. 2016), S. 16 ff.; Bagby/Maman/ Gwen, 27 BBLR 706, S. 3 f. (2015); Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 6 ff.



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aa) Weite Auslegung des § 316 (b) TIA Einer der ersten Fälle, in dem die Änderung der Anleihebedingungen auf Möglichkeit der Kollision mit dem TIA geprüft wurde, war der Fall Federated Strategic Income Fund v. Mechala Group Jamaica Ltd.82 Es ging es um einen Emittenten, der beabsichtigte, seine Schuldverschreibungen zurückzukaufen und zusätzlich eine Prämie an die Anleihegläubiger zu zahlen, die der Änderung bestimmter Anleihebedingungen (mit Ausnahme der core payment terms) zustimmen (covenant stripping). Die Änderung der Bedingungen hatte unter anderem zum Ziel die Ermöglichung der Übertragung wesentlicher Vermögenswerte des Emittenten auf seine Tochtergesellschaften sowie die Aufhebung der Klauseln in den Anleihebedingungen, die eine Garantie der Tochtergesellschaften vorsahen. Der Preis der restrukturierten Anleihe sollte dadurch faktisch auf null reduziert werden, da, obwohl die Forderungen der dissentierenden Anleihegläubiger in voller Höhe formal weiter bestanden, die geplante Änderung der Anleihebedingungen die Zahlung des Kapitals und der Zinsen unmöglich machte. Die Zustimmung zum covenant stripping drohte, die Anleihegläubiger einem vermögenslosen Emittenten gegenüberzustellen. Formal wurden die wesentlichen Anleihebedingungen nicht geändert. Rein faktisch gesehen lag eine Umgehung des § 316 (b) TIA vor. Diese Ansicht teilte das Gericht. Trotz des Umstandes, dass das Angebot des Emittenten von 77 % der Anleihegläubiger angenommen wurde, kam das Gericht zum Ergebnis, dass eine Beeinträchtigung der absoluten Rechte der Anleihegläubiger vorliege und damit auch ein Verstoß gegen § 316 (b) TIA.83 Ähnlich wurde im Fall Meehan Combs Global Credit Opportunities Fund, LP. v. Caesars Entertainment Corp. argumentiert.84 Die Zustimmung der Mehrheit der Anleihegläubiger zur Übertragung des ganzen Vermögens des Emittenten auf Dritte sowie zum Ausschluss der Garantie der Muttergesellschaft als Bedingung des tender offer wurde als unzulässig im Sinne von § 316 (b) TIA betrachtet. Das Gericht hielt es für ein unbefriedigendes Er82  No. 99 CIV 10517 HB., 1999 WL 993648 (S.D.N.Y. 1999); dazu auch Buchheit/Gulati, 48 UCLA L. Rev. 59, 73 f. (2000); Bagby/Maman/Gwen, 27 BBLR 706, S. 3 (2015); Kahan, The Recent Judgment of the US Court of Appeals in Marblegate Asset Management LLC v. Education Management Corp., Oxford Business Law Blog, abrufbar unter: https://www.law.ox.ac.uk/business-law-blog/blog/2017/03/re cent-judgment-us-court-appeals-marblegate-asset-management-llc-v; Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 6 f. 83  1999 WL 993648 (S.D.N.Y. 1999), siehe Punkt *7. 84  80 F.Supp. 3d 507 (S.D.N.Y. 2015), dazu auch Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1254 f. (2016); Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 64 f. (2017).

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gebnis, die Vorschrift eng, nur ihrem Wortlaut nach, auslegen zu müssen. Nach Ansicht des Gerichts dürften keine bloß formal existierenden Rechte oder die sog. „empty right[s]“85 bestehen. Geschützt sein sollten die Anleihegläubiger konsequenterweise nicht nur bei der expliziten Änderung der Hauptbedingungen (legal right to receive payment), sondern auch bei den Transaktionen, deren Ziel sei, die Anleihe wertlos zu machen (practical ­ability to recover payment).86 Die Übertragung der wesentlichen Vermögenswerte oder die Aufhebung der Garantieklausel aufgrund einer Mehrheitsentscheidung der Anleihegläubiger „is exactly what TIA section 316(b) is de­ signed to prevent“, führte das Gericht aus und entschied, dass die Restrukturierung unzulässig sei.87 Die Argumente der Gerichte scheinen auf den ersten Blick nachvollziehbar zu sein. Es gibt allerdings Gerichte, deren Urteile auf der gegenteiligen Ansicht beruhen und in der „Aushöhlung“ der Rechte der Anleihegläubiger keine Umgehung der Restriktion des § 316 (b) TIA erkennen. bb) Enge Auslegung des § 316 (b) TIA So wurde im Fall Magten Asset Management Corp. et al. v. NorthWestern Corp.88 (im Folgenden „NothWestern-Fall“) die Übertragung aller Vermögenswerte des Emittenten ausdrücklich als zulässig betrachtet, weil der TIA trotz seiner restriktiven Regelungen keine Garantie gewähre, dass der Emittent immer solvent bleibe. Es bestünden nur legal rights der Anleihegläubiger, also Schutzrechte vor einer direkten Änderung der Bedingungen hinsichtlich der Haupt- und Zinsforderung sowie individueller Klagerechte. Bleibe dagegen der Emittent nach der Übertragung seines Vermögens auf Dritte vermögenslos, sodass er seine Anleihegläubiger zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Anleihe nicht mehr ausbezahlen könne, würden lediglich practical rights to the interest and the principal betroffen, die nach § 316 (b) TIA mangels einer Solvenzgarantie nicht geschützt seien.89 Mit anderen 85  80 F.Supp. 3d 507, 515 (S.D.N.Y. 2015), zitiert auch in Waxman et al. v. Cliffs Natural Resources, Inc. (Fall-Nr. 1:16-cv-01899, S.D.N.Y. 2016), S. 20 und BOKF v. Caesars Entertainment Corp., 144 F.Supp. 3d 459, 474 (S.D.N.Y. 2015). 86  80 F.Supp. 3d 507, 515 (S.D.N.Y. 2015). 87  80 F.Supp. 3d 507, 516 (S.D.N.Y. 2015). Siehe in diesem Zusammenhang auch BOKF v. Caesars Entertainment Corp., 144 F.Supp. 3d 459 (S.D.N.Y. 2015). 88  313 B.R. 595, 600 (Bankr. D. Del. 2004); dazu auch Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 262; Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 7; Bagby/Maman/Gwen, 27 BBLR 706, S. 3 (2015). 89  313 B.R. 595, 600 (Bankr. D. Del. 2004) („While [ ] the Trust Indenture Act of 1939 do[es] in fact provide that ‚the right of any holder of any indenture security to receive payment of the principal of and interest on such security … shall not be im-



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Worten liege bei einer Vermögensübertragung keine Umgehung des TIA vor. Das Argument, das vom Gericht im Caesars-Fall ausdrücklich abgelehnt worden war, half dem Emittenten, im NorthWestern-Fall gegen die opponierenden Anleihegläubiger zu gewinnen. Gegen eine weite Auslegung des § 316 (b) TIA war das Gericht auch im Prozess YRC Worldwide, Inc. v. Deutsche Bank Trust Company America (im Folgenden „Deutsche Bank Trust-Fall“).90 Das Gericht übernahm die Argumentation aus dem Urteil zum NorthWestern-Fall, nämlich dass § 316 (b) TIA keine Garantie dafür gebe, dass der Emittent seine Zahlungspflichten aus den Schuldverschreibungen tatsächlich erfülle. Das heiße, dass allein der Umstand, dass die Anleihegläubiger nach der Aufhebung der wesentlichen Schutzklauseln aufgrund einer Mehrheitsentscheidung Schwierigkeiten haben könnten, ihr Geld tatsächlich zu bekommen, noch nicht zu einem Verstoß gegen den TIA führe.91 Ähnlich argumentierte das Gericht im Fall Upic & Co. v. Kinder-Care Learning Centers, Inc.92 (im Folgenden „Upic-Fall“), in dem geprüft wurde, ob Nachrangklauseln mit der Restriktion des § 316 (b) TIA vereinbar sind. Der Anleihegläubiger vertrat die Ansicht, dass subordination provisions in den Anleihebedingungen, die die Auszahlung verböten, bis die Gläubiger der vorrangigen Verbindlichkeiten ausbezahlt würden, seine absoluten Rechte nach § 316 (b) TIA verletzten. Denn diese Vorschrift schreibe ausdrücklich vor, dass die Rechte auf Zahlung des Kapitals und der Zinsen sowie entsprechende Zahlungsklagerechte ohne sein Einverständnis nicht beeinträchtigt werden dürften. Eine solche Beeinträchtigung liege jedoch vor, wenn seine Rechte durch Vorrangigkeit der Ansprüche eines anderen Gläubigers bedingt seien.93 Das Gericht erkannte keinen Verstoß gegen das Gesetz. Es argumentierte, dass die Nachrangklausel lediglich die Auszahlung des Anleihegläubigers im Wege der Subrogation verbiete. Das Auszahlungsrecht bleibe dagegen als „absolut und unbedingt“ (Hervorhebung hinzugefügt) weiter bestehen, weil die „Substanz der Forderung“ nicht betroffen sei.94

paired‘, this applies to the holderʼs legal rights and not to the holderʼs practical rights to the principal and interest itself. Plaintiffsʼ legal rights were not impaired. Again, there is no guarantee against default.“ (Hervorhebung im Original)). 90  2010 WL 2680336 (D. Kann. 2010), dazu auch Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 262 f.; Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 7 f.; Bagby/Maman/Gwen, 27 BBLR 706, S. 3 f. (2015). 91  2010 WL 2680336 (D. Kann. 2010), am Ende. 92  793 F.Supp. 448 (S.D.N.Y. 1992); siehe auch Bagby/Maman/Gwen, 27 BBLR 706, S. 3 (2015); Gkoutzinis, Law and Practice of Liability Management, S. 260 f. 93  Vgl. 793 F.Supp. 448, 456 f. (S.D.N.Y. 1992). 94  793 F.Supp. 448, 460.

130 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Das Gericht im Upic-Fall operiert mit einem neuen Kriterium, nämlich mit der „Substanz der Forderung“. Seine Entscheidung beruht aber auf denselben Argumenten, wie in den Fällen NorthWestern und Deutsche Bank Trust: Solange die wesentlichen Anleihebedingungen explizit bzw. direkt nicht geändert werden, liegt keine Umgehung und damit auch kein Verstoß gegen § 316 (b) TIA vor.95 Wie man sieht, waren die Ansichten hinsichtlich des Geltungsbereichs des § 316 (b) TIA geteilt. Einige Gerichte interpretierten die Vorschrift eng und sahen in einem covenant stripping im Rahmen einer Anleiherestrukturierung keine Verletzung von absoluten Rechten der Anleihegläubiger im Sinne des § 316 (b) TIA, selbst wenn die Änderung der Bedingungen die Anleihegläubiger schutzlos machte. Andere Gerichte erkannten dagegen einen Verstoß gegen den TIA. Ihr Argument beruhte auf der Idee, dass der TIA auch die practical ability to collect repayment schützt: Werden zwar die absoluten Rechte der Anleihegläubiger bzw. die wesentlichen Anleihebedingungen nicht betroffen, die Anleihegläubiger aber vor die sog. Hobsonʼs choice96 gestellt – d. h. vor die Wahl, entweder die Restrukturierung zu akzeptieren oder nichts zu erlangen –, muss eine Umgehung des § 316 (b) TIA bejaht werden. Der rechtliche Streit konzentrierte sich auf die Frage, ob der TIA eng oder weit auszulegen ist bzw. ob der TIA nur non-consensual amendments to an indentureʼs core payment terms ausschließt oder denn dissentierenden Anleihegläubiger auch darüber hinaus Schutz bieten kann. cc) Der Marblegate-Fall Die Diskussion erreichte ihren Höhepunkt im Rahmen des MarblegateProzesses97 im Jahr 2017. Zum ersten Mal in der US-Rechtsprechung zu der 95  Vgl. auch BOKF v. Caesars Entertainment Corp., 144 F.Supp. 3d 459 (S.D.N.Y. 2015), Fn. 96. 96  75 F.Supp. 3d 592, 602 (S.D.N.Y. 2014), auch 111 F.Supp. 3d 542, 556 (S.D.N.Y. 2015). 97  Marblegate Asset Management, LLC v. Education Management Corp., 846 F.3d 1 (2017) – Berufungsinstanz; 75 F.Supp. 3d 592 (S.D.N.Y. 2014) – Entscheidung im einstweiligen Verfahren, erste Instanz („Marblegate I“); 111 F.Supp. 3d 542 (S.D.N.Y. 2015) – Sachurteil, erste Instanz („Marblegate II“). Ausführlich zum Fall und zur historischen Analyse des § 316 (b) TIA siehe Halbhuber, Debt Restructurings and the Trust Indenture Act (v. 20.05.2016), abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_id=2782290; siehe auch Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 55 ff. (2017); Bagby/­ Maman/Gwen, 27 BBLR 706, S. 4 ff. (2015); Roe, 129 Harvard L. Rev. Forum 360, 369 ff. (2016); Groendyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1251 ff. (2016); Hart/Berkery, The



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Frage nach der Reichweite des § 316 (b) TIA erreichte der Prozess die zweite Instanz und wurde vom US Court of Appeals entschieden. Der Fall zog große Aufmerksamkeit auf sich, da es faktisch gesehen um die Zukunft der Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht ging. Und selbst in der Berufung, wie es gezeigt wird, fiel es dem Gericht trotz der ausführlichen Begründung auf etwa 60 Seiten und einer sorgfältigen Analyse der Gesetzesmaterialein nicht leicht, eine einheitliche Meinung unter den Richtern hinsichtlich des Regelungsgehalts des § 316 (b) TIA zu bilden. Im Marblegate-Fall ging es um die außergerichtliche Restrukturierung von Education Management Corporation (EDMC), eines im Bereich der Hochschulausbildung tätigen kommerziellen Unternehmens, das nach dem Hochschulausbildungsgesetz98 durch öffentliche Finanzmittel etwa zu 80 % gefördert wurde. 2014, nachdem das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geriet und realisiert wurde, dass das Unternehmen nicht in der Lage sein würde, die Gläubiger zu befriedigen, entstand die Notwendigkeit, dessen Schulden zu restrukturieren. Restrukturierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens stellte keine Alternative dar, weil dies zum Verlust der Förderfähigkeit nach dem Hochschulausbildungsgesetz führen konnte.99 Als einzig machbare Lösung blieb die Verhandlung mit den Gläubigern im Rahmen einer außergerichtlichen Restrukturierung. Verhandelt wurde über die Schulden aus einem Kreditvertrag (1,3 Mrd. $) sowie aus einer (TIA-qualifizierten) Anleihe (217 Mio. $). In der Rolle des Schuldners im Rahmen dieser Rechtsverhältnisse trat allerdings nicht EDMC direkt, sondern traten ihre Tochtergesellschaften auf. Sie hatten also den Kredit aufgenommen und die Anleihe begeben. Die Forderungen der Kreditgeber waren dinglich gesichert, und zwar durch das ganze Vermögen der EDMC und deren Tochtergesellschaften (collateral). Der Kreditvertrag berechtigte die Kreditgeber, „to deal with the collateral securing the loans ‚fully and completely‘ as the ‚absolute owner‘ for ‚all pur­ poses‘ “.100 Im Fall eines event of default durften die Kreditgeber also ihre Forderungen im Rahmen des Verkaufs bzw. im Rahmen der Zwangsversteigerung des belasteten Vermögens (foreclosure sale) befriedigen. Implication of Recent Court Decisions for Issuers of Debt Securities, S. 1 ff., abrufbar unter: http://www.cailaw.org/media/files/IEL/Publications/2017/marblegate-vol11no1. pdf; Goffman, Lessons from Marblegate, Caesars for Distressed Investors, abrufbar unter: https://turnaround.org/jcr/2016/01/lessons-marblegate-caesars-distressed-inves tors; Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 8 ff.; Pickerill, RIW 2017, 487 (488 f.). 98  Higher Education Act of 1965, 208 U.S.C. §§ 1070–1099. 99  Siehe dazu 20 U.S.C. § 1002(a)(4)(A). 100  Marblegate Asset Management, LLC v. Education Management Corp., 846 F.3d 3 (2017).

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Für die Schuldverschreibungen wurden dagegen keine Realsicherheiten vorgesehen. Zum Ausgleich des Risikos wurde ein hoher jährlicher Zinssatz – 20 % – sowie die Garantie der EDMC als Muttergesellschaft vereinbart. Die Anleihebedingungen enthielten außerdem die Klausel, dass diese Garantie automatisch entfällt, falls Kreditgeber die zu ihren Gunsten bestehende Garantie (gemeint ist die Garantie, die nach dem Abschluss des Kreditvertrages möglicherweise entstehen kann) freigeben. Gerade diesen Punkt, die Freigabe der Garantie, versuchte EDMC zum Hauptelement der zukünftigen Restrukturierung zu machen. Im ersten Schritt verhandelte EDMC mit den Kreditgebern ihrer Tochtergesellschaften. Es gelang ihr, die Kreditkonditionen zu erleichtern und sich von bestimmten Zahlungspflichten zu befreien. Als Preis dafür musste EDMC allerdings den Kreditgebern – zum ersten Mal – eine Garantie geben. Als zweiter Schritt wurden zwei Restrukturierungswege erarbeitet. Der erste Weg sah den debt-equity-swap vor, also den Umtausch in Aktien der EDMC, und galt nur unter der Bedingung der 100 %-igen Zustimmung der Kreditgeber und Anleihegläubiger. Für die Kreditgeber führte der Umtausch zu einem Verlust von etwa 45 %, für die Anleihegläubiger von 67 %. Die zweite Variante, die für den Fall gedacht war, dass nicht alle den ersten Weg wählen, kombinierte den debt-equity-swap mit dem sog. „Intercompany Sale“. Sie war wie folgt ausgestaltet: 1) Die Kreditgeber befreien EDMC von der Garantie (unter dem geänderten Kreditvertrag). Dies hat automatisch zur Folge, dass die Garantie der EDMC für die Anleihegläubiger, die von Anfang an in den Anleihebedingungen vorgesehen war, entfällt. 2) EDMC gründet eine neue Tochtergesellschaft. 3) Die Kreditgeber üben ihre Pfandrechte aus dem foreclosure sale aus: Sie verkaufen das belastete Vermögen (collateral) im Rahmen des foreclo­ sure sale an die neu gegründete Tochtergesellschaft. Dies ermöglicht u. a. die Übertragung aller Vermögenwerte der Emittenten der Schuldverschreibungen auf einen Dritten (neue Tochtergesellschaft), damit die Emittenten vermögenslos bleiben. 4) Die neu gegründete Tochtergesellschaft überträgt das im Rahmen des foreclosure sale erworbene Vermögen (nur) auf die restrukturierungswilligen Kreditgeber und die restrukturierungswilligen Anleihegläubiger. 5) Die Anleihebedingungen werden nicht geändert, aber die dissentierenden Anleihegläubiger bleiben mit leeren Händen zurück, weil nach der Restrukturierung keine Garantie der EDMC mehr besteht und weil die Emittenten nun über kein Vermögen mehr verfügen.



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 133

Da der erste Restrukturierungsvorschlag nicht einstimmig angenommen wurde – die Zustimmungsquote lag bei 98 %101 –, wurde die zweite Variante „Intercompany Sale“ verwirklicht. Einer der holdouts, Marblegate Asset Management, LLC (im Folgenden „Marblegate“), der Schuldverschreibungen im Wert von mehreren Millionen US-Dollar gekauft hatte, versuchte zunächst im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Restrukturierung, nämlich gegen die Übertragung des Vermögens und die Freigabe der Garantie, vorzugehen („Marblegate I“).102 Der Antrag wurde mangels eines irreparablen Schadens zurückgewiesen. Das Gericht teilte aber die Ansicht des Anleihegläubigers, dass ein Verstoß gegen § 316 (b) TIA vorliege. Das Gericht legte die Vorschrift weit aus und stellte fest, dass der Anleihegläubiger, selbst wenn die wesentlichen Anleihebedingungen formal nicht geändert worden seien, bei den Transaktionen geschützt sein müsse, die der Anleihe ihren Wert vollständig nähmen.103 Da nach diesem Verfahren keine einstweilige Verfügung des Gerichts im Wege stand, fand der foreclosure sale statt und das ganze Vermögen wurde auf eine neue Tochtergesellschaft der EDMC übertragen. Auf die Anordnung des Gerichts ließ EDMC allerdings die Garantie zu Gunsten von Marblegate vorübergehend bestehen.104 Marblegate, die mit dem vorübergehenden Charakter des Schutzes ihrer Rechte nicht einverstanden war und die Feststellung der Unzulässigkeit der Freigabe der Garantie auf Dauer begehrte, erhob – nun als einziger holdout105 – eine Klage vor Gericht („Marblegate II“).106 Das Gericht erster Instanz teilte wieder die Position des Anleihegläubigers und bejahte eine Verletzung seiner absoluten Rechte i. S. d. § 316 (b) TIA. Dabei argumentierte es mit dem Zweck der Vorschrift. Das Gericht zitiert die Gesetzesmaterialien, in denen nach seiner Ansicht die „[e]vasion of judicial scrutiny of the fairness of debt-readjustment plans“107 als das bezeichnet werde, was § 316 (b) TIA gerade verhindern müsse. Auf Grund dieser Worte geht das Gericht davon aus, dass der Gesetzgeber durch die Restriktion das 101  846

F.3d 4 (2017). F.Supp. 3d 592 (S.D.N.Y. 2014). 103  75 F.Supp. 3d 592, 610 ff. (S.D.N.Y. 2014). 104  846 F.3d 3 (2017). 105  846 F.3d 5 (2017). 106  111 F.Supp. 3d 542, 545 (S.D.N.Y. 2015). Entsprechende Änderungen bezüglich des Bestehens einer Garantie zu Gunsten von Marblegate wurden in die Anleihebedingungen aufgenommen. EDMC erhob aus diesem Grund eine Widerklage auf Feststellung, dass EDMC berechtigt ist, von der streitigen Garantie mangels eines Verstoßes gegen den TIA befreit zu werden, dazu siehe 111 F.Supp. 3d 542, 545 (S.D.N.Y. 2015). 107  111 F.Supp. 3d 542, 555 (S.D.N.Y. 2015). 102  75

134 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Ziel verfolge, die außergerichtliche Restrukturierung von Anleihen zu verhindern. D. h. Anleihen dürften restrukturiert werden, aber nur unter Kon­ trolle eines Gerichts, nämlich im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, in dem das Gericht die Zulässigkeit der Beschränkung der Rechte der Anleihegläubiger überprüfen könne; eine Restrukturierung ohne gerichtliche Kontrolle, die nur auf einer Mehrheitsentscheidung der Gläubiger beruhe, sei dagegen nicht zulässig. „[C]ourts should give effect to the purpose of the Act, and not allow minority bondholders to be forced to relinquish claims outside of the formal mechanisms of debt restructuring“108, führt das Gericht aus und fügt am Ende hinzu, dass solche Restrukturierung „on a voluntary basis“109 sonst die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, das den Zugang zu einer gericht­ lichen Kontrolle eröffne, gar nicht nötig machen würde. Denn dazu komme es gar nicht, wenn alle Restrukturierungsvorgänge ausschließlich außergerichtlich erfolgten.110 Es müssten nach der Argumentation des Gerichts alle Transaktionen verboten werden, die die Anleihe im Rahmen der Restrukturierung ohne Gerichtskontrolle wertlos machten, also selbst wenn keine direkte Änderung der wesentlichen Anleihebedingungen stattfinde. Mit anderen Worten, wenn eine Anleiherestrukturierung vorliege, deren Zweck darin bestehe, die dissentierenden Anleihegläubiger nach dem foreclosure sale mit leeren Händen zurückzulassen, müsse § 316 (b) TIA eingreifen.111 Die Restrukturierung der Anleihen ohne die Zustimmung von Marblegate sei folglich unzulässig.112 Diese Entscheidung sorgte für starke Kritik und insbesondere für große Unsicherheit in der Praxis113, denn sie konnte die ganze außergerichtliche 108  111

F.Supp. 3d 542, 556 (S.D.N.Y. 2015). F.Supp. 3d 542, 556 (S.D.N.Y. 2015). 110  111 F.Supp. 3d 542, 556 (S.D.N.Y. 2015) („Such a removal, if sanctioned by the Court, would allow ‚the next cycle of reorganizations [to] take place on a voluntary basis without supervision of any court or administrative agency‘ … so long as the mechanism involves foreclosure and asset sale rather than simple amendment. The Court declines to so enfeeble the Trust Indenture Act, and thus rules in Plaintiffsʼ favor.“). 111  So auch später in Waxman v. Cliffs Natural Resources Inc., 222 F.Supp. 3d 281 (2016). 112  Vgl. 111 F.Supp. 3d 542, 556 (S.D.N.Y. 2015). 113  Siehe Milbank LLP, News, Milbank Secures Significant Victory in the Second Circuit, abrufbar unter: https://www.milbank.com/en/news/milbank-prevails-in-appeal-before-the-second-circuit-with.html; Church/Kary, „Revolutionary“ DistressedDebt Case Argued in NYC Appeals Court („Education Management’s position has found support with the Loan Syndications & Trading Association and the Chamber of Commerce, which called Failla’s ruling ‚revolutionary‘ and said it could affect the entire $8 trillion loan market“), abrufbar unter: https://www.bloomberg.com/news/ articles/2016-05-12/distressed-traders-wait-for-revolutionary-ruling-on-debt-deals; 109  111



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 135

Anleiherestrukturierung unter Geltung des US-amerikanischen Rechts für die Zukunft blockieren. Ohne die Möglichkeit der Änderung der wesentlichen Anleihebedingungen, also der core payment terms, sowie ohne die Möglichkeit der Umgehung der Restriktion des § 316 (b) TIA mit Hilfe des covenant stripping, das zum Ziel den Ausschluss der opponierenden Anleihegläubiger hat, können Anleihen kaum noch restrukturiert werden. Selbst die Gerichte in beiden Entscheidungen weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie sich dieser negativen Folgen für den Kapitalmarkt absolut bewusst seien. Dennoch seien sie davon überzeugt und „note[ ] optimistically that many restructurings [will] overcome the problem“.114 Etwa 30 führende US-Kanzleien versuchten in diesem Zusammenhang im Jahr 2016 im Rahmen eigener Initiative, ein Signal zu geben, dass sie diesen Optimismus und die Ansicht des Gerichts gar nicht teilen. Sie veröffentlichten Santucci, Reflections on the Second Circuit’s Marblegate Decision, American Bar Association, Legal Opinions Committee, In Our Opinion (Summer 2017), Vol. 16 No. 4, S. 7; Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 54 (2017); Kahan, The Scope of Section 316(b) after Marblegate, NYU School of Law, Law & Economics Research Paper Series No. 18-01 (2018), S. 5; Chapman/Haueter/Grinceri, Marblegate: Southern District’s TIA Decision Reversed – Now What?, S. 1 ff., abrufbar unter: https://www.sidley.com/en/insights/ newsupdates/2017/02/marblegate-reversed; Hart/Berkery, The Implication of Recent Court Decisions for Issuers of Debt Securities, S. 1, abrufbar unter: http://www.cai law.org/media/files/IEL/Publications/2017/marblegate-vol11no1.pdf; Goffman, Les­ sons from Marblegate, Caesars for Distressed Investors, am Ende („Implications for Distressed Investors“), abrufbar unter: https://turnaround.org/jcr/2016/01/lessonsmarblegate-caesars-distressed-investors; Sullivan & Cromwell LLP, Second Circuit Overturns Marblegate, Rejecting Expansive Interpretation of Section 316(b) of the Trust Indenture Act, siehe „Market Reaction“, S. 3, https://www.sullcrom.com/siteFiles/publications/SC_Publication_Second_Circuit_Overturns_Marblegate_Reject ing_Expansive_Interpretation_of_Section_316b_of_the_Trust_Indenture_Act.pdf; Roe, 129 Harvard L. Rev. Forum 360, 361, Fn. 4 (2016); siehe auch zahlreiche Anmerkungen zur Gerichtsentscheidung seitens – soweit ersichtlich – aller führenden US-Kanzleien. 114  75 F.Supp. 3d 592, 616 f. (S.D.N.Y. 2014) („This Court is not so naive as to think that establishing Plaintiffsʼ ultimate right to full payment will not pose problems for the Proposed Restructuring. Where individual bondholders can free-ride off an exchange offer, as they retain claims for the full value of their debt against a newly solvent issuer, they are better off refusing the offer; ‚[i]f enough bondholders refuse, they will frustrate the workout‘, leaving the bondholders ‚locked in game theoryʼs prisonersʼ dilemma.‘ … While the difficulty of negotiating a deal with multiple creditors who have incentives to hold out can be fatal … this Court notes optimistically that many restructurings overcome the problem by requiring 80–85 % bondholder approval as a prerequisite to a restructuring … forcing large bondholders in particular to weigh the benefits of holding out against the risk to the restructuring at large.“) und 111 F.Supp. 3d 542, 545 (S.D.N.Y. 2015) („the Court recognizes the potentially troubling implications of the Trust Indenture Act in rewarding holdouts“).

136 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

das sog. „Opinion White Paper“115, in dem die Konsequenzen des Marble­ gate-Urteils für die Anleiherestrukturierung angesprochen wurden. In erster Linie wiesen sie aber darauf hin, dass die Ergebnisse, zu denen das Gericht 2014 und 2015 hinsichtlich der Auslegung des § 316 (b) TIA kam, erheblich von der Ansicht der Praxis und der herrschenden Meinung abweichen.116 Tatsächlich legte die herrschende Meinung die Restriktion des § 316 (b) TIA immer eng aus.117 Als geschützt angesehen wurden nur die legal rights der Anleihegläubiger und nicht die practical ability to recover payment, wie dies das Gericht erster Instanz feststellte. Ähnlich hat der US Court of Appeals als Berufungsinstanz am 17. Januar 2017 entschieden. Die Entscheidung erster Instanz hob das Berufungsgericht (mit einem Sondervotum118) mit der Begründung auf, die erste Instanz habe § 316 (b) TIA falsch ausgelegt.119 115  Abrufbar unter: https://www.debevoise.com/~/media/files/insights/publica tions/2016/04/opinion_white_paper.pdf; dazu siehe Brittenham/Kaplan/Labovitz, 28 Law Firms Publish White Paper Addressing Trust Indenture Act Complications In Debt Restructurings, Harvard Law School-Blog (Bankruptcy Roundtable), abrufbar unter: http://blogs.harvard.edu/bankruptcyroundtable/2016/05/31/960/; Bischoff/Brittenham/ Baker, Current Opinion Practices in Connection with Section 316(b) of the Trust ­Indenture Act – The Marblegate and Caesars Decisions, American Bar Association, Legal Opinions Committee, In Our Opinion (Summer 2016, Vol. 15 No. 4), WGLO Addendum (Spring 2016, Legal Opinion Seminar Summaries), A8–A10; Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 54 (2017). 116  Siehe Opinion White Paper, am Anfang („The recent decisions of the United States District Court for the Southern District of New York in the Marblegate and Caesars Entertainment cases contain language that suggests a significant departure from the widely understood meaning of TIA Section 316(b) that has prevailed among practitioners for decades. These cases have introduced interpretive issues that have disrupted established opinion practice.“); siehe auch weiter zur Bedeutung für die Praxis („These opinion issues arise where the relevant indenture is qualified under the TIA. Similar interpretive issues may exist where the relevant indenture or other agreement is not subject to the TIA but includes wording substantially similar to the text of TIA Section 316(b), although the applicable law and interpretive principles may differ.“), abrufbar unter: https://www.debevoise.com/~/media/files/insights/publi cations/2016/04/opinion_white_paper.pdf. 117  Vgl. Santucci, American Bar Association, Legal Opinions Committee, In Our Opinion (Summer 2017, Vol. 16, No. 4), S. 8; Wilkinson/Wood/Bright, Marblegate: what does it mean for European restructurings?, am Anfang, abrufbar unter: https://eurorestructuring.weil.com/overseas-jurisdiction/marblegate/; Chapman/Haueter/Grin­ceri, Marblegate: Southern District’s TIA Decision Reversed – Now What?, am Anfang, abrufbar unter: https://www.sidley.com/en/insights/newsupdates/2017/02/ marblegate-reversed; Goffman, Lessons from Marblegate, Caesars for Distressed Investors, am Anfang, abrufbar unter: https://turnaround.org/jcr/2016/01/lessons-mar blegate-caesars-distressed-investors. 118  Ein Richter legt § 316 (b) TIA weit aus, siehe das Urteil, 846 F.3d 17 ff. (2017). 119  846 F.3d 1 ff. (2017).



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 137

Nach der Analyse der Entstehungsgeschichte120 des Gesetzes kommt der US Court of Appeals zum Schluss, dass der Schutz der Rechte der Anleihegläubiger nicht absolut sei. Das Ziel der Verfasser des § 316 (b) TIA habe nicht darin bestanden, eine foreclosure based reorganization zu verbieten, auch nicht in dem Fall, wenn den Gläubigern die reale Möglichkeit genommen werde, das Geld zu erlangen, weil der Emittent nach der Übertragung des ganzen Vermögens auf einen Dritten zu einem „empty shell“121 werde.122 Zwar sei während des Gesetzgebungsprozesses tatsächlich vor der Gefahr des Missbrauchs durch die Mehrheit und insbesondere vor der „evasion of judicial scrutiny“123 gewarnt worden. Diese vielfach in der pre-MarblegateRechtsprechung als angebliches „Hauptargument“ zitierten Worte aus den Gesetzesmaterialien müsse man jedoch unbedingt im Kontext betrachten.124 Und dieser Kontext – wie das Gericht durch zahlreiche Zitate aus den Gesetzesmaterialien beweist – zeige, dass die Verfasser des TIA den Ausschluss der Gerichtskontrolle ausschließlich im Rahmen einer vertraglichen Restrukturierung (reorganization by contract) verhindern wollten. Das Berufungsgericht stellte im Endergebnis fest, dass nach § 316 (b) TIA kein Monopol des Insolvenzrechts im Rahmen einer Anleiherestrukturierung bestehe und somit die Durchführung eines foreclosure sale des gepfändeten Vermögens des Emittenten sowie die Freigabe der Garantie der EDMC als Muttergesellschaft aufgrund der Entscheidung der Kreditgeber, die die Anleihegläubigerin Marblegate im Endergebnis vor eine Hobsonʼs choice gestellt hätten, zulässig seien.125 120  Den Wortlaut betrachtet das Berufungsgericht als nicht eindeutig, dazu 846 F.3d 6 ff. (2017). 121  846 F.3d 4 (2017). 122  846 F.3d 9 ff. (2017). („the drafters of the TIA appear to have been well aware of the range of possible forms of reorganization[ ] including foreclosures like the one that occurred in this case but that the District Court concluded violated Section 316(b). Indeed, foreclosure-based reorganizations were widely used at the time the TIA was drafted … [T]he history of the TIA, and of Section 316(b) in particular, shows that it does not prohibit foreclosures even when they affect a bondholderʼs ability to receive full payment“), ähnlich (und zur foreclosure-based reorganization ausführlich) Halbhuber, Debt Restructurings and the Trust Indenture Act (v.  20.05.2016), S.  7  ff., abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm? abstract_id=2782290; Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 60 (2017). 123  Nach der Logik der Argumente der Gerichte erster Instanz konnte Marblegate ohnehin nicht als schutzwürdig betrachtet werden, weil eine Restrukturierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens mit einem „formal judicial approval of the restructuring“ keine taugliche Option wegen der Förderung nach dem Hochschulausbildungsgesetz war, siehe dazu auch 846 F.3d 61 f. (2017). 124  846 F.3d 11 f. (2017). 125  So auch Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 61 (2017) („the TIA was not intended to create a permanent,

138 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Der Markt reagierte sehr positiv auf die Entscheidung des Berufungsgerichts im Marblegate-Prozess. Denn es handelte sich nicht lediglich um eine Entscheidung über die Auslegung des § 316 (b) TIA. Es war eine Entscheidung, die die bisherigen Hauptargumente der Gerichte, welche die Vorschrift zu Gunsten der Anleihegläubigerminderheit weit interpretiert hatten, vollständig ausräumte. Die Hauptargumente dieser Gerichte beruhten auf der Überlegung, dass der Gesetzgeber eine Anleiherestrukturierung ohne Gerichtskontrolle ausschließen wollte. Das Berufungsgericht zeigte jedoch, dass der Ausschluss, erstens, nur im Rahmen einer reorganization by contract und, zweitens, nur bei einer formalen Änderung der wesentlichen Anleihe­ bedingungen gemeint war. Die practical ability to recover payment ist somit nicht das, was § 316 (b) TIA schützt. dd) Nach dem Marblegate-Prozess Die Entscheidung des Berufungsgerichts im Marblegate-Prozess stellt eine wichtige Entscheidung dar, denn sie schränkt erheblich das hold-out-Potential für opponierende Anleihegläubiger für die Zukunft ein. Dennoch gibt sie noch keine erschöpfende Antwort hinsichtlich der Auslegung des § 316 (b) TIA und der Reichweite der Rechte von Anleihegläubigern. Einige Fragen und eine gewisse Unsicherheit bleiben noch bestehen. Zunächst muss man beachten, dass der Fall, über den das Gericht entscheiden musste, besonders ausgestaltet war: Die Übertragung des Vermögens, die den Emittenten zu einem empty shell machte, und die Freigabe der Garantie der Muttergesellschaft erfolgten aufgrund der Entscheidung der Kreditgeber. Die Anleihegläubiger waren in diesen Entscheidungsprozess dagegen nicht involviert und hatten aus diesem Grund keinen Einfluss auf die streitigen Transaktionen. Sie durften zwar die Schuldverschreibungen austauschen. Ihre Zustimmung zum Austausch führte aber nicht zu einer formalen Änderung der Anleihebedingungen. Mit anderen Worten lag keine reorganization by contract unter den Anleihegläubigern vor. Wie wäre es aber gewesen, wenn die Übertragung des wesentlichen Vermögens oder die Freigabe der Garantie zum Gegenstand der Mehrheitsentscheidung der Anleihegläubiger gemacht worden wären? Wie hätte das Gericht entschieden, wenn die Emittenten von Anfang an kein nennenswertes Vermögen gehabt hätten und die Anleihe nur durch eine Garantie der Muttergesellschaft oder einer der operativen Gesellschaften im Konzernverbund gesichert gewesen wäre, wie es meistens in der Praxis ist? Wäre in diesem one-size-fits-all, bankruptcy-forcing regime based on contract-overriding bondholder rights. The better characterization is that Congress intended to corner and eliminate bondholder committees by blocking CACs.“).



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 139

Fall the right to receive payment, von dem § 316 (b) TIA spricht, betroffen? Oder anders gefragt, schützt § 316 (b) TIA the right to receive payment auch gegenüber einem Garantiegeber? Hinsichtlich der letzten und für die Anleiherestrukturierung besonders wichtigsten Frage werden heute im juristischen Schrifttum und in der Praxis zunehmend Stimmen laut, dass die Freigabe der Garantie – selbst wenn man den Argumenten des US Court of Appeals folgt und § 316 (b) TIA eng auslegt – der Entscheidungskompetenz der restrukturierungswilligen Mehrheit der Anleihegläubiger entzogen sei, wenn diese Garantie als einziges Mittel den Anspruch auf tatsächliche Zahlung sichere.126 Die Freigabe der Garantie wird in diesem Fall nicht anders als die Befreiung des Emittenten selbst von der Verpflichtung betrachtet, das Kapital und die Zinsen zu zahlen, was § 316 (b) TIA gerade verbietet. Die Argumentation beruht somit auf der Idee, dass die Garantieklausel, wenn sie den ganzen Vermögensbestand für die Anleihe sichert, die Funktion einer wesentlichen Anleihebedingung, also eines core payment term, übernimmt. Die Änderung solcher Garantieklauseln ohne Zustimmung der opponierenden Anleihegläubiger müsse konsequenterweise wegen der Restriktion des § 316 (b) TIA als unzulässig betrachtet werden. Gegen eine solche weite Auslegung könnte aber wieder die Gesetzesgeschichte sprechen. Die Verfasser des TIA haben vor dem Erlass des Gesetzes Anleihebedingungen unterschiedlicher Emittenten untersucht und festgestellt, dass US-amerikanische Emittenten – im Gegensatz zu kanadischen und englischen – Änderungsmöglichkeiten hinsichtlich der „obligation of the issuer to pay principal and interest in the manner specified in the indenture“ durch Mehrheitsbeschluss von Anleihegläubigern ausdrücklich ausschlossen.127 Es war eine Standardbedingung.128 Die Rede war ausschließlich von der Ver126  Vgl. Kahan, NYU School of Law, Law & Economics Research Paper Series No. 18-01 (February 2018), S. 6 ff.; Millar, Marblegate v. EDMC: What does the Second Circuit’s Opinion Say (and Not Say) About Releasing a Guarantee?, abrufbar unter: https://www.faegredrinker.com/en/insights/publications/2017/2/marblegate-vedmc--what-does-the-second-circuits-opinion-say-and-not-say-about-releasing-a-guar antee; die Frage angesprochen Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 61 f. (2017); Chapman/Haueter/Grinceri, Marblegate: Southern District’s TIA Decision Reversed – Now What?, S. 5 (am Ende), abrufbar unter: https://www.sidley.com/en/insights/newsupdates/2017/02/mar blegate-reversed; Hart/Berkery, The Implication of Recent Court Decisions for Issu ers of Debt Securities, S. 7, abrufbar unter: http://www.cailaw.org/media/files/IEL/ Publications/2017/marblegate-vol11no1.pdf. 127  SEC, Report on the Study and Investigation of the Work, Activities, Personnel and Functions of Protective and Reorganization Committees (1936), Part VI – Trustees under Indentures, S. 137 und 143. 128  Vgl. House of Representatives, Rep. No. 75-1619, 19 (1938); 846 F.3d Fn. 7. (2017); dazu siehe auch Halbhuber, Debt Restructurings and the Trust Indenture Act

140 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

pflichtung des Emittenten und nicht von der Verpflichtung eines Dritten, der z. B. die Auszahlung garantierte. Es kann nicht erwartet werden, dass mit der Umformulierung129 von der „obligation of the issuer to pay“, wie es in den von der SEC zitierten Anleihebedingungen heißt, zu dem korrespondierenden „right of any holder[ ] to receive payment of the principal[ ] and interest“, von dem § 316 (b) TIA spricht, eine Erweiterung der Rechte des Anleihegläubigers in dem Sinne gemeint und gewollt war, dass das Recht auf Auszahlung nun z. B. auch das Recht gegen den Garantiegeber einschließen soll. Die Umformulierung dieser Art hatte vermutlich einzig zum Ziel, die Figur des Anleihegläubigers ins Zentrum der Regelung zu stellen, um damit die Idee der Unantastbarkeit seiner Rechte stärker akzentuieren zu können und gleichzeitig zu zeigen, dass er das eigentliche Schutzsubjekt des § 316 (b) TIA ist. Der „Übergang“ zum right to payment hatte somit eher eine psychologische Wirkung zum Ziel. Eine echte Erweiterung der Rechte des Anleihegläubigers kann darin nicht gesehen werden. Der zweite Punkt, den auch der US Court of Appeals in seiner Entscheidung hervorhebt, ist der – bereits am Anfang des Kapitels erwähnte – negotiable test. Die Verfasser des TIA hatten die Idee, eine Änderung der wesentlichen Bedingungen zu verbieten, aus der damaligen Praxis aus dem Grund übernommen, dass diese Voraussetzung ohnehin das Zulassungskriterium von Börsen für die Handelbarkeit von Anleihen war. „To be ‚negotiable‘ under State law“, führt der US Court of Appeals aus, „ ,[a bond] had to represent a sum certain, due on a date certain. A bond issue that allowed a vote to change the maturity date or the sum due at that date would, if binding on nonassenters, destroy negotiability.‘ “130 Im Sinne des Negotiable State law war nur die Verschiebung des Zeitpunkts der Fälligkeit der Forderung sowie die Änderung der Höhe der auszuzahlenden Summe (des Kapitals und der Zinsen), nicht dagegen die Änderung anderer Klauseln, auch nicht der Garantieklausel, relevant. Die Änderung dieser „anderen“ Klauseln wollten die Verfasser des TIA gerade nicht verbieten. So heißt es in den Gesetzesmaterialien: „Th[e] prohibition [of the § 316 (b) TIA] does not prevent the majority (v. 20.05.2016), S.  30, abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?ab stract_id=2782290. 129  Auf diese Art der Umformulierung (ohne inhaltliche Änderung der Rechte der Anleihegläubiger) weist auch Halbhuber hin (a. a. O., S. 31) („The main difference between this formulation and the one employed by Section 316(b) is the use of the active voice (‚shall affect or impair‘) and the reference to the company’s payment obligation under the bonds. The TIA provision is drafted using the passive voice and references not the company’s obligation, but the bondholder’s corresponding right … In short, Section 316(b) did not represent a major change imposed on the bond market by Congress at the behest of the SEC. It was simply overwhelming market practice.“). 130  846 F.3d 11 (2017), insbesondere Fn. 7.



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 141

from binding dissenters by other changes in the indenture or by a waiver of other defaults.“131 Mit dem Verweis auf Negotiable State law und die Möglichkeit für „other changes“ wollten die Verfasser des Gesetzes folglich die restriktive Wirkung des § 316 (b) TIA für Klauseln mit Ausnahme von denjenigen, die die Fälligkeit und den Zahlungsbetrag regeln, beschränken. Das zeigt, dass der Gesetzgeber den Begriff der Auszahlungsbedingungen bzw. der core payment terms sehr eng ausgelegt hat.132 Ob die Rechtsprechung in der Zukunft den Begriff der wesentlichen Anleihebedingungen in Bezug auf Garantien im Kontext einer reorganization by contract mit Blick auf die Gesetzesgeschichte und die Überlegungen des US Court of Appeals im Marblegate-Prozess eng interpretiert, bleibt offen. Die Argumente, die im Zusammenhang mit der Umformulierung des § 316 (b) TIA ohne inhaltliche Änderung und dem Verweis auf den negotiable test genannt sind, scheinen auf den ersten Blick für eine enge Auslegung der Vorschrift zu sprechen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass andere Gerichte sich mehr auf den Wortlaut des § 316 (b) TIA, nach dem sowohl eine Beeinträchtigung (impairment) als auch jegliche sonstige Auswirkung (affect)133 auf das right to receive payment verboten ist,134 verlassen und die Vorschrift zu Gunsten von hold-out-Anleihegläubigern, die gegen die Aufhebung der wesentlichen Schutzbedingungen vorgehen, weit auslegen. Dieses Risiko besteht, weil, erstens, das Urteil des US Court of Appeals keine allgemein bindende Wirkung hat.135 Zweitens darf man nicht vergessen, dass selbst dieses Urteil mit einer dissenting opinion, also mit einem Sondervotum eines überstimmten Richters, erging, für den gerade der Wortlaut des § 316 (b) TIA für eine weite Auslegung der Vorschrift entscheidend war. Der überstimmte Richter meint, dass, wenn der Gesetzgeber jede Beeinträchtigung oder sogar sonstige Auswirkung auf das right to receive payment verbiete, alles verboten sei, was den Wert dieses Rechts mindere. „The term 131  House

of Representatives, Rep. No. 75-1619, 19 (1938). auch der US Court of Appeals, 846 F.3d 11, Fn. 7 (2017); House of Representatives, Rep. No. 75-1619, 19 (1938). 133  So in der Übersetzung auch Lürken, CFl 2011, 353 (354). 134  § 316 (b) TIA lautet: „Notwithstanding any other provision of the indenture to be qualified, the right of any holder of any indenture security to receive payment of the principal of and interest on such indenture security, on or after the respective due dates expressed in such indenture security, or to institute suit for the enforcement of any such payment on or after such respective dates, shall not be impaired or affected without the consent of such holder …“ (Hervorhebung hinzugefügt). 135  Vgl. Chapman/Haueter/Grinceri, Marblegate: Southern District’s TIA Decision Reversed – Now What?, S. 4 f., abrufbar unter: https://www.sidley.com/en/insights/ newsupdates/2017/02/marblegate-reversed; Hart; Berkery, The Implication of Recent Court Decisions for Issuers of Debt Securities, S. 6, abrufbar unter: http://www. cailaw.org/media/files/IEL/Publications/2017/marblegate-vol11no1.pdf. 132  So

142 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

‚impair‘ means ‚to diminish the value of‘ “, hebt er hervor.136 Und diese Wertminderung liege seiner Ansicht nach gerade dann vor, wenn das Recht auf Auszahlung wertlos gemacht werde oder wenn ein hold-out-Anleihegläubiger nach der Anleiherestrukturierung überhaupt nichts bekomme.137 Bleibe der Anleihegläubiger mit leeren Händen zurück, werde sein Recht nicht bloß beeinträchtigt, sondern sogar vernichtet.138 Hätte der Gesetzgeber lediglich die direkte bzw. formale Änderung der Bedingungen hinsichtlich der Zahlung des Kapitals und der Zinsen verbieten wollen, hätte er die Vorschrift des § 316 (b) TIA entsprechend konkretisiert.139 Denn „[w]e must not forget the long-standing imperative that making law is the job of the legislature and not of the courts. Where, as here, the statute’s language is plain and unambiguous, the ‚sole function of the courts is to enforce it according to its terms.‘ “140 Mit den Worten „Congress may amend the statute; [courts] may not“141 schloss der überstimmte Richter die rechtliche Zulässigkeit der Transaktionen aus, die die Anleihegläubiger vor eine Hobsonʼs choice stellen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass US-Gerichte der Logik dieser Argumente in der Zukunft ebenfalls folgen können. Das Urteil des US Court of Appeals hat zwar gezeigt, dass opponierende Anleihegläubiger keinen absoluten Schutz genießen. Es hat aber nicht ganz genau geklärt, was als core payment term betrachtet werden kann. Es kann somit nicht garantiert werden, dass die Rechtsprechung künftig in einem Fall betreffend eine Garantie die Vorschrift des § 316 (b) TIA wieder eng auslegt und holdouts für nicht schutzwürdig ansieht. Dieses Problem ließe sich im Prinzip lösen, und zwar durch eine gesetz­ liche Konkretisierung des Geltungsbereichs des § 316 (b) TIA.142 Bis jetzt sehen aber weder der Kongress noch die SEC einen Anlass zum Eingreifen. Die Rolle, die Grenzen der ungünstig formulierten Vorschrift des § 316 (b) TIA „festzulegen“, übernehmen die Gerichte. Aber auch den Gerichten gelingt es kaum, wie man sieht, die Rahmenbedingungen für eine Anleihe­ restrukturierung unter dem TIA sicher zu bestimmen.143

136  846

F.3d 19. (2017). F.3d 19. (2017). 138  Vgl. 846 F.3d 20. (2017). 139  846 F.3d 19. (2017). 140  846 F.3d 21 (2017). 141  846 F.3d 21 (2017). 142  Dazu siehe insbesondere Roe, 129 Harvard L. Rev. Forum 360 ff. (2016). 143  Roe, a. a. O., S. 361; auf die Risiken, insbesondere im Zusammenhang mit der Freigabe der Garantie, wird hingewiesen auch von Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 15. 137  846



§ 3 Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht 143

Als letzter Punkt muss erwähnt werden, dass die Technik „exit consents“, selbst wenn die Konfliktsituation mit § 316 (b) TIA in der Zukunft durch die Rechtsprechung gelöst wird, möglicherweise gegen andere Vorschriften verstoßen kann. Das Berufungsgericht selbst weist auf eine solche Möglichkeit in dem erwähnten Urteil im Marblegate-Prozess hin. Holdouts können auf das Rechtsinstitut der successor liability (Haftung aus Rechtsnachfolge) oder der fraudulent conveyance (rechtswidrige Beiseiteschaffung des Vermögens) zurückgreifen.144 D. h. trotz der Marblegate-Entscheidung ist es noch zu früh, um sagen zu können, dass exit consents als Hauptrestrukturierungs­ instrument unter Geltung des US-amerikanischen Rechts rechtlich zulässig sind.

C. Ergebnis Die Untersuchung der Regelungen und des Richterrechts in Bezug auf die außergerichtliche Anleiherestrukturierung zeigt, dass das US-amerikanische Recht gewisse Probleme und Unsicherheiten für die Praxis bereiten kann, weil der Geltungsbereich von Mehrheitsklauseln wegen der Restriktion des § 316 (b) TIA, der faktisch alle Anleihen erfasst, nicht konkretisiert ist. Probleme bereitet vor allem der Umstand, dass die Verfasser des TIA Mehrheitsklauseln als Instrument identifiziert haben, das der Mehrheit hilft, ihre Rechte zu Lasten der Minderheit zu missbrauchen. Während der deutsche Gesetzgeber beim Erlass des neuen SchVG im Jahr 2009 davon ausgeht, dass Mehrheitsklauseln bei einer Anleiherestrukturierung eindeutig zulässig sind, sieht der US-amerikanische Gesetzgeber darin „a far-reaching re­ organization“145, die auf keinen Fall zugelassen werden darf. Um die Minderheit zu schützen, schloss er 1939 die Änderung von Hauptbedingungen im Wege eines Mehrheitsbeschlusses durch § 316 (b) TIA aus. An dieser Position hat der US-amerikanische Gesetzgeber bis heute nichts geändert, selbst wenn die wichtigsten Argumente für die Restriktion, die im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses genannt worden sind, ihre Bedeutung im Laufe der Zeit endgültig verloren haben.146 Interessant ist in diesem Zusammen144  846 F.3d 16 (2017); dazu auch Plotko/Paradise, After Marblegate: What Rights Do Holdout Bondholders Have?, abrufbar unter: https://www.rkollp.com/newsroompublications-411.html; Hart/Berkery, The Implication of Recent Court Decisions for Issuers of Debt Securities, S. 6 f., abrufbar unter: http://www.cailaw.org/media/files/ IEL/Publications/2017/marblegate-vol11no1.pdf. 145  SEC, Report on the Study and Investigation of the Work, Activities, Personnel and Functions of Protective and Reorganization Committees (1936), Part VI – Trustees under Indentures, S. 143. 146  Zu dem Vorschlag, § 316 (b) TIA zu ändern oder ganz aufzuheben, siehe Groen­dyke, 94 Texas L. Rev. 1239, 1241, 1257 (2016); Roe, 129 Harv. L. Rev. Fo-

144 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

hang aber nicht die Position des US-amerikanischen Gesetzgebers, sondern auch diejenige der Praxis: Die Idee festzulegen, dass umfassende Mehrheitsklauseln zum Zwecke einer Anleiherestrukturierung unzulässig sind, findet noch ihre „Befürworter“ unter den Emittenten. Da, wo der TIA nicht eingreift und die Beschränkung des § 316 (b) TIA nicht bindet, übernehmen immer noch viele Emittenten die Vorschrift freiwillig in ihre Anleihebedingungen. § 316 (b) TIA wird somit als Marktstandard angesehen. Obwohl § 316 (b) TIA die Rechtsmacht der Mehrheit in Bezug auf die Änderung der Hauptbedingungen beschränkt, bleibt noch Raum für eine Anleiherestrukturierung. Eines der Hauptinstrumente stellt dabei die Technik „exit consents“ dar. Obwohl sie Elemente der Nötigung enthält, sehen die US-Gerichte die Technik an sich nicht als rechtswidrig an. Dennoch ist die Diskussion um die rechtliche Zulässigkeit nicht zu Ende, da ein Konflikt der Technik mit der unglücklich formulierten Vorschrift des § 316 (b) TIA möglich ist. Die letzte Entscheidung im Marblegate-Prozess im Jahr 2017 wurde als großer „Sieg“ im Kampf gegen holdouts insbesondere von der Praxis begrüßt. Der US Court of Appeals hat mit überzeugenden Argumenten gezeigt, dass die Rechte der opponierenden Minderheit nicht absolut sind. Es kann aber nicht garantiert werden, dass auch andere Gerichte in der Zukunft die Vorschrift des § 316 (b) TIA eng auslegen, wie dies der US Court of Appeals gemacht hat. Denn selbst die Entscheidung des Berufungsgerichts erfolgte mit einem Sondervotum. Weitere Probleme bereitet der Umstand, dass die zitierte Entscheidung die Frage über die Zulässigkeit der Freigabe der Garantie offen lässt und nicht ausschließt, dass die Anwendung der Technik „exit consents“ gegen successor liability oder fraudulent conveyance law verstößt.

§ 4 Anleiherestrukturierung nach englischem Recht Nachdem die Besonderheiten und die Hauptprobleme des US-amerikanischen Rechts der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung präsentiert sind, kann in einem weiteren Schritt das englische Recht untersucht werden. Es wird gezeigt, dass das Problem der Bestimmung der zulässigen Grenzen der Restrukturierung, insbesondere bei der Nutzung von exit consents, nicht nur für US-amerikanische Anleihen und den US-amerikanischen Anleihemarkt relevant ist. Auch in England, insbesondere in der letzten Zeit, gewinnt das Thema der Anleiherestrukturierung und der Erarbeitung von Kriterum 360 (2016); ders., Giving Bondholders a Voice in Debt Restructuring (am Ende), abrufbar unter: http://www.nytimes.com/2015/12/15/business/dealbook/giving-bondholders-a-voice-in-debt-restructuring.html; Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 72 ff. (2017).



§ 4 Anleiherestrukturierung nach englischem Recht145

rien des Schutzes für die dissentierende Minderheit an Interesse. Wiederum wie in den USA, sorgt die jüngste Rechtsprechung für eine gewisse Unsicher­ heit bei den Marktteilnehmern, weil der Eindruck entsteht, dass sich die Rechtsprechung mehr auf der Seite von holdouts „positioniert“.

A. Zulässigkeit von Mehrheitsklauseln kraft Vertragsfreiheit Am Anfang der Untersuchung ist festzuhalten, dass das englische Recht keine Vorschriften wie § 5 SchVG kennt, die die Einführung von Mehrheitsklauseln in den Anleihevertrag ausdrücklich erlaubten. Dieses Recht steht dem Emittenten wie nach US-amerikanischem Recht kraft Vertragsfreiheit zu.147

B. Keine ausdrücklichen Ausnahmen Im Unterschied zum US-amerikanischen Recht kennt aber das englische Recht keine Ausnahmen vom Prinzip der Vertragsfreiheit für Anleihebedingungen. Durch Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger können also alle Anleihebedingungen geändert werden, unabhängig davon, ob es sich um wesentliche oder unwesentliche Bedingungen handelt.148 Auf diese Besonderheit wiesen schon die Verfasser des TIA im Laufe der Gesetzesberatungen hin. So lautet es im Untersuchungsbericht: „British indentures examined do permit bondholders at a meeting by ‚extraordinary resolution‘ to effect changes or modifications in the obligation of the issuer to pay principal and interest; in fact a far-reaching reorganization of the issuer and its securities can be authorized.“149

Die Idee vorzuschreiben, dass bestimmte Rechte des opponierenden Anleihegläubigers absolut und unantastbar sind, um ihn vor der Willkürherrschaft der Anleihegläubigermehrheit im Rahmen einer außergerichtlichen Anleiherestrukturierung schützen zu können, stand nicht zur Diskussion. Auf den ersten Blick bietet das englische Recht weitreichende Möglichkeiten in Bezug auf die Änderung der Anleihebedingungen. Insofern ähnelt das 147  Vgl. IWF „The Design and Effectiveness of Collective Action Clauses“ v. 06.06.2002, S. 6, abrufbar unter: https://www.imf.org/external/np/psi/2002/eng/060 602.pdf; Tricot, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., Anhang 1, B, Rn. 1, 12 f.; Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1600 (2014); Eidenmüller, ZZP 121 (2008), 273 (283); Balthasar, ZHR 183 (2019), 662 (673). 148  Auch Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 18. 149  SEC, Report on the Study and Investigation of the Work, Activities, Personnel and Functions of Protective and Reorganization Committees (1936), Part VI – Trustees under Indentures, S. 143.

146 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

englische Recht eher dem deutschen Recht und dem neuen SchVG 2009, das im Prinzip ebenfalls auf der Idee der Zulässigkeit der umfassenden Umschuldungsklauseln beruht.150

C. Zulässige Restrukturierungsoptionen Da das englische Recht keine gesetzlichen Beschränkungen für die außergerichtliche Anleiherestrukturierung vorsieht, kann der Emittent unterschiedliche Optionen nutzen: 1) Zur Lösung des hold-out-Problems kann der Emittent den „klassischen“ Weg der Restrukturierung wählen und – soweit Anleihebedingungen Mehrheitsklauseln vorsehen – die Änderung bzw. Aufhebung einzelner Klauseln mit der Zustimmung der Anleihegläubigermehrheit bewirken; dabei können zum Gegenstand des Mehrheitsbeschlusses der Anleihegläubiger, wie bereits erwähnt, auch Hauptbedingungen gemacht werden. 2) Der Emittent kann außerdem alternative Techniken anwenden, die bereits im Rahmen der Untersuchung des US-amerikanischen Rechts genannt wurden, d. h.: – er kann im Wege der redemption vorgehen und Forderungen der Anleihegläubiger aus Schuldverschreibungen vorzeitig tilgen; – der Emittent kann Schuldverschreibungen zurückkaufen (repurchase); – schließlich kann der Emittent den Umtausch der Schuldverschreibungen anbieten (exchange offer). Von dem letzten Weg, also vom Umtausch von Schuldverschreibungen in seiner reinen Form, kann der Emittent kaum profitieren, weil das Umtauschangebot für die Anleihegläubiger, wie bereits erwähnt, keine Anreize zur Zustimmung schafft. Mit anderen Worten bleibt das hold-out-Problem nicht gelöst. Hier kann der Emittent – wieder wie im Rahmen der Anleiherestrukturierung nach US-amerikanischem Recht – den Zustimmenden zusätzliche Prämien anbieten (consent payments) und lediglich als Bedingung vorsehen, dass der Umtausch nur dann erfolgt bzw. für den Emittenten bindend ist, wenn ein bestimmter Anteil der Anleihegläubiger das Angebot annimmt (75 % oder mehr). Oder der Emittent kann eine coercive strategy wählen und das Umtauschangebot mit exit consents kombinieren. Im Unterschied zu der ersten Alternative verlangen exit consents einen Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger, denn die Änderung der aus Sicht des Emittenten ungünstigen Bedingungen der Altanleihe (covenant stripping) ist die Wirksamkeitsvoraus150  Der Katalog der Restrukturierungsoptionen im § 5 Abs. 3 SchVG ist nicht abschließend; dazu bereits unter Kapitel 1 § 2 B. II. 3. c).



§ 4 Anleiherestrukturierung nach englischem Recht147

setzung des Umtausches. Exit consents können somit wie nach US-amerikanischem Recht strukturiert werden. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Änderung der core payment terms zulässig ist, weil das englische Recht keine gesetzlichen Restriktionen ähnlich wie § 316 (b) TIA kennt.

D. Die Rechtsprechung Die genannten Techniken im Rahmen der außergerichtlichen Anleihe­ restrukturierung – oder wie es noch im englischen Schrifttum bezeichnet wird, im Rahmen eines private work-out151, wurden von englischen Gerichten untersucht. Die ersten Entscheidungen ergingen dabei erst nach der letzten Finanzkrise 2008. D. h. das Thema der Anleiherestrukturierung stellt für englische Gerichte ein ganz neues Thema dar.152 Für die weitere Untersuchung sind von Interesse zwei Urteile, nämlich im Azevedo- und AssénagonFall. Beide Urteile ergingen im Jahr 2012. I. Der Azevedo-Fall Im Fall Azevedo v. Imcopa Importacao, Exportacao e Industria de Oleos Ltda153 versuchte der Emittent, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, eine Anleihe zu restrukturieren. Der Restrukturierungsplan sah u. a. die Verschiebung der Fälligkeit der Forderungen auf Zahlung des Kapitals und der Zinsen vor. Nach den Anleihebedingungen war die Änderung der wesentlichen Bedingungen mit Zustimmung der Anleihegläubigermehrheit (mindestens 75 %) zulässig. Um das notwendige Quorum zu erreichen, zahlte der Emittent eine Prämie (consent payment) an die Anleihegläubiger, die der Änderung der Bedingungen zustimmten. Aus Sicht des Anleihegläubigers Azevedo war die Zahlung dieser Prämie unzulässig. Er argumentierte damit, dass consent payments das pari-passuPrinzip verletzten, weil die Anleihegläubiger, die der Änderung der Bedingungen zustimmten, um die Prämie zu erlangen, anders behandelt würden als diejenigen, die gegen diese Änderung seien und konsequenterweise ohne Prämie blieben. Mit dem Anbieten der Prämie versuche der Emittent nichts anderes, als die Anleihegläubiger zu bestechen. Dies habe zur Folge, dass der 151  Peel,

4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162 f. (2015). Peel, UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162 (2015); [2012] EWHC 1849 (Comm), Rn. 55; [2013] EWCA Civ 364, Rn. 29, so auch [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 1; Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1602 (2014). 153  [2012] EWHC 1849 (Comm) – erste Instanz; [2013] EWCA Civ 364 (affd) – Berufungsinstanz; zu diesem Fall siehe auch Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 178 ff. (2015). 152  Vgl.

148 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Beschluss der Anleihegläubiger, obwohl alle Mehrheitserfordernisse formal erfüllt seien, nach englischem Recht nicht wirksam sei.154 Mit diesen Argumenten ging der Anleihegläubiger gerichtlich gegen die Restrukturierung vor, die mehr als 90 % der Anleihegläubiger unterstützten. Es gelang ihm aber nicht, das Gericht zu überzeugen, weder in erster Instanz, noch in der Berufung. Die Gerichte verneinten eine Verletzung des paripassu-Prinzips, weil neue Anleihebedingungen für alle Anleihegläubiger gleiche Wirkung haben. Wie die Gerichte in beiden Instanzen ausführen, habe kein Anleihegläubiger das Recht erlangt, die Befriedigung seiner Forderung auf Zahlung des Kapitals und der Zinsen vom Emittenten früher zu verlangen als die anderen. Gründe anzunehmen, dass der Emittent in unzulässiger Weise die Stimmen der Anleihegläubiger gekauft habe (vote buying), seien ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere scheide eine Bestechung aus, weil die Möglichkeit, eine zusätzliche Prämie als Gegenleistung zur Zustimmung zu der Änderung der Anleihebedingungen zu erlangen, allen Anleihegläubigern eingeräumt worden sei. Das Angebot erfolge seitens des Emittenten offen und verfolge nicht das Ziel, einzelne Anleihegläubiger zu privilegieren.155 Im Azevedo-Fall sahen englische Gerichte somit keine Verletzung der Rechte der Anleihegläubiger bei der Änderung der Anleihebedingungen im Wege eines Mehrheitsbeschlusses, wenn die Anleihebedingungen dies ausdrücklich zulassen. Der Emittent ist dabei auch berechtigt, die Stimmen der Anleihegläubiger durch Zahlung von Prämien (consent payments) zu „kaufen“, weil das Anbieten dieser Prämien unter Einhaltung des Gleichbehandlungsprinzips keinen rechtlich unzulässigen Anreiz schafft, zu Gunsten der Änderung der Bedingungen abzustimmen.156 II. Der Assénagon-Fall Im nächsten Fall, im Fall Assénagon Asset Management S.A. v. Irish Bank Resolution Corporation Ltd.157, versuchte der Emittent ebenfalls, Anreize für 154  [2012]

EWHC 1849 (Comm), Rn. 17; [2013] EWCA Civ 364 (affd), Rn. 1. [2012] EWHC 1849 (Comm), Rn. 52 ff.; [2013] EWCA Civ 364 (affd), Rn. 63 ff.; siehe in diesem Zusammenhang auch Goodfellow v. Nelson Line Liverpool Ltd [1912] 2 Ch 324 und British American Nickel Corporation Ltd v. MJ OʼBrien [1927] AC 369. 156  Vgl. [2013] EWCA Civ 364 (affd), Rn. 35. 157  [2012] EWHC 2090 (Ch); zum Fall siehe auch Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 182 ff. (2015); Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1606 ff. (2014); Herrmann, 66 Rutgers L. Rev. 775 ff. (2014); Rock, 163 University of Pennsylvania L. Rev. 2019, 2044 ff. (2015); Dunlop/Sinclair/Zandstra/Deakins, Liability Management: Exit Consents and Oppression of the Minority, abrufbar unter: https:// 155  Vgl.



§ 4 Anleiherestrukturierung nach englischem Recht149

die Anleihegläubiger zu schaffen, damit sie der Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss zustimmen. Trotz der Einhaltung des Prinzips der Gleichbehandlung aller Anleihegläubiger reichten die „Bemühungen“ des Emittenten nicht. Das Gericht erachtete die Anleiherestrukturierung rechtlich für unzulässig. Im Fall Assénagon ging es um die Restrukturierung einer Anleihe der Anglo Irish Bank, der damals drittgrößten Bank Irlands, deren Bilanzaktiva etwa 50 % des irischen Bruttoinlandsproduktes betrugen. Die Bank fokussierte ihre Tätigkeit hauptsächlich auf Gewerbeimmobilien und geriet nach dem starken Absturz der Preise auf dem Immobilienmarkt wegen der Finanzkrise 2008 in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Da die Bank große Bedeutung für die Gewährleistung der Stabilität des Finanzsystems Irlands hatte, wurden seitens der irischen Regierung mehrere Versuche unternommen, die Bank vor der drohenden Insolvenz zu retten. Es wurden z. B. Garantien erteilt, einzelne Kredite übernommen. Schließlich wurde die Bank verstaatlicht. Während dieser Rettungsmaßnahmen erwarb Assénagon Asset Management S.A. (im Folgenden „Assénagon“), ein institutioneller Investor158, Schuldverschreibungen der notleidenden Anleihe. Der Erwerb erfolgte mit einem hohen Abschlag: Der Preis betrug 0,418–0,420 Cent je nominal ein Euro. Der Abschlag zum Preis erfolgte als Reaktion darauf, dass die Anleihegläubiger von den Rettungsmaßnahmen der Regierung nicht unmittelbar profitieren konnten. Außerdem war die Anleihe nachrangig. Nach diesem Erwerb erklärte der Minister der Finanzen Irlands, er gehe davon aus, dass die Anleihegläubiger einen erheblichen Anteil der Kosten der notleidenden Bank wie die Regierung übernähmen. Damit meinte er die Zustimmung zum Anleiheumtausch (exchange proposal), der mit covenant stripping kombiniert war. Die Restrukturierung der Anleihe war als exit consent ausgestaltet. Der Restrukturierungsplan sah folgendes vor:

cliffordchance.com/briefings/2012/07/liability_managementexitconsentsan.html; Houghton/Malthasen/Edmonson, Exit Consents, abrufbar unter: https://m.lw.com/ thoughtLeadership/exit-consents; Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 16 ff.; Billington, Exit Consents in Restructuring – Still a Viable option?, abrufbar unter: https://corpgov.law.harvard.edu/2013/05/22/exit-consents-in-restructurings-still-a-via ble-option/; Diaz/Funk/Kim/Rogers/Sawhney, The Enduring Legality of Exit Consents: A Realist’s Guide, S. 8 f., abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3160274; Corbi/Pinkas, The Invalidity of Exit Consents, ABI Journal (October 2012); Balthasar, ZHR 183 (2019), 662 (674). 158  Vgl. [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 26.

150 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

1) Die Anleihegläubiger stimmen der Änderung der Anleihebedingungen der Altanleihe im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zu. 2) Die restrukturierungswilligen Anleihegläubiger tauschen ihre Schuldverschreibungen gegen Schuldverschreibungen aus einer neuen Anleihe im Verhältnis 1:0,2 bzw. 5:1 um. D. h. für 20 Cent einer neuen Schuldverschreibung muss der Anleihegläubiger zum Umtausch Schuldverschreibungen der Altanleihe zum nominalen Wert von einem Euro anbieten. Der Preis von 20 Cent spiegelte dabei den aktuellen Wert der Anleihe auf dem Kapitalmarkt wider.159 Die Neuanleihe sah eine Garantie der irischen Regierung vor und war außerdem nicht nachrangig. 3) Das covenant stripping schließt das Recht der Regierung ein, die Forderungen aus den Schuldverschreibungen der Altanleihe frühzeitig zu tilgen (redemption). Wichtig ist dabei der Tilgungsbetrag, den die opponierenden Altanleihegläubiger bekommen: Für die Schuldverschreibung im nominalen Wert von 1000 Euro zahlt die Bank nur 0,01 Euro, also 1 Cent. Dem Umtausch der Anleihen stimmten etwa 92 % der Anleihegläubiger zu.160 Der Anleihegläubiger Assénagon nahm an der Versammlung aller ­Anleihegläubiger nicht teil und erlangte für die über den Kapitalmarkt erworbenen Schuldverschreibungen im nominalen Wert von 17 Mio. Euro nur 170 Euro.161 Dieses Ergebnis veranlasste den Anleihegläubiger, gegen die Restrukturierung gerichtlich vorzugehen. Obwohl alle Mehrheitserfordernisse nach den Anleihebedingungen erfüllt waren, betrachtete er den Mehrheitsbeschluss und die Änderung der Anleihebedingungen für ihn als nicht bindend. Sein Hauptargument bestand darin, dass die Anleihegläubigermehrheit ihr Recht, die Minderheit zu binden, missbraucht habe (abuse of power). Das Umtauschangebot der Bank habe keinen Vorteil für alle Anleihegläubiger mit sich gebracht und sei außerdem gegenüber der Minderheit, die ihre Schuldverschreibungen nicht umgetauscht habe, nicht fair.162 Das Gericht gab der Klage statt. Wie der Anleihegläubiger betrachtete das Gericht die Restrukturierung der Anleihe als nicht zulässig, weil der Zweck des Mehrheitsbeschlusses lediglich in der Zerstörung des Wertes der Altanleihe bestehe. Für die Anleihegläubiger könne somit kein denkbarer Nutzen erzielt werden. Wenn das Ziel der Restrukturierung in der „expropriation“ der Rechte der Minderheit auf die Zahlung bestehe, habe die Mehrheit kein 159  [2012]

EWHC 2090 (Ch), Rn. 36. EWHC 2090 (Ch), Rn. 36. 161  [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 37. 162  Zu den Hauptargumenten des Anleihegläubigers siehe [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 39. 160  [2012]



§ 4 Anleiherestrukturierung nach englischem Recht151

Recht, die Anleihebedingungen mit bindender Wirkung für alle zu ändern. Am Ende fügte das Gericht hinzu: „The exit consent is, quite simply, a coercive threat which the issuer invites the majority to levy against the minority, nothing more or less. Its only function is the intimidation of a potential minority, based upon the fear of any individual member of the class that, by rejecting the exchange and voting against the resolution, he (or it) will be left out in the cold.“163

Die Hauptkritik an diesem Argument im Schrifttum bestand darin, dass sich der Fall Assénagon vom Fall Azevedo seiner Struktur nach nicht unterscheide.164 Tatsächlich durften in beiden Fällen am Umtausch der Anleihen alle Anleihegläubiger teilnehmen. In beiden Fällen hatte der Emittent Anreize für die Zustimmung zu der Änderung der Anleihebedingungen geschaffen. Im Fall Azevedo bat der Emittent die Anleihegläubiger, teilweise auf ihre Forderungen zu verzichten, damit sie eine Prämie bekommen könnten. Im Fall Assénagon schlug der Emittent statt einer Prämie den Umtausch der Anleihen mit einem exchange ratio 20 Cent je einen Euro der Altschuldverschreibungen vor. Die holdouts konnten nach der redemption der Altanleihe lediglich ein Cent je ein Euro erlangen. Die Anleihegläubiger stimmten somit der Änderung der Anleihebedingungen und dem Umtausch zu, um nicht mit leeren Händen dazustehen. Während im Azevedo-Fall die Zahlung der Prämie zulässig war, betrachtete das Gericht die nötigende Taktik im Fall Assénagon für rechtlich missbräuchlich, weil sie die Rechte der Minderheit „expropriates“.165 Selbst das Gericht bestreitet bei der Begründung seiner Entscheidung nicht, dass diese zwei Fälle eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen.166 Der Unterschied besteht tatsächlich lediglich in der Art der Anreize.167 Während der Emittent im Azevedo-Fall positive Anreize („carrots“) nutzt und sein Angebot zu „versüßen“ versucht, schafft er im Assénagon-Fall ausschließlich negative Anreize („sticks“), denn bei Ablehnung des Angebots sehen sich die Anleihegläubiger mit der Gefahr „[to] be left out in the cold“168 konfrontiert.169 Dieser Unter163  [2012]

EWHC 2090 (Ch), Rn. 84. Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 21; siehe auch Smith/Sharpe, 29 JIBFL 289 f. (2014); a. A. Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 185 (2015). 165  [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 84. 166  [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 72 ff. 167  Vgl. Salvest, Two Recent Cases Test the Legality of Consent Payment and Exit Consents under English Law, S. 4, abrufbar unter: https://www.jonesday.com/-/media/ files/publications/2012/09/two-recent-cases-test-the-legality-of-consent-payments/ files/two-recent-cases/fileattachment/two-recent-cases.pdf. 168  [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 84. 169  Zu den Begriffen „carrots“ und „sticks“ siehe Buchheit/Daly, in: Lastra/Buchheit, Sovereign Debt Management, Rn. 1.01, 2.01; Bratton/Levitin, University of 164  Vgl.

152 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

schied ist aber aus Sicht des Gerichts dennoch entscheidend, weil nur im ersten Fall die Einwirkung auf die Anleihegläubiger „not irrational“ sei. Das Anbieten einer Prämie sei „beneficial to the [bondholders as a] class“ trotz des Umstandes, dass die Anleihegläubiger teilweise auf ihre Forderungen verzichten müssten.170 Die Frage, warum das Gericht den Umtausch der Anleihen und die Zahlung von 20 Cent je ein Euro statt ein Cent je 1000 Euro, die Gewährung der Garantie der Regierung Irlands und des besseren Rangs der Forderung nicht als rational ansieht, blieb unbeantwortet. Die Entscheidung des Gerichts im Assénagon-Fall erzeugte Unsicherheit in der Praxis.171 Das Urteil wurde sogar in der Weise interpretiert, dass das Gericht exit consents als eine der wichtigsten Restrukturierungstechniken ganz verbiete.172 Insofern muss man beachten, dass das Gericht lediglich die „expropriation“-Wirkung beanstandet hat, nicht dagegen die Technik an sich. Es muss bei der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung lediglich vermiePennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 14 ff. (2017); Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 867 (1991); Salvest, Two Recent Cases Test the Legality of Consent Payment and Exit Consents under English Law, S. 4, abrufbar unter: https:// www.jonesday.com/-/media/files/publications/2012/09/two-recent-cases-test-the-le gality-of-consent-payments/files/two-recent-cases/fileattachment/two-recent-cases. pdf; Padian/Porteous, Carrots and sticks: limits on majority creditorsʼ rights to bind a minority, abrufbar unter: https://www.stevens-bolton.com/cms/document/butter worts_journal_article.pdf. 170  [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 72. 171  Vgl. Houghton/Malthasen/Edmonson, Exit Consents, S.  4, abrufbar unter: https://m.lw.com/thoughtLeadership/exit-consents; Billington, Exit Consents in Restructuring – Still a Viable Option?, abrufbar unter: https://corpgov.law.harvard. edu/2013/05/22/exit-consents-in-restructurings-still-a-viable-option/; Doran/Lee, Bond Exit Consents: No Way Out?, S. 1, abrufbar unter: https://uk.practicallaw.thomsonreu ters.com/5-521-0774?transitionType=Default&contextData=(sc.Default)&firstPage =true&bhcp=1; Herrmann, 66 Rutgers L. Rev. 776 f. (2014) („This ruling was shocking and was considered an unexpected departure from what had become a rather routine solution to the problem of bondholder holdouts in an exchange offer. It is a widespread technique that has been affirmed by courts in the U.S. again and again.“); Levine, „Everybodyʼs Doing It“ Legal Theory Does Not Protect English Bank Restructurings, Dealbreaker („[exit consents] become standard here, it’s standard worldwide  … And itʼs widely used for corporate debt restructuring under English law. Until today [= ruling in Assénagon].“), abrufbar unter: http://deal-breaker.com/ 2012/07/everybodys-doing-it-legal-theory-does-not-protect-english-bank-restructur ings; selbst im Urteil wird die Bedeutung der Technik für den Kapitalmarkt besonders hervorgehoben, siehe [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 6, 69. 172  Siehe Verweise bei Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1614, Fn. 211 (2014); siehe auch Gelpern, Exit Consents Killed in England?, https://www.creditslips.org/ creditslips/2012/07/exit-consents-killed-in-england.html; a. A. Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1614 (2014); Peel, 4 UCL Journal of Law and Jurisprudence, Vol. 1, 162, 187. (2015); Diaz/Funk/Kim/Rogers/Sawhney, The Enduring Legality of Exit Consents: A Realistʼs Guide, S. 10, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3160274.



§ 4 Anleiherestrukturierung nach englischem Recht153

den werden, dass die restrukturierungswilligen und die dissentierenden Anleihegläubiger nicht erheblich unterschiedlich behandelt werden.173 Seiner Regelungsfunktion nach erinnert Assénagon-Fall an § 316 (b) TIA im US-amerikanischen Recht: Das Urteil schließt nicht die Restrukturierung aus, bezeichnet aber gewisse Grenzen zum Schutz der Rechte der Anleihegläubigerminderheit.174 Obwohl das Urteil eine lediglich begrenzende Funktion erfüllt, scheint es für die Praxis dennoch nicht unproblematisch zu sein. Zum einen fehlen konkrete Kriterien für die Bestimmung des zulässigen Grades der coer­ cion.175 Zum anderen zwingt das Urteil die Emittenten, „weichere“ Formen des covenant stripping zu nutzen, um das Risiko einer nachträglichen Gerichtskontrolle des Restrukturierungsplans zu reduzieren. Aber da, wo die umtauschwilligen und die dissentierenden Anleihegläubiger vor ungefähr die gleichen Risiken gestellt werden, entfällt das zentrale Element von exit consents, nämlich die „coercive threat“, die hilft, Anreize für hold-out-Strategie zu minimieren. Nach dem Urteil verbleibt zwar Raum für die Anwendung von exit consents, aber nur in einem sehr geringen Umfang. Mit anderen Worten verbietet der Assénagon-Fall nicht die Technik „exit consents“, macht aber im Prinzip ihre Anwendung bei einer Anleiherestrukturierung unmöglich. Die Bedenken der Praxis hinsichtlich der Zulässigkeit der Technik nach englischem Recht nach dem Assénagon-Fall scheinen folglich nicht grundlos zu sein.

E. Ergebnis Im Endergebnis kann festgestellt werden, dass das englische Recht im Unterschied zum US-amerikanischen Recht keine ausdrücklichen Beschränkungen bei der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung enthält. Es herrscht das Prinzip der Vertragsfreiheit, das dem Emittenten grundsätzlich erlaubt, umfassende Mehrheitsklauseln in Anleihebedingungen einzuführen. Im Wege eines Mehrheitsbeschlusses dürfen auch Hauptbedingungen der Anleihe geändert werden. 173  Vgl. Houghton/Malthasen/Edmonson, Exit Consents, S. 5 („no substantial disparity between exchanging and non-exchanging bondholders“), abrufbar unter: https://m.lw.com/thoughtLeadership/exit-consents; Doran/Lee, Bond Exit Consents: No Way Out?, S. 2, abrufbar unter: https://uk.practicallaw.thomsonreuters.com/5-5210774?transitionType =Default&contextData=(sc.Default)&firstPage=true&bhcp=1. 174  Vgl. auch Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1617 (2014) („Assénagon[ ] simply creates something like the TIA for bonds governed by English law.“) und S. 1620 („Assénagon does not make the exit consentʼs death knell, but rather its outer limit.“). 175  So auch Amato, 6 Bocconi Legal Papers 237, 239 f. (2015).

154 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

In der Rolle der „Korrektivs“ tritt lediglich das Richterrecht auf, nämlich die vor kurzem ergangene Entscheidung im Assénagon-Fall, die im Prinzip die Anwendung einer der wichtigsten Restrukturierungstechniken, die Technik „exit consents“, beanstandet hat. Als Hauptargument diente die Über­ legung, dass die Anleihegläubigermehrheit ihre Rechte zu Lasten der dissentierenden Minderheit missbrauche. Das Gericht sah in diesem Vorgehen ausschließlich den Versuch, die Rechte der Minderheit auszuhöhlen, weil die Restrukturierung die Anleihegläubiger „as a class“ nicht begünstige. Eine klare Aussage, wann bzw. unter welchen konkreten Umständen eine solche aushöhlende Wirkung ausscheidet, ist im Urteil nicht enthalten. Insofern ist das englische Recht der Anleiherestrukturierung noch weniger konkret als das US-amerikanische Recht. Außerdem muss beachtet werden, dass die Diskussion über das Thema der Wirksamkeit der Änderung der Anleihebedingungen aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses unter Geltung des englischen Rechts gerade erst angefangen hat. Es handelt sich also um ein relativ neues Thema in der Rechtsprechung. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Position der Gerichte in der Zukunft entwickelt. Aufgrund des Urteils im Assénagon-Fall muss aber die Praxis schon heutzutage beachten, dass – obwohl das englische Recht keine ausdrück­ lichen Beschränkungen ähnlich wie z. B. § 316 (b) TIA im US-amerikanischen Recht kennt – das Prinzip der Vertragsfreiheit nicht immer gilt.

§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht A. Überwindung grundsätzlicher Bedenken gegen Machtmissbrauch der Anleihegläubigermehrheit Die Untersuchung der Regelungen und des Richterrechts in den USA und in England zu außergerichtlicher Anleiherestrukturierung zeigt, dass die Anwendung des US-amerikanischen und englischen Rechts für die Praxis nicht unproblematisch sein kann. In den USA sorgt für Unsicherheit die Vorschrift des § 316 (b) TIA. Ihrem Wortlaut nach verbietet sie die Änderung der Hauptbedingungen der Anleihe ohne Zustimmung des Anleihegläubigers. Die Verfasser des TIA begründeten die Restriktion mit der Notwendigkeit, den Machtmissbrauch und die Willkürherrschaft der Anleihegläubigermehrheit zu beschränken. Die Idee, umfassende Anleiherestrukturierungen zuzulassen, ist dem US-amerikanischen Recht also fremd. Ein weiteres Problem im US-amerikanischen Recht verursacht die Auslegung der Vorschrift. Denn auch etwa 80 Jahre nach dem Erlass des TIA kann nicht genau geklärt werden, wie weit die Befugnisse der Anleihegläubigermehrheit bei einer Anleiherestrukturierung reichen.



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 155

In England scheint die Situation für die außergerichtliche Anleiherestrukturierung auf den ersten Blick günstiger zu sein, denn nach englischem Recht gilt das Prinzip der Vertragsfreiheit und es gibt keine gesetzlichen Beschränkungen hinsichtlich der Änderung der Anleihebedingungen im Wege eines Mehrheitsbeschlusses ähnlich wie § 316 (b) TIA im US-amerikanischen Recht. So war es, bis das Urteil im Assénagon-Fall im Jahr 2012 erging, in dem das Argument des Machtmissbrauchs seitens der Mehrheit der Anleihegläubiger auftauchte. Das Gericht erkannte in der Änderung der Anleihe­ bedingungen, die für alle Anleihegläubiger ihre bindende Wirkung entfallen sollte, einen irrationalen Schritt, der ausschließlich zur Beeinträchtigung des Wertes der Anleihe führe. Mit diesem Urteil hat das englische Recht der Anleiherestrukturierung seinen eigenen „§ 316 (b)“ erlangt176, im Vergleich zum US-amerikanischen Recht allerdings mit noch weniger klaren Bestimmungen, nach denen Emittenten die rechtliche Zulässigkeit der geplanten Umschuldung prüfen könnten. Beiden Rechtsordnungen scheint bei der abstrakten Bestimmung der zulässigen Optionen eine gewisse Angst vor der Willkür seitens der Anleihegläubigermehrheit gemeinsam zu sein: Der US-Gesetzgeber schließt aus diesem Grund wichtige Restrukturierungsoptionen ausdrücklich von Anfang an aus; im englischen Recht wird die sog. „expropriation“-Wirkung der Restrukturierung beanstandet, obwohl jegliche Änderung der Anleihebedingungen zum teilweisen Verlust von Forderungsrechten führt. Während der deutsche Gesetzgeber seine ursprünglichen Bedenken, dass eine Anleiherestrukturierung hauptsächlich der „Bereicherung“ der Mehrheit diene, im Rahmen der Schuldverschreibungsrechtsreform 2009 überwunden hat, scheinen die Bedenken solcher Art im englischen und im US-amerikanischen Recht noch nicht ausgeräumt zu sein. Insofern, was also den Geltungsbereich des Mehrheitsprinzips und die Restrukturierungsoptionen betrifft, kann das deutsche Recht mit seinem SchVG 2009 und insbesondere § 5 als günstiger ausgestaltet angesehen werden.

B. Zulässigkeit der Technik „exit consents“ Ein weiterer Aspekt, der bei dem Vergleich der Rechtsordnungen beachtet werden soll, ist die Möglichkeit, die Anleihe unter Anwendung von exit consents zu restrukturieren. Diese Option stellt heutzutage, wie bereits erwähnt, eine der wichtigsten Restrukturierungstechniken dar, da sie den Bedürfnissen der Praxis entspricht und für eine große Zahl von Umschuldungsfällen eine Rolle spielt. Eine bloße Änderung der Anleihebedingungen im Wege eines 176  So

auch Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1617 (2014).

156 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Mehrheitsbeschlusses scheint als Restrukturierungsoption für den Anleihemarkt nicht ausreichend zu sein. Im englischen Recht ist diese Technik seit dem Assénagon-Fall faktisch tabu, weil der Emittent seine Anleihegläubiger vor eine Hobsonʼs choice stellt. Obwohl im englischen Recht der Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt, werden nur weiche Formen von exit consents zugelassen, die aber ein sehr schwaches Restrukturierungspotenzial aufweisen. Im US-amerikanischen Recht sieht die Situation anders aus: Obwohl die Geltung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit bei einer reorganization by contract durch den TIA beschränkt ist, wird die Anwendung der nötigenden Taktik an sich als rechtlich zulässig behandelt. Jedoch ist es noch nicht geklärt, ob die Technik gegen § 316 (b) TIA und State law theories verstößt.177 Die Frage nach der Anwendung der Technik nach englischem und USamerikanischem Recht wird wegen deren enorme Bedeutung für die Praxis intensiv diskutiert. Wie ist es aber mit der Geltung des deutschen Rechts?178 Sind exit consents nach deutschem Recht zulässig? Der deutsche Gesetz­ geber reformierte das Schuldverschreibungsrecht nach dem Prinzip der Zulässigkeit einer umfassenden Anleiherestrukturierung, um gerade den Erfordernissen und Bedürfnissen der Praxis möglichst zu entsprechen und das deutsche Recht dadurch im Vergleich zu den anderen Rechtsordnungen konkurrenzfähig zu machen. Reicht aber dieser Konkurrenzgedanke, um die Anwendung der Technik „exit consents“ nach dem neuen SchVG 2009 zuzulassen? Oder müssen sich Emittenten allein mit der Möglichkeit der „ein­ fachen“ Mehrheitsentscheidung entsprechend dem Katalog des § 5 SchVG 2009 begnügen, weil in der Verlinkung mit einem Nötigungselement ein unzulässiger Eingriff in den status quo der dissentierenden Anleihegläubigerminderheit gesehen werden kann? Diese Frage, die unter Beachtung der letzten Entwicklungen im Richterrecht in den USA und in England auch in Deutschland aktuell werden kann, ist im nächsten Schritt zu untersuchen. I. Grundsätzliche Zulässigkeit der Hauptelemente Wie bereits erwähnt, besteht das Ziel des Emittenten bei der Anwendung der exit-consents-Technik darin, die Zustimmung der Anleihegläubigermehrheit zu einem covenant stripping (Aufhebung von Schutzklauseln der Altan177  Auf Unterschiede zwischen dem US-amerikanischen und englischen case law weist auch Rock, 163 University of Pennsylvania L. Rev. 2019, 2048 (2015) hin. 178  Dazu auch Eidenmüller, ZZP 121 (2008), 273 (286). Zu der Zulässigkeit eines freiwilligen Umtauschs der Schuldverschreibungen ohne Änderung der Anleihebedingungen der Altanleihe siehe Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn.  38 f.



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 157

leihe) im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zu erlangen. Als „Preis“ dafür ermöglicht der Emittent einen Umtausch der Schuldverschreibungen. Sowohl die Änderung der Anleihebedingungen, selbst wenn es um wesentliche Anleihebedingungen geht, als auch der Umtausch sind nach dem neuen SchVG 2009 zulässig. Insofern handelt es sich um „klassische“ Restrukturierungs­ optionen, die ausdrücklich im Katalog des § 5 Abs. 3 S. 1 SchVG 2009 genannt sind. II. Freiwilliger Umtausch Hinsichtlich des Umtausches muss allerdings beachtet werden, dass der Umtausch der Anleihen nicht zum Gegenstand des Mehrheitsbeschlusses wird. Der Umtausch wird als freiwillige Option ausgestaltet: Die Anleihegläubiger bekommen die Möglichkeit, freiwillig ihre Altschuldverschreibungen gegen neue mit den neuen Bedingungen umzutauschen. Mit anderen Worten schlägt der Emittent jedem einzelnen restrukturierungswilligen Anleihegläubiger vor, in ein anderes Vertragsverhältnis einzutreten.179 Der Umtausch führt nicht dazu, dass das alte Verhältnis mit geändertem Inhalt bestehen bleibt. Der Umtausch bedeutet, dass das alte Vertragsverhältnis mit jedem einzelnen restrukturierungswilligen Anleihegläubiger durch ein neues ersetzt wird.180 Die Begründung eines neuen Vertragsverhältnisses zwischen dem Emittenten und dem jeweiligen Anleihegläubiger wird von der Vertragsfreiheit gedeckt und bedarf insofern nicht der Zustimmung Dritter bzw. der Anleihegläubigermehrheit. Das bedeutet, dass zu diesem Umtausch keiner der Anleihegläubiger gezwungen wird181 und der Umtausch der Schuldverschreibungen auch dann stattfinden kann, wenn die Anleihebedingungen diese Option nicht vorsehen bzw. wenn die Anleiherestrukturierung außerhalb des SchVG erfolgt. 179  Vgl. Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 25; vgl. auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 28. 180  Zum Begriff „Umtausch“ siehe Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 1 und 27. Zu der Rechtsnatur des Umtausches siehe Baums, a. a. O., Rn. 19 ff.; es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, einen Tauschvertrag i. S. d. § 480 BGB abzuschließen oder im Wege der Novation vorzugehen, was zur Folge hat, dass die Rechte und Pflichten aus der Altschuldverschreibung durch Konfusion erlöschen bzw. aufgehoben werden; dazu siehe Baums, a. a. O., Rn.  19 ff.; Friedl/Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 5 Rn. 56; vgl. auch Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 216. 181  Siehe auch Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48, Rn. 25, 37.

158 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

III. Mögliche Kollision mit gesetzlichen Vorschriften Exit consents können allerdings mit den Vorschriften des SchVG 2009, des BGB und anderen Gesetzen kollidieren. In Betracht kommt vor allem die Verletzung des Gleichbehandlungsprinzips sowie des Stimmenkaufverbots, weil der Emittent die Anleihegläubigermehrheit anders zu behandeln scheint als die holdouts und weil er das Ergebnis der Abstimmung durch unterschiedliche Einflussmöglichkeiten diktieren kann. So lauten zumindest die Hauptargumente der Kritiker der Anwendung der umstrittenen Technik. In der Rolle der erwähnten Einflussmöglichkeiten seitens des Emittenten treten in erster Linie, wie bereits erwähnt, negative Anreize, die sog. „sticks“, die die Anleihegläubiger beim Versagen des Umtauschangebots mit der Gefahr konfrontieren, mit leeren Händen dazustehen. Denn nach dem aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses vollzogenen covenant stripping verliert die Anleihe die Hauptinstrumente zum Schutz der dissentierenden Minderheit, was ihren Wert erheblich beeinträchtigen kann. Dieses Szenario bezeichnete das Gericht im Assénagon-Fall als Gefahr „[to] be left out in the cold“.182 Der Emittent kann aber eine andere Strategie wählen und sein Umtauschangebot durch Zahlung einer Prämie183 an alle restrukturierungswilligen Anleihegläubiger184 „versüßen“ („carrots“). Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Technik auf eine Kollision mit gesetzlichen Vorschriften hin ist es auch lohnenswert, zwischen diesen Arten der Einflussmöglichkeiten, also positiven und negativen, zu unterscheiden. 1. Positive Einflussmöglichkeiten Selbst wenn der Emittent versucht, positive finanzielle Anreize einzusetzen, um die Anleihegläubiger zu motivieren, der gewünschten Änderung der Bedingungen zuzustimmen, scheint ein Konflikt mit dem Gesetz nicht von vornherein ausgeschlossen zu sein.185 182  [2012]

EWHC 2090 (Ch), Rn. 84. Schrifttum auch als „Risikoprämie“ bezeichnet, siehe Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 Rn. 28a Fn. 47; Thole, ZIP 2014, 2365 (2367). 184  Zu anderen Gestaltungsmöglichkeiten sowie zur Zulässigkeit der Bedingung, die Prämie nur dann zu zahlen, wenn der gewünschte Mehrheitsbeschluss wirksam zustande kommt, siehe Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (157 f.). 185  Zur Zulässigkeit von Prämien siehe Grell/Splittgerber/Schneider, DB 2015, 111 (112 ff.); Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (157 ff.); Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 6 Rz. 44; ders., ZIP 2014, 2365 (2367 f.); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 Rn. 28a. 183  Im



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 159

a) Mögliche Kollision mit dem Gleichbehandlungsgebot nach dem SchVG Als erstes kommt die Verletzung des Gleichbehandlungsgebots in Betracht. Dieses Gebot findet seine gesetzliche Verankerung im allgemeinen Teil des SchVG, in § 4 S. 2. Die Vorschrift schreibt ausdrücklich vor, dass der Emittent die Anleihegläubiger gleich behandeln muss. Im Hinblick auf die Anwendung der Technik „exit consents“ könnte argumentiert werden, dass der Emittent, wenn er eine Prämie nur an die restrukturierungswilligen Gläubiger zahlt, nicht alle Gläubiger gleich behandelt. Denn die holdouts, die an sich frei sind, das Angebot des Emittenten abzulehnen und der Änderung der Bedingungen nicht zuzustimmen, bleiben ohne jegliche finanzielle „Unterstützung“. Die Anleihegläubigermehrheit wird vom Emittenten durch die Zahlung einer Prämie dagegen privilegiert bzw. bevorzugt. Insofern gelten für die Anleihegläubiger, wie es scheint, unterschiedliche Bedingungen, was gerade zu einem Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot i. S. d. § 4 S. 2 SchVG führen könnte. Diese Vorschrift muss man aber im Zusammenhang mit § 4 S. 1 SchVG interpretieren und auslegen, denn S. 2 enthält das Verknüpfungswort „insoweit“ („[d]er Schuldner muss die Gläubiger insoweit gleich behandeln“). aa) Gleichbehandlung als Konsequenz der kollektiven Bindung § 4 S. 1 SchVG regelt die sog. kollektive Bindung der Anleihegläubiger derselben Anleihe. Der Begriff „kollektive Bindung“ ist ein neuer Begriff im deutschen Schuldverschreibungsrecht. Mit diesem Begriff wollte der Gesetzgeber, was sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, den Terminus „gemeinsame Rechte“, den man im alten SchVG 1899 findet, ersetzen bzw. besser zum Ausdruck bringen, dass „in der Gemeinsamkeit zugleich eine Einschränkung individueller Rechte liegt“.186 § 4 S. 1 SchVG schränkt somit die individuelle Rechtsmacht der Anleihegläubiger in bestimmter Weise ein (dazu sogleich), um die „Gemeinsamkeit“ bzw. kollektive Bindung zu gewährleisten. Gerade zu diesem Zweck wird das Gebot der Gleichbehandlung, das in § 4 S. 2 SchVG geregelt ist, eingesetzt. Der Gesetzgeber versucht in § 4 SchVG, das allgemein anerkannte Prinzip des Schuldverschreibungsrechts zu bestätigen, nämlich dass alle (Teil-) Schuldverschreibungen derselben Anleihe gleiche Bedingungen enthalten und, konsequenterweise, dass alle Anleihegläubiger gleiche Rechte – im Sinne des alten SchVG 1899 „gemeinsame Rechte“ – gegen den Emittenten 186  Vgl.

Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 17.

160 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

haben.187 Der Sinn und Zweck des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Anleihegläubiger besteht somit in der Sicherung der Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibungen. Denn dadurch kann die Handelbarkeit der Wert­ papiere zu einem einheitlichen Preis auf dem Kapitalmarkt und somit deren Verkehrsfähigkeit gesichert werden.188 Im Vordergrund steht folglich die Wahrung der Kontinuität der Austauschbarkeit der Wertpapiere (Fungibilität), damit die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes gewährleistet werden kann. Identität der Rechtsstellung der Gläubiger und Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibungen müssen immer geschützt werden, auch wenn die Bedingungen der Anleihe geändert werden. Das Gesetz erlaubt zwar eine Änderung der Bedingungen. Dies kann aber gemäß § 4 S. 1 SchVG nur in zwei Wegen erfolgen: 1) entweder durch inhaltsgleichen Vertrag mit sämtlichen Gläubigern (Alt. 1) 2) oder im Wege eines Mehrheitsbeschlusses, der wiederum ebenfalls gleiche Bedingungen für alle vorsehen muss (Alt. 2). Andere Möglichkeiten stehen den Anleihegläubigern nicht zu, weil sie die inhaltliche Identität der Schuldverschreibungen nicht sichern und somit nicht in der Lage sind, dem Gebot der Gleichbehandlung der Gläubiger zu entsprechen. Die Rechtsmacht der Anleihegläubiger im Hinblick auf die Änderung der Bedingungen der Anleihe wird beschränkt. Diesen Gedanken versucht der Gesetzgeber, im neuen Gesetz mit Hilfe des oben erwähnten Begriffs „kollektive Bindung“ zum Ausdruck zu bringen. Insofern muss man beachten, dass Gleichbehandlung der Anleihegläubiger eine Konsequenz der Geltung der kollektiven Bindung darstellt189 und die Verletzung des Gleich­ behandlungsgebots dementsprechend dann bejaht werden kann, wenn die Änderung der Anleihebedingungen außerhalb der Wege erfolgt, die in § 4 S. 1 SchVG genannt sind. Als Weiteres muss folglich geprüft werden, ob die Prämienzahlung einer der Optionen des § 4 S. 1 SchVG entspricht.

187  Vgl. Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, 2. Aufl., Kap. 17, § 4 Rn. 1. 188  Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 48 Rn. 14; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 Rn. 26; vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 17; siehe auch Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (158); Grell/Splittgerber/Schneider, DB 2015, 111 (112); zur Bedeutung der Inhaltsgleichheit siehe BGH, Urt. v. 28.06.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 311, 317. 189  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 Rn. 3.



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 161

bb) Gleichbehandlung und Mehrheitsbeschluss Als erstes ist die Möglichkeit der Änderung der Bedingungen durch Mehrheitsbeschluss zu prüfen. Wie bereits erwähnt, setzt sich die Wirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei den Mehrheitsbeschlüssen der Anleihegläubiger fort. Dies ergibt sich nicht nur aus § 4 S. 2, sondern zusätzlich aus § 5 Abs. 2 S. 2 SchVG. Die Vorschrift des § 5 Abs. 2 S. 2 SchVG verbietet ausdrücklich Mehrheitsbeschlüsse, die nicht gleiche Bedingungen für alle Anleihegläubiger derselben Anleihe vorsehen. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass die benachteiligten Gläubiger der Benachteiligung ausdrücklich zustimmen. Der Mehrheitsbeschluss, der das Gebot der Gleichbehandlung nicht befolgt, entfaltet keine bindende Wirkung für alle.190 Dass die Änderung der Bedingungen alle Anleihegläubiger und nicht nur einzelnen betreffen soll, wird auch in einer der letzten Entscheidungen des BGH zum Anleiherestrukturierungsrecht im Jahr 2014 hervorgehoben.191 In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es gerade um eine Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss, die die Verschiebung der Fälligkeit ermöglichen sollte. Gleichzeitig bestimmte der Emittent, dass diejenigen restrukturierungswilligen Gläubiger, die seinem Angebot zustimmen, ihre Rückzahlungsansprüche früher geltend machen dürfen. Den hold-outGläubigern war diese Option nicht zugänglich. Sie hätten, falls die Anleihebedingungen wirksam geändert worden wären, nur die vom Emittenten gewünschte Laufzeitverlängerung hinnehmen müssen. In dieser Art der Differenzierung sah der BGH den Verstoß gegen § 5 Abs. 2 SchVG mit der Folge, dass der Beschluss im Endergebnis als nichtig behandelt wurde. Gerade ein solcher Verstoß gegen § 4 S. 2 (im Zusammenhang mit § 4 S. 1 Alt. 2) und § 5 Abs. 2 S. 2 SchVG könnte auch bei der Zahlung von Prämien nur an die restrukturierungswilligen Anleihegläubiger vorliegen. Es muss allerdings beachtet werden, dass der Emittent in diesem Fall, erstens, gerade das Ziel verfolgt, eine einheitliche Änderung der Anleihebedingungen zu bewirken.192 Zweitens werden die Prämien nicht zum Gegenstand der Abstimmung. Sie sind also vom Mehrheitsbeschluss nicht erfasst. Sie sind Be-

190  Ein solcher Beschluss ist unwirksam und nichtig, siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 19; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 66. 191  BGH, Urt. v. 01.07.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876; dazu Thole, ZIP 2014, 2365 (2367); Grell/Splittgerber/Schneider, DB 2015, 111. 192  Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (158).

162 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

standteil einer Vereinbarung zwischen dem Emittenten und den einzelnen Gläubigern, also einer Sondervereinbarung.193 Was unterscheidet aber den Fall, dass der Emittent im Rahmen der Anwendung von exit consents eine differenzierende Prämie zahlt, von dem vom BGH im Jahr 2014 entschiedenen Fall über die unterschiedliche Laufzeitverlängerung? Der BGH hat ausschließlich die Wirkung des Mehrheitsbeschlusses und den möglichen Verstoß gegen § 5 Abs. 2 S. 2 SchVG diskutiert. Von einer Sondervereinbarung war keine Rede. Warum wird dann hier, in Bezug auf die Prämienzahlung, eine Sondervereinbarung statt eines Mehrheitsbeschlusses konstruiert? Der Unterschied dieser Fälle besteht darin, dass bei der Anwendung der Technik „exit consents“ der Emittent den Umtausch der Anleihen (für restrukturierungswillige Gläubiger) anbietet. Im BGH-Fall fand dagegen kein Umtausch statt. Der Umtausch führt, wie bereits erklärt, zur Aufhebung der Rechtsverhältnisse aus der Altanleihe und zur Begründung neuer aus der Neuanleihe. Macht der Emittent das Angebot hinsichtlich der Prämienzahlung zum Gegenstand einer Abstimmung aller Anleihegläubiger, also zum Gegenstand eines Mehrheitsbeschlusses, führt dies dazu, dass mit der Aufhebung des Altrechtsverhältnisses der Anspruch auf die Prämie erlischt, was keinen Sinn sowohl für den Emittenten als auch für die Anleihegläubiger macht, die der Änderung der Anleihebedingungen zustimmen. Aus diesem Grund darf die Bedingung hinsichtlich der Zahlung der Prämie nicht direkt mit dem Beschluss verknüpft bzw. in den Beschluss „integriert“ werden. Sie ist Bestandteil einer getrennten Vereinbarung, einer Sondervereinbarung mit denjenigen, die den Restrukturierungplan unterstützen. Insofern stellt die Sondervereinbarung keine künstliche, allein zur Umgehung des Verbots des § 5 Abs. 2 S. 2 SchVG vorgesehene Konstruktion dar. Sie dient dem legitimen Zweck, die Ansprüche der Anleihegläubiger auf Prämienzahlung aufrechtzuerhalten. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 und § 4 Abs. 2 i. V. m. S. 1 Alt. 2 SchVG scheidet folglich aus. cc) Gleichbehandlung und Sondervereinbarungen In der Zahlung einer differenzierenden Prämie kann aber ein Verstoß gegen § 4 S. 2 (i. V. m. § 4 S. 1 Alt. 1) SchVG liegen.

193  Vgl. Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 5 Rz. 36; Grell/Splittgerber/Schneider, DB 2015, 111 (113).



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 163

Im Hinblick auf die Änderung von Anleihebedingungen erlaubt § 4 S. 1 SchVG (Sonder-)Verträge zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern, allerdings unter der Bedingung, dass sie mit sämtlichen Anleihegläubigern und mit gleichem Inhalt abgeschlossen werden („nur durch gleich­ lautenden Vertrag mit sämtlichen Gläubigern“). Diese Voraussetzung könnte gerade nicht erfüllt sein, weil die versprochene Prämie nicht an alle gezahlt wird. In den Genuss der Zahlung kommen nur „privilegierte“ Gläubiger. Es muss allerdings beachtet werden, dass der Geltungsbereich des § 4 S. 2 (i. V. m. § 4 S. 1) SchVG nicht unbeschränkt ist. Das Gebot der Gleichbehandlung greift nur dann ein, wenn der Grundsatz der kollektiven Bindung dies gebietet.194 Bilaterale Sondervereinbarungen mit einzelnen Anleihegläubigern sind somit nicht per se ausgeschlossen. Sie sind lediglich dort ausgeschlossen, wo der Zweck der Sicherung der Identität der Rechtsstellung der Anleihegläubiger sowie der Fungibilität der Schuldverschreibungen diesen Ausschluss erforderlich machen.195 Dort, wo die Schutzfunktion dagegen ihre Bedeutung verliert, ist der Emittent frei, in neue Rechtsverhältnisse nur mit bestimmten Gläubigern einzutreten. Genau nach diesem Prinzip erfolgt der Abschluss der Vereinbarung hinsichtlich der Zahlung der Prämie bei exit consents. Der Emittent verspricht eine Prämie nur an die Anleihegläubiger, die bereit sind, ihre Schuldverschreibungen gegen neue aus der Neuanleihe umzutauschen. Die Anleihegläubiger ändern mit dem Anleiheumtausch ihren Status. Sie gehören nicht mehr zu der Gruppe der Altanleihegläubiger, also zu den Gläubigern derselben Anleihe. Kollektive Bindung verpflichtet zur Gleichbehandlung innerhalb jeder einzelnen Gruppe, nicht dagegen anleiheübergreifend196, weil keine Notwendigkeit besteht, die Identität der Rechtsstellung der Gläubiger aus unterschiedlichen Anleihen zu sichern. Damit entfällt die Pflicht des Emittenten, den Grundsatz der Gleichbehandlung einzuhalten. § 4 S. 2 SchVG steht folglich der Zahlung einer Prämie bei der Anwendung der Technik „exit consents“ nicht entgegen. Im Endergebnis ist festzustellen, dass der Emittent, wenn er bei einem Anleiheumtausch mit exit consents-Elementen positive Anreize einsetzt, nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot i. S. d. SchVG verstößt.

194  Vgl.

Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 17. Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, Kap. 17, § 4 Rn. 1, 5, 18, 28a. 196  Vgl. auch Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 4 Rz. 33a; Thole, ZIP 2014, 2365 (2367); (im Hinblick auf die Anwendung des § 5 SchVG) Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18. 195  Vgl.

164 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

b) Verbot des Stimmenkaufs Außer dem Gleichbehandlungsgebot kennt das neue SchVG das Verbot des Stimmenkaufs, das in § 6 Abs. 2 SchVG geregelt ist. Gegen dieses Verbot könnte der Emittent bei der Vereinbarung einer Prämie für die Zustimmung zu der Änderung der Anleihebedingungen verstoßen.197 § 6 Abs. 2 SchVG 2009 verbietet, dafür, dass stimmberechtigte Personen in einem bestimmten Sinne stimmen, Vorteile als Gegenleistung anzubieten, zu versprechen oder zu gewähren (Verbot des Stimmenkaufs). Dem Wortlaut nach dürfen Anleihegläubiger nicht gezielt zu einem bestimmten Verhalten bei der Abstimmung u. a. durch Einsetzung finanzieller Anreize bewegt werden. § 6 Abs. 2 SchVG richtet sich an den „Bestechenden“. In dieser Rolle kann vor allem der Emittent auftreten. Mit dieser Vorschrift korrespondiert § 6 Abs. 3 SchVG 2009, der besagt, dass stimmberechtigte Personen dafür, dass sie in einem bestimmten Sinne abstimmen, ebenfalls keine Vorteile oder Gegenleistungen fordern, sich versprechen oder gewähren dürfen (Verbot des Stimmenverkaufs; Bestechlichkeitsverbot). § 6 Abs. 3 SchVG adressiert den Bestochenen, in erster Linie den stimmberechtigten Anleihegläubiger.198 Verstöße gegen diese Vorschriften stellen Ordnungswidrigkeiten dar, die mit Geldbuße bis zu 100.000 Euro geahndet werden (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SchVG 2009). § 6 Abs. 2 und 3 SchVG 2009 sind Verbotsgesetze i. S. d. § 134 BGB. Dies hat zur Folge, dass das zugrundeliegende Rechtsgeschäft, aufgrund dessen unzulässige Vorteile gewährt werden, nichtig ist.199 Dennoch ist zu beachten, dass die Stimmabgabe an sich wirksam bleibt, weil das Gesetz keine Unwirksamkeitsfolge ähnlich wie in § 6 Abs. 1 S. 4 SchVG vorsieht, wo z. B. ausdrücklich geregelt ist, dass Stimmrechte nicht ausgeübt werden dürfen.200 Möglich ist aber in diesem Fall eine Anfechtung des Be197  Einen Verstoß gegen das SchVG bejahend Eidenmüller, ZZP 121 (2008), 273 (286); offen gelassen in BGH, Urt. v. 01.07.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876 (1879). Zu dieser Diskussion siehe auch Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 870 ff. (1991) (ein Rechtsverstoß wird mit dem Argument verneint, dass der Emittent eine Prämie nur für den Umtausch und nicht für die Stimmabgabe zahle, a.a.O, S. 870); ähnlich Thole, ZIP 2014, 2365 (2367). 198  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 19; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 6 Rz. 42; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 6 Rn. 10. 199  Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (157); Schmidtbleicher, in: FraKomm­ SchVG, § 6 Rn. 34, 36; Grell/Splittgerber/Schneider, DB 2015, 111 (113); zu Kondiktionssperre des § 817 S. 2 BGB siehe Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 6 Rz. 43. 200  Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (157); offen gelassen in BGH, Urt. v. 01.07.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876 (1879) („ob ein solcher Stimmenkauf



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 165

schlusses nach § 20 Abs. 1 S. 1 SchVG 2009 wegen Verletzung des Gesetzes.201 aa) Anlehnung an das aktienrechtliche Verbot des Stimmenkaufs Die gesetzliche Verankerung des Stimmenkaufs- bzw. Stimmenverkaufsverbots hat zum Ziel den Schutz der freien Willensbildung von Anleihegläubigern vor Fremdeinflüssen.202 Laut der Regierungsbegründung entsprechen § 6 Abs. 2 und 3 SchVG ihrem Regelungsinhalt und der Schutzfunktion nach den Vorgaben des § 405 Abs. 3 Nr. 6 und 7 AktG.203 Diese Vorschrift stuft die Forderung bzw. die Gewährung von besonderen Vorteilen als Gegenleistung dafür, dass eine stimmberechtigte Person in einem bestimmten Sinne abstimmt, ebenfalls als ordnungswidrig ein. Da die Anlehnung an das aktienrechtliche Verbot des Stimmenkaufs bewusst erfolgte, kann § 405 Abs. 3 Nr. 6 und 7 AktG zur Auslegung sowie zur Konkretisierung des schuldverschreibungsrechtlichen Verbotstatbestandes des § 6 Abs. 2 SchVG und insbesondere des Merkmals „Vorteil“ direkt herangezogen werden. bb) Unzulässiger (besonderer) Vorteil i. S. d. § 6 Abs. 2 SchVG § 405 Abs. 3 Nr. 6 und 7 AktG regelt die Unzulässigkeit von „besondere[n] Vorteile[n]“ und nicht bloß von „Vorteile[n]“, wie es in § 6 Abs. 2 SchVG heißt. Es kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass § 6 SchVG tatsächlich alle Arten von Vorteilen, seien es besondere oder nicht, erfasst. In Bezug auf den Schutz der freien Willensbildung vor Fremdeinflüssen bei der Abstimmung dürfen Anleihegläubiger nicht strenger behandelt werden als z. B. Aktionäre. Für eine differenzierte Behandlung der Anleihegläubiger und der Aktionäre besteht insofern kein Grund. Somit muss der „Vorteil“ i. S. d. § 6 Abs. 2 SchVG als „besonderer Vorteil“ i. S.d § 405 Abs. 3 AktG interpretiert werden.204 bzw. die Bestechlichkeit Auswirkungen auf die Stimmabgabe[ ] hat, kann offenbleiben“). 201  Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (157); Nichtigkeit des Beschlusses wird angenommen von Grell/Splittgerber/Schneider, DB 2015, 111 (113). 202  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 19. 203  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 19; dazu auch Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 6 Rn. 35. 204  In diesem Zusammenhang kann außerdem erwähnt werden, dass es auch im Genossenschaftsrecht eine ähnliche Ordnungswidrigkeitsvorschrift gibt, die ebenfalls von „besonderen Vorteilen“ spricht (§§ 152 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GenG); dazu Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (157). Die Vorschrift wurde 1973 in das GenG eingefügt und ihre Einfügung erfolgte laut der Regierungsbegründung ebenfalls in Anlehnung

166 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Was versteht man aber im Aktienrecht unter dem Begriff „besonderer Vorteil“?205 Als Vorteil wird jede unentgeltliche Leistung angesehen, auf die der Stimmberechtigte keinen Anspruch hat und die ihn objektiv materiell oder immateriell besser stellt.206 Irrelevant ist es, ob dieser Vorteil dem Adressaten mittelbar oder unmittelbar zufließt. Dieser Vorteil darf sich aber nicht aus der Ausübung der Stimmrechte, also aus dem Abstimmungsverhalten an sich, ergeben, weil der Vorteil das Mittel zum ersterbten Zweck darstellen muss. Liegt ein Vorteil vor, muss weiter geprüft werden, ob dieser Vorteil besonderer Art ist. Dies ist wiederum der Fall, wenn der Vorteil nur einzelnen Stimmeneinkäufern zusteht. Der Vorteil muss mit anderen Worten zum Zwecke der Sonderbegünstigung eingesetzt werden. Vorteile, die dagegen allen Aktionären gewährt werden, können nicht als besondere Vorteile angesehen werden.207 Wendet man die genannten Grundsätze des aktienrechtlichen Verbots des Stimmenkaufs im Anleiherecht an, könnte in der Gewährung von Prämien durch den Emittenten ein Vorteil i. S. d. § 6 Abs. 2 SchVG gesehen werden. Denn solche Prämien verbessern die wirtschaftliche Lage der zustimmungswilligen Anleihegläubiger, obwohl kein Anspruch auf diese Art der Besserstellung besteht. Dabei ist es irrelevant, dass diese Anleihegläubiger später aus der Anleihe „austreten“ und die Prämien an sie tatsächlich gezahlt werden, wenn sie einen neuen Status, den Status der Neugläubiger, erlangen. Diese Art der Gewährung der Vorteile ist nicht schädlich, weil nicht nur die Zahlung, sondern auch ein reines Versprechen von (besonderen) Vorteilen unzulässig ist. Versprochen werden die Prämien aber gerade dann, wenn die Stimmenkäufer noch im Status „stimmberechtigte Altanleihegläubiger“ sind. Ähnliche Argumente kann man auch in Bezug auf die Einräumung der Möglichkeit, Schuldverschreibungen gegen neue umzutauschen, anwenden. Denn in diesem Fall bietet der Emittent an, in ein neues Rechtsverhältnis einzutreten, das neue Rechte für die Anleihegläubiger vermittelt. Dieses neue an § 405 Abs. 3 AktG, vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 7/97 v. 05.02.1973 (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften), S. 31; Schöpflin, in: Beuthien/Reinmar/Schöpflin, GenG, § 152 Rn. 1. In der Formulierung des § 6 Abs. 2 SchVG kann kein bewusstes Abweichen vom Wortlaut des § 405 Abs. 3 AktG 2 gesehen werden. Es liegt nur ein redaktionelles Versehen vor, vgl. Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (157). 205  Die Gesetzesmaterialien zum §  405 AktG sowie zum § 317 HGB a.  F. (v. 10.05.1897, RGBl. S. 219, aus dem das Aktienrecht 1937 herausgenommen wurde, siehe RGBl. I, S. 107 ff.) enthalten –soweit ersichtlich – keine Konkretisierung des Begriffs. 206  Dazu und zum Folgenden vgl. OLG Hamm, Urt. v. 03.02.2014 – 8 U 47/10, juris, Rn.  130 ff.; Otto, Aktienstrafrecht, § 405 AktG Rn. 79 ff.; Schaal, in: MüKo, AktG, § 405, Rn. 148 f., 168. 207  Vgl. RG, Urt. v. 30.11.1928 – 283/28 II, JW 1929, 642 Nr. 7, Rn. 1.



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 167

Rechtsverhältnis infolge des Umtausches kann man im Prinzip auch als eine unzulässige Besserstellung der stimmberechtigten Anleihegläubiger betrachten. Anknüpfungspunkt für das Eingreifen des § 6 Abs. 2 SchVG kann also nicht nur die Prämienzahlung, sondern auch der Anleiheumtausch sein. Richtigerweise muss man in diesen beiden Fällen jedoch eine unzulässige vorteilhafte Leistung verneinen. Was den Umtausch betrifft, muss der Verbotstatbestand des § 6 Abs. 2 SchVG bereits mangels eines Vorteils ausscheiden. Der freiwillige Umtausch der Schuldverschreibungen betrifft die Möglichkeit des Emittenten und des jeweiligen zustimmungswilligen Anleihegläubigers, also der Vertragsparteien, selbst über das Schicksal ihres Rechtsverhältnisses zu entscheiden, nämlich das Rechtsverhältnis aufzuheben und ein neues zu begründen. Dieses Recht wird, wie bereits erwähnt, von der Vertragsfreiheit gedeckt (Art. 2 Abs. 1 GG, § 311 BGB). Es liegt „außerhalb“ der Kompetenz bzw. des Geltungsbereichs des neuen SchVG, den Eintritt in einen neuen Vertrag bzw. die Aufhebung des Rechtsverhältnisses zu regeln. Das Schrifttum bezeichnet diese Art der Restrukturierung von Anleihen auch unter dem Begriff „außerhalb des SchVG“.208 Obwohl das Merkmal einer vorteilhaften Leistung seitens des Emittenten an sich vorliegt, scheidet ein Vorteil bzw. eine Besserstellung i. S. d. § 6 Abs. 2 SchVG insofern also aus. Was ist aber mit der Prämienzahlung? Die Zahlung von Prämien stellt offensichtlich den Hauptanwendungsfall des Verbots des Stimmenkaufs dar. Hier könnte man aber auch fragen, ob überhaupt ein Vorteil bzw. eine Besserstellung gewährt wird. Denn der restrukturierungswillige Anleihegläubiger, der die Prämie bekommen möchte, stimmt, erstens, mit der Änderung der Anleihebedingungen teilweise dem Erlass seiner Rechte zu und, zweitens, verliert er im Endergebnis seine Stellung als Altgläubiger. Insofern liegt eher ein „Minus“ vor. Hinsichtlich des Erlasses ist außerdem einzuwenden, dass dieser lediglich den Zweck der Abstimmung und nicht das erforderliche Mittel darstellt. Der Vorteil darf sich nicht, wie bereits erwähnt, aus dem Abstimmungsverhalten an sich ergeben. Dazu muss beachtet werden, dass ein teilweiser Erlass von Ansprüchen gegen den Emittenten auf Zahlung dem Restrukturierungsvorgang immanent ist, denn die Durchführung einer Restrukturierung ohne Entlastung der Bilanz des Emittenten ist kaum vorstellbar. Im Unterschied zum Erlass ergibt sich zwar der Verlust der ganzen Gläubigerstellung (aus der Altanleihe) nicht aus dem Abstimmungsverhalten selbst. Der Verlust ergibt sich aus dem Abschluss einer Sondervereinbarung. 208  Für den Anleiheumtausch siehe z. B. Lürken/Plank, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 5, Kap. 11, einschl. 11.1.

168 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Es muss allerdings gefragt werden, ob § 405 Abs. 3 AktG bzw. § 6 Abs. 2 SchVG die Konstellation des Kaufs der Stimme für Geld, damit der Stimmberechtigte im Endergebnis seine Stellung als Aktionär bzw. Anleihegläubiger ganz aufgibt, überhaupt erfasst. Das neue SchVG beruht sogar auf dem Gedanken (siehe den Katalog der Restrukturierungsoptionen in § 5 Abs. 3 SchVG, insbesondere Nr. 3 und Nr. 1), dass die vollständige Aufgabe der Hauptansprüche nicht zulässig ist. Im Verlust der Ansprüche dieses Umfangs sieht der Gesetzgeber zum Zwecke der Lösung des hold-out-Problems keine Vorteile für die Anleihegläubiger. Prüft man die Prämienzahlung dennoch abstrakt für sich, also ohne mittelbare Folgen in Gestalt des Verlusts der Gläubigerstellung oder eines Teils der Ansprüche, und bejaht man konsequenterweise eine vorteilhafte Leistung zu Gunsten der zustimmenden Anleihegläubiger, muss trotzdem noch untersucht werden, ob diese Leistung besonderer Art ist, denn eine Gefahr bei der Abstimmung sieht der Gesetzgeber nicht in dem Kauf der Stimmen selbst, sondern in der Schaffung einer Sonderbegünstigungssituation, kraft derer einzelne Anleihegläubiger privilegiert werden.209 Die Hauptidee des Verbots des Stimmenkaufs besteht somit weniger darin zu verbieten, dass Stimmberechtigte zu einem bestimmten Verhalten motiviert werden, als zu gewährleisten, dass keiner von diesen besser behandelt wird. In gewisser Weise überschneidet sich der Grundsatz mit dem bereits erwähnten Prinzip der Gleichbehandlung aus § 4 SchVG. Greift somit der Emittent in den Prozess der Willensbildung der Stimmberechtigten ein, verspricht er aber den Stimmberechtigten gleiche Vorteile, muss ein Verstoß gegen § 6 Abs. 2 SchVG ausscheiden. Gerade diese Konstellation liegt vor, wenn der Emittent Prämien verspricht. Die Bedingung, dass Prämien nur den restrukturierungswilligen Gläubigern gewährt werden, hat nicht zum Ziel, bestimmte, bereits identifizierte bzw. besondere Gruppen zu treffen; die Formulierung der Bedingung erfolgt vielmehr nach objektiven Kriterien, die nicht zulassen, im Vorfeld der Abstimmung konkrete Personen aus der Gesamtheit aller Anleihegläubiger genau herauszufiltern. Die Bedingung hinsichtlich der Zahlung wird ausschließlich an alle gerichtet und gibt allen Gläubigern gleiche Chancen, das Angebot des Emittenten anzunehmen. Der Emittent schafft somit die erforderliche Situation der Gleichbehandlung, die auch später bei der Auszahlung der Prämien nur an die restrukturierungswilligen Gläubiger bestehen bleibt. Denn der Umstand, dass die Prämien tatsächlich nicht an alle gezahlt werden, beruht auf der subjektiven Überlegung der holdouts, das Angebot nicht anzunehmen, für die der Emittent nicht verantwortlich ist.210 209  Vgl. RG, Urt. v. 30.11.1928 – 283/28 II, JW 1929, 642 Nr. 7; OLG Hamm, Urt. v. 03.02.2014 – 8 U 47/10, juris, Rn. 144 ff.



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 169

Im Endergebnis kann festgestellt werden, dass der Emittent bei der Zahlung von Prämien nicht gegen das Verbot des Stimmenkaufs gemäß § 6 Abs. 2 SchVG verstößt. Konsequenterweise scheidet auch eine Verletzung des Verbots des Stimmenverkaufs gem. § 6 Abs. 3 SchVG aus. Exkurs: Stimmbindungsverträge Das Verbot des Stimmenkaufs bzw. Stimmenverkaufs gem. § 6 Abs. 2 und 3 SchVG kann nicht in dem Sinne verstanden werden, dass jegliche Vereinbarungen über die Ausübung von Stimmrechten bei einer Anleihegläubigerversammlung in Gestalt von Stimmbindungsverträgen (oder Stimmrechtspoolvereinbarungen) nicht zulässig ist. Vereinbarungen solcher Art sind – wie im Aktienrecht211 – rechtlich zulässig.212 Bei diesen Stimmbindungsabreden handelt es sich um gesonderte schuldrechtliche Vereinbarungen meistens zwischen den einzelnen Anleihegläubigern zum Zwecke der Bündelung der ihnen zustehenden Stimmrechtsmacht. Die Beteiligten versuchen, eine einheitliche Ausübung des Stimmrechts in der späteren Versammlung aller Anleihegläubiger zum Zwecke einer Anleiherestrukturierung sicherzustellen, und verpflichten sich aus diesem Grund, sich bei der Beschlussfassung an das Ergebnis der (Vor-)Abstimmung im Pool (durch Mehrheitsentscheidung) zu halten und entsprechend abzustimmen.213 Sie verpflichten sich also, ihre Stimmen nach Weisung bzw. auf bestimmte Weise auszuüben.214 210  Siehe zum Argument der Chancengleichheit auch Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (158), es ist aber fraglich, ob das Argument, die Zustimmung bewirke eine einheitliche Änderung der Anleihebedingungen, bei der Prüfung des Verstoßes gegen das Verbot des Stimmenkaufs eine Bedeutung haben kann, weil, wie bereits erwähnt, das Ergebnis der Abstimmung außer Acht zu lassen ist, vgl. auch Thole, in: Hopt/ Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 6 Rz. 44. 211  Vgl. RG, Urt. v. 11.06.1931 – II 398/29, RGZ 133, 90, 93; BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 (18 f.). 212  So auch Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 6 Rn. 37. 213  Vgl. König, ZGR 2005, 417 und 420; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 16 Rn. 86; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 3.269. 214  Der Vertrag entfaltet seine Wirkung ausschließlich im Innenverhältnis. Verletzt einer der Beteiligten das getroffene Abkommen, indem er abredewidrig abstimmt, hat der Verstoß keine Wirkung auf den später gefassten Beschluss hinsichtlich der Änderung der Anleihebedingungen. Seine Stimme in der Anleihegläubigerversammlung bleibt also gültig, vgl. Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 6 Rn. 37; (zum Ak­ tienrecht) Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 16 Rn. 86; König, ZGR 2005, 417 (423); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 620; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 3.269 ff.; siehe auch BGH, Urt. v. 20.01.1983 – II ZR 243/81, ZIP 1983, 297 (298); die Problematik hinsichtlich der Außenwirkung (bei der Beteiligung aller, siehe BGH, a. a. O.) sowie hinsichtlich des Vollstreckungszwangs (bei Erfüllungsver-

170 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Sieht man in der Bindung der Anleihegläubiger an das Ergebnis der Abstimmung im Pool eine Gefahr für die freie Willensbildung vor Fremdeinflüssen, wovor § 6 Abs. 2 und 3 SchVG nach der Gesetzesbegründung gerade schützen sollen, muss man beachten, dass dieser Einwand vom Recht zu Gunsten des Grundsatzes der Vertragsfreiheit zurückgedrängt wird.215 Anleihegläubiger können kraft Vertragsfreiheit jederzeit außerhalb der Abstimmung schuldrechtliche Abrede über die zukünftige Stimmrechtsausübung schließen. Auch aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 2 und 3 SchVG folgt gerade nicht, dass solche Abreden per se nicht zulässig sind. Sie müssen lediglich bestimmte Grenzen einhalten: § 6 SchVG verlangt nur, dass die Bindung nicht gegen Entgelt nur für bestimmte Gruppen bzw. ohne Verknüpfung mit besonderen Vorteilen erfolgt (argumentum e contrario).216 c) Kapitalmarktrechtliches Gebot der Gleichbehandlung (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG) Die Technik „exit consents“ kann auch, wenn sie nicht gegen das SchVG verstößt, dennoch mit den allgemeinen kapitalmarktrechtlichen Grundsätzen kollidieren. Als solcher Grundsatz kommt in Betracht der Grundsatz der Gleichbehandlung gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG. Die Vorschrift verpflichtet einen Emittenten, für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist, alle Inhaber der (an einem organisierten Markt) zugelassenen Wertpapiere unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln. Im Zusammenhang mit der Anwendung des § 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG stellen sich allerdings mehrere Fragen. Die erste Frage betrifft das Verhältnis zu dem bereits diskutierten § 4 S. 2 SchVG. Da das SchVG ein eigenes, spezielles Gleichbehandlungsgebot enthält, könnte die allgemeine Vorschrift des § 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG vom § 4 S. 2 SchVG verdrängt werden. Andererseits muss beachtet werden, dass der Geltungsbereich des § 4 S. 2 SchVG beschränkt ist, und zwar auf die Änderung von Anleihebedingungen. Außerhalb des Falls, wo eine einheitliche Änderung von Bedingungen bewirkt wird, wie z. B. bei der Einsetzung der Technik „exit consents“, greift die Vorschrift nicht. Es werden mit anderen Worten nicht alle Sachverhalte erfasst. Insofern kann behauptet werden, dass § 4 S. 2 SchVG kein universelles pflichtung gegenüber der Gesellschaft, siehe BGH, Urt. v. 29.05.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163 (169 ff.) weist keine Relevanz im Recht der Anleiherestrukturierung auf. 215  Zum Aktienrecht vgl. Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 16 Rn. 87; siehe auch RG, Urt. v. 11.06.1931 – II 398/29, RGZ 133, 90, 94. 216  Vgl. Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 1186 (zu § 405 Abs. 3 Nr. 6 und 7 AktG, an den § 6 Abs. 2 und 3 SchVG, wie bereits erwähnt, angelehnt ist); siehe auch Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 6 Rn. 37.



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Gleichbehandlungsgebot217 enthält und Raum für die Anwendung des § 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG lässt. Findet man § 48 WpHG für anwendbar, muss weiter gefragt werden, ob die Prämienzahlung zur Ermöglichung des „exit“ der Anleihegläubiger vom Tatbestand des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfasst ist. Die Bestimmung des Regelungsgehalts der Vorschrift ist allerdings wieder nicht unproblematisch. Man kann die Regelung als Verpflichtung des Emittenten ansehen, lediglich den gleichen Zugang zu seinen Informationen zu gewähren (Grundsatz informationeller Parität).218 Insofern würde ein Verstoß gegen § 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG ausscheiden, weil der Emittent keine Informationspflichten verletzt. Darüber hinausgehend wird die Vorschrift so verstanden, dass der Emittent die Wertpapierinhaber umfassend, also generell, gleich zu behandeln hat (Grundsatz der materiell-rechtlichen Gleichbehandlung).219 Folgt man dieser Ansicht und versucht man somit, § 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG weit auszulegen, muss man dennoch einen Verstoß gegen den kapitalmarktrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verneinen, weil die Vorschrift keine Gleichbehandlung der Anleihegläubiger unterschiedlicher Anleihen verlangt. Die Geltung des Grundsatzes ist auf die jeweilige Anleihe beschränkt.220 Der Emittent darf die Prämie nur an die Gläubiger der Neuanleihe zahlen und sie 217  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 Rn. 31; vgl. auch Kumpan, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 4, Kap. 6 Rz. 6.87; Michel, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 30a Rn. 8; Kiem, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 12 Rn. 9. 218  Dafür sprechen die Überschrift des Abschnitts 5a WpHG, die Überschrift der Art. 17 und 18 der Transparenzrichtlinie (Richtlinie 2004/109/EG v. 15.12.2004, ABl. EU L 390 v. 31.12.2004, S. 38), der Erwägungsgrund 22 der Transparenzrichtlinie sowie die Aussage der Regierungsbegründung, dass im neuen Abschnitt 5a die in der Richtlinie vorgesehenen Informationspflichten zusammengefasst werden (Begr. RegE SchVG, BT-Drucks. 16/2498, S. 39); vgl. dazu Michel, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 30a Rn. 5; Bachmann, ZHR 170 (2006) 144 (146), Fn. 5; Fleischer, ZGR 2009, 505 (527 f.); Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, S. 30, Fn. 88; Heidelbach, in: Schwark/Zimmer, KapitalmarktrechtsKommentar, § 30a WpHG Rn. 7; Schlitt/Schäfer, in: FS Hopt, S. 2469 (2471). 219  BaFin, Emittentenleitfaden, 4. Aufl., 2013, S. 163; Kiem, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 12 Rn. 7; Wieneke, WM 2013, 1540 (1543); Kumpan, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 4, Kap. 6 Rz. 6.87; Weber, Liability Management Transaktionen, S. 235. Begründet wird eine weite Auslegung damit, dass die Vorschrift (obwohl sie der Umsetzung der Transparenzrichtlinie dient, die lediglich die Informationspflichten des Emittenten regelt) zum Zwecke der Überführung des § 39 BörsG a. F. in das WpHG vorgesehen sei. § 39 Abs. 1 Nr. 1 BörsG a. F. sei dagegen immer als allgemeines börsengesetzliches Gleichbehandlungsgebot angesehen worden. 220  Vgl. Kumpan, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil  4, Kap.  6 Rz. 6.88; Kiem, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinforma-

172 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

folglich anders behandeln als die Gläubiger der Altanleihe, weil es sich um zwei unterschiedliche Gruppen der Anleihegläubiger handelt. Eine Kollision mit § 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG scheidet im Ergebnis ebenso wie ein Verstoß gegen das SchVG aus. 2. Negative Einflussmöglichkeiten Sieht der Restrukturierungsvorschlag des Emittenten keine Prämienzahlung (oder andere positive incentives) vor, ist ein Verstoß gegen das Gesetz nicht vor vornherein ausgeschlossen. Mit der Einsetzung ausschließlich negativer Anreize wird, wie bereits erklärt, die Situation gemeint, wenn die Anleihegläubiger vor der Wahl gestellt werden, der Änderung der Anleihe­ bedingungen zuzustimmen, um sich den „exit“ zu ermöglichen, oder die Schuldverschreibungen der Altanleihe ohne Schutzbedingungen weiter zu behalten. In der Rolle des (negativen) Anreizes für die positive Stimmabgabe tritt ausschließlich die Gefahr, bei der Verweigerung des Restrukturierungsvorschlags sonst mit wertlosen Schuldverschreibungen zurückzubleiben, wenn die Mehrheit der Anleihegläubiger die Änderung der Bedingungen akzeptiert. Hier kann gefragt werden, ob die Anleihegläubigermehrheit ihre Entscheidungsmacht missbraucht bzw. ob der Emittent, indem er eine Drucksituation schafft, die die Möglichkeit nimmt, frei zu entscheiden, treuwidrig handelt. Die Antwort auf diese Frage ist auch für den Fall der Prämienzahlung von Bedeutung, weil das Element der Gefahr, nach dem Vollzug eines covenant stripping mit wertlosen Papieren zurückzubleiben, auch bei der Einsetzung der positiven Anreize mitenthalten ist. Für den Fall positiver incentives ist die Prüfung der nachfolgenden Punkte also ebenfalls relevant. a) Missbrauch von Stimmrechten seitens der Anleihegläubigermehrheit Allgemein kann man sagen, dass die Hauptidee des neuen – genauso wie des alten – Schuldverschreibungsgesetzes in der Lösung des Problems der Willkür und Tyrannei der Anleihegläubigerminderheit besteht, was aber die spiegelbildliche Situation der „oppression of the minority by the majority“221 grundsätzlich nicht ausschließt. Gerade diesen Begriff „oppression of the minority“ kann man öfters in der englischsprachigen Literatur finden. Im Assénagon-Fall beruht sogar die ganze Urteilsbegründung auf dem Misstion, § 12 Rn. 9; siehe auch Erwägungsgrund 22 der Transparenzrichtlinie (ABl. L 390 v. 31.12.2004, S. 40). 221  Smith/Murphy, 8 JIBFL 479 (September 2012).



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brauchsargument. „Oppression of a minority is of the essence of exit consents“, stellt das Gericht fest.222 Unter welchen Gesichtspunkten kann aber eine positive Stimmabgabe durch die Mehrheit als „oppresiv“ bzw. unfair zu Lasten der Minderheit betrachtet werden? aa) E  mpty-Voting-Effekte im Anleiherecht: Auseinanderfallen von Einwirkungsmacht und wirtschaftlicher Risikotragung Als erstes könnte man bei der Anwendung der Technik „exit consents“ kritisieren, dass die Mehrheit – da sie aus der Altanleihe „aussteigt“ – keine Folgen des covenant stripping trägt. Zwar wird im Wege eines Mehrheitsbeschlusses eine einheitliche Änderung der Anleihebedingungen erzielt, d. h. mit Geltung sowohl für die Minderheit, als auch für die Mehrheit. Man kann aber sagen, dass die Folgen des Beschlusses im Prinzip nur die restrukturierungsunwillige Minderheit treffen. Denn sobald das covenant stripping vollzogen wird, verliert die Altanleihe meistens erheblich an Wert. Die Mehrheit wird vom Wertverlust der Altanleihe jedoch nicht betroffen, weil sie sich den Zugang zu einer neuen Anleihe bereits verschafft hat. Es entsteht die Situation, dass alle Anleihegläubiger stimmen dürfen, obwohl nicht alle von den negativen Folgen des Abstimmungsergebnisses betroffen sind (Auseinanderfallen von Einwirkungsmacht und wirtschaftlicher Risikotragung). Die Stimmrechte stehen der Mehrheit formal zu; sie sind aber faktisch gesehen risikoentleert. Ein ähnliches Problem sorgte vor kurzem für große Aufmerksamkeit im Rahmen des Aktien- und Kapitalmarktrechts. Man bezeichnete das Phänomen als „empty voting“. Von diesem Begriff werden Fälle erfasst, in denen z. B. ein Aktionär formal über Stimmrechte verfügt und sie in der Hauptversammlung ausübt, obwohl er wirtschaftliche Risiken seiner Beteiligung nicht selbst trägt.223 Eine solche formal rechtmäßige Stimmrechtsausübung scheint mit dem Abspaltungsverbot und dem Proportionalitätsgrundsatz zu kollidieren (im deutschen Aktienrecht § 8 Abs. 5, § 405 Abs. 3 und § 12 Abs. 1 und 2 AktG), die auf der Idee der Gewährung der Einheitlichkeit und Proportionalität von Teilhabe- und Verwaltungsrechten beruhen. Aktionäre sind als Verbandsmitglieder Inhaber des wirtschaftlichen Residualrisikos der Beteili222  [2012]

EWHC 2090 (Ch), Rn. 86. und zum Folgenden vgl. Seibt, ZGR 2010, 795 (814 ff.); Osterloh-Konrad, ZGR 2012, 35, 37, 44 f.; Mittermeier, Empty Voting, S. 54 ff.; Kumpan/Mittermeier, ZIP 2009, 404 (405); siehe auch Hu/Black, 79 Southern California L. Rev. 811, 815 (2006); dies., 61 The Business Lawyer 1011, 1014 ff. (2006); Brav/Mathews, 99 Journal of Finan. Econ. 289, 290 (2011); Hayden/Bodie, Hofstra University, Legal Studies Research Paper Series, No. 08-01, 3 (2008); Zimmermann, Das Aktiendarlehen, S.  75 ff. 223  Dazu

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gung im Rahmen des Verbandszwecks. Sie dürfen aus diesem Grund die Ziele zur Verwirklichung dieses Verbandszwecks bestimmen und deren Umsetzung kontrollieren. Wird die Einwirkungsmöglichkeit mit der Selbstbetroffenheit ins Gleichgewicht gebracht, kann die „Richtigkeitsgewähr“ der Willensbildung im Verband selbst gesichert werden.224 Dort, wo dagegen der Aktionär die Risiken seiner Beteiligung auf andere Parteien verlagert, besteht die Gefahr der Verzerrung der verbandsrechtlichen Willensbildung. Ein solches Stimmverhalten kann die Gesellschaft sowie die Mitgesellschafter schädigen. Zwar sind Anleihegläubiger keine Aktionäre. Sie sind lediglich Fremdkapitalgeber und tragen kein Residualrisiko der Beteiligung im Rahmen des Verbandszwecks des Emittenten.225 In einem Beinahe-Insolvenzfall, wenn die Notwendigkeit der Restrukturierung der Anleihe entsteht, verschiebt sich aber dieses Risiko faktisch gesehen auf die Gläubiger. Sie haben die besten Anreize, über das Schicksal des Emittenten zu entscheiden und die Rückzahlungschancen zu erhöhen, weil sie von den positiven Entwicklungen bei dem Emittenten profitieren.226 Insofern ist die Situation mit den Anleihegläubigern bei einer Anleiherestrukturierung vergleichbar. Der Kongruenzgrundsatz müsste folglich auch für die Mehrheit gelten. Die Minderheit, die sich keinen „exit“ verschafft, muss allein keine Lasten des Abstimmungsergebnisses bzw. des Wertverlustes der Anleihe tragen. Ein Verstoß gegen den beschriebenen Grundsatz, selbst wenn ein solcher im Anleiherecht oder im Zivilrecht227 existieren würde, scheidet allerdings aus. Seitens der restrukturierungswilligen Mehrheit liegt kein Rechtsmissbrauch vor, mag dies auch auf den ersten Blick so scheinen. Zum einen muss man beachten, dass selbst das Aktienrecht kein Verbot der Technik „empty voting“ bzw. kein pauschales Stimmrechtsverbot kennt. Zum anderen darf nicht vergessen werden, dass das SchVG kein Abspaltungsverbot vorsieht.228 Schließlich muss ein Verstoß aus dem Grund ausscheiden, dass keine Partikularinteressen, die zur Verzerrung der Willensbildung führen und denen der Grundsatz der Selbstbetroffenheit gerade vorbeugen will, verfolgt werden. Denn die Mehrheit versucht in diesem Fall nichts anderes, als das Hauptziel der Gesamtheit aller Anleihegläubiger, nämlich die Erhöhung der Befriedi224  Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 561; Seibt, ZGR 2010, 795 (816); Osterloh-Konrad, ZGR 2012, 35,58; Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 872 (1991). 225  Vgl. Baums, ILF Working Paper Series, No. 48, S. 3 f. (2008); Mittermeier, Empty Voting, S. 97. 226  Vgl. (bei der Insolvenz des Emittenten) Mittermeier, a. a. O., S. 56; siehe auch Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 177. 227  Siehe dazu Osterloh-Konrad, ZGR 2012, 35 (60 ff.). 228  Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 6 Rn. 37.



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gungsquote, zu erreichen. Zu diesem Zweck trägt auch die Mehrheit die Lasten der Restrukturierung durch Erbringung eigener finanzieller Opfer: Zwar leiden die Mehrheitsgläubiger nicht direkt unter dem Wertverlust der Altanleihe; sie müssen dennoch auf einen erheblichen Teil ihrer Ansprüche im Rahmen der Neuanleihe verzichten. Da der Mehrheitsbeschluss in der Praxis bei der Anwendung der Technik „exit consent“ – soweit ersichtlich – immer eine qualifizierte Mehrheit von 90 % und mehr als Wirksamkeits­ bedingung vorsieht, kann man sogar sagen, dass gerade die Mehrheit die Hauptlast der Restrukturierung der Anleihe trägt. Sie ist von den negativen Folgen des Mehrheitsbeschlusses ebenso wie die Minderheit – wenn nicht sogar stärker als die Minderheit – betroffen. Es findet folglich keine einseitige Übertragung der Folgen des Abstimmungsergebnisses ausschließlich auf die Minderheit statt. bb) B  eeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Altanleihe und Aushöhlung der Rechte der Minderheit Man könnte noch über den Missbrauch von Stimmrechten unter dem Gesichtspunkt der faktischen Aushöhlung der Rechte der Minderheit diskutieren. Denn die Zustimmung der Mehrheit zum covenant stripping hat zum Ziel nicht die „Rettung“ der Anleihe, sondern ausschließlich die Zerstörung ihres Wertes.229 Damit könnten aber auch die Rechte der Minderheit aus Kapitalansprüchen gegen den Emittenten erheblich beeinträchtigt bzw. „expropriiert“ werden.230 Darin wird ein Rechtsmissbrauch gesehen, weil der Mehrheitsbeschluss nicht dem Interesse der Gesamtheit aller Anleihegläubiger „as a class“ erfolge.231 Dagegen kann eingewendet werden, dass das Argument der Beeinträchtigung des Wertes der Anleihe bei deren Restrukturierung seine Rechtfertigung in sich selbst trägt, denn wie sonst kann eine Anleihe restrukturiert werden wenn nicht durch Ermöglichung eines covenant stripping. Auch das SchVG selbst verbietet nicht die Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Anleihe 229  Zu den Folgen des covenant stripping für den Wert der Anleihe siehe auch Peterson, 103 Yale L.J. 507 (1993); Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 852 (1991). 230  Siehe insbesondere zu diesem Argument die Begründung im Assénagon-Fall [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 84 („[the] question … is whether it can be lawful for the majority to lend its aid to the coercion of a minority by voting for a resolution which expropriates the minority’s rights … the correct answer to it is in the negative“); zur Diskussion über dieses Argument siehe auch Herrmann, 66 Rutgers L. Rev. 775, 780 (2014) („bondholders may make arguments such as the majority of bondholders cannot completely expropriate the notes of the minority“). 231  [2012] EWHC 2090 (Ch), Rn. 83 („the Resolution was designed in substance to destroy rather than to enhance the value of the Notes and was, on its own, of no conceivable benefit to Noteholders“ [= to „the class as a whole“]).

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an sich, solange die Identität der Rechtsstellung der Anleihegläubiger gewahrt bleibt. Unter dem Gesichtspunkt möglicher Aushöhlung der Rechte kann ein Missbrauch somit nicht begründet werden. Dennoch scheint in diesem Zusammenhang ein anderer Punkt diskussionsbedürftig zu sein, und zwar, ob im Schuldverschreibungsrecht Treuepflichten geschuldet werden. Die oben genannten Argumente zum Missbrauch seitens der Mehrheit werden hauptsächlich aus dem Verbandsrecht übernommen. Es wird vertreten, dass die Mehrheit der Anleihegläubiger an gewisse Treuepflichten gebunden ist, deren Verletzung u. a. zu Stimmrechtsverboten führen kann. Man versucht, die aus Mitgliedschaftspflichten abgeleiteten Treuepflichten der Gesellschafter eines Zweckverbands auf die Anleihegläubigergesamtheit zu übertragen. (1) Gesellschaftsrechtliche Treuepflichten Im deutschen Gesellschaftsrecht sind Treuepflichten als Ausfluss des mitgliedschaftlichen Rechts tatsächlich mittlerweile anerkannt. Im Personengesellschaftsrecht wurden solche Treuepflichten aufgrund der personalistischen Struktur einer Gesellschaft entwickelt. Es ist seit langem anerkannt, dass Gesellschafter aufgrund der Bindung über den Gesellschaftsvertrag nicht nur zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft selbst (Loyalitätspflichten; vertikale Treuepflichten), sondern auch zur Rücksicht der gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter (Rücksichtnahmepflichten; horizontale Treuepflichten) verpflichtet sind.232 Solche horizontalen Treuepflichten bestehen nach der Rechtsprechung auch im Verhältnis zu Gesellschaftern einer GmbH. Der BGH argumentiert in seiner berühmten ITT-Entscheidung damit, dass die Organisation und die wirtschaftliche Betätigung einer GmbH – trotz ihrer körperschaftlichen Verfassung – „oft in erheblichem Maß dem unmittelbaren Einfluß ihrer Gesellschafter unterliegen und die inneren Verhältnisse der GmbH daher auf eine deutliche Nähe zu den Personengesellschaften angelegt sein können“.233 Nach Ansicht des BGH „verlangt auch hier insbesondere die für eine Gesellschaftermehrheit bestehende Möglichkeit, durch Einflußnahme auf die Geschäftsführung die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht, auf diese Interessen Rücksicht zu nehmen“.234 232  K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 589; Bitter, ZGR 2010, 147 (164); Hennrichs, AcP 195 (1995), 221 ff.; Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S.  166 ff.; Koch, Gesellschaftsrecht, § 8 Rn. 8, 10 f. 233  BGH, Urt. v. 05.06.1975 – II ZR 23/74, WM 1975, 1152 (1153). 234  BGH, Urt. v. 05.06.1975 – II ZR 23/74, WM 1975, 1152 (1153).



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 177

Diesen Gedanken überträgt der BGH später auf die Situation in einer Aktiengesellschaft. In der sog. „Linotype“-Entscheidung geht das Gericht von der Existenz von Treuepflichten der Aktionäre untereinander aus: „Auch bei der Aktiengesellschaft hat ein Mehrheitsgesellschafter die Möglichkeit, durch Einflußnahme auf die Geschäftsführung die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, so daß auch hier als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht zu fordern ist, auf diese Interessen Rücksicht zu nehmen“.235 In einer späteren Entscheidung im „Girmes“-Fall geht der BGH einen Schritt weiter und erkennt an, dass auch in einer (Publikums-)AG derartige Treuepflichten der Minderheitsaktionäre gegenüber den Mehrheitsaktionären bestehen. Denn auch den Minderheitsaktionären können im Einzelfall Rechte zustehen, deren Wahrnehmung „den gesellschaftsbezogenen Belangen der übrigen Aktionäre nachteilig sein kann“; „deren Ausübung [ist] daher unter das Gebot der Rücksichtnahme auf diese Interessen zu stellen“.236 Solche Rücksichtnahmepflichten dürften im Prinzip auch im Verhältnis zu Anleihegläubigern anerkannt werden. Denn die Anleihegläubigerminderheit kann genauso wie Minderheitsaktionäre in einer AG der Gefahr des Missbrauchs der Einwirkungsmacht seitens der Mehrheit ausgesetzt werden. Die Zulassung der Korrelation von Rechtsmacht und Verantwortung i. S. d. der BGH-Rechtsprechung setzt allerdings in erster Linie das Bestehen einer rechtlichen Sonderverbindung der Gesellschafter untereinander voraus, die das Gesellschaftsverhältnis eröffnet. Der BGH folgert Treuepflichten nicht allein auf der Grundlage der Möglichkeit einzelner Gesellschafter, die gesellschaftsbezogenen Belange anderer zu beeinträchtigen. „Allein die Innehabung von … [Einwirkungs]macht begründet nicht per se und stets ‚gesteigerte‘ Rücksichtnahmepflichten … . Daß in [einem Verband] die Mehrheit entscheidet und die Minderheit damit ‚majorisiert‘ wird, ist vielmehr gerade der ‚Normalfall‘ des Gesetzes[ ].“237 Der entscheidende Anknüpfungspunkt ist die mitgliedschaftliche Komponente.238 Treuepflichten der Gesellschafter sind in erster Linie Ausfluss des mitgliedschaftlichen Rechts, der Zugehörigkeit zu einem Verband bzw. einem Gesellschaftsverhältnis. Mit dem Eintritt in diesen Verband bzw. das Gesellschaftsverhältnis entsteht die Verpflichtung der Gesellschafter, den gemeinsamen Zweck zu fördern. Die Zweckförde235  BGH,

Urt. v. 01.02.1988 – II ZR 75/87, ZIP 1988, 301 (305). Urt. v. 20.03.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819 (821). 237  Hennrichs, AcP 195 (1995), 221 (236); so auch Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 170 f. 238  Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 588; Hennrichs, AcP 195 (1995), 221 (234 f., 240); Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 11 Rn. 50; Seibt, ZIP 2014, 1909 (1909 f.); Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S.  176 f. 236  BGH,

178 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

rung rechtfertigt einerseits die Einschränkung individueller Rechtsmacht zu Gunsten von Mehrheitsbeschlüssen; sie gibt aber anderseits den Gesellschaftern (insbesondere der Mehrheit) die Möglichkeit, auf die Belange anderer einzuwirken, was gerade die Korrelation zwischen Macht und Verantwortung erforderlich macht. Diese Funktion wird von gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten übernommen: Als Gegen­ gewicht der Einflussnahme verpflichten sie, auf die Interessen der machtlosen Mitgesellschafter Rücksicht zu nehmen, und begrenzen damit die Mehrheitsmacht.239 Damit die Treuepflichten auch im Verhältnis zwischen Anleihegläubigern eine Korrelationswirkung entfalten können, müssen Anleihegläubiger eine Zweckgemeinschaft bilden. Dies ist, wie bereits am Anfang der Arbeit gezeigt, gerade nicht der Fall. Die Anleihegläubiger stehen in keinem recht­ lichen Verhältnis zueinander; sie sind lediglich wirtschaftlich verbunden.240 Insbesondere kann die Anleihegläubigergesamtheit nicht als BGB-Gesellschaft i. S. d. §§ 705 ff. BGB qualifiziert werden, auch dann nicht, wenn die Anleihebedingungen zur Überwindung von hold-out-Effekten die Geltung von Mehrheitsklauseln i. S. d. § 5 SchVG vorsehen. Die rechtliche Qualifikation als BGB-Gesellschaft scheitert in erster Linie daran, dass die Anleihegläubiger keinen gemeinsamen Zweck i. S. d. § 705 BGB vereinbaren. Mit dem Erwerb von Schuldverschreibungen zielen die Gläubiger lediglich darauf, individuelle Forderungen gegen den Emittenten auf Zahlung des Kapitals und der Zinsen zu erlangen. Allein, dass den Anleihegläubigern gleiche Zahlungsrechte zustehen, reicht noch nicht aus, um den gemeinsamen Zweck zu bejahen.241 Mit ihren Forderungen stehen sie nicht „gemeinsam“, sondern lediglich nebeneinander.242 239  Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 176 f.; vgl. auch Hüffer, in: MüKo, AktG, § 243 Rn. 47 f. 240  Siehe dazu bereits unter Kapitel 1 § 1 C. III. 241  Siehe zum gemeinsamen Zweck Ballerstedt, JS 1963, 253 (255) („Gemeinsam ist der verfolgte Zweck dann, wenn jeder Partner ihn ebensowohl als den eigenen wie als den Zweck des anderen zu fördern verspricht“); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 61 („überindividueller Verbandszweck“; „[n]icht eine Gemeinschaftlichkeit von Individualinteressen, sondern das Vorhandensein eines Verbandszwecks ist also erforderlich“ (Hervorhebungen im Original)). 242  Vgl. auch Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 59, 127; Oulds, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 4 Rn. 12, 15, 17; Röh/Dörfler, in: Preuße, SchVG, § 4 Rn. 45; Friedl-Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 4 Rn. 21; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 205; Podewils, DStR 2009, 1914 (1915); Schneider, in: ILF Working Paper Series, No. 135, S. 19 (2013); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 Rn. 4; Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 647 (allerdings zustimmend zu gesellschaftsähnlichen Treuepflichten); Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S.  204 f.; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 4 Rn. 6, § 7 Rz. 24; Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 255. A. A. Horn,



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 179

Auch später, bei der Abstimmung in der Gläubigerversammlung über die Restrukturierung der Anleihe, verfolgt die Anleihegläubigergesamtheit keinen gemeinsamen Zweck.243 Der Zweck der Anleihegläubiger bleibt identisch mit demjenigen, der mit dem Kauf der Schuldverschreibungen verfolgt wird. Ein neuer Zweck der Durchsetzung der Forderungen gegen den Emittenten ist bei der Abstimmung nicht ersichtlich. Es kann zwar behauptet werden, dass Anleihegläubiger mit der Abstimmung auf ihre ursprünglichen, individuellen Zwecke verzichten und sich bereit erklären, einen neuen – und diesmal – gemeinsamen Zweck, nämlich die „Rettung“ der Anleihe bzw. die Maximierung der Wahrscheinlichkeit der Zahlung, zu verfolgen, was den teilweisen Forderungsverzicht erfordert. Sieht man darin einen gemeinsamen Zweck i. S. d. § 705 BGB, der über die Realisierung von Individualinteressen hinausgeht, muss andererseits beachtet werden, dass dieser Zweck nur von den die Anleiherestrukturierung unterstützenden Anleihegläubigern verfolgt wird. Nur im Verhältnis zu dieser Gruppe wäre ein Verband, eine gesellschaftsrechtliche Sonderverbindung denkbar, nicht dagegen im Verhältnis zu den dissentierenden oder an der Abstimmung nicht teilnehmenden Gläubigern. Solange den letztgenannten Anleihegläubigern ein konkreter Entschluss zur Verfolgung des neuen (gemeinsamen) Zwecks – die „Rettung“ der Anleihe – fehlt, kann eine BGB-Gesellschaft unter allen Anleihegläubigern nicht bejaht werden.244 Insofern bleibt festzustellen, dass gesellschaftsrechtliche Treuepflichten mangels eines Zweckverbandes unter den Anleihegläubigern ausscheiden.245

173 ZHR (2009), 12 (48 f.); zu verbandsähnlicher Einordnung der Anleihegläubigergemeinschaft Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 298 f. („Innen-AG“); als Fragestellung K. Schmidt, ZGR 2011, 108 (134); ders., in: FS Baums, Band 2, S. 1073 (1076). 243  So auch Oulds, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 4 Rn. 17; siehe auch Röh/ Dörfler, in: Preuße, SchVG, § 4 Rn. 45 („Gesellschaftsversammlung[ ] entsteht[ ] auch nicht durch einen Gesellschaftsvertrag, sondern von Gesetzes wegen“); FriedlSchmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 4 Rn. 21; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 4 Rz. 6. 244  Vgl. auch Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 206 f. 245  So auch Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 27; Oulds, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 4 Rn. 21; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 Rn. 4; Friedl-Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 4 Rn. 22. A. A. Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 324 ff.; Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 329. Zu gesellschaftsähnlichen Kooperationspflichten siehe Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 647 ff.; zustimmend Steffek, in: FS Hopt, S. 2598 (2607); kritisch dazu Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 273 ff.; Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 6 Rn. 41; Oulds, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 4 Rn. 21; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 4 Rn. 10.

180 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

(2) Treuepflichten innerhalb der Rechtsgemeinschaft nach Bruchteilen Es kann allerdings gefragt werden, ob zumindest gesellschaftsähnliche Treuepflichten bzw. gruppenbezogene Rücksichtnahmepflichten als Korrelat der Einwirkungsmacht dem Schuldverschreibungsrecht dennoch geschuldet sein können. Man könnte versuchen, die Gemeinschaft der Anleihegläubiger als Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff. BGB rechtlich zu qualifizieren. Diese Einordnung würde ermöglichen, die Gläubiger als Träger von gesteigerten Rücksichtnahmepflichten untereinander zu betrachten, die zum Teil, wie es scheint, bereits in §§ 741 ff. BGB gesetzlich normiert sind (siehe z. B. das Beeinträchtigungsverbot des § 743 Abs. 2 BGB, Verwaltung und Benutzung nach billigem Ermessen, § 745 Abs. 2 BGB).246 Ob allerdings innerhalb einer Bruchteilsgemeinschaft Treuepflichten unter Teilhabern tatsächlich bestehen247, kann dahingestellt bleiben, wenn die Einordnung der Anleihegläubigergesamtheit i. S. d. § 741 BGB ohnehin ausscheidet. Für die Teilhaber einer klassischen Rechtsgemeinschaft nach Bruchteilen ist charakteristisch die Innehabung eines gemeinsamen Rechts und die hieraus folgende Konkurrenz der Mitberechtigten an diesem Recht. Ansonsten verbindet sie nichts. Allein das Zusammentreffen kollektiver Interessen reicht nicht für die Anwendung der §§ 741 ff. BGB aus.248 An dieser Konkurrenz der Mitberechtigten fehlt es aber im Schuldverschreibungsrecht, denn den Anleihegläubigern fehlt es an der gemeinschaftlichen Innehabung eines Rechts.249 Zwar sind die Anleihegläubiger Miteigentümer der Globalurkunde.250 Diese Inhaberschaft schafft allerdings keine rechtlich relevante Rechtskolli-

246  Simon,

Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 179. Wüst, Interessengemeinschaft, S. 62 f.; Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 179; a. A. BGH, Urt. v. 26.03.1974 – VI ZR 103/72, JR 1974, 466 (467) (keine gesteigerten Bewahrungspflichten nach Treu und Glauben mangels einer schuldrechtlichen Beziehung). Treuepflichten sind aber innerhalb einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer anerkannt, siehe Armbrüster, in: FS Merle, S. 1 (10) (als Korrelat der Einwirkungsmacht); Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 180; wohl auch BGH, Urt. v. 10.11.2006 – V ZR 62/06, NJW 2007, 292 (293). 248  Vgl. K. Schmidt, in: MüKo, BGB, § 741, Rn. 71; ihm folgend Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 360; Madaus, AcP 212 (2012), 251 (289); vgl. auch Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 273. 249  So auch Horn, 173 ZHR (2009), 12 (48 f.); Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 4 Rz. 7. 250  Dazu bereits oben unter Kapitel 1 § 1 C. II. 247  Bejahend



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sion i. S. d. § 741 BGB.251 Eine Globalurkunde ist nur aus praktischen Gründen erforderlich: Sie erübrigt die Ausstellung mehrerer einzelner Schuldverschreibungsurkunden. Der Grund, warum die Kollision der Rechtspositionen der Anleihegläubiger entsteht, ist nur, dass sie Inhaber individueller Forderungen sind und konsequenterweise individuelle Rechtsmacht besitzen.252 Eine Gesamtforderung gegen den Emittenten besteht gerade nicht. Anleihegläubiger können insofern nicht als Mitberechtigte bzw. als Teilhaber i. S. d. § 741 BGB angesehen werden. Selbst der Gesetzgeber hielt den Terminus „gemeinsame Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen“ im SchVG 1899 für nicht korrekt und ersetzte ihn durch den Begriff „kollektive Bindung“ (siehe § 4 SchVG 2009), um den (falschen) Eindruck zu vermeiden, dass Anleihegläubiger in Bezug auf ihre (individuellen) Forderungen über zusätzliche Rechte verfügen.253 Im Schrifttum wird vorgeschlagen, auf Gestaltungsrechte von Anleihegläubigern abzustellen (Kündigungsrechte, Rechte in Bezug auf die Anpassung von Anleihebedingungen). Diese Gestaltungsrechte werden als gemeinschaftliches Recht angesehen, was angeblich zulasse, die Anleihegläubigergesamtheit als Gemeinschaft nach § 741 BGB einzuordnen.254 Gegen diese Ansicht spricht, dass Gestaltungsrechte der Anleihegläubiger, würden diese Rechte ihnen unteilbar gemeinschaftlich zustehen, eher dem Charakter von Verwaltungs- und Benutzungsrechten i. S. v. §§ 744 f. BGB entsprechen. Die durch den Opt-in eingeräumten Rechte erfüllen lediglich eine dienende Funktion: Sie dienen der Erhaltung der (jeweiligen) Forderungen gegen den Emittenten; die Gläubiger üben im Wege eines Mehrheitsbeschlusses ihre Verwaltungsbefugnisse zur Erreichung eines für alle optimalen Ergebnisses aus. Es muss allerdings beachtet werden, dass die Rechte auf gemeinschaftliche Verwaltung und Benutzung nach §§ 741 ff. BGB lediglich als Folge der Existenz einer schlichten Rechtsgemeinschaft entstehen; sie selbst führen noch nicht zu einer solchen Gemeinschaft. Dasselbe muss auch für die Anleihegläubiger gelten. Es scheint widersprüchlich zu sein, keine „Vergemeinschaftung“ i. S. v. §§ 741 ff. BGB hinsichtlich der Forderungen zu sehen, jedoch eine solche in Bezug auf die Mitbestimmungsrechte bei der Verwaltung und Rettung derselben Forderungen zu bejahen. Die Forderungen würden dann nicht mehr den jeweiligen Gläubigern zustehen, wenn die übrigen Gläubiger über die Zahlung gemeinschaftlich entscheiden dürfen.

251  Vgl. auch Röh/Dörfler, in: Preuße, SchVG, § 4 Rn. 40, 46; Oulds, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 4 Rn. 19. 252  Siehe auch Röh/Dörfler, in: Preuße, SchVG, § 4 Rn. 40. 253  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18. 254  Vgl. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 355, 358 f., 361.

182 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Dass Gestaltungsrechte der Anleihegläubiger nicht dem Regelungsregime der Gemeinschaft nach Bruchteilen unterliegen, zeigen auch §§ 742 ff. BGB selbst. Die wesentlichen Vorschriften passen nicht auf die Anleihegläubiger. Dies betrifft §§ 752 f. BGB, die die Aufhebung der Gemeinschaft durch Teilung in Natur oder durch Verkauf vorsehen. Nicht vereinbar mit dem Schuldverschreibungsrecht zu sein scheint auch § 745 Abs. 1 BGB, der bei der Beschlussfassung bloße Stimmenmehrheit vorsieht. Schließlich muss beachtet werden, dass jeder einzelne Teilhaber nach § 744 Abs. 2 BGB befugt ist, erhaltungsnotwendige Maßregeln ohne Zustimmung der anderen Teilhaber zu treffen.255 Allein schon diese Befugnis könnte das Problem der Koordination der Anleihegläubiger lösen. Diesem Weg ist der Gesetzgeber aber nicht gefolgt. Vielmehr ging er von der Notwendigkeit aus, einen spezifischen Regelungsrahmen zu entwickeln. Dabei bestand sein Zweck darin, § 5 SchVG als rein technische Regelung einzuführen, die den Gläubigern lediglich ermöglichen kann, einheitlich (und nicht gemeinschaftlich) ihre Rechte geltend zu machen. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber – über die Bindungskraft des Mehrheitsbeschlusses hinaus – von der „Vergemeinschaftung“ der Gläubiger ausgeht. Die Regelungen der §§ 741 ff. BGB müssen insofern nicht nur vom SchVG als lex specialis verdrängt angesehen werden.256 Sie sind für die Anleihegläubiger insgesamt wesensfremd, da sie keine schlichte Rechtsgemeinschaft bilden. (3) Insolvenzrechtliche Treuepflichten Die Frage, ob Gläubiger trotz fehlender Sonderverbindung Träger von gesteigerten Rücksichtnahmepflichten untereinander sein können, wird auch im Insolvenzrecht gestellt.257 Geht man von der Existenz insolvenzspezifischer Treuepflichten aus, könnte man anschließend versuchen, den Treuepflichtgedanken auf die Anleihegläubiger zu übertragen. Denn diese Gläubigergruppen weisen ihrer Rechtsnatur nach Ähnlichkeiten auf. So besteht unter den Insolvenzgläubigern ähnlich wie unter den Anleihegläubigern kein rechtlicher, auf gemeinsame Zweckverfolgung gerichteter 255  Siehe auch Oulds, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 4 Rn. 20; Röh/Dörfler, in: Preuße, SchVG, § 4 Rn. 46; Friedl-Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 4 Rn. 23. 256  Vgl. Friedl-Schmidtbleicher, in: FraKommSchVG, § 4 Rn. 23. 257  Vgl. dazu Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, S. 1 ff.; Ehricke, NZI 2000, 57 (58); ders., in: MüKo, InsO, 3. Aufl., § 74 Rn. 9; Grünewald, Mehrheitsherrschaft, S.  198 ff.; Bitter, ZGR 2010, 147 (175 ff.); Thole, in: FS Vallender, S.  679 ff.; Zipperer, NZI 2010, 281 (282 ff.); siehe auch Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 177 ff.; ähnliche Fragestellung bei Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 250.



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oder durch Innehabung einer gemeinsamen Rechtsposition gekennzeichneter Verband.258 Insolvenzgläubiger zeichnen sich in erster Linie typischerweise dadurch aus, dass sie widerstreitende Interessen haben.259 Mit ihren jeweiligen Interessen werden Insolvenzgläubiger als Beteiligte in einem (staat­ lichen) Verfahren rein zwangsweise zusammengefasst.260 Sie unterscheiden sich von den Anleihegläubigern faktisch nur dadurch, dass sie eine Gemeinschaft auf unfreiwilliger Basis bilden. Unter ihnen entsteht eher ein Zwangsverband. Trotz dieses Zwangselements sind die Insolvenzgläubiger nach dem Gesetz keine isolierte, unverbundene Gruppe der Gläubiger. So legt die Insolvenzordnung zum einen fest, dass Insolvenzgläubiger ein gemeinsames Interesse – im Sinne einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung – aufweisen.261 Nach diesem Kriterium haben die Gläubiger ihr Verhalten zu richten, denn falls ein Beschluss der Gläubigerversammlung diesem gemeinsamen Inte­ resse widerspricht, ist der Beschluss (auf Antrag) aufzuheben (siehe § 78 Abs. 1 InsO).262 Obwohl Insolvenzgläubiger keine Zweckförderung ähnlich wie Gesellschafter vereinbaren, zeigt dieser Maßstab der Beschlusskontrolle, dass eine gewisse Ähnlichkeit zum gemeinsamen Zweck, auf deren Grundlage im Gesellschaftsrecht Treuepflichten gerade konstruiert werden, dennoch besteht.263 Des Weiteren bestimmt das Gesetz unmittelbar für das Verfahren zur Abstimmung über einen Insolvenzplan, dass die Stimmrechtausübung durch Insolvenzgläubiger nicht ohne Grenzen erfolgt. Sind besondere Mehrheits­ erfordernisse erfüllt, so gilt nach § 245 Abs. 1 InsO die Zustimmung einer Gläubigergruppe – bei deren angemessener Beteiligung am wirtschaftlichen Wert – als erteilt, wenn die Angehörigen dieser Gruppe durch den Plan voraus­sichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Plan stün258  Vgl. auch Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 4 Rz. 6. 259  Vgl. Thole, in: FS Vallender, S. 679; Grünewald, Mehrheitsherrschaft, S. 198 m. w. N.; Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 187 f.; Smid, in: FS Pawlowsky, S. 387 (392). 260  Vgl. Thole, in: FS Vallender, S. 679 (686); Grünewald, Mehrheitsherrschaft, S.  198 f.; Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, S. 272; Ehricke, NZI 2000, 57 (59); Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 197 f. (vertritt die Ansicht, dass die Zwangsnatur der (Insolvenzgläubiger-)Gemeinschaft nicht schädlich ist); siehe auch Grill/Klockenbrink, DB 2014, 2514 (2515). 261  Ehricke, in MüKo, InsO; 3. Aufl., § 78 Rn. 17; ders., NZI 2000, 57 (59); siehe auch BGH, Beschl. v. 22.06.2017 – IX ZB 82/16, DB 2017, 1710 (1711 f.). 262  Dazu siehe Ehricke, NZI 2000, 57 (59); Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 188 f.; Grünewald, Mehrheitsherrschaft, S. 200. 263  Vgl. Thole, in: FS Vallender, S. 679 (687); siehe dazu auch Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 188 f.

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den (Obstruktionsverbot). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die dissentierenden Gläubiger zur Zustimmung verpflichtet sein können, wenn sie kein berechtigtes Interesse an der Ablehnung des Plans haben.264 Obwohl Insolvenzgläubiger in keiner besonderen Sonderbeziehung zueinander stehen und unterschiedliche wirtschaftliche Interessen verfolgen, können sie zur Rücksichtnahme auf die Interessen übriger Gläubiger verpflichtet sein. § 245 InsO scheint auf dem Gedanken zu beruhen, dass insolvenzspezifische Treuepflichten im Insolvenzrecht dennoch geschuldet sind.265 Bejaht man solchen Pflichten unter Insolvenzgläubigern, scheint es, wie bereits am Anfang erwähnt, auch möglich zu sein, diesen Treuepflichtgedanken auf die Situation der Anleihegläubiger zu übertragen. Anleihegläubiger handeln im Prinzip wie Insolvenzgläubiger im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens. Beide Gemeinschaften zeichnen sich durch das Bestehen einer gewissen Gruppensituation266 aus, die erlaubt, die Gläubiger – wenn nicht wie einen rechtlichen Verband, dann zumindest – wie einen Quasi-Verband zu qualifizieren, in dessen Rahmen der Verwirklichung der Gläubigerautonomie zum Zwecke der Erreichung eines optimalen Ergebnisses für alle bestimmte Schranken gesetzt werden müssen. Im SchVG spricht der Gesetzgeber sogar ausdrücklich davon, dass Anleihegläubiger einer kollektiven Bindung zur Einschränkung ihrer individuellen Rechtsmacht unterliegen (siehe § 4 SchVG „kollektive Bindung“, Korrelat der Einwirkungsmacht). (4) Kein Obstruktionsverbot im Schuldverschreibungsrecht Die Übertragung des Treuepflichtgedankens, selbst wenn man Treuepflichten im Insolvenzrecht bejaht, scheint dennoch nicht gerechtfertigt. Denn im Schuldverschreibungsrecht gibt es kein Obstruktionsverbot: Das SchVG sieht keine dem § 245 InsO ähnliche Vorschrift vor.267 Um das zu erkennen, muss man den Blick nicht auf die Treuepflichten der Gläubiger, sondern auf solche des Schuldners, also des Emittenten, werfen. Korrespondierend zu § 245 Abs. 1 InsO sieht der Gesetzgeber in § 247 Abs. 2 InsO die Pflicht des Insolvenzschuldners vor, dem Insolvenzplan zuzustimmen (bzw. sein Widerspruch 264  Spliedt,

in: K. Schmidt, InsO, § 245, Rn. 1. Grünewald, Mehrheitsherrschaft, S. 199 ff.; Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 189 f.; a. A. Smid, in: FS Pawlowsky, S. 387 (395). 266  Vgl. Thole, in: FS Vallender, S. 679 (686); Grünewald, Mehrheitsherrschaft, S. 198 f., 228, 326; siehe auch die Argumente bei Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 188 ff. 267  Gegen die Übertragung des Regelungsgehalts des § 245 InsO auch (aber mit anderen Argumenten) Simon, Das neue SchVG und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 269 f. (im Ergebnis Treuepflichten unter den Anleihegläubiger bejahend, dazu siehe S.  223 ff.). 265  Vgl.



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bleibt unbeachtlich), wenn er durch diesen Plan nicht schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stehen würde. Das zeigt, dass zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Insolvenzgläubiger auch der Schuldner verpflichtet ist. Wie ist aber die Rechtslage im Schuldverschreibungsrecht? Das SchVG sieht keine solchen oder ähnlichen „Zwangsinstrumente“ zu Lasten des Emittenten vor. Vielmehr erlaubt der Gesetzgeber dem Emittenten zu bestimmen, ob das SchVG zur Überwindung von hold-out-Effekten überhaupt eingreift. Im Unterschied zum alten SchVG 1899 besteht nach dem neuen SchVG kein Anpassungsrecht kraft Gesetzes.268 Faktisch gesehen bestimmt der Emittent allein (und nicht die Anleihegläubiger), ob Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss geändert werden dürfen und wenn ja, in welchem Umfang (siehe § 5 Abs. 1 SchVG: „Die Anleihebedingungen können vorsehen …“). Wird in den Anleihebedingungen kein Mehrheitsbeschluss vorgesehen, stellt sich aber im Nachhinein heraus, dass die Restrukturierung der Anleihe für alle Seiten vorteilhaft ist, geht der Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger ins Leere. Er entfaltet keine bindende Wirkung für alle, selbst wenn auch der Emittent – objektiv gesehen – im Wege der Restrukturierung „im Sinne“ des § 247 InsO besser stünde. Aus Sicht des Gesetzgebers stellt der Fall, dass der Emittent die Wirkung von Mehrheitsklauseln ausschließt, einen „Normalfall“ dar, der keine Rückschlüsse auf möglichen Missbrauch erlaubt. Wenn aber der Emittent als Schuldner zur Zustimmung zu Gunsten der Anleihegläubiger nicht gezwungen werden darf, warum sollten dann für die Anleihegläubiger gesteigerte Rücksichtnahmepflichten bzw. spezielle Treuebindungen unter­ einander gelten? Zwar muss man zugeben, dass die Rechtsnatur der Rechtsbeziehung zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern (vertikale Verhältnisse) nicht dieselbe ist wie unter den Anleihegläubigern selbst (horizontale Verhältnisse). Daran ändert sich aber nichts. Denn die entscheidende Frage kann auch anders formuliert werden: Warum muss ein Anleihegläubiger, der in keiner rechtlichen oder anderweitigen Sonderbeziehung zu anderen Anleihegläubigern steht, zur Rücksichtnahme auf Interessen anderer Gläubiger verpflichtet sein, während der Emittent, der gerade in einer direkten Vertragsbeziehung zu den Anleihegläubigern steht, zu einer solchen Rücksichtnahme aufgrund einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers (nochmal: Es besteht kein Mehrheitsbeschluss kraft Gesetzes) nicht verpflichtet ist?

268  Siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18 („Anders als im SchVG von 1899 sind Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger nicht zwingend vorgesehen, sondern es bleibt den Anleihebedingungen überlassen, ob und inwieweit solche möglich sind.“).

186 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Die Anleihegläubiger dürfen einander nicht mehr Rücksichtnahme auf die Interessen schulden, als ihnen der Emittent selbst schuldet, denn für die Änderung der Anleihebedingungen verfügen sie gem. § 311 Abs. 1 Alt. 2 BGB über gleiche Einwirkungsmacht: Die Restrukturierung der Anleihe erfordert die Zustimmung beider Vertragsparteien, also sowohl des Emittenten, als auch jedes einzelnen Gläubigers (bzw. der Mehrheit der Gläubiger, falls Mehrheitsklauseln in den Anleihebedingungen vorgesehen sind). Solange aber beiden Seiten gleiche Einwirkungsrechte eingeräumt werden, müssen dann konsequenterweise auch gleiche Schranken/Grenzen zur Beseitigung möglicher Missbräuche bestehen. Für die Anleihegläubiger bedeutet das, dass sie zur Rettung der Anleihe bzw. optimaler Realisierung ihrer Forderungen nicht mehr als der Emittent schulden, oder genauer gesagt, gar nichts. Im Endergebnis dürfen Anleihegläubiger nicht als Träger von Treuepflichten angesehen werden: Wenn solche elementaren Rücksichtnahmepflichten i. S. v. §§ 245, 247 InsO unter den Anleihegläubigern nicht bestehen, scheiden erst recht anderweitige gesteigerte Interessenwahrungspflichten aus. Jeder Treuepflichtgedanke ist dem Schuldverschreibungsrecht fremd. Es bleibt festzustellen, dass Anleihegläubiger keine Treuepflichten haben und zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Interessen einzelner oder mehrerer, insbesondere der Minderheit oder der Gesamtheit der Gläubiger „as a class“ (da es an einer rechtlich relevanten Kollektivsituation fehlt), nicht verpflichtet sind. b) Möglicher Verstoß seitens des Emittenten Anschließend kann gefragt werden, ob ein Rechtsverstoß i. S. d. SchVG oder eines anderen Gesetzes wenn nicht seitens der Anleihegläubigermehrheit, dann zumindest seitens des Emittenten bejaht werden kann. Im englischsprachigen Schrifttum wird sogar vorgeschlagen, ausschließlich auf das Verhältnis Emittent-Anleihegläubiger als „the only source of duties“ abzustellen.269 Das Verhalten des Emittenten scheint in rechtlicher Hinsicht aus dem Grund nicht unproblematisch zu sein, dass er die Technik „exit consents“ zum Zwecke der Schaffung einer Drucksituation einsetzt.270 Die Anleihe269  Liu, Exit Consents in Debt Restructurings, S. 19; so auch Drake, 63 Duke L.J. 1589, 1623 (2014). Das Argument „[i]t is difficult to impose duties between the bondholders when that class is changing“ kann allerdings nicht überzeugen, weil es nicht auf die Kenntnis der Person ankommt. Siehe auch Smith/Sharpe, 29 JIBFL 288, 290 (2014) („it is, in reality, the issuer who is exploiting the noteholders rather than any subset of the noteholders exploiting a minority of their peers“). 270  Zu der Möglichkeit solcher Argumentation auch Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 853 (1991) („On their face, these techniques – particularly the exit consent solicita-



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 187

gläubiger werden, wie es z.  B. in Assénagon-Fall heißt, vor eine sog. Hobsonʼs choice gestellt, die ihnen die Möglichkeit nimmt, frei zu entscheiden. Auch in der Praxis zeigt das Ergebnis der Abstimmung sehr hohe Zustimmungsraten, von etwa 90 % und mehr, was ebenfalls als Bestätigung der Existenz gewisser Druckeffekte angesehen werden könnte. Das SchVG verbietet aber die Einmischung in den Abstimmungsprozess seitens des Emittenten. Dies bestätigt § 6 Abs. 1 S. 2 bis 4 SchVG. Die Vorschrift schreibt das Ruhen der Stimmrechte aus Schuldverschreibungen vor, die dem Emittenten oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen i. S. d. § 271 Abs. 2 HGB zustehen bzw. für deren Rechnung gehalten werden („Reinheitsgebot“). Solche Schuldverschreibungen dürfen auch nicht Dritten zum Zwecke überlassen werden, Stimmrechte an Stelle des Emittenten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens auszuüben. Für solche Fälle sieht das Gesetz ausdrücklich ein Stimmrechtsverbot vor. Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 S. 2 bis 4 SchVG versucht genauso wie der allgemeine Unbefangenheitsgrundsatz „nemo iudex in sua causa“ (Telos des § 181 BGB), die Willensbildung der Anleihegläubiger vor Interessenkonflikten zu schützen.271 Ein Interessenkonflikt existiert aber möglicherweise nicht nur, wenn der Emittent selbst zu seinen Gunsten abstimmt, sondern auch wenn er den Rahmen der Wahl so eng bestimmt, dass das günstige Ergebnis der Abstimmung faktisch vorprogrammiert wird. Vor diesem Einfluss müssen die Anleihegläubiger im Prinzip auch geschützt werden. Da der Emittent mit jedem einzelnen Anleihegläubiger in einer vertraglichen Rechtsbeziehung steht, könnte eine Pflicht, in den Prozess der Willensbildung der Anleihegläubiger bereits im Vorfeld der Abstimmung nicht einzugreifen, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entstehen. Die Idee der sog. „distorted choice“272 kann allerdings nicht überzeugen, und zwar in erster Linie aus dem Grund, dass seitens des Emittenten in Wirklichkeit kein Eingriff in die Willensbildung der Anleihegläubiger erfolgt. Das einzige, was der Emittent tut, ist, dass er die Bedingungen eines Restrukturierungsvorschlags formuliert. Er macht ein Angebot zu einer Änderung des Vertrags.273 Dabei ist er nicht an die Pflicht gebunden, unredliche tion – appear to be coercive, in that they effectively deprive bondholders of their capacity to choose between reasonable alternatives.“); dies war eines der Argumente des Klägers in Katz v. Oak Industries, 508 A.2d 873, 878 (Del. Ch. 1986) („no free choice“). 271  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 19 („Satz 2 soll verhindern, dass die Beschlüsse der Gläubiger durch Interessenkonflikte verfälscht werden.“). 272  Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 8 (2017). 273  In dieser Richtung auch die Begründung im „Kass v. Eastern Airlines“-Urteil (Del. Ch. 1986; dargestellt in 12 Delaware Journal of Corporate Law, Unreported Cases, 1074, 1077 (1987)).

188 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

Angebote nicht abzugeben. Eine solche Pflicht im Sinne des Grundsatzes von Treu und Glauben existiert nicht. Die Anleihegläubiger treten im jeweiligen Rechtverhältnis zu dem Emittenten als eine andere Vertragspartei auf. Sie haben, wie bereits erwähnt, genauso viel Macht, auf die Änderung der Anleihebedingungen Einfluss zu nehmen, wie der Emittent selbst, denn ohne deren Zustimmung kann keine Änderung der Bedingungen bewirkt werden (§ 311 Abs. 1 BGB). Finden sie das Angebot des Emittenten unfair, weil es ihre Rechte beeinträchtigen kann, müssen sie dieses unredliche Angebot ablehnen. Da die Anleihegläubiger insofern vor der Unredlichkeit des Emittenten durch § 311 Abs. 1 BGB ausreichend geschützt sind, scheidet die Möglichkeit einer Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben aus. Auch kann nicht das Verhalten der Mehrheit, das für die distortion-Wirkung sorgt, dem Emittenten – selbst wenn er von der Restrukturierung der Anleihe profitiert – zugerechnet werden, weil die Anleihegläubiger jeweils für sich und nicht für oder im Interesse des Emittenten abstimmen. Von deren positiver Abstimmung im Wege der Beschlussfassung profitiert der Emittent nur reflexartig. Die Idee einer Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben seitens des Emittenten bei der Anwendung der Technik „exit consents“ wird auch in der englischsprachigen Literatur überwiegend abgelehnt. Kritisiert wird insbesondere der Versuch, das Rechtsverhältnis zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern ähnlich wie im Verbandsrecht zu behandeln274, kraft dessen besondere Loyalitätspflichten konstruiert werden können.275 „[B]ondholders, even in prebankruptcy insolvency, do not have the kind of relationship of trust with the corporation and its directors that is deserving of fiduciary responsibilities.“276 „The management and directors may have a fiduciary duty to stockholders, but bondholders have generally been found to have arms-length contractual relationship.“277 „Unhappy bondholders must therefore look to their contracts to sustain a cause of action.“278 Der Weg über die mögliche Verletzung eines implied covenant of good faith wird ebenfalls kritisiert: Solange keine expliziten Bedingungen des in274  Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 858 (1991) („Whereas stockholders own the corporation, bondholders merely have a claim against it.“); vgl. auch Kahan, 77 New York University L. Rev. 1040, 1042 ff. (2002); McDaniel, 41 The Business Lawyer 413 (1986). 275  Vgl. Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1255 f. (1991); Herrmann, 66 Rutgers L. Rev. 775, 778 ff. (2014); Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 856 ff. (1991); 508 A.2d 873, 878 f. (Del. Ch. 1986) (Katz v. Oak Industries). 276  Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 860 (1991). 277  Herrmann, 66 Rutgers L. Rev. 775, 778 (2014). 278  Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 860 (1991).



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 189

denture seitens des Emittenten verletzt sind, was bei der Einsetzung von exit consents der Fall ist, sieht man – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung – keinen Raum für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben („bonds are contracts, and contracts mean what they say“279).280 Im Endergebnis muss man feststellen, dass auch seitens des Emittenten bei der Anwendung der Technik „exit consents“ kein Rechtsverstoß bejaht werden kann. Die Technik, die auf einem Zwangselement beruht und an sich auf den ersten Blick nicht fair scheint, kann nicht rechtlich beanstandet werden, denn, wie sehr zutreffend gesagt wurde, „[c]oercion is not offering someone two alternatives, one of them unpleasant“281. 3. Zwischenergebnis Die Prüfung zeigt, dass die Technik „exit consents“ in ihrer klassischen Form sowie bei der Einsetzung von positiven Anreizen mit deutschem Recht vereinbar ist. Die Technik kollidiert nicht mit schuldverschreibungsrechtlichen oder allgemeinen kapitalmarktrechtlichen Grundsätzen. Auch seitens des Emittenten oder der Anleihegläubiger, die der Änderung der Bedingungen zustimmen, ist keine Rechtsverletzung ersichtlich. Das heißt im Ergebnis, dass das deutsche Recht nicht nur eine faktisch unbeschränkte Zahl von Restrukturierungsoptionen anbieten kann, ohne die Notwendigkeit zu schaffen, gesetzliche Restriktionen ähnlich wie im USamerikanischen Recht zu umgehen. Das deutsche Recht demonstriert auch die Fähigkeit, den aktuellen Bedürfnissen der Praxis der Anleiherestrukturierung, deren Restrukturierungsmodelle über eine bloße Änderung der Bedingungen i. S. d. § 5 Abs. 3 SchVG hinausgehen können, zu entsprechen, um das hold-out-Potenzial einzuschränken. Es kann nicht erwartet werden, dass deutsche Gerichte die Argumente des englischen Gerichts hinsichtlich quasiverbandsrechtlicher – oder ähnlicher – Rücksichtnahmepflichten der Mehrheit übernehmen, falls die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit der Technik „exit consents“ in der Zukunft entsteht, weil Anleihegläubiger nach deutschem Recht gerade keinen rechtlichen Verband bilden und § 5 SchVG, der Mehrheitsklauseln zulässt, rein technische Funktion erfüllt. Insofern kann 279  Drake,

63 Duke L.J. 1589, 1615 (2014). Herrmann, 66 Rutgers L. Rev. 775, 779 ff. (2014); Bab, 91 Columbia L. Rev. 846, 862 ff. (1991); Coffee/Klein, 58 Chicago L. Rev. 1207, 1258 f. (1991); 508 A.2d 873, 880 (Del. Ch. 1986) (Katz v. Oak Industries-Fall). 281  Herrmann, 66 Rutgers L. Rev. 775, 780 f. (2014); siehe auch Bratton/Levitin, University of Pennsylvania Law School, ILE, Research Paper No. 17-9, 62 (2017) („[f]rom a contractual point of view, [the exchange offer in Marblegate] was no more coercive than a majoritarian amendment“). 280  Vgl.

190 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

man durchaus sagen, dass das deutsche Recht mit seinem Mehrheitsprinzip als Hauptelement der Bondholder Governance einen attraktiven Regelungsmechanismus bietet. Der gesetzgeberische Wunsch, das SchVG konkurrenzfähig zu machen, scheint sich realisiert zu haben. Zumindest im Vergleich zum US-amerikanischen und englischen Recht zeigt das deutsche Recht erhebliche Vorteile.

C. Zusammenfassung Die Untersuchung der Gesetzesmaterialien zeigt, dass der Gesetzgeber in erster Linie das Ziel verfolgte, das SchVG 2009 konkurrenzfähig zu machen. Weil die Märkte für Anleihen international geworden sind, muss auch das deutsche Schuldverschreibungsgesetz die Fähigkeit demonstrieren, einen würdigen Platz im Wettbewerb der Rechtsordnungen einzunehmen. Vergleicht man das deutsche Recht der Anleiherestrukturierung mit dem USamerikanischen und englischen Recht, sind erhebliche Vorteile zu konstatieren. Als erstes kann darauf hingewiesen werden, dass es dem deutschen Gesetzgeber – im Unterschied insbesondere zum US-amerikanischen – gelungen ist, die lange Zeit bestehende Angst vor der Gefahr des Missbrauchs und der Willkürherrschaft seitens der Mehrheit zu überwältigen. Nach dem neuen SchVG ist eine umfassende Anleiherestrukturierung möglich. Der Gesetzgeber weist ausdrücklich darauf hin, dass Mehrheitsklauseln nach deutschem Recht eindeutig zulässig sind. Der Emittent hat faktisch gesehen eine unbeschränkte Wahl an Restrukturierungsoptionen. Aus Sicht des US-amerikanischen Gesetzgebers bergen solche umfassenden Mehrheitsklauseln dagegen die Gefahr, dass die Mehrheit ihre Rechte zu Lasten der dissentierenden Minderheit missbrauchen könne. Aus diesem Grund verbietet § 316 (b) TIA auch etwa 80 Jahre später nach seinem Erlass eine Änderung der Hauptbedingungen der Anleihe, was den Emittenten zwingt, nach Umgehungswegen zu suchen. Dabei ist zu beachten, dass einige Gründe für den Erlass der restriktiven Vorschrift im Laufe der Zeit ihre Rechtfertigungswirkung endgültig verloren haben. Der US-Gesetzgeber erkennt allerdings immer noch keine Notwendigkeit einer Reform des TIA. Es kann nicht verwundern, dass in letzter Zeit Stimmen laut geworden sind, die Vorschrift des § 316 (b) TIA ganz aufzuheben. Das englische Recht sieht zwar keine Beschränkungen ähnlich wie § 316 (b) TIA im US-amerikanischen Recht vor. Das Recht, umfassende Mehrheitsklauseln in Anleihebedingungen einzuführen, besteht grundsätzlich kraft Vertragsfreiheit. Dennoch zeigt die jüngste Rechtsprechung, die viel Unsicherheit für die Praxis brachte, dass der Grundsatz der Vertragsfreiheit



§ 5 Vergleich mit dem deutschen Recht 191

nicht immer gilt. Es taucht wieder das Argument des Machtmissbrauchs seitens der Mehrheit der Anleihegläubiger auf. Das Gericht sieht in der Restrukturierung keinen rationalen Schritt, wenn der Wert der Anleihe beeinträchtigt wird. Es beachtet nicht, dass jede Restrukturierung bei finanziellen Schwierigkeiten des Emittenten mit einer Beeinträchtigung des Wertes der Anleihe einhergeht. Problematisch ist insbesondere, dass das Gericht keine konkreten Kriterien nennt, nach welchen die Zulässigkeit der Restrukturierung beurteilt werden kann. Zwar enthält das englische Recht keine ausdrücklichen Restriktionen. Es darf allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass jede Anleiherestrukturierung im Wege eines Mehrheitsbeschlusses als rechtlich zulässig angesehen werden kann. Dies gilt insbesondere für die Technik „exit consents“, eine der wichtigsten Restrukturierungstechniken im Anleiherecht. Für die Praxis reicht heutzutage die bloße Möglichkeit, Anleihebedingungen zu ändern, nicht aus. Der Restrukturierungsvorgang wird durch zusätzliche Komponenten wie Anleihe­ umtausch und Zahlung von Prämien verkompliziert. In England ist diese Technik faktisch tabu. Im US-amerikanischen Recht ist die Rechtslage noch nicht abschließend geklärt: Während die Gerichte die Technik wegen ihrer Zwangselemente nicht beanstanden, kann ihre Anwendung für Unsicherheit sorgen, weil der Geltungsbereich der unglücklich formulierten Vorschrift des § 316 (b) TIA noch nicht bestimmt ist und nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Technik gegen State law verstößt. Über die rechtliche Zulässigkeit der Technik „exit consents“ nach deutschem Recht wird heutzutage kaum diskutiert. Angesichts des Restrukturierungspotenzials und des Umstandes, wie viel Aufmerksamkeit die Frage nach der Zulässigkeit dieser Technik nach der letzten Rechtsprechung im angloamerikanischen Raum auf sich gezogen hat, scheint es notwendig zu sein, die Technik auf die Möglichkeit einer Kollision mit deutschem Recht zu untersuchen. Die durchgeführte Untersuchung hat gezeigt, dass ihre Anwendung nicht gegen das Gesetz verstößt. Obwohl die Technik Zwangselemente enthält, ist kein Verstoß gegen das SchVG, das BGB oder allgemeine kapitalmarktrechtliche Vorschriften ersichtlich. Es liegt keine Ungleichbehandlung der Anleihegläubiger vor. Ein unzulässiger Stimmenkauf scheidet ebenfalls aus. Nicht begründet ist auch das Argument, dass die Mehrheit der Anleihegläubiger verbandsrechtliche oder ähnliche Rücksichtnahmepflichten zu Lasten der Minderheit verletzt, da allein das Mehrheitsprinzip noch keine ausreichende Grundlage für die Existenz solcher Pflichten liefert. Anleihegläubiger bilden keine rechtliche Gemeinschaft; sie sind lediglich wirtschaftlich verbunden. Auch seitens des Emittenten ist kein Missbrauch ersichtlich, weil er lediglich die Bedingungen des Angebots zur Änderung der Anleihebedingungen bestimmt, das die Anleihegläubiger, finden sie dieses Angebot

192 Kap. 2: Problem der Vormachtstellung des angloamerikanischen Rechts

unfair, jederzeit ablehnen können. Es liegt kein Fall einer unzulässigen Nötigung vor, weil „[c]oercion is not offering someone two alternatives, one of them unpleasant“282. Das zeigt, dass exit consents für Anleihen unter Geltung des deutschen Rechts eingesetzt werden können. Im Vergleich zum angloamerikanischen Recht scheint das deutsche Recht in der Lage zu sein, ein Regelungsmodell für Bondholder Governance bei der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung anzubieten, das auch den Bedürfnissen der Praxis entspricht.

282  Herrmann,

66 Rutgers L. Rev. 775, 780 f. (2014).

Kapitel 3

Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters Das Regelungsmodell des SchVG 2009 sieht als Hauptelement der Bondholder Governance die Möglichkeit der Fassung von Mehrheitsbeschlüssen mit bindender Wirkung für alle vor. Mehrheitsentscheidungen, soweit die Anleihebedingungen sie vorsehen (§ 5 Abs. 1 S. 1 SchVG), müssen nach der Idee des Gesetzgebers helfen, die Willensbildung der Anleihegläubiger bei der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung zu zentralisieren und mög­ liche, negativ wirkende hold-out-Effekte, die zu einer individuell irrationalen Handlung führen, auf null zu reduzieren. Anleihegläubiger genießen nach dem SchVG eine weitreichende Autonomie, die, soweit der Grundsatz der kollektiven Bindung und Fungibilität der Schuldverschreibungen gewahrt bleibt, ihnen ermöglicht, eine umfassende Anleiherestrukturierung mit Zustimmung des Emittenten durchzuführen. Es besteht sogar die Möglichkeit, über die bloße Änderung der Bedingungen der notleidenden Anleihe als „Mindestprogramm“ hinauszugehen und kompliziertere Restrukturierungsmodelle, die zum Teil außerhalb des Anwendungsbereichs des SchVG liegen, zu nutzen, was heutzutage insbesondere für die Praxis sehr wichtig ist. Die Autonomie und Flexibilität der Anleihegläubiger werden aber nicht nur durch Mehrheitsbeschlüsse ermöglicht. Als zusätzliches „Mittel“ der Zentralisierung des Willens der Gesamtheit der Anleihegläubiger sieht das SchVG die Figur des gemeinsamen Vertreters vor: Anleihegläubiger können – als Alternative zu eigenem Handeln – einen Vertreter beauftragen und ihre Rechte in Bezug auf die Restrukturierung an ihn delegieren.1 Die Idee besteht darin, die große, anonyme Masse der Anleihegläubiger auf eine Person, den gemeinsamen Vertreter, zu „reduzieren“ und so den Restrukturierungprozess und die Verhandlungen mit dem Emittenten zu vereinfachen. Vom gemeinsamen Vertreter wird erwartet, dass er als Agent der Anleihegläubiger auftritt, „deren Rechte er gebündelt, rascher, sachverständiger und effizienter geltend machen kann als diese selbst“.2 In diesem Kapitel soll untersucht werden, inwieweit das SchVG die effektive Repräsentation der Anleihegläubiger zum Zwecke der Lösung des Koor1  Zur ergänzenden Funktion siehe auch Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 212; DAV, Stellungnahme zum RefE Nr. 41/2008, S. 6. 2  Hopt, in: FS Schwark, S. 441 (448).

194

Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

dinationsproblems tatsächlich ermöglicht. Am Anfang wird die Rolle des Vertreters verdeutlicht und werden die wichtigsten Funktionen genannt, die seine Einsetzung – zunächst rein theoretisch gesehen – rechtfertigen. Sodann wird gezeigt, wie die Figur des gemeinsamen Vertreters im deutschen Recht nach dem SchVG geregelt ist und insbesondere welche Vorgaben in der internationalen Anleihepraxis – nach US-amerikanischem und englischem ­ Recht – für das vergleichbare Rechtsinstitut des trustee gelten. Am Ende wird das Regelungsmodell des SchVG insgesamt bewertet und werden dessen Vor- und Nachteile (auch im Vergleich zu den Standards der angloamerikanischen Rechtsordnung) genannt. Die Ergebnisse der Untersuchung helfen, die Frage zu beantworten, ob eine Diskrepanz zwischen dem Idealbild des Gläubigervertreters in der Theorie und seiner Stellung nach dem Gesetz sowie in der Praxis besteht, wie dies nicht selten behauptet wird.

§ 6 Vorüberlegung zu der Funktion des gemeinsamen Vertreters A. Koordination von Gläubigerwillen und -rechten Bei der Einschaltung des gemeinsamen Vertreters wird in erster Linie erwartet, dass er den Anleihegläubigern hilft, sich zu koordinieren. Er muss die Anleihegläubiger in die Lage versetzen, einen einheitlichen Willen zu bilden bzw. wie eine Einheit aufzutreten, um der Gefahr der Tyrannei der Minderheit effektiv gegenüberzutreten und mögliche Anreize für das hold-out-Verhalten auszuschließen. Wie bereits erwähnt, steht der Emittent einer großen, anonymen Masse der Anleihegläubiger gegenüber, die nicht nur rechtlich nicht miteinander verbunden sind, sondern auch an erheblichen Defiziten leiden, sich bei der Gefährdung der gemeinsamen Interessen selbständig zu organisieren.3 Wird dagegen ein Vertreter dieser an sich nicht organisierten Gesamtheit der Anleihegläubiger bestellt und mit entsprechenden Befugnissen hinsichtlich der Änderung der Anleihebedingungen ausgestattet, werden sie gleichsam zu einer einzigen Person. Sowohl für die Anleihegläubiger als auch für den Emittenten entsteht die Möglichkeit, die Kommunikation und den ganzen Verhandlungsprozess wie in einer klassischen Zwei-Parteien-Situation zu führen, was wiederum hilft, den Restrukturierungsvorgang erheblich zu erleichtern.4 3  Vgl. bereits Regierungsbegründung zum SchVG 1899 v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 907. 4  Vgl. auch Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, Rn. 16-003.



§ 6 Vorüberlegung zu der Funktion des gemeinsamen Vertreters 195

Die Willenserklärung des gemeinsamen Vertreters ersetzt diejenige jedes einzelnen Anleihegläubigers; die Notwendigkeit der Fassung von Mehrheitsbeschlüssen entfällt dadurch.

B. Neutralisierung von „grab and run“-Instinkten Die Koordination bzw. Zentralisierung der Rechte durch den gemeinsamen Vertreter kann außerdem helfen, die sog. „grab and run“-Instinkte5 einzelner Anleihegläubiger zu neutralisieren. Der Vertreter kann mit einer sog. verdrängenden Vollmacht ausgestattet werden, die die individuelle Rechtsverfolgung durch Einzelgläubiger ausschließt.6 Dies ist relevant vor allem bei der Kündigung der notleidenden Anleihe. Dem Vertreter kann die Befugnis eingeräumt werden, die Rechte der Anleihegläubiger zu kumulieren und die Kündigung mit Wirkung für alle Anleihegläubiger, also eine Gesamtkündigung, auszusprechen. Durch diese Art der Kumulation und Zentralisierung der Rechte wird nicht nur die Gefahr der Aufsplitterung von Klagen vermieden.7 Es wird auch der Schutz vor einer übereilten Geltendmachung der Rechte seitens der Einzelgläubiger ermöglicht, die zu lawinenartigen Kündigungen seitens der übrigen Anleihegläubiger und im Endergebnis zu einem „race to the courthouse door“-Effekt führen kann.8 Diese Blockademöglichkeit durch den gemeinsamen Vertreter ist notwendig, um zu vermeiden, dass der Emittent verfrüht in die Insolvenz getrieben wird.9

5  Buchheit/Gulati,

51 Emory L.J. 1317, 1321 (2002). auch Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20; Hutter, in: Habersack/ Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, § 18 Rn. 64. 7  Vogel, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S.  94 (118); vgl. auch Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 63; Notes (o.V.), 62 Yale L.J. 1097, 1098 f. (1953); Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, Rn. 16-002. 8  Zum Begriff siehe Roe, Three Ages of Bankruptcy, S. 4, abrufbar unter: https:// papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2871625; Häseler, MPRA Paper No. 35332, S. 2, 5, abrufbar unter: https://mpra.ub.uni-muenchen.de/35332/; vgl. auch Vogel, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 94 (118); Schmolke, ZBB 2009, 11 (16); Burn, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (230); Notes (o. V.), 62 Yale L.J. 1097, 1098 (1953); Buchheit, 26 IFLR 21 (April 2007). 9  Vgl. Reuß, „Forum Shopping“ in der Insolvenz, S. 67; Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, Rn. 16-003. 6  Vgl.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

C. Informationsintermediär Die Aufgabe des gemeinsamen Vertreters besteht schließlich nicht nur darin, die rechtlich unverbundene Gesamtheit der Anleihegläubiger als Einheit bzw. wie einen Verband zu organisieren, sondern sie auch mit erforderlichen Informationen auszustatten, sie also im Vorfeld der Handlung im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zunächst überhaupt entscheidungsfähig zu machen.10 Denn die effektive Geltendmachung der Rechte, die in den Händen des gemeinsamen Vertreters durch Beschluss der Anleihegläubiger zentralisiert werden können, setzt zunächst voraus, dass die Anleihegläubiger ausreichend und zeitnah über die bestehenden Restrukturierungmöglichkeiten informiert sind. Der Vertreter kann und muss somit auch als Informationsintermediär eingesetzt werden. Von ihm wird erwartet, dass er relevante Finanzdaten und Informationen betreffend die Leistungsfähigkeit des Emittenten und die Anleihe sammelt und bewertet und sie an die Anleihegläubiger weiterleitet, damit diese sich die Risiken, die mit der Anleiherestrukturierung verbunden sind, besser einschätzen und für die Zukunft prognostizieren können.11 Damit sorgt der gemeinsame Vertreter dafür, dass alle im Vorfeld der Versammlung einen möglichst gleichen Informationsstand genießen und sich somit in einem transparenten Verfahren beteiligen. In erster Linie hilft die Informa­ tionsbeschaffung durch den gemeinsamen Vertreter den Retail-Investoren, die während des Restrukturierungsvorgangs meistens an Informationsimparität leiden.

D. Transaktionskostensenkung Schließlich trägt die Einführung der Figur des gemeinsamen Vertreters der Senkung der Transaktionskosten bei.12 Der gemeinsame Vertreter erfüllt 10  Siehe auch Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 14 („Insbesondere zur Beschaffung von Informationen und zur Vorbereitung einer Entscheidung können die Gläubiger mit Mehrheit einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestimmen.“); vgl. auch Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, Rn. 16-002 („A trustee is more likely to become aware of an impending default earlier than individual bondholders.“); Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 1; Buchheit, 26 IFLR 21 (April 2007). 11  Siehe auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 18 („Die Anleihegläubiger benötigen verlässliche Informationen über die wirtschaftliche Lage des Emittenten. Der Emittent benötigt eine Person, die die von ihm geplanten Maßnahmen effektiv und mit Sachverstand an die Gläubiger kommuniziert.“). 12  Ausführlich zu Transaktionskosten bei einer Anleiherestrukturierung siehe Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 39 ff.



§ 7 Gestaltung des Instituts des gemeinsamen Vertreters nach dem SchVG 197

somit auch eine ökonomische Funktion.13 Er bündelt in seiner Person die Aufgaben der kontinuierlichen Informationsbeschaffung und -auswertung hinsichtlich der bestehenden Restrukturierungsmöglichkeiten und entlastet in gewisser Weise die Einzelgläubiger von entsprechenden Kosten, die überproportional hoch zu ihrem individuellen Nutzen sein können. Da der gemeinsame Vertreter als Äquivalent der Gesamtheit der Anleihegläubiger handelt, macht seine Einschaltung außerdem die Einberufung von Gläubigerversammlungen entbehrlich, was zu einer Kostensenkung auch zu Gunsten des Emittenten, insbesondere in zeitlicher Hinsicht, führt.

§ 7 Gestaltung des Instituts des gemeinsamen Vertreters nach dem SchVG Ist der gemeinsame Vertreter in der Lage, die genannten Funktionen zu erfüllen, kann er den Restrukturierungsvorgang erheblich vereinfachen und beschleunigen.14 Von seiner Einsetzung müssen alle Seiten gewinnen. Der Emittent erlangt einen kompetenten Ansprechpartner in einer Person, über die man nun alle erforderlichen Informationen kumulieren kann. Mit diesem Ansprechpartner kann man außerdem über die Restrukturierung wie im Rahmen einer klassischen Verhandlungssituation entscheiden. Es müssen davon auch die Anleihegläubiger profitieren, die nun wie „eine[ ] Stimme“15 sprechen können, ohne der Gefahr der übereilten Rechtsverfolgung seitens der einzelnen Gläubiger oder sogar der Missbrauchsgefahr seitens der holdouts ausgesetzt zu sein. Insofern überschneidet sich die Einsetzung des gemeinsamen Vertreters mit der Geltung des Mehrheitsprinzips.16 Dies gilt zunächst in der Theorie. Was sagt aber zu der Rolle und der Funktion des gemeinsamen Vertreters das SchVG 2009? Das Gesetz enthält keine klare Aussage. Es widmet aber mehrere Vorschriften dem Institut des gemeinsamen Vertreters, die in ihrer Gesamtheit helfen können, zu demons­ trieren, inwieweit der Gläubigerrepräsentant auch in der Praxis auf Grundlage des Gesetzes effektiv eingesetzt werden kann. Diese Vorschriften werden im Weiteren identifiziert und näher analysiert.

13  Vgl.

Schmolke, ZBB 2009, 8 (11).

14  Vgl. auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-

Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 1. 15  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18; Nesselrodt, in: Preuße, SchVG, Vor §§ 7, 8, Rn. 11; Hutter, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, § 18 Rn. 64. 16  Vgl. Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 1.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

A. Bestellung des gemeinsamen Vertreters Im SchVG 2009 sind zwei Modelle geregelt: Der gemeinsame Vertreter kann entweder durch den Emittenten bereits bei der Ausgabe der Schuldverschreibungen bestellt werden, der sog. Vertragsvertreter (§ 8 SchVG; exante-Bestellung), oder die Bestellung erfolgt nachträglich durch die Anleihegläubiger im Wege eines Mehrheitsbeschlusses (ex-post-Bestellung). Im letzten Fall spricht man von einem Wahlvertreter (§ 7 SchVG). I. Wahlvertreter-Modell § 5 Abs. 1 S. 1 SchVG sieht folgende Regelung vor: „Die Anleihebedingungen können vorsehen, dass die Gläubiger derselben Anleihe … durch Mehrheitsbeschluss Änderungen der Anleihebedingungen zustimmen und zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen können“. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass die Möglichkeit der Bestellung eines Wahlvertreters trotz seiner großen funktionalen Bedeutung nicht bereits ipso jure besteht. Der Wahlvertreter kann nur dann eingesetzt werden, wenn die Anleihebedingungen diese Option für die Anleihegläubiger vorsehen. Die Anleihegläubiger müssen somit zur Bestellung ihres Vertreters vom Emittenten ermächtigt werden. Andererseits darf diese Beschränkung nicht in dem Sinne verstanden werden, dass der Emittent die Bestellung eines Wahlvertreters verbieten darf, wenn er gleichzeitig eine Änderung der Bedingungen durch Mehrheitsbeschluss zulässt. Der Opt-in kann nur einheitlich sowohl hinsichtlich der Vertretung als auch in Bezug auf die Änderung der Anleihebedingungen erfolgen.17 Sehen die Bedingungen Mehrheitsklauseln vor, schließen sie aber die Bestellung eines Vertreters aus oder schweigen dazu, sind die Anleihe17  Siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18 („Der Gläubigermehrheit stehen zwei Befugnisse zu. Sie kann zum einen Änderungen der Anleihebedingungen zustimmen … Sie … [kann] zum anderen zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter bestellen.“); vgl. auch Horn, BKR 2009, 447 (452); Cagalj, Restrukturierungen von Anleihen, S. 293 f. Es muss auch beachtet werden, dass der Ausschluss der Befugnisse der Anleihegläubiger kraft Gesetzes nur aus dem Grund erfolgte, um dem Emittenten die Möglichkeit zu geben, Anleihen, insbesondere kurzfristige, ohne Änderungsmöglichkeiten zu begeben (Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18). Die Bestellung eines Wahlvertreters würde diesem Zweck, wenn die Änderung der Bedingungen vom Emittenten ohnehin zugelassen ist, nicht entgegenstehen. A. A. Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 5 Rz. 10; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 74, § 7 Rn. 10; wohl auch Hutter, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, § 18 Rn. 64.



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gläubiger ermächtigt, einen Wahlvertreter zu beauftragen und die Rechte an ihn zu delegieren. Das SchVG regelt nicht, welche Mehrheitserfordernisse bei der Bestellung des Wahlvertreters gelten. Dies hängt von der Art der Befugnisse ab, die die Anleihegläubiger auf ihren Vertreter übertragen möchten. Soll der Wahlvertreter zur Änderung der wesentlichen Bedingungen ermächtigt werden, bedarf es zu seiner Bestellung einer mit qualifizierter Mehrheit erteilten Zustimmung der Anleihegläubiger. Ansonsten reicht für den Bestellungsbeschluss die einfache Mehrheit der Stimmen aus.18 Was die Abberufungsmöglichkeit betrifft, gelten für die Anleihegläubiger keine Beschränkungen: Sie können den Wahlvertreter im Wege eines Mehrheitsbeschlusses jederzeit und ohne Angabe von Gründen abberufen (§ 7 Abs. 4 SchVG). Bei der Fassung des Beschlusses müssen sie lediglich die Mehrheitserfordernisse einhalten, die auch für die Bestellung gelten. Die Mehrheitserfordernisse für die Abberufung des Wahlvertreters entsprechen also denjenigen für seine Bestellung.19 Im Prinzip keinen Beschränkungen unterliegen die Anleihegläubiger auch bei der Auswahl der Person des Wahlvertreters, denn – wie § 7 Abs. 1 S. 1 SchVG regelt – als gemeinsamer Vertreter kann jede geschäftsfähige Person oder sachkundige juristische Person auftreten. Zum Erfordernis der Sachkunde findet man im Gesetz keine weiteren Ausführungen. Lediglich in der Regierungsbegründung zum Gesetzesentwurf wird darauf hingewiesen, dass die in § 7 SchVG geforderte Sachkunde insbesondere bei Wirtschaftsprüfungs- und Rechtsanwaltsgesellschaften angenommen werden könne.20 Der Gesetzgeber geht somit von der Fähigkeit des Wahlvertreters aus, die rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge selbständig zu verstehen und sachgerecht zu beurteilen sowie Probleme, soweit solche auftreten, eigenverantwortlich und effektiv zu beseitigen. Der Vertreter muss, mit andern Worten, die Fähigkeit besitzen, ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung im ­Interesse der Anleihegläubiger sicherzustellen.21 Fehlt diese Fähigkeit dem Wahlvertreter bzw. ist die Person nicht geschäftsfähig zum Zeitpunkt der Bestellung, d. h. zum Zeitpunkt der Beschlussfassung, ist der Beschluss wegen Verletzung des Gesetzes anfechtbar (§ 20 Abs. 1 S. 1 SchVG).22 18  Vgl.

dazu Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. 20  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 19. 21  Vgl. Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 6; Thole, in: Hopt/ Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 6. 22  So auch Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§  7, 8 Rn. 8; Bliesener/ Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 16; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 299. Da bei der Bestellung des 19  Vgl.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

Eine besondere Regelung enthält das Gesetz zu möglichen Interessenkonflikten. Sollte als Wahlvertreter eine Person aus dem Kreis der Angestellten oder des Managements des Emittenten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens stammen (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SchVG), ist der Kandidat am Stamm- oder Grundkapital des Emittenten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens mit mindestens 20 % beteiligt (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SchVG), ist er ihr Finanzgläubiger in Höhe von mindestens 20 % der ausstehenden Anleihe oder ist er Angestellter bzw. gehört er zum Management dieses Finanzgläubigers (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SchVG), wird unwiderleglich ein ­ ­Interessenkonflikt vermutet. Ein solcher Konflikt wird auch auf Grund einer persönlichen Beziehung zu den genannten Personen angenommen, wenn der Kandidat unter deren bestimmendem Einfluss steht (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SchVG). In allen diesen Szenarien sieht das Gesetz allerdings keine Hindernisse für eine Bestellung. Obwohl der Wahlvertreter eher dem „Lager“ des Emittenten zuzuordnen ist, begegnet das SchVG dem möglichen Interessenkonflikt lediglich mit der Pflicht des vorgeschlagenen Vertreters zur Offenlegung aller dieser Umstände vor seiner Bestellung (§ 7 Abs. 1 S. 2 SchVG), also vor der tatsächlichen Fassung des Mehrheitsbeschlusses. Eine Zuwiderhandlung gegen die Offenlegungspflicht führt zur Anfechtbarkeit des Bestellungsbeschlusses23 und stellt als solche eine Ordnungswidrigkeit gem. § 23 Abs. 2 SchVG dar, die mit Geldbuße bedroht wird. Falls nach einer ordnungsgemäßen Offenlegung aller erheblichen Umstände die Anleihegläubiger sich dennoch dafür entscheiden, den Kandidaten mit dem Amt des Wahlvertreters zur Wahrnehmung ihrer Rechte zu betrauen, befreit die Bestellung den gewählten Vertreter nicht von der Pflicht, zukünftig ausschließlich im Inte­ resse der Gläubiger zu handeln.24 Es kann auch sein, dass die Umstände, die zu Interessenkonflikten führen, erst nachträglich, also nach der Fassung des Bestellungsbeschlusses, eintreten. Für diesen Fall sieht das Gesetz eine Pflicht des Wahlvertreters zu einer unverzüglichen Unterrichtung der Anleihegläubiger (§ 7 Abs. 1 S. 3 SchVG) vor, damit diese von ihrem Recht zu jederzeitiger Abberufung des Vertreters auf sachlicher Grundlage Gebrauch machen können.25 Eine Verletzung der Unterrichtungspflichten bedingt nicht die Anfechtbarkeit des BestellungsbeVertreters die Anleihebedingungen nicht geändert werden, bedarf der Bestellungs­ beschluss weder einer Zustimmung des Emittenten, noch einer Vollziehung i. S. d. § 21 Abs. 1 SchVG, so auch Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 21; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rn. 74, § 7 Rn. 9, 11. 23  Zur Anfechtbarkeit soweit ersichtlich nur Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 17 und Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 299 f. 24  So auch Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 20. 25  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 19.



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schlusses. Ebenso wenig wird das Verschweigen des Konfliktfalls als Ordnungswidrigkeit bedroht.26 Es führt aber zu einer Verletzung von Aufklärungspflichten aus dem vertraglichen Verhältnis (Geschäftsbesorgungsvertrag27), was den Anleihegläubigern das Recht gibt, Schadensersatzansprüche gegen den Wahlvertreter geltend zu machen sowie, wie bereits erwähnt, ihn sofort aus seinem Amt abzuberufen. II. Vertragsvertreter-Modell Neben dem Wahlvertreter kann zur Wahrnehmung von Interessen der Anleihegläubiger nach § 8 Abs. 1 S. 1 SchVG auch ein sog. Vertragsvertreter bestellt werden. Im Unterschied zum Wahlvertreter wird er nicht im Wege eines Mehrheitsbeschlusses der Anleihegläubiger, sondern bereits in den Anleihebedingungen, d. h. auf Betreiben des Emittenten, bestellt. Auf die Auswahl der Person des Vertragsvertreters haben die Anleihegläubiger somit keinen Einfluss.28 Der Gesetzgeber hält die Einführung dieser Figur für sinnvoll, damit die Anleihegläubiger, wenn sie sich noch keinen kompetenten Wahlvertreter ausgesucht haben, dennoch mit der Möglichkeit der Stärkung der Handlungsfähigkeit ihres Kollektivs durch einen Repräsentanten versorgt werden.29 Dieser vom Emittenten „aufgezwungene“ Repräsentant kann von Anfang an in den Prozess der Kumulation erforderlicher Information eingeschaltet wer26  Obwohl § 23 Abs. 2 SchVG die Alternative „nicht rechtzeitig“ enthält, wird der Fall eines nachträglichen Eintritts der maßgeblichen Umstände von dieser Vorschrift nicht erfasst. § 23 Abs. 2 SchVG verweist ausdrücklich nur auf § 7 Abs. 1 S. 2 SchVG, nicht dagegen auf § 7 Abs. 1 S. 3 SchVG, siehe Veranneman, in: Veran­ neman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 19; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 300; ­Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 25. Die Vorschrift spricht außerdem von einer „Offenlegung“ (wie im S. 2) und nicht von einer „Unterrichtung“ (wie im S. 3). Wegen des Bestimmtheitsgebots scheidet die Möglichkeit aus, die Vorschrift entsprechend anzuwenden. Obwohl die Regierungsbegründung abstrakt von einer Verletzung der Offenbarungspflichten spricht und auf den ganzen Absatz 1 des § 7 verweist (Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26, „Absatz 2 regelt die Folgen bei Verletzung der Offenbarungspflicht in § 7 Absatz 1.“), kann vermutet werden, dass die Verweisung auf einem Redaktionsversehen beruht, dazu auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 25 Fn. 43; Nesselrodt, in: Preuße, SchVG, § 7 Rn. 36. 27  Dazu siehe nachtehend unter Kapitel 3 § 7 E. 28  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20 f.; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 8 Rz. 1; Schlitt/Schäfer, CFl 2009, 477 (484). 29  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 8 Rn. 1.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

den oder zumindest die Aufgabe der Organisation der Gläubigerversammlung übernehmen und damit zur Beschleunigung des Restrukturierungsvorgangs beitragen.30 Der Vertragsvertreter handelt, bis er durch Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger abberufen bzw. durch einen Wahlvertreter ersetzt wird. Der Abberufungsbeschluss kann dabei jederzeit und ohne Angabe von Gründen gefasst werden (§§ 8 Abs. 4, 7 Abs. 4 SchVG). Dem Vertragsvertreter wird insofern eher die Rolle eines vorläufigen Vertreters der Gläubiger zugeschrieben.31 Was die Auswahlkriterien betrifft, muss der Vertragsvertreter den allgemeinen Anforderungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SchVG entsprechen32 sowie die zusätzlichen Beschränkungen einhalten. § 8 Abs. 1 S. 2 SchVG verbietet die Bestellung eines Vertragsvertreters, wenn der Kandidat für das Amt des Vertragsvertreters zum Management gehört oder Angestellter oder sonstiger Mitarbeiter des Emittenten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens ist. Eine solche Bestellung ist nach § 8 Abs. 1 S. 3 SchVG nichtig, und zwar mit Wirkung ex tunc.33 Der relevante Zeitpunkt für die Beurteilung, ob ein Bestellungshindernis überhaupt vorliegt, ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Bestellung. Dies ist nicht der formale Vorgang der Bestellung, sondern der Zeitpunkt des (Erst-)Erwerbs der Schuldverschreibungen durch die Anleihegläubiger.34 Denn bereits zu diesem Zeitpunkt entstehen verbriefte Forderungen gegen den Emittenten; gleichzeitig treten die Anleihebedingungen in Kraft, auf deren Grundlage der Vertragsvertreter für die Anleihegläubiger bestellt wird. Treten die genannten Umstände, die zu einem Interessenkonflikt führen, nachträglich ein, ist die Bestellung ebenfalls nichtig (§ 8 Abs. 1 S. 4 SchVG).35 Die Nichtigkeitsfolge tritt allerdings nur mit ex-nunc-Wirkung ein.36 Beim Vorliegen der Bestellungshindernisse i. S. d. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2–4 SchVG, nämlich bei der Beteiligung der Vertragsvertreters am Grund- und Stammkapital des Emittenten oder eines mit ihm verbundenen Unterneh30  Vgl.

Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 21. 32  Dies ist zwar nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt. Es ist allerdings kein Grund dafür ersichtlich, die Anforderungen an die Person des Wahlvertreters strenger zu regeln als diejenigen an die Person des Vertragsvertreters, vgl. auch Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 31. 33  Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 30. 34  Vgl. Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 30. 35  Aus einem Redaktionsversehen verweist § 8 Abs. 1 S. 4 SchVG nicht auf S. 2, sondern auf S. 1, dazu auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 8 Rn. 10 Fn. 9. 36  Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 30. 31  Vgl.



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mens, bei Finanzgläubigereigenschaft oder bei persönlicher Nähe mit bestimmendem Einfluss, geht der Gesetzgeber genauso wie im Fall der Bestellung eines Wahlvertreters vor: Man begegnet dem Interessenkonflikt mit Offenlegungs- und Unterrichtungspflichten. Bei anfänglichen Bestellungshindernissen trifft die Informationspflicht den Emittenten (Offenlegung in den Anleihebedingungen, § 8 Abs. 1 S. 5 SchVG), bei deren Eintritt nach der Bestellung – den Vertragsvertreter (§ 8 Abs. 1 S. 6 SchVG). Das Gesetz sieht keine Nichtigkeitsfolge bei einer Zuwiderhandlung gegen diese Pflichten vor. Dieses Verhalten ist außerdem nicht bußgeldbewehrt. Die Bestellung bleibt somit wirksam und berechtigt die Anleihegläubiger lediglich zur Abberufung des Vertragsvertreters und zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen.37

B. Aufgaben des gemeinsamen Vertreters Gem. §§ 7 Abs. 2 S. 1, 8 Abs. 4 SchVG hat der gemeinsame Vertreter die Aufgaben und Befugnisse, die ihm durch Gesetz und Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger eingeräumt sind. Zur Erfüllung der Repräsentationsfunktion geht der Gesetzgeber zum einen von der Notwendigkeit aus, den Vertreter mit (Mindest-)Rechten und -pflichten auszustatten, die bereits kraft Gesetzes bestehen und weder beschränkt noch abbedungen werden können.38 Dazu gehören Aufgaben organisatorischen Charakters sowie die Aufgaben, die Kumulation der Information zu Gunsten der Anleihegläubiger zu erleichtern.39 Außerdem erlaubt der Gesetzgeber, auf den gemeinsamen Vertreter weitere Befugnisse zu übertragen, um ihn aktiv in den Verhandlungsprozess einzubeziehen. Der Erweiterung der Befugnisse müssen die Anleihegläubiger allerdings im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zustimmen. I. Aufgaben nach dem Gesetz 1. Einberufung und Leitung der Gläubigerversammlung Der gemeinsame Vertreter ist berechtigt, die Anleihegläubigerversammlung einzuberufen (§ 9 Abs. 1 S. 1 SchVG).40 Dieses Recht steht dem Vertre37  Denkbar sind Schadensersatzansprüche gegen den Emittenten nach §§ 9, 10 WpPG sowie gegen den Vertragsvertreter aus Geschäftsbesorgungsvertrag wegen Verletzung von Aufklärungspflichten, Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 36 f. 38  Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 46. 39  Außerdem ist der gemeinsame Vertreter allein berechtigt, die Rechte der Anleihegläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen, § 19 Abs. 3 SchVG. 40  Dieses Recht steht auch dem Emittenten sowie den Gläubigern zu, deren Schuldverschreibungen 5 % der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen (§ 9 Abs. 1 SchVG).

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

ter auch im Fall einer Abstimmung ohne physische Versammlung zu (§ 18 Abs. 1 SchVG). Ist der gemeinsame Vertreter der Einberufende, hat er die Versammlung bzw. Abstimmung auch zu leiten (§§ 15 Abs. 1, 18 Abs. 1 SchVG). 2. Informationsrechte gegen den Emittenten Als nächstes regelt das SchVG Informationsrechte des gemeinsamen Vertreters. Gem. §§ 7 Abs. 5, 8 Abs. 4 SchVG kann er vom Emittenten verlangen, alle Auskünfte zu erteilen, die zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben erforderlich sind. Das Informationsrecht steht nur dem gemeinsamen Vertreter zu, nicht dagegen den einzelnen Anleihegläubigern.41 Den Anleihegläubigern verbleibt ihr eigenes Auskunftsrecht nur in der Versammlung nach § 16 SchVG. Das zeigt, dass dem Vertreter mehr Rechte zustehen können als den einzelnen Gläubigern selbst.42 In der Praxis besteht somit für die Anleihegläubiger ein Anreiz, einen Repräsentanten möglichst früh zu bestellen, insbesondere wenn die Finanzlage des Schuldners unklar ist.43 Welche Informationen zu geben sind und wie weit das gesetzliche Informationsrecht des Vertreters gegen den Emittenten genau reicht, wird vom Gesetz nicht geregelt. Das SchVG bestimmt nur, dass der Emittent zur Erteilung der Auskunft verpflichtet ist, die zur Erfüllung der Aufgaben durch den Vertreter erforderlich ist. Obwohl das Merkmal der Erforderlichkeit weit ausgelegt wird44, betrachtet man das gesetzliche Informationsrecht nicht als grenzenlos. So ist der gemeinsame Vertreter nicht zur Teilnahme an Gesellschaftsversammlungen oder zur Einsichtnahme in die Bücher des Emittenten berechtigt. Damit soll insbesondere eine Annäherung der Anleihegläubiger als Fremdkapitalgeber an die Position der Ak-tionäre vermieden werden.45 Eine weitere allgemeine Grenze besteht bei der Kollision mit den berechtigten Interessen des Emittenten, nämlich wenn die Auskunftserteilung geeignet ist, dem Emittenten einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 AktG) oder zur Strafbarkeit des Vertreters des Emittenten zu führen (§ 131 Abs. 3 Nr. 5 AktG). Es scheint berechtigt zu sein, den Schutzgedanken des § 131 AktG bei einer Auskunftserteilung

41  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20; vgl. auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 38. 42  Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 56. 43  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20; Simon, CFl 2010, 159 (163). 44  Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 56. 45  Das SchVG 1899 sah dagegen noch solche Rechte der Anleihegläubiger in § 15 ausdrücklich vor. Vgl. auch Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 56.



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durch den Vorstand gegenüber den Aktionären auf die Anleihegläubiger zu übertragen.46 3. Berichtspflicht gegenüber den Anleihegläubigern Mit dem Informationsrecht des gemeinsamen Vertreters korrespondiert die Pflicht, über seine Tätigkeit den Anleihegläubigern zu berichten (§§ 7 Abs. 2 S. 4, 8 Abs. 4 SchVG).47 Diese gesetzlich angeordnete Berichtspflicht des gemeinsamen Vertreters besteht nicht gegenüber den Einzelgläubigern, sondern ausschließlich gegenüber der Gesamtheit der Anleihegläubiger.48 Im Innenverhältnis müssen sich die Anleihegläubiger insofern – trotz ihrer rechtlichen Unverbundenheit – als Gesamtheit behandeln lassen.49 Die Pflicht zum Bericht trifft den Vertreter auch ohne Aufforderung seitens der Anleihegläubiger.50 Der Bericht muss alle relevanten Informationen enthalten, damit die Gläubiger beurteilen können, ob ihre Interessen effektiv wahrgenommen werden, ob dem Vertreter bestimmte Weisungen zu erteilen sind bzw. ob und wie sie ihre Rechte betreffend die Anleihe durchsetzen. II. Übertragene Aufgaben Wie bereits erwähnt, besteht außerdem die Möglichkeit, auf den gemeinsamen Vertreter weitere Aufgaben und Befugnisse, also über das gesetzliche Maß hinaus, zu übertragen (§§ 7 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, 8 Abs. 4 SchVG). Dazu sind sowohl der Emittent (durch Festlegung in den Anleihebedingungen, z. B. bei der Einräumung zusätzlicher Informationsrechte) als auch die Anleihegläubiger (im Wege eines Mehrheitsbeschlusses) berechtigt.51 Im Fall der Ermächtigung durch die Anleihegläubiger erlangt der gemeinsame Vertreter keine originären Rechte; er leitet sie lediglich von der Anlei46  Vgl. Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 39; so auch Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 63. 47  Die Pflicht besteht neben der vertraglichen Auskunftspflicht nach § 666 BGB. Diese Pflichten sind ihrem Inhalt nach identisch, vgl. auch Begr. RegE SchVG, BTDrs. 16/12814, S. 20; Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 47. 48  Siehe auch Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. 49  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. 50  Vgl. Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 43. 51  Der Ermächtigungsbeschluss bedarf einer Vollziehung gem. § 21 Abs. 2 SchVG.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

hegläubigergesamtheit ab (Prinzip der abgeleiteten Befugnisse52). Die Anleihegläubiger können den gemeinsamen Vertreter z. B. zur Geltendmachung von Zahlungsansprüchen ermächtigen oder mit der Ausübung des Kündigungsrechts bei Leistungsstörungen beauftragen. Sie können die Vollmacht auch bloß auf das Führen von Verhandlung mit dem Emittenten beschränken. Ob der Vertreter zur Änderung der Anleihebedingungen ermächtigt werden kann, hängt davon ab, in welchem Umfang der Opt-in i. S. d. § 5 Abs. 1 S. 1 SchVG vom Emittenten zugelassen ist, inwieweit also die Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger (mit Zustimmung des Emittenten) geändert werden können. Sind die Anleihegläubiger dazu nicht ermächtigt, besteht keine Möglichkeit, den gemeinsamen Vertreter mit entsprechenden Befugnissen auszustatten. Sehen die Anleihebedingungen dagegen einen umfassenden Opt-in vor oder beschränken sie die Änderungskompetenz der Gläubigermehrheit auf bestimmte Maßnahmen, z. B. Verschiebung der Fälligkeit und Verringerung der Haupt- und Zinsforderung, können die Anleihegläubiger ihre Rechte im entsprechenden Umfang an den gemeinsamen Vertreter delegieren. Es steht den Anleihegläubigern frei zu entscheiden, welche von den ihnen selbst zustehenden Rechten übertragen werden: Sie können ihrem Vertreter eine Generalvollmacht erteilen oder ihn mit speziellen, auf bestimmte Situationen zugeschnittenen Befugnissen ausstatten.53 Dabei unterliegen die Anleihegläubiger bei der Bestimmung des Mandats keinen inhaltlichen Beschränkungen.54 Die einzige Beschränkung bei der Erteilung der Vollmacht gilt in dem Fall, dass bereits in den Anleihebedingungen ein Vertragsvertreter bestellt wird. Zum Schutz der Anleihegläubiger, die auf die Auswahl seiner Person keinen Einfluss haben, bestimmt § 8 Abs. 2 SchVG, dass der Vertragsvertreter zu einem Verzicht auf die Rechte der Gläubiger nur aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses ermächtigt werden darf. Eine Generalvollmacht kann durch Beschluss nicht erteilt werden; die Ermächtigung zu einem Verzicht auf Gläubigerrechte muss vielmehr ausdrücklich für jeden Einzelfall ausgesprochen werden.55 Ist der gemeinsame Vertreter aufgrund eines Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger bestellt und mit zusätzlichen Rechten ausgestattet, erlangt er ein sog. „verdrängendes Mandat“56: Die Ermächtigung des Vertreters zur Geltendmachung von Rechten der Gläubiger hat zur Folge, dass die Rechtszuständigkeit der einzelnen Gläubiger entfällt (§§ 7 Abs. 2 S. 3, 8 Abs. 2 S. 2, 52  Veranneman,

in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 60. in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 62. 54  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. 55  Vgl. Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 60; Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 21. 56  Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 63. 53  Veranneman,



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Abs. 4 SchVG). Eine Ausnahme ist nur für den Fall vorgesehen, dass der Ermächtigungsbeschluss die selbständige Geltendmachung der Rechte durch die Anleihegläubiger ausdrücklich zulässt. III. Weisungsgebundenheit Schließlich regelt das SchVG, dass der gemeinsame Vertreter an Weisungen der Anleihegläubiger gebunden ist (§§ 7 Abs. 2 S. 2, 8 Abs. 4 SchVG). Dabei entfaltet eine Bindungswirkung ausschließlich die Weisung der Gesamtheit der Anleihegläubiger, die im Wege eines Mehrheitsbeschlusses festgelegt wird. An die Weisung eines einzelnen Gläubigers ist der gemeinsame Vertreter nicht gebunden.57 Ist eine Weisung ordnungsgemäß erteilt, muss der Vertreter sie befolgen. Es besteht kein Recht zur Abweichung von der Weisung, selbst wenn der gemeinsame Vertreter davon ausgehen darf, dass die Anleihegläubiger bei Kenntnis der Sachlage die Abweichung billigen würden.58

C. Haftung des gemeinsamen Vertreters Der gemeinsame Vertreter haftet den Anleihegläubigern gem. §§ 7 Abs. 3 S. 1 Hs. 1, 8 Abs. 4 SchVG für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Auf­ gaben und der ihm erteilten Weisungen.59 Er hat dabei die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden (§§ 7 Abs. 3 S. 1 Hs. 2, 8 Abs. 4 SchVG). Der Sorgfaltsmaßstab wird an denjenigen der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft angelehnt (§ 93 Abs. 1 AktG).60 Aus Sicht des Gesetzgebers ist diese Anlehnung gerechtfertigt, selbst wenn der gemeinsame Vertreter nicht die Aufgaben eines Geschäftsleiters habe.61 Die Gesetzesmaterialien weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der gemeinsame Vertreter berechtigt sei, sich mit Hinweis auf § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu exkulpieren (sog. Business Judgment Rule62).63 Dies scheint angemessen zu sein, 57  Vgl.

Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. Abs. 2 S.2 SchVG ist lex specialis zu § 665 BGB, vgl. Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 66; Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. 59  Die Grundlage seiner Haftung ist § 280 Abs. 1 BGB, vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. 60  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. 61  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20; kritisch dazu Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 43; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 47. 62  § 93 Abs. 1 S. 2 AktG lautet: „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn ein Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise an58  § 7

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

solange der gemeinsame Vertreter nicht bloß die Weisungen der Anleihegläubiger umsetzt, an die er fest gebunden ist, sondern eine selbständige und eigenverantwortliche unternehmerische Entscheidung64 trifft, die einen weiten Beurteilungsspielraum besitzt, wie z. B. im Fall, dass an ihn die Befugnis delegiert wird, über konkrete Maßnahmen hinsichtlich der Restrukturierung der notleidenden Anleihe zusammen mit dem Emittenten zu entscheiden. Die Aufgabe des gemeinsamen Vertreters besteht dabei darin, die Vermögenslage des Emittenten sachgerecht zu beurteilen, mögliche rationale Restrukturierungsoptionen zu identifizieren und gegeneinander abzuwägen sowie im Endergebnis eine im Interesse der Anleihegläubiger optimale Entscheidung zu treffen. Seine Entscheidung wird in erster Linie auf einer Bewertung des wirtschaftlichen Umfelds sowie einer Prognose der Entwicklung der Verhältnisse in der Zukunft, mit anderen Worten auf einer Risikoanalyse beruhen. Diese Risikoanalyse ist mit unvermeidbaren Fehleinschätzungen verbunden, was eine Privilegierung durch die Business Judgment Rule an sich rechtfertigt. Der gemeinsame Vertreter muss die Möglichkeit haben, in einen „sicheren Hafen“65 zu gelangen, um eine Sanktion für unternehmerische Miss­ erfolge vermeiden zu können. Obwohl die Idee der Festlegung des „abgesenkten Sorgfaltsmaßstabs“ für den gemeinsamen Vertreter nachvollziehbar scheint, sieht man den Verweis auf die Exkulpationsmöglichkeit nur in den Gesetzesmaterialien.66 Im Genehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“. 63  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20 („Aber häufig wird die Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters eine unternehmerische Prognose über die zukünftige Entwicklung des Schuldners verlangen. Bei insofern nicht immer zu vermeidenden Fehleinschätzungen kann er sich ggf. unter Hinweis auf § 93 Absatz 1 Satz 2 AktG exkulpieren.“); so auch Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 69; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 313 f.; ähnlich Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 50; a. A. Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 43, 45. 64  Vgl. zu unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands im Aktienrecht die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BT-Drs. 15/5092 v. 14.03.2005 (im Folgenden „RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092“), S. 11 („Die unternehmerische Entscheidung steht im Gegensatz zur rechtlich gebundenen Entscheidung … [Sie ist] infolge ihrer Zukunftsbezogenheit durch Prognosen und nicht justiziable Einschätzungen geprägt. Dies unterscheidet sie von der Beachtung gesetzlicher, satzungsmäßiger oder anstellungsvertraglichen Pflichten ohne tatbestandlichen Beurteilungsspielraum.“); vgl. zur Diskussion über die Merkmale auch Ott, ZGR 2017, 149 ff.; Cahn, ILF Work­ing Paper Series, No. 144, S. 1 ff. (2015). 65  RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 66  Siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20 sowie die Stellungnahme des Bundesrates auf S. 31 und die Gegenäußerung der Bundesregierung auf S. 36;



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setzestext findet das Exkulpationsrecht keinen Niederschlag. Es handelt sich nicht um ein Redaktionsversehen, sondern um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers. Da es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, besteht keine Möglichkeit, die Vorschrift des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG auf den gemeinsamen Vertreter zumindest analog anzuwenden. Dasselbe Problem existiert in Bezug auf die Beweislastregelung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG67. Auch sie findet mangels einer planwidrigen Regelungslücke keine entsprechende Anwendung im Schuldverschreibungsrecht. Dafür besteht andererseits kein Bedürfnis, weil die Beweislastverteilung i. S. d. § 93 Abs. 2 S. 2 AktG bereits nach allgemeinen Regelungen und Grundsätzen besteht. Nach dem im Zivilprozess geltenden Günstigkeitsprinzip, nach dem jede Partei die Tatsachen vortragen und beweisen muss, die ihr günstig sind68, trifft den klagenden Anleihegläubiger die Beweislast für das Vorliegen einer Pflichtverletzung sowie den Eintritt eines kausalen Schadens; der gemeinsame Vertreter muss, um eine Haftung zu vermeiden, beweisen, dass er nicht schuldhaft handelte, weil sein Verschulden nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB (wiederlegbar) vermutet wird.69 Eine ausdrückliche Regelung enthält das SchVG dagegen zur Haftungsbegrenzung. Nach §§ 7 Abs. 3 S. 2, 8 Abs. 4 SchVG kann die Haftung des gemeinsamen Vertreters beschränkt werden.70 Erforderlich ist ein Beschluss der Anleihegläubiger, der mit der einfachen Mehrheit der Stimmen (§ 5 Abs. 4 S. 1 SchVG) gefasst wird. Für den Vertragsvertreter kann die Begrenzung der Haftung auch in den Anleihebedingungen erfolgen; zulässig ist eine Begrenzung auf das Zehnfache der jährlichen Vergütung. Diese Haftungsbegrenzung gilt nicht, wenn der Vertragsvertreter vorsätzlich oder grob fahrlässig handelte (§ 8 Abs. 3 SchVG).

vgl. auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 45. 67  Ist der Anspruchssteller in der Lage, darzulegen und zu beweisen, dass eine Pflichtverletzung seitens des Vorstands vorliegt, die zu einem kausalen Schaden geführt hat, trifft nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG den Vorstand die Beweislast dafür, dass er nicht schuldhaft handelte. 68  Vgl. Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO-Kommentar, Vorbem. § 284 Rn. 23. 69  Vgl. auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 46 f.; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 48; Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 70. 70  Obwohl das Gesetz nur die Möglichkeit erwähnt, die Haftung des gemeinsamen Vertreters zu beschränken, besteht auch die Möglichkeit, die Haftung ganz auszuschließen, vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. Insofern muss man aber die Grenze des § 276 Abs. 3 BGB beachten, die den Ausschluss der Haftung wegen Vorsatzes im Voraus verbietet, vgl. auch Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 71.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

Wollen die Anleihegläubiger den gemeinsamen Vertreter für sein fehlerhaftes Verhalten nicht von der Haftung befreien, sondern ihn im Gegenteil in Anspruch nehmen, müssen sie einen Beschluss über die Geltendmachung des Ersatzanspruchs fassen (§§ 7 Abs. 3 S. 3, 8 Abs. 4 SchVG). Der Beschluss bedarf, wie im Fall einer Haftungsbegrenzung, nur der einfachen Mehrheit der Stimmen (§ 5 Abs. 4 S. 1 SchVG).71

D. Kostentragung Obwohl der gemeinsame Vertreter zur Wahrnehmung der Interessen der Anleihegläubiger bestellt wird, bestimmen §§ 7 Abs. 6, 8 Abs. 4 SchVG, dass die durch die Bestellung entstehenden Kosten und Aufwendungen, einschließlich einer angemessenen Vergütung, der Emittent trägt. Die Anleihegläubiger sollen nach der Gesetzeslogik nicht mit diesen Kosten belastet werden, weil sie nicht über gemeinsame Mittel verfügen.72 Die Kostentragungspflicht trifft den Emittenten nicht nur für den auf sein Betreiben eingeschalteten Vertragsvertreter, sondern auch für den Wahlvertreter, der von den Anleihegläubigern beauftragt wird. Das SchVG sieht allerdings die Kostentragungspflicht nur für die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters vor. Mehrere gemeinsame Vertreter können von den Gläubigern demnach nicht auf Kosten des Emittenten ohne seine Zustimmung bestellt werden. Haben die Anleihegläubiger den gemeinsamen Vertreter abberufen, können sie einen neuen gemeinsamen Vertreter bestellen, dessen Kosten wiederum dem Emittenten zur Last fallen.73

E. Rechtsgeschäftliche Bestellung des gemeinsamen Vertreters Hinsichtlich der rechtlichen Stellung des gemeinsamen Vertreters besteht Einigkeit, dass er weder gesetzlicher noch organschaftlicher Vertreter ist. Er tritt ausschließlich in der Rolle eines rechtsgeschäftlich bestellten Vertreters 71  Diese Beschränkung stellt eine Abweichung von der Regelung des § 428 BGB dar, nach der Einzelgläubiger zur Geltendmachung des der Gläubigergesamtheit zustehenden Anspruchs berechtigt sind. Sie ist gerechtfertigt, weil die Gläubiger sich im Innenverhältnis gegenüber dem gemeinsamen Vertreter als Gesamtheit behandeln lassen müssen, vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. Bei der Beschlussfassung müssen die Anleihegläubiger festlegen, wer den Anspruch stellvertretend für alle einfordern soll, weil sie als Gesamtheit nicht prozessfähig sind, Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. 72  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. 73  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20.



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auf.74 Die Wirkung der Vertretung bestimmt sich nach §§ 164 ff. BGB. Überschreitet der gemeinsame Vertreter seine Befugnisse, handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Die von ihm vorgenommenen Rechtshandlungen sind schwebend unwirksam (§ 177 Abs. 1 BGB).75 Dies betrifft allerdings die rechtliche Stellung des gemeinsamen Vertreters im Außenverhältnis zu Dritten. Davon zu unterscheiden ist das Innenverhältnis, also das Rechtsverhältnis gegenüber dem Prinzipal bzw. den Prinzipalen. Die h. M. geht davon aus, dass diesem (Grund-)Verhältnis ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde liegt (§ 675 BGB). Wer allerdings in der Rolle des Prinzipals auftritt bzw. mit wem der gemeinsame Vertreter diesen Geschäftsbesorgungsvertrag abschließt, wird in der Fachliteratur unterschiedlich beurteilt. I. Konstruktion bei dem Vertragsvertreter-Modell Wird der gemeinsame Vertreter bereits in den Anleihebedingungen bestellt, wird ein Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen dem Emittenten und dem gemeinsamen Vertreter konstruiert.76 Dabei wird dieser Vertrag, da der gemeinsame Vertreter ausschließlich zu Gunsten der Anleihegläubiger zu handeln und ihre Interessen wahrzunehmen hat, als echter Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB) behandelt.77 Als Alternative wird vorgeschlagen, den Emittenten als Vertreter ohne Vertretungsmacht in Bezug auf den Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrags mit dem gemeinsamen Vertreter zu betrachten, dessen Handeln die Anleihegläubiger implizit mit dem Erwerb der Schuldverschreibungen genehmigen. In diesem Fall sei der Emittent nicht als Vertragspartner involviert; der Vertrag entstehe unmittelbar mit den Anleihegläubigern.78 Im Rahmen dieser Konstruktion könnten die Anleihegläubiger 74  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 14, 19 f.; Veranneman, in: Ve­ ranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 67; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 2; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 7; BGH, Beschl. v. 14.07.2016 − IX ZA 9/16, NZI 2016, 1014 (1015); zu der Stellung des gesetzlichen Vertreters siehe § 14 Abs. 4 S. 1 SchVG 1899, vgl. auch Ansmann, SchVG 1899, § 14 Rn. 9. 75  Vgl. Ansmann, SchVG 1899, § 14 Rn. 9; Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 67; Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 2; Vogel, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 94 (108). 76  Vgl. Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, Kap. 17, § 8 Rn. 4; Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 42. 77  Der Vertrag ist aufschiebend bedingt auf die Bevollmächtigung des Vertreters seitens der Anleihegläubiger, die mit dem Erwerb der Schuldverschreibungen erfolgt, Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 42. 78  Vgl. Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 43.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

nicht in ihrer Gesamtheit als Vertragspartei auftreten. Dies sei nicht möglich, weil die Anleihegläubigergesamtheit keine Rechtsfähigkeit besitze. Es entstünden mehrere Auftragsverhältnisse mit jedem einzelnen Anleihegläubiger.79 II. Konstruktion bei dem Wahlvertreter-Modell Erfolgt die Bestellung nicht in den Anleihebedingungen, sondern im Wege eines Mehrheitsbeschlusses der Anleihegläubiger, geht man ebenfalls von einem entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag aus, der zwischen dem gemeinsamen Vertreter und jedem einzelnen Anleihegläubiger besteht.80 Rechtstechnisch erfolge der Vertragsschluss mit den der Bestellung zustimmenden Gläubigern (Gläubigermehrheit) nach den allgemeinen Regeln durch Annahme des Angebots des Wahlvertreters (§§ 145 ff. BGB). Für die übrigen, d. h. an der Abstimmung nicht teilnehmenden oder opponierenden Gläubiger, müsse der abgeschlossene Vertrag in der Weise ausgelegt werden, dass sie jeweils eigene Leistungsforderungsrechte im Sinne eines echten Vertrags zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB) erlangten.81 Von der Existenz eines Geschäftsbesorgungsvertrags mit jedem einzelnen Gläubiger gehe, wie es im Schrifttum heißt, auch der Gesetzgeber aus. Die Regierungsbegründung zum Entwurf des SchVG spreche von „gleichlau­ tende[n] Auftragsverhältnisse[n]“ im Fall der Bestellung eines Wahlvertreters.82 Hinsichtlich des Vertragsvertreters enthalten die Gesetzesmaterialien zwar keine Ausführungen. Es wird aber darauf hingewiesen, dass dieselbe Vertragskonstruktion bestehe, weil die Regelung über die Kostenlast des Emittenten bei der Bestellung eines Vertragsvertreters (§§ 8 Abs. 4, 7 Abs. 6 SchVG) sonst überflüssig wäre, wenn der Emittent dazu bereits als Auftragsgeber aus eigenem Vertrag verpflichtet wäre.83

79  Vgl. Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 6. 80  Vgl. Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 26; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 5. 81  Vgl. Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 7. 82  Siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20; so Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 7 Rn. 6; kritisch dazu Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 26. 83  Vgl. Veranneman, in: Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rn. 44.



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III. Stellungnahme zu der Vertragspartei-Eigenschaft der Anleihegläubiger Die Idee, die Anleihegläubiger als jeweilige Vertragspartner zu betrachten, kann aber nicht überzeugen.84 Überzeugender scheint die Konstruktion, dass der entgeltliche Geschäftsbesorgungsvertrag mit dem Emittenten zustande kommt und der Vertrag als echter Vertrag zu Gunsten Dritter (der Anleihegläubiger) i. S. d. § 328 BGB ausgelegt wird, und zwar unabhängig davon, ob der gemeinsame Vertreter ex ante oder ex post bestellt wird. Zum einen scheint es in Hinsicht auf die Bestellung sowohl des Vertrags-, als auch des Wahlvertreters erforderlich, von der gleichen Vertragskonstruktion auszugehen. Denn auch der Gesetzgeber regelt beide Modelle des gemeinsamen Vertreters im Prinzip identisch. Der einzige Grund, warum der Vertragsvertreter in seinen Befugnissen ex ante kraft Gesetzes beschränkt ist und weniger milden Haftungsbegrenzungsmöglichkeiten unterstellt wird, beruht auf dem Gedanken, dass Anleihegläubiger vor einem möglichen Missbrauch seitens des auf das Betreiben des Emittenten bestellten Vertreters geschützt werden müssen. Sehen die Anleihegläubiger keine solche Gefahr, können sie seine Befugnisse erweitern und sogar zu der Änderung der Anleihebedingungen mit Bindungswirkung für alle ermächtigen. Wäre die Neutralität des Vertragsvertreters von Anfang an gesichert, würde der Gesetzgeber Beschränkungen solcher Art gar nicht vorsehen. Zum anderen muss man beachten, dass, wenn § 5 Abs. 1 S. 1 SchVG von dem Recht der Anleihegläubiger spricht, neben der Mitwirkung bei der Änderung der Anleihebedingungen auch „einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger [zu] bestellen“, das noch nicht heißt, dass sie selbständig ein neues Rechtsverhältnis, sei es nur im Innenverhältnis, eingehen dürfen. „Bestellen“ muss man lediglich als „bestimmen“ und nicht im Sinne eines Vertragsabschlusses verstehen. Denn ob überhaupt eine Bestellung erfolgt, hängt allein von der Entscheidung des Emittenten ab. Zwar dürfen die Rechte der An­ leihegläubiger in Bezug auf die Berufung des gemeinsamen Vertreters vom Emittenten nicht beschränkt oder abbedungen werden, dies gilt aber nur, wenn der Emittent einen Opt-in i. S. d. § 5 Abs. 1 S. 1 SchVG überhaupt vorgesehen hat. Das Berufungsrecht der Anleihegläubiger hängt somit direkt davon ab, ob der Emittent sie dazu ermächtigt hat. Grob gesagt entscheidet der Emittent über das „Ob“, die Anleihegläubiger nur über das „Wie“ (Konkretisierung der Kandidatur des gemeinsamen Vertreters, Bestimmung des Umfangs der Befugnisse etc.) der Bestellung bzw. Eingehung des rechtlichen Verhältnisses mit dem Repräsentanten. Der Emittent ist nicht bloß ein Drit84  Dazu kritisch auch (und soweit ersichtlich nur) Thole, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Rz. 26 ff.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

ter, dessen Zustimmung erforderlich ist. Er ist die Person, die der Gesamtheit der Anleihegläubiger neue, ihnen ansonsten (mangels Rechtsfähigkeit) gar nicht zustehende Rechte einräumt. Dies bestätigt auch die Gesetzesbegründung, die die Beschränkung des § 5 Abs. 1 S. 1 SchVG ausschließlich zum Schutz des Emittenten und nicht der Anleihegläubiger für notwendig erachtet: Der Emittent muss entscheiden, ob eine Restrukturierung der Anleihe überhaupt zulässig ist, mit anderen Worten, ob der bereits existierende Vertrag mit den Anleihegläubigern geändert werden darf. Erst recht darf er entscheiden, ob ein neues rechtsgeschäftliches Verhältnis eingegangen werden darf. Insofern muss man den Emittenten und nicht die Anleihegläubiger als Auftraggeber im juristischen Sinne betrachten. Selbst wenn der Emittent ex ante keinen Vertragsvertreter beauftragt, weil er dafür z. B. noch keine Notwendigkeit sieht, und die Bestellung nachträglich, also auf die Initiative der Anleihegläubiger erfolgt, ändert sich nichts an der Auftraggeber-Stellung der Emittenten. Der Emittent ist nicht so zu behandeln, als ob er auf sein Bestellungsrecht verzichtet und es auf die Anleihegläubiger übertragen hätte. Denn ob die Auftragsmöglichkeit überhaupt besteht, hat er bereits durch die Einführung des Opt-in entschieden. Die Anleihegläubiger entscheiden wieder nur über bloße Modalitäten der Bestellung und damit nur über das „Wie“, was sie zum Auftreten in der Rolle der Vertragspartei nicht berechtigt. Die Konstruktion, wonach der Emittent als falsus procurator handelt und auf sein Betreiben einen Vertragsvertreter für die Anleihegläubiger beauftragt, erscheint ebenfalls gekünstelt. Der Emittent, wie jeder andere, handelt in erster Linie für sich. Man darf nicht vergessen, dass von der Einschaltung des Vertreters nicht ausschließlich die Anleihegläubiger profitieren, sondern auch der Emittent selbst: Er erlangt einen neuen sachkundigen Ansprechpartner, über den man erforderliche Informationen schnell und effektiv kumulieren kann.85 Außerdem muss man beachten, dass der gemeinsame Vertreter bei der ex-ante-Bestellung ohnehin mit geringen Befugnissen ausgestattet ist. Erfolgt in diesem Fall dennoch eine Beauftragung auf Initiative des Emittenten, heißt dies nur, dass der Emittent dafür eine Notwendigkeit erkannt hat, und zwar für den Schutz seiner eigenen Interessen und Rechte.86 Die Anleihegläubiger, wollen sie selbst einen Repräsentanten berufen und seine Befugnisse erweitern, können von dieser Möglichkeit ohnehin jederzeit Gebrauch 85  Vgl. auch Burn, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (230); Schmolke, ZBB 2009, 8 (19); Podewils, DStR 2009, 1914 (1918). 86  Ähnlich argumentieren Amihud/Garbade/Kahan, 51 Stanford L. Rev. 447, 471 (1999) („Why should a corporate borrower appoint a [ ]trustee …? The reason is, of course, the same as the reason why a company agrees to be bound by covenants in the first place: It is in the company’s self-interest to do so … The company … has an incentive to pick a [ ]trustee that represents the interests of bondholders effectively.“).



§ 7 Gestaltung des Instituts des gemeinsamen Vertreters nach dem SchVG 215

machen. Warum sollte der Emittenten dann für die Anleihegläubiger als angeblicher Vertreter ohne Vertretungsmacht handeln, wenn die Anleihegläubiger ihr eigenes, zu jeder Zeit bestehendes Recht zur Berufung haben? Die Konstruktion mit dem falsus procurator scheint ausschließlich in dem Fall denkbar, dass der Emittent sich diese Rolle ausdrücklich wünscht und entsprechend im Vertrag ausdrücklich festlegt. Ohne konkrete Hinweise darf der Emittent nicht als falsus procurator behandelt werden. Schließlich kann hinsichtlich der im Schrifttum dargelegten „Ansicht“ des Gesetzgebers angemerkt werden, dass die Gesetzesmaterialien zu der Auftraggeber-Stellung keine konkrete Aussage treffen. Die Regierungsbegründung spricht von Rechtsbeziehungen mit jedem einzelnen Anleihegläubiger, teilt aber nicht mit, wer am Vertragsschluss beteiligt ist.87 „Gleichlautende Auftragsverhältnisse zwischen jedem Gläubiger und dem gemeinsamen Vertreter“ i. S. d. Gesetzesbegründung können auch bei der Auslegung des Geschäftsbesorgungsvertrags mit dem Emittenten im Sinne eines echten Vertrags zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB) konstruiert werden.88 Auch in Bezug auf den Verweis des § 8 Abs. 4 SchVG auf § 7 Abs. 6 SchVG enthält die Gesetzesbegründung keine Hinweise. Der Verweis kann folglich nicht ausschließlich in dem Sinne verstanden werden, dass der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen wollte, er betrachte den Emittenten nicht als Vertragspartei. § 8 Abs. 4 SchVG könnte lediglich als klarstellende Vorschrift in das Gesetz eingeführt worden sein. In den Bedingungen der Anleihen, die angloamerikanischem Recht unterstellt sind, findet man z. B. auch eine allgemeine Klausel zur Kostentragungspflicht des Emittenten, und zwar unabhängig davon, ob der Emittent oder die Anleihegläubiger durch Mehrheitsbeschluss den gemeinsamen Vertreter bestellen.89 Es herrscht dabei das Verständnis, dass ausschließlich der Emittent die Vertragspartei des Gläubigerrepräsentanten ist. Es kann vermutet werden, dass der Gesetzgeber mit der Verweisvorschrift genauso lediglich klarstellen oder sogar akzentuieren wollte, dass die durch Bestellung des gemeinsamen Vertreters entstehenden Kosten und Aufwendungen immer vom Emittenten getragen werden müssen.

87  Siehe

Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. zum Treuhandverhältnis auch Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, S. 612. 89  Siehe dazu z. B. American Bar Association, Revised Model Simplified Indenture, § 7.07, 55 Bus. Law. 1115, 1142 (2000); vgl. auch Schmolke, ZBB 2009, 8 (10 f.). 88  Vgl.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

§ 8 Anleihegläubigervertreter in der internationalen Anleihepraxis Die Figur des gemeinsamen Vertreters als Anleihegläubigerrepräsentanten stellt, wie bereits angedeutet, keine Besonderheit des deutschen Anleihe­ restrukturierungsrechts dar. Im – für die Anleihepraxis immer noch bedeutenden – US-amerikanischen und englischen Recht versucht man das Problem der Zentralisierung der Anleihegläubigerrechte in einer Person mit Hilfe des Trustrechts zu lösen.90 Es besteht die Möglichkeit, einen trustee zu bestellen, der – ähnlich wie der gemeinsame Vertreter nach dem SchVG – eingeschaltet wird, um die Rechte der Anleihegläubiger gegenüber dem Emittenten zu schützen und sie wie eine Gruppe „with a unified voice“ zu organisieren.91 Um die Regelungen des SchVG zum gemeinsamen Vertreter einordnen sowie mögliche Defizite besser identifizieren zu können, lohnt sich ein kurzer Blick auf das angloamerikanische Recht. Es wird im Weiteren untersucht, mit welchen besonderen Befugnissen und Einwirkungsmöglichkeiten das angloamerikanische Recht den trustee ausstattet und inwieweit eine Annäherung des SchVG an dessen Standards gerechtfertigt erscheint.

A. US-amerikanisches Recht Im US-amerikanischen Recht sind die wesentlichen zwingenden Regelungen über den trustee in dem bereits erwähnten TIA enthalten. Soweit der Anwendungsbereich eröffnet ist, bestimmt das Gesetz als erstes, dass der Emittent einen Anleihegläubigervertreter bereits vor der Emission bestellen muss (§ 310 (a)(1) TIA).92 Wird der trustee für sein Amt nachträglich ungeeignet, verpflichtet der TIA den Emittenten, unverzüglich diesen trustee abzuberufen und durch einen neuen zu ersetzen.93 Unabhängig davon, ob der trustee abberufen wird oder er selbst kündigt, bleibt er, wie § 310 (b) TIA bestimmt, in seinem Amt, bis ein neuer trustee bestellt wird. Es besteht somit für die TIA-qualifizierten Anleihen keine Möglichkeit, die Anleihegläubiger 90  Vgl. Vogel, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 94 (100). 91  Meyers/Ramsey/Hindman, Payment of Indenture Trustee Fees and Expenses in Bankruptcy, S. 1, abrufbar unter: https://www.kilpatricktownsend.com/~/media/Files/ articles/2014/feature %20614 %20meyersramseyhindman.ashx. 92  Dazu auch Kenadjian, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 245 (256, 258); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 279; Schmolke, ZBB 2009, 8 (11). 93  Siehe dazu Kenadjian, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 245 (261).



§ 8 Anleihegläubigervertreter in der internationalen Anleihepraxis 217

ohne einen Repräsentanten zu lassen. Eine „no trustee situation“ ist nicht möglich.94 Des Weiteren legt der TIA spezielle Eignungskriterien fest.95 Zum einen dürfen als trustees nur Gesellschaften zugelassen werden, die bestimmten Kapitalanforderungen entsprechen und als Treuhänder fungieren (institutional trustees, § 310 (a)(1–4) TIA). Zum anderen dürfen in der Person des trustee keine Interessenkonflikte bestehen. So bestimmt § 310 (a)(5) TIA, dass der Emittent sich selbst oder die Personen, die ihn kontrollieren oder unter seiner Kontrolle stehen, nicht als trustee bestellen darf. Abgesehen davon, sieht der TIA in § 310 (b) die Pflicht des trustee vor, sein Amt niederzulegen, wenn ein Interessenkonflikt entsteht, dem der trustee innerhalb von 90 Tagen nicht abhelfen kann, und der Emittent gleichzeitig mit seinen Leistungspflichten ausfällt (default).96 Der Begriff des Interessenkonflikts wird dabei durch die ausführliche Regelung des § 310 (b) TIA definiert. Nach dieser Vorschrift werden Konfliktsituationen in den Fällen widerlegbar vermutet, in denen der trustee (1) als solcher einer anderen Anleihe des Emittenten auftritt, (2) underwriter (Emissionsbank) der betroffenen Anleihe ist, diesen kontrolliert oder unter dessen Kontrolle steht, (3) die Tätigkeit der Verwaltung des Emittenten oder des underwriter ausübt oder (4) bestimmte kapitalmäßige Beteiligungsquoten am Emittenten oder underwriter oder umgekehrt überschreitet.97 Einer der wichtigsten Fälle, nämlich wenn der trustee gleichzeitig in der Rolle des Darlehensgebers des Emittenten auftritt, war lange Zeit nicht als problematisch angesehen und bewusst nicht in den Verbotskatalog des 94  Lev,

8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 59 (2000). auch Landau, Corporate Trust Administration and Management, S. 59 ff.; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 281 ff.; Schmolke, ZBB 2009, 8 (11, 13); Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (395 f.); Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15, Rz. 15.87 ff.; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, S. 601. 96  D. h. solange der default des Emittenten nicht eintritt, besteht keine Rücktrittspflicht seitens des trustee, vgl. Campbell, 11 Ann. Rev. Banking L. 181, 207 (1992) („The indenture trustee may acquire any number of statutory conflicts of interest as long as the indenture securities are not in default.“); dazu auch Lev, 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 58 (2000). Der Begriff „default“ wird durch die Anleihe­ bedingungen definiert und ist nicht identisch mit dem Begriff „event of default“, vgl. Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15, Rz. 15.91; Campbell, 11 Ann. Rev. Banking L. 181, 207 Fn. 164 (1992); Plepelits/ Stehl, CFl 2012, 391 (394, Fn. 18). 97  Zum Schutz der Anleihegläubiger ermächtigt das Gesetz die Einzelgläubiger, die Ersetzung des trustee durch das Gericht zu beantragen, wenn der trustee seiner Rücktrittspflicht nicht nachkommt (§ 310 (b) (iii) TIA). 95  Dazu

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

§ 310 (b) TIA eingetragen.98 Der US-Gesetzgeber wollte insbesondere große Banken als trustees zulassen, da sie – nach seiner Argumentation – im Vergleich zu anderen ohnehin über mehr Qualifikation und Erfahrung verfügten, sodass von deren Einschaltung in erster Linie die Anleihegläubiger selbst profitieren könnten.99 Diese Entscheidung wurde sehr heftig kritisiert, weil die Regelungslücke einem solchen creditor-trustee faktisch die Möglichkeit gab, solange mit einer In-Verzug-Setzung abzuwarten und vor den Anleihegläubigern auf das Vermögen des Emittenten zuzugreifen, bis er seine eigene Forderungen aus dem gewährten Kredit befriedigt hatte. Der US-Gesetzgeber gab seine optimistische Position hinsichtlich des Bankensegments in der doppelten Rolle relativ spät auf. Erst im Jahr 1990 fügte er im Wege der Reform des TIA dem § 310 (b) einen Abs. 10 an und schloss Kreditgeber aus der Liste von corporate indenture trustees aus.100 Eine weitere ausführliche Regelung des TIA betrifft die Aufgaben und Befugnisse des trustee. Bei der Bestimmung von deren Umfang unterscheidet das Gesetz danach, ob ein default des Emittenten eingetreten ist oder nicht. Liegt kein default vor, ist der trustee mit Aufgaben rein administrativer Natur ausgestattet.101 Er ist verpflichtet, den Anleihegläubigern darüber zu berichten, ob Bestellungshindernisse bestehen, die ihn für sein Amt für die Zukunft ungeeignet machen. Er informiert darüber hinaus (ggf. auf Grundlage der vom Emittenten erstellten Berichte) über alle relevanten Umstände, die die Anleihe, die Sicherheiten sowie die Situation des Emittenten als solchen betreffen (§§ 313 f. TIA). Gem. § 312 TIA verwahrt der trustee außerdem die (vom Emittenten regelmäßig erstellten) bondholder lists und leitet sie kurzfristig auf Anfrage an die Anleihegläubiger weiter, um eine Kommunikation zwischen ihnen zu ermöglichen (§ 312 TIA).102 98  Siehe dazu und zum Folgenden Campbell/Zack, 32 Bus. Law. 1705 ff. (1977); Landau, Corporate Trust Administration and Management, S. 74 ff.; Obrzut, 24 UCLA L. Rev. 131 ff. (1976); Johnson, 13 U. Tol. L. Rev. 92, 99 (1981); Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, S. 285 ff. 99  Vgl. Landau, Corporate Trust Administration and Management, S. 74. 100  Vgl. Campbell, 11 Ann. Rev. Banking L. 181, 202 ff. (1992); Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, S. 288; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, S. 601; die Änderung des Gesetzes scheint übersehen zu sein von Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S.  282 f. 101  Kenadjian, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 245 (259); Schmolke, ZBB 2009, 8 (15); Kaplan/Hebbeln, The Anglo-American Indenture, S. 4; Lev, 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 58 (2000); Plepelits/ Stehl, CFl 2012, 391 (394); Burke/Van den Borren/Taufner, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 15, Rz. 15.86; Schwarcz, Indenture Trustee Duties: The Pre-Default Puzzle, S. 5, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3387414. 102  Dazu auch Kenadjian, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 245 (259); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 284.



§ 8 Anleihegläubigervertreter in der internationalen Anleihepraxis 219

Wenn ein default eintritt, treffen den trustee zusätzliche Pflichten. So muss er die Anleihegläubiger von der Leistungsstörung seitens des Emittenten (notice of default) unterrichten. Dafür setzt der TIA eine Frist von 90 Tagen und berechtigt den trustee, die Mitteilung zu unterlassen, wenn er gutgläubig annehmen darf, dass die Zurückhaltung der Mitteilung im Interesse der Anleihegläubiger ist (§ 315 (b) TIA). Außerdem muss der trustee die im indenture gewährten Rechte der Anleihegläubiger durchsetzen. § 316 (a) TIA bestimmt als Grundregel, dass der trustee immer den Weisungen des in den Anleihebedingungen bestimmten Anleihegläubigerquorums hinsichtlich der Geltendmachung sowie gerichtlicher Durchsetzung der Rechte unterliegt. Dabei ist zu beachten, dass die Bedingungen des indenture regelmäßig vorsehen, dass Weisungen der Anleihegläubiger für den trustee dann keine ­bindende Wirkung entfalten bzw. seitens des trustee keine Handlungspflicht besteht, solange er nicht in angemessener Weise von jeglicher Haftung freigestellt wird.103 In eigenem Namen kann der trustee im Verhältnis zum Emittenten nur die nicht bezahlten Kapital- und Zinsbeträge einfordern (§ 317 (a) TIA).104 Die Möglichkeit, auf die Rechte der Gläubiger aus seiner eigenen Macht beliebig zu verzichten, um eine Restrukturierung der Anleihe zu ermöglichen, steht ihm nach dem Gesetz nicht zu.105 Zusätzlich zu den Pflichten bestimmt der TIA den Sorgfaltsmaßstab des trustee. Im pre-default-Zustand haftet der trustee nur für die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten, die ausdrücklich in den Anleihebedingungen genannt sind. Er darf sich dabei auf die Richtigkeit der von ihm erhaltenen Informationen und Angaben, insbesondere diejenigen seitens des Emittenten, verlassen, falls er überprüft hat, ob sie den Vorgaben des indenture entsprechen (§ 315 (a) TIA).106 Nach dem default gilt ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab107: Gem. § 315 (c) TIA ist der trustee verpflichtet, „to use the same degree of care and skill in their exercise, as a prudent man would exercise or 103  Dazu auch Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (395); siehe auch American Bar Association, Revised Model Simplified Indenture, § 7.01 (4)(e), 55 Bus. Law. 1115, 1140 (2000). 104  Zum Verhältnis zu den individuellen Durchsetzungsrechten der Anleihegläubiger siehe Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (395, insb. Fn 27.). 105  Vgl. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 285. 106  Vgl. Lev, 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 76 (2000); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S.  284 f.; Schmolke, ZBB 2009, 8 (18); Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (394). 107  Vgl. dazu auch Johnson, 13 U. Tol. L. Rev. 92, 100 (1981) („[t]he change in the standard is due to the increased duties on the part of the indenture trustee following a default; he is turned from a passive participant into an active one“); Buchheit, 28 Int. Fin. L. Rev. 22, 25 (2009); Schwarcz, Indenture Trustee Duties: Indenture Trustee Duties: The Pre-Default Puzzle, S. 2, abrufbar unter: https://ssrn.com/ab stract=3387414.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

use under the circumstances in the conduct of his own affairs“. Vertragliche Haftungsausschlüsse (sog. exculpatory provisions) für das sorgfaltswidrige Verhalten sind unwirksam. Andererseits schließt der TIA die Haftung des trustee für seine Beurteilungsfehler aus, wenn er gutgläubig handelte oder Weisungen der Anleihegläubiger ausführte (§ 315 (d) TIA).108

B. Englisches Recht Im englischen Recht gibt es im Unterschied zum deutschen und US-amerikanischen Recht wenige gesetzliche Vorgaben zum Rechtsinstitut des trustee. Die Funktion der Ausgestaltung seiner Rechte und Pflichten übernimmt überwiegend der der Anleihe zugrunde liegende Treuhandvertrag (trust deed), der zwischen dem Emittenten und dem trustee abgeschlossen wird. Kraft Gesetzes besteht keine Pflicht zur Bestellung eines trustee. In der Praxis wird er allerdings vom Emittenten eingesetzt.109 Zum Schutz der Anleihegläubiger gewährt der trust deed ihnen in der Regel das Recht, den vom Emittenten bestellten trustee durch Mehrheitsbeschluss abzuberufen bzw. seiner Abberufung durch den Emittenten entgegenzutreten. Auch bei der Bestellung eines Nachfolgers bleibt der Emittent an die Zustimmung der Anleihegläubiger gebunden.110 Wird ein trustee bestellt, wird er zum alleinigen Vertragspartner und Gläubiger des Emittenten.111 Ihm und nicht den Anleihegläubigern stehen alle Rechte aus der Anleihe zu.112 Der trustee ist allerdings aufgrund des trust deed verpflichtet, die Zahlung seitens des Emittenten weiter an die Anleihegläubiger als beneficiaries zu leiten.113

108  Dazu auch Schmolke, ZBB 2009, 8 (18); Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (396); Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, Rn. 17-044. 109  Vgl. Schmolke, ZBB 2009, 8 (10); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 300. 110  Vgl. Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (397) m. w. N.; Burn, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (231). 111  Vgl. Schmolke, ZBB 2009, 8 (10); Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (396); Burn, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (230); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 300. 112  Vgl. Buchheit, 13 Capital Markets L.J. 410, 413 (2018); Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (396); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 300; Häseler, MPRA Paper No. 35332, S. 5, abrufbar unter: https://mpra.ub.uni-muenchen.de/ 35332/. 113  Vgl. Buchheit, 13 Capital Markets L.J. 410, 413 (2018); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 301.



§ 8 Anleihegläubigervertreter in der internationalen Anleihepraxis 221

Was die Eignungskriterien betrifft, bestimmt der trust deed, dass nur die sog. trust corporations als trustees bestellt werden können.114 Außerdem dürfen in der Person des trustee keine Interessenkonflikte entstehen, die der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten gegenüber den Anleihegläubigern entgegenstehen. Der trust deed schließt andererseits nicht das Recht des trustee aus, „to carry on other business with the Issuer“.115 Selbst das Investieren in den Emittenten kann ausdrücklich zugelassen werden.116 Außerdem besteht die Möglichkeit, den bestehenden Interessenkonflikt nachträglich zu beseitigen, wenn der trustee die maßgeblichen Umstände, die zu einer Konfliktsituation führen, offenlegt und die Anleihegläubiger diesen Konflikt im Wege eines Mehrheitsbeschlusses genehmigen.117 Zu Befugnissen und Aufgaben des trustee enthält das Gesetz keine Vorgaben. Sie werden aber vertraglich ausführlich geregelt. So überträgt der trust deed auf den trustee die Funktion der Informationsverwaltung. Der trustee wird aber nicht zum Zwecke einer aktiven Überwachung des Emittenten eingeschaltet, was auch im Vertrag klargestellt wird.118 Die weiteren auf den trustee übertragenen Aufgaben betreffen den Schutz sowie die Durchsetzung der Rechte der Anleihegläubiger aus der Anleihe. Er darf selbständig einer formalen, technischen und unwesentlichen Änderung der Anleihebedingungen zustimmen sowie die sog. waiver und consents erteilen, soweit sie die Interessen der Anleihegläubiger nicht materiell beeinträchtigen (requirement for material prejudice).119 Liegt dagegen eine solche Beeinträchtigung der Rechte vor, ist sie nur beachtlich, wenn der trustee die Anleihegläubiger über den Verstoß informiert.120 Es muss dabei beachtet werden, dass die Entscheidung des trustee, ob die Voraussetzung der materiellen Beeinträchtigung erfüllt ist und wie er weiter vorgeht, von seinem kontrollfreien Beurteilungsspielraum gedeckt ist.121 Entscheidet der trustee, dass ein beachtlicher Ver114  Vgl.

Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (397) m. w. N. in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219

115  Burn,

(233).

Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (397) m. w. N. Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, Rn. 17011; dazu auch Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 303. 118  Vgl. Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (396) m. w. N.; dazu auch Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 304; Burn, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (233). 119  Vgl. Hill/Beech, 5 Capital Markets L.J. 5, 6 (2010); Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, Rn. 16-049. 120  Vgl. Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, Rn. 16021; Burn, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (231). 121  Vgl. Hill/Beech, 5 Capital Markets L.J. 5, 6 (2010); Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (396) m. w. N. 116  Vgl. 117  Vgl.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

stoß gegen die Anleihebedingungen seitens des Emittenten gegeben ist, kann er die Gesamtkündigung der Anleihe aussprechen und gegen den Emittenten ggf. gerichtlich vorgehen. Dazu ist er auch aufgrund einer Weisung der Anleihegläubiger unter der Bedingung verpflichtet, dass er von der Haftung freigestellt wird.122 Die Anleihegläubiger dürfen nicht ihre Rechte gegen den Emittenten individuell durchsetzen.123 Der trust deed stellt in diesem Zusammenhang klar, dass der trustee insofern ein verdrängendes Mandat erlangt. Eine Ausnahme wird nur für den Fall zugelassen, dass der trustee seiner Durchsetzungspflicht zuwiderhandelt.124 Der Sorgfaltsmaßstab des trustee ist demjenigen nach US-amerikanischem Recht nach einem default des Emittenten identisch: Er ist verpflichtet, die Sorgfalt anzuwenden, die ein besonnener Dritter in eigenen Angelegenheiten anwenden würde („prudent man“).125 Die strikte Haftung des trustee wird in der Regel durch die sog. exemption clauses im trust deed entschärft, was sogar zu einem Haftungsausschluss auch für grobe Fahrlässigkeit führen kann.126 Die einzige Einschränkung sieht wiederum § 61 Trustee Act 1925 vor, nachdem der Haftungsausschluss nur dann wirksam sein kann, wenn der trustee redlich und gutgläubig gehandelt hat.127

§ 9 Gesamtbewertung der Regelungen des SchVG zum gemeinsamen Vertreter Nachdem die Vorschriften des SchVG zum gemeinsamen Vertreter erörtert wurden sowie gezeigt wurde, wie das vergleichbare Rechtsinstitut des trustee in der angloamerikanischen Rechtsordnung im Wesentlichen behandelt wird, kann nun die Gesamtbewertung des Regelungsmodells des SchVG durchgeführt werden. Was kann man als Vorteile oder als Nachteile des deutschen Modells bezeichnen? Inwieweit gewährt die angloamerikanische Rechtsordnung ein besseres Regelungsmodell zur Ermöglichung einer koordinierten Gläubigerrepräsentation? Besteht die Notwendigkeit, das SchVG an die 122  Vgl. Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (396 f.); Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, Rn. 17-045. 123  Vgl. Buchheit/Gulati, 51 Emory L.J. 1317, 1331 (2002); Buchheit, 13 Capital Markets L.J. 410, 413 (2018); Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (397). 124  Vgl. Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (397); Burn, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (231). 125  Vgl. Burn, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (233); Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (397). 126  Vgl. Burn, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (233). 127  Zur Bedeutungslosigkeit der Einschränkung des § 750 Companies Act 2006 siehe Schmolke, ZBB 2009, 8 (17).



§ 9 Gesamtbewertung der Regelungen des SchVG223

Standards des angloamerikanischen trustee-Modells anzunähern? Der Beantwortung dieser Fragen widmet sich der folgende Paragraph.

A. Zum Vertrags- und Wahlvertretermodell des SchVG Man muss als erstes hervorheben, dass das SchVG in Bezug auf die Figur des gemeinsamen Vertreters von der Notwendigkeit der Schaffung eines flexiblen Regelungsrahmens auszugehen scheint. Das Gesetz enthält zu der Gestaltung der Rechtfigur des Gläubigervertreters relativ wenige zwingende Vorgaben. Viele wichtige Punkte, insbesondere betreffend den Umfang der Befugnisse sowie die Haftung des gemeinsamen Vertreters, sind zur Konkretisierung der Praxis überlassen.128 Selbst zum Zeitpunkt der Einschaltung des Gläubigervertreters sieht das SchVG keine zwingende Regelung vor. Die Entscheidung, ob der gemeinsame Vertreter überhaupt eingesetzt wird, fällt in den Kompetenzbereich des Emittenten und der Anleihegläubiger. Es besteht nach dem Gesetz keine Pflicht zur Bestellung des gemeinsamen Vertreters. Insofern unterscheidet sich das deutsche Recht deutlich vom US-amerikanischen Recht, denn der TIA sieht gerade eine solche Pflicht vor. Selbst im Fall der Abberufung des ungewünschten trustee sorgt der TIA dafür, dass Anleihegläubiger nicht ohne ihren „guardian“ bleiben. Wie bereits erwähnt, besteht nach dem TIA keine „no trustee situation“.129 Das englische Recht kennt zwar keine Pflicht zur Bestellung. In der Praxis wird aber ein trustee vom Emittenten ex ante eingesetzt.130 In der englischen Rechtsordnung herrscht im Unterschied zum deutschen Recht ebenfalls das Verständnis, dass ein Anleihegläubigerrepräsentant immer vorhanden sein muss. Angloamerikanisches Recht folgt, wie man sieht, bewusst dem in § 8 SchVG geregelten Modell des Vertragsvertreters. Insofern kann man fragen, ob eine Annäherung des SchVG an diesen Standard erforderlich scheint. Denn, wie bereits am Anfang gezeigt wurde, sollen die Anleihegläubiger gerade von der früheren Einschaltung des gemeinsamen Vertreters profitieren. Zwar besteht nach § 7 SchVG die Möglichkeit, einen gemeinsamen Vertreter auch nachträglich zu bestellen. Es besteht aber das Risiko, dass diese Bestellung zu spät erfolgt, sodass dem bestellten Vertreter zu wenig Raum zum Handeln verbleibt.

auch Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (392). 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 59 (2000). 130  Vgl. Burn, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (230). 128  Vgl. 129  Lev,

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

Dies allein spricht allerdings nicht gegen das Modell der flexiblen Bestellungsmöglichkeit nach dem SchVG. Für die Bewertung der gesetzlichen Regelungen zum gemeinsamen Vertreter ist nicht der Zeitpunkt der Einsetzung maßgeblich. Entscheidend ist vielmehr, welche Rolle dem gemeinsamen Vertreter zugewiesen wird bzw. mit welchen Befugnissen er ausgestattet ist, um die Rechte der Anleihegläubiger optimal und effektiv zu schützen.131 Wird er lediglich als passiver132 Teilnehmer zugelassen, werden die Anleihegläubiger selbst von dessen ex-ante-Einsetzung nicht viel gewinnen. „[T]he law should not compel [an issuer] to [appoint] … a trustee no one wants.“133 Insofern ist dem Konzept des SchVG zur flexiblen Bestellung des gemeinsamen Vertreters zuzustimmen.

B. Zum Umfang des verdrängenden Mandats Flexibel bleibt das SchVG auch bei der Bestimmung des Umfangs des Mandats des gemeinsamen Vertreters.134 Es überlässt den Anleihegläubigern die Entscheidung, mit welchen Befugnissen der gemeinsame Vertreter ausgestattet wird. Darüber hinaus können sie nach dem Gesetz bestimmen, in welchem Umfang das Mandat ihres Repräsentanten eine verdrängende Wirkung entfaltet und sie von der selbständigen Geltendmachung ihrer Rechte ausgeschlossen werden. Das englische Recht geht z. B. im Gegenteil davon aus, dass nur der trustee als einziger Gläubiger des Emittenten zur Geltendmachung der Rechte aus der Anleihe berechtigt ist. „Full centralisation of enforcement powers in the hands of the trustee has long been the norm in English law trust deeds.“135 Dies scheint aber nicht die beste Lösung für die Anleihegläubiger zu sein, wenn der trustee seine Durchsetzungsrechte missbraucht, weil er sich zu einem aktiven Tun im Interesse der Gläubiger nicht ausreichend motiviert fühlt. Dies bringt die Gläubiger in die Position, dass sie „ihre“ Rechte aus der Anleihe zurückerkämpfen müssen. Das US-amerikanische Recht betrachtet die Idee der vollständigen Zentralisierung der Rechte in den Händen des trustee ebenfalls nicht als befriedigend. Zwar kann auch der trustee die fälligen Ansprüche auf Zahlung geltend machen und gerichtlich durchsetzen. § 316 (b) TIA macht aber in diesem Zusammenhang deutlich, dass den Anleihegläubigern entsprechende indivi131  So auch Schmolke, ZBB 2009, 8 (11); vgl. dazu auch Schwarcz/Sergi, 59 Alabama L. Rev. 1037, 1065 (2008). 132  Dazu nachstehend unter Kapitel 3 § 9 E. I. 133  Siehe Schwarcz/Sergi, 59 Alabama L. Rev. 1037, 1065 (2008) m. w. N. 134  Dazu siehe auch Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. 135  Buchheit, 28 Int. Fin. L. Rev. 22 (2009).



§ 9 Gesamtbewertung der Regelungen des SchVG225

duelle Rechte ebenfalls zustehen und diese Rechte ihnen unter keinen Umständen entzogen werden dürfen (bondholderʼs Bill of Rights136). Das Konzept des SchVG zum verdrängenden Mandat ist eher demjenigen des TIA ähnlich; das deutsche Gesetz gewährt aber den Anleihegläubigern mehr Flexibilität und Autonomie, weil der gemeinsame Vertreter, um handeln zu können und die Gläubiger von der Geltendmachung der Rechte aus der Anleihe ausschließen bzw. verdrängen zu dürfen, dazu zunächst durch Mehrheitsbeschluss ermächtigt werden muss. Kraft Gesetzes erlangt er keine Rechte, die sonst den Gläubigern zustehen. Über den Umfang des verdrängenden Mandats entscheiden, wie bereits erwähnt, ausschließlich die Anleihegläubiger. Die Idee des deutschen Gesetzes über die Delegation der Rechte verdient insofern den Vorzug, weil sie weniger Risiken eines Missbrauchs seitens des gemeinsamen Vertreters schafft und die Gläubiger nicht bloß zu Berechtigten „zweiter“ Klasse macht. Zwar scheint dieses Konzept nicht perfekt zu sein, wenn die Anleihegläubiger sich ihrerseits passiv verhalten und sogar nicht organisieren können, um zumindest einen Vertreter im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zu berufen. Der englische trustee wäre in diesem Fall auch ohne Ermächtigung ausreichend „equipped“, um die Rechte der passiven Gläubiger dennoch geltend machen zu können. Andererseits scheint es nicht die Aufgabe des Gesetzgebers zu sein, für die Organisation der Gläubiger zu sorgen und eine effektive Durchsetzung ihrer Rechte zu ermöglichen, wo die Gläubiger dies sich nicht wünschen. Für die aktiven Gläubiger, die sich aller Vorteile der Organisation und Einschaltung eines Repräsentanten bewusst sind, ist der Lösungsweg des SchVG zur Bestimmung des Umfangs des Mandats zumindest im Vergleich zum englischen Recht vorteilhafter.

C. Zum einheitlichen Haftungsmaßstab Ein weiterer Punkt, der das deutsche Recht insbesondere vom US-amerikanischen Recht unterscheidet, betrifft die Haftung. Das SchVG stellt nicht auf den pre- und post-default-Zustand ab. Der Terminus „default“ wird im Gesetz überhaupt nicht verwendet. Für den TIA ist dieser Begriff dagegen entscheidend für die Bestimmung, welche Pflichten der trustee gegenüber den Anleihegläubigern trägt und nach welchem Maßstab er haftet. Wie bereits erklärt, erlaubt das Gesetz dem trustee, vor dem default des Emittenten passiv zu bleiben und rein administrative Aufgaben zu erfüllen. Nach dem default erwartet der TIA vom trustee, dass er zu einem aktiven Hüter der Rechte der Anleihegläubiger wird, und verschärft konsequenterweise dessen 136  Shuster,

14 ABI L. Rev. 431, 433 (2006).

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

Sorgfaltsmaßstab bis zum „prudent man“-standard. Welches Problem steckt aber hinter diesem Konzept? Das Problem besteht darin, dass die In-VerzugSetzung des Emittenten die sog. notice of default seitens des trustee voraussetzt.137 Der TIA enthält aber zum einen keine Anreize für den trustee, um diesen default rechtzeitig selbständig zu entdecken.138 Zum anderen schafft das bestehende Risiko, sich nach der In-Verzug-Setzung strengerer Haftung unterziehen zu müssen, sowie die Pflicht, nun aktiv zu handeln, das Hauptmotiv für den trustee, mit der notice of default möglichst lange abzuwarten.139 „[T]he trusteeʼs basic incentive“– wie man es im US-amerikanischen Schrifttum lesen kann – „is to do nothing“.140 Dies lässt sich kaum mit der Funktion des trustee vereinbaren. Im Vergleich zum TIA scheint das SchVG eine bessere Lösung zu enthalten. Das SchVG bestimmt nur, dass der gemeinsame Vertreter den Anleihegläubigern für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben haftet und dabei die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden hat. Das Gesetz regelt sowohl die Pflichten als auch den Haftungsmaßstab des Gläubigervertreters einheitlich, ohne auf bestimmte Ereignisse abzustellen. Insbesondere gibt das Gesetz dem gemeinsamen Vertreter keine Möglichkeit, durch notice of default über den „Grad“ seiner Aktivität faktisch selbst zu entscheiden und dadurch seine Rechte im Verhältnis zu den Anleihegläubigern zu missbrauchen.

D. Zu Interessenkonflikten Ein weiterer Aspekt, der zeigt, ob das gesetzliche System der Repräsentation der Anleihegläubiger effizient konzipiert ist, betrifft die Lösung von Interessenkonflikten, die in der Person des gemeinsamen Vertreters entstehen können. I. Ausschlusskriterien Wie bereits gezeigt, enthält das englische Recht zu Interessenkonflikten keine gesetzlichen Vorgaben. Für den US-amerikanischen Gesetzgeber war dieses Thema dagegen zum Zeitpunkt des Erlasses des TIA im Jahr 1939 sowie später von enormer Bedeutung. Große Aufmerksamkeit wurde in erster Linie der Bestimmung von Ausschlusskriterien gewidmet: Der TIA entKahan/Rock, 103 Northwestern University L. Rev. 281, 298 (2009). Lev, 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 79 f., 92 (2000). 139  Vgl. Kahan, 77 New York University L. Rev. 1040, 1064 (2002); ders./Rock, 103 Northwestern University L. Rev. 281, 299, Fn 81 (2009). 140  Kahan, 77 New York University L. Rev. 1040, 1064 (2002). 137  Vgl. 138  Vgl.



§ 9 Gesamtbewertung der Regelungen des SchVG227

hält einen ausführlichen Katalog der Personen, die für das Amt des trustee als nicht geeignet angesehen werden. Ähnlich ist das SchVG konzipiert. Beide Gesetzeswerke erfassen im Prinzip alle relevanten Fälle, in denen die Neutralität des Gläubigerrepräsentanten als fehlend vermutet werden kann. Dennoch ist die Regelung des TIA im Vergleich zum SchVG weniger gläubigerfreundlich. Der Grund dafür ist, dass der TIA vom Vorliegen eines Interessenkonflikts nur ausgeht, wenn ein default des Emittenten eintritt. „The indenture trustee may acquire any number of statutory conflicts of interest as long as the indenture securities are not in default.“141 Der TIA scheint davon auszugehen, dass „[p]rior to a default situation there is no actual harm to bondholders, but only potential harm. It is only upon default that the conflict arises in fact.“142 Das Konzept des TIA wird zu Recht kritisiert, denn der trustee, in dessen Person ein Interessenkonflikt entsteht, kann auch vor einem default seine Rechte auf mögliche Kosten der Anleihegläubiger missbrauchen.143 Der potential harm kann in einem solchen Fall schnell zum actual harm werden, ohne den Gläubigern die Möglichkeit zu geben, adäquat zum Schutz ihrer Rechte reagieren zu können. Das SchVG scheint einen besseren Vorschlag zur Bestimmung der Eignungskriterien zu bieten. Es geht im Grundsatz davon aus, dass Interessenkonflikte in der Person des gemeinsamen Vertreters die Rechte der Anleihegläubiger immer gefährden. Ob eine Leistungsstörung seitens des Emittenten vorliegt oder nicht, ist dagegen nicht entscheidend und zwar zu Recht. Denn die Bewertung, inwieweit die Rechte der Gläubiger gefährdet sind, muss – genauso wie die Entscheidung, inwieweit die Gläubiger auf ihre Rechte zur Ermöglichung der Restrukturierung der notleidenden Anleihe verzichten müssen – auf der subjektiven Überlegung der Gläubiger und nicht des Gesetzgebers beruhen. Nur sie sind berechtigt zu entscheiden, ob ihr Repräsentant, der in eine Konfliktsituation gerät, für sie rein abstrakt gefährlich ist und ihnen konsequenterweise ein potential harm droht. Auf die Position des Gesetzgebers kommt es insofern nicht an.

141  Campbell, 11 Ann. Rev. Banking L. 181, 207 (1992), dazu auch Lev, 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 58 (2000); Vogel, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 94 (123). 142  Johnson, 13 U. Tol. L. Rev. 92, 106 (1981); siehe auch Campbell, 11 Ann. Rev. Banking L. 181, 215 f. (1992); Lev, 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 99 (2000). 143  Vgl. Lev, 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 58 f., 99 f. (2000).

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II. Schutzmechanismen de lege lata Der andere Punkt, der diskutiert werden muss, betrifft den Schutz der Anleihegläubiger bei der Entstehung von Interessenkonflikten. Was können also die Gläubiger vornehmen bzw. wie sind sie kraft Gesetzes geschützt, wenn ihr gemeinsamer Vertreter z. B. eher dem „Lager“ des Emittenten zugeschrieben werden kann oder selbst als Fremdkapitalgeber in den Emittenten investiert hat? Wie bereits gezeigt, sieht das SchVG Konfliktsituationen nicht als Bestellungshindernisse. Die einzige Ausnahme wird für den Fall vorgesehen, dass der gemeinsame Vertreter bereits in den Anleihebedingungen bestellt wird und er der Verwaltung des Emittenten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmen angehört. Unter diesen Umständen kann nicht erwartet werden, dass der gemeinsame Vertreter im besten Interesse der Gläubiger handeln wird. Für diesen Fall regelt das Gesetz zu Recht, dass die Bestellung nichtig ist. In anderen Fällen, und insbesondere bei der ex-post-Berufung des gemeinsamen Vertreters, geht der Gesetzgeber davon aus, dass dem Interessenkonflikt bereits mit Offenlegungspflichten begegnet werden kann. Der gemeinsame Vertreter bzw. der Emittent, falls die Bestellung auf sein Betreiben erfolgt, sind verpflichtet, die Anleihegläubiger rechtzeitig über die Konfliktsituation zu informieren, damit die derart aufgeklärten Anleihegläubiger selbst entscheiden können, ob sie den Repräsentanten abberufen oder die Konfliktsituation genehmigen. Dass der Gesetzgeber den gemeinsamen Vertreter nicht automatisch von Anfang an von seinem Amt ausschließt, sondern lediglich eine Offenlegungspflicht vorsieht, heißt noch nicht, dass die Anleihegläubiger nach dem Gesetz nicht effektiv geschützt sind. Der Gesetzgeber geht von der Notwendigkeit aus, einen möglichst flexiblen Regelungsrahmen zu schaffen und – abgesehen von den Fällen, in denen sich der gemeinsame Vertreter von der Voreingenommenheit infolge des Auftretens in der dual role offensichtlich nicht lösen kann – den Gläubigern die Befugnis zu geben, über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Es ist interessant anzumerken, dass der US-Gesetzgeber sich ebenfalls für Offenlegungspflichten entschieden hat. Der TIA verpflichtet den trustee, in dessen Person ein Interessenkonflikt entstanden ist, diesen Konflikt zu lösen oder, falls dies nicht möglich scheint, sein Amt niederzulegen. Dafür wird eine Frist von 90 Tagen gesetzt. Unterlässt er das, verpflichtet ihn das Gesetz, die Gläubiger nach dem Ablauf der Frist innerhalb von weiteren 10 Tagen darüber zu informieren, damit sie den trustee ggf. mit Hilfe des Gerichts abberufen könnten. Der Unterschied zum SchVG besteht faktisch darin, dass der TIA keine unverzügliche Unterrichtung der Gläubiger vorsieht.



§ 9 Gesamtbewertung der Regelungen des SchVG229

Andererseits kann das Konzept des SchVG zu den Offenlegungspflichten nur dann akzeptiert werden, wenn das Gesetz die Gläubiger auch in dem Fall ausreichend schützt, dass ihr Repräsentant die Mitteilung bösgläubig unterlässt, um die Interessen der Anleihegläubiger zu beeinträchtigen. Einen solchen ausreichenden Schutz kann das Gesetz aber nicht bieten. Wie bereits erwähnt, behandelt es die Bestellung als nichtig nur dann, wenn der Vertragsvertreter zum Management des Emittenten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens gehört. Des Weiteren bedroht es mit Bußgeld eine Verletzung von Offenlegungspflichten, allerdings nur seitens des Wahlvertreters, wenn Interessenkonflikte vor seiner Bestellung entstehen. Es besteht in diesem Fall zusätzlich die Möglichkeit, den Bestellungsbeschluss anzufechten. Das hilft den Anleihegläubigern nicht, wenn sie Kenntnis von diesen Umständen erst nachträglich erlangen und die kurze Anfechtungsfrist bereits abgelaufen ist. In allen anderen Fällen sieht das Gesetz keine speziellen Schutzmechanismen vor. Auch die allgemeine Vorschrift des § 177 BGB kann zu Gunsten der geschädigten Gläubiger nicht eingreifen, da der gemeinsame Vertreter lediglich Interessenkonflikte verschweigt, nicht dagegen als falsus procurator handelt. Die Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht in Kollusion- und Evidenzfällen können den Anleihegläubigern helfen, aber nur in Ausnahmefällen. Den Gläubigern verbleibt im Prinzip nur, von ihren allgemeinen Rechten Gebrauch zu machen, nämlich den Vertreter – auch ohne Angabe von Gründen – abzuberufen und auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Gläubiger die Beweislast tragen. Sie müssen in der Lage sein, zu beweisen, dass der Schaden gerade in Folge der Handlung des voreingenommenen Vertreters eingetreten ist und z. B. nicht, weil der Emittent ohnehin an finanziellen Schwierigkeiten leidet.144 Ob ihnen dies tatsächlich gelingt, bleibt offen. Die Mechanismen, die das SchVG zum Schutz der Anleihegläubiger vorsieht, scheinen trotz des Umstandes, dass ihnen eine gewisse disziplinierende Wirkung zukommt, nicht ausreichend zu sein.145

144  So auch Lev, 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 113 (2000) („The more difficult obstacle is proving that the trustee breached the indenture by failing to perform its duties and that the bondholders were damaged as a result of that breach (Hervorhebung im Original). The last two elements would be at the center of the litigation.“); vgl. auch Leyens, Informationsintermediäre des Kapitalmarkts, S. 520. 145  Kritisch dazu auch Vogel, in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 94 (12 f.); Schmolke, ZBB 2009, 8 (14).

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III. Schutzmechanismen de lege ferenda Welche zusätzlichen Schutzmechanismen könnte das SchVG vorsehen, damit die Gläubiger nicht bloß auf die ex post wirkenden Abberufungs- und Haftungsmöglichkeiten verwiesen bleiben? Zu denken wäre an die „Abschöpfung“ von Vorteilen, die der Vertreter – was widerlegbar vermutet wird – aufgrund des Verschweigens eines Interessenkonflikts erlangt, solange die Gläubiger nicht ordnungsgemäß über diesen Interessenkonflikt informiert sind und sie ihrerseits keine Genehmigung hinsichtlich des Konfliktfalls erteilen. Denn wenn der gemeinsame Vertreter bösgläubig eine Offenlegung der den Interessenkonflikt begründenden Umstände unterlässt, kann man vermuten, dass dies nur aus dem Grund erfolgt, dass der Vertreter seine eigenen Interessen oder diejenigen der Person, in deren „Lager“ der Vertreter in Wirklichkeit steht, schützen möchte. Werden ihm die Vorteile solcher Art mangels einer Genehmigung seitens der Gläubiger entzogen bzw. blockiert, werden ihm Anreize für sein Verschweigen genommen. Die Anleihegläubiger werden dadurch bereits im Vorfeld des Eintritts eines möglichen Schadens geschützt; der Schutz dient sogar der Vorbeugung des Schadens. Im Katalog des § 7 Abs. 1 S. 2 SchVG sind zwei Gruppen von Personen genannt, deren Voreingenommenheit kraft Gesetzes wiederlegbar vermutet wird: Entweder stammt der gemeinsame Vertreter aus der Sphäre des Emittenten (1. Gruppe: Es handelt sich um Personen aus der Verwaltung des Emittenten/eines mit ihm verbundenen Unternehmens, Personen, die an deren Eigenkapital beteiligt sind, oder nahestehende Personen, § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 und 4 SchVG); oder der gemeinsame Vertreter ist selbst ein Fremdkapitalgeber, also ein Finanzgläubiger (2. Gruppe, § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 4 SchVG). Insofern kann man unterscheiden: 1. Gemeinsamer Vertreter als Finanzgläubiger Tritt der gemeinsame Vertreter als Finanzgläubiger (z. B. als kreditgebende Bank (2. Gruppe)) auf, müssen die Anleihegläubiger davor geschützt werden, dass der Vertreter nicht in eine Konkurrenz mit ihnen tritt. Es muss sichergestellt werden, dass der Gläubigerrepräsentant (vor der Genehmigung der Konfliktsituation durch die Gläubiger) seine eigenen Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis mit dem Emittenten im Status eines ­Finanzgläubigers (z. B. auf Rückzahlung des Kredits) nicht auf Kosten der Gläubiger befriedigt.146 Es muss ihm verboten werden, Leistungen seitens 146  Einen ähnlichen Gedanken enthält § 311 TIA, dazu siehe Kravitt, Securitization of Financial Assets, S. 9–18 f.



§ 9 Gesamtbewertung der Regelungen des SchVG231

des Emittenten (oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens) als Finanzgläubiger zu erlangen, obwohl dieses Recht ihm formal zusteht; dem Emittenten muss ebenfalls verboten werden, an den Finanzgläubiger zu leisten. Um die Leistungen zu erlangen, muss der gemeinsame Vertreter die Gläubiger über den Interessenkonflikt informieren und den Konfliktfall genehmigen lassen. Solange er das nicht tut, bleibt das Vermögen des Emittenten, das zur Befriedigung der berechtigten Forderung des Finanzgläubigers – der gleichzeitig als gemeinsamer Vertreter auftritt – dient, zu Gunsten der Gläubiger „belastet“. Dieser Schutzmechanismus scheint auf den ersten Blick entbehrlich zu sein, wenn §§ 675 Abs. 1, 667 Alt. 2 BGB bereits eine Herausgabepflicht des Erlangten zu Gunsten der Anleihegläubiger vorsehen würden.147 Die Vorschriften verpflichten den gemeinsamen Vertreter, alles herauszugeben, „was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt“. Es kommt dabei nicht darauf an, ob ein Schaden eintritt bzw. ob dieser Schaden überhaupt nachweisbar ist. Entscheidend ist, dass dem Vertreter aus seiner Geschäftsbesorgungstätigkeit ein Gewinn zufließt, wenn er die fremdnützige Interessenwahrnehmung zu Gunsten der Gläubiger vernachlässigt. Mit diesen Vorschriften wird der Zweck verfolgt, dem Vertreter die Möglichkeit zu nehmen, seine Stellung zum eigenen Vorteil auszunutzen.148 Durch Drohung mit einer Gewinnabschöpfung können dem Vertreter, der sich mehr um den Schutz eigenen Vermögens statt die Interessen der Gläubiger kümmert, bereits ex ante Anreize genommen werden, seine Offenlegungspflichten zu verletzen oder sich in eine Konfliktsituation zu begeben. Es muss allerdings gefragt werden, ob die Vorschrift des § 667 Alt. 2 BGB überhaupt anwendbar ist, insbesondere ob in diesem Fall ein innerer Zusammenhang mit der Vertretertätigkeit vorliegt. Das Kriterium des inneren Zusammenhangs soll das Merkmal „aus“ der Geschäftsbesorgung einschränken.149 Erfasst von der Herausgabepflicht sind alle unmittelbar erlangten Vorteile sowie die Vorteile, die in der Geschäftsbesorgung ihren wirtschaft­ lichen Grund und ihre Rechtfertigung finden.150

147  Siehe dazu auch Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S.  588 ff. 148  Vgl. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 594; BAG, Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 500/05, BB 2006, 2137 (2139). 149  Vgl. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 592. Die Kausalität zwischen der Auftragserfüllung und dem Erlangten allein reicht für den inneren Zusammenhang nicht aus, siehe BAG, Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 500/05, BB 2006, 2137 (2139). 150  Vgl. RG, Urt. v. 27.04.1920 – III 411/19, RGZ 99, 31 (33).

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Gerade an diesem Bezug fehlt es, wenn der gemeinsame Vertreter seinen Kreditvertrag kündigt. Der Vertreter erlangt den Kredit zurück nicht auf Grundlage der Geschäftsbesorgungstätigkeit; vielmehr findet die Rückzahlung ihre wirtschaftliche Rechtfertigung allein im Darlehensverhältnis mit dem Emittenten nebst dem bestehenden Recht des Vertreters in der Rolle des Kreditgebers, dieses Rechtsverhältnis zu kündigen. Der Vertreter handelt gegenüber dem Emittenten erkennbar für sich, in eigenem Namen; sein Handeln dient nicht der Geschäftsbesorgung, sondern im Gegenteil wiederspricht sogar dem Zweck der Bestellung.151 Nach dem Schutzzweck des § 667 Alt. 2 BGB müssen demjenigen, für dessen Rechnung ein anderer Geschäfte führt, also dem Auftraggeber, die gesamten Vorteile des Geschäfts ebenso gebühren, wie er die gesamte Gefahr zu tragen hat.152 Die Anleihegläubiger sind allerdings nicht die Alleinträger dieser Gefahr; der gemeinsame Vertreter steht im selben Status des Fremdkapitalgebers wie die Anleihegläubiger, in deren Interesse er eigentlich handeln muss. Das Geld erlangt der gemeinsame Vertreter lediglich anlässlich der Geschäftsführung, nicht aber aus bzw. nicht im inneren Zusammenhang mit der Geschäftsbesorgung zu Gunsten der Anleihegläubiger. §§ 675 Abs. 1, 667 Alt. 2 BGB finden aus diesem Grund keine Anwendung. 2. Gemeinsamer Vertreter aus der Sphäre des Emittenten Der gemeinsame Vertreter kann auch im Interesse des Emittenten, also zum Schutz des Eigenkapitals, handeln (1. Gruppe) und aus diesem Grund seine Offenlegungspflichten verletzen. Es kann sein, dass der gemeinsame Vertreter, soweit ihm entsprechende Befugnisse zustehen, eine Restrukturierung der Anleihe möglichst im Inte­ resse des Emittenten vereinbart. Er kann versuchen, mit dem Emittenten über einen größeren Forderungsverzicht zu Lasten der Anleihegläubiger zu verhandeln, als es für die Restrukturierung eigentlich erforderlich ist. In diesem Fall könnten die Anleihegläubiger dadurch geschützt werden, dass man gesetzlich festlegt, dass die Restrukturierungsvereinbarung ohne Genehmigung des Konfliktfalls keine Wirkung für sie entfaltet. Ohne diesen Schutz sind die Anleihegläubiger lediglich auf die Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht angewiesen. Es kann aber mit Schwierigkeiten verbunden sein 151  Siehe dazu auch BAG, Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 500/05, BB 2006, 2137 (2139) und insbesondere RG, Urt. v. 16.11.1936 – IV 195/36, RGZ 152, 349 (354) (Kauf des Grundstücks für eigene Zwecke unter Verwendung der anvertrauten Mittel: „[der Auftragnehmer hat] bei diesem Erwerb kein Geschäft der [Auftraggeberin] besorgt, so dass der zweite Fall des § 667 BGB nicht in Betracht kommt“). 152  Vgl. RG, Urt. v. 27.04.1920 – III 411/19, RGZ 99, 31 (32).



§ 9 Gesamtbewertung der Regelungen des SchVG233

zu beweisen, dass ein solcher Missbrauch vorlag, insbesondere wenn dem gemeinsamen Vertreter eine Generalvollmacht erteilt wird. Denn der Sinn der Restrukturierung besteht gerade darin, dass die Gläubiger (teilweise) auf ihre Rechte gegen den Emittenten verzichten. Eine Änderung des Gesetzes würde die Rechtslage der Anleihegläubiger dagegen erleichtern, weil sie den Gläubigern die Möglichkeit gäbe, einen solchen Repräsentanten – trotz Erteilung der Vollmacht – wie einen Vertreter ohne Vertretungsmacht zu behandeln, wie wenn § 177 BGB auf diesen Fall Anwendung finden würde. 3. Weitere Schutzmechanismen Zum Schutz der Anleihegläubiger scheint es außerdem notwendig, den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit des § 23 Abs. 2 SchVG zu erweitern. Denn diese Vorschrift gilt heutzutage nicht bei der Verletzung von Offenlegungspflichten, die im § 8 SchVG geregelt sind (Vertragsvertreter-Modell). § 7 Abs. 1 S. 3 SchVG, der Offenlegungspflichten des Wahlvertreters bei nachträglichem Eintritt der Umstände, die zu einer Konfliktsituation führen, regelt, ist ebenfalls nicht vom Tatbestand des § 23 Abs. 2 SchVG erfasst. Es muss insofern geregelt werden, dass jede vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassung der Mitteilungspflichten ordnungswidrig ist. Zu denken wäre schließlich daran, geringere Beteiligungsquoten im Katalog des § 7 Abs. 1 S. 2 SchVG festzulegen. Der Gesetzgeber geht bei der Beurteilung, ob ein Konfliktfall vorliegt, davon aus, dass erst die Beteiligung in Höhe von mindestens 20 % (vom Stamm- oder Grundkapital des Emittenten bzw. der Anleihe) als relevant betrachtet werden kann.153 Dies kann ein nicht unerheblicher Betrag sein. Das Recht, zu entscheiden, ob den Gläubigern bei solchen nicht unerheblichen Beteiligungen lediglich ein potential harm droht, muss, wie bereits gezeigt, den Gläubigern selbst und nicht dem Gesetzgeber zustehen. Zum Schutz der Gläubiger erscheint es gerechtfertigt, gesetzlich vorzuschreiben, dass der gemeinsame Vertreter bereits bei einer Beteiligung in Höhe von mindestens 5 % zu einer Offenlegung des Konfliktfalls verpflichtet ist. 4. Vorschlag zu einer Änderung des SchVG Entsprechend den Vorschlägen sollte das Gesetz wie folgt geändert werden: 153  Im US-amerikanischen Recht gelten strengere minimale Beteiligungsquoten. Relevant sein kann die Beteiligung bereits ab 5–10 %, § 310 TIA.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

•• in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 wird die Zahl „20“ gestrichen und durch „5“ ersetzt; •• § 7 Abs. 1 wird um folgende Sätze 4 bis 7 ergänzt: „Verletzt die in Nummer 1 oder 2 genannte Person ihre Offenbarungspflichten, kann sie auf die Rechte der Gläubiger, insbesondere im Sinne von § 5 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 bis 9, nicht verzichten. Verletzt die in Nummer 3 genannte Person ihre Offenbarungspflichten, darf der Schuldner oder ein mit diesem verbundenes Unternehmen an den Finanzgläubiger nicht leisten. Satz 4 und 5 gilt nicht, soweit der Konfliktfall, der in der Person des gemeinsamen Vertreters entsteht, durch Beschluss der Gläubiger genehmigt wird. Für die in Nummer 4 genannte Person gelten Sätze 4 bis 6 entsprechend.“ •• in § 8 Abs. 4 werden die Wörter „Absatz 2 bis 6“ gestrichen und durch „Absatz 1 Satz 4 bis Absatz 6“ ersetzt; •• schließlich werden in § 23 Abs. 2 nach den Wörtern „§ 7 Absatz 1 Satz 2“ die Wörter „Satz 3, § 8 Absatz 1 Satz 5 bis 6“ eingefügt.

E. Das (Schein-)Dilemma des gemeinsamen Vertreters Wie bereits gezeigt, gewährt das SchVG den Anleihegläubigern hinreichend Flexibilität bei der Gestaltung der Rechte des gemeinsamen Vertreters, seines Haftungsregimes sowie des Umfangs des verdrängenden Mandats. Das Gesetz enthält wenige imperative Vorschriften und zwingende Vorgaben, um die Autonomie der Gläubiger besser betonen zu können.154 Dennoch finden sich Kritiker. Insbesondere in der Praxis wird der Gläubigerrepräsentant oft „as being asleep at the wheel“155 angesehen. Kritisiert wird, dass das Gesetz dem Gläubigerrepräsentanten eine zu kleine Rolle im Restrukturierungsprozess zuschreibt, ihm viele wichtige Einwirkungsmöglichkeiten nimmt und ihn dazu motiviert, überwiegend passiv zu bleiben. Man spricht von einer Diskrepanz zwischen dem theoretischen Idealbild und der Stellung des Gläubigervertreters nach dem Gesetz und in der Praxis.

154  Vgl.

Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. The Bond Buyer (07320469, v. 12.04.2016, Vol. 1 Issue 34492), S. 16.

155  Glazier,



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I. Kritikpunkte Es wird kritisiert, dass der Gläubigerrepräsentant den Emittenten nicht aktiv überwacht.156 Dazu sei er weder gesetzlich noch rechtsgeschäftlich verpflichtet. Zwar informiere der Emittent den Repräsentanten regelmäßig darüber, ob er alle covenants betreffend die Anleihe einhalte. Der Gläubigerrepräsentant sei allerdings nicht zu einer weiteren Untersuchung dieser Information verpflichtet. Vielmehr dürfe er sich auf die vom Emittenten erstellten compliance certificates verlassen.157 Als problematisch wird angesehen, dass diese certificates zum Zeitpunkt der „Bearbeitung“ durch den Repräsentanten bereits veraltete Informationen enthalten, die nicht immer zulassen, auf sie rechtzeitig zu reagieren.158 Des Weiteren wird die Reichweite der Informationsrechte des Gläubigervertreters kritisiert, nämlich dass er keinen Zugang zu den nicht öffentlichen Informationen über die finanzielle Lage des Emittenten hat.159 Öffentlich zugängliche Informationen enthielten zwar bestimmte Angaben und Zahlen, die eine Bewertung erleichterten. Sie gäben allerdings nur ein allgemeines Bild über die Leistungsfähigkeit des Emittenten; eine Beurteilung, ob ein Verstoß gegen financial covenants vorliege oder nicht, könnten sie nicht immer ermöglichen.160 Als Problem wird auch bezeichnet, dass Anleihegläubigerrepräsentanten sich zu einem selbständigen und eigenverantwortlichen Handeln nicht bereit zeigen, selbst wenn eine solche Möglichkeit besteht. Statt aktiv zu handeln 156  Vgl. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 213 („Der Vertreter nach dem SchVG 2009 ist bloß ein Sprachrohr der Emittentin. Das ist für eine funktionell positive Lösung absolut unzutreffend.“); Amihud/Garbade/Kahan, 51 Stanford L. Rev. 447, 465 (1999); Schmolke, ZBB 2009, 11 (16); Frank/Siebel/Schöndorf/ Veranneman/Warnholtz, Standards für Unternehmensanleihen unter dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 5, 7 ff., abrufbar unter: https://www.bvi.de/fileadmin/user_up load/Regulierung/Branchenstandards/Corporate_Bond_Standards/Corporate_Bond_ Standards_2016_07_21.pdf. 157  Vgl. Lev, 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 79 f. (2000); v. Randow, ILF Working Paper Series No. 139, S. 4 f. (2013). 158  Vgl. Kahan/Rock, 103 Northwestern University L. Rev. 281, 297 f. (2009). 159  Vgl. Amihud/Garbade/Kahan, 51 Stanford L. Rev. 447, 465, 472 (1999); Kahan/Rock, 103 Northwestern University L. Rev. 281, 298 (2009); Frank/Siebel/ Schöndorf/Veranneman/Warnholtz, Standards für Unternehmensanleihen unter dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 4, 7 ff., abrufbar unter: https://www.bvi.de/fileadmin/ user_upload/Regulierung/Branchenstandards/Corporate_Bond_Standards/Corporate_ Bond_Standards_2016_07_21.pdf 160  Vgl. Kahan/Rock, 103 Northwestern University L. Rev. 281, 298 (2009); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 387 ff.; Cagalj, Restrukturierungen von Anleihen, S. 291.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

und mit dem Emittenten über die Modalitäten der Restrukturierung zu verhandeln, konzentrierten sie sich in erster Linie darauf, wie man sich selbst schützen könne.161 Um das Haftungsrisiko zu minimieren, versuchten sie, die Gläubiger im Vorfeld der Handlung dazu zu bewegen, ihnen konkrete bindende Weisungen zu erteilen. Dies könne problematisch sein, weil das Er­ bitten von Weisungen zu Zeitverzögerungen führe.162 Ein weiteres Problem kann man in diesem Zusammenhang tatsächlich darin sehen, dass der Gläubigerrepräsentant von seiner Verhandlungsvollmacht faktisch gesehen keinen Gebrauch macht; er handelt in diesem Fall nur formal als Agent. Die tatsächliche Entscheidungskompetenz kehrt zurück zu den Gläubigern. Denn über die Frage, wie die Anleihe restrukturiert werden muss, entscheidet nicht mehr der Repräsentant, sondern entscheiden die Gläubiger selbst (im Wege einer Weisungserteilung). Der Sinn und Zweck der Einschaltung eines Repräsentanten besteht aber gerade darin, den Verhandlungsprozess nicht nur zu beschleunigen, sondern auch zu vereinfachen. Die Erreichung dieser Zwecke scheint gefährdet zu sein, wenn sich der Gläubigerrepräsentant auf die Sicherung eigener Rechte konzentriert. Schließlich spricht man auch von den sog. „market defects“.163 Man sieht ein Problem darin, dass der Gläubigerrepräsentant traditionell eine geringe Vergütung erhalte.164 Das Vergütungssystem sei in der Praxis so ausgestaltet, dass er vom Emittenten keine Sondervergütung für gesteigerte Bemühungen erhalte, insbesondere wenn ein default des Emittenten eintrete und der Vertreter aktiv tätig werde.165 Unter diesen Umständen bestünden folglich keine wirtschaftlichen Anreize, um entsprechend dem gesetzgeberischen Idealbild des Gläubigerrepräsentanten zu handeln.

161  Vgl. Schwarcz/Sergi, 59 Alabama L. Rev. 1037, 1046 (2008); Glazier, The Bond Buyer (07320469, v. 12.04.2016, Vol. 1 Issue 34492), S. 16; Lev, 8 University of Miami Bus. L. Rev. 47, 92 (2000); siehe auch Hill/Beech, 5 Capital Markets L.J. 5, 6 (2010). 162  Vgl. v. Randow, ILF Working Paper Series No. 139, S. 6 (2013). 163  Schwarcz/Sergi, 59 Alabama L. Rev. 1037, 1041 Fn. 29 (2008). 164  Vgl. Glazier, The Bond Buyer (vom 04.12.2016, Nr. 34492), S. 16; Kahan, 77 New York University L. Rev. 1040, 1063 (2002); Schwarcz/Sergi, 59 Alabama L. Rev. 1037, 1041 Fn. 29 (2008); Schwarcz, Indenture Trustee Duties: The Pre-Default Puzzle, S. 12, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3387414; siehe auch Hill/ Beech, 5 Capital Markets L.J. 5, 6 (2010); Santra, 29 IFLR 26 (2010). 165  Vgl. Kahan/Rock, 103 Northwestern University L. Rev. 281, 300 (2009); Kahan, 77 New York University L. Rev. 1040, 1063 f. (2002).



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II. Auseinandersetzung mit der Kritik Die genannten Kritikpunkte vermitteln den Eindruck, dass das System des Gläubigerrepräsentanten nur rein theoretisch funktionieren kann. Nach Ansicht der Kritiker stehen die Anleihegläubiger in der Praxis angeblich einem passiven Vertreter gegenüber, der nicht nur seine wichtigsten Funktionen nicht erfüllen kann, sondern sich darüber hinaus mehr auf den Schutz seiner eigenen rechtlichen und wirtschaftlichen Position konzentriert.166 Der Grund für eine solche Kritik und Frustration in der Praxis beruht darauf, dass man von einem Vertreter mehr erwartet, als er eigentlich kraft Gesetzes und der Anleihebedingungen unternehmen muss, sowie darauf, dass man die Einwirkungsmöglichkeiten der Gläubiger und des Vertreters selbst unterschätzt. 1. Zu der Rolle des gemeinsamen Vertreters als Informationsagenten In erster Linie wird die Rolle des gemeinsamen Vertreters als eines Informationsagenten der Gläubiger nicht korrekt interpretiert. Er darf und muss zwar wirtschaftliche Informationen betreffend die Leistungsfähigkeit des Emittenten sowie die Anleihe einsammeln, bewerten und an die Gläubiger weiterleiten, um deren Informationskosten zu reduzieren und ihnen insbesondere den Anlass zu nehmen, sich wegen dieser Kostenlast opportunistisch zu verhalten. Ihm darf allerdings nicht die Rolle eines aktiven externen Überwachungsagenten beim Vollzug des Schuldverhältnisses zugedacht werden, die ihm erlaubt, wie ein echtes Kontrollorgan des Emittenten zu handeln. Dem Emittenten steht es frei, dem gemeinsamen Vertreter zur Ermöglichung einer Überwachung zusätzliche Informationsrechte zur Verfügung zu stellen. Soweit allerdings die Anleihebedingungen dies nicht ausdrücklich vorsehen, gilt kein besonderes Offenlegungsregime zu Lasten des Emittenten. Davon geht auch der Gesetzgeber aus. Tatsächlich verpflichtet das SchVG den gemeinsamen Vertreter nicht zu einer aktiven Überwachung. Insbesondere gestattet das Gesetz keine Einsichtnahme in die Bücher des Emittenten und keine Teilnahme an seinen Mitglieder- oder Gesellschaftsversammlungen mit Rede- und Fragerecht. Zwar sieht das SchVG in § 7 Abs. 5 ausdrücklich vor, dass der gemeinsame Vertreter vom Emittenten verlangen kann, alle Auskünfte zu erteilen, die zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben erforderlich sind. Dieses Informationsrecht gibt dem gemeinsamen Vertreter allerdings keine Möglichkeit, eine Überwachungs- und Kontrollfunktion zu erfüllen. Wie bereits erklärt, stellt die Vorschrift lediglich klar, dass die Wei166  Vgl.

Santra, 29 IFLR 26 (2010).

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tergabe der Information seitens des Emittenten nicht an einzelne Gläubiger, sondern ausschließlich an den gemeinsamen Vertreter erfolgt.167 Der Entscheidung des Gesetzgebers ist zuzustimmen. Dass der gemeinsame Vertreter nicht zu einer aktiven Überwachung des Emittenten verpflichtet wird und dass ihm keine besonderen Informationsrechte zustehen, beruht auf der Überlegung, dass die Anleihegläubiger im Vergleich zu anderen Fremdkapitalgebern nicht privilegiert werden sollen.168 Sie dürfen kraft Gesetzes keinen besseren Zugang zu den nicht öffentlich zugänglichen Finanzdaten des Emittenten erlangen, sei es auch nicht direkt, sondern durch ihren Vertreter. Der Markt und die Anleihegläubiger müssen stets gleichen Stand insbesondere hinsichtlich preisrelevanter Informationen haben.169 2. Zum Vergütungssystem des gemeinsamen Vertreters Was die Kritik hinsichtlich der Vergütung des gemeinsamen Vertreters betrifft, muss klargestellt werden, dass es nicht die Aufgabe des Gesetzgebers ist, die Höhe der Vergütung festzulegen. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung in § 7 Abs. 6 SchVG, dass der gemeinsame Vertreter einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen einschließlich einer angemessenen Vergütung hat, seinerseits alles Erforderliche getan. Dieses Problem stellt ausschließlich ein Problem des Marktes (market defect170) dar, in den der Gesetzgeber nicht eingreifen darf. Zeigt sich der gemeinsame Vertreter mit der Höhe der Vergütung nicht zufrieden, steht es ihm frei, in den Vertrag mit dem Emittenten nicht einzutreten bzw. das bereits bestehende Rechtsverhältnis zu kündigen. Eine Art von Kontrahierungszwang sieht das deutsche Recht für den gemeinsamen Vertreter nicht vor. Als Alternative besteht die Möglichkeit, mit dem Emittenten neue Verhandlungen zu führen und zumindest ein erfolgs- bzw. vom Umfang der Tätigkeit abhängiges Entgelt zu vereinbaren. Dies scheint für ihn realistisch zu sein, weil er sich nicht nur in einer klassischen Zwei-Parteien-Verhandlungssituation befindet, sondern auch weil der Emittent ein eigenes Interesse an der Einschaltung des Gläubigervertreters hat. Selbst wenn aber die Verhandlung über die Vergütung nicht gelingt, bleiben die Rechte des gemeinsamen Vertreters geschützt, weil das SchVG einen Anspruch auf eine angemessene, d. h. vom Fall und Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit abhängige, Vergütung sichert. 167  Vgl.

Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 20. auch Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (399 f.). 169  Plepelits/Stehl, CFl 2012, 391 (399). 170  Siehe zum Begriff Schwarcz/Sergi, 59 Alabama L. Rev. 1037, 1041 Fn. 29 (2008). 168  Vgl.



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3. Zur Weisungserteilung durch Anleihegläubiger Schließlich kann die Kritik zur Passivität des Gläubigervertreters nicht überzeugen. Wie bereits erwähnt, zeigen sich viele in der Praxis damit nicht zufrieden, dass der Vertreter sich im Vorfeld der Handlung mehr um den Schutz eigener Rechte kümmert: Er bittet die Anleihegläubiger um eine Haftungsfreistellung oder sogar um die Erteilung einer konkreten Weisung, an die er gebunden ist und für deren Folgen er konsequenterweise nicht haftet. Zum einen muss jedoch beachtet werden, dass auch der gemeinsame Vertreter die Möglichkeit haben muss, seine Rechte zu schützen, insbesondere wenn ein großes Haftungsrisikos besteht. Um zu vermeiden, dass sich das Haftungsrisiko prohibitiv auf die Aktivität des gemeinsamen Vertreters auswirkt, muss die Möglichkeit der Beschränkung der Haftung gewährt werden, sei es im Wege einer Vereinbarung über eine Haftungsfreistellung oder sogar durch das Erbitten einer bindenden Weisung. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Anleihegläubiger nicht ohne jeglichen Schutz bleiben. Abgesehen von der Abberufungsmöglichkeit, steht den Gläubigern das Recht zu, einen solchen passiven gemeinsamen Vertreter auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen, wenn Weisungserteilungen zu ungewünschten Zeitverzögerungen führen und sich auf den Restrukturierungsprozess negativ auswirken. Denn der gemeinsame Vertreter wird nur von der Haftung wegen der Folgen des Vollzugs der Weisung befreit. Für die Folgen des Erbittens einer Weisung zur Unzeit, insbesondere wenn dem gemeinsamen Vertreter aufgrund seiner Erfahrung und Sachkompetenz sowie zu Vermeidung von Zeitverzögerungen infolge der Einberufung von Versammlungen eine Generalvollmacht erteilt wird, ist die Haftung nicht ausgeschlossen; der gemeinsame Vertreter haftet in diesem Fall nach den allgemeinen Vorschriften. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass der gemeinsame Vertreter mit einer geringeren Vergütung „bestraft“ werden kann. Ein Gläubigervertreter, der kein unternehmerisches Denken, keine Risikobereitschaft und keinen Wunsch, den Restrukturierungsvorgang zu beschleunigen und zu vereinfachen, demonstriert und stattdessen die ganze Entscheidungskompetenz den Anleihegläubigern formal zurückschiebt, kann nicht auf eine angemessen hohe Vergütung rechnen. III. Zwischenergebnis: Keine Notwendigkeit der Aktivierung der Rolle des gemeinsamen Vertreters Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass den Argumenten zu der angeblich passiven Rolle des gemeinsamen Vertreters nicht gefolgt werden kann. Es handelt sich um Scheinprobleme, auf die die Anleihegläubiger sowie der

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

gemeinsame Vertreter selbst auf Grundlage des SchVG adäquat reagieren können. Es besteht kein Bedürfnis und keine Notwendigkeit, die Rechte des Gläubigervertreters gesetzlich zu stärken und ihm insbesondere weitere Einwirkungsbefugnisse einzuräumen. Insbesondere darf nicht verlangt werden, dass der gemeinsame Vertreter den Zugang zu den nicht öffentlichen Informationen des Emittenten erlangt. Soweit die Anleihebedingungen nichts anderes vorsehen, darf der gemeinsame Vertreter den Emittenten nur im Rahmen eines allgemeinen Offenlegungsregimes überwachen, wie es auch sonst für Fremdkapitalgeber gilt. Ein neues Quasi-Kontrollorgan, ähnlich z. B. wie der Aufsichtsrat bei einer Ak­ tiengesellschaft, darf nicht zu Gunsten der Anleihegläubiger eingesetzt werden. Ebenso wenig darf dem gemeinsamen Vertreter die Rolle einer Panazee im Restrukturierungsvorgang, insbesondere bei den Verhandlungen mit dem Emittenten, zugeschrieben werden. Das Rechtsinstitut des Gläubigervertreters ist für aktive Anleihegläubiger gedacht, die sich nicht nur – im Bewusstsein der Vorteile des Auftretens „with a unified voice“171  – einen Vertreter suchen, sondern auch nach der Bestellung bereit sind, eine Kontrolle über seine Tätigkeit auszuüben. Scheint der gemeinsame Vertreter passiv zu handeln und seine Koordinationsaufgabe nicht mehr effektiv zu erfüllen, müssen die Anleihegläubiger ihrerseits die Fähigkeit demonstrieren, rechtzeitig einzugreifen und einen gewissen Druck oder Anreize zur Aktivierung seiner Rolle zu schaffen. Das SchVG sieht dafür ausreichende Einwirkungsmöglichkeiten vor. Es muss verstanden werden, dass allein die Berufung eines gemeinsamen Vertreters nicht alle Probleme lösen kann; die Anleihegläubiger müssen in der Lage sein, sein Handeln zu steuern, soweit dies erforderlich erscheint. Die Anleihegläubiger treffen insofern Risiken, die jedem anderen principal-agent-Verhältnis immanent sind. Dies heißt allerdings nicht, dass das Modell des Gläubigervertreters nach dem SchVG nicht funktionsfähig wäre. Das Gesetz identifiziert den gemeinsamen Vertreter als zusätzliches „Instrument“ zur Lösung von Koordinationsproblemen und übergibt die Gestaltung von dessen Befugnissen – faktisch gesehen – ausschließlich den Anleihegläubigern. Konsequenterweise wird es zum größten Teil von den Anleihegläubigern selbst abhängen, ob die Einschaltung dieses „Instruments“ sich rechtfertigt.

171  Meyers/Ramsey/Hindman, Payment of Indenture Trustee Fees and Expenses in Bankruptcy, S. 1, abrufbar unter: https://www.kilpatricktownsend.com/~/media/Files/ articles/2014/feature %20614 %20meyersramseyhindman.ashx.



§ 9 Gesamtbewertung der Regelungen des SchVG241

F. Zusammenfassung der Ergebnisse Das SchVG ermöglicht die Einsetzung einen Repräsentanten der Anleihegläubiger, also einen gemeinsamen Vertreters, als eines rechtsgeschäftlichen Vertreters, der, soweit ihm die Befugnisse ausdrücklich eingeräumt werden, in der Lage ist, für alle Gläubiger mit bindender Wirkung über die Restrukturierung der Anleihe zu entscheiden. Der gemeinsame Vertreter zentralisiert Gläubigerwillen und -rechte und macht sie in ihrer Gesamtheit zu einer Person. Er hilft den Anleihegläubigern, einheitlich, „with a unified voice“172 gegenüber dem Emittenten aufzutreten und dadurch das Kollektivhandlungsproblem zu lösen. Insofern kann der gemeinsame Vertreter als Äquivalent der Anleihegläubigergesamtheit betrachtet werden. Seine Einsetzung dient der Vereinfachung und Beschleunigung des Restrukturierungsvorgangs, wovon auch der Emittent profitieren kann, weil er in der Person der Vertreters einen zentralen kompetenten Ansprechpartner erlangt, über den man erforderliche Information schnell kanalisieren und mit dem man wie in einer klassischen Zwei-Parteien-Situation verhandeln kann. Die Untersuchung zeigt, dass eine strikte Annäherung des SchVG an die internationalen Standards in der Anleihepraxis, die heutzutage überwiegend vom US-amerikanischen und englischen Recht bestimmt werden, nicht erforderlich ist und sogar schädlich sein kann. Die Regelungsmechanismen des angloamerikanischen Rechts vermitteln keine effiziente Lösung und bergen ihrerseits Gefahren des Missbrauchs seitens des Gläubigervertreters. Im US-amerikanischen Recht kann insbesondere als kritisch angesehen werden, dass der Umfang der Tätigkeit sowie der Haftungsmaßstab des Vertreters im pre- und post-default-Zustand zum einen unterschiedlich geregelt werden und zum anderen, dass der Eintritt des default bzw. die In-VerzugSetzung des Emittenten die sog. notice of default seitens des Vertreters voraus­ setzt, der gesetzlich aber nicht dazu motiviert wird, diesen default rechtzeitig selbständig zu entdecken. Das bestehende Risiko, sich nach der In-Verzug-Setzung des Emittenten strengerer Haftung unterziehen zu müssen, sowie die Pflicht, aktiv zu handeln, stellen ein zusätzliches Motiv für den Gläubigervertreter dar, mit der notice of default möglichst länger abzuwarten. Er kann über den „Grad“ seiner Aktivität selbst entscheiden und dadurch die Rechte der Gläubiger gefährden.

172  Meyers/Ramsey/Hindman, Payment of Indenture Trustee Fees and Expenses in Bankruptcy, S. 1, abrufbar unter: https://www.kilpatricktownsend.com/~/media/Files/ articles/2014/feature %20614 %20meyersramseyhindman.ashx.

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Kap. 3: Das Rechtsinstitut des gemeinsamen Vertreters

Das englische Recht sieht ebenfalls keine optimale Lösung vor. Es beruht auf dem – nicht überzeugenden – Konzept, dass Anleihegläubiger lediglich Berechtigte „zweiter Klasse“ sind. Alle Rechte aus der Anleihe sind in den Händen des Vertreters konzentriert. Ohne Einschaltung des Vertreters können die Anleihegläubiger die Rechte gegen den Emittenten nicht geltend machen. Dies schafft Probleme, wenn dieser Vertreter seine Durchsetzungsrechte missbraucht, weil er sich z. B. zu einem aktiven Tun im Interesse der Gläubiger nicht ausreichend motiviert fühlt. Im Vergleich zum US-amerikanischen und englischen Recht bietet das deutsche Recht ein besseres Regelungsmodell. Der deutsche Gesetzgeber versucht in erster Linie hervorzuheben, dass die Rechtsfigur des gemeinsamen Vertreters ein „Produkt“ der Entscheidung der Anleihegläubiger und nicht des Gesetzes darstellt. Das SchVG enthält wenig imperative Vorgaben. Es zeichnet sich durch einen sehr flexiblen Regelungsrahmen aus. Um die Autonomie der Anleihegläubiger zu betonen, überlässt der Gesetzgeber die Bestimmung der wesentlichen Punkte, z. B. hinsichtlich der Befugnisse, Einwirkungsmöglichkeiten sowie des Umfangs des verdrängenden Mandats des gemeinsamen Vertreters, den Anleihegläubigern. Selbst zu dem Zeitpunkt der Bestellung des Gläubigerrepräsentanten enthält das SchVG keine zwingenden Vorschriften. Trotzdem gelingt es dem Gesetzgeber, die erforderliche Grundlage für die Erfüllung der Hauptfunktionen des gemeinsamen Vertreters zu schaffen, die dessen Einsetzung in der Rolle des Agenten der Gläubiger rechtfertigen. Erhebliche Regelungsdefizite, die den Gläubigervertreter insbesondere zu einem passiven Handeln motivieren, sind nicht ersichtlich. Der Annahme einer Diskrepanz zwischen dem Idealbild des gemeinsamen Vertreters in der Theorie sowie seiner Stellung in der Praxis kann nicht gefolgt werden. Die Argumente der Kritiker scheinen kaum zu überzeugen, weil sie die funktionale Bedeutung des gemeinsamen Vertreters nicht zutreffend begreifen bzw. die Einwirkungsmöglichkeiten der Anleihegläubiger selbst unterschätzen. Dass der gemeinsame Vertreter als Informationsintermediär nach dem Gesetz auftreten kann, soll z. B. nicht heißen, dass ihm wieder kraft Gesetzes spezielle Informationsrechte zur Verfügung gestellt werden müssen, die ihm im Vergleich zu anderen Fremdkapitalgebern eine aktivere Überwachung des Emittenten ermöglichen. Sehen die Anleihegläubiger sich dem Problem ausgesetzt, dass ihr Vertreter passiv handelt, müssen sie selbst aktiv eingreifen und sein Verhalten steuern. Das SchVG und das geltende Recht sehen dafür ausreichende Möglichkeiten vor. Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass die Einschaltung des gemeinsamen Vertreters allein alle Probleme lösen kann. Die Gläubiger treffen in diesem Fall die Risiken, die jedem anderen principal-agent-Verhältnis immanent sind.



§ 9 Gesamtbewertung der Regelungen des SchVG243

Das Einzige, was im SchVG zum Institut des gemeinsamen Vertreters kritisiert werden kann, ist die Regelung zu Interessenkonflikten, die in der Person des Gläubigervertreters entstehen. Es scheint nicht problematisch zu sein, dass der Gesetzgeber dem Interessenkonflikt statt einer Nichtigkeitsfolge mit Offenlegungspflichten begegnet. Dieses Konzept kann aber insgesamt nur dann akzeptiert werden, wenn das Gesetz die Gläubiger auch für den Fall schützt, dass der gemeinsame Vertreter seinen Offenlegungspflichten bösgläubig zuwiderhandelt. Dies ist gerade nicht der Fall. Die Schutzmöglichkeiten, die das SchVG vorsieht, entfalten eine relativ geringe disziplinierende Wirkung; insbesondere ermöglichen sie keinen ex-ante-Schutz, der dem voreingenommenen Vertreter die Anreize nimmt, sich in eine Konfliktsituation zu begeben. De lege ferenda könnte zum einen ein Leistungsverbot zu Lasten des Vertreters in der Rolle eines Finanzgläubigers des Emittenten festgelegt und zum anderen das Eingreifen der Vorschrift des § 177 BGB für den Fall vorgeschrieben werden, wenn der Vertreter aus dem „Lager“ des Emittenten stammt. Außerdem ist es erforderlich, die Mindestgrenze der Beteiligung in § 7 Abs. 1 S. 2 SchVG herabzusetzen und den Geltungsbereich der Ordnungswidrigkeit des § 23 Abs. 2 SchVG zu erweitern.

Kapitel 4

Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen Wenn das SchVG – zur Ermöglichung der Bondholder Governance – der Mehrheit der Anleihegläubiger das Recht gibt, über die Anleiherestrukturierung mit bindender Wirkung für alle zu entscheiden, sei es durch Mehrheitsbeschluss oder im Wege der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, muss es gleichzeitig Schutzmechanismen für den Fall vorsehen, dass die Mehrheit dieses Recht zu Lasten der Minderheit missbraucht. Die nächste wichtige Frage, die untersucht werden soll, ist also, ob für die Minderheit nach dem Gesetz die Möglichkeit besteht, ihren status quo, ihre individuellen Rechte, die durch eine kollektive Entscheidung verletzt worden sind, wiederherzustellen. Es muss geprüft werden, ob die Rechte der opponierenden Minderheit sich in einer Balance mit den Rechten der restrukturierungswilligen Mehrheit halten, die hilft, den Missbrauch der Entscheidungsträger auszuschließen. Gerade für einen solchen Fall lässt das SchVG die Minderheit nicht ohne Schutz. Das Gesetz ermöglicht eine Beschlusskontrolle im Rahmen einer Anfechtungsklage, die die Anleihegläubiger gegen den Emittenten richten müssen. Die Beschlusskontrolle ist als Korrelat des Mehrheitsprinzips konzipiert.1 Diese Idee ist dem Aktienrecht entnommen und wird vom Gesetzgeber als effiziente Lösung betrachtet, die den Anleihegläubigern nicht nur erlaubt, ihre eigenen Rechte zu schützen, sondern sogar, den Beschluss im Fall des Obsiegens mit Wirkung für alle zu kassieren. Das Recht der Mehrheit, über die Anleiherestrukturierung mit bindender Wirkung zu entscheiden, korrespondiert dem Recht der dissentierenden Minderheit und sogar eines einzelnen Gläubigers, gegen diesen Beschluss im Fall seiner Rechtswidrigkeit gerichtlich vorzugehen und ihn mit erga-omnes-Wirkung aus der Welt zu schaffen. Ob dieses Schutzsystem sich als so effektiv erweist, wie es auf den ersten Blick scheint, oder lediglich falsche Anreize für die Anleihegläubiger schafft, wird im Folgenden näher untersucht. Es wird zunächst erklärt, inwieweit der Beschluss einer gerichtlichen Kontrolle überhaupt unterliegen kann, welche prozessualen Besonderheiten für den klagenden Anleihegläubiger gelten und 1  Vgl. Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 4; siehe auch zum Aktienrecht K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 647.



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 245

insbesondere welche Folgen für den Restrukturierungsvorgang die Kassation des Beschlusses nach sich ziehen kann. Anschließend werden Nachteile des geltenden Anfechtungsrechts untersucht und es wird gezeigt, inwieweit das SchVG geändert werden muss, um das erforderliche Gleichgewicht der Einwirkungsmöglichkeiten der Mehrheit und der Minderheit im Rahmen der Bondholder Governance gewährleisten zu können.

§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata „Eine ewige Erfahrung lehrt, dass jeder Mensch, der Macht hat, dazu getrieben wird, sie zu missbrauchen. Er geht immer weiter, bis er an Grenzen stößt.“2

Im Wege der Reform entschloss sich der Gesetzgeber, nicht nur den Geltungsbereich des Mehrheitsprinzips bei einer Anleiherestrukturierung zu erweitern, sondern auch die Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelgläubigers neu zu regeln. Das alte SchVG 1899 sah keine besonderen Schutzmechanismen gegen rechtswidrige Mehrheitsbeschlüsse vor. Anleihegläubiger konnten gegen Beschlüsse im Wege einer Leistungs- oder Feststellungsklage (§ 256 ZPO) oder außerprozessual durch Einrede vorgehen.3 Die Geltendmachung eines Rechtsverstoßes war dabei nicht zeitlich befristet. Daneben galt der Grundsatz relativer Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen (§ 325 ZPO). D. h. Rechtsverstöße hatten Auswirkungen nur auf das individuelle Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem klagenden Anleihegläubiger. Eine ergaomnes-Wirkung des stattgebenden Urteils in Analogie zum Aktienrecht (§ 248 Abs. 1 S. 1 AktG) war im Gesetz nicht vorgesehen.4 2  Charles Louis de Secondat, Baron de La Brède de Montesquieu, „Vom Geist der Gesetze“ (1748; elftes Buch), französischer Schriftsteller, Philosoph und Staatstheoretiker (*1689–1755). 3  Siehe Regierungsbegründung zum SchVG 1899 v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 913; dazu und zum Folgenden siehe auch Vogel, Die Vergemeinschaftung, S. 132 m. w. N.; ders., ZBB 2010, 211 (217); ders., in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 4; Baums, ZBB 2009, 1 (3); Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (228); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 171; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 324; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 2; Kiem, in: Hopt/ Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 9; Wasmann/Steber, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 20 Rn. 1. 4  Ansmann, SchVG 1899, § 1 Rn. 50; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 1; Baums, ZBB 2009, 1 (3); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 323 f. Siehe insbesondere zur Übertragung der aktienrechtlichen Beschlussmängelklage die Regie-

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

Dieses Rechtsschutzsystem wurde als mangelhaft angesehen. Zum einen wurde kritisiert, dass es zu Rechtsunsicherheit beim Emittenten und Garantiegeber führe, weil diese ständig und sogar Jahre nach der Fassung von Mehrheitsbeschlüssen mit Unverbindlichkeitseinwänden rechnen müssten.5 Gerügt wurde auch, dass die beschränkte Rechtskrafterstreckung des Urteils des klagenden Einzelgläubigers zu einer unerträglichen Situation für andere Investoren führe.6 Zum anderen wurde geltend gemacht, dass das alte SchVG 1899 die Anleihegläubiger diskriminiere. Denn ihnen stehe „kein besonderes“ oder „irgendein“ Anfechtungsrecht gegen rechtswidrige Beschlüsse zu. Sie seien wesentlich schlechter gestellt als Aktionäre.7 Bereits zum Zeitpunkt der Fassung des SchVG 1899 plädierte man für die Übertragung des aus dem Aktienrecht bekannten Rechtsschutzsystems in das Schuldverschreibungsrecht.8 Da das alte SchVG keine relevante Bedeutung für die Anleiherestrukturierungspraxis aufgrund seines geringen Anwendungsbereichs aufwies, wurde noch keine dringende Notwendigkeit gesehen, Schutzrechte von Anleihegläubigern in Analogie zum Aktienrecht zu gestalten. Die Frage nach dem effektiveren Rechtsschutz stellte sich im Prinzip gar nicht.9 Mit der Erweiterung der Einwirkungsrechte der Mehrheit im Wege der Gesetzesreform im Jahr 2009 änderte sich die Situation und der Gesetzgeber entschloss sich, auf das „bewährte“10 aktienrechtliche Anfechtungsrecht, so rungsbegründung zum SchVG 1899 v. 03.02.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, Aktenstück Nr. 105, S. 913 („Von besonderen Vorschriften über Form und Zeit für die Geltendmachung der Nichtigkeit, wie sie das Handelsgesetzbuch bezüglich der Anfechtung des Beschlusses der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft enthält, hat der Entwurf abgesehen. Die Beschränkungen, welche den Mit­ glieder[n] einer Gesellschaft in der fraglichen Beziehung auferlegt werden können, eignen sich nicht ohne Weiteres zur Anwendung gegenüber den Gläubigern; auch würde die Übertragung jener Beschränkungen auf die Anfechtung von Beschlüssen einer Gläubigerversammlung im Einzelnen erheblichen Schwierigkeiten begegnen.“). 5  Vgl. Ansmann, SchVG 1899, § 1 Rn. 51; Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (228); Vogel, ZBB 2010, 211 (217); ders., in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 4; Kiem, in: Hopt/ Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 9. 6  Vgl. Baums, ZBB 2009, 1 (3); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 1; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 9. 7  Siehe den Redebeitrag des Abgeordneten v. Strombeck, Erste Lesung des Regierungsentwurfes v. 07.03.1899, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, I. Session 1889–1899, 2. Anlageband, S. 1384 sowie in der zweiten Lesung des Gesetzes v. 18.11.1899, a. a. O., 4. Anlageband, S. 2892. 8  Siehe v. Strombeck, a. a. O. 9  Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1322); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 1. 10  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 1.



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 247

wie es vorgeschlagen wurde, zurückzugreifen.11 Nun beinhaltet der neu gefasste § 20 SchVG 2009 das Recht des Einzelgläubigers, den Mehrheitsbeschluss der Gläubiger wegen Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen durch Klage anzufechten.

A. Das Verhältnis zu anderen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen rechtswidrige Beschlüsse Nach dem neuen SchVG stellt die Anfechtungsklage die einzige Möglichkeit für den Gläubiger dar, gegen rechtswidrige Änderungsbeschlüsse vorzugehen (zur Nichtigkeitsklage siehe unter Kapitel 4 § 10 K.). Die Rechtsschutzmöglichkeiten, die nach dem alten SchVG vorgesehen waren, stehen ihm nicht mehr zu. Insbesondere kann der Einzelgläubiger keine allgemeine Feststellungsklage erheben. Die Geltendmachung von Beschlussmängeln durch Einrede ist ebenfalls ausgeschlossen. Insofern greift der Subsidiaritätsgrundsatz.12 Aus Sicht der Anleihegläubiger führt die Neuregelung nicht zur Erweiterung, sondern zur Beschränkung von deren individuellen Rechtsschutzmöglichkeiten.13

B. Gegenstand der Anfechtung Nach § 20 SchVG kann ein „Beschluss der Gläubiger“ angefochten werden. Unter diesem Begriff versteht man die innere Willensäußerung, Entscheidung oder auch den kollektiven Willensakt der Gesamtheit der Anleihegläubiger14 über einen Antrag, und zwar unabhängig davon, ob die Willens11  Die Gesetzesmaterialien enthalten allerdings keine Begründung hinsichtlich der Notwendigkeit, die Anfechtungsrechte der Anleihegläubiger an diejenigen der Aktionäre anzulehnen, sehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 25. 12  Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 324 f.; siehe auch Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 1, 10; Simon, CFl 201, 159 (164); Vogel, ZBB 2010, 211 (217); ders., in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 4; Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 6 (2013); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 12, 38. 13  Vogel, ZBB 2010, 211 (217); ders., in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 4; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 323; vgl. auch Baums, ZBB 2009, 1 (3); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 1, 10; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 9; Wasmann/Steber, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 20 Rn. 1. 14  Minderheitsverlangen i. S. d. § 13 Abs. 3 SchVG, wenn also Gläubiger, deren Schuldverschreibungen zusammen 5 % der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen, die Bekanntmachung neuer Gegenstände zur Beschlussfassung verlangen,

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

bildung in einer Gläubigerversammlung (§§ 9–17 SchVG) oder ohne (physische) Versammlung i. S. d. § 18 SchVG erfolgte.15 Der Beschluss bedarf nach § 16 Abs. 3 S. 1 und 2 (bzw. § 18 Abs. 4 S. 3) SchVG zu seiner Gültigkeit einer notariellen oder gleichwertigen16 Niederschrift. Die Feststellung des Abstimmungsergebnisses durch eine Niederschrift wirkt also konstitutiv; ohne solche Feststellung liegt kein anfechtbarer Beschluss vor. Dabei ist unerheblich, ob das beurkundete Abstimmungsergebnis richtig wiedergegeben wird.17 Als „Beschluss“ gilt auch der sog. Beschluss auf Widerspruch.18 Diese Konstellation ist insbesondere bei der Beschlussfassung ohne physische Versammlung relevant (§ 18 Abs. 5 SchVG). Hilft der Abstimmungsleiter dem eingelegten Widerspruch ab, ist er gesetzlich verpflichtet, das Beschluss­ ergebnis abweichend von der ursprünglichen Feststellung (neu) festzustellen und bekannt zu machen (§ 17 SchVG). Diese Neufeststellung kann mit der Anfechtungsklage angegriffen werden.19 Im Schuldverschreibungsrecht sind schließlich die sog. Nicht- oder Scheinbeschlüsse denkbar, gegen die die Anleihegläubiger – genauso wie z. B. im Aktienrecht – prozessual vorgehen können. Lautet der festgestellte Beschluss auf Ablehnung des Antrags, obwohl bei dem richtigen Beschlussergebnis die Annahme dieses Antrags festzustellen wäre, können die Gläubiger eine Klage auf Feststellung des „Ja“-Beschlusses (positive Beschlussfeststellungsklage) erheben. Diese Klage muss allerdings mit einer Anfechtungsklage gegen den ablehnenden Beschluss verbunden werden.20 Allein die Erhebung der Anfechtungs- oder Beschlussfeststellungsklage reicht nicht, um den rechtmäßigen Zustand herzustellen.21

können dagegen nicht angefochten werden. Sie können nicht als Beschlüsse i. S. d. § 20 SchVG qualifiziert werden, weil sie lediglich das Ergebnis der Willensbildung der Minderheit und nicht der Gesamtheit der Anleihegläubiger darstellen, siehe dazu Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 14. 15  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 25. 16  Ausführlich zu der Niederschrift siehe Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318). 17  Maier-Reimer, a. a. O., S.  1318; Friedl, in: FraKommSchVG, §  20 Rn. 11; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 23 f. 18  Zur Widerspruchseinlegung siehe unter Kapitel 4 § 10 D. I. 19  Vgl. Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318 f.). 20  Vgl.  Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318); siehe auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S.  441 f. 21  Vgl. Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 246 Rn. 43.



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 249

C. Anfechtungsgrund Gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 SchVG kann ein Anleihegläubigerbeschluss aus zwei Gründen angefochten werden, nämlich wegen Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen. Die Anfechtungsgründe sind dem § 243 Abs. 1 AktG nachgebildet, der wiederum bestimmt, dass im Wege einer Anfechtungsklage Verstöße gegen das Gesetz oder die Satzung der Aktiengesellschaft geltend gemacht werden können.22 I. Verletzung des Gesetzes Für die Anfechtung ist relevant nicht nur die Verletzung von Vorschriften des SchVG 2009. Der Begriff „Gesetz“ wird weit gefasst; er erfasst – wie im Aktienrecht – die Verletzung jeder Rechtsnorm i. S. d. Art. 2 EGBGB. „Gesetz“ ist jedes Gesetz im formellen Sinne, jede Rechtsverordnung, jede Satzung von öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten sowie Gewohnheitsrecht.23 § 20 Abs. 1 S. 1 SchVG greift über das SchVG hinaus bei jedem Gesetzesverstoß, soweit sein Geltungsbereich den Emittenten, die Gläubiger und die Schuldverschreibungen erfasst.24 II. Verletzung der Anleihebedingungen Die Verletzung der Anleihebedingungen stellt einen weiteren Anfechtungsgrund dar. Unter dem Begriff „Anleihebedingungen“ versteht man nach der Legaldefinition des § 2 S. 1 SchVG die Bedingungen zur Beschreibung der Leistung sowie der Rechte und Pflichten des Emittenten und der Anleihegläubiger. Als solche sind allerdings auch die sog. Nebenbestimmungen zu verstehen, die nicht in § 2 S. 1 SchVG, sondern in § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 10 SchVG erwähnt sind; sie können auch Gegenstand eines Änderungsbeschlusses der Anleihegläubiger sein.25 Konstitutiv für die Wirkung der Anleihebedingungen gilt deren Niederlegung in der Urkunde (Skripturprinzip, siehe § 2 S. 1 SchVG). Das SchVG geht vom traditionellen wertpapierrechtlichen Leitbild einer umlauffähigen Urkunde aus, aus der sich der Inhalt des verbrieften Rechts direkt – oder indirekt, durch Verweis (gem. § 2 S. 2 SchVG) – ergeben 22  Siehe

Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 25. in: Palandt, EGBGB, Art. 2, Rn. 1; Gärtner, in: Veranneman, SchVG, 1. Aufl., § 20 Rn. 4. 24  Vgl. Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 18; Gärtner, in: Veranneman, SchVG, 1. Aufl., § 20 Rn. 4; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 15; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 18. 25  Siehe dazu Hartwig-Jacob, in: FraKommSchVG, § 2 Rn. 27 ff. 23  Thorn,

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

muss.26 Abreden der Anleihegläubiger mit dem Emittenten, die nicht in der Urkunde enthalten sind, stellen also keine Anleihebedingungen dar und können daher nicht im Wege einer Anfechtungsklage angegriffen werden.27 III. Beschlussmängel Die Mängel, auf die die Anleihegläubiger ihre Klage stützen können, kann man in zwei Gruppen einteilen, nämlich Verfahrensmängel sowie Mängel, die den materiell-rechtlichen Inhalt des Mehrheitsbeschlusses betreffen.28 1. Verfahrensmängel a) Fehlerhafte Einberufung und Durchführung der Gläubigerversammlung Verfahrensfehler entstehen bei Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften oder Anleihebedingungen, die die Art und Weise der Fassung, also das Zustandekommen des Beschlusses, regeln.29 Als solche berechtigen zur Anfechtung Fehler bei der Einberufung der Gläubigerversammlung (§§ 9–12 SchVG), insbesondere wegen der Nichteinhaltung der Einberufungsfrist, bei der Einberufung an einem unzulässigen Versammlungsort30 oder bei der Verletzung von Bekanntmachungspflichten (§ 9 Abs. 2 S. 3 und § 12 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 SchVG). Verstöße gegen Vorschriften, die die Tagesordnung regeln (§ 13 SchVG), insbesondere wenn die vom Gesetz vorgesehene Bekanntmachung der Tagesordnung nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erfolgt, berechtigen ebenfalls zur Anfechtung. In diesem Zusammenhang stellt § 13 Abs. 2 S. 2 SchVG sogar ausdrücklich klar, dass über Gegenstände 26  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 17. Bedingungen können auch außerhalb der Urkunde niedergelegt werden, wenn sie nicht zum Umlauf bestimmt ist und in dieser Urkunde auf die Bedingungen Bezug genommen wird, siehe § 2 S. 2 SchVG (incorporation by reference), dazu Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 2 Rn. 5. 27  Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 24. 28  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 25. 29  Dazu und zum Folgenden siehe Vogel, ZBB 2010, 211 (218  f.); ders., in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 19; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 26; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 341 f.; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 17; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 52 ff. 30  § 11 S. 1 SchVG ist als Soll-Vorschrift in Anlehnung an § 121 Abs. 5 AktG formuliert. Im Aktienrecht gehen die Gerichte von der Anfechtbarkeit des Beschlusses aus, siehe Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 243 Rn. 8 m. w. N.; dazu auch Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 341.



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 251

der Tagesordnung, die nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sind, keine Beschlüsse gefasst werden dürfen. Fehler können auch bei der Durchführung der Versammlung auftreten, in erster Linie wegen der Nichtzulassung stimmberechtigter Gläubiger (oder deren Bevollmächtigten) zu der Versammlung, beim Erschwernis der Teilnahme (Durchführung einer widerrechtlichen Zugangskontrolle, Schaffung von Hindernissen, die die akkurate Verfolgung des Versammlungsverlaufs stören, Einschränkung des Rederechts etc.) sowie wegen der fehlerhaften Feststellung des Beschlussergebnisses infolge der Nichtbeachtung eines Stimmverbots, wegen Zählfehlern oder der Verkennung von Mehrheitserfordernissen.31 Liegt einer der genannten Verfahrensfehler vor, berechtigt er zur Anfechtung des Beschlusses nicht in jedem Fall. Es ist – wie im Aktienrecht – anerkannt, dass § 20 Abs. 1 S. 1 SchVG trotz seines Wortlauts („Ein Beschluss … kann wegen der Verletzung des Gesetzes … angefochten werden“) eng ausgelegt werden muss und Fehler unbeachtlich sind, die keinen Einfluss auf das Beschlussergebnis haben. Ob dies der Fall ist, wird im Sinne des – dem Aktienrecht entlehnten – Relevanzerfordernisses beurteilt, das z. B. für Informationsmängel sogar ausdrücklich im SchVG (§ 20 Abs. 1 S. 2 SchVG, dazu sogleich) festgeschrieben ist. Nach diesem Relevanzerfordernis ist nicht bloß auf die potenzielle Kausalität zwischen der Abstimmung und dem Beschlussergebnis abzustellen. Entscheidend ist vielmehr – nach heutiger Auffassung – die wertende Betrachtung, die sich am Schutzzweck der Norm (oder der Anleihebedingung), gegen die verstoßen wurde, orientiert.32 Es kommt auf die Bedeutung des Verstoßes für die Rechtsposition der Anleihegläubiger an und es ist danach zu fragen, ob der Sinn und Zweck der verletzten Norm33 (bzw. der Anleihebedingung) die Anfechtbarkeit des gefassten Beschlusses im Interesse der Ermöglichung einer sachgerechten Ausübung von Gläubigerrechten erfordert.34 31  Siehe dazu auch Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 27; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 342; Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 21; zum Aktienrecht Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 243 Rn. 9, § 245 Rn. 18 ff. 32  Siehe zum Aktienrecht BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, NJW 2002, 1128 (1129); BGH, Urt. v. 20.09.2004 – II ZR 334/02, ZIP 2004, 2186 (2190); BGH, Urt. v. 20.09.2004 – II ZR 288/02, ZIP 2004, 2093; BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, ZIP 2004, 2428 (2430). 33  Siehe dazu Friedl, in: FraKommSchVG, §  20 Rn. 41; Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 22; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 52; zum Aktienrecht siehe Schulenburg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht, S. 316 f. m. w. N.; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 243 Rn. 34. 34  Eine weitere Ausnahme bei Verstoßen gegen Einberufungsvorschriften bejaht man – wiederum in Anleihung an das Aktienrecht (siehe § 121 Abs. 6 AktG; ähnlich im GmbH-Recht, siehe § 51 Abs. 3 GmbHG) – in dem Fall, dass eine Vollversamm-

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

b) Informationsmängel Wegen eines Verfahrensfehlers kann ein Beschluss außerdem beim Vorliegen von Informationsmängeln angefochten werden. Nach § 20 Abs. 1 S. 2 SchVG stellt eine unrichtige, unvollständige oder verweigerte Erteilung von Informationen bei der Gläubigerabstimmung einen Anfechtungsgrund dar. In diesem Zusammenhang ist insbesondere § 16 Abs. 1 SchVG, eine der zentralen Vorschriften im Gesetz, zu beachten, der das Informationsrecht des Anleihegläubigers gegenüber dem Emittenten in der Versammlung vorsieht.35 Gemäß § 16 Abs. 1 SchVG ist der Emittent verpflichtet, jedem Gläubiger auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstandes der Tagesordnung oder eines Vorschlags zur Beschlussfassung erforderlich ist. Das Informationsrecht des Gläubigers ist somit bedingt durch das Erforderlichkeitskriterium.36 Mangels solcher Erforderlichkeit scheidet eine Auskunftspflicht des Emittenten – und mithin auch ein Informationsmangel – aus. In diesem Fall steht dem Gläubiger von vornherein kein Anfechtungsrecht zu.37 War dagegen die Information zur sachgemäßen Beurteilung des Beschlussvorschlags erforderlich und ist der Emittent seiner Auskunftspflicht nicht nachgekommen, muss der Informationsanspruch darüber hinaus dem bereits erwähnten und für Informationsmängel ausdrücklich festgeschriebenen Relevanzerfordernis entsprechen.38 In Analogie zum Aktienrecht besteht für die Anleihegläubiger die Möglichkeit, den Beschluss wegen Informationsmängeln anzufechten, nicht unbeschränkt.39 § 20 Abs. 1 S. 2 SchVG übernimmt lung stattfindet und kein Gläubiger der Beschlussfassung trotz Nichtbeachtung der Vorschriften widerspricht, dazu Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 17; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 27. Die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Konstellation für die Anleihegläubiger ist allerdings sehr gering. 35  Vgl. auch Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 29. 36  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 23. 37  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 18; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 59. 38  Vgl. auch Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 343; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 30; ebenso in diese Richtung tendierend Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 23; Wasmann/Steber, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 20 Rn. 15; a. A. Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 60 („Gegenüber dem Merkmal der Erforderlichkeit in § 16 Abs. 1 SchVG ist mithin kein gesteigertes Relevanzerfordernis gegeben.“). 39  Siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 23 („Ein Beschluss … kann wegen angeblicher Verletzung des Fragerechts … nur eingeschränkt mit der Klage angefochten werden (§ 20 Absatz 1 Satz 2, vgl. § 243 Absatz 4 AktG).“).



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die Schranken des § 243 Abs. 4 S. 1 AktG und stellt (zusätzlich) fest, dass Informationsmängel nur dann beachtlich sind, wenn ein objektiv urteilender Anleihegläubiger die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für sein Abstimmungsverhalten angesehen hätte. Kann die Information also nach wertender Betrachtung nicht als wesentlich angesehen werden, steht dem Gläubiger kein Anfechtungsrecht zu. Auf die Frage, ob die Gläubigerversammlung bzw. der klagende Gläubiger bei der Erteilung der begehrten Information anders abgestimmt hätte, kommt es, wie bereits erwähnt, nicht an.40 c) Technische Störungen Die Möglichkeit, den Beschluss wegen technischer Störungen anzufechten, wenn dies zu einer Verletzung von Rechten der Gläubiger bei der Abstimmung ohne (physische) Versammlung (§ 18 SchVG) führte, ist ebenfalls beschränkt. Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 S. 3 SchVG, die dem § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG nachgebildet ist41, berechtigt zur Anfechtung nur dann, wenn die technische Störung vom Emittenten grob fahrlässig oder vorsätzlich verursacht wurde. Die Regelung überträgt die Beweislast auf den klagenden Gläubiger („es sei denn“).42 2. Inhaltsfehler a) Gleichbehandlungsgrundsatz, Leistungs- und Hauptforderungsausschlussverbot Der Beschluss der Anleihegläubiger kann auch wegen Unvereinbarkeit mit dem materiellen Recht angefochten werden. Ein Inhaltsfehler liegt bereits dann vor, wenn der gefasste Beschluss nicht die gleichen Bedingungen für alle Gläubiger vorsieht (§ 5 Abs. 2 S. 2 SchVG)43 oder eine Verpflichtung zur Leistung begründet (§ 5 Abs. 1 S. 3 SchVG). Aus § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 3 SchVG ergibt sich – im Umkehrschluss – außerdem, dass allein über den vollständigen Ausschluss der Hauptforderung im Wege einer Mehrheitsentscheidung mit bindender Wirkung für alle ebenfalls nicht wirksam beschlossen werden kann.44 40  Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 22; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 30; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 343. 41  Siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 25. 42  Kritisch dazu Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 33. 43  Die Regelung sieht eine Ausnahme für den Fall vor, dass die benachteiligten Gläubiger der Ungleichbehandlung zustimmen (§ 5 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 SchVG). 44  Dazu bereits oben unter Kapitel 1 § 2 B. II. 3. c) bb).

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

b) Materielle Beschlusskontrolle Zur Anfechtbarkeit des Beschlusses wegen anderer Inhaltsfehler enthält das SchVG keine Aussage. Es ist insbesondere nicht klar, ob Mehrheitsbeschlüsse einer materiellen Inhaltskontrolle – ähnlich wie im Aktienrecht –, die über bloße Missbrauchskontrolle hinausgeht, unterliegen. Die Gesetzesbegründung weist ausdrücklich darauf hin, dass die gericht­ liche Kontrollmöglichkeit von Beschlüssen nach § 20 Abs. 1 SchVG an das aktienrechtliche Verfahren und die aktienrechtliche Anfechtungsklage angelehnt sei.45 Im Aktienrecht tragen kollektive Willensbildungen in Gestalt von Mehrheitsbeschlüssen der Aktionäre als privatautonome Entscheidungen grundsätzlich Richtigkeit in sich.46 Wie der BGH zum ersten Mal im Fall „Kali & Salz“47 bezogen auf einen Bezugsrechtsausschluss (bei regulärer Kapitalerhöhung) entschieden hat, reicht das Mehrheitsprinzip in einigen Fällen nicht; vielmehr müssen Hauptversammlungsbeschlüsse der Aktionäre zusätzlich einer sachlichen Inhaltskontrolle unterworfen werden. Im Rahmen dieser Inhaltskontrolle wird geprüft, ob der Beschluss gemessen am Unternehmensinteresse und am Interesse der Aktionäre verhältnismäßig erscheint bzw. ob er nicht gegen das Übermaßverbot verstößt.48 Zu der Reichweite der materiellen Inhaltskontrolle im Aktienrecht existieren noch Fragen.49 Es ist noch nicht abschließend geklärt, wann das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal „materielle Rechtfertigung“ auf Mehrheitsbeschlüsse der Hauptversammlung anwendbar ist.50 Man geht davon aus, dass eine Inhaltskontrolle zumindest dann veranlasst ist, wenn die Stellung der Aktionäre, ihr Einfluss auf die Gesellschaft oder Chancen auf Beteiligung am Unternehmensertrag durch die beschlossene Maßnahme strukturell nachhaltig verschlechtert werden.51 Trägt der Eingriff in die Mitgliedschaft eine 45  Begr.

RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 25. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 451. 47  BGH, Urt. v. 13.03.1978 – II ZR 142/76, NJW 1978, 1316 ff. 48  Vgl. BGH, Urt. v. 13.03.1978 – II ZR 142/76, NJW 1978, 1316 (1317); Hüffer, MüKo, AktG, § 243 Rn. 57; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 16 Rn.  152 ff.; Schulenburg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht, S. 289; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 243 Rn. 14. 49  Der Gesetzgeber bezeichnete dieses Problem als Grundsatzproblem des Gesellschaftsrechts, siehe Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts v. 01.02.1994, BT-Drs. 12/6699, S. 86 (Begr. zu § 13 UmwG). 50  Zusammenfassend zu den im Schrifttum vertretenen Ansichten Hüffer, in: MüKo, AktG, § 243 Rn. 63; Timm, ZGR 1987, 403 (410 ff.); Mayer, Materielle Beschlusskontrolle im Kapitalgesellschaftsrecht, S. 108 ff.; zustimmend zu umfassender Kontrolle Wiedemann, ZGR 1980 147 (157). 51  Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 16 Rn. 153. 46  Vgl.



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Rechtfertigung in sich, d. h. lässt das Gesetz einen Eingriff zu, ohne seine Rechtfertigung durch das Gesellschaftsinteresse zu fordern, oder nimmt der Gesetzgeber eine Abwägung der Interessen gegen die betroffenen Minderheitsaktionäre und die Gesellschaft selbst vor, scheidet eine gerichtliche Inhaltskontrolle aus.52 Parallel zum Aktienrecht wird vorgeschlagen, eine solche materielle Inhaltskontrolle auch im Schuldverschreibungsrecht in Bezug auf Mehrheits­ beschlüsse von Anleihegläubigern durchzuführen.53 Dann wäre zu prüfen, ob die beschlossene Maßnahme objektiv nützlich ist bzw. dem Interesse aller Anleihegläubiger dient, ob die damit verbundene Beeinträchtigung der Rechte der Anleihegläubiger zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich ist (Prinzip des schonendsten Mittels), und schließlich, ob die Maßnahme verhältnismäßig ist, d. h. ob Vor- und Nachteile infolge der Beeinträchtigung der Anleihegläubigerrechte in einem angemessen Verhältnis zueinander stehen.54 Die Übertragung der materiellen Inhaltskontrolle wird damit begründet, dass die Selbstbetroffenheit der beschließenden Mehrheit keinen ausreichenden Schutz im Schuldverschreibungsrecht für die überstimmte Minderheit biete. Da die Mehrheit nicht nur über ihre eigenen Rechte, sondern auch über die Rechte der Minderheit verfüge, unterliege sie wie ein Treuhänder Bindungen. Sie habe im Interesse aller Gläubiger zu handeln. Die Beschlusskontrolle im Schuldverschreibungsrecht beschränke sich somit nicht auf bloße Missbrauchskontrolle.55 Obwohl die Gesetzesmaterialien die Idee der Anlehnung an die aktienrechtliche Anfechtungsklage hervorheben56, sprechen wichtige Gründe gegen diesen strikten „Rechtsimport“ aus dem Aktienrecht.57 Denn weder das SchVG noch die Gesetzesmaterialien enthalten konkrete Hinweise zum Sachgrunderfordernis. Laut der Regierungsbegründung „bedürfen [die Gläubiger] keines übertriebenen Schutzes durch die gesetzliche 52  Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, §  16 Rn. 153; Hüffer, MüKo, AktG, § 243 Rn. 57; vgl. auch Timm, ZGR 1987, 403 (409 f.); Lutter, ZGR 1979, 401 (404); BGH, Urt. v. 13.03.1978 – II ZR 142/76, NJW 1978, 1316 (1317) (Kali & Salz). 53  Baums, ZBB 2008, 1 (6); zustimmend Horn, ZHR 2009, 12 (62). 54  Baums, ZBB 2008, 1 (6). 55  Vgl. Baums, ZBB 2008, 1 (6). 56  Siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 25. 57  Für restriktive Handhabung Podewils, DStR 2009, 1914 (1918); Vogel, ZBB 2010, 211 (219); ders., in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 29 f.; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 38; ablehnend Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 6 (2013); Simon, CFl 2010, 159 (161 f.); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 23; Wasmann/Steber, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 20 Rn. 17; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 345.

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

Einschränkung ihrer Entscheidungsbefugnisse. Inhaltlich sind die Gläubiger in ihrer Entscheidung nach dem neuen Recht … weitgehend frei.“58 Die Aufgabe des Gesetzes bestehe lediglich darin, einen möglichst ungehinderten Informationszugang sowie ein transparentes Verfahren zu gewährleisten, das wiederum den Gläubigern ermögliche, an den Abstimmungen teilzunehmen und ihre Stimmrechte auf wohlinformierter Grundlage auszuüben.59 Belange des Minderheitenschutzes sprächen nach der Gesetzesbegründung nicht gegen die Ausweitung des Mehrheitsprinzips.60 Dort, wo eine Änderung der Anleihebedingungen einen tiefen Eingriff in die Rechte der Anleihegläubiger zur Folge hat, hält es der Gesetzgeber lediglich für notwendig, die Geltung von erhöhten Mehrheitsschwellen vorzuschreiben (siehe § 5 Abs. 4 S. 2 SchVG bei der Änderung der wesentlichen Anleihebedingungen).61 Aus seiner Sicht darf die Mehrheit die Minderheit überstimmen.62 Der Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger scheint nach der Logik der Gesetzesbegründung seine Rechtfertigung in sich zu tragen. Konsequenterweise muss die mate­ rielle Inhaltskontrolle im Anleiherecht ausscheiden. Zu beachten ist auch, dass die internationalen Rechtsordnungen, an denen sich der Gesetzgeber bei der Reform des SchVG orientierte, insbesondere das US-amerikanische und englische Recht, ebenfalls kein besonderes Sachgrunderfordernis zur Einschränkung der Gläubigerautonomie kennen. Die Idee, dass Anleihegläubiger im Verhältnis zueinander Träger von besonderen Rücksichtnahmepflichten sein können, die u. a. gebieten, die Vorteile der beschlossenen Maßnahme mit den Nachteilen, also der Beeinträchtigung der Rechte der überstimmten Minderheit, in ein angemessenes Verhältnis zu bringen, ist diesen Rechtsordnungen fremd.63 Man operiert mit dem Begriff „Willkür“, eine zusätzliche materielle Sachkontrolle in Analogie zum Aktienrecht findet dagegen nicht statt. Wenn der Gesetzgeber, wie er erklärte, mit der Reform des Schuldverschreibungsrechts darauf abzielte, die Gläubiger­ autonomie zu stärken und ein konkurrenzfähiges Gesetz zu schaffen, kann 58  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 14; dazu auch Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 6 (2013); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 23. 59  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18; dazu auch Simon, CFl 2010, 159 (161). 60  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18. 61  Vgl. auch Simon, CFl 2010, 159 (161). 62  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 23; ähnlich Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 7 (2013) („Es ist das Grundgesetz des SchVG, dass die Stimmenmehrheit die Stimmenminderheit überstimmen darf und dass die Mehrheitsentscheidung als Entscheidung der Mehrheit zu respektieren ist.“). 63  Siehe dazu unter Kapitel 2 § 5 B. III. 3.



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nicht erwartet werden, dass er die Idee der Übertragung zusätzlicher Inhaltsschranken befürwortete. Letztendlich muss beachtet werden – und dies scheint das entscheidende Argument zu sein –, dass die rechtsdogmatische Grundlage der materillen Sachkontrolle im Aktienrecht die zwischen den Aktionären bestehende Treuepflicht ist64; die Beschlusskontrolle stellt einen Anwendungsfall der Treuepflicht dar.65 Eine solche Treuepflicht ist dem Schuldverschreibungsrecht, wie bereits gezeigt wurde, fremd.66 Es besteht zwischen den Anleihegläubigern kein Gesellschaftsverhältnis, kraft dessen sie die gesellschaftsbezogenen Belange einzelner Gläubiger beeinträchtigen könnten. Es fehlt an der mitgliedschaftlichen Komponente, auf deren Grundlage eine Treuepflicht zur Einschränkung der Einwirkungsmacht konstruiert werden sowie die Geltung des Sachgrunderfordernisses für Mehrheitsbeschlüsse gerechtfertigt sein könnte.67 c) Verfolgung von Sondervorteilen Die Frage, ob der Mehrheitsbeschluss angefochten werden kann, wenn ein Anleihegläubiger mit der Ausübung des Stimmrechts Sondervorteile, sei es für sich oder für einen Dritten, zu erlangen suchte und der Beschluss geeignet ist, diesem Zweck zum Schaden übriger Anleihegläubiger zu dienen, bleibt vom SchVG ebenfalls unbeantwortet. Dieser Anfechtungsgrund ist im § 243 Abs. 2 AktG ausdrücklich normiert. Obwohl § 20 SchVG an § 243 AktG, wie bereits erwähnt, angelehnt ist, sah der Gesetzgeber davon ab, die Anfechtungsgründe vollständig in Analogie zum Aktienrecht festzulegen. Dafür wurde laut der Gesetzesbegründung kein Bedarf erkannt.68 Eine Regelung, die die Aufgabe der Konkretisierung von Anfechtungsgründen übernimmt, hielt der Gesetzgeber für notwendig nur für 64  Mayer, Materielle Beschlusskontrolle im Kapitalgesellschaftsrecht, S. 74; Hüffer, in: MüKo, AktG, § 243 Rn. 53 f.; Timm, ZGR 1987, 403 (408). 65  Hüffer, in: MüKo, AktG, § 243 Rn. 53. 66  Siehe dazu oben unter Kapitel 2 § 5 B. III. 2. a) bb). 67  Vgl. auch Simon, CFl 2010, 159 (161); Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 7 (2013); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 22; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 346; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 77; dazu auch Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 38 (allerdings zustimmend zur beschränkten Inhaltskontrolle). 68  Siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 25 („Absatz 1 Satz 1 [des § 20 SchVG] begründet die Anfechtungsbefugnis in sachlicher Hinsicht und zählt die Anfechtungsgründe auf … Die Vorschrift entspricht in Inhalt und Aufbau dem § 243 Absatz 1 AktG. Davon abweichender Regeln bedarf es vorliegend nicht.“).

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

Informationsmängel (§ 20 Abs. 1 S. 2 SchVG) sowie technische Störungen (§ 20 Abs. 1 S. 3 SchVG), nicht aber für den Fall der Verfolgung von Sondervorteilen, was den Schluss erlaubt, dass eine dem § 243 Abs. 2 AktG entsprechende Vorschrift im Schuldverschreibungsrecht nicht existiert und die Anleihegläubiger zur Anfechtung nicht berechtigt.69 Diese Überlegung bestätigt auch der Umstand, dass das SchVG keine anleiheübergreifende Restrukturierung ermöglicht. Nicht jeder Sondervorteil, der zu einem Schaden der Anleihegläubiger führen kann, ist aus Sicht des Gesetzgebers relevant. Stimmt z. B. ein Anleihegläubiger der Restrukturierung der Anleihe zu, um die Sanierung des Emittenten zu ermöglichen und so u. a. auf Kosten der sanierungswilligen Gläubiger seine Forderung aus einer anderen Anleihe zu „retten“ (free-rider-Problematik), führt dies noch nicht zur Anfechtbarkeit des Beschlusses wegen Verstoßes gegen das Sondervorteilsverbot. Ähnlich ist die Rechtslage, wenn ein solcher Anleihegläubiger eine andere Geschäftsbeziehung mit dem Emittenten hat, z. B. im Fall einer Kreditgewährung.70 Diese Art der Interessenkollision war dem Gesetzgeber bei der Reform des SchVG bekannt. §§ 7 und 8 SchVG stellen einen Beweis dafür dar: Für den gemeinsamen Vertreter wurden im Falle der Existenz von widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen bestimmte Beschränkungen vorgesehen. Eine spezielle konfliktlösende Regelung, wenn solche Interessen in der Person eines restrukturierungswilligen Anleihegläubigers entstehen, enthält das Gesetz dagegen nicht.71 Sie ist nicht im Gesetz enthalten, weil der Gesetzgeber konkurrierende Interessen von Anleihegläubigern respektiert und ihnen erlaubt, das Abstimmungsverhalten danach zu richten.72 Der Geltungsbereich des § 243 Abs. 2 AktG, wäre diese Vorschrift im Schuldverschreibungsrecht überhaupt anwendbar, ist daher einzuschränken.73 69  Zu bewusster Auslassung siehe auch Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 7 (2013). 70  Zu diesen Fällen siehe Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 8 (2013); Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 39; Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 12 f. (2013). 71  So auch Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 8 (2013). 72  Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 8 (2013); a.  A. Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 13 (2013). 73  Vgl.  Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 39; vgl. auch Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 89; ohne Einschränkungen Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre, S. 248; Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleihe­ organisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 324 (Treuepflichten der Anleihegläubiger schützen vor einer Willensbildung durch anleiheexterne Sonderinteressen). Gegen die Anwendung der Vorschrift Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 7 f. (2013); siehe auch Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (850).



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 259

D. Anfechtungsbefugnis § 20 Abs. 2 SchVG bestimmt, wer unter welchen engen Voraussetzungen zur Anfechtung des Beschlusses berechtigt ist. Die Vorschrift, die dem § 245 Nr. 1 und Nr. 2 AktG laut der Gesetzesbegründung nachgebildet ist74, verleiht der Anfechtungsbefugnis – also in Analogie zum Aktienrecht75 – materiell-rechtlichen Charakter; die Anfechtungsbefugnis stellt also die Begründetheitsvoraussetzung einer Anfechtungsklage dar. Ist der Kläger nicht anfechtungsbefugt, wird seine Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen.76 Das SchVG berechtigt zur Anfechtung ausschließlich die Anleihegläubiger.77 Bei der Bestimmung der näheren Voraussetzungen der Anfechtungs­ befugnis differenziert das Gesetz, ob der klagende Gläubiger an der Abstimmung teilgenommen hat (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG) oder nicht (§ 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG). I. Bei Teilnahme an der Abstimmung Hat der Anleihegläubiger an der Abstimmung teilgenommen, ist er zur Anfechtung nur berechtigt, wenn er gegen den Beschluss fristgerecht Widerspruch erklärt hat und die Schuldverschreibung vor der Bekanntmachung der Einberufung der Gläubigerversammlung oder vor der Aufforderung zur Stimmabgabe in einer Abstimmung ohne Versammlung erworben hatte (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG). Obwohl § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG an § 245 Nr. 1 AktG angelehnt ist, reicht für die Teilnahme an der Abstimmung nicht die körperliche Anwesenheit in einer Gläubigerpräsenzversammlung oder die bloße Eintragung in das Teilnehmerverzeichnis bei der Abstimmung ohne physische Versammlung gem.

74  Begr.

RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26. nach h. M. im Aktienrecht, dazu Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktGKommentar, § 245 Rn. 2 m. w. N. 76  Gärtner, in: Veranneman, SchVG, 1. Aufl., § 20 Rn. 8; Friedl, in: FraKomm­ SchVG, § 20 Rn. 42; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 26; Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn.  29 f.; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 333. 77  Dem Emittenten oder dem gemeinsamen Vertreter steht kein vergleichbares Kontrollrecht zu. Übt der Anleihegläubiger sein individuelles Anfechtungsrecht aus, handelt er gleichzeitig auch im Interesse der Anleihegläubigergesamtheit (Doppelfunktion der Anfechtungsklage), vgl. Vogel, ZBB 2010, 211 (216); ders., in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 32; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 43. 75  So

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

§ 18 Abs. 4 SchVG aus.78 Erforderlich ist vielmehr die tatsächliche Teilnahme an der Abstimmung.79 Seitens des Gläubigers (bzw. seines Vertreters) muss tatsächlich eine Stimmabgabe erfolgen. D. h. zu einem konkreten Beschlussvorschlag muss mit „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ gestimmt werden.80 Was die Widersprucheinlegung betrifft, muss der Gläubiger (wie im Ak­ tienrecht81) deutlich geltend machen, dass er mit dem Abstimmungsergebnis nicht einverstanden ist und sich gegen die Wirksamkeit des Beschlusses wendet.82 Sein Widerwille allein bleibt ungeachtet. Es greift der Grundsatz „wer zum Beschluss schweigt, verwirkt sein Recht, ihn später zu rügen“.83 Die ausdrückliche Verwendung der Wortes „Widerspruch“ ist jedoch ebenso wenig erforderlich wie eine Begründung des Widerspruchs.84 Erfolgt gleichwohl eine Begründung, präjudiziert sie nicht die spätere Begründung im Rahmen der Erhebung einer Anfechtungsklage.85 Bloße Ablehnung eines zustimmenden Beschlusses kann nicht als Widerspruch betrachtet werden.86 Die Darlegungs- und ggf. Beweislast dafür, dass ein Widerspruch erhoben wurde, trägt der Anleihegläubiger.87 Obwohl das Gesetz die Widerspruchseinlegung ausdrücklich nur für die Abstimmung ohne Versammlung vorsieht (siehe § 18 Abs. 5 SchVG), heißt dies noch nicht, dass bei einer Präsenzversammlung kein Widersprucherfordernis gilt. Auch bei einer physischen Versammlung ist der Anleihegläubiger, was insbesondere die Gesetzesbegründung hervorhebt88, daran gebunden, gegen Beschlüsse zunächst im Wege eines Widerspruchs vorzugehen.89 Denn 78  Anders im Aktienrecht, siehe Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 245 Rn. 11. 79  Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26. 80  Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 47; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 27; a. A. Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 34. 81  Dazu und zum Folgenden im Aktienrecht Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktGKommentar, § 245 Rn. 13. 82  Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 48. 83  Vgl. Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 57; zum Aktienrecht ähnlich Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 245 Rn. 12. 84  Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 36; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 28; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 49. 85  Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 36. 86  Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 49; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 28. 87  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26. 88  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26. 89  Die Ermächtigung zur Stimmrechtsausübung allein (§ 14 Abs. 2 SchVG) berechtigt nicht zur Widerspruchserhebung, vgl. Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 50.



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 261

der Sinn des Widerspruchsverfahrens besteht gerade darin, „die Gerichte zu entlasten, indem die unstreitigen Fehler bei der Beschlussfassung ohne Anrufung des Gerichts korrigiert werden“.90 Der Unterschied besteht lediglich darin, dass der Widerspruch bei einer Präsenzversammlung zum Versammlungsprotokoll zu erklären ist (§ 16 Abs. 3 SchVG); dabei ist zu beachten, dass der Widerspruch während der gesamten Dauer der Versammlung eingelegt werden kann, also auch vor der Beschlussfassung. Widersprüche, die nach der Beendigung der Versammlung erklärt werden, sind unbeachtlich.91 Bei einer Abstimmung ohne Versammlung muss ein solcher Widerspruch dagegen nicht zur Niederschrift erklärt werden, weil „die Niederschrift geschlossen ist, wenn der Widerspruch (regelmäßig erst) nachträglich erklärt wird“.92 Für eine solche nachträgliche Widerspruchserklärung sieht der Gesetzgeber eine Frist von zwei Wochen vor, die nach der Bekanntgabe des Beschlusses zu laufen beginnt (§ 18 Abs. 5 S. 1 SchVG). Das Fristerfordernis des § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG („fristgerecht Widerspruch erklärt hat“) gilt somit nur bei der Abstimmung i. S. d. § 18 SchVG. Der erhobene Widerspruch muss des Weiteren erfolglos geblieben sein. In Bezug auf Präsenzversammlungen enthält das SchVG keine Aussage zu Abhilfemöglichkeiten. Die Gesetzesmaterialien weisen aber darauf hin, dass mit der Aufnahme des erhobenen Widerspruchs gegen den gefassten Mehrheitsbeschluss in die Niederschrift gleichzeitig (ablehnend) über ihn entschieden wird.93 Für eine Abstimmung ohne Versammlung hat der Gesetzgeber ausdrücklich vorgeschrieben, dass der Widerspruch erfolglos ist, wenn der Abstimmungsleiter ihm nicht abhilft, wovon der Gläubiger unverzüglich unterrichtet werden muss (§ 18 Abs. 5 S. 3 SchVG), und den vom Gläubiger geäußerten Bedenken innerhalb der Klagefrist (§ 20 Abs. 3 S. 1 SchVG) nicht Rechnung getragen worden ist.94 Als letztes verlangt das Gesetz den vorherigen Erwerb von Schuldverschreibungen. Die Gläubigerstellung muss bereits vor der Bekanntmachung der Einberufung der Versammlung bzw. vor der Aufforderung zur Stimmabgabe, wenn es sich um eine Abstimmung ohne physische Versammlung 90  Begr.

RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 24. in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 52; Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 31. 92  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26. Der Widerspruch muss schriftlich (§ 126 BGB) erhoben werden, siehe § 18 Abs. 5 S. 1 SchVG, dazu auch Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 51. 93  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 24. 94  Siehe Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 24 und 26 („Absatz 5 [des § 18 SchVG sieht] ein schriftliches Widerspruchsverfahren vor, das nach Möglichkeit innerhalb der Klagefrist von vier Wochen (§ 20 Absatz 3 Satz 1) abgeschlossen sein sollte“). 91  Friedl,

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

handelt, erlangt werden. Dadurch soll nach der Idee des Gesetzgebers etwaigen Missbräuchen des Klagerechts vorgebeugt werden.95 Es soll also vermieden werden, dass jemand gezielt Schuldverschreibungen erwirbt, um später von seinem Anfechtungsrecht, insbesondere zum Zwecke der Verzögerung der Vollziehung des Beschlusses, Gebrauch zu machen. Die Wirkung dieser Beschränkung ist allerdings, wie die Praxis zeigt, eher gering. Denn professionelle, gut informierte Investoren, die die „Hebelwirkung“ der Anfechtungsklage96 zu ihren Gunsten ausnutzen wollen, sind in der Lage, Schuldverschreibungen auch vorher zu erwerben, also im Vorfeld der Bekanntmachung der bevorstehen Abstimmung über die Anleiherestrukturierung.97 II. Bei Nichtteilnahme an der Abstimmung Hat der Anleihegläubiger an der Abstimmung nicht teilgenommen, steht ihm das Anfechtungsrecht zu, wenn (1) er zu dieser Abstimmung zu Unrecht nicht zugelassen worden ist, (2) die Gläubigerversammlung nicht ordnungsgemäß einberufen oder – was nur bei der Abstimmung ohne physische Versammlung relevant ist – zur Stimmabgabe nicht ordnungsgemäß aufgefordert worden ist oder (3) ein Gegenstand der Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht wurde (§ 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG). Diese Regelung entspricht im Wesentlichen dem § 245 Nr. 2 AktG und berechtigt den Gläubiger, den Mehrheitsbeschluss wegen der aufgezählten formalen Fehler anzufechten.98 Im Unterschied zum § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG sieht die Regelung kein Erfordernis der Vorbesitzzeit der Schuldverschreibungen vor.99 Ebenso wenig greift das Erfordernis der Widerspruchseinlegung.100

95  Begr.

RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26. Gutachten F für den 63. Deutschen Juristentag, S. F 155; dazu bereits oben unter Kapitel 1 § 1 E. II. 3. 97  Vgl. auch Gärtner, in: Veranneman, SchVG, 1. Aufl., § 20 Rn. 9; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 54. 98  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26. 99  Zum Aktienrecht Schwab, in: K.  Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 246 Rn. 18. 100  Friedl, in: FraKommSchVG, §  20 Rn. 63. Zum Aktienrecht Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 245 Rn. 19. 96  Baums,



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 263

E. Klagefrist Die Anfechtungsklage ist gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 SchVG innerhalb eines Monats zu erheben. Der Gesetzgeber bestimmt die Klagefrist identisch wie für die aktienrechtliche Anfechtungsklage (§ 246 AktG). Der Unterschied besteht allerdings darin, dass die Frist nach dem SchVG nicht mit der Beschlussfassung zu laufen beginnt, sondern erst mit der Bekanntmachung des gefassten Beschlusses (siehe §§ 17 und 18 Abs. 1 SchVG). Der gegen den Beschluss erhobene Widerspruch, dem nicht abgeholfen wurde, führt nicht dazu, dass die Klagefrist verlängert wird.101 Wiederum wie im Aktienrecht stellt die Klagefrist eine materiell-rechtliche Frist dar. Verspätet erhobene Klagen werden als unbegründet abgewiesen.102 Die Monatsfrist ist also zwingend. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 ff. ZPO) ist ebenfalls ausgeschlossen.103

F. Beklagter Die Anfechtungsklage ist gegen den Emittenten zu richten (§ 20 Abs. 3 S. 2 SchVG). Der Grund dafür besteht nach der Gesetzesbegründung darin, dass die Gläubigergesamtheit keine rechtfähige Gemeinschaft bilde und folglich keine Beklagtenfähigkeit besitze. Gerechtfertigt sei dies zudem, weil Beschlüsse regelmäßig auf Veranlassung des Emittenten und in dessen hauptsächlichem Interesse ergehen.104

G. Zuständiges Gericht Örtlich und sachlich zuständig für die Klage ist, wenn der Emittent seinen Sitz im Inland hat, das Landgericht, in dessen Bezirk sich dieser Sitz befindet. Mangels eines Sitzes im Inland ist das Landgericht Frankfurt am Main zuständig. § 20 Abs. 3 S. 3 SchVG ordnet eine ausschließliche Zuständigkeit an.105 § 20 Abs. 3 S. 4 SchVG, der u. a. § 246 Abs. 3 S. 2 AktG für entspre101  Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1320); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 66. 102  Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 47; Gärtner, in: Veranneman, SchVG, 1. Aufl., § 20 Rn. 11. 103  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 35; Gärtner, in: Veranneman, SchVG, 1. Aufl., § 20 Rn. 11. 104  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26. 105  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26, zu den Fällen, wenn die Vorschrift nicht eingreift, siehe Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 40 ff.

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

chend anwendbar erklärt, bestimmt, dass die Kammer für Handelssachen, falls eine solche beim Landgericht gebildet ist, funktionell zuständig ist.

H. Wirkung der Anfechtungsklage Gemäß § 16 Abs. 2 S. 1 SchVG entfaltet jeder Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger seine Wirkung bereits mit der Beurkundung in der Niederschrift. Einer Registereintragung – ähnlich wie im Aktienrecht – oder der Einhaltung weiterer Formalitäten bedarf es nicht.106 Selbst wenn der Beschluss gegen das Gesetz oder die Anleihebedingungen verstößt oder selbst wenn ein Widerspruch gegen einen solchen Beschluss erhoben wird, bleibt der von den Anleihegläubigern gefasste Beschluss wirksam. Insbesondere die Anfechtung des Beschlusses hat keinen Einfluss auf seine Wirksamkeit. Lässt der Gläubiger die materiell-rechtliche Anfechtungsfrist verstreichen, erlangt der Beschluss endgültig seine Wirksamkeit.107 Die Wirksamkeit des Beschlusses heißt aber nicht automatisch, dass er ausgeführt werden darf. Der Beschluss vollzieht sich nicht von selbst; er bedarf dafür eines Ausführungsaktes.108 §§ 2 S. 3 und 21 S. 1 SchVG bestimmen, dass Änderungen der Anleihebedingungen erst wirksam werden, wenn sie in der Urkunde vollzogen worden sind (wertpapierrechtliches Skripturprinzip109); die Vollziehung (also die Ausführung) erfolgt in der Weise, dass die maßgebliche Urkunde ergänzt bzw. geändert wird. Hierfür reicht es bei Sammelurkunden aus, dass der Versammlungsleiter – oder im Fall der Abstimmung ohne Versammlung der Abstimmungsleiter – den in der Niederschrift dokumentierten Beschlussinhalt an die Wertpapiersammelbank mit dem Ersuchen übermittelt, die eingereichten Dokumente der vorhandenen Sammelurkunde in geeigneter Form beizufügen (§ 21 S. 2 SchVG); dabei hat der Versammlungs- oder Abstimmungsleiter zu versichern, dass der Beschluss vollzogen werden darf (§ 21 S. 3 SchVG; Negativattest). § 20 Abs. 3 S. 4 SchVG verbietet allerdings, den über die Änderung der Anleihebedingungen gefassten Beschluss der Anleihegläubiger zu vollziehen, d. h. die Wertpapierurkunde entsprechend dem Beschluss zu ändern, solange hinsichtlich des angefochtenen Beschlusses noch keine rechtskräftige Entscheidung 106  Vgl. auch Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 18 (2013); zu beachten ist allerdings, dass der Beschluss auch ohne seine Bekanntmachung (§ 17 SchVG) wirksam ist (siehe den Wortlaut des § 16 Abs. 3 S. 1 SchVG); so wohl auch Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 146. 107  Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321). 108  Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 145. 109  Dazu bereits oben unter Kapitel 1 § 1 C. II.



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 265

des Gerichts vorliegt (bzw. solange keine Freigabe des Vollzugs nach Maßgabe des § 246a AktG angeordnet wird, dazu sogleich). Die erhobene Anfechtungsklage führt somit zu einer Vollzugssperre; der Beschluss darf nicht ausgeführt werden. Solange dessen Vollziehung unterbleibt, sind die Änderungen der Anleihebedingungen nicht wirksam. Obwohl § 20 Abs. 3. S. 4 SchVG ein strenges Vollziehungsverbot für den Emittenten vorschreibt, scheint die Regelung eine Lücke zu enthalten. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift greift die Vollzugssperre nicht mit dem Wirksamwerden des Beschlusses (also mit der Niederschrift des Beschlusses in der notariellen Urkunde), auch nicht mit der Einlegung des Widerspruchs, sondern erst mit der (fristgerechten) Erhebung der Anfechtungsklage (siehe § 20 Abs. 3 S. 4 SchVG „die Erhebung der Klage dem Vollzug des angefochtenen Beschlusses nicht entgegensteht“).110 Dies ermöglicht den Vollzug des Beschlusses vor der Klageerhebung und somit die Schaffung von vollendeten Tatsachen, die auch nach einer erfolgreichen Anfechtungsklage nicht im Wege der Naturalrestitution rückgängig gemacht werden können.111 Vollzogene Beschlüsse bleiben aus Gründen der Rechtssicherheit bestandskräftig.112 Im Prinzip ist der Vollzug des Beschlusses nicht nur vor, sondern sogar trotz der Klageerhebung möglich.113 Der Gesetzgeber hat, wie bereits gezeigt, vorgesehen, dass der Emittent bei der Übermittlung der Niederschrift des Beschlusses an die Wertpapiersammelbank mit dem Ersuchen, den Mehrheitsbeschluss umzusetzen, lediglich zu versichern hat, dass dieser Beschluss vollzogen werden darf (§ 21 S. 3 SchVG), d. h. – wie dies insbesondere die Gesetzesbegründung klärt – dass entweder die Klagefrist von einem Monat verstrichen ist, ohne dass eine Anfechtungsklage erhoben wurde, oder die Klage erhoben und wieder zurückgenommen wurde oder sie rechtskräftig abgewiesen ist oder der Prozess durch einen Vergleich oder Erledigung der Hauptsache beendet worden ist oder dass schließlich das Gericht die Frei110  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 59; so wohl auch Simon, CFl 2010, 159 (164); OLG München, Beschl. v. 16.11.2016 – 22 AR 113/16, BB 2017, 974 (975); a. A. Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 55; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 73; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 146; Mann/Wansleben, BB 2017, 963 ff. 111  OLG München, Beschl. v. 16.11.2016 – 22 AR 113/16, BB 2017, 974 (975). 112  Mann/Wansleben, BB 2017, 963 (966). 113  Denkbar ist u. a. die Situation, wenn der Versammlungsleiter den Ablauf der Anfechtungsfrist von einem Monat (§ 20 Abs. 3 S. 1 SchVG) gesetzesgemäß abwartet und den Vollzug des Beschlusses bewirkt, die Klage aber bei dem zuständigen Gericht eingegangen ist und mit den Wirkungen i. S. d. § 167 ZPO, also demnächst (aber nach der einmonatigen Anfechtungsfrist), zugestellt wird, zu dieser Konstellation Mann/Wansleben, BB 2017, 963 (964).

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gabe der Vollziehung angeordnet hat.114 Dieser Negativattest entfaltet allerdings keinen ausreichenden Schutzeffekt, denn er kann auch widerrechtlich (vorsätzlich oder nicht) abgegeben werden. Gibt der Emittent eine falsche Versicherung gegenüber der Sammelbank ab, um den Vollzug zu ermög­ lichen, verbleiben dem klagenden Gläubiger nach der Umsetzung des Beschlusses nur noch Schadensersatzansprüche; dies gilt auch dann, wenn er mit seiner Anfechtungsklage obsiegt.115

I. Freigabeverfahren Für den Fall, dass wegen der Erhebung der Anfechtungsklage die Umsetzung des angefochtenen Beschlusses gesetzesgemäß unterbleibt, hat der Gesetzgeber die Möglichkeit vorgesehen, die Wirkung der Vollzugssperre vorzeitig, also noch bevor das Gericht rechtskräftig über die erhobene Anfechtungsklage entschieden hat, zu beseitigen. Die kann man im Rahmen eines Freigabeverfahrens nach Maßgabe des aktienrechtlichen Freigabeverfahrens als eines speziellen Eilverfahrens gemäß § 246a AktG erreichen. Das zuständige Gericht, und zwar das Oberlandesgericht, das dem Gericht der Anfechtungsklage übergeordnet ist (§ 20 Abs. 3 S. 4 Hs. 1 SchVG), kann auf Antrag des Emittenten feststellen, dass die erhobene Anfechtungsklage dem Vollzug des angefochtenen Beschlusses nicht entgegensteht. § 20 Abs. 3 S. 4 Hs. 2 SchVG erklärt § 246a Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 und 3 S. 1 bis 4 und 6, Abs. 4 AktG für entsprechend anwendbar. Die Grundidee der Überwindung des Umsetzungsverbots hat der Gesetzgeber aus dem Aktienrecht übernommen. Das Freigabeverfahren im Aktienrecht wurde wiederum zur Bekämpfung missbräuchlicher Anfechtungsklagen der sog. „räuberischen“ Aktionäre eingeführt, die die belastende Wirkung der Registersperre zu ihren Gunsten ausnutzten.116 Für viele eintragungsbedürftige Beschlüsse wird die Registersperre bei Anhängigkeit einer Beschlussmängelklage entweder gesetzlich angeordnet (rechtliche Registersperre, siehe z. B. § 16 Abs. 2 UmwG, § 319 Abs. 5 AktG, § 327e Abs. 2 AktG) oder es kann zu einer faktischen Registersperre kommen (bei Beschlüssen über Ka114  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 26; dazu auch Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 355; Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 54 Fn. 72; Simon, CFl 2010, 159 (164); Baums, ZBB 2009, 1 (5); Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 72; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 147. 115  OLG München, Beschl. v. 16.11.2016 – 22 AR 113/16, BB 2017, 974 (975); so auch Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 73. 116  Siehe insb. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 10.



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 267

pitalerhöhung und -herabsetzung oder Unternehmensverträgen), wenn der Registerrichter die Eintragung des Beschlusses ins Handelsregister aussetzt (§§ 381 S. 1 i. V. m. 21 Abs. 1 S. 1 FamFG). Droht eine Anfechtungsklage oder ist sie bereits erhoben, macht der Registerrichter in der Praxis von seiner Aussetzungsbefugnis Gebrauch, weil er nicht das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB genießt und bei fehlerhaften Eintragungen dem Risiko persönlicher Haftung ausgesetzt ist. Um mögliche Amtshaftungsansprüche zu vermeiden, setzt er im Zweifel die Eintragung aus und wartet die Entscheidung des Prozessgerichts ab. Obwohl das Gesetz keine Registersperre vorsieht, kommt es zu einer Aufschiebung der Eintragung wie bei einer recht­ lichen Registersperre.117 Die Folge der mit der Registersperre entstehenden Verzögerung der Eintragung der Beschlüsse besteht darin, dass sie wichtige Kapital- und Strukturmaßnahmen auf Jahre blockieren und für die Gesellschaft zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen führen kann.118 Die konstitutive Wirkung der Registereintragung schafft außerdem ein erhebliches Erpressungspotenzial für Aktionäre.119 Es besteht für sie ein Anreiz, Anfechtungsklagen zu erheben, um die Umsetzung der beschlossenen Maßnahme zu hindern und danach, durch die Rücknahme der Klage – allerdings gegen Zahlung oder Gewährung sonstiger Vorteile – den Weg für die Eintragung wieder freizumachen. Die Erhebung der Anfechtungsklage erfolgt allein zum Zweck, sich die Klagerücknahme abkaufen zu lassen und eine lukrative Einnahmequelle zu schaffen.120 Um den Hebeleffekt der faktischen Registersperre einzudämmen, hat der Gesetzgeber das Freigabeverfahren eingeführt.121 Obwohl das SchVG keine Handelsregistereintragung und Registersperre für beschlossene Maßnahmen wie im Aktienrecht vorsieht, ging der Gesetzgeber von der Existenz ähnlicher Probleme bei der Erhebung anleiherechtlicher Anfechtungsklagen aus122: Die Klage hindert, wie bereits erklärt, die Umsetzung des Mehrheitsbeschlus117  Sprau, in: Palandt, BGB, § 839 Rn. 63; Baums, Gutachten F für den 63. Deutschen Juristentag, S. F 154 ff.; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 245 Rn. 39; Helm/Manthey, NZG 2010, 415, Fn. 6; Schulenburg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht, S. 333; Sauerbruch, Freigabeverfahren, S.  37 f.; Timm, ZGR 1996, 247 (262); dazu bereits oben unter Kapitel 1 § 1 E. II. 3. 118  Siehe Baums, Gutachten F für den 63. Deutschen Juristentag, S. F 156 ff. 119  Baums, a. a. O., S. F 160. 120  Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, §  245 Rn. 39; Baums/ Keinath/Gajek, ILF Working Paper Series No. 65 (2007), S. 5; Vogel, ZBB 2010, 211 (219 f.). 121  Hüffer/Koch, AktG, § 246a Rn. 1. 122  Kritisch dazu Baums, ZBB 2009, 1 (5); Vogel, ZBB 2010, 211 (221); ders., ILF Working Paper Series, No. 137, S. 2 (2013); Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (483).

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

ses für den – meistens unter starkem Zeitdruck stehenden – Emittenten und schafft falsche Anreize für die klagenden Anleihegläubiger, sodass – nach dem Verständnis des Gesetzgebers – die Möglichkeit bestehen muss, die Freigabe des Vollzugs zu erwirken. In Analogie zum § 246a Abs. 2 AktG kann der Freigabebeschluss nach dem SchVG in folgenden Fällen ergehen: 1)  wenn die Anfechtungsklage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist; 2)  wenn der Kläger nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Antrags nachweist, dass er seit der Bekanntmachung der Einberufung eine Teilschuldverschreibung im Betrag von 1.000 Euro an der Anleihe hat; 3) oder wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Beschlusses vorrangig erscheint, weil die Nachteile für den Emittenten und die Gläubiger nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile des Antragsgegners, also des klagenden Gläubigers, überwiegen, es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor. Die große Relevanz für die Praxis zeigt die dritte Alternative, also das Überwiegen der alsbaldigen Umsetzung des Mehrheitsbeschlusses. Als pro­ blematisch wird allerdings die Vornahme einer Interessenabwägung angesehen, denn die Rechtslagen im Schuldverschreibungsrecht und im Aktienrecht sind nicht identisch. Im Aktienrecht partizipiert z. B. der klagende Aktionär in der Regel an dem Vorteil, den der Vollzug des Beschlusses mit sich bringt. Die Annahme eines ökonomischen Vorteils für die Aktiengesellschaft bei der Beschlussumsetzung schließt einen ökonomischen Nachteil für die Aktionäre aus. Im Schuldverschreibungsrecht führt die Restrukturierung der Anleihe zu einem Vorteil für den Emittenten; dies geschieht aber immer auf Kosten der Anleihegläubiger. Die „Rettung“ des Emittenten erfolgt also nicht ohne einen erheblichen Nachteil für den klagenden Gläubiger und die Gläubiger insgesamt.123 Im Zusammenhang mit der Interessenabwägung im Anleiherecht ist außerdem zu fragen, warum die Interessen des Emittenten überhaupt berücksichtigt sein sollen? Es geht nicht um die „Rettung“ des Emittenten. „Gerettet“ werden muss die Anleihe; der Emittent profitiert von deren Restrukturierung nur reflexartig und ausschließlich als Geschäftspartner, als andere Vertragspartei.124 Dabei ist zu beachten, dass der Emittent kein Zurechnungssubjekt hinsichtlich des Willens der Gläubigergesamtheit ist. Er tritt nicht wie die Aktiengesellschaft gegenüber ihren Aktionären auf.125 123  Vgl.  Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1322); Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 219. 124  Zu diesem Argument auch Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S.  194; a. A. Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 92. 125  Dazu Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 193 f.



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Gelingt es dennoch, in einem konkreten Fall eine Interessenabwägung durchzuführen, und zeigt deren Ergebnis, dass die Interessen des Emittenten bzw. der Mehrheit der Gläubiger, die dem Beschluss zugestimmt hat, tatsächlich überwiegen126, muss unabhängig davon beachtet werden, dass der Emittent keine Freigabe erwirken kann, wenn dem Beschluss ein schwerwiegender Rechtsverstoß anhaftet. Was aber unter diesem Begriff im Schuldverschreibungsrecht zu verstehen ist, bleibt immer noch unklar.127 Die Formulierung der Ausnahme der dritten Alternative wird im Schrifttum aus diesem Grund insgesamt als unglücklich empfunden.128 Da das SchVG auch § 246a Abs. 3 S. 6 AktG für entsprechend anwendbar erklärt, soll der Freigabebeschluss wie im Aktienrecht spätestens drei Monate nach der Antragsstellung ergehen. Verzögerungen der Entscheidung sind durch Beschluss zu begründen. Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden. Die Anfechtbarkeit des Freigabebeschlusses ist vom Gesetz ebenfalls nicht vorgesehen, damit das Verfahren möglichst zügig durchgeführt werden könnte.129 Entscheidet das Gericht, dass die Erhebung der Anfechtungsklage dem Vollzug des Mehrheitsbeschlusses der Anleihegläubiger nicht entgegensteht, entfaltet der Freigabebeschluss bestandssichernde Wirkung (§ 20 Abs. 3 S. 4 SchVG i. V. m. § 246a Abs. 4 AktG). Die Freigabe verleiht also Bestands­ sicherheit, wenn sich der Gläubigerbeschluss später im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweist. Der klagende Anleihegläubiger kann lediglich den Ersatz des Schadens verlangen, der durch den Vollzug des Mehrheitsbeschlusses entstanden ist.130

126  Das OLG Köln (Beschl. v. 13.01.2014 – 18 U 174/13, ZIP 2014, 268 (269) („Solarworld“)) stellte bei der Freigabe des Beschlusses darauf ab, dass dem Emittenten mittelfristig Zahlungsunfähigkeit und den Anleihegläubigern in Falle der Insolvenz eine geringe Insolvenzquote (7,5 %) drohte; die Interessen der Aktionäre wurden zu Recht nicht berücksichtigt. 127  Vom OLG Köln (Beschl. v. 13.01.2014 – 18 U 174/13, ZIP 2014, 268 (269) („Solarworld“)) nicht konkretisiert; es liegt nach der Auffassung des Gerichts noch kein schwerwiegender Verstoß bei tiefen Eingriffen in die Rechte der Aktionäre vor. 128  Vgl. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 193. 129  Siehe Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesensgesetzes, BT-Drs. 17/9049 v. 20.03.2012, S. 9 (§ 20 Abs. 3 S. 5 SchVG a. F., der die Einlegung sofortiger Beschwerde vorsah, war gestrichen), dazu auch Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 94. 130  Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 59; ders., ZBB 2010, 211 (221); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 88; OLG München, Beschl. v. 16.11.2016 – 22 AR 113/16, BB 2017, 974 (975); zum Aktienrecht Hüffer/Koch, AktG, § 246a Rn. 11, 26.

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

J. Wirkung des Urteils Das Anfechtungsurteil verändert die materielle Lage, indem es vorerst den wirksamen Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger rückwirkend, also mit Wirkung ex tunc, vernichtet. Die Anfechtungsklage ist somit eine Gestaltungsklage; sie hat kassatorische Wirkung.131 Welche Wirkung das stattgebende Urteil hat, auf wen sich also die Rechtskraft des Urteils genau erstreckt, ist allerdings im SchVG nicht geregelt. Auch die Materialien zum Gesetz enthalten dazu keine konkrete Aussage. Umstritten ist also die Frage, ob das Urteil nur zwischen den Parteien (dem Emittenten und dem klagenden Anleihegläubiger) gilt, oder dagegen – in Analogie zum Aktienrecht (§ 248 Abs. 1 S. 1 AktG)  – erga-omnes-Wirkung entfaltet. Der Gesetzgeber hat das Anfechtungsverfahren, wie bereits mehrmals erwähnt, an das Anfechtungsverfahren des Aktienrechts angelehnt. Dies lässt vermuten, dass das stattgebende Urteil nicht bloß relative Rechtskraft (§ 325 ZPO) hat, sondern für und gegen jedermann gilt. Dafür spricht auch das Argument, dass der Gesetzgeber das Rechtsschutzsystem des Gläubigers mit der Reform des SchVG grundlegend ändern wollte. Er hat die Anfechtungsklage eingeführt, und zwar als Ersatz zu der Möglichkeit, gegen den Emittenten im Wege einer inter partes wirkenden Feststellungsklage vorzugehen. Wäre inter-partes-Wirkung des Urteils gewollt, hätte es der Gesetzgeber bei dieser Art der Klage belassen können.132 Diesen Weg hat er aber nicht gewählt. Allerdings scheint die Auffassung, das Anfechtungsurteil gelte nur zwischen den Vertragsparteien, ebenfalls starke Argumente auf ihrer Seite zu haben. Denn das Versäumnis des Gesetzgebers, die Wirkung des Urteils zu regeln, betrifft nicht irgendeinen peripheren Regelungsgegenstand im Schuldverschreibungsrecht, sondern eines der zentralen Probleme.133 Außerdem fehlt im SchVG die Vorschrift über Bekanntmachungen zur Anfechtungsklage (im Aktienrecht: § 248a AktG), die gerade in der erga-omnes-Wirkung des stattgebenden Urteils ihre Begründung findet.134 Insofern kann man die 131  Simon, CFl 2010, 159 (164); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 78; zum Aktienrecht Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 248 Rn. 5; Hüffer/ Koch, AktG, § 248 Rn. 4. 132  Zu diesem Argument Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 78; im Ergebnis auch Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); so wohl auch Baums, ZHR 177 (2013), 807 (815); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 191; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 357; Wasmann/Steber, in: Veranneman, SchVG, 2. Aufl., § 20 Rn. 30. 133  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 54; zustimmend auch Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 143. 134  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 54; so auch Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 3.



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 271

im Schrifttum vertretene Auffassung teilen, es handle sich nicht bloß um ein versehentliches Unterlassen des Gesetzgebers und er habe die aktienrecht­ liche Vorschrift zur Urteilswirkung absichtlich nicht in das SchVG übernommen.135 Um zu vermeiden, dass für den Kläger und die übrigen Gläubiger nicht die gleichen Anleihebedingungen gelten, wird vorgeschlagen, auf den Gleichbehandlungsgrundsatz abzustellen: Da der Emittent verpflichtet sei, alle Gläubiger gleich zu behandeln, müsse er die übrigen Gläubiger so stellen, wie der erfolgreiche Anfechtungsgläubiger stehe.136 Die erga-omnesWirkung des Urteils wird also mittelbar durch die Anwendung des anleiherechtlichen Gleichbehandlungsgebots erreicht. Gleichwohl scheint die erste Auffassung zur absoluten Rechtskraft des Urteils trotz der Säumnis des Gesetzgebers, dies ausdrücklich zu regeln, überzeugender zu sein. Dafür sprechen bereits nicht nur der Sinn der Anfechtungsklage, den Beschluss mit Wirkung für alle rückwirkend zu kassieren, sondern auch die Regelungen des SchVG zum Vollzugsverbot und Freigabeverfahren, die zusammen mit der Anfechtungsklage in das neue Gesetz eingeführt wurden. Warum darf der klagende Gläubiger den Vollzug des Beschlusses für alle (zumindest bis zu dessen Freigabe) hindern137, die Wirkung des stattgebenden Urteils aber nur für sich allein genießen? Ihm dürfen nicht mehr Einflussmöglichkeiten zur Verfügung stehen, als er im Ergebnis beim Erfolg der Klage beanspruchen kann. Falls es ihm erlaubt ist, die Umsetzung des bis dahin wirksamen Beschlusses wegen angeblicher Rechtsverletzung auch im Interesse aller Gläubiger zu blockieren, dann muss diese (kollektivrechtliche) Schutzwirkung für alle auch dem stattgebenden Urteil anhaften. Im Aktienrecht ist die Doppelfunktion der Klage und des Urteils bekannt: Der Aktionär wehrt sich im Wege der Klage gegen einen Eingriff in seine subjektiven Rechte durch Mehrheitsbeschluss (individualrechtlicher Schutz); gleichzeitig handelt er als Kontrollorgan, er setzt seinen Anspruch auf gesetzes- und satzungsgemäßes Verhalten durch die Hauptversammlung durch (kollektivrechtlicher Schutz; überindividuelle Kontrollfunktion).138 Eine solche Doppelfunktion müsste dann auch der Anfechtungsklage im Schuld­ verschreibungsrecht – obwohl dies aus rechtsdogmatischen Gründen nicht 135  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 54. 136  Bliesener/Schneider, a. a. O., Rn.  54. 137  Vgl. auch Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 7 (2013). 138  Baums, Gutachten F für den 63. Deutschen Juristentag, S. F 101; ders., ZHR 177 (2013) 807 (815); Baums/Drinhausen, ZIP 2008, 145 (146); Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 246 Rn. 2; Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 199 m. w. N.; Hoffmann, Der Minderheitsschutz, S. 231; vgl. auch Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617 (619).

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

überzeugt (dazu unter Kapitel 4 § 11 A. III.) – anhaften. D. h. die Wirkung des Urteils beschränkt sich nicht bloß auf die Prozessparteien. Es gilt u. a. für und gegen alle Anleihegläubiger.

K. Nichtigkeitsklage Wie bereits oben erwähnt, beschränkt das neue SchVG die Rechtsschutzmöglichkeiten von Anleihegläubigern.139 Das Gesetz konzipiert dabei die (aktienrechtliche) Anfechtungsklage als Hauptrechtsbehelf gegen rechtswidrige Beschlüsse der Mehrheit. Ob aber im Schuldverschreibungsrecht neben der Anfechtungsklage auch eine Nichtigkeitsklage möglich ist, die keine anfechtungsrechtlichen Beschränkungen hinsichtlich der Klagebefugnis und der Klagefrist kennt, und ob es im Schuldverschreibungsrecht auch nichtige Beschlüsse gibt, also Beschlüsse, die wegen eines schwerwiegenden Mangels nicht bloß durch Anfechtungsurteil für nichtig erklärt werden können, sondern bereits ipso jure wirkungslos sind, ist nicht eindeutig geklärt. Das Gesetz selbst enthält dazu – im Unterschied zum AktG (siehe §§ 241, 242, 249 AktG) – keine Aussage. Nichtigkeitsgründe werden im Gesetzestext überhaupt nicht erwähnt. Nur der Hinweis in § 5 Abs. 2 S. 2 SchVG, dass „[e]in Mehrheitsbeschluss der Gläubiger, der nicht gleiche Bedingungen für alle Gläubiger vorsieht, … unwirksam [ist], es sei denn, die benachteiligten Gläubiger stimmen ihrer Benachteiligung ausdrücklich zu“, weist auf die Existenz nichtiger Beschlüsse hin. In der Gesetzbegründung zu § 5 Abs. 2 S. 1 SchVG heißt es außerdem, dass „Beschlüsse der Gläubiger … verbindlich [sind], soweit sie nicht nichtig oder erfolgreich mit der Klage angefochten worden sind“.140 Der BGH interpretiert § 5 Abs. 2 S. 2 SchVG und die Gesetzesbegründung zu § 5 Abs. 2 S. 1 SchVG in der Entscheidung aus dem Jahr 2014 ebenfalls in der Weise, dass unter dem neuen SchVG die beschlossenen Maßnahmen auch ohne Anfechtung des Beschlusses (oder sogar trotz seiner formell ordnungsgemäßen Vollziehung) von vornherein unwirksam sein können.141 Die Entscheidung betraf allerdings nur die Konstellation eines Beschlusses, der nicht gleiche Bedingungen für alle Gläubiger vorsieht. Ob die Nichtigkeitsfolge auch in anderen Fällen eingreifen kann bzw. ob die Nichtigkeitsgründe des § 241 AktG außerhalb des Geltungsbereichs des Gleichheitsgebots entsprechende Anwendung finden, war vom BGH nicht geklärt.

139  Siehe

dazu unter Kapitel 4 § 10 A. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 18; Hervorhebung hinzugefügt. 141  Siehe BGH, Urt. v. 01.07.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876 (1878 f.). 140  Begr.



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 273

Im Schrifttum wird überwiegend angenommen, dass Beschlüsse auch im Übrigen ipso jure nichtig sein können.142 Aus dem Fehlen einer Regelung über die Nichtigkeit von Beschlüssen im SchVG wird insbesondere nicht im Wege eines Umkehrschlusses aus § 241 AktG gefolgert, dass es keine nichtigen Beschlüsse der Anleihegläubiger gibt. Es wird darauf hingewiesen, dass § 241 AktG nicht die Norm sei, die die Nichtigkeitsgründe im Aktienrecht erst schaffe. Vielmehr schränke sie die Nichtigkeitsgründe gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht ein.143 D. h. auch ohne § 241 AktG besteht im Aktienrecht die Möglichkeit, sich auf die Nichtigkeitsfolge zu berufen. Folgend dieser Logik müssen dann auch im Schuldverschreibungsrecht, das an das Aktienrecht hinsichtlich des Rechtsschutzsystems angelehnt ist, nichtige Beschlüsse ipso jure möglich sein. In diesem Zusammenhang wird schließlich darauf aufmerksam gemacht, dass auch das alte Aktienrecht vor der Novelle 1884 und das heutige Genossenschaftsgesetz (§ 51 GenG) keine Regelung zu Nichtigkeitsgründen enthalten habe bzw. enthalte. Dennoch seien Gerichte davon ausgegangen bzw. sie gingen davon aus, dass Beschlüsse der Versammlung bei schwerwiegenden Mängeln auch ohne erfolgreiche Anfechtung von vornherein nichtig sein könnten.144 Obwohl das überwiegende Schrifttum eine Nichtigkeit der Beschlüsse der Anleihegläubiger ipso jure für möglich hält, spricht es sich gegen die vollständige Übertragung der Regelung des § 241 AktG auf das Schuldverschreibungsrecht aus. So finde § 241 Nr. 3 AktG, die die Nichtigkeitsfolge bei Eingriffen in die Rechte anderer Gläubiger oder bei Verstößen gegen die im öffentlichen Interesse bestehenden Vorschriften vorschreibe, keine entsprechende Anwendung, weil diese Norm primär auf die Einhaltung von Gläubigerschutzvorschriften mit Wirkung für Dritte abziele, was ein dem Schuldverschreibungsrecht fremdes Gedanke sei.145 Nicht entsprechend anwendbar sei auch § 241 Nr. 6 AktG, da Beschlüsse der Anleihegläubiger keiner Eintra142  Baums, ZBB 2009, 1 (4); Vogel, ZBB 2010, 211 (217 f.); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 327 ff.; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 99 ff.; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 29; Schulenburg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht, S. 366; a. A. Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 12; Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 4 f. (2013). 143  Vogel, ZBB 2010, 211 (217 f.); Hüffer/Koch, AktG, § 241, Rn. 1; siehe auch Podewils, DStR 2009, 1914 (1918) (ohne Begründung); kritisch dazu Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1319). 144  Baums, ZBB 2009, 1 (4); Vogel, ZBB 2010, 211 (217 f.); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 328; Schulenburg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht, S. 366. 145  Vgl. Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 11; so auch Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 330.

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

gung ins Handelsregister bedürften.146 Im Übrigen hält man § 241 AktG für analogiefähig. So sei der Beschluss nichtig, wenn keine Einberufung stattgefunden habe, wenn die Versammlung von einer nicht befugten Person einberufen oder nur ein begrenzter Kreis der Anleihegläubiger zur Versammlung eingeladen worden sei (Wertung des § 241 Nr. 1 AktG). Verstöße gegen Bekanntmachungspflichten gem. §§ 12, 18 Abs. 3 SchVG werden ebenfalls als schwerwiegende Verletzungen des Gesetzes angesehen.147 Einen weiteren Nichtigkeitsgrund stellt nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung die fehlende Feststellung über das Beschlussergebnis oder das Fehlen der Beschlussbeurkundung dar (§ 16 Abs. 1 und 3 SchVG; § 241 Nr. 2 AktG).148 In Analogie zum § 241 Nr. 4 AktG wird der Beschluss außerdem wegen Sittenwidrigkeit für nichtig gehalten, wenn sich die Sittenwidrigkeit gerade aus dem Inhalt und nicht aus den äußeren Umständen der Beschlussfassung ergibt. § 241 Nr. 4 AktG fasse den Tatbestand der Sittenwidrigkeit enger als § 138 Abs. 1 BGB.149 Schließlich wird der Beschluss als nichtig aufgrund eines stattgebenden Anfechtungsurteils (Wertung des § 241 Nr. 5 AktG) angesehen.150 Was die prozessuale Geltendmachung der Nichtigkeit des Beschlusses betrifft, wird in der Literatur angenommen, dass diese im Wege der (Anfechtungsklage oder) allgemeinen Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) erfolgen müsse. Es bestehe keine Möglichkeit, Nichtigkeitsklage entsprechend § 249 AktG zu erheben, weil das SchVG nicht auf diese Vorschrift verweise. Die Klage sei zwar nicht fristgebunden wie die Anfechtungsklage; das stattgebende Urteil habe allerdings nur relative Rechtskraft.151 146  Vogel, ZBB 2010, 211 (218); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 331. Vogel hält auch § 241 Nr. 5 AktG für nicht anwendbar, siehe ZBB 2010, 211 (218). 147  Baums, ZBB 2009, 1 (4); Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 14; ders., ZBB 2010, 211 218; Podewils, DStR 2009, 1914 (1918); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S.  328 f.; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 32 f.; vgl. auch Schulenburg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht, S. 367. 148  Baums, ZBB 2009, 1 (4); Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 15; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 330; Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn. 100; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 34; Schulenburg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht, S. 367. 149  Vogel, ZBB 2010, 211 (217); ders., in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 8; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 39; Schulenburg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht, S. 368. 150  Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 331; Schulenburg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht, S. 368; a. A. Vogel, ZBB 2010, 211 (218); ders., in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 9. 151  Friedl, in: FraKommSchVG, § 20 Rn.101; Vogel, in: Preuße, SchVG, § 20 Rn. 16; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 332; Kiem, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Teil 1, Abschnitt 2, § 20 Rz. 45.



§ 10 Beschlusskontrolle de lege lata 275

Obwohl die Argumente der herrschenden Meinung zur Nichtigkeit des Beschlusses Beachtung verdienen, kann die Auffassung, dass ihre Geltendmachung grundsätzlich im Wege der allgemeinen Feststellungsklage erfolgen kann, nicht überzeugen. Es ist zweifelhaft, dass das SchVG außer der Anfechtungsklage andere Klagen kennt. Noch hinnehmbar scheint das Versäumnis des Gesetzgebers, die erga-omnes-Wirkung des stattgebenden Anfechtungsurteils nicht zu regeln; die absolute Rechtskraft lässt sich noch mit dem Sinn und Zweck der Anfechtungsklage begründen. Dass der Gesetzgeber es lediglich ungewollt versäumt hatte, die Nichtigkeitsgründe und die Nichtigkeitsklage zu regeln, vermag aber nicht zu überzeugen. Im Gesetz fehlen nicht nur Vorschriften, sondern auch irgendwelche Hinweise auf die Existenz der Nichtigkeitsklage. Solche Hinweise sind auch nicht in den Gesetzesmaterialien enthalten. Außerdem darf nicht verkannt werden, dass der Gesetzgeber bei der Novellierung des Gesetzes gerade darauf abzielte, dem Gläubiger den Weg über die allgemeine Feststellungsklage zu nehmen. Sein Ziel war, den Rechtsschutz durch die spezielle Anfechtungsklage möglichst einzugrenzen und zu kanalisieren. Dies alles spricht für die Auffassung, dass Nichtigkeitsgründe als solche Anfechtungsgründe darstellen und konsequenterweise nur im Rahmen der Anfechtungsklage (§ 20 SchVG) geltend gemacht werden können. Zwar ist zuzugeben, dass sowohl das Gesetz als auch die Gesetzbegründung in Bezug auf den Beschluss, der ungleiche Bedingungen vorsieht, von einem „unwirksam[en]“ und „nichtig[en]“ Beschluss sprechen. Denkbar ist z. B. aber auch die Fassung eines Beschlusses, der die Gläubiger zu einer Leistung verpflichtet. Dieser Konstellation widmet sich ausdrücklich § 5 Abs. 1 S. 3 SchVG. Ein solcher Beschluss leidet an einem genauso schwerwiegenden Mangel wie ein Beschluss, der gegen das Gleichheitsgebot verstößt. Weder das Gesetz noch die Gesetzesmaterialien weisen aber darauf hin, dass dieser Beschluss unwirksam ist. Zu der Nichtigkeit dieses Beschlusses wird überhaupt nichts gesagt. Zudem wird das Leistungsverbot nicht im § 5 Abs. 2 als S. 3 SchVG erwähnt; es wird von der Regelung über unwirksame Beschlüsse getrennt und lediglich als § 5 Abs. 1 S. 3 geregelt. Folgend der Logik des Schweigens der Gesetzesverfasser und der Gesetzessystematik, kann man diesen Beschluss nur mit der Anfechtungsklage angreifen, was andererseits nicht gerechtfertigt ist. Daher ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber mit den Begriffen „unwirksam“ und „nichtig“ nicht zum Ausdruck bringen wollte, dass er noch eine spezielle Klage, die Nichtigkeitsklage, zur Verfügung stellt. Er benutzt diese Begriffe im allgemeinen Sinne, um bloß die Wichtigkeit des Gleichbehandlungsgebots, des fundamentalen Grundprinzips des Anleiherestrukturierungsrechts, hervorzuheben und lediglich zu zeigen, dass der Verstoß die Grundlage für eine Beschlusskontrolle darstellen kann.

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

Es bleibt im Endergebnis festzuhalten, dass im Schuldverschreibungsrecht (entgegen der herrschenden Meinung) Nichtigkeitsgründe nur im Wege der Anfechtungsklage geltend gemacht werden können. Eine schuldverschreibungsrechtliche Nichtigkeitsklage gibt es nicht.152

§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda A. Schwächen des Anfechtungsrechts Das Ziel des Gesetzgebers bei der Reform des SchVG bestand darin, das deutsche Anleiherestrukturierungsrecht neu zu regeln und es insbesondere an die internationalen Standards anzupassen, um mehr Rechtssicherheit herbeizuführen. Von der Erreichung dieses Ziels ist der Gesetzgeber heutzutage jedoch noch weit weg entfernt. Die gesetzliche Gestaltung des Systems der Beschlusskontrolle nach deutschem Recht wird sogar im internationalen ­Anleihemarkt als Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Rechtsordnungen betrachtet.153 Dafür kann man mehrere Gründe nennen: I. Unvollständige Regelungen Die Untersuchung der Regelungen des neuen SchVG zur Beschlusskon­ trolle hat zunächst gezeigt, dass, obwohl der Rechtsschutz der Anleihegläubiger dem „bewährten“154 Rechtsschutz im Aktienrecht nachgebildet ist, es noch überraschend viele wichtige Fragen offen bzw. umstritten bleiben.155 Es ist zwar positiv zu bewerten, dass der Gesetzgeber die Befugnisse der Anleihegläubiger gestärkt hat, indem er umfassende Mehrheitsklauseln erlaubte. Es reicht allerdings nicht aus, einen Mehrheitsbeschluss rasch und ohne großen Aufwand zu ermöglichen. Es muss auch genau geklärt werden, unter 152  So im Ergebnis nur Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 12; Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 4 f. (2013); vgl. auch Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1319). 153  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (850); siehe auch Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 2 (2013) („Das Gesetz schafft auch den angestrebten Anschluss an das englische und amerikanische Recht – und kann damit im Wettstreit der Rechte bestehen. Dies alles ist mit dem Vorbehalt gegenüber dem Anfechtungsrecht gesagt.“); vgl. auch DAI, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Bundesschuldenwesengesetzes (Änderung des SchVG), S. 4, abrufbar unter: https://www.dai.de/files/dai_usercontent/dokumente/positionspapiere/ 2012-05-16-DAI %20Stellungnahme %20Bundesschuldenwesengesetz.pdf. 154  Begr. RegE SchVG, BT-Drs. 16/12814, S. 1. 155  Vgl. dazu auch Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1322); Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 3 (2013).



§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda277

welchen Bedingungen dieser Beschluss kassiert werden kann bzw. wann eine Beschlusskontrolle stattfindet und welche Möglichkeiten für den dissentierenden Gläubiger bestehen, um seine Rechte, sollte die Mehrheit ihre Befugnisse missbrauchen, zu schützen. Wie kann das Gesetzeswerk die erforder­ liche Rechtssicherheit vermitteln, wenn bereits umstritten ist, welche Klagearten dem Gläubiger überhaupt zur Verfügung stehen? Es ist bis jetzt noch nicht abschließend geklärt, ob der Anleihegläubiger die Nichtigkeitsfolge auch ohne fristgebundene Anfechtung geltend machen kann. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage findet man weder im Gesetzesentwurf noch im Gesetz selbst, obwohl der Gesetzgeber sich ausdrücklich zur Aufgabe gemacht hat, die Rechtsschutzmöglichkeiten der Anleihegläubiger neu zu regeln. Selbst wenn der Gläubiger versucht, auf dem „sicheren“ Weg zu bleiben und gegen den Beschluss im Wege einer befristeten Anfechtungsklage vorzugehen, ist ungeklärt, inwieweit dieser Beschluss vom Gericht hinsichtlich seines materiell-rechtlichen Inhalts kontrolliert werden darf, ob diese Kon­ trolle ähnlich wie im Aktienrecht stattfindet oder beschränkt zulässig ist, weil unter den Anleihegläubigern z. B. kein rechtlicher Verband trotz einer gewissen Gruppensituation entsteht. Der Gesetzgeber scheint nicht das Ziel verfolgt zu haben, die Anfechtungsgründe vollständig in Analogie zum Aktienrecht zu regeln. Die Ausführungen zum Gesetzesentwurf lassen aber nicht immer erkennen, ob bestimmte Säumnisse des Gesetzgebers bei der Formulierung der Regelung geplant waren oder es sich um ungewollte Gesetzes­ lücken handelt, die ermöglichen, aktienrechtliche Vorschriften entsprechend anzuwenden. II. Gefahr des Klagerechtsmissbrauchs Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das schuldverschreibungsrechtliche Anfechtungsrecht genug Raum für den Missbrauch des Klagerechts lässt. Wie vorher erwähnt, ist dieses Phänomen im Aktienrecht unter dem Begriff „räuberische Aktionäre“ (oder auch „Berufskläger“) bekannt. Das Ziel dieser Aktionäre besteht darin, die Hebelwirkung der Anfechtungsklage auszunutzen. Sie lassen sich den Lästigkeitswert der Klage abkaufen, um sich eine lukrative Einnahmequelle zu schaffen. Mit der Übertragung der aktienrechtlichen Anfechtungsklage in das SchVG besteht aber nun diese Gefahr auch für den Emittenten und die restrukturierungswilligen Gläubiger, die eigene finanzielle Opfer bringen, um die Ansprüche zu „retten“.156 Die Erfahrung der Praxis bestätigt diese Befürchtun156  Siehe auch Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 2 (2013) („das Gesetz [droht] wieder (!) aus Gründen eines übertriebenen Minderheitenschutzes leerzulaufen“).

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

gen.157 Es handelt sich also nicht um eine rein abstrakte Gefahr. Minderheitsgläubiger übernehmen das Verhaltensmodell der „räuberischen“ Aktionäre und versuchen, die mit der Klageerhebung entstehende Vollzugssperre für sich auszunutzen. Es muss dabei beachtet werden, dass die Restrukturierung im Schuldverschreibungsrecht meistens dem Zweck der Vermeidung eines Insolvenzverfahrens des Emittenten dient. Der Emittent steht unter hohem Zeitdruck.158 Das Erpressungspotenzial der „räuberischen“ Anleihegläubiger in solchen Fällen ist daher ungleich größer als bei aktienrechtlichen Kapitalmaßnahmen.159 Das Einzige, was der Gesetzgeber zum Schutz der restrukturierungswilligen Teilnehmer vorgesehen hat, ist das an das Aktienrecht angelehnte Freigabeverfahren. Dies allein reicht aber nicht aus, um dem Geschäftsmodell der klagefreudigen Gläubiger jegliche Grundlage zu entziehen. Das Phänomen „Berufskläger“ ist dem US-amerikanischen und englischen Recht nicht bekannt, weil diese Rechtsordnungen für Einzelgläubiger weder das Anfechtungsrecht mit Kassationswirkung des stattgebenden Urteils noch die Anfechtungsklage, deren Erhebung allein bereits den Vollzug der Restrukturierung blockieren kann, vorsehen. III. Das kollektivrechtliche Schutzsystem ist konzeptionell verfehlt Schließlich kann gefragt werden, ob die Übertragung der aktienrechtlichen Anfechtungsklage in das Schuldverschreibungsrecht auch aus konzeptionellen Gründen gerechtfertigt ist. Diesbezüglich werden Zweifel geäußert.160 Das schuldverschreibungsrechtliche Anfechtungsverfahren wird als Verfahren angesehen, das über das Ziel hinausschießt.161 Es wird – zu Recht – darauf hingewiesen, dass das Aktienrecht anders als das Schuldverschreibungsrecht konzipiert sei. Aktienrecht sei Verbandsrecht.162 Aktionäre gehör157  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 6 Fn. 10. 158  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (849). 159  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 6; Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (846). 160  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (846, 849); Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 3 (2013); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 3 ff.; siehe auch Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318 f., 1322). 161  Vgl. Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816). 162  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 4; Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 19 (2013); siehe auch McDaniel, 41 The Business Lawyer 413 (1986) („Stockholders are owners; bondholders are creditors. Corporate law is for stockholders; contract law is



§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda279

ten zu einem Verband; sie seien Träger von Mitgliedschaftsrechten und Treuepflichten. Das Handeln des Verbandes werde durch den Beschluss legitimiert.163 Mit der Beschlussmängelklage könne der Aktionär nicht nur die eigene Mitgliedschaft vor Eingriffen durch Mehrheitsbeschlüsse schützen. Seiner Klage komme eine weitere Bedeutung zu: Sie diene zusätzlich dem kollektivrechtlichen Schutzzweck.164 Mit seiner Anfechtungsklage könne der Aktionär als Kontrollorgan handeln; er könne eine Verletzung drittschützender Normen geltend machen und sein Recht auf die Befolgung des Gesetzes und der Satzung durch die Aktiengesellschaft durchsetzen.165 Das Beschlussmängelrecht diene also auch der Kontrolle der Organe des Verbandes, dem Schutz seiner zentralen Elemente vor Beeinträchtigungen durch Hauptversammlungsbeschlüsse, der Durchsetzung gesetzesmäßiger Zustände bei der Beschlussfassung über Maßnahmen der Kapitalerhöhung, Kapitalherabsetzung, über einen Unternehmensvertrag, den Ausschluss von Minderheitsak­ tionären etc.166 Schuldverschreibungsrecht sei hingegen zunächst kein Verbandsrecht; es sei Schuldrecht. Anleihegläubiger hätten keine Mitgliedschaftsrechte; ihnen oblägen keine Treuepflichten.167 Der Beschluss der Anleihegläubiger bilde nicht den Willen des „Verbandes“ der Anleihegläubiger wie im Aktienrecht; er diene nicht dem überindividuellen Verbandsinteresse. Seine Funktion beschränke sich lediglich auf die Koordination der Gläubiger. Der Beschluss diene also nicht der Legitimation des Handelns des Verbandes, was gerade die Anfechtungsklage voraussetze.168 Das Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem jeweiligen Anleihegläubiger sei bloß durch ein Schuldner/ Gläubiger-Verhältnis gekennzeichnet.169 Ein Gleichlauf zwischen der Hauptfor bondholders. Directors protect stockholders; the indenture protects bondholders.“). 163  Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 194. 164  Baums, ZHR 177 (2013), 807 (815); zur Doppelfunktion der Anfechtungsklage bereits oben unter Kapitel 4 § 10 J. 165  Siehe dazu Baums, ZHR 177 (2013), 807 (815); ders., Gutachten F für den 63. Deutschen Juristentag, S. F 100 f.; vgl. auch Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktGKommentar, § 245 Rn. 1. 166  Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 4; Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 19 (2013). 167  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (846, 849); Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 20 Rn. 4. 168  Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 193 f. 169  Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 19 (2013); a. A. Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S.  193 ff.

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

versammlung der Aktionäre und der Gläubigerversammlung verbiete sich, da dem Aktienrecht und dem Schuldverschreibungsrecht zwei unterschiedliche Sachverhalte unterlägen.170 Trotz dieser Unterschiede und des Umstandes, dass das Interesse des Anleihegläubigers allein auf Schutz seiner schuldrechtlichen Ansprüche aus der Anleihe, also auf Vermögensschutz, beschränkt ist, wird dem Gläubiger ein Instrument zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe er den ganzen Beschluss kassieren kann. Nach dem SchVG darf der Anleihegläubiger wie ein Aktionär als Kontrollorgan auftreten, obwohl dem Schuldverschreibungsrecht eine andere Konzeption zu Grunde liegt. Diese Differenzierung hat der Gesetzgeber missachtet. Die Rechtsfolge der Kassation wird zu Recht als unangemessen und konzeptionell verfehlt angesehen.

B. Vorschlag des Arbeitskreises Reform des Schuldverschreibungsrechts: Wertersatz statt Kassation Das Schrifttum beschränkt sich nicht auf eine Kritik des neuen Gesetzes hinsichtlich des Rechtsschutzes gegen Mehrheitsbeschlüsse. Es werden auch Vorschläge zur Umgestaltung des Anfechtungsrechts gemacht. Zu nennen ist der Vorschlag des Arbeitskreises Reform des Schuldverschreibungsgesetzes (im Folgenden „Arbeitskreis“).171 Wenn, wie bereits erklärt, das Interesse jedes einzelnen Anleihegläubigers allein auf Vermögensschutz beschränkt ist, wird vorgeschlagen, die Anfechtungsklage abzuschaffen und dem Gläubiger Wertersatz zu gewähren. Die Hauptidee besteht also darin, die Kassationswirkung der Beschlussmängelklage durch eine Verpflichtung des Emittenten zum Wertersatz zu ersetzen.172 Der Emittent schulde lediglich Ersatz für die durch die Vollziehung des rechtswidrigen Mehrheitsbeschlusses eingetretene Wertminderung. Diesen Wertersatz könne der Gläubiger im Wege der Feststellungsklage geltend machen. Dabei handle es sich bei dem Wertersatzanspruch des Gläubigers nicht um einen Schadensersatzanspruch. Vielmehr gehe es um die Korrektur der unrechtmäßig eingetretenen Verkürzung seiner Rechtsposition in einer typisierenden Betrachtung. Der Gläubiger habe einen vom Verschulden des 170  Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318, 1322); Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 3 (2013); vgl. auch Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 193 („Ein Gleichlauf … besteht daher nur, soweit der Beschluss als bloße Technik zur kollektiven Willensbildung … verstanden wird.“). 171  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 ff. 172  Siehe bereits Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816).



§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda281

Emittenten unabhängigen Anspruch auf Ausgleich der Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert der Schuldverschreibung im Zeitpunkt der Fassung des rechtswidrigen Beschlusses und ihrem durch die Vollziehung des Beschlusses geminderten Wert. Die Klage des Gläubigers sei nur dann erfolgreich, wenn die voraussichtliche Insolvenzquote den Wert des gekürzten Forderungsrechts überschreite. Über die anzunehmende Wertminderung befinde das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände nach freier Überzeugung (§ 287 ZPO).173 Die Klagebefugnis wird in Analogie zum § 20 Abs. 2 SchVG gestaltet. Das Erfordernis der Widerspruchseinlegung und des vorherigen Erwerbs der Schuldverschreibungen entfällt nicht. Die Möglichkeit der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes wird ausdrücklich ausgeschlossen. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des Gerichts, sollte das Gericht der Wertersatzklage stattgeben, erstens, den Bestand des Beschlusses unberührt lasse und, zweitens, für und gegen alle Gläubiger wirke.174 Für den Emittenten entsteht die Pflicht, Ersatz an alle ausgleichsberechtigten Gläubiger zu leisten. Das sind nicht alle Gläubiger, sondern nur diejenigen, die klagebefugt sind. Dadurch werde sichergestellt, dass die Mehrheit der Gläubiger keinen Wertersatz verlangen könne, wenn der Beschluss mit ihrer Stimme gefasst worden sei oder sie gegen den Beschluss keinen Widerspruch erhoben habe.175 Schließlich geht der Arbeitskreis von der Notwendigkeit aus, die Klagefrist einzuschränken und sie in Analogie zum § 20 Abs. 3 S. 1 SchVG zu bestimmen. D. h. der Anleihegläubiger kann die Klage nur innerhalb eines Monats nach der Bekanntmachung des Beschlusses erheben.176

C. Vorteile des Vorschlags Der Hauptvorteil des Vorschlags des Arbeitskreises besteht darin, dass er zulässt, Anreize für einen Missbrauch des Klagerechts zu beseitigen. Der Gläubiger kann sich weder auf Kosten anderer an der Restrukturierung beteiligen, noch kann er – nun mangels Anfechtungsrechts – die Vollziehung des Mehrheitsbeschlusses wegen angeblicher Rechtsverstöße im Nachhinein hindern. Sein Vetorecht wird ihm nicht nur im Vorfeld der Restrukturierungsentscheidung genommen; ihm stehen auch nach der Fassung des Beschlusses 173  Arbeitskreis

Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (856). Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (848). 175  Siehe Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (848, 856). 176  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (848) (§ 20 Abs. 4 S. 5, der auf § 20 Abs. 3 S. 1 verweist). 174  Arbeitskreis

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

keine Blockademöglichkeiten zu. Er bleibt berechtigt, nur seine eigenen Einzelrechte geltend zu machen. Die Abschaffung der Anfechtungsklage nimmt folglich das ganze Erpressungspotenzial für Berufskläger. Ihr Geschäftsmodell kann nicht mehr funktionieren. Gleichzeitig bringt der Vorschlag des Arbeitskreises mehr Rechtssicherheit für den Emittenten und die restrukturierungswillige Mehrheit der Gläubiger. Der Beschluss, selbst wenn er gegen Gesetz oder Anleihebedingungen verstößt, bleibt wirksam; für die klagenden Gläubiger besteht keine Möglichkeit der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes. Der Bestand des Beschlusses ist gesichert.177 Schließlich beachtet der Vorschlag, dass für den Emittenten und die den Beschluss tragende Mehrheit das Bedürfnis besteht, die Rechtslage schnell zu klären und möglichst frühzeitig einen Überblick über mögliche „Kosten“ der Restrukturierung wegen des Wertersatzes zu bekommen. Dem Schutz dieses Interesses dient die Regelung, dass die Geltendmachung des Ersatzanspruchs nicht unbefristet möglich ist. Eine entsprechende Klage kann man nur innerhalb eines Monats erheben.

D. Eigener Vorschlag: Schutz des status quo statt Wertersatz Der Idee der Abschaffung der Anfechtungsklage kann man nur zustimmen. Das alte Argument der Kritiker des SchVG 1899, die Anleihegläubiger seien im Vergleich zu Aktionären benachteiligt, da ihnen keine Beschlussmängelrechte zustünden, überzeugt nicht.178 Es besteht keine Diskriminierung, weil Schuldverschreibungsrecht, wie bereits erklärt, anders konzipiert ist. Interessant ist allerdings anzumerken, dass, obwohl der Vorschlag des Arbeitskreises auf der Idee der Aufhebung der (verbandsrechtlichen) Anfechtungsklage beruht, viele Elemente dieser Klage, sei es auch im Rahmen der Klage auf Feststellung der Wertersatzpflicht, beibehalten bleiben. Um einen Wertersatzanspruch zu haben, muss der Anleihegläubiger Schuldverschreibungen vor der Bekanntmachung der Einberufung der Gläubigerversammlung bzw. vor der Aufforderung zur Stimmabgabe in einer Abstimmung ohne Versammlung erworben haben. Er muss auch gegen den Beschluss fristgerecht Widerspruch erklären. Um klagebefugt zu sein, muss er außerdem an der Gläubigerversammlung bzw. Abstimmung zunächst teilnehmen. Warum muss er aber solche „Einschränkungen“ des Klagerechts beachten, wenn er, wie bereits erklärt wurde, zu keinem Verband gehört und eine rein schuld177  Zur

Nichtigkeitsklage siehe nachstehend unter Kapitel 4 § 11 A. I. vorstehend unter Kapitel 4 § 10 (Einführung).

178  Dazu



§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda283

rechtliche Rechtsposition genießt? Warum dürfen Gläubiger, die die Versammlung bewusst ignoriert haben, bei Rechtswidrigkeit des Beschlusses keine Ansprüche mehr geltend machen?179 Warum darf schließlich der Gläubiger nicht jederzeit Schuldverschreibungen erwerben, wenn er sowieso nicht als Kontrollorgan auftreten darf und nur seine eigenen Rechte schützen kann, und zwar ohne die Möglichkeit, den Vollzug des Beschlusses zu blockieren? Eine solche Art der „Verwirkung“ der Rechte im reinen Schuldrecht scheint nicht gerechtfertigt zu sein. Falls Schuldverschreibungsrecht, wie behauptet wird, anders konzipiert ist, dann muss sich diese konzeptionelle Differenzierung auch bei der Umgestaltung des individuellen Rechtsschutzsystems zeigen. Dieselbe Überlegung gilt für die Klagefrist. Warum ist die Klagefrist genauso kurz wie bei einer aktienrechtlichen Anfechtungsklage? Warum muss der Gläubiger, um seine Rechte entsprechend dem Vorschlag des Arbeitskreises schützen zu können, verbandsrechtliche Klagefristen einhalten? Die Hauptfrage betrifft aber nicht die Gestaltung der prozessualen Besonderheiten der Feststellungsklage. Zum Schutz der Anleihegläubiger wird vom Arbeitskreis vorgeschlagen, den Emittenten verschuldensunabhängig zum Wertersatz zu verpflichten. Dieser Wertersatz soll die Abschaffung der Kassationswirkung der Anfechtungsklage ausgleichen. Wenn der Beschluss wirksam bleibt und mit der Zustimmung des Emittenten sofort vollzogen werden darf, muss nach der Idee des Arbeitskreises für den Gläubiger, dessen Rechtsposition durch die rechtswidrige Restrukturierung verkürzt war, die Möglichkeit bestehen, einen Wertersatz für den unrechtmäßig eingetretenen Rechtsverlust bzw. die erlittenen Wertminderung seiner Schuldverschreibung zu erlangen.180 Muss aber der Emittent tatsächlich verpflichtet sein, die eingetretene Wertminderung zu kompensieren? Die Frage ist, ob tatsächlich ein Bedarf für Wertersatz besteht. Wenn der Gläubiger eine Rechtsverletzung durch den Beschluss geltend macht, um nur seine eigenen Rechte zu schützen, dann besteht sein Hauptinteresse darin, mit Hilfe des Gerichts festzustellen, dass 179  In dem bereits vorgestellten Assénagon-Fall aus dem Jahr 2012, der die Anwendung des englischen Rechts betrifft (siehe Kapitel 2 § 4 D. II.), hatte der Gläubiger an der Versammlung nicht teilgenommen. Das hatte keinen Einfluss auf seine Klagebefugnis. Das US-amerikanische Recht der Anleiherestrukturierung kennt ebenfalls keine vergleichbaren Einschränkungen. 180  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (856); siehe auch Schneider, ILF Working Paper Series, No. 135, S. 20 (2013). Auf der Idee des Wertersatzes beruht auch § 246a Abs. 4 S. 1 AktG, auf den § 20 Abs. 3 S. 4 Hs. 2 SchVG verweist. Ähnlich lautet der Vorschlag des Arbeitskreises zu Reform des Aktienrechts, Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617 (618 (§ B Abs. 4), 622 f.).

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

der Beschluss für ihn keine Wirkung entfaltet (Schutz bzw. Wiederherstellung des status quo), weil er nicht verpflichtet ist, rechtswidrige Verkürzungen seiner Rechtsposition hinzunehmen. Sein Klageziel muss daher nicht auf Wertersatz gerichtet sein, sondern darauf, dass der Emittent ihm das ursprüngliche „Pflichtprogramm“ schuldet, dass dem Gläubiger also seine (ursprünglichen) Ansprüche auf Zahlung des Kapitals und der Zinsen nicht genommen werden. Es besteht kein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers daran, teilweise aus dem Rechtsverhältnis mit dem Emittenten „auszutreten“ und früher als die anderen Gläubiger ausbezahlt zu sein. Die Umgestaltung zum Schutz des status quo würde die Rückkehr zum Rechtsschutzsystem des alten SchVG 1899 bedeuten, nach dem der Gläubiger u. a. im Wege der Leistungs- oder Feststellungsklage gegen den Beschluss vorgehen konnte. Dies entspricht aber, zum einen, den internationalen Standards. Zum anderen zeigt dieser Weg eine gute Lösung für alle Seiten: 1) Für den Emittenten und die den Beschluss tragende Mehrheit bedeutet das nicht nur, dass sie von der Bestandssicherheit des Beschlusses ausgehen können und ihn ausführen dürfen; der Emittent braucht nicht mehr mit dem finanziellen Ausgleich in der näheren Zukunft zu rechnen.

Man muss beachten, dass die Restrukturierung, worauf auch der Arbeitskreis hinweist, meistens der Vermeidung des Insolvenzverfahrens des Emittenten dient. Der Emittent ist unter solchen Umständen in seinen finanziellen Möglichkeiten erheblich beschränkt. Die Verpflichtung, die – selbst nur die klagebefugten – Gläubiger zu entschädigen, obwohl der Restrukturierungsvorgang noch nicht abgeschlossen ist, würde ihn nur belasten; es besteht das Risiko, dass der Ausgleich den Erfolg der Restrukturierung gefährdet und den positiven Effekt des Mehrheitsbeschlusses entwertet. Der Emittent scheint manchmal, wie die Praxis zeigt, sogar nicht in der Lage zu sein, die Zinsen zu zahlen, um nicht insolvent zu werden. Die Verpflichtung zur Weiterzahlung der Zinsen macht in einigen Fällen die Stellung eines Insolvenzantrags unausweichlich.181 Wenn selbst die Zinszahlung für den Emittenten nicht immer möglich ist, was gewinnt man, wenn man ihn vor dem Abschluss der Restrukturierung zum Wert­ ersatz verpflichtet?

2) Für den klagenden Gläubiger besteht der Vorteil darin, dass er seinen status quo schützen und so gestellt werden kann, wie wenn seine Rechtsposition nicht verkürzt worden wäre. Falls die Restrukturierung gelingt, ist er sogar in der besten Position: Er erlangt die Möglichkeit, auf Kosten der Gläubiger, die den rechtswidrigen Beschluss gefasst haben, von der Restrukturierung zu profitieren. 181  Siehe

z. B. BGH, Urt. v. 24.01.2012 – XI ZR 370/15, DB 2015, 1632.



§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda285

E. Überlegungen zur Klagefrist Obwohl die Idee der Übernahme der verbandsrechtlichen Monatsfrist in Anlehnung an § 246 Abs. 1 AktG nicht überzeugt, darf es dem Gläubiger nicht erlaubt sein, faktisch unbefristet seine Rechte auf Schutz des status quo geltend zu machen. Der Emittent und die Gläubigermehrheit müssen auch davor geschützt sein, lange Zeit mit Unverbindlichkeitseinwänden zu rechnen. Dies war gerade einer der Hauptkritikpunkte zum SchVG 1899.182 Es scheint gerechtfertigt zu sein, die Klagefrist auf drei Jahre in Analogie zu der regelmäßigen Verjährungsfrist gem. § 195 BGB zu beschränken; dabei muss wie im § 20 Abs. 3 S. 1 SchVG vorgesehen werden, dass die Frist (in Abweichung von § 199 BGB) bereits mit der Bekanntmachung des Beschlusses zu laufen beginnt. Gerechtfertigt ist diese dreijährige Frist zumindest aus dem Grund, dass sie auch im Übrigen für schuldrechtliche Ansprüche gilt. Gleichzeitig könnte man überlegen, eine zusätzliche Regelung einzuführen, die für den Gläubiger, der von einer Rechtsverletzung ausgeht, den „Anreiz“ schafft, früher zum Gericht zu gehen. Einen solchen „Anreiz“ könnte die Festlegung schaffen, dass das stattgebende Urteil keine automatische rückwirkende Geltung für den Gläubiger entfaltet. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt der Klageerhebung: Der Anleihegläubiger verliert seine Rechte aus fälligen Zahlungsansprüchen, wenn die Fälligkeit dieser Ansprüche vor der Klageerhebung eintritt. Die Idee besteht darin vorzuschreiben, dass der Kläger seine status-quo-Rechte beim stattgebenden Urteil nur ab dem Zeitpunkt erwirbt, zu dem die Klage (innerhalb der dreijährigen Frist nach der Bekanntmachung des Beschlusses) erhoben ist. Solange also der Gläubiger während der Klagefrist nicht gegen die Geltung der bindenden Wirkung des Beschlusses vorgeht, bleibt er an die Entscheidung der Mehrheit hinsichtlich der Restrukturierung der Anleihe gebunden. Um wiederum zu kurze Klagefristen hinsichtlich des status-quo-Anspruchs aus der Hauptforderung zu vermeiden (Konstellation „Fälligkeitseintritt kurz nach der Beschlussfassung“), kann zum Schutz des Gläubigers zusätzlich vorgesehen werden, dass die Klage (trotz Fälligkeitseintritts) innerhalb eines Jahres (nach der Bekanntmachung des Beschlusses) erhoben werden kann.

F. Einwand des individuellen „Freikaufens“ Der Haupteinwand gegen den Vorschlag des Arbeitskreises lautet, dass die Ersetzung der Kassationswirkung der Anfechtungsklage durch eine Verpflichtung zum Wertersatz zu unerwünschten Anreizen beim Emittenten und 182  Dazu

vorstehend unter Kapitel 4 § 10 (Einführung).

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

der Gläubigermehrheit führt.183 Die Kritiker scheinen bereit zu sein, das System des Anfechtungsrechts samt der Vollzugsperre zu akzeptieren184, obwohl es falsche Anreize bei der Gläubigerminderheit setzt, nicht aber die Idee des Wertersatzes, weil sie angeblich die Grundlage für einen Missbrauch für andere Teilnehmer schafft. Die Idee ist aus ihrer Sicht nicht überzeugend, weil sie als Einladung gelte, rechtswidrige Beschlüsse erst einmal zu riskieren – zumal die Ersatzpflicht nicht gegenüber allen Gläubigern bestehe185 – und das weitere Vorgehen davon abhängig zu machen, ob und vor allem wie viele Gläubiger klagten, das heiße „wie teuer es würde“.186 Es bestehe also die Möglichkeit, sich von Beschlussmängeln „freizukaufen“.187 Den gleichen Einwand kann man versuchen, gegen die dargestellte Idee anzubringen, die Kassationswirkung durch die Pflicht zu ersetzen, den status quo des klagenden Gläubigers widerherzustellen, wie wenn der Beschluss für ihn keine Wirkung hätte. Der Emittent kann dazu bewegt werden, bewusst gegen das Gesetz oder die Anleihebedingungen zu verstoßen, zumal er nicht zum Ersatz der eingetretenen Wertminderung verpflichtet ist. Dagegen kann man wiederum einwenden, dass die Idee des Schutzes des status quo es dem Emittenten gerade nicht ermöglicht, im Vorfeld der Restrukturierung berechnen zu können, „wie teuer es würde“. Wenn kein Widerspruchseinlegungserfordernis besteht und der Gläubiger, der gegen die Beschlusswirkung vorgehen möchte, an kurze Klagefristen nicht mehr gebunden ist, weiß der das Risiko des „Freikaufens“ eingegangene Emittent nicht mehr, wie viele Gläubiger ihn später verklagen können. Die Grundlage der Berechnung des „Preises“ der Restrukturierung im Wege der Hinnahme eines rechtswidrigen Beschlusses wird ihm vollständig genommen; damit entfallen auch die Anreize für das rechtswidrige Verhalten. Je später die Klagemöglichkeit zugelassen wird, desto weniger Raum für Missbrauch verbleibt für den Emittenten und die den Beschluss tragende Gläubigermehrheit. Der Einwand des Missbrauchs wegen des „Freikaufens“ von Beschlussmängeln scheint außerdem insgesamt unberechtigt zu sein und zwar unabhängig davon, ob man dem Gläubiger Wertersatz oder Wiederherstellung seines status quo anbietet. Denn beide Ideen dienen nicht allein dem Zweck 183  Vgl. Horn, ZHR 173 (2009), 12 (62) Fn. 184; zustimmend Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 242 f. Hinweise dazu bei Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816); Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 5 f. (2013). 184  Siehe Horn, ZHR 173 (2009), 12 (62); Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 241 ff. 185  Horn, ZHR 173 (2009), 12 (62) Fn. 184. 186  Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 5 f. (2013). 187  Vgl. Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 5 (2013).



§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda287

der Rechtssicherheit für den Emittenten und die Mehrheit der Gläubiger, sie enthalten auch Schutzmechanismen zu Gunsten des klagenden Gläubigers. Der opponierende Gläubiger steht also nicht schutzlos. Er braucht nicht die Entscheidung der Mehrheit hinzunehmen; ihm steht die Möglichkeit offen, sofort gegen die bindende Wirkung des Beschlusses gerichtlich vorzugehen. Er ist dabei dem allgemeinen Risiko ausgesetzt, das jedem schuldrechtlichen Verhältnis immanent ist, wenn eine Partei versucht, ihre Rechte rechtswidrig durchzusetzen. Im Aktienrecht ist die Rechtslage nicht anders; außerdem führt ein die Rechte der Aktionäre verletzender Beschluss nicht automatisch zu seiner Aufhebung. Man muss zunächst die Gesellschaft verklagen. Denn der Beschluss ist bereits mit seiner Beurkundung in der Niederschrift wirksam. Lässt der Aktionär die Frist für den gerichtlichen Schutz verstreichen, erlangt der Beschluss endgültig seine Wirksamkeit. Zum Einwand des „Freikaufens“ ist schließlich anzumerken, dass im Fall der Beibehaltung der Kassationswirkung die Wirkung des Missbrauchs sogar noch größer ist, weil infolge der Ausnutzung der Hebelwirkung der Anfechtungsklage seitens der dissentierenden Minderheit alle Seiten an den Folgen des Missbrauchs leiden.

G. Einwand der Ungleichbehandlung Die Idee der Wiederherstellung des status quo sieht nicht die automatische Pflicht des Emittenten vor, alle Gläubiger in derselben Weise zu behandeln. Diese Möglichkeit steht nur denjenigen zu, deren Klage vom Gericht stattgegeben wird (eine Nebenintervention sollte ebenfalls ermöglicht werden).188 Insofern kann man einwenden, dass sie das Prinzip der Gleichbehandlung verletzt. Es scheint, dass Schuldverschreibungen einer und derselben Anleihe nicht mehr austauschbar sind, weil sie für unterschiedliche Gläubiger unterschiedliche Ansprüche gewähren: für die Mehrheit der Gläubiger die durch den Restrukturierungsbeschluss „reduzierten“ Ansprüche, für die (klagende) Minderheit Ansprüche, wie wenn der Beschluss nicht gefasst worden wäre bzw. er keine Bindungswirkung für sie entfalten würde. Gleichbehandlung im Schuldverschreibungsrecht stellt aber ein fundamentales Prinzip dar; sie dient der Fungibilität und somit der Kapitalmarktfähigkeit der Wertpapiere. Wie der BGH in seiner grundlegenden Entscheidung zur Anwendung des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen zu Recht hervorhebt, ermöglicht die Sicherheit über die inhaltliche Austauschbarkeit aller Wertpapiere derselben Emission die Funktionsfähigkeit des auf schnelle und 188  Kritisch dazu Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 242, vgl. auch S. 248.

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

anonyme Abwicklung des Massengeschäfts ausgerichteten Kapitalmarkts; ohne Austauschbarkeit der Wertpapiere ist der Kapitalmarkt gefährdet.189 Im Falle der Abschaffung der Kassationswirkung der Beschlussmängelklage und der Wiederherstellung des status quo des klagenden Gläubigers bleibt aber die Austauschbarkeit der Schuldverschreibungen gesichert. Da der Beschluss mit der Fassung wirksam wird und vollzogen werden darf, betrifft die Änderung der Anleihebedingungen alle Schuldverschreibungen, auch diejenigen, die von der Minderheit gehalten werden. Zwar reduziert sich ihr Wert (z. B. nach dem durchgeführten „hair cut“); sie bleiben aber ihrem Inhalt nach identisch und somit fungibel. Der Gläubiger kann seine Schuldverschreibungen wie jeder andere Gläubiger am Sekundärmarkt weiterveräußern; er kann sie auch bis zur Endfälligkeit behalten, wenn er gegen die Bindungswirkung des Beschlusses vorgehen und vollständig ausbezahlt werden möchte. Gelingt dem Gläubiger zu beweisen, dass der Beschluss rechtswidrig ist, gibt also das Gericht der Klage statt, wird er auf Grundlage dieses Urteils (gegen Aushändigung der Schuldverschreibungen) ausgezahlt.190 Er wird also entsprechend seinem status quo bzw. seinem Anspruch auf Kapital und Zinsen nach den ursprünglichen Anleihebedingungen ausbezahlt, weil er die Rechtswidrigkeit des Beschlusses gerichtlich feststellen ließ. Solange diese Möglichkeit jedem Gläubiger, der dem Rechtsverstoß nicht zugestimmt hat, zusteht, scheidet eine Ungleichbehandlung der Gläubiger aus. Die Kapitalmarktfähigkeit der Wertpapiere ist nicht gefährdet.

H. Zwischenresümee Wenn die Anfechtungsklage mit ihrer Vollzugssperre in das Schuldverschreibungsrecht nicht passt, weil sie wenig Rechtsicherheit schafft, Missbrauchsfälle seitens der Minderheit nicht verhindert und aus konzeptionellen Gründen verfehlt ist, zugleich aber die Idee der Ersetzung der Kassationswirkung durch Wertersatz trotz ihrer konzeptionellen Stärke die Kritiker nicht überzeugt, weil sie Raum für Missbrauch seitens der Mehrheit und des Emittenten schafft, muss man versuchen, eine Kompromisslösung zu finden, die 189  Vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (317); siehe auch Bliesener/Schneider, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 1 Rn. 12. 190  So auch Vogel, ILF Working Paper Series, No. 137, S. 6 (2013), der darin keine Anzeichen für eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots findet („Auch die kollektive Bindung nach § 4 SchVG, die im Interesse der Fungibilität verhindern soll, dass Schuldverschreibungen ein und derselben Emission unterschiedliche Rechte gewähren, stünde nicht zwingend entgegen, etwa wenn der vollständig abgefundene Gläubiger im Gegenzug seine Papiere zurückgeben müsste.“).



§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda289

„dazwischen“ liegt und in der Lage ist, Anreize für den Missbrauch von jeder Seite auszuschließen. Diese Kompromisslösung kann die Idee der Wiederherstellung des status quo des klagenden Gläubigers sein. Sie nimmt der Minderheit das Erpressungspotenzial dadurch, dass sie dem Emittenten erlaubt, den Beschluss sofort auszuführen. Es besteht also keine rückwirkende Kassationswirkung mehr; der Gläubiger kann nur seine eigenen Rechte geltend machen. Sie schließt auch Anreize für die Fassung eines rechtswidrigen Beschlusses seitens der Mehrheit und des Emittenten aus, und zwar dadurch, dass sie durch erhebliche Erleichterungen der Klageerhebung die ganze Grundlage für die Kalkulation, „wie teuer es würde“, beseitigt; der Emittent und die Mehrheit können nicht mehr zunächst den rechtswidrigen Beschluss riskieren und das weitere Vorgehen davon abhängig machen, wie viele Gläubiger gegen den Beschluss vorgehen, da sie nicht wissen bzw. vorhersehen können, wie viele Gläubiger klagen können. Gleichzeitig wird vom Emittenten, der meistens ohnehin finanziell stark belastet ist, nicht verlangt, den Gläubiger für den Wertverlust zu „entschädigen“. Der Emittent und die Gläubigermehrheit sind also dadurch geschützt, dass sie in der Ausführung des Beschlusses nicht mehr gehindert sind. Der klagende Gläubiger kann andererseits aufgrund der Unverbindlichkeit des Beschlusses seine ursprünglichen Ansprüche auf Zahlung des ganzen Kapitals und der Zinsen geltend machen. In diesem Fall kann er sogar auf Kosten der Mehrheit von der Anleiherestrukturierung profitieren. Eine Ungleichbehandlung ist dabei ausgeschlossen. Der Inhalt der Anleihebedingungen aller Schuldverschreibungen ein und derselben Emission bleibt unverändert.

I. Nichtigkeitsklage I. Vorschlag des Arbeitskreises Reform des SchVG Bis jetzt wurde nichts zu der Nichtigkeitsklage gesagt. Laut dem Vorschlag des Arbeitskreises muss neben der Wertersatzklage künftig auch Nichtigkeitsklage als weitere Klageart eingeführt werden. Die Geltendmachung der Nichtigkeit des Beschlusses sei auf besonders schwerwiegende formelle und materielle Fehler des Beschlusses zu beschränken.191 Die Idee, diese Klage einzuführen, entstand u. a. als Reaktion auf die Kritik an der Möglichkeit des „Freikaufens“ von Beschlussmängeln seitens des Emittenten und der ­Gläubigermehrheit.192 Sie dient also der Eindämmung des möglichen Miss191  Arbeitskreis

Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (849). dazu bereits Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816), mit Verweis (in der Fn. 34) auf Horn, ZHR 173 (2009) 12, (62) („Ein Einwand dagegen, die Kassationswirkung der Beschlussmängelklage durch eine Verpflichtung zum Wertersatz zu er192  Siehe

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brauchspotenzials zu Lasten der opponierenden Minderheit. Minder gravierende Verstöße müssten nach dem Vorschlag des Arbeitskreises ohne Sank­ tionen bleiben.193 Die Sanktionswirkung übernehme in diesem Fall die Wert­ersatzpflicht des Emittenten. Der Arbeitskreis schlägt also vor, auf die Beseitigung des Beschlusses im Rahmen der Anfechtungsklage zu verzichten. Nur die Nichtigkeitsklage dürfe auf diese Folge abzielen, was wiederum nur bei schwerwiegenden Fehlern des Beschlusses zulässig sei. Die Sanktionswirkung des Wertersatzes würde nicht genügen, da ein solcher Beschluss keinen Bestand haben dürfe.194 D. h. die Nichtigkeitsklage gehe der Klage auf Wertersatz sachlich vor.195 Soweit der Beschluss durch rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt werde, wirke das Urteil für und gegen alle Gläubiger sowie den Emittenten; eine Wertersatzklage sei insoweit nicht mehr zulässig.196 Es sei auch ausgeschlossen, die Nichtigkeitsfolge auf andere Weise als durch Erhebung der Klage geltend zu machen.197 Nichtigkeitsgründe werden dabei in Anlehnung an den Katalog der Nichtigkeitsgründe des § 241 AktG entwickelt. Der Beschluss wird als nichtig angesehen bei Verletzung von Bekanntmachungs- und Beurkundungspflichten, bei der Fassung eines Mehrheitsbeschlusses bei fehlendem Opt-in in den Anleihebedingungen, bei Begründung einer Pflicht zur Leistung, bei Verletzung des Gleichheitsgebots sowie wenn der Beschluss durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstößt.198 Zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage sei laut dem Arbeitskreis jeder Gläubiger berechtigt.199 Die Klage sei allerdings – aus den Gründen der Verfahrensbeschleunigung und der Rechtssicherheit200 – nur binnen eines Monats setzen, könnte lauten, dass dann Emittent und Anleihegläubigermehrheit keine hinreichenden Anreize mehr haben, Gesetz und Anleihebedingungen zu beachten“); in der Begründung des Arbeitskreises Reform des SchVG – soweit ersichtlich – keine Ausführungen, dazu lediglich: „Ein Beschluss der Gläubigerversammlung, dem ein besonders schwerwiegender Mangel anhaftet, darf indessen auch im künftigen Recht keinen Bestand haben; ein solcher Beschluss ist nichtig“, ZIP 2014, 845 (849). 193  Siehe bereits Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816). 194  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (849). 195  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (854). 196  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (848), siehe § 20 Abs. 3 S. 6. 197  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (848), siehe § 20 Abs. 2 S. 2. 198  Ausführlich zu der Regelung siehe § 20 Abs. 1, Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (848). 199  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (848), § 20 Abs. 2 S. 1. 200  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (855).



§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda291

nach der Bekanntmachung des Beschlusses zulässig.201 Das bedeutet, dass die Klage an dieselben kurzen Fristen gebunden bleibt wie die Anfechtungsklage. II. Stellungnahme Hier muss diskutiert werden, ob es nicht widersprüchlich ist, den Gläubigern die Möglichkeit zu geben, gegen den Beschluss vorzugehen, gleichzeitig aber die Klagefrist erheblich einzuschränken, obwohl der Beschluss an schwerwiegenden Fehlern leidet. Warum – wenn der Gläubiger die Klagefrist (nur) von einem Monat versäumen lässt – darf ein nichtiger Beschluss endgültig wirksam werden, obwohl er an sich, wie es im Vorschlag heißt, „keinen Bestand haben [darf]“?202 Wenn der Beschluss keinen Bestand haben darf, dann muss eine unbefristete Nichtigkeitsklage eingeführt werden. Der Emittent und die Gläubigermehrheit bedürfen keiner Rechtsicherheit bzw. sie haben kein „Recht“ auf Gewährung der Rechtssicherheit, wenn die Mehrheit mit Zustimmung des Emittenten einen Beschluss mit Bindungswirkung für alle fasst, ohne dazu in den Anleihebedingungen berechtigt zu sein, oder wenn sie z. B. entscheidet, dass durch den Beschluss eine Verpflichtung zur Leistung begründet werden darf (mit Ausnahme von debt-equity-swap-Konstellationen). Bei derart groben Fehlern besteht auch kein Bedürfnis nach Verfahrensbeschleunigung. Die vom Arbeitskreis vorgeschlagene Konzeption der Nichtigkeitsklage schützt eher den Emittenten und die Mehrheit. Die Schutzrechte der Minderheit scheinen überproportional und unangemessen verkürzt zu sein. Was die Idee der Nichtigkeitsklage an sich betrifft, kann man sogar sagen, dass sie insgesamt zum Schuldverschreibungsrecht nicht passt. Wozu braucht man eine Nichtigkeitsklage, die zur Beseitigung des angegriffenen Beschlusses führt, wenn jeder Gläubiger das Hauptinteresse nur an dem Schutz seiner eigenen Rechte hat und berechtigt werden kann, seinen status quo für sich wiederherzustellen? Er braucht nur eine Klage vor Gericht zu erheben und zu beweisen, dass ein Verstoß gegen Gesetz oder Anleihebedingungen vorliegt. Je schwerwiegender der Verstoß ist, je mehr also die Mehrheit ihre Rechte missbraucht, desto leichter fällt der Beweis. Solange der Gläubiger nicht als Kontrollorgan auftreten darf, muss die Notwendigkeit für Beseitigung des Beschlusses, sei es auch im Rahmen einer Nichtigkeitsklage, ganz abgeschafft werden. 201  Siehe § 20 Abs. 3 S. 1, Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (848). 202  Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (849).

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J. Hauptthesen des eigenen Vorschlags Das Rechtsschutzsystem nach dem SchVG 2009 ist, wie gezeigt, nicht effektiv. Es besteht ein dringender Reformbedarf. Das Gesetz ermöglicht zwar den Anleihegläubigern, schnell und ohne großen Aufwand eine bindende Mehrheitsentscheidung zu fassen. Es bietet allerdings keinen Mehrwert, weil einzelne Gläubiger, die destruktive Zwecke verfolgen, in der Lage sind, die Ausführung des Beschlusses auf Jahre zu blockieren. Die Hinderniswirkung individueller Rechtsmacht der Akkordstörer, das Hauptproblem des Anleiherechts, ist nicht beseitigt. Die Regelungen des Gesetzes sind nicht nur unvollständig, sie zeigen auch, dass das Anfechtungssystem insgesamt konzeptionell verfehlt ist. Das Rechtsschutzmodell bedarf einer Umgestaltung. Die Hauptthesen des optimierten Modells könnten wie folgt lauten: 1) Der Gläubiger erfüllt keine kollektivrechtliche Kontrollfunktion mehr; kollektivrechtlicher Rechtsschutz ist ausgeschlossen. Der Gläubiger darf nur seine individuellen Rechte geltend machen. 2) Der Beschluss, sei er rechtswidrig oder nicht, ist mit der Fassung und Bekanntmachung wirksam. Rückwirkende Beseitigung des Beschlusses kann der Gläubiger nicht verlangen.203 3) Bei einem Verstoß des Beschlusses gegen das Gesetz oder die Anleihebedingungen kann der Gläubiger eine Klage erheben. Die Klage zielt auf die Feststellung ab, dass der Beschluss für ihn keine bindende Wirkung hat, d. h. er kann gegen den Emittenten seine ursprünglichen, durch den Beschluss nicht „gekürzten“ Rechte auf Zahlung des Kapitals und der Zinsen geltend machen. Eine Nebenintervention ist möglich. 4) Zur Erhebung der Klage ist jeder Gläubiger berechtigt. 5) Die Klageerhebung setzt weder den Erwerb der Schuldverschreibungen vor der Bekanntmachung der Einberufung der Gläubigerversammlung bzw. Aufforderung zur Stimmangabe in einer Abstimmung ohne physische Versammlung noch die Teilnahme an der Versammlung/Abstimmung oder rechtszeitige Widerspruchseinlegung voraus. 6) Die Klage ist binnen drei Jahren nach der Bekanntmachung des Beschlusses zu erheben. 7) Das stattgebende Urteil wirkt nicht automatisch zurück. Es hat Wirkung ab dem Zeitpunkt der Klageerhebung. Solange der Gläubiger während der Klagefrist die Klage auf Feststellung der Unverbindlichkeit des Be203  Die

Notwendigkeit für die Einführung des Freigabeverfahrens entfällt.



§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda293

schlusses für sich nicht erhebt, gehen seine fälligen Ansprüche aus der Schuldverschreibung verloren. Die Klagefrist in Bezug auf die Forderung auf Zahlung des Kapitals kann nicht kürzer sein als ein Jahr nach der Bekanntmachung des Beschlusses. 8) Eine schuldverschreibungsrechtliche Nichtigkeitsklage kann nicht erhoben werden. § 20 SchVG wird wie folgt geändert: •• Abs. 1 S. 1 wird neu gefasst: „Sofern ein Beschluss das Gesetz oder die Anleihebedingungen verletzt, kann der Gläubiger durch Klage feststellen lassen, dass dieser Beschluss für ihn keine bindende Wirkung hat.“204 •• Abs. 2 wird neu gefasst: „Zur Erhebung der Klage auf Feststellung der Unverbindlichkeit des Beschlusses der Gläubiger ist jeder Gläubiger befugt.“ •• In Abs. 3 S. 1 werden die Wörter „eines Monats“ gestrichen und durch „binnen drei Jahren“ ersetzt.205 •• Als neuer Absatz 4 wird eingefügt: „Gibt das Gericht der Klage nach Absatz 1 statt, gilt die Feststellung der Unverbindlichkeit des Beschlusses der Gläubiger nur für die Ansprüche des Klägers, deren Fälligkeit zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage oder nach diesem Zeitpunkt eingetreten ist. Tritt die Fälligkeit der Hauptforderung innerhalb eines Jahres nach der Bekanntmachung des Beschlusses der Gläubiger ein, kann die Klage auf Feststellung der Unverbindlichkeit des Beschlusses hinsichtlich der Hauptforderung trotz Fälligkeitseintritts binnen eines Jahres nach der Bekanntmachung des Beschlusses erhoben werden.“

K. Zusammenfassung der Ergebnisse Das Rechtsschutzsystem der Anleihegläubiger hat der Gesetzgeber im neuen SchVG 2009 neu gestaltet. Es wurde dem „bewährten“ aktienrecht­ lichen System nachgebildet. Verstößt der Beschluss gegen das Gesetz oder 204  Da das SchVG 2009 in Abs. 1 S. 2 und 3 die Frage nach der Geltung des § 243 Abs. 2 AktG offen lässt, muss das Verständnis bestehen, dass diese Vorschrift keine entsprechende Anwendung findet, dazu in der Begründung auch Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (850). 205  Im Übrigen scheinen die Vorschläge des Arbeitskreises Reform des SchVG zur Formulierung des § 20 Abs. 3 S. 2, 3, 4, 5, 7, 8 (Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (848) zu überzeugen.

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Kap. 4: Gerichtliche Kontrolle von Mehrheitsbeschlüssen

die Anleihebedingungen, kann ein Anleihegläubiger gegen einen solchen Beschluss im Wege einer kassatorischen Anfechtungsklage, die gegen den Emittenten zu richten ist, vorgehen. Das Recht, eine Feststellungs- oder Leistungsklage zu erheben, was nach dem alten SchVG 1899 gerade möglich war, steht dem Anleihegläubiger nicht mehr zu. Obwohl die Regeln zur Anfechtungsklage an diejenigen des Aktienrechts angelehnt sind, enthält das Gesetz noch viele Regelungslücken, was zu Rechtsunsicherheit führt. Umstritten bleibt die Anwendbarkeit des § 243 Abs. 2 AktG (Anfechtbarkeit wegen Sondervorteils) und die Zulässigkeit der materillen Inhaltskontrolle. Fragen bestehen zu den Kriterien der Abwägung der Interessen bei der Entscheidung über die Freigabe des Beschlusses. Selbst zur Rechtskraft des stattgebenden Anfechtungsurteils und zur Erhebung der Nichtigkeitsklage besteht keine einheitliche Meinung. Ein weiteres Problem bereitet die Kassationswirkung der Anfechtungsklage, die – wie im Aktienrecht – bei manchen Gläubigern zu falschen Anreizen führt. Da die Anfechtungsklage den Gläubigern die Möglichkeit eröffnet, nicht nur ihre eigenen Rechte zu schützen, sondern auch für den kollektivrechtlichen Schutz zu sorgen, versuchen sie teilweise, das Klagerecht wie „Berufskläger“ zu missbrauchen. Ihr Ziel besteht darin, mit der Anfechtungsklage den Vollzug des Beschlusses zu hindern und sich die Klagerücknahme abkaufen zu lassen. Für den Emittenten, der ohnehin unter hohem Zeitdruck steht, besteht die Gefahr, dass der positive Effekt der Mehrheitsentscheidung entwertet wird. Die Einführung des Freigabeverfahrens in Analogie zu § 246a AktG hat keine echte Abhilfe geschaffen. Obwohl das neue Gesetz im Vergleich zum alten heutzutage die Fassung von Mehrheitsbeschlüssen rasch und ohne großen Aufwand ermöglicht, ist somit die Akzeptanz des Gesetzes in der Praxis bedroht, weil es ein destruktives Verhalten einzelner Gläubiger im Nachhinein erleichtert. Im internationalen Anleihemarkt stellt das Rechtsschutzsystem nach dem SchVG einen erheblichen Wettbewerbsnachteil dar. Das US-amerikanische und englische Recht sehen kein vergleichbares Anfechtungsrecht eines einzelnen Gläubigers vor. Das Konzept der aktienrechtlichen Anfechtungsklage ist außerdem verfehlt. Die Beschlussmängelklage ist für das Anleiherecht „wesensfremd“, weil Anleihegläubiger im Unterschied zu Aktionären reine Vermögensinte­ ressen verfolgen. Gerade auf diesem Gendanken beruht einer der Vorschläge zur Umgestaltung der Anfechtungsklage, der vom Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts vorgestellt wurde. Die Idee besteht darin, die Kassationswirkung der Beschlussmängelklage durch die Verpflichtung des Emittenten zu ersetzen, den Gläubiger in der Höhe der Wertminderung seiner Schuldverschreibungen durch den Vollzug des (rechtswidrigen) Beschlusses zu ent-



§ 11 Beschlusskontrolle de lege ferenda295

schädigen. Die Sanktionswirkung bei der Fassung von rechtswidrigen Beschlüssen übernimmt also die Wertersatzpflicht des Emittenten. Die Klagefrist und die Klagebefugnis bei der Wertersatzklage werden in Anlehnung an das Aktienrecht geregelt. Zusätzlich wird vorgeschlagen, die Nichtigkeitsklage einzuführen. Die Hauptkritik an dem Vorschlag des Arbeitskreises lautet, der Wertersatz ermögliche für den Emittenten und die den Beschluss tragende Mehrheit der Gläubiger, sich von Beschlussmängeln „freizukaufen“. Obwohl die Idee des Arbeitskreises zur Aufhebung der Kassationswirkung an sich überzeugt, scheint es vorzugswürdig, dem Gläubiger nicht bloß das Recht einzuräumen, wegen der Wertminderung abgefunden zu werden. Richtig und optimaler scheint, den Gläubiger zu berechtigen, die Unverbindlichkeit des rechtswidrigen Beschlusses mit Wirkung inter partes gerichtlich feststellen zu lassen. Ihm soll für die Zukunft der Schutz seines status quo ermöglicht werden. Die Klagefrist sollte man an die Fristen für die regelmäßige Verjährung (§ 195 BGB), also drei Jahre (nach der Bekanntmachung des Beschlusses), anlehnen. Anleiherecht ist kein Verbandsrecht, es ist Schuldrecht. Das Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem jeweiligen Gläubiger ist durch ein Schuldner/Gläubiger-Verhältnis gekennzeichnet. Die Klagefrist muss daher an die im Schuldrecht geltenden Fristen angenähert werden. Von der Einführung der Klage auf Feststellung der Unverbindlichkeit des Beschlusses inter partes profitiert in erster Linie der Emittent und die Gläubigermehrheit, weil die Klage keine Kassationswirkung mehr hat; d. h. der Beschluss kann sofort vollzogen werden, selbst wenn er rechtswidrig ist. Der Emittent braucht dabei nicht mit dem Wertersatz zu rechnen, der ihn nur zusätzlich belasten würde, weil er ohnehin an finanziellen Schwierigkeiten leidet. Von der Einführung der Feststellungsklage profitiert auch der klagende Gläubiger selbst. Denn er kann seine ursprünglichen Rechte wiederherstellen, ohne auf eine kurzfristig zu erhebende Anfechtungsklage verwiesen und an weitere „Einschränkungen“ durch das Erfordernis der Widerspruchseinlegung und die Teilnahme an der Versammlung/Abstimmung gebunden zu sein. Da die Gefahr für den Emittenten, im Falle eines Rechtsverstoßes verklagt zu werden, nicht gering ist und er nicht mehr vorhersehen kann, wie viele potenzielle Kläger es geben werde, wird ihm der Anreiz genommen, dem rechtswidrigen Beschluss zuzustimmen. Die Gefahr des „Freikaufens“ besteht nicht. Ebenso wenig besteht die Gefahr seitens des Gläubigers, das Klagerecht zu missbrauchen. Die Notwendigkeit für die Einführung des Freigabeverfahrens oder der Nichtigkeitsklage entfällt.

Ergebnisse der Untersuchung Anleihegläubiger im unkoordinierten Zustand sind nicht handlungsfähig. Zwischen dem Emittenten und jedem einzelnen Gläubiger besteht jeweils ein gesondertes Schuldverhältnis; im Verhältnis zueinander stehen die Anleihegläubiger dagegen in keinem rechtlichen Verhältnis. Sie sind lediglich wirtschaftlich verbunden. Entsteht die Notwendigkeit, Anleihebedingungen ex post an rechtliche oder wirtschaftliche Gegebenheiten anzupassen, also die Anleihe zu restrukturieren, was wiederum die Zustimmung des Emittenten und jedes einzelnen Anleihegläubigers voraussetzt, kann die Anpassung wegen des destruktiven Verhaltens Einzelner, der sog. Akkordstörer, verhindert werden. Obwohl die Zustimmung zu der Restrukturierung zu einem Vorteil für alle führt, d. h. gruppenbezogen gesehen rational ist (kollektiv rationales Verhalten), und der Emittent und die Mehrheit der Anleihegläubiger, die bereit ist, ihre eigenen finanziellen Opfer für die „Rettung“ der Anleihe zu bringen, mit der Anpassung einverstanden sind, können sich opponierende Gruppen auf Seite von Minderheitsgläubigern bilden, die ihre Zustimmung verweigern, weil sie nur darauf abzielen, ihren persönlichen Profit zu maximieren (individuell rationales Verhalten). Sie handeln nach dem Prinzip „take some action no matter what the others do“1. Sie folgen nicht der Logik des kollektiv rationalen Verhaltens, also der ganzen Gruppe; die Mehrheit ist wiederum nicht in der Lage, die dissentierende Minderheit an ihre Entscheidung zu binden oder andere Zwangsmechanismen anzuwenden, um einen einheitlichen Willen dem Emittenten gegenüber zu bilden. Infolge dieser individuellen Rationalität kann die opponierende Minderheit den ganzen Restrukturierungsvorgang gefährden. Diese Gläubiger, soweit sie nicht von der Möglichkeit ausgeschlossen werden, individuell rational zu handeln, hindern die Anpassung der Anleihebedingungen und schaden allen Seiten und nicht zuletzt sich selbst. Dasselbe Szenario beschreibt das klassische Gefangenendilemma: Solange das Abstimmungsergebnis der Beschuldigten über ihr Verhalten (gestehen/ schweigen) – selbst wenn sie miteinander kommunizieren können – nicht bindend ist, bestehen keine Anreize für freiwillige Kooperation. Denn auch bei der Abstimmung bleibt es nach wie vor – auch für institutionelle Inves-

1  McAdams,

82 Southern California L. Rev. 217 (2009).



Ergebnisse der Untersuchung297

toren – individuell rational, die „Gegenpartei“ zu belasten und eigene Inte­ ressen zu schützen. Zur Lösung des Dilemmas der Anleihegläubiger muss ein Koordinationsmittel auf gesetzlicher Ebene erarbeitet werden. Es bedarf also einer Regelung zur Bondholder Governance bei der Anpassung des Anleihevertragswerks, die zulässt, das Störungspotenzial individueller Rechtsmacht im un­ organisierten Zustand zu beseitigen. Zu diesem Zweck wurde das Schuldverschreibungsgesetz 2009 neu gefasst. Um das Problem der mangelnden Verbindung zwischen den Anleihegläubigern – soweit die Erreichung des Gruppenziels dies rechtfertigt – zu überwältigen und sie zu einer rechtlichen Einheit zu organisieren, sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, die Minderheit an das Abstimmungsergebnis der Mehrheit zu binden. Die Anleihegläubiger können, vorausgesetzt, die Anleihebedingungen sehen dies vor, einen Mehrheitsbeschluss mit bindender Wirkung für alle fassen und die Anleihe mit Zustimmung des Emittenten restrukturieren. Es bedarf nicht mehr der Zustimmung jedes einzelnen Gläubigers, die für die Änderung der Bedingungen ohne spezielle Rechtsgrundlage sonst notwendig wäre. Minor pars sequatur maiorem. D. h. der Wille der Mehrheit konstituiert den Willen der Minderheit. Der Minderheit wird ihre Stimme genommen. Auf der Grundlage des Gesetzes wird sie gezwungen, im Interesse der ganzen Gruppe und nicht mehr nur im eigenen Interesse zu handeln: Da sie an die Entscheidung der Mehrheit gebunden wird, muss sie als Folge die Restrukturierungskosten mittragen. Die Bildung des Willens der Gläubigergesamtheit im Wege eines Mehrheitsbeschlusses, also die Reduzierung des Willens der Gruppe auf denjenigen der Mehrheit, stellt das Hauptinstrument der Bondholder Governance nach dem SchVG 2009 dar. Es sichert, dass das Abstimmungsergebnis der Anleihegläubiger in der Rolle der Beteiligten im klassischen Gefangenen­ dilemma bindend ist. Dieser Idee, also der destruktiven Minderheit ihre Stimme zu entziehen, versuchte der Gesetzgeber bereits 1899 bei der Fassung des alten Schuldverschreibungsgesetzes zu folgen. Der Versuch musste allerdings scheitern. Obwohl das Gesetz die bindende Wirkung eines Mehrheitsbeschlusses ausdrücklich vorsah, wurden zusätzlich restriktive sachliche Grenzen bestimmt, die der Regelung den ganzen Restrukturierungseffekt nahmen. Die Verfasser des Gesetzes identifizierten den Mehrheitsbeschluss als Grundlage für die Ausbeutung der dissentierenden Minderheit. Man befürchtete, dass sich künstliche Majoritäten bilden könnten, die ausschließlich zur Durchsetzung sachfremder Interessen handeln würden. Formal gesehen galt der Mehrheitsgrundsatz. Von den Koordinationsbefugnissen konnte die Anleihegläubigermehrheit allerdings keinen Gebrauch machen.

298

Ergebnisse der Untersuchung

Dass die lange Zeit bestehenden Befürchtungen des übermäßigen Missbrauchs durch Mehrheiten nicht gerechtfertigt waren, wurde dem Gesetzgeber später insbesondere unter Beachtung der Entwicklung des internationalen Anleihemarktes bewusst. Er entschloss sich daher, das Gesetz grundlegend zu reformieren und den Gläubigern weitgehende Befugnisse einzuräumen. Dem neuen SchVG 2009 wurde zu Recht das Verständnis zugrunde gelegt, dass Anleihegläubiger keines übertriebenen Schutzes durch gesetzliche Einschränkungen bedürfen und insbesondere über den Zweck und die Dauer des Restrukturierungsvorgangs sowie über konkrete Optionen selbst entscheiden können. Durch die Bestimmung der neuen Kriterien ist es dem Gesetzgeber gelungen, den Anwendungsbereich des SchVG 2009 so zu erweitern, dass nach seinem Regime nun fast alle Arten von Schuldverschreibungen privater Emittenten restrukturiert werden können. Der Gesetzgeber hat auch dafür gesorgt, dass eine nachträgliche Einbeziehung von Altanleihen durch einen entsprechenden Opt-in-Beschluss der Anleihegläubiger nun möglich ist, und zwar selbst dann, wenn diese Anleihen von der Restrukturierung nach dem SchVG 1899 ausgeschlossen waren. Im Unterschied zum SchVG 1899 enthält das neue Gesetz keine speziellen Regelungen zum Nennwert der Anleihe und zu der Zahl der ausgegebenen Stücke. D. h. eine Anleiherestrukturierung wird auch in kleinen Gruppen von Anleihegläubigern ermöglicht, denn auch in diesen Gruppen kann das Veto-Recht des Akkordstörers seine Hinderniswirkung zeigen. Was die materiellen Befugnisse der Gläubiger betrifft, sieht das Gesetz keine Einschränkungen vor. Alle in der Praxis üblichen Restrukturierungsoptionen sind ausdrücklich erlaubt. Dies gilt insbesondere für die Herabsetzung der Forderung auf Zahlung des Kapitals und den debt-equityswap. Dabei wird das SchVG 2009 nicht mehr als ein spezielles Regelwerk des Insolvenzrechts verstanden. Eine Anleiherestrukturierung ist auch außerhalb einer Krise des Emittenten möglich. Zwar konnte der Gesetzgeber mit Hilfe des SchVG 1899 keine effektive Restrukturierung in der Praxis ermöglichen. Bei seinem zweiten „Versuch“, also mit der Fassung des SchVG 2009, ist es ihm aber gelungen, die nicht erforderlichen Restriktionen aufzuheben und das Gesetz an die Wünsche der Praxis anzupassen. Man kann behaupten, dass die Ausgestaltung des Mehrheitsprinzips im SchVG 2009 insgesamt gut gelungen ist, denn eine Restrukturierung innerhalb einer Gruppe von Anleihegläubigern kann nach dem neuen Gesetz, selbst wenn die Befugnisse nicht ipso jure bestehen, nun in allen für die Praxis relevanten Szenarien und Fällen durchgeführt werden. Auch im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen, insbesondere im Vergleich zum US-amerikanischen und englischen Recht, kann das SchVG 2009, was die Gestaltung der materiellen Kompetenz der Anleihegläubiger betrifft, Konkurrenzfähigkeit demonstrieren.



Ergebnisse der Untersuchung299

Im US-amerikanischen Recht ist eine umfassende Anleiherestrukturierung unzulässig. § 316 (b) TIA, dessen Geltungsbereich faktisch alle Arten von Schuldverschreibungen privater Emittenten erfasst, verbietet ausdrücklich jede Änderung der wesentlichen Anleihebedingungen. Auch 80 Jahre nach dem Erlass des TIA sieht der US-Gesetzgeber keinen Grund dafür, das Gesetz zu reformieren und die restriktive Vorschrift aufzuheben, wie es gefordert wird. Das Verbot solle – laut den Gesetzesmaterialien – die Minderheit vor dem Missbrauch seitens der Mehrheit der Anleihegläubiger schützen. Mit seiner Logik und Argumentation befindet sich der US-Gesetzgeber also noch auf dem „Stand“ der Verfasser des alten SchVG 1899, die umfangreiche Befugnisse der Mehrheit, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit der He­ rabsetzung der Hauptforderung, ebenfalls ausschließen wollten. Das englische Recht sieht zwar keine ausdrücklichen Restriktionen vor. Das heißt allerdings noch nicht, dass der Grundsatz der Vertragsfreiheit immer eingreift. Nach der jüngsten Rechtsprechung müsse die Bindungswirkung eines Mehrheitsbeschlusses eingeschränkt werden, wenn die Anleihe­ restrukturierung für die Gläubiger „as a class“ nichts bringe, was wiederum der Fall sei, wenn der Wert der Anleihe beeinträchtigt werde. Das Gericht erkannte hierin den Grund für den Schutz der Minderheit vor dem Missbrauch seitens der Mehrheit, obwohl bei jeder Restrukturierung, wenn der Emittent in eine Finanzkrise gerät, ein covenant stripping durchgeführt wird. Interessant ist insbesondere anzumerken, dass das Thema der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit im angloamerikanischen Raum erregt. Intensiv diskutiert wird die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit der Technik „exit consents“, einer der wichtigsten Restrukturierungstechniken in der Praxis. Englische Gerichte haben diese Technik faktisch verboten. Im US-amerikanischen Recht ist die Rechtslage noch nicht geklärt. Probleme verursacht die unglücklich formulierte Vorschrift des § 316 (b) TIA. Den Gerichten bereitet es große Schwierigkeiten, den Sinn und Zweck der Norm richtig zu verstehen und deren Geltungsbereich zu bestimmen. Die Interpretationen der US-Gerichte divergieren sehr stark. Ein weiteres Problem, worauf insbesondere in der letzten bedeutendsten Gerichtsentscheidung ausdrücklich hingewiesen wird, besteht darin, dass die Technik, wenn nicht mit § 316 (b) TIA, dann zumindest mit State law kollidieren kann. Die Frage nach der Zulässigkeit der Technik „exit consents“ im US-amerikanischen Recht bleibt somit noch offen. Gerade hier kann das deutsche Recht seine Vorteile demonstrieren. Das neue SchVG 2009 beruht nicht nur auf dem Gedanken, dass eine umfassende Anleiherestrukturierung zulässig ist und die opponierende Minderheit keines übertriebenen Schutzes durch eine gesetzliche Einschränkung der Entscheidungsbefugnisse der Mehrheit bedarf. Nach deutschem Recht ist auch die Anwendung der Technik „exit consents“ zulässig. Die Untersuchung zeigt, dass insbesondere ein

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Ergebnisse der Untersuchung

Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot sowie den Grundsatz der kollektiven Bindung ausscheidet. In der Zahlung von Prämien durch den Emittenten ist außerdem kein unzulässiger Stimmenkauf zu sehen. Schließlich kann die Zustimmung des Emittenten und der Mehrheit der Anleihegläubiger zum covenant stripping nicht als missbräuchlich angesehen werden. Seitens der Mehrheit ist kein Missbrauch ersichtlich, weil sie insbesondere an keine Rücksichtnahme- oder Loyalitätspflichten zu Gunsten der dissentierenden Minderheit gebunden ist. § 5 SchVG erfüllt lediglich eine technische Funktion; die Vorschrift macht die Anleihegläubiger nicht zu einem rechtlichen Verband. Sie bleiben nur wirtschaftlich verbunden. Ein Missbrauch seitens des Emittenten, wenn er die Anleihegläubiger vor eine Hobsonʼs choice stellt, besteht ebenfalls nicht, weil der Emittent lediglich die Bedingungen des Angebots bestimmt, das die Anleihegläubiger, finden sie die Restrukturierung für sich unfair, ablehnen können. Eine unzulässige Nötigung scheidet in diesem Fall aus, weil „[c]oercion is not offering someone two alternatives, one of them unpleasant“2. Was die Gestaltung des Mehrheitsprinzips und möglicher Restrukturierungsoptionen betrifft, kann das deutsche Recht also für die Praxis ein attraktiveres Regelungsmodell der Bondholder Governance anbieten. Im Vergleich zum angloamerikanischen Recht hat das deutsche Recht alle Chancen, in der Zukunft seine konkurrenzfähige Seite zu demonstrieren. Dies gilt auch für die Gestaltung der Rechtsfigur des Gläubigervertreters, also des gemeinsamen Vertreters, der wie ein Äquivalent der Gesamtheit der Anleihegläubiger auftreten kann, soweit ihm entsprechende Befugnisse durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt werden. Weder das US-amerikanische noch das englische Recht sehen einen optimalen Regelungsmechanismus vor. Die Untersuchung zeigt, dass eine Annäherung des SchVG an deren Standards nicht erforderlich ist und sogar schädlich sein kann. Am englischen Recht kann insbesondere kritisiert werden, dass es zu viele Rechte in den Händen des Vertreters konzentriert, was die Anleihegläubiger lediglich zu Berechtigten „zweiter Klasse“ macht. Das Regelungsmodell des US-amerikanischen Rechts überzeugt nicht aus dem Grund, dass es dem Vertreter der Anleihegläubiger die Möglichkeit gibt, über den „Grad“ seiner Tätigkeit selbst zu entscheiden. Beide Rechtsordnungen schaffen starke Anreize für den Gläubigervertreter, passiv zu handeln und seine Rechte gegenüber den Anleihegläubigern zu missbrauchen. Das SchVG folgt dem Konzept der Stärkung der Autonomie der Anleihegläubiger auch bei der Gestaltung der Rechtsfigur des gemeinsamen Vertreters. Das Gesetz sieht faktisch keine zwingenden Vorgaben vor und überlässt 2  Herrmann,

66 Rutgers L. Rev. 775, 780 f. (2014).



Ergebnisse der Untersuchung301

die Entscheidung, wie weit die Rechte des gemeinsamen Vertreters reichen, den Anleihegläubigern selbst. Der Vertreter erlangt also kein verdrängendes Mandat kraft Gesetzes. Selbst über den Zeitpunkt der Einschaltung des Vertreters können die Anleihegläubiger im Wege eines Mehrheitsbeschlusses entscheiden. Dabei schafft das Gesetz die notwendige Grundlage für die Erfüllung seiner wichtigsten Funktionen. Die Argumente der Kritiker zu angeblich bestehender Diskrepanz zwischen dem Idealbild des Gläubigervertreters in der Theorie und seiner Stellung in der Praxis überzeugen nicht. Sie beruhen auf einer falschen Vorstellung von seiner funktionalen Bedeutung sowie den Einwirkungsmöglichkeiten der Anleihegläubiger selbst. Der gemeinsame Vertreter darf nicht als ein neues Aufsichtsorgan des Emittenten eingesetzt werden, damit die Anleihegläubiger, soweit der Emittent dem Vertreter keine erweiterten Informationsrechte einräumt, im Vergleich zu anderen Fremdkapitalgebern einen besseren Zugang zu den nicht öffentlichen Informationen erlangen können. Es besteht insofern keine Notwendigkeit der Aktivierung der Rolle des gemeinsamen Vertreters. Ebensowenig besteht die Notwendigkeit, die Rechte der Gläubiger, sollte der gemeinsame Vertreter passiv bleiben, zu stärken, weil das SchVG und das geltende Recht ausreichende Schutzmöglichkeiten vorsehen. Zum einen muss man beachten, dass der Weg über „bloße Weisungserteilung“ für den gemeinsamen Vertreter nicht ohne Haftungsrisiko ist. Zum anderen muss verstanden werden, dass das Verhältnis „Anleihegläubiger – gemeinsamer Vertreter“ ein typisches „principalagent“-Verhältnis darstellt. Die Anleihegläubiger sind mithin keinen speziellen Risiken ausgesetzt. Bei Passivität des Vertreters müssen sie selbst aktiv eingreifen und zumindest für die Abberufung sorgen, denn allein die Bestellung ihres Vertreters bietet noch keine Garantie für den Erfolg der Anleihe­ restrukturierung. Kritisch ist allerdings zu bewerten, wie das Gesetz die Anleihegläubiger bei Interessenkonflikten, die in der Person des gemeinsamen Vertreters entstehen, schützt. Die Schutzmechanismen, die gesetzlich vorgesehen sind, zeigen keine echte disziplinierende Wirkung. Abgesehen von der Erweiterung des Ordnungswidrigkeitstatbestandes des § 23 Abs. 2 SchVG und der Herabsetzung der Beteiligungsquote in § 7 Abs. 1 S. 2 SchVG muss de lege ferenda – mangels einer Genehmigung des Konfliktfalls seitens der Anleihegläubiger – (1) ein Leistungsverbot zu Lasten des gemeinsamen Vertreters in der Rolle eines Finanzgläubigers des Emittenten vorgesehen werden und (2) für den Fall, dass der gemeinsame Vertreter aus dem „Lager“ des Emittenten stammt, muss außerdem festlegelegt werden, dass die Restrukturierung keine Wirkung für die Anleihegläubiger entfaltet. Ebenso kritisch ist die Gestaltung der Bondholder Governance nach dem SchVG zum Rechtsschutz gegen Mehrheitsbeschlüsse anzusehen. Der Gesetzgeber räumt dem Anleihegläubiger das an das Aktienrecht angelehnte

302

Ergebnisse der Untersuchung

Anfechtungsrecht ein, obwohl dies aus konzeptionellen Gründen nicht überzeugend ist und außerdem für den Gläubiger Anreize schafft, sein Klagerecht wie ein „Berufskläger“ zu missbrauchen. Das Gesetz nimmt zwar dem Akkordstörer sein Vetorecht in der Gläubigerversammlung. Es ermöglicht allerdings, dieses Vetorecht ex post bei der tatsächlichen Ausführung des Beschlusses faktisch neu zu aktivieren, weil der Akkordstörer nach dem Gesetz nicht nur seine eigenen Rechte schützen, sondern dazu noch wie ein Kontrollorgan „im Interesse“ der ganzen Gläubigergesamtheit auftreten darf. Das Anfechtungsrecht, das als Korrelat des Mehrheitsprinzips konzipiert wird, kann seine Funktion nicht erfüllen. Es reduziert lediglich den positiven Effekt der Stärkung der Rechte der Anleihegläubiger durch §§ 5 ff. SchVG. Im internationalen Anleihemarkt ist das deutsche Anfechtungsrecht der wesent­ liche Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Rechtsordnungen. Das USamerikanische und das englische Recht sehen kein vergleichbares Anfechtungsrecht mit Kassationswirkung zu Gunsten eines einzelnen Gläubigers vor. De lege ferenda muss der überindividuelle Rechtsschutz im Wege der Anfechtungsklage aufgegeben werden. Dem Anleihegläubiger, dessen Haupt­ interesse im Schutz des eigenen Vermögens und der Wiederherstellung seines status quo besteht, muss lediglich erlaubt werden, gerichtlich feststellen zu lassen, dass der rechtswidrige Beschluss für ihn keine bindende Wirkung entfaltet. Aufzuheben ist auch die an das Aktienrecht angelehnte Regelung zur Einschränkung des Klagerechts. Um klagebefugt zu sein, muss der Gläubiger weder rechtzeitig Schuldverschreibungen erworben, noch gegen den Beschluss einen Widerspruch erhoben haben. Er muss auch nicht an der Gläubigerversammlung teilgenommen haben, möchte er später gegen den Beschluss vorgehen. Auch die Idee, die aktienrechtliche Klagefrist von einem Monat einzuführen, überzeugt nicht. Die Frist muss an die auch für schuldrechtliche Verhältnisse geltenden Fristen angenähert werden. De lege ferenda kann die Frist auf drei Jahre in Analogie zu der regelmäßigen Verjährungsfrist gem. § 195 BGB beschränkt werden. Sie ermöglicht dem opponierenden Gläubiger, seine Rechte besser zu schützen, und nimmt dem Emittenten und der Mehrheit den ganzen Anreiz, rechtswidrige Beschlüsse erst zu riskieren und das weitere Vorgehen davon abhängig zu machen, wie viele Gläubiger den Emittenten später verklagen. Sie können sich nicht von Beschlussmängeln „freikaufen“, weil im Vorfeld der Restrukturierung die Möglichkeit genommen wird, zu berechnen, „wie teuer es würde“3. Die vorgeschlagene Änderung des Gesetzes würde zwar eine teilweise Rückkehr zum alten SchVG 1899 bedeuten, das dem klagenden Gläubiger gerade erlaubte, nur eigene Rechte zu schützen. Die Argumente der Kritiker, 3  Vogel,

ILF Working Paper Series, No. 137, S. 5 f. (2013).



Ergebnisse der Untersuchung303

die den Gesetzgeber zu der Übernahme des aktienrechtlichen Anfechtungsrechts veranlasst hatten, sind aber nicht überzeugend. Es besteht insbesondere keine Ungleichbehandlung zu Aktionären, weil Aktienrecht im Unterschied zum Anleiherecht als Verbandsrecht konzipiert ist. Es besteht außerdem, sollte der opponierende Gläubiger im Prozess obsiegen, keine Ungleichbehandlung zu anderen Investoren. Eine Ungleichbehandlung scheidet im Verhältnis zu der Mehrheit aus, weil die Mehrheit der rechtswidrigen Kürzung ihrer Rechte ohnehin zustimmte, im Verhältnis zu den Minderheitsgläubigern dagegen aus dem Grund, dass sie dieselben Rechtsschutzmöglichkeiten haben wie der obsiegende Gläubiger. Der obsiegende Gläubiger erlangt mithin keine Privilegierung. Auch die Fungibilität der Schuldverschreibungen als Wertpapiere bleibt gesichert, denn die Schuldverschreibungen sind ihrem Inhalt nach identisch. Der obsiegende Gläubiger wird (nur) auf Grundlage des stattgebenden Urteils (gegen Aushändigung der Urkunde) ausbezahlt. Schließlich braucht der Emittent – wäre dem Gläubiger de lege ferenda der Schutz seines status quo gewährt – nicht ewig lang mit Unverbindlichkeitseinwänden zu rechnen. Denn es kann gesetzlich festgelegt werden, dass die Rechtswidrigkeit des Beschlusses (mit inter-partes-Wirkung des stattgebenden Urteils, § 325 ZPO) nur innerhalb von drei Jahren nach der Bekanntmachung geltend gemacht werden kann. Es besteht somit die Möglichkeit, die Einwirkungsmöglichkeiten der restrukturierungswilligen Mehrheit und der opponierenden Minderheit in das erforderliche Gleichgewicht zu bringen und die ex-post-Gefahr des Rechtsmissbrauchs auszuschließen. Der Gesetzgeber ist aufzufordern, die Anfechtungsklage nebst ihrer Kassationswirkung aufzuheben und die Klagefrist statt an das Aktienrecht an diejenige des § 195 BGB in Analogie zum Schuldrecht anzunähern. Ohne diesen Schritt ist das Ziel der Stärkung der Bondholder Governance und Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Schuldverschreibungsrechts, also das Hauptziel der Gesetzesreform, nicht realisierbar.

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Sachwortregister Abstraktes Schuldversprechen  27, 35, 93 Akkordstörer-Problem  23 f., 26 ff., 40 ff. Altanleihe  74 ff. Anfechtung –– Aktienrecht  246, 270 ff., 273 ff., 276, 283, 302 f. –– Anfechtungsbefugnis  259 ff., 277, 281 –– Doppelfunktion  271 f., 278 ff. –– Gegenstand  247 –– Grund  249 ff. –– Klagefrist  263, 285 –– Missbrauch der Anfechtungsrechts  47, 277 f., 281, 286 –– Schwächen  276 ff. –– Wertersatz  280 ff., 283 ff. –– Wirkung  264 –– Wirkung des Urteils  270 ff., 289 Anleihe  26 Anleiherestrukturierung  57, siehe auch Restrukturierungsszenarien Arbeitskreises Reform des Schuldverschreibungsgesetzes  280 ff., 289 ff. Assénagon-Fall  148 ff. Auslandanleihe  65, 73 Azevedo-Fall  147 f. Begebungsvertrag  36, 75 Beschlusskontrolle  244 ff., 254 ff., 272, 277 BGB-Gesellschaft  178 f. Bond buyback  116 Bondholder Governance  56 ff., 297 Bounded Rationality  37

Coercive Offer  122 f., 124 f. Core Payment Rights  104 ff. Covenant Stripping  120, 126 ff., 156 f. Darlehen  27 f., 93 Early Redemption  114 f. Einflussmöglichkeiten –– negative  119 ff., 172 ff. –– positive siehe Prämienzahlung Einstimmigkeitsprinzip  41, 74 Empty Voting  173 ff. Erga-omnes-Wirkung  245, 270 f. Exchange Offer  117 f. Exit Consents  118 ff., 121 ff., 155 ff. Expropriation-Wirkung  150, 152, 155 Feststellungsklage  245, 247, 270, 274 f., 280, 284 Free Rider  42 ff., 57, 258 Freigabeverfahren  266 ff., 292 Fungibilität  28, 41, 77 f., 287 Gefangenendilemma  48 ff., 54, 56 f., 121 ff. Gemeinsamer Zweck siehe BGB-Gesellschaft Gesamtemission  76 f. Gleichbehandlung  28, 125, 159 f., 161 ff., 170 ff., 287 Globalurkunde  27, 36, 180 f. Große Gruppe  41, 74 Hobsonʼs choice  130, 142, 156, 187, 300 Individuelle Rationalität  45, 50, 55, 296

326 Sachwortregister Individuelle Rechtsmacht  23 ff., 41, 178 Informationsintermediär  196, 204, 221, 235, 237 Inhaltskontrolle  254 ff. Insolvenz  38, 63, 67, 182 ff., 284 Institutionelle Investoren  52 ff. Interessenkonflikt  54, 217 f., 221, 226 ff., siehe auch Opponierendes Verhalten, Motive Kollektive Bindung  24 f., 29 f., 35, 58, 81 ff., 159 ff. Kollektive Rationalität  45, 50 Kollektivhandlungsproblem  55, siehe auch Opponierendes Verhalten, Motive Kündigung  39, 92 ff. Marblegate-Fall  130 ff., 138 ff. Market Defects  236, 238 Mehrheitsprinzip  33 ff., 81, 244 ff. Missbrauch –– des Klagerechts siehe Anfechtung, Missbrauch des Anfechtungsrechts –– seitens des Emittenten  186 ff. –– von Stimmrechten  172 ff. Naturzustand siehe Unkoordinierter Zustand Negotiable Test  109 f. Nennwert  64, 74 Nichtigkeitsklage  272 ff., 277, 289 ff. Obstruktionsverbot  184 ff. Opponierendes Verhalten –– Motive  40 ff. –– siehe Akkordstörer Opt-in-Erfordernis  82

Prämienzahlung  118, 127, 147, 151 f., 158 ff. Principal-Agent-Verhältnis  240 Rechtswahl  78 Registersperre  47, 87, 266 f. Restrukturierungsszenarien  38 ff., 83 ff., 114 ff. Side Payments  45 ff., 57 Skripturprinzip  27, 249, 264 Status Quo  244, 282 ff., 286, 289, 303 Stimmenkauf  164 ff., 257 f. Teilschuldverschreibung  27 Tender Offer  116 f. Treuepflichten –– Bruchteilsgemeinschaft  180 ff. –– gesellschaftsrechtliche  176 ff. –– insolvenzrechtliche  182 ff. Trittbrettfahrer siehe Free Rider Trust Indenture Act  104 ff., 111 ff., 216 ff. Trustee  216 ff., 220 ff. Unkoordinierter Zustand  24 ff., 56 Unvollständige Verträge  37 Verbandsrecht  174 ff., 178 f., 188, 278 f., 282 f., 285, 295, 303 Vertragscharakter  36 f., 41, 82, 167, 186 Vertragsfreiheit  25, 82, 106, 113, 145, 167 Vollziehung  47, 262, 264 ff., 271, 278, 280 f., 283, 286, 288, 294 f. Wettbewerb der Rechtsordnungen  68 ff., 103, 276 Wirtschaftliche Verbundenheit  29, 41, 178, 191