Bildung als Welt- und Selbstverhältnis: Über die Bedeutung von Bildungsprozessen für Selbstbestimmung 9783839470275

Bildung ist ein Transformationsprozess des Welt- und Selbstverhältnisses eines Subjekts. Das Bildungssubjekt nimmt hier

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Bildung als Welt- und Selbstverhältnis: Über die Bedeutung von Bildungsprozessen für Selbstbestimmung
 9783839470275

Table of contents :
Inhalt
Vorwort und Danksagung
1. Einleitung
2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung
3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung
4. Bildung als Transformation des Welt- und Selbstverhältnisses
5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung
6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung
7. Bildung als Welt- und Selbstverhältnis
8. Literatur

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Korbinian Hollunder Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Pädagogik

Editorial Bildung und Erziehung sind – trotz wechselnder Problemlagen – ein konstantes Thema in Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die Erziehungswissenschaft erweist sich in dieser Situation zugleich als Adressat, Stimulanz und Sensorium verschiedenster Debatten, die ins Zentrum sozialwissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Fragen zielen. Die Reihe Pädagogik stellt einen editorischen Ort zur Verfügung, an dem innovative Perspektiven auf aktuelle Fragen zu Bildung und Erziehung verhandelt werden.

Korbinian Hollunder, geb. 1988, arbeitet als wissenschaftlicher Referent am Deutschen Jugendinstitut mit dem Forschungsschwerpunkt »Übergänge im Jugendalter«.

Korbinian Hollunder

Bildung als Welt- und Selbstverhältnis Über die Bedeutung von Bildungsprozessen für Selbstbestimmung

Dissertation, vorgelegt an der Hochschule für Philosophie – Philosophische Fakultät München, 2022

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839470275 Print-ISBN: 978-3-8376-7027-1 PDF-ISBN: 978-3-8394-7027-5 Buchreihen-ISSN: 2703-1047 Buchreihen-eISSN: 2703-1055 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Inhalt

Vorwort und Danksagung ...........................................................9 1. Einleitung...................................................................... 11 1.1 Bildungstheoretische Fragestellung ............................................. 11 1.2 Aufbau der Arbeit............................................................... 19 2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung Eine Auseinandersetzung mit dem bildungstheoretischen Diskurs .............. 23 2.1 Anmerkungen zum bildungstheoretischen Diskurs .............................. 23 2.2 Der neuhumanistische Bildungsbegriff ......................................... 27 2.3 Bildungstheoretische Überlegungen im Umfeld der Kritischen Theorie........... 35 2.4 Poststrukturalistische Perspektiven auf Bildung ................................ 38 2.5 Phänomenologisch-existentialkritische Bildungstheorie.......................... 41 2.6 Bildung als Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses unter Einnahme einer Innenperspektive .............................................. 45 3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung Ein Vergleich mit anderen Grundbegriffen der Entwicklung von Individuen ....... 51 3.1 Bildung und Erziehung .......................................................... 51 3.2 Bildung und Sozialisation ...................................................... 56 3.3 Bildung und Wissen ............................................................ 66 3.4 Bildung und Kompetenz ........................................................ 74 3.5 Bildung und Lernen ............................................................ 84 3.6 Zusammenfassung des besonderen Bedeutungsgehalts von Bildung.............. 91 4. Bildung als Transformation des Welt- und Selbstverhältnisses .............. 101 4.1 Grundlagen der transformatorischen Bildungstheorie von Winfried Marotzki ..... 101

4.2 Rezeption Winfried Marotzkis transformatorischer Bildungstheorie.............. 110 5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung Überlegungen zur Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses ............ 119 5.1 Reflexion als Komponente von Bildung ......................................... 119 5.1.1 Reflexion als drei-phasiger Prozess ......................................120 5.1.2 Zentrale Merkmale des Reflexionsprozesses ..............................123 5.1.3 Reflexion als Element des transformatorischen Bildungsprozesses........125 5.1.4 Kritik an der zentralen Rolle von Reflexion in Bildungsprozessen .......... 127 5.2 Bildungstheoretische Perspektiven auf Subjekt und Selbst ...................... 131 5.3 Das Selbst in der Tradition von William James ................................. 136 5.3.1 Der Bewusstseinsstrom als Grundlage menschlicher Erfahrung .......... 136 5.3.2 »I-self« und »Me-self« als Teile des Selbst...............................144 5.4 Bildungstheoretische Betrachtung der Innenperspektive des Subjekts – Überlegungen im Anschluss an William James’ Auffassung vom Selbst ........................................................152 5.5 Achtsamkeit als Form der Innenperspektive eines wahrnehmenden Subjekts ....154 5.5.1 Grundlagen des Achtsamkeitskonzepts...................................154 5.5.2 Die vielfältige positive Wirkung von Achtsamkeitstraining ................159 5.5.3 Achtsamkeit und Bildung ................................................165 5.6 Achtsamkeit im Kontext der entwickelten bildungstheoretischen Perspektive ...168 6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung ....... 171 6.1 Selbstbestimmung als zentrales Bildungsziel ................................... 171 6.1.1 Die historische Verbundenheit von Bildung und Selbstbestimmung ........ 172 6.1.2 Selbstbestimmungsfähigkeit als zentrale anthropologische Annahme .....178 6.1.3 Selbstbestimmung als psychologisches Grundbedürfnis ..................180 6.1.4 Selbstbestimmung als Anforderung unserer Zeit.......................... 181 6.2 Selbstbestimmung im Kontext der entwickelten bildungstheoretischen Perspektive .............................................187 6.3 Bedingungen von Selbstbestimmung ...........................................189 6.3.1 Kontrolle und Authentizität als zentrale Bedingungen von Selbstbestimmung ..................................................189 6.3.2 Innere und äußere Bedingungen von Selbstbestimmung ..................190 6.4 Die Grundlagen von Selbstbestimmung aus der Perspektive der Self-Determination-Theory (SDT) ...........................................199 6.4.1 Organismisch-dialektisches Grundverständnis des Menschen und intrinsische Motivation ............................................. 200

6.4.2 Psychologische Grundbedürfnisse als Grundstruktur im Menschen ....... 203 6.4.3 Organismische Integration und Motivation............................... 209 6.4.4 Das Selbstbestimmungskonzept der SDT ................................. 214 6.5 Das Selbstbestimmungskonzept der SDT im Kontext von Bildung ................215 6.5.1 Der Einfluss von Eltern und Bildungsinstitutionen auf das Gelingen von Bildungsprozessen aus der Perspektive der SDT......................215 6.5.2 Die SDT im Kontext der entwickelten bildungstheoretischen Perspektive .. 221 7.

Bildung als Welt- und Selbstverhältnis Über die Bedeutung von Bildungsprozessen für Selbstbestimmung: Zusammenfassung und Ausblick .............................................. 225

8. Literatur ..................................................................... 235

Vorwort und Danksagung

Der Impuls zur vorliegenden Arbeit kommt aus meiner praktischen Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, in der ich deren Bildungsweg unterstützte, mitgestaltete und begleitete. Ich freue mich und bin dankbar, dass ich mich vor dem Hintergrund dieser Erfahrung mit dem Phänomen Bildung auseinandersetzen und diese Dissertation an der Hochschule für Philosophie München anfertigen konnte. Mein Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Michael Reder, der diese Arbeit über mehrere Jahre intensiv, individuell und geduldig begleitet hat. Mit seinen Nachfragen und Anregungen bot er in jeder Phase des Arbeitsprozesses einen fruchtbaren Rahmen und animierte mich immer wieder, meine Gedanken auf den Punkt zu bringen und die Arbeit zum Ziel zu führen. Außerdem danke ich Prof. Michael Bordt SJ für die Anfertigung des Zweitgutachtens, vor allem aber für die Möglichkeit, während eines Großteils der Promotionszeit an seinem Institut für Philosophie und Leadership mitarbeiten zu können, was mir viele Impulse für diese Arbeit gab. Mein besonderer Dank gilt meiner Mutter Luitgard, die mich auf diesem langen Weg der Dissertation immer unterstützte und bestärkte. Sie übernahm auch das Lektorat für diese Arbeit. Ebenso gilt mein besonderer Dank meiner Frau Arianna, die mir die Zeit für die Anfertigung der Dissertation schenkte und mit mir durch die Höhen und Tiefen ging, die eine solche Arbeit mit sich bringt.

1. Einleitung

1.1 Bildungstheoretische Fragestellung Das Phänomen Bildung wird in der Vergangenheit1 wie heute intensiv und kontrovers diskutiert. Die Debatte um Bildung wird dabei aus philosophischer Perspektive zum einem unter dem Stichwort Bildungsphilosophie geführt, wie aktuelle Beiträge von Gabriele Weiß und Jörg Zirfas, Christiane Thompson, Malte Brinkmann und Markus Rieger-Ladich sowie Rita Casale zeigen.2 Dabei wird vor allem der Gegenstandsbereich der Auseinandersetzung mit Bildung betrachtet und es werden grundlegende theoretische Voraussetzungen von Bildung untersucht oder philosophische Konzepte diskutiert, die im Zusammenhang mit dem Phänomen Bildung stehen. Zum anderen wird Bildung auch unter anderen Begriffen wie Bildungsforschung (Rudolf Tippelt und Bernhard Schmidt-Hertha), Bildungstheorie (Markus Rieger-Ladich) oder Allgemeine Erziehungswissenschaft (Christiane Thompson) analysiert, deren Überlegungen oft unter dem Stichwort Bildungstheorie subsummiert werden.3 Das bildungstheoretische Themenfeld ist dabei sehr viel1

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Für eine historische Betrachtung des Phänomens Bildung vgl. Dohmen 1964, Lichtenstein 1966 und 1968, Vierhaus 1972, Koselleck 1990a, Hager 1993, Langewand 1994, Bollenbeck 1996, Müller 1998, Schäfer 2002 und 2004, Treml 2005, Lederer 2008 und 2015, Grunert 2012, Hastedt 2012a, Rittelmeyer 2012, Dörpinghaus 2013 und Wiersing 2015; vgl. auch Kap. 6.1.1. Vgl. Weiß/Zirfas 2020, Thompson u.a. 2021 und Casale 2022; vgl. auch Schäfer 2005, Thompson 2009 und Spieker/Stojanov 2017; für eine historische Perspektive vgl. Reichenbach 2007. Vgl. Tippelt/Schmidt-Hertha 2018, Rieger-Ladich 2019, und Thompson 2020; für einen Überblick über den bildungstheoretischen Diskurs in den letzten Jahrzehnten vgl. Klafki 1963 und 2007, Pleines 1971 und 1989, Brezinka 1978, Hansmann/Marotzki 1988 und 1989, Krüger/Helsper 1996, Koller 2004, Wigger 2004, Marotzki 2006, Borst 2009, Dörpinghaus/Uphoff 2011, Miethe/Müller 2012, Dörpinghaus u.a. 2013, Lederer 2015

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

fältig und reicht von unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Perspektiven auf Bildung über pädagogische und didaktische Grundsatzfragen bis hin zur theoretischen Betrachtung einzelner Bildungsthemen. Im englischsprachigen Raum wird diese grundlegende Betrachtung von Bildung aus dem philosophischen Teilgebiet der Philosophy of education vorgenommen, wie die umfassenden Ausführungen von Harvey Siegel, Denis Charles Phillips und Eamonn Callan oder Joanna Haynes, Ken Gale und Melanie Parker zeigen.4 Die unterschiedlichen philosophischen Perspektiven, die im Zuge der Betrachtung des Phänomens Bildung eingenommen werden, spiegeln dabei die Vielfalt des philosophischen Nachdenkens wider. So wird im Umfeld der Kritischen Theorie der Bildungsbegriff dezidiert betrachtet, wie Überlegungen von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Heinz-Joachim Heydorn zeigen,5 und es werden vor allem die gesellschaftlichen Bedingungen von Bildung in den Mittelpunkt des Nachdenkens über Bildung gerückt. Auch anerkennungstheoretische Überlegungen zu Bildung, wie sie Eva Borst und Krassimir Stojanov vortragen, stellen diesen Aspekt ins Zentrum ihrer Analysen zum Phänomen Bildung.6 Eine weitere zentrale Perspektive bilden poststrukturalistische Betrachtungen von Bildung, wie sie Nadine Rose, Eveline Christof und Erich Ribolits sowie Norbert Ricken, Rita Casale und Christiane Thompson vorstellen.7 Unter poststrukturalistischer Perspektive wird unter anderem die Annahme eines selbstbestimmten Bildungssubjekts intensiv untersucht, wie es beispielweise Jacques Lacan, Michel Foucault und Judith Butler vornehmen.8

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und Tenorth 2020; für einen umfangreichen systematischen Überblick zur Theorie der Bildung vgl. Wiersing 2015. Vgl. Siegel u.a. 2018 und Haynes u.a. 2015; vgl. auch Noddings 1998, Curren 1998 und 2003, Blake u.a. 2003, Winch/Gingell 2008 sowie Siegel 2009 und 2018; vgl. zur Besonderheit der bildungstheoretischen Debatte im englischsprachigen Raum auch Kap. 2.1. Vgl. Horkheimer/Adorno 1944/1981, Horkheimer 1952/1985, Adorno 1959/1972, 1966/1973 und 1969/1971 sowie Heydorn 1970 und 1972; vgl. auch Marotzki/Sünker 1992, Borst 2003, Bernhard 2014 und Nierobisch u.a. 2016; vgl. auch Kap. 2.3. Vgl. Borst 2003 und Stojanov 2006; vgl. auch Kap. 2.3. Vgl. Rose 2012a und 2012b, Christof/Ribolits 2015 und Ricken u.a. 2019; vgl. auch Marotzki/Sünker 1992, Koller 1999, Fritzsche u.a. 2001, Felden 2003, Weber 2003, Ricken/ Rieger-Ladich 2004, Lüders 2007 und Prüwer 2009. Vgl. Lacan 1946/1980, Foucault 1986a, 1986b und 2004, sowie Butler 1991, 1995, 2001 und 2003; vgl. auch Lyotard 1987; vgl. auch Kap. 2.4.

1. Einleitung

Das Bildungssubjekt steht auch im Mittelpunkt vieler phänomenologischer Überlegungen zu Bildung, die ein vielfältiges bildungstheoretisches Feld darstellen, wie durch die Beiträge von Wilfried Lippitz, Käte Meyer-Drawe oder Malte Brinkmann, Marc Fabian Buck und Severin Sales Rödel deutlich wird.9 An phänomenologische Überlegungen schließen vor allem existentialkritische Analysen von Bildung wie von Eugen Fink, Egon Schütz und Malte Brinkmann an, welche die existentielle und persönliche Perspektive auf Bildung ins Zentrum ihrer Gedanken stellen.10 Einen zentralen bildungstheoretischen Bezugspunkt bildet auch die humboldtsche Bildungsidee,11 die in der bildungstheoretischen Debatte als neuhumanistischer Bildungsbegriff expliziert und weiterhin diskutiert wird, wie Ausführungen von Clemens Menze, Dietrich Benner oder Tobias Prüwer zeigen.12 Zuletzt ist auch auf pragmatistische Auseinandersetzung (John Dewey, Jürgen Oelkers sowie Arnd-Michael Nohl, Florian von Rosenberg und Sarah Thomsen)13 und feministische Thematisierungen (Doris Lemmermöhle, Dietlinde Fischer, Dorle Klika und Anne Schlüter sowie Gesa Heinrichs)14 von Bildung hinzuweisen, welche die Bandbreite der Perspektiven auf Bildung verdeutlichen. Der genaue Bedeutungsgehalt von Bildung wird innerhalb des bildungstheoretischen Diskurses unterschiedlich verstanden, was die erziehungswissenschaftliche Leitbegriffsdebatte zeigt, wie sie von Dieter Lenzen und HeinzElmar Tenorth skizziert wird;15 in dieser werden Bildung und andere Grundbe9

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Vgl. Lippitz 1993, 2003 und 2019, Meyer-Drawe 1996, 2003 und 2008 sowie Brinkmann u.a. 2017; vgl. auch Bollnow 1959, Fischer 1961, Loch 1979, Rombach 1979 und Buck 1989 und Brinkmann 2018; vgl. auch Kap 2.1 und 2.5. Vgl. Fink 1970 und 1979, Schütz 1975 und 1982/2017 sowie Brinkmann 2015 und 2017a; vgl. auch Bollnow 1959, Meyer-Wolters 1997 und Sepp 2019; vgl. auch Kap. 2.5. Vgl. Humboldt 1793/1960, 1793/1961, 1803/1981 und 1809/1966. Vgl. Menze 1965 und 1975, Benner 2003 und Prüwer 2009; vgl. auch Steffen 1972, Poenitsch 1992, Wagner 1995; vgl. auch Kap. 2.2. Vgl. Dewey 1933, Oelkers 2009 und Nohl u.a. 2015; vgl. auch Nohl 2001 und 2006, Witt 2003 und Tröhler/Oelkers 2005. Vgl. Lemmermöhle u.a. 2000 und Heinrichs 2001; vgl. auch Felden 2003, Borst 2003 und Ortner 2006. Vgl. Lenzen 1997, Tenorth 1997; vgl. auch Felden 2003, 64–65, Meyer 2011, 4–5, Hügli 2014 oder Ehrenspeck-Kolasa 2018, 188. Vor allem Erziehung, Sozialisation, Wissen, Kompetenz oder Lernen (zu diesen Begriffen vertiefend vgl. Kap. 3) werden als weitere mögliche Leitbegriffe genannt (für weitere diskutierte Leitbegriffe vgl. Kap. 2.1). In der Folge der »Realistischen Wende« (vgl. Roth 1962/1967) wird von Seiten der empirischen Erziehungswissenschaft auch immer wieder gefordert, den Bildungsbegriff aufzugeben

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griffe der Entwicklung von Individuen verglichen sowie deren Bedeutung für den wissenschaftlichen Diskurs und die pädagogische Praxis diskutiert, wie es auch Krassimir Stojanov als Diskussion angestoßen hat.16 In Bezug auf diese bildungstheoretischen Überlegungen soll in dieser Arbeit ein Verständnis von Bildung erarbeitet werden, welches Bildung als den Gesamtprozess der Entwicklung eines Individuums versteht17 und dem Phänomen Bildung in seiner Komplexität gerecht wird. Dabei soll ein Bedeutungskern von Bildung herausgearbeitet werden, der Bildung von anderen Entwicklungsprozessen eines Individuums unterscheidet und dem Prozess18 Bildung seine Besonderheit verleiht. Bildung kann in diesem Sinne als ein Prozess verstanden werden, in dem ein Individuum ein bestimmtes Verhältnis zur Welt und zu sich selbst einnimmt,19 welches es ihm ermöglicht, ein eigenes Verständnis von der Welt und sich selbst zu entwickeln und das eigene Leben selbstbestimmt zu führen.20 In ei-

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und zu ersetzen (vgl. Koller 1999, 13 und Felden 2003, 64). Für einen ersten Überblick über die Diskussion zur Aufgabe des Bildungsbegriffs vgl. Lenzen 1997, 949–951. Für die von Krassimir Stojanov angestoßene Debatte »Bildung: Zur Bestimmung und Abgrenzung eines Grundbegriffs der Humanwissenschaften« in der Zeitschrift Erwägen, Wissen, Ethik (2014, 25 (2)) vgl. Benner 2014, Borst 2014, Heymann 2014, Hügli 2014, Lederer 2014, Mchitarjan 2014, Schäfer 2014 sowie Stojanov 2014a und 2014b. Bildung wird in dieser Arbeit als »primär auf den je einzelnen Menschen bezogen« (Koselleck 1990b, 20) verstanden. Bildung wird damit als Frage nach der Bildung von Individuen und nicht von Kollektiven oder Institutionen thematisiert. Bildung kann auch die Aktivität einer Institution meinen (vgl. Ehrenspeck-Kolasa 2018, 193 und 196–197; vgl. auch Stojanov 2006, 9 und Lederer 2015, 84). Nach Koselleck beziehen sich alle anderen Bedeutungen von Bildung folgend auf diese primäre Bedeutung des sich bildenden Menschen. Bildung kann auch als Entwicklungsziel und Zustand verstanden werden (vgl. Lederer 2015, 107–108; vgl. auch Langewand 1994, 69, Bollenbeck 1996, 103, Lenzen 1997, 963, Wiesinger-Stock 2002, 89 und Ehrenspeck-Kolasa 2018, 197). Für bildungstheoretische Konzeptionen, die Bildung als Welt- und Selbstverhältnis beschreiben, vgl. Marotzki 1990a, Langewand 1994, Koller 1999 und 2012a, Kokemohr 2000 und 2007, Lederer 2008, Fuchs 2011 und Geimer 2012. In der Beschreibung von Bildung als Weltverhältnis und Selbstverhältnis ist der bildungstheoretische Diskurs an andere philosophische Überlegungen und Gebiete begrifflich anschlussfähig, die in ihren Theorien Welt- und Selbstverhältnisse zum Gegenstand haben (vgl. beispielhaft Jäggi 2005 oder Rosa 2013). Über die Bestimmung von Bildung als Einnahme eines Welt- und Selbstverhältnisses wird Bildung z.B. auch als Selbstentwicklung und Welterschließung beschrieben (vgl. Stojanov 2006, 33), was eine ähnliche Grundausrichtung in der Beschreibung dar-

1. Einleitung

ner solchen Auffassung von Bildung wird diese als ein Vorgang verstanden, in dem ein Individuum ein umfassendes Welt- und Selbstverhältnis einnimmt, das vor allem die qualitative Anforderung erfüllt, die Welt und sich selbst genau wahrzunehmen und zu reflektieren. Das Ziel eines solchen Welt- und Selbstverhältnisses bildet dabei ein Ziel an sich, stellt für ein Individuum aber auch ein Mittel dar, das zentrale Bildungsziel Selbstbestimmung21 zu erreichen. Mit diesem Bedeutungskern unterscheidet sich Bildung in einem entscheidenden Aspekt von anderen Grundbegriffen, die einen Entwicklungsprozess bei Individuen beschreiben und oft in einer ähnlichen Bedeutung wie Bildung verwendet werden: Die umfassende Innenperspektive des Bildungssubjekts auf die Welt und sich selbst. Durch die Einnahme einer solchen Innenperspektive im Bildungsprozess ist es einem Individuum möglich, ein umfassendes Welt- und Selbstverhältnis zu erlangen, welches für das Individuum auch eine Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben bildet. Bildung ist als so verstandener Entwicklungsprozess damit eng mit zentralen Themenbereichen philosophischer Forschung wie der Auffassung von Selbst bzw. Subjekt,22 zu welcher Shaun Gallagher sowie Mark R. Leary und June Price Tangney einen umfassenden Überblick liefern,23 und dem Konzept Selbstbestimmung24 verbunden, wie es John Christman, Monika Betzler oder Christian Seidel thematisieren. Beide Konzepte werden auch im Kontext von Bildung seit Langem ausführlich und kontrovers diskutiert. So setzen sich im

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stellt. Krassimir Stojanov hält darüber hinaus das Medium von Bildung, in dem sich die Einnahme eines Welt- und Selbstverhältnisses bzw. Selbstentwicklung und Welterschließung vollziehen, für eine dritte grundlegende Dimension (vgl. Stojanov 2006, 34). Auch das Verhältnis zu Anderen wird als grundlegende Dimension teils extra ausgewiesen (vgl. Dörpinghaus/Uphoff 2011, 59–60). Allerdings wird der Sozialbezug auch oft als eine spezielle Form des Weltverhältnisses verstanden, da der Bezug zur Welt auch den Bezug zu anderen Menschen enthält (vgl. auch Koller 2012a, 17, Fußnote 6). Selbstbestimmung kann aus verschiedenen Gründen in den Mittelpunkt von Bildung gerückt und als ein zen-trales Entwicklungsziel für ein Individuum verstanden werden (vgl. Kap. 6.1). Der im Rahmen dieser Arbeit untersuchte Selbstbegriff beinhaltet die Komponenten des wahrnehmenden Subjekts und erfahrenen Selbst und somit Aspekte, die sowohl das Konzept Selbst als auch Fragen nach dem Subjekt beinhalten; vgl. auch Kap. 5.3. Vgl. Gallagher 2011a und Leary/Tangney 2012a; für einen Überblick zum Thema Selbst in deutscher Sprache vgl. Ludwig-Körner 1992; für einen historischen Überblick zum Selbstbegriff vgl. Schrader 1995, Jörissen 2000, 27–57 und Barresi/Martin 2011. Vgl. Christman 1989, 1991, 2005 und 2009, Betzler 2013a und Seidel 2016; vgl. auch Deci/Ryan 2002, Ryan u.a. 2012, Rössler 2017 und Gerhardt 2018; vgl. auch Kap. 6.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Rahmen ihres Nachdenkens über Bildung beispielsweise Käte Meyer-Drawe, Alfred Schäfer und Norbert Ricken mit der Frage nach dem Verständnis von Selbst und Subjekt, das bildungstheoretischen Überlegungen zugrunde gelegt wird, intensiv auseinander.25 Das Konzept Selbstbestimmung wird im Rahmen der Frage nach Bildung ebenfalls breit diskutiert und auch in der Diskussion um die Begriffe Autonomie (Käte Meyer-Drawe, Krassimir Stojanov und Cathleen Grunert),26 Mündigkeit (Immanuel Kant, Theodor W. Adorno und Markus Rieger-Ladich)27 oder Emanzipation (Heinz-Joachim Heydorn, Carsten Bünger und Bernd Lederer)28 erörtert. Eine Auffassung von Bildung, in der das Bildungssubjekt ein Welt- und Selbstverhältnis einnimmt, das sich durch eine umfassende Innenperspektive des Bildungssubjekts auszeichnet, beinhaltet ein Subjektverständnis, welches das Individuum grundlegend auch als wahrnehmendes Subjekt versteht und dieser Subjektkomponente eine zentrale Rolle in der Subjektkonstituierung zuschreibt. Ein solches Subjektverständnis findet sich in William James’ Auffas-

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Vgl. Meyer-Drawe 1990, 1991, 2002, 2011, 2015 und 2017, Schäfer 1996, 2004, 2012 (69–118), 2015 und 2016 sowie Ricken 1999 (vor allem 1–172), 2006 und 2015; für weitere bildungstheoretische Auseinandersetzungen mit dem Konzept Subjekt bzw. Selbst vgl. auch Fink 1970 (vor allem 113–124), Schütz 1975 (vor allem 16–33) und 1988, Holzkamp 1993 (vor allem 19–33), Meueler 1993, Lischewski 1998, Jörissen 2000, Peukert 2000, Heinrichs 2001, Reichenbach 2001 (vor allem 257–325) und 2004, Felden 2003 (26–64), Rieger-Ladich 2004, Ortner 2006 (vor allem 16–20), Stojanov 2006 (110–146), Lüders 2007 (69–143), Gößling 2008, Künkler 2008, Ludwig 2009, Sattler 2009, Aßmann 2010, Koller 2012a (vor allem 34–68), Rose 2012a (89–142) und 2012b, Alkemeyer u.a. 2013a, Arnold 2013 (133–155), Bünger 2013a (79–86) und 2015, Faulstich 2013 (79–88) und 2014, Böhmer 2014, Grotlüschen 2014, Karcher 2015, Lerch 2016, Allert u.a. 2017, Ricken/Wittpoth 2017, Redecker 2018, Ricken u.a. 2019 sowie Asmussen 2020 (vor allem 103–114); vgl. auch Kap. 5.2. Vgl. Meyer-Drawe 1990 und 1998, Stojanov 2006, 2014a und 2014b sowie Grunert 2012; vgl. auch Koller 2001, Schäfer 2005, Lüders 2007, Finke 2009, Meyer 2011, Dörpinghaus u.a. 2013 und Wiersing 2015. Vgl. Kant 1784/1994, Adorno 1969/1971 und Rieger-Ladich 2002; vgl. auch Roth 1971, Heydorn 1972, Böhme 1979, Meyer-Drawe 1998, Lederer 2008 und 2015, Dörpinghaus 2009, Bünger 2013a und Dörpinghaus u.a. 2013. Vgl. Heydorn 1970, Bünger 2013b, Lederer 2015.

1. Einleitung

sung vom Selbst,29 auf welche auch andere bedeutende Auffassungen vom Selbst wie jene von Charles Horton Cooley und George Herbert Mead aufbauen.30 Das Bildungsziel Selbstbestimmung lässt sich innerhalb des umrissenen Verständnisses von Bildung mit einem Konzept von Selbstbestimmung fassen, das der inneren Verfassung des Bildungssubjekts eine besondere Bedeutung zuspricht. Ein solches Konzept von Selbstbestimmung ist in der Self-Determination-Theory (im Folgenden SDT) zu finden, die von Edward Deci und Richard Ryan entwickelt wurde.31 Die skizzierte Auffassung von Bildung lässt bereits erkennen, aus welcher Perspektive Bildungsprozesse in der folgenden Untersuchung thematisiert werden. In den Mittelpunkt der Frage nach Bildung wird weniger eine Außenperspektive auf die Entwicklung eines Individuums gerückt und es werden damit weniger Fragen gestellt wie: Was kann aus der Perspektive Außenstehender, Pädagogen oder der Gesellschaft für die Gestaltung der Entwicklungsprozesse eines Individuums getan werden?, Welche äußeren Rahmenbedingungen beeinflussen die Entwicklungsprozesse eines Individuums besonders positiv?, Was soll ein gebildetes Individuum wissen?, Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten soll sich ein gebildetes Individuum angeeignet haben? oder Wie kann sich ein Individuum bestimmte Inhalte am besten aneignen? Vielmehr wird Bildung aus der Perspektive des Bildungssubjekts heraus thematisiert und die Innenperspektive des Bildungssubjekts als zentraler Bestandteil von Bildungsprozessen in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Diese bildungstheoretische Perspektive versteht Bildung vor allem als Frage aus einer Subjektperspektive heraus, die an eine Außenperspektive auf das Phänomen Bildung anschließt und vor allem Fragen in den Fokus rückt wie: Welche Rolle habe ich selbst als Subjekt im Bildungsprozess?, Welchen Beitrag kann ich selbst dazu leisten, die Rolle des Bildungssubjekts wahrzunehmen und auszufüllen?,

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Vgl. vor allem James 1890/1981 und James 1912/2012; vgl. zu James auch Harter 1988, Bruder 1989 und 1993, Cho 2003, Thörner 2011, Lerch 2016, Klein/Prinz 2018 und Leary 2018; vgl. auch Kap. 5.3. Vgl. Cooley 1902 und Mead 1934/2015. Vgl. vor allem Deci/Ryan 1980, 1985 und 2000 sowie Ryan/Deci 2002 und 2017; zur weiteren Diskussion der SDT vgl. auch Deci 1975, Plant/Ryan 1985, Ryan u.a. 1985, Deci/ Ryan 1991 und 2002, Markus/Kitayama 1991, Iyengar/Lepper 1999, Ryan/Deci 2001 und 2020, Krapp/Ryan 2002, Chirov u.a. 2003, Krapp 2005, Ryan/Brown 2006, Ryan u.a. 2006, Ryan u.a. 2008, Baumann 2009, Niemiec/Ryan 2009, Ryan u.a. 2012, Ryan u.a. 2013, Riethmayer 2014, Chen u.a. 2015, Deci u.a. 2015, Schultz/Ryan 2015, Ryan u.a. 2016 und Koole u.a. 2019.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Wie kann ich ein möglichst umfassendes, aber auch vertieftes Verhältnis zur Welt und mir selbst einnehmen?, Welche Bedeutung haben meine Erfahrungen für mich und wie ordne ich diese für mich ein? oder Wie kann ich mir selbst Orientierung erarbeiten? Die gewählte Perspektive auf Bildung stellt damit persönlich-existentielle Aspekte in der Entwicklung eines Individuums ins Zentrum der Betrachtung und geht davon aus, dass Selbstbestimmung als regulative Idee von Bildung dient.32 Damit wird als eine Kernaufgabe von Bildung betrachtet, dass ein Individuum eigene Antworten auf Fragen wie Was für ein Bild von der Welt habe ich?, Was für ein Mensch bin ich und möchte ich sein? oder Was soll ich tun? 33 Womit möchte ich mein Leben füllen? entwickelt. Diese bildungstheoretische Perspektive trägt so unserer aktuellen Zeit Rechnung, in der Prozesse der Individualisierung und Pluralisierung sowie die damit zusammenhängende Erfahrung von Diskontinuität, Instabilität und Kontingenz zu den Rahmenbedingungen unseres Lebens gehören.34 Sie stellt deshalb weniger die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit von Lebensformen,35 sondern vor allem die Frage nach der Verarbeitungsweise der Wirklichkeit durch das Subjekt in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Bildung.36 Durch die Wahl dieser Perspektive soll anderen Perspektiven auf Bildung kein geringerer Stellenwert zugewiesen oder wichtigen Diskussionen im Kontext von Bildung die Anerkennung verweigert werden.37 Als zentrale Fragestellung von Bildung wird allerdings weniger die Frage danach verstanden, wie die heranwachsende Generation in ihrer Entwicklung begleitet, gefördert und gelenkt werden kann,38 als vielmehr danach, welche Prozesse ein Individuum, ganz gleich in welcher Lebensphase es sich befindet und welche Lebensgeschichte es geformt hat, in die Lage versetzen, ein umfassendes Welt- und

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34 35 36 37 38

Vgl. Müller-Ruckwitt 2008, 254; zur weiteren Begründung der Annahme, dass Selbstbestimmung ein zentrales Bildungsziel ist, vgl. Kap. 6.1. Diese Frage wird an dieser Stelle schwach normativ verstanden, nicht aus einer Perspektive der Verpflichtung Anderen gegenüber, sondern mehr als grundlegende natürliche Frage an sich selbst, die nicht das Verhältnis zu Anderen schon als Ausgangspunkt gesetzt hat (vgl. dazu auch Williams 1999, 11–38). Vgl. Kap. 6.1.4. Vgl. Marotzki 1990a, 68; vgl. auch Rosenberg 2011, 19. Vgl. Marotzki 1990a, 57. Für einen guten Überblick über die verschiedenen Leitfragen von Diskussionen zum Bildungsbegriff vgl. Rittelmeyer 2012, 13–15. Diese Fragestellungen werden mehr unter anderen Begriffen detailliert behandelt (vgl. dazu Kap. 3).

1. Einleitung

Selbstverhältnis einzunehmen und das eigene Leben selbstbestimmt gestalten zu können. Bildung wird damit als ein Prozess aufgefasst, der nicht nach der Phase des Heranwachsens gelungen oder gescheitert ist, sondern an prägende Prozesse anschließt sowie einen Umgang mit dem eigenen Gewordensein und der eigenen strukturellen Verfassung beinhaltet. »Im Mittelpunkt einer solchen Betrachtungsweise steht die Betonung der Selbsttätigkeit des Subjekts im Bildungsprozess […]. Bildung ist damit nichts, was Institutionen wie die Schule bewirken können, sondern ist als Prozess der Persönlichkeitsbildung an die Eigenleistung des Individuums gebunden.«39 Bildung wird damit als ein Vorgang beschrieben, der bei jedem Individuum dauerhaft als offener Prozess stattfindet40 und sich auch unter gerechten Strukturen, günstigen Umweltbedingungen und gleichen Voraussetzungen für Individuen weiterhin und immer wieder neu stellt.

1.2 Aufbau der Arbeit Um die umrissene Auffassung von Bildung zu entfalten, wird in dieser Arbeit folgendermaßen vorgegangen: a) In einem ersten Schritt wird die skizzierte Perspektive auf Bildung in Auseinandersetzung mit dem bildungstheoretischen Diskurs genauer ausgearbeitet und eingeordnet (Kap. 2). Dazu werden nach grundsätzlichen Anmerkungen zum bildungstheoretischen Diskurs (Kap. 2.1) verschiedene bedeutende Perspektiven auf Bildung vorgestellt. In diesem Zuge werden der neuhumanistische Bildungsbegriff (Kap. 2.2), Überlegungen zu Bildung im Umfeld der kritischen Theorie (Kap. 2.3), poststrukturalistische Perspektiven auf Bildung (Kap. 2.4) sowie eine phänomenologisch-existentialkritische Thematisierung von Bildung (Kap. 2.5) dargestellt und kritische Punkte dieser bildungstheoretischen Perspektiven beleuchtet. Unter Bezugnahme auf die zentralen Aspekte in den Beschreibungen von Bildung wird eine Auffassung von Bildung erarbeitet, die vor allem die Auseinandersetzung des

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Grunert 2012, 33; von außen können lediglich Gelegenheitsstrukturen bereitgestellt werden (vgl. Grunert 2012, 19). Vgl. Grunert 2012, 76–77.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Bildungssubjekts mit dem eigenen Welt- und Selbstverhältnis aus einer Innenperspektive heraus in den Mittelpunkt von Bildungsprozessen stellt (Kap. 2.6). b) Zur Begründung dieser Auffassung von Bildung wird in einem zweiten Schritt Bildung anderen ähnlichen Grundbegriffen der Entwicklung von Individuen gegenübergestellt, um den spezifischen Bedeutungsgehalt von Bildung im Vergleich mit diesen herauszuarbeiten (Kap. 3). Dazu wird Bildung den Begriffen Erziehung (Kap. 3.1), Sozialisation (Kap. 3.2), Wissen (Kap. 3.3), Kompetenz (Kap. 3.4) und Lernen (Kap. 3.5) gegenübergestellt. Dabei zeigt sich, dass Bildung andere Grundbegriffe der Entwicklung von Individuen vor allem darin überschreitet, dass ein Individuum im Bildungsprozess das eigene Weltund Selbstverhältnis aus einer Innenperspektive heraus einnimmt und auf dieser Basis verändert. Diese Innenperspektive des Bildungssubjekts zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass das Individuum die Welt und sich selbst genau wahrnimmt und sich reflexiv zur Welt und sich selbst in Beziehung setzt, wodurch selbstbestimmt ein eigenes umfassendes Welt- und Selbstverhältnis eingenommen werden kann (Kap. 3.6). c) Im Hinblick auf diese erarbeitete Auffassung von Bildung wird in einem dritten Schritt die transformatorische Bildungstheorie Winfried Marotzkis als ein Verständnis von Bildung vorgestellt, das diesen herausgearbeiteten Bedeutungsgehalt von Bildung weitgehend umfasst (Kap. 4). Bildung wird in dieser Bildungstheorie als eine Transformation des Welt- und Selbstverhältnisses beschrieben, in welcher das Bildungssubjekt seine eigene Perspektivität der Weltsicht mitreflektiert, den eigenen Modus der Weltaufordnung41 transformiert und sich in diesem Prozess selbst Orientierung erarbeitet (Kap. 4.1). Damit verankert Marotzki die Innenperspektive des Bildungssubjekts in seiner Bildungstheorie als zentralen Bestandteil von Bildungsprozessen. Er konzipiert diese als reflexive Bezugnahme des Bildungssubjekts auf die Welt und sich selbst und expliziert damit die Wahrnehmung der Welt und sich selbst nicht als zentralen und eigenen Teil der Innenperspektive des Subjekts. Marotzki bezieht damit die Innenperspektive des Subjekts nicht in ihrer umfassenden Beschaffenheit in seine Bildungstheorie mit ein. d) Aus diesem Grund wird in einem vierten Schritt erarbeitet, was es heißt, als Bildungssubjekt eine umfassende Innenperspektive einzunehmen (Kap. 5). Dazu wird Reflexion als ein mögliches Konzept vorgestellt, das eine solche Innenperspektive eines Individuums auf die Welt und sich selbst beschreibt 41

Vgl. Marotzki 1990a, 44.

1. Einleitung

(Kap. 5.1). Dabei wird herausgearbeitet, dass im Konzept Reflexion Wahrnehmungsprozesse nicht zwingend als eigener und konstitutiver Teil verankert sind und sich Wahrnehmungsprozesse in ihrer Bezugnahme auf die Welt und sich selbst grundsätzlich von Reflexionsprozessen unterscheiden. Eine umfassende Innenperspektive eines Subjekts muss deshalb neben Reflexionsprozessen auch Wahrnehmungsprozesse als konstitutiven Bestandteil beinhalten und diese Prozesse gesondert und ihrer speziellen Art angemessen beschreiben und berücksichtigen. Die Innenperspektive eines Individuums auf die Welt und sich selbst auf diese Art und Weise zu verstehen, operiert mit einer bestimmten Subjektkonzeption, die einer weiteren Explikation bedarf. Nach einer kurzen Betrachtung bildungstheoretischer Perspektiven auf Auffassungen von Subjekt und Selbst (Kap. 5.2) wird dazu William James’ Verständnis vom Selbst vorgestellt (Kap. 5.3). Auf seine theoretische Grundlage des Bewusstseinsstroms aufbauend entwickelt James eine Auffassung vom Selbst, welche die beiden Aspekte des wahrnehmenden Subjekts (I-self ) und erfahrenen Selbst (Me-self ) als Bestandteile des Selbst unterscheidet. Mit dieser Konzeption des Selbst gelingt es, die Wahrnehmung des Subjekts als konstitutiven Bestandteil der Subjektperspektive zu verankern und den Wahrnehmungsprozessen eines Individuums eine zentrale Rolle in der Einnahme einer Innenperspektive zuzuordnen. Auf der Basis dieser Auffassung vom Selbst lässt sich Bildung als Prozess beschreiben, in dem ein Individuum in der Konstituierung seines Welt- und Selbstverhältnisses eine Innenperspektive einnimmt, in welcher der Wahrnehmung des Subjekts eine bedeutende Rolle zuteil wird (Kap. 5.4). Mit Hilfe einer so verstandenen Innenperspektive gelingt es, Bildungsprozesse als Vorgänge zu konzipieren, die zu einem umfassenden Welt- und Selbstverhältnis führen und dem Bildungssubjekt Selbstbestimmung ermöglichen. Das Achtsamkeitskonzept wird anschließend als ein praktisches Konzept vorgestellt, das diese Einnahme einer Innenperspektive als wahrnehmendes Subjekt expliziert und veranschaulicht (Kap. 5.5). Dabei wird dargelegt, was es heißt, als Subjekt sich wahrnehmend auf die Welt und sich selbst zu beziehen und so die Welt und sich selbst genau wahrzunehmen, und die vielfältige positive Wirkung von Achtsamkeitstraining aufgezeigt. Nach einer Darstellung der Rezeption von Achtsamkeit im Kontext von Bildung wird das Achtsamkeitskonzept unter der erarbeiteten bildungstheoretischen Perspektive betrachtet und gezeigt, dass mit dem Achtsamkeitskonzept die praktische Einnahme einer Innenperspektive als wahrnehmendes Subjekt näher ausgeführt werden kann, die zur Konstituierung eines umfassenden Bildes von der

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Welt und sich selbst nötig ist und auch das Bildungsziel Selbstbestimmung vom Subjekt verlangt (Kap. 5.6). e) Selbstbestimmung gilt es im letzten Schritt als Konzept zu explizieren, um diese zentrale Zieldimension von Bildung genauer zu bestimmen (Kap. 6). Dazu wird zunächst begründet, warum Selbstbestimmung als zentrales Bildungsziel definiert wird, indem auf die historische Verbundenheit von Bildung und Selbstbestimmung, die Selbstbestimmungsfähigkeit als zentrale anthropologische Annahme, das psychologische Grundbedürfnis nach Selbstbestimmung und Selbstbestimmung als Anforderung unserer Zeit verwiesen wird (Kap. 6.1). Anschließend wird Selbstbestimmung aus der eingenommenen bildungstheoretischen Perspektive als Ziel näher bestimmt (Kap. 6.2), bevor die zentralen Bedingungen für Selbstbestimmung untersucht werden (Kap. 6.3). Dabei werden die Kontroll- und Authentizitätsbedingung als wichtige Voraussetzungen von Selbstbestimmung benannt und herausgestellt, dass sowohl innere als auch äußere Bedingungen entscheidend dafür sind, diese Voraussetzungen für Selbstbestimmung zu erfüllen. In diesem Zuge wird herausgearbeitet, dass Selbstbestimmung als Ziel der erarbeiteten Auffassung von Bildung als Konzept verstanden wird, das den Bedingungen innerhalb des Bildungssubjekts eine besondere Rolle zuspricht und die äußeren Bedingungen dabei nicht unberücksichtigt lässt. Die Self-Determination-Theory (SDT) wird in einem weiteren Schritt als eine Theorie vorgestellt, die ein solches Konzept von Selbstbestimmung detailliert ausführt (Kap. 6.4). Ausgehend von einem organismisch-dialektischen Grundverständnis des Menschen beschreibt sie die intrinsische Motivation, die psychologischen Grundbedürfnisse und die organismische Integration als die zentralen Komponenten, die für ein Individuum entscheidend sind, um Selbstbestimmung zu erreichen. Im Kontext von Bildung wird das Selbstbestimmungskonzept der SDT in unterschiedlichster Weise aufgenommen (Kap. 6.5). Für das erarbeitete Verständnis von Bildung kann es dazu dienen, das Bildungsziel der Selbstbestimmung und den Weg dorthin näher zu beschreiben. f) In einem abschließenden Schritt (Kap.7) werden die erarbeiteten Punkte zusammengeführt. In diesem Zuge wird gezeigt, was es heißt, mit Bildung ein Welt- und Selbstverhältnis aus einer umfassenden Innenperspektive heraus einzunehmen und als Individuum durch diesen Prozess schließlich Selbstbestimmung zu erreichen.

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung Eine Auseinandersetzung mit dem bildungstheoretischen Diskurs

2.1 Anmerkungen zum bildungstheoretischen Diskurs Die vorgestellte skizzierte Auffassung von Bildung gibt einen ersten Eindruck, in welcher Weise Bildung in dieser Arbeit thematisiert werden soll und im bildungstheoretischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Diskurs1 zu verorten ist. Sie lässt allerdings auch schon eine zentrale Herausforderung in der Bestimmung von Bildung erkennen, dass unter dem Stichwort Bildung verschiedene Fragestellungen summiert und sehr unterschiedliche Bedeutungsaspekte in Verbindung gebracht werden. Als wichtigste Bedeutungsdimensionen sind Bildung 1) als individueller Bestand, 2) als individuelles Vermögen, 3) als individueller Prozess und 4) als individuelle Selbstüberschreitung und Höherbildung der Gattung zu nennen.2

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Die Bezeichnung Erziehungswissenschaft hat sich als Oberbegriff für den pädagogischen Bereich durchgesetzt, in welchem auch das Phänomen Bildung hauptsächlich diskutiert wird (zur Diskussion um den Begriff der Erziehungswissenschaft vgl. Thompson 2020, 35–42). Erziehungswissenschaft ist damit die Wissenschaft, in der grundsätzlich der Diskurs um den Begriff Bildung seinen Platz hat. Die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft mit ihren Sektionen und Kommissionen veranschaulicht diese Praxis (vgl. Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 2022). Für eine umfangreiche Einführung in die Theorien der Erziehungswissenschaft, die sich primär auch mit dem Phänomen Erziehung beschäftigen, vgl. Krüger 2012. Vgl. Lenzen 1997, 951–956; bei Jürgen-Eckardt Pleines lassen sich diese Bedeutungsdimensionen bereits anders formuliert finden (vgl. Pleines 1971, 5–12 und in ähnlicher Formulierung Pleines 1989, vor allem 12–24). Yvonne Ehrenspeck nennt als zusätzliche 5. Bedeutung Bildung als Aktivität bildender Institutionen oder Personen (vgl. EhrenspeckKolasa 2018, 193–197), die als Bedeutungselement allerdings mehr anderen Phänome-

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Aufgrund dieser unterschiedlichen Facetten von Bildung wird Bildung oft nicht hinreichend von ähnlichen Begriffen abgegrenzt3 und unterliegt als Begriff keiner einheitlichen Verwendungsweise.4 So stellen die vielen verschiedenen Bestimmungen von Bildung nicht lediglich unterschiedliche Perspektiven zu einer gemeinsam geteilten Auffassung davon dar, was das Phänomen Bildung umfasst. Sie beschäftigen sich vielmehr mit unterschiedlichen Auffassungen zum Gegenstandsbereich von Bildung, wie die Debatte um die Ablösung und Ersetzung von Bildung als (pädagogischen) Leitbegriff für die Entwicklung eines Individuums zeigt.5 Diese unterschiedlichen Auffassungen zum Gegenstandsbereichs von Bildung werden wiederum unter verschiedenen Perspektiven beleuchtet.6 Eine Übersicht über den Bildungs-

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5

6

nen wie Erziehung, Sozialisation sowie Wissens- und Kompetenzvermittlung zuzuordnen ist (vgl. Kap. 3.1-3.4). Für weitere Beschreibungen der Bedeutungsdimensionen von Bildung vgl. Dörpinghaus 2009, Hentig 1996 oder Langewand 1994, 74. Für einen umfangreichen, detaillierten und differenzierten Überblick zu den verschiedenen Auffassungen bezüglich der Bedeutungsebenen von Bildung vgl. Lederer 2015, 75–108. Vgl. Kap. 3.; vgl. auch Göhlich/Zirfas 2007, 14. Vgl. Tenorth 1997, 971 oder Heymann 2014; auch Max Horkheimer verweist auf diese Spannungen, Widersprüche und Mehrdeutigkeiten, die beim Bestimmen der Bedeutung von Bildung hervortreten und wegen welchen er keine präzise Begriffsbestimmung vornehmen möchte (vgl. Horkheimer 1952/1985, 409). Zur Leitbegriffsdebatte vgl. Lenzen 1997, Tenorth 1997, Felden 2003, 64–65, Meyer 2011, 4–5, Hügli 2014 oder Ehrenspeck-Kolasa 2018, 188. Die an anderer Stelle vorgestellten Begriffe Erziehung, Sozialisation, Wissen, Kompetenz oder Lernen (vgl. Kap. 3) werden in dieser Debatte als Kandidatinnen diskutiert, die Bildung als Leitbegriff ablösen können. Aber auch andere Begriffe wie »Qualifikation« (vgl. Felden 2003, 16 und 64), »Selbstorganisation, Autopoiesis und Emergenz« (vgl. Lenzen 1997, 951), »Unterricht« (vgl. Lenzen 1997, 951 und Göhlich/Zirfas 2007, 14), »Reifung« (Stojanov 2014a, 207–208 und Pleines 1971, 6), »Entwicklung« (vgl. Göhlich/Zirfas 2007, 14), »Identität« (vgl. Mertens 1998, 13–41 und Ehrenspeck-Kolasa 2018, 190), »Kultur« (vgl. Bollenbeck 1996, 102, Fuhrmann 2002, 36 und Rittelmeyer 2012, 20–21), »Enkulturation« (vgl. Kron 2009, 37) oder »Ausbildung« (Dörpinghaus u.a. 2013, 142 und Bieri 2012, 228–229) werden in diesem Zuge als Kandidatinnen diskutiert. In der Leitbegriffsdebatte werden darüber hinaus vor allem in der Folge der »Realistischen Wende« (vgl. Roth 1962/1967) von Seiten der empirischen Erziehungswissenschaft immer wieder die Aufgabe und Ersetzung des Bildungsbegriffs gefordert (vgl. Koller 1999, 13 und Felden 2003, 64). Für einen ersten Überblick über die Diskussion zur Aufgabe des Bildungsbegriffs vgl. Lenzen 1997, 949–951. Auch die Bezeichnungen Erziehungswissenschaft, Bildungstheorie, Pädagogik oder andere Gebietsbezeichnungen werden allein und in Kombination mit anderen Begriffen nicht in einer Weise verwendet, die hilft, Bildung und andere Grundbegriffe menschlicher

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

diskurs zu erstellen ist aufgrund dieser mehrdimensionalen Vielfalt eine große Herausforderung. Ein Beispiel dieser komplexen Ausgangslage zeigt sich in der phänomenologischen Perspektive auf Bildung. Phänomenologische Erziehungswissenschaft stellt einen Teilbereich der Erziehungswissenschaft dar, in dem sich eine schwer überschaubare Vielzahl an Beiträgen und Perspektiven befinden, darunter auch bildungstheoretische Abhandlungen.7 Allerdings ist ein gemeinsamer Zugang nicht auszumachen. »Den meisten Ansätzen gemeinsam ist der deskriptive Zugang zur pädagogischen Erfahrung, der um hermeneutische und sozialwissenschaftliche Methoden ergänzt wird. Phänomenologische Zugänge sind dabei nicht auf einen Nenner zu bringen.«8 Eine Betrachtung bedeutender Beiträge zeigt, dass phänomenologische Erziehungswissenschaft sich vor allem mit Erziehung, Bildung und Lernen als pädagogische Begriffe beschäftigt, allerdings diese Begriffe innerhalb der phänomenologischen Erziehungswissenschaft nicht einheitlich verwendet. So setzt Käte Meyer-Drawe den Begriff Lernen auf einer Ebene an, welche auch die Wahrnehmung und Reflexion der Strukturiertheit und Prägung der eigenen Existenz umfasst.9 Mit dieser Grundausrichtung ihres Lernbegriffs steht ihre Auffassung von Lernen der existentialkritisch-phänomenologischen Perspektive von Egon Schütz auf Bildung nahe, der den »›anthropologischen Zirkel‹ als Grundmodus menschlicher Selbstverständigung«10 in den Mittelpunkt seines bildungstheoretischen Denkens stellt.11 Den Bildungsbegriff selbst meidet Meyer-Drawe aufgrund dessen Verbindung mit einem Selbstbegriff12 sowie Konzepten von Autonomie und Selbstgestaltung, die sie als Illusion betrachtet.13

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Entwicklung in klar abgegrenzter Weise zu verwenden. Ein Beispiel für diese Praxis stellt die Einteilung der Sektionen und Kommissionen innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft dar (vgl. Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 2022). Vgl. Krüger 2012, 119; für einen Überblick vgl. Krüger 2012, 119–126 und Brinkmann 2017c. Brinkmann 2018. Vgl. Meyer-Drawe 2008, 14–15; vgl. auch Meyer-Drawe 2015. Brinkmann 2017c, 31. Für eine pointierte Zusammenfassung Egon Schütz’ bildungstheoretischer Position vgl. Brinkmann 2017c, 31–32. Vgl. auch Kap. 2.5 und Kap. 6.1.2. Vgl. Meyer-Drawe 1999. Vgl. Meyer-Drawe 1990.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Die verschiedenen Zugänge phänomenologischer Perspektiven in der Erziehungswissenschaft verdeutlichen, dass keine einheitliche Auffassung zum Gegenstandsbereich von Bildung in der phänomenologischen Erziehungswissenschaft besteht. Eine grundlagentheoretische Bestimmung der Begriffe Erziehung, Bildung und Lernen ist nötig und steht noch aus.14 Diese beispielhafte Darstellung, wie unterschiedlich der Bildungsbegriff verstanden und benutzt wird, legt es nahe, den Bedeutungsgehalt von Bildung in Auseinandersetzung mit zentralen bildungstheoretischen Perspektiven und anderen Grundbegriffen menschlicher Entwicklung herauszuarbeiten, um auf dieser Basis eine eigene Auffassung von Bildung zu entwickeln. Eine solche Auseinandersetzung kann in dieser Arbeit nur auf einer allgemeinen Ebene15 und nicht in der dargestellten Komplexität für den erziehungswissenschaftlichen Diskurs vorgenommen werden. Zunächst möchte ich bedeutende bildungstheoretische Perspektiven16 vorstellen, um die bereits skizzierte Perspektive auf Bildung einzuordnen. Bei dieser Einordnung geht es nur um eine semantische Bestimmung des Phänomens Bildung, auch wenn die philosophische Beschäftigung mit dem Phänomen Bildung viel umfangreicher ist.17 In dieser Bestimmung fokussiere ich mich auf die deutschsprachige Literatur zum Bildungsbegriff und ergänze diesen nur an ausgewählten Stellen mit fremdsprachigen Beiträgen,18 da es für den deutschen Begriff Bildung kein hinreichend nahekommendes Äquivalent in anderen Sprachen gibt.19 14 15 16 17

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Vgl. Brinkmann 2017c, 34. Vgl. Kap. 2.2-2.5 und 3. Für einen umfangreichen systematischen Überblick zur Theorie der Bildung vgl. Wiersing 2015. Vgl. Peters 1968, 18–19; als Bereiche der Bildungsphilosophie nennt Peters neben der Begriffsanalyse zur semantischen Bestimmung des Bildungsbegriffs die ethischen/sozialphilosophischen Fragen in Bezug auf Bildung, epistemische und erkenntnistheoretische Fragestellung im Feld der Bildungsforschung sowie Fragen zum pädagogischen Wert von philosophischen Themen für den Unterricht (vgl. auch Stojanov 2017, 55–56). Für eine umfangreiche philosophische Auseinandersetzung mit dem Begriff education vgl. Noddings 1998, Curren 1998 und 2003, Blake u.a. 2003, Winch/Gingell 2008, Siegel 2009 und 2018, Haynes u.a. 2015 und Siegel u.a. 2018. Vgl. Lichtenstein 1966, 3, Vierhaus 1972, 508, Hastedt 2012b, 7 oder Wiersing 2015, 19; einen passenden äquivalenten Begriff zu finden ist äußerst schwierig (vgl. auch Lerch 2010, 48), wie Koselleck umfangreich ausführt: »Wird Bildung mit ›education‹ im Englischen oder Französischen übersetzt, so gewinnt jener Aspekt der Ausbildung ein Übergewicht, der vom Bildungsbegriff im Sinne der Selbstbildung gerade ausgeschlossen

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

Als wichtige Auffassungen im bildungstheoretischen Diskurs der Moderne20 möchte ich im Folgenden auf den neuhumanistischen Bildungsbegriff, bildungstheoretische Überlegungen im Umfeld der kritischen Theorie, poststrukturalistische Perspektiven auf Bildung und die phänomenologisch-existentialkritische Bildungstheorie eingehen.21

2.2 Der neuhumanistische Bildungsbegriff Ein zentrales Bildungsverständnis der Moderne, auf welches viele nachfolgende Auseinandersetzungen mit Bildung Bezug nehmen, formulierte Wilhelm von Humboldt. In seiner neuhumanistischen Bildungstheorie entwickelt er bestehende Überlegungen zum Phänomen Bildung weiter und nimmt vor

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wird. ›Self-education‹ ist ein Kunstwort geblieben und nähert sich dem Sinn des Autodidakten. Das von Shaftesbury geprägte Wort ›self-formation‹ […] kommt unserem Bedeutungsgehalt vielleicht am nächsten.« (Koselleck 1990b, 14; für weitere Übersetzungsmöglichkeiten des Bildungsbegriffs vgl. Koselleck 1990b, 14–15 und Wiersing 2015, 30–31). Die Schwierigkeit, den Bildungsbegriff in andere Sprachen zu übersetzen, zeigt sich auch in der Verwendung des Begriffs Bildung und die Beschäftigung mit diesem in fremdsprachigen Veröffentlichungen (vgl. Koselleck u.a. 2006, 109 und Lerch 2010, 48; für Beispiele der Übernahme des Bildungsbegriffs in englischen Veröffentlichungen vgl. Rorty 1980, 359, Winch/Gingell 2008, 23–25, Løvlie/Standish 2002, Horlacher 2016 oder Stojanov 2018). Den Diskurs zum modernen Bildungsbegriff lasse ich mit Wilhelm von Humboldt beginnen, da seine Auffassung den aktuellen Bildungsdiskurs mitinitiiert hat, als zentraler Angelpunkt fungiert und als wichtige Referenztheorie angesehen wird. Zur Entwicklung des Bildungsbegriffs vor Humboldt, fokussiert auf das Moment der Selbstbestimmung, vgl. Kap. 6.1.1. Auf andere wichtige bildungstheoretische Strömungen wird im Umfang dieser Arbeit nicht eingegangen. Zu nennen sind hier vor allem pragmatistische (vgl. Nohl 2001 und 2006, Witt 2003, Tröhler/Oelkers 2005, Oelkers 2009 und Nohl u.a. 2015) und feministische (vgl. Lemmermöhle u.a. 2000, Heinrichs 2001, Felden 2003, Borst 2003 und Ortner 2006) Überlegungen zu Bildung. Auch auf den bildungstheoretischen Gehalt von den pädagogischen Strömungen der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik (vgl. Benner 1973, 203–230, Borst 2009, 91–107, Horlacher 2011, 66–80, Krüger 2012, 17–36 und Wiersing 2015, 27–29) und der Reformpädagogik (Oelkers 2005 und Idel/Ulrich 2017) wird aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit nicht eingegangen, weil der Schwerpunkt dieser Strömungen in der Frage nach dem pädagogischen Wirken und der Erziehung liegt.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

allem die organologische und aufklärerisch-pädagogische Bedeutungsfacette des damaligen Bildungsverständnisses in seine Auffassung von Bildung auf.22 Das Besondere am neuhumanistischen Konzept von Bildung besteht vor allem darin, dass Humboldt erstmals Bildung als individuelle Entwicklung in Wechselwirkung zwischen Individuum und Welt verstand23 und er diese Auffassung als Sektionschef für Kultus und öffentlichen Unterricht im preußischen Innenministerium24 gleichzeitig mit einem Bildungssystem verknüpfte, welches Allgemeinbildung in der Form eines Bildungskanons fest im Bildungsbegriff verankerte.25 Diese Doppelseitigkeit von bildungstheoretischen Überlegungen und praktischem Bildungsprogramm spiegelt sich auch in seinem Bildungsverständnis wider, wenn er explizit von zwei »Bildungen« spricht, der allgemeinen Bildung und der speziellen Bildung, d.h. Ausbildung.26 Zentraler Ausgangspunkt seiner Überlegungen zum Bildungsbegriff ist dabei die Grundannahme, dass der Mensch Kräfte in sich trägt.27 »Kraft ist für Humboldt das Urprinzip alles Seienden.«28 Diese Kräfte, verstanden als tätige Vermögen, aber auch Entwicklungspotential eines Individuums,29 sind für ihn das, was im Menschen gebildet werden soll und somit zentraler Gegenstand von Bildung ist. »Der Begriff ›Kräfte‹ bezieht sich auf die Vermögen zu erkennen, zu handeln und zu urteilen, aber auch darauf, Gegenstände herzustellen oder sie schöpferisch zu gestalten.«30 Über die Annahme hinaus, dass jeder Mensch Kräfte in sich trägt, geht Humboldt davon aus, dass jeder Mensch ein angelegtes Bedürfnis, d.h. eine

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Zum Bildungsbegriff vor Humboldt, dargestellt mit dem Fokus auf die historische Verbundenheit von Bildung und Selbstbestimmung, vgl. Kap. 6.1.1. Vgl. Koller 2009a, 19 und Borst 2009, 61. Diese Funktion übte Humboldt nur ein gutes Jahr (1809/1810) lang aus (vgl. Koller 2012a, 12 und Dörping-haus u.a. 2013, 67). Beide Aspekte, das organologische Verständnis von Bildung sowie die Formulierung eines Bildungskanons, gab es schon vor Humboldt (vgl. Kap. 6.1.1), allerdings nicht in dieser institutionellen Verknüpfung mit einem Bildungssystem. Vgl. Humboldt 1809/1966, 29–30; vgl. auch Grunert 2012, 29. Vgl. Humboldt 1803/1981, 205; vgl. dazu (auch bzgl. Humboldts Anschluss mit dem Kraftbegriff an Leibniz’ Metaphysik) Menze 1965 (96–105), 1972 (6–7) und Menze 1975 (15–16 und 28–29) und Borst 2009, 67–68. Menze 1965, 96. Vgl. Koller 2012a, 11. Dörpinghaus u.a. 2013, 69.

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

intrinsische Motivation31 in sich trägt, sich bilden und seine individuellen Anlagen entfalten zu wollen.32 Bildung wird auf der Basis dieser Annahmen als Persönlichkeitsentwicklung verstanden, in der ein Individuum seine Anlagen entfaltet:33 »Im Mittelpunkt aller besonderen Art der Thätigkeit nemlich steht der Mensch, der ohne alle, auf irgend etwas Einzelnes gerichtete Absicht, nur die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will.«34 Humboldt nimmt darüber hinaus an, dass der Mensch »ein in Freiheit selbsttätiges Wesen, das seine Verhältnisse gestalten und umgestalten kann«35 , ist. Bildung wird als aktive Leistung des Subjekts aufgefasst.36 »Humboldt denkt den Menschen und seine Bildung nicht aus der Perspektive gesellschaftlicher Anforderungen an das Individuum, sondern als selbstbestimmte Tätigkeit.«37 Unter der Bedingung der Freiheit ist Bildung für ihn ein Prozess, der aktiv vom Subjekt selbst durchschritten werden muss.38 »Bildung ist daher nicht von außen zu bewirken, sondern nur durch den Einzelnen zu leisten.«39 Humboldt hat über diese Grundannahmen zum Menschen hinaus eine konkrete Vorstellung davon, was das Ziel eines jeden Menschen ist und wie dieses Ziel erreicht werden kann: »Die letzte Aufgabe unsres Daseyns: dem Begriff der Menschheit in unsrer Person […] einen so grossen Inhalt, als möglich, zu verschaffen, diese Aufgabe löste sich allein durch die Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung.«40 Vor dem Hintergrund dieser Auffassung vom zentralen Ziel eines jeden Individuums lässt sich auch die berühmte Formel der humboldtschen Bildungsauf-

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Vgl. Grunert 2012, 29. Vgl. Menze 1965, 102 sowie Lederer 2008, 13 und 2015, 49. Vgl. Prüwer 2009, 16–17. Humboldt 1793/1960, 235. Dörpinghaus u.a. 2013, 72. Vgl. Humboldt 1793/1960, 237; vgl. auch Grunert 2012, 29 und Dörpinghaus u.a. 2013, 69. Wigger 2007, 174; vgl. auch Koller 2004, 74–75. Vgl. Humboldt 1792/1960, 64. Dörpinghaus u.a. 2013, 72. Humboldt 1793/1960, 235–236.

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fassung gut verstehen: »Der wahre Zwek des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen.«41 Entscheidend für dieses Bildungsziel der Stärkung und Entfaltung der eigenen Kräfte ist für Humboldt die Auseinandersetzung mit der Welt. »Da jedoch die blosse Kraft einen Gegenstand braucht, an dem sie sich üben, und die blosse Form, der reine Gedanke, einen Stoff, in dem sie, sich darin ausprägend, fortdauern könne, so bedarf auch der Mensch einer Welt ausser sich. Daher entspringt sein Streben, den Kreis seiner Erkenntniss und seiner Wirksamkeit zu erweitern«42 . Das Streben, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, entwickelt sich für Humboldt somit aus dem veranlagten Bedürfnis heraus, seine Anlagen und Fähigkeiten zu entfalten. Das Ziel der Auseinandersetzung mit der Welt kann deshalb in Humboldts Bildungsauffassung klar dem zentralen Bildungsziel zugeordnet werden, dass der Mensch seine individuellen Anlagen entfaltet.43 Das eigentliche Interesse für den Menschen, sich in Auseinandersetzung mit der Welt zu bilden, besteht nicht an der Aneignung von Wissen über die Welt,44 »sondern nur an seiner inneren Verbesserung und Veredlung, oder wenigstens an der Befriedigung der innern Unruhe, die ihn verzehrt. Rein und in seiner Endabsicht betrachtet, ist sein Denken immer nur ein Versuch seines Geistes, vor sich selbst verständlich, sein Handeln ein Versuch seines Willens, in sich frei und unabhängig zu werden«45 .

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Humboldt 1792/1960, 64. Humboldt 1793/1960, 235. Vgl. Schütz 1975, 64–65 und Poenitsch 1992, 25–26. Anders interpretiert Wigger die angeführten Texte Humboldts. Er ist der Meinung, dass Humboldts Auffassung, dass der Mensch seinem Dasein durch die allgemeinste, regeste und freieste Wechselwirkung mit der Welt möglichst großen Inhalt verschaffen soll, dahingehend zu interpretieren ist, dass die Aneignung von Welt nicht als bloßes Mittel verstanden werden kann (vgl. Wigger 2007, 174). Vgl. Humboldt 1793/1960, 237; vgl. auch Lederer 2015, 49. Humboldt 1793/1960, 235.

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

Die Auseinandersetzung des Individuums mit der Welt versteht Humboldt dabei als Wechselwirkung und Kreis46 und kann als dialektischer Prozess zwischen Individuum und Welt beschrieben werden.47 Humboldt ist wichtig, dass das Individuum sich in der Auseinandersetzung mit der Welt nicht verliert, sondern sich auch von der Welt berühren lässt und »das erhellende Licht und die wohlthätige Wärme in sein Innres zurückstrale.«48 In einem solchen wechselseitigen Verhältnis zwischen Individuum und Welt kann jede Erweiterung des Weltverhältnisses als Auswirkung auf das Individuum und jede Weiterentwicklung des Individuums auch als Veränderung seines Zugangs zur Welt und seiner Weltsicht verstanden werden.49 Durch diese Wechselseitigkeit kann der Bildungsgedanke Humboldts als lebenslange, unabschließbare und zukunftsoffene Aufgabe verstanden werden,50 da die Auseinandersetzung mit der Welt als Wechselwirkung keine Grenze kennt.51 Die Verknüpfung des Ichs mit der Welt in einer Wechselwirkung beschreibt Humboldt auf teilweise gegensätzliche Weise. Zum einen gibt er einen konkreten Ausschnitt von Welt vor, an dem Bildung erfolgen soll, und umreißt damit einen klaren Rahmen für die Auseinandersetzung mit der Welt. Für Humboldt spielt Bildung als allgemeinbildender Kanon eine wichtige Rolle. Dafür macht er sich in seinem bildungspolitischen Programm stark und nennt diesen vorgegebenen Rahmen von Bildung auch in seinen theoretischen Abhandlungen, wenn er beispielsweise die Auseinandersetzung mit der Antike, die er für ein gutes Vorbild für das Leben zu seiner eigenen Zeit hält, als wichtigen Bildungsinhalt nennt.52 Zum anderen beschreibt Humboldt die Erschließung der Welt als offen und verschieden realisierbar. Er stellt heraus, dass die Erfahrungen des Menschen mit der Welt mannigfaltig sein müssen.53 »Man kann die Welt nie von genug Sei-

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Vgl. Humboldt 1793/1960, 235–237; vgl. auch Menze 1975, 29 und Poenitsch 1992, 27–28 und 30–31. Vgl. Wagner 1995, 27–28. Humboldt 1793/1960, 237. Vgl. Menze 1975, 29 und Dörpinghaus u.a. 2013, 70. Vgl. Wigger 2007, 174; vgl. auch Benner 2003, 52–53. Vgl. Dörpinghaus u.a. 2013, 70. Vgl. Humboldt 1793/1961, 1–24; vgl. auch Dörpinghaus u.a. 2013, 67 und 69 sowie Hastedt 2012b, 14; vgl. bezüglich Humboldts Griechenlandbild auch Borst 2009, 85–87 und in sehr ausführlicher, detaillierter und differenzierter Weise Menze 1965, 154–170. Vgl. Humboldt 1792/1960, 64 und Humboldt 1793/1960, 237; vgl. auch Menze 1965, 134–137, Wagner 1995, 31–33 und Koller 2009b, 38.

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ten angreifen, und es ist so schlimm, wenn der Mensch in ewigem Einerlei versinkt, und immer nur über dem brütet, was er seit Jahren gethan hat.«54 Humboldt versteht die Vielfältigkeit in der Auseinandersetzung mit der Welt quantitativ und qualitativ vor allem als Beschäftigung mit unterschiedlichen Inhalten.55 Gerade vor dem Hintergrund seiner Überzeugung, dass Bildung eine Wechselwirkung zwischen Individuum und Welt ist, die eine Begegnung des Individuums mit der Totalität der Welt darstellt,56 kann in Humboldts Bildungsauffassung vor allem die Bedeutung der Pluralität der Erfahrungen für Bildung betont werden. Aber auch vor dem Hintergrund seiner Sprachtheorie ist die Erschließung der Welt als offener Prozess zu betrachten.57 Sprache gilt Humboldt als das Medium der Welterschließung und Element, in dem Mensch und Welt wechselseitig verwoben sind. Eine neue Sprache kennenzulernen oder zu erlernen bedeutet für ihn deshalb, eine neue Weltsicht eröffnet zu bekommen. Sprache ist für ihn deshalb ein zentrales Element für die Bildung eines Individuums. Im Lichte dieser sprachphilosophischen Ansichten kann sein bildungstheoretischer Ansatz auch dahingehend verstanden werden, dass die Kräfte des Menschen ganz verschiedene Formen annehmen können.58 Die Beschreibung von Bildung als Stärkung der Kräfte des Individuums in Auseinandersetzung mit der Welt, um vor sich verständlich und als Mensch frei zu werden, stellt eine neue Qualität in der Bestimmung von Bildung dar. Die verschiedenen Momente sind bildungstheoretisch schon früher miteinander verbunden worden,59 allerdings mehr als eine Bestimmung des Menschen durch die Vernunft wie bei Kant,60 oder als pädagogische Anleitung wie bei 54 55 56 57 58

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Humboldt 1806/1849, 9 (Brief vom 23.7.1806). Vgl. Poenitsch 1992, 29. Vgl. Menze 1975, 29–30. Vgl. Humboldt 1800/1981, 195–200; zur Verbindung von Sprach- und Bildungstheorie bei Humboldt vgl. auch Menze 1965, 203–265 und Koller 1999, 65–93. Vgl. Humboldt 1800/1981, 197; vgl. auch Koller 2012a, 12–14 und Dörpinghaus u.a. 2013, 73–75. Das Moment der Pluralität in der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit ist stärker beim neuhumanistischen Bildungsbegriff Herders zu finden, der weniger die Antike als Vorbild für das heutige Leben und dort den Maßstab für Bildung setzt, sondern beispielsweise die Auseinandersetzung mit Reiseerfahrung als bildend thematisiert (vgl. Hastedt 2012b, 14). Zur Auseinandersetzung Herders mit dem Phänomen Bildung vgl. Welter 2003 und Greif u.a. 2016, 595–622 und 711–722. Vgl. Dörpinghaus u.a. 2013, 54. »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

Rousseau.61 Humboldt stellt die Wechselwirkung mit der Welt als entscheidendes Moment heraus und leitet so ein modernes Verständnis von Bildung auch dahingehend ein, dass er Bildung als zukunftsoffenen Prozess, der durch plurale Erfahrungen gekennzeichnet ist, beschreibt. Er führt dabei umfassend aus, welcher Prozesse es für die Erlangung von Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung aus seiner Perspektive bedarf. Die humboldtsche Auffassung von Bildung wurde allerdings vielfältiger Kritik unterzogen, von denen drei wichtige Aspekte hier genannt werden:62 a) Ein wichtiger Kritikpunkt lautet, dass Humboldt die gesellschaftlichen Bedingungen der Entwicklung eines Individuums zu wenig berücksichtige.63 »Was Humboldt im Gegensatz zu bildungstheoretischen Überlegungen des 20. Jahrhunderts kaum expliziert, ist die Bedeutung, die Sozialität und Intersubjektivität im Bildungsprozess spielen.«64 Dies ist auch der zentrale Kritikpunkt der

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bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!, ist also der Wahlspruch der Aufklärung.« (Kant 1784/1994, 55) Rousseau beschreibt in seiner pädagogischen Schrift »Émile oder Über die Erziehung« mehr einen Begriff der Erziehung als der Bildung, da schon die Anlage der Situation eine zwischen Erzieher und Zögling ist (vgl. Rousseau 1762/1963). Zwar betont Rousseau auch die freie Entfaltung des Zöglings und das Ziel, seinen eigenen Werdegang selbst zu bestimmen und sich selbst zu einem selbstbestimmten Menschen zu bilden (vgl. Menze 1975, 14), stellt aber gerade hinsichtlich der Moral bzw. Weltanschauung heraus, dass es Anleitung bedarf (vgl. zu dieser Spannung bei Rousseau Hansmann 2013, insbesondere 138–165). Zu Rousseaus pädagogischem Denken insgesamt vgl. Schäfer 2002. Koller nennt an anderer Stelle als weitere Kritikpunkte, dass a) »die höchste proportionierlichste Bildung der Kräfte zu einem Ganzen« keine passende und realistische Zielsetzung für das 20. Jh. sei, b) dieses Bildungsverständnis zu einem Instrument sozialer Distinktion wurde und deshalb zu unpolitisch ist und c) dieser Bildungsbegriff zu vage und vieldeutig ist (vgl. Koller 2004, 94). Vgl. Koller 2010, 288. Ein Gegenbeispiel, dass Humboldt sehr wohl die Gesellschaft als Bedingung für Bildung hält, ist sein Hinweis, dass Gesellschaft notwendige Bedingung für Sprache ist, die er zentral für Bildung hält (Vgl. Humboldt 1827/1981, 267). Gerade auch seine Überzeugung, dass das Lernen von Sprachen bildend ist, ist in der Hinsicht zu betrachten, dass damit die in der eigenen Prägung geformte Weltsicht erweitert wird (vgl. Menze 1975, 43–45). Grunert 2012, 31. Grunert verweist allerdings auf seine Betonung der Sprache als vermittelndes Medium von Welt (vgl. Grunert 2012, 31).

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Bildungstheorie im Umfeld der kritischen Theorie am neuhumanistischen Bildungsbegriff Humboldts.65 b) Darüber hinaus wird der neuhumanistische Bildungsbegriff wegen seiner normativen Ausrichtung als theoretisches Konzept kritisiert, das bloße Forderungen für die Entwicklung von Menschen enthält und ungeeignet ist, durch empirische Bildungsforschung überprüft zu werden.66 c) Außerdem ist das Erschließen der Welt anhand eines Bildungskanons, das auch heute noch als Auffassung von Bildung vertreten wird,67 ein Kritikpunkt an Humboldts Bildungsbegriff. Dabei wird vor allem kritisiert, dass Bildung als starre und fest umrissene Ansammlung von Inhalten gefasst wird, die zu bloß gewussten Fakten wird und lediglich als Distinktionsaspekt zu anderen Gesellschaftsschichten benutzt wird.68 In dieser Kritik werden allerdings einzelne Aspekte seiner Bildungstheorie isoliert, teilweise überspitzt und aus dem Kontext gerissenen dargestellt, da Humboldt mit seiner Konzeption von Bildung dieses Ziel nicht ausgibt. Vielmehr versteht er Bildungsprozess als Wechselwirkung von Ich und Welt, d.h. als offene Auseinandersetzung mit und Ausrichtung auf die Welt, was seine Beschreibung von Bildung als allgemeinste, regeste und freieste Wechselwirkung verdeutlicht.69 Allerdings lässt sich die Spannung zwischen fest definiertem Bildungsziel und individueller Entfaltung in Humboldts Schriften nicht von der Hand weisen. Die beiden Pole, dem Begriff der Menschheit in seiner Person Ausdruck zu

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Vgl. Borst 2009, 122; vgl. auch Kap. 2.3. Auch für die poststrukturalistische Bildungstheorie ist dies ein zentraler Kritikpunkt am neuhumanistischen Bildungsbegriff (vgl. Kap. 2.4). Vgl. Koller 2010, 288–289. Vgl. Schwanitz 2004. Diesen stark kanonischen Gedanken erhält der neuhumanistische Bildungsbegriff erst im Nachhinein durch Abstraktionen von seinem Begriffsumfang und die Verwendung im Bürgertum, sich durch »Bildung« sowohl zum Adel als auch zu unteren Schichten abzugrenzen. Allgemeinbildung wird dadurch, dass sie gerade nicht allgemein zugänglich ist, als Kriterium der sozialen Abgrenzung verwendet, die bestimmte Gruppen ausschließen soll (vgl. auch Koller 2004, 94, Lederer 2008, 13, Borst 2009, 111–112 und Prüwer 2009, 17). Dies ist die Funktion von kanonischer Bildung, die später beispielsweise durch Schopenhauer (vgl. Schopenhauer 1851/1985, 277–289), Nietzsche (vgl. Nietzsche 1872/1997, 175–263; vgl. auch Poenitsch 1992, 73–81) oder Adorno (vgl. Adorno 1959/1972) kritisiert wird. Vgl. Humboldt 1793/1960, 235–236.

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

verleihen und keinem starr vorgegebenen Bild nachzueifern, können als spannungsreiches Moment in Humboldts Denken angesehen werden, das sich an verschiedenen Stellen seines Werkes zeigt und ihn selbst beschäftigte.70 Die neuhumanistische Bildungstheorie Humboldts kann insgesamt als Grundstein des heutigen Bildungsverständnisses gesehen werden, das Bildung als Herstellung eines Welt- und Selbstverhältnisses in einem wechselseitigen Prozess zwischen Individuum und Welt definiert, grundsätzlich offen ist und das Individuum zu persönlicher Selbstbestimmung führt.

2.3 Bildungstheoretische Überlegungen im Umfeld der Kritischen Theorie Die Auseinandersetzung mit dem Bildungsbegriff im Umfeld der Kritischen Theorie hat ihren Schwerpunkt in der Betrachtung der Rolle gesellschaftlicher Verhältnisse für die Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses eines Individuums:71 »Der Begriff der Bildung steht in der Tradition Kritischer Theorie für das Interesse, die Entwicklung der Selbstbewu[ss]tseins- und Selbstbestimmungsfähigkeit jedes Individuums als Moment einer vernünftigen Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse zu begreifen«72 . Aus der Perspektive der Kritischen Theorie wird deshalb an anderen Thematisierungen von Bildung vor allem kritisiert, dass diese gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnisse ausgeblendet werden.73 Nach Theodor W. Adorno und Max Horkheimer verlangt Bildung einen Prozess, in dem sich das Subjekt dem Objekt voll und ganz hingibt und sich auf dieses einlässt, wodurch erst ein Prozess der Wechselwirkung von Subjekt und Objekt zustande kommt.74 »Gebildet wird man nicht durch das, was man ›aus sich selbst macht‹, sondern einzig in der Hingabe an die Sache, in der intellektuellen Arbeit 70

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Vgl. Schütz 1975, 67; ein gutes Beispiel für diese Spannung ist die gleichzeitige Erwähnung dieser beiden Elemente, wenn er über den Endzweck des Menschen und die Bildung auf diesen Zweck hin spricht (vgl. Humboldt 1792/1960, 64–65). Ein anderer wichtiger Aspekt ist das Problematisieren von rationalem Denken (vgl. Felden 2003, 31–32). Scherr 1992, 108. Vgl. Felden 2003, 64. Vgl. Felden 2003, 37–38.

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sowohl wie in der ihrer selbst bewu[s s]ten Praxis. […] Mit dem Aneignen ist es nicht getan. Wer nicht aus sich herausgehen, sich an ein Anderes, Objektives ganz und gar verlieren und arbeitend doch darin sich erhalten kann, ist nicht gebildet, und der sogenannte Gebildete, der dazu unfähig ist, wird stets Male einer Beschränktheit und Befangenheit aufweisen, die seinen eigenen Anspruch auf Bildung Lügen strafen.«75 Ein Prozess, der nur eine oberflächliche Auseinandersetzung des Subjekts mit Objekten darstellt oder durch instrumentelle Formen der Rationalität bestimmt ist, vereitelt diesen dialektischen Prozess zwischen Subjekt und Objekt und wird als Halbbildung bezeichnet.76 »In diesem Sinne kann als das wesentliche Merkmal von Halbbildung die prinzipielle Unfähigkeit, Erfahrungen zu machen, konstatiert werden«77 . Die Voraussetzung dafür, dass ein Einlassen eines Subjekts auf Objekte, d.h. Bildung stattfinden kann, wird in den gesellschaftlichen Verhältnissen gesehen, die Adorno und Horkheimer zu ihrer Zeit nicht für gegeben hielten. Eine Kulturindustrie propagiere bloßen Konsum und schaffe Verhältnisse, die Bildungsprozesse des Sich-Einlassens auf Objekte verhindere.78 Auch anerkennungstheoretische Perspektiven stellen die Rolle der gesellschaftlichen bzw. äußeren Bedingungen in den Mittelpunkt ihrer bildungstheoretischen Überlegungen. Sie weisen auf die intersubjektive Anerkennung und die gesellschaftlichen Bedingungen für diese Anerkennung als bedeutende Grundlagen im Prozess der Subjektkonstituierung hin,79 welche einen zentralen Bestandteil von Bildungsprozessen darstellt. In der Auseinandersetzung mit Bildung im Umfeld der Kritischen Theorie wird Bildung somit vor allem unter dem zentralen Element der Kritischen Theorie thematisiert, dass Erfahrung ein gesellschaftlich vermittelter Prozess ist, und dem grundlegenden bildungstheoretischen Moment, dass Bildung ein geistig-reflexiver und sinnlich-ästhetischer Erfahrungsprozess ist.80 Aber auch die Beschäftigung damit, Individuen durch Bildung dazu zu bringen,

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Horkheimer 1952/1985, 415. Vgl. Adorno 1959/1972. Rühle 2016, 51. Vgl. Felden 2003, 38; vgl. auch Horkheimer/Adorno 1944/1981, 141–191. Vgl. Stojanov 2006, 107–162 und 2011, 67–81; vgl. auch Borst 2003, 184–198. Vgl. Rühle 2016, 49.

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

gesellschaftliche Rahmenbedingungen selbst zu erzeugen, ist Teil bildungstheoretischen Denkens, das sich auf die Kritische Theorie bezieht.81 Aus der Perspektive der Kritischen Theorie und besonders unter dem Begriff der Halbbildung wird allerdings auch der Aspekt thematisiert, dass ausbleibende Bildung u.a. am Individuum selbst liegt. »Halbbildung [beschreibt] eine Haltung der vollständigen Identifikation des Subjekts mit den vorgegebenen Ideologemen der Kulturindustrie.«82 Die beschriebene Fremdbestimmung eines Individuums durch die Kulturindustrie zeugt neben der Beschaffenheit der Gesellschaft auch von mangelnder Reflexivität bei diesem Individuum. Es leistet den aktuellen Verhältnissen Vorschub, indem es ohne eigene aktive reflexive Haltung und Distanz diesen Verhältnissen gegenübertritt, und trägt so seinen Teil zur eigenen Fremdbestimmung bei. Gerade diese Reflexivität und Distanzleistung gegenüber den vorherrschenden Bedingungen werden in verschiedenen Beschreibungen von Bildung als zentrale Merkmale von Bildung herausgestellt.83 Auch Adorno selbst spricht Reflexion als Aspekt von Bildung an, als er versucht, eine Möglichkeit zu formulieren, am Bildungsbegriff festzuhalten: »Sie [die Bildung] hat aber keine andere Möglichkeit des Überlebens als die Kritische Selbstreflexion auf die Halbbildung, zu der sie notwendig wurde.«84 »Es gilt, die Verselbstständigung des Geistes gegenüber der Gesellschaft sowohl zu kritisieren als auch in ihren Möglichkeiten aufzugreifen und als Ausdruck heutiger gesellschaftlicher Verhältnisse wahrzunehmen.«85 Dieses Moment der Reflexion beschreibt Adorno näher in seiner »Negativen Dialektik«, in welcher er mit dem dialektischen Denken versucht, die im identifizierenden Denken ausgeschlossene Bedeutung mitzureflektieren und dadurch das Nichtidentische mitzudenken.86 In dieser Ausführung wird Bildung als ein individueller Prozess beschrieben, der immer mehr ist als ein Prägungsprozess unter günstigen gesellschaftlichen Verhältnissen. Durch das Wahrnehmen der eigenen Denkstrukturen und Ansichten das zu erschließen,

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Vgl. Klafki 2007, 48–81. Rühle 2016, 51. Vgl. Dörpinghaus 2009, 6 und 12. vgl. auch Kap. 3.6. Adorno 1959/1972, 121. Felden 2003, 39; vgl. auch Adorno 1959/1972, 121. Vgl. Adorno 1966/1973, 17; vgl. dazu auch Felden 2003, 39–40 und Thompson 2009, 102–145.

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was ausgeschlossen bzw. nicht mitgedacht wird, ist ein Prozess, in dem die eigenen Strukturen erkennbar werden, innerhalb derer sich das eigene Denken bewegt.87 Es ist eine aufmerksame Offenheit gegenüber den Gegebenheiten, die auch eine Distanzleistung des Subjekts zum Gegebenen erfordert. Es ist allerdings kein Prozess zwischen Gesellschaft und Subjekt, sondern ein Vorgang, in dem das Subjekt sich gegenüber den gesellschaftlichen Strukturen verhält und über diese hinausgeht. Dieses Moment von Bildung wird auch in der Kritischen Bildungstheorie thematisiert, wie es in Schriften Heinz-Joachim Heydorns zu Bildung zu finden ist.88 Insgesamt kann allerdings konstatiert werden, dass bildungstheoretische Perspektiven im Umfeld der Kritischen Theorie die Konstituierung des Weltund Selbstverhältnisses eines Individuums vor allem in ihrer Abhängigkeit von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen thematisiert und die Möglichkeiten für ein Individuum, das eigene Welt- und Selbstverhältnis aktiv und selbstbestimmt zu gestalten, weniger stark zum Gegenstand der Betrachtung macht.

2.4 Poststrukturalistische Perspektiven auf Bildung Eine weitere wichtige Strömung im bildungstheoretischen Diskurs ist die poststrukturalistische Perspektive auf Bildung.89 Unter poststrukturalistischer Perspektive wird am Konzept Bildung vor allem der Ausgangspunkt eines Bildungssubjekts, das sich selbst bestimmen und bilden kann, einer radikalen Kritik unterzogen,90 auch wenn die poststrukturalistischen Perspektiven im Themenfeld von Bildung vielfältig sind.91

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Vgl. zu diesem Aspekt und zum Verständnis von Bildung als Geltendmachen des Nichtidentischen in der Negativen Dialektik Koller 1999, 123–142. Vgl. Heydorn 1970, 10 und Heydorn 1972, 10–11; vgl. auch Borst 2009, 158 und Bernhard 2014, 84–89. Dieser Blickwinkel wird teilweise innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Postmodernediskussion thematisiert, ist aber nicht deckungsgleich mit diesem, da postmoderne Perspektiven umfangreicher sind als poststrukturalistische Positionen und auch andere Denkrichtungen diskutieren (vgl. dazu Ehrenspeck 2001, 26–27). Für einen Überblick zum Verhältnis von Postmoderne und Pädagogik vgl. Weber 2003, 155–248. Vgl. Koller 2001, 35–36. Für einen umfangreichen Überblick vgl. Ehrenspeck 2001, 26–28. Yvonne Ehrenspeck nennt als Themen der poststrukturalistischen Perspektive auf Bildung »Vernunft-,

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

Vor allem drei Aspekte können dabei ausgemacht werden, wie die Vorstellung eines selbstbestimmten Subjekts kritisiert wird:92 »[a] die Konstituierung des individuellen Subjekts im Verhältnis zu sich und zu anderen (Lacan), [b] die historische Hervorbringung von Subjekten durch bestimmte Machttechniken (Foucault) und [c] das Verhältnis des Subjekts zum Wissen und zur Sprache unter den Bedingungen der ›Postmoderne‹ (Lyotard).«93 a) Jacques Lacan kritisiert an der Annahme eines selbstbestimmten Subjekts, dass ein Subjekt grundsätzlich einen Anderen, ein Gegenüber braucht, um sich zu konstituieren.94 »Es ist der andere, in dem sich das Subjekt identifiziert und sogar allererst erfährt.«95 Die Annahme, ein selbstbestimmtes Subjekt zu sein, unterliegt einer doppelten Verkennung: »Das Subjekt verkennt zum einen, dass es keineswegs aus sich selbst heraus existiert, sondern sich der Identifikation mit einem andern […] verdankt. Und zum zweiten muss es, um sich überhaupt mit diesem anderen identifizieren zu können, gerade dessen Andersheit verkennen«96 . Die Autonomie des Subjekts ist durch die Andersheit des Anderen bedroht und kann nur durch Vereinnahmung oder strikte Abgrenzung vom Anderen aufrechterhalten werden, so Lacan.97 b) Michel Foucault stellt die Machtstrukturen und Machttechniken, unter denen Subjekte konstituiert werden, in den Mittelpunkt seiner Überlegungen

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Subjekt- und Identitätskritik, Ästhetik, Ethik, Geschichte, Simulation, Bildung [sic!] Macht, Geschlechterdifferenz« (Ehrenspeck 2001, 28). Für die Diskussion von Subjektkonzepten in Bildungstheorien vgl. auch Kap. 5.2. Koller 2001, 37–38; zur detaillierten Subjektkritik dieser drei Denker vgl. Koller 2001, 38–42. Zur aktuellen Subjektkritik in der aktuellen erziehungswissenschaftlichen Debatte, die im Anschluss an den Poststrukturalismus unter dem Begriff »Subjektivierung« geführt wird, vgl. auch Ricken u.a. 2019. Vgl. Heinrichs 2001, 66–67. Lacan 1946/1980, 158–159. Koller 2001, 38–39; vgl. auch Lacan 1949/1973 und Koller 2012a, 53. Vgl. Koller 2001, 39.

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und stellt mit dem Verweis auf diese Konstitutionsbedingungen die bildungstheoretische Grundannahme der Selbstbestimmungsfähigkeit infrage:98 »Autonomie ist für Foucault weder eine ursprüngliche Fähigkeit des Menschen noch Resultat fortschreitender Emanzipation, sondern vielmehr das Ergebnis einer Disziplinierung, die äußere Herrschaft ins Innere des Subjekts verlagert und dieses so zur Instanz seiner eigenen Unterwerfung macht.«99 Die Selbstbestimmung eines Individuums hält Foucault somit vielmehr für einen Ausdruck äußerer Machtstrukturen und Prägungen als für die freie Bestimmung eines Individuums über sich selbst. c) Jean-François Lyotard formuliert seine (postmoderne) Kritik an der Möglichkeit eines sich selbst bestimmenden Subjekts aus sprachphilosophischer Sicht. »Denn die Behauptung solcher Selbstbestimmung gründet in der Annahme, es gäbe eine Position, von der aus das Subjekt die widerstreitenden Sprachspiele oder Diskursarten beherrschen könnte, während es Lyotard zufolge realiter von diesen beherrscht wird.«100 Die immer schon vorangehende sprachliche Situiertheit von Subjektivität macht es damit unmöglich, dass das Subjekt sich in absoluter Hinsicht selbst bestimmen kann.101 Insgesamt stehen damit die Aufdeckung und Benennung verschiedener Formen und Techniken der Fremdbestimmung des Subjekts im Zentrum poststrukturalistischer Perspektiven auf Bildung.102 »Unter poststrukturalistischer Theorieperspektive wird vielmehr auf die Grenzen der Selbstreflexion des Bewusstseins verwiesen und gezeigt, dass die Einheit der Erfahrung die Bestimmungsmacht des Bewusstseins übersteigt.«103 So werden die

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Für eine Vertiefung der Infragestellung bildungstheoretischer Grundlagen durch Foucault vgl. Brinkmann 1999, im Besonderen 5–18. 99 Koller 2001, 41; vgl. auch Foucault 1987; für einen ausführlichen Überblick zu Foucaults bildungstheoretischen Implikationen vgl. Lüders 2007. Auch Judith Butler verweist in verschiedenen Schriften auf die unterschiedlichen Formen der Konstituierung des Subjekts durch Machtstrukturen (vgl. vor allem Butler 2001, 7–34, aber auch Butler 1991 und 1995; vgl. auch Rose 2012a (89–159) und 2012b). 100 Koller 2001, 42. 101 Vgl. Felden 2003, 47. 102 Vgl. Koller 2001, 42. 103 Ehrenspeck 2001, 28.

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

Prägungsprozesse von außen, welche die Entwicklung eines Individuums bestimmen, in den Mittelpunkt bildungstheoretischer Überlegungen gestellt. Trotzdem beschäftigen sich die angesprochenen poststrukturalistischen Ansätze auch damit, was es heißt, als Subjekt in der Welt zu sein. Sie beschreiben Prozesse, wie ein Subjekt die eigenen Möglichkeitsräume zur Selbstbestimmung ausfüllen kann, und setzen sich so mit Vorgängen auseinander, die in der anfangs skizzierten Auffassung von Bildung als zentrale Bestandteile von Bildungsprozessen bezeichnet wurden.104 So stellen das Bewusstmachen und Anerkennen des Begehrens bei Lacan105 , die Selbstformung im Sinne einer Ästhetik bzw. Kunst der Existenz106 und die Sorge um sich107 bei Foucault sowie die Anerkennung von Pluralität und Heterogenität von Sprachspielen wie auch das Erfinden und Ausdrücken neuer Diskursarten und Sätze bei Lyotard108 Prozesse dar, die im Subjekt stattfinden, eine Einnahme einer Innenperspektive auf die Welt und sich selbst enthalten und ein Sich-ins-Verhältnissetzen umfassen. Auch diese Überlegungen können als poststrukturalistische Thematisierungen von Bildung bezeichnet werden.

2.5 Phänomenologisch-existentialkritische Bildungstheorie Eine weitere wichtige bildungstheoretische Perspektive ist die phänomenologische Betrachtung von Bildung. Aus dem Bereich der phänomenologischen Erziehungswissenschaft ist in bildungstheoretischer Hinsicht besonders der phänomenologisch-existentialkritische Ansatz Egon Schütz’ hervorzuheben,109 der auf Eugen Finks Überlegungen zu Bildung aufbaut. Finks bildungstheoretisches Denken unterscheidet sich vom phänomenologischen Nachdenken seiner Zeitgenossen über Bildung dahingehend, dass er seinen bildungstheoretischen Ansatz vom Ausgangspunkt aus entwickelt, dass der Mensch als ein Welt- und Selbstverhältnis sein Leben grundsätzlich von

104 Vgl. Kap. 1.1; für eine weitere Ausführung dieser Auffassung von Bildung vgl. Kap. 2.6, 3.6 und 4. 105 Vgl. Koller 2001, 43–44. 106 Vgl. Foucault 1986a, 17–20; vgl. auch Butler 2003, 9–10. Koller 2001, 44–46. 107 Vgl. Foucault 1986b, 53–94 und 2004, vor allem die Zusammenfassung 599–615. 108 Vgl. Lyotard 1987, 32–33; vgl. auch Koller 2001, 46–47. 109 Für andere Positionen in der phänomenologischen Erziehungswissenschaft, die sich auch mit anderen Phänomenen im Feld von Bildung beschäftigen, vgl. auch Kap. 2.1.

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innen aus lebt.110 Menschliches Verstehen und menschliche (Selbst-)Interpretation müssen unter diesen Daseinsbedingungen verstanden werden und als Grundphänomene menschlichen Lebens gedeutet werden, die unterhalb der Subjekt-Objekt-Spaltung anzusiedeln sind und unabwählbar zum menschlichen Dasein gehören.111 Aufgrund dieser Auffassung vom Menschen rückt Fink die Innenperspektive des Bildungssubjekts im Sinne eines aktiven Umgangs mit der eigenen Existenz als zentralen Bestandteil von Bildung in den Mittelpunkt,112 während viele seiner phänomenologischen Zeitgenossen mit den Begriffen Lernen und Erziehung schwerpunktmäßig andere Phänomene menschlicher Entwicklung thematisieren113 oder Pädagogik im Sinne einer Außenperspektive auf menschliche Entwicklung phänomenologisch beleuchten.114 Bildung wird in dieser Perspektive nicht als Allgemeinbildung im Sinne der Aneignung eines kulturellen Kanons von Wissen oder Fähigkeiten verstanden, sondern als Umgang mit dem eigenen Leben im Sinne einer natürlichen Sinnproduktion ausgelegt, die immer vorläufig ist und der Bedingung der Unsicherheit unterliegt.115 Die Auseinandersetzung mit der Welt gehört durch die Konzeption des Menschen als In-der-Welt-Seienden und -Tätigen zum Grundmodus menschlichen Daseins116 und unterscheidet sich darin von der Auseinandersetzung des Bildungssubjekts mit der Welt bei Humboldt, die zur Stärkung der Kräfte erfolgt.117 Diese bildungstheoretische Perspektive arbeitet Finks Schüler Egon Schütz aus, entwickelt sie weiter und »rückt die individuellen bzw. existenti110

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Vgl. Fink 1979, 35; Fink nimmt mit diesem Ausgangspunkt die Existentialphilosophie Heideggers auf (vgl. Heidegger, 1927/1977, §4-5 (11–19) und §12-13 (52–62)) und versteht dessen Bestimmung des Daseins als anthropologische Grundbestimmung (vgl. MeyerWolters 1997, 209). Vgl. Fink 1970, 116–117 und Fink 1979, 34–37; vgl. auch Meyer-Wolters 1997 und Sepp 2019. Vgl. Brinkmann 2017c, 30–31; Fink beschäftigt sich auch ausführlich mit dem Begriff der Erziehung. Dass seine Perspektive auf den Menschen sozialphänomenologisch ist und damit der Eingebundenheit des Menschen ebenfalls eine wichtige Stellung einräumt, soll nicht unerwähnt bleiben (vgl. zu beidem Brinkmann 2017c, 29–30). Beispiele dafür sind Günther Buck (vgl. Buck 1989), Werner Loch (vgl. Loch 1979), Käte Meyer-Drawe (vgl. Meyer-Drawe 1996, 2003 und 2008). Ein Beispiel dafür stellt Heinrich Rombach dar (vgl. Rombach 1979). Vgl. Fink 1979, 36; vgl. auch Brinkmann 2017c, 30–31. Vgl. Schütz 1975, 65. Vgl. Kap. 2.2.

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

ellen Züge der anthropologischen Analyse deutlicher in den Vordergrund.«118 Schütz versteht Heidegger und Fink folgend den Menschen ebenfalls als existierendes Seins-Verhältnis, in welchem dieser sich auslegen muss:119 »Da[ss] wir uns selbst bestimmend entwerfen, ist kein müßiges Spiel der Gedanken, kein Geistesakt, auf den wir auch zur Not verzichten könnten, im Gegenteil: es ist gerade die Not als Inbegriff unabwählbarer und zu erfüllender Lebensbedingungen, die uns zwingt, sie um- und abzuwenden.«120 An Husserl anschließend legt er in der Perspektive auf den Menschen seinen Fokus auf die leistende Subjektivität 121 und stellt für diesen Prozess den anthropologischen Zirkel in die Mitte seines Denkens, nach welchem der Mensch im Prozess der Selbstverständigung nie vollständige Selbsttransparenz erreichen kann, da er seine vorhandenen elementaren Erfahrungsdimensionen nie einholen kann,122 sondern immer in seiner endlich-leiblichen Konstituiertheit verhaftet bleibt.123 Schützʼ Konsequenz des anthropologischen Zirkels und der anthropogischen Differenz, die sich als uneinholbares Wissen über sich selbst darin aufzeigt, lautet allerdings nicht, Selbstverständigung als unerfüllbares Projekt beiseite zu legen oder als Illusion und Trugschluss zu betiteln und zu kritisieren. »Statt auf externe Fixpunkte zu hoffen, versucht sich das elementaranthropologische Denken im Vollzug selbst zu beobachten, versucht [es], die anthropologische Differenz offen zu halten.«124 Für sein Verständnis von Bildung bedeutet diese Analyse menschlichen Daseins, dass Bildung nur begrenzte Meinungsbildung innerhalb des anthropologischen Zirkels und unter der Bedingung der anthropologischen

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Brinkmann 2015; in dieser Perspektive lässt Schütz die Bedingtheit des Menschen gerade durch die Gesellschaft nicht unberücksichtigt. Den gesellschaftlichen Rahmen hält er dabei nicht für vorherbestimmend, aber limitierend im Sinne der Chancen des Einzelnen. Niemand kann sich seiner gesellschaftlichen Rahmung vollständig entziehen. Existenz ist immer gleichzeitig Koexistenz in den Bedingungen des Subjekts. Deshalb gibt es für Schütz auch keine vorgesellschaftliche Selbstgegebenheit (vgl. Schütz 1975, 29). 119 Vgl. Brinkmann 2017b, 3; vgl. auch Heidegger, 1927/1977 und Fink 1979, 35. 120 Schütz 1975, 19. 121 Für diesen Ausdruck bei Husserl vgl. Husserl 1935/1976, 342; vgl. auch Brinkmann 2017b, 4. 122 Vgl. Brinkmann 2017b, 5–6. 123 Vgl. Schütz 1988, 341–342; vgl. auch für diese pointierte Analyse Brinkmann 2017c, 31. 124 Brinkmann 2017c, 31–32.

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Differenz sein kann.125 Bildung ist unter dieser Perspektive ein Prozess, in dem das eigene Selbst- und Weltverhältnis offen im Sinne der Möglichkeit neuer Erfahrungen und Erkenntnisse gehalten wird. Durch diesen Ansatz wird »menschliche Praxis in ihrer Vielgestaltigkeit, Pluralität und Diversität erfassbar«126 . Die Welt- und Selbstbezüge der Menschen sind unter der Bedingung der Kontingenz menschlicher Erfahrung und Existenz127 plural. »Anthropologie gilt Schütz daher nicht als Wissenschaft mit abgegrenztem Gegenstandsbereich, sondern als Praxis, in welcher der Mensch handelnd mit seiner Welt- und Selbstoffenheit umgeht bzw. umgehen muss.«128 Seinen bildungstheoretischen Ansatz bindet Schütz somit eng an die existentielle Dimension des Menschen, bricht so mit der Ausrichtung von Bildungstheorien, die Bildung vor allem unter den Aspekten der Rationalisierung lebensweltlicher Praxen oder der Standardisierung und Messbarkeit pädagogischer Praxis abhandeln,129 und stellt sich damit »gegen die traditionelle Anthropologie, gegen Humanismus und gegen die konventionelle Bildungstheorie.«130 Unter dem Phänomen Bildung thematisiert er menschliche Entwicklung aus der Innenperspektive des Bildungssubjekts heraus: »Bildung ist dann ein produktiver Umgang mit der existentiellen Notlage, sich nur noch fragmentarisch, gleichsam ent-fremdet, erfahren zu können. Sie wird so zu einem praktisch-existentiellen Akt der Selbsterfahrung und der Selbstvergewisserung, gerade unter Anerkennung der wissenschaftlichtechnischen Moderne.«131 Durch seinen phänomenologisch und existentiell ausgerichteten bildungstheoretischen Ansatz schafft es Schütz, das Verhalten des Subjekts zur Welt und sich selbst vor allem als Erfahrungsverarbeitung des Bildungssubjekts bildungstheoretisch zu fassen und gleichzeitig grundlegend mit der persönlichen Selbstbestimmung zu verbinden. 125 126 127 128 129 130 131

Vgl. Brinkmann 2017c, 32. Brinkmann 2017b, 8. Vgl. Brinkmann 2017b, 10. Brinkmann 2017b, 8. Vgl. Brinkmann 2017b, 4–5. Brinkmann 2017b, 5; vgl. zum Ausgangspunkt neuhumanistischer Bildungstheorien auch Kap. 2.2. Brinkmann 2017b, 10.

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

In der Verortung des Menschen in dieser Struktur geht es Schütz um die »Frage nach einer grundsätzlichen anthropologischen Struktur, nach der ontologischen Verfassung des Daseins in Freiheit und Bestimmung.«132 Die Grunderfahrung der Freiheit, die Selbstautorschaft des Menschen als eine grundlegende sowie notwendige Aufgabe und eine freie Entfaltung der Persönlichkeit bilden für Schütz die Grundüberzeugungen über den Menschen und stellen für ihn gleichzeitig das »Kernthema bildungstheoretischen Nachdenkens«133 dar. Diese Aspekte, Autor seiner selbst zu sein und sich selbst zu bestimmen, kommen in Betrachtungen von Bildung aufgrund einer dominierenden pädagogischen Perspektive, welche Aspekte des Einflusses und der Gestaltung von außen auf das Bildungssubjekt in den Mittelpunkt stellen, oft zu kurz: »Leider wird das Thema der Entfaltung der Persönlichkeit häufig nur in gedanklich kurzatmigen Deklamationen verhandelt, so als ob, wenn man nur alle Hindernisse aus dem Weg räume, ebendiese Persönlichkeit sich als reiner Selbstgenuss schöner Freiheit von selbst einstelle.«134 Allerdings rücken gerade im Moment passender äußerer Bedingungen diese zentralen Fragen von Bildung ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Gerade dann, wenn passende Rahmenbedingungen vorhanden sind, beginnt für ein Individuum im Umgang mit den Daseinsbedingungen und der aktiven Bestimmung seiner selbst der Kernbereich von Bildung.135

2.6 Bildung als Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses unter Einnahme einer Innenperspektive Die vier vorgestellten bildungstheoretischen Strömungen thematisieren Bildung aus verschiedenen Perspektiven und sollen in der folgenden Ausarbeitung einer Auffassung von Bildung berücksichtigt werden. Dabei werden bestimmte Komponenten der genannten Perspektiven von Bildung aufgenommen und zu einem neuen Verständnis von Bildung verbunden.

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Schütz 1975, 17. Vgl. Schütz 1982/2017, 322. Schütz 1982/2017, 323. Vgl. Schütz 1982/2017, 324.

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Als Basis für die auszuarbeitende Auffassung von Bildung dient der neuhumanistische Bildungsbegriff Humboldts, in dem Bildung als Einnahme eines umfassenden Welt- und Selbstverhältnisses konzipiert wird, die in Wechselwirkung zwischen Individuum und Welt vor sich geht. Auch das Verständnis von Bildung als prinzipiell offene individuelle Konstituierung des eigenen Welt- und Selbstverhältnisses soll Eingang in diese Auffassung von Bildung finden. Ein dazu in Spannung stehendes Verständnis einer kanonischen Bildung136 soll nicht im Zentrum der Auffassung von Bildung stehen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass heute andere Anforderungen an Individuen gestellt werden, eine exakte Bestimmung von Bildung auf der inhaltlichen Ebene der heutigen Zeit nicht angemessen ist137 und Bildungsprozesse nur strukturtheoretisch bestimmbar sind.138 Auf dieser formalen Prozessebene kann allerdings angegeben werden, welche Schritte dazu führen, ein eigenes umfassendes Welt- und Selbstverhältnis zu konstituieren und sich selbst Orientierung zu erarbeiten. Viele nachfolgende Auffassungen von Bildung kritisierten am neuhumanistischen Bildungsbegriff, dass äußere Bedingungen und Prägungsprozesse, die auf ein Individuum einwirken, unzureichend berücksichtigt werden. Vor allem bildungstheoretische Überlegungen im Umfeld der Kritischen Theorie und poststrukturalistische Perspektiven auf Bildung äußern diese Kritik. In Auseinandersetzungen im Umfeld der Kritischen Theorie mit Bildung wird auf den entscheidenden Einfluss gesellschaftlicher Verhältnisse auf die Entwicklung eines Individuums hingewiesen. Auch poststrukturalistische Perspektiven auf Bildung stellen diese zentrale Rolle prägender Strukturen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen und fokussieren dabei vor allem das Wirken dieser Strukturen in der Subjektkonstitution. Beide Perspektiven rücken damit die Begrenztheit der Einflussnahme des Bildungssubjekts, das eigene Welt- und Selbstverhältnis zu konstituieren und über sich selbst zu bestimmen, ins Zentrum ihrer Betrachtung, beschreiben aber auch selbst Aspekte, in denen das Subjekt aktiv an der Konstituierung des eigenen Welt- und Selbstverhältnisses mitwirkt und damit Bildungsprozesse selbst aktiv gestaltet.

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Als Kanonische Bildung können auch materiale Bildung oder kategoriale Bildung, die Klafki als Verbindung von formaler und kategorialer Bildung definiert (vgl. Klafki 1963, 25–45), verstanden werden, die vor allem anhand eines festen Kanons stattfinden. Zur Charakterisierung der heutigen Zeit und den damit verbundenen Anforderungen an Bildung vgl. Kap. 6.1.4. Vgl. Marotzki 1990a, 42.

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

Der Einfluss prägender Prozesse auf das Subjekt soll in der auszuarbeitenden Auffassung von Bildung angemessen berücksichtigt werden, auch wenn diese Prozesse mehr das Bedeutungszentrum der Begriffe Erziehung und Sozialisation bilden.139 Bildung wird vielmehr als Prozess gefasst, der grundsätzlich an persönliche Prägung anschließt, und als ein Sich-Verhalten beschrieben, das immer eine Auseinandersetzung mit Widerfahrenem und Vorgefundenem aus der Innenperspektive des Subjekts beinhaltet. Diesen bildungstheoretischen Ansatzpunkt, Bildung als Prozess zu verstehen, in dem sich ein Individuum aus einer Innenperspektive mit der Welt und sich selbst auseinandersetzt, liefert der phänomenologisch-existentialkritische Ansatz Egon Schütz’. Er folgert aus der Analyse, dass der Mensch in Strukturen eingebunden ist, nicht die Unmöglichkeit von Selbstbestimmung oder die Aufgabe des Projekts Bildung, was poststrukturalistische und phänomenologische Thematisierungen140 von Bildung teilweise resümieren, sondern versteht vielmehr die Auslegung der Welt und sich selbst innerhalb dieser Strukturen als Kernbereich von Bildung. In dieser Auffassung von Bildung werden die Verarbeitungsprozesse im Subjekt, die Leistung des Subjekts im Bildungsprozess und die Auslegung der eigenen Existenz innerhalb der gegebenen Strukturen trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten in den Mittelpunkt gerückt. Das Bildungsziel Selbstbestimmung thematisieren Schütz wie auch Fink in ihren Ansätzen dabei vor allem als negatives anthropologisches Moment, wenn sie Selbstautorschaft und Selbstbestimmung als Linderung der existentiellen Not des Menschen oder als Erfüllung einer erzwungenen Forderung des Lebens beschreiben.141 Auch wenn Selbstbestimmung diese Bedeutungskonnotation durchaus enthält, kann Selbstbestimmung auch unter dem

139 Vgl. dazu Kap. 3.1 und 3.2. 140 Dabei lässt sich eine Verbindung und Nähe in bestimmten Aspekten und einzelnen Theorien zwischen Poststrukturalismus und Phänomenologie erkennen. MeyerDrawes erziehungswissenschaftliches Denken kann als poststrukturalistisch und phänomenologisch betrachtet werden (vgl. Ehrenspeck 2001, 27 und Brinkmann 2017c, 34–35). Brinkmann bezeichnet Finks Denken als anschlussfähig an und für poststrukturalistisches Denken (vgl. Brinkmann 2017c, 31). Auch Schütz und neuere phänomenologische Ansätze nehmen auf den Poststrukturalismus Bezug (vgl. Brinkmann 2017c, 32 und 34–35). Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass sich viele poststrukturalistische Denker, gerade in Frankreich, intensiv mit der Phänomenologie auseinandergesetzt haben (vgl. Ehrenspeck 2001, 22; vgl. dazu auch Waldenfels 1983). 141 Schütz 1975, 19; vgl. auch Brinkmann 2017b, 10.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Aspekt des Entwerfens und Gestalten der eigenen Existenz als positive Bestimmung des eigenen Lebens gefasst werden, in dem z.B. das natürliche psychologische Grundbedürfnis des Menschen nach Selbstbestimmung zum anthropologischen Ausgangspunkt gemacht wird.142 Einen Ansatz, der die verschiedenen herausgearbeiteten Aspekte von Bildung berücksichtigt und als Grundlage für die auszuarbeitende Auffassung von Bildung dienen kann, entwirft Winfried Marotzki in seiner existentiellphänomenologischen Fassung143 der transformatorischen Bildungstheorie.144 Bildung wird in dieser Theorie als Transformation des Welt- und Selbstverhältnisses eines Individuums verstanden.145 Diese Transformation zeichnet sich bei Marotzki besonders dadurch aus, dass sich ein Individuum mit der Welt und sich selbst auseinandersetzt und sich der Welt- und Selbstbezug eines Individuums in diesem Prozess qualitativ verändert. Transformatorische Bildungsprozesse knüpfen dabei an bestehende Strukturen und Prägungen im Subjekt an und werden nicht als losgelöst von den äußeren Verhältnissen betrachtet. Im Bildungsprozess selbst nehmen die Verarbeitungsprozesse im Subjekt die zentrale Rolle ein.146 Die transformatorische Bildungstheorie beinhaltet somit die herausgestellten Aspekte, welche in die auszuarbeitende Auffassung von Bildung Eingang finden sollen. Bevor die transformatorische Bildungstheorie Marotzkis als solches Bildungsverständnis weiter ausgeführt wird, ist es nötig zu zeigen, dass Bildung die beschriebene spezifische Bedeutung umfasst, dass in Bildungsprozessen ein Individuum ein Welt- und Selbstverhältnis aus einer Innenperspektive 142 Vgl. Kap. 6.1.3 und 6.4; für weitere Erläuterungen zum Aspekt der Selbstbestimmungsfähigkeit als anthropologischen Ausgangspunkt vgl. Kap. 6.1.2. 143 Vgl. Rosenberg 2011, 12, 18 oder 25; auch Marotzkis Ansatz kann im Anschluss an Egon Schütz existentialkritisch genannt werden. 144 Vgl. Kap. 4. Als Rahmen wird die transformatorische Bildungstheorie von verschiedenen Ansätzen aufgegriffen. Florian von Rosenberg nennt »existentiell-phänomenologische, habitustheoretische, diskurstheoretische und pragmatistische Einsatzpunkte« (Rosenberg 2011, 18; vgl. auch Rosenberg 2011, 18–52) als bildungstheoretische Anschlussmöglichkeiten an den transformatorischen Bildungsbegriff. Alexander Geimer unterscheidet mit Arnd-Michael Nohl in der transformatorischen Bildungstheorie »reflexionstheoretische, sprachtheoretische und handlungstheoretische bzw. praxeologische Positionen« (Geimer 2012, 232; vgl. auch Nohl 2006, 13–18). Allerdings enthält nur der transformatorische Bildungsbegriff Marotzkis die erarbeiteten Kriterien von Bildung. 145 Vgl. Rosenberg 2011, 11–12. 146 Vgl. Marotzki 1990a, 55–59.

2. Entwicklung einer Auffassung von Bildung

heraus einnimmt, die Verarbeitungsprozesse im Subjekt im Mittelpunkt stehen und das Individuum sich durch den Bildungsprozess Selbstbestimmung erarbeitet. Dieser besondere Bedeutungsgehalt lässt sich in einer Gegenüberstellung von Bildung und anderen Grundbegriffen menschlicher Entwicklung verdeutlichen, denen oft ein ähnlicher Bedeutungsumfang wie Bildung zugeschrieben wird. Im Folgenden wird zu diesem Zweck der Bedeutungsgehalt von Bildung in Auseinandersetzung mit den Begriffen Erziehung, Sozialisation, Wissen, Kompetenz und Lernen herausgearbeitet.147

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Andere Begriffe, die in diesem Zusammenhang genannt werden, sind »Selbstorganisation, Autopoiesis und Emergenz« (vgl. Lenzen 1997, 951), »Unterricht« (vgl. Lenzen 1997, 951 und Göhlich/Zirfas 2007, 14), »Reifung« (vgl. Pleines 1971, 6 und Stojanov 2014a, 207–208), »Entwicklung« (vgl. Göhlich/Zirfas 2007, 14), »Identität« (vgl. EhrenspeckKolasa 2018, 190), »Kultur« (vgl. Bollenbeck 1996, 102, Fuhrmann 2002, 36 und Rittelmeyer 2012, 20–21), »Enkulturation« (vgl. Kron 2009, 37) oder »Ausbildung« (vgl. Bieri 2012, 228–229 und Dörpinghaus u.a. 2013, 142).

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3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung Ein Vergleich mit anderen Grundbegriffen der Entwicklung von Individuen

3.1 Bildung und Erziehung Bildung und Erziehung werden oft in einem Atemzug genannt und scheinen eine große Ähnlichkeit in ihrer Bedeutung zu besitzen. Sie werden teilweise synonym verwendet und somit nicht ausreichend voneinander unterschieden.1 Allerdings treten bei einer differenzierten Betrachtung ihre Unterschiede deutlich hervor: »Erziehung bezeichnet das wechselseitige Verhältnis zwischen einem Erzieher und einem zu Erziehenden […], mit der Absicht, den zu Erziehenden als denjenigen, der an Erfahrung, Reife und Wissen ärmer ist, gemäß bestimmter Erziehungsziele auf das Niveau des Erziehers heraufzuführen und ihn so gewissermaßen in die Selbstständigkeit zu entlassen.«2 Erziehung beschreibt den Vorgang in der Entwicklung eines heranwachsenden Individuums,3 in welchem es in etwas eingeführt wird und ihm etwas bei-

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Vgl. Heid 1994, 44, Borst 2009, 23 und Dörpinghaus u.a. 2013, 136. Lederer 2015, 38; vgl. auch Krautz 2014, 15 und Benner 2014, 222; anders als Lederer verwende ich im Folgenden für das Erziehungssubjekts den Begriff »erziehende Person« und für das Erziehungsobjekts wie Brezinka den Begriff »Edukand« (vgl. Brezinka 1978, 42–43). In der Regel werden Kinder und Jugendliche erzogen. Erziehung kann als Bedeutung auch die Einführung von Erwachsenen in bestimmte Themen, Regeln oder Gewohnheiten umfassen. Allerdings sind diese Vorgänge besser als Wissens- oder Kompetenzvermittlung zu bezeichnen, soll die Selbstbestimmung eines Erwachsenen berücksich-

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

gebracht wird. Dabei lassen sich mehrere Merkmale von Erziehung bestimmen. a) Mit Erziehung ist immer ein bewusstes Einwirken auf ein Individuum oder mehrere Individuen gemeint.4 Im Verhältnis von Erwachsenen und Kindern »bezeichnet der Begriff Erziehung die mehr oder minder bewusste und gezielte Einflussnahme der älteren Generation auf die jüngere«5 . b) Darüber hinaus ist konkrete Erziehung immer auf ein werthaltiges Konzept bezogen, das den Überzeugungen der erziehenden Person entspricht.6 Die erziehende Person legt fest, was als wertvoll gilt, wählt die Ziele der Erziehung entsprechend aus und führt den Edukanden darin ein, um seine Persönlichkeit in die vorgesehene Verfassung zu bringen.7 Erziehung versteht die Einwirkung auf den Edukanden als ein Kausalverhältnis,8 in welchem die erziehende Person bewusster Verursacher einer bestimmten Wirkung ist. c) Erziehung enthält somit aus der Perspektive des Edukanden ein stark passives Element. Dieses passive Moment besteht für den Edukanden sowohl in der Auswahl der Ziele der eigenen Entwicklung als auch im Weg, der zur Erreichung dieser Ziele gewählt wird. Die wissende erziehende Person gibt vor, was erlernt werden muss, welche Schritte in der Entwicklung des Edukanden erforderlich sind und welche dieser Schritte als nächstes gegangen werden. Auch eine Erziehung, die versucht, den Edukanden als selbstbestimmtes Individuum zu behandeln und diesen mitbestimmend einzubeziehen, enthält diese Struktur zwischen erziehender Person und Edukanden. »Erziehung verlangt nun einmal Lenkung, Führung, Förderung. Selbst wo uneingeschränktem Wachsenlassen oder antiautoritärem Gewährenlassen in Theorie und Praxis total zugestimmt wird, stammen die erzieherischen Leitlinien aus Zielvorstellungen eines künftig freien, souveränen, antiautoritären Erwachsenen und einer ebensolchen Gesellschaft.«9 d) Aufgrund dieser Struktur lässt sich Erziehung als ein asymmetrischer Prozess beschreiben, in dem sich die erziehende Person und der Edukand nicht

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tigt und die Möglichkeit betont werden, die Einführung in etwas annehmen oder ablehnen zu können. Vgl. Meyer 2011, 4; vgl. auch Brezinka 1978, 42, Löwisch 2000, 6–7, Göhlich/Zirfas 2007, 14 und Dörpinghaus/Uphoff 2011, 19. Rittelmeyer 2012, 7. Vgl. Göhlich/Zirfas 2007, 14. Vgl. Brezinka 1978, 42–43. Vgl. Brezinka 1978, 43 und Dörpinghaus/Uphoff 2011, 19. Roth 1971, 15.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

gleichgestellt begegnen, sondern die erziehende Person den Edukanden anleitet.10 e) Erziehung lässt sich im Zuge der genannten Merkmale auch als ein Prozess verstehen, in dem einem heranwachsenden Individuum die Fähigkeiten zur Bewältigung der Anforderungen des praktischen Lebens sowie die dafür erforderlichen Charaktereigenschaften beigebracht werden.11 »Gemeinhin gilt jemand als ›erzogen‹, wenn er gute Manieren hat, weiß, was sich gehört oder schlichtweg gehorcht. Die gelungene Integration in Gesellschaft und Kultur ist in der Regel der Maßstab der Beurteilung.«12 Erziehung möchte wertvolles und vor allem praktisches Wissen vermitteln, das im Zusammenhang mit dem Zusammenleben mit anderen Menschen steht,13 und dem Edukanden beibringen, dieses Wissen praktisch umzusetzen und im Verhalten zu zeigen. Sie zielt damit »auf die Verbindung von Wissen und Haltung«14 ab und kann als »Sozialmachung« verstanden werden.15 Die Frage nach Erziehung kann somit in der Entwicklung von Individuen als die spezielle Fragestellung ausgemacht werden, welcher bewusste Einfluss von außen auf diese Entwicklung genommen und wie diese Einflussnahme aus der Perspektive der erziehenden Person gestaltet werden kann. Bildung hingegen umfasst eine weitere Bedeutung als Erziehung.16 Sie geht in ihren einzelnen Komponenten weit über den aufgezeigten Bedeutungsum10

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Auch eine Erziehung, in der sich die erziehende Person und der Edukand »gleichgestellt« begegnen, widerspricht diesem asymmetrischen Moment nicht automatisch. Denn die Asymmetrie zwischen kompetenter, wissender erziehender Person und unkompetentem unwissendem Edukanden widerspricht nicht einer Haltung, die Äußerungen und Bedürfnisse dessen ernst zu nehmen und zu berücksichtigen. Auch in einer Erziehungssituation, die dem Edukanden vollkommene Selbstbestimmung und Selbstorganisation gewährt, besteht ein asymmetrisches Verhältnis; denn es ist die Entscheidung der erziehenden Person, diesen Rahmen vorzugeben und dem Edukanden so zu begegnen. Ein Verhältnis, in dem es nicht diese Entscheidung der erziehenden Person gibt und das damit nicht diese Asymmetrie enthält, würde nicht als Erziehung bezeichnet werden. Vgl. Stojanov 2014a, 206. Dörpinghaus/Uphoff 2011, 56. Dieses Wissen kann auch Franz Dröge folgend als Normenwissen bezeichnet werden (vgl. Dröge 1973, 71; für die Unterscheidungen von Wissensarten auch vgl. Kap. 3.3). Dörpinghaus u.a. 2013, 136. Vgl. Fend 1970, 39. Vgl. Rittelmeyer 2012, 7.

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fang von Erziehung hinaus und enthält in bestimmten Bedeutungsdimensionen sogar eine der Erziehung gegensätzlichen Zielrichtung, gerade wenn die Einflussnahme auf ein heranwachsendes Individuum in der Erziehung negativ konnotiert wird: »Mit der Erziehung geht der Mensch seinen Weg durch das Zuchthaus der Geschichte. […] Im Begriff der Erziehung ist die Zucht schon enthalten, sind Einfügung, Unterwerfung, Herrschaft des Menschen über den Menschen eingeschlossen, bewu[ss]tloses Erleiden. […] Mit dem Begriff der Bildung wird die Antithese zum Erziehungsproze[ss] entworfen; […] Bildung dagegen begreift sich als entbundene Selbsttätigkeit, als schon vollzogene Emanzipation. Mit ihr begreift sich der Mensch als sein eigener Urheber […]. Bildung ist eine neue, geistige Geburt, kein naturalistischer Akt«17 . Bildung kann als ein Prozess beschrieben werden, der an Erziehung anschließt, diese dabei aufnimmt und über sie hinausgeht. Während Erziehung den Vorgang darstellt, jemanden in etwas einzuführen, Fähigkeiten zu erlernen, angemessenes Verhalten zu zeigen oder bestimmte Vorgaben zu erfüllen, ist Bildung der Prozess in einem Individuum, sich nach der Einführung in die Welt durch andere die Welt in Offenheit selbst zu erschließen und sich zur eigenen Erziehung zu verhalten. Gerade dann, wenn Individualisierung und Pluralisierung von Lebensstilen als Grundlagen heutigen Lebens verstanden werden,18 nimmt dieser Aspekt eine zentrale Rolle in der Entwicklung eines Individuums ein. Die Auffassung, dass Bildung als Prozess an Erziehung anschließt, wird auch dadurch unterstützt, dass Reflexionsprozesse verbreitet für einen konstitutiven Bestandteil von Bildung gehalten werden,19 während in Erziehungsprozessen der Edukand nicht zwingend Reflexionsprozesse durchlaufen muss. In der Bedeutungskomponente, dass sich in Bildungsprozessen ein Individuum zur Welt und sich selbst reflexiv verhält, geht Bildung auch über das Aneignen eines werthaltigen Konzepts hinaus und zeigt sich als Prozess, in dem das Individuum eigene Wertungen entwickelt und sich selbst Orientierung erarbeitet. Bildung zeigt sich damit auch als Prozess, in dem nicht die Passivität des Individuums wie bei Erziehung im Mittelpunkt steht, sondern in dem

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Heydorn 1970, 9–10. Vgl. Kap. 6.1.4. Vgl. Kap. 5.1.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

eine Aktivität des Individuums eingefordert wird,20 da die Vorgänge, sich zu seiner eigenen Gewordenheit zu verhalten und sich ein eigenes Bild von der Welt und sich selbst zu erarbeiten, ein aktives Bildungssubjekt erfordern. Bildung »wird seit dem Aufklärungszeitalter mit den Subjektkategorien Selbstdenken, Selbstbestimmung und Selbstaneignung assoziiert«21 und verlangt, dass Bildungsprozesse Ergebnis einer Selbsttätigkeit des Subjekts sind.22 Die unterschiedlichen sprachlichen Ausdrücke zu Erziehung und Bildung, dass man erzogen wird, aber sich bildet, unterstreichen diese gegensätzlichen Bedeutungskomponenten von Erziehung und Bildung.23 Auch über das asymmetrische Verhältnis von erziehender Person und Edukand geht Bildung hinaus, da Bildung nicht als Situation konzipiert ist, in der ein unwissendes Subjekt einer wissenden Person gegenübersteht und von dieser in die Welt eingeführt wird. In Bildungsprozessen steht ein Individuum anderen Individuen als gleiches gegenüber, nimmt die Impulse anderer wahr, verhält sich zu diesen und kann dabei die Perspektive anderer ablehnen oder annehmen. Darüber hinaus nimmt das Individuum in Bildungsprozessen ein Verhältnis zur Welt und sich selbst ein und erweitert so das Bezugsfeld seiner eigenen Perspektive. Bildung ist damit nicht nur ein Prozess, der in Verbindung mit anderen Menschen stattfindet, sondern vor allem auch ein Prozess, der eine persönliche Auseinandersetzung mit der Welt und sich selbst umfasst. Bildungsprozesse finden somit auch außerhalb des Erziehungsgeschehens statt und können auch außerpädagogisch thematisiert werden.24 Die dargestellte Unterscheidung von Bildung und Erziehung zeigt, dass die Begriffe nicht nur unterschiedliche Entwicklungsphasen eines Individuums beschreiben,25 sondern vor allem die Entwicklung von Individuen unter unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Es ist festzustellen, »dass Erziehung der Prozess ist, der dem Bildungsprozess zeitlich vorausgeht […]. Erziehung ist [aber] keine qualitative Vorstufe von Bildung oder deren Vorausset-

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Vgl. Bollenbeck 1996, 109; vgl. auch Krautz 2014, 14. Lederer 2015, 38. Vgl. auch Krautz 2014, 14. Vgl. Stojanov 2014a, 208. Vgl. Krautz 2014, 14. Vgl. Benner 2014, 222 und Stojanov 2014b, 359. Während Erziehung einen Einfluss vom Kindesalter bis zum Erwachsenwerden bezeichnet, stellt Bildung einen lebenslangen Prozess dar, weshalb beispielsweise die Weiterbildung von Erwachsenen als Erwachsenenbildung und nicht als Erwachsenenerziehung bezeichnet wird.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

zung, sondern eine andere pädagogische Perspektive.«26 Während Erziehung untersucht, welcher Impuls von außen für die Entwicklung eines Individuums gegeben werden soll, behandelt Bildung vor allem die Frage, welcher innere Prozess in einem Individuum an diesen Impuls von außen anschließen muss, damit dieses ein eigenes Welt- und Selbstverhältnis entwickelt und zu einem selbstbestimmten Individuum wird.27 »Ein solcher Prozess der Aufklärung über sich selbst, der zugleich die Möglichkeit der Selbstbestimmung eröffnet, kann und soll durch Erziehung angeregt werden: Vollzogen werden aber muss er vom jeweiligen Individuum selbst.«28 Die hier skizzierten Bedeutungsunterschiede von Bildung und Erziehung könnten den Eindruck erwecken, dass beide Konzepte gegenteilige Ziele haben und sich als fremdbestimmende Erziehung mit passivem Erziehungsobjekt und selbstbestimmende Bildung mit aktivem Bildungssubjekt gegensätzlich gegenüberstehen. Das Gegenteil ist allerdings der Fall: Erziehung möchte in der Regel Bildung initiieren und zielt deshalb auf die ermöglichenden Bedingungen von Bildung ab. So findet sich in beiden Konzepten das Ziel des selbstbestimmten Menschen, wie die bisherige Analyse zeigt. Allerdings kann auch festgestellt werden, dass Erziehung nur die Dimension der Herstellung und Erweiterung des Welt- und Selbstverhältnisses von außen in einem fremdbestimmenden Kontext miteinbezieht. Die grundlegende Dimension von Bildung, sich in ein Verhältnis zu Beigebrachtem und nun in sich Vorgefundenem zu setzen, enthält Erziehung als konstitutives Element nicht. Für das Ziel eines selbstbestimmten Menschen bedarf es deshalb weiterer Prozesse, die an Erziehung anschließen, aber Prozesse anderer Art sind. Erziehung allein kann nicht zu Selbstbestimmung führen.

3.2 Bildung und Sozialisation Auf ähnliche Weise wie bei Erziehung, die vereinzelt auch als Teil oder Unterkategorie von Sozialisation bezeichnet wird,29 wird dem Begriff Sozialisation immer wieder zugeschrieben, die Entwicklung von Menschen umfassend zu

26 27 28 29

Dörpinghaus u.a. 2013, 136–137. Vgl. Koller 2001, 35. Schäfer 2005, 42. Vgl. Tillmann 2010, 20.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

beschreiben und damit einen ähnlichen Bedeutungsumfang wie der Bildungsbegriff zu haben. Ein wichtiger Grund für diese Auffassung ist, dass sich ein Individuum immer innerhalb einer Umwelt entwickelt, welche diese Entwicklung entscheidend beeinflusst, und Sozialisation dieses Phänomen umfasst: »Sozialisation kann als Gesamtheit von Lernprozessen verstanden werden, die – ob bewusst oder unbewusst – in der Interaktion mit einer materiellen, kulturellen und sozialen Umwelt das menschliche Selbst prägen.«30 »Der Sozialisationsbegriff untersucht seine Phänomene unter der Perspektive und aus der Sicht der Gesellschaft«31 und beschreibt somit vor allem die Einflussfaktoren, die von außen auf das Individuum wirken. Sozialisation untersucht die »Gesamtheit aller Umweltbedingungen, die auf die Subjektentwicklung Einfluss nehmen«32 , und geht damit über die planvolle, intendierte und bewusste Einflussnahme in Erziehung dahingehend hinaus, dass sie auch unbewusste und nicht-intendierte Einflüsse auf ein Individuum zum Gegenstand hat.33 Sie führt vor Augen, dass die Gesamtheit der Umwelteinflüsse auf die Entwicklung eines Individuums mehr und bedeutender ist als der zielgerichtete Einfluss pädagogischen Handelns alleine.34 Im Vergleich zu Erziehung, die als »Sozialmachung« verstanden werden kann, kann Sozialisation als umfassenderer Prozess der »Sozialwerdung« bezeichnet werden.35 Sozialisation grenzt sich als Phänomen von Auffassungen der Entwicklung eines Individuums ab, die Persönlichkeitsentwicklung biologisch als genetisches Programm oder Reifung begreifen, die gesellschaftliche Umweltbedingungen nicht berücksichtigen und diesen Einfluss grundsätzlich verneinen sowie Persönlichkeitsentwicklung pädagogisch verkürzt nur unter 30

31 32 33 34

35

Dörpinghaus/Uphoff 2011, 96; da Lernen ein eigenes Phänomen in der Entwicklung eines Individuums mit eigener Bedeutung beschreibt (vgl. Kap. 3.5), kann allgemeiner auch von Prozessen gesprochen werden, wie es beispielsweise Geulen in einer ähnlichen Definition von Sozialisation macht (vgl. Geulen 1994, 101). Für weitere Erläuterungen zum Begriff des Selbst vgl. Kap. 5.2 und 5.3. Dörpinghaus/Uphoff 2011, 98. Tillmann 2010, 15. Vgl. Geulen 1994, 102 und Geulen 2005, 94. Koller sieht im Sozialisationsbegriff sogar eine Betonung dieser Elemente der Subjektentwicklung (vgl. Koller 2009a, 19). Vgl. Koller 2004, 154; Koller bezieht sich hier auf die Gesellschafts- und Sozialisationskonzeption Bourdieus und nennt hier als Beispiel für einen viel prägenderen Sozialisationseinfluss als pädagogisches Handeln die unterschiedliche Verteilung des Kapitals. Vgl. Fend 1970, 38–39.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Gesichtspunkten der bewussten und intendierten Einwirkung auf Persönlichkeit analysieren.36 Unter dem Begriff Sozialisation wird stattdessen die Gesellschaft und die damit zusammenhängende Gesamtheit der Umstände als Hintergrund thematisiert und somit untersucht, unter welchen äußeren Bedingungen die Entwicklungsprozesse von Individuen vor sich gehen, also auch Bildung stattfindet.37 Das Bewusstmachen des starken Einflusses der Umwelt auf die Entwicklung eines Individuums hat dem Begriff Sozialisation auch im bildungstheoretischen Diskurs große Aufmerksamkeit verschafft und den Bildungsbegriff selbst zeitweise an den Rand der Debatte gedrängt.38 Die umfangreiche Betrachtung und Diskussion des Phänomens Sozialisation hat dabei teilweise in den Hintergrund treten lassen, dass Sozialisation nur den Teil des Einflusses auf die Entwicklung eines Individuums betrachtet, der diesem von außen widerfährt. Bildung geht als Entwicklungsprozess eines Individuums allerdings über diese Prägungsprozesse von außen hinaus. »Bildung nimmt Sozialisation in sich auf, reflektiert sie, kann auch durch die Rede von der Sozialisation erhellt werden. Aber das Phänomen der Bildung selbst reicht tiefer. Es begreift den Menschen in seiner Totalität, nicht nur in seiner Sozialität.«39 An sozialisationstheoretischen Betrachtungen der Entwicklung eines Individuums wurde in diesem Zuge kritisiert, nicht lediglich unter dem Teilaspekt der Umwelteinflüsse zu untersuchen, wie sich ein Individuum konstituiert.40 Vielmehr verenge diese Perspektive Subjektentwicklung auf ihre soziale Rahmung und gesellschaftliche Funktion hin.41 In Beschreibungen von Sozialisation wird selbst oft darauf hingewiesen, dass »im Mittelpunkt des Sozialisationsbegriffs die (Aus-)Bildung zu einem sozial handlungsfähigen Subjekt«42 steht.

36 37 38 39 40 41 42

Vgl. Tillmann 2010, 18–20; vgl. zu den ersten beiden Abgrenzungen auch Geulen 1994, 101. Vgl. Dörpinghaus u.a. 2013, 138. Vgl. Dörpinghaus u.a. 2013, 138. Böhme 1979, 9. Vgl. Tillmann 2010, 15. Vgl. Stojanov 2014b, 355–356 und Dörpinghaus u.a. 2013, 139. Göhlich/Zirfas 2007, 16; vgl. auch Grundmann 2006, 9, 17–19 und 38–40, sowie Dörpinghaus u.a. 2013, 138.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

Eine solche Verengung der Entwicklung eines Individuums auf eine gesellschaftliche Perspektive trifft auf das Phänomen Bildung mit seinem umfangreichen und facettenreichen Bedeutungsumfang nicht zu: »Aus dieser Perspektive von Bildung sind Selbst-, Fremd- und Weltverhältnisse nicht vorgängig auf eine einzige, nämlich die gesellschaftliche Perspektive festgelegt, sondern deren Gestaltung ist zunächst gleichsam offen oder neutral gedacht.«43 Bildung enthält vielmehr als zentralen Entwicklungsprozess, dass ein Individuum seine eigene Formung durch die Umwelt wahrnimmt, analysiert und sich in einem Abstand zu dieser Prägung verhält, um diese selbstbestimmt annehmen oder ablehnen zu können.44 Umweltbedingungen wirken nie auf jedes Individuum gleich und zwingend,45 sodass ein unterschiedlicher Umgang mit ihnen möglich ist und sich als zentrale Aufgabe für ein Individuum zeigt.46 Die aktive Selbsttätigkeit des Subjekts, so der Vorwurf, fehle der sozialisationstheoretischen Perspektive auf die Entwicklung eines Individuums, welche die Umwelt dessen als stark bestimmend oder gar determinierend versteht.47 Sozialisation beschreibt menschliche Entwicklung vor allem als soziale Prägung und damit von ihrer fremdbestimmenden Seite her.48 Der Aspekt der Veränderung, die durch eine selbstbestimmte und aktive Leistung des Subjekts zustande kommt, bleibt unter der Perspektive von Sozialisation offen und zeigt dessen Grenzen in der Beschreibung von menschlicher Entwicklung auf; der Aspekt kann allerdings in der umfassenden Gesamtperspektive von Bildung adäquat beschrieben werden.49 Sozialisation nur als Prägung des Individuums ohne aktives und mitgestaltendes Subjekt zu verstehen und ihr eine gesellschaftlich verengte Perspektive zuzuschreiben, wurde allerdings als unzutreffend zurückgewiesen50 und veranlasste die Sozialisationsforschung dazu, die Bedeutungskompo-

43 44 45 46 47 48 49 50

Dörpinghaus u.a. 2013, 139. Vgl. Kap. 3.6 und 4. Vgl. Hurrelmann/Bauer 2015, 14. Auch in der Beschreibung der Anforderung unserer Zeit wird dieser Punkt deutlich (vgl. Kap. 6.1.4). Vgl. Stojanov 2014a, 207–208. Vgl. Dörpinghaus/Uphoff 2011, 99. Vgl. Koller 2004, 169. Vgl. beispielhaft Rieger-Ladich 2005, der Bourdieu mit seinem Habituskonzept gegenüber diesem Vorwurf und einer derartigen Lesart verteidigt.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

nenten des aktiv beteiligten Subjekts im Sozialisationsprozess deutlicher hervorzuheben: »Zuerst hatte die Soziologie die Umweltabhängigkeit der Persönlichkeitsentwicklung herausgearbeitet, danach zeigten aber immer mehr Studien aus der Psychologie, in den letzten Jahren besonders auch aus der Neurobiologie, dass sich die Vorstellung einer reinen Umweltabhängigkeit der Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen nicht halten lässt. Seitdem besteht Konsens darüber, dass Sozialisation auf keinen Fall nur als Prägung des Individuums durch sein gesellschaftliches Umfeld verstanden werden kann«51 . Sozialisation wird nun in der Regel als wechselseitiger Prozess beschrieben, der einerseits eine passive Prägung des Subjekts durch die gesellschaftliche Umwelt und andererseits die aktive Auseinandersetzung des Subjekts mit seiner Umwelt enthält,52 und seinen Gegenstandsbereich nicht nur unter dem Gesichtspunkt seiner gesellschaftlichen Funktion betrachtet, sondern unter dem ganzen Spektrum der Subjektentwicklung von Menschen untersucht.53 »Sozialisation ist ein Prozess, durch den in wechselseitiger Interdependenz zwischen der biophysischen Grundstruktur individueller Akteure und ihrer sozialen und physischen Umwelt relativ dauerhafte Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsdispositionen auf persönlicher ebenso wie auf kollektiver Ebene entstehen.«54

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Hurrelmann/Bauer 2015, 11; vgl. auch Koller 2009a, 19–20; auch Klaus-Jürgen Tillmann hält dieses Verständnis von Sozialisation für einen Konsens in der Sozialisationsforschung (vgl. Tillmann 2010, 19–20). Vgl. Hurrelmann u.a. 2008, 25, Göhlich/Zirfas 2007, 16, Borst 2009, 21–22 oder Mchitarjan 2014, 292; für ein Verständnis von Sozialisation, welches das Verhältnis von Umwelt und Subjekt im Sozialisationsbegriff als einseitig beeinflussend von Seiten der Umwelt versteht, vgl. Stojanov 2014a, 207–208 und Stojanov 2014b, 355–356. Stojanov kritisiert in diesen beiden Beiträgen gerade, dass Sozialisation die Selbsttätigkeit des Subjekts als Bedeutungselement und das für den Bildungsbegriff spezifische Selbstverhältnis fehlt. Aus einer anderen Perspektive wird Bildung teilweise auch als Unterbegriff von Sozialisation verstanden, wenn Bildung als »die normative Zielsetzung des Sozialisationsprozesses« (vgl. Hurrelmann/Bauer 2015, 15) verstanden wird oder betont wird, dass Bildung der Blick auf die Bedingtheit der eigenen Selbstbestimmtheit fehlt. Vgl. Hurrelmann u.a. 2008, 14–15; vgl. beispielhaft Geulen 2005. Hurrelmann u.a. 2008, 25.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

Dieses Verständnis von Sozialisation stellt weiterhin die Umweltbedingungen und deren Wirkung als Untersuchungsgegenstand in den Mittelpunkt und nimmt darüber hinaus an, dass in diesem Prozess auch vom Individuum Wirkung ausgeht. »Menschen sind nicht Opfer ihrer Sozialisation, sondern sie wirken auf sich und ihre Umwelt immer auch selber ein und entwickeln sich auf diese Weise zum handlungsfähigen Wesen, zu einem Subjekt.«55 Ein Konzept, das diese Wechselseitigkeit im Sozialisationsprozess abbildet, ist das Habituskonzept von Pierre Bourdieu. Er selbst verwendet Sozialisation nicht als zentralen Begriff.56 Sozialisation ist »für Bourdieu vor allem als Habitualisierung zu verstehen.«57 »Habitus ist sein Begriff für die Verschränkung von sozialer Position und individueller Perspektive, von verinnerlichten sozialen Strukturen und individueller Entäußerung in soziale Strukturen und Felder reproduzierende Praxisformen.«58 Bourdieu beschreibt Habitus auch in Hinblick auf seine Wirkungsweise folgendermaßen: »Die Konditionierungen, die mit einer bestimmten Klasse von Existenzbedingungen verknüpft sind, erzeugen die Habitusformen als Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren«59 . Ein Habitus, der dieser Formulierung folgend auch als strukturiert-strukturierende Struktur bezeichnet werden kann,60 trägt damit nicht nur der wechselseitigen Einwirkung von Individuum und Gesellschaft Rechnung, sondern schafft es, die Prägung des Individuums durch die Umwelt mit der individuellen Modifikation dieser Formung im Individuum zu vereinen. Denn ein Habitus bildet sich innerhalb der feld- und schichtspezifischen Erfahrung, stellt aber gleichzeitig ein modifiziertes System von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen dar.61 In ihm können »unendlich viele und (wie die jeweiligen Situationen) relativ unvorhersehbare Praktiken von dennoch begrenzter

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Tillmann 2010, 17. Vgl. Koller 2009a, 22. Koller 2004, 150; neben Habitualisierung nennt Koller die Prozesse des Erwerbs verschiedener Arten von Kapital und die Positionierung im sozialen Raum als Sozialisationsmomente bei Bourdieu (vgl. Koller 2004, 139). Wigger 2007, 172. Bourdieu 1987, 98. Vgl. Koller 2009a, 23. Vgl. Wigger 2007, 181.

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Verschiedenartigkeit erzeugt werden«62 . Ein Habitus kann als sozialisierte Subjektivität bezeichnet werden.63 Im Habituskonzept kann somit unter Sozialisation ein ergebnisoffener Gestaltungsprozess verstanden werden, der nicht lediglich optimale Sozialintegration als Ziel hat: »Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Bourdieus Habitusbegriff sich als Konzept zur theoretischen Erfassung der Struktur von Welt- und Selbstverhältnissen verstehen lässt, dessen Besonderheit darin besteht, dass es den Habitus bzw. das Welt- und Selbstverhältnis als eine Art Mittelglied zwischen den objektiven Existenzbedingungen und dem subjektiven Handeln ansiedelt und ihnen dabei eine limitierende, aber keineswegs determinierende Funktion zuschreibt, dass es den weitgehend unbewussten körperlichen und kollektiven Charakter individueller Welt- und Selbstverhältnisse ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt und dass es deren zeitliche bzw. lebensgeschichtliche Dimension hervorhebt, indem es die Entstehung des Habitus in einer frühen sozialisatorischen Phase beginnen lässt und als fortgesetzten Prozess der Verinnerlichung äußerer Strukturen begreift.«64 Das dargestellte Verständnis von Sozialisation als wechselseitiges Verhältnis von Umwelt und Individuum lässt eine konträre Entgegensetzung der Begriffe Sozialisation und Bildung unplausibel erscheinen.65 Trotzdem können in der Rolle des Subjekts innerhalb des wechselseitigen Verhältnisses zwischen Individuum und Umwelt Unterschiede in den Begrifflichkeiten ausgemacht werden. Gerade durch diese Unterschiede können im Bildungsbegriff die genannten Kritikpunkte am Sozialisationsbegriff, dass echte Veränderung im Denken und Wahrnehmen eines Subjekts nicht erklärt werden kann, die Perspektive auf Gesellschaft verengt ist und der Mensch nicht als aktives Moment in seiner Totalität erfasst wird, berücksichtigt und erfasst werden. Für eine Antwort auf die Frage, wie Veränderung von Wahrnehmungs- und Denkstruktur im Subjekt möglich ist und vor sich geht, lassen sich im Phänomen Sozialisation vor allem äußere und gesellschaftliche Momente als Ursachen für Veränderung finden, wie der Blick auf die Diskussion um diesen Aspekt im Habituskonzept zeigt. So werden Veränderungen des Habitus nicht durch aktive 62 63 64 65

Bourdieu 1987, 104. Vgl. Bourdieu/Wacquant 2006, 159. Koller 2012a, 26. Vgl. Koller 2009a, 20–21.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

Momente des Subjekts wie Reflexivität erklärt, die auch Bourdieu in seinem Habituskonzept zwar nennt,66 aber nicht als initiierendes Moment für Veränderung weiterverfolgt.67 Vielmehr werden solche Veränderungen mit den Aspekten der Mehrdimensionalität des Habitus, der Iterabilität des Habitus oder der Inkongruenz zwischen Habitus und Feld erklärt.68 Allerdings stellen diese initiierenden Momente für Veränderungen des Habitus keine Transformation im Sinne eines qualitativen Sprungs69 dar, die ein aktives Subjekt als Zentrum des Transformationsprozesses hat. Diese Initiationen von Wandlungen70 des Habitus können vielmehr als Ereignisse eines Geschehens fließender Veränderung beschrieben werden, deren Ursachen in der Struktur des Habitus, den Bedingungen realer Anwendung oder der natürlichen Abweichung von Umweltbedingungen und Habitus71 zu finden sind. Das Subjekt spielt in diesen Wandlungen des Habitus als bewusste, aktive und einflussnehmende Kraft keine Rolle. Die Ausführungen zeigen, dass die Aktivität des Subjekts im Phänomen Sozialisation vor allem als Ereignis thematisiert wird, das eine Folge von Umwelteinflüssen ist oder das Subjekt nicht als initiierenden Urheber dieser Aktivität zur Grundlage hat. Sozialisation, die anhand der Habitustheorie von Bourdieu veranschaulicht wurde, bildet in ihrem Bedeutungsumfang Subjektentwicklung somit nicht in all ihren Facetten ab. Die unterschiedlichen Ausrichtungen von Sozialisation und Bildung treten damit deutlich zu Tage:

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Vgl. Bourdieu/Wacquant 2006, 170–171. Vgl. Rosenberg 2011, 76. Vgl. Rosenberg 2011, 76; für seine detaillierte Ausarbeitung dieses Ansatzpunktes vgl. Rosenberg 2011, 76–81; für den Punkt der Inkongruenz zwischen Habitus und Feld vgl. auch Rieger-Ladich 2005, 289–290. Vgl. Marotzki 1990a, 214–217; Marotzki verdeutlicht an dieser Stelle, dass Transformation, die eine Transformierung des eigenen Rahmens bzw. Orientierungssystems darstellt, keine kontinuierliche Veränderung sein kann, sondern einen qualitativen Sprung bedeutet und genau diese Transformation zentraler Bestandteil eines Bildungsprozesses ist (vgl. auch Kap. 4). Die Unterscheidung von Wandlungen und Transformationen bei Veränderungen des Habitus übernehme ich von Rosenberg (vgl. Rosenberg 2011, 285–286). Auch er sieht in Transformationsprozessen im Gegensatz zu Wandlungsprozessen einen qualitativen Sprung, stellt allerdings das aktive Subjekt nicht explizit in den Mittelpunkt des Transformationsprozesses. Bourdieu selbst nennt die Entsprechung von Umweltbedingungen und Habitus einen Sonderfall und die Abweichung beider den Regelfall (vgl. Bourdieu 2001, 204).

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

»Habitustheorie und Bildungstheorie fokussieren das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft also nicht nur aus unterschiedlichen Perspektiven, sondern akzentuieren unterschiedliche Aspekte an der Entwicklung individueller Verfasstheit: die Last der inkorporierten Geschichte und die Voraussetzungshaftigkeit und gesellschaftliche Begrenzung von Veränderung einerseits, die Möglichkeit eines radikalen Wechsels der Haltung und der eigenen Praxis durch Einsicht und Entschluss und somit eines Neuen und Anderen in der Zukunft andererseits.«72 Die Trägheit des Habitus, wie Bourdieu es selbst in seinen Ausführungen nennt,73 welche die unverfügbaren Aspekte, die herausfordernde Seite von Veränderung und den Hang zur Erhaltung des aktuellen Habitus betont, steht hier begrifflich der Möglichkeit innerhalb eines Bildungsprozesses entgegen, aus einer bewussten und selbstbestimmten Position gegenüber dem eigenen Gewordensein heraus eine Veränderung bewirken zu können.74 Das Habituskonzept betont somit mehr die Unwahrscheinlichkeit von Bildungsprozessen.75 An Bourdieu zeigt sich beispielhaft der grundlegende Aspekt, an dem sich die Perspektive von Sozialisation und Bildung unterscheiden: Bourdieus Untersuchungen können durchaus so verstanden werden, dass sie vom Gedanken eines freien und selbstbestimmten Lebens angeleitet sind.76 Seine Perspektive bleibt allerdings darauf beschränkt, wie die Analyse der menschlichen Umwelt und im Besonderen der Gesellschaft einen Beitrag zu dem Ziel leisten können, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.77 Bourdieu selbst verfolgt seinen eigenen Gedanken zur Möglichkeit, durch Reflexion einen Teil einer Situation oder Handlung selbst beeinflussen zu können, nicht weiter, sondern weist darauf hin, dass die Analyse der äußeren Bedingungen im Prozess der Reflexion eine zentrale Rolle einnimmt.78 »Bourdieus theoretisches Bemühen dagegen zielt

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Wigger 2007, 183–184. Vgl. Bourdieu 2001, 206; vgl. auch Koller 2010, 293. Vgl. Wigger 2007, 183. Vgl. Koller 2012a, 26. Für diese Interpretation vgl. Rieger-Ladich 2002, 285. Vgl. Rieger-Ladich 2002, 336–348; die Darstellung zeigt, wie Bourdieu dem Ansatzpunkt für die Beschäftigung mit den Bedingungen von Selbstbestimmung, die innerhalb des Subjekts liegen, bewusst nicht nachgeht, um auf die Rolle von Umwelteinflüssen für die Selbstbestimmung eines Individuums zurückzukommen. Vgl. Bourdieu/Wacquant 2006, 170–171.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

auf den Nachweis einer durchgängigen gesellschaftlichen Bestimmtheit von Subjektivität und von ihrem Denken, Wahrnehmen, Handeln.«79 Das Habituskonzept bezieht Subjektivität in seiner Totalität nicht in seine Begrifflichkeit mit ein und bleibt als Konzept dem perspektivischen Fokus auf Sozialität verpflichtet, obwohl sich der Habitus selbst als nicht geschlossene Struktur zeigt80 und die Umwelt des Individuums im Habituskonzept nicht als determinierend, sondern lediglich als limitierend gilt. Bildung thematisiert hingegen auf der Analyse der äußeren Bedingungen eines Individuums aufbauend zusätzlich die Aspekte, die den Umgang des Individuums mit seinen äußeren Bedingungen, seiner Sozialisation, betreffen, und geht damit über den Aspekt des Umwelteinflusses hinaus.81 Bildung ist ein Prozess, in dem verinnerlichte unbewusste Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsstrukturen in bewusstes Wahrnehmen, Denken und Handeln überführt werden. Zwar ist auch ein wahrnehmendes und bewusstes Subjekt in eine Umwelt eingebunden und bringt das Überführen unbewusster Strukturen in das Bewusstsein des Subjekts wieder neu Strukturen im Subjekt hervor, die ebenfalls in Umweltbedingungen eingebettet sind; allerdings ist sich ein Subjekt, das diesen Bildungsprozess durchlaufen hat, dieser Rahmung der eigenen Subjektivität und eigenen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsstrukturen bewusst und kann neue Strukturen immer wieder in bewusstes Wahrnehmen, Denken und Handeln überführen. Die Darstellung des Habituskonzepts zeigt, dass die Perspektive von Bildung den Blickwinkel von Sozialisation auf die Entwicklung eines Individuums umfasst und überschreitet. Während im Phänomen Sozialisation die Limitierung des Individuums durch individuelle Umweltbedingungen im Vordergrund steht,82 wird im Phänomen Bildung der Hinweis auf die limitierenden Umweltbedingungen aufgenommen und als Grundlage der Perspektive auf die Entwicklung eines Individuums verwendet, aber darüber hinausgehend die Aufnahme und Ausgestaltung dieser Limitierung thematisiert, um 79 80 81

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Wigger 2007, 172. Vgl. Rosenberg 2011, 83. Dieser Auffassung liegt ein Subjektverständnis zugrunde, das der Innenperspektive des Subjekts eine zentrale Bedeutung zuspricht (vgl. Kap. 5.3 und 5.4) und ein organismisch-dialektisches Verständnis der menschlichen Psyche zugrundlegt (vgl. Kap. 6.4.1). In dieser Perspektive stellen innere Prozesse im Subjekt wie die Internalisierung äußerer Impulse korrespondierende Vorgänge zu den äußeren Prozessen der Sozialisation dar (vgl. Ryan/Deci 2017, 180). Vgl. Koller 2012a, 26.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

die aktive Beteiligung des Subjekts an der Konstituierung des eigenen Weltund Selbstverhältnisses zu erfassen. Was es heißt, als Subjekt diesen Gestaltungspielraum auszufüllen, bleibt in der Perspektive von Sozialisation unberücksichtigt und wird durch die genannten Erklärungen von Veränderung als Frage eher drängender als beantwortet. Bildung beschreibt hingegen auch, was ein Individuum zu dieser Gestaltung aus sich selbst heraus beitragen kann, und umfasst in seiner Bedeutungsdimension damit auch, dass ein Individuum aus einer selbstbestimmten Position tätig sein kann. Bildung fordert für diese selbstbestimmte Aktivität des Subjekts ein spezifisches Selbstverhältnis, das Sozialisation in ihrer Perspektive auf äußere Aspekte der Subjektentwicklung entweder nicht als ihren Gegenstand betrachtet oder nicht als wichtige Bedeutung abbilden kann, ohne andere zentrale Bedeutungskomponenten in Frage zu stellen. Denn wenn im Sozialisationskonzept dem Subjekt ein bedeutender Spielraum im Wahrnehmen, Denken und Handeln gegenüber seinen äußeren Umwelteinflüssen eingeräumt wird, gefährdet dies den Bedeutungskern, den bestimmenden Einfluss der Umwelt auf ein Individuum zu beschreiben.

3.3 Bildung und Wissen Auch Bildung und Wissen sind zwei Begriffe, die trotz ihrer unterschiedlichen Bedeutung oft eng miteinander verknüpft werden. Viele Konzepte von Bildung halten Wissen für ein konstitutives Element von Bildung.83 Manche Bestimmungen gehen gar so weit, Wissen mit Bildung nahezu gleichzusetzen. Der Ruf nach einem Bildungskanon, d.h. einem festgelegten Wissen, das Bildung ausmacht und jeder besitzen soll, ist Ausdruck davon, Wissen und Bildung als derart deckungsgleich zu verstehen.84 Den Bedeutungsumfang von Bildung so eng mit Wissen zu verknüpfen, hängt damit zusammen, dass Wissen ein wahres und gerechtfertigtes Welt-

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Vgl. beispielhaft Humboldt 1793/1961, 1–24, Pleines 1989, 12, Langewand 1994, 74, Hentig 1996, 71–100, Lenzen 1997, 951–952, Fuhrmann 2002, Stojanov 2014a, 207, Lederer 2015, 82 oder Ehrenspeck-Kolasa 2018, 193. Vgl. Schwanitz 2004; eine Erweiterung dieses Bildungskanons um naturwissenschaftliches Wissen versucht Ernst Peter Fischer zu formulieren (vgl. Fischer 2001); für ein weiteres Beispiel eines Bildungskanons vgl. auch Humboldt 1793/1961, 1–24, Hentig 1996, 71–100 sowie Fuhrmann 2002 und 2004.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

verhältnis85 darstellt, das auch Bildung als zentralen Bedeutungsaspekt enthält: »Wissen wird traditionell […] als eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung verstanden. Wissen ist demnach eine Relation zwischen einem epistemischen Subjekt und einem Sachverhalt, die durch drei Merkmale gekennzeichnet ist: Das epistemische Subjekt glaubt, da[ss] der Sachverhalt besteht, diese Überzeugung ist wahr und das Subjekt ist in der Lage, sie epistemisch zu rechtfertigen, i.e. kann gute Gründe dafür angeben, weshalb sie wahr ist.«86 Sich Wissen anzueignen heißt demnach, sich die Welt zu erschließen, indem wahre und gerechtfertigte Überzeugungen über diese erlangt werden. Es wird ein solches Verhältnis zur Welt hergestellt und das eigene Weltverhältnis erweitert. Wissen als diese Kenntnis der Welt kann im Kontext von Bildung sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht verstanden werden. In quantitativer Hinsicht erfordert Wissen im Kontext von Bildung, dass das Verhältnis eines Individuums einen bestimmten Umfang erreicht, in qualitativer Hinsicht, dass das Wissen eines Individuums bestimmte besonders bedeutende und relevante Ausschnitte der Welt umfasst. Der Ruf nach einem Bildungskanon verkörpert diese Ansicht, dass Wissen im Kontext von Bildung nicht beliebig ist.87 Das wahre und gerechtfertigte Weltverhältnis, das Wissen auszeichnet, ist auch deshalb ein wichtiges Ziel von Bildung, weil es für ein Individuum eine sichere Basis für die eigenen weiteren Überzeugungen darstellt.88 Darüber hinaus bietet dieses eine für jeden einsichtige Grundlage für Begründungen, die so zur Rechtfertigung der eigenen Überzeugungen gegenüber anderen dienen kann. Die umfangreiche Diskussion zum Wissensbegriff zeigt allerdings, dass es erkenntnistheoretisch umstritten ist, ob Wissen diese Funktion eines einfachen und unstrittigen Bezugspunktes übernehmen kann.89 So besteht in der traditionellen Definition von Wissen eine Lücke zwischen Wahrheit und Rechtfer85

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Wie die weiteren Ausführungen zeigen, kann Wissen auch Wissen über sich selbst beinhalten, wird aber im Kontext von Bildung vor allem als Wissen thematisiert, das ein Individuum über die Welt besitzen sollte (vgl. beispielhaft Schwanitz 2004). Kreitz 2007, 103. Vgl. auch Hubig 2012, 20. Vgl. Liessmann 2006, 16. Vgl. Kreitz 2007, 125. Vgl. Kreitz 2007, 103–112.

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tigung, wie die Gettier-Beispiele zeigen.90 Begründungen können falsch sein, auch wenn sie gerechtfertigt sind. Aber auch die Probleme, die damit einhergehen, dass Wissen Repräsentationen von Informationen im Subjekt sind,91 sind als Herausforderungen des Wissensbegriffs zu nennen. Über diese epistemischen Schwierigkeiten hinaus ist vor allem die Prägung von Wissen durch ihre Umwelt als problematischer Aspekt zu nennen. So weisen wissenssoziologische Überlegungen darauf hin, dass gesellschaftliche Verhältnisse, ökonomische Rahmenbedingungen und wissenschaftlich vorherrschende Grundüberzeugungen darauf Einfluss nehmen, welche Rechtfertigungen für überzeugend gehalten werden.92 Aber auch welches Wissen als gesellschaftlich relevantes Wissen gilt und wie Wissen eingesetzt und gedeutet wird, wird durch gesellschaftliche Verhältnisse wie Machtstrukturen beeinflusst und bestimmt.93 Deshalb können die gesellschaftlichen Bedingungen von Wissen bzw. Wissensproduktion als ein zweiter großer Themenkomplex des Diskurses über Wissen verstanden werden.94 Die epistemisch problematischen Aspekte und die sozialen Rahmenbedingungen von Wissen zeigen, dass Wissen nicht auf die gewünscht neutrale und zugleich zwingende Weise die Funktion übernehmen kann, eine allgemein gültige und nachvollziehbare Grundlage für Begründung zu sein. Wissen als wahre gerechtfertigte Überzeugung ist selbst in Strukturen eingebunden und fungiert nicht nur als Grund für etwas, sondern zeichnet sich auch dadurch aus, in Annahmen zu gründen und durch eine Grundlage bestimmt zu sein.95 Die genannten problematischen Aspekte von Wissen veranlassten dazu, die Beschreibung und Definition von Wissen weiterzuentwickeln und diese Aspekte zu berücksichtigen. Auf diese epistemisch problematischen Aspekte eingehend wird Wissen in der Folge als Konzept vorgestellt, das an relative Standards in der Rechtfertigung gebunden ist.96 Abschließende Gründe können in die90 91 92 93 94 95 96

Vgl. Gettier, 1963. Vgl. Kreitz 2007, 107–111. Vgl. Stehr 1994 und Knoblauch 2014, 13–20; vgl. für einen Überblick der wissenssoziologischen Positionen Kübler 2009, 97–118 und Stehr/Adolf 2018, 25–31. Vgl. Foucault 1971, 413–462. Vgl. Stehr/Adolf 2018, 18. Vgl. Schäfer 2012, 157–160. Vgl. Dretske 2000, 48–54; Dretske weist bei Wissen und der Begründung von Wissen auf den Unterschied hin, dass Wissen über Fakten ein absolutes Konzept ist, das keine Abstufung zulässt. Es ist vorhanden oder nicht. Demgegenüber ist die Begründung von Wissen ein relatives Konzept, das an bestimmte Standards gebunden ist. Wann eine

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sem Konzept beispielsweise als Kriterien für eine Rechtfertigung von Wissen nach relativem Standard gelten.97 Innerhalb eines Konzepts von Wissen, in dem Wissen als wahre und gerechtfertigte Überzeugungen über die Welt verstanden wird,98 können ver-

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Begründung von Wissen als gerechtfertigt gilt, ist relativ zu bestimmen und kann in verschiedenen Kontexten unterschiedlich ausfallen. Ein Beispiel dafür ist der Begriff leer. Leer ist ein Absolutadjektiv, das weder gesteigert oder abgestuft werden kann noch auf einen Zustand mehr als auf einen anderen Zustand zutreffen kann. Etwas ist leer oder nicht leer. Aber der Standard, ab wann etwas als leer gilt, kann variieren. Ein Warenlager kann leer sein, auch wenn dort Luft drin ist. Es ist leer an Waren und Luft spielt in der Bewertung keine Rolle, wenn nachgesehen wird, ob das Warenlager leer ist. Leer kann an relative Standards gebunden werden. Vgl. auch Kreitz 2007, 108–109. Vgl. Dretske 2000, 3–5. »Ein abschließender Grund ist nach Dretske derart, da[ss] es nicht sein kann, da[ss] p nicht der Fall ist, wenn r der Fall ist« (Kreitz 2007, 106). r unterliegt dabei als abschließender Grund vor allem dem Kriterium der Zuverlässigkeit, für das r der rechtfertigende Grund ist. Die Last der Rechtfertigung von Wissen liegt in dieser reliabilistischen Position auf der Zuverlässigkeit abschließender Gründe (vgl. Kreitz 2007, 106–107). Darüber hinaus begegnet Dretske radikalskeptischen Einwänden, indem er für abschließende Gründe lediglich fordert, dass sie einem dem Kontext angepassten relativen Standard genügen müssen und alle relevanten Alternativen, die der Fall sein könnten, ausschließen (vgl. Dretske 2000, 53–54; vgl. auch Hubig 2012, 21). Wie erwähnt umfasst Wissen auch die Bedeutung von Wissen über sich selbst, was beispielsweise die Kenntnis der eigenen Geschichte oder Wissen um die eigenen Werte oder die eigene Weltanschauung umfasst. Unter dieser Perspektive stellt Wissen allerdings wahre und gerechtfertigte Überzeugungen über sich selbst und damit ein Selbstverhältnis dar. Wahr und gerechtfertigt haben als Eigenschaften in diesem Verhältnis jedoch einen anderen Charakter. Das Individuum hat einen privilegierten Zugang zu diesem Wissen, die Rechtfertigung richtet sich vor allem nach innen, weniger nach außen, und die Frage nach der Gewissheit dieses Wissens hat einen anderen Charakter. Die Frage nach dem Standard für Rechtfertigung und Wahrheit dieses Wissens stellt sich nochmal neu und anders, da ein Selbstverhältnis ein qualitativ anderer Bezug ist als ein Weltverhältnis. Wissen wird im Kontext von Bildung allerdings überwiegend als Weltverhältnis thematisiert, wenn z.B. das Aneignen von Wissen gefordert wird, wie es die Forderung nach einem Bildungskanon ausdrückt. Im bildungstheoretischen Diskurs wird die Aufforderung, Wissen über sich selbst zu erlangen, zwar auch unter wissensbezogenen Begriffen wie Tiefenwissen, welches Wissen um die eigene Wahrnehmungsgrundlagen darstellt, im Vergleich zu Oberflächenwissen, welches die subjektiv gespeicherte Realität und die gemerkten Fakten umfasst, thematisiert (vgl. Schüppel 1995, 193). Allerdings wird dieses Ziel, Wissen über sich selbst zu erlangen, mehr unter anderen Phänomenen wie Reflexion, Selbstwahrnehmung oder Selbstreflexion und eben auch Bildung selbst thematisiert (vgl. Kap. 4 und 5), weil dabei mehr der Prozess der

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schiedene Wissensarten unterschieden werden: So kann Wissen in verschiedene Bereiche wie Faktenwissen, das aus dem primären Erfahrungsbereich gewonnen wird, Wertewissen, das ein Wissen um alternative Handlungsziele umfasst, und Normenwissen, welches das Wissen darüber beinhaltet, welche Handlungen in welchen Situationen als gesellschaftlich passend zu beurteilen sind, unterteilt werden.99 Wissensformen können darüber hinaus unterteilt werden in deklaratives Wissen, das ein Kennen von Fakten, Eigenschaft oder Konzepte umfasst und mehr ein Wissen was und wozu darstellt, und prozedurales Wissen, das semantische Beziehungen sowie deren Bedingungen und Regeln enthält und als Wissen wie zu bezeichnen ist. Außerdem lässt sich explizites Wissen, das genau systematisch strukturiert, artikulierbar, bewusst verfügbar und vermittelbar ist, von implizitem Wissen unterscheiden, das eine Person besitzt, ohne dass sie es genau artikulieren und kommunizieren kann.100 Wissen kann somit als Konzept beschrieben werden, welches das facettenreiche Weltverhältnis eines Individuums in seiner vielfältigen Art und seinem möglichen Gegenstandsbereich abbildet. Dabei zeigt sich aber auch, dass Wissen und Bildung keine deckungsgleiche Bedeutung teilen, da Bildung ein viel umfangreicheres und vielschichtigeres Phänomen darstellt, als wahre und gerechtfertigte Überzeugungen über die Welt zu besitzen und zu erwerben. Die folgende Unterscheidung von Bildung und Wissen beschäftigt sich allerdings weniger mit der Frage, ob sich der Bedeutungsumfang des als wertvoll betrachteten Wissens hin zu positivem und empirischem, nützlichem und ökonomisch verwertbarem oder funktionalem Wissen verschiebt,101 um es als defizitäres Weltverhältnis zu kritisieren und Bildung davon abzugrenzen. Es spielt in der Betrachtung von Wissen und Bildung auch eine untergeordnete

Einnahme eines Selbstverhältnisses als der Vorgang des Erlangens von Informationen über sich im Mittelpunkt steht. 99 Vgl. Dröge 1973, 71–72; eine andere bedeutende Typisierung stammt von Max Scheler, der die drei Wissensformen Bildungswissen, Erlösungs- und Heilswissen sowie Herrschafts- und Leistungswissen unterscheidet (vgl. Scheler 1947, 26). Mit dieser Unterscheidung von Wissensformen thematisiert Scheler Wissen vor allem hinsichtlich seines Ziels (Entfaltung der Person, Werdensbestimmung der Welt sowie Beherrschung und Umbildung der Welt für menschliche Zwecke und Ziele) (vgl. auch Kübler 2005, 99–100). 100 Vgl. Lederer 2008, 73–74. 101 Für eine einführende Darstellung dieser Diskussion um Wissen vgl. Schmidt 2010, 21–31.

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Rolle, dass die konkrete Bildung in einer Gesellschaft in der Regel auch das Erlangen eines bestimmten Wissens zum Ziel hat, das nach historischen, gesellschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen oder anderen Kriterien festgelegt ist und meist in einem hochkulturellen Wissenskanon festgehalten wird. Dieses angestrebte Wissen ist dabei immer auch Ausdruck davon, welches Wissen in dieser Gesellschaft als wertvoll gilt und jeder (gebildete) Mensch besitzen sollte.102 Durch dieses festgelegte Wissen soll sichergestellt werden, dass ein gebildetes Subjekt ein umfassendes Weltverhältnis einnimmt und diesem so eine ausreichende Grundlage zur Urteilsfähigkeit zur Verfügung steht.103 Die folgende Unterscheidung betont vielmehr den grundlegenden Unterschied von Bildung und Wissen, der sich aus der Vielschichtigkeit und umfassenden Perspektive auf die Entwicklung eines Individuums im Phänomen Bildung ergibt. Als Distinktionsfaktor dieser Art kann vor allem die Innenperspektive des Subjekts ausgemacht werden, in welchem Bildung den Erwerb von Wissen überschreitet. Bildung geht über Wissen dahingehend hinaus, dass ein Individuum in Bildungsprozessen ein Welt- und Selbstverhältnis aus einer Innenperspektive einnimmt. Aus dieser Perspektive reicht es nicht aus, »lediglich« etwas zu wissen, um gebildet zu sein:104 »Eine ganz wesentliche Kategorie ist der Wissenserwerb, ohne den jede Bildung zum Scheitern verurteilt ist. Bleiben wir allerdings beim Wissenserwerb stehen, so ist nichts weiter gewonnen, als dass wir über einen bestimmten Sachverhalt bestimmte Aussagen machen können.«105 Diese Auffassung lässt sich als breit geteilte Auffassung im Diskurs um Bildung feststellen. »Gemeinsam ist den meisten bildungstheoretischen Argumentationen […], dass sie Bildung prinzipiell als einen offenen, auf Dauer angelegten Prozess verstehen, der sich bei Weitem nicht in Wissensaneignung und Informationsaufnahme erschöpft.«106 Bildungsprozesse unterscheiden sich somit 102 103 104 105 106

Vgl. Lederer 2008, 76. Vgl. Borst 2003, 6. Vgl. Kreitz 2007, 98–99. Borst 2009, 38. Grunert 2012, 19; auch Max Scheler versucht diesen Distinktionsfaktor von Wissen und Bildung zu fassen: »›Gebildet‹ ist nicht derjenige, der ›viel‹ zufälliges Sosein der Dinge weiß und kennt (Polymathia), oder derjenige, der Vorgänge maximal nach Gesetzen voraussehen und beherrschen kann […], sondern gebildet ist, wer sich eine persön-

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grundlegend von Prozessen des Wissenserwerbs darin, dass das Bildungssubjekt ein Verhältnis zu den erworbenen Kenntnissen einnimmt. »Bildung unterscheidet sich von Wissen darin, dass sie den ganzen Menschen, also seine Leiblichkeit, seine Wahrnehmung, seinen Geschmack und sein Gewissen betrifft. Vom Wissen ausgehend ermöglicht Bildung die gedankliche Auseinandersetzung mit diesem. Bildung ist die Reflexion auf Wissen, sie macht die gedankliche Auseinandersetzung mit den Aussagen über die Welt, über andere und über sich selbst erst möglich.«107 Nur wenn ein Individuum die erschlossene Welt auch für sich einordnet, d.h. sich zu seinem Weltverhältnis noch einmal verhält, durchläuft es auch einen Bildungsprozess, weil Bildung die Einnahme eines Welt- und Selbstverhältnisses aus einer Innenperspektive umfasst, die genau diese Einnahme eines Verhältnisses zu den Kenntnissen über die Welt erfordert. Dieses Unterscheidungsmerkmal von Bildung und Wissen tritt deutlich in der Kritik an Bildungskonzepten hervor, in denen sich Wissen im Laufe der Zeit zu einem selbstständigen Ziel an sich entwickelte. Gerade der von Theodor W. Adorno stammende Begriff der Halbbildung kritisiert das Phänomen, dass dem Wissen keine persönliche Bezugnahme durch das Subjekt hinzugefügt wird und Bildung so verpasst, ja sogar konterkariert wird:108 »›Halbbildung‹ […] bedeutet nicht etwa, lediglich über leicht aneigenbare, konsumerable Wissensinhalte in Form von Halbwissen zu verfügen. Vielmehr hat auch, wer sich überaus umfangreiche Wissensbestände aneignet, als lediglich halbgebildet zu gelten, sofern er/sie das Gelernte nicht auch begriffen hat und somit auf der Ebene einer bloßen Informiertheit verbleibt. Ohne die bewusste Reflexion des Gelernten und Erfahrenen […] bleibt Bildung bestenfalls Halbbildung.«109 liche Struktur, einen Inbegriff aufeinander zur Einheit eines Stiles angelegter idealer beweglicher Schemata für die Anschauung, das Denken, die Auffassung, die Bewertung und Behandlung der Welt und irgendwelcher zufälligen Dinge in ihr aneignete« (Scheler 1947, 30). Bildlich fasst Scheler das pointiert folgendermaßen zusammen: »Zu ›Bildung‹ gewordenes Wissen ist Wissen, das nicht mehr unverdaut im Bauche klappert« (Scheler 1947, 20). 107 Dörpinghaus u.a. 2013, 148. 108 Ein weiteres Beispiel für diese Kritik findet sich in der Diskussion um den neuhumanistischen Bildungsbegriff (vgl. Kap. 2.2). 109 Lederer 2015, 205–206.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

Dadurch, dass das Subjekt kein Verhältnis zum erworbenen Weltverhältnis einnimmt, werden die Voraussetzungen für Bildung somit nur halb erfüllt. Adorno beschreibt mit Halbbildung allerdings keine abgestufte Form von Bildung, sondern weist darauf hin, dass wenn »Wissen einen rein quantitativen Charakter gewinnt«110 und dem Weltverhältnis keine Bezugnahme durch das Subjekt hinzugefügt wird, Wissen mehr das Gegenteil von Bildung als eine Form von Bildung darstellt. In der Einnahme eines Verhältnisses zum Wissen wird vor allem die Komponente der Reflexion genannt, welche bei Bildung hinzukommt.111 Bildung »ist personalisiertes Wissen. Also Wissen, dass [sic!] für mich irgendwie wichtig geworden ist, das mir etwas gesagt hat, mich beeinflusst, mich gar geprägt hat, mit dem ich mich beschäftigt habe, an dem ich mich abgearbeitet habe.«112 Wissen kann erst durch die reflexive Auseinandersetzung mit ihm und durch die Verbindung mit der eigenen Haltung zum Orientierungspunkt für das Individuum werden, auf den Bildung als Gesamtkonzept abzielt. Bildung ist damit nicht nur Aneignung von Wissen, sondern vor allem auch der Umgang mit bestehendem Wissen, der eine grundlegend andere Ebene in das Weltverhältnis eines Individuums einbringt. Dieser zu Wissen hinzukommende Bezug des Subjekts auf das erworbene Wissen spielt gerade für das Bildungsziel der Selbstbestimmung des Individuums eine zentrale Rolle. So beschreibt Wissen als wahres Weltverhältnis, das die Welt quantitativ ausreichend und qualitativ adäquat erfasst, eine wichtige Komponente von Selbstbestimmung. Wer mehr über die Welt weiß und umfangreiche Kenntnisse über die Welt erlangt hat, erhöht den eigenen Grad an Selbstbestimmung, weil er mehr Kenntnisse über die Welt in die eigene Sicht auf die Welt einbeziehen kann und mehr Möglichkeiten für die Gestaltung seines eigenen Lebens in der Welt sieht. Wer das eigene Weltverhältnis qualitativ vertieft, indem er wichtiges Wissen über die Welt erlangt, erhöht seinen Grad an Selbstbestimmung ebenfalls, da er durch das Besitzen von relevantem Wissen der Gestaltung seines Lebens eine gehaltvollere Grundlage geben kann. Der eigene persönliche Rahmen, innerhalb dessen sich das Individuum selbst bestimmen kann, vergrößert und vertieft sich somit durch Wissen.

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Lederer 2015, 206. Vgl. Lederer 2015, 215; vgl. auch Grunert 2012, 35 und Kap. 3.6 und 4. Für weitere Ausführungen zum Aspekt der Reflexion vgl. Kap. 5.1. Krautz 2009, 17.

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Für das zentrale Bildungsziel Selbstbestimmung reicht dies allein aber nicht als Grundlage. Nur ein Individuum, das sich zu diesem umfangreichen Wissen in ein Verhältnis setzt, erlangt die Möglichkeit, diesem Wissen eine Bedeutung für sich beizumessen, es in sein Welt- und Selbstverhältnis einzuordnen und es so zu einer Grundlage zu machen, die einen Beitrag zur selbstbestimmten Gestaltung des eigenen Lebens leistet.

3.4 Bildung und Kompetenz Parallelen zur Diskussion um die Begriffe Bildung und Wissen zeigen sich in der Gegenüberstellung der Begriffe Bildung und Kompetenz, da die Zielrichtung der Konzepte Wissen und Kompetenz im Kontext von Bildung ähnlich ist. Wissen oder Kompetenz für das zentrale Entwicklungsziel eines Individuums zu halten ist von der Idee geleitet, dass das Ziel der Entwicklung eines Individuums in einem fest umrissenen Kanon fassbar ist – zum einen in einem Kanon an Wissen, zum anderen in einem Kanon an Fähigkeiten und Fertigkeiten,113 den sich ein Gebildeter angeeignet haben sollte. Wissen und Kompetenz verweisen als Konzepte darüber hinaus auf das jeweils andere, wenn Kompetenz mit einer wissensbezogenen Basis ausgestattet verstanden wird114 oder Wissen mit dem Impuls gedacht wird, dass der Wissende auf der Basis dieser Kenntnisse wirksam wird und Wissen auch in die Tat umsetzt.115 Wissen und Kompetenz unterscheiden sich allerdings auch als Konzepte. Kompetenz lässt sich als ein Vermögen eines Individuums, das stark von seinen praktischen Implikationen her konzipiert ist und deshalb verwendbare Fähigkeiten und Fertigkeiten ins Zentrum ihrer Bedeutung stellt, klar von Wissen als einem Bestand eines Individuums unterscheiden, der sich durch die vorhandene Kenntnis von Fakten auszeichnet.116 Der Kompetenzbegriff entwickelte sich darüber hinaus im Zuge der Diskussion um die PISA-Studie zu einem zentralen Begriff im Bildungsbereich,

113 114 115 116

Vgl. Koch 2010, 323. Vgl. Grunert 2012, 62–63. Stehr/Adolf definieren Wissen sogar als Fähigkeit zum Handeln (vgl. Stehr/Adolf 2018, 40). Vgl. Ehrenspeck-Kolasa 2018, 194; vgl. auch Lenzen 1997, 951–953, Grunert 2012, 62 und Lederer 2015, 82.

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der Bildung als pädagogischen Leitbegriff abzulösen schien.117 Kompetenzen werden im pädagogischen Diskurs dabei oft bestimmt als »die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.«118 Eine umfassendere Betrachtung des Kompetenzbegriffs über den pädagogischen Bereich hinaus zeigt, dass dem Kompetenzbegriff sowohl hinsichtlich seiner historischen Wurzeln als auch der Verwendung in anderen Bereichen weitere Konnotationen zugeschrieben werden können.119 Trotzdem lassen sich verschiedene Facetten des Kompetenzkonzepts im bildungstheoretischen Kontext anhand der Definition von Weinert gut differenzieren: So können Kompetenzen als a) funktionale und b) situationsbezogene Fähigkeiten und Fertigkeiten bestimmt werden, die sich c) bereichsspezifisch differenzieren lassen. a) Die funktionale Komponente von Kompetenzen liegt darin begründet, dass eine Kompetenz auf die Lösung bestimmter Probleme ausgerichtet ist. Eine Kompetenz hat die Funktion, spezifische Anforderungen in einem bestimmten Bereich bewältigen zu können.120 Sie besteht dementsprechend aus den für eine spezifische Funktion erforderlichen Fähigkeiten und nötigen Fertigkeiten, die bei einem Individuum vorliegen müssen. b) Die plurale Verwendung Kompetenzen unterstreicht dabei, dass eine einzelne Kompetenz auf eine spezifische Situation bezogen ist.121 Die Fähigkeiten und

117

Die Diskussion im Anschluss an die PISA-Studie, die Kompetenzen in den Mittelpunkt pädagogischer Debatten stellte, schien ein Indiz für eine solche Entwicklung zu sein (vgl. beispielhaft Weinert 2001a). 118 Weinert 2001b, 27–28. 119 Vgl. Grunert 2012, 38–46 oder Müller-Ruckwitt 2008, 103–176; zu nennen ist vor allem die juristische Verwendung des Kompetenzbegriffs, in der Kompetenz »Zuständigkeit« bedeutet, und der psychologische Kompetenzbegriff (vgl. auch Kap. 6.4.2), in welchem Kompetenz in Verbindung mit der Wirksamkeitserfahrung thematisiert wird. 120 Vgl. auch Dörpinghaus u.a. 2013, 143–144, Müller-Ruckwitt 2008, 251 und Klieme/ Hartig 2007, 14. 121 Vgl. Lerch 2016, 47.

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Fertigkeiten, die in einer Situation zur Bewältigung der Anforderung benötigt werden, sind in ihren einzelnen Bestandteilen analysierbar und differenzierbar. Kompetenzen werden demnach funktional und ausgehend von ihrem konkreten Situationsbezug bestimmt,122 auch wenn sie mehrere Funktionen erfüllen oder einen Bezug zu vielfältigen Situationen haben. c) Die beiden Kerneigenschaften der Funktionalität und Situationsbezogenheit verdeutlichen dabei, dass eine Kompetenz klar auf ein Ziel ausgerichtet ist, sodass sich konkrete Kompetenzen gut differenzieren und in verschiedene Bereiche unterteilen lassen, auch wenn solche Differenzierungen eine gewisse Unschärfe mit sich bringen.123 So werden bei Kompetenzen in ihrer Ausrichtung grundsätzlich die drei Felder Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz unterschieden124 und auch die Differenzierung von Fach- und Methodenkompetenz ist gebräuchlich.125 Auch innerhalb der genannten Felder lassen sich Kompetenzen darin noch einmal differenzieren, wie es beispielhaft in Weinerts Definition die Eigenschaften motivational und volitional als zwei Eigenschaften von Selbstkompetenz darstellen. d) Diese Beschreibung von Kompetenzen lässt außerdem erkennen, dass es sich bei einer Kompetenz um ein Mittel für einen bestimmten Zweck handelt.126 Als funktionale, situationsbezogene und bereichsspezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten sind Kompetenzen grundsätzlich als zweckerfüllende Mittel definiert. Darüber hinaus lassen sich als Merkmale von Kompetenzen feststellen, dass eine Kompetenz e) an Performanz127 gebunden, f) anwendungsorientiert und g) outputorientiert ist. e) Eine Kompetenz zielt, ausgerichtet an der Bewältigung situationsbezogener Anforderungen, immer auf das Erbringen des konkreten Ergebnisses der Bewältigung und nicht nur die theoretische Möglichkeit, diese bereichsspezifische Anforderung erfüllen zu können. »Kompetenz kann damit nicht außerhalb des Handelns gedacht werden, oder: Kompetenz zeigt und entwickelt sich

122 Vgl. Klieme/Leutner 2006, 879. 123 Vgl. Lerch 2016, 50. 124 Diese Unterscheidung geht auf Heinrich Roth zurück (vgl. Roth 1971, 17 und 180. Auf S. 17 verwendet er den Begriff Ich-Kompetenz, nicht Selbstkompetenz). 125 Vgl. Lerch 2016, 49–50. 126 Vgl. Dörpinghaus u.a. 2013, 143. 127 Mit Performanz ist die Ausführung einer Handlung bzw. das konkrete Zeigen von etwas gemeint.

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nur im Handeln, in der Performanz.«128 Die spezifische Problemlösungsorientierung von Kompetenzen wird immer zusammen mit ihrer Handlungsanforderung gedacht.129 f) Diese Handlungsbezogenheit von Kompetenzen schließt es nicht aus, dass eine Kompetenz in andere Handlungsfelder und Kontexte übertragbar ist, für unterschiedliche Funktionen nutzbar ist oder auch von der konkreten Bewältigungsfähigkeit auf die abstrakten Fähigkeiten und Fertigkeiten dahinter geschlossen wird.130 »Kompetenz zeigt sich im je situativen Bewältigen von Anforderungen (in der ›Performanz’ des Handelns), wird aber als Disposition interpretiert. Dementsprechend ist Kompetenz kontextualisiert und spezifisch, aber auf Transfer und Verallgemeinerung angelegt. Kompetenz bezieht sich sowohl auf Handlungsvollzüge als auch auf die ihnen zugrunde liegenden mentalen Prozesse und Kapazitäten, zu denen Kognition, Motivation und Volition bzw. Wissen und Können gehören.«131 Weil Kompetenzen an ihren praktischen Handlungsvollzug gebunden sind und gleichzeitig die dafür erforderlichen zugrundeliegenden Fähigkeiten meinen, werden Kompetenzen auch als praktisches Wissen bezeichnet.132 Diese starke Orientierung von Kompetenzen am praktischen und konkreten Vollzug ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten zeigt, dass es bei einer Kompetenz immer auch um ihr Anwenden geht und Kompetenz deshalb als anwendungsorientiertes Konzept zu bezeichnen ist.133 g) Der Aspekt der Performanz im Kompetenzkonzept und die damit verbundene Anwendungsorientierung von Kompetenzen hat zur Folge, dass das

128 Grunert 2012, 63; vgl. auch Arnold 2002, 31. 129 Vgl. Arnold 2002, 26. 130 Eckhard Klieme und Detlev Leutner definieren Kompetenzen sogar gänzlich als Leistungsdispositionen (vgl. Klieme/Leutner 2006, 879). 131 Klieme/Hartig 2007, 13. 132 Vgl. Kreitz 2007, 112–124; Robert Kreitz’ Diskussion des Konzepts Können kann als Explikation der theoretischen Fragen hinter einem funktionalen Kompetenzbegriff angesehen werden. Die Ähnlichkeit von Konzepten wie Praktisches Wissen und funktionale Kompetenz zeigen dabei, dass sowohl der Begriff Wissen als auch der Begriff Kompetenz meist auf beides abzielt, die nötigen Fähigkeiten als Grundlagen für Handeln und den konkreten Handlungsvollzug (vgl. Kreitz 2007, 128). 133 Vgl. Klieme/Hartig 2007, 14.

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Kompetenzkonzept im Kontext von Bildung die Ergebnisse von Bildungsprozessen in seinen Mittelpunkt stellt. »Im Bildungskontext verbindet sich ›Kompetenzorientierung‹ zunächst ganz allgemein mit dem geschärften Blick auf die tatsächlich erreichten Lernergebnisse. Kompetenzorientierung bedeutet hier auch, Wissen und Können so zu vermitteln, dass keine ›trägen‹ und isolierten Kenntnisse und Fähigkeiten entstehen, sondern anwendungsfähiges Wissen und ganzheitliches Können«134 . Der Aufstieg des Kompetenzbegriffs ist eng verbunden mit der Umorientierung der Pädagogik von einer Input-Orientierung hin zu einer Output-Orientierung.135 h) Als weiteres Merkmal von Kompetenzen ist die Eigenschaft der Erlernbarkeit zu nennen: »Ein für die Bildungsforschung wichtiges Merkmal des Kompetenzkonzepts ist schließlich, dass Kompetenzen durch Erfahrung und Lernen in relevanten Anforderungssituationen erworben sowie durch äußere Interventionen beeinflusst werden können.«136 Kompetenzen als erlernbare und förderungsfähige Fähigkeiten und Fertigkeiten sind somit von anderen Voraussetzungen für eine Anforderungsbewältigung im Individuum wie z.B. von angeborenen Merkmalen des Individuums oder Ergebnissen selbstständig ablaufender Entwicklungsprozesse wie Reifungen zu unterscheiden. Die genannten Merkmale von Kompetenzen sind auch in unterschiedlich starker Ausprägung in Charakterisierungen von Bildung enthalten. Bildung geht als Prozess allerdings über den Erwerb von Kompetenzen hinaus. Während sich im Kompetenzkonzept das Ziel der Entwicklung eines Individuums an vorliegenden Situationen und ihrer Funktionalität für diese ausrichtet, werden im Konzept Bildung Ziele nach normativen Kriterien137 bestimmt. Dadurch

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Klieme/Hartig 2007, 13. Vgl. Zierer 2012, 39–40 und Klieme/Leutner 2006, 876. Klieme/Leutner 2006, 880; vgl. zum Merkmal der Erlernbarkeit von Kompetenzen auch White 1959, 297, Klieme/Hartig 2007, 17–18 und Grunert 2012, 40. Mit normativen Kriterien sind Kriterien gemeint, die ein Sollen enthalten, das nicht in den direkten Anforderungen und Beschreibungen der gegebenen Verhältnisse gründet, sondern ein bewusstes Sollen zur Grundlage hat. Dieses Sollen folgt Gründen und ist nicht bloße Folge der eben vorliegenden Situation. Bildung ist mit normativen Kriterien dadurch verbunden, dass Bildungsziele grundsätzlich aktiv und bewusst ausge-

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wird die Zieldimension der Entwicklung eines Individuums bei Bildung auf eine ganz andere Art als im Kompetenzkonzept bestimmt. Sie ist einer inhaltlichen Bestimmung von innen, aus dem Subjekt heraus zugänglich, während die inhaltliche Bestimmung von Kompetenz grundsätzlich eine Bestimmung von außen ist und auf vorliegende Parameter bezogen bleibt. Durch diese grundsätzliche Bestimmungsrichtung von außen gelingt es dem Kompetenzkonzept nicht, das zentrale Entwicklungsziel der Selbstbestimmung eines Individuums adäquat einzubeziehen, da bei Selbstbestimmung der Bestimmung aus der Innenperspektive des Subjekts heraus eine besondere Rolle zugesprochen wird.138 Dieses konstitutive Element von Selbstbestimmung, das Bildung enthält,139 kann in das Kompetenzkonzept, in welchem die Ziele über Anforderungen von außen bestimmt werden, allerdings nur schwer integriert werden, ohne wichtige Kernbestandteile des Bedeutungsgehalts aufzugeben, die Stärken des Konzepts abzuschwächen und die eigene Rolle im pädagogischen Diskurs zu gefährden.140 Trotzdem wurde der Versuch unternommen, diese besondere Eigenschaft von Bildung, die Innenperspektive des Subjekts zu berücksichtigen, über das Konzept der Selbstkompetenz in den Kompetenzbegriff einzuführen. Selbstkompetenz wurde dabei differenziert als Fähigkeit beschrieben und durch eine Liste an Eigenschaften umrissen, wie es z.B. die aktuelle Selbstkompetenzdefinition der Kultusministerkonferenz zeigt:141 Selbstkompetenz ist die wählt werden und Bildung das Ziel der Selbstbestimmung des Bildungssubjekts beinhaltet, die eine aktive Rolle des Subjekts in der Auswahl seiner Ziele und der Bestimmung seiner selbst verlangt (vgl. Kap. 3.6 und 6). Für weitere Erklärungen des Begriffs Normativität vgl. Stemmer 2008 oder Tarkian 2009, 69–71. Zum Aspekt der Normativität in Bildungstheorien vgl. auch Krinninger/Müller 2012. 138 Grundlegend für dieses Argument ist das an anderer Stelle dargelegte Konzept von Selbstbestimmung (vgl. Kap. 6.3). 139 Vgl. Kap. 3.6 und 4. 140 Ein Beispiel ist die Outputorientierung im Kompetenzkonzept. Bei einer Kompetenz steht das Ergebnis einer Handlung im Mittelpunkt. Wenn bei einer Kompetenz beispielsweise gleichzeitig berücksichtigt wird, aus welcher inneren Verfassung des Subjekts heraus das Ergebnis erzielt wird, wird ein Kriterium in den Bedeutungsumfang mitaufgenommen, welches diese Outputorientierung erheblich schwächt. Mit dem Begriff Kompetenz soll allerdings gerade das Ergebnis der Handlung ins Zentrum der Betrachtung gestellt werden, da es seine Rolle im bildungstheoretischen Diskurs ist, das Ergebnis von Lernprozessen zu erfassen und dessen Wichtigkeit herauszustellen. 141 Vgl. Sekretariat der Kultusministerkonferenz 2021, 15. Eine andere Aufzählung findet sich bei Sebastian Lerch, der die Top 10 Selbstkompetenzen in den Bereichen Medizin,

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»Bereitschaft und Fähigkeit, als individuelle Persönlichkeit die Entwicklungschancen, Anforderungen und Einschränkungen in Familie, Beruf und öffentlichem Leben zu klären, zu durchdenken und zu beurteilen, eigene Begabungen zu entfalten sowie Lebenspläne zu fassen und fortzuentwickeln. Sie umfasst Eigenschaften wie Selbstständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein. Zu ihr gehören insbesondere auch die Entwicklung durchdachter Wertvorstellungen und die selbstbestimmte Bindung an Werte.«142 Selbstkompetenz wird in weiteren detaillierten Explikationen vor allem als »Fähigkeit, für sich selbst verantwortlich handeln zu können«143 , »Fähigkeit zur Wahrnehmung, Reflexion und Steuerung des eigenen Verhaltens«144 oder »reflexiver und besonnener Umgang mit sich«145 beschrieben. Gegen die Kritik am Kompetenzkonzept, die in Bildung enthaltene persönlichkeitsbezogene Komponente zu verfehlen, wird als Beleg vor allem angeführt, dass Selbstkompetenzen dieses Element z.B. in der Kompetenz der Selbstbestimmungsfähigkeit durchaus enthalten.146 Allerdings gelingt es durch die detaillierte Beschreibung von Selbstkompetenz nicht, die Innenperspektive des Subjekts als konstitutiven Bestandteil zu berücksichtigen und die Bestimmungsrichtung von außen zu überwinden. So bleibt auch bei einem differenzierten Konzept von Selbstkompetenzen ihr elementar funktionaler und situationsbezogener Charakter bestehen. Die in den verschiedenen Aufzählungen genannten Selbstkompetenzen sind eine Erläuterung dessen, wie eine bestimmte Situationsanforderung bewältigt werden kann, und bilden die Innenperspektive des Subjekts nicht ab, auch Ingenieurswissenschaften und Pädagogik aufzählt und dabei Einsatzbereitschaft, Organisationsfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Selbstständigkeit, Gestaltungswille, Flexibilität, Lernbereitschaft, (Eigen-)Initiative, Leistungsbereitschaft und Analytisches Denken als Selbstkompetenzen nennt (vgl. Lerch 2016, VIII-IX). Aber er nennt an anderer Stelle auch Leistungsbereitschaft, Ausdauer, Engagement, Eigeninitiative, Selbstmotivation, Emotionskontrolle, Stressmanagement, Selbstachtung, positives Selbstkonzept, Glaube an Gestaltungsmöglichkeiten, Entscheidungsbereitschaft, Ambiguitätstoleranz oder ethisches Bewusstsein als einzelne Selbstkompetenzen (vgl. Lerch 2016, 74 und 77). 142 Sekretariat der Kultusministerkonferenz 2021, 15. 143 Roth 1971, 180. 144 Zedler/Döbert 2010, 35–36. 145 Lerch 2016, 50. 146 Vgl. Klieme/Hartig 2007, 22.

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wenn die Situationsanforderung Selbstbestimmt leben heißen würde. Denn auch wenn versucht wird, Kompetenz nicht-funktional, situations- und bereichsübergreifend und auf die Person als Ganze über die Lebensspanne hinweg zu verstehen147 oder Selbstkompetenz von ihrer Orientierung an Ökonomie, Optimierung und dem Streben nach mehr zu lösen,148 wird die Zieldimension von Kompetenz von außen bestimmt und die Innenperspektive des Subjekts nicht miteinbezogen. »Während […] Bildung als ein offener und auf Dauer gestellter Subjektivierungsprozess verstanden werden kann, lenkt der Kompetenzbegriff […] den Blick auf den konkreten Kontext, die situativen Bedingungen, in denen sich ein solcher Prozess entfalten kann.«149 Damit ist die Definitionsrichtung im Kompetenzkonzept grundsätzlich anders als bei Bildung. Diese Definitionsrichtung von außen und die damit verbundenen Schwierigkeiten zeigen sich auch beim Konzept Selbstkompetenz, wenn Selbstbestimmung als Kompetenz abgebildet werden soll. So kann ein Konzept von Selbstkompetenz zwar jene Mittel umreißen, die es ermöglichen, sich von den Anforderungen der Außenwelt zu distanzieren und sich zu ihnen zu verhalten.150 Damit bleibt Selbstbestimmung aber eine vorgegebene Fähigkeitensammlung, die das Subjekt zur Bewältigung eines Problems an den Tag legen können muss. Selbstbestimmung bleibt durch diese Vorgabe etwas von außen Fremdbestimmtes. Selbstkompetenz dringt mit ihrer Art, von außen einen festgelegten, fremdbestimmenden Rahmen für die innere Verfassung eines Individuums zu bestimmen, in die innersten Strukturen des Subjekts vor und entfernt es so von Selbstbestimmung.151 Für Selbstkompetenz die Definitionsrichtung von außen aufzugeben, würde allerdings einen Kernbestandteil von Kompetenz unberücksichtigt

147 148 149 150 151

Vgl. Grunert 2012, 69. Vgl. Lerch 2016, 88–95. Grunert 2012, 76–77. Vgl. Lerch 2016, 83. Auch Volker Ladenthin weist auf diesen Punkt mit dem Beispiel der Selbstkompetenz Motivation hin (vgl. Ladenthin 2010, 348–349): Wenn Motivation als erlernbare, durch den Anwendungsbereich festgelegte und unter Leistungsgesichtspunkten zu messende Kompetenz verstanden wird, kann das dazu führen, dass Motivation nicht mehr den Kern des freien Willens und der Selbstbestimmung ausmacht, sondern viel mehr zu einem Kontroll- und Unterdrückungsmechanismus wird. Das Subjekt »soll motiviert sein, das zu tun, was andere wollen« (Ladenthin 2010, 350).

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lassen und ihre Klarheit hinsichtlich der Ergebniserwartung durch Funktionalität und Situationsbezogenheit erheblich abschwächen, die sie gerade so attraktiv macht. Darüber hinaus trägt die Verwendung des Begriffs Selbstkompetenz dazu bei, dass für das Kompetenzkonzept ein weiterer erheblicher begrifflicher Begründungsbedarf hervortritt, der in der kontroversen Diskussion des in Selbstkompetenz enthaltenen Selbstbegriffs begründet liegt,152 zu dem sich auch ein Konzept von Selbstkompetenz verhalten muss.153 Diese begriffliche Definitionsanforderung, die auch in Bestimmungen von Bildung enthalten ist,154 sollte im Kompetenzkonzept durch die Outputorientierung allerdings überwunden bzw. ausgeklammert werden. Mit ähnlichen Herausforderungen ist der Ansatz konfrontiert, durch die Einführung einer weiteren Ebene im Kompetenzkonzept die Bedeutung der Innenperspektive des Subjekts im Kompetenzbegriff zu berücksichtigen.155 Dabei werden bei Kompetenzen zwei Ebenen unterschieden: Ein erster Kompetenzgrad ist das Bewältigungskönnen. Es ist die explizierte Perspektive auf Kompetenz, bestimmte Anforderungen erfüllen zu können. Diese Ebene beschreibt die objektive Komponente von Kompetenz als Fähigkeiten und Fertigkeiten, die nötig sind, um die bereits festgelegten Ziele zu erreichen. Ein zweiter Grad von Kompetenz ist das Bewältigungsbewusstsein und bezieht sich auf eine bestimmte innere Verfassung des Subjekts, die zum Können hinzukommt. Kompetenz wird so ein personales Moment als grundlegendes Element hinzugefügt, welches das Bewältigungskönnen zusätzlich qualifiziert.156 Dieser Erweiterung des Kompetenzkonzepts gelingt es durch das eingeforderte Bewältigungsbewusstsein beim Subjekt, die Innenperspektive des Subjekts in der Bestimmung der Zieldimension der Entwicklung eines Individuums zu berücksichtigen und dieser zentralen Bedeutungsfacette von Bildung näherzukommen, beraubt allerdings das Kompetenzkonzept seiner Stärken, die es zu einem zentralen Begriff des Bildungsbereichs macht. Die

152 153 154 155 156

Zur Diskussion des Begriffs Selbst vgl. Kap. 5.3. Vgl. Lerch 2016, 52–53. Vgl. Kap. 5.2. Vgl. Löwisch 2000, 105–119, vgl. Grunert 2012, 58–59. Als Maßstäbe für diese zweite Ebene von Kompetenzen führt Dieter-Jürgen Löwisch Vernunftgebundenheit, Selbstbestimmung des Handelnden und Verantwortung ein. Damit spricht er Kompetenzen genuin auch eine ethische Dimension zu. Für ihn schließt Kompetenz immer den Aspekt mit ein, wie man das eigene Können auch nutzt und einsetzt (vgl. Löwisch 2000, 112–113).

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

Ergebnisorientierung und Performanzgebundenheit, die als Bedeutungsfacetten bei Bildung schwächer ausgeprägt sind, aber auch das Fehlen eines normativen Bedeutungsüberschusses157 machen in bestimmten Kontexten von Bildung die Verwendung des Kompetenzbegriffs im Vergleich zum Bildungsbegriff so attraktiv, weil Kompetenz durch diese Eigenschaften als Konzept klarer umrissen ist, besser fassbar ist und Entwicklungsziele messbar macht. Kompetenz durch diese Einführung einer weiteren Ebene im Kompetenzkonzept Bedeutungsfacetten von Bildung hinzuzufügen, verändert Kompetenz in ihren zentralen Bedeutungskomponenten so sehr, dass es nicht mehr das Konzept wäre, das so erfolgreich im Bildungsbereich verwendet wird. Kompetenz verdankt ihren Aufstieg als Konzept gerade ihrer Fähigkeit, durch Reduktion auf Funktionalität eine Überprüfbarkeit und Messbarkeit herzustellen.158 »Konkrete Messkonzepte, wie sie PISA-Studien oder die neueren Bildungsstandards beinhalten, bedeuten notwendigerweise aus bildungstheoretischer Sicht eine Reduktion: Sie konzipieren ausgewählte Zieldimensionen statt allumfassender Normen«159 . »Bildung […] entzieht sich in seiner Komplexität einer vollständigen Objektivierung und Messbarkeit.«160 Die dargestellten Ansätze von Kompetenzkonzepten, den Kompetenzbegriff auf die umfassendere Perspektive von Bildung auszudehnen, zeigen, dass es nicht gelingt, die Innenperspektive des Subjekts in der Zielbestimmung der Entwicklung eines Subjekts zu berücksichtigen und die Bestimmungsrichtung von außen zu überwinden, ohne dass elementare Bedeutungsfacetten geschwächt werden und die eigene Funktion im pädagogischen Diskurs infrage gestellt wird. Die Innenperspektive des Subjekts als konstitutiven Bestandteil des Entwicklungsprozesses eines Individuums zu berücksichtigen, zeigt sich somit als besonderes Bedeutungsmerkmal von Bildung und unterscheidet die Konzepte Bildung und Kompetenz.

157

Vgl. Klieme/Hartig 2007, 22. Klieme und Hartig wollen mit diesem Ausdruck die Kritik am Kompetenzkonzept aufgreifen, dass Kompetenzen keine weiteren und vor allem normativen Bedeutungsfacetten in sich tragen wie Bildungsziele, die meist mit einem Gesamtverständnis vom Menschen verbunden und in diesen Zusammenhang eingebunden sind. Kompetenzen erhalten ihre Zielvorstellung aus ihrer funktionalen Bestimmung heraus und ihr Bezug auf diese Dimension spielt zunächst keine Rolle. 158 Vgl. Koch 2010, 324. 159 Klieme/Hartig 2007, 22. 160 Zierer 2012, 44.

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3.5 Bildung und Lernen Ein weiteres Konzept, das eng mit dem Phänomen Bildung verbunden ist und einen grundlegenden Prozess in der Entwicklung eines Individuums darstellt, ist Lernen. Lernen wird dabei grundsätzlich als ein Prozess verstanden, in dem sich ein Individuum die Welt erschließt. Aufgrund dieses Bedeutungskerns von Lernen scheinen Lernen und Bildung einen ähnlichen Bedeutungsgehalt zu haben und werden teilweise undifferenziert oder synonym als Begriffspaar verwendet.161 Auch ein Ersetzen des Bildungsbegriffs als pädagogischen Leitbegriff durch den Lernbegriff wird diskutiert.162 Lernen stellt einen vielschichtigen Begriff dar, der nicht einheitlich verwendet wird. »Einige Schwierigkeiten […] liegen darin begründet, dass das Wort für sehr viele und unterschiedliche Phänomene verwendet wird, wenn etwa alle erfahrungsbedingten Veränderungen menschlicher Aktivitätspotentiale darunter gefasst werden.«163 In seiner weit gefassten Bedeutung beschreibt Lernen einen Prozess, in dem ein Individuum ein Weltverhältnis herstellt, dabei Informationen aufnimmt, diese verarbeitet und dieser Vorgang schließlich eine Wirkung beim Individuum hinterlässt. »Unter Lernen verstehen wir alle nicht direkt zu beobachtenden Vorgänge in einem Organismus […], die durch Erfahrung (aber nicht durch Reifung, Ermüdung, Drogen o.ä.) bedingt sind und eine relativ dauerhafte Veränderung bzw. Erweiterung des Verhaltensrepertoires zur Folge haben.«164 Die Aufnahme von Information im Lernprozess muss dabei nicht zwingend eine tiefere Wirkung im Individuum hinterlassen.165 So lässt sich Lernen »als Prozess der Aufnahme, Aneignung und Verarbeitung neuer Informationen verstehen, bei dem jedoch der Rahmen, innerhalb dessen die Informationsverarbeitung erfolgt, selber unangetastet bleibt.«166 In dieser weit gefassten

161 162 163 164

Vgl. beispielhaft Husemann 2009, 151. Vgl. Lenzen 1997, 951. Faulstich 2013, 27. Treml 1996, 97; für eine ähnliche Definition vgl. auch Haider 2017, 1008. Künzli hebt hervor, dass Lernen nicht unbedingt eine Verhaltensveränderung sein muss, sondern auch eine Wahrnehmungsänderung zur Folge haben kann (vgl. Künzli 2004, 620). 165 Vgl. Stojanov 2014a, 207; Stojanov bezeichnet diese Auswirkung auf die Persönlichkeit als ein Merkmal, das Bildung von Lernen unterscheidet. 166 Koller 2012a, 15; vgl. auch Koller 2014, 76.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

Bedeutung finden nicht nur bei Bildung, sondern auch bei Erziehung, Sozialisation, Wissens- und Kompetenzerwerb Lernprozesse im Subjekt statt. Unter dem Begriff Lernen werden allerdings auch speziellere Prozesse im Subjekt gefasst, in denen zur Verarbeitung der Erfahrung ein Sich-Verhalten zu diesen Erfahrungen hinzukommt und mit Lernen somit ein mehr oder weniger komplexer Bezug eines Individuums zur Welt und zu sich selbst bezeichnet wird. Eine systematische Übersicht der verschiedenen Arten von Lernprozessen167 stellen die fünf Lernebenen, Lernen 0 bis Lernen IV, Gregory Batesons dar,168 die gleichzeitig den Unterschied zwischen Lern- und Bildungsprozessen sichtbar machen: »Die erste Lernebene, das Lernen Null, ist eine Ebene, auf der eigentlich kein Lernen im Sinne einer Verhaltensveränderung vorliege. Reiz und Reaktion seien starr gekoppelt, d.h. auf einen bestimmten Reiz erfolge genau eine bestimmte Reaktion und keine andere. Man kann dabei an reflexartiges Verhalten denken. Die Reaktion, also das gezeigte oder hervorgebrachte Verhalten, sei nicht der Berichtigung durch Versuch und Irrtum unterworfen. Es gebe keine alternativen Reaktionen auf einen Reiz.«169 Der Prozess auf dieser ersten Lernebene besteht darin, durch Wahrnehmung Informationen aufzunehmen und auf der Basis dieser Informationen zu reagieren. Bei Lernen 0 stellt ein Individuum ein Weltverhältnis her und reagiert auf die Umwelt. Es hat keine Wahl bei seiner Reaktion, kann aber Informationen aufnehmen, diese als Grundlage seiner Handlung verwenden und beispielsweise schlussfolgern, »da[ss] ein ähnliches Ereignis zu einem späteren (und geeigneten) Zeitpunkt dieselbe Information übermitteln wird«170 . Das Indivi167

Andere Systematisierungen unterschiedlicher Ebenen von Lernprozessen stellen die Ordnungsversuche von Robert Gagné und Jean Piaget dar. Gagné weist allerdings kategorial unterschiedliche Themen und damit Ordnungsmuster den verschiedenen Ebenen zu und führt somit eine gewisse Inkonsistenz in seiner Systematik ein. Piaget ordnet die unterschiedlichen Ebenen von Lernprozessen als hintereinander folgend und aufeinander aufbauend an. Zur Erläuterung des Lernbegriffs wird Gregory Batesons Analyse von Lernebenen vorgestellt, da es sich anders als bei Gagné um eine Beschreibung von Lernebenen handelt, die ein durchgängiges Ordnungsmuster, die Komplexität der Bezüge des Subjekts im Lernprozess, enthält, und Batesons Lernebenentheorie anders als bei Piaget eine synchrone und keine diachrone Ebenentheorie darstellt (vgl. Faulstich 2013, 27–29). 168 Zu Batesons Lernebenenmodell vgl. auch Nohl u.a. 2015, 140–142. 169 Marotzki 1990a, 35; vgl. auch Bateson 1981b, 379. 170 Bateson 1981b, 368.

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duum kann mit der Auswahl seiner Handlung nicht irren, weil es keine Wahl hat. Es kann auch nicht seine Wahrnehmung auf der Basis der Erfahrung anpassen.171 Aufgrund von Versuch und Irrtum Anpassungen vorzunehmen ist allerdings ein wichtiger Bestandteil eines Lernprozesses, weswegen Bateson diese erste Ebene auch als Lernen 0 und damit mehr als eine Vorform eines Lernprozesses bezeichnet. Die zweite Lernebene Lernen I geht über die bloße Aufnahme von Reizen und eine starr an den Reiz gekoppelte Reaktion hinaus. »Lernen I ist Veränderung in der spezifischen Wirksamkeit der Reaktion durch Korrektur von Irrtümern der Auswahl innerhalb einer Menge von Alternativen.«172 Lernen I kann auch als Verhaltensänderung bei gleichbleibendem Reiz bezeichnet werden.173 Auf eigene Erfahrungen zu reagieren stellt auf dieser Lernebene eine Wahl unter verschiedenen Möglichkeiten dar. Die dritte Lernebene Lernen II macht die vorgegebene Menge an Reaktionsalternativen zum Gegenstand des Lernens: »Auf der Ebene des Lernens II geht es nun nicht mehr nur um die Elemente innerhalb einer feststehenden Menge, zwischen denen, je nach Priorität, gewählt werden kann (Lernebene I), sondern es geht hier um die Veränderung dieser Mengen selbst. […] Indem das Subjekt nun die Menge verändert, aus der es Reaktionsmöglichkeiten auswählt, ändert es die Gewohnheiten seines Verhaltens, ändert es die Art und Weise, seine Erfahrung zu interpunktieren.«174 Die Auswahl der Reaktion findet im Anschluss an diesen Lernprozess nicht mehr aus einer vorgegebenen Menge an Reaktionsmöglichkeiten statt, sondern die Menge selbst wird auf dieser Ebene ausgewählt.175 Die Prinzipien,

171 172 173 174

175

Vgl. Ecarius 1998, 139. Bateson 1981b, 379. Vgl. Marotzki 1990a, 35. Marotzki 1990a, 37–38; vgl. auch Bateson 1981b, 379; »Lernebene I« meint im Zitat in der hier verwendeten Begrifflichkeit »Lernen I« und nicht die erste Lernebene Lernen 0. Mit dem Begriff der Interpunktion meint Bateson, dass Erfahrung immer schon auf eine bestimmte Art strukturiert ist, die beeinflusst, wie Wirklichkeit wahrgenommen wird und Erfahrungen verarbeitet werden. Interpunktionsweisen sind die Gewohnheiten, wie aufgrund dieser Strukturierung von Wahrnehmung die Wirklichkeit erfahren wird (vgl. Marotzki 1990a, 33; vgl. auch Bateson 1981a, 224). Vgl. Ecarius 1998, 139.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

die den Modus der Erfahrungsstrukturierung bestimmen, werden miteinbezogen, wodurch die Grundlage des eigenen Verhaltens im Lernprozess thematisiert wird. Auf dieser Lernebene stellt das Individuum zusätzlich zum Weltverhältnis auch Selbstverhältnis und einen Bezug zum Weltverhältnis her, indem es seine eigene Strukturiertheit und die eigenen Grundlagen für Reaktion wahrnimmt und reflektiert. Verhalten erhält durch den Prozess Lernen II eine andere Qualität, weil auf dieser Ebene Verhalten auf der Grundlage einer ausgewählten Menge an Reaktionsmöglichkeiten stattfindet und die Möglichkeiten an Reaktionen nicht mehr starr vorgegeben sind wie bei Lernen I. Damit ist dies der Moment, an dem Verhalten von gesellschaftlichen Konventionen abweichen kann oder Konventionen verändert werden können.176 »Prämissen der Weltaufordnung bzw. der Erfahrungsverarbeitung werden durch andere ersetzt, die dann dominant werden und für die dann der Selbstbestätigungscharakter wiederum gilt.«177 Damit setzt bei Lernen II auch der Moment ein, in dem Lernen nicht mehr auf einfache Weise als richtig oder falsch bezeichnet werden kann.178 Die Prinzipien der Erfahrungsstrukturierung können nicht in der Art und Weise als wahr oder falsch kategorisiert werden, indem sich ihr Wahrheitswert an der direkten Überprüfbarkeit in der Realität ausrichtet. Diese Prinzipien sind von einem anderen logischen Typ als materielle Lebenstatsachen und sind deshalb durch diese nicht widerlegbar.179 Auf der vierten Lernebene Lernen III werden nun die Voraussetzungen in den Lernprozess miteinbezogen, die bestimmen, wie die eigene Auswahl, welche Menge an Alternativen für das eigene Verhalten zugelassen wird, getroffen wird.180 Die Art und Weise, wie die eigenen Prinzipien der Erfahrungsstrukturierung gewählt werden, aber auch der Vorgang, dass die Erfahrungsstrukturierung selbst gewählten Prinzipien unterliegt, wird hier Gegenstand des Lernprozesses. »Auf dieser Lernebene steht dem Subjekt nicht eine Auswahlmenge zur Verfügung, hat das Subjekt also nicht nur eine situativ aktualisierte Gewohnheit

176 177 178 179 180

Vgl. Marotzki 1990a, 38. Marotzki 1990a, 44. Vgl. Marotzki 1990a, 52. Vgl. Bateson 1981b, 388–389 und Marotzki 1990a, 40. Vgl. Bateson 1981b, 379.

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der Weltaufordnung, sondern mehrere. Das bedeutet, den selbstbestätigenden Charakter der Prämissen zur Disposition zu stellen; das bedeutet, Gewohnheiten nicht zur Gewohnheit im konventionellen Sinn werden zu lassen, sondern bewu[ss]t als eine Weise der Weltaufordnung unter anderen möglichen zu sehen und zu nutzen. Auf dieser Ebene lerne das Subjekt etwas über den Vorgang des Wechsels von einer Rahmung (Auswahlmenge) zur anderen.«181 Lernen III kann dementsprechend als Prozess beschrieben werden, in dem gelernt wird, die Gewohnheiten, wie die eigene Erfahrung strukturiert ist, zu ändern und zu steuern.182 Durch diesen Lernprozess verleiht ein Individuum seinem Verhalten wiederum eine neue Qualität, da eine weitere Ebene, welche die eigene Weltsicht ungeprüft prägt, infrage gestellt wird und das eigene Welt- und Selbstverhältnis ein anderes Niveau erreicht. »Wenn ich auf der Ebene des Lernen II stehenbleibe, bin ›ich‹ die Gesamtheit derjenigen Charakteristika, die ich als meinen ›Charakter‹ bezeichne. ›Ich‹ bin meine Gewohnheiten, im Kontext zu handeln und die Kontexte zu gestalten und wahrzunehmen, in denen ich handle.«183 In der zunehmenden Komplexität der Lernprozesse erfährt das Subjekt immer mehr von der Welt und sich selbst und vertieft sein Verständnis von beidem. Die Basis, auf der die eigene Perspektive entwickelt wird, verändert sich dadurch qualitativ. »Die Logik der Lernebenen 0 bis III kann auch so gesehen werden, da[ss] von Ebene zu Ebene die Flexibilität des Subjekts, mit im-

181 182

183

Marotzki 1990a, 44. Vgl. Bateson 1981b, 392; Bateson folgert daraus, dass die Wahrnehmung und Reflexion dieser Gewohnheiten zu einer Flexibilisierung der Sicht auf die Welt führt, dass das Subjekt aus dem Zentrum des Prozesses verdrängt wird, irrelevant wird und nicht mehr als zentraler Punkt fungiert, die Strukturierung der Erfahrung zu erklären. Diese Ansicht teile ich nicht, da der Prozess, seine Gewohnheiten wahrzunehmen, zu reflektieren und in der Lage zu sein, sich zu diesen Gewohnheiten verhalten zu können (sie zu flexibilisieren), keinesfalls einen Relativismus vor allem im Sinne einer Beliebigkeit und Indifferenz des Subjekts zur Folge hat. Ganz im Gegenteil bleibt das Subjekt das Zentrum der Sicht auf die Welt, auch wenn es sich aller Arten seiner Eingebundenheit in Zusammenhänge bewusst ist, und wird in seiner Rolle, über das eigene Welt- und Selbstverhältnis zu entscheiden, eher bedeutender (vgl. auch Kap. 5.3 – 5.6). Bateson 1981b, 393.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

mer komplexer aggregierten Informations- und Problemeinheiten umzugehen, steigt«184 . Die fünfte Lernebene Lernen IV leitet Bateson theoretisch aus der Beschaffenheit der Stufen ab, ohne dafür bestimmte wirkliche Prozesse in der Entwicklung von Menschen beschreiben zu wollen: »Lernen IV wäre Veränderung im Lernen III, kommt aber vermutlich bei keinem ausgewachsenen lebendigen Organismus auf dieser Erde vor.«185 Die dargestellten fünf Lernebenen von Bateson zeigen, dass Lernprozesse zwar die Gemeinsamkeiten aufweisen, dass sie interaktionsgebunden sind186 und spezifische Subjekt-Objekt-Beziehungen explizieren187 , allerdings auch sehr unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher Art sein können. Lernen kann einen genetischen Anpassungsprozess oder Prozess der Prägung durch die eigene Umwelt darstellen, der vor allem eine Informationsaufnahme und –speicherung ist, wenig oder keinen Entscheidungsspielraum für das Subjekt beinhaltet und kein Selbstverhältnis des Subjekts einschließt,188 kann aber auch einen sehr komplexen Prozess meinen, in dem die eigenen Strukturen bewusst werden und mitreflektiert werden. Eine Unterscheidung von Lern- und Bildungsprozessen kann vor allem an den Merkmalen komplexerer Lernprozesse vorgenommen werden, in denen sich das Subjekt zu seinem Weltverhältnis verhält und somit auch ein Verhältnis zu sich selbst einnimmt. »Lernen bedarf nicht unbedingt einer besonderen Bewu[ss]theit oder Reflexivität.«189 Lernprozesse können auch ausschließlich Vorgänge umfassen, die eine rein quantitative Erweiterung des Weltbezuges darstellen,190 und werden oft primär als flexible Anpassungsprozesse an die vorhandenen Bedingungen in der Umwelt thematisiert.191 Bildungsprozesse stellen jedoch immer Prozesse dar, in denen sich das Bildungssubjekt zu seinem Weltverhältnis verhält und zusätzlich ein Verhältnis zu sich selbst einnimmt. Diese Prozesse ermöglichen es dem Bildungssubjekt, dass auch die Rahmung der eigenen Weltsicht zum Gegenstand von Lernen wird, und stellen damit qualitativ andere Entwicklungs- und Veränderungsprozesse im Subjekt dar. 184 185 186 187 188 189 190 191

Marotzki 1990a, 51. Bateson 1981b, 379. Vgl. Marotzki 1990a, 33 und 52. Vgl. Marotzki 1990a, 32. Vgl. Treml 1996, 94. Ecarius 1998, 140. Vgl. Marotzki 1990a, 52. Vgl. Grunert 2012, 34.

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Damit wirken Bildungsprozesse auf das Bildungssubjekt anders als Lernprozesse, weil durch das Sich-verhalten zum bestehenden Weltverhältnis der Modus der Informationsverarbeitung Gegenstand des Entwicklungsprozesses im Subjekt wird und verändert wird.192 Der Weltbezug ist bei Bildung ein zusätzlich qualifizierter,193 während Lernen auch lediglich Veränderungen im Subjekt nach sich ziehen kann, die ohne eine reflexive Bezugnahme des Subjekts auf das eigene Weltverhältnis stattfinden und überwiegend von außen gesteuert sind.194 Bildungsprozesse sind damit qualitativ anderes und tiefergehender als Lernprozesse.195 In Batesons Lernebenenmodell können die Lernprozesse Lernen II und III als Bildungsprozesse bezeichnet werden,196 weil diese Prozesse zusätzlich zur Einnahme eines Weltverhältnisses ein Sich-verhalten zum eingenommenen Weltverhältnis und die Einnahme eines Selbstverhältnisses enthalten. Die Gegenüberstellung der Begriffe Lernen und Bildung zeigt, dass in Bildungsprozessen die besonderen Anforderungen gestellt werden, dass das Bildungssubjekt reflexiv auf sein bestehendes Weltverhältnis Bezug nimmt und ein Verhältnis zu sich selbst einnimmt. Diese Anforderungen gehen über die Bedingungen von Lernprozessen hinaus. »Während Lernen insbesondere auf 192

Vgl. Marotzki 1990a, 41 und 52, Ecarius 1998, 139, Rosenberg 2011, 17 und Koller 2012a, 15. 193 Vgl. Grunert 2012, 34–35. 194 Manche Konzepte von Lernen im pädagogischen Bereich schreiben diese spezielle Qualifizierung eines Selbstverhältnisses menschlichem Lernen grundsätzlich zu (vgl. beispielhaft Göhlich/Zirfas 2007, 17 und Meyer-Drawe 2008, 14–15). Eine solche Bestimmung zielt darauf ab, mit Lernen die spezifisch menschliche Entwicklung aus der Subjektperspektive beschreiben zu können, die als Merkmal vor allem einen reflexiven Selbstbezug enthält (Klaus Holzkamp konzipiert Lernen sogar vollständig subjektwissenschaftlich vgl. Holzkamp 1993, 13–15). Damit setzen diese Bestimmungen von Lernen Lernprozesse an der gleichen Stelle an, an welcher Bildungsprozesse beginnen, und beziehen bewusst andere Prozesse, die ein weit gefasster Lernbegriff umfasst, nicht in ihre Auffassung von Lernen mit ein bzw. legen den Fokus auf diese speziellen Lernprozesse, die hier als Bildungsprozesse extra abgegrenzt werden (vgl. dazu auch Felden 2008b, 119 und Nohl 2014, 156). 195 Vgl. Geimer 2012, 232. 196 Vgl. Marotzki 1990a, 52. Marotzkis Unterscheidung von Bildung und Lernen, dass sich bei Bildung der Rahmen des Subjekts verändert, während er beim Lernen gleichbleibt, wird als »lerntheoretisch unterkomplex« kritisiert (Nohl 2014, 157 und Nohl u.a. 2015, 152). Dieser Kritik ist der erwähnte Lernbegriff zugrunde gelegt, der auch mit Lernen die rahmenverändernden Prozesse bezeichnet, die Marotzki mit dem Bildungsbegriff eigens abgrenzen möchte.

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die Aneignung von Fertigkeiten und Wissensbeständen bezogen ist, ist Bildung im Gegensatz dazu immer auch an Reflexivität gekoppelt und damit als reflexiver Modus des menschlichen In-der-Welt-Seins zu denken.«197 Lernen muss keine reflexiven Prozesse umfassen und ist stattdessen viel mehr darauf ausgerichtet, nicht nur spezielle, sondern alle Prozesse der Wahrnehmung und des Umgangs des Subjekts mit der Welt zu erfassen. Bildungsprozesse so zu qualifizieren ist vor dem Hintergrund des zentralen Bildungsziels Selbstbestimmung zu verstehen. »Ein kreatives, durch Freiheit bestimmtes Umgehen mit Welt setzt […] höherstufige Lern- und damit Bildungsprozesse voraus.«198 Eine zentrale Voraussetzung für die Selbstbestimmung eines Individuums ist es, dass sich dieses zu seinem bestehenden Weltverhältnis verhält und darüber hinaus ein Selbstverhältnis einnimmt, da es erst dann die Strukturen, in die es eingebunden ist, in die Selbstbestimmung einbeziehen kann.199

3.6 Zusammenfassung des besonderen Bedeutungsgehalts von Bildung Die dargestellte Gegenüberstellung von Bildung und anderen Grundbegriffen menschlicher Entwicklung lässt den besonderen Bedeutungsgehalt von Bildung hervortreten und verdeutlicht den speziellen Charakter, den Bildung in der Beschreibung menschlicher Entwicklung ausmacht. So zeigte sich, dass Erziehung, Sozialisation, Wissen, Kompetenz und Lernen einzelne wichtige Prozesse und Komponenten in der Entwicklung eines Individuums beschreiben und Bildung den Gesamtprozess der Entwicklung eines Individuums darstellt. Mit dem Begriff Erziehung wird in der Entwicklung eines heranwachsenden Individuums der Prozess des bewussten Einwirkens auf dieses beschrieben. Durch diese Einwirkung soll ein Individuum die Welt in einer vorgegebenen Art und Weise kennenlernen, ein angemessenes Verhalten erlernen und von außen festgelegte Ziele erreichen. Erziehung stellt somit einen asymmetrischen Prozess zwischen erziehender Person und Edukand dar, der für den Edukanden einen stark passiven Charakter hat.

197 Grunert 2012, 35. 198 Marotzki 1990a, 49. 199 Vgl. Marotzki 1990a, 46; zur Erklärung dieses Verständnisses von Selbstbestimmung vgl. auch Kap. 6.3.

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Unter dem Begriff Sozialisation wird der Entwicklungsprozess eines Individuums gefasst, den es durch die Gesamtheit seiner Umwelteinflüsse durchläuft, wozu auch ungewollte oder verborgene Einflüsse zu zählen sind. Sozialisation umfasst als Ergebnis dieses Prozesses die entstandene Prägung eines Individuums. In dieser Perspektive auf die Entwicklung eines Individuums nimmt die Frage nach der Wirkung der persönlichen Umwelt auf ein Individuum den zentralen Platz ein, auch wenn Sozialisation wie im Habituskonzept Bourdieus als wechselseitiger Vorgang zwischen Individuum und Umwelt verstanden wird, in dem auch das Mitwirken des Individuums an der Gestaltung seiner Sozialisation und seiner Umwelt enthalten ist. Der Wissenserwerb stellt in der Entwicklung eines Individuums den Prozess und das Ziel dar, die Welt in der Form von wahren und gerechtfertigten Überzeugungen über diese zu erschließen. Das Entwicklungsziel, ein umfassendes Wissen über die Welt zu erlangen und somit ein umfassendes Weltverhältnis zu generieren, stellt dabei ein erstrebenswertes Ziel an sich dar, ist aber auch im Zusammenhang mit seiner Bedeutung für die Selbstbestimmung eines Individuums als ein wichtiges Entwicklungsziel anzusehen. Der Kompetenzerwerb umfasst in der Entwicklung eines Individuums den Prozess und das Ziel, die nötigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben, um bereichsspezifischen Anforderungen zu entsprechen, situationsbezogene Aufgaben zu bewältigen und sich dabei stellende Probleme lösen zu können. Das Ziel der Entwicklung eines Individuums wird dabei funktional von den Anforderungen an dieses abgeleitet und der Entwicklungsprozess eines Individuums wird über den Weg zum Erwerb der erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten definiert. Durch das Kompetenzkonzept lassen sich die Entwicklungsprozesse und -ziele eines Individuums genau definieren, operationalisieren und kontrollieren. Lernen beschreibt allgemein den Prozess, in dem ein Individuum ein Verhältnis zur Welt herstellt, Informationen aufnimmt, diese verarbeitet, auf der Basis dieser Informationen ein neues Verhältnis zu Welt einnimmt und sein Verhalten anpasst. Lernprozesse reichen dabei von einfachen Reiz-ReaktionsZusammenhängen bis hin zu hochkomplexen Prozessen im Subjekt, in denen das Subjekt seine eigene Konstituierung als Subjekt wahrnimmt und mitreflektiert sowie die Erkenntnisse daraus für sein weiteres Wahrnehmen, Denken und Handeln berücksichtigt. Das Phänomen Bildung enthält ebenfalls diese wichtigen Prozesse und Komponenten der Entwicklung eines Individuums, welche in den Begriffen Erziehung, Sozialisation, Wissen, Kompetenz und Lernen beschrieben werden. Als

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

komplexer Prozess umfasst Bildung diese vielfältigen, teilweise in Spannung zueinander stehenden Bedeutungsaspekte, die in diesen Begriffen als einzelne Teilbereich menschlicher Entwicklung genau untersucht werden, und erfasst so die Mehrdimensionalität der Entwicklung eines Individuums. Diese Vielzahl an Bedeutungsfacetten stellt eine zentrale Stärke des Bildungsbegriffs dar, wird aber auch gleichzeitig als seine große Schwäche gedeutet.200 Aufgrund seiner Vielschichtigkeit wurde am Bildungsbegriff kritisiert, dass er unscharf in seiner Bedeutung ist, inhaltlich überfrachtet wird und sich kein Konsens in einer Definition erzielen lässt.201 »Bildung […] entzieht sich in seiner Komplexität einer vollständigen Objektivierung und Messbarkeit.«202 Es wurde immer wieder versucht, Bildung durch einen anderen Begriff, der weniger unscharf und überladen ist, als Leitbegriff menschlicher Entwicklung abzulösen, wobei vor allem Sozialisation, Lernen und Kompetenz als mögliche Begriffe genannt wurden, aber sich nicht durchsetzen konnten: »Solche Ersetzungen sind nach einiger Probezeit aber immer wieder verworfen worden, weil sie – parado-xerweise – entweder partikularistisch oder überhaupt zu determiniert erschienen. So lä[ss]t sich psychologisch einigermaßen präzise beschreiben, was man unter Lernen verstehen will, oder soziologisch, was Sozialisation sei. Gleichzeitig erscheinen diese Begriffe zur Beschreibung eines irgendwie Gesamten des Vorgangs um die menschliche Ontogenese nur segmentär oder zu unentschieden. Bildung, so glauben die Protagonisten des Bildungsbegriffs, sei eben immer mehr und nicht ein Beliebiges.«203 Bildung geht als Phänomen über die beschriebenen einzelnen Entwicklungsvorgänge hinaus und betitelt den Gesamtprozess der Entwicklung eines Individuums, ohne dabei beliebig zu sein. Der Bildungsbegriff ist damit nicht lediglich 200 Vgl. Ehrenspeck-Kolasa 2018, 206; vgl. auch Ehrenspeck/Rustemeyer 1996. 201 Vgl. beispielhaft Lenzen 1997; ein Beispiel für die Vielfältigkeit der Diskussion und die Umstrittenheit des Bildungsbegriffs bildet die Debatte »Bildung: Zur Bestimmung und Abgrenzung eines Grundbegriffs der Humanwissenschaften« in der Zeitschrift Erwägen, Wissen, Ethik (2014, 25 (2)) (vgl. dazu Benner 2014, Borst 2014, Heymann 2014, Hügli 2014, Lederer 2014, Mchitarjan 2014, Schäfer 2014 sowie Stojanov 2014a und 2014b). 202 Zierer 2012, 44. 203 Lenzen 1997, 951; die Diskussion im Anschluss an die PISA-Studie kann als Versuch verstanden werden, Kompetenz als Leitbegriff im erziehungswissenschaftlichen Diskurs zu etablieren und damit Bildung dort als Leitbegriff abzulösen (vgl. beispielhaft Weinert 2001a).

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als Sammelbegriff für einzelne Entwicklungsprozesse eines Individuums anzusehen, sondern enthält weitere Komponenten, die für die Entwicklung eines Individuums eine zentrale Rolle spielen. Diese Aspekte von Bildung stellen konstitutive Momente des Bildungsbegriffs dar204 und stehen im Mittelpunkt seiner Bedeutung. In besonderer Weise gilt dies für die spezifische Auffassung der Selbstbestimmung eines Individuums, die Bildung beinhaltet. a) Eine erste wichtige Komponente, in der Bildung über die Begriff Erziehung, Sozialisation, Wissen, Kompetenz und Lernen hinausgeht, ist der Vorgang, dass sich ein Individuum in Bildungsprozessen zu seinem erworbenen Weltverhältnis verhält. Während in den anderen Begriffen Entwicklungsprozesse vor allem dahingehend thematisiert werden, wie sich das Weltverhältnis eines Individuums konstituiert und welche wichtigen Aspekte dieser Vorgang enthält, schließt Bildung zusätzlich den Prozess mit ein, dass ein Individuum sich zu seinem erworbenen Weltverhältnis verhält. Für die Entwicklung eines Individuums ist es zentral, dass es nicht lediglich ein Weltverhältnis aufbaut und dieses unberührt aufrechterhält, sondern sich zu diesem und den darin enthaltenen äußeren Einflüssen verhält. Durch diesen Prozess ist das Individuum in der Lage, selbstbestimmt entscheiden zu können, welche Teile des erworbenen Weltverhältnisses es zum Ausgangspunkt für das eigene Bild der Welt und das eigene Handeln auswählen möchte. Bildung rückt damit weniger ins Zentrum der Betrachtung, auf welche Weise im Entwicklungsprozess eines Individuums ein bestimmtes Weltverhältnis produziert oder reproduziert wird, wie es bei den Begriffen Erziehung, Sozialisation, Wissen, Kompetenz und Lernen im Mittelpunkt steht. Mit dem Begriff Bildung soll vielmehr der Gesamtprozess der Entwicklung eines Individuums umrissen werden und beschrieben werden, wie es einem Individuum möglich ist, sich zum eigenen erworbenen Weltverhältnis zu verhalten, sich dabei Orientierung zu erarbeiten und sich aus dem bei sich vorgefundenen Weltverhältnis heraus selbst zu »produzieren«205 , zu bestimmen und zu gestalten.

204 Wie gezeigt enthalten teilweise auch andere Begriffe, welche die Entwicklung eines Individuums beschreiben, diese zentralen Aspekte von Bildung (vgl. Kap. 3.1-3.5). Allerdings sind diese für ihre Begrifflichkeiten nicht konstitutiv und viele gängige Auffassungen der Begriffe erhalten diese Aspekte nicht explizit. 205 Das Produzieren der eigenen Welt ist hier im Sinne Eugen Finks als grundlegender Vorgang menschlichen Daseins zu verstehen, das Dasein grundsätzlich als menschliches Entwerfen auslegt (vgl. Fink 1970, 117).

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

In Darstellungen von Bildung wird deshalb oft darauf aufmerksam gemacht, dass es für ein Individuum wichtig ist, einen Abstand zum eigenen Weltverhältnis einzunehmen.206 Mit diesem Abstand eröffnet sich für ein Individuum die Möglichkeit, auf das erworbene Weltverhältnis Bezug zu nehmen, und bietet sich für ein Individuum ein Gestaltungsspielraum innerhalb der gegebenen Umstände, der in den anderen vorgestellten Begriffen in dieser Art und Weise nicht thematisiert wird. b) Im Rahmen dieser zentralen Bedeutungskomponente von Bildung, sich zum erworbenen Welt- und Selbstverhältnis zu verhalten, tritt als zweiter wichtiger Bedeutungsaspekt hervor, dass Bildung über das Herstellen eines Sozialbezugs hinausgeht. Der Sozialbezug wird vor allem in Erziehungs- und Sozialisationsprozessen als zentrale Komponente in der Entwicklung eines Individuums in den Mittelpunkt gestellt und stellt ein besonderes Weltverhältnis dar, das die Prägung durch andere und das Eingebundensein in einen Zusammenhang mit der Umwelt und anderen Menschen umfasst. Bildung thematisiert die Entwicklung eines Individuums allerdings nicht nur in seiner Sozialität, sondern beinhaltet die Gesamtheit der Entwicklungsprozesse.207 In Bildungsprozessen durchläuft ein Individuum von seiner sozialen Formung ausgehend Vorgänge, die es über diese äußeren Einflüsse hinausführt. c) In der Art und Weise, wie ein Individuum diese Bildungsprozesse durchläuft, zeigt sich mit Reflexion eine dritte zentrale Bedeutungskomponente von Bildung. So reflektiert ein Individuum in Bildungsprozessen sein erworbenes Weltverhältnis und nimmt auf der Basis dieser Reflexion ein verändertes Verhältnis zur Welt ein.208 »Bildungstheorie beschäftigt sich mit der zentralen reflexiven Verortung des Menschen in der Welt […]. Bildung ist aus dieser Perspektive der Name für den reflexiven Modus des menschlichen In-der-WeltSeins.«209 Reflexion und die damit verbundene grundlegende Einbeziehung der Innenperspektive als Element des Entwicklungsprozesses eines Individuums ist in anderen Grundbegriffen menschlicher Entwicklung in dieser Form nicht

206 Vgl. Dörpinghaus 2009, 10–11. 207 Vgl. Böhme 1979, 9. 208 Vgl. Kap. 4 und 5.1; das Element der Reflexion ist darüber hinaus nicht nur als Reflexion auf Erfahrenes im Bildungsbegriff zu finden, sondern zeigt sich auch als Selbstreflexion im Aspekt des Selbstverhältnisses. 209 Marotzki 2006, 61; vgl. auch Koselleck 1990b, 20, Dörpinghaus 2009, 5 und 2013, 119 und Grunert 2012, 35.

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enthalten210 und stellt damit eine besondere Bedeutungskomponente von Bildung dar. d) Über Reflexion hinaus zeichnet Bildungsprozesse ein weiterer Aspekt aus, der zusätzlich hinzukommt. Das Bildungssubjekt nimmt dabei ein Verhältnis zur Welt aus einer Innenperspektive ein, was als vierter zentraler Bedeutungsaspekt von Bildung bezeichnet werden kann. So ist ein reflexiver Bezug auf die Welt und das eingenommene Weltverhältnis aus einer reinen Außenperspektive denkbar, in dem die Welt in gelernten, vorgegebenen Strukturen betrachtet wird und die eigene Perspektivität analysiert und in einen Zusammenhang gestellt wird. Allerdings fordert ein reflexives Sich-Verhalten zu etwas auch eine eigene genaue und offene Wahrnehmung der Welt und nicht nur die Betrachtung und Analyse der eigenen Wahrnehmung der Welt.211 Um als Subjekt ein umfassendes Weltverhältnis einzugehen und damit auch selbstbestimmt leben zu können, ist es erforderlich, als Subjekt die Welt genau wahrzunehmen, ein echtes eigenes Verhältnis zur Welt einzugehen und Erfahrungen nicht nur aus einer Außenperspektive, sondern auch als Erlebender zu thematisieren. Diese Innenperspektive beinhalten die anderen Grundbegriffe menschlicher Entwicklung als zentrale Bestandteile nicht, sondern stellen vielmehr die Außenperspektive auf die Entwicklung eines Individuums in den Vordergrund. Sie thematisieren die inhaltliche Zielsetzung der Entwicklung eines Individuums vor allem von einer Außenperspektive aus und betonen die Einwirkung auf die Entwicklung eines Individuums von außen. e) Diese Beschaffenheit von Bildungsprozessen, dass ein Individuum dabei einen reflexiven Bezug zum Weltverhältnis herstellt und die Welt aus einer Innenperspektive heraus wahrnimmt, weist auf eine fünfte Bedeutungs-

210 Reflexion kann auch Gegenstand in Erziehung, Sozialisation, Wissenserwerb, Kompetenzerwerb oder Lernen sein, bezieht sich aber nicht auf den grundlegenden Modus des Subjekts in seinem Entwicklungsprozess. Wenn jemand beispielsweise dahingehend erzogen wird, dass er sein Handeln reflektiert, um daraus für seine zukünftigen Handlungen zu lernen, ist Reflexion Teil des Erziehungsziels und Erziehungsprozesses, stellt aber keine ganzheitliche Reflexion des Erfahrenen aus der Innenperspektive des Subjekts dar. 211 Manche Reflexionskonzepte beinhalten die Ebene der Wahrnehmung als (erste) Stufe der Reflexion (vgl. Kap. 5.1). Allerdings lohnt es sich aufgrund der besonderen Stellung der Ebene der Wahrnehmung und ihrem qualitativen Unterschied zur Ebene der Verarbeitung von Wahrnehmungen Wahrnehmung als eigene Ebene im Eingehen eines Welt- und Selbstverhältnisses zu betrachten.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

komponente hin, dass Bildung ein aktives Subjekt beinhaltet. »Der Mensch wird eben nicht gebildet, sondern er bildet sich.«212 Mit dem Merkmal des aktiven und selbsttätigen Subjekts grenzt sich Bildung von Prozessen in der Entwicklung eines Individuums wie Reifung ab, die ganz ohne eine aktive Tätigkeit des Subjekts ablaufen.213 In der Betonung des aktiven Subjekts unterscheidet sich der Bildungsbegriff auch von den vorgestellten Grundbegriffen menschlicher Entwicklung, in denen passive Prägungsprozesse im Vordergrund stehen und der aktive Umgang des Subjekts mit der Welt eine untergeordnete Rolle spielt. In Bildungsprozessen hingegen schließt ein Individuum immer aktiv, reflexiv und eine Innenperspektive einnehmend an diese passiven Prozesse an. Dieses Merkmal des aktiven Subjekts in Bildungsprozessen unterstreicht noch einmal, dass die Selbsttätigkeit des Subjekts und die Selbstaneignung der Welt214 aus einer Innenperspektive heraus im Mittelpunkt von Bildung steht. f) In dieser Charakterisierung, wie ein Individuum in Bildungsprozessen ein Weltverhältnis einnimmt, wird auch eine sechste zentrale Bedeutungskomponente von Bildung sichtbar, dass ein Individuum in Bildungsprozessen zusätzlich zum Weltverhältnis immer auch ein Selbstverhältnis einnimmt. Die Einnahme des Selbstverhältnisses ist dabei analog zur Herstellung des speziellen Weltverhältnisses zu verstehen, das ein Individuum in Bildungsprozessen einnimmt. Das Selbstverhältnis wird nicht als Blick von außen auf sich selbst verstanden, bei dem ein vorgegebenes Analyseraster durchlaufen wird oder einem Entwicklungsziel nachgekommen wird. Das Selbstverhältnis, das in Bildungsprozessen hergestellt wird, nimmt ein Subjekt vielmehr aus einer Innenperspektive heraus ein und umfasst Selbstwahrnehmung und darauf aufbauende Selbstreflexion.215 Ein solches Selbstverhältnis einzunehmen ist kein konstitutiver Bestandteil der Entwicklungsprozesse, die in den anderen Grundbegriffen beschrieben werden, und stellt damit eine besondere Bedeutungskomponente von Bildung dar. Im Eingehen eines solchen Selbstverhältnisses durchläuft ein Individuum auch für die Einnahme eines reflektierten Weltverhältnisses den erforderlichen Prozess, die eigene Rahmung der Sicht auf die Welt und sich selbst zum

212

Dörpinghaus 2009, 5; vgl. auch Koselleck 1990b, 16–17 und Krautz 2009, 14, Stojanov 2014a, 208. 213 Vgl. Stojanov 2014a, 207–208. 214 Vgl. Grunert 2012, 19. 215 Vgl. auch Kap. 5.1.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Gegenstand der Betrachtung zu machen. Indem ein Individuum ein Selbstverhältnis eingeht, wendet es sich nicht von der Welt ab, weist seinem Welt- und Sozialbezug keinen geringeren Stellenwert zu und entwickelt sich nicht automatisch zu einem egoistischen Individuum.216 Bildung erfordert eine umfassende Einnahme von beidem, einem Weltverhältnis und einem Selbstverhältnis,217 und lässt weder eine Weltvergessenheit218 noch eine Selbstvergessenheit zu, weil beide Verhältnisse auf das jeweils andere eine bedeutende Auswirkung haben: »Indem das Subjekt sich selbst in einer anderen Weise transparent macht, macht es sich die Welt auf andere Weise zugänglich. Und: Indem sich das Subjekt die Welt auf andere Weise zugänglich macht, macht es sich auf andere Weise sich selbst transparent. Welt- und Selbstbezug bilden in diesem Sinne das dialektische Zentrum von Bildungsprozessen.«219 Welt- und Selbstverhältnis müssen deshalb auch in ihrer Verwiesenheit aufeinander erfasst und in ihrer produktiven Bedeutung für die Konstituierung des jeweils anderen verstanden werden. g) Im Rahmen dieses vorgestellten besonderen Bedeutungsgehalts von Bildung und der speziellen Art, wie ein Individuum in Bildungsprozessen ein Welt- und Selbstverhältnis einnimmt, ist auch die Selbstbestimmung des sich bildenden Individuums als zentrales Entwicklungsziel und regulative Idee von Bildung220 zu verstehen. So enthalten zwar auch die anderen Grundbegriffe menschlicher Entwicklung grundsätzlich das Ziel der Selbstbestimmung des Individuums,221 allerdings wird Selbstbestimmung nicht im Kontext der speziellen Auffassung zur Entwicklung eines Individuums verstanden, die im 216 217 218

Vgl. Marotzki 1990a, 43. Vgl. Kap. 2.6. Auf die Gefahr der Weltvergessenheit wird häufig bei Auffassungen von Bildung hingewiesen, welche die Wichtigkeit der Einnahme eines Selbstverhältnisses betonen (vgl. beispielhaft Rosenberg 2011, 60). 219 Marotzki 1990a, 43. 220 Vgl. Müller-Ruckwitt 2008, 254. 221 Es zeigten sich in diesen Begriffen allerdings auch der Selbstbestimmung gegenläufige Elemente. So kann beispielsweise das Aneignen vorgegebener Werte und eines bestimmten Verhaltens im Konzept Erziehung als der Selbstbestimmung entgegenstehender Aspekt angesehen werden. Darüber hinaus wird beim Phänomen Sozialisation, das die äußeren Einflüsse auf die Entwicklung eines Individuums umfasst, die Frage nach Selbstbestimmung nicht unmittelbar gestellt.

3. Der Bedeutungsgehalt von Bildung

erarbeiteten Bildungsverständnis vorgestellt wurde. So steht Selbstbestimmung als Ziel von Bildung in dem Kontext, dass ein Individuum ein reflexives Welt- und Selbstverhältnis aus einer Innenperspektive heraus einnimmt und sich durch diese Prozesse die Möglichkeit erarbeitet, sich zu seinem erworbenen Welt- und Selbstverhältnis verhalten und selbstbestimmt ein neues Weltund Selbstverhältnis einnehmen zu können. Selbstbestimmung beinhaltet als so verstandenes Konzept über die Bereitstellung der äußeren Bedingungen und die quantitative Erweiterung der Möglichkeiten hinaus die Herstellung der Bedingungen innerhalb eines Subjekts,222 welche mit dem Durchlaufen von Bildungsprozessen erreicht werden kann. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Bildung einen Vorgang darstellt, in dem ein Individuum auf eine besondere Art und Weise ein Welt- und Selbstverhältnis einnimmt. Das Bildungssubjekt setzt sich aktiv und aus der Innenperspektive heraus zur Welt und sich selbst in ein Verhältnis. Dieser Prozess zeichnet sich dadurch aus, dass das Individuum die Welt und sich selbst genau wahrnimmt und reflektiert und in einen Abstand zu erworbenen Weltund Selbstverhältnissen kommt, um so eine umfassende Sicht auf die Welt und sich selbst zu erlangen und selbstbestimmt die eigene Perspektive auf die Welt und sich selbst wählen zu können. Eine Auffassung von Bildung, die diesen Bedeutungsumfang weitgehend beinhaltet, ist die transformatorische Bildungstheorie von Winfried Marotzki, die im Folgenden vorgestellt wird.

222 Vgl. Kap. 6.3.2.

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4. Bildung als Transformation des Welt- und Selbstverhältnisses

4.1 Grundlagen der transformatorischen Bildungstheorie von Winfried Marotzki Winfried Marotzki konzipierte 1990 in seiner Habilitationsarbeit Entwurf einer strukturalen Bildungstheorie Bildung als Transformation des Welt- und Selbstverhältnisses eines Individuums und legte damit die Grundlage für die transformatorische Bildungstheorie.1 Mit diesem Beitrag belebte er die zu dieser Zeit wieder neu aufkommende Bildungsdiskussion2 und stellte den Aspekt des qualitativen Veränderungsprozesses im individuellen Bezug auf die Welt und sich selbst ins Zentrum seines Bildungsverständnisses.3 Mit seiner Bildungstheorie möchte Marotzki auf die aktuellen Herausforderungen für die Erziehungswissenschaft reagieren, welche die gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen wie informationstechnologische Innovationen,4 Individualisierung von Lebensführung5 und steigende Kontingenz des eigenen Lebens6 mit sich bringen.7 Entscheidend für Marotzkis Perspektive ist dabei, dass er für den Umgang mit diesen Herausforderungen die Fragen

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Für eine detaillierte und pointierte Zusammenfassung Marotzkis Gedanken und Weg zu seinem Bildungsverständnis vgl. Felden 2003 66–71, Fuchs 2011, 93–113, Rosenberg 2011, 18–24 und Asmussen 2020, 117–125. Seine Konzeption von Bildung baut Marotzki vor allem auf Überlegungen von Helmut Peukert (vgl. Peukert 1984) und Rainer Kokemohr (vgl. Kokemohr 1985, 1989 und 1990) auf. Für einen Überblick zum damaligen Bildungsdiskurs vgl. Hansmann/Marotzki 1988. Vgl. Marotzki 1990a, 52. Vgl. Marotzki 1990a, 16. Vgl. Marotzki 1990a, 19–25; vgl. auch Kap. 6.1.4. Vgl. Marotzki 1990a, 25–29; vgl. auch Kap. 6.1.4. Vgl. Marotzki 1990a, 16–17; vgl. auch Fuchs 2011, 94 und Asmussen 2020, 118.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

nach der Verarbeitung der Wirklichkeit durch das Individuum und nach der Persönlichkeitsentwicklung für zentral hält und er diese Aspekte ins Zentrum von Bildung stellt.8 Durch die Einnahme dieser Perspektive betrachtet Marotzki Bildung vor allem als Prozess im biographischen und nicht nur im institutionellen Kontext.9 Für ihn »steht die Rekonstruktion der Transformation individueller Subjektivität unter den gesellschaftlichen Bedingungen der Moderne im Vordergrund.«10 Die Gesellschaft stellt für ihn dabei lediglich eine Bedingung der erst herzustellenden Biographie dar,11 auch wenn diese einen entscheidenden Einfluss hat und den Ausgangspunkt transformatorischer Bildungsprozesse bildet.12 Bildung ist für Marotzki ein Prozess, in dem ein Individuum als aktives Subjekt mit den gesellschaftlichen Bedingungen seiner Zeit umgeht und sich dabei selbst Orientierung erarbeitet. »Bildungsprozesse sind so für Marotzki Wahrnehmungs- und Denkprozesse, in denen ein Subjekt Welt und sich selbst wahrnimmt und zu neuen Einschätzungen gelangt.«13 In seiner Explikation von Bildungsprozessen bezieht sich Marotzki vor allem auf die bereits dargestellte Lernebenentheorie Batesons.14 Bei Lernen II, in welchem die eigene Wirklichkeitssicht reflektiert und dadurch die Veränderung des Rahmens der eigenen Weltanschauung ermöglicht wird, und bei Lernen III, in welchem die Wahl der eigenen Rahmung der Weltanschauung reflektiert und so die Auswahl der eigenen Rahmung der Weltanschauung möglich wird, finden für Marotzki Lernprozesse statt, die als Bildungsprozesse zu bezeichnen sind. »Solche Lernprozesse, die sich auf die Veränderung von Interpunktionsprinzipien [für die Welt] beziehen, möchte ich Bildungsprozesse nennen.«15 In diesen Bildungsprozessen werden die Gewohnheiten überwun-

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9 10 11 12 13 14 15

Vgl. Marotzki 1990a, 17; diese Grundüberzeugung äußert er auch, wenn er diese Perspektive für die zentrale Blickrichtung von Biographieforschung hält (vgl. Marotzki 1990a 93–94). Vgl. Felden 2003, 67. Rosenberg 2011, 18. Vgl. auch Rosenberg 2011, 25–26; vgl. dazu auch Marotzki 1990a, 354. Vgl. Nohl 2006, 13; vgl. auch Marotzki 1991, 186. Felden 2003, 69. Vgl. Kap. 3.5; vgl. auch Marotzki 1990a, 32–41 und Fuchs 2011, 95–96. Marotzki 1990a, 41.

4. Bildung als Transformation des Welt- und Selbstverhältnisses

den, wie ein Weltverhältnis eingenommen wird, und auch das Selbstverhältnis verändert sich im Zuge dieses Prozesses.16 Die Wahrnehmung der eigenen Perspektivität und die Verfügung über die Grundlage der eigenen Weltsicht sind dabei für Marotzki Kernbestandteile eines Bildungsprozesses, mit dem sich ein Individuum auch echte Selbstbestimmung erarbeitet.17 »Entscheidend ist also, da[ss] durch den Einbezug der Lernvoraussetzungen […] eine Souveränität des Subjekts erreicht wird«18 . Bildungsprozesse als den Wechsel der Rahmung der Weltanschauung beschreibt Marotzki in seiner weiteren Explikation der transformatorischen Bildungstheorie mit Fritz Schütze und Rainer Kokemohr als Modalisierung des Welt- und Selbstverhältnisses.19 Schütze »hatte den Wechsel der dominanten Ordnungsstruktur, und damit den Wechsel im Modus von Selbst- und Weltreferenz, als Modalisierung […] bezeichnet.«20 Modalisierungen zeichnen sich als Prozesse dadurch aus, dass in ihnen die Geltung von Aussagen über Welt variiert und dabei vorgegebene und eingespielte feste Sichtweisen und Konventionen über die Welt »gelockert« werden.21 Als solche Prozesse sind Modalisierungen mit der Einnahme von Distanz und einer Negation22 bestehender Überzeugungen über die Welt verbunden.23 Aufgrund dieser Prozessstruktur können Bildungsprozesse nicht als kontinuierliche Übergänge gedacht werden.24 Ein zentrales Merkmal der Transformation von Orientierungssystemen ist es, dass der Übergang von dem einen zu einem anderen ein qualitativer ist.25

16 17 18 19 20 21 22

23 24 25

Vgl. Felden 2003, 67. Vgl. auch Felden 2003, 68–69. Marotzki 1990a, 46. Vgl. Schütze 1981, 115 und Kokemohr 1985; für eine prägnante Zusammenfassung Marotzkis Gedanken vgl. auch Fuchs 2011, 99–101. Marotzki 1990a, 144. Vgl. Kokemohr 1985, 194; vgl. auch Marotzki 1990a, 148–149. Mit der genannten Negation in Bildungsprozessen meint Marotzki nicht nur Inhaltsnegationen, sondern vor allem Strukturnegationen, d.h. Ablehnungen von anderen Orientierungssystemen, mit welchen die Transformationen des Welt- und Selbstverhältnisses als Wechsel dieser immer verbunden ist (vgl. Marotzki 1990a, 188). Vgl. Marotzki 1990a, 149. Vgl. Marotzki 1990a, 189. Vgl. Marotzki 1990a, 133–134.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Für transformatorische Bildungsprozesse in diesem strukturalen Verständnis von Bildung26 nennt Marotzki mehrere Bedingungen, die erfüllt sein müssen:27 a) Eine erste Bedingung ist es, dass die Lernvoraussetzungen, d.h. der Rahmen, in dem Wirklichkeitswahrnehmung stattfindet, mitreflektiert werden. b) Als Folge dieser Mitreflexion muss darüber hinaus eine Modalisierung der Selbst- und Weltreferenz stattfinden. Als diese Modalisierungen versteht Marotzki Wandlungen, die eine Transformation von Kontexturen,28 d.h. einen Wechsel in den Orientierungssystemen darstellen. Mit dieser Beschreibung unterscheidet Marotzki die Veränderungen im Weltverhältnis bei Bildung klar von Lernen, das eine Veränderung des Weltverhältnisses innerhalb einer Kontextur darstellt. c) Die Mikrostrukturen dieser Bildungsprozesse können dabei in den biographischen Kontexten analysiert werden. Auf der formalen Ebene von Bildungsprozessen kann eine singuläre Deduktionsdisposition29 ausgemacht wer26

27 28 29

Mit der selbst gewählten Bezeichnung seiner Konzeption als strukturale Bildungstheorie (vgl. Marotzki 1990a, 231–232) grenzt sich Marotzki von der gängigen Einordnung von Bildungstheorien in formale und materiale Bildungstheorien ab. Mit den Kategorien formal und material wird Bildung primär von ihrer Zielebene her beschrieben, während ein strukturales Bildungsverständnis Bildung vor allem von ihrem Prozess her beschreibt. Für Marotzki kann Bildung lediglich strukturtheoretisch bestimmt werden (vgl. auch Marotzki 1990a, 42). Diese Infragestellung der Möglichkeit, Bildungsziele wie andere Handlungsziele rechtfertigen zu können, findet sich auch bei Egon Schütz (vgl. Schütz 1982/2017, 318). Vgl. Marotzki 1990a, 224–226; für eine pointierte Zusammenfassung vgl. auch Felden 2003, 69–70. Zu diesem Begriff vgl. auch Marotzki 1990a, 212–213. Diesen Begriff übernimmt Marotzki von Kokemohr. »Deduktionsdispositionen inferentiellen Verstehens sind, so verstanden, die Fähigkeit, mit Hilfe eines formalen Regelsystems und unter Nutzung von Annahmen und Konzepten der Welt Äußerungen, die ihm unterworfen werden, auszulegen.« (Kokemohr 1990, 211) Deduktionsdispostionen können somit als Systeme bezeichnet werden, mit welchen Individuen die Welt deuten. Eine Transformation von Welt- und Selbstverhältnis findet nur statt, wenn die Deduktionsdisposition singulär ist, d.h. andere Verweisungsketten bzw. Systeme, die Welt zu deuten, negiert werden und das Subjekt ein bestimmtes Deutungssystem wählt. Wenn die Deutungssysteme wie bei ubiquitären Deduktionsdispostionen in geltungsunentschiedener Schwebe gehalten werden, wird kein Deutungssystem negiert. Die bestehende Sicht auf die Welt wird stabilisiert und aufrechterhalten, Veränderungen werden eher verhindert (vgl. dazu insgesamt Kokemohr 1989, 339–342 und 1990, 215–219; vgl. auch Marotzki 1990a, 181–185).

4. Bildung als Transformation des Welt- und Selbstverhältnisses

den, in welcher ein Bildungssubjekt die Lernnötigung der Umwelt produktiv aufnimmt,30 sich dann für ein Deutungssystem von Welt entscheidet, andere Weltauslegungen negiert und so ein neues modifiziertes Weltverhältnis einnimmt. Es ist gerade die Heraushebung eines Deutungssystems, die neue Verstehensprozesse und damit eine Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen ermöglicht. Dieser Vorgang kann als eine »Lockerung«31 der bestehenden Weltdeutung bezeichnet werden, in dem das Bildungssubjekt grundsätzlich offen für Veränderungen in der Weltdeutung ist, und bildet eine Bedingung für die Transformation der Kontexturen. d) Diese Kontexturtransformationen bilden die vierte Bedingung für einen Bildungsprozess. Sie sind der Wechsel des Strukturprinzips, d.h. des Rahmens, in dem das Welt- und Selbstverhältnis eines Subjekts eingebettet ist, und stellen somit qualitative Sprünge in der Weltauslegung dar.32 Das Strukturprinzip kann auch als »der spezifische Operationsmodus innerhalb einer Kontextur«33 oder der »Modus der jeweiligen Selbst- und Weltreferenz«34 bezeichnet werden. e) Als weitere Bedingung für sein Verständnis von Bildung nennt Marotzki, dass Bildung als zukunftsoffen verstanden werden muss, was Marotzki konzeptionell mit dem Verständnis des sich entwerfenden Menschen in Sartres strukturaler Anthropologie begründet.35 f) Zuletzt nennt Marotzki als Bedingung für seine entwickelte Auffassung von Bildung, dass die Wirklichkeit als polykontextuell verstanden werden muss. Damit nennt er als Voraussetzung, dass keine Teleologie in der Wirklichkeit angenommen wird, sondern diese als offen, indeterminiert, emergierend und kontingent verstanden wird.36 Die verschiedenen Kontexturen stehen in ei30 31 32 33 34 35

36

Vgl. Felden 2003, 69. Vgl. Kokemohr 1985. Vgl. Marotzki 1990a, 133–134 und 189. Marotzki 1990a, 225. Marotzki 1990a, 225. Für die Bezeichnung Sartres Auffassung zum Menschen als strukturale Anthropologie vgl. Marotzki 1990a, 61 (vgl. auch Waldenfels 1983, 68). Mit dieser Bezeichnung hebt Marotzki hervor, dass Sartre in seiner Betrachtung des Menschen den Prozesscharakter und die existentielle Dimensioniertheit menschlichen Daseins und der Konstituierung von Subjektivität betont. Sartre nennt diese Ausrichtung in seiner Perspektive auf den Menschen auch selbst (vgl. dazu Sartre 1964, 137). Zu Marotzkis Auseinandersetzung mit Sartre vgl. auch Marotzki 1990a, 61–67 und 134–142 sowie Marotzki 1987. Dabei geht er schwerpunktmäßig auf Sartres Ausführungen in Das Sein und das Nichts (vgl. Sartre 1943/1962) sowie Marxismus und Existentialismus (vgl. Sartre 1964) ein. Vgl. Marotzki 1990a, 226.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

nem heterarchischen Verhältnis zueinander, das die Weltdeutung als grundsätzlich gleichwertig betrachtet. In ein hierarchisches Verhältnis können sie nur hinsichtlich ihrer Komplexitätssteigerung von Welt- und Selbstbezügen gesetzt werden. »Bildung lässt sich aus dieser Perspektive nicht als Ergebnis oder Zustand verstehen, sondern muss als ein Prozess aufgefasst werden, in welchem vorhandene Strukturen und Muster der Weltaufordnung durch komplexere Sichtweisen auf Welt und Selbst ersetzt werden.«37 Bildung kann unter dieser Perspektive auch als Suchbewegung des Bildungssubjekts bezeichnet werden.38 »Bildung als Herstellung eines Welt- und Selbstverhältnisses ist ein suchendes Sichverhalten, beinhaltet im Kern eben Prozesse tentativer Wirklichkeitsauslegung.«39 Marotzkis Auffassung von Bildung wird aufgrund der Betonung dieser Bedeutungskomponenten auch als existentiellphänomenologisches Verständnis von Bildung40 bezeichnet. Die experimentelle Auslegung von Welt- und Selbstverhältnissen ist dabei von der Ambivalenz geprägt, dass sie zum einen zur Weiterentwicklung der eigenen Weltsicht beiträgt, zum anderen aber auch die Gefahr der Verunsicherung und existentiellen Entwurzelung in sich birgt.41 Für Marotzki steht deshalb neben inhaltlicher Offenheit von Bildung vor allem das aktiv tätige Subjekt, das seine Lernvoraussetzung mitreflektiert, sein Welt- und Selbstverhältnis verändert und seine persönlichen Kontexturen transformiert, im Mittelpunkt von Bildungsprozessen. Damit bindet Marotzki den Prozess der Transformation, der innerhalb der transformatorischen Bildungstheorie unterschiedlich ausgelegt wird,42 an Vorgänge im Subjekt. 37 38 39 40 41 42

Jörissen 2015, 52–53. Vgl. Felden 2003, 69; vgl. auch Marotzki 1991, 187. Marotzki 1990a, 154. Vgl. Rosenberg 2011, 12, 18 oder 25. Vgl. Marotzki 1990a, 180; diese Ambivalenz schreibt Marotzki hier analog Modalisierungsprozessen zu. Über reflexionstheoretische Auslegung von Transformationsprozessen sind vor allem die sprachtheoretische sowie eine handlungstheoretische/praxeologische Position als bildungstheoretische Perspektive auf Transformation zu nennen (vgl. Geimer 2012, 232; vgl. auch Nohl 2006, 13–18). Ein ähnliches Konzept von Transformationsprozessen im Kontext von Bildung stellt das Konzept transformativ learning dar, das auf Jack Mezirow zurückgeht (vgl. Mezirow 1991; vgl. auch Fisher-Yoshida u.a. 2009 und Eschenbacher 2018, 36–49) und mit dem Bezug auf Gregory Bateson ähnliche theoretische Wurzeln hat (vgl. dazu Mezirow 1991). In der Rezeption Mezirows wurde transformativ learning ebenfalls in den für den transformatorischen Bildungsbegriff genannten

4. Bildung als Transformation des Welt- und Selbstverhältnisses

Seine Position wird als reflexionstheoretische Perspektive auf transformatorische Bildungsprozesse bezeichnet: »In reflexionstheoretischer Sicht findet Bildung statt, wenn das Subjekt Einsicht in den Modus der eigenen Weltaufordnung hat und so neue Formen eines grundlegenden Selbst- und Weltbezugs möglich und erprobt werden. Es sind dann insbesondere Reflexionsoptionen, die hinsichtlich ihres Potenzials zur Transformation von Selbst- und Welt-Verhältnissen zu befragen sind. Reflexion ist dabei gefasst als Ausstieg aus der alltäglichen Handlungspraxis, in die man als ein Anderer und verändert zurückkehrt.«43 Mit der reflexionstheoretischen Fassung transformatorischer Bildung wird somit betont, dass Transformation keine einheitliche genormte Veränderung darstellt, die sich aus den vorhandenen äußeren Umständen ableiten lässt, sondern einen Prozess darstellt, in dem jedes Subjekt anders an die vorhandenen Umstände anschließt und eine andere Weltsicht erwerben kann.44 Die reflexionstheoretische Fassung des transformatorischen Bildungsbegriffs stellt damit die Wirklichkeitsverarbeitung des Subjekts und die Vorgänge im Subjekt in den Mittelpunkt der Veränderungsprozesse im Welt- und Selbstverhältnis. Mit seinem transformatorischen Bildungsbegriff knüpft Marotzki somit an den neuhumanistischen Bildungsbegriff an, der Bildung als Prozess im Subjekt verortet und vor allem die Selbstbildung des Subjekts ins Zentrum von Bildung stellt. Seine Auffassung geht allerdings vor allem in zwei Aspekten über diesen hinaus: »Zum einen hebt sie hervor, was den Anlass bzw. die Herausforderung für Bildungsprozesse darstellt, nämlich eine Art von Krisenerfahrung, in der sich das bisherige Welt- und Selbstverhältnis eines Menschen als nicht mehr ausreichend erweist. Und zum anderen umfasst die Neufassung des Bildungs-

43 44

verschiedenen Perspektiven ausgelegt (für einen Gesamtüberblick vgl. Zeuner 2014). Auch jenseits der transformatorischen Bildungstheorie wird der Begriff Transformation für den Bildungsprozess verwendet, wie es beispielhaft Foucault praktiziert, wenn er Bildung durch eine ästhetische Erfahrung als das Subjekt transformierend beschreibt (vgl. Foucault/Sennet 1984, 35–36 und Foucault 1986a, 18; vgl. auch Koller 2001, 44–46 und 2012b, 19). Geimer 2012, 232; vgl. dazu Marotzki 1990a, 48. Vgl. Dörpinghaus 2009, 9.

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begriffs im Unterschied zur klassischen Bildungsphilosophie ausdrücklich eine empirische Perspektive«45 . Mit der Thematisierung des Anlasses von Bildungsprozessen möchte die transformatorische Bildungstheorie über die Postulation eines im Menschen angelegten Bedürfnisses zur Entfaltung der eigenen Anlagen hinausgehen, wie es Humboldt als Fundament seiner Bildungstheorie nutzt,46 aber auch dem Wunsch nach empirischer Anschlussfähigkeit nachkommen, den der zweite Aspekt in der Neuformulierung des Bildungsbegriffs deutlich macht. In der Analyse des Anlasses von Bildungsprozessen geht es vor allem um den Charakter des Fraglichwerdens der bestehenden Welt- und Selbstverhältnisse.47 Dabei wird von Vertretern der transformatorischen Bildungstheorie immer wieder der Aspekt der Krisenhaftigkeit von Erfahrung hervorgehoben, die transformatorische Bildungsprozesse veranlasst: »Als Anlass von Bildungsprozessen werden Krisenerfahrungen, die Konfrontation mit neuen Problemlagen angesehen, für deren Bewältigung die bisherigen Kategorien oder die bisherige Selbst- und Weltsicht nicht mehr genügen.«48 Gerade gesellschaftliche Problemlagen werden dabei als Anlass in den Mittelpunkt gerückt, um die gesellschaftliche Bedingtheit der Erfahrung, welche das bestehende Welt- und Selbstverhältnis infrage stellt, zu unterstreichen.49 Allerdings können die Anlässe für diese Bildungsprozesse gerade unter den Lebensbedingungen der heutigen Zeit50 weiter gefasst werden als Krisenerfahrungen im Sinne von negativ bewerteten Erfahrungen und Situationen, die das eigene Welt- und Selbstverhältnis erschüttern, zu veränderten Sichtweisen zwingen und so transformieren.51 Deshalb vertritt Marotzki eine

45 46 47 48 49 50 51

Koller u.a. 2007, 7; vgl. auch Koller 2010, 291. Vgl. Kap. 2.2; Koller lehnt diese organologische Auffassung von Bildung ganz ab (vgl. Koller 2007, 71). Vgl. Kokemohr 2007, 14; vgl. dazu auch Koller 2005 und 2007, 69–73. Wigger 2007, 177; vgl. auch Kokemohr 2000, 421 und 2007, 21 sowie Koller 2005 (84–85), 2010 (289), 2012a (69–97) und 2012b (20). Vgl. Koller 2009a, 20 und Koller 2010, 294. Vgl. auch Kap. 6.1.4. Koller nimmt diesen Einwand wahr, hält aber trotzdem am krisenhaften Anlass für Bildungsprozesse fest und erklärt für den Begriff Krise ergänzend, dass dieser weniger als negatives Ereignis gefasst wird und vielmehr den Zustand jeder Instabilität und Infragestellung von Welt- und Selbstverhältnissen umfasst (vgl. Koller 2012a, 71).

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solche weiter gefasste Auffassung hinsichtlich des Anlasses von Bildungsprozessen, die auch in seiner existentiellen Grundausrichtung ihre Fundierung hat. »Suchbewegungen und experimentelle Formen der Existenz scheinen für viele Menschen nicht nur auf Krisensituationen ihres Lebens begrenzt zu sein, sondern zur permanenten Vollzugsform des Daseins zu werden.«52 So kann Bildung in ihrem Anlass auch positiv als Vorgang des Sammelns von Erfahrungen, Erweitern des Horizonts und persönlichen Wachsens beschrieben werden, in welchem das Subjekt die Welt und sich selbst offen wahrnimmt und sein Welt- und Selbstverhältnis anpasst, wenn die Erfahrungen dies erfordern oder nahelegen.53 Die empirische Anschlussfähigkeit der transformatorischen Bildungstheorie sieht Marotzki vor allem in der erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung.54 Für ihn lautet die Grundfrage der erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung, »wie es Menschen gelingt, sich in hochkomplexen Gesellschaften zu orientieren.«55 Damit sieht er in der Biographieforschung eine ähnliche Ausrichtung der Forschung wie in seiner Bildungstheorie und hält sie aus drei Gründen bildungstheoretisch für interessant: »1. Sie vermag die Phänomene Lernen und Bildung empirisch zu thematisieren und voneinander abzugrenzen. 2. Beide Phänomene werden in lebensgeschichtlichen Kontexten einer Analyse zugeführt. Damit wird Lernen und Bildung prinzipiell mit dem Problem der Subjektkonstitution verknüpft. 3. Das Studium von Lern- und Bildungsprozessen wird nicht nur auf die Altersstufen von Kindern und Heranwachsenden beschränkt, sondern kann auch auf das Erwachsenenalter ausgedehnt werden.«56 Die Biographieforschung bietet dem transformatorischen Bildungsbegriff somit eine Möglichkeit, Themen der Subjektkonstitution empirisch zu verfolgen und Bildung auf grundlegenderer Ebene mit der Thematisierung von Entwicklungsprozessen im Erwachsenenalter zu verbinden.

52 53 54 55 56

Marotzki 1991, 187. Für ein solches anthropologisches Verständnis des Menschen vgl. auch Kap. 6.4.1. Für einen einführenden Überblick zur erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung vgl. Felden 2008a. Marotzki 2006, 60. Marotzki 1991, 182.

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4.2 Rezeption Winfried Marotzkis transformatorischer Bildungstheorie Die transformatorische Bildungstheorie Marotzkis wurde in verschiedene Richtungen weiterentwickelt57 und dabei in unterschiedlicher Weise kritisiert. Im Zentrum der Kritik steht dabei die tragende Rolle des aktiven Subjekts, das den Mittelpunkt Marotzkis bildungstheoretischen Nachdenkens darstellt, sowie die mangelnde Berücksichtigung der Bestimmtheit des Subjekts von außen, die dem Subjekt in verschiedenen Formen widerfährt.58 a) Eine Kritik an Marotzkis Bildungstheorie lautet in diesem Zuge, dass die Konstitution des Subjekts durch Sprache nicht ausreichend berücksichtigt wird:59 »Aus sprachtheoretischer Perspektive fokussiert diese [reflexionstheoretische] Auffassung von Selbst- und Weltbezügen zu sehr das Subjekt als Agens seiner Bildung und stellt nicht ausreichend in Rechnung, dass dieses Subjekt sich erst in Sprache bzw. Sprachspielen konstituiert. Der Motor von Bildungsprozessen wird dann vielmehr im Widerstreit von Sprachspielen gesehen, die neue und alternative Formen von Subjektivität produzieren. Bildung besteht so gefasst in der Entstehung und Entwicklung von Neuem […], die den Widerstreit nicht beiseitelegen, verdecken oder in ihrem Sinne lösen, sondern offen halten und wahrnehmbar machen.«60 Subjekte und deren Subjektivität werden aus dieser Perspektive vor allem in dem Kontext betrachtet, dass sie Effekte sprachlicher Vorgänge sind. Aus diesem Verständnis heraus werden Bildungsprozesse von Subjekten vor allem in ihrem Zusammenhang mit der Entwicklung von Sprache verstanden, welche in der Form der Erhaltung heterogener widerstreitender Diskurse und 57

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59 60

Hervorzuheben ist dabei der Anschluss Kollers an Marotzki (vgl. Koller vor allem 1999, 2007, 2009a, 2010 und 2012a). Andere wichtige Anschlüsse finden sich bei Peter Alheit (vgl. Alheit 1992), Heide von Felden (vgl. Felden 2003), Heidrun Herzberg (vgl. Herzberg 2004), Arnd-Michael Nohl (vgl. Nohl 2006 und Nohl u.a. 2015), Jenny Lüders (vgl. Lüders 2007), Thorsten Fuchs (vgl. Fuchs 2011) und Florian von Rosenberg (vgl. Rosenberg 2011). Für einen Überblick vgl. auch Richter 2014, 7–15 oder Nohl u.a. 2015, 12. Ähnliche Kritik findet sich auch an der Ausrichtung des Subjekts bei Humboldt, die durch die Kritische Theorie und postmoderne Bildungstheorie geäußert wurde (vgl. Kap. 2.2-2.4). Vgl. auch Koller 1999, 150. Geimer 2012, 232.

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(Er-)Findung neuer und bislang unartikulierter sprachlicher Möglichkeiten stattfindet.61 Die Transformation der Subjektstrukturen in Bildungsprozessen fasst Koller somit als sprachliches Geschehen auf.62 Die Sprache als Rahmen des Subjekts hält er für einen unreflektierten Punkt bei Marotzkis Auffassung von Bildung, die auf einem »empathischen Subjektbegriff« aufbaut, der grundlegend mit den Kategorien der Selbstbestimmung und Freiheit verbunden ist.63 Marotzki ist sich allerdings dieser sprachlichen Verfasstheit und Strukturiertheit von Welt- und Selbstverhältnissen durchaus bewusst,64 versteht Bildungsprozesse aber trotzdem nicht als sprachliche Prozesse. Eine solche sprachliche Fassung von Bildung verlegt den Prozess der Bildung in die Sphäre der Strukturen, in die das Subjekt eingebunden ist, und kann damit der existentiellen Dimension von Bildung nicht gerecht werden, die eine zentrale Bedeutungskomponente von Bildung darstellt. Marotzki weist mehrmals und explizit auf die Bedeutung dieser existentiellen Dimension hin, wenn er beispielsweise mit Schütze auf den Stimmungswechsel beim Subjekt aufmerksam macht, der mit dem Wechsel der dominierenden Ordnungsstruktur und damit mit transformatorischen Bildungsprozessen einhergeht.65 b) Mit einer ähnlichen Zielrichtung wie Koller weist Nohl kritisch darauf hin, dass im reflexionstheoretischen Ansatz Marotzkis präreflexive Aspekte der Transformation des Welt- und Selbstverhältnisses nicht ausreichend thematisiert und gerade auch in ihrer Rolle für die Initiierung von Bildungsprozessen zu wenig berücksichtigt werden.66 »An der reflexionstheoretischen wie sprachtheoretischen Bildungsforschung lässt sich kritisieren, dass präreflexive Aspekte der Transformation von Lebensorientierungen zu wenig bzw. nicht systematisch berücksichtigt sind, also atheoretische, implizite Aspekte der Modifikation von Selbst- und Weltverhältnissen nicht detailliert behandelt werden.«67

61 62 63 64 65 66 67

Vgl. Koller 1999, 151; vgl. auch Fuchs 2011, 124. Vgl. Koller 1999, 153. Vgl. Koller 1999, 153 (Fußnote 2); vgl. auch Stojanov 2006, 43. Vgl. Marotzki 1990b, 138. Vgl. Marotzki 1990a, 132 und 141; vgl. dazu auch Schütze 1981, 113–114. Vgl. Nohl 2006, 14. Geimer 2012, 232.

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Auch der Hinweis auf diese Aspekte in Entwicklungsprozessen von Individuen fokussiert wieder einen Moment, der dem Subjekt nicht verfügbar ist, aber für die Entwicklung eines Subjekts eine Rolle spielt. Allerdings thematisiert Marotzki trotz des Bewusstseins dieses Aspekts68 diesen nicht weiter, da er mit Bildung vor allem die Verarbeitungsprozesse eines Subjekts und damit die aktive Gestaltung der Verhältnisse eines Subjekts zur Welt und sich selbst in den Blick nehmen möchte. c) Als weiterer Kritikpunkt an der transformatorischen Bildungstheorie Marotzkis wird geäußert, dass darin die gesellschaftlichen Bedingungen für diese Bildungsprozesse nur mangelhaft berücksichtigt werden.69 Seine Bildungstheorie schließe unzureichend an eine empirisch gehaltvolle Gesellschaftsanalyse an,70 verpasse es, die Gesellschaftlichkeit im Wahrnehmen, Denken und Handeln von Individuen zu betrachten71 und führe so zu einer gewissen Weltvergessenheit.72 »Der thematische Focus sind sich wandelnde, aber einheitliche Selbstbilder, nicht die Rekonstruktion eines mehr oder weniger differenzierten Gefüges kategorial erschlossener Welt als Kontext des individuellen Selbstkonzepts.«73 Die Interpretation narrativer Interviews geschehe einseitig fokussiert auf die Herstellung subjektiver Identität in Kategorien wie Fremd- und Selbstbestimmung, Flexibilisierung oder Reflexivität; eine bildungstheoretische Perspektive würde mehr die Rolle der Erziehung, der institutionellen Bedingungen oder der gesellschaftlichen Strukturen mitberücksichtigen.74 Gerade aus einer habitustheoretischen Perspektive wird in Zuge dieses Kritikpunkts darauf hingewiesen, dass Biographien auch den Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen darstellen.75 Bildung ist in einem habitustheoretischen Verständnis nicht nur als Verarbeitung der Wirklichkeit im Subjekt zu verstehen, sondern vor allem als Entwicklung, die durch vorgefundene strukturelle Bedingungen geprägt werden.76 Gerade auch die bestehenden 68 69 70 71 72 73 74 75 76

Vgl. Marotzki 1990a, 38–40 und 50. Vgl. Alheit 1992, 58–59. Vgl. Rosenberg 2011, 60. Vgl. Wigger 2009, 101. Vgl. Rosenberg 2011, 60; vgl. auch Engler 2001, 66–69, die das Phänomen als fehlenden Bezug zur Realität in der Biographieforschung nennt. Wigger 2007, 179. Vgl. Wigger 2007, 179–180; vgl. auch Wigger 2004, 486–487. Vgl. Rosenberg 2011, 25. Vgl. Alheit 1992, 59–80; vgl. auch Rosenberg 2011, 25.

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gesellschaftlichen Machtverhältnisse prägen damit die Konstituierungsprozesse in einem Subjekt.77 Dementsprechend wird in habitustheoretischen Ansätzen mehr die Erklärung der Veränderung in Bildungsprozessen aus gesellschaftlichen Bedingungen herausgestellt sowie die damit einhergehende Kontinuität in der Veränderung des Habitus und der Sinnproduktion betont, auch wenn sich andere Momente finden lassen.78 Die Diskontinuität und Strukturnegation, die Marotzki bei Bildungsprozessen herausstellt, die für den qualitativen Sprung im Welt- und Selbstverhältnis entscheidend sind und die Bildungsprozesse gerade von Wandlungen des Habitus unterscheiden,79 werden in dieser Perspektive auf Bildung nicht berücksichtigt.80 Dadurch wird der Anteil des leistenden Subjekts im Bildungsprozess zu wenig berücksichtigt, um den es Marotzki in der Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen geht, und mehr ein Sozialisationsprozess beschrieben.81 Florian von Rosenbergs ausgearbeitetes Verständnis von Habitustransformation versucht diesen Aspekt des qualitativen Sprungs zu berücksichtigen, in dem ein transformierter Habitus als grundlegend verändert und aus dem vorherigen Habitus nicht deduzierbar konzipiert wird.82 Allerdings versteht auch Rosenberg Bildungsprozesse primär aus ihrer gesellschaftlichen Situiertheit und Geschichtlichkeit heraus, was sich gerade in seinen Ausführungen dazu zeigt, welche Grundlage Transformationen eines Habitus haben können:83 die Mehrdimensionalität des Habitus, die Iterabilität des Habitus und die Inkongruenz zwischen Habitus und Feld.84 Diese Ursachen für eine Veränderung des Habitus zeigen, dass ein Habitus »in dreifacher Weise als nicht geschlossen oder, besser, als per se nicht abschließbar gelten kann.«85

77 78 79 80 81 82 83 84

85

Vgl. Koller 2012a, 31; vgl. auch Kap. 5.2. Vgl. Koller 2012a, 31–32; vgl. auch Kap. 3.2. Vgl. dazu auch Wigger 2007, 183–184. Vgl. Rosenberg 2011, 24–32. Für die Unterscheidung von Sozialisationsprozessen und Bildungsprozessen vgl. auch Kap. 3.2. Zu Rosenbergs Unterscheidung von Wandlung und Transformation des Habitus auch im Vergleich zu Bildungsprozessen vgl. Rosenberg 2011, 285–286 und 306–315. Vgl. auch Kap. 3.2. Vgl. Rosenberg 2011, 76; für seine detaillierte Ausarbeitung dieses Ansatzpunktes vgl. Rosenberg 2011, 76–81; vgl. für den Punkt der Inkongruenz zwischen Habitus und Feld auch Rieger-Ladich 2005, 289–290. Rosenberg 2011, 83.

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Allerdings stellen alle drei Veränderungspotentiale für einen Habitus kein Moment dar, in dem durch die aktive Bezugnahme des Individuums ein Prozess initiiert wird, sondern vielmehr aufgrund äußerer struktureller Bedingungen eine Transformation geschieht. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Thematisierung der strukturellen Bedingungen und äußeren Dimensionen von Bildung in Marotzkis transformatorischer Bildungstheorie als unzureichend kritisiert wird.86 Als Konzeption von Bildung, welche die Entwicklung eines Individuums vor allem aus einer existentiellen Perspektive thematisiert und als individuelle Auslegung von Erfahrungen versteht, die an Prägungsprozesse anschließt, verfolgt die transformatorische Bildungstheorie Marotzkis auch nicht als zentrales Ziel, diese Aspekte in der vorgelegten Beschreibung von Bildung in den Mittelpunkt zu stellen.87 Marotzki begreift die Biographie eines Individuums nicht ausschließlich, aber auch als soziales Konstrukt und ist sich des Gewichts der gesellschaftlichen Prägungen bewusst.88 Gesellschaft oder äußere Einflüsse auf das Bildungssubjekt sind für ihn allerdings lediglich eine von mehreren Bedingungen in Bildungsprozessen:89 »Die Subjektivitätsproblematik kann nicht durch die Intersubjektivitätsproblematik ersetzt werden. Das bedeutet keinesfalls, da[ss] Intersubjektivität ausgeschlossen werden soll; es bedeutet vielmehr lediglich, da[ss] Intersubjektivität eine notwendige, aber keine hinreichende Verstehensbedingung von Individualität darstellt. Es ist nicht nur die Frage nach den intersubjekti-

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Darüber hinaus wird auch der präskriptive Charakter seines Bildungsverständnisses, anhand dessen biographische Aussagen bewertet werden, und eine Überbetonung der Reflexivität gegenüber dem Bildungswert des gelebten Lebens kritisiert (vgl. Bittner 2006, 22 und Fröhlich 2006, 55). Gerade der zweite Kritikpunkt kann allerdings als Variante der vorgestellten Kritik verstanden werden. Vgl. Marotzki 1990a, 55–68; vgl. auch Asmussen 2020, 156–157. Vgl. Marotzki 1989 (147), 1990b (142), 1991 (186) oder 2006 (66); vgl. dazu auch Asmussen 2020, 145. Vgl. Marotzki 1990a, 354; wie erwähnt (vgl. Kap. 4.1) bettet Marotzki seine Bildungstheorie auch gesellschaftstheoretisch ein, indem er auf die genannten gesellschaftlichen Entwicklungen bezugnimmt (vgl. Marotzki 1990a, 16–29; vgl. auch Rosenberg 2011, 318), auch wenn Teile dieser Einbettung wie z.B. die Individualisierungsthese wiederum kritisiert werden (vgl. Alheit 1992, 15–26).

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ven Bedingungen von Subjektivität interessant, sondern auch die nach den subjektiven Bedingungen von Intersubjektivität.«90 Für Marotzki ist vor allem diese Thematisierung der subjektiven Bedingungen und Vorgänge von Bildungsprozessen interessant und bildet das Zentrum seiner Perspektive auf Bildung. Aus diesem Grund bezieht er auch die Innenperspektive des Bildungssubjekts in seine Überlegungen mit ein, um so der existentiellen Dimensioniertheit von Bildung gerecht zu werden. Marotzki spricht sich dafür aus, mehr die Verarbeitung der Erfahrung durch das Subjekt als dessen soziale Konstituierung in den Mittelpunkt der Frage nach Bildung zu stellen und auch die Aspekte der Emergenz und Kontingenz in der Verarbeitung von Erfahrungen und Entwicklung eines Individuums zu berücksichtigen.91 »Emergenz bedeutet in diesem Zusammenhang, da[ss] die Entscheidungen des Menschen durch Umweltfaktoren nie ganz programmierbar sind. Biographische Entscheidungen, die immer das Element von Freiheit enthalten, sind nicht als ethischer Algorithmus konstruierbar. Kontingenz bedeutet die existentielle Erfahrung des Endlichen und Zufälligen, durch die der Mensch auf sich zurückgeworfen wird.«92 Weil Bildungsprozesse hochkomplexe Prozesse sind, lässt sich Bildung in ihrem Verlauf auf der Mikroebene nur schwer in einer exakten Auflistung der einzelnen Vorgänge und kausalen Zusammenhänge im Detail darstellen und aus dieser Analyse eine Prognose für weitere Entwicklungsprozesse oder auch Bildungsprozesse anderer Individuen folgern.93 90 91 92

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Marotzki 1991, 193–194; vgl. auch Marotzki 1991, 187. Vgl. Marotzki 1990a, 116; für die Auffassung, dass Bildung ein emergenter Prozess ist, vgl. auch Ecarius 1998, 139–140. Marotzki 1991, 186; das Moment der Emergenz ist bei Marotzki eng mit der Möglichkeit der Entstehung von Neuem bzw. neuen Welt- und Selbstverhältnissen verbunden (vgl. Fuchs 2011, 99). Thomas Rucker beschreibt detailliert Bildungsprozesse als Vorgänge, welche Merkmale komplexer Prozesse tragen (vgl. Rucker 2014, 127–216). Als sechs Parameter komplexer Prozesse nennt er dabei: a) das Wechselspiel und b) die Selbstreferentialität der Komponenten des Prozesses sowie c) Dynamik, d) Emergenz, e) Offenheit und Ungewissheit sowie f) Nichtplanbarkeit und Nichtsteuerbarkeit des Prozesses (vgl. Rucker 2014 127–128). a) Die Komponenten stehen in komplexen Prozessen in einem irreduziblen unauflöslichen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. b) Die Komponenten

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Marotzkis transformatorische Bildungstheorie teilt damit mit der erarbeiteten Auffassung zum besonderen Bedeutungsgehalt von Bildung die Überzeugung, dass die Beschreibung und Explikation der Prägung des Bildungssubjekts durch strukturelle Bedingungen und äußere Einflüsse mehr in anderen Grundbegriffen menschlicher Entwicklung verortet ist und Bildung als daran anschließender Prozess zu verstehen ist.94 Mit der Berücksichtigung der Innenperspektive des Bildungssubjekts in Bildungsprozessen gelingt es Marotzki, die individuelle Verarbeitung der Wirklichkeit durch das Subjekt in den Mittelpunkt von Bildung zu stellen und die Leistung des Subjekts als zentralen Aspekt dieses Prozesses zu identifizieren. Einer weiteren genaueren und kritischen Betrachtung kann in Marotzkis transformatorischer Bildungstheorie vor allem die Bezugnahme des Subjekts auf die Welt und sich selbst in der Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen unterzogen werden. Marotzki selbst hebt in seinen bildungstheoretischen Überlegungen die tragende Rolle von Reflexion in Bildungsprozessen hervor: »Bildungstheorie beschäftigt sich mit der zentralen reflexiven Verortung des Menschen in der Welt […]. Bildung ist aus dieser Perspektive der Name für den reflexiven Modus des menschlichen In-der-Welt-Seins.«95 Indem Marotzki Reflexion als zentrales Element von Bildungsprozessen benennt, fokussiert er sich vor allem auf den Umgang des Subjekts mit seinen gemachten Erfahrungen aus einer Dritten-Person-Perspektive. Diese Perspektive stellt im Prozess, wie ein Individuum sein Welt- und Selbstverhältnis

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nehmen auf andere Komponenten im Prozess Bezug, sodass diese wechselseitigen Beziehungen der Komponenten innerhalb des Prozesses die Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderung des Prozesses bestimmen. c) Dieser Prozess mit wechselseitig abhängigen und selbstreferentiellen Komponenten entwickelt sich und verändert sich weiter. d) Der Prozess bringt Neues hervor, das nicht auf die Komponenten und deren Zusammenhang zurückführbar ist, aus denen es entstanden ist. e) Diese Merkmale komplexer Prozesse bringen mit sich, dass ein solcher Prozess eine prinzipielle Regelunkenntnis des Ablaufs beinhaltet und damit als offen sowie ungewiss in seiner weiteren Entwicklung zu betrachten ist. Ein komplexer Prozess ist somit f) nicht planbar und damit auch nicht steuerbar (vgl. Rucker 2014 128–148). Diese Parameter komplexer Prozesse sieht Rucker auch in Bildungsprozessen gegeben (vgl. Rucker 2014 149–216). Die Merkmale komplexer Prozesse können auch in transformatorischen Bildungsprozessen festgestellt werden, in denen Wirklichkeitsverarbeitung und die Konstituierung von Welt- und Selbstverhältnissen in komplexen Systemen stattfindet. Vgl. Kap. 3. Marotzki 2006, 61; vgl. auch Marotzki 1990a, 224, Koselleck 1990b, 20, Dörpinghaus 2009, 5 und 2013, 119 und Grunert 2012, 35.

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konstituiert und seine Erfahrungen verarbeitet, allerdings nur einen Blick von außen auf das eigene Welt- und Selbstverhältnis dar. Marotzki schenkt damit dem Aspekt, Erfahrungen zu machen, die Welt und sich selbst zu erleben und genau wahrzunehmen und damit der Ersten-Person-Perspektive des Subjekts in diesen Bildungsprozessen wenig Aufmerksamkeit, auch wenn er sich der Relevanz und Bedeutung des Aspektes bewusst ist.96 So gelingt es Marotzki nicht, die Innenperspektive über das reflexive Verorten in der Welt auch als Wahrnehmung der Welt und sich selbst zu charakterisieren und sie damit in allen bedeutenden Facetten für Bildungsprozesse zu erfassen. Aufgrund der grundlegend anderen Art des Prozesses, als wahrnehmendes Subjekt auf die Welt und sich selbst gerichtet zu sein, ist diese Perspektive auch nicht auf eine Außenperspektive reduzierbar. Es lohnt sich deshalb, die Rolle der Einnahme einer Innenperspektive in der Konstituierung von Welt- und Selbstverhältnissen gesondert zu betrachten, gerade wenn diese für Bildungsprozesse insgesamt und für das zentrale Bildungsziel der Selbstbestimmung im Speziellen als maßgebendes Merkmal ausgemacht wird. Der vorgetragenen Kritik an Marotzki, die Innenperspektive des Bildungssubjekts in Bildungsprozessen nicht umfassend zu berücksichtigen, wird im Folgenden nachgegangen. Dabei wird zunächst gezeigt, dass Reflexion als Konzept keine umfassende Innenperspektive des Subjekts beinhaltet, die auch dem Subjektsein des Bildungssubjekts angemessen Rechnung trägt (Kap. 5.1). Dieser Kritik am Reflexionskonzept liegt ein Subjektverständnis zugrunde, welches das Bildungssubjekt nicht nur als erfahrenes Selbst, sondern auch als wahrnehmendes Subjekt versteht. Nach einer kurzen Betrachtung des bildungstheoretischen Diskurses um das Verständnis von Subjekt (Kap. 5.2) wird auf dieses erklärungsbedürftige Subjektverständnis eingegangen, indem William James’ Auffassung vom Selbst vorgestellt wird, die ein solches Subjektverständnis entfaltet (Kap. 5.3). Mit Hilfe dieses Subjektverständnisses kann es gelingen, auch in der transformatorischen Bildungstheorie Marotzkis die Innenperspektive des Subjekts in ihren verschiedenen Facetten zu berücksichtigen (Kap. 5.4). Ein Konzept, das diese Innenperspektive des Subjekts expliziert und genauer beschreibt, was es heißt, als wahrnehmendes Subjekt eine Innenperspektive auf die Welt und sich selbst einzunehmen, liefert das Achtsamkeitskonzept, das anschließend vorgestellt wird (Kap. 5.5). 96

Vgl. Marotzki 1990a, 38.

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Mit Hilfe der Auffassung vom Selbst bei James und dem Konzept der Achtsamkeit gelingt es, die mangelnde Berücksichtigung der Innenperspektive des Bildungssubjekts in Marotzkis transformatorischer Bildungstheorie zu beheben und genau zu beschreiben, was es heißt, als Subjekt eine Innenperspektive in Bildungsprozessen einzunehmen (Kap. 5.6).

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung Überlegungen zur Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses

5.1 Reflexion als Komponente von Bildung Die Analyse zum Bedeutungsgehalt von Bildung zeigte, dass es für Bildungsprozesse ein zentrales Merkmal darstellt, dass das Bildungssubjekt eine Innenperspektive einnimmt, während es das eigene Selbst- und Weltverhältnis konstituiert.1 Die Ausführungen zur transformatorischen Bildungstheorie Marotzkis machten deutlich, dass es gelingt, die Perspektive des Bildungssubjekts als konstitutiven Bestandteil von Bildungsprozessen in einer Konzeption von Bildung zu verankern, indem die Erfahrungsverarbeitung des Bildungssubjekts und die Bedingungen, die dabei innerhalb eines Subjekts bestehen, ins Zentrum von Bildungsprozessen gerückt werden.2 Das Element der Reflexion stellt in vielen Konzeptionen von Bildung die Komponente dar, mit der die Innenperspektive des Subjekts als Bestandteil von Bildungsprozessen einbezogen wird. Diese zentrale Rolle von Reflexion für Bildung zeigte sich bereits in bedeutenden bildungstheoretischen Strömungen wie den Überlegungen im Umfeld der Kritischen Theorie zu Bildung3 und in der Gegenüberstellung von Bildung und anderen Grundbegriffen der Entwicklung von Individuen.4 Auch eine historische Betrachtung, wie Bil-

1 2 3 4

Vgl. Kap. 2.6 und 3.6. Vgl. Kap. 4. Vgl. Kap. 2.3. Vgl. Kap. 3.

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dung konzeptionell gefasst wurde,5 und die Ausführungen zum Bildungsziel Selbstbestimmung6 weisen darauf hin, dass Reflexionsprozesse konstitutive Elemente für Bildung darstellen.7 Reflexion kann als das entscheidende Element bezeichnet werden, das vom Subjekt aus zum Bildungsprozess beigetragen wird.8 Im transformatorischen Bildungsbegriff Marotzkis stellt Reflexion sogar den zentralen qualifizierenden Aspekt von Bildung dar: »Bildungstheorie beschäftigt sich mit der zentralen reflexiven Verortung des Menschen in der Welt, und zwar in einem zweifachen Sinne: zum einen hinsichtlich der Bezüge, die er zu sich selbst entwickelt (Selbstreferenz) und zum anderen hinsichtlich der Bezüge, die er auf die Welt entwickelt (Weltreferenz). Bildung ist aus dieser Perspektive der Name für den reflexiven Modus des menschlichen In-der-Welt-Seins.«9 Auf praktische Konzipierungen von Reflexion, wie sie als Teil von Bildungsprozessen beschrieben werden, wird nun im Folgenden näher eingegangen.

5.1.1 Reflexion als drei-phasiger Prozess Reflexion wurde in der Philosophie als Begriff unterschiedlich gefasst und thematisiert.10 Als praktisches Konzept, als welches es überwiegend Teil bildungstheoretischer Überlegungen ist, kann es grundsätzlich als ein Nachdenken über die Welt oder sich selbst beschrieben werden, in welchem das

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Vgl. Kap. 6.1.1; hier ist vor allem die dort angesprochene sokratische Selbstsorge und die zugrundeliegende Überzeugung »ein Leben aber ohne Prüfung sei für den Menschen nicht lebenswert« (Apologie 38a, Heitsch 2002, 31) gemeint; vgl. auch zum Aspekt der Reflexion im sokratischen Verständnis von Selbstsorge Leiter-Rummerstorfer 2017, 30–42 und 96–109. Neben der Auffassung von Selbstbestimmung allgemein (vgl. Kap. 6) ist im Besonderen auch Selbstbestimmung als Anforderung unserer Zeit zu nennen, die ein Reflexivwerden des Subjekts erfordert (vgl. Kap. 6.1.4). Für weitere Auffassungen, die Reflexion für einen wichtigen Bestandteil von Bildung halten, vgl. Koselleck 1990b (15 und 18), Bollenbeck 1996 (109), Ecarius 1998 (139–140), Mertens 1998 (128), Koselleck u.a. 2006 (111–112), Lederer 2008 (38) und 2015 (215–216), Dörpinghaus 2009 (5–6) und 2013 (122), Lerch 2010 (48) sowie Grunert 2012 (35). Vgl. Lerch 2010, 48. Marotzki 2006, 61; vgl. auch Marotzki 1990b, 134. Für einen systematischen und historischen Überblick über den Reflexionsbegriff in der Philosophie vgl. Schnädelbach 1977 und Zahn, 1992.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

Reflexionssubjekt auf die eigenen Erfahrungen in der Welt oder sich selbst prüfend zurückblickt.11 Auf diesen prüfenden Vorgang im Nachdenken weist John Dewey bereits 1910 hin, wenn er bezüglich des Vorgangs der Reflexion festhält: »Active, persistent, and careful consideration of any belief or supposed form of knowledge in the light of the grounds that support it and the further conclusions to which it tends constitutes reflective thought.«12 Reflexion als konkreter Prozess wird dabei aus verschiedenen Perspektiven und auf unterschiedliche Weise beschrieben,13 sodass keine einheitliche, sondern viele variierende Definitionen dieses Vorgangs zu finden sind.14 Die Be11

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Vgl. Lederer 2015, 535; diese Auffassung entspricht auch dem alltagssprachlichen Gebrauch von Reflexion und den etymologischen Wurzeln von Reflexion (vgl. Lederer 2015, 535–536 und Jahncke 2019, 38). Dewey 1933, 11; diese Formulierung findet sich nicht nur in der überarbeiteten Version von »How we think« von 1933, sondern auch schon in der ersten Version von 1910 (vgl. Dewey 1910, 6). Fenwick nennt fünf Perspektiven auf Reflexion in erfahrungsbezogenen Lernprozessen (vgl. Fenwick 2000, 244–245), die Ähnlichkeiten mit der Konstituierung von Welt- und Selbstverhältnissen und Bildungsprozessen aufweisen, die bereits vorgestellt wurden (vgl. Kap. 4): So kann Reflexion aus einer situativen, enaktiven (für die Erklärung des Begriffs enaktiv bzw. Enaktivismus vgl. Kyselo 2013), psychoanalytischen, kritisch-kulturellen und konstruktivistischen Perspektive betrachtet werden (vgl. Fenwick 2000, 248–267; vgl. dazu auch Lundgren u.a. 2017). Während aus situativer und enaktiver Perspektive Reflexion in Lernprozessen keine herausgehobene Rolle spielt und aus psychoanalytischer, kritisch-kultureller Perspektive Reflexion in Lernprozessen vor allem für die Lösung innerer Konflikte, die sich durch frühere Ereignisse und gesellschaftliche Strukturen gebildet haben, eine Rolle spielt, nimmt Reflexion in der konstruktivistischen Perspektive auf Lernprozesse eine zentrale Rolle für die Herstellung von Bedeutung ein (vgl. Lundgren u.a. 2017, 316). Reflexion wird darüber hinaus unter unterschiedlichen Begriffen wie Selbstreflexion, welche den Fokus weniger auf die Situation als auf die reflektierende Person als Reflexionsobjekt legt und/oder die internalen Bedingungen einer Person im Reflexionsprozess untersucht (vgl. zu dieser Abgrenzung von Reflexion und Selbstreflexion Fraefel 2017, 68), kritischer Reflexion (vgl. für eine Übersicht zum Konzept der Kritischen Reflexion Béres/Fook 2020) oder anderen Begriffen behandelt (vgl. für eine Übersicht zu den vielfältigen Begriffen Jahncke 2019, 35–36). Reflexion wird darüber hinaus auch in Konzepten wie transformative learning genau beschrieben (vgl. Mezirow 1991, Fisher-Yoshida u.a. 2009, Zeuner 2014 und Eschenbacher 2018, 107–115), in denen Prozesse der Reflexion eine zentrale Rolle dabei spielen, den eigenen Referenzrahmen hinterfragen und verändern zu können. Vgl. Hilzensauer 2008, 2–8, Koole u.a. 2011, 2, Husebø u.a. 2013, 136, Beauchamp 2015, 126 und Jahncke 2019, 37; dies ist auch ein Ergebnis, zu dem die Untersuchung von Quoc Dinh Nguyen u.a. kommt, welche die 15 meistbeachtetsten Veröffentlichungen

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schreibungen von Reflexion weichen dabei in allen Phasen des Prozesses, vom Anlass der Reflexion bis hin zum Ergebnis der Reflexion, voneinander ab.15 Ein Reflexionsmodell, das die zentralen Bestandteile vieler verschiedener Konzeptionen von Reflexion enthält und die gängigen Phasen der Reflexion abbildet, stellen Sebastiaan Koole u.a. vor.16 Sie unterscheiden die drei Reflexionsphasen (a) Rückblick auf die Erfahrung, (b) kritische Analyse und (c) Ergebnis der Reflexion. In jeder Reflexionsphase lassen sich dabei nochmals zwei Schritte differenzieren: Der Rückblick auf die Erfahrung besteht aus (a1) der Gesamtbeschreibung der Erfahrung sowie (a2) dem Bewusstsein über die wichtigsten Aspekte der Erfahrung, basierend auf der Betrachtung der persönlichen Gedanken, eigenen Empfindungen und bedeutenden Umweltfaktoren. Die darauffolgende kritische Analyse besteht aus (b1) dem reflexiven Nachforschen und dem damit verbundenen Auflisten von Nachfragen an die Erfahrung sowie (b2) der Suche nach Antworten auf die aufgeworfenen Fragen im Bewusstsein des Bezugsrahmens, der die Reflexion leitet. Die letzte Phase des Ergebnisses der Reflexion besteht aus (c1) den neuen Perspektiven, die sich aus der kritischen Analyse ergeben, und (c2) deren Überführung in das eigene Handeln. Die dem Reflexionsprozess folgenden Erfahrungen macht das Subjekt dann im Kontext der reflektierten Haltung und des reflektierten Handelns, sodass Reflexion in diesem Modell mehr eine Spirale, deren nächste Erfahrung von einer anderen (reflektierten) Ebene ausgeht, als einen Zirkel darstellt.17

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zu Reflexionsmodellen hinsichtlich ihrer Kernkomponenten untersucht hat (vgl. Nguyen u.a. 2014; für einen Überblick über die wichtigsten Reflexionsmodelle vgl. auch Lyons 2010, Koole u.a. 2011, 2–4, Husebø u.a. 2013, 136 und Jahncke 2019, 42–59). Als Anlass für Reflexion werden beispielsweise eine ungeklärte, ungewisse oder problematische Situation (vgl. Dewey 1916/2004, 163 und 1933, 107) oder unangenehme Gefühle (vgl. Atkins/Murphy 1993, 1189) genannt, während andere Modelle nicht auf den Anlass für Reflexion eingehen, sondern das Machen der Erfahrung bzw. die zu reflektierende Handlung (vgl. Kolb, 1984, 42 und Korthagen/Vasalos 2005, 49) oder erst den Rückblick auf Erfahrung (vgl. Koole u.a. 2011, 4) für den ersten Schritt in der Reflexion halten. Im letzten Schritt der Reflexion weichen die Theorien dahingehen ab, dass einige Theorien nur die Synthese aus der Reflexion als Ende der Reflexion nennen (vgl. Atkins/Murphy 1993, 1189–1191, Boud u.a 1985, 26–31), während andere Theorien auch die Überführung der Ergebnisse in das eigene Handeln für einen Teil des Reflexionsprozesses halten (vgl. Kolb, 1984, 42 und Koole u.a. 2011, 4). Vgl. Koole u.a. 2011, 4. Vgl. Koole u.a. 2011, 4 (Abbildung).

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

5.1.2 Zentrale Merkmale des Reflexionsprozesses Im mehrstufigen Prozess der Reflexion können verschiedene Merkmale festgestellt werden, welche die Struktur von Reflexion wesentlich ausmachen: a) Die kritische Distanz zu den eigenen Erfahrungen, b) die zwei Blickrichtungen – nach außen und nach innen –, die ein Subjekt einnimmt, und c) der Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezug, den ein Subjekt in Reflexionsprozessen herstellt. a) Zunächst lässt sich als zentrales Element von Reflexion herausarbeiten, eine kritische Distanz zu den eigenen Erfahrungen und zu den Umweltfaktoren der Erfahrung einzunehmen: »Reflexion umfasst folglich immer auch und insbesondere eine gewisse kritische Distanz zu sich selbst und zu den gesellschaftlichen Gegebenheiten.«18 In allen drei Phasen der Reflexion bedarf es einer Distanzleistung des Subjekts bezüglich seiner Erfahrung, aber auch der eigenen Rahmung und Perspektive auf die Erfahrung, um alle wesentlichen Aspekte der Erfahrung erfassen, die Erfahrung kritisch analysieren und neue Perspektiven erlangen zu können, die nicht schon durch die bestehende Perspektive auf die Welt und sich selbst vorgeformt oder vorherbestimmt sind. Das Element der kritischen Distanz stellt in Verbindung mit dem Aspekt, dass Reflexion in der Gesamtbeschreibung der Erfahrung ein genaues Erfassen der Welt und sich selbst beinhaltet, ein spannungsreiches Moment im Prozess der Reflexion dar,19 das sich auch im Phänomen Bildung finden lässt.20 Denn das genaue Betrachten und Nachvollziehen der gemachten Erfahrung und das Distanzieren von dieser Erfahrung stellen gegensätzliche Bewegungen im Reflexionsprozess dar, auch wenn beide Elemente für Reflexion zentral sind und nebeneinander parallel bestehen können.21 b) Über den Aspekt der kritischen Distanz hinaus charakterisieren Reflexionsprozesse die zwei verschiedenen Blickrichtungen, die das Subjekt in der Re18 19 20

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Lederer 2008, 38; vgl. auch Grunert 2012, 35, Dörpinghaus 2013, 119 und Lederer 2015, 536. Vgl. Lerch 2016, 82. Das Element der kritischen Distanz lässt sich nicht nur in Verbindung mit Reflexion, sondern auch als eigener Aspekt im Phänomen Bildung feststellen, wie Andreas Dörpinghaus betont (vgl. Dörpinghaus 2013, 119 und 2015). Da Bildung als umfassende Einnahme eines Welt- und Selbstverhältnisses vorgestellt wurde (vgl. Kap. 3.6), ist dieses spannungsreiche Moment auch im Phänomen Bildung zu finden. Achtsamkeit stellt eine Haltung dar, in der beiden Elemente parallel nebeneinander bestehen (vgl. Kap. 5.5.1).

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flexion einnimmt. Das Subjekt richtet seinen Blick zum einen nach außen, um sich mit der Außenwelt, den Umweltbedingungen oder dem Verlauf eines Ereignisses zu beschäftigen. Zum anderen blickt es nach innen, um die eigenen mitgebrachten Haltungen und Überzeugungen, die erlebten Gefühle sowie die eigenen Kompetenzen zu reflektieren.22 Dieser Blick nach innen wird auch als Selbstreflexion bezeichnet, in welcher das Reflexionssubjekt das eigene Innenleben oder die eigenen Bedingungen in der Reflexion auf die Außenwelt betrachtet und analysiert.23 Die Betrachtung der beiden Blickrichtungen in Reflexionsprozessen zeigt dabei, dass die Reflexion auf die Außenwelt und die nach innen gerichtete Selbstreflexion miteinander verbunden und in Reflexionsprozessen meist gemeinsam anzutreffen sind.24 c) Ein weiteres Element in Reflexionsprozessen stellt der Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezug dar, der sich auf unterschiedliche Weise zeigt: »In der Reflexion positioniert sich ein Akteur der Bildung im Verhältnis zur Welt und zu sich selbst. Dabei ist die Reflexion sowohl auf die vergangene als auch auf die zukünftige Tätigkeit eines Menschen an der Welt gerichtet.«25 Als Rückblick auf gemachte Erfahrungen nimmt Reflexion vor allem in der ersten Reflexionsphase auf die Vergangenheit Bezug, richtet seinen Blick aber in der letzten Reflexionsphase besonders auf die Zukunft, wenn dort neue Perspektiven gewonnen werden und eine Überführung der gewonnenen Erkenntnisse in eigenes zukünftiges Handeln angestrebt wird. Reflexion enthält darüber hinaus auch einen Gegenwartsbezug, besonders wenn Reflexion einen Prozess während einer Handlung oder Erfahrung darstellt, der noch einmal gesondert von Reflexion, die nach einer Handlung oder

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Vgl. Aeppli/Lötscher 2017, 162–163; vgl, auch Aeppli/Lötscher 2016, 84 und Jahncke 2019, 50–52. Harry G. Frankfurts Beschreibung des Willens von Personen in der Struktur von Wünschen und höherstufigen Wünschen (vgl. Frankfurt 1971) ist ein bekanntes Beispiel für die Beschreibung von Selbstreflexion. Wenn jemand diese Analyse des eigenen Willens bei sich vornimmt, stellt der Vorgang eine Betrachtung der eigenen Bezogenheit auf die Welt sowie eine Betrachtung der eigenen Bezogenheit auf die eigene Bezogenheit und damit sich selbst dar. Der Vorgang kann deshalb als Selbstreflexion bezeichnet werden. Frankfurt nennt diesen Vorgang an anderer Stelle auch selbst ein Modell verschiedener Stufen der Reflexivität (vgl. Frankfurt 1988, 164). Vgl. Aeppli/Lötscher 2017, 163. Rucker 2014, 154.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

Erfahrung erfolgt, betrachtet werden kann.26 So enthält Reflexion das genaue Erfassen der Welt sowie des eigenen Innenlebens im gegenwärtigen Moment der Erfahrung, der Durchführung einer Handlung oder der Reflexion. In dieser Gegenwartsperspektive ist Reflexion eng mit der bereits beschriebenen Spannung verbunden, während des Machens einer Erfahrung oder der Durchführung einer Handlung die Welt und sich selbst genau zu erfassen, aber gleichzeitig in einen Abstand zu diesen Vorgängen zu treten, um sie auch betrachten und analysieren zu können. Die beschriebenen Merkmale der kritischen Distanz, der Blickrichtung nach außen und nach innen sowie der Bezugnahme auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft charakterisieren, wie ein Individuum eine Innenperspektive einnimmt, wenn es reflexiv auf seine Erfahrungen blickt. Diese Merkmale sowie die vorgestellten Phasen der Reflexion können auch als Charakteristika der transformatorischen Bildungstheorie Marotzkis ausgemacht werden, mit denen die Einnahme einer Innenperspektive durch das Bildungssubjekt in Bildungsprozessen beschrieben wird.

5.1.3 Reflexion als Element des transformatorischen Bildungsprozesses Die drei beschriebenen Phasen von Reflexion – der Rückblick auf die Erfahrung, die kritische Analyse und das Ergebnis der Reflexion – sowie die drei vorgestellten zentralen Merkmale von Reflexionsprozessen – die kritische Distanz, die Blickrichtungen nach außen und nach innen sowie der Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezug – stellen Bestandteile Marotzkis transformatorischer Bildungsprozesse dar, die er selbst als reflexive Prozesse bezeichnet.27 So beschreibt Marotzki transformatorische Bildungsprozesse als Bewusstsein und Veränderung der eigenen Sicht auf die Welt und der eigenen Erfahrungsverarbeitung (Lernen II) sowie der Art und Weise, wie diese eigene Sicht auf die Welt ausgewählt wird (Lernen III).28 In diesen Transformationsprozessen betrachtet das Bildungssubjekt die eigene Weltsicht, indem es auf diese (zurück)blickt und sie hinsichtlich des eigenen Bezugsrahmens befragt und analysiert. Auf dieser Basis wird schließlich eine Bewertung der 26 27 28

Vgl. Schön 1983, besonders 278. Vgl. Marotzki 1990, 224; vgl. auch Marotzki 2006, 61. Vgl. Marotzki 1990a, 37–44; vgl. auch Kap. 3.5.

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aktuellen Weltsicht vorgenommen und eine neue Weltsicht entwickelt. Der von Marotzki beschriebene Bildungsprozess enthält somit alle drei Phasen der Reflexion des Rückblicks auf die Erfahrung, der kritischen Analyse und des Ergebnisses der Reflexion. Das Merkmal der (kritischen) Distanz29 in Reflexionsprozessen findet sich in den Modalisierungsprozessen innerhalb der transformatorischen Bildungsprozesse wieder. So werden in Modalisierungsprozessen feste Überzeugungen und Konventionen eine Individuums »gelockert« und eine Distanz zu diesen eingenommen, sodass ein Möglichkeitsraum entsteht, über das eigene Welt- und Selbstverhältnis zu bestimmen.30 Analog zur beschriebenen kritischen Distanz, die ein Individuum in Reflexionsprozessen zu seiner Erfahrung einnimmt, enthalten transformatorische Bildungsprozesse eine Distanz des Bildungssubjekts zu seinen Gewohnheiten, die Welt und sich selbst zu erfassen. Darüber hinaus blickt ein Bildungssubjekt in transformatorischen Bildungsprozessen in beide Richtungen, nach innen und nach außen. So beinhalten diese Prozesse, dass das Bildungssubjekt zum einen die Welt genau erfasst und somit nach außen in die Welt schaut, zum anderen die eigene Rahmung und Perspektivität im Welt- und Selbstverhältnis betrachtet, was einen umfassenden Blick nach innen darstellt.31 Auch die drei zeitlichen Bezüge in der Reflexion, der Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezug, sind in transformatorischen Bildungsprozessen zu erkennen. Auf den Vergangenheitsbezug weist Marotzki im Anschluss an Batesons Lernen II ganz explizit hin, wenn er darauf aufmerksam macht, dass die ausgebildeten Gewohnheiten im Denken und Wahrnehmen Gegenstand von transformatorischen Bildungsprozessen sind.32 Der Gegenwartsbezug findet sich in transformatorischen Bildungsprozessen in der Analyse, aber auch in den Modalisierungsprozessen des eigenen Welt- und Selbstverhältnisses wieder. Sowohl die Wahrnehmung des bestehenden Welt- und Selbstverhältnisses als auch die Distanz zu und

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Marotzki verwendet das Element der Distanz ohne den Zusatz, dass diese kritisch ist, da das Einnehmen einer Distanz mehr in seiner Funktion beschrieben wird, die feste Verhaftung im aktuellen Welt- und Selbstverhältnis zu verlassen. Damit wird Distanz weniger als Element eines kritischen Bewertungsprozesses beschrieben. Vgl. Marotzki 1990a, 148–149. Vgl. Marotzki 1990a, 37–44. Vgl. Marotzki 1990a, 38.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

Negation von bestehenden Welt- und Selbstverhältnissen wie auch die Kontexturtransformationen stellen einen Prozess mit Gegenwartsbezug dar.33 Es ist die Vergewisserung über die eigene aktuelle Rahmung im Welt- und Selbstverhältnis, die das Bildungssubjekt immer wieder neu durchläuft und Bildungsprozesse zu aktuellen Vorgängen in der Gegenwart macht. Der Zukunftsbezug transformatorischer Bildungsprozesse zeigt sich im Entwurfscharakter von Welt- und Selbstverhältnissen, die Marotzki aufgrund seiner existentiellen Perspektive auf die Entwicklung eines Individuums Bildungsprozessen zuschreibt. So entwickelt ein Individuum sein Welt- und Selbstverhältnis auch im Horizont des eigenen Blicks auf seine Zukunft und als einen Entwurf in die Zukunft.34 Reflexionsprozesse spielen somit in all ihren Facetten eine zentrale Rolle, wenn ein Individuum transformatorische Bildungsprozesse durchläuft und sein Welt- und Selbstverhältnis konstituiert.

5.1.4 Kritik an der zentralen Rolle von Reflexion in Bildungsprozessen Reflexionsprozessen wird allerdings nicht in allen Konzeptionen von Bildung diese zentrale Bedeutung zugewiesen, die sie in Marotzkis transformatorischer Bildungstheorie einnimmt. In der Vorstellung verschiedener Positionen im bildungstheoretischen Diskurs zeigten sich bereits Auffassungen, welche die bedeutende Rolle von reflexiven Prozessen in Bildungsprozessen und die damit verbundenen These kritisieren, dass die Leistung des Subjekts den zentralen Prozess für Bildung darstellt. Diese Kritik wurde vor allem in bildungstheoretischen Überlegungen im Umfeld der Kritischen Theorie und in poststrukturalistischen Überlegungen zu Bildung geäußert, die in Bildungsprozessen vor allem den äußeren Einfluss auf das Bildungssubjekt betonen. Dabei wird zum einen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Anerkennung anderer als zentrale Grundlagen der Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses eines Individuums verwiesen.35 Zum anderen wird aufgrund der Eingebundenheit des Subjekts in Strukturen die Annahme eines Bildungssubjekts, das sich bilden kann und reflexiv die selbstbestimmte Einnahme eines Welt- und Selbstverhältnis erarbeiten kann, einer radikalen Kritik unterzogen.36 Diese

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Vgl. Marotzki 1990a, 144–233. Vgl. Marotzki 1990a, 134–143. Vgl. Kap. 2.3. Vgl. Kap. 2.4.

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Kritik ist somit meist als ein Bestandteil von Bildungsauffassungen zu finden, welche die prägenden Prozesse in der Entwicklung eines Individuums stark in den Vordergrund stellen, die Möglichkeiten eines Individuums, sich selbst zu bestimmen, bestreiten oder als sehr gering einschätzen und Bildung vor allem für Erziehungs- oder Sozialisationsprozesse halten.37 Die Rolle von Reflexionsprozessen in Bildungsprozessen kann allerdings auch aus einer Perspektive kritisiert werden, die Reflexion eine zentrale Rolle in Bildungsprozessen zuspricht und die Leistung des Subjekts für ein qualifizierendes Element von Bildung hält. Aus dieser Perspektive kann Reflexion als alleine unzureichend bezeichnet werden, um diese entscheidende Rolle der Leistung des Subjekts in Bildungsprozessen adäquat abzubilden. So gelingt es mit dem Konzept der Reflexion nicht, die Innenperspektive des Subjekts in Bildungsprozessen umfassend abzubilden. In den beschriebenen Modellen von Reflexion steht die Betrachtung der Erfahrung und damit die Welt und das Reflexionssubjekt selbst als Objekt im Mittelpunkt des Prozesses.38 Auf die Welt und sich selbst blickt das Reflexionssubjekt in Reflexionsprozessen von außen und unterzieht beides einer Analyse und Bewertung. Der Aspekt, in diesem Prozess Reflexionssubjekt zu sein, d.h. wahrnehmendes Subjekt im Bezug auf die Welt und sich selbst sowie im Vorgang der Reflexion selbst zu sein, wird nicht oder in seiner Bedeutung unzureichend thematisiert.39 Wahrnehmungsprozesse, d.h. präreflexive Vorgänge,40 in denen ein Individuum die Welt und sich selbst aus einer Innenperspektive heraus beobachtet und aufnimmt, spielen damit eine untergeordnete Rolle, obwohl sie zentrale Prozesse dabei sind, wie die Erfahrung zustande kommt, über die dann reflektiert wird. Wahrnehmungsprozesse bilden die Grundlagen für die folgenden Teilprozesse in der Reflexion und stellen darüber hinaus in diesen Teilprozessen der Reflexion wiederum als Selbstwahrnehmung ein wichtiges Element dar. Die drei Phasen der Reflexion kommen ohne eine explizite Berücksichtigung von Wahrnehmungsprozessen und ihrer besonderen Rolle aus und auch in den zentralen Merkmalen von Reflexion erfahren diese Prozesse keine angemessene Berücksichtigung.

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Vgl. auch Kap. 3.1 und 3.2. Vgl. Brown u.a. 2007, 216. Für die Unterscheidung der Aspekte im Selbstbezug eines Individuums, wahrnehmendes Subjekt zu sein und sich selbst zum Objekt zu machen, vgl. auch Kap. 5.3.2. Vgl. Brown u.a. 2007, 216 und Schultz/Ryan 2015, 85.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

Diese untergeordnete Rolle von Wahrnehmungsprozessen findet sich damit auch in Konzeptionen von Bildung wieder, welche mit dem Element der Reflexion die Innenperspektive des Bildungssubjekts in Bildungsprozessen umfassend einbeziehen möchten. Die Wahrnehmungsprozesse des Subjekts sind allerdings zentrale Bestandteile des Vorgangs, als Individuum bei der Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses eine Innenperspektive auf die Welt und sich selbst einzunehmen. Die Prozesse, sich als wahrnehmendes Subjekt auf die Welt und sich selbst zu beziehen, können dabei nicht in eine Perspektive überführt werden, in der das Subjekt die Welt und sich selbst als Objekt betrachtet, sondern stellen einen ganz eigenen Zugang zur Welt und sich selbst dar.41 Die Wahrnehmung der Welt und sich selbst durch das Subjekt wird in solchen Konzeptionen von Bildung folglich in ihrer Bedeutung, ein Welt- und Selbstverhältnis entscheidend mitzukonstituieren, nicht ausreichend betrachtet und mangelhaft miteinbezogen, was auch in der Konzeption transformatorischer Bildungsprozesse Marotzkis festzustellen ist. Marotzki selbst ist sich der Bedeutung von Wahrnehmungsprozessen für die Konstituierung von Welt- und Selbstverhältnissen durchaus bewusst: »Bildungstheorie beschäftigt sich mit der zentralen reflexiven Verortung des Menschen in der Welt, und zwar in einem zweifachen Sinne: zum einen hinsichtlich der Bezüge, die er zu sich selbst entwickelt (Selbstreferenz) und zum anderen hinsichtlich der Bezüge, die er auf die Welt entwickelt (Weltreferenz). Bildung ist aus dieser Perspektive der Name für den reflexiven Modus des menschlichen In-der-Welt-Seins. […] Welt und Selbst sind somit nicht ein Gegebenes, sondern werden aufgrund unserer perspektiven- und deutungsgebunden Wahrnehmung zu etwas, was erst hergestellt und über soziale Interaktionen aufrechterhalten oder verändert wird. Die Kraft der Reflexion ist die einer Selbstvergewisserung und Orientierung in gesellschaftlichen Verhältnissen.«42 Diesen und andere Ansatzpunkte in seiner Bildungstheorie, sich näher mit der Bedeutung von Wahrnehmungsprozessen für Bildungsprozesse zu beschäftigen, verfolgt Marotzki allerdings nicht weiter.43

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Den Unterschied der Prozesse, sich reflexiv und wahrnehmend auf die Welt und sich selbst zu beziehen, arbeite Michael Bordt sehr gut heraus (vgl. Bordt 2013 und 2015). Marotzki 2006, 61. Vgl. auch Marotzki 1990a, 38, 53, 83 und 131; Wahrnehmungsprozesse finden sich auch in Welt- und Selbstverhältnissen, die im Sinne Marotzkis noch keine Bildungsprozes-

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Insgesamt kann festgehalten werden, dass die ausgeführte Kritik am Konzept Reflexion verdeutlicht, dass Reflexionsprozesse nicht alle bedeutenden Prozesse einschließen, die in Bildungsprozessen die Einnahme einer umfassenden Innenperspektive des Subjekts auf die Welt und sich selbst beinhaltet, weil sie den Bezug des Individuums als wahrnehmendes Subjekt nicht angemessen einbeziehen. Mit dem Reflexionskonzept allein kann somit die Leistung des Subjekts in Bildungsprozessen nicht adäquat abgebildet werden. Es ist erforderlich, die Wahrnehmungsprozesse des Bildungssubjekts in der Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses gesondert zu betrachten und als eigenen Teil von Bildungsprozessen konzeptionell zu verankern, um deren spezieller Art und besonderer Rolle für Bildung gerecht zu werden. Wahrnehmungsprozessen und der damit verbundenen Innenperspektive des Subjekts auf die Welt und sich selbst diese zentrale Bedeutung dabei zuzuschreiben, wie ein Individuum sein Welt- und Selbstverhältnis konstituiert, ist mit einer bestimmten Auffassung vom Subjekt bzw. Selbst44 eines Individuums verbunden, die dieser Leistung des Subjekts eine zentrale Rolle in diesem Prozess zuspricht. Aus diesem Grund ist es erforderlich, auf die Auffassung vom Subjekt näher einzugehen, die diesem Verständnis der Konstituierung eines Welt- und Selbstverhältnisses zugrunde liegt. Durch diese Erläuterung kann die spezifische Leistung des Subjekts in Bildungsprozessen genauer ausgeführt werden. Im Folgenden wird dazu zunächst auf den bildungstheoretischen Diskurs im Bezug auf die Konzepte Subjekt und Selbst eingegangen (Kap. 5.2). Im Anschluss wird die Auffassung vom Selbst bei William James vorgestellt, in welcher Wahrnehmungsprozesse und die damit verbundene Innenperspektive des Subjekts ein grundlegendes Element darstellen (Kap. 5.3). Auf dieser Grundlage kann die Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses eines Individuums in einer Weise beschrieben werden, die dem Phänomen Bildung und der umfassenden Leistung des Subjekts in Bildungsprozessen gerecht werden kann (Kap. 5.4).

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se durchlaufen haben, d.h. nur durch Lernen 0 und Lernen I in Batesons Lernebenenmodell aufgebaut wurden (vgl. dazu Kap. 3.5 und 4). Auch an dieser Stelle wäre eine Berücksichtigung der Bedeutung der Wahrnehmungsprozesse für Bildungsprozesse möglich, indem darauf hingewiesen wird, dass sie eine wichtige Grundlage für spätere Bildungsprozesse spielen. Zur Verwendung der Begriffe Subjekt und Selbst in dieser Arbeit vgl. Kap. 5.2 und 5.3.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

5.2 Bildungstheoretische Perspektiven auf Subjekt und Selbst Die bisherige Betrachtung, wie ein Individuum eine umfassende Innenperspektive einnehmen kann, wenn es sein Welt- und Selbstverhältnis konstituiert, hat gezeigt, dass mit dem Reflexionskonzept allein nicht alle Aspekte dieses Vorgangs erfasst werden können. Um die Innenperspektive eines Individuums umfassend zu berücksichtigen, ist es erforderlich, dass ein Individuum über die Erfassung der Welt und sich selbst als Objekte hinaus sich als wahrnehmendes Subjekt auf die Welt und sich selbst bezieht. Mit der Einbeziehung dieses Aspekts kann die zentrale Komponente der erarbeiteten Auffassung von Bildung berücksichtigt werden, dass das Bildungssubjekt im Bildungsprozess eine umfassende Innenperspektive einnimmt. Im Zuge dieser Analyse wurde deutlich, dass die Auffassung vom Subjekt eine entscheidende Rolle dabei spielt, wie Bildung konzeptionell gefasst wird. Das Subjektverständnis bzw. die Auffassung vom Selbst eines Individuums45 stellt nicht nur für das erarbeitete Konzept von Bildung, sondern auch insgesamt im bildungstheoretischen Diskurs ein zentrales Thema dar, das breit und kontrovers diskutiert wird.46 45

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Der genannte thematische Diskurs ist über die bildungstheoretischen Überlegungen zu den Begriffen Subjekt und Selbst hinaus auch in Abhandlungen zu den Begriffen Ich, Person, Individuum oder Identität zu finden, die in ihrem Umfang kaum überschaubar sind (vgl. Meyer-Drawe 2002, 362). Aufgrund des unterschiedlichen Verständnisses von Begriffen im erziehungswissenschaftlichen Diskurs (vgl. Kap. 2.1) ist der thematische Diskurs um das Subjektverständnis und die Auffassung vom Selbst eines Individuums auch im Diskurs um die Konzepte Lernen, Erziehung oder Sozialisation zu finden, wo die genannten Begriffe wiederum unterschiedlich diskutiert werden. Im Folgenden werde ich den Aspekt vor allem unter dem Begriff des Selbst diskutieren. Der Begriff des Subjekts und der Subjektivität ist in der aktuellen Debatte immer noch stark mit der modernen Vorstellung eines absolut autonomen Subjekts verbunden, während der Begriff des Selbst sich davon absetzt und aktuell meist einen weiteren Blick auf die Subjektkonzepte beinhaltet (vgl. Alkemeyer u.a. 2013b, 21–22). Über den bildungstheoretischen Kontext hinaus wird im psychologischen Kontext dieser thematische Diskurs vor allem unter dem Begriff des Selbst geführt und ist dieser Begriff an die englischsprachige Forschung anschlussfähig, die unter dem Begriff self stattfindet und im Diskurs eine bedeutende Rolle spielt (vgl. auch Kap. 5.3). Vgl. Fink 1970 (vor allem 113–124), Schütz 1975 (vor allem 16–33) und 1988, Meyer-Drawe 1990, 1991, 2002, 2011, 2015 und 2017, Holzkamp 1993 (vor allem 19–33), Meueler 1993, Schäfer 1996, 2004, 2012 (69–118), 2015 und 2016, Lischewski 1998, Ricken 1999 (vor allem 1–172), 2006 und 2015, Jörissen 2000, Peukert 2000, Heinrichs 2001, Reichenbach 2001 (vor allem 257–325) und 2004, Felden 2003 (26–64), Rieger-Ladich 2004,

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Im Mittelpunkt des bildungstheoretischen Diskurses zum Bildungssubjekt steht dabei in den letzten Jahrzehnten vor allem das »moderne Subjektverständnis«, welches das Subjekt als Zentrum und Autor seiner eigenen Weltsicht betrachtet, und die Kritik an einer solchen Auffassung vom »starken Subjekt«47 , welche vielmehr Subjektivierungsprozesse48 ins Zentrum der Subjektkonstituierung stellt. In dieser Kritik an einem starken Subjekt können vor allem drei Punkte hervorgehoben werden:49 »Die Vorbehalte gegenüber dem ›modernen Subjektverständnis‹ sind vielfältig und beziehen sich vor allem auf die Möglichkeit eines Bewusstseins und einer Erkenntnis seiner selbst, auf die Idee eines abgeschlossenen, kohärenten ›Wesens‹ und auf die Vorstellung einer Autonomie, die selbstbestimmtes, freies und unabhängiges Handeln zulässt.«50 Diese drei Vorbehalte gegenüber der Annahme eines starken Subjekts speisen sich aus Erfahrungen, sich selbst nicht vollständig erfassen zu können, als fragmentiert zu erleben und als Ergebnis von Fremdbestimmung zu erfahren. »Gegenüber früheren Eigenschaften des Bildungssubjekts (z.B. Aktivität, Identität und Autonomie) werden gegenläufige Momente akzentuiert (z.B. Passivität, Differenz und Heteronomie).«51

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Ortner 2006 (vor allem 16–20), Stojanov 2006 (110–146), Lüders 2007 (69–143), Gößling 2008, Künkler 2008, Ludwig 2009, Sattler 2009, Aßmann 2010, Koller 2012a (vor allem 34–68), Rose 2012a (89–142) und 2012b, Alkemeyer u.a. 2013a, Arnold 2013 (133–155), Bünger 2013a (79–86) und 2015, Faulstich 2013 (79–88) und 2014, Böhmer 2014, Grotlüschen 2014, Karcher 2015, Lerch 2016, Allert u.a. 2017, Ricken/Wittpoth 2017, Redecker 2018, Ricken u.a. 2019 sowie Asmussen 2020 (vor allem 103–114). Vgl. Fuchs 2016 und 2017. Für einen aktuellen Überblick zur bildungstheoretischen Diskussion des Prozesses der Subjektivierung vgl. Ricken u.a. 2019. Als weitere wichtige Aspekte in der bildungstheoretischen Betrachtung des Bildungssubjekts werden folgende Fragestellungen thematisiert: Kann ein Subjekt anders werden und das im Kontext von Bildung auch wollen (vgl. Schäfer 2015, 217, vgl. auch Ricken 1999, 311–418 und Koller 2012b)? Kann ein Subjekt grundsätzlich über sein eigenes Selbst verfügen und dieses kontrollieren (vgl. Schäfer 2015, 217–220; vgl. auch Schäfer 2005, 40–44)? Wird im Ziel der Subjektentwicklung, man selbst zu werden, nicht immer schon vorausgesetzt, dass ein Subjekt dieses Ziel der eigenen Entwicklung nicht schon immer eigentlich ist (vgl. Schäfer 2016, 14)? Lüders 2007, 28. Lüders 2007, 28.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

Bildungstheoretische Positionen, welche diese Vorbehalte teilen und die äußeren Einflussfaktoren auf ein Individuum betonen, beschreiben Subjektkonstituierung vor allem unter den Aspekten der a) Differenz, b) Heteronomie und c) Sprachlichkeit.52 a) Unter dem Aspekt der Differenz wird darauf hingewiesen, dass ein Individuum in der heutigen Zeit häufig eine innere Differenz erlebt, welche im Prozess der Subjektkonstituierung die Entwicklung einer Identität im Sinne einer eindeutigen, festen und dauerhaften Vorstellung, was einen selbst ausmacht, als problematisch erscheinen lässt: »Unter den aktuellen Bedingungen einer radikal pluralen Gesellschaft sei das moderne Konzept einer substantiellen, kohärenten, kontinuierlichen und konsistenten Identitätsbildung empirisch gar nicht einlösbar.«53 Jenny Lüders führt weiter aus, dass sich ein Individuum unter den vorherrschenden Bedingungen als fragmentiert erlebt54 und sich nie voll und ganz erfassen kann.55 Folglich kann es für das Subjekt auch kein Bildungsziel sein, mit sich selbst identisch zu sein, und auch die positive Synthetisierungsleistung kann keine zentrale Aufgabenstellung für das Bildungssubjekt mehr darstellen, weil sie ein gewaltsamer Akt der Unterwerfung der erlebten Differenz ist.56 b) Ähnlich wird mit dem Verweis auf den Aspekt der Heteronomie im Konstituierungsprozess des Subjekts darauf hingewiesen wird, dass das Subjekt als Ausgangspunkt von Selbstbestimmung ein problematisches Konzept ist. »Konsens scheint dabei, dass das Selbst der Selbstbehauptung eine Illusion ist, da es aufgrund der Vermitteltheit von gesellschaftlichen und sprachlichen Strukturen nicht einholbar ist.«57 Auch bei dieser Perspektive auf das Subjekt wird auf die Erfahrung Bezug genommen, »da[ss] sich Subjekte in zunehmen-

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Vgl. Lüders 2007, 29; Lüders nennt an dieser Stelle Alterität als weiteren Aspekt in der Subjektkonstituierung. Teile des nun vorgestellten bildungstheoretischen Diskurses zum Bildungssubjekts finden sich in anderer Form bereits in der allgemeinen Einordnung des bildungstheoretischen Diskurses (vgl. Kap. 2.2-2.6). Lüders 2007, 29. Vgl. auch Kap. 6.1.4. Vgl. Lüders 2007, 29–30; vgl. auch Schäfer 1996, 21–22 und 2015, 217–220, Peukert 2000, 515, Heinrichs 2001, 62 und Butler 2003. Vgl. Lüders 2007, 29–30. Lüders 2007, 30; vgl. auch Schäfer 2016.

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dem Maße nicht mehr als Zentren sowohl des Begreifens als auch des Handelns erleben.«58 Unterstützt wird diese Perspektive im bildungstheoretischen Diskurs durch machttheoretische Betrachtungen der Konstituierungsprozesse eines Subjekts,59 wie sie von Michel Foucault vorgetragen wurde: »Autonomie ist für Foucault weder eine ursprüngliche Fähigkeit des Menschen noch Resultat fortschreitender Emanzipation, sondern vielmehr das Ergebnis einer Disziplinierung, die äußere Herrschaft ins Innere des Subjekts verlagert und dieses so zur Instanz seiner eigenen Unterwerfung macht.«60 Die Möglichkeit für ein Bildungssubjekt, selbst über sich zu bestimmen, wird von diesem Standpunkt aus zur Illusion erklärt61 und Selbstbestimmung somit aus dem bildungstheoretischen Fokus gerückt. c) Über diese beiden Aspekte hinaus kann am Konzept eines starken Subjekts kritisiert werden, dass die sprachliche Verfasstheit von Prozessen der Subjektkonstituierung mangelhaft berücksichtigt wird. Dadurch wird die Vorstellung befördert, dass ein Subjekt eine absolute Selbstbestimmungsmöglichkeit besitzt, die es allerdings nicht hat. »Denn die Behauptung solcher Selbstbestimmung gründet in der Annahme, es gäbe eine Position, von der aus das Subjekt die widerstreitenden Sprachspiele oder Diskursarten beherrschen könnte, während es […] von diesen beherrscht wird.«62 Stattdessen macht es die immer schon vorangehende sprachliche Situiertheit von Subjektivität unmöglich, dass das Subjekt sich in dieser Weise selbst bestimmen kann.63 Sprachliche Prozeduren und nicht die Bewusstseinsleistung eines Subjekts, so die zentrale These, bilden den Möglichkeitsrahmen der Subjektkonstitution und den

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Meyer-Drawe 1990, 16. Vgl. auch Ricken 2006. Koller 2001, 41; vgl. auch Foucault 1987; für einen ausführlichen Überblick zu Foucaults bildungstheoretischen Implikationen vgl. Lüders 2007. Auch Judith Butler verweist in verschiedenen Schriften auf die unterschiedlichen Formen der Konstituierung des Subjekts durch Machtstrukturen (vgl. vor allem Butler 2001, 7–34, aber auch Butler 1991 und 1995). Vgl. Meyer-Drawe 1990. Koller 2001, 42. Vgl. Felden 2003, 47.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

Ausgangspunkt der individuellen Bestimmung eines Subjekts.64 »Jede Selbstverortung des Subjekts ist demzufolge grundsätzlich sprachlich bzw. semiotisch.«65 Auf der Basis der angeführten Perspektive, welche die Aspekte der Differenz, Heteronomie und Sprachlichkeit in den Mittelpunkt des Konstituierungsprozesses eines Subjekts stellen, wird gerne eine radikale Schlussfolgerung für die weitere Betrachtung des Subjekts im bildungstheoretischen Kontext gezogen: »[S]o muss man sich zunächst von der Idee verabschieden, das Subjekt könne seine eigene Bildung steuern.«66 Die Erfahrung von Differenz und Heteronomie sowie die sprachliche Situiertheit in Prozessen der Subjektkonstituierung wirken aus diesem Blickwinkel so stark, dass keine bedeutenden Prozesse auf Seiten des Subjekts möglich sind, in welchen es sein Welt- und Selbstverhältnis bestimmt und gestaltet. Allerdings zeigt sich in der dargestellten Perspektive auf Subjektentwicklung, dass trotz der scharfen Kritik an einem starken Subjekt eine aktive und agierende Beteiligung des Subjekts in den Prozessen der Subjektkonstituierung eingeräumt wird. So wird dem Subjekt zugestanden, seine der Differenz ausgelieferte Existenz bejahen und gestalten zu können67 und sich in seiner Fremdbestimmtheit bedingt selbstbestimmen zu können.68 Auch innerhalb der bestehenden sprachlichen Strukturen wird dem Subjekt die Möglichkeit von Selbstbestimmung zugestanden, wenn die Anerkennung der Pluralität und Heterogenität von Sprachspielen sowie das Erfinden und Ausdrücken neuer Diskursarten und Sätze durch das Subjekt als möglich und sogar als dessen Aufgabe erachtet wird.69 Im erarbeiteten Bildungsverständnis, das an die transformatorische Bildungstheorie Marotzkis anschließt, werden hingegen diese Möglichkeitsräume für ein Individuum, innerhalb begrenzender Bedingungen das eigene Welt- und Selbstverhältnisses aktiv mitgestalten zu können, in den Mittel-

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Vgl. Lüders 2007, 34; vgl. auch Koller 1999, 151 und Ortner 2006, 17. Lüders 2007, 35. Lüders 2007, 36. Vgl. Lüders 2007, 30. Vgl. Meyer-Drawe 1990, 18 und Lüders 2007, 31; vgl. zu diesem Aspekt dann ausführlich auch Kap. 6.3. Vgl. Lyotard 1987, 32–33; vgl. auch Koller 2001, 46–47 und Felden 2003, 51.

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punkt von Bildung gerückt. Ein Bildungssubjekt steht im Bildungsprozess vor der zentralen Aufgabe, diese Gestaltungsräume aufzuspüren und auszufüllt. Im Folgenden gilt es, ein geeignetes Subjektkonzept herauszuarbeiten, welches die Annahme eines Subjekts begründet, das zur Gestaltung dieser Möglichkeitsräume fähig ist und die Innenperspektive des Bildungssubjekts konzeptionell umfassend berücksichtigt. Ein solches Konzept stellt William James’ Auffassung vom Selbst dar, die im Folgenden dargelegt wird.

5.3 Das Selbst in der Tradition von William James 5.3.1 Der Bewusstseinsstrom als Grundlage menschlicher Erfahrung Die philosophischen Überlegungen zur Beschaffenheit des Selbst70 sind seit ihren Anfängen zentraler Bestandteil der Philosophie und Psychologie71 und äußerst umfangreich,72 weshalb eine umfassende Darstellung über den Rahmen dieser Arbeit hinausgeht. Eine Bestimmung des Selbst, die grundlegend für das moderne Verständnis des Selbst ist und auf der sehr viele weitere Überlegungen zum Selbst aufbauen,73 liefert William James am Ende des 19. Jahrhunderts in seinem philosophischen und psychologischen Werk.74

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Der hier verwendete Selbstbegriff umfasst die Aspekte des wahrnehmenden Subjekts und erfahrenen Selbst. Für einen historischen Überblick zum Selbstbegriff vgl. Schrader 1995, Jörissen 2000, 27–57 und Barresi/Martin 2011. Für einen einleitenden Überblick zum Thema Selbst im Bereich von Philosophie und Psychologie vgl. Greve 2000, Harter 2006, 505–512 oder Mummendey 2006; für einen umfassenden Überblick zum Thema Selbst vgl. Gallagher 2011a (und in verkürzter Form Gallagher 2011b) oder Leary/Tangney 2012a; für eine umfassende Einführung zum Thema Selbst in deutscher Sprache vgl. Ludwig-Körner 1992. Vgl. Leary/Tangney 2012b, vii; vgl. auch Lerch 2016, 53 und Leary 2018, 231; für einen ersten Überblick über das Verständnis vom Selbst in der Philosophie vor James vgl. Schrader 1995, Jörissen 2000, 27–57 und Barresi/Martin 2011, 33–47. Für eine umfassende Einführung in das gesamte Werk von James und seine verschiedenen Überzeugungen vgl. Klein/Prinz 2018; für eine Übersicht über die Beschäftigung mit Philosophie und Psychologie sowie deren Zusammenhang im Werk von James vgl. Leary 2018 und 2020/2018.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

Als Ausgangspunkt zur Bestimmung des Selbst nimmt James die Erfahrung des Individuums aus der Ersten-Person-Perspektive.75 Diese Perspektive ist für James primär in der Beschreibung des Selbst, weil das Selbst für ihn gewöhnlich als Teil des personalen Bewusstseins erfahren wird:76 »The universal conscious fact is not ›feelings and thoughts exist,‹ but ›I think‹ and ›I feel.‹«77 James vertritt somit einen radikalen Empirismus, den er in anderen Schriften weiter entfaltet.78 Die Basis der Erfahrung eines Individuums stellt für ihn der Bewusstseinsstrom (stream of consciousness)79 dar, innerhalb dessen Erfahrungen gemacht werden. »This first fact for us, then, as psychologists, is that thinking of some sort goes on.«80 James lehnt es ab, über den Bewusstseinsstrom hinaus Annahmen für seine Theorie des Selbst zu treffen, da für ihn keine weiteren Voraussetzungen nötig sind, um dieses Phänomen und die dabei vorgehenden psychischen Prozesse zu erklären. Jede weitere Annahme würde vielmehr die Behandlung des Gegenstands schon von Vornherein vorfestlegen und das Ergebnis der Untersuchung einschränken.81 James bezeichnet sein Vorgehen in der Beschreibung 75 76

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Vgl. Barresi/Martin 2011, 48. Vgl. Thörner 2011, 129–130; vgl. auch James 1890/1981, 220–224. James verweist an dieser Stelle allerdings darauf, dass es auch Phänomene wie die unterbewusste Persönlichkeit oder automatisches Schreiben gibt, in denen das eigene Selbst nicht in diesem Sinne als Teil des persönlichen Bewusstseins erfahren wird (vgl. James 1890/1981, 221). James 1890/1981, 221. Vgl. James 1912/2012; vgl. dazu auch Cooper 2020/2018. James verwendet die Ausdrücke stream of consciousness, stream of thought und stream of subjective life synonym (vgl. James 1890/1981, 233; vgl. auch Thörner 2011, 126–127.) Anders als Katja Thörner verwende ich aber nicht den Begriff stream of thought, sondern den Begriff stream of consciousness als den grundlegenden Begriff, weil dieser bestimmte Konnotationen vermeidet, die mit dem Begriff des Denkens verbunden sind. Das beschriebene Phänomen des Bewusstseinsstroms meint einen Strom der sinnlichen Wahrnehmung, in dem Denken und Fühlen eine Einheit bilden, der ohne aktives Zutun vor sich geht, wie es auch Thörner in der anschließenden Erläuterung klarstellt. »Empfinden und Denken bilden demnach eine Einheit, nämlich die Einheit des Bewusstseins« (Thörner 2011, 127). James 1890/1981, 219. Vgl. Bruder 1989, 76 und Bruder 1993, 93–94. In der nachfolgenden Darstellung des Bewusstseinsstroms lassen sich sehr wohl metaphysische Annahmen wie die Auffassung, dass ein Individuum in der Wahrnehmung der Welt durch seinen Bewusstseinsstrom einen realistischen Eindruck von der Welt erhält oder dass die Objekte der Wahrnehmung unabhängig vom Subjekt existieren, erkennen. Dass sich James der theore-

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

des Selbst auch selbst als strictly positivistic point of view82 und begründet mit dieser Herangehensweise den Pragmatismus als philosophische Strömung mit.83 In der Beschreibung des Bewusstseinsstroms hebt James fünf Merkmale heraus: »1) Every thought tends to be part of a personal consciousness. 2) Within each personal consciousness thought is always changing. 3) Within each personal consciousness thought is sensibly continuous. 4) It always appears to deal with objects independent of itself. 5) It is interested in some parts of these objects to the exclusion of others, and welcomes or rejects – chooses from among them, in a word – all the while.«84 1)85 James betont mit dem ersten Merkmal des Bewusstseinsstroms, »dass das Bewusstsein immer dasjenige einer Person ist und die Gedanken Teil eines einzelnen Subjekts sind.«86 Dem Bewusstseinsstrom begegnen wir in der Regel in personaler Verfassung, entweder in der Form a) des eigenen Bewusstseins oder b) des Bewusstseins eines anderen Individuums.87 Für James sind Bewusstseinsvorgänge immer an einen Leib gebunden, der für ihn Grundlage für Erleben und damit auch das Erleben von sich selbst darstellt.88 Dabei unterscheiden sich die beiden genannten Formen, in denen uns Bewusstsein begegnet, entscheidend voneinander: 1a) Der Zugang zum eigenen Bewusstsein ist privilegiert, nicht reduzierbar auf eine Dritte-PersonPerspektive und nicht in eine andere Form übersetzbar. »Die Inhalte des eigenen Denkens sind James zufolge dadurch gekennzeichnet, dass sie von einem

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tischen Basis seiner Beschreibungen sehr wohl bewusst ist, zeigt auch seine im Folgenden genannte explizite Abgrenzung zu anderen Auffassungen vom Selbst in seiner Zeit. James geht es aber in der Ablehnung, Vorannahmen für die Beschreibung des Selbst zu treffen, viel mehr darum, nicht die Diskussion um diese Vorannahmen in den Mittelpunkt der Frage nach der Psyche des Menschen zu stellen, sondern vom phänomenalen Standpunkt aus zu beginnen, die Psyche des Menschen zu beschreiben. Vgl. Bruder 1993, 84. Für einen ersten Überblick zum Pragmatismus und James’ Pragmatismus vgl. Cho 2003, 23–59. James 1890/1981, 220. An dieser Stelle wird von der üblichen Nummerierung beginnend mit a) abgewichen, da die Nummerierung aus dem vorangehenden Zitat übernommen wird. Cho 2003, 81. Vgl. Thörner 2011, 129; vgl. auch James 1890/1981, 221. Vgl. Ludwig-Körner 1992, 26.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

Gefühl der Wärme und Vertrautheit (›intimacy‹) durchzogen sind.«89 1b) Vom Bewusstsein Anderer dagegen können wir nur eine Vorstellung haben, die Gedanken und Gefühle aber niemals selbst erleben, wie sie uns im Zugang zu unserem eigenen Bewusstsein begegnen.90 2) Über das Merkmal der persönlichen Verfassung des Bewusstseins hinaus ist festzustellen, dass sich im Bewusstseinsstrom die einzelnen Zustände des Bewusstseins permanent verändern. In der Beschreibung des Bewusstseins weist James darauf hin, dass bei einer vermeintlichen Wiederholung eines Bewusstseinszustandes das Objekt das Gleiche ist und wieder Gegenstand der Erfahrung wird, allerdings durch die Eingebundenheit des Bewusstseins in den Strom des Bewusstseins nicht zweimal die gleiche Erfahrung gemacht werden kann. »[N]o state once gone can recur and be identical with what it was before.«91 Das Vorwissen und die Relation zu den zuvor gemachten Erfahrungen sind beim nächsten Zustand des Bewusstseins anders. Das Bewusstsein kann deshalb als ein sich fortwährend veränderndes beschrieben werden.92 3) Gleichzeitig wird der sich ständig verändernde Bewusstseinsstrom als kontinuierlich erfahren, da die einzelnen Zustände als in Verbindung stehend und zum eigenen Selbst gehörig erfahren werden und der Wechsel von einem Bewusstseinszustand zum nächsten nicht abrupt ist. Die Übergänge sind fließend und die einzelnen Zustände stehen in Verbindung zueinander.93 Die beiden genannten Merkmale der permanenten Veränderung und durchgehenden Kontinuität des Bewusstseinsstroms scheinen auf den ersten Blick gegensätzlich zu sein und sich zu widersprechen. Die beiden Merkmale sind bei James aber vor dem Hintergrund seines leitenden Gedankens der Einheit der Erfahrung als sich ergänzende Beschreibungen des Bewusstseinsstroms zu verstehen. 4) Als viertes Merkmal des Bewusstseinsstroms nennt James, dass sich das Bewusstsein auf Objekte bezieht, die unabhängig von ihm bestehen. James nennt als Grund für diese These, dass wir uns mehrmals auf das gleiche Objekt beziehen können und auch andere dieses Objekt erfahren und mit ihrer eigenen Erfahrung an die Beschreibung anknüpfen können.94

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Thörner 2011, 130; vgl. auch James 1890/1981, 232 und 316–318. Vgl. Thörner 2011, 129–130; vgl. James 1890/1981, 277–278. James 1890/1981, 224. Vgl. James 1890/1981, 224–229. Vgl. James 1890/1981, 231; vgl. auch Bruder 1989, 74. Vgl. James 1890/1981, 262–263.

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5) James versteht darüber hinaus Erfahrungen als immer schon eingebunden in einen Kontext, der durch Interessen und Vorwissen geleitet und geprägt ist.95 Dieser bestehende Kontext ist entscheidend dafür, welche Teile des Bewusstseinsstroms in den Fokus der Aufmerksamkeit kommen und somit präsent werden. Für James bilden Erfahrungen somit keine objektive Realität ab, sondern sind grundsätzlich selektiv. Nicht aller Eindrücke innerhalb unseres Bewusstseinsstromes werden wir gewahr; nur ein Teil dieser Eindrücke kommt in den Fokus unserer Aufmerksamkeit.96 Die Selektion, welcher Eindrücke innerhalb unseres Bewusstseinsstroms wir uns gewahr werden, findet nicht nur innerhalb des Bewusstseins gemäß dem Vorwissen und Interesse statt, sondern beginnt schon auf der physischen Ebene. Ein Mensch kann grundsätzlich nur den Teil der Außenwelt wahrnehmen, welcher mit seinen Wahrnehmungsorganen erfassbar ist. Genauso wie auf der physischen Ebene ein Selektionsprozess vor sich geht, findet ein solcher auch in der Wahrnehmung und Reflexion auf die Wahrnehmungen statt:97 »Aus diesem ›Strom des Bewu[ss]tseins‹ heben wir einzelne Momente heraus […] durch ›selektive Aufmerksamkeit‹, entsprechend unseren Bedürfnissen, unseren praktischen und ästhetischen Interessen, abhängig vom Kontext, in dem wir uns befinden. Wir vernachlässigen dabei anderes, was ebenso in diesem Strom vorhanden ist.«98 Das Bewusstsein als diesen fließenden Strom zu beschreiben bringt die Selektivität des Bewusstseins zum Vorschein, nimmt aber für James vor allem auch die wichtige Funktion ein, Bewusstsein von seiner Ganzheit in der Erfahrung zu verstehen und nicht aus der Zusammensetzung einzelner Bewusstseinsmomente zu konstruieren. »James betrachtet die Dualismen [von Subjekt – Objekt und Erfahrung – Wirklichkeit] des klassischen (europäischen) Denkens als Konstrukte, die nicht in der unmittelbaren Erfahrung begründet seien, sondern Ergebnis einer nachträglichen Isolierung und Trennung.«99 James’ grundlegende Annahmen über den Menschen können somit als »antidua95 96 97 98 99

Vgl. Thörner 2011, 127–128; vgl. auch Bruder 1993, 88 und Cho 2003, 133–135. Vgl. Thörner 2011, 128. Vgl. James 1890/1981, 273–276; vgl. auch Thörner 2011, 128 und 134. Bruder 1989, 74. Bruder 1993, 95.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

listisch-holistische Anthropologie«100 bezeichnet werden. Erfahrung als Einheit von Gedanken, Gefühlen und deren Zusammenhängen zu verstehen ist für ihn eine weitere grundlegende Tatsache, die im intimen und vertrauten Gefühl im Fließen des Bewusstseinsstroms als unhintergehbar erlebt wird.101 Mit dieser Grundlage und den daraus resultierenden Überzeugungen hinsichtlich der Beschaffenheit des Selbst setzt sich William James von zwei zu seiner Zeit vorherrschenden Auffassungen vom Selbst ab: »Mit der Vorstellung des Bewu[ss]tseinsstroms wendet sich James sowohl [a] gegen die Auflösung des Ich in ein Aggregat isolierter ›Tatsachen‹ als auch [b] gegen die Substantialisierung des Ich in eine Instanz oder ein ›Prinzip‹ unabhängig von Zeit und Raum.«102 a) Zum einen grenzt sich James mit seinen Grundannahmen des Bewusstseinsstroms und der Einheit der Erfahrung vom vorherrschenden Empirismus ab, den er Sensualismus nennt und der Erfahrungen als einzelne Sinneseindrücke konzipiert,103 die der Mensch erst nachträglich zusammensetzt und in Verbindung bringt. Die Relationen der Sinneseindrücke sind nach dieser Auffassung vom Menschen selbst hervorgebracht und werden für nicht-real gehalten.104 James hingegen hält die Relationen zwischen den einzelnen Sinneseindrücken für real und betont die Eingebundenheit des Bewusstseins in diese Struktur: »No one ever had a simple sensation by itself. Consciousness, from our natal day, is of a teeming multiplicity of objects and relations, and what we call simple sensation are results of discriminative attention, pushed often to a very high degree.«105 Für ihn sind die Kontinuität von aufeinanderfolgenden Bewusstseinsmomenten und deren Relationen vielmehr grundlegende Teile der Erfahrungen, die jedes Subjekt innerhalb des Bewusstseinsstroms als real wahrnimmt.106 Die Möglichkeit, auf einzelne isolierte Momente und Sinneseindrücke der Erfahrung Bezug nehmen zu können, lässt nicht den Schluss zu, dass die Er100 Cho 2003, 59; für eine weitere Erklärung vgl. Cho 2003, 59–61. 101 Vgl. James 1890/1981, 232–233. 102 Bruder 1993, 94; vgl. auch James 1890/1981, 237–238, Cho 2003, 59–61 und 72 sowie Thörner 2011, 122. 103 Vgl. auch Menary 2011, 618–619. 104 Vgl. James 1890/1981, 237–238. 105 James 1890/1981, 219. 106 Vgl. Inukai 2018, 7–8.

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fahrung als einzelne Sinneseindrücke strukturiert sein muss. Für James stellt stattdessen das Erleben der Einheit der Erfahrung seinen Ausgangspunkt dar. »Die Einheit der Erfahrung muss […] nicht erst gestiftet werden, sondern sie ist als grundlegendes Faktum des Bewusstseins selbst anzusehen.«107 »Den Sensualisten [klassischen Empiristen] hält James also entgegen, dass unsere Empfindungen nicht nur aus einzelnen punktuellen Eindrücken bestehen, sondern ebenso aus Empfindungen der Relation.«108 Sie missachten diese Facette der Erfahrung, da sie theoretische Annahmen zu ihrer Grundlage machen und nicht von der Erfahrung selbst, dem Bewusstseinsstrom, direkt ausgehen.109 Erfahrung ist nicht das Sammeln einzelner atomistischer Sinneseindrücke, sondern vielmehr als Kontinuum einer Reihe von Eindrücken zu verstehen. »Die Vorstellung, nach der sich die Erfahrung aus einem Konglomerat von einzelnen Sinneseindrücken zusammensetzt, beruht nach James auf der Verwechslung von distinkten Vorstellungen, die wir aus einem Akt der Reflexion gewinnen, mit der Struktur der unmittelbaren Erfahrungswirklichkeit. Erfahrung hat für James stets einen holistischen Charakter, die Vorstellung von einzelnen Sinneseindrücken ist das Ergebnis einer falschen Schlussfolgerung«110 . b) Zum anderen wendet sich James gegen die idealistische Vorstellung eines substantiellen Selbst als einer metaphysischen Entität, die als grundlegend für das Selbst angenommen wird und dessen Kontinuität gewährleistet. Für James stellt diese idealistische Vorstellung ebenfalls eine nachträgliche Abstraktion aus der Erfahrung dar. Er stimmt mit der idealistischen Vorstellung zwar dahingehend überein, dass im Prozess der Erfahrung »etwas« wahrnimmt.111 Allerdings spricht er weder dem wahrnehmenden Subjekt noch den wahrgenommenen Objekten einen Vorrang im Erfahrungsprozess zu und lehnt jede metaphysische Annahme ab, die über den Bewusstseinsstrom hinausgeht, wozu auch die Schlussfolgerung von der Erfahrung auf eine eigene Entität des Subjekts zu zählen ist.112 107 108 109 110 111 112

Thörner 2011, 129; vgl. auch Bruder 1989, 74. Thörner 2011, 123. Vgl. Bruder 1993, 93; vgl. auch Thörner 2011, 122–123. Thörner 2011, 124. Vgl. Bruder 1989, 75. Vgl. James 1890/1981, 237–238; vgl. auch Bruder 1993, 93–94.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

James geht in seinem Denken radikal von der gegebenen Erfahrung aus und entwirft von diesem Ausgangspunkt aus auch seine Vorstellung vom Selbst. Für ihn bedeutet das, »nicht von theoretischen Vorannahmen auszugehen, sondern empirisch das Vorfindbare festzuhalten.«113 »Der stream of consciousness ist […] Metapher für die Existenz und Realität eines von jeder Einschränkung durch theoretische Systeme, Begriffe unabhängigen (ursprünglichen) Bewu[ss]tseins.«114 Im Gegensatz zu den vorherrschenden Auffassungen, gegen die er sich abgrenzt, sieht er den Entwurf eines Begriffsrahmens als nachträglich und abhängig von der Erfahrung an. »Wir legen nachträglich über unsere Erfahrungen ein Schema (von Begriffen), wir fügen sie in eine Ordnung, die wir gleichwohl als unsere Erfahrung inhärent betrachten und die uns wieder als – objektive – Ordnung der Dinge entgegentritt: Die einheitliche ›erfahrene Wirklichkeit‹ wird zerlegt in (objektive) ›Wirklichkeit‹ und (subjektive) ›Erfahrung‹. In der einheitlichen ›Erfahrung des Subjekts‹ gründet die Relativität aller – auch der theoretischen – Aussagen über ›die Wirklichkeit‹.«115 Seine Auffassung vom Selbst ist somit eingelassen in seinen theoretischen Ausgangspunkt des Bewusstseinsstroms. »Der Subjektbegriff James’ ist in seiner späteren Metaphysik, d.h. dem ›Radikalen Empirismus‹, noch tiefer formuliert. Seine Theorie des ›Radikalen Empirismus‹ verlegt den Ausgangspunkt unserer Erfahrung in den ›unmittelbaren Fluss des Lebens‹ selbst, in dem das Material zu unseren späteren Reflexionen mit ihren begrifflichen Kategorien liegt. […] Für James gibt es keine Realität hinter dem Bewusstsein, weil die Existenz als realer Vollzug ineinander übergehender psychischer Akte als Grundtatsache anzusehen ist«116 . Von dieser dargestellten Charakterisierung des Bewusstseinsstroms ausgehend arbeitet James zwei Momente des Selbst heraus, die im Folgenden ausgeführt werden.

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Bruder 1993, 84. Bruder 1989, 76. Bruder 1993, 89. Cho 2003, 20; vgl. auch Bruder 1993, 81.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

5.3.2 »I-self« und »Me-self« als Teile des Selbst James differenziert in seiner Auffassung vom Selbst das wahrnehmende Subjekt (I-self ) und erfahrene Selbst (Me-self )117 als zwei unterschiedliche Bestandteile des Selbst: »James defined the I-self as the actor or knower, whereas the Me-self was identified as the object of oneʼs knowledge, ›an empirical aggregate of things objectivley known‹.«118 Während das I-self den aktiven Prozess des Subjektseins selbst meint, beinhaltet das Me-self das Wissen, das aus dem Prozess, sich selbst zum Objekt des Bewusstseins zu machen, hervorgeht.119

5.3.2.1 Das »Me-self« Das Me-self beschreibt James in seiner Gesamtheit folgendermaßen: »In its widest possible sense, however, a manʼs Self is the sum total of all that he CAN call his, not only his body and his psychic powers, but his clothes and his house, his wife and children, his ancestors and friends, his reputation and works, his lands and horses, and yacht and bank-account.«120 Innerhalb des Me-self, das auch als empirisches Selbst bezeichnet wird,121 differenziert James drei unterschiedliche Bereiche: a) material Self, b) social Self und c) spiritual Self.122 a) In den Bereich des material Self 123 fallen für James alle Bestandteile des eigenen Lebens, die wir als zu uns gehörig bezeichnen. Diese Bestandteile sind dabei von ganz unterschiedlicher Natur. So zählt James als Teile des material Self den eigenen Körper, die eigene Kleidung, die eigene Familie oder den eigenen Besitz auf. All diese Teile gehören zu uns, wir fühlen uns emotional mit

Diese beiden unterscheidbaren Momente des Selbst werden auch als Selbst als Bewusstsein Habendes (I-self ) und Selbst als zum Bewusstsein Kommendes (Me-self ) beschrieben (vgl. Ludwig-Körner 1992, 24; vgl. auch Joas 1980, 35). Auch Dürr verwendet diese Formulierungen für I-self und Me-self in ihrer Übersetzung der Principles of Psychology von James (vgl. James 1909, 175). 118 Harter 2012, 3. 119 Vgl. Quitmann 1985, 129–130. 120 James 1890/1981, 279. 121 Vgl. Leary 2018, 230–231 und Ludwig-Körner 1992, 25. 122 Vgl. James 1890/1981, 280; vgl. auch Barresi/Martin 2011, 48. 123 Vgl. James 1890/1981, 280–281; vgl. auch Leary 2018, 232–233. 117

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

ihnen verbunden,124 und wenn mit ihnen etwas geschieht, nehmen wir dies auch als uns selbst betreffend wahr.125 b) Das social Self 126 macht für James den Bereich des Me-self aus, der sich aus der Anerkennung der Mitmenschen bildet.127 Es besteht somit aus den eigenen Vorstellungen darüber, was andere Menschen über einen denken und welche sozialen Rollen man gegenüber anderen Menschen und Gruppen innehat. In diesem Zusammenhang stellt James fest, dass ein Individuum viele social selfes hat: »Properly speaking, a men has as many social selfes as there are individuals who recognize him and carry an image of him in their mind.«128 c) Der dritte Bereich des Me-self, das spiritual Self 129 , umfasst die grundlegendsten Überzeugungen, die ein Individuum in sich trägt. Es ist der beständigste und intimste Bereich des Me-self, den wir in der Reflexion über uns selbst erfahren130 und der auch als wahrgenommene Aktivität von sich selbst bezeichnet werden kann. Das spiritual Self scheint damit dem I-self sehr ähnlich zu sein, da beide die innersten Vorgänge und Zustände eines Individuums beschreiben.131 Als Teil des Me-self umfasst das spiritual Self diesen Aspekt allerdings als Erfahrenes, Wahrgenommenes oder Gewusstes, während das I-self den Aspekt abbildet, wahrnehmendes Subjekt dieser Überzeugungen und inneren Vorgänge zu sein. Beschreibung des Me-self von James wurde im damaligen Diskurs um die Beschaffenheit des Selbst rege aufgenommen und gerade seine Beschreibung des social Self wurde in der Folge intensiv betrachtet und beleuchtet, wie es vor allem die Arbeiten von George Herbert Mead132 und Charles Horton Cooley133 zeigen.

124 Vgl. Menary 2011, 620. 125 Vgl. James 1890/1981, 280–281; als ein Beispiel nennt James, dass wenn ein Familienmitglied stirbt, auch ein Teil von uns stirbt. 126 Vgl. James 1890/1981, 281–283; vgl. auch Leary 2018, 233–234. 127 Vgl. James 1890/1981, 281. 128 James 1890/1981, 281–282. 129 Vgl. James 1890/1981, 283–285; vgl. auch Leary 2018, 234–235. 130 Vgl. James 1890/1981, 283–284; vgl. auch Leary 2018, 235. 131 Vgl. Leary 2018, 235. 132 Vgl. Mead 1934/2015, 135–226; vgl. dazu auch Joas 1980, 67–90, Nohl 2006, 176–195, Hermans 2011, 657–658 und Menary 2011, 623–624. 133 Vgl. Cooley 1902, vor allem 168–210.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Diese starke Fokussierung auf das Me-self hatte zur Folge, dass in der nachfolgenden Forschung zum einen die Betrachtung des I-self weitgehend ignoriert wurde134 und zum anderen vielfach versucht wurde, das Selbst insgesamt rein empirisch als Me-self fassen zu wollen, was dem Selbst als Gesamtphänomen nicht gerecht wird und vor allem James’ ursprüngliches Konzept nicht wiedergibt. »Viele Gedanken von James sind in der Folgezeit mit dem Ziel ausdifferenziert worden, das Selbst empirisch zu erfassen. Im Zuge dessen wurde das geistige Selbst durch den Begriff des Selbstkonzepts, das emotionale Selbst durch den des Selbstwertgefühls ersetzt. […] Durch immer mehr neue Kategorien und Aufspaltungen dessen, was das Selbst ist oder zu sein vorgibt, entfernt sich die eigene Reflexion über sich von ihrer Intention, der des Zulassens und Erkennens eigener Gefühle, eigenen Wollens, Denkens, Handelns, von Wertvorstellungen oder Zukunftsplänen, die damit verbunden sind. Das Selbst wird durch solche Kategorisierungen in seiner Wesenhaftigkeit verkürzt.«135 Mit dem Begriff des Selbst ist der Anspruch verbunden zu erfassen, was ein Individuum im Kern ausmacht. Dazu gehört es, über die differenzierte Beschreibung der eigenen Vorstellung über sich selbst hinaus auch detailliert zu entfalten, was es heißt, wahrnehmendes Subjekt zu sein. Diesen zweiten Aspekt versucht James in seiner Darstellung des Selbst mit dem Begriff des I-self zu fassen.

5.3.2.2 Das »I-self« Der Darstellung des I-self nähert sich James darüber, dass er die Wahrnehmung des eigenen Selbst (Me-self) beschreibt: »The past and present selves compared are the same just so far as they are the same, and no farther. A uniform feeling of ›warmth,‹ of bodily existence (or an equally uniform feeling of pure psychic energy?) pervades them all; and this is what gives them a generic unity, and makes them the same in kind.«136

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Vgl. Harter 1988, 44. Lerch 2016, 54. James 1890/1981, 318.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

Das Selbst kann neben der Nennung von Gewusstem über sich in der DrittenPerson-Perspektive auch aus einer Ersten-Person-Perspektive beschrieben werden, die sich durch ein Gefühl der inneren Wärme, Nähe und Kontinuität auszeichnet. Diesem Aspekt des Subjekt-seins eine zentrale Aufmerksamkeit zu schenken zeichnet James’ Konzeption des Selbst aus und begründet für ihn im Besonderen personale Identität.137 »Das Urteil, dass ich jetzt dieselbe Person bin wie gestern, beruht demnach darauf, dass ich mich als dieselbe Person aufgrund bestimmter Kriterien identifizieren kann. Eine solche Identifikation ist sowohl aus der Perspektive der ersten wie aus der der dritten Person möglich, doch gibt es Merkmale, die nur der ersten Person zur Verfügung stehen. So sind meine Empfindungen und Gedanken nur mir selbst unmittelbar zugängig.«138 Aus einer Ersten-Person-Perspektive die Welt und sich selbst zu betrachten stellt in der Konzeption des Selbst von James die Facette des I-self dar, die das Erleben des Subjekts zu beschreiben ermöglicht und die darüber hinaus als Teil des Selbst die strukturelle Möglichkeit begründet, auf sich selbst Bezug nehmen zu können. »Das ›I‹, von dem bei James die Rede ist, meint die Möglichkeit zur reflexiven Bezugnahme auf sich selbst als den, der denkt.«139 Das I-self wird in seiner Charaktersierung meist mit den Aspekten der Kreativität, der Spontanität, des Neuen und des Unvorhersehbaren beschrieben.140 Im Zuge der Betonung der Eingebundenheit des Subjekts in seine Umwelt wird das I-self auch als antwortende Reaktion auf diese und die dort vorgefundene soziale Umgebung begriffen.141 Wie beim Me-self können beim I-self verschiedene Facetten ausgemacht werden, die das Einnehmen einer Ersten-Person-Perspektive näher beschreiben und so charakterisieren, was es heißt, wahrnehmendes Subjekt zu sein: »Components of the I-self included (a) self-awareness, an appreciation for one’s internal states, needs, thoughts, and emotions; (b) self-agency,

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Vgl. Thörner 2011, 145 und Menary 2011, 620–621. Thörner 2011, 144; vgl. auch James 1890/1981, 316–318. Thörner 2011, 143. Für diese Beschreibung vgl. Honneth 1994, 120 und 130–132 sowie Jörissen 2000, 80–84. Vgl. Mead 1934/2015,174-177; vgl. auch Lewis 1979, 269, Honneth 1994, 120 und 130–132 sowie Jörissen 2000, 81.

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the sense of the authorship over one’s thoughts, and actions; (c) self-continuity, the sense that one remains the same person over time; and (d) self-coherence, a stable sense of the self as a single, coherent, bounded entity.«142 Die einzelnen Aspekte des I-self werden differenziert und kontrovers diskutiert143 und können folgendermaßen beschrieben werden: (a) Self-awareness beschreibt den inneren Zustand und Vorgang, sich seiner Gefühle, Wahrnehmungen und Gedanken gewahr und bewusst zu sein sowie diese klar zu erfassen. Als Innenperspektive auf sich selbst unterscheidet es sich von einem äußeren Blick auf sich selbst in qualitativer Hinsicht. »Auf seine eigenen inneren Vorgänge zu achten, ist vermutlich etwas noch Ursprünglicheres und Direkteres als gleichsam neben sich zu stehen und die eigenen Verhaltensweisen und äußerlich beobachtbaren Reaktionen zu beobachten.«144 Es ist eine Art Subjekt zu sein, die auch das Achtsamkeitskonzept in seinen Mittelpunkt stellt.145 (b) Self-agency umfasst das Gewahrsein des Gefühls, Urheber seiner eigenen Gedanken und Handlungen zu sein. Self-agency steht damit in einer engen Verbindung zu self-awareness und wird deshalb auch als agentive self-awareness bezeichnet.146 Self-agency lenkt den Fokus darauf, dass dieses Gefühl, Urheber seiner eigenen Gedanken und Handlungen zu sein, einen wichtigen Teil der Innenperspektive bildet und eine zentrale Funktion des Subjektseins darstellt. Sich als den Menschen zu verstehen, der man ist, hängt auch stark damit zusammen, das Gefühl zu haben, Autor seines eigenen Denkens und Handelns zu sein. (c) Über diese beiden Aspekte hinaus stellt self-continuity eine weitere Facette des I-self dar, die auch James ganz ausführlich in seinen Ausführungen zum Bewusstseinsstrom beschreibt.147 So ist es eines der unmittelbarsten Gefühle,

142 Harter 2006, 508; vgl. auch Harter 2012, 16. 143 Für weiterführende einführende Erläuterungen zu den einzelnen Aspekten vgl. beispielhaft Roessler/Eilan 2003 und Mummendey 2006, 61–62 (self-awareness), Roessler/Eilan 2003, Pacherie 2011 (self-agency), Sani 2008 (self-continuity) und Budd 1993 (self-coherence). 144 Mummendey 2006, 62. 145 Vgl. Kap. 5.5. 146 Vgl. Pacherie 2011, 440. 147 Vgl. Kap. 5.3.1.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

die der Bewusstseinsstrom mit sich bringt, dass Bewusstsein vor sich geht.148 Das kontinuierliche Voranschreiten von Bewusstsein hält James auch als drittes Merkmal des Bewusstseinsstroms fest.149 Das I-self bildet dabei das Moment im Bewusstseinsstrom ab, das diesen zu einem kontinuierlichen Fluss hervorbringt.150 Self-continuity kann so als das Gefühl beschrieben werden, sich selbst als zeitlich durchgehende und zusammenhängende Entität und damit als Individuum zu erleben. (d) Analog zum Gefühl, sich über die Zeit hinweg als kontinuierlich wahrzunehmen, beschreibt das Gefühl der self-coherence, sich auch inhaltlich als ein zusammenhängendes Individuum wahrzunehmen, welches die eigenen Erfahrungen als in Verbindung stehend erlebt und so das eigene Selbst als zusammenhängendes Gebilde erfährt: »It is the ability to integrate present experience with past experience, motivations and goals, and to find meaning in the present experience. Self-coherence is a developmental personal resource that facilitates the handling of tension that occurs with environmental transaction«151 . Als Gefühl ist es entscheidend daran beteiligt, die eigene Existenz als Einheit zu erleben, und trägt so einen wichtigen Teil dazu bei, sich als Individuum zu fühlen. Sich selbst als kontinuierliches und kohärentes Individuum wahrzunehmen, sich als Urheber der eigenen Gedanken und Handlungen zu fühlen und seiner inneren Zustände gewahr zu sein, stellen die zentralen Momente dar, was es heißt, wahrnehmendes Subjekt zu sein. Alle vier Facetten des I-self beschreiben den Vorgang, eine Erste-Person-Perspektive einzunehmen, und spielen eine zentrale Rolle dabei, sich als Subjekt zu verstehen und als dieses auch das eigene Leben zu bestreiten.152 Diese Innenperspektive stellt für ein Individuum eine ganz andere zusätzliche Dimension dar, auf sich und die Welt zu blicken.

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Vgl. James 1890/1981, 219. Vgl. James 1890/1981, 220. Vgl. Thörner 2011, 140; für eine weitere erste Vertiefung des Begriffs vgl. Sani 2008. Budd 1993, 366. Die genannten Bestandteile des I-self spielen auch für den Aspekt der Selbstbestimmung eine zentrale Rolle (vgl. Kap. 6).

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

5.3.2.3 Das Verhältnis von »I-self« und »Me-self« Die beiden Aspekte des Selbst – Me-self und I-self – lassen sich zwar in ihrer Beschaffenheit voneinander unterscheiden, treten aber immer gemeinsam auf und lassen sich deshalb nicht voneinander trennen.153 Ein erlebendes Subjekt hat innerhalb des Bewusstseinsstroms immer eine bestimmte Auffassung von sich. »Der ›nackte Bewusstseinsstrom‹ ist in seiner konkreten Gestalt immer das Bewusstsein einer bestimmten Person, die sich selbst über materielle Dinge (›material self‹), über ihre soziale Umgebung (›social self‹) und ihre psychischen Fähigkeiten und Dispositionen (›spiritual self‹) bestimmt und auf diese Weise eine individuelle Identität ausbildet.«154 Das Selbst in der Konzeption von James kann deshalb als dialogisches Selbst verstanden werden,155 das sich im Wechselspiel des wahrnehmenden Subjekts und erfahrenen Selbst konstituiert. So prägt das Me-self als Vorstellung und Erfahrung, die jemand von sich hat, nicht nur maßgeblich das eigene Bild von sich selbst, sondern beeinflusst auch, wie eine Person sich selbst und die Welt wahrnimmt und damit das I-self eines Individuums beschaffen ist. Es ist der Aspekt, auf den in der Subjektkonstituierung aufmerksam gemacht wird, wenn auf die Umweltbedingungen in der Form von Machtverhältnissen oder Sprache als Aspekte hingewiesen wird, die entscheidend mitbestimmen, wie wir die Welt und uns selbst wahrnehmen.156 Aber auch die Beschaffenheit des Me-self hängt vom I-self eines Individuums ab. So spielt es eine entscheidende Rolle für die Vorstellung von sich selbst, worauf die eigene Aufmerksamkeit in der Wahrnehmung der Welt und sich selbst gerichtet wird. Diejenigen Dinge, die Teil der eigenen Aufmerksamkeit werden, bestimmen maßgeblich darüber, welche Auffassung wir über uns selbst entwickeln. Neben dem Aspekt, worauf ein Individuum seine Aufmerksamkeit richtet, spielt es eine wichtige Rolle, wie genau ein Individuum die Welt und sich selbst

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Vgl. Leary 2018, 230. Thörner 2011, 134–135. Vgl. Hermans 2011, 654–658; vgl. auch Jörissen 2000, 82–84. Vgl. Kap. 5.2.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

wahrnimmt. So kann es nur die Dinge und Vorgänge, die es genau wahrnimmt und beobachtet, verstehen. Darüber hinaus ist aus entwicklungspsychologischer Perspektive darauf hinzuweisen, dass die Beschaffenheit des I-self die Beschaffenheit des Me-self mitbestimmt. So eröffnen sich in der Entwicklung vom Kleinkind bis zum Erwachsenen neue Fähigkeiten, wahrnehmendes Subjekt zu sein. »From a developmental perspective, both the structure and the content of the Me-self at any given developmental level necessarily depend upon particular I-self capabilities, namely, those age-related cognitive processes that define the knower.«157 Durch die sich verändernde Fähigkeit und Art und Weise, wahrnehmendes Subjekt zu sein, verändert sich auch die Vorstellung, die ein Individuum von sich selbst haben kann.158 Die vollständige Rolle des Erschaffers einer eigenen Vorstellung des Selbst kann ein Individuum erst im frühen Erwachsenenalter ausfüllen.159 I-self und Me-self bilden für James somit zwei zusammenhängende Momente des Selbst, die aufeinander verwiesen sind und voneinander abhängen. Mit seinem Konzept des Selbst liefert James somit eine Beschreibung des Selbst, welche die Innenperspektive eines Subjekts in ihren verschiedenen Facetten darstellt. Im Selbstverhältnis zeigt sich die Innenperspektive eines Subjekts als wahrnehmendes Subjekt und erfahrenes Selbst. Im Weltverhältnis eines Subjekts umfasst die Innenperspektive des Subjekts, dass ein Subjekt zum einen wahrnehmendes Subjekt der Welt ist, zum anderen die Welt in der reflexiven Betrachtung gemachter Erfahrungen erfasst. James möchte mit der Entfaltung seines Subjektverständnisses die konträre Entgegensetzung von subjektiver Wahrnehmung und Objektivität der Welt überwinden, die dem Individuum in seiner Erfahrung als aufeinander verwiesen begegnen.160 Für James ist dieses Ziel dadurch zu erreichen, dass für die Betrachtung der Beschaffenheit des Selbst sowohl der Blick auf die gemachten Erfahrungen und die systematische Auseinandersetzung mit diesen gerichtet wird als auch der Wahrnehmung des Subjekts, d.h. der Ersten-Person-

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Harter 2012, 16. Vgl. Harter 2006, 508–509. Vgl. Harter 2012, 9. Im Ziel, in der Beschreibung und Analyse des Subjekts diese konträre Entgegensetzung zu überwinden, können Parallelen zwischen James’ Verständnis des Selbst und postmodernen Positionen zum Subjekt festgestellt werden (vgl. Bruder 1993, 8–9 und 104–105).

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

Perspektive, angemessene Beachtung geschenkt wird, die sich im Erleben der Welt und der Wahrnehmung von sich selbst zeigt. Im Lichte der Auffassung vom Selbst, die William James entfaltet, kann die Einnahme einer umfassenden Innenperspektive des Bildungssubjekts in Bildungsprozessen angemessen beschrieben werden, welche die erarbeitete Auffassung von Bildung erfordert.

5.4 Bildungstheoretische Betrachtung der Innenperspektive des Subjekts – Überlegungen im Anschluss an William James’ Auffassung vom Selbst Die Darstellung William James’ Konzepts des Selbst zeigte eine Auffassung vom Selbst, welche ein Subjekt als wahrnehmendes Subjekt und erfahrenes Selbst versteht und somit ein Individuum nicht nur als reflexiv auf die Welt und sich selbst bezogen thematisiert. James konzipiert vielmehr die Wahrnehmung des Subjekts als grundlegende Komponente des Prozesses, in dem ein Individuum sein Welt- und Selbstverhältnis konstituiert, und bezieht damit die Innenperspektive des Subjekts umfassend in diesen Prozess mit ein. Diese Auffassung vom Selbst bietet somit ein geeignetes Konzept, das Individuum als wahrnehmendes Subjekt in den transformatorischen Bildungsprozessen angemessen zu berücksichtigen, was durch das Reflexionskonzept alleine nicht ausreichend gelingt.161 Die Leistung des Subjekts dabei, ein Welt- und Selbstverhältnis zu konstituieren, beschreibt James in seiner Abhandlung über das Selbst detailliert, sodass diese zur philosophisch-psychologischen Fundierung der erarbeiteten Auffassung von Bildung mitherangezogen werden kann. Unter Bezugnahme auf die genaue Ausarbeitung des I-self in James’ Konzept des Selbst kann Bildung nicht nur als Prozess der reflexiven Verortung, sondern auch als genaue Wahrnehmung der Welt und sich selbst durch das Bildungssubjekt gefasst werden. Gerade die I-self-Komponenten der self-awareness, welche das Gewahrsein der eigenen inneren Verfassung, aber auch Wahrnehmungen umfasst, und der self-agency, welche das Gewahrsein des Gefühls beinhaltet, Autor seiner selbst zu sein, stellen Aspekte dar, mit denen die Beschreibung der Innenperspektive eines Bildungssubjekts, die das Reflexionskonzept anbietet, vervollständigt werden kann. Indem James’ Auffassung vom Selbst 161

Vgl. dazu Kap. 5.1.4.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

zugrunde gelegt wird und vor allem das I-self des Subjekts miteinbezogen wird, kann es auch der transformatorischen Bildungstheorie Marotzkis gelingen, die Innenperspektive des Bildungssubjekts als Teil transformatorischer Bildungsprozesse umfassend einzubeziehen. Marotzki stellt diesen Bezug zu James nicht direkt her, nimmt allerdings auf die Beschreibung von I-self und Me-self bei George Herbert Mead Bezug und kritisiert dort die mangelnde Ausarbeitung der Bedeutung des I-self,162 die sich gerade bei James detailliert und differenziert finden lässt. Eine genauere Erläuterung, was es heißt, eine Erste-Person-Perspektive einzunehmen und sich als wahrnehmendes Subjekt auf die Welt und sich selbst zu beziehen, liefert die theoretischen Grundlage des Achtsamkeitskonzepts, zu welchem auch ein Bezug auf die Schriften William James’ hergestellt werden kann.163 Mit Hilfe des Achtsamkeitskonzepts lässt sich somit für den Prozess der Bildung genauer erläutern, wie ein Bildungssubjekt eine umfassende Innenperspektive einnehmen kann, welche die Wahrnehmung des Subjekts an den Beginn stellt.

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Vgl. Marotzki 1990a, 146; Marotzki bezieht sich an dieser Stelle auf Kokemohrs Auseinandersetzung und Kritik an Mead (vgl. Kokemohr 1985, 179–188). Mit Mead setzt sich Marotzki an anderer Stelle selbst auseinander (vgl. Marotzki 1984, 141–159). Vgl. Brown u.a. 2015b, 2; zum Zusammenhang eines Verständnisses von Selbst und Achtsamkeit, auch in Bezug auf William James vgl. Roeser/Peck 2009 und Ryan/Rigby 2015.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

5.5 Achtsamkeit als Form der Innenperspektive eines wahrnehmenden Subjekts 5.5.1 Grundlagen des Achtsamkeitskonzepts Achtsamkeit164 ist ein Zustand,165 in dem ein Individuum die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart richtet und dabei die Welt und das eigene Innenleben bewusst und genau wahrnimmt. Achtsamkeit lässt sich sowohl in den verschiedensten spirituellen und religiösen Traditionen als auch in der heutigen Psychologie als Praxis finden,166 die bei der Bewältigung des alltäglichen Lebens hilft, aber auch den Weg zur Entfaltung des Menschseins unterstützt.167 Eine genaue Fassung des Achtsamkeitskonzepts wird dabei kontrovers diskutiert.168 Eine erste ausführlichere Beschreibung von Achtsamkeit liefert folgende Definition:

164 Unter dem englische Begriff mindfulness wird der Großteil der Achtsamkeitsforschung betrieben. Der Begriff mindfulness hat den Vorzug, dass seine Wortteile schon die zentralen Aspekte des Konzepts transportieren, mit dem Geist voll und ganz da zu sein. Der deutsche Begriff Achtsamkeit hingegen wird in seiner alltagsprachlichen Verwendung oft mit Vorsichtigkeit, Langsamkeit oder der Ausrichtung auf Andere verbunden. Auch wenn das im Folgenden vorgestellte Konzept keine dieser Elemente, sondern eher ihr Gegenteil enthält, verwende ich für dieses den Begriff der Achtsamkeit, weil er als deutscher Begriff besser zum zentralen Begriff Bildung passt, auf den das Achtsamkeitskonzept später dann bezogen wird. 165 Achtsamkeit wird im Folgenden zunächst als Zustand beschrieben, da die Darstellung der Grundlagen des Konzepts zum Ziel hat, zu beschreiben, was es heißt, sich in diesem Zustand zu befinden. Achtsamkeit kann auch als Eigenschaft einer Person beschrieben werden. Als Eigenschaft stellt sie eine dauerhafte Disposition dar, die über das bewusste Versetzen in einen achtsamen Zustand hinaus bei einem Individuum vorhanden ist. Unter diesem Gesichtspunkt wird beispielsweise untersucht, welche individuellen natürlichen Voraussetzungen zur Achtsamkeit ein Individuum mitbringt, welchen Einfluss das persönliche Umfeld auf Achtsamkeit als Eigenschaft hat und wie sich Achtsamkeitstraining auf die Persönlichkeit dauerhaft auswirkt (vgl. Quaglia u.a. 2015, 156). 166 Für eine kompakte Einführung zur Geschichte der Achtsamkeit vgl. Schmidt 2020, 77–87. 167 Vgl. Weiss u.a. 2016, 11–13. 168 Vgl. Carmody 2015, 64 oder Schultz/Ryan 2015, 84; für einen ausführlichen Gesamtüberblick zum Thema Achsamkeit vgl. Ie u.a. 2014 und Brown u.a. 2015a.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

»We propose a two-component model of mindfulness. The first component involves the self-regulation of attention so that it is maintained on immediate experience, thereby allowing for increased recognition of mental events in the present moment. The second component involves adopting a particular orientation toward one’s experiences in the present moment, an orientation that is characterized by curiosity, openness, and acceptance.«169 Die beiden genannten Komponenten von Achtsamkeit lassen sich dabei noch einmal differenzieren: Die erste Komponente von Achtsamkeit wird als a) Richten und Halten der Aufmerksamkeit auf die unmittelbare Erfahrung in der Gegenwart charakterisiert und enthält drei verschiedene Aspekte von Achtsamkeit:170 a1) Achtsamkeit zielt darauf ab, mit der Aufmerksamkeit in der Gegenwart zu bleiben, und strebt somit »die Entwicklung einer engen Beziehung zum Jetzt«171 an. Mit diesem dominierenden Gegenwartsbezug stellt Achtsamkeit ein Konzept dar, das sich gerade in seiner Rolle für die Subjektkonstituierung von anderen Konzepten wie Reflexion abgrenzt, die in der Subjektkonstitution den Vergangenheits- und Zukunftsbezug in den Mittelpunkt stellen.172 Sich in der Gegenwart zu befinden bedeutet dabei, sich mit der Aufmerksamkeit den unmittelbar gegenwärtigen Erfahrungen zuzuwenden. Sich auf die aktuellen Erfahrungen auszurichten expliziert somit genauer, was es heißt, in der Gegenwart zu bleiben: Seinen eigenen Bewusstseinsstrom wahrzunehmen, sich dessen bewusst zu werden und gewahr zu sein.173 »Gewahrsein ist nicht gleichbedeutend mit Denken, sondern geht über das Denken hinaus […]. Gewahrsein gleicht eher einem Gefäß, das unser Denken hält und umfasst und das uns helfen kann, unsere Gedanken zu sehen und sie als Gedanken zu erkennen, statt sie für die Realität zu halten.«174

169 Bishop u.a. 2004, 232. 170 Andere Beschreibungen von Achtsamkeit betonen diese drei Elemente ebenfalls (vgl. z.B. Brown/Ryan 2003, 822). 171 Kabat-Zinn 2015, 21. 172 Vgl. Kap 5.1.2. 173 Die genannten Beschreibungen lassen sich in einem Wort mit dem englischen Begriff awareness gut fassen. 174 Kabat-Zinn 2015, 94; auch folgende Beschreibung verdeutlicht diesen Aspekt: »Awareness is the background ›radar‹ of consciousness, continually monitoring the inner and outer environment.« (Brown/Ryan 2003, 822).

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

a2) Dieses Ziel, auf die eigenen Erfahrungen in der Gegenwart ausgerichtet zu sein, erfordert darüber hinaus, die eigene Aufmerksamkeit steuern zu können. Achtsamkeit beinhaltet immer »eine bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit«175 und stellt somit eine absichtsvolle Haltung dar.176 Nur wer in der Lage ist zu bestimmen, wohin er seine Aufmerksamkeit richtet, kann bei den eigenen Erfahrungen in der Gegenwart bleiben. Achtsamkeit »ist im Grunde nichts anderes als eine besondere Form von Aufmerksamkeit.«177 b) Die zweite Komponente der oben genannten Beschreibung von Achtsamkeit gibt nähere Auskunft darüber, was es heißt, sich aufmerksam auf die gegenwärtigen Erfahrungen auszurichten und diese wahrzunehmen. Die Haltung wird dabei als b1) neugierig, b2) offen und b3) akzeptierend beschrieben. Neugierde und Offenheit sind wichtige Elemente, um genaue und auch neue Wahrnehmungen überhaupt zuzulassen, da erst durch eine derartige Ausrichtung auf die eigenen Erfahrungen ein Raum dafür geschaffen wird. b1) Neugierde bezeichnet dabei die Eigenschaft, als Subjekt interessiert in die Welt und auf sich selbst zu schauen, um neue Erfahrungen zu machen. b2) Offenheit bezeichnet in diesem Zusammenhang die Eigenschaft, kein vorgefertigtes Bild als Ergebnis der eigenen Wahrnehmungen voranzustellen, sondern die Welt und sich selbst so erfahren zu wollen, wie sie ist. In einer offenen Ausrichtung auf die Welt und sich selbst wird die Möglichkeit anderer und neuer Eindrücke zugelassen, die auch den eigenen Überzeugungen und bisherigen Erfahrungen entgegenlaufen können. Neugierig und offen kann ein Subjekt somit Erfahrungen machen, welche die Welt und sich selbst mehr zeigen, wie sie sind. b3) Achtsamkeit stellt darüber hinaus eine akzeptierende Haltung dar. Die gemachten Erfahrungen werden dabei angenommen, wie sie wahrgenommen werden, ohne sie verändern zu wollen. »Achtsamkeit beinhaltet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen. Diese Art der Aufmerksamkeit steigert das Gewahrsein und fördert die Klarheit sowie die Fähigkeit, die Realität des gegenwärtigen Augenblicks zu akzeptieren.«178

175 176 177 178

Weiss u.a. 2016, 23. Diesen Aspekt stellt Jon Kabat-Zinn in einer seiner Definitionen als zentrales Merkmal heraus (vgl. Kabat-Zinn 1994, 4). Kabat-Zinn 2011, 35; vgl. auch Desbordes u.a. 2014, 357. Kabat-Zinn 2015, 20.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

Achtsamkeit lässt sich somit über die Charakterisierung als neugierige, offene und akzeptierende Haltung gegenüber der Welt und sich selbst hinaus mit weiteren Eigenschaften beschreiben. Sie stellt eine Haltung dar, in der ein Individuum b4) nicht-urteilend bzw. nicht-wertend seinen Erfahrungen gegenübersteht und sich b5) nicht-reaktiv gegenüber diesen verhält. b4) Achtsamkeit als nicht-urteilende Haltung zu beschreiben stellt ebenfalls eine Umschreibung dessen dar, was es heißt, mit seiner Aufmerksamkeit bei der eigenen Wahrnehmung zu bleiben: In einen Abstand zu seiner eigenen Gewohnheit des Urteilens zu kommen, die aktuellen Eindrücke so wahrzunehmen, wie sie sind, und die eigene Wahrnehmung nicht automatisch zu bewerten; ja sogar den Mechanismus des Urteilens selbst wahrzunehmen und in einen Abstand zu diesem zu kommen. »Dies bedeutet nicht, dass wir fortan nicht mehr in der Lage sind, verantwortlich zu handeln […]. Es bedeutet lediglich, dass wir mit wesentlich größerer Klarheit, ausgeglichener, effektiver und ethischer zu handeln vermögen, wenn wir wissen, dass wir uns in einem Strom unbewussten Mögens und Nicht-Mögens befinden«179 . Die Bewertung der Erfahrung kann dann nach der genauen Wahrnehmung der Gegenwart in einem zweiten bewussten Schritt erfolgen. b5) Ähnlich lässt sich Achtsamkeit handlungsbezogen als nicht-reaktive Haltung beschreiben, in der ein Individuum in einen Abstand zu den eigenen inneren Impulsen kommt und bei der Wahrnehmung der Welt und sich selbst bleibt. So reagiert es nicht mit automatischen, unbewussten Reflexen auf Erfahrungen, sondern nimmt genau wahr, was gerade vor sich geht, um selbst bestimmen zu können, ob und in welcher Weise es auf die erlebten Ereignisse reagieren möchte. »This dispassionate state of selfobservation is thought to introduce a ›space‹ between one’s perception and response. Thus mindfulness is thought to enable one to respond to situations more reflectively (as opposed to reflexively).«180 Der Abstand zu den eigenen Wahrnehmungen und dem eigenen Innenleben, der in der Beschreibung von Achtsamkeit vor allem als nicht-urteilende

179 Kabat-Zinn 2015, 62–63. 180 Bishop u.a. 2004, 232; nicht-reaktiv bei seinen Wahrnehmungen zu bleiben umschreibt auch der englische Ausdruck choiceless awareness sehr gut (vgl. Chambers u.a. 2009, 562).

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und nicht-reaktive Haltung zum Ausdruck kommt, wird auch als Disidentifikation beschrieben. So setzt sich ein Individuum in einer achtsamen Haltung nicht automatisch mit den Inhalten seiner Wahrnehmung und den aktuellen Vorgängen seines Innenlebens gleich, sondern betrachtet diese als aktuelle, aber vorübergehende Elemente des eigenen Bewusstseinsstroms.181 Über die Beschreibung von Achtsamkeit als eine offene, neugierige und akzeptierende Haltung, in der ein Subjekt nicht-wertend und nicht-reaktiv seinen Erfahrungen gegenübersteht, lassen sich weitere Eigenschaften von Achtsamkeit nennen, die in der Beschreibung des Konzepts oft genannt werden, allerdings über dessen Kern hinausgehen. Hierbei sind vor allem Aspekte zu nennen, die im buddhistischen Achtsamkeitsverständnis zentrale Bestandteile dieser Haltung und Praxis sind:182 (Selbst-)Mitgefühl183 und grundlegende Werte, die einen positiven Umgang mit den Mitmenschen beinhalten und somit soziale Implikationen mit sich bringen.184 Es sind Aspekte, die sich oft, aber nicht zwingend bei Individuen einstellen, wenn sie echte Offenheit gegenüber der Welt, anderen Menschen und sich selbst leben, eine intensivere Wahrnehmung entwickeln und nicht mehr von negative Gefühlen unreguliert bestimmt werden.185 Achtsamkeit wird allerdings oft auch mit weiteren Aspekten in Verbindung gebracht, von denen es als Konzept abzugrenzen ist. Hierbei sind vor allem positives Denken und Entspannung zu nennen. Positives Denken kann in manchen Situationen einen hilfreichen Beitrag dazu leisten, ein Welt- und Selbstverhältnis aufzubauen, das eine grundsätzlich positive und konstruktive Ausrichtung einnimmt. Positives Denken kann ein Individuum allerdings auch in einem Blick festhalten, in dem die Welt und man selbst nicht so wahrgenommen werden, wie sie sind, sondern positiv wahrgenommen werden. Es muss deshalb von der Haltung der Achtsamkeit abgegrenzt werden, in der die Aufmerksamkeit auf die unmittelbaren Erfahrungen der Gegenwart gerichtet wird.186 Denn Achtsamkeit ist gerade in 181 182

Vgl. Weiss u.a. 2016, 23 und 28–29; vgl. auch Bishop u.a. 2004, 234. Für eine umfassende Einführung zum buddhistischen Verständnis von Achtsamkeit vgl. Gethin 2015. 183 Vgl. beispielhaft Weiss u.a. 2016, 11–13. 184 Für eine knappe und umfassende Einführung vgl. Purser u.a. 2016; weitere Aspekte, die in diesem Zuge mit Achtsamkeit in Verbindung gebracht werden, sind Geduld, Vertrauen oder Selbsterkenntnis (vgl. Bishop u.a. 2004, 235). 185 Vgl. Neff/Dahm 2015, 121–123 und 129–132. 186 Vgl. Kabat-Zinn 2015, 94–95; vgl. auch Kaltwasser 2016, 39.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

seinen Eigenschaften als offene, akzeptierende und nicht-wertende Haltung die konträre Ausrichtung gegenüber einer Haltung, die sich bewusst auf die positiven Aspekte konzentriert, einen Teil der Realität nicht annimmt oder verdrängt und das Erlebte aktiv positiv wertet. Achtsamkeit unterscheidet sich von positivem Denken darüber hinaus darin, dass sie als beobachtende Haltung einen Abstand zu jeglichem Denken herstellt und auf der Ebene der Wahrnehmung verbleibt, ohne weitere Verarbeitungsprozesse wie das Nachdenken über das Wahrgenommene zu durchlaufen. Achtsamkeit stellt kein Sammeln von geordnetem Wissen und kein reflektierendes Nachdenken dar, sondern ist vielmehr als eine präreflexive, wahrnehmende Haltung gegenüber seinen inneren Vorgängen zu verstehen.187 Auch Entspannung wird teilweise als Ziel von Achtsamkeitsübungen genannt, obwohl es im Konzept kein eigens angestrebter Effekt ist. Als direkt angestrebter bestimmter Zustand wäre Entspannung allerdings vielmehr das Gegenteil von einer akzeptierenden Haltung gegenüber den eigenen gegenwärtigen inneren Zuständen.188 Die Wahrnehmung der Gegenwart kann darüber hinaus auch unangenehme Erfahrungen und Gefühle mit sich bringen. Offen und akzeptierend negative innere Zustände wahrzunehmen kann Unbehagen und Anspannung mit sich bringen, weil sich das Subjekt seinen Wahrnehmungen voll und ganz stellt, ihnen nicht ausweicht und sie nicht verändert. Auch die erhöhte Intensität im Erleben und die bewusstere Selbstregulation verlangen vom Subjekt, ständig mit der eigenen Aufmerksamkeit aktiv bei den eigenen Erfahrungen zu bleiben, und können damit gerade auch zur Entspannung gegenläufige Effekte zur Folge haben. Entspannung kann allerdings durchaus als Nebeneffekt aus der Kontrolle über die Aufmerksamkeit, dem Abstand zu den Erfahrungen, die ein Individuum vorher nicht losgelassen haben, oder der Auseinandersetzung mit seinen inneren Vorgängen heraus entstehen.189

5.5.2 Die vielfältige positive Wirkung von Achtsamkeitstraining Achtsamkeit hat in den letzten Jahrzehnten als beschriebene Haltung, aber auch erstrebenswerte Fähigkeit Einzug in das Leben vieler Menschen erhal187 Vgl. Brown/Ryan 2003, 823 und 843. 188 Vgl. Bishop u.a. 2004, 233 und Chambers u.a. 2009, 562. 189 Vgl. Kabat-Zinn 2011, 34.

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ten. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass durch Achtsamkeit vielfältige positive Wirkungen erzielt werden können. Achtsamkeitstraining wie Meditation190 erzeugt für ein Individuum a) einen kognitiven und b) einen emotionalen Gewinn.191 a) Einen kognitiven Gewinn von Achtsamkeitstraining stellen vor allem die verbesserten Fähigkeiten dar, die Aufmerksamkeit fokussieren zu können sowie der Welt und sich selbst gewahr zu sein.192 Diese verbesserten Fähigkeiten lassen sich auch in den Gehirnströmen Praktizierender nachweisen.193 So erhöhen sich durch Achtsamkeitstraining die Fähigkeiten, die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Objekt lenken zu können, sie dort halten zu können, Objekte außerhalb des Aufmerksamkeitsfokus erkennen zu können, sich bei einer Vielzahl an Stimuli auf einen bestimmten Stimulus fokussieren zu können und langfristig die Aufmerksamkeit effektiver der Welt und sich selbst als Objekt zuwenden zu können.194 Die Verbesserung dieser Fähigkeiten bewirkt dabei, dass die Wahrnehmung eines Individuums lebendiger, klarer und intensiver wird und dessen Gedächtnisleistung steigt.195 Wer sich offen und bewusst dem zuwenden kann, was gegenwärtig in der Welt geschieht und in ihm selbst vorgeht, und so genauer erkennt, wie die Welt und das eigene Innenleben beschaffen sind, kann sich durch eine verbesserte Welt- und Selbstkenntnis sowie eine erhöhte Selbstregulation besser Orientierung für die eigene Perspektive erarbeiten. b) Durch die Verbesserung der Selbstregulation führt Achtsamkeitstraining bei Praktizierenden auch zu einem emotionalen Gewinn. Aus einer achtsamen Haltung heraus ist ein Individuum in der Lage, aktiv und nach den eigenen Vorstellungen mit den emotionalen Impulsen der eigenen Erfahrungen umzugehen und dabei gleichzeitig den beschriebenen engen Kontakt zur Welt und sich selbst zu bewahren. 190 Meditation wird als Praxis ganz unterschiedlich verstanden. Folgende Beschreibung gibt die in dieser Arbeit gemeinte Bedeutung gut wieder: »Meditation is the process by which we go about deepening our attention and awareness, refining them, and putting them to greater practical use in our lives.« (Kabat-Zinn 1994, xvii). 191 Für eine Übersicht zum kognitiven und emotionalen Gewinn von Achtsamkeitstraining vgl. van Vugt 2015 und Arch/Landy 2015. 192 Für eine Übersicht und deren Zusammenhang mit anderen Faktoren vgl. van Vugt 2015, 191. 193 Vgl. Weiss u.a. 2016, 80–82. 194 Vgl. van Vugt 2015, 192–194. 195 Vgl. van Vugt 2015, 195–201.

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In der Emotionsregulation stellt die Regulation mit Achtsamkeit eine besondere Art der Regulation von Emotionen dar. In diesem Bereich werden verschiedene grundsätzliche Strategien unterschieden: So kann eine Emotion 1) durch Auswahl der Situation, 2) Modifikation der Situation, 3) Einsatz der Aufmerksamkeit, 4) kognitive Veränderung oder 5) Modifikation der Reaktion reguliert werden.196 Während die Strategien 1–4 versuchen, durch die Auseinandersetzung mit den Umständen der Emotion die äußere Grundlage der Emotion zu verändern und auf diese Art und Weise zu regulieren, zielt 5 auf die Regulation der Reaktion ab.197 Bei der Modifikation der Reaktion wird die Emotion gelassen, wie sie ist, und nach der Ausbildung des Handlungsimpulses reguliert. In den Regulationsarten lässt sich darüber hinaus eine verhaltensorientierte (1, 2 und 5) von einer kognitiven Regulation (3 und 4) unterscheiden.198 Das Ergebnis der verhaltensorientierten Regulation ist in der Regel Vermeidung oder Unterdrückung der Emotion, bei kognitiver Regulation Vermeidung (3) oder Neubewertung (4) der Emotion.199 Eine Unterdrückung der Emotion hat allerdings zur Folge, dass weniger negative, sondern vor allem positive Emotionen abnehmen; auch eine größere Aktivität in Gehirnregionen, in denen Emotionen entstehen, kann in der Folge beobachtet werden.200 Diese Art, mit Emotionen umzugehen, kann langfristig psychische Störungen und Unwohlsein auslösen.201 Aber auch bei kognitiven Regulationsstrategien droht die Gefahr, zum einen durch Neubewertung der Situation die eigene Realität aktiv und bewusst zu verzerren, zum anderen durch die Ablenkung der Aufmerksamkeit weg vom Auslöser der Emotion keinen nachhaltigen, sondern einen versteckt unterdrückenden Umgang mit diesem zu pflegen. Eine Emotionsregulation mit Achtsamkeit modifiziert die vorgestellten Prozesse der Regulation in einem zentralen Punkt und unterscheidet sich von diesen dadurch entscheidend.202 Durch die beobachtende, akzeptierende 196 Vgl. Gross 2014, 7 und 9–10; für weitere ähnliche Aufzählung vgl. auch Chambers u.a. 2009, 565. 197 Vgl. Desbordes u.a. 2014, 362; vgl. auch Chambers u.a. 2009, 565. 198 Vgl. Desbordes u.a. 2014, 362. 199 Vgl. Gross 2014, 10. 200 Vgl. Gross 2014, 10–11. 201 Vgl. Ryan u.a. 2006, 823. 202 Für eine weitere Erläuterung einer Emotionsregulation mit Hilfe von Achtsamkeit in Bezug auf Gross’ Modell vgl. Arch/Landy 2015, 217–219; für eine umfangreiche Ein-

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und nicht-reaktive Haltung lässt sie die Wahrnehmung, welche die Emotion auslöst, wie sie ist, und nimmt auch den Reaktionsimpuls aus der Emotion so wahr, wie er sich zeigt. Achtsame Emotionsregulation ist damit das Gegenteil davon, die Auffassung der eigenen Wirklichkeit abzulehnen, zu unterdrücken oder bewusst zu verändern.203 So steigt das Subjekt aus der kraftraubenden und dauerhaft ineffektiven Strategie eines inneren Krieges mit den eigenen negativen Gefühlen und Gedanken aus,204 die z.B. durch Stress oder Angst verursacht werden, bleibt mit der eigenen Wahrnehmung der Wirklichkeit möglichst nah in Kontakt und geht erst in einem anschließenden Schritt bewusst mit dem Impuls ablehnend oder umsetzend um. Mit achtsamer Selbstregulation verschafft sich ein Individuum eine ganz andere Qualität von Handlungsspielraum und ist nicht mehr vom Strom der eigenen Erfahrungen getrieben oder diesem hilflos ausgeliefert. In den Gehirnaktivitäten von Individuen, die Achtsamkeitstraining praktizieren, kann dieser Effekt von Achtsamkeit auf die Emotionsregulation schon nach kurzer Trainingspraxis erkannt werden. So lässt sich eine geringe Aktivität in der Amygdala nachweisen, die ein wichtiges Zentrum für reaktives Handeln gerade in Stresssituationen bildet, sowie eine höhere Aktivität des präfrontalen Cortex erkennen, der für Emotionsregulation und das Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit zuständig ist.205 In den Gehirnaktivitäten von Individuen, die Achtsamkeitstraining schon lange praktizieren, lässt sich im Vergleich zu Anfängern der Achtsamkeitspraxis darüber hinaus eine abnehmende Aktivität der bewertenden und regulierenden Gehirnregionen bei steigender Aktivität der Gehirnregionen, die während der Wahrnehmung aktiv sind, feststellen.206 Es zeigt sich damit, dass Personen nach langem Achtsamkeitstraining Emotionen regulieren, ohne diese aktiv »herunterregeln« zu müssen.207 Der Facettenreichtum und die Intensität des emotionalen Lebens werden gleichzeitig nicht gemindert,208 was unterdrückende Selbstre-

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führung zum Zusammenhang von Achtsamkeit und Selbstregulation vgl. Ostafin u.a. 2015a und in einer zusammengefassten Form Ostafin u.a. 2015b, 2–6. Vgl. Chambers u.a. 2009, 566. Vgl. Bishop u.a. 2004, 237. Vgl. Sayer u.a. 2015, 11–13. Vgl. Desbordes u.a. 2014, 368; vgl. auch vertiefend Zeidan 2015 (besonders die Übersicht auf S. 173). Vgl. Desbordes u.a. 2014, 366–367. Vgl. Desbordes u.a. 2014, 359.

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gulierungsstrategien oft bewirken, sondern beide Aspekte erhöhen sich sogar durch die Achtsamkeitspraxis. Zwei positive Auswirkungen209 von Achtsamkeitstraining, die bereits angedeutet wurden und in den beschriebenen positiven kognitiven und emotionalen Effekten von Achtsamkeitstraining enthalten sind, lassen sich noch einmal besonders hervorheben: So bewirkt Achtsamkeitstraining c) eine erhöhte Selbstbestimmungsfähigkeit 210 und d) ein verbessertes Wohlbefinden des Praktizierenden. c) Die Selbstbestimmungsfähigkeit eines Individuums verbessert sich erstens durch die Einübung der Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart lenken und dort halten zu können, da durch das genaue Erfassen der Gegenwart das eigene Handeln auf einer Informationsbasis erfolgen kann, die für Selbstbestimmung erforderlich ist. »Das einzige Mittel, auf die Gestaltung der Zukunft Einfluss zu nehmen, besteht darin, sich die Gegenwart zu eigen zu machen, auf welche Weise wir immer zu ihr finden mögen.«211 Eine zweite positive Wirkung von Achtsamkeitstraining auf die Selbstbestimmungsfähigkeit ist im Zusammenhang mit der verbesserten Fähigkeit zur Selbstregulation zu finden. So entwickelt sich für ein Individuum, das seine Aufmerksamkeit regulieren kann, nicht-wertend und nicht-reaktiv seinen Erfahrungen gegenüberstehen kann, aber gleichzeitig offen die Welt und sich selbst wahrnimmt, ein größerer Möglichkeitsraum, selbstbestimmt zu handeln. »[O]ne can only be highly autonomous when one is clearly aware of one’s values and goals, and thus is able to engage in behaviors that are congruent with one’s true self, free from external pressures or internal distortions or judgments.«212 Ein Individuum gewinnt durch Achtsamkeit eine innere Freiheit, indem es nicht mehr durch seine eigene Wahrnehmung überwältigt und fremdbestimmt wird oder aufgrund unzureichender oder ungenauer Wahrnehmungen handelt. Über diese Aspekte hinaus fördert die offene Ausrichtung auf das eigene Innenleben drittens, die eigenen echten Werte, Ziele und Bedürfnisse wahrzunehmen,

209 Positive Auswirkungen auf das zwischenmenschliche Miteinander durch Achtsamkeitstraining können als weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang genannt werden (vgl. Parker u.a. 2015 oder Kaltwasser 2016, 38–45). 210 Zur Auswirkung von Achtsamkeit auf die Selbstbestimmungsfähigkeit insgesamt vgl. auch Deci u.a. 2015, besonders 112–113. 211 Kabat-Zinn 2011, 13. 212 Schultz/Ryan 2015, 85.

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und ermöglicht es so, mehr im Einklang mit diesen und damit auch selbstbestimmter handeln zu können.213 Durch Achtsamkeit ist es somit möglich, sowohl die Kontroll- als auch die Authentizitätsbedingung für Selbstbestimmung214 auf einem höheren Niveau zu erfüllen. d) Im Zuge dieser Ausführungen zu den einzelnen positiven Auswirkungen durch Achtsamkeitstraining darf nicht unbeachtet bleiben, dass dabei auch das Wohlbefinden215 des Praktizierenden verbessert wird. So wirken sich Aufmerksamkeitskontrolle216 sowie Selbstregulationsfähigkeit, genauere Wahrnehmung der eigenen inneren Verfassung und abnehmende kognitive und emotionale innere Unruhe217 positiv auf das Wohlbefinden eines Praktizierenden aus. Auch die aus Achtsamkeitstraining entstehende erhöhte Selbstbestimmungsfähigkeit wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden Praktizierender aus.218 Achtsamkeit mit seinen positiven kognitiven und emotionalen Effekten auf Praktizierende wurde als Konzept mittlerweile nicht nur von einzelnen Individuen in ihre Lebensweise integriert, sondern wird auch mit den unterschiedlichsten Zielsetzungen in verschiedenen Bereichen wie z.B. dem Gesundheitswesen oder der Arbeitswelt genutzt. In diesem Zuge wird Achtsamkeit als Konzept kontrovers diskutiert und unterschiedlicher Kritik unterzogen. Achtsamkeit wird dezidiert zur Verbesserung der Aufmerksamkeitssteuerung, Wahrnehmungsqualität oder Selbstregulationsfähigkeit erworben und dabei als reines Instrument zur Leistungssteigerung und Selbstoptimierung kritisiert. Zu diesem Zweck wird Achtsamkeit sowohl im privaten Kontext als auch in der Arbeitswelt gezielt eingeübt und dient in dieser Hinsicht lediglich zur funktionalen Verbesserung eines Individuums. Achtsamkeit ist darüber hinaus der Kritik ausgesetzt, keine sozialen Probleme zu lösen, narzisstische 213 Vgl. Schultz/Ryan 2015, 85; vgl. auch Deci u.a. 2015, 112 und vertiefend Kap. 6.4 und 6.5. 214 Vgl. Kap. 6.3.1. 215 Wohlbefinden bedeutet in diesem Zusammenhang nicht lediglich das Vorhandensein positiver Emotionen, sondern ist darüber hinaus daran gebunden, sich im Einklang mit seinen tiefsten Werten zu befinden und die eigenen psychologischen Grundbedürfnisse als erfüllt zu empfinden (vgl. dazu Ryan/Deci 2001, Ryan u.a. 2008 und Ryan u.a. 2013). 216 Vgl. Carmody 2015, 75. 217 Vgl. Brown/Ryan 2003, 843; vgl. auch Schultz/Ryan 2015. 218 Vgl. Deci/Ryan 2000, 246–247; diese positive Auswirkung kann auch umgekehrt beobachtet werden (vgl. Schultz/Ryan 2015, 85).

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Selbstbezogenheit zu pflegen und die Verantwortung des Subjekts für ihr Leben zu überhöhen.219 Trotz dieser Kritik an der funktionalen Verwendung macht es die Charakterisierung von Achtsamkeit mit ihren positiven Auswirkungen gut nachvollziehbar, warum Achtsamkeitstraining in der heutigen Zeit so große Resonanz erlebt. In einer Zeit, in der traditionelle Prinzipien der Lebensführung keine starke Verbindlichkeit mehr haben, soziale Rahmenbedingungen einen weniger zwingenden Charakter für das eigene Leben aufweisen, dem Individuum in der Gestaltung des eigenen Lebens eine aktive Rolle abverlangt wird220 und das Leben oft als beschleunigt erlebt wird,221 helfen die vorgestellten positiven Auswirkungen der Praxis, das eigene Leben selbstbestimmt zu bewältigen und sich als Individuum in einem engen Kontakt mit der Welt und sich selbst weiterzuentwickeln.

5.5.3 Achtsamkeit und Bildung Die positiven Auswirkungen von Achtsamkeitstraining wurden in den vergangenen Jahren immer stärker auch im Bildungsbereich wahrgenommen, wodurch im Kontext von Bildung eine vielfältige Auseinandersetzung mit dem Konzept der Achtsamkeit begann. In der Betrachtung von Bildung und Achtsamkeit kann zunächst festgestellt werden, dass Bildung in bestimmten Aspekten ähnlich charakterisiert wird wie Achtsamkeit: So wird auch Bildung als Prozess beschrieben, in dem ein Individuum aufmerksam die Welt und sich selbst betrachtet und das eigene Leben führt,222 in einen Abstand zur Welt und sich selbst kommt223 sowie durch Selbstregulation in der Lage ist, sein Leben selbstbestimmt gestalten zu können.224

219 Vgl. Schmidt 2020, 28–30. 220 Vgl. Kap. 6.1.4. 221 Vgl. Rosa 2005 und 2013; allerdings kann aus dem Achtsamkeitskonzept keine Aufforderung zur Entschleunigung gefolgert werden. Achtsamkeit kann aus einer anderen Perspektive vielmehr als Methode zur schnelleren und genaueren Wahrnehmung betrachtet werden, die hilfreich sein kann, die persönlichen Anforderungen in einer »beschleunigten Welt« zu bewältigen (vgl. Schmidt 2020, 259–261). 222 Vgl. Dörpinghaus 2009, 6. 223 Vgl. Dörpinghaus 2013, 119 und 121. 224 Vgl. Dörpinghaus 2009, 6.

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In der Auseinandersetzung mit dem Achtsamkeitskonzept im Kontext von Bildung wird dabei davon ausgegangen, dass die festgestellten positiven Auswirkungen von Achtsamkeitstraining auch auf den Bildungsbereich übertragen werden können.225 Vor diesem Hintergrund wird das Achtsamkeitskonzept in vielfältigen Bereichen von Bildung entfaltet.226 a) Einen wichtigen Bereich dieser Entfaltung stellt die Betrachtung des Achtsamkeitskonzepts im Kontext von Elternschaft und pädagogischer Tätigkeit dar.227 Im Rahmen dieser Betrachtung wurden zum einen die genannten positiven Auswirkungen von Achtsamkeitstraining wie erhöhte geistige Präsenz in der Gegenwart, verbesserte Wahrnehmungsfähigkeit, bessere Stressbewältigung und gesteigertes Wohlbefinden auch bei Eltern und Pädagogen festgestellt, die Achtsamkeitstraining praktizieren.228 Zum anderen wurde registriert, dass diese positiven Auswirkungen auf Eltern und Pädagogen wiederum einen positiven Effekt auf die Erziehungs- und Bildungsprozesse haben, die sie gestalten und beeinflussen. So wirken sich eine bessere Wahrnehmung, bewusstere Selbstregulation und gesteigerte Gegenwartszugewandtheit von Eltern und Pädagogen auf den Erfolg der Erziehungs- und Bildungsprozesse, das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen

225 Im Bildungsbereich eine Übertragbarkeit des Achtsamkeitskonzepts auf erwachsene Lernende anzunehmen ist naheliegend, da sie zu der Gruppe von Menschen gehören, bei denen sich die positive Wirkung wissenschaftlich erwiesen hat. Anzunehmen, dass sich diese positive Wirkung bei Erwachsenen auch bei Kindern und Jugendlichen zeigt, kann nicht automatisch gefolgert werden, da sich ihre innere Welt qualitativ von der Innenwelt Erwachsener unterscheidet (vgl. Black 2015, 283; bzgl. der besonderen Beschaffenheit der inneren Welt von Kindern und Jugendlichen vgl. Crone 2011; Harter 2012, und Siegel 2015). Die Datenlage zur Achtsamkeit bei Kindern und Jugendlichen ist noch nicht so umfassend wie in der Achtsamkeitsforschung für Erwachsene. Die Studien zu den Auswirkungen der Achtsamkeitspraxis bei Kindern und Jugendlichen weisen teilweise methodische Mängel auf oder haben aufgrund der geringen Teilnehmerund Studienzahl eine schwächere Aussagekraft (vgl. Black 2015, 284–285 und 303–304, Lyons/DeLange 2016, 277–278 sowie Roodenrys u.a. 2017, 40–45). 226 Für einen Gesamtüberblick dazu vgl. Schonert-Reichl/Roeser 2016. 227 Vgl. einführend Kaltwasser 2008, Duncan u.a. 2009, Siegel/Hartzell 2009, Kabat-Zinn/ Kabat-Zinn 2011, Bögels/Restifo 2014, Valentin/Kunze 2011, Geisler/Muttenhammer 2016, 213–240, Siu u.a. 2016, Weiss u.a. 2016, 76–79, Moreira u.a. 2018, Zhang u.a. 2019 (achtsame Elternschaft), Kaltwasser 2008 und 2018, Ragoonaden 2015a, Bush 2011, Ditrich u.a. 2017, Jennings u.a. 2017 und Schussler 2020 (achtsames Lehren). 228 Vgl. Moreira u.a. 2018, 1772 (Eltern), Jennings 2016 und Shapiro u.a. 2016, 86–89 (Pädagogen).

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und die Beziehung zwischen Eltern und Kindern bzw. zwischen Pädagogen und Schülern positiv aus.229 b) Ein anderer Aspekt der Achtsamkeitsforschung im Bildungsbereich beschäftigt sich mit der Achtsamkeitspraxis von Kindern und Jugendlichen selbst. Dabei wird zum einen nach den spezifischen Anforderungen an Achtsamkeitsübungen für Kinder und Jugendliche gefragt,230 zum anderen werden die Auswirkungen der Praxis vor allem auf das Lernverhalten,231 den Lernerfolg232 und das Sozialverhalten233 der Kinder und Jugendlichen analysiert. Die Auswirkungen der Achtsamkeitspraxis dürfen dabei allerdings nicht nur output-orientiert untersucht werden und beispielsweise am Lernergebnis oder Klassenklima der Praktizierenden gemessen werden, wenn diese einer bildungstheoretischen Betrachtung im erarbeiteten Kontext gerecht werden will.234 Neben der Betrachtung der Auswirkungen des Achtsamkeitstrainings von Kindern und Jugendlichen auf diese äußeren Aspekte bedarf es auch einer Erfassung der Auswirkungen auf deren Innenwelt. Auch wenn Körper und Geist sich in diesen Entwicklungsphasen ständig verändern,235 können Kinder und Jugendliche durch Achtsamkeitsübungen ihr Verständnis von der Welt und sich selbst quantitativ und qualitativ erweitern,236 ihre Aufmerksamkeitssteuerung steigern,237 ihre Selbstregulation verbessern238 und so ihr Wohlbefinden erhöhen.239 Diese positiven Auswirkungen von Achtsamkeitstraining auf die Innenwelt der Kinder und Jugendlichen erfassen noch einmal eine ganz andere Art von positiven Effekten als die genannten äußeren Auswirkungen. 229 Vgl. Moreira u.a. 2018, 1772 (Eltern) Jennings 2016, Kaltwasser 2016, 12 und 44–47, Lantieri u.a. 2016, 121, Roeser 2016, 156 und Shapiro u.a. 2016, 85–89 (Pädagogen). 230 Vgl. Broderick/Frank 2014, 32, Galla u.a. 2016, 301, Kaltwasser 2016 sowie Geisler/ Muttenhammer 2016, 49–55 und 81–84. 231 Vgl. Lantieri u.a. 2016, 121 und Lyons/DeLange 2016, 273–274. 232 Vgl. Black 2015, 299–300, Lyons/DeLange 2016, 273–274, Roodenrys u.a. 2017, 38 und Elphinstone u.a. 2019. 233 Vgl. Waters u.a. 2014, 117–118 und Lantieri u.a. 2016, 121. 234 In der Abgrenzung von Bildung und Kompetenz wurde bereits ausführlich dargestellt, inwieweit Bildung eine Output-Orientierung überschreitet (vgl. Kap. 3.4). 235 Vgl. Siegel 2015 und Geisler/Muttenhammer 2016, 81. 236 Vgl. Lantieri u.a. 2016, 121. 237 Vgl. Roeser/Peck 2009, 128–129, Black 2015, 298–299, Lantieri u.a. 2016, 121 und Lyons/ DeLange 2016, 274–275. 238 Vgl. Lantieri u.a. 2016, 121 und Lyons/DeLange 2016, 276–277. 239 Vgl. Waters u.a. 2014, 117–118, Ragoonaden 2015b, Geisler/Muttenhammer 2016, 49–50 und 81–84 sowie Roodenrys u.a. 2017, 38–39.

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5.6 Achtsamkeit im Kontext der entwickelten bildungstheoretischen Perspektive Achtsamkeit kann in Bezug auf Bildung auch in den Kontext der entwickelten bildungstheoretischen Perspektive gestellt werden, die in Anlehnung an Marotzkis transformatorische Bildungstheorie erarbeitet wurde. Mit dem Achtsamkeitskonzept gelingt es, die Einnahme der Innenperspektive als wahrnehmendes Bildungssubjekt genauer zu explizieren, die bisher nicht angemessen berücksichtigt wurde. Es zeigte sich, dass sich Bildungsprozesse dadurch auszeichnen, dass das Bildungssubjekt eine umfassende Innenperspektive einnimmt, wenn es sein Welt- und Selbstverhältnis konstituiert. Diese Einnahme einer Innenperspektive kann nicht nur als reflexive Verortung des Bildungssubjekts verstanden werden, weil so das Bildungssubjekt als wahrnehmendes Subjekt nicht angemessen berücksichtigt wird und die Innenperspektive des Bildungssubjekts damit nicht umfassend einbezogen wird. Mit der Entfaltung der Auffassung vom Selbst bei William James wurde gezeigt, dass eine Innenperspektive des Subjekts auch das Subjekt als wahrnehmendes umfasst. Mit dem Konzept der Achtsamkeit ist es nun möglich, diesen Prozess, als wahrnehmendes Subjekt die Welt und sich selbst zu erfassen, als eine achtsame Ausrichtung auf die Welt und sich selbst zu verstehen. In dieser Haltung richtet sich das Bildungssubjekt voll und ganz auf die Gegenwart aus, akzeptiert und nimmt diese wahr, ohne zu werten, zu urteilen oder reagieren zu müssen, und kommt so durch Offenheit und Neugier zu einem genaueren Bild von der Welt und sich selbst. Die detaillierte Wahrnehmung, die durch die achtsame Ausrichtung auf die Welt und sich selbst gewonnen wird, dient in der Verarbeitung von Erfahrung dann als geeignete Basis für das Bildungssubjekt, sich reflexiv in der Welt zu verorten, was Marotzki als den zentralen Prozess von Bildung beschreibt.240 Auf der Basis James’ Auffassung vom Selbst und dem Konzept der Achtsamkeit gelingt es somit, in der transformatorischen Bildungstheorie die mangelnde Berücksichtigung der Innenperspektive des Bildungssubjekts zu beheben, genau zu beschreiben, was es heißt, eine Innenperspektive einzunehmen, und darüber hinaus einen praktischen Weg aufzuzeigen, wie ein Individuum diese Einnahme einer Innenperspektive einüben kann. Darüber hinaus gelingt es so, transformatorische Bildungsprozesse auf eine Art und Weise zu konzipieren, dass diese in der Lage sind, zu einem zentra240 Vgl. Marotzki 2006, 61.

5. Die Innenperspektive des Subjekts als Element von Bildung

len Ziel von Bildung zu führen – der Selbstbestimmung des Bildungssubjekts. So bewirkt Achtsamkeitstraining, die Welt und sich selbst sowie die eigenen Bedürfnisse und Werte genau wahrzunehmen, aber auch sich selbst so regulieren und steuern zu können, dass eine Bestimmung über sich selbst möglich wird. Selbstbestimmung als die Fähigkeit eines Individuums zu verstehen, in der es sich durch eine derartige Einnahme eines Welt- und Selbstverhältnisses in die Lage versetzt, eigenständig zu denken und zu handeln, soll nun genauer beschrieben werden, um das zentrale Bildungsziel der Selbstbestimmung in der erarbeiteten Auffassung von Bildung genauer zu definieren. Dazu wird zunächst die vielschichtige Verbindung von Bildung mit dem Ziel der Selbstbestimmung erläutert (Kap. 6.1) und anschließend ein konzeptioneller Rahmen für Selbstbestimmung geschaffen, welcher auch an die ausgearbeitete bildungstheoretische Basis anschlussfähig ist (Kap. 6.2.) Daraufhin werden die zentralen Bedingungen von Selbstbestimmung erläutert (Kap. 6.3) und die Selbstbestimmungstheorie von Edward Deci und Richard Ryan vorgestellt, die ein passendes Konzept von Selbstbestimmung innerhalb dieses Rahmens darstellt (Kap. 6.4).

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6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

6.1 Selbstbestimmung als zentrales Bildungsziel In der dargelegten Beschreibung des Phänomens Bildung tritt die Selbstbestimmung des Bildungssubjekts an verschiedenen Stellen als zentrale Komponente in Erscheinung und wird als Bildungsziel intensiv erörtert. Selbstbestimmung wird dabei im bildungstheoretischen Diskurs kontrovers diskutiert und von den verschiedenen Auffassungen von Bildung unterschiedlich betrachtet.1 Selbstbestimmung konnte im weiteren Fortgang als zentrales Distinktionsmerkmal identifiziert werden, in welchem sich das Ziel von Bildung vom Ziel anderer vorgestellter Entwicklungsprozesse eines Individuums unterscheidet.2 Als dieses zentrale Entwicklungsziel von Bildung stellte Selbstbestimmung einen wichtigen Aspekt dar, vor dessen Hintergrund betrachtet wurde, welche Voraussetzungen für einen gelingenden Bildungsprozess gegeben sein müssen.3 Selbstbestimmung kann in diesem Zuge auch als regulative Idee von Bildung bezeichnet werden.4 Vier gewichtige Gründe können ausgemacht werden, warum die Frage nach der Selbstbestimmung eines Individuums so stark mit der Frage nach Bildung verbunden wird. So werden Konzepte von Bildung historisch eng mit dem Aspekt der Selbstbestimmung eines Individuums verbunden (Kap. 6.1.1) und stellt die Selbstbestimmungsfähigkeit des Menschen eine zentrale und breit geteilte Annahme über den Menschen dar (Kap. 6.1.2). Über diese beiden Aspekte hinaus kann Selbstbestimmung als zentrales Bildungsziel damit

1 2 3 4

Vgl. Kap. 2 und 4. Vgl. Kap. 3. Vgl. Kap. 5. Vgl. Müller-Ruckwitt 2008, 254.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

begründet werden, dass sich Selbstbestimmung als ein psychologisches Grundbedürfnis jedes Menschen (Kap. 6.1.3) und als eine Anforderung unserer Zeit an ein Individuum zeigt (Kap. 6.1.4). Diese vier Aspekte werden im Folgenden genauer erläutert.

6.1.1 Die historische Verbundenheit von Bildung und Selbstbestimmung Einen ersten Grund, Selbstbestimmung diese zentrale Stellung in der Betrachtung von Bildung einzuräumen, stellt die historische Verbundenheit von Bildung und Selbstbestimmung dar, auch wenn beiden Konzepten im Laufe der Zeit unterschiedliche Akzentuierungen und Deutungen widerfahren sind. »Seit der Antike wird mit Bildung die Möglichkeit gedacht, dass Menschen an sich und ihrer Gegenwart arbeiten können, dass sie ihre Lebenszeit gestalten und ihr Leben führen können sollten. Damit steht Bildung in der Tradition dessen, was die Sorge um sich als eine Weise der Selbstgestaltung genannt wird.«5 So lenkte bereits in der Antike Sokrates in Abgrenzung zu den Sophisten6 als erster den Blick auf das Innere des Menschen und die damit verbundene Haltung zur Welt und sich selbst. Damit knüpfte er Bildung nicht nur an von außen angelegte Maßstäbe, wie es die Vermittlung eines Wissens darstellt, sondern stellte die Haltung des Menschen in den Mittelpunkt.7 Mit dieser Auffassung von Bildung betont Sokrates, dass nicht bloß die benötigten Fähigkeiten zum Leben, sondern vor allem die Entwicklung einer eigenen Haltung in Selbsttätigkeit entscheidend für die Entwicklung eines Individuums ist.8 »So-

5 6

7

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Dörpinghaus 2013, 123; vgl. auch Foucault 2004, vor allem 599–615 und Hastedt 2012b, 15–16. Vgl. Grunert 2012, 20–23; das sophistische Verständnis von Bildung ist im erarbeiteten Begriffsrahmen besser als Erziehung, Wissens- und Kompetenzerwerb zu bezeichnen (vgl. Kap. 3). Vgl. Treml 2005, 58–59 und Grunert 2012, 23; Selbstsorge in diesem Zusammenhang bedeutet keine Einengung auf sich selbst, sondern das Wahrnehmen und Gestalten aller Aspekte, die die eigene Lebensführung betreffen, um selbst Gestalter des eigenen Lebens sein zu können und nicht von außen bestimmt zu werden (vgl. dazu auch Dörpinghaus 2013, 123). Vgl. Grunert 2012, 23–24.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

kratische Bildung ist damit kein ›Hinziehen‹ auf ein vorgegebenes inhaltliches Ziel, sondern eine ›Umwendung‹ auf den tragenden Grund, der uns trägt«9 . Der Begriff Bildung als deutsches Wort geht auf die deutsche Mystik zurück und wird erstmals von Meister Eckhart verwendet:10 »Schon in den althochdeutschen Verben biliden = ›einer Sache Gestalt und Wesen geben‹ und bilidon = ›eine Gestalt nachbilden‹ und im althochdeutschen Nomen bildunga = ›Verfertigung‹, ›Bildnis‹ sind die wesentlichen Bedeutungselemente der vielen älteren und jüngeren Neufassungen des Begriffs […] enthalten oder zumindest angelegt«11 . Als mystisch-theologischer Begriff, dessen Fassung ihm die deutsche Mystik gibt,12 enthält Bildung neben der Konnotation, Ebenbild Gottes zu sein, in persönlich-existentieller Hinsicht die Dimension des Nachahmens und Nachbildens auf dieses Ebenbild Gottes hin.13 »Lange bevor ›Bildung‹ in einer neuen Öffentlichkeit zum modernen Begriff wird, ist bei ihnen [den deutschen Mystikern] mit ›bilden‹ die Vorstellung einer religiösen […], im Ursprung angelegten geistig-seelischen Formung verbunden. Das meint, grob gesprochen, entsprechend der Gottesbildlichkeit des Menschen, die genaue Beobachtung der eigenen Person wie die Entfaltung der ihr durch den Schöpfer gegebenen Anlagen.«14 Mit diesen Begriffsinhalten enthält der Begriff Bildung schon in der Verwendung durch die deutschen Mystiker ein Moment des menschlichen Gestaltens15 und der Selbstbestimmung16 , auch wenn das Verwirklichen seiner

9 10 11 12 13 14 15

16

Treml 2005, 59. Vgl. Lichtenstein 1968, 8 und Rittelmeyer 2012, 22. Wiersing 2015, 20. Vgl. Wiersing 2015, 21. Vgl. Dohmen 1964, 29–30, Vierhaus 1972, 509–510, Langewand 1994, 70–71 sowie Lederer 2008, 12 und 2015, 43. Bollenbeck 1996, 103. Vgl. Dohmen 1964, 37, Lichtenstein 1968, 8 und Lederer 2015, 43; es darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass das Gestalten der Bildung eines Menschen bei Meister Eckhart nicht nur in der menschlichen Kraft liegt, sondern vor allem Werk Gottes ist (vgl. Dohmen 1964, 37). Vgl. Witte 2010, 43.

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Bestimmung und das selbstgestaltete Werden stark theologisch gerahmt und auf ein vorgegebenes Ziel hin ausgerichtet sind. Der mystisch-theologische Bildungsbegriff bekommt in der Renaissance in seiner Aufnahme durch Paracelsus eine organologisch-naturphilosophische Neuprägung.17 Paracelsus versteht Bildung als organische Entwicklung nicht nur des Geistes, sondern des ganzen Menschen, der in der gottgeschaffenen Natur und den gottgegebenen inneren Kräften des Menschen grundsätzlich angelegt ist.18 Bildung bleibt in den vorherrschenden religiösen Rahmen eingebettet, allerdings wird statt der reinen Introspektion und Gottbezogenheit die organische Entwicklung der inneren Anlagen als zentraler Aspekt herausgestellt.19 Innerhalb einer gottgegebenen Natur kann dem Verständnis von Selbstbestimmung dann eine erweiterte Bedeutung zukommen, die sich auf die inneren Anlagen als Ganzes und die äußere Welt bezieht. Diese beiden Bedeutungskomponenten von Bildung prägen das Bildungsverständnis bis ins 18. Jahrhundert. »Die Entwicklung des deutschen Bildungsbegriffs bis zum 18. Jahrhundert lä[ss]t sich im [W]esentlichen verstehen als eine Folge verschiedener Verflechtungen des spiritualistischen und des organologischen Bildungsbegriffs, die dabei jeweils besondere, zeitbedingte Akzentuierungen erhalten haben.«20 Bildung spielt in dieser Zeit als pädagogischer Begriff, der einen von außen unterstützten Entwicklungsprozess bezeichnet, kaum eine Rolle, da sowohl die innerliche Hinwendung auf Gott als auch die organologische Auffassung von Entwicklung der inneren Kräfte die Unterstützung von außen nicht als entscheidenden Aspekt beinhalten.21 Erst in der beginnenden Aufklärung löst sich der Bildungsbegriff langsam von seinem religiösen Rahmen und durchläuft einen Prozess der »Säkularisie-

17 18 19 20

21

Vgl. Lichtenstein 1966, 7. Vgl. Dohmen 1964, 68–74. Vgl. Dohmen 1964, 75 und Lichtenstein 1966, 7–8. Dohmen 1964, 216; »spiritualistisch« meint die bisher als mystisch-theologisch bezeichnete Bedeutung von Bildung. Für eine detaillierte Ausführung der begrifflichen Akzentuierungen in diesem Zeitraum und deren Vorkommen in Strömungen wie dem Pietismus vgl. Lichtenstein 1966, 9–13. Vgl. Dohmen 1964, 216–217 und 219.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

rung, Humanisierung und Pädagogisierung«22 . »Waren die Bildungsziele vor der Aufklärungsepoche noch durch Gott gegeben, so sind sie nun bestimmt durch die Notwendigkeit des Menschen, mit anderen zusammen in einer Gesellschaft zu leben.«23 Im Prozess der Säkularisierung löst sich der Bildungsbegriff wie bei Shaftesbury24 , der Bildung als Kultivierung der Affekte und Zeigen sittlichen Verhaltens darstellt,25 von seinem stark theologischen Rahmen. Durch das Aufnehmen des aufklärerischen Gedankenguts entwickelt sich Bildung zu einem Begriff, der die Humanitätsidee und die Einsicht mit Vernunft als wichtige Ziele enthält. Erst in dieser Zeit wird der Bildungsbegriff mit einer pädagogischen Bedeutungskompetente versehen, die Bildung als pädagogischen Prozess versteht, der zur Etablierung der Humanitätsidee sowie Einsicht aus Vernunft führt.26 Die theologische Bedeutung von Bildung bleibt weiter erhalten, nimmt aber durch diese hinzukommenden anderen Aspekte langsam ab. Als Prozess der Humanisierung kann in diesem Zuge sowohl die zunehmende Hinwendung auf den Menschen als Untersuchungsgegenstand in Bildungsprozessen verstanden als auch die verstärkte Aufnahme einer Idee von Humanität als Zieldimension genannt werden. Dabei werden auch die Elemente der Selbstgestaltung des Menschen und seine Selbstbestimmung in den Mittelpunkt gestellt. So beschreibt Shaftesbury Bildung am Beginn der Aufklärungsepoche mit dem Begriff inward form als Selbstformung, welche die Entfaltung der inneren Kräfte weniger als einen passiven Prozess des naturhaften Wachstums und der Reifung, sondern vielmehr als einen Prozess der Formung durch das Bildungssubjekt selbst versteht, der an die vorhandenen inneren und äußeren Bedingungen anknüpft.27 Damit wird der organologische Gedanke im Bildungsbegriff dahingehend weiterentwickelt, dass die persönliche Entwicklung mehr ist als eine ablaufende Entfaltung angelegter Kräfte.28 Der Prozess der Pädagogisierung29 bezeichnet die zunehmende Bedeutung der bildungstheoretischen Fragestellung, wie Bildung durch Andere gestaltet werden kann. Dabei ist die Überzeugung leitend, dass der Mensch zu dem 22 23 24 25 26 27 28 29

Lichtenstein 1968, 9; vgl. auch Lichtenstein 1966, 16. Lederer 2008, 13. Gemeint ist hier Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury. Vgl. Hager 1993, 203–207. Vgl. Lichtenstein 1966, 16. Vgl. Hager 1993, 205–206. Vgl. Lichtenstein 1968, 14. Vgl. auch Bollenbeck 1996, 110–119 und Müller 1998, 27.

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wichtig gewordenen Humanitätsideal hingeführt werden kann und muss. »Es ist der Erziehungsanspruch derer, die sich als aufgeklärt verstehen, der den Bildungsbegriff auf ein pädagogisches Gleis setzte.«30 Dabei können die Momente der Formgebung von außen durch andere und von innen durch sich selbst zusammengedacht werden, wie bei Rousseau.31 Die pädagogische Bedeutungsfacette überflügelt in dieser Zeit die mystisch-theologische und organologisch-naturphilosophische Bedeutungskomponente von Bildung, wie es auch Ausführungen von Kant zeigen. »Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht.«32 Das pädagogische Moment des Erziehens ordnet Kant dabei dem Begriff Bildung explizit zu. »Bildung begreift unter sich Zucht und Unterweisung.«33 Im pädagogisierten Bildungsbegriff der Aufklärung ist hinsichtlich des Aspekts der Selbstbestimmung zentral, dass ein Individuum seine Vernunft in einer bestimmten Weise betätigt. Bildung ist in dieser Zeit stark an ein Konzept gebunden, das es zu erlernen gilt und zu dem eine Erziehung führen sollte. »Bildung wird aktiv als Formung begriffen, die den Menschen auf vorgegebene Ziele hin ausrichten soll.«34 Der Prozess der Säkularisierung von Bildung erscheint im Zuge seiner parallelen Humanisierung und Pädagogisierung somit als Prozess, in dem Bildung zwar seinen theologischen Rahmen verlässt, allerdings nicht die Struktur aufgibt, ein von außen vorgegebenes Ziel zu verfolgen. Dies zeigen auch die stark materialen Bildungskonzepte der Aufklärung. Die Bedeutung von Bildung verschiebt sich in der Aufklärung vielmehr von der inneren Gestaltung des Bildungssubjekts zu einem Verständnis hin, das Bildung als Formung von außen und auf ein bestimmtes inhaltliches Ziel hin versteht. Ab Ende des 18. Jahrhunderts wird Bildung in dieser Bedeutungsvielfalt von theologisch-mystischer, organologisch-naturphilosophischer und pädagogischaufklärerischer Bedeutung mit verschwimmenden Begriffsgrenzen verwendet, wie es bereits bei Herder zu entdecken ist und auch heute noch den Bildungsbegriff kennzeichnet.35 Deshalb ist es wichtig festzuhalten, dass die früheren 30 31

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Koselleck 1990b, 18. Vgl. Rousseau 1762/1963; vgl. auch Schäfer 2002, 27; vgl. zu dieser Spannung bei Rousseau im Besonderen Hansmann 2013, 138–165; vgl. insgesamt zu Rousseau Schäfer 2002. Kant 1803/1960, 9. Kant 1803/1960, 8. Koselleck 1990b, 18; vgl. zu diesem Aspekt auch Kap. 3.1. Vgl. Lichtenstein 1966, 17.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

Bedeutungen von Bildung in den nachfolgenden Begriffsartikulationen aufgenommen werden, mitenthalten sind und dort weiter als Bedeutungen fortbestehen.36 Einzelne Strömungen betonen verschiedene Bedeutungskomponenten stärker, wechseln sich im Laufe der Zeit ab und antworten auf vorhergehende Strömungen und historische Entwicklungen, wie es auch das bildungstheoretische Denken im Anschluss an die Aufklärung zeigt.37 Die verschiedenen Strömungen sind dabei nicht als sich ausschließende Ansichten über die Entwicklung von Menschen zu betrachten, sondern zeigen unterschiedliche Facetten dieses Phänomens,38 die gerade dann wieder drängender zum Vorschein kommen, wenn eines dieser Momente zu stark außer Acht gelassen wird. Wie gezeigt tragen alle drei Bedeutungskomponenten von Bildung die Selbstbestimmung des Inividuums als zentrale Bedeutung in sich, auch wenn dieser Aspekt sehr unterschiedlich ausgelegt wird und ausgeprägt ist. Bildung wird seit der Aufklärung immer wieder im Spannungsfeld dieser drei Bedeutungskomponenten artikuliert.39 Auch neuere und sehr unterschiedliche Konzepte von Bildung, wie z.B. (selbst-)reflexive,40 empirisch orientierte41 oder postmoderne bzw. poststrukturalistische42 Thematisierungen von Bildung beinhalten die Spannung dieser Bedeutungsfacetten von Bildung, auch wenn sie neue Aspekte in die Betrachtung von Bildung einbringen.

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Vgl. Koselleck 1990b, 18. Vgl. Koselleck 1990b, 20; ein konkretes Beispiel ist die Antwort von organologisch orientierten Ansätzen von Bildung im Neuhumanismus wie bei Herder (zur Auseinandersetzung Herders mit dem Phänomen Bildung vgl. Welter 2003) auf mechanistischpädagogische Konzepte von Bildung, wie sie in der Aufklärung in den Mittelpunkt rücken (vgl. dazu Müller 1998, 16). Auch die humboldtsche Auffassung von Bildung (vgl. Kap. 2.2) kann gerade in ihrer theoretischen Fassung von Bildung als Betonung der organologisch-naturphilosophischen Bedeutungskomponente verstanden werden. Vgl. Müller 1998, 17–18 und 31. Die Bedeutungsfacetten haben sich dabei weiterentwickelt und vor allem säkularisiert, wobei die grundlegende Bedeutung bestehen bleibt. So kann die mystisch-theologische Facette von Bildung besser als persönlich-existentielle Facette von Bildung bezeichnet werden. Vgl. Marotzki 1990a. Vgl. Roth 1962/1967. Vgl. Kap. 2.4.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

6.1.2 Selbstbestimmungsfähigkeit als zentrale anthropologische Annahme Neben der historischen Verbundenheit von Selbstbestimmung und Bildung kann Selbstbestimmung zweitens aufgrund der anthropologischen Grundannahme ins Zentrum bildungstheoretischer Überlegungen gestellt werden, dass a) der Mensch zu Selbstbestimmung fähig ist43 und b) Selbstbestimmung für diesen einen intrinsischen Wert besitzt. Diese Grundannahmen sind teilweise und in unterschiedlicher Ausprägung auch in den mystisch-theologischen, organologisch-naturphilosophischen und pädagogisch-aufklärerischen Bedeutungsdimensionen von Bildung enthalten. a) Ein wichtiges Wesensmerkmal des Menschen, das ihn zu Selbstbestimmung befähigt, liegt in der Struktur des Menschseins begründet, sich zu sich selbst verhalten zu können.44 Seine »exzentrische Positionalität«45 ermöglicht es dem Menschen, seinen inneren und äußeren Impulsen nicht ausgeliefert zu sein und in seinem Handeln diesen folgen zu müssen, sondern sich zu diesen verhalten und dadurch in einem gewissen Rahmen selbst bestimmen zu können.46 Durch diese Struktur ist der Mensch in der Lage, nicht nur Erfahrungen zu machen und die Welt wahrzunehmen, sondern auch auf diese Erfahrungen, die Welt und sich selbst von außen zu blicken und sowohl im Denken als auch im Handeln Einfluss darauf zu nehmen. Weil diese grundlegende Fähigkeit, sich zu sich selbst verhalten zu können und so den Möglichkeitsraum zu schaffen, Einfluss auf das eigene Handeln nehmen zu können, ein zentrales Element in der Gestaltung des eigenen Lebens darstellt, ist die Entwicklung dieser Selbstbestimmungsfähigkeit eine zentrale Aufgabe für ein Individuum und steht somit auch im Zentrum von Bildung.

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Diese anthropologische Grundannahme ist nicht unumstritten, da es keine einheitlichen Annahmen über das Wesen des Menschen gibt (vgl. Fahrenberg 2007, 14). Vielmehr soll diese Aussage darauf aufmerksam machen, dass viele unterschiedliche Menschenbilder eine Möglichkeit für den Menschen annehmen, sich selbst bestimmen oder Einfluss auf das eigene Werden nehmen zu können, auch wenn diese angenommene Möglichkeit ganz unterschiedlich ausfallen kann. Für einen guten Überblick zu Menschenbildern im Allgemeinen vgl. Diemer 1978. Für einen guten Überblick zu Menschenbildern in verschiedenen pädagogischen Strömungen vgl. Bauer/Schieren 2015. Vgl. Scheler 1928 und Kierkegaard 1849/1997; vgl. auch Reichenbach 2001, 86–87. Dieser Begriff stammt von Helmuth Pleßner und beschreibt dieses Phänomen des Menschseins (vgl. Pleßner 1928/1965). Vgl. Reichenbach 2001, 86–87; vgl. auch Pleßner 1928/1965, 288–308.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

Die Annahme, dass sich ein Individuum selbst bestimmen kann, ist eine Überzeugung, die im Konzept Bildung auch deshalb grundsätzlich mitgedacht wird, da es nur dann sinnvoll ist, Bildung als zentralen Entwicklungsprozess eines Individuums zu verstehen, wenn vorausgesetzt wird, dass ein Individuum seine Entwicklung grundsätzlich beeinflussen kann,47 sei es angeleitet durch Andere von außen48 oder als Bildungssubjekt selbst. Diese grundsätzliche Annahme wird auch in der engen Verknüpfung von Bildung mit der Eigenschaft der Bildsamkeit des Menschen deutlich.49 Ein Ablauf der menschlichen Entwicklung nach einem unveränderbaren Programm kann nicht als Bildung bezeichnet werden. Die These der grundsätzlichen Fähigkeit zu Selbstbestimmung lässt sich auch in bildungstheoretischen Ansätzen aufrechterhalten, welche die Erfahrung der Fremdbestimmung in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen50 und Selbstbestimmungserfahrungen eher als Illusion kritisieren,51 indem Selbstbestimmung als Prozess beschrieben wird, der innerhalb gegebener Strukturen stattfindet und als ein Sich-Verhalten zu dieser Eingebundenheit konzipiert wird.52 Dass Selbstbestimmung ein Grundphänomen menschlichen Daseins ist und aus diesem Grund als ein zentrales Moment von Bildung verstanden werden sollte, wird auch in bildungstheoretischen Überlegungen wie z.B. den Ausführungen von Egon Schütz thematisiert.53 Schütz betont da47 48

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Vgl. Kreitz 2007, 98. Die Entwicklung eines Individuums als einen Prozess zu Selbstbestimmung zu beschreiben, der vor allem durch einen Einfluss von außen geprägt ist, findet sich beispielsweise oft in Erziehungsbegriffen (vgl. Kap. 3.1). Für eine detaillierte Darstellung der historischen Verbindung von Bildung und Bildsamkeit vgl. Benner/Brüggen 2004. Bildungstheoretische Ansätze mit diesem Ausgangspunkt oder Schwerpunkt stellen oft die äußeren Einflüsse auf den Menschen durch Erziehung oder Umwelt (vgl. Kap. 3.1 und 3.2), die fehlende Verfügung über alle Bestimmungsgründe seiner selbst oder das Phänomen der prinzipiellen Nachträglichkeit der eigenen Selbstbestimmung in den Mittelpunkt (vgl. Schäfer 2005 40–46). Vgl. beispielhaft Meyer-Drawe 1990, Schäfer 2005 oder Schäfer 2015. Vgl. Lerch 2016, 81–82; vgl. auch vertieft Kap. 6.2 und 6.3. Vgl. Kap. 2.5; ein anderes Beispiel ist der bildungstheoretische Ansatz Eugen Finks. Aufgrund seines Ausgangspunktes, dass der Mensch sein Leben grundsätzlich von innen aus lebt, ist auch Selbstbestimmung ein natürliches Moment menschlichen Daseins. Selbstbestimmung versteht Fink nicht als eine Suche wie die nach einem verlorenen Gegenstand, sondern als eine natürliche Sinnproduktion und Selbstauslegung

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bei, dass bildungstheoretisches Nachdenken in seinem anthropologischen Ausgangspunkt eine Fundierung erfährt: Die »im engeren Sinne relevante Rechtfertigung von Bildungs- und Erziehungszielen […] liegt in deren anthropologischem Gehalt, in ihrer anthropologischen Substanz.«54 Für Schütz stellt die Freiheit des Menschen und die Einsicht in die Selbstautorschaft die grundlegenden Überzeugungen über den Menschen dar, die in einer Grunderfahrung gründen.55 b) Im Zuge dieser Einordnung, dass dem Menschen eine grundlegende Fähigkeit zu Selbstbestimmung zugesprochen wird, kann darauf hingewiesen werden, dass der Selbstbestimmung neben ihrer wichtigen Rolle für andere Werte wie dem persönlichen Wohlergehen oder der Erfahrung von Sinn im eigenen Leben56 ein intrinsischer Wert für Menschen zugesprochen werden kann: »Autonomie [kommt] ein intrinsischer Wert zu. Dass eine autonome Person ihre Wünsche und Ziele als die ›ihren‹ betrachten, sich somit selbst definieren und auf dieser Basis mit einem ›eigenen Willen‹ entscheiden kann, wird als ein Wert betrachtet, der keiner weiteren Begründung zu bedürfen scheint.«57 Diesen intrinsischen Wert von Selbstbestimmung unterstreicht auch der Aspekt, dass Selbstbestimmung ein psychologisches Grundbedürfnis des Menschen darstellt, wie im Folgenden gezeigt wird.

6.1.3 Selbstbestimmung als psychologisches Grundbedürfnis Selbstbestimmung als zentrales Ziel von Bildung zu formulieren kann über diese Annahmen zum Wesen des Menschen hinaus drittens damit begründet werden, dass sich Selbstbestimmung als psychologisches Grundbedürfnis des

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(vgl. Fink 1970, 116–117; vgl. auch Meyer-Wolters 1997, 211–212). Auch andere phänomenologische Ansätze in der Erziehungswissenschaft nehmen diese Innenperspektive als zentralen Ausgangspunkt, thematisieren Selbstbestimmung allerdings mehr unter der Grunderfahrung der Fremdbestimmung oder dem Gesichtspunkt ihrer sozialen Rahmung (vgl. beispielsweise Meyer-Drawe 1990). Schütz 1982/2017, 321. Vgl. Schütz 1982/2017, 322. Vgl. Betzler 2013b, 8. Betzler 2013b, 7; Betzler beschreibt unter dem Begriff Autonomie, was in dieser Arbeit unter dem Begriff Selbstbestimmung gefasst wird. Für eine Einordnung dieser Begrifflichkeiten vgl. Kap. 6.2.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

Menschen zeigt.58 So haben empirische Forschungen ergeben, dass Selbstbestimmung als zentrales psychologisches Grundbedürfnis des Menschen ausgemacht werden kann, wie vor allem Forschungen von Edward Deci und Richard Ryan im Zuge ihrer Selbstbestimmungstheorie zeigen:59 Als psychologisches Grundbedürfnis stellt Selbstbestimmung nicht eine bestimmte Struktur äußerer Bedingungen dar, sondern beschreibt ein Verlangen, welches das Menschsein elementar beinhaltet.60 »The need for autonomy describes the need of individuals to experience self-endorsement and ownership of their actions – to be self-regulating in the technical sense of that term.«61 Die entscheidende Bedeutung der Erkenntnis, dass Selbstbestimmung ein psychologisches Grundbedürfnis eines jeden Menschen darstellt, liegt vor allem darin, dass Selbstbestimmung als zentrale Komponente identifiziert werden kann, welche die Motivation eines Individuums mitbestimmt62 und auf das Wohlbefinden eines Individuums große Auswirkungen hat.63 In dieser Bedeutung für eine gesunde Entwicklung eines Individuums kann Selbstbestimmung auch als zentrales Bildungsziel begründet werden.

6.1.4 Selbstbestimmung als Anforderung unserer Zeit Ein vierter Grund, Selbstbestimmung als zentrales Ziel von Bildung zu formulieren, ist in der Beschaffenheit unserer aktuellen Zeit zu finden, die mit Begriffen

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Die Ebenen der theoretischen Annahmen über den Menschen und der empirisch ermittelten Eigenschaften von Menschen müssen dabei methodisch und in ihrer Aussagekraft klar voneinander unterschieden werden (vgl. Fahrenberg 2007, 20). Trotzdem liefern beide Ebenen interessante Informationen zum Wesen des Menschen. Vgl. dazu detailliert Kap. 6.4. Es steht außer Frage, dass das Erleben von Selbstbestimmung auf dafür günstige äußere Bedingungen angewiesen ist. Allerdings steht bei der Betrachtung von Selbstbestimmung als psychologischem Bedürfnis das subjektive Erleben, Bestimmungsgrund seiner selbst zu sein, im Fokus der Betrachtung. Ryan/Deci 2017, 86; vgl. auch Krapp/Ryan 2002, 72. Vgl. Deci/Ryan 2000, 232. Vgl. Deci/Ryan 2000, 229.

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wie Postmoderne64 , Zweite Moderne65 oder Spätmoderne66 bezeichnet wird.67 Vor allem durch die Individualisierung von Lebensführung und -formen in den letzten Jahrzehnten68 entwickelte sich Selbstbestimmung zu einem zentralen Aspekt dabei, über das eigene Leben nachzudenken, dieses zu gestalten und vor anderen zu rechtfertigen. Das Phänomen der Individualisierung lässt sich in den verschiedenen Epochen bis heute feststellen69 und kann an drei Merkmalen festgemacht werden: Der Herauslösung der Individuen aus vorgegebenen sozialen Formen, dem Verlust traditioneller Sicherheiten und einer anschließend neuen Art sozialer Eingebundenheit.70 Vor allem die ersten beiden Momente der Individualisierung spielen für diesen Prozess in der heutigen Zeit eine besondere Rolle und bringen für das Leben eines Individuums Veränderungen einer neuen Qualität71 mit sich: »Individualisierung bedeutet in diesem Sinne, da[ss] die Biographie der Menschen aus vorgegebenen Fixierungen herausgelöst, offen, entscheidungsabhängig und als Aufgabe in das Handeln jedes einzelnen gelegt wird. Die Anteile der prinzipiellen entscheidungsverschlossenen Lebensmöglichkeiten nehmen ab, und die Anteile der entscheidungsoffenen, selbst herzustellenden Biographie nehmen zu. Individualisierung von Lebenslagen und -verläufen heißt also: Biographien werden ›selbstreflexiv‹; sozial vorgegebene wird in selbst hergestellte und herzustellende Biographie transformiert.«72

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Für eine pointierte Charakterisierung der Postmoderne als Epoche vgl. Bauman 1995, 5–27 und 221–240; er weist dabei auch auf die besondere Anforderung der Selbstbestimmung in der Postmoderne hin (vgl. 228–229 und 238). Vgl. Beck u.a. 2001, 17–38. Vgl. Giddens 1992, Reichenbach 2001, vor allem 77–85 oder Reckwitz 2019, 17. Für eine Übersicht der vielfältigen Zeitdiagnosen vgl. Prisching 2018 insgesamt und im Besonderen 51–52 sowie Hastedt 2019, 11–13. Zeitdiagnosen werden allerdings aufgrund ihrer Lenkungsfunktion auf die Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsgewohnheiten der Menschen auch kritisch gesehen (vgl. Meyer-Drawe 2018, 24–28 und Hastedt 2019). Vgl. Prisching 2018, 16 und 124–129. Vgl. Beck 1986, 206 und Nollmann/Strasser 2004, 9–10. Vgl. Beck 1986, 206. Vgl. Marotzki 1990a, 24. Beck 1986, 216.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

Das Phänomen der Individualisierung in der beschriebenen Ausprägung kommt in den unterschiedlichen Charakterisierungen des heutigen Lebens wie »neue Zerbrechlichkeit sozialer Lagen und Biographien«73 , »Bastelexistenz«74 oder »Patchwork-Identität«75 zum Ausdruck.76 Alle diese Beschreibungen der heutigen Zeit legen die Auflösung verbindlicher traditioneller Prinzipien und die damit zusammenhängende Möglichkeit und Notwendigkeit individueller Bestimmung durch das Subjekt selbst als Zeitdiagnose ihrer Analyse zugrunde.77 Diese Herauslösung der individuellen Biographie aus den starren Fixierungen vor allem sozialer Rahmenbedingungen bedeutet allerdings nicht, dass diese nun in keine Rahmenbedingungen mehr eingebunden ist, ein Individuum als vereinzeltes Subjekt beziehungslos und freischwebend existiert oder durch diese Herauslösung selbst schon Selbstbestimmung erlangt hat.78 Das Individuum bleibt eingebunden in alte und neue Zusammenhänge und Vorgaben – allerdings in einer anderen Art: »Das entscheidende Kennzeichen dieser modernen Vorgaben ist, da[ss] das Individuum sie, weit mehr als früher, gewissermaßen selbst herstellen mu[ss], im eigenen Handeln die Biographie einholen mu[ss]. Das hat wesentlich damit zu tun, da[ss] die traditionellen Vorgaben oft rigorose Handlungsbeschränkungen, ja Handlungsverbote beinhalteten […]. Dagegen sind institutionelle Vorgaben der modernen westlichen Gesellschaft eher Leistungsangebote bzw. Handlungsanreize«79 . Vom Subjekt wird in der heutigen Zeit gefordert, sich zu seiner Eingebundenheit und orientierungsgebenden Struktur zu verhalten und eine aktive Rolle in der Bestimmung seines Lebens einzunehmen. Insgesamt wird der Prozess der Individualisierung ambivalent betrachtet und bewertet,80 gerade wenn auch Gefahren wie soziale Isolierung, Singularisierung und Entsolidarisierung der Menschen sowie stark homogenisierte

73 74 75 76 77 78 79 80

Beck 1996, 21. Hitzler/Honer 1994. Keupp u.a. 2008, 74. Für weitere Beispiele vgl. Geimer 2012, 231. Vgl. Geimer 2012, 231. Vgl. Beck 1995, 304; vgl. auch Keupp 2010, 246. Beck/Beck-Gernsheim 1994, 12. Vgl. Schroer 2008, 139–141.

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Korbinian Hollunder: Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

und kontrollierte Normen zunehmen,81 sich eine wachsende Institutionenabhängigkeit der Menschen beobachten lässt oder das Aufkommen einer hohen Standardisierung individueller Lebensführung festzustellen ist.82 Traditionelle Lebensentwürfe, aber auch neue Normen büßen an Verbindlichkeit ein und können nicht mehr klare Orientierung für das einzelne Individuum geben.83 So wird Individualisierung auch negativ als Zwang zur Selbstbestimmung interpretiert,84 der dem Individuum von den modernen Institutionen und der Beschaffenheit der aktuellen Zeit auferlegt wird.85 Als Kernpunkt der Individualisierung kann unabhängig von der Bewertung der Konsequenzen gesehen werden, dass die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen des Lebens eines Individuums »eine aktive Eigenleistung der Individuen nicht nur erlauben, sondern fordern«86 und »zunehmend mehr Reflexion, Urteilskraft und Aktivität für die eigene biografische Planung abverlangen.«87 Die grundsätzliche Verwiesenheit auf sich selbst erzeugt für ein Individuum die Möglichkeit, aber auch Notwendigkeit von Reflexivität88 und fordert es auf, sich selbst Orientierung zu erarbeiten.89 »Die Konsequenz für biographische Organisation lautet, sich selbst zum Zentrum der eigenen Lebensplanung zu machen.«90 Die These, dass Selbstbestimmung eine zentrale Aufgabe für jedes Individuum in der heutigen Zeit ist, kann über den Hinweis auf die Individualisierung der Lebensführung hinaus auch damit begründet werden, dass das Leben

81 82 83 84 85 86 87 88 89 90

Vgl. Huinink/Wagner 1998, 86–87. Vgl. Beck 1986, 210. Vgl. Marotzki 1990a, 24. Vgl. Krings 2016, 32; vgl. auch Beck/Beck-Gernsheim 1994, 14 oder Nollmann/Strasser 2004, 12–13. Vgl. Beck 2008, 303. Beck/Beck-Gernsheim 1994, 14. Krings 2016, 26. Vgl. Reckwitz 2009, 170. Vgl. auch Kokemohr 1989, 327–328. Marotzki 1990a, 25.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

in der heutigen Zeit durch eine Kontingenz der Lebensführung91 und eine Pluralisierung von Lebensstilen92 geprägt ist. »Was die Neuzeit kennzeichnet, ist selbst umstritten. Am wenigsten kontrovers mag die Behauptung sein, da[ss] ihr eine radikalisierte Erfahrung der Endlichkeit und der Zufälligkeit alles Gegebenen zugrundeliegt: Es ist zufällig und endlich, also ›kontingent‹ insofern, als es auch anders oder auch nicht sein könnte. Die Zufälligkeit des Faktischen wird nicht mehr durch eine intuitiv einsehbare Wesensordnung aufgefangen.«93 Diese Erfahrung der Kontingenz des eigenen Lebens wird dabei von der Erfahrung der Pluralität von Lebensformen begleitet.94 Pluralität bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem die prinzipielle Offenheit von Lebensmöglichkeiten für das Individuum, dessen individuelle Biographie nun aus sozial starr vorgegebenen Rahmenbedingungen gelöst ist. Diese Offenheit ist durch die allgemeine Verfügbarkeit von Informationen für den Einzelnen dauerhaft präsent und kann ein Anstoß sein, persönliche Orientierung zu suchen. »Suchbewegungen und experimentelle Formen der Existenz scheinen für viele Menschen nicht nur auf Krisensituationen ihres Lebens begrenzt zu sein, sondern zur permanenten Vollzugsform ihres Daseins zu werden.«95 Die ständige Präsenz der Pluralität und Kontingenz von Leben, d.h. das Bewusstsein, dass es auch viele andere Möglichkeiten gäbe, das eigene Leben zu leben, und dass das eigene Leben ganz anders sein könnte,96 ist somit zum Horizont für das menschliche Dasein geworden. »Die gegenwärtige Debatte um die Postmoderne […] legt ein beredtes Zeugnis davon ab, wie schmerzhaft 91

92

93 94 95 96

Vgl. Marotzki 1990a, 25–29, Peukert 2015, 37–39 und Krings 2016, 32; mit Kontingenz heutiger Lebensführung ist gemeint, dass die Lebensführung immer auch anders sein kann. Es gibt nichts, aus dem eine »richtige« Art zu leben ableitbar ist. Lebensführung wirkt damit zufällig (vgl. Marotzki 1990a, 25). Für eine detaillierte Einführung in den Begriff Kontingenz in Bezug auf diesen Kontext vgl. Holzinger 2007. Vgl. Marotzki 1990a, 27–28; vgl. auch Welsch 2012. Es gilt allerdings festzuhalten, dass Individualisierungsprozesse »nicht unmittelbar eine Vergrößerung des Handlungsspektrums und der Heterogenität von realisierten Handlungsalternativen von Akteuren beinhalten müssen« (Huinink/Wagner 1998, 91; vgl. auch Huinink/Wagner 1998, 103). Peukert 1984, 130. Vgl. Prisching 2018, 16. Marotzki 1990a, 29. Vgl. Peukert 2015, 38.

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es sein kann, sich mit einer solchen Einsicht abzufinden, da[ss] Differenzen auch ohne übergreifende Synthesen bestehen können.«97 Die vorgestellte Zeitdiagnose ist zwar im Kern eine Diagnose aus den 1980Jahren, kann aber gerade mit ihren Auswirkungen und Anforderungen an das Subjekt auch als Diagnose für die unmittelbare Gegenwart gestellt werden.98 Auch Zeitdiagnosen der letzten Jahre stellen die Anforderungen an das Subjekt in den Mittelpunkt, eine aktive Rolle im eigenen Leben einnehmen, mit der Welt umgehen und dabei über sich selbst bestimmen zu müssen. So steht auch in einer postfaktischen Zeit, in der Tatsachen unwichtiger werden, Lügen akzeptiert werden und Emotionen höher gewichtet werden als Fakten,99 das Subjekt als Instanz im Zentrum, das sich selbst in der unüberschaubaren Menge an Informationen und Eindrücken Orientierung erarbeiten muss. Auch die gesellschaftliche Zeitdiagnose Postdemokratie,100 dass Politik als professionell inszeniertes und kontrolliertes Spektakel erscheint,101 kann als Aufforderung an jeden Einzelnen verstanden werden, sich zu einem selbstbestimmten Subjekt zu entwickeln, das trotz seiner Eingebundenheit in diese Bedingungen und Strukturen eigenständig und mit geschärftem Blick auf die Welt und sich selbst blicken kann. Darüber hinaus rücken in den letzten Jahren bestimmende Themen wie die Digitalisierung des privaten, öffentlichen und wirtschaftlichen Bereichs102 oder die entstandene VUCAWelt 103 in unseren Fokus, dass in der heutigen Zeit eine besondere und weiter gewachsene Anforderung an ein Individuum besteht, als Subjekt mit den Veränderungen in unserer Zeit und der aktuellen Situation umzugehen und selbstbestimmt innerhalb dieser Bedingungen das eigene Leben zu gestalten. Aber auch aktuell aufgekommene Unsicherheiten, die unter dem Eindruck der andauernden Corona-Pandemie und dem ausgebrochenen Russland-Ukraine-Krieg gewachsen sind, konfrontieren ein Individuum mit der Aufgabe, sich zu diesen Erfahrungen zu verhalten und einen eigenen selbstbestimmten Umgang damit zu finden.

97 98 99 100 101 102 103

Marotzki 1990a, 28. Vgl. Prisching 2018, 16 und 124–129. Vgl. Meyer-Drawe 2018, 24. Vgl. Kajewski 2014. Vgl. Crouch 2008, 10. Vgl. Reckwitz 2018, 225–271 sowie Reckwitz 2019, 10 und 203–204. Vgl. Mack u.a. 2016.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

Die dargestellte Analyse der vielfältigen Verbindung von Bildung und Selbstbestimmung zeigt, dass Selbstbestimmung auf verschiedene Art und Weise mit Bildung verbunden ist und unterschiedliche Gründe angeführt werden können, Selbstbestimmung als zentrales Entwicklungsziel eines Individuums zu formulieren. Selbstbestimmung als zentrales Bildungsziel eines Individuums zu bestimmen wird im Folgenden näher betrachtet.

6.2 Selbstbestimmung im Kontext der entwickelten bildungstheoretischen Perspektive Bildung wurde als Prozess vorgestellt, in dem ein Individuum ein Welt- und Selbstverhältnis konstituiert und dabei eine umfassende Innenperspektive auf die Welt und sich selbst einnimmt, die wesentlich durch Wahrnehmungsund Reflexionsprozesse im Subjekt gekennzeichnet sind und das Bildungssubjekt so zu einem selbstbestimmten Leben führt. Die folgende Betrachtung von Selbstbestimmung knüpft an diese bildungstheoretische Perspektive an und expliziert Selbstbestimmung als Ziel einer so verstandenen Bildung. Die vorgenommene Analyse von Selbstbestimmung beschäftigt sich deshalb mit der Selbstbestimmung von Personen,104 die auch verbreitet unter dem Stichwort der personalen Autonomie diskutiert wird.105 Innerhalb des Berei-

104 Selbstbestimmt können nicht nur Personen sein, sondern auch Kollektive, Institutionen, Staaten bzw. Regionen, aber auch Wissensgebiete oder technische Systeme (vgl. Betzler 2013b, 9; vgl. auch Seidel 2016, 1). 105 Im bildungstheoretischen Kontext wird die Selbstbestimmung von Personen auch unter anderen Begriffen wie Autonomie (vgl. Meyer-Drawe 1990 und 1998, Koller 2001, Schäfer 2005, Stojanov 2006, 2014a und 2014b, Lüders 2007, Finke 2009, Meyer 2011, Grunert 2012, Dörpinghaus u.a. 2013 und Wiersing 2015), Emanzipation (vgl. Heydorn 1970, Bünger 2013b, Lederer 2015) oder Mündigkeit (vgl. Kant 1784/1994, Adorno 1969/1971, Roth 1971, Heydorn 1972, Böhme 1979, Meyer-Drawe 1998, Rieger-Ladich 2002, Lederer 2008 und 2015, Dörpinghaus 2009, Bünger 2013a und Dörpinghaus u.a. 2013) diskutiert, die oft in einer ähnlichen Bedeutung wie Selbstbestimmung verwendet werden, jedoch meist unterschiedliche Akzentuierungen haben; Autonomie umfasst meist eine weitere Perspektive, innerhalb welcher oft die äußeren wie auch inneren Bedingungen für ein Individuum diskutiert werden. Somit wird unter dem Begriff der Autonomie oft eine Vielfalt an Themen diskutiert, die hier nicht das Zentrum der Betrachtung bilden soll; Emanzipation setzt durch seine etymologischen und historischen Wurzeln seinen begrifflichen Schwerpunkt mehr auf den Aspekt der Absetzung und Befreiung des Individuums von (negativer) Fremdbestimmung; Mündigkeit

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ches der personalen Autonomie wird Selbstbestimmung außerdem vor allem unter der erstpersonalen Perspektive auf Autonomie106 betrachtet, welche Selbstbestimmung weniger unter dem Aspekt des Verhältnisses zu anderen behandelt als viel mehr danach fragt, wie ein Individuum Autor seiner Handlungen, seines Lebens und sich selbst im Insgesamten sein kann:107 »Es geht um eine bestimmte Art und Weise des Tätigseins, nach der Personen in ihrem eigenen Handeln und in ihrer eigenen Lebensführung typischerweise streben. Die Frage, die hinter dieser Perspektive steht, ist weniger ›Was verlangt die Autonomie anderer von mir?‹, als vielmehr ›Welche Art von Person will ich sein? Welche Lebensweise möchte ich zu meiner eigenen machen?«108 Damit steht unter einer erstpersonalen Perspektive auf Selbstbestimmung viel mehr im Zentrum der Betrachtung, welchen Beitrag ein Individuum zur eigenen Selbstbestimmung leisten kann und wie es sich persönlich Selbstbestimmung erarbeiten kann. Im genannten bildungstheoretischen Kontext fragt diese erstpersonale Perspektive danach, wie ein Bildungssubjekt die eigenen Bildungsprozesse so mitgestalten kann, dass das konstituierte Weltund Selbstverhältnis Ausdruck der persönlichen Selbstbestimmung des Bildungssubjekts ist.

betont den pädagogischen Aspekt der von außen herzustellenden Bedingungen und des Heranführens des Individuums zu Selbstbestimmung; Im Begriff der Selbstbestimmung steht hingegen mehr die positive Bestimmung des Individuums durch sich selbst und damit die Subjektperspektive im Mittelpunkt, die auch die erarbeitete bildungstheoretische Perspektive in den Fokus der Betrachtung rückt. Somit ist Selbstbestimmung auch der passende Begriff, unter dem das zentrale Ziel von Bildung, sich selbst zu bestimmen, hier zu diskutieren ist. 106 Vgl. Seidel 2016, 24; eine andere Perspektive auf Autonomie wäre die drittpersonale Perspektive, in der nach der Autonomie anderer Personen und die dadurch entstehende Handlungsanforderung an uns gefragt wird (vgl. Seidel 2016, 23). Zur weiteren Unterscheidung der erst- und drittpersonalen Perspektive vgl. auch Seidel 2016, 27–28. Monika Betzler weist darüber hinaus die wechselseitige Anerkennung von Autonomie zwischen Personen als zweitpersonale Perspektive auf Autonomie als extra Bedeutung aus (vgl. Betzler 2013b, 9). 107 Die Unterscheidung dieser Perspektiven auf personale Autonomie soll nicht verdecken, dass die unterschiedlichen Perspektiven aufeinander verwiesen sind und nicht völlig losgelöst voneinander betrachtet werden können (vgl. Seidel 2016, 31–36). 108 Seidel 2016, 24.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

Die Selbstbestimmung eines Individuums kann in diesem Zuge außerdem unter einer lokalen und globalen Perspektive betrachtet werden, die beide wichtige Blickwinkel in der eingenommenen Perspektive auf Bildung darstellen. Die lokale Perspektive nimmt dabei einzelne Situationen und Handlungen in den Blick, untersucht einen eingegrenzten zeitlichen Rahmen oder Zeitpunkt und fragt damit nach der Selbstbestimmung des Individuums in einzelnen Handlungen und Momenten. Die globale Perspektive versteht Selbstbestimmung als grundlegende Fähigkeit eines Individuums, nimmt Selbstbestimmung sowohl in ihrer thematischen als auch zeitlichen Breite in den Blick und betrachtet Selbstbestimmung in Bezug auf die Lebensführung als Ganze.109

6.3 Bedingungen von Selbstbestimmung 6.3.1 Kontrolle und Authentizität als zentrale Bedingungen von Selbstbestimmung In der Bestimmung von Selbstbestimmung aus dieser Perspektive stellt sich nun die Frage nach den Bedingungen einer so verstandenen Selbstbestimmung.110 Zwei grundsätzliche Bedingungen für Selbstbestimmung können in diesem Zuge genannt werden, die als a) Kontrollbedingung und b) Authentizitätsbedingung bezeichnet werden können.111 a) Die Kontrollbedingung greift die zentrale Überzeugung auf, dass ein Individuum nur dann selbstbestimmt sein kann, wenn es den Bestimmungsprozess selbst steuern kann, entscheidend Einfluss nehmen kann und selbst in wesentlichem Sinne Verursacher des Prozesses und Ergebnisses der Bestimmung ist.112 Die Kontrollbedingung für Selbstbestimmung umfasst somit verschiedene Aspekte: Zum einen enthält sie die Anforderung an das Subjekt der Selbstbestimmung, über Fähigkeiten zur Selbstregulation zu verfügen.113 Zum anderen beinhaltet diese Bedingung auch die Rahmenbedingungen für 109 Vgl. Betzler 2013b, 10; vgl. auch Seidel 2016, 23 und 95. 110 Für einen einführenden Überblick zur Debatte um Selbstbestimmung insgesamt vgl. Christman 1989, Betzler 2013a und Seidel, 2016. 111 Vgl. Betzler 2013b, 12–15; ähnlich beschreibt John Christman die Bedingungen für Autonomie (Christman 2009, 134). Die Frage, ob diese beiden Bedingungen hinreichend für Autonomie sind, ist umstritten (vgl. Betzler 2013b, 14–15). 112 Vgl. Betzler 2013b, 12–15. 113 Zum Aspekt der Selbstregulation vgl. auch Kap. 5.5.2.

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den Selbstbestimmungsprozess, dass das zu Bestimmende z.B. überhaupt steuerbar ist, es Wahlmöglichkeiten gibt und auch das Subjekt der Selbstbestimmung selbst passende Umstände für sich vorfindet.114 Diesen zweiten Teil der Rahmenbedingungen für Kontrolle kann das Subjekt der Selbstbestimmung oft nicht selbst steuern und kontrollieren. b) Die Authentizitätsbedingung115 für Selbstbestimmung gründet auf der Überzeugung, dass die Bestimmung durch das Individuum nicht nur durch dieses kontrolliert sein muss, sondern dass auch die Vorstellungen, Überzeugungen und Werte des Individuums selbst die Grundlage für diese Bestimmung bilden müssen. Selbstbestimmte Handlungen müssen Ausdruck dessen sein, was das Individuum selbst ausmacht. Dabei wird davon ausgegangen, dass ein Individuum eigene Vorstellungen, Überzeugungen und Werte hat, über welche es sich selbst klar werden kann und welchen es im Bestimmungsprozess gerecht werden kann oder welche es dabei verfehlen kann.116

6.3.2 Innere und äußere Bedingungen von Selbstbestimmung Zentral für eine Konzeption von Selbstbestimmung ist, welche Möglichkeiten sie angibt, wie die Kontroll- und Authentizitätsbedingung für Selbstbestimmung hergestellt werden kann. Zum einen scheinen die Bedingungen für Selbstbestimmung innerhalb einer Person zu liegen. So ist Selbstbestimmung mit der Vorstellung verbunden, dass ein Individuum nur dann über sich selbst bestimmen kann, wenn es sich selbst genau kennt und so seinen »echten« Überzeugungen und Werten entsprechend handeln kann sowie in der Lage ist, sein Handeln selbst zu steuern. Unter diesem Blickwinkel wird auf Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion und Selbstregulationsfähigkeit als zentrale Aspekte von Selbstbestimmung verwiesen. Damit wird ein bestimmtes Selbstverhältnis als Bedingung für Selbstbestimmung benannt, das sich ein Individuum durch sein eigenes Zutun selbst erarbeiten kann. »Auf das Selbstverhältnis hat man also Einfluss – man selbst hat die Kontrolle darüber, ob das [für Selbstbestimmung nötige] Selbstverhältnis vorliegt oder nicht, und man selbst ist

114 115 116

Vgl. noch einmal detailliert Kap. 6.3.2.2. Vgl. zum Authentizitätsbegriff auch Brüntrup u.a. 2020. Vgl. Betzler 2013b, 13–15.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

derjenige, der zur Vervollkommnung eines (idealen) Selbstverhältnisses in der Pflicht steht.«117 Zum anderen scheint die Erfüllung der Kontroll- und Authentizitätsbedingung auch an externe Faktoren wie die Abwesenheit von Zwang gebunden zu sein, die das Individuum nicht oder kaum beeinflussen kann.118 »Wenn man gezwungen, diskriminiert oder manipuliert wird, so kann man selbst daran meist nichts ändern – ebenso wenig wie an der eigenen Vorgeschichte, die ja in der Vergangenheit liegt. Auf die Beschaffenheit der Welt um einen herum hat man keinen (oder kaum) Einfluss, denn die Kontrolle darüber, ob bestimmte Verhältnisse in der Welt vorliegen oder nicht, liegt nicht (jedenfalls nicht allein) bei einem selbst, sondern bei etwas oder jemand anderem. Folglich sind es auch andere (der Staat, die Gesellschaft, die Eltern etc.), die in der Pflicht stehen, wenn es darum geht, ein ideales Weltverhältnis herzustellen.«119 So ergeben sich in Bezug auf die Bedingungen für Selbstbestimmung die beiden Konzeptionen des Internalismus und Externalismus, die jeweils die eine Art von Bedingungen für vorrangig entscheidend für die Selbstbestimmung halten: »Internalistinnen haben darauf hingewiesen, dass in Bezug auf die Autonomie einer Person ihre innere Verfassung (bzw. ihr Innenleben) in epistemischer und explanatorischer Hinsicht Vorrang vor der Beschaffenheit der äußeren Welt hat; und Externalistinnen haben darauf hingewiesen, dass die innere Verfassung nur unter gewissen äußeren Normalitätsbedingungen überhaupt einen Unterschied für die Autonomie einer Person machen kann.«120

117 118 119

Seidel 2016, 45. Vgl. Seidel 2016, 5. Seidel 2016, 45; Weltverhältnis hat in diesem Zusammenhang eine etwas andere Bedeutung als im bisherigen Verlauf der Analyse von Bildungsprozessen. Wenn bisher mehr die eingegangene Beziehung des Individuums zur Welt im Mittelpunkt stand, wenn von Weltverhältnis gesprochen wurde, meint Weltverhältnis an dieser Stelle mehr die Beschaffenheit der Welt und ihre Wirkung in dieser Beschaffenheit auf das Individuum. 120 Seidel 2016, 141.

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Diese unterschiedlichen Konzeptionen von Selbstbestimmung werden im Folgenden erläutert.

6.3.2.1 Internalistische Konzeptionen von Selbstbestimmung Internalistische Konzeptionen gehen davon aus, dass Selbstbestimmung durch die Einnahme eines bestimmten Selbstverhältnisses zu erreichen ist und basieren auf der »Intuition, dass Autonomie etwas sein muss, das nur die betreffende Person und niemand anders herstellen kann.«121 Sie sind inhalts- und wertneutral.122 Selbstbestimmt zu sein heißt demzufolge, sich auf eine bestimmte Weise zu sich selbst zu verhalten. Internalistische Konzeptionen beschäftigen sich deshalb vor allem mit psychischen Strukturen und den Fragen dazu, wie sich ein Individuum über sich selbst klar wird oder Herr seines eigenen Innenlebens wird.123 Um die Bedingungen für die Selbstbestimmung eines Individuums anzugeben, benennen internalistische Konzeptionen Kriterien, welche die Motive, Wünsche oder Handlungen eines Individuums erfüllen müssen, wie es beispielsweise Harry Frankfurt in seinem Modell der Willensfreiheit vornimmt.124 In diesem Modell wird ein Individuum betrachtet, das auf der Basis seiner eigenen Wünsche handelt. Zur Bestimmung, ob das Handeln aufgrund dieser Wünsche selbstbestimmt ist, reicht es nicht aus festzustellen, dass es der Wunsch des Individuums ist, so zu handeln. Das Individuum muss diesen Wunsch auch wirklich wollen, d.h. es muss den Wunsch (zweiter Ordnung) haben, dass dieser Wunsch (erster Ordnung) auch handlungswirksam wird und somit eine Volition zweiter Ordnung bezüglich des Wunsches haben.125

121 122 123

Betzler 2013b, 16. Vgl. Betzler 2013b, 16. Vgl. Betzler 2013b, 15; neben dieser reflexiven Variante gibt es auch eine nicht-reflexive Variante des Internalismus, in der sich das spezielle Selbstverhältnis für Selbstbestimmung durch die Zufriedenheit des Individuums oder die Unveränderbarkeit in sich vorgefundener Motive auszeichnet (vgl. Betzler 2013b, 16). 124 Vgl. Frankfurt 1971 und 1999b; für einen Überblick zu Frankfurts Modell und die Debatte über dieses vgl. Betzler 2013b oder Rössler 2017, 46–57. 125 Vgl. Seidel 2016, 75; vgl. auch Frankfurt 1971, 6–7 und 10 sowie Betzler 2013b, 17–18; Volitionen zweiter Ordnung unterscheiden sich gegenüber Wünschen zweiter Ordnung dahingehend, dass Volitionen zweiter Ordnung handlungswirksame Wünsche erster Ordnung zum Inhalt haben, während Wünsche zweiter Ordnung allgemein Wünsche erster Ordnung zum Gegenstand haben können (vgl. Frankfurt 1971, 10).

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

Volitionen zweiter Ordnung qualifizieren dann Wünsche (erster Ordnung) als selbstbestimmt. »Die autonome Person steht in einem besonderen Verhältnis zu ihren eigenen Motiven; sie billigt sie vermittels einer Volition zweiter Stufe.«126 Frankfurts Konzeption, durch Volitionen zweiter Ordnung Wünsche als selbstbestimmt zu qualifizieren, wird allerdings aus mehreren Gründen kritisch betrachtet. »Die Fragen, die sich [in Auseinandersetzung mit Frankfurts Grundgedanken] aufdrängen, hängen alle damit zusammen, ob Volitionen eine angemessene normative Quelle darstellen, um eine Person als autonom zu bezeichnen.«127 a) Ein wichtiger Einwand gegenüber Frankfurt ist dabei, dass Volitionen zweiter Ordnung keine eigene Qualifizierung als selbstbestimmt erhalten. Diese Qualifikation benötigen diese allerdings, wollen sie andere Wünsche als selbstbestimmt qualifizieren. Wenn auch Volitionen zweiter Ordnung eine Volition höherer Ordnung benötigen würden, um als selbstbestimmt qualifiziert zu werden, führt dies zu einer infiniten Kette an Volitionen. Es ist dann außerdem unklar und fraglich, warum gerade Volitionen zweiter Ordnung qualifizierend für die Selbstbestimmung eines Individuums sind. Wenn Volitionen allerdings diese Autorisierung durch Volitionen höherer Ordnung nicht erhalten, steht die Qualifikation von Wünschen als selbstbestimmt vor dem Problem der Unvollständigkeit.128 Frankfurt versucht diesem Einwand damit zu begegnen, dass er Volitionen zweiter Stufe dadurch als autonom qualifiziert, dass sich jemand entschieden und aus ganzem Herzen mit dieser Volition identifiziert und zufrieden damit ist.129 Mit dieser Qualifizierung liefert Frankfurt allerdings Kriterien für Volitionen, welche selbst nicht zwingend als selbstbestimmt qualifiziert sind und keine Selbstbestimmung gewährleisten können. »[D]ie Entschiedenheit kann keine informative Antwort auf die Frage geben, was genau einen Wunsch erster Stufe autonom macht.«130 Zufriedenheit stellt einen Zustand dar, der sich in der Folge einer Volition einstellt, insofern nicht aktiv durch eine Entscheidung

126 127 128 129 130

Seidel 2016, 75; vgl. auch Betzler 2013b, 17. Betzler 2013b, 18. Vgl. Betzler 2013b, 18–19; vgl. auch Meyer 2011, 23–24. Vgl. Betzler 2013b, 21–22; vgl. auch Frankfurt 1971, 16 und Frankfurt 1999. Betzler 2013b, 19.

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des Individuums herbeigeführt wird und somit unter der Kontrolle des Individuums steht.131 Die von Frankfurt angeführten Kriterien zur Qualifizierung von Volitionen als selbstbestimmt sind aus diesen Gründen unbefriedigend. b) Frankfurts Qualifizierung von Wünschen und Volitionen als selbstbestimmt wird darüber hinaus Synchronismus vorgeworfen. Es werde nicht die Geschichte des Erwerbs der Wünsche und Volitionen berücksichtigt, weshalb die Qualifizierung als selbstbestimmt unzureichend sei.132 So ist es bei der reinen Betrachtung der aktuellen inneren Verfassung des Individuums möglich, dass die Volition zweiter Ordnung auf manipulative Art und Weise zustande gekommen ist und der entschiedene Wunsch aus ganzem Herzen trotzdem ein fremdbestimmter ist.133 c) Als weiterer Einwand wird Frankfurt entgegnet, dass Selbstbestimmung unabhängig vom Verhältnis des Individuums zur Umwelt qualifiziert werde. Es liege damit Subjektivismus vor, in welchem sowohl die Frage nach dem Bestehen von Handlungsoptionen als auch der Ausschluss unterminierender Bedingungen nicht berücksichtigt werde. In diesem Zuge wird der Ansatz auch als essentialistisch kritisiert, weil es für das Individuum keine Möglichkeit gebe, über die bei sich vorgefundenen Wünsche hinauszugehen.134 Die Einwände gegenüber Frankfurt zeigen, dass sein Modell der Wünsche und Volitionen keine Struktur bietet, welche die Selbstbestimmtheit von Wünschen und daraus folgenden Handlungen eines Individuums in einer Art und Weise absichern, welche einen Irrtum des Individuums und fremdbestimmende Einflüsse ausschließt. Allerdings muss Selbstbestimmung auch nicht als diese ursprüngliche oder erste Ursache einer Handlung bestimmt oder als creatio ex nihilo verstanden werden, sondern kann auch als auf einer Synthetisierungsleistung des Individuums aufbauend konzipiert werden.135 Frankfurt möchte mit seinem Modell vielmehr erklären, wie die Psyche des Menschen beschaffen ist und welche Kriterien einen starken Hinweis darauf geben, ob ein Wunsch oder eine Handlung selbstbestimmt ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Wünsche, die wir entschieden und aus ganzem Herzen wollen und mit denen wir zufrieden sind, fehlgeleitet sind oder wir deren Fremd-

131 132 133 134 135

Vgl. Betzler 2013b, 22 und 24. Vgl. Betzler 2013b, 19–20. Vgl. Rössler 2017, 49. Vgl. Betzler 2013b, 19–20. Vgl. Ryan u.a. 2012, 218–219.

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bestimmtheit nicht erkennen. Aber die Möglichkeit, sich zu täuschen oder in seinem selbstbestimmten Willen getäuscht zu werden, sollte nicht die Tatsache überdecken, dass wir sehr gut wahrnehmen und bewerten können, was unser eigener Wille ist.136 Ein zentraler Gegeneinwand Frankfurts gegenüber seinen Kritikern ist damit vielmehr, dass wir nicht anders können als uns auf Wünsche festzulegen.137 Wir finden Wünsche und Motive in uns vor und sind als Menschen so beschaffen.

6.3.2.2 Externalistische Konzeptionen von Selbstbestimmung Die Kritik an Frankfurts Modell, Wünsche nur durch Bedingungen innerhalb des Individuums als selbstbestimmt zu qualifizieren, hat gezeigt, dass es über die Bedingungen innerhalb eines Individuums hinaus auch externe einstellungsunabhängige Bedingungen benötigt, um als Individuum selbstbestimmt sein zu können, wie es externalistische Konzeptionen betonen.138 Diesen Positionen zufolge ist es möglich, dass ein Individuum ein Selbstverhältnis einnimmt, das es ihm ermöglicht, völlig frei seine innere Einstellung zu bestimmen, es aber trotzdem nicht selbstbestimmt ist, wie die Kritikpunkte des Synchronismus und Subjektivismus andeuteten. Um den Eintritt einer solchen Situation zu vermeiden, formulieren externalistische Konzeptionen substanzielle Vorgaben, die für Selbstbestimmung erforderlich sind. Schwach externalistische Positionen fordern dabei für die inneren Bedingungen von Selbstbestimmung bestimmte Standards, welche meist die Abwesenheit von Umständen wie Selbstversklavung, Unterdrückung oder Erniedrigung umfassen, die Selbstbestimmung grundsätzlich widersprechen.139 In diesen Standards werden aber auch konkrete Forderungen wie das Vorhandensein eines Selbstwertgefühls, das der externen Bedingung der Anerkennung durch Andere unterliegt, formuliert.140 Die geforderten Standards 136 137 138 139

Vgl. Ryan u.a. 2012, 219–220. Vgl. Meyer 2011, 23–24. Vgl. Betzler 2013b, 16. Vgl. Betzler 2013b, 16; Selbstbestimmung durch die Abwesenheit unterminierender Bedingungen zu bestimmen, beschreibt diese als negative Freiheit (vgl. Betzler 2013b, 11). 140 Vgl. Benson 1994; vgl. auch Betzler 2013b, 26–27; auf den Zusammenhang von Selbstwertgefühl und Anerkennung durch Andere weisen auch anerkennungstheoretische Überlegungen hin (vgl. beispielhaft Honneth 1994, 200–211, Borst 2003, 127–133 und Stojanov 2006, 141–144).

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beziehen sich dabei nicht nur auf die aktuelle Wunschäußerung, Einstellung oder Entscheidung, sondern auch auf deren Erwerbsgeschichte.141 Stark externalistische Positionen fordern über diese bestimmten inneren Bedingungen von Selbstbestimmung hinaus objektive externe Bedingungen, die für Selbstbestimmung gegeben sein müssen. »Dazu gehören v.a. Realitätsnähe und Wissen, ein soziales Umfeld, das Wahlfreiheit und eine freie Selbstentfaltung ermöglicht, sowie angemessene, d.h. respektvolle und nicht missachtende Beziehungen.«142 Allerdings bringen auch externalistische Konzeptionen von Selbstbestimmung Schwierigkeiten mit sich. Wenn Selbstbestimmung an eine Form von Objektivität gebunden wird, die einen vom Selbstbestimmungssubjekt unabhängigen, unparteiischen Blickwinkel fordert, der an objektive oder intersubjektiv bestätigte Werte gebunden ist,143 dann wird Individualismus kaum Raum gelassen und die innere Verfassung des Individuums scheint nicht ausschlaggebend für Selbstbestimmung zu sein. Dabei beinhaltet Selbstbestimmung gerade die Vorstellung, dass ein Individuum selbst bestimmt, welche Haltung es einnehmen und welche Entscheidungen es treffen will. Es wird außerdem die Tatsache außer Acht gelassen, dass Selbstbestimmung am Individuum selbst scheitern kann.144 So kann ein Individuum auch unter passenden äußeren Bedingungen nicht in der Lage sein, der Mensch zu 141

Vgl. Christman 1991; vgl. auch Betzler 2013b, 25–26; die Betrachtung der Geschichte des Wunscherwerbs wird allerdings immer wieder auch als Ansatzpunkt genommen, die Möglichkeit von Selbstbestimmung grundsätzlich in Frage zu stellen; dabei wird mit der Geschichte des Wunscherwerbs auf die Unmöglichkeit der Freiheit von externen Einflüssen und Uneinholbarkeit der eigenen Grundlagen hingewiesen und daraus die Unmöglichkeit von Selbstbestimmung begründet (vgl. beispielhaft Schäfer 2005, 45–46 und 2016, 11–12). Die Freiheit von externen Einflüssen und Uneinholbarkeit der eigenen Grundlagen muss aber nicht zwingend als unvereinbar mit Selbstbestimmung konzipiert werden wie gerade die Selbstbestimmungskonzeption der SelfDetermination-Theory zeigt (vgl. Kap. 6.4). 142 Betzler 2013b, 28; vgl. auch Seidel 2016, 41–43, der in der Aufzählung objektiver externer Bedingungen noch »Handlungsspielraum« ergänzt. Die Wahrnehmung der Realität, wie sie ist, und deren Einbezug in die Selbstbestimmung führt Betzler ebenfalls als einstellungsunabhängigen Standard auf, der bei schwach externalen Konzeptionen von Selbstbestimmung genannt wird (vgl. Betzler 2013b, 17). 143 Vgl. Betzler 2013b, 28; Betzler nennt an dieser Stelle Kriterien, die für eine stark externalistische Auffassung von Selbstbestimmung genannt werden. 144 Vgl. Seidel 2016, 137–38.

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sein, der er wirklich sein will, weil das Individuum mit ungewollten inneren Impulsen nicht so umgehen kann, wie es sich das wünscht.

6.3.2.3 Interaktionalistische Konzeptionen von Selbstbestimmung Die Vorstellung der internalistischen und externalistischen Konzeptionen von Selbstbestimmung haben gezeigt, dass internalistische und externalistische Aspekte von Selbstbestimmung beachtet werden müssen, um die Bedingungen für Selbstbestimmung vollständig zu erfassen.145 Beide Konzeptionen werden im Weglassen der Bedingungen kritisiert, die in der anderen Konzeption Selbstbestimmung qualifizieren, und damit konfrontiert, dass Selbstbestimmung essentiell mit beiden Vorstellungen verbunden ist. Interaktionalistische Konzeptionen von Selbstbestimmung versuchen deshalb beide Bedingungen in ihr Modell miteinzubeziehen, sind aber mit der Unterschiedlichkeit von Welt- und Selbstverhältnissen und der daraus resultierenden Herausforderung konfrontiert, dass Selbstbestimmung entweder als ein Welt- oder als ein Selbstverhältnis konzipiert werden kann.146 So sind interaktionalistische Konzeptionen, welche die Verschränktheit von Welt- und Selbstverhältnissen betonen und Selbstbestimmung als Verwobenheit von Welt- und Selbstverhältnissen verstehen, mit der Kritik konfrontiert, die Unterschiedlichkeit von Welt- und Selbstverhältnissen nicht adäquat zu berücksichtigen. Andere interaktionalistische Konzeptionen, welche internalistische und externalistische Aspekte von Selbstbestimmung als miteinander vereinbar konzipieren, tendieren meist dazu, der einen Art von Bedingungen ein höheres Gewicht beizumessen und damit in letzter Konsequenz eine internalistische oder externalistische Konzeption von Selbstbestimmung darzustellen, die wiederum mit den vorgestellten Schwierigkeiten dieser jeweiligen Konzeptionen verbunden sind.147 Konzeptionen von Selbstbestimmung bleiben somit in allen Varianten im Spannungsfeld zwischen inneren und äußeren Bedingungen und stehen vor der Herausforderung, beiden Aspekten ausreichend Rechnung zu tragen. Trotzdem bleibt die grundsätzliche Ausrichtung der Konzeption – ob innere oder äußere Bedingungen von zentraler Bedeutung für Selbstbestimmung sind – ein richtungsweisender Punkt für das Konzept von Selbstbestimmung.

145 Vgl. Seidel 2016, 31–36. 146 Vgl. Seidel 2016, 5. 147 Vgl. Seidel 2016, 6.

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6.3.2.4 Bildungstheoretische Betrachtung der Bedingungen von Selbstbestimmung Die Bedingungen von Selbstbestimmung werden auch innerhalb des bildungstheoretischen Diskurses kontrovers diskutiert und vor allem in den Auffassungen von Bildung intensiv betrachtet, welche die Selbstbestimmung des Individuums für einen zentralen Aspekt halten. In der erarbeiteten bildungstheoretischen Perspektive, die Bildung als Einnahme eines Welt- und Selbstverhältnisses konzipiert, welche durch eine umfassende Innenperspektive auf die Welt und sich selbst gekennzeichnet ist, stehen dabei vor allem die inneren Bedingungen für Selbstbestimmung im Mittelpunkt der Betrachtung. So bedarf es zwar aus dieser Perspektive auf Bildung passender äußerer Bedingungen für Selbstbestimmung, ohne die auch die beste innere Verfassung eines Individuums nicht zu Selbstbestimmung führen kann. Allerdings führen diese passenden äußeren Bedingungen alleine nie zur Selbstbestimmung eines Individuums im Sinne des Ergebnisses eines Bildungsprozesses, in dem ein Individuum aktiv, von ihm selbst initiiert und unter Einbezug seiner umfassenden Innenperspektive ein Weltund Selbstverhältnis einnimmt. Die innere Verfassung eines Individuums kann hingegen unter unterschiedlichen äußeren Bedingungen Selbstbestimmung für das Individuum ermöglichen und auch unter Stress und Druck dem Individuum eine gewisse Selbstbestimmung erhalten. So kann sich ein Individuum auch innerhalb eines Rahmens ungünstiger äußerer Bedingungen innerlich die Möglichkeit erarbeiten, im Rahmen dieser äußeren Bedingungen eigene Entscheidungen zu treffen, eine eigene Sicht auf die Welt und sich selbst zu entwickeln sowie Urheber seines eigenen Lebens zu sein. Selbstbestimmung ist unter dieser Perspektive ein gradueller Begriff.148 Die erarbeitete bildungstheoretische Perspektive betrachtet Selbstbestimmung als interaktionalistische Konzeption, legt aber bei der Betrachtung der Bedingungen für Selbstbestimmung den stärkeren Fokus auf die internalistischen Aspekte von Selbstbestimmung. In der erarbeiteten Auffassung von Bildung, die an die transformatorische Bildungstheorie Marotzkis anschließt und dabei die umfassende Innenperspektive des Bildungssubjekts in den Mittelpunkt rückt, wird die Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses eines Individuums als Prozess verstanden, der vom Individuum

148 Vgl. Meyer 2011, 15.

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selbst aktiv gestaltet und gesteuert wird, aber auch abhängig von den äußeren Rahmenbedingungen ist. Selbstbestimmung wird damit als Prozess im Bildungssubjekt verstanden, der grundsätzlich im Spannungsfeld zwischen Fremd- und Selbstbestimmung stattfindet.149 In dieser Perspektive auf Bildung Selbstbestimmung als Konzept zu verstehen, das mehr die internalistischen Aspekte von Selbstbestimmung in den Mittelpunkt rückt, hängt auch damit zusammen, dass in diesen Bildungsprozessen die Erfahrungsverarbeitung des Bildungssubjekts und die damit einhergehende selbstbestimmte Einnahme eines veränderten Welt- und Selbstverhältnisses im Mittelpunkt steht, auch wenn externalistische Aspekte wie gesellschaftliche Gegebenheiten oder äußere Anlässe zur Initiierung von Bildungsprozessen betrachtet werden.150 Bildung zur Selbstbestimmung ist in diesem Verständnis auch ein Prozess, der von verschiedenen Ausgangssituationen starten kann und unterschiedliche Ergebnisniveaus zulässt. Eine bedeutende Konzeption, die sich mit der inneren Verfassung eines Individuums für Selbstbestimmung auseinandersetzt, die Dimension der äußeren Bedingungen dabei systematisch miteinbezieht und so Selbstbestimmung im Sinne der erarbeiteten bildungstheoretischen Perspektive expliziert, stellt die Self-Determination-Theory (im Folgenden SDT) dar. Diese Theorie soll im Folgenden vorgestellt werden.

6.4 Die Grundlagen von Selbstbestimmung aus der Perspektive der Self-Determination-Theory (SDT) Die SDT nähert sich dem Phänomen der Selbstbestimmung eines Individuums, indem sie die Struktur seiner Motivation in den Blick nimmt. Sie betrachtet, unter welchen Bedingungen ein Individuum einen selbstbestimmten Antrieb für seine Handlungen entwickelt und welche innere Verfassung einem Individuum Selbstbestimmung ermöglicht. Dabei geht die SDT von verschiedenen Grundannahmen aus:

149 Vgl. Borst 2014, 224–225; auf den relationalen Charakter von Selbstbestimmung wird auch in anderen Beiträgen zum bildungstheoretischen Diskurs um Selbstbestimmung hingewiesen (vgl. Meyer-Drawe 1990, 12, Schäfer 2005, 45–46 und 2016, 11–12, Lerch 2010, 124 und Meyer 2011, 15; vgl. darüber hinaus auch Kap. 2.3, 2.4 und 2.5). 150 Vgl. auch Kap. 4.

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»The starting point for SDT is the postulate that humans are active, growthoriented organisms who are naturally inclined toward integration of their psychic elements into a unified sense of self and integration of themselves into larger social structures. In other words, SDT suggests that it is part of the adaptive design of the human organism to engage interesting activities, to exercise capacities, to pursue connectedness in social groups, and to integrate intrapsychic and interpersonal experiences into a relative unity.«151 Zentrale Bestandteile dieser Grundannahmen der SDT – das organismischdialektische Grundverständnis des Menschen und seine intrinsische Motivation (Kap. 6.4.1), die Theorie psychologischer Grundbedürfnisse (Kap. 6.4.2) und die Theorie organismischer Integration (Kap. 6.4.3) – werden im Folgenden ausgeführt:

6.4.1 Organismisch-dialektisches Grundverständnis des Menschen und intrinsische Motivation Einen ersten Ausgangspunkt für die SDT bildet ihr organismisch-dialektisches Grundverständnis des Menschen.152 »Der organismische Ausgangspunkt besagt, dass Menschen aktive Organismen sind, die eine natürliche Tendenz zu psychologischem Wachstum haben.«153 In einem organismischen Verständnis des Menschen werden deshalb die inhärenten Anlagen des Menschen zum Wachstum, der Zusammenhalt der Persönlichkeitsteile und die Einheit der Persönlichkeit als anthropologische Merkmale in den Mittelpunkt gestellt sowie ein Streben nach der Verwirklichung der eigenen Möglichkeiten angenommen.154 Die SDT betont in ihrem organismischen Ausgangspunkt die offene Natur des Menschen und die organisierende Funktion der Psyche in der persönlichen Entwicklung eines Individuums.155 Als dialektische Theorie geht die SDT davon aus, dass sich ein Individuum in einem wechselseitigen Verhältnis mit seiner Umwelt befindet und entwickelt. »Mit dem Begriff dialektisch wird zum Ausdruck gebracht, dass die Prozesse des menschlichen Verhaltens und der menschlichen Entwicklung nicht allein von den internen Strukturen und Steuerungsprinzipien des Individuums 151 152 153 154 155

Deci/Ryan 2000, 229. Vgl. auch Deci/Ryan 1985, 8–9 und 1991, 238–245 sowie Ryan/Deci 2002, 3–6. Baumann 2009, 142; vgl. auch Krapp 2005, 632–633 und Riethmayer 2014, 96. Vgl. Kreuter-Szabo 1988, 23–24. Vgl. Ryan/Deci 2017, 50.

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bestimmt werden, sondern ebenso von den Bedingungen der jeweiligen Lebensumwelt.«156 Die Umgebung und im Besonderen das soziale Umfeld stellen die Grundlage dar, in dem sich ein Individuum entwickelt, und bilden somit einen bedeutenden Einflussfaktor für die Entwicklung eines Individuums. Innerhalb des organismisch-dialektischen Verständnisses des Menschen versteht die SDT die Person-Umwelt-Interaktion als einen proaktiven Prozess von Seiten des Individuums: »According to our perspective, a central feature of human nature is an active agency and a synthetic tendency that we ascribe to the self.«157 Ein Individuum setzt sich demzufolge aktiv und eigengesteuert mit seiner Umwelt auseinander, integriert Impulse der Umwelt in seine Persönlichkeit und nimmt sich dabei als kohärente Person wahr.158 Mit dem organismisch-dialektischen Verständnis des Menschen baut die SDT vor allem auf Annahmen der humanistischen Psychologie auf159 und schließt mit ihrem Subjektverständnis an die vorgestellte Auffassung vom Selbst William James’ an, welche das Selbst des Menschen dialektisch versteht und dem Subjektsein als organismischem Prinzip eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Selbst einräumt.160 »For us, self goes deeper than cognition – it is not a set of cognitive mechanisms and structures but rather a set of motivational processes with a variety of assimilatory and regulatory functions. In addition, the self does not simply reflect social forces; rather, it represents intrinsic growth processes whose tendency is toward integration of one’s own experience and action with one’s sense of relatedness to the selves of others.«161

156 157 158 159

Krapp 2005, 632–633; vgl. auch Baumann 2009, 142 und Riethmayer 2014, 96. Deci/Ryan 1991, 238. Vgl. Krapp 2005, 632–633. Vgl. Koole u.a. 2019; Deci und Ryan nennen bezüglich ihrer Bezugspunkte auf die humanistische Psychologie selbst vor allem die Theorien von Kurt Goldstein (vgl. Goldstein 1934) und Carl Rogers (Rogers 1963) (vgl. Ryan/Deci 2017, 47–49); für weitere psychologische Quellen ihrer Theorie vgl. Ryan/Deci 2017, 37–46 und Ryan/Deci 2002, 3–5. Für einen einführenden Überblick zum Menschenbild der humanistischen Psychologie vgl. Quitmann 1985 und Kreuter-Szabo 1988, vor allem 11–28. 160 Vgl. Ryan/Deci 2017, 51–53; vgl. auch Kap. 5.3. 161 Deci/Ryan 1991, 238.

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Im Zuge des organismisch-dialektischen Grundverständnisses des Menschen zeigt sich somit, dass die SDT neben dem Konzept der organismischen Integration162 grundlegend mit der Annahme einer intrinsischen Motivation im Menschen verbunden ist. Dem organismischen Verständnis des Menschen als aktives Lebewesen zufolge handelt ein Individuum intrinsisch motiviert, d.h. aus sich selbst heraus ohne einen äußeren Impuls dafür zu benötigen. »Intrinsically motivated activities were defined as those that individuals find interesting and would do in the absence of operationally separable consequences.«163 Intrinsisch motivierte Tätigkeiten zeichnen sich somit dadurch aus, »dass die Anreizquelle der intrinsischen Motivation im subjektiven Erleben des aktuellen Handlungsvollzugs liegt und nicht in den künftigen Folgen des angestrebten Handlungsergebnisses.«164 Die anziehende Kraft der Tätigkeit besteht für das Subjekt in der inhärenten Befriedigung durch den Handlungsvollzug und der Freude über die Tätigkeit und wird somit unabhängig von der externen Handlungsveranlassung durchgeführt.165 Intrinsische Motivation ist durch ihre Beschaffenheit grundlegend mit der Idee der psychologischen Grundbedürfnisse verbunden. So bezieht die

162 Vgl. Kap. 6.4.3. 163 Deci/Ryan 2000, 233. 164 Krapp 2005, 634; die Befriedigung der beiden psychologischen Grundbedürfnisse nach Wirksamkeit (competence) und Selbstbestimmung (autonomy) ist zwar essentiell für intrinsisch motivierte Handlungen (vgl. auch Krapp/Ryan 2002, 59), kann allerdings nicht als angestrebte »Belohnung« des Subjekts bei intrinsisch motiviertem Handeln verstanden werden, da das Handeln nicht auf diese Bedürfnisbefriedigung gerichtet ist und sie damit nicht den motivierenden Grund der Handlung darstellt (vgl. Deci/ Ryan 2000, 233). 165 Vgl. Krapp/Ryan 2002, 58–59; vgl. auch Deci/Ryan 2000, 233; externe Handlungsanreize können im Gegenteil intrinsische Motivation sogar vermindern oder aufheben, was auch als Korrumpierungseffekt bezeichnet wird: »Extrinsische Belohnungen (z.B. Sachbelohnungen) verringern die intrinsische Motivation für Tätigkeiten, d.h. Personen verlieren das Interesse an den Tätigkeiten und beschäftigen sich nicht mehr so lange oder gar nicht mehr freiwillig damit. Die intrinsische Motivation wird durch die Belohnung quasi ›korrumpiert‹. Personen haben nicht mehr das Gefühl, freiwillig zu handeln, und fühlen sich in ihrer Autonomie eingeschränkt.« (Baumann 2009, 146; vgl. auch Deci 1975, 129–158, Krapp/Ryan 2002, 60 und Ryan/Deci 2017, 124–128). Entscheidend dafür, ob Belohnung förderlich für intrinsische Motivation ist, ist, ob die Belohnung als kontrollierend oder als positiv informativ wahrgenommen wird (vgl. Baumann 2009, 146; vgl. auch Ryan/Deci 2017, 123–128).

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intrinsische Motivation ihre Kraft aus dem Streben danach, die eigenen psychologischen Grundbedürfnisse zu erfüllen, und fördert das Erleben der Befriedigung dieser Bedürfnisse intrinsische Motivation.166 Gleichzeitig bringen umgekehrt intrinsische Verhaltensweisen dieses Erleben der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse hervor.167 Auf das Konzept der psychologischen Grundbedürfnisse wird im Folgenden näher eingegangen.

6.4.2 Psychologische Grundbedürfnisse als Grundstruktur im Menschen In ihrer Grundannahme der psychologischen Grundbedürfnisse bezieht sich die SDT auf empirische Forschungen, die zeigen, dass bestimmte psychologische Grundbedürfnisse ausgemacht werden können. »[N]eeds specify innate psychological nutriments that are essential for ongoing psychological growth, integrity, and well-being.«168 In ihrer Beschreibung der Bedürfnisse eines Menschen unterscheidet sich die SDT von anderen Bedürfnistheorien grundlegend, was vor allem auf die organismisch-dialektische Grundausrichtung der Theorie zurückzuführen ist. Triebtheorien legen in ihrer Betrachtung der Bedürfnisse des Menschen ihren Fokus mehr auf die physiologischen als auf psychologischen Bedürfnisse und beschreiben Bedürfnisse vor allem als erlebtes Defizit, welchem gegenüber sich der Wunsch entwickelt, dass das Defizit ausgeglichen wird.169 Damit bildet in diesen Theorien die Rückkehr zum Ursprungs- bzw. Ruhezustand das Ziel der Bedürfnisbefriedigung, während in der SDT Bedürfnisse als positive Antriebe aufgefasst werden, die das Leben grundsätzlich umspannt.170

166 Vgl. Deci 1975, 54–59, Deci/Ryan 1991, 243, Deci/Ryan 1993, 229–230 und Deci/Ryan 2000, 232–233. 167 Vgl. Deci/Ryan 1993, 230. 168 Deci/Ryan 2000, 229; vgl. auch Ryan/Deci 2017, 82. 169 Als Beispiele sind hier die Theorien von Sigmund Freud (vgl. Freud 1915/1982) und Clark L. Hull (vgl. Hull 1943) zu nennen. 170 Vgl. Deci/Ryan 2000, 230; dieser Unterschied im Blick auf Bedürfnisse führte auch zu dieser weiterentwickelten Bedürfnistheorie. So konnte Hulls Theorie der physiologischen Bedürfnisse im Sinne von Trieben, welche die Erhaltung des eigenen Lebens antreiben, Phänomene wie neugieriges Auskundschaften und spontane Handlungen, die keine Verbindung zu physiologischen Trieben haben, nicht erklären. Dies bildete den Anlass, andere Erklärungsmodelle für dieses Verhalten zu finden (vgl. Deci/Ryan 2000, 228).

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Im Konzept der SDT wird zur Beschreibung der motivierenden Wirkung von Bedürfnissen keine Mangellage benötigt und zugrunde gelegt.171 »Psychologische Bedürfnisse sind permanent wirksam, [sic!] und es gibt keinen klar definierten Befriedigungspunkt, der – wie im Fall der biologischen Triebe – zwangsläufig zu einer Reduktion des Bedürfnisses führt. Vielmehr ist unter günstigen Lebensumständen sogar mit einer Erweiterung oder Intensivierung psychologischer Grundbedürfnisse zu rechnen.«172 Bedürfnisse weisen somit vielmehr den Weg, wie persönliches Wachstum und natürliche persönliche Interessen und Ziele erreicht werden können. Während in Triebtheorien die Bedürfnisbefriedigung das Ziel darstellt, ist sie in der SDT für das Individuum die Art und Weise, dem nachzugehen, was es für interessant und wichtig hält und was es erfüllt.173 Gegenüber anderen Theorien über psychologische Bedürfnisse, welche diese als erlernt bzw. sozialisiert konzipieren,174 werden psychologische Grundbedürfnisse in der SDT als angeborene und universelle Bedürfnisse aufgefasst, die eine grundsätzliche Struktur des Menschseins darstellen und kulturübergreifend festgestellt werden können.175 171 172

173 174

175

Vgl. Ryan/Deci 2017, 84. Krapp 2005, 631; vgl. auch Riethmayer 2014, 95; über diesen unterschiedlichen Blick auf Bedürfnisse hinaus geht die SDT außerdem davon aus, dass auch triebgesteuertes Verhalten von psychischen Prozessen reguliert wird (vgl. Deci/Ryan 2000, 230). Vgl. Deci/Ryan 2000, 230. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die Bedürfnistheorie Henry Alexander Murrays (vgl. Murray 1938/2007). Murray hat im Vergleich zur SDT darüber hinaus einen sehr weiten Bedürfnisbegriff (vgl. Murray 1938/2007, 123–124); zu Murrays Bedürfnistheorie vgl. auch Ryan/Deci 2017, 83. Vgl. Deci/Ryan 2000, 229–231; vgl. auch Baumann 2009, 142 und Ryan/Deci 2017 (88, 255–256 und 566–587). Die These, dass diese psychologischen Grundbedürfnisse kulturübergreifend sind, wird allerdings besonders in Bezug auf das Bedürfnis der Selbstbestimmung auch kritisiert (vgl. beispielhaft Markus/Kitayama 1991 und Iyengar/Lepper 1999). Es wird als westlicher Kulturbestand kritisiert und dabei die geringe Bedeutung von Selbstbestimmung im Sinne von Unabhängigkeit von Anderen in östlichen Kulturkreisen hervorgehoben. Allerdings stellt die SDT im Bedürfnis nach Selbstbestimmung weniger das Moment der Unabhängigkeit von anderen in den Mittelpunkt als vielmehr die Identifikation mit den Werten, auf welchen die Verhaltensweisen und deren Regulationsformen basieren und die grundlegend bei Internalisierungsprozessen sind (vgl. Baumann 2009, 147; vgl. zur Unterscheidung von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung auch Ryan u.a. 2016, 389–390). Die Erfüllung eines so

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Drei psychologische Grundbedürfnisse können dabei festgestellt werden: »the needs for competence, relatedness, and autonomy.«176 Das Bedürfnis nach Wirksamkeit (competence)177 nimmt auf das Gefühl Bezug, mit seinen eigenen Fähigkeiten und Talenten und in Verbindung mit der eigenen Umwelt wirksam in der Welt sein, sich ausdrücken und etwas bewirken zu können.178 Das Bedürfnis nach Verbundenheit (relatedness) bildet den Wunsch ab, sich zu Anderen zugehörig und mit ihnen verbunden zu fühlen, aber auch diese Verbundenheit von Anderen gegen über sich selbst zu erfahren.179 »Relatedness refers to both experiencing others as responsive and sensitive and being able to be responsive and sensitive to them – that is, feeling connected and involved with others and having a sense of belonging.«180 Auf das Bedürfnis nach Selbstbestimmung (autonomy) wurde bereits in seiner Bedeutung, Selbstbestimmung als Bildungsziel zu begründen, ausführlicher eingegangen.181 Das Bedürfnis bezieht sich auf den Wunsch, sich selbst als Au-

verstandenen Bedürfnisses nach Selbstbestimmung lässt sich kulturübergreifend als förderlich für das Wohlbefinden beobachten (vgl. Chirov u.a. 2003). Auch die kulturell unterschiedliche Art, wie diese Bedürfnisse erfüllt werden, steht nicht im Widerspruch zur These der kulturübergreifend feststellbaren psychologischen Grundbedürfnisse, sondern ist nur ein Ausdruck davon, welch unterschiedliche Formen die Bedürfniserfüllung annehmen kann (vgl. Chen u.a. 2015 und Ryan/Deci 2017, 88). 176 Deci/Ryan 2000, 229. 177 Competence wird im Deutschen oft mit Kompetenz wiedergegeben (vgl. Krapp 1993, 200, Baumann 2009, 142 oder Riethmayer 2014, 97), was einer Beschreibung des Bedürfnisses nicht gerecht wird, gerade wenn man unter Kompetenz die im bildungstheoretischen Kontext explizierte Bedeutung versteht, die erforderlichen Fähigkeiten zur Bewältigung einer Situation zeigen zu können (für eine genauere Beschreibung des Kompetenzbegriff im bildungstheoretischen Kontext vgl. Kap. 3.4). Als Bedürfnis steht der Aspekt des Erlebens, d.h. sich als kompetent und damit wirksam zu erleben, im Zentrum. Kompetenzerfahrung gibt als Übersetzung diesen Aspekt wieder, wobei Wirksamkeit als Begriff das Bedürfnis besser wiedergibt, da es weniger um das Erleben des Besitzens eines Fähigkeiten- und Fertigkeitenkanons geht als um die Erfahrung, etwas zu bewirken. 178 Vgl. Ryan/Deci 2017, 86; vgl. auch Krapp/Ryan 2002, 72. 179 Für eine nähere Betrachtung des Bedürfnisses nach Verbundenheit lohnt sich auch eine genauere Betrachtung der SDT-Mini-Theorie Relationships Motivation Theory (vgl. beispielsweise Ryan/Deci 2017, 293–316). 180 Ryan/Deci 2017, 86. 181 Vgl. Kap. 6.1.3.

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tor seiner Handlungen zu erleben und das eigene Handeln selbst regulieren zu können.182 Selbstbestimmung nimmt im Rahmen der psychologischen Grundbedürfnisse eine besondere Stellung ein, weil sie auch für die Erfüllung der anderen beiden psychologischen Grundbedürfnisse eine zentrale Rolle spielt: »Support for autonomy plays a particularly key role. This is evident in the fact that although support for relatedness and competence may foster the internalization of a behavior (i.e., one’s adoption of a regulation or value), these supports by themselves are not enough to promote integration, which is a process necessary for true self-regulation.«183 So ist die Erfüllung des Bedürfnisses nach Wirksamkeit und nach Verbundenheit immer damit verbunden, auch selbstbestimmt in dieser Bedürfniserfüllung zu sein und zu handeln.184 Die einzelnen psychologischen Grundbedürfnisse können bei Individuen unterschiedlich stark ausgeprägt und hervorstechend sein, aber jedes einzelne Bedürfnis ist unabhängig von seiner Stärke entscheidend für die persönliche Entwicklung eines Individuums.185 Eine Nichterfüllung jedes einzelnen psychologischen Grundbedürfnisses behindert die persönliche Entwicklung und das betroffene Individuum zeigt weniger Willenskraft, gesteigerte wahrgenommene innere Fragmentierung und vermindertes Wohlbefinden.186 Die Erfüllung aller psychologischen Grundbedürfnisse spielt auf diese Weise eine zentrale Rolle dabei, a) personales Wachstum zu ermöglichen, b) Wohlbefinden zu erzeugen und c) persönliche Integrität zu gewährleisten. a) In einer persönlichen Entwicklung, die im Einklang mit den psychologischen Grundbedürfnissen steht, ist das Individuum keinem Bedürfnisdruck ausgesetzt, sondern kann beim persönlichen Wachsen der eigenen Neugierde und spontanen Aktivität Raum geben, um den eigenen inneren Impulsen nachzugehen, anstatt fremden zu folgen.187 182 183 184 185 186

187

Vgl. Krapp/Ryan 2002, 72 und Ryan/Deci 2017, 86. Schultz/Ryan 2015, 85; vgl. auch Ryan/Deci 2017, 97 und 246–247. Vgl. Ryan/Deci 2017, 246–247. Vgl. Ryan/Deci 2017, 242. Vgl. Ryan/Deci 2017, 86; vgl. auch Deci/Ryan 2000, 229 und Krapp/Ryan 2002, 72; für die Folgen der Nichterfüllung des Bedürfnisses nach Selbstbestimmung vgl. im Besonderen Ryan u.a. 2016, 414. Vgl. Ryan/Deci 2017, 99.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

b) In Übereinstimmung mit den eigenen psychologischen Grundbedürfnissen zu leben ermöglicht es einem Individuum außerdem, den eigenen Werten und Zielen gemäß leben zu können und so ein ausdauerndes und qualitatives Wohlbefinden zu erreichen.188 Dieses Wohlbefinden ist dabei nicht hedonistisch als einfaches Vorhandensein positiver Gefühle zu verstehen, sondern eudaimonistisch als Wohlbefinden aufzufassen, in dem diese positiven Gefühle aus einem Leben und Handeln in Übereinstimmung mit den persönlichen Werten, Bedürfnissen und Zielen heraus entstehen. Ein eudaimonistisch verstandenes Wohlbefinden basiert außerdem darauf, sich selbst und der Welt gewahr zu sein, sich selbst regulieren zu können sowie seine eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten entfalten zu können.189 Ein solches Wohlbefinden beinhaltet eine andere Qualität als hedonistisch verstandenes Wohlbefinden, da es nicht durch beliebige positive Gefühle hervorrufbar ist, sondern diese Gefühle zur Grundlage haben muss, was das Individuum ausmacht. Ein eudaimonistisch verstandenes Wohlbefinden erhält seine Kraft damit aus einer Quelle, die nicht wie bei hedonistisch verstandenem Wohlbefinden immer wieder erneuert werden muss, sondern aus dem Individuum selbst kommt, dauerhaft erhalten bleibt und somit ausdauernd und nachhaltig ist.190 c) Die Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse ermöglicht darüber hinaus eine Integration äußerer Impulse aus der Umwelt, welche die Integrität des Individuums wahrt und die Selbstbestimmung des Individuums vergrößert. Eine Internalisierung, in welcher ein Individuum seine Werte, Ziele und Bedürfnisse berücksichtigt, stellt sicher, dass die Übernahme äußerer Impulse nicht nach fremdbestimmenden Maßstäben abläuft, das Individuum Autor seiner selbst bleibt und so persönliche Integrität gewahrt wird.191 Die Beschreibung der positiven Auswirkungen durch die Erfüllung psychologischer Grundbedürfnisse verdeutlicht ihre Bedeutung und unterstreicht, wie wichtig es ist, die Bedingungen dafür herzustellen. Für diese Erfüllung sind

188 Vgl. Ryan/Deci 2017, 100–101. 189 Vgl. Ryan/Deci 2017, 239–241. 190 Vgl. Ryan/Deci 2001, Ryan u.a. 2008 und Ryan u.a. 2013; vgl. auch Ryan/Deci 2017, 239–241. 191 Vgl. Ryan/Deci 2017, 99–100.

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zum einen äußere Umstände ausschlaggebend,192 zum anderen kann das Individuum aber auch selbst großen Einfluss auf diesen Prozess nehmen. So stellen zum einen die Räume, Möglichkeiten ergreifen, eigene Fähigkeiten entwickeln und diese zeigen zu können, wichtige äußere Umstände für das Individuum dar, um die eigene Wirksamkeit erleben zu können. Darüber hinaus ist eine passende soziale Umwelt, in der Verbundenheit erlebt und gelebt werden kann, ein wichtiges Element, das oft nicht in der Hand des Individuums liegt. Auch für Selbstbestimmung gibt es, wie bereits dargestellt,193 ermöglichende äußere Umstände, die vorgefunden werden müssen und ohne die ein Individuum allein nicht in der Lage ist, die Bedingungen für Selbstbestimmung herzustellen. Zum anderen ist aber auch das Individuum selbst in der Lage, zur Bedürfnisbefriedigung einen wichtigen Beitrag leisten, auch wenn, und gerade dann, wenn die äußeren Umstände nicht günstig für die Bedürfnisbefriedigung sind.194 Durch die Aktivierung der eigenen persönlichen Ressourcen, offen die Welt und sich selbst genau wahrzunehmen und sich der gegenwärtigen inneren und äußeren Vorgänge bewusst zu werden, kann ein Individuum die eigenen Bedürfnisse genauer wahrnehmen und selbstreguliert handeln, wie die Auswirkungen von Achtsamkeitstraining zeigen. Durch diese Nutzung der eigenen Ressourcen kann ein Individuum die Möglichkeitsräume besser erkennen und ergreifen, sich als wirksam zu erleben, ist es eher in der Lage, auf die Gestaltung der eigenen sozialen Welt entscheidend Einfluss zu nehmen, und kann es selbstbestimmter im Einklang mit den eigenen Werten und Bedürfnissen handeln.195 Die Bedeutung des Beitrags des Individuums zur Bedürfnisbefriedigung zeigt, dass nicht nur die reine Befriedigung des Bedürfnisses, sondern auch die Art und Weise, wie dies geschieht, eine entscheidende Rolle spielt. Diese Leistung des Individuums ist auch bei der organismischen Integration zentral, die nun erläutert wird.

192 Vgl. Deci/Ryan 2000, 229–230. 193 Vgl. Kap. 6.3.2. 194 Vgl. Ryan/Deci 2017, 266; vgl. auch Ryan u.a. 2012; der Hinweis auf die inneren Ressourcen des Individuums soll nicht außer Acht lassen, dass es auch äußere Umstände gibt, bei denen selbst die Nutzung innerer Ressourcen keine Bedürfnisbefriedigung zulässt. 195 Vgl. Ryan/Deci 2017, 268; vgl. auch Deci/Ryan 1980 und Kap. 5.5.2.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

6.4.3 Organismische Integration und Motivation Die organismische Integration stellt das zentrale Element in der organismischdialekti-schen Grundausrichtung der SDT dar, welches das persönliche Wachstum und die Übernahme von Einflüssen aus der Umwelt zu einem einheitlichen Grundprinzip verbindet. Sie ist ein natürlicher Prozess des persönlichen Wachstums, in welchem ein Individuum Werte, Überzeugungen und Arten der Verhaltensregulation von einer externen Quelle nimmt und sich zu eigen macht und diese dabei Teil seiner Persönlichkeit werden.196 Ein Verhalten eines Individuums, welches durch diese internalisierten äußeren Impulse angetrieben wird, ist dann extrinsisch motiviert. In diesem Internalisierungsprozess kann ein Individuum die äußeren Impulse unterschiedlich in sich integrieren und empfindet entsprechend der jeweiligen Art der Internalisierung diese verschieden stark als eigene Werte, eigene Überzeugung oder eigene Verhaltensregulation. »Thus, when a regulation that was originally socially transmitted has been fully internalized, it will largely be in harmony or congruence with other aspects of one’s values and personality, and enacting it will be experienced as autonomous.«197 Zentral für eine vollständige Internalisierung äußerer Impulse ist dabei, dass der Internalisierungsprozess einer selbstbestimmten Regulation unterliegt, der Ort der Verursachung der Internalisierung als intern wahrgenommen wird198 und das Individuum diesen Prozess der Internalisierung somit als selbstbestimmt wahrnimmt.199

196 Vgl. Ryan/Deci 2017, 180; vgl. auch Deci/Ryan 1991, 240–245, Krapp 2005, 632–633 und Ryan/Deci 2017, 29–37. Die Erfüllung der eigenen psychologischen Grundbedürfnisse stellt dabei einen wichtigen Grund für einen Internalisierungsprozess dar (vgl. Ryan/ Deci 2017, 182–183). 197 Ryan/Deci 2017, 182; vgl. auch Baumann 2009, 144. 198 Das Konzept des wahrgenommenen Ortes der Handlungsverursachung (PLOC, perceived locus of causality) geht auf Richard de Charms (DeCharms 1968) zurück, der auf Arbeiten Fritz Heiders (vgl. Heider 1958) aufbaut (vgl. auch Ryan/Deci 2017, 64–70). 199 Vgl. Ryan/Deci 2017, 183–184.

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Vier verschiedene extrinsisch motivierte Regulationsarten200 lassen sich bei der Internalisierung von äußeren Impulsen unterscheiden und stellen ein Kontinuum von fremdbestimmt bis selbstbestimmt dar: a) externale Regulation, b) introjizierte Regulation, c) identifizierte Regulation und d) integrierte Regulation:201 a) Als externale Regulation wird die fremdbestimmte Internalisierung von äußeren Impulsen bezeichnet. »Auf der Stufe der externalen Regulation sieht eine Person ihr eigenes Verhalten als ausschließlich durch externe ›Kontingenzen‹ wie Belohnung oder Strafe ›verursacht‹.«202 Der Grund für die Einnahme einer Werthaltung und Überzeugung oder das Zeigen eines Verhaltens liegt somit vollkommen außerhalb der Person. Ohne die externe motivierende Kraft würde das Individuum aufhören so zu handeln.203 Durch diese Art der Internalisierung werden äußere Impulse deshalb nicht dauerhaft und nachhaltig verankert.204 Darüber hinaus zeichnet sich externale Regulation in der Regel durch eine negative Erlebensqualität, geringes Wohlbefinden und unangenehme Gefühle wie Distanz zu sich selbst und Angst aus.205 b) In der introjizierten Regulation werden äußere Impulse aus einem eigenem Antrieb heraus in sich selbst integriert, bleiben allerdings weiter stark mit Belohnung und Bestrafung von außen verbunden, sodass diese Regulationsform oft mit innerem Druck verbunden ist206 und innere Impulse sich als fremd anfühlen.

200 Auch eine selbstbestimmte Internalisierung von äußeren Impulsen stellt eine extrinsische, wenn auch selbstbestimmte Regulationsform dar. »Von ›extrinsisch‹ ist die Rede, wenn eine Handlung nicht ausschließlich wegen ihrer intrinsischen Befriedigung ausgeübt wird, sondern wegen der mit der Handlung erzielbaren Folgen, die außerhalb des eigentlichen Handlungsvollzugs liegen.« (Krapp/Ryan 2002, 61) In diesem Aspekt unterscheidet sich extrinsisch von intrinsisch motivierter Regulation grundlegend, deren Anreiz im Erleben des Handlungsvollzugs selbst liegt (vgl. Krapp 2005, 634). Von extrinsischer und intrinsischer Motivation ist Amotivation zu unterscheiden, in der keine intentionale Regulation des Verhaltens stattfindet und nicht-intentional gehandelt wird (vgl. Ryan/Deci 2017, 190–191 und 193). 201 Zu den extrinsischen Regulationsformen insgesamt vgl. auch Deci/Ryan 2000, 236–237, Baumann 2009, 144 und Ryan/Deci 2017, 184–189 sowie zur Übersicht S. 193. 202 Krapp/Ryan 2002, 61. 203 Vgl. Ryan/Deci 2017, 184–185. 204 Vgl. Ryan/Deci 2017, 185. 205 Vgl. Krapp/Ryan 2002, 61. 206 Vgl. Baumann 2009, 144.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

»Auf dieser Ebene der Handlungsregulation strengt sich eine Person an, um vor sich selbst gut ›dazustehen‹. Sie möchte ein gutes Gefühl gegenüber den eigenen normativen Verpflichtungen haben. Im alltäglichen Sprachgebrauch spricht man von Vermeidung eines ›schlechten Gewissens‹.«207 Bei introjizierter Regulation ist oft eine druckerzeugende Form der Anerkennung von Anderen oder des Gefühls der sozialen Eingebundenheit dabei involviert, sich Handlungsziele aus dem eigenen Umfeld zu eigen zu machen.208 Diese Art der Internalisierung äußerer Impulse stellt einen Prozess dar, in der ein Individuum eher von außen kontrolliert wird als selbstbestimmt handelt. Der Ort der Verursachung der Internalisierung wird als eher extern wahrgenommen. Introjizierte Regulation geht so mit geringem Wohlbefinden und geringer dauerhafter Wirkungskraft einher. Ein höherer selbstbestimmender Anteil in der Internalisierung bringt somit nicht unbedingt einen positiven Effekt mit sich.209 Ein Handeln nach introjizierten Werten, Überzeugungen und so erworbener Verhaltensregulation kann nicht als selbstbestimmt bezeichnet werden.210 c) Die identifizierte Regulation, in der ein Individuum äußere Impulse durch Identifikation mit ihnen internalisiert, stellt eine selbstbestimmtere Regulationsart im Kontinuum von fremdbestimmter zu selbstbestimmter Regulation von Internalisierung dar. »Identifications are defined by a conscious endorsement of values and regulations.«211 Die Internalisierung stellt somit einen Prozess dar, hinter dem eine freiwillige Handlung des Individuums steht:212 »Die Person befasst sich mit einer Sache deshalb, weil sie diese für persönlich bedeutsam erachtet. Der Schlüssel zum Verständnis der identifizierten 207 Krapp/Ryan 2002, 62; Introjektionen gehen oft mit einem bedingten Selbstwertgefühl (contingent self-esteem) einher, bei dem der Selbstwert von äußeren Bewertungen oder eigenen Zielen abhängig ist, die andere für mich bestimmt haben (vgl. Deci/Ryan 2000, 236; vgl. auch im Unterschied zu wahrem Selbstwertgefühl (true self-esteem) Ryan/Brown 2006, 125–126 und Harter 2012, 347–348). Wenn durch eine solche Introjektion bei einer Zielverfolgung die Bestätigung des eigenen bedingten Selbstwertgefühls einen zentralen Antrieb darstellt, wird dies auch als ego-involvement bezeichnet (vgl. Ryan 1982; vgl. auch Ryan u.a. 1985, 26). 208 Vgl. Krapp/Ryan 2002, 62; vgl. auch Ryan/Deci 2017, 186. 209 Vgl. Ryan/Deci 2017, 186–187. 210 Vgl. Deci/Ryan 1991, 238. 211 Ryan/Deci 2017, 187. 212 Vgl. Baumann 2009, 144 und Ryan/Deci 2017, 188.

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Handlungsregulation ist der persönliche Wertbezug. Die Handlung richtet sich auf etwas, wovon die Person innerlich überzeugt ist.«213 Durch das Vorhandensein dieses persönlichen Wertbezugs wandert der wahrgenommene Ort der Internalisierungsverursachung mehr nach innen. Durch identifizierte Regulation motiviertes Verhalten zeichnet sich im Vergleich zu fremdbestimmt motiviertem Verhalten durch weniger Energiebedarf, höhere Stabilität und längere Ausdauer aus.214 d) Die integrierte Regulation stellt einen Internalisierungsprozess dar, in dem das Individuum den äußeren Impuls selbstbestimmt und vollständig in sich integriert. »Die integrierte Handlungsregulation hat zur Voraussetzung, dass sich eine Person mit einem Aufgabengebiet nicht nur persönlich identifiziert, sondern die damit verbundenen Ziele zusätzlich in das Gesamtsystem der persönlichen Wertbezüge eingeordnet hat. Das ist der tiefere Sinn der Feststellung, dass eine Person in diesem Fall völlig ›authentisch‹ handelt.«215 Bei integrierter Regulation stimmen die zu internalisierenden äußeren Impulse mit den psychologischen Grundbedürfnissen überein; eigene Werte, Überzeugungen oder bestehende Arten der Verhaltensregulation werden möglicherweise sogar an diese äußeren Impulse angepasst. Integrierte Regulation beinhaltet deshalb meist auch eine achtsame Haltung und höherstufige Reflexion.216 Die vollständig integrierten Werte, Überzeugungen und Arten der Verhaltensregulation nimmt ein Individuum vollkommen als eigene wahr, das Handeln auf dieser Basis erzeugt hohes Wohlbefinden und das Verhalten ist von sehr großer Ausdauer.217 Integrierte Regulation stellt somit einen Weg dar, in dem extrinsisch motivierte in selbstbestimmte Handlungen umgewandelt werden können,218 auch

213 214 215 216 217 218

Krapp/Ryan 2002, 62. Vgl. Ryan/Deci 2017, 187. Krapp/Ryan 2002, 63. Vgl. Schultz/Ryan 2015, 83. Vgl. Ryan/Deci 2017, 188–190 und 208. Vgl. Baumann 2009, 144; es wird mit dieser Annahme auf die SDT bezugnehmend davon ausgegangen, dass auch extrinsisch motiviertes Verhalten selbstbestimmt sein kann. »Behaviors that either are intrinsically motivated or stem from well-integrated

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

wenn sich selbstbestimmtes extrinsisch motiviertes Handeln von intrinsisch motiviertem Handeln in einigen Punkten grundsätzlich unterscheidet.219 Im Kontinuum von externaler bis integrierter Regulation nimmt das Maß der wahrgenommenen Fremdbestimmung ab und der wahrgenommene Ort der Internalisierungsverursachung wird immer mehr nach innen verlegt.220 Die eigenen Handlungen werden so zunehmend als selbstbestimmt wahrgenommen. Die Zunahme der wahrgenommenen Selbstbestimmung bringt dabei bedeutende positive Effekte mit sich. So zeigt ein Individuum mit zunehmendem Grad an erlebter Selbstbestimmung eine positivere Erlebnisqualität, höhere Ausdauer im Verhalten, bessere Qualität der Handlungsergebnisse, größere Wirksamkeit durch das eigene Handeln, ein gesteigertes Wohlbefinden und bessere psychische Gesundheit.221 Die Darstellung der Arten der Internalisierung zeigt, wie wichtig eine gelingende Internalisierung ist, um als Individuum selbstbestimmt zu sein und das eigene Leben positiv gestalten zu können. Das Gelingen des Prozesses der Internalisierung ist dabei auf äußere und innere Bedingungen angewiesen. So nehmen äußere Bedingungen, welche gerade die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse fördern sowie die wahrgenommene Selbstbestimmung in diesem Prozess erhöhen, eine wichtige unterstützende Rolle dabei ein, dass äußere Impulse selbstbestimmter und damit besser und umfassender integriert werden.222 Aber auch für die Herstellung der erforderlichen inneren Bedingungen, offen und genau wahrzunehmen, was in der Welt und in sich selbst vorgeht, und selbstreguliert handeln zu können, kann ein Individuum selbst einen zentralen Beitrag zur gelingenden Integration äußerer

personal values and regulatory processes can, we argue, be described as self-determinated« (Deci/Ryan 1991, 238). 219 Intrinsisch motiviertes Handeln entsteht spontan aus dem Individuum selbst heraus und drückt das persönliche Interesse des Individuums aus, während extrinsisch motiviertes Verhalten, das selbstbestimmt ist, von außen initiiert ist. Dadurch hat intrinsisch motiviertes Verhalten eine andere Qualität an Flexibilität und Willenskraft. Darüber hinaus liegt der motivierende Anreiz bei intrinsisch motiviertem Handeln im Vollzug der Handlung selbst, während extrinsisch motiviertes Handeln durch die folgende Belohnung motiviert ist (vgl. Ryan/Deci 2017, 198; vgl. auch Deci/Ryan 1993, 228). 220 Vgl. Krapp/Ryan 2002, 63. 221 Vgl. Krapp/Ryan 2002, 63–64 und Ryan/Deci 2017, 208; diese Effekte zeigen sich in den verschiedensten Lebensbereichen wie z.B. Politik, Bildung, Sport, Gesundheit und Religion sowie über unterschiedliche Kulturen hinweg (vgl. Baumann 2009, 145). 222 Vgl. Ryan/Deci 2017, 202–206.

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Impulse leisten.223 Diese äußeren und inneren Bedingungen für Selbstbestimmung stellen nicht nur bei Prozessen der organismischen Integration, sondern insgesamt bei der Betrachtung der SDT und für Selbstbestimmung im Gesamten224 einen zentralen Aspekt dar.

6.4.4 Das Selbstbestimmungskonzept der SDT Im Zuge der Darstellung der Grundlagen von Selbstbestimmung aus der Perspektive der SDT wurde ausgehend vom organismisch-dialektischen Grundverständnis des Menschen in der SDT gezeigt, dass es für die Selbstbestimmung und psychische Gesundheit eines Individuums elementar ist, dass es der eigenen intrinsischen Motivation nachgehen, die eigenen psychologischen Grundbedürfnisse erfüllen und äußere Impulse selbstbestimmt integrieren kann. Die dafür erforderlichen Bedingungen, diese zentralen Komponenten von Selbstbestimmung als Individuum zu erfüllen und leben zu können, liegen sowohl außerhalb225 als auch innerhalb des Individuums. Mit diesem Selbstbestimmungskonzept expliziert die SDT damit die zuvor dargestellte Skizzierung von Selbstbestimmung. So entfaltet die SDT ihre Perspektive auf Selbstbestimmung aus einer erstpersonalen Perspektive auf Selbstbestimmung heraus, wenn sie untersucht, wie sich ein Individuum zu einem gesunden und selbstbestimmten Menschen entwickeln kann. Dabei unterstreicht die SDT die Kontroll- und Authentizitätsbedingungen für Selbstbestimmung, dass ein Individuum die Bestimmung von sich selbst steuern kann und diese Bestimmung auch Ausdruck der Werte und Überzeugungen des Individuums selbst ist. Die Selbstbestimmungskonzeption verdeutlicht in diesem Zuge, dass ein Individuum sowohl auf äußere Bedingungen angewiesen ist als auch innere Bedingungen herstellen kann und muss, um Selbstbestimmung zu erreichen. So ist die Aufrechterhaltung der intrinsischen Motivation, das Erfüllen der psychologischen Grundbedürfnisse und das Gelingen der organismischen Integration sowohl auf günstige Umstände als auch den aktiven Beitrag des Individuums angewiesen. Im Prozess der Selbstbestimmung spielen dann durch das organismisch-dialektische Grundverständnis des Menschen die Bedingungen innerhalb des Individuums eine besonde-

223 Vgl. Deci u.a. 2015, 117–118; vgl. auch Hodgins/Knee 2002, 88. 224 Vgl. Kap. 6.2 und 6.3. 225 Zur vertiefteren Betrachtung der äußeren Bedingungen für Selbstbestimmung in unterschiedlicher Hinsicht vgl. auch Ryan/Deci 2017, 319–381 und 561–615.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

re Rolle, da von einem aktiven und steuernden Subjekt ausgegangen wird, das proaktiv die Person-Umwelt-Interaktion gestaltet. Das Selbstbestimmungskonzept der SDT liefert somit eine passende und umfangreiche Beschreibung und Analyse von Selbstbestimmung als Entwicklungsziel eines Individuums, wie es auch in der erarbeiteten Auffassung von Bildung als Zieldimension formuliert wird. Zur Erläuterung, wie das Selbstbestimmungskonzept der SDT zur erarbeiteten Auffassung von Bildung passt, wird im Folgenden auf die allgemeine Diskussion der SDT im Kontext von Bildung eingegangen, bevor sie unter der erarbeiteten Perspektive von Bildung betrachtet wird.

6.5 Das Selbstbestimmungskonzept der SDT im Kontext von Bildung 6.5.1 Der Einfluss von Eltern und Bildungsinstitutionen auf das Gelingen von Bildungsprozessen aus der Perspektive der SDT Im Kontext von Bildung werden die Forschungsergebnisse der SDT aus vielfältigen Perspektiven aufgenommen. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt dabei darauf, welche Schlussfolgerungen und Fragestellungen sich aus den Ergebnissen der SDT für das Umfeld Heranwachsender ergeben.226 Im Kontext von Bildung wurde dabei ausführlich diskutiert, welche äußeren Bedingungen im Lichte der SDT für gelingende Bildungsprozesse eines Individuums förderlich sind und welchen Beitrag das Umfeld von Kindern und Jugendlichen dazu leisten kann. Unter dieser Perspektive werden vor allem die Bedingungen betrachtet, welche a) Eltern227 schaffen und b) in Bildungsinstitutionen228 hergestellt werden können, um die positive Entwicklung und Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen zu fördern. a) Eltern können vor allem dadurch eine positive Entwicklung und die Selbstbestimmung ihrer Kinder fördern, indem sie a1) selbstbestimmungsun-

226 Vgl. auch Riethmayer 2014, 101. 227 Für eine Übersicht vgl. Ryan/Deci 2017, 319–350. 228 Für eine Übersicht vgl. Deci/Ryan 1993, 232–236 und Ryan/Deci 2017, 351–381.

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terstützend auf ihre Kinder einwirken, a2) ihnen Struktur geben und a3) eine persönliche Anteilnahme (involvement) am Leben ihrer Kinder zeigen.229 a1) In zahlreichen Studien konnte festgestellt werden, dass Kinder von Eltern, welche die Selbstbestimmung ihrer Kinder unterstützen, eine selbstbestimmtere Motivation, mehr positives Engagement in der Schule, bessere Leistungen, eine bessere psychische Gesundheit und ein höheres Wohlbefinden zeigen.230 a2) Darüber hinaus zeigte sich, dass Eltern ihre Kinder dabei unterstützen, sich als wirksam zu erleben, wenn sie ihnen Struktur geben. Die von Eltern vorgegebene Struktur kann als klare und konsistente Richtlinie, Erwartung und Regel für das Verhalten beschrieben werden.231 »[S]tructure entails the transmission of information and direction that provides the scaffolding to support and enhance the child’s competence development. Structure, that is, facilitates the children’s capacities to safely and confidently gain mastery with respect to both their internal and external worlds.«232 Die gegebene Struktur ermöglicht es den Kindern, ein Gefühl für den Zusammenhang von Handlung und der daraus folgenden Wirkung zu entwickeln, sodass diese lernen, ihr eigenes Handeln zielgerichteter für das Erreichen ihrer angestrebten Ziele einzusetzen.233 Durch Struktur werden damit wichtige Gelingensbedingungen hergestellt, um Aufgaben meistern und selbstreguliert, also selbstbestimmt handeln zu können.234 a3) Mit ihrer persönlichen Anteilnahme am Leben ihrer Kinder sorgen Eltern dafür, dass das Bedürfnis nach Verbundenheit ihrer Kinder erfüllt ist und sie sich grundsätzlich in ihrem Leben unterstützt fühlen. Die persönliche Anteilnahme der Eltern umfasst eine tatsächliche Teilnahme und Teilhabe von Eltern am Leben ihrer Kinder, die vor allem durch Aufmerksamkeit und Fürsorge der

229 Vgl. Ryan/Deci 2017, 319; vgl. auch Grolnick/Ryan 1989 und Ryan u.a. 2016, 391–394; dieser unterstützendende Beitrag von Eltern lässt sich in allen Entwicklungsphasen von Kindern und Jugendlichen von der frühen Kindheit bis zum frühen Erwachsenenalter beobachten (vgl. Grolnick 2009). 230 Vgl. Ryan/Deci 2017, 320; vgl. auch Ryan u.a. 2016, 396–399. 231 Vgl. Grolnick/Ryan 1989, 144. 232 Ryan/Deci 2017, 320. 233 Vgl. Grolnick/Ryan 1989, 144. 234 Vgl. Ryan/Deci 2017, 326–327.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

Eltern gegenüber ihren Kindern geprägt ist. »Involvement concerns the parents’ dedication of resources to the children, including attention and engaged caring, provisions that allow the children to feel both relationally connected and emotionally supported as they face the challenges of development.«235 Die persönliche Anteilnahme der Eltern kann auch als Interesse am Kind, Kennen des Kindes und Übernahme einer aktiven Rolle im Leben des Kindes beschrieben werden.236 Mit diesen drei Aspekten gemeinsam, die durchaus auch in Spannung zueinander stehen, fördern Eltern vor allem, dass die psychologischen Grundbedürfnisse nach Selbstbestimmung, Wirksamkeit und Verbundenheit ihrer Kinder erfüllt werden und so eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung initiiert wird.237 Eine derartige Förderung der eigenen Kinder bewirkt, dass sich in der Folge auch ihre intrinsische Motivation natürlich entwickelt und ihnen die Integration äußerer Impulse besser gelingt. b) Bildungsinstitutionen, insbesondere Schulen,238 und die dort Lehrenden spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, eine positive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen und ihre Selbstbestimmung zu fördern, aber gleichzeitig auch das Lernen und Erreichen von Lernzielen zu begleiten.239 Um ihren Beitrag zu diesen Zielen leisten zu können, ist es wichtig, dass sich Bildungsinstitutionen nicht als Lernfabrik verstehen, sondern diese ein Verständnis dafür entwickeln, dass sie die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen als Persönlichkeiten beeinflussen und einen zentralen Entwicklungskontext für sie bilden.240 Unter dieser Perspektive können sich Bildungsinstitutionen florishing students als Ziel setzen: »By flourishing we mean becoming motivated, vital, resourceful, and fully functioning adults. Flourishing individuals feel both empowered and confident in their

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Ryan/Deci 2017, 320. Vgl. Grolnick/Ryan 1989, 144. Vgl. Ryan/Deci 2017, 320–321; vgl. auch Grolnick 2009. Der Einfluss von Bildungsinstitutionen und Lehrenden wird meist unter dem Stichwort der Schule behandelt, auch wenn die Aspekte auf andere Bildungsinstitutionen übertragbar sind, weil die meisten Studien und Beobachtungen im schulischen Umfeld stattfinden. 239 Vgl. Reeve 2002; auch Eltern haben einen bedeutenden Einfluss auf die Lernmotivation, das Lernverhalten und die Lernergebnisse ihrer Kinder (vgl. Ryan/Deci 2017, 261–263). 240 Vgl. Ryan/Deci 2017, 353.

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learning and problem solving and feel a sense of belonging to their schools and their larger human community.«241 b1) Lehrende in Bildungsinstitutionen können zum Erreichen dieses Ziels einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie selbstbestimmungsunterstützend auf die Lernenden einwirken.242 So ist altersstufenübergreifend und über verschiedene Kulturen hinweg festzustellen, dass die Unterstützung der Selbstbestimmung durch die Lehrenden das Engagement, die Leistung und die Erfahrungsqualität der Lernenden verbessert.243 Lehrende können selbstbestimmungsunterstützend wirken, indem sie beispielsweise das Bemühen von Lernenden bestärken, ihnen Zeit für eigenständiges Arbeiten geben oder ihre Fragen, Kommentare und Erfahrungen aufmerksam aufnehmen und auf sie eingehen.244 Eine derartige Unterstützung trägt vor allem dazu bei, dass zum einen die intrinsische Lernmotivation der Lernenden bewahrt und gefördert wird und zum anderen die Lernenden Werte, die für einen langfristigen Lernerfolg entscheidend sind, integrieren.245 Die Erhaltung und Förderung der intrinsischen Lernmotivation ist dabei deshalb von zentraler Bedeutung, weil diese viele unterschiedliche Faktoren wie die kognitive Entwicklung, das Engagement, die Lernergebnisse und das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen beim Lernen positiv beeinflusst.246 Lehrende können durch das Vermeiden von Kontrolle, das Verständnis für den

241 Ryan/Deci 2017, 354. 242 Für einen aktuellen Überblick dazu vgl. Reeve/Cheon 2021. 243 Vgl. Ryan/Deci 2017, 351; insgesamt ist die Unterstützung aller psychologischen Grundbedürfnisse durch Lehrende wichtig, um eine positive Entwicklung und Bildungserfolg zu fördern (vgl. Niemiec/Ryan 2009, 134–140 und Ryan/Deci 2020); so tragen vor allem ein optimaler Grad an Herausforderung beim Lernen, informatives Feedback und zwischenmenschliche Anteilnahme dazu bei, dass auch die Bedürfnisse der Lernenden nach Wirksamkeit und Verbundenheit befriedigt werden (Deci/Ryan 1994). Allerdings gilt für die Befriedigung beider Bedürfnisse bei Kindern und Jugendlichen, wie schon für Erwachsene ausgeführt (vgl. Kap. 6.4.2), dass immer auch das Bedürfnis nach Selbstbestimmung befriedigt sein muss (vgl. Deci u.a. 1991, 334). Darüber hinaus wurde außerdem festgestellt, dass Lehrende, die selbstbestimmungsunterstützend wirken, in der Regel die Erfüllung der Bedürfnisse nach Verbundenheit und Wirksamkeit ebenfalls positiv beeinflussen (vgl. Ryan/Deci 2017, 369 und Ryan/Deci 2020, 4), weswegen dieser Aspekt hier im Mittelpunkt steht. 244 Für eine umfassende Übersicht zu selbstbestimmungsunterstützendem und kontrollierendem Verhalten von Lehrenden vgl. Ryan/Deci 2017, 368. 245 Vgl. Reeve/Cheon 2021, 54. 246 Vgl. Ryan/Deci 2017, 351, 354 und 356.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

Standpunkt der Lernenden, ein unterstützendes Feedback und das Schaffen von Wahlmöglichkeiten die intrinsische Lernmotivation, aber auch die wahrgenommene Wirksamkeit und das Selbstwertgefühl von Lernenden erhöhen. Darüber hinaus können Lehrende, aber auch Bildungsinstitutionen durch Angebote, die eine Aktivität der Lernenden beinhalten und die bedeutungsvoll für diese sind, selbst Gelegenheitsstrukturen dafür schaffen, intrinsische Motivation zu erleben.247 Das selbstbestimmungsunterstützende Wirken von Lehrenden verbessert darüber hinaus auch die Integration von Werten wie z.B. das Erledigen von Schularbeiten, die für einen langfristigen Erfolg in der Schule wichtig, aber nicht an sich interessant oder anziehend sind.248 So zeigen Kinder und Jugendliche, die in ihrer Selbstbestimmung durch Lehrende unterstützt werden, ein höheres Engagement, eine gesteigerte Lernqualität und besseres Verhalten.249 In diesen Integrationsprozessen spielt es ebenfalls eine wichtige Rolle, dass Lehrende die Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse der Lernenden nach Wirksamkeit und Verbundenheit unterstützen.250 b2) Als entscheidend dafür, dass Lehrende selbstbestimmungsunterstützend wirken, stellte sich die Motivation der Lehrenden selbst heraus. »We will also see that student motivation is linked with teacher motivation and wellbeing.«251 Eine zentrale Rolle für ihre Motivation spielen dabei selbstbestimmungsunterstützend Rahmenbedingungen von Seiten der Bildungsinstitution für Lehrende.252 Ein wichtiger Faktor für förderliche Rahmenbedingungen ist, dass Lehrende nicht durch Leistungstests kontrolliert werden, an die Belohnungen oder negative Konsequenzen eng gebunden sind (high-stake tests). Der äußere Druck verbessert die Leistung der Lehrenden nicht, sondern bringt vielmehr abnehmende intrinsische Motivation der Lehrenden und eine introjizierte extrinsische Motivation mit sich, die sich auf die Belohnung bzw. Vermeidung der Bestrafung fokussiert.253 Eine professionelle und hochwerti247 Vgl. Ryan/Deci 2017, 355–357. 248 Vgl. Niemiec/Ryan 2009, 138. 249 Vgl. Ryan/Deci 2017, 358; vgl. auch Deci u.a. 1991, 338; für diesen Prozess ist auch die Unterstützung der Selbstbestimmung der Lernenden durch ihre Eltern von zentraler Bedeutung (vgl. Ryan/Deci 2017, 381). 250 Vgl. Niemiec/Ryan 2009, 138–140. 251 Ryan/Deci 2017, 354; vgl. auch Ryan/Deci 2020, 7. 252 Vgl. Ryan/Deci 2017, 351; vgl. auch Niemiec/Ryan 2009, 138–140. 253 Vgl. Ryan/Deci 2017, 375–377; der negative Effekt dieser Leistungstests lässt sich auch bei Lernenden feststellen (vgl. Ryan/Deci 2020, 6–7).

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ge Ausbildung von Lehrenden hat hingegen den Effekt, dass diese sich in ihren psychologischen Grundbedürfnissen unterstützt fühlen, die besten Strategien für das Erreichen ihre Ziele als Lehrende auswählen können und so wiederum die psychologischen Bedürfnisse der Lernenden besser unterstützen.254 Die selbstbestimmungsunterstützenden Rahmenbedingungen für Lehrende und ihre durchschlagende Wirkung auf die Lernenden zeigen sich analog auch als großer Einflussfaktor auf Eltern mit den entsprechenden Folgen für ihre Kinder. So wirken Eltern, die unter Druck stehen, selbst weniger selbstbestimmt sind und deren psychologische Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind, kontrollierender auf ihre Kinder, können die förderlichen Entwicklungsbedingungen schlechter herstellen und stören sogar positive vorhandene Entwicklungsbedingungen.255 Insgesamt kann ein bedeutender Einfluss von Eltern und handelnden Personen in Bildungsinstitutionen durch die Bedingungen, die sie für Kinder und Jugendliche bzw. Lehrende herstellen, festgestellt werden. Indem Eltern und Lehrende die Selbstbestimmung der Kinder und Jugendlichen unterstützen, ihnen Struktur geben und an ihrem Leben Anteil nehmen sowie die intrinsische Motivation und selbstbestimmte Internalisierung von wichtigen Werten durch die Unterstützung der Befriedigung aller psychologischen Grundbedürfnisse fördern, können sie einen entscheidenden Teil zur positiven Entwicklung und Selbstbestimmung eines heranwachsenden Individuums beitragen. Ob Eltern und Lehrende diese Bedingungen herstellen können, hängt zum einen davon ab, welche Bedingungen sie selbst vorfinden.256 Zum anderen ist es von zentraler Bedeutung, inwieweit Eltern und Lehrende ihre eigenen Ressourcen nutzen und die inneren Bedingungen herstellen, die sie dabei unterstützen, selbstbestimmungsunterstützend zu wirken. So können Eltern und Lehrende, wie Ergebnisse von Achtsamkeitstraining zeigen, ihre inneren Ressourcen dafür aktivieren und gezielt dazu erforderliche Fähigkeiten erlernen

254 Vgl. Ryan/Deci 2017, 377–380. 255 Vgl. Ryan u.a. 2016, 394–396 und Ryan/Deci 2017, 340–342; vgl. auch Grolnick/ Apostoleris 2002. 256 Zum Einfluss von selbstbestimmungsunterstützenden Rahmenbedingungen auf Eltern vgl. Ryan/Deci 2017, 340–342.

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und so ihren Beitrag dazu leisten, dass sie selbst die beschriebenen positiven Bedingungen für Kinder und Jugendliche herstellen können.257 Als lehrende Person oder als Elternteil die eigenen Möglichkeiten zu fokussieren, welcher eigene Beitrag zur Unterstützung von Bildungsprozessen Anderer geleistet werden kann, lenkt den Blick allerdings vielmehr auf eine andere bildungstheoretische Perspektive, unter der die SDT betrachtet werden kann. So stellt sich im Hinblick auf die SDT gerade unter der erarbeiteten bildungstheoretischen Perspektive die Frage, welchen Beitrag ein Bildungssubjekt selbst zu seiner Selbstbestimmung leisten kann.

6.5.2 Die SDT im Kontext der entwickelten bildungstheoretischen Perspektive Unter der eingenommenen bildungstheoretischen Perspektive, dass Bildung der Konstitutionsprozess eines Welt- und Selbstverhältnisses ist, in welchem das Bildungssubjekt auch eine umfassende Innenperspektive einnimmt, die wesentlich sowohl durch Wahrnehmungs- als auch Reflexionsprozesse gekennzeichnet ist, steht neben den förderlichen äußeren Bedingungen für Selbstbestimmung vor allem im Zentrum der Betrachtung, welchen Beitrag das Bildungssubjekt leisten kann und welche Prozesse innerhalb des Bildungssubjekts erforderlich sind, um den von der SDT aufgezeigten Weg zu Selbstbestimmung beschreiten zu können. Aus dieser Perspektive kann vor allem der Aspekt, die Welt und sich selbst genau wahrzunehmen, als wichtige Bedingung von Selbstbestimmung genannt werden, zu welcher ein Individuum einen eigenen Beitrag leisten kann, wie bereits die Ausführungen zum Achtsamkeitskonzept gezeigt haben.258 Sie stellt eine zentrale Gelingensbedingung dafür dar, a) die eigene intrinsische Motivation verfolgen zu können, b) die psychologischen Grundbedürfnisse erfüllen zu können und c) die organismische Integration durchführen zu können. a) Die Welt und sich selbst genau wahrzunehmen stellt für ein Individuum ein zentrales Element dabei dar, seine intrinsische Motivation verfolgen zu können, da diese Wahrnehmungen und die darauf aufbauenden Kenntnisse der eigenen Werte, Überzeugungen und Gefühle eine zentrale Rolle dabei spielen,

257 Vgl. Kap. 5.5.2 und 5.5.3; vgl. für diesen Aspekt speziell bezogen auf SDT und Eltern auch Grolnick/Apostoleris 2002, 178. 258 Vgl. Kap. 5.5. und 5.6.

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sich selbst als Ursache der eigenen Handlungen wahrzunehmen, was wiederum Grundlage für intrinsische Motivation ist.259 b) Auch für die Erfüllung der eigenen psychologischen Grundbedürfnisse ist die genaue Wahrnehmung der Welt und sich selbst eine zentrale Bedingung. »When awareness of inner and outer circumstances is heightened, so are people’s abilities to attend to prompts arising from basic needs, and to consciously self-organize and self-regulate their actions in a manner fulfilling such needs.«260 Durch eine genaue Wahrnehmung der Welt und sich selbst kann ein Individuum die eigenen psychologischen Grundbedürfnisse identifizieren und somit selbst eine wichtige Voraussetzung herstellen, im Einklang mit diesen sowie den eigenen Werten und Interessen zu handeln.261 Ein Individuum ist so außerdem besser in der Lage, intrinsische Lebensziele262 zu verfolgen, welche ein größeres Wohlbefinden mit sich bringen und mit einer größeren Befriedigung der eigenen psychologischen Grundbedürfnisse verbunden sind.263 c) Die Welt und sich selbst genau wahrzunehmen bildet darüber hinaus eine zentrale Voraussetzung dafür, dass der Prozess der organismischen Integration zu Selbstbestimmung führt. »[M]indfulness can function as an antidote against external and internal controlling forces that frequently undermine the selection and enactment of more volitional behaviors. Mindfulness is a powerful integrative agent, and SDT views integration as crucial to the development of more autonomous forms of motivation.«264

259 260 261 262

Vgl. Plant/Ryan 1985, 436–437. Schultz/Ryan 2015, 90. Vgl. Schultz/Ryan 2015, 81; vgl. auch Deci/Ryan 1980, 41. Die Unterscheidung zwischen extrinsischen und intrinsischen Zielen geht auf die Goal Contents Theorie (GCT) der SDT zurück. »Individuals can focus on attaining extrinsic goals (e.g., wealth, popularity, attractive image) or intrinsic goals (e.g., personal growth, community contributions, close relationships).« (Schultz/Ryan 2015, 81.) Für einen genaueren Überblick zur GCT vgl. Ryan/Deci 2017, 272–292. 263 Vgl. Schultz/Ryan 2015, 90; der Zusammenhang der Verfolgung intrinsischer Lebensziele mit der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse und positivem Wohlbefinden lässt sich auch kulturübergreifend beobachten (vgl. Schultz/Ryan 2015, 83). 264 Schultz/Ryan 2015, 90.

6. Selbstbestimmung als Ziel der entwickelten Auffassung von Bildung

Für den Prozess der Internalisierung ist es wichtig, dass das Individuum sich offen der Welt und sich selbst zuwendet,265 die innerlich und äußerlich wirkenden Kräfte sowie die eigenen Überzeugungen und Werte genau wahrnimmt, um richtig einschätzen zu können, ob es diesen äußeren Impuls in sich integrieren will. »[O]ne can only be highly autonomous when one is clearly aware of one’s values and goals, and thus is able to engage in behaviors that are congruent with one’s true self, free from external pressures or internal distortions or judgments.«266 Die in diesem Zuge bereits genannte Fähigkeit der Selbstregulation stellt nicht nur in Bezug auf die Integration von äußeren Impulsen einen weiteren Aspekt dar, zu welchem ein Individuum durch die genaue Wahrnehmung der Welt und sich selbst einen Beitrag zu seiner Selbstbestimmung leisten kann.267 So zeigt sich, dass sich ein Individuum während seiner eigenen Handlungen selbst unterstützen oder unter Druck setzen kann und dieses Verhalten Einfluss auf seine intrinsische Motivation hat.268 Sich selbst regulieren zu können spielt folglich auch für intrinsische Motivation eine wichtige Rolle. Die Ausführungen zeigen somit, dass die zentralen Komponenten, welche die erarbeitete Auffassung von Bildung ausmachen, sich auch als zentrale Elemente erweisen, die ein Subjekt zur eigenen Selbstbestimmung beitragen kann. So stellt der Aspekt, als wahrnehmendes Subjekt im Bildungsprozess die Welt und sich selbst genau wahrzunehmen, eine bedeutende Gelingensbedingung dar, welche das Bildungssubjekt zum Erreichen seiner Selbstbestimmung beiträgt. Auch die ausgeprägte Selbstregulationsfähigkeit, die sich im Bildungsprozess durch die Einübung einer achtsamen Haltung, in der ein Individuum die Welt und sich selbst genau wahrnimmt, mitentwickelt,269 stellt ein Moment dar, in dem der Bildungsprozess zum beschriebenen Welt- und Selbstverhältnis außerdem zum zentralen Bildungsziel der Selbstbestimmung führt.

265 Vgl. Hodgins/Knee 2002, 88. 266 Schultz/Ryan 2015, 85. 267 Zum Beitrag eines Individuums zu seiner Fähigkeit zu Selbstbestimmung vgl. auch die Ausführung im Kontext von Achtsamkeit Kap. 5.5.2. 268 Vgl. Ryan/Deci 2017, 178. 269 Vgl. Kap. 5.5.2.

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7. Bildung als Welt- und Selbstverhältnis Über die Bedeutung von Bildungsprozessen für Selbstbestimmung: Zusammenfassung und Ausblick

Bildung wurde in dieser Arbeit als Einnahme eines Welt- und Selbstverhältnisses vorgestellt, welche ein Individuum zu einem umfassenden und eigenen Bild von der Welt und sich selbst führt und eine zentrale Grundlage für Selbstbestimmung schafft. Bildung wurde dabei als Prozess beschrieben, in welchem sich ein Individuum ein Welt- und Selbstverhältnis erarbeitet, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass das Individuum die Welt und sich selbst aus einer umfassenden Innenperspektive heraus betrachtet und das Welt- und Selbstverhältnis auf dieser Basis aufbauend selbstbestimmt konstituiert. Als solcher Prozess bringt Bildung ein reflektiertes Welt- und Selbstverhältnis im Bildungssubjekt hervor, das auf einer genauen Wahrnehmung der Welt und sich selbst basiert, und führt Bildung das Bildungssubjekt zu einer Selbstbestimmung, die es ihm erlaubt, sich innerhalb gegebener Strukturen selbst zu bestimmen.1 Zur Explikation dieser Auffassung von Bildung wurde Bildung ausgehend von der Perspektive thematisiert, dass diese weniger den Entwicklungsprozess eines Individuums aus einer Außenperspektive heraus in den Mittelpunkt stellt, als vielmehr den Gesamtprozess umfasst, den ein Individuum als Subjekt durchläuft, wenn es ein umfassendes und eigenes Welt- und Selbstverhältnis konstituiert. In der Auseinandersetzung mit dem neuhumanistischen Bildungsbegriff, bildungstheoretischen Überlegungen im Umfeld der Kritischen Theorie sowie poststrukturalistischen und phänomenologisch-existentialkritischen

1

Ein ähnlicher Entwicklungsprozess wird mit anderer Akzentuierung von Michael Bordt unter dem Stichwort Den Weg ins eigene Leben finden beschrieben (vgl. Bordt 2015).

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Perspektiven auf Bildung, welche zentrale Perspektiven des bildungstheoretischen Diskurses darstellen, wurde eine Auffassung von Bildung herausgearbeitet, welche diese skizzierte Perspektive auf Bildung konzeptionell näher fasst. Dabei wurde Bildung als Prozess beschrieben, der eine umfassende Auseinandersetzung des Bildungssubjekts mit der Welt und sich selbst enthält, äußere Bedingungen der Subjektentwicklung berücksichtigt und die Konstituierung des Welt- und Selbstverhältnisses aus einer Innenperspektive des Subjekts heraus als konstitutiven Bestandteil von Bildung versteht. Eine Begründung, warum Bildung diesen spezifischen Bedeutungsgehalt beinhaltet, lässt sich dabei auch im Vergleich von Bildung mit anderen Grundbegriffen finden, welche ebenfalls zentrale Entwicklungsprozesse eines Individuums beschreiben und denen oft eine ähnliche Bedeutung wie Bildung zugeschrieben wird. In dieser Gegenüberstellung von Bildung und den Begriffen Erziehung, Sozialisation, Wissen, Kompetenz und Lernen zeigt sich, dass Bildung einen Gesamtprozess der Entwicklung eines Individuums beschreibt und als spezifische Bedeutungskomponenten enthält, dass sich ein Individuum im Entwicklungsprozess Bildung zu seinem erworbenen Weltverhältnis reflexiv verhält, somit auch ein Selbstverhältnis einnimmt und diesen Prozess aus einer Innenperspektive heraus durchläuft. Als dieser Prozess führt Bildung für ein Individuum zu einem umfassenden und eigenen Weltund Selbstverhältnis, das auch eine bedeutende Grundlage für das zentrale Bildungsziel der Selbstbestimmung bietet. In der näheren Beschreibung von Bildung als solchem Prozess zeigt sich, dass es entscheidend für einen Bildungsprozess ist, die Innenperspektive des Bildungssubjekts in all seinen Facetten angemessen zu berücksichtigen, um das Ziel eines umfassenden und eigenen Welt- und Selbstverhältnisses zu erreichen. Dies wird auch in der Auseinandersetzung mit der transformatorischen Bildungstheorie von Winfried Marotzki deutlich, die eine passende Grundlage für die Explikation des entwickelten Verständnisses von Bildung bietet. So beschreibt Marotzki darin Bildung als Transformation des Weltund Selbstverhältnisses eines Individuums, die sich dadurch auszeichnet, dass sich ein Individuum in diesem Transformationsprozess zur Welt und sich selbst auf eine bestimmte Weise verhält. Zentral für diesen Prozess ist es dabei, dass das Individuum seine eigene Art, die Welt zu sehen, mitreflektiert, die eigene Strukturiertheit in der Weltaufordnung in eine neue reflektierte Form des Welt- und Selbstverhältnis transformiert und sich so in diesem Prozess Orientierung erarbeitet. Die Innenperspektive des Bildungssubjekts fasst Marotzki dabei als reflexive Bezugnahme des Subjekts auf die Welt

7. Bildung als Welt- und Selbstverhältnis

und sich selbst auf, was der Innenperspektive nicht in ihrer umfassenden Beschaffenheit gerecht wird, da die Innenperspektive eines Subjekts auch einen wahrnehmenden Bezug des Subjekts auf die Welt und sich selbst als elementaren Bestandteil beinhaltet. Dieser Aspekt, dass Reflexion den wahrnehmenden Bezug des Subjekts nicht angemessen berücksichtigt, verdeutlicht sich, wenn Reflexion als Konzept genauer betrachtet wird. In seinen drei Phasen – Rückblick auf die Erfahrung, kritische Analyse und Ergebnis der Reflexion – sowie den drei zentralen Merkmalen von Reflexionsprozessen – kritische Distanz, Blickrichtung nach außen und nach innen sowie Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezug – wird die Wahrnehmung des Subjekts nicht detailliert und als Prozess eigener Art berücksichtigt. Damit wird der Rolle von Wahrnehmungsprozessen, die sie bei der Konstituierung eines Welt- und Selbstverhältnisses spielen, nicht angemessen Rechnung getragen. Die Wahrnehmung des Subjekts als präreflexiver Vorgang, in dem ein Individuum die Welt und sich selbst aus einer Innenperspektive heraus beobachtet und aufnimmt, nimmt vielmehr eine untergeordnete Rolle ein, obwohl sie für das Zustandekommen der Erfahrung, über die dann reflektiert wird, zentral ist. Damit gelingt es allein mit dem Konzept der Reflexion nicht, die Innenperspektive des Subjekts in Bildungsprozessen in ihrer Verschiedenheit angemessen abzubilden. Um den Vorgang, sich als wahrnehmendes Subjekt auf die Welt und sich selbst zu beziehen, als diesen bedeutenden Prozess in die entwickelte Auffassung von Bildung aufzunehmen, ist es zunächst erforderlich, durch das Explizieren des angenommenen Subjektverständnisses zu zeigen, dass Wahrnehmungsprozesse die postulierte zentrale Bedeutung einnehmen, wenn ein Individuum sein Welt- und Selbstverhältnis konstituiert. Ein Subjektverständnis, das diese zentrale Bedeutung von Wahrnehmungsprozessen verdeutlicht, findet sich in William James’ Auffassung vom Selbst, in der er ausgehend vom Bewusstseinsstroms des Subjekts die Beschaffenheit des Selbst eines Individuums beschreibt und die zwei Momente des wahrnehmenden Subjekts (I-self ) und erfahrenen Selbst (Me-self ) als zentrale Komponenten eines Selbst herausarbeitet. Beide Komponenten sind untrennbar miteinander verbunden und zentral dafür, wie ein Individuum seine Auffassung von der Welt und sich selbst konstituiert. Die nähere Beschreibung des Subjekts mit den Aspekten des I-self und Me-self lässt dabei hervortreten, dass der wahrnehmende Bezug des Subjekts als I-self ein ebenso konstitutiver Bestandteil des Prozesses ist, in dem ein Individuum sein Welt- und Selbstverhältnis konstituiert, wie es das Me-self darstellt. Unter Bezugnahme

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auf die Explikation der I-self-Komponente gelingt es nun, die Konstituierung eines Welt- und Selbstverhältnisses nicht nur als reflexiven Prozess, sondern auch als genaue Wahrnehmung der Welt und sich selbst durch das Subjekt zu fassen, was mit dem Reflexionskonzept allein nicht angemessen erfolgt. Vor allem self-awareness, d.h. die Vorgänge in sich genau wahrzunehmen, und self-agency, d.h. sich als Autor seiner selbst zu fühlen, stellen bedeutende Aspekte dar, mit denen die Beschreibung der Innenperspektive eines Bildungssubjekts, die das Reflexionskonzept anbietet, vervollständigt werden kann. Eine genauere Erläuterung, was es heißt, sich als wahrnehmendes Subjekt auf die Welt und sich selbst zu beziehen und damit eine Erste-PersonPerspektive einzunehmen, kann im Achtsamkeitskonzept gefunden werden, das damit auch als eine Ausführung zur I-self-Komponente verstanden werden kann. Mit Achtsamkeit wird ein Zustand beschrieben, in dem ein Individuum mit seiner Aufmerksamkeit in der Gegenwart ist und dabei die Welt und sich selbst neugierig, offen, akzeptierend wahrnimmt, ohne die Wahrnehmung zu werten und zu beurteilen oder auf sie zu reagieren. In einer achtsamen Haltung gelingt es damit, die Welt und sich selbst genau wahrzunehmen und so eine Innenperspektive als wahrnehmendes Subjekt auf die Welt und sich selbst einzunehmen. Mit dem Achtsamkeitskonzept ist es also möglich, den zentralen Teilprozess von Bildung, eine umfassende Innenperspektive auf die Welt und sich selbst einzunehmen, angemessen zu explizieren. So wird im Achtsamkeitskonzept detailliert beschrieben, was es heißt, die Welt und sich selbst genau wahrzunehmen, und welche Merkmale diesen Prozess charakterisieren. Auf dieser genauen Wahrnehmung kann ein Bildungssubjekt aufbauen und in der Reflexion rückblickend und kritisch analysierend auf diese Wahrnehmung schauen, um so zu Schussfolgerungen für das eigene Welt- und Selbstverhältnis zu kommen, welche die geforderte besondere Qualität mit sich bringen. Denn ein solcher Konstitutionsprozess eines Welt- und Selbstverhältnisses gründet dann auf einer Wahrnehmung der Welt und sich selbst, die versucht, umfangreiche Informationen miteinzubeziehen, exakte Eindrücke zu liefern und alles so wahrzunehmen, wie es ist. Diese Wahrnehmung erzeugt damit eine qualitativ hochwertige Ausgangsbasis für den Konstituierungsprozess des Welt- und Selbstverhältnisses eines Individuums. Ein solcher Bildungsprozess ist weder frei von der Möglichkeit, dass sich ein Bildungssubjekt in seinen Wahrnehmungen und Einschätzungen irren kann, noch schließt er aus, dass ein Individuum in seinem Bild von der

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Welt und sich selbst Werte und Überzeugungen zugrunde legt, die einem wertschätzenden Umgang mit Anderen widersprechen, ein kooperatives und soziales Zusammenleben in einer Gesellschaft ablehnen oder die Interessen der eigenen Person über alles andere stellen. Der beschriebene Bildungsprozess stellt allerdings einen Weg dar, in dem sich ein Individuum der Prägung seiner Sicht auf die Welt und sich selbst bewusst wird, die von außen einwirkenden Einflüsse erkennt und gleichzeitig die Fähigkeiten erwirbt, in einen Abstand zu diesen persönlichen Rahmenbedingungen zu kommen und aus einer selbstbestimmten Position heraus mit ihnen umgehen zu können. So werden während der Einübung einer achtsamen Haltung auch die Fähigkeiten erworben, die eigene Aufmerksamkeit steuern und Impulse kontrollieren zu können. Achtsamkeitstraining führt damit neben einer besseren Wahrnehmung der Welt und sich selbst auch zu einer erhöhten Selbstregulationsfähigkeit. Die Einübung einer achtsamen Haltung hilft einem Individuum im Bildungsprozess folglich nicht nur, die Welt und sich selbst genau wahrzunehmen und damit eine geeignete Basis zu schaffen sowie ein umfassendes und reflektiertes Welt- und Selbstverhältnis einzunehmen, sondern unterstützt das Individuum auch dabei, wichtige Fähigkeiten für das Erreichen des zentralen Bildungsziels der Selbstbestimmung zu erwerben. Das Ziel der Selbstbestimmung so sehr in den Mittelpunkt von Bildung zu stellen, kann neben der historischen Verbundenheit beider Konzepte, der anthropologischen Annahme einer Selbstbestimmungsfähigkeit des Menschen und dem psychologischen Grundbedürfnis des Menschen nach Selbstbestimmung vor allem auch mit der Beschaffenheit unserer heutigen Zeit begründet werden, die von einem Individuum verlangt, sich Orientierung zu erarbeiten und innerhalb einer Vielfalt an Möglichkeiten sich selbst zu bestimmen. Selbstbestimmung wird im Kontext der erarbeiteten Auffassung von Bildung vor allem unter einer erstpersonalen Perspektive als Bildungsziel eines Individuums betrachtet, welche die Entwicklung der Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellt, als Individuum Autor des eigenen Handelns sein zu können und aus sich selbst heraus eine eigene Sicht der Welt und eine eigene Art zu leben wählen zu können. Die zwei zentralen Voraussetzungen für das Erreichen einer so verstandenen Selbstbestimmung bilden die Kontroll- und Authentizitätsbedingung. So muss ein Individuum die Bestimmung seiner selbst kontrollieren können und die Selbstbestimmung ein Ausdruck der Vorstellungen, Werte und Überzeugungen des Individuums sein.

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Die Erfüllung beider Voraussetzungen für Selbstbestimmung liegt dabei sowohl außerhalb als auch innerhalb des Individuums. So zeigt sich, dass ein Individuum im Prozess der Selbstbestimmung ein bestimmtes Selbstverhältnis einnehmen muss, das Wünsche, Werte und Überzeugungen als selbstbestimmt qualifiziert, gleichzeitig Selbstbestimmung auch passende äußere Bedingungen verlangt, ohne die sich Selbstbestimmung grundsätzlich nicht entwickelt und zur Geltung kommen kann. Im Lichte der erarbeiteten bildungstheoretischen Perspektive wird Selbstbestimmung somit als interaktionalistisches Konzept verstanden, das Selbstbestimmung als sowohl von äußeren als auch inneren Bedingungen abhängig versteht und diese als sich ergänzend betrachtet. Dabei wird den Bedingungen, die innerhalb eines Individuums liegen, eine besondere Bedeutung zugesprochen, da der Innenperspektive des Bildungssubjekts eine besonders bedeutende Rolle in Bildungsprozessen beigemessen wird und Bildung als ein Prozess aufgefasst wird, in dem das Bildungssubjekt aktiv und selbstgesteuert das eigene Welt- und Selbstverhältnis mitgestaltet. Das Bildungssubjekt kann demnach einen entscheidenden Einfluss darauf nehmen, dass diese inneren Bedingungen hergestellt werden. Eine Konzeption von Selbstbestimmung, welche diese skizzierte Auffassung von Selbstbestimmung näher beleuchtet, liefert die Self-DeterminationTheory (SDT). Sie stellt in ihrer Perspektive auf Selbstbestimmung die innere Verfassung eines Individuums ins Zentrum der Betrachtung, berücksichtigt das wahrnehmende Subjekt als bedeutendes Element der Subjektkonstituierung angemessen und baut ihre Überlegungen und Beobachtungen damit auf zentralen Grundannahmen auf, welche die entwickelte Auffassung von Bildung und Selbstbestimmung kennzeichnen. Von einem organismisch-dialektischen Verständnis des Menschen ausgehend beschreibt die SDT, dass es für die Selbstbestimmung und psychische Gesundheit eines Individuums entscheidend ist, dass es der eigenen intrinsischen Motivation nachgehen, die eigenen psychologischen Grundbedürfnisse erfüllen und äußere Impulse selbstbestimmt integrieren kann. Mit diesen drei aufeinander verweisenden zentralen Komponenten für die Entwicklung eines Individuums beschreibt die SDT, wie ein gelingender Entwicklungsprozess eines Individuums zu Selbstbestimmung führen kann. Dabei setzt sich die SDT mit den äußeren und inneren Bedingungen auseinander, die ein Subjekt vorfinden bzw. selbst einbringen muss, damit dieser Prozess gelingen kann. Die Bedingungen, die ein Subjekt zum Gelingen von Selbstbestimmung beitragen kann, stellen dabei gerade die Aspekte dar, die ein Bildungssubjekt durch eine achtsame Haltung für einen gelingenden Bildungsprozess einbringen kann. Durch das genaue Wahrneh-

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men der Welt und sich selbst und den Erwerb einer ausgeprägten Selbstregulationsfähigkeit schafft ein Individuum wichtige innere Voraussetzung dafür, seine intrinsische Motivation verfolgen, die eigenen psychologischen Grundbedürfnisse erfüllen und äußere Impulse selbstbestimmt integrieren zu können. Die ausgearbeitete Auffassung von Bildung beschreibt somit einen Entwicklungsprozess eines Individuums, in dem dieses sich an die vorgefundenen Gegebenheiten und widerfahrenen Prägungen anschließend ein Welt- und Selbstverhältnis erarbeitet, das die Innenperspektive des Bildungssubjekts vollständig miteinbezieht und dieses zu Selbstbestimmung führt; denn auf einer genauen Kenntnis der Welt und sich selbst aufbauend ist das Bildungssubjekt in der Lage, seinen intrinsisch motivierten Zielen nachzugehen, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen sowie die Impulse aus der Welt selbstbestimmt aufzunehmen oder abzulehnen. Für eine Aufnahme und Weiterentwicklung dieser Auffassung von Bildung bieten sich unterschiedliche Anknüpfungspunkte, die sich zum Teil bereits im Laufe des Gedankengangs angedeutet haben. Zwei Ansatzpunkte sollen an dieser Stelle genannt werden. Ein erster Ansatzpunkt findet sich in der erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung.2 Wie Marotzki bereits für die transformatorische Bildungstheorie ausgeführt hat, dass durch die erziehungswissenschaftliche Biographieforschung Themen der Subjektkonstituierung empirisch untersucht, als lebenslanger Entwicklungsprozess gefasst und in den einzelnen Lebensphasen betrachtet werden kann,3 bietet sich dieser Ansatzpunkt für weitere Untersuchungen auch bei der entwickelten Auffassung von Bildung. So lassen sich über die bei Marotzki ausgeführten Bildungsprozesse auch die Wahrnehmungsprozesse des Bildungssubjekts und ihre Rolle in der Subjektkonstituierung biographietheoretisch betrachten und in den einzelnen Entwicklungsphasen eines Individuums analysieren. Die Betrachtung der entwickelten Auffassung von Bildung im Kontext der einzelnen Phasen der Entwicklung eines Individuums stellt einen zweiten interessanten Punkt für weitere Untersuchungen dar. Im Anschluss an das erarbeitete Verständnis von Bildung kann im Hinblick auf Bildungsprozesse im Kindes-

2 3

Für einen Überblick zum Forschungsfeld der erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung vgl. Krüger/Marotzki 2006. Vgl. Marotzki 1990a, 234–354.

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und Jugendalter näher untersucht werden, welche Rolle der Bezug als wahrnehmendes Subjekt bei der Konstitution des Welt- und Selbstverhältnisses von Kindern und Jugendlichen spielt. Im Zuge der vorgenommenen Untersuchung wurde zur Analyse des Aspekts, sich als wahrnehmendes Subjekt auf die Welt und sich selbst zu beziehen, vor allem Forschung herangezogen, welche sich auf den wahrnehmenden Welt- und Selbstbezug Erwachsener bezieht. Sich als Kind oder Jugendliche bzw. Jugendlicher wahrnehmend auf die Welt und sich selbst zu beziehen, wird bereits hinsichtlich der besonderen Beschaffenheit, der Andersheit gegenüber dem Welt- und Selbstbezug von Erwachsenen und der Rolle für die Subjektkonstituierung von Kindern und Jugendlichen untersucht;4 allerdings bieten die Studien zu den Auswirkungen von Achtsamkeitstraining im Bereich von Kindern und Jugendlichen noch keine ausreichend umfangreiche Ausgangsbasis,5 um bildungstheoretisch an einen gesicherten Ausgangspunkt anschließen zu können. Zur Einordnung der Relevanz von Achtsamkeit und der Auswirkungen einer ausgeprägten Achtsamkeit bei Kindern und Jugendlichen ist eine weitere Forschung in diesem Bereich nötig. In Bezug auf Bildungsprozesse im Erwachsenenalter bieten sich ebenfalls verschiedene Möglichkeiten, die entwickelte Auffassung von Bildung aufzunehmen, von denen zwei herausgegriffen werden sollen. So können zum einen die zentralen Komponenten von Bildungsprozessen, sich als wahrnehmendes Subjekt auf die Welt und sich selbst zu beziehen und sich auf dieser Basis reflexiv zu seinem erworbenen Welt- und Selbstverhältnis zu verhalten, vor allem im Übergang vom Jugendalter zum Erwachsenenalter, der Phase Emerging Adulthood,6 näher betrachtet werden. Der Prozess des Erwachsenwerdens und die Entwicklung des Gefühls, erwachsen zu sein, kann vor dem Hintergrund des dargestellten Subjektverständnisses als Bildungsprozess analysiert werden. In der Phase des Erwachsenenalters können Entwicklungsprozesse, in denen Erwachsene ihr Bild von der Welt und sich selbst verändern, ebenfalls als Bildungsprozesse im Sinne der entwickelten Auffassung von Bildung untersucht werden. So rückt die dargelegte Auffassung von Bildung in den

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Vgl. z.B. Crone 2011, Harter 2012 und Siegel 2015. Vgl. Black 2015, 284–285 und 303–304, Lyons/DeLange 2016, 277–278 sowie Roodenrys u.a. 2017, 40–45; vgl. auch Kap. 5.5.3. Für eine Übersicht zum Begriff, der Entwicklungsphase und dem Forschungsfeld vgl. Arnett 2016.

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Fokus, dass gerade im Erwachsenenalter Bildungsprozesse eine Hochphase erleben und in dieser Lebensphase Prozesse der Subjektkonstituierung stattfinden, die ein Individuum erst dann durchlaufen kann. Im Lichte der entwickelten Auffassung von Bildung, welche die Prozesse der Subjektkonstituierung von Erwachsenen in den Mittelpunkt von Bildung stellt, erhält Erwachsenenbildung eine andere Akzentuierung.

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