Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz [3., neu bearb. Aufl. 2016] 9783814557663

Auf mehr als tausend Seiten zeigt ein ausgewiesenes Autorenteam aus Wissenschaft und Praxis die rechtlichen, konjunkture

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Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz [3., neu bearb. Aufl. 2016]
 9783814557663

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Mönning (Hrsg.) Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz

Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz

3., neu bearbeitete Auflage 2016

herausgegeben von Professor Dr. Rolf-Dieter Mönning

bearbeitet von Daniel Bauch, Prof. Dr. Christian Berger, Friedrich Birnbreier, Dr. Jochen Blöse, Dr. Mark Boddenberg, Charalambos Bograkos-Tzannetakos, Eric Coordes, Detlev Cornelius, Dr. Friedrich L. Cranshaw, Artur Deichmann, Prof. Dr. Martin Dreschers, Udo Feser, Robert Fliegner, Dr. Michael Flitsch, Prof. Dr. Lucas F. Flöther, Dr. Michael C. Frege, Daniel Friedemann Fritz, Dr. Katharina Gelbrich, Ingo Gerdes, Erwin Gerster, Dr. Marc Alexander Göb, Marion Gutheil, Ottmar Hermann, Gudrun Hübl, Arnd D. Kaiser, Dr. Frank Kebekus, Dr. Christoph Keller, Prof. Ulrich Keller, Dr. Oliver Klöck, Alexander Langenmayer, Dr. Ellen Meyer-Sommer, Michael Mönig, Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Prof. Dr. Matthias Nicht, Michael Pluta, Prof. Dr. Hanns Prütting, Knut Rebholz, Hans-Peter Runkel, Cornelia Schäfer, Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, Henning Schorisch, Jörg Spies, Dr. Florian Stapper, Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Dr. Sven-Holger Undritz, Holger Voskuhl, Dr. Stefan Weniger, Dr. Carsten M. Wirth, Dr. Hermann Peter Wohlleben, Wolfgang Zenker, Dr. Franc Zimmermann

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH ˜ Köln

Zitierempfehlung: Verfasser in: Mönning, Betriebsfortführung, § … Rz. …

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2016 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck

Vorwort In der 3. Auflage erscheint das Werk mit erweitertem Titel, der der aktuellen Entwicklung Rechnung trägt. Einerseits gewinnt die außergerichtliche Restrukturierung zunehmend an Bedeutung. Andererseits gehen die Überlegungen der Europäischen Kommission im Aktionsplan vom 30.9.2015 ebenfalls in diese Richtung, indem Empfehlungen für einen präventiven Restrukturierungsrahmen erarbeitet werden, um einheitlich für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein außergerichtlich verortetes Instrumentarium für Sanierungsverhandlungen zu schaffen, das als verwalterloses Sanierungsverfahren Unternehmen unter der Bezeichnung „Zweite Chance“ einen konsensualen Weg zur Krisenbewältigung eröffnet, indem mit den wesentlichen Gläubigern Sanierungsbeiträge zu einem Zeitpunkt vereinbart werden, in dem es noch keine gesetzlichen Antragspflichten gibt. Noch in diesem Jahr ist damit zu rechnen, dass die Europäische Kommission ihre Vorstellungen konkretisiert. Die erste Aufregung über das Vorhaben der Europäischen Kommission hat sich inzwischen gelegt. Vor allem die Verwalter haben begonnen, sich konstruktiv mit bereits bekannt gewordenen Überlegungen der Kommission zur Ausgestaltung des Restrukturierungsverfahrens zu befassen und ihre Unternehmenspolitik auf geänderte Bedingungen einzustellen. Dieser Entwicklung tragen nicht nur der geänderte Titel der Neuauflage, sondern auch die Ergänzungen zu den einzelnen Beiträgen Rechnung, denn Sanierung setzt – ob gerichtlich oder außergerichtlich – immer die Fortführung des Unternehmens voraus. Was hat das ESUG – das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – gebracht? Ist die gewünschte Sanierungsförderung eingetreten oder zumindest schon erkennbar? Wird die Fortführung von Unternehmen erleichtert? Oder wurden die Erwartungen enttäuscht? Hier steht vor allem die von der Gesetzesänderung erhoffte Planungssicherheit durch Vorbestimmung der Akteure eines Insolvenzverfahrens (gleichgültig ob als Regelverfahren oder im Rahmen einer Eigenverwaltung) auf dem Prüfstand. Wie gehen die Gerichte mit dem ESUG um? Werden die erweiterten Kompetenzen und Befugnisse insbesondere bei der Auswahl und Bestellung von vorläufigen Insolvenzverwaltern und vorläufigen Sachwaltern beachtet oder unterlaufen? Ist das vielleicht ein Grund, warum sich immer mehr Insolvenzverwalter, aber auch Stakeholder, mit dem Gedanken an ein außergerichtliches Restrukturierungsverfahren anfreunden können? All diese Fragen finden in den aktualisierten und auch neuen Beiträgen ihren Niederschlag. Gleiches gilt für die Erfahrungen mit den neuen Instrumenten, wie dem Debt-to-EquitySwap im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens oder dem in die Insolvenzordnung integrierten Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung, landläufig Schutzschirmverfahren genannt und vor allem auch für die Figur des (vorläufigen) Sachwalters in der Eigenverwaltung. Dieser kommt mittlerweile in allen Ausprägungen vor, vom schwachen, weil kompetenzlosen „Grüß-Gott-August“ bis hin zu einem substantiellen Gegengewicht gegen den sich selbstverwaltenden Schuldner, der sich im Regelfall durch ausgewiesene Fachleute in der Person praktizierender Insolvenzverwalter verstärkt hat. So gibt es breiten Bedarf an ergänzenden Ausführungen und Einschätzungen zu dem Kernthema jeder Restrukturierung oder Insolvenzabwicklung – der Fortführung von Krisenunternehmen. Auch deshalb wurde die Neubearbeitung in kurzem zeitlichem Abstand zur Vorauflage notwendig. Über den bewährten Autorenkreis hinaus ist es gelungen, für die 3. Auflage weitere Autorinnen und Autoren für wichtige Themen, die in den Vorauflagen noch nicht behandelt wurden, zu gewinnen. So wird das Thema „Fortführung von KrisenunV

Vorwort ternehmen“ noch umfassender in all seinen Erscheinungsformen und Problemlagen dargestellt. Das Werk befindet sich auf dem Gesetzgebungs- und Bearbeitungsstand Mai 2016. Die bis zu diesem Zeitpunkt ergangene Rechtsprechung ist verarbeitet. Mein herzlicher Dank gilt allen Autorinnen und Autoren, die dieses Werk mit ihren Beiträgen prägen und auch dazu beigetragen haben, dass der ehrgeizige Zeitplan zur Herausgabe eingehalten wird. Wiederum zu danken habe ich auch der Lektorin, Frau Rechtsanwältin Iris Theves-Telyakar, die in bewährter Art und Weise die Manuskripte bearbeitet hat. In den Dank schließe ich auch Herrn Markus Sauerwald ein, der auch die 3. Auflage verlagsseitig nicht nur mit Geduld, sondern auch mit dem notwendigen Nachdruck begleitet hat. Herausgeber, Verlag und Autoren wünschen und hoffen, dass „Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz“ auch in seiner 3. Auflage den Erwartungen von Wissenschaft und Praxis gerecht wird. Anregungen, Lob und Kritik sind willkommen. Aachen, Köln im Juni 2016

VI

Rolf-Dieter Mönning

Vorwort der 2. Auflage „Betriebsfortführung in der Insolvenz“ erschien 1997 als Monographie im RWS Verlag. Zu diesem Zeitpunkt verfügte Deutschland noch über ein geteiltes Insolvenzrecht: die auf Liquidation des insolventen Unternehmens ausgerichtete Konkursordnung sowie eine von der Rechtswirklichkeit überholte und deshalb von der Praxis nicht mehr angenommene Vergleichsordnung und die unter den speziellen Bedingungen des Übergangs von staatlich gelenkter Planwirtschaft in eine marktwirtschaftliche Ordnung bereits verstärkt auf Fortführung und Sanierung angelegte Gesamtvollstreckungsordnung in den neuen Bundesländern. Die Insolvenzordnung war zu diesem Zeitpunkt bereits verabschiedet. Sie trat aber erst zum 1.1.1999 in Kraft, so dass sich bei Erscheinen des Werkes nicht sicher vorhersagen ließ, ob mit der Insolvenzordnung tatsächlich die gewünschte Sanierungsförderung verbunden sein würde, was zwangsläufig zu mehr Betriebsfortführungen führen musste. Das Werk wurde von Praxis und Wissenschaft mit großem Interesse aufgenommen und war bereits kurze Zeit nach Einführung der Insolvenzordnung vergriffen. Eine Neuauflage erschien daher überfällig und zwingend geboten. Sie liegt jetzt in gänzlich anderer und völlig überarbeiteter Form vor. Ziel war es, alle Problemstellungen, die mit einer Betriebsfortführung in rechtlicher, organisatorischer und betriebswirtschaftlicher Hinsicht verbunden sein können, umfassend darzustellen und praxisnahe Lösungen fundiert zu vermitteln. Denn tatsächlich haben die neuen Instrumente – Insolvenzplan und Eigenverwaltung – und allgemein auch ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft dazu beigetragen, das Insolvenzrecht zunehmend als Sanierungs- und Restrukturierungsrecht zu begreifen. Verstärkt wurde dieser Ansatz mit der Einführung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), das am 1.3.2012 in Kraft getreten ist. Die Eigenverwaltung erfährt eine substantielle Stärkung, da sie nunmehr bereits im Eröffnungsverfahren beginnt. Sie ist zwingend mit der Betriebsfortführung verbunden, die eine notwendige Voraussetzung für jede Form einer Erhaltungslösung ist. Mit dem Schutzschirmverfahren wurde ein Instrument eingeführt, das gesetzlich als Maßnahme zur „Vorbereitung einer Sanierung“ bezeichnet wird. Wer sanieren will, muss Betriebe fortführen. Die Betriebsfortführung, lange Zeit eine verfahrensrechtliche Ausnahmeerscheinung, ist damit in das Zentrum der Abwicklung von Insolvenzverfahren gerückt. Dazu tragen auch geänderte Antragsvoraussetzungen bei, die im Falle eines noch laufenden Geschäftsbetriebes besondere Anforderungen an den zulässigen Insolvenzantrag stellen, aber auch die Begradigungen, die das Insolvenzplanverfahren mit dem ESUG erfahren hat und die dazu führen sollen, den Insolvenzplan endgültig als taugliches Instrument zur Reorganisation eines insolventen Unternehmensträger zu etablieren. Auf mehr als 1.100 Seiten zeigen 44 ausgewiesene Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Praxis die rechtlichen, konjunkturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für erfolgreiche Betriebsfortführungen auf und beschreiben die Voraussetzungen einer zulässigen Fortführung sowohl unter den Bedingungen eines Regelverfahrens als auch im Rahmen der Eigenverwaltung. Zusätzlich werden die Schnittstellen zu den betriebswirtschaftlichen Anforderungen, aber auch die administrativen und organisatorischen Aufgabenstellungen, umfassend erörtert. Aufgrund seiner Komplexität werden die Rahmenbedingungen für eine Betriebsfortführung auch aus dem Gesichtsfeld angrenzender Rechtsgebiete beleuchtet und die sich hieraus ergebenden Problemstellungen dargelegt und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Dies betrifft arbeitsrechtliche, steuerrechtliche, versicherungsrechtliche, umweltrechtliche, wettbewerbsrechtliche Themen ebenso wie internationale Bezüge bei einer Betriebsfortführung mit Auslandsberührung. Verfahrensrechtliche und

VII

Vorwort der 2. Auflage berufsrechtliche Fragestellungen, der richtige Umgang mit der Öffentlichkeit und letztendlich auch die Haftungsvermeidung und die Vergütungsproblematik werden ebenso behandelt, wie die Darstellung der ungewöhnlichen Anforderungen an Betriebsfortführungen in Spezialfällen (Automotive, Sport, Kultur) sowie bei Masseunzulänglichkeit. Besonderen Raum nimmt auch die Abstimmung einer Betriebsfortführung mit den übrigen Verfahrensorganen – Insolvenzgericht, Gläubigerausschuss, vorläufiger Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung – ein. So soll das Werk ein praxistaugliches Hilfsmittel für jeden sein, der – in welcher Funktion auch immer – Betriebsfortführungen plant, leitet und durchführt oder in sonstiger Art und Weise betroffen ist. Zwangsläufig kommt es zwischen einzelnen Beiträgen zu Überschneidungen, die aber bewusst in Kauf genommen wurden, da sie zur Auseinandersetzung beitragen und die Diskussion fördern. Das Werk befindet sich auf dem Gesetzgebungs- und Bearbeitungsstand Juli/August 2013. Erfahrungen mit dem ESUG und dazu ergangene Rechtsprechung sind bereits verarbeitet. Alle Autorinnen und Autoren sind in ihrer täglichen Arbeit als Insolvenzverwalter, Rechtsanwälte, Berater, Hochschullehrer und Richter voll ausgelastet. Sie haben sich dennoch ungeachtet ihrer beruflichen Verpflichtungen bereitwillig und mit großem Engagement eingebracht und dabei in besonderem Maße auch ihre praktischen Erfahrungen vermittelt. Ihnen gilt mein herzlicher Dank für die geleistete Arbeit. Zu danken habe ich auch der Lektorin, Frau Rechtsanwältin Iris Theves-Telyakar, für die schnelle und qualifizierte Bearbeitung der Manuskripte sowie Frau Laura Hoffmann, die als Assistentin der Verlagsleitung die Herstellung des Werks organisatorisch betreut. Alle, die gemeinsam an der Erstellung des Handbuchs mitgewirkt haben, hoffen, dass „Betriebsfortführung in der Insolvenz“ eine praxisgerechte Hilfe bei der Bewältigung einer Betriebsfortführung ist, der nach allgemeiner Ansicht wohl schwierigsten Aufgabe, die bei der Abwicklung eines Insolvenzverfahrens – sei es als Regelverfahren oder in Eigenverwaltung – geleistet werden muss. Wir freuen uns über Meinungsäußerungen, Empfehlungen und Kritik und danken allen, die das Handbuch in ihrer täglichen Praxis nutzen, es weiter empfehlen und damit die Gesamtleistung eines Kreises von erfahrenen und engagierten Autorinnen und Autoren und den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des RWS Verlages zu würdigen. Aachen, Köln im September 2013

VIII

Rolf-Dieter Mönning

Inhaltsübersicht Seite Vorwort .................................................................................................................................................... V Vorwort der 2. Auflage ......................................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis .................................................................................................................................... XI Autorenverzeichnis .............................................................................................................................. XXI Literaturverzeichnis .......................................................................................................................... XXXI

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung §1

Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung (Uhlenbruck) ........................................................................................ 3

§2

Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung (Prütting) ...................................... 43

§3

Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht (Feser) ......................... 55

§4

Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil (Rebholz) ..................... 67

§5

Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (Runkel/Fliegner) .................................................................................... 77

§6

ESUG: Geänderte Sanierungs- und Fortführungskultur (Flöther/Gelbrich) .......................... 91

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung §7

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung (Weniger) ............................................................................................................. 105

§8

Die Finanzierung der Betriebsfortführung (Pluta/Ch. Keller) .............................................. 119

§9

Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren (Mönning) ...................................................... 155

§ 10

Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss – (Kebekus/Zenker) ...................................................................................................................... 269

§ 11

Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht (Gerster) ............................................... 301

§ 12

Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung (Hermann/Hübl) ................... 375

§ 13

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Planverfahren und im Schutzschirmverfahren (Spies) ......................................................................................................................................... 425

Teil III Der Schuldner in der Betriebsfortführung – Rechtsstellung, Zusammenarbeit und Kommunikation § 14

Der Schuldner in der Betriebsfortführung – Rechte, Pflichten, Konfliktpotential (Flitsch/Birnbreier) ..................................................................................... 485

§ 15

Kommunikation in der Insolvenz (Voskuhl) ........................................................................... 501

§ 16

Psychologische Aspekte der Betriebsfortführung (Stapper) .................................................. 529

§ 17

Lean Management als Führungsinstrument (Kaiser) .............................................................. 537

IX

Inhaltsübersicht

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung § 18

Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters (Hermann/Fritz) ........................................................................................................................ 555

§ 19

Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht (Cranshaw) ................................................................................................................................ 625

§ 20

Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen (Undritz/Meyer-Sommer) ......................................................................................................... 687

Teil V Einzelfragen § 21

Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung (Dreschers) ..................... 717

§ 22

Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme (Schäfer) ................................. 757

§ 23

Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz (Wohlleben) ................................................ 821

§ 24

Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft (Blöse) .......................................... 837

§ 25

Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung (Boddenberg) ............................................................................................................................. 853

§ 26

Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen bei Betriebsfortführung (Bograkos) .................................................................................................................................. 871

§ 27

Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz (Gutheil) ............................................................. 885

§ 28

Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung (Schorisch/Cornelius) ................................................................................................................ 903

§ 29

M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung (Deichmann) ..................................... 951

§ 30

Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz (Klöck/Gerdes) ............................. 993

§ 31

Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung (Zimmermann) ........................................................................................................................ 1015

§ 32

Wettbewerbsrecht und Lizenzen im Rahmen der Betriebsfortführung (Wirth/Göb) ........ 1041

§ 33

Betriebsfortführung in Sonderfällen (Mönig/Coordes) ......................................................... 1065

§ 34

Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich (Bauch) ..................................................................................................................................... 1097

§ 35

Betriebsfortführung und Versicherungsschutz (Langenmayer) ........................................... 1111

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung § 36

Interne und externe Rechnungslegung, Steuern (Schmittmann) ......................................... 1139

§ 37

Externe Schlussrechnungsprüfung (Schmittmann) ............................................................... 1181

§ 38

Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters, des Sachwalters und der Organe der Insolvenzschuldnerin (Frege/Berger/Nicht)..................................................................... 1189

§ 39

Vergütungsfragen (U. Keller) ................................................................................................. 1223

Stichwortverzeichnis ........................................................................................................................... 1253

X

Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort................................................................................................................................... V Vorwort der 2. Auflage ...................................................................................................... VII Inhaltsübersicht .................................................................................................................... IX Autorenverzeichnis ........................................................................................................... XXI Literaturverzeichnis........................................................................................................ XXXI

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung §1

Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung ............................................................................................. 3

I.

Geschichtliche Entwicklung ......................................................................................... 6

II.

Initiativen des Kölner Fachkongresses 1977................................................................ 8

III.

Die Betriebsfortführung im System der InsO ............................................................. 9

IV.

Die Unternehmensfortführung nach der InsO ......................................................... 10

V.

Zuständigkeiten für Sanierungsentscheidungen und -maßnahmen.......................... 12

VI.

Anforderungen an ein Sanierungskonzept................................................................. 15

VII. Die unverzichtbare Fortbestehensprognose .............................................................. 15 VIII. Rechtsfolgen einer misslungenen außergerichtlichen Sanierung.............................. 17 IX.

Das ESUG und die neue Insolvenzkultur.................................................................. 19

X.

Die problematische Fortführungsfinanzierung ......................................................... 23

XI.

Rechtzeitige Einbeziehung der Anteilsinhaber.......................................................... 26

XII. Die Betriebsfortführung nach der dreistufigen Insolvenzrechtsreform .................. 27 XIII. Konzerninsolvenzrecht ............................................................................................... 39 XIV. Zusammenfassung ....................................................................................................... 39 §2

Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung ................................. 43

I.

Die Bedeutung von Verfahrensgrundsätzen .............................................................. 43

II.

Die klassischen Verfahrensgrundsätze ....................................................................... 44

III.

Die Verfahrensgrundsätze bei Fortführung und Sanierung...................................... 49

IV.

Ethik und Betriebsfortführung................................................................................... 52

V.

Pflichtenentlastung und Freistellung von Risiken bei Betriebsfortführung? .......... 52

§3

Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht ............... 55

I.

Konkurs und Vergleich ............................................................................................... 55

XI

Inhaltsverzeichnis II.

Gesamtvollstreckungsverfahren.................................................................................. 59

III.

Die Insolvenzordnung................................................................................................. 60

IV.

Zusammenfassung ....................................................................................................... 64

§4

Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil ................. 67

I.

Einleitung ..................................................................................................................... 67

II.

Der Insolvenzverwalter und das Klavier..................................................................... 68

III.

Verantwortlichkeit....................................................................................................... 72

IV.

Normierungs-/Messbarkeitsversuche ........................................................................ 73

V.

ESUG ........................................................................................................................... 73

VI.

Zusammenfassung/Ausblick ....................................................................................... 75

§5

Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung ................................................................................................. 77

I.

Einführung in die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung.................. 77

II.

Überblick über die Regelungen der GOI................................................................... 79

III.

GOI-Regelungen zur Betriebsfortführung und Auslaufproduktion........................ 84

§6

ESUG: Geänderte Sanierungs- und Fortführungskultur ..................................... 91

I.

Allgemeines .................................................................................................................. 91

II.

Die Lage vor der Gesetzesreform ............................................................................... 92

III.

Einführung einer Sanierungs- und Fortführungskultur durch das ESUG ............... 94

IV.

Fazit ............................................................................................................................ 101

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung §7

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung ............................................................................................................. 105

I.

Die Entscheidungssituation ...................................................................................... 105

II.

Analyse der Unternehmenskrise (Ursachenanalyse) .............................................. 107

III.

Ermittlung von Sanierungsmaßnahmen ................................................................... 110

IV.

Sanierungskonzept und Planungsrechnung ............................................................. 116

V.

Umsetzung und Controlling..................................................................................... 117

VI.

Zusammenfassung ..................................................................................................... 118

§8

Die Finanzierung der Betriebsfortführung .......................................................... 119

I.

Theoretische Grundlagen .......................................................................................... 120

II.

Liquiditätsplanung ..................................................................................................... 124

III.

Finanzierung durch Verwertung............................................................................... 125

XII

Inhaltsverzeichnis IV.

Finanzierung durch Eigenkapital.............................................................................. 131

V.

Finanzierung durch Fremdkapital ............................................................................ 140

VI.

Finanzierung durch die öffentliche Hand................................................................ 152

§9

Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ..................................................... 155

I.

Funktion des Eröffnungsverfahrens......................................................................... 160

II.

Rechtliche Voraussetzungen der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ................................................................................................. 169

III.

Wirtschaftliche und organisatorische Voraussetzungen der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ......................................................... 226

IV.

(Zwangs-)Maßnahmen zur Sicherung der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ................................................................................................. 254

V.

Betriebsfortführung und Öffentlichkeit .................................................................. 265

VI.

Übergang.................................................................................................................... 266

VII. Ausblick – Das außergerichtliche Sanierungsverfahren .......................................... 266 VIII. Fazit............................................................................................................................ 267 § 10 Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss – .............................................................................................. 269 I.

Vorbemerkung: Rolle der Gläubiger bei der Betriebsfortführung ......................... 270

II.

Organe der Gläubiger im Überblick......................................................................... 272

III.

Gläubigerbeteiligung im Eröffnungsverfahren ........................................................ 285

IV.

Gläubigerbeteiligung im eröffneten Regelverfahren ............................................... 290

V.

Gläubigerbeteiligung im eröffneten Planverfahren ................................................. 299

§ 11 Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht .......................................... 301 I.

Vorbemerkung........................................................................................................... 302

II.

Begriff der insolvenzrechtlichen Aufsicht ............................................................... 303

III.

Die insolvenzgerichtliche Aufsicht im Überblick ................................................... 316

IV.

Schwerpunkte insolvenzgerichtlichen Aufsicht und Kontrolle im Verlauf des Insolvenzverfahrens bei Fortführung des schuldnerischen Unternehmens.... 352

V.

Exkurs: Sonderinsolvenzverwalter ........................................................................... 373

VI.

Schlussbemerkung ..................................................................................................... 373

§ 12 Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung ........................... 375 I.

Die Betriebsfortführung im System der InsO ........................................................ 376

II.

Betriebsfortführung im vorläufigen Verfahren........................................................ 390

III.

Betriebsfortführung im endgültigen Verfahren....................................................... 410

IV.

Betriebsfortführung in der Eigenverwaltung ........................................................... 420

XIII

Inhaltsverzeichnis § 13 Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Planverfahren und im Schutzschirmverfahren ........................................................................................... 425 I.

Vorbemerkung ........................................................................................................... 427

II.

Maßnahmen im Vorinsolvenzzeitraum .................................................................... 428

III.

Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ............................................................ 440

IV.

Eigenverwaltung im Verfahren nach § 270a InsO ................................................... 442

V.

Handlungsspielraum der Unternehmensleitung im Rahmen der Betriebsfortführung................................................................................................... 442

VI.

Umsetzung der beabsichtigten Sanierung durch einen Insolvenzplan................... 455

VII. Muster ........................................................................................................................ 459

Teil III Der Schuldner in der Betriebsfortführung – Rechtsstellung, Zusammenarbeit und Kommunikation § 14 Der Schuldner in der Betriebsfortführung – Rechte, Pflichten, Konfliktpotential ................................................................................................... 485 I.

Einleitung: Die Rolle des Schuldners in der insolvenzrechtlichen Praxis .............. 486

II.

Der schuldnerische Personenkreis............................................................................ 489

III.

Schuldnerische Gestaltungsmöglichkeiten i. R. des Insolvenzantrags ................... 489

IV.

Die Rechtsstellung des Schuldners im vorläufigen Insolvenzverfahren................. 490

V.

Die Rechtsstellung des Schuldners im eröffneten Insolvenzverfahren .................. 494

§ 15 Kommunikation in der Insolvenz .......................................................................... 501 I.

Einführung ................................................................................................................. 502

II.

Der Kommunikationsverantwortliche – Bindeglied zwischen Unternehmensführung und Öffentlichkeit sowie Unternehmensführung und Belegschaft ......... 505

III.

Das Handwerkszeug des Pressesprechers in der Insolvenz .................................... 508

IV.

Inhalt und Ablauf einer Insolvenzkommunikation ................................................. 522

V.

Exkurs: Die Medien in Deutschland......................................................................... 526

§ 16 Psychologische Aspekte der Betriebsfortführung ................................................ 529 I.

Psychologische Fähigkeiten und Kenntnisse des Insolvenzverwalters und § 56 InsO.................................................................................................................... 529

II.

Die Psyche nach dem Insolvenzantrag ..................................................................... 529

III.

Der Fels in der Brandung .......................................................................................... 530

IV.

Insolvenz und Psyche ................................................................................................ 531

V.

Grenzen der Psychologie bei der Betriebsfortführung ........................................... 535

§ 17 Lean Management als Führungsinstrument ....................................................... 537 I.

XIV

Unternehmenssanierung und LEAN-Management – passt das wirklich zusammen?................................................................................................................. 537

Inhaltsverzeichnis II.

Phase 1: Ruhe vor dem Sturm................................................................................... 538

III.

Phase 2: Chaos pur!................................................................................................... 541

IV.

Phase 3: Weg aus der Misere ..................................................................................... 542

V.

Phase 4: Rosskur – Jetzt konsequent durchstarten ................................................. 544

VI.

Phase 5: Nachhaltigkeit............................................................................................. 550

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung § 18 Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters ........... 555 I.

Ausgangslage.............................................................................................................. 557

II.

Betriebsfortführung im Konzern nach gegenwärtigem Recht................................ 560

III.

Reformbestrebungen auf deutscher Ebene im Vergleich mit der EuInsVO n. F. Fritz ................................................................................................................... 604

§ 19 Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht ................... 625 I.

Die Rolle des Konzerns im Insolvenzverfahren ...................................................... 627

II.

Die Konzerninsolvenz im internationalen Insolvenzrecht und in einzelstaatlichen Insolvenzrechtsregelwerken..................................................... 641

III.

Der Konzern im Regelinsolvenzverfahren und im Verfahren mit Insolvenzplan............................................................................................................. 646

IV.

Folgen der Eigenverwaltung ..................................................................................... 674

V.

Entwicklungslinien im Konzerninsolvenzrecht....................................................... 676

VI.

Zusammenfassung, Thesen ....................................................................................... 684

§ 20 Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen .......................... 687 I.

Einleitung................................................................................................................... 688

II.

Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren.............................................................. 688

III.

Modifizierte Universalität nach der EuInsVO ........................................................ 689

IV.

Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführung .................................... 698

V.

Öffentliche Bekanntmachungen............................................................................... 704

VI.

Grenzüberschreitende Befugnisse des Insolvenzverwalters .................................. 704

VII. Kooperation der Insolvenzverwalter ........................................................................ 705 VIII. Kooperation der Insolvenzgerichte .......................................................................... 708 IX.

Ausübung von Wahlrechten ..................................................................................... 709

X.

Austauschverträge zwischen den Verfahren ............................................................ 710

XI.

Masseverbindlichkeiten aus grenzüberschreitender Betriebsfortführung ............. 710

XII. Erhalt des Unternehmens als organisatorischer Verbund....................................... 713

XV

Inhaltsverzeichnis

Teil V Einzelfragen § 21 Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung .................. 717 I.

Einleitung ................................................................................................................... 718

II.

Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren .................................................................................. 719

III.

Arbeitsrechtsrechtliche Probleme einer Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren .................................................................................................... 724

§ 22 Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme ............................. 757 I.

Betriebsverfassungsrechtliche Probleme .................................................................. 758

II.

Tarifrechtliche Probleme........................................................................................... 814

§ 23 Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz ................................................. 821 I.

Abgrenzungsfragen und Begriffsklärung ................................................................. 822

II.

Abwicklung im Regelinsolvenzverfahren................................................................. 825

III.

Handlungsoption Insolvenzplan............................................................................... 832

IV.

Zusammenfassung und Ausblick .............................................................................. 836

§ 24 Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft................................... 837 I.

Einführung ................................................................................................................. 837

II.

Rechtsformüberlegungen .......................................................................................... 839

III.

Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung ...................................................... 839

IV.

Kapitalaufbringung in der Auffanggesellschaft........................................................ 843

V.

Rechtsbeziehungen zwischen Insolvenzmasse und Auffanggesellschaft ............... 847

§ 25 Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung ............... 853 I.

Einleitung ................................................................................................................... 853

II.

Aus- und Absonderungsrechte und deren Rechtsgrundlagen ................................ 854

III.

Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Antragsphase ........................................ 860

IV.

Stellung der Sonderrechtsgläubiger im eröffneten Verfahren................................. 864

V.

Konkurrenz von Sonderrechten................................................................................ 868

§ 26 Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen bei Betriebsfortführung ................................................................................................ 871 I.

Einführung ................................................................................................................. 871

II.

Problemstellung im Falle einer Betriebsfortführung............................................... 872

III.

Dogmatische Grundlagen.......................................................................................... 874

IV.

Durchsetzungspflicht und Aufgaben des Insolvenzverwalters............................... 875

V.

Die zivilrechtliche Haftung bei Verstoß gegen die Pflicht zur Anfechtung.......... 877

XVI

Inhaltsverzeichnis VI.

Die strafrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters ............................................. 879

VII. Vertrauenstatbestand, Verzicht und Erlassvertrag .................................................. 881 VIII. Zusammenfassung ..................................................................................................... 883 § 27 Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz ......................................................... 885 I.

Einführung ................................................................................................................. 886

II.

Ermittlung der Massezulänglichkeit......................................................................... 887

III.

Masseunzulänglichkeit bei Verfahrenseröffnung .................................................... 891

IV.

Wirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ............................................... 892

V.

Haftung ...................................................................................................................... 898

VI.

Masseunzulänglichkeit in der Eigenverwaltung....................................................... 899

VII. Masseunzulänglichkeit und Insolvenzplan .............................................................. 900 VIII. Beseitigung der Masseunzulänglichkeit ................................................................... 901 IX.

Erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit .......................................................... 901

§ 28 Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung ....... 903 I.

Vorbemerkung........................................................................................................... 905

II.

Antragsverfahren/Ziel: Sicherung des Grundstücks ............................................... 907

III.

Eröffnetes Verfahren................................................................................................. 924

IV.

Exit-Strategien des Insolvenzverwalters .................................................................. 938

§ 29 M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung ........................................ 951 I.

M&A-Prozess: Definition, Bedeutung und Bezug zur Betriebsfortführung ........ 952

II.

Wesentliche Schritte eines strukturierten M&A-Prozesses (Praxisbericht) ......... 970

III.

Auswirkungen und Besonderheiten der Betriebsfortführung auf den M&A-Prozess............................................................................................................ 979

IV.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Würdigung.......................... 990

§ 30 Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz .................................. 993 I.

Problemaufriss ........................................................................................................... 994

II.

Typen von Genehmigungen ..................................................................................... 994

III.

Realkonzessionen in der Insolvenz .......................................................................... 994

IV.

Personalkonzessionen in der Insolvenz ................................................................... 996

V.

Alternativszenarien.................................................................................................. 1011

VI.

Fazit.......................................................................................................................... 1014

§ 31 Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung ............................................................................................. 1015 I.

Allgemeines.............................................................................................................. 1016

II.

Strategische Sanierung und behördliche Inanspruchnahme.................................. 1019

XVII

Inhaltsverzeichnis III.

Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme als Zustandsstörer in den verschiedenen Insolvenzverfahrensstadien und -konstellationen......................... 1025

IV.

Besonderheiten bei Inanspruchnahme als Handlungsstörer oder Betreiber ........ 1036

V.

Reformbestrebungen, Empfehlung der Kommission vom 12.3.2014................... 1037

§ 32 Wettbewerbsrecht und Lizenzen im Rahmen der Betriebsfortführung ......... 1041 I.

Wettbewerbsrecht.................................................................................................... 1042

II.

Lizenzen und immaterielle Wirtschaftsgüter ......................................................... 1052

§ 33 Betriebsfortführung in Sonderfällen .................................................................. 1065 I.

Einführung ............................................................................................................... 1066

II.

Insolvenzrecht versus sonstige Rechtsgebiete (Berufs-/Verbandsrecht)............. 1067

III.

Die Betriebsfortführung der freien Berufe............................................................. 1068

IV.

Die Betriebsfortführung des Profifußballvereins .................................................. 1082

V.

Zusammenfassung ................................................................................................... 1096

§ 34 Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich ................................................................................................ 1097 I.

Einleitung ................................................................................................................. 1097

II.

Besonderheiten im Verhältnis Automobilhersteller – Zulieferer ......................... 1098

III.

Einzelne Maßnahmen .............................................................................................. 1100

IV.

Fazit .......................................................................................................................... 1110

§ 35 Betriebsfortführung und Versicherungsschutz .................................................. 1111 I.

Einführung ............................................................................................................... 1112

II.

Der Verwalter – Das Verfahren .............................................................................. 1113

III.

Versicherungsschutz der Schuldnerin .................................................................... 1124

IV.

Fazit: Eintritt in bestehende Verträge oder Neuabschluss?.................................. 1135

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung § 36 Interne und externe Rechnungslegung, Steuern................................................ 1139 I.

Einleitung ................................................................................................................. 1141

II.

Handelsrechtliche Rechnungslegung...................................................................... 1142

III.

Offenlegung von Jahresabschlüssen ....................................................................... 1145

IV.

Prüfungspflicht im Insolvenzverfahren.................................................................. 1146

V.

Steuerrechtliche Buchführungspflicht.................................................................... 1148

VI.

Steuern...................................................................................................................... 1150

XVIII

Inhaltsverzeichnis § 37 Externe Schlussrechnungsprüfung ...................................................................... 1181 I.

Einleitung................................................................................................................. 1181

II.

Anordnung der externen Schlussrechnungsprüfung............................................. 1182

III.

Auswahl des Schlussrechnungsprüfers................................................................... 1184

IV.

Ort der Durchführung der Schlussrechnungsprüfung.......................................... 1185

V.

Kosten der Schlussrechnungsprüfung.................................................................... 1185

§ 38 Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters, des Sachwalters und der Organe der Insolvenzschuldnerin ................................................................. 1189 I.

Einleitung................................................................................................................. 1191

II.

Überblick über Haftungstatbestände..................................................................... 1192

III.

Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters ....................................................... 1194

IV.

Haftung des Insolvenzverwalters ........................................................................... 1199

V.

Haftung des Sachwalters in der Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO ........... 1214

VI.

Haftung der Insolvenzschuldnerin und ihrer Organe in der Eigenverwaltung ...................................................................................................... 1218

§ 39 Vergütungsfragen ................................................................................................. 1223 I.

Die Vergütung des Insolvenzverwalters bei Betriebsfortführung ........................ 1224

II.

Die Vergütung der weiteren Organe des Insolvenzverfahrens............................. 1240

III.

Die Beschäftigung von Hilfskräften bei Betriebsfortführung .............................. 1244

IV.

Das Prüfungsrecht des Insolvenzgerichts bei Betriebsfortführung ..................... 1248

Stichwortverzeichnis ....................................................................................................... 1253

XIX

Autorenverzeichnis Daniel Bauch, Rechtsanwalt, D.E.A. (Paris I), ist Rechtsanwalt im Zentralen Rechtsservice der AUDI AG. Nach mehrjähriger Zugehörigkeit zu einer überörtlichen Kanzlei als Insolvenzverwalter sowie als Sanierungs- und Restrukturierungsberater, wechselte er zunächst in das Risikomanagement der AUDI AG. Zu seinen Aufgaben im Zentralen Rechtsservice zählt u. a. die Rechtsberatung des Risikomanagements. Dabei stehen insbesondere Fragestellungen aus dem Insolvenz- und Restrukturierungsrecht im Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Daniel Bauch ist u. a. Mitautor des Handbuchs des Fachanwaltes für Bank- und Kapitalmarkrecht. Prof. Dr. Christian Berger ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Urheberrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig und Geschäftsführender Direktor des Ernst-Jaeger-Instituts für Unternehmenssanierung und Insolvenzrecht. Er ist Mitherausgeber und Autor in zahlreichen Publikationen, u. a. Jauernig (Hrsg.), „Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch“, Brehm/Berger, „Sachenrecht“, Jauernig/Berger, „Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht“, Berger (Hrsg.), „Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilrecht“, Berger/Wündisch (Hrsg.), „Urhebervertragsrecht“, Löffler (Hrsg.), „Presserecht“. Herr Professor Dr. Berger betreut zudem den jährlich stattfindenden Leipziger Insolvenzrechtstag. Friedrich Birnbreier ist Rechtsanwalt der Kanzlei Wellensiek Rechtsanwälte, Partnerschaftsgesellschaft. Er ist spezialisiert auf die Beratung von Banken und anderen gesicherten Gläubigern und verfügt über umfangreiche Erfahrungen mit anfechtungsrechtlichen Themen. Weiterhin begleitet er Geschäftsführer und Gesellschafter in der Unternehmenskrise und in der Insolvenz. Zu den genannten Themengebieten veröffentlicht er regelmäßig in Fachpublikationen. Dr. Jochen Blöse, MBA, Rechtsanwalt, Mediator (CfM), Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, ist Rechtsanwalt in der Kölner Kanzlei Jacobs & Dr. Blöse. Er beschäftigt sich neben gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsfragen im Schwerpunkt mit der Beratung und Vertretung von Gesellschaftern und Organen krisengefährdeter oder insolventer Unternehmen. Er ist u. a. Herausgeber bzw. (Mit)Autor der Werke „Unternehmenskrisen“ (hrsg. v. Blöse/Kihm), „Krisenmanagement mit Outsourcing“ und „Praxisleitfaden Insolvenzreife“. Dr. Mark Boddenberg, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der Kanzlei Dr. Ringstmeier & Kollegen Insolvenzabwicklung GbR. Neben seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter ist er u. a. als Dozent an der Fachhochschule Koblenz tätig und kommentiert fortlaufend die §§ 47 – 55 InsO und §§ 165 – 173 InsO im Onlinekommentar von WoltersKluwerDeutschland. Charalambos Bograkos-Tzannetakos, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Bograkos Rechtsanwälte, ist spezialisiert auf die Durchsetzung von insolvenzspezifischen Tatbeständen. Hierzu zählen v. a. Ansprüche aus Insolvenzanfechtung, auf Kapitalaufbringung und kapitalersatzrechtliche Ansprüche, Ansprüche wegen verbotener Zahlungen oder Insolvenzverschleppung sowie Ansprüche aus der Existenzvernichtungshaftung. Weitere Schwerpunkte sind der bankrechtliche Bereich im Insolvenzverfahren sowie die vorinsolvenzrechtliche Sanierungsberatung. Er ist Autor im Handbuch „Praxis der Insolvenzanfechtung“ und Dozent an der FH Trier/Umweltcampus Birkenfeld. Er referiert über Insolvenzanfechtung sowie Organhaftung und veröffentlicht regelmäßig zu insolvenzanfechtungsrechtlichen Themen.

XXI

Autorenverzeichnis Eric Coordes, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeits- und Insolvenzrecht, ist Partner der Kanzlei Mönig und Partner. Er ist als Insolvenzverwalter in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen tätig. Darüber hinaus berät er Unternehmen in Fragen der Restrukturierung und Sanierung insbesondere unter Insolvenzbedingungen und ist auf die wirtschaftswie arbeitsrechtliche Begleitung von Unternehmenskäufen und -verkäufen spezialisiert. Detlev Cornelius, Rechtsanwalt, arbeitet in Dresden im Verbund mit einer überörtlichen Steuerberatungsgesellschaft und Rechtsanwälten mit Büros in Hamburg und Dresden zusammen. Aufgrund seiner Erfahrung als Syndikusanwalt nimmt er regelmäßig Projekteinsätze als interimistischer Inhouse-Jurist wahr. Bis Ende August 2013 war er als Rechtsanwalt bei hww wienberg wilhelm Rechtsanwälte Partnerschaft tätig. Dort beriet er hausintern in der Funktion einer Rechtsabteilung zu einer Vielzahl von rechtlichen Fragen innerhalb und außerhalb des Insolvenzrechts. Zudem bearbeitete er Mandate i. R. von komplexen insolvenzverfahrensbezogenen Transaktionen der Verwalter. Davor war er als Syndikusanwalt bei einem amerikanischen Industriekonzern tätig. Seine berufliche Tätigkeit begann er als Rechtsanwalt in einer überörtlichen wirtschaftsberatenden Sozietät mit Hauptsitz in Frankfurt/M. Dr. Friedrich L. Cranshaw, Rechtsanwalt, Mutterstadt, vorm. langjährig Banksyndikus/ Direktor einer großen öffentlich-rechtlichen Bank. Er arbeitet auf den Gebieten des europäischen Rechts, des Sanierungs- und Insolvenzrechts, des Internationalen Privatrechts sowie des Bankrechts. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen, u. a. einer Monographie zur Insolvenz von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (2007) sowie ständiger Autor einiger Zeitschriften, Mitherausgeber eines Bankenkommentars zum Insolvenzrecht, eines Kommentars zum Anfechtungsrecht sowie weiterer Publikationen auf seinen Arbeitsgebieten. Ferner hat er langjährige Erfahrungen als Dozent in einer Reihe von Einrichtungen und arbeitet in rechtswissenschaftlichen Organisationen mit. Artur Deichmann, Dipl.-Kfm. und Bankkaufmann, ist Managing Partner bei SSC Consult in Köln. Seine Tätigkeitsgebiete umfassen einerseits die M&A- und Finanzierungsberatung im Mittelstand mit Schwerpunkt auf Industrials, Business Services und Technology. Unabhängig von Branchenschwerpunkten berät Herr Deichmann bei M&A-Prozessen und Finanzierungsprojekten im Insolvenzumfeld. Im Sektor M&A-Beratung im Rahmen von Insolvenzverfahren hat er in letzter Zeit zahlreiche Unternehmenstransaktionen sowohl hinsichtlich übertragender Sanierungen als auch im Zuge der Umsetzung von Insolvenzplänen erfolgreich umgesetzt. Zu nennen sind hier u. a. Unylon Polymers (Guben), Bonner Fahnenfabrik (Bonn), Kaufhaus JOH (Gelnhausen), Bäckerei Wilhelm Middelberg, Anton Cramer (Greven), SRI-Gruppe (Durach), FFK-Gruppe, Alsfelder Landbrauerei, QSN 24h, Druckwerke Reichenbach, Kalenderverlag Treuleben & Bischof sowie TMS Messe Kongresse und Ausstellungen. Prof. Dr. Martin Dreschers, Rechtsanwalt, ist Partner der überregionalen Sozietät d e n s Insolvenzverwaltung und wird regelmäßig von den Insolvenzgerichten Aachen, Köln und Mönchengladbach in Verfahren aller Branchen zum Sachverständigen, Treuhänder, Insolvenzverwalter und Sachwalter bestellt. Er ist Fachanwalt für Arbeits- und Insolvenzrecht und verfügt über eine umfassende Erfahrung im Zusammenhang mit der Klärung von Arbeitnehmerfragen sowie der Verhandlung mit Betriebsräten und Gewerkschaften in Insolvenzverfahren aller Größenordnungen. Neben einer umfassenden Vortragstätigkeit im Inund Ausland ist er Autor diverser Fachveröffentlichungen zu allen Bereichen des Insolvenzrechts sowie Inhaber einer ordentlichen Professur für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen. Udo Feser ist Rechtsanwalt, Insolvenzverwalter und Partner im Berliner Büro der überregionalen Kanzlei Feser & Spliedt. Seit der Kanzleigründung im Jahr 1984, wurden von ihm XXII

Autorenverzeichnis als Insolvenzverwalter mehr als 2.500 Konkurs-, Gesamtvollsteckungs- und Insolvenzverfahren abgewickelt. Sein Schwerpunkt liegt in der Betriebsfortführung und Sanierung der insolventen Unternehmen. Er ist Mitglied des Gravenbrucher Kreises, des Verbandes der Insolvenzverwalter Deutschland e. V. und Mitbegründer des Berlin/Brandenburger Arbeitskreises für Insolvenzrecht e. V. Darüber hinaus ist er Mitglied bei INSOL Europe. Er ist als Referent für die DeutscheAnwaltAkademie tätig und veröffentlicht regelmäßig in Fachpublikationen. Robert Fliegner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der Kanzlei RSW Runkel Schneider Weber. Er wird von vier nordrhein-westfälischen Insolvenzgerichten regelmäßig zum Insolvenzverwalter bestellt. Auch berät er Gesellschaften, Gesellschafter und Selbständige in Insolvenz- und Sanierungsszenarien. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen (u. a. Kommentierung zur internen Rechnungslegung bei Pape/Uhländer, „NWB Kommentar zum Insolvenzrecht“ sowie Autor des Kapitels zur Beratung in der Nachlassinsolvenz bei Runkel, „Anwaltshandbuch Insolvenzrecht“). Er referiert regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen und ist Mitglied der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung der Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) im VID e. V. Dr. Michael Flitsch, Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter, ist Partner der Kanzlei Wellensiek Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind die Erstellung von Insolvenzplänen und die Fortführung von Unternehmen im Insolvenzverfahren. Er begleitet zudem Geschäftsführer, Gesellschafter und Gläubiger in der Unternehmenskrise und in der Insolvenz. Im „Bankenkommentar zum Insolvenzrecht“ (hrsg. v. Cranshaw/Paulus/Michel) hat er den Bereich des Insolvenzplanverfahrens kommentiert und ist Autor zahlreicher weiterer Buch- und Zeitschriftenbeiträge. Dr. Michael Flitsch ist Lehrbeauftragter an der HfWU Hochschule für Wirtschaft und Umwelt NürtingenGeislingen. Prof. Dr. Lucas F. Flöther ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Gründungspartner der Sozietät FLÖTHER & WISSING Rechtsanwälte – Insolvenzverwaltung – Sanierungskultur. Die Sozietät zählt im Bereich der Insolvenzverwaltung zu den führenden überregional tätigen Kanzleien Deutschlands und hat sich auf die Verwaltung und Sanierung großer Unternehmen spezialisiert. Professor Dr. Flöther wird seit 1999 als Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverwalter beauftragt und betreute bislang über 1 000 Unternehmensinsolvenzen. Er ist Sprecher des Gravenbrucher Kreises und Vorsitzender des Ausschusses Insolvenzrecht der Bundesrechtsanwaltskammer. Regelmäßig referiert und veröffentlicht er zum Insolvenzrecht, insbesondere im Bereich der Eigenverwaltung, des Insolvenzplans und des internationalen Insolvenzrechts. Er ist seit 2012 Honorarprofessor für Bürgerliches Recht und Insolvenzrecht an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg. Dr. Michael C. Frege, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Insolvenzverwalter und Wirtschaftsmediator, ist Partner der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Seinen beruflichen Schwerpunkt hat er in der Insolvenzverwaltung, insbesondere von international tätigen Konzernunternehmen, in der Sonderinsolvenzverwaltung, Sanierungsberatung und Mediation. Er ist zudem Autor zahlreicher Fachbeiträge und Fachbücher, u. a. Frege/Riedel, „Schlussbericht und Schlussrechnung“, Frege/Keller/Riedel, „HRP Handbuch der Rechtspraxis Insolvenzrecht“, Frege, „Verhandlungserfolg in Unternehmenskrise und Sanierung“ und Frege, „Der Sonderinsolvenzverwalter“. Daniel Friedemann Fritz, Rechtsanwalt und Partner der Sozietät hww hermann wienberg wilhelm, vormals bei HERMANN RWS. Er berät alle Beteiligten in inländischen wie internationalen Insolvenzverfahren und damit in Zusammenhang stehenden Transaktionen bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Gläubiger vertritt er auch in GläubigerXXIII

Autorenverzeichnis ausschüssen (z. B. Praktiker Konzern), Käufer und Verkäufer bzw. Insolvenzverwalter bei M&A-Transaktionen in der Insolvenz. Neben zahlreichen Publikation berät als „Private Expert“ die Europäische Kommission bei der Erstellung einer Gesetzgebungsinitiative zur Harmonisierung des europäischen Insolvenzrechts bzw. Einführung eines vorinsolvenzlichen Verfahrens. Dr. Katharina Gelbrich ist Rechtsanwältin der Sozietät FLÖTHER & WISSING Rechtsanwälte – Insolvenzverwaltung – Sanierungskultur. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Insolvenzverwaltung, insbesondere in der Eigenverwaltung, bei Konzerninsolvenzen sowie der Sanierungsberatung und Restrukturierung. Ingo Gerdes ist Partner der Kanzlei TaylorWessing in Düsseldorf. Er ist spezialisiert auf die Beratung von Insolvenzverwaltern bei der Aufdeckung und Durchsetzung von (Organ-)Haftungs- und Anfechtungsansprüchen. Außerdem berät Ingo Gerdes Sachwalter i. R. der Eigenverwaltung. Erwin Gerster, ist Insolvenzrichter beim Amtsgericht Dresden und Lehrbeauftragter der Hagen Law School. Darüber hinaus veröffentlicht und referiert er regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen. Dr. Marc Alexander Göb ist Partner der Kanzlei sgpartner Rechtsanwälte in Düsseldorf. Er berät vornehmlich Gesellschafter und Organe betroffener Gesellschaften, Gläubigerbanken sowie Insolvenzverwalter in Sanierungs- und Insolvenzfällen. Er ist Autor der Rubrik „Aktuelle gesellschaftsrechtliche Fragen in Krise und Insolvenz“ in der NZI sowie zahlreicher Beiträge zu insolvenz- und gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen (u. a. in EWiR und NZG) und referiert regelmäßig zu insolvenz- und sanierungsspezifischen Themen. Marion Gutheil, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Insolvenzrecht, leitet den Düsseldorfer Standort der Insolvenzrechtskanzlei Mönning & Partner. Sie ist seit über 15 Jahren in der Insolvenzverwaltung und -beratung tätig und wird von verschiedenen Insolvenzgerichten in Nordrhein-Westfalen zur Insolvenzverwalterin, Sachwalterin und Treuhänderin bestellt. Sie ist spezialisiert auf Betriebsfortführung und übertragende Sanierung. Außerdem hat sie umfangreiche Erfahrungen mit anfechtungsrechtlichen Themen. Daneben berät sie Gesellschafter und Organe von Gesellschaften zu insolvenz- und sanierungsspezifischen Fragen. Ottmar Hermann, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Fachanwalt für Insolvenzrecht ist Gründungspartner der Kanzlei HERMANN RWS, nunmehr hww hermann wienberg wilhelm. Vor allem als Insolvenzverwalter beschäftigt er sich seit vielen Jahren intensiv mit der Sanierung, Restrukturierung und Abwicklung von Unternehmen und Konzernen. Umfassende Erfahrungen hat er insbesondere bei der Fortführung von internationalen Konzernen, z. B. Philipp Holzmann AG, EganaGoldpfeil, Wilhelm Karmann GmbH, Deutsche Woolworth sowie von mittelständischen Betrieben gesammelt. Ottmar Hermann ist Fachreferent bei Tagungen und Symposien und hat zahlreiche juristische Schriften veröffentlicht. Gudrun Hübl, Dipl.-Kffr., ist geschäftsführende Gesellschafterin der CMC Controlling – Management Consultants GmbH, Dresden. Zu Ihren Arbeitsbereichen gehören im Rahmen der Insolvenz und Sanierung die Erarbeitung und Begleitung von Sanierungskonzepten sowie die insolvenzverwaltungsspezifische betriebswirtschaftliche Steuerung. Im Rahmen der Gründungs- und Wachstumsberatung zählen u. a. die Erstellung von Businessplänen, die Durchführung externen Controllings sowie die Entwicklung und Umsetzung von Controllingkonzepten zu den Tätigkeitsfeldern. Arnd D. Kaiser, Dipl.-Ing. (FH), studierter Produktionstechniker, Manager und LEANForscher ist Europas LEAN-Coach Nr. 1 und Experte in LEAN-Management. Sein Spe-

XXIV

Autorenverzeichnis zialgebiet ist die effiziente und nachhaltige Umsetzung der LEAN-Denkweise ins Tagesgeschäft. Sein angewandtes Expertenwissen konnte er seit über 23 Jahren in über 14 Ländern auf 5 Kontinenten vertiefen. Seit 2002 praktiziert er aktiv im Ausland und setzt sowohl international, als auch national mit Erfolg und Nachhaltigkeit den LEAN-Gedanken branchenübergreifend um. Dr. Frank Kebekus, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist seit 1992 ausschließlich im Bereich der Insolvenzverwaltung und der Restrukturierungsberatung tätig. Er hat seitdem u. a. mehrere hundert Unternehmensinsolvenzen betreut. Sein Schwerpunkt liegt in der Bearbeitung von Konzerninsolvenzen und grenzüberschreitenden Verfahren. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen. Dr. Christoph Keller, LL.M. (LSE) ist Syndikus der Aurelius Beteiligungsberatungs AG in München. Er ist seit 2005 als Anwalt mit dem Schwerpunkt Restrukturierung und Insolvenz tätig und durch zahlreiche Veröffentlichungen zu diesen Rechtsgebieten ausgewiesen. Prof. Ulrich Keller lehrt seit 2001 an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin Zwangsvollstreckungsrecht und Insolvenzrecht. Er war unter anderem Rechtspfleger in Insolvenzsachen und Zwangsversteigerungssachen und an verschiedenen Amtsgerichten in Bayern und Sachsen tätig. Prof. Keller ist seit vielen Jahren ausgewiesener Experte zur Vergütung in Insolvenzverfahren. Im RWS-Verlag erscheint sein „Handbuch zu Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren“, im „Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung“ kommentiert er die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung. Er ist Mitautor bei Karsten Schmidt, InsO, 18. Aufl. 2013 sowie Autor eines Lehrbuchs zum Insolvenzrecht im Verlag Franz Vahlen. Zudem gibt er das „Handbuch zum Insolvenzrecht“ (Frege/ Keller/Riedel) und das „Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht“ heraus. Dr. Oliver Klöck ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei TaylorWessing in Düsseldorf. Er leitet die öffentlich-rechtliche Practice Area „Umwelt, Planung, Regulierung“ und koordiniert die regulatorische Beratung im Gesundheitswesen. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen im regulatorischen Gesundheitsrecht (v. a. Zulassung und Finanzierung medizinischer Leistungserbringer, Fusionen, Kooperationen und Outsourcing-Projekte im stationären und ambulanten Sektor sowie Beratung von Krankenkassen und Ministerien) sowie im Umweltrecht, wo er insbesondere Unternehmen der Entsorgungswirtschaft sowie des produzierenden Gewerbes im Abfall-, Immissionsschutz-, Bodenschutz- und Wasserrecht berät. Schließlich berät und vertritt Oliver Klöck die öffentliche Hand und Unternehmen in öffentlich-rechtlichen Fragen ohne Immobilienbezug, häufig im Bereich ITgestützter Hochsicherheitsprojekte. Er tritt regelmäßig mit Vorträgen und Veröffentlichungen insbesondere im regulatorischen Gesundheitsrecht hervor. Alexander Langenmayer, Finanzfachwirt (FH), Versicherungskaufmann (IHK), ist geschäftsführender Gesellschafter der Langenmayer Versicherungsmakler GmbH & Co. KG in Gräfelfing, sowie Vorstand des adiutus, Deutscher Insolvenz Assekuranz-Verband e. V. Er ist seit 1989 als unabhängiger Versicherungsmakler tätig und hat zahlreiche Unternehmen in der Phase der Insolvenz begleitet. Seit 2009 ist er parallel Vorstand des adiutusVerbandes, welcher die Qualitätsnormen und Produktlandschaft zum Thema Versicherungsschutz im Insolvenzverfahren etablieren bzw. verbessern möchte, tätig. Neben den oben genannten Tätigkeiten hält er laufend Vorträge zum Thema, insbesondere mit Praxisbezug, die u. a. in der Zusammenfassung „Unternehmen im Auf und Ab der Konjunktur“ (hrsg. v. Heinrich) veröffentlicht wurden.s Dr. Ellen Meyer-Sommer, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Insolvenzrecht, ist Local Partnerin der Sozietät White & Case in Hamburg. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt seit über zehn Jahren in der Insolvenzverwaltung, namentlich in der Fortführung und der XXV

Autorenverzeichnis Sanierung von Unternehmen aller Branchen. Daneben berät sie Mandanten bei insolvenznahen Fragestellungen sowie im Rahmen von Restrukturierungen. Frau Dr. MeyerSommer ist Mitautorin im „Handbuch zur Insolvenz“, begründet von Joachim Kraemer. Michael Mönig, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, gründete nach Zulassung zur Rechtsanwaltschaft 1983 im Januar 1984 die Sozietät Mönig in Münster. 1989 wurde Herr Mönig zum vereidigten Buchprüfer bestellt. 2001 erfolgte die Ernennung zum Fachanwalt für Insolvenzrecht. Als Insolvenzverwalter ist er im Bezirk der Insolvenzgerichte Münster, Dortmund, Essen, Bochum und Leipzig tätig. Neben der beratenden Tätigkeit im Insolvenz- und Sanierungsrecht referiert er regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen. Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning ist sowohl Gesellschafter der Mönning & Partner Insolvenzverwalter Partnerschaftsgesellschaft als auch der Mönning & Partner Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft jeweils mit Sitz in Berlin. Er wird seit 1978 überregional als Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungsverwalter und Insolvenzverwalter bestellt und berät Unternehmen bei Gründung, Verkauf und Restrukturierung. Er ist Mitglied des Gravenbrucher Kreises und war dessen Sprecher von 1999 bis 2001. Zunächst als Honorarprofessor später als ordentlicher Professor an der FH Aachen vertrat er bis zur Pensionierung das Fach Unternehmensrecht. Verfasser der Erstauflage „Betriebsfortführung in der Insolvenz“, Autor vieler Fachbeiträge zum Insolvenz- und Sanierungsrecht, kommentiert das Eröffnungsverfahren bei Nerlich/Römermann und wirkt als Veranstaltungsleiter oder Referent auf Symposien, Fortbildungsveranstaltungen und Seminaren im In-und Ausland. Prof. Dr. Matthias Nicht ist Professor für Bürgerliches Recht, Vollstreckungs- und Insolvenzrecht, Registerrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin. Zuvor war er über mehrere Jahre als Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle Insolvenzberatung und -verwaltung, Leipzig/Frankfurt am Main, in der Insolvenzverwaltung tätig, vorwiegend im Bereich international handelnder Konzernunternehmen. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge, u. a. in Keller (Hrsg.), „Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht“, Kübler (Hrsg.), „HRI – Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz“, Flöther (Hrsg.), „Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht“, Theiselmann (Hrsg.), „Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts“. Michael Pluta, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, vereidigter Buchprüfer, ist Namenspartner der Kanzlei Pluta Rechtsanwalts GmbH. Er ist seit 30 Jahren in BadenWürttemberg und Bayern als Insolvenzverwalter tätig. Zu seinen Spezialgebieten zählen die sanierende Betriebsfortführung und die übertragende Sanierung. Er veröffentlicht regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen. Prof. Dr. Hanns Prütting ist seit 1986 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Arbeitsrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln und Direktor des Instituts für Verfahrensrecht, des Instituts für Anwaltsrecht sowie des Instituts für Internationales und Europäisches Insolvenzrecht. Er ist Mitherausgeber und Autor zahlreicher Kommentare, Lehrbücher und sonstiger Publikationen, etwa des Insolvenzrechtskommentars von Kübler/Prütting/Bork, ferner des Kommentars zum BGB von Prütting/Wegen/Weinreich, des ZPO-Kommentars von Prütting/Gehrlein, des Kommentars zum FamFG von Prütting/Helms, des Kommentars zur BRAO von Henssler/ Prütting sowie des Kommentars zum Arbeitsgerichtsgesetz von Germelmann/Matthes/ Prütting. Er ist ferner Mitherausgeber der ZIP sowie mehrerer Schriftenreihen. Prof. Dr. Prütting ist Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste sowie der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt. Knut Rebholz, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Arbeitsrecht ist Partner der Sozietät Mönning & Partner Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft, Berlin. Er ist seit nahezu 20 Jahren im Insolvenz- und Sanierungsrecht und in Berlin und Brandenburg als Insolvenzverwalter und Zwangsverwalter tätig. XXVI

Autorenverzeichnis Hans-Peter Runkel, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Insolvenzverwalter, Seniorpartner der Kanzlei RSW Rechtsanwälte, ist Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter Deutschland e. V. (VID) und Mitglied des Gravenbrucher Kreises. Daneben war er Vorsitzender des Anwaltsvereins Wuppertal sowie 24 Jahre Vorstandsmitglied der Anwaltskammer Düsseldorf. Neben regelmäßigen Veröffentlichungen in Zeit- und Festschriften ist er Herausgeber und Autor des „Anwaltshandbuchs Insolvenzrecht“. Cornelia Schäfer, Rechtsanwältin (Dipl.- Jurist), ist in Einzelkanzlei in Aachen tätig und spezialisiert auf dem Gebiet des Arbeitsrechtes, insbesondere dem Insolvenzarbeitsrecht. In ihrem überregional ausgerichteten Arbeitsfeld, u. a. in den letzten Jahren in Aachen, Mönchengladbach, Cottbus, Berlin, Potsdam und Dresden, begleitete sie insolvenzbedingte Betriebsänderungen bei Unternehmen und führte hierbei zahlreiche Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften. Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht und ist dort stellvertretender Leiter des Kompetenzcentrums Wirtschaftsrecht (KCW). Zudem ist er Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht sowie Steuerberater und Insolvenzverwalter in Essen und Dortmund. Herr Schmittmann ist Mitglied des Zweiten Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen und Vizepräsident des RIFAM Rhein-Ruhr-Institut für angewandte Mittelstandsforschung e. V., Essen/Düsseldorf, sowie Mitherausgeber des Buches „Praxis der Insolvenzanfechtung“ (Haarmeyer/Huber/Schmittmann). Weiterhin kommentiert er im „Kommentar zur InsO“ (hrsg. K. Schmidt) die Regelung des § 155 InsO sowie das Insolvenzsteuerrecht und im Kommentar von Pape/Uhländer verschiedene Regelungen, insbesondere die §§ 207 ff. InsO. Im RWS Verlag sind seine Bücher „Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz“ (gemeinsam mit Bernadette Duda) und „Haftung der Organe in Krise und Insolvenz“ erschienen. Henning Schorisch, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner von hww hermann wienberg wilhelm, einer der größten und bundesweit aufgestellten Sozietäten Deutschlands im Insolvenzrecht. Seit über 20 Jahren ist er als Insolvenz- und Zwangsverwalter tätig. Der aktuelle Schwerpunkt seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter liegt im Solar- und Automotive-Bereich sowie in der Verwaltung von Immobiliengesellschaften. Im Bereich der Verwaltung großer Immobilien ist er auch als Zwangsverwalter tätig. Jörg Spies, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Bankkaufmann, ist Inhaber der auf Insolvenzabwicklungen und Restrukturierungsberatung spezialisierten Kanzlei SP!ES Restrukturierung und hat seit 1993 als Insolvenzverwalter mehrere hundert Insolvenzverfahren abgewickelt. Jörg Spies ist insbesondere im Bereich der Insolvenzplanerstellung bundesweit tätig. Mit der Erstellung von Sanierungskonzepten und deren Umsetzung i. R. von Insolvenzplanverfahren mit Eigenverwaltung bei Eintritt in die Geschäftsleitung – bereits viele Jahre vor Inkrafttreten des ESUG – ist er einer der Sanierungsexperten in Deutschland, die in Krisensituationen auch operative Verantwortung in Unternehmen übernehmen. Er hält regelmäßig Vorträge und publiziert zum Thema Insolvenzplan und Eigenverwaltung. Dr. Florian Stapper, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Steuerrecht, hat nach Promotion und Mitarbeit in einer Großkanzlei zwei Jahre als Assistent in der Wirtschaftsprüfung (Big Five) und danach als Assistent eines großen Konkursverwalters gearbeitet und gelernt. Im Anschluss hat er ein auf die Insolvenz- und Zwangsverwaltung spezialisiertes Büro in Leipzig mit zunächst einer vom Arbeitsamt bezahlten Sekretärin gegründet (Garagengründung). Die Kanzlei ist inzwischen mit drei Partnern XXVII

Autorenverzeichnis und rund 70 Mitarbeitern an mehreren Gerichten tätig. Dr. Stapper ist in mehr als 3 000 Insolvenzverfahren durch die Gerichte als Sachverständiger beauftragt und/oder als Insolvenzverwalter bestellt worden. Er ist auf die Betriebsfortführung mit anschließender Sanierungslösung spezialisiert. Mit knapp 50 als Insolvenzverwalter bei Gericht eingereichten Insolvenzplänen und einer Erfolgsquote von 100 % ist er insofern bundesweit führend. Dr. Stapper veröffentlicht regelmäßig in Fachzeitschriften und hält Vorträge und Vorlesungen auf Fachveranstaltungen und bei Universitäten. Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, leitete von 1975 – 1995 die Konkursabteilung am Amtsgericht Köln und war von 1968 – 1997 Vorsitzender des Arbeitskreises für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e. V.; von 1978 – 1985 war er Mitglied der Kommission für Insolvenzrecht. 1980 erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität zu Köln, 1986 wurde er dort Honorarprofessor. Unter anderem ist er Herausgeber der Zeitschriften „KTS“ und „NZI“. Sein Kommentar zur Insolvenzordnung gilt als Standardwerk. Zugleich ist er Verfasser zahlreicher Buchwerke und von Beiträgen zum Insolvenzrecht und Arztrecht. Dr. Sven-Holger Undritz, Rechtsanwalt, Partner der Sozietät White & Case in Hamburg. Seit 1998 ist er regelmäßig als Insolvenzverwalter tätig und wird auch zum Sachwalter in der Eigenverwaltung bestellt. Darüber hinaus begleitet er Unternehmenssanierungen und Restrukturierungen, u. a. unter Einsatz von Treuhandmodellen als Instrument der Sanierung. Er ist Mitautor sowohl im Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht (Internationales Insolvenzrecht) als auch im Kommentar von Karsten Schmidt (Eigenverwaltung). Er veröffentlicht regelmäßig zu diversen Themen des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts, u. a. zu aktuellen Sanierungsthemen, dem Unternehmenskauf in der Insolvenz sowie dem europäischen und internationalen Insolvenzrecht. Er ist Mitglied des Gravenbrucher Kreises und wird regelmäßig als Referent zu insolvenzrechtlichen Fortbildungsveranstaltungen bzw. Symposien eingeladen. Holger Voskuhl ist Kommunikationsberater und seit vielen Jahren auf die interne und externe Krisenkommunikation spezialisiert. Er hat dabei sowohl als Pressesprecher eine Vielzahl von Unternehmen und deren Insolvenzverwalter in der Insolvenz unterstützt als auch im Hintergrund die Verantwortlichen von Unternehmen in der Krise beraten, oftmals auch bei der Vorbereitung eines Insolvenzverfahrens nach ESUG. Dabei konnte er von Automobilzulieferern über Unternehmen aus dem Einzelhandel bis hin zu Profi-Sportvereinen und Krankenhäusern Erfahrungen in den verschiedensten Branchen sammeln. Dr. Stefan Weniger, Rechtsanwalt, Dipl.-Betriebswirt (BA), ist Partner der hww hermann wienberg wilhelm PartG und Geschäftsführer der hww Unternehmensberater GmbH. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind die Erstellung von Sanierungskonzepten und die Übernahme von Sanierungsgeschäftsführungen, auch in der Eigenverwaltung. Zu seinen Veröffentlichungen gehört neben zahlreichen Artikeln zum Sanierungs- und Insolvenzrecht in diversen Fachzeitschriften auch der Beitrag zum Sanierungsgeschäftsführer in „Modernes Sanierungsmanagement“. Dr. Carsten M. Wirth, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der Kanzlei Mönig und Partner. Er ist in Nordrhein-Westfalen als Insolvenzverwalter bestellt. Zudem ist er bei der Gestaltung von Insolvenzplänen und eigenverwalteten Unternehmen beratend tätig. Dr. Hermann Peter Wohlleben, Rechtsanwalt, ist seit 1996 Mitglied des Vorstands des PENSIONS-SICHERUNGS-VEREIN Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG) in Köln und dort verantwortlich für die Bereiche „Insolvenz und Leistung“ sowie „Recht und Personal“ sowie langjähriges Vorstandsmitglied der aba Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und des Vereins für Insolvenzwesen, Köln. Er ist Autor diverser Publikationen u. a. zur betrieblichen Altersversorgung und zum Insolvenzrecht. XXVIII

Autorenverzeichnis Wolfgang Zenker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und dort im Rahmen eines rechtsvergleichenden EUForschungsprojekts zum Insolvenz- und Restrukturierungsrecht bei Professor Dr. Christoph G. Paulus, LL. M. (Berkeley) tätig. Zu seinen Publikationen gehören Kommentierungen diverser Anfechtungsvorschriften sowie das Kapitel „Insolvenzanfechtung“ in Bork/ Hölzle (Hrsg.), „Handbuch zum Insolvenzrecht“. Dr. Franc Zimmermann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der Sozietät Mönning & Partner mit Schwerpunkt im Bereich der Insolvenzverwaltung und Sanierung. Er ist in Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt als Insolvenzverwalter und zudem als Sonderinsolvenzverwalter tätig. Dr. Zimmermann ist Mitautor des Insolvenzrechtskommentars von Nerlich/Römermann, des durch die Serbian Bankruptcy Supervision Agency herausgegebenen Kommentars zu den Grundlagen des Serbischen Insolvenzanfechtungsrechts, veröffentlicht regelmäßig Beiträge in Fachzeitschriften und referiert im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen.

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Literaturverzeichnis Weitere themenspezifische Literatur, Zeitschriften- und Festschriftbeiträge sind in den Literaturübersichten der jeweiligen Paragrafen aufgeführt Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier (Hrsg.), Fachanwaltskommentar Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2014 (zit.: FAKomm-InsR) Andres/Leithaus, InsO, Kommentar, 3. Aufl., 2014 Baumbach/Hopt, HGB, Kommentar, 36. Aufl., 2014 Baumbach/Hueck, GmbHG, Kommentar, 20. Aufl., 2013 Beck/Depré (Hrsg.), Praxis der Insolvenz, 2. Aufl., 2010 Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, hrsg. v. Rolfs/Kreikebohm/Giesen/Udsching, Ed. 37 1.9.2015 (zit.: BeckOK-ArbR) Beck'scher Online-Kommentar InsO, hrsg. v. Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Ed. 1 31.1.2016 (zit.: BeckOK-InsO) Beck’sches Formularbuch GmbH-Recht, hrsg. v. Lorz/Pfisterer/Gerber, 2010 Becker, Insolvenzrecht, 3. Aufl., 2010 Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004 Blersch/Goetsch/Haas (Hrsg.), Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Loseblatt, 53. EL 7/2015 (zit.: Blersch/Goetsch/Haas-Bearbeiter, BK-InsO) Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, 2. Aufl., 2014 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 7. Aufl., 2014 Bork/Schäfer (Hrsg.), GmbHG, Kommentar, 3. Aufl., 2015 Braun (Hrsg.), InsO, Kommentar, 6. Aufl., 2014 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997 Breuer, Insolvenzrechts-Formularbuch, 3. Aufl., 2007 Brühl/Göpfert, Unternehmensrestrukturierung, 2. Aufl., 2014 Budde/Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen – Von der Gründungsbilanz bis zur Liquidationsbilanz, 4. Aufl., 2008 Bürgers/Körber (Hrsg.), AktG, Kommentar, 3. Aufl., 2014 Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, 2. Aufl., 2013 Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl., 2014 Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2012 Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 4. Aufl., 2014 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 7. Aufl., 2013 Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, hrsg. v. Müller-Glöge/Preis/Schmidt, 16. Aufl., 2016 (zit.: Bearbeiter in: ErfK) Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, 2005 Feldbauer/Durstmüller/Schlager, Krisenmanagement –Sanierung – Insolvenz, 2. Aufl., 2012 Fischer, StGB-Kommentar, 59. Aufl., 2011 Fitting, Betriebsverfassungsgesetz, Kommentar, hrsg. v. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/ Linsenmaier, 27. Aufl., 2014

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Literaturverzeichnis Fleischer/Goette (Hrsg.), s. Münchener Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Wimmer, 8. Aufl., 2015 (zit.: Bearbeiter in: FK-InsO) Frege, Verhandlungserfolg in Unternehmenskrise und Sanierung, 2. Aufl., 2015 Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Handbuch, 8. Aufl., 2015 Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, 4. Aufl., 2014 Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl., 2014 Gagel (Hrsg.), SGB II/SGB III, Grundsicherung und Arbeitsförderung, Loseblatt, 60. EL 12/2015 Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht, 2015 Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, Red. Etzel, 11. Aufl., 2016 (zit.: Bearbeiter in: KR) Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 8. Aufl., 2013 Gottwald (Hrsg.), Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl., 2015 (zit.: Hdb. InsR) Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, 57. Aufl., 8/2015 Graf-Schlicker (Hrsg.), InsO, Kommentar, 4. Aufl., 2014 Großkommentar zum Aktienrecht, hrsg. v. Hopt/Wiedemann, 4. Aufl., 2012 Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 2011 Gummert, Münchener Anwaltshandbuch Personengesellschaftsrecht, 2. Aufl., 2015 (zit.: Bearbeiter in: Münch-AHB PersonengesR) Haarmeyer/Frind, Insolvenzrecht, 4. Aufl., 2014 Haarmeyer/Huber/Schmittmann, Praxis der Insolvenzanfechtung, 2. Aufl., 2013 Haarmeyer/Mock, InsVV, Kommentar, 5. Aufl., 2014 Haarmeyer/Pape/Stephan/Nickert (Hrsg.), Formular-Kommentar Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2009 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der vorläufigen Insolvenzverwaltung, 2010 Haas/Hommelhoff, Vom Eigenkapitalersatz zur Gesellschafterfremdfinanzierung, 3. Aufl., 2011 Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, hrsg. v. A. Schmidt, 5. Aufl., 2015 (zit.: Bearbeiter in: HambKomm-InsO) Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Handkommentar, 2. Aufl., 2015 Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Kreft, 7. Aufl., 2014 (zit.: Bearbeiter in: HK-InsO) Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 2014 Hess, Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2013 Hirte/Knof/Mock, Das neue Insolvenzrecht nach dem ESUG, 2012 Hofmann, Eigenverwaltung, ZIP-Praxisbuch, 2. Aufl., 2016 Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, 2. Aufl., 2013 Hommel/Knecht/Wohlenberg (Hrsg.), Handbuch Unternehmensrestrukturierung, 2006 Hopt/Wiedemann, s. Großkommentar zum Aktienrecht Hüffer, AktG, Kommentar, 11. Aufl., 2014 Jaeger, Insolvenzordnung, Großkommentar, hrsg. v. Henckel/Gerhardt, 2004 ff. (Bd. 1 Reprint 2012) Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, RWS-Skript 349, 2. Aufl., 2011 Keller, U., Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, 3. Aufl., 2010 XXXII

Literaturverzeichnis Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), s. Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung Kolmann, Schutzschirmverfahren, ZIP Praxisbuch, 2014 Kölner Kommentar zum AktG, hrsg. v. Zöllner/Noack, 2. Aufl., 1986 ff., 3. Aufl., 2004 ff. (zit.: Bearbeiter in: KölnKomm-AktG) König, Die Haftung bei der Eigenverwaltung, 2015 Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Recht der Sanierungsfinanzierung, 2005 Kreft, s. Heidelberger Kommentar Kübler (Hrsg.), Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, 2. Aufl., 2015 (zit.: Bearbeiter in: Kübler, HRI) Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, Ins/EGInsO, RWS-Dok. 18, 2. Aufl., 2000 Kübler/Prütting/Bork (Hrsg.), InsO, Kommentar, Loseblatt, 1998 ff., 66. EL 11/2015 Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 11. Aufl., 1994 Kündigungsrecht (KR), s. Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz Küttner, Personalbuch 2015, hrsg. v. Röller, 22. Aufl., 2015 Lackner/Kühl, StGB-Kommentar, 27. Aufl., 2010 Leonhardt/Smid/Zeuner, Internationales Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2012 (zit.: Int. InsR) Leonhardt/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, Kommentar, 3. Aufl., 2010 Lüdicke/Sistermann (Hrsg.), Unternehmenssteuerrecht, 2008 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., 2012 Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004 Meyer-Landrut, Formularbuch GmbH-Recht, 2011 Michalski (Hrsg.), GmbHG, Kommentar, 2. Aufl., 2010 Mitlehner, Mobiliarsicherheiten im Insolvenzverfahren, RWS Skript 337 Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., 2015 (zit.: Hdb. Insolvenzverwaltung) Moll (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 3. Aufl., 2012 (zit.: Münch-AHB ArbR) Mönning (Hrsg.), Die Betriebsfortführung in der Insolvenz, 2. Aufl., 2014 Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), s. Erfurter Kommentar Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, hrsg. v. Leible/Reichert, 4. Aufl., 2013 (zit.: Bearbeiter in: MünchHdb. GesR) Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. v. Goette/Habersack, Bd. 4 4. Aufl., 2016; Bd. 5 4. Aufl., 2015 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-AktG) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. v. Säcker/Rixecker, Bd. 1 7. Aufl., 2015; Bd. 3: 7 Aufl., 2016; Bd: 4: 6. Aufl., 2012; Bd. 5: 7. Aufl., 2016; Bd. 6 6. Aufl., 2013; Bd. 10 6. Aufl., 2015; Bd. 11 6. Aufl., 2015 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-BGB) Münchener Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, hrsg. v. Fleischer/Goette, Bd. 1 2. Aufl., 2015; Bd. 2 2. Aufl., 2016; Bd. 3 2. Aufl., 2016 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-GmbHG) Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, hrsg. v. K. Schmidt, Bd. 4 3. Aufl., 2013 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-HGB) Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Kirchhof/Lwowski/Stürner, Bd. 1 3. Aufl., 2013; Bd. 2 3. Aufl., 2013; Bd. 3 3. Aufl., 2014; Bd. 4: 2. Aufl., 2007 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-InsO) Nerlich/Kreplin (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Sanierung und Insolvenz, 2. Aufl., 2012 (zit.: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz) XXXIII

Literaturverzeichnis Nerlich/Römermann (Hrsg.), InsO, Loseblatt-Kommentar, 28. EL 1/2015 Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, 3. Aufl., 2012 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 8. Aufl., 2011 Palandt, BGB, Kommentar, 75. Aufl., 2016 Pannen, Europäische Insolvenzverordnung, 2007, Reprint 2011 Pape/Graeber, Handbuch der Insolvenzverwalterhaftung, 2009 (zit.: Hdb. Insolvenzverwalterhaftung) Pape/Uhländer, NWB Kommentar zum Insolvenzrecht, 2013 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2010 Parzinger, Fortführungsfinanzierung in der Insolvenz, 2013 Prütting/Gehrlein, ZPO, Kommentar, 7. Aufl., 2015 Rattunde/Stark, Der Sachwalter, ZIP-Praxisbuch, 2015 Rau/Dürrwächter, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Loseblatt, 164. EL 2015 Reischl, Insolvenzrecht, 3. Aufl., 2014 Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, 2012 Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, 2006 Richardi, Betriebsverfassungsgesetz: BetrVG, 15. Aufl., 2016 Römermann (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht, 3. Aufl., 2014 (zit.: Münch-AHB GmbH-Recht) Roth, Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl., 2015 Roth/Altmeppen, GmbHG, Kommentar, 8. Aufl., 2015 Säcker/Rixecker (Hrsg.), s. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., 2011 (zit.: Bankrechts-Hdb.) Schmidt, A., s. Hamburger Kommentar Schmidt, K., Insolvenzordnung, Kommentar, 19. Aufl., 2016 Schmidt, K., Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990 Schmidt, K./Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl., 2016 Schmidt, L., Einkommensteuergesetz, Kommentar, 35. Aufl., 2016 Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, 4. Aufl., 2012 Scholz (Hrsg.), GmbHG, Bd. I 11. Aufl., 2012; Bd. II 11. Aufl., 2013; Bd. III 11. Aufl., 2015 Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, 4. Aufl., 2002 Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, 4. Aufl., 2015 Spindler/Stilz (Hrsg.), AktG, Kommentar, 2. Aufl., 2010 Staudinger, BGB, Kommentar, 12. Aufl., 13. Bearb. 1993 ff. Steinwachs/Vallender/Cranshaw (Hrsg.), Der Gläubigerausschuss in der Insolvenz des Firmenkunden, 2. Aufl., 2014 Stephan/Riedel, Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung, 2010 Stöber, ZVG, Kommentar, 20. Aufl., 2012 Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrecht, 10. Aufl., 2012 Theiselmann (Hrsg.), Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2. Aufl., 2013 Thierhoff/Müller (Hrsg.), Unternehmenssanierung, 2. Aufl., 2016 Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, ZIP Praxisbuch, 2. Aufl., 2015 Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, Kommentar, 34. Aufl., 2013

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Literaturverzeichnis Tipke/Kruse, Abgabenordnung– Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblatt, 142. EL 11/2015 Uhlenbruck, InsO, Kommentar, hrsg. v. Uhlenbruck/Hirte/Vallender, 14. Aufl., 2015 Ulmer/Habersack/Löbbe (Hrsg.), GmbHG, Großkommentar, Bd. I 2. Aufl., 2013, Bd. II 2. Aufl., 2014, Bd. III 2008 (hrsg. v. Ulmer/Habersack/Winter) (zit.: Bearbeiter in: GroßKomm-AktG) Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, 2012 Viering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, 3. Aufl., 2012 Wachter (Hrsg.), Aktiengesetz, Kommentar, 2. Aufl., 2014 Wachter (Hrsg.), Fachanwaltshandbuch Handels- und Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 2010 Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 11. Aufl., 2015 Weise/Krauß (Hrsg.), Beck’sche Online-Formulare Vertragsrecht, 34. Ed. 2015 Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, RWS-Skript Bd. 347, 2008 Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 4. Aufl., 2011 Wimmer (Hrsg.), s. Frankfurter Kommentar Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 7. Aufl., 2015 (zit.: Hdb. FAInsR) Ziegenhagen/Thieme, Besteuerung in Krise und Insolvenz, 2010 Zöller, ZPO, Kommentar, 31. Aufl., 2016

XXXV

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

§1 Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung Übersicht I. 1.

Geschichtliche Entwicklung .................. 1 Die ersten Korrekturen der „Perle der Reichsjustizgesetze“........................... 1 2. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise....... 2 3. Die Entdeckung des Insolvenzverfahrens als Fortführungschance............... 4 II. Initiativen des Kölner Fachkongresses 1977 .............................................. 7 III. Die Betriebsfortführung im System der InsO.................................................... 9 IV. Die Unternehmensfortführung nach der InsO ........................................ 11 1. Das Vorbild ausländischer Regelungen.... 11 2. Die Betriebsfortführung als Verfahrensziel ............................................... 12 3. Die Betriebsfortführung als interne Gesellschaftspflicht ................................ 16 V. Zuständigkeiten für Sanierungsentscheidungen und -maßnahmen...... 18 1. Zuständigkeiten für die interne Fortführungsentscheidung ............................ 18 2. Sanierungsentscheidungen im vorinsolvenzlichen Bereich.......................... 20 3. Erweiterung der Zuständigkeiten bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes ......... 22 4. Die Sanierungsentscheidung bei drohender Zahlungsunfähigkeit............. 25 VI. Anforderungen an ein Sanierungskonzept ................................................... 26 VII. Die unverzichtbare Fortbestehensprognose ................................................. 27 1. Gesetzliche Grenzen einer Unternehmensfortführung .............................. 27 2. Die Sanierungsbescheinigung ................ 30 3. Die Sanierungsfähigkeit.......................... 31 VIII. Rechtsfolgen einer misslungenen außergerichtlichen Sanierung.............. 34 IX. Das ESUG und die neue Insolvenzkultur .............................................. 38 1. Das unveränderte Verfahrensziel........... 38

2.

Besondere Merkmale der neuen Insolvenzkultur....................................... 41 3. Rechtzeitige Kommunikation mit den Hauptgläubigern.............................. 44 4. Anfechtungsrisiken von Krisenvereinbarungen............................................. 45 X. Die problematische Fortführungsfinanzierung........................................... 46 1. Die Beschaffung von Liquidität............. 46 2. Die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ......................................................... 47 3. Die Begründung von Masseschulden .... 49 XI. Rechtzeitige Einbeziehung der Anteilsinhaber ....................................... 53 XII. Die Betriebsfortführung nach der dreistufigen Insolvenzrechtsreform.... 56 1. Herausforderungen im Europäischen Insolvenzrecht ........................................ 56 2. Empfehlungen der Europäischen Kommission ............................................ 59 3. Sonderregelung für systemrelevante Unternehmen.......................................... 64 4. Ein vorgerichtliches Verfahren als Rückschritt?............................................ 65 5. Die Notwendigkeit gerichtlicher Eingriffe .................................................. 71 6. Hürden eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens.............................. 73 7. Die Beschränkung auf ein „Teilplanverfahren“......................................... 74 8. Nachteile eines Gesamtinsolvenzverfahrens................................................ 81 9. Möglichkeiten einer Verfahrensbeschränkung .......................................... 83 10. Die Zulässigkeit von Teilplanverfahren ................................................. 84 11. Abkehr vom Prinzip der Gesamtvollstreckung?......................................... 85 XIII. Konzerninsolvenzrecht......................... 89 XIV. Zusammenfassung................................. 90

Literatur: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 2. Aufl., 1999; Baur, Sanierungen. Wege aus Unternehmenskrisen, 1978; Beissenhirtz, Plädoyer für ein Gesetz zur vorinsolvenzlichen Sanierung von Unternehmen, ZInsO 2011, 57; Besau, Chancen und Risiken bei der Rettung von Unternehmen durch übertragende Sanierung, KSI 2011, 202; Bitter/Laspeyres, Rechtsträgerspezifische Berechtigungen als Hindernis übertragender Sanierung, ZIP 2010, 1157; Bitter/Rauhut, Insolvenzrechtliche Grundlagen der übertragenden Sanierung – Eine Einführung unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, Teil A: Übernahmegestaltung und Haftungsvermeidung, KSI 2007, 197; Bitterkresser, Positive Fortführungsprognose trotz fehlender Ertragsfähigkeit? – Zur Überschuldung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO, insbesondere bei kriselnden Assetfinanzierungen, ZIP

Uhlenbruck

3

§1

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

2012, 1733; Bork, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren: Schuldverschreibungsgesetz analog?, ZIP 2011, 2035; Bork, Pflichten der Geschäftsführung in Krise und Sanierung, ZIP 2011, 101; Bork, Grundfragen des Restrukturierungsrechts – Prolegomena zu einer Reform des deutschen Insolvenzrechts, ZIP 2010, 397; Brass, Rechtsvergleichende Betrachtungen zu einem neuen Konkursrecht, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1942, S. 329; Bratschitsch/Schnellinger, Unternehmenskrisen – Ursachen, Frühwarnung, Bewältigung, 1981; Brinkmann, Der Referentenentwurf zur Reform des Insolvenzanfechtungsrechts, NZG 2015, 697; Brinkmann/Jacobi/Thole, Überprüfung des Insolvenzanfechtungsrechts durch Bundesregierung ergibt: Es fehlt an Fiskusprivilegien!, ZIP 2015, 2001; Brinkmann/Zipperer, Die Eigenverwaltung nach dem ESUG aus Sicht von Wissenschaft und Praxis, ZIP 2011, 1337; Brömmekamp, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren „ante portas“, ZInsO 2016, 500; Cranshaw, Unternehmenssanierung zwischen Ökonomie und Recht, Teil I, ZInsO 2016, 357; Cranshaw, Bemerkungen zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld, ZInsO 2013, 1493; Dammann/ Undritz, Die Reform des französischen Insolvenzrechts im Rechtsvergleich zur InsO, NZI 2005, 198; Dettbarn/Prusko/Plank, Doing Business: Nutzen und Grenzen der Weltbank-Studie, Ethik und Restaurierung – ein Widerspruch?, INDat-Report 01/2016, 11; Eble, Auf dem Weg zu einem europäischen Konzerninsolvenzrecht – Die „Unternehmensgruppe“ in der EulnsVO 2017, NZI 2016, 115; Ehlers, „Notwendig“ frühzeitige Insolvenzverfahren, BB 2013, 1539; Ehlers, Sanierung mit oder ohne Insolvenz, ZInsO 2010, 257; Eidenmüller, Was ist ein Insolvenzverfahren?, ZIP 2016, 145; Eidenmüller, Die Restrukturierungsempfehlung der EU-Kommission und das deutsche Restrukturierungsrecht, KTS 2014, 401; Eidenmüller, Reformperspektiven im Restrukturierungsrecht, ZIP 2010, 649; Eidenmüller, Wettbewerb der Insolvenzrechte?, ZGR 2006, 467; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999; Emmerich, Die Sanierung, 1. Teil 1930; Fischer, Der Übernahme-Swap durch Insolvenzplan – Investitionsentscheidung im Wettbewerb, NZI 2013, 823; Fleege-Althoff, Die notleidende Unternehmung, 1. Bd., Krankheitserscheinungen und Krankheitsursachen, 1930; Florstedt, Neue Wege zur Sanierung ohne Insolvenz, ZIP 2014, 1513; Fölsing, Die Zähmung des Widerspenstigen im Suhrkamp-Fall: Schutzschirmverfahren bei Gesellschafterstreit, ZInsO 2013, 1325; Frege, Grundlagen und Grenzen der Sanierungsberatung, NZI 2006, 545; Frind, Die Unabhängigkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters (Sachwalters) nach Inkrafttreten des „ESUG“, ZInsO 2014, 119; Frind, Vorinsolvenzliche Sanierungsregelungen oder Relaunch des Insolvenzplanverfahrens?, ZInsO 2010, 1426; Frind/Graeber/Schmerbach/Siemon/Stephan, Fragebogen zur Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, ZInsO 2012, 368; Ganter, Der Referentenentwurf vom 11.3.2015 zur „Anfechtungsrechtsreform“ – Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz, WM 2015, 905; Ganter, Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungs- und Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 433; Ganter, Betriebsfortführung durch den vorläufigen Verwalter trotz Globalzession?, NZI 2010, 551; Garber, Ein Gesetz der Wirtschaft: Insolvenz gehört saniert, ZInsO 2015, 1937; Gehler, Ausländische Insolvenzverfahren zur Sanierung deutscher Unternehmen, NZI 2010, 665; Gerhardt, W., Aspekte zur Wechselwirkung zwischen Konkursrecht und Wirtschaftsleben, in: Festschrift für Friedrich Weber, 1975, S. 186; Gerhardt, W., Vom Makel des Konkurses, in: Festschrift für Karl Michaelis, 1973, S. 100; Graf-Schlicker, Entwicklungen im Insolvenzrecht, in: Festschrift für Heinz Vallender, 2015, S. 183; Graf-Schlicker, Die Entwicklung des ESUG und die Fortentwicklung des Insolvenzrechts, ZInsO 2013, 1765; Groß/Amen, Die Erstellung der Fortbestehensprognose, Wpg 2002, 433; Groß/Amen, Die Fortbestehensprognose, Wpg 2002, 225; Haarmeyer, Völker hört die Signale, ZInsO 2016, 479; Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt liquidieren. Neue Möglichkeiten der Sanierung durch Insolvenz nach dem ESUG, 2012; Haas, Mehr Gesellschaftsrecht im Insolvenzplanverfahren. Die Einbeziehung der Anteilsrechte in das Insolvenzverfahren, NZG 2012, 961; Hanisch, Zur Reformbedürftigkeit des Konkurs- und Vergleichsrechts, ZZB 1977, 1; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., 2007; Hente/App, Insolvenz- und Rettungsverfahren in Frankreich – Nachbesserung der Reform des Kollektivverfahrens, KSI 2010, 116; Hess, Sanierungshandbuch, 4. Aufl., 2009; Hirte/Knof/Mock, Überschuldung und Finanzmarktstabilisierungsgesetz, ZInsO 2008, 1217; Hornfischer, Der Konkurs der Stadt Glashütte, KTS 2008, 423; Huber, Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und dem Anfechtungsgesetz, ZInsO 2015, 713; Huntemann/Dietrich, Eigenverwaltung und Sanierungsplan – der verkannte Sanierungsweg, ZInso 2001, 13; Jacoby, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, ZGR 2010, 359; Jaffé, Insolvenzplan versus außergerichtliche Sanierung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. 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Uhlenbruck

Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

§1

Zustand und Perspektiven der Eigenverwaltung in Deutschland, KTS 2015, 115; Madaus, Keine Reorganisation ohne die Gesellschafter, ZGR 6/2011, 749; Madaus, Umwandlungen als Gegenstand eines Insolvenzplans nach dem ESUG – Zugleich eine Untersuchung der Grenzen der gesellschaftsrechtlichen Regelungsmacht des neuen Insolvenzplans, ZIP 2012, 2133; Madaus, Aktivierung des Planverfahrens als Sanierungsverfahren durch Zulassung einer Bestätigungsinsolvenz (pre-voted bankruptcy), NZI 2011, 622; Noack, Gesellschaftsrecht, Sonderband zu Kübler/Prüttung, InsO, 1999; Pannen, Krise und Insolvenz bei Kreditinstituten, 2. Aufl., 2006; Pape, 2016 – das Jahr der Entscheidungen, ZInsO 2016, 125; Pape, Die immerwährende Reform der Insolvenzordnung, in: Festschrift für Heinz Vallender, 2015, S. 363; Pape/Uhlenbruck, 30 Jahre Insolvenzrechtsreform für die Katz?, ZIP 2005, 417; Partzinger, Die neue EuInsVO auf einen Blick, NZI 2016, 63; Pluta, Sanierung in der Insolvenz – Für wen?, ZInsO 2013, 1404; Paulus, Insolvenzvermeidung und Insolvenzverfahren, in: Festschrift für Hakan Pekcanitez, 2015, S. 2345; Paulus, Das ESUG als deutsche Antwort auf das Scheme of Arrangement – und doch nicht das letzte Wort?, BB 2014, 1; Paulus, Das englische Scheme of Arrangement – ein neues Angebot auf dem europäischen Markt für außergerichtliche Restrukturierungen, ZIP 2011, 1077; Portisch, Risikoerkennung und Sanierungswürdigkeitsprüfung durch Kreditinstitute – Sanierungsentscheidungen nachvollziehbar treffen, KSI 2013, 149; Prager/Keller, Der Entwicklungsstand des Europäischen Insolvenzrechts, WM 2015, 805; Rajak, Die Kultur der Insolvenz, ZInsO 1999, 666; Römermann, Ein Jahr ESUG – Eine Bestandsaufnahme aus dem Blickwinkel der GmbH-Beratung, GmbHR 2013, 337; Römermann/Praß, Beratung der GmbH als Schuldnerin in Krise und in Insolvenz nach dem ESUG, GmbHR 2012, 425; Röpke, Die Lehre von der Wirtschaft, 10. Aufl., 1965; Schienstock/Reifert/Drießen, ESUG-Werkzeuge öffnen neue Sanierungswege – Anwendungserfahrungen im Überblick, KSI 2013, 167; Schmidt, A./Poertzgen, Geschäftsführerhaftung (§ 64 S. 1 GmbHG) in Zeiten des ESUG, NZI 2013, 369; Schmidt, K., Überschuldung und Unternehmensfortführung oder: per aspera ad astra, ZIP 2013, 485; Schmidt, K., Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht im ESUG-Entwurf, BB 2011, 1603; Schmidt, K., Die übertragende Sanierung – Bestandsaufnahmen und Ausblicke an der Schwelle der Insolvenzrechtsreform, KTS-Schriften zum Insolvenzrecht, Bd. 1, 1991, S. 67; Schumpeter, Konjunkturzyklen, Bd. 1, 1961; Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 5. Aufl., 1952; Sendel-Müller, Behavioral Turnaround-Management, KSI 2007, 262; Siemon, Das Konzept für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, NZI 2016, 57; Siemon/ Frind, Der Konzern in der Insolvenz, NZI 2013, 1; Sinz, Revolvierende Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 157; Sombart, Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus, 2. Halbbd., 1955; Sombart, Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus, 1927; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001; Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., 2012; Stüdemann, Der Konkursverwalter als Unternehmer, in: Festschrift Einhundert Jahre Konkursordnung 1877-1977, 1977, S. 401; Swierczok, Das englische Scheme of Arrangement und seine Rezeption in Deutschland, 2013; Thole, Sanierung mittels Scheme of Arrangement im Blickwinkel des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts, ZGR 2015, 109; Thole, Das neue Konzerninsolvenzrecht in Deutschland und Europa, KTS 2014, 351; Thole, Treuepflicht-Torpedo? Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenzverfahren, ZIP 2013, 1937; Thole, Sanierung mittels Scheme of Arrangement im Blickwinkel des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts, ZGR 2013, 109; Uhlenbruck, Risiken vorinsolvenzlicher übertragender Sanierung und Anschlussinsolvenzverfahren, in: Festschrift für Hans Haarmeyer, 2013, S. 301; Uhlenbruck, Risiken vorinsolvenzlicher übertragender Sanierung und Anschlussinsolvenzverfahren, ZInsO 2013, 2033; Uhlenbruck, Modernisierung oder Zersplitterung des deutschen Insolvenzrechts?, KSI 2010, 125; Uhlenbruck, Von der Notwendigkeit eines eigenständigen Sanierungsverfahrens, NZI 2008, 201; Uhlenbruck, Wiedereinführung der Vorrechte durch die Hintertür?, ZInsO 2005, 505; Uhlenbruck, Vom „Makel des Konkurses“ zur gesteuerten Insolvenz, in: Festschrift für Walther Gerhardt, 2004, S. 979; Uhlenbruck, Außergerichtliche Sanierung? – Eine Schicksalsfrage notleidender Unternehmen, BB 2001, 1641; Uhlenbruck, Gesetzliche oder außergerichtliche Sanierung von Krisenunternehmen, in: Konecny, Insolvenz-Forum 2001, S. 206; Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, 1994; Uhlenbruck, Zur Krise des Insolvenzrechts, NJW 1975, 897; Uhlenbruck/Vallender, Zehn Jahre Insolvenzordnung – eine kritische Zwischenbilanz, NZI 2009, 1; Ulmer, Die gesellschaftsrechtlichen Regelungsvorschläge der Kommission für Insolvenzrecht, ZHR 149 (1985), 541; Undritz, Möglichkeiten und Grenzen vorinsolvenzlicher Unternehmenssanierung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, Kap. 29, 3. Aufl., 2009, S. 932; Vallender, Gerichtliche Erfahrungen mit Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren, DB 2015, 231; Vallender, Der deutsche Motor stockt, aber Europa drückt aufs Gas - Europäisches Konzerninsolvenzrecht vor der Verabschiedung, ZInsO 2015, 57; Vallender, Das Schutzschirmverfahren nach dem ESUG, GmbHR 2012, 450; Vallender, Wie viele Verwalter braucht das Land?, NZI 2005, 473; Veil, Krisenbewältigung durch Gesellschaftsrecht. Verlust des halben Kapitals, Pflicht zu ordnungsgemäßer Liquidation und Unterkapitalisierung, ZGR 2006, 374; VID, Positionspapier v. 16.2.2016, Grundsätze eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens, KSI 2016, 77; Wertenbruch, Gesellschafterbeschluss für Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, DB 2013, 592; Westpfahl/Knapp, Die Sanierung deutscher Gesellschaften über ein englisches Scheme of Arrangement, ZIP 2011, 2033; Wohlleben, Insolvenzplan zur Fortführung von Unternehmen mit betrieblicher Altersversorgung, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 691; Zipperer, Der präventive Restaurierungsrahmen – ein flankieren-

Uhlenbruck

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§1

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

des Projekt der Kommission zur Effektivierung der EuInsVO, ZInsO 2016, 831; Zipperer, „Übertragende Sanierung“ – Sanierung ohne Grenzen oder erlaubtes Risiko?, NZI 2008, 206; Zipperer/ Vallender, Die Anforderungen an die Bescheinigung für das Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 729.

I.

Geschichtliche Entwicklung

1.

Die ersten Korrekturen der „Perle der Reichsjustizgesetze“

1 Fast alle modernen Gesetzgebungen kennen Institutionen, die es ermöglichen, insolvenzabwendende Schuldenregelungen auch gegen den Widerstand einer Minderheit von Gläubigern durchzusetzen. In England schuf erst die Gesetzgebung des 16. Jahrhunderts die Möglichkeit der Beschlagnahme des Schuldnervermögens, den raschen Verkauf und die verhältnismäßige Verteilung des Verkaufserlöses unter den Gläubigern.1) In Deutschland wurde am 10.6.1929 über das Vermögen der sächsischen Stadtgemeinde Glashütte das Konkursverfahren eröffnet.2) Sämtliche staatlichen Einrichtungen, wie z. B. Schwimmbäder, Feuerwehr, Krankenhäuser und sogar das Rathaus fielen in die Konkursmasse. Es bedurfte einer Entscheidung des sächsischen OVG vom 3.5.1930, um die Unentbehrlichkeitserklärung des Innenministeriums für wirksam zu erklären. Es folgte die Verordnung zur Sicherung des Haushalts und der Haushalte der Gemeinden, die sog. Sparverordnung vom 21.9.1931. Sie bestimmte, dass über das Vermögen einer Gemeinde, eines Bezirksverbandes oder eines Schulbezirks das Konkursverfahren nicht stattfinden durfte (vgl. § 12 Abs. 1 InsO). Seitdem findet in Deutschland ein Staatsbankrott nur in der Form einer Währungsreform statt. 2.

Die Folgen der Weltwirtschaftskrise

2 Einen besonderen Schock verursachte die Weltwirtschaftskrise 1929. Zunächst brach die zweitgrößte deutsche Versicherungsgesellschaft „Frankfurter Allgemeine Versicherungsgesellschaft“ zusammen. 1931 folgte die „Darmstädter und Nationalbank“ (DANAT-Bank). Die Folge war eine Notverordnung (Brüning) „VO über Aktienrecht, Bankenaufsicht und eine Steueramnestie“ von 1931. Schon unmittelbar nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte sich in Deutschland gezeigt, dass in vielen Fällen wirtschaftlichen Zusammenbruchs von Unternehmen ein dringendes Bedürfnis bestand, lebensfähigen Betrieben, die infolge des Krieges notleidend geworden waren, besonderen Schutz zu gewähren. Jetzt rächte sich bitter, dass der Gesetzgeber der Konkursordnung (KO) gemeint hatte, auf die Regelung eines gerichtlichen Sanierungsverfahrens verzichten zu können. Die Geschäftsaufsichtsverordnungen von 1914, 1916 und 1924 waren Flickwerk und wurden letztlich durch das „Gesetz über den Vergleich zur Abwendung des Konkurses“ vom 5.7.1927 abgelöst. Die anschließende Vergleichsordnung vom 26.2.1935, die vor allem als Instrument der Sanierung und Fortführung insolventer Unternehmen dienen sollte, hat die Erwartungen der deutschen Wirtschaft deshalb nicht erfüllt, weil sie bar jeder betriebswirtschaftlichen Kenntnisse ausschließlich von Juristen konzipiert worden war. Es kommt nicht von ungefähr, dass das Buch von Karl Künne, „Außergerichtliche Vergleichsordnung“, insgesamt sieben Auflagen, zuletzt 1968, erfahren hat. 3 Noch 1951 vermutete Röpke3) die Wirkung des Konkurses als „Todesstrafe des Zivilrechts“. Nach Muthesius4) war das Ausscheiden eines lebensunfähigen Unternehmens die „notwen___________ 1) Vgl. Rajak, ZInsO 1999, 666, 668. 2) Vgl. Hornfischer, KTS 2008, 423 ff. 3) Röpke, Die Lehre von der Wirtschaft, S. 305. Vgl. auch W. Sombart, Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus, 2. Halbbd., S. 577 ff. 4) Muthesius, Zeitschrift für die gesamte Kreditwirtschaft, S. 760. Vgl. auch Joseph A. Schumpeter, Konjunkturzyklen, Bd. 1, S. 103; Joseph A. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 342.

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Uhlenbruck

Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

§1

dige Prämie des Selbstreinigungsprozesses einer ansonsten sauberen Wirtschaft“. Im Insolvenzrecht ging man grundsätzlich von einer Zerschlagung des Schuldnerunternehmens aus, was bei der Schlieker-KG zur Ablehnung der Vergleichseröffnung führte, obwohl der Verkauf der Werften später 21,5 Mio. DM einbrachte. Eine Unternehmensfortführung war zu diesem Zeitpunkt kein Thema. Die ungünstige Sanierungsprognose des vorläufigen Vergleichsverwalters im Verfahren Borgward führte zur Eröffnung des Anschlusskonkurses, obgleich alle Gläubiger später aus der Masse befriedigt werden konnten. In der Rechtswissenschaft erfolgte der eigentliche Durchbruch zu den Möglichkeiten einer Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren 1982 durch das Gutachten von Karsten Schmidt für den 54. Deutschen Juristentag zum Thema „Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht“, nachdem Walter Baur auf dem 8. Europäischen Managementsymposion in Davos 1978 bereits dargelegt hatte, dass Sanierungen reines Management sind und deshalb in der Überführung aus der Krise in die Wachstumsphase enden müssen.5) 3.

Die Entdeckung des Insolvenzverfahrens als Fortführungschance

Erst Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts entdeckte die Betriebswirtschaftslehre die 4 Unternehmenskrise als Chance für einen wirtschaftlichen Neuanfang. Die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen hatten dazu geführt, dass sich 1930 sowohl der Jurist Hugo Emmerich6) als auch der Betriebswirt Fritz Fleege-Althoff7) in grundlegenden Werken mit der notleidenden Unternehmung und der Sanierung befassten. Das Erscheinen des zweiten Teils der beiden Werke wurde durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhindert. 1959 sah sich die Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft veranlasst, einen Arbeitsausschuss für Insolvenzwesen zu gründen. Auf dem ersten Kongress „Zentralprobleme des Insolvenzwesens“ führte der damalige Leiter des Arbeitsausschusses für Insolvenzwesen u. a. aus, die alte Berliner Tradition der Pflege eines wirtschaftsnahen Insolvenzrechts, dessen besondere Repräsentanten, der Berliner Amtsgerichtsrat Leopold Levy und der Leipziger Universitätsprofessor Jaeger gewesen seien, habe nach jahrzehntelangem Ruhen durch den Arbeitsausschuss für Insolvenzwesen innerhalb der Organisation der Deutschen Gesellschaft für Betriebswirtschaft eine für Wissenschaft und Praxis begrüßenswerte Erneuerung erfahren. Die Anregung zu der Veranstaltung war erfolgt durch den Kölner Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen, der zum damaligen Zeitpunkt bereits sein zehnjähriges Bestehen feierte. Der Beitrag von Rudolf Baade „Probleme der Insolvenzpolitik“ befasste sich eingehend mit Fragen der Insolvenzrechtsreform. Auch der damalige Vorsitzende des Kölner Arbeitskreises für Insolvenzrecht Hans Brass sprach sich in mehreren Beiträgen der Zeitschrift „Konkurs und Treuhand“ für eine Reform des Konkursrechts aus.8) Kein Geringerer als Ernst Jaeger hat auf dem I. Internationalen Kongress für Gläubigerschutz in Wien 1930 die dringende Notwendigkeit einer Reform bejaht. Auch in der Betriebswirtschaftslehre besann man sich auf den heute noch vielzitierten Satz von Ernst Jaeger: „Der Konkurs ist ein Wertvernichter schlimmster Art und obendrein das teuerste Schuldentilgungsverfahren. Je größer das ihm verfallende Unternehmen ist, je weitere Wirtschaftskreise der Zusammenbruch in Mitleidenschaft zieht, desto erwünschter muss es sein, wenn Schuldner und Gläubiger durch Vereinbarung eines Ausgleichs dem Konkurse vorbeugen.“

___________ 5) 6) 7) 8)

Vgl. W. Baur, Sanierungen. Wege aus Unternehmenskrisen. Emmerich, Die Sanierung, 1. Teil. Fleege-Althoff, Die notleidende Unternehmung, 1. Bd., Krankheitserscheinungen und Krankheitsursachen. Brass, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1942, S. 329 ff.; Brass, Zeitschrift für Konkurs- und Treuhandwesen 1940, S. 18.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

5 Nach zutreffender Auffassung von Ernst Jaeger vermag selbst das beste Konkursgesetz die Nachteile nicht auszuschließen, die der Konkurs jeder größeren Unternehmung für die unmittelbar Beteiligten, aber auch für weitere Verkehrskreise im Gefolge hat. Auf der traditionellen Pfingsttagung des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V. 1980 wurde erneut ein Grundstein für die Fortführung von Unternehmen in der Insolvenz gelegt. Der Betriebswirt Eberhard Witte9) bemühte gar den Eid des Hippokrates: „Die Erhaltung und Wiederherstellung der wirtschaftlichen Gesundheit jedes einzelnen Unternehmens soll oberstes Gebot des Bemühens sein.“ 1955 war schon das Werk von F. A. Schmitt/ F. Schmitt, „Rationelle Sanierung. Die Vermeidung und Beseitigung von Zahlungsschwierigkeiten auf organischer Grundlage“, erschienen, hatte aber wenig Beachtung gefunden. 6 Auch bei den damaligen Konkurs- und Vergleichsverwaltern setzte in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein völliges Umdenken ein. Sie führten oftmals im eröffneten Konkursverfahren jahrelang Unternehmen weiter und ließen sich in der Presse als „Heilpraktiker der deutschen Wirtschaft“ feiern. Eine Vielzahl von Unternehmensfortführungen im Konkurs führte teilweise zu einer Verzerrung des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Gesunde Konkurrenzunternehmen gerieten in Schwierigkeiten, weil die Konkursunternehmen wegen des Zahlungs- und Zinsstopps günstiger produzieren konnten. II.

Initiativen des Kölner Fachkongresses 1977

7 Der Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e. V. Köln hat zum 100jährigen Bestehen der KO eine Festschrift unter dem Titel „Einhundert Jahre Konkursordnung 1877 – 1977“ herausgegeben.10) In dem Geleitwort stellte der damalige Bundesminister der Justiz Dr. Hans-Jochen Vogel fest, ein gewisses Versagen der KO habe sich schon nach der Jahrhundertwende abgezeichnet, als in wirtschaftlichen Krisenjahren mit hohen Insolvenzzahlen der Konkurs sich als „höchst kostspielige, mit schweren Verlusten verbundene Liquidationsart“ herausstellte. In der Weltwirtschaftskrise habe sich der Konkurs vollends als „hoffnungslose Lösung“ beim wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Unternehmens erwiesen. In seinem viel beachteten Referat zum Thema „Der Konkursverwalter als Unternehmer“11) hat Stüdemann die Frage untersucht, ob die KO in ihrer damaligen Fassung dem „Handeln des Konkursverwalters als Unternehmer Raum gibt und ihn damit nicht länger vor eine rein vollstreckungsrechtlich, sondern vor eine in erster Linie betriebswirtschaftlich zu beurteilende Situation stellt.“ Nach Stüdemann werde „[…] ein Prozess der Umorientierung von der Unternehmenszerschlagung zur Unternehmensfortführung als gleichberechtigter, gegebenenfalls sogar genereller Verwertungsform ein Umdenken auch in anderen Bereichen zur Folge haben müssen“, wie z. B. für die Haftung des Konkursverwalters.12) Es sei „hohe Zeit, die traditionellen Formen der Konkursabwicklung auf ihre Gültigkeit zu überprüfen.“

8 Die Ölpreiskrise von 1973 hatte eine Rezession zur Folge, die viele Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten brachte, denen das geltende Insolvenzrecht nicht gewachsen war. Der Hamburger Insolvenzverwalter Dr. Joachim Kilger sprach 1975 auf dem 38. Deutschen Anwaltstag in Berlin vom „Konkurs des Konkurses“.13) Aufgrund der massiven Forderungen aus allen Fachbereichen konnte sich auch der Gesetzgeber der Einsicht nicht ___________ 9) Bratschitsch/Schnellinger-Witte, Die Unternehmenskrise – Anfang vom Ende oder Neubeginn?, Unternehmenskrisen – Ursachen, Frühwarnung, Bewältigung, S. 7, 12. 10) Herausgeber Wilhelm Uhlenbruck, Bernd Klasmeyer und Bruno M. Kübler, mit einem Geleitwort des damaligen Bundesministers der Justiz Dr. Hans-Jochen Vogel. 11) Stüdemann in: FS Einhundert Jahre Konkursordnung, S. 401 ff. 12) Stüdemann in: FS Einhundert Jahre Konkursordnung, S. 439. 13) Kilger, KTS 1975, 142, 165; vgl. auch Uhlenbruck, NJW 1975, 897 ff.; Hanisch, ZZB 1977, 1 ff.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

§1

verschließen, dass die früher oftmals gerühmte Qualität der KO als trefflichstes der Reichsjustizgesetze und die Bewährung der Vergleichsordnung von 1935 in der Vergangenheit nicht verhindern konnten, dass die Funktionsfähigkeit des Insolvenzrechts weitgehend verloren ging. III.

Die Betriebsfortführung im System der InsO

Anfang 1978 setzte der damalige Bundesminister der Justiz, Dr. Hans-Jochen Vogel, die 9 Kommission für Insolvenzrecht ein, der auch der Verfasser dieser Ausführungen angehörte. Vorgegebenes Ziel für die Arbeit der Kommission war es, entsprechend dem US-amerikanischen Insolvenzrecht ein Reorganisationsverfahren zu entwickeln, das umfassende Maßnahmen zur Sanierung eines in Schwierigkeiten geratenen Unternehmens ermöglicht. Nach den Vorstellungen des Justizministeriums sollten Gläubiger und Anteilseigner eines insolventen Unternehmens als Verfahrensbeteiligte auch über Eingriffe in gesellschaftsrechtliche Verhältnisse des Unternehmens in einem einheitlichen Verfahren entscheiden können. In dem 1985 erschienenen „Ersten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht“ sollte gemäß Ziff. 2.1.1 Abs. 2 der Leitsätze ein Reorganisationsverfahren innerhalb eines einheitlichen Insolvenzverfahrens eingeführt werden. In jedem Verfahren sollte nach Eintritt der Insolvenz die konkursmäßige Liquidation des Schuldnervermögens abgewendet werden, „indem vor allem die Vermögensverhältnisse des Schuldners neu geordnet werden.“ Gemäß Ziff. 2.4.9.5 Abs. 1 der Kommissionsleitsätze (S. 282) war der Ausschluss von Gesellschaftern wegen Wertlosigkeit ihrer Anteile aus einer Gesellschaft zulässig. Ein Ausschluss konnte allerdings nicht mit Hilfe eines Reorganisationsplans bewirkt werden, sondern bedurfte nach den Vorstellungen der Kommission einer gerichtlichen Entscheidung, mit der die Wertlosigkeit des Anteils festgestellt wurde. Der Vorschlag hat ebenso wie die Befugnis, durch Beschluss des Insolvenzgerichts Gesellschafter aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, wegen verfassungsrechtlicher Bedenken keinen Eingang in die Insolvenzordnung (InsO) gefunden. War schon der konkursabwendende Vergleich als ein dem Konkurs vorgeschaltetes gerichtliches Vergleichsverfahren, wie es der Bundesratsentwurf 1875 vorgesehen hatte, bei den Beratungen auf der Strecke geblieben, so wies die am 1.1.1999 in Kraft getretene InsO weitere Defizite auf, die eine Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren erschwerten oder unmöglich machten. Weder das in den §§ 217 ff. InsO geregelte Insolvenzplanverfahren noch die Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO boten eine hinreichende Rechtsgrundlage für die fortführende Sanierung i. R. eines Insolvenzverfahrens. Die Schuldnerunternehmen waren faktisch darauf beschränkt, „[…] in ein Regelinsolvenzverfahren zu gehen, weil der Eigenverwaltung kaum Aussichtschancen eingeräumt wurden und das Planverfahren als zu aufwändig erachtet wurde.“14)

Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Miss- 10 bräuchen (MoMiG) hat der Gesetzgeber das gesamte Kapitalersatzrecht mit Wirkung zum 1.11.2008 neu geregelt. Schon vor dem Inkrafttreten der InsO war diese schon mehrfach geändert worden und auch nach dem Inkrafttreten sprach man wegen der dauernden Änderungen von der „Dauerbaustelle Insolvenzrecht“. Die InsO hat in vielfacher Hinsicht den Anliegen der Praxis Rechnung getragen, ohne dabei gravierende Eingriffe in das Gesellschaftsrecht vorzunehmen. Noack15) spricht zutreffend von einer „gesellschaftsrechtlichen Enthaltsamkeit der Insolvenzordnung“. Im Wettbewerb mit anderen Rechtsordnungen galt das deutsche Recht als sanierungsunfreundlich, was einige Krisenunternehmen dazu bewog, ihren Sitz zu verlegen, um die Sanierungs- und damit Fortführungschancen ausländischen Insolvenzrechts zu nutzen. In kleinen Schritten tastete sich der ___________ 14) So Römermann/Praß, GmbHR 2012, 425, 427. 15) Noack, Gesellschaftsrecht, Sonderband zu Kübler/Prütting, InsO, Rz. 5.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

deutsche Gesetzgeber mit weiteren Regelungen vor, um im Vergleich mit ausländischen Rechtsordnungen das deutsche Insolvenzrecht wettbewerbsfähig zu machen. IV.

Die Unternehmensfortführung nach der InsO

1.

Das Vorbild ausländischer Regelungen

11 Schon bei der Einsetzung der Kommission für Insolvenzrecht hatte der damalige Bundesminister der Justiz, Dr. Vogel, darauf hingewiesen, dass in die Beratungen auch die Sicht der kreditgewährenden Wirtschaft und der Arbeitnehmerschaft einbezogen werden sollten. Als Ausgangspunkt solle zwar nach wie vor die Insolvenz als Fall der Haftungsverwirklichung gesehen werden. Die Insolvenz könne jedoch nicht mehr lediglich als Angelegenheit zwischen Gläubiger und Schuldner begriffen werden. Vielmehr seien in der heutigen eng ineinander verzahnten und miteinander verflochtenen Wirtschafts- und Arbeitswelt auch die allgemeinen volkswirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen zu erkennen und zu bewerten. Sehr bedenkenswert erschien dem Minister der Vorschlag zu sein, „nach amerikanischem und französischem Vorbild ein besonderes Sanierungsverfahren einzuführen.“ Die Politik hatte inzwischen erkannt, dass sich eine funktionierende Wirtschaft nur eine begrenzte Zahl an Insolvenzen und nur eine bestimmte Höhe an Insolvenzschäden leisten kann, wenn sie nicht selbst Schaden nehmen will. 2.

Die Betriebsfortführung als Verfahrensziel

12 Der eigentliche Durchbruch zu Möglichkeiten einer Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren erfolgte 1982 durch das Gutachten von Karsten Schmidt zum Thema „Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht“ für den 54. Deutschen Juristentag. In Ziff. 19 heißt es u. a.: „Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren sollte Regel werden, nicht Ausnahme bleiben, solange das Verfahren mit Reorganisationszweck betrieben wird.“ (D 131).

13 Dies stellte eine endgültige Abkehr von der Auffassung des BGH dar, wonach die Eröffnung des Konkurses ein wirtschaftliches Stadium markiert, „[…] das im Interesse der Gläubiger eine Weiterführung des betroffenen Unternehmens verbietet und zur Verwertung noch vorhandener Vermögensteile zum Zwecke gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung zwingt.“16)

14 Stüdemann, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln, legte 1995 in der Zeitschrift „Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis 1995“ (S. 1, 20) einen Beitrag vor zum Thema „Der Gedanke der Fortführung insolvent gewordener Unternehmen und seine Verwirklichung im neuen Insolvenzrecht“. Nach Feststellung von Stüdemann zeigt sich die als „erstrangiges Ziel des Insolvenzverfahrens vorgegebene Unternehmensfortführung zu Lasten der Unternehmenszerschlagung“ unverkennbar bereits im vorgeschlagenen Aufbau des Gesetzes und im Umfang seiner Abschnitte. Enttäuscht heißt es aber weiter: „Offensichtlich vermochten die Verfasser der dem Ersten Kommissionsbericht nachfolgenden Entwürfe den kühnen Sprung aus der Befangenheit jahrtausendealten Denkens aber nicht zu folgen: Alle nachfolgenden Entwürfe bis hin zur Insolvenzordnung übernehmen die von der Kommission für Insolvenzrecht entwickelten Gedanken nicht, sondern fallen zurück in den vertrauten Dunstkreis der bonorum distractio, die Empfehlung zur Fortführung auf den Lippen, die Zerschlagung im Kopf.“

15 Spätestens mit dem ESUG sind später diese Geburtsfehler der InsO weitestgehend berichtigt worden. Es erstaunt, dass die Vereinigung der Zivilprozessrechtslehrer in der Zeit vom ___________ 16) BGH, Urt. v. 10.4.1979 – VI ZR 77/77, NJW 1980, 55 = KTS 1980, 122, 123 m. krit. Anm. Mohrbutter.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

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28.2. bis 4.3.1990 in Würzburg eine Arbeitstagung zum Thema „Insolvenzrechtsreform“ durchgeführt hat, auf der sich nur der Beitrag von Karsten Schmidt mit der Übertragenden Sanierung als „zweifelhafte Form der Unternehmensfortführung“ befasst.17) Das von der Reformkommission vorgeschlagene Reorganisationsverfahren sollte „[…] in geeigneten Fällen die Insolvenz eines unternehmerisch tätigen Schuldners auf wirtschaftlich vertretbare und den Gläubigern zumutbare Weise bereinigen und das schuldnerische Unternehmen – statt es zu liquidieren – mit seinen Produktionsstätten, Arbeitsplätzen und Geschäftsbeziehungen auf Dauer erhalten.“18)

3.

Die Betriebsfortführung als interne Gesellschaftspflicht

Zu begrüßen ist, dass die Reformkommission frühere Reformbestrebungen aufgegriffen 16 und ein einheitliches Insolvenzverfahren vorgeschlagen hat, das die bisherige Aufteilung zwischen Vergleichsverfahren und Konkurs aufhebt. Missverständlich war aber der Vorschlag im Regierungsentwurf, „[…] die Eigentümer als latente Gruppe zu behandeln, der es überlassen wird, auf ihre Kosten sich selbst zu organisieren und an der Abstimmung über einen Plan teilzunehmen.“19)

Anders als § 91 Abs. 2 AktG i. d. F. des KonTraG sieht das GmbHG keine Verpflichtung 17 des Geschäftsführers vor, ein Überwachungssystem einzurichten, um den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Trotzdem trifft den GmbH-Geschäftsführer nach heute wohl allg. M. eine Organisationspflicht, die ihn in die Lage versetzt, die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit zu überblicken und Risiken rechtzeitig zu erkennen. Deshalb ist ein Geschäftsführer nach h. M. verpflichtet, ein geeignetes Risikokontrollsystem einzurichten, „das den Gegebenheiten der jeweiligen Gesellschaft Rechnung trägt. Jene Organisationspflicht ist Bestandteil der Pflicht zu ordnungsgemäßen Geschäftsführung.“20) Die Organisationspflicht des organschaftlichen Vertreters einer antragspflichtigen Gesellschaft besteht als interne Pflicht gegenüber der Gesellschaft. Sie enthält regelmäßig eine Solvenzprognose, die weitgehende Ähnlichkeiten aufweist mit der Solvenzprognose zur Feststellung einer Überschuldung oder drohenden Zahlungsunfähigkeit. So ist z. B. von dem Geschäftsführer einer GmbH „eine Fortbestehensprognose zu fordern, die auf der Grundlage einer kontinuierlichen Finanzplanung erfolgt.“21) Die Beurteilung der Fortbestehensprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB reicht wegen des liquiditätsbezogenen Ansatzes der Insolvenzprognose nicht22) aus. Die Aussage, dass organschaftliche Vertreter einer insolvenzantragspflichtigen Gesellschaft aufgrund ihrer Organisationspflicht und Selbstbeobachtungspflicht zur Sanierung verpflichtet sind, sagt nichts darüber aus, welche Sanierungsmaßnahmen in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Jedenfalls hat der organschaftliche Vertreter zunächst alle Maßnahmen zu treffen, die die Fortführung des Betriebes gewährleisten. Hierzu gehört auch die Erstellung eines Sanierungskonzepts. Die Entscheidung über das Sanierungskonzept fällt dagegen in den Kompetenzbereich der Gesellschafter. Ob und inwieweit Gesellschafter aufgrund ihrer Treuepflicht zur Sanierung verpflichtet sind, ist nach wie vor ungeklärt.23) ___________ Vgl. Tagungsband KTS Schriften Bd. 1991, S. 67 ff.; s. a. Flessner, Sanierung und Reorganisation, 1982. Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 152. So die Allgemeine Begründung zum RegE InsO, abgedr. bei Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, S. 256. Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, § 43 Rz. 31; Bork, ZIP 2011, 101, 105 ff. Bork, ZIP 2011, 101, 103 f. vgl. auch Spindler, Unternehmensorganisationspflichten; Baumbach/HueckZöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rz. 17; Kort, GmbHR 2013, 566 ff. 22) Vgl. Zabel in: Kübler, HRI, § 4 Rz. 116 ff. 23) Vgl. Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, § 43 Rz. 36, 37; Thole, ZIP 2013, 1937 ff. 17) 18) 19) 20) 21)

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

V.

Zuständigkeiten für Sanierungsentscheidungen und -maßnahmen

1.

Zuständigkeiten für die interne Fortführungsentscheidung

18 Zuständig für eine vorläufige Sanierungsmaßnahme ist grundsätzlich der Geschäftsführer oder Vorstand einer antragspflichtigen Gesellschaft. Ergibt sich bei der Aufstellung der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz oder ist bei pflichtgemäßem Ermessen anzunehmen, dass ein Verlust i. H. der Hälfte des Grundkapitals besteht, hat der Vorstand einer AG die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen (§ 92 Abs. 1 AktG). Eine ähnliche Regelung findet sich in § 49 Abs. 3 GmbHG, wenn sich aus der Jahresbilanz oder aus einer im Laufe des Geschäftsjahres aufgestellten Bilanz ergibt, dass die Hälfte des Stammkapitals verloren ist. Der Geschäftsführer einer GmbH hat aber außer in den gesetzlich geregelten Fällen die Gesellschafterversammlung auch dann einzuberufen, wenn es im Interesse der Gesellschaft erforderlich erscheint (§ 49 Abs. 2 GmbHG). Das Erfordernis ist jedenfalls zu bejahen, wenn eine Unternehmenskrise vorliegt, die die Fortführung des Unternehmens gefährdet.24) Die Pflicht eines organschaftlichen Vertreters zur Sicherung der einstweiligen Unternehmensfortführung bis zur Entscheidung der Gesellschafterversammlung folgt nicht zuletzt aus der Entscheidungsbefugnis der Gesellschafter. Sie ermöglicht zugleich auch eine Fortführung des Unternehmens durch den vorläufigen Insolvenzverwalter, der nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO das Schuldnerunternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen hat, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden. Die Pflicht, das schuldnerische Unternehmen zunächst fortzuführen, resultiert insoweit aus der gesetzlichen Kompetenzzuweisung. Auch bei der Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Sachwalter sollten Kompetenzkonflikte vermieden und Kooperationspotentiale genutzt werden.25) Das Insolvenzgericht ist grundsätzlich frei in der Bestimmung der Rechte des vorläufigen Verwalters und kann gemäß § 22 Abs. 2 InsO die Fortführung des Unternehmens gemäß § 22 Abs. 1 InsO anordnen. Selbst ohne gerichtlichen Beschluss erfasst die allgemeine Sicherungspflicht des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters auch die Pflicht zur Mitwirkung an der Betriebsfortführung und Betriebserhaltung, obwohl eine ausdrückliche gesetzliche Regelung insoweit fehlt.26) 19 Die Zuständigkeitsbereiche für Sanierungsmaßnahmen bei einer Krisengesellschaft lassen sich nur schwer abgrenzen. Richtig ist aber, dass zwischen dem Erkennen der Krise bis zur Entscheidung der Gesellschafter über Sanierungsmaßnahmen Eilmaßnahmen erforderlich sind, die allein der Vorstand bzw. der Geschäftsführer zu verantworten hat.27) Davon unberührt bleibt die Insolvenzantragspflicht eines Geschäftsführers. Der Geschäftsführer einer GmbH ist verpflichtet, für den Zeitraum seiner Anzeige der Unternehmenskrise bis zur Sanierungsentscheidung der Gesellschafter sämtliche Sofortmaßnahmen zu treffen, die den Fortbestand des Betriebes gewährleisten. Handelt es sich um eine Unternehmenskrise, die den Fortbestand der Unternehmung gefährdet, sind die organschaftlichen Vertreter vor allem im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO verpflichtet, das Unternehmen zunächst fortzuführen. Sie haben sämtliche Eilmaßnahmen vorzunehmen, die die Fortführung des ___________ 24) Lutter/Hommelhoff-Bayer, GmbHG, § 49 Rz. 13; Veil, ZGR 2006, 374, 381. 25) Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 5 Rz. 147. Vgl. auch Frege, Verhandlungserfolg in Unternehmenskrise und Sanierung. 26) Vgl. Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Teil II Rz. 2210 S. 225. Ähnlich die Hamburger Leitlinien, ZInsO 2004, 24 und die Heidelberger Leitlinien, ZInsO 2009, 1848. 27) Vgl. K. Schmidt/Uhlenbruck-K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 2.65 ff.; Bork, ZIP 2011, 101, 108.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

§1

Betriebes ermöglichen bis die Gesellschafterversammlung endgültig entscheidet.28) Die Sanierungs- und Fortführungspflicht trifft bei mehrköpfigen Vertretungsorganen jeden organschaftlichen Vertreter ohne Rücksicht auf seine interne Zuständigkeit. 2.

Sanierungsentscheidungen im vorinsolvenzlichen Bereich

Aufgrund seiner Organisationspflicht ist der organschaftliche Vertreter einer antragspflich- 20 tigen Gesellschaft zur ständigen Selbstbeobachtung und zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet, die eine Krise der Gesellschaft beseitigen. So kann ein GmbH-Geschäftsführer aufgrund einer bestandsgefährdenden Notlage der Gesellschaft wegen der ihn bindenden Treuepflicht gehalten sein, eine einstweilige Einstellung oder Kürzung von Versorgungsbezügen zu veranlassen oder eine Kürzung der Bezüge entsprechend § 87 Abs. 2 AktG hinzunehmen. Grundsätzlich ist der organschaftliche Vertreter berechtigt, alle erforderlichen „internen Sanierungsmaßnahmen“ ohne Mitwirkung der Gesellschafter durchzuführen. Auch hier stößt er aber an natürliche Grenzen, wie z. B. bei der übertragenden Sanierung.29) Selbst wenn bei einer übertragenden Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens das Unternehmen mit seinen Vermögenswerten vom Unternehmensträger, der als juristische Person fortgeführt werden kann, ganz oder teilweise getrennt wird, handelt es sich letztlich um eine Liquidation, die einen Gesellschafterbeschluss voraussetzt. Beim Asset Deal wird z. B. das Unternehmen durch Veräußerung der für seine Fortführung notwendigen Gegenstände auf einen anderen Rechtsträger übertragen. Der bisherige Unternehmensträger wird, sofern es sich um eine juristische Person handelt, bis zur Löschungsreife weitergeführt und anschließend gelöscht. Die übertragende Sanierung ist ohne Mitwirkung der Gesellschafter nicht möglich.30) Da es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und die Art und Weise einer Unternehmenssanierung um eine außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahme handelt, die den Bestand des Unternehmens berührt, steht den Gesellschaftern einer GmbH die Entscheidungsbefugnis über die Unternehmensfortführung und entsprechende Maßnahmen der Sanierung zu.31) Beantragt der Geschäftsführer einer GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ohne 21 die Möglichkeit einer „freien“ Sanierung ausreichend geprüft zu haben, verletzt er die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43, Abs. 1, 2 GmbHG.32) 3.

Erweiterung der Zuständigkeiten bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes

Liegt ein Insolvenzgrund vor, der nach § 15a InsO zum Insolvenzantrag verpflichtet, so 22 erweitern sich die Zuständigkeiten: Der organschaftliche Vertreter ist nach Vorliegen eines Insolvenzgrundes gemäß § 15a Abs. 1 InsO verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Eröffnungsantrag zu stellen. Hieraus lässt sich nicht etwa der Schluss ziehen, dass die ___________ 28) Vgl. Bork, ZIP 2011, 101, 108. 29) Zu den Risiken vorinsolvenzlicher übertragender Sanierung und Anschlussinsolvenzverfahren s. Uhlenbruck in: FS Haarmeyer, S. 301 ff. = ZInsO 2013, 2033 ff.; Hess, Sanierungshdb., Kap. 13 Rz. 217. 30) Vgl. K. Schmidt, KTS-Schriften zum Insolvenzrecht, Bd. 1 S. 67 ff. Zipperer, NZI 2008, 206 ff.; Besau, KSI 2011, 202 ff.; Bitter/Rauhut, KSI 2007, 197 ff. 31) Vgl. Gottwald-Haas, Hdb. InsR, § 92 Rz. 141; Bork, ZIP 2011, 101, 107 f.; zur Fortbestehensprognose s. Groß/Amen, Wpg 2002, 225 und Wpg 2002, 433. 32) Es handelt sich insoweit nicht um die Haftung wegen „verfrühter“ Antragstellung, sondern wegen der schuldhaften Verletzung der Zuständigkeit für eine Sanierungsentscheidung. Liegt ein Insolvenzgrund vor, der den Geschäftsführer zum Insolvenzantrag verpflichtet (§ 15a InsO), so entfällt nicht etwa die Entscheidungsbefugnis der Gesellschafterversammlung. Zur Planung der Sanierungsstrategie s. Hess, Sanierungshdb., Kap. 4 Rz. 34 ff.; Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 2. Aufl., 2004, Rz. 5.452 ff.

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§1

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

Entscheidungsbefugnis über die Verfahrensart ausschließlich bei einem Geschäftsführer oder antragspflichtigen Vorstand liegt. Vielmehr ist der antragspflichtige organschaftliche Vertreter zunächst verpflichtet, die Gesellschafterversammlung über das Vorliegen eines Insolvenzgrundes und seine Antragspflicht zu informieren. Die Gesellschafterversammlung ist zwar hinsichtlich der Antragstellung nicht weisungsbefugt; sie kann jedoch den Geschäftsführer anweisen gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO den Antrag auf gerichtliche Anordnung eines Schutzschirmverfahrens zu stellen und die Drei-Wochen-Frist nutzen, eine außergerichtliche Sanierung zum Zwecke der Betriebsfortführung herbeizuführen. 23 Umstritten ist, ob es für einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) eines Gesellschafterbeschlusses bedarf.33) Da die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Auflösung der Gesellschaft führt und grundsätzlich den Verlust der Verfügungsbefugnis zur Folge hat, stellt sich im Hinblick darauf, dass die Altgesellschafter im Insolvenzplanverfahren gemäß § 225a Abs. 2, 3 InsO ihre Gesellschafterposition verlieren können, die Frage, ob Geschäftsführer oder Vorstände vor Stellung des Insolvenzantrags nach § 18 InsO einen Beschluss der Gesellschafterversammlung bzw. einer Hauptversammlung einzuholen haben. Dies wird von der absolut h. M. auch dann bejaht, wenn eine Eigenverwaltung mit Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO beantragt werden soll.34) Insoweit ist eine Weisung der Gesellschafter für Geschäftsführer verbindlich. 24 Auch der Geschäftsführer einer GmbH ist verpflichtet, für den Fall einer Sanierungsmöglichkeit den Gesellschaftern ein Sanierungskonzept vorzulegen, das geeignet ist, die Insolvenzantragspflicht zu beseitigen. Da die Insolvenzantragspflicht eine öffentlich-rechtliche Pflicht ist, finden das Entscheidungs- und das Weisungsrecht der Gesellschafter ihre Grenze bei Vorliegen eines antragspflichtigen Insolvenzgrundes (§ 15a InsO). 4.

Die Sanierungsentscheidung bei drohender Zahlungsunfähigkeit

25 Hat der organschaftliche Vertreter einer antragspflichtigen Gesellschaft die Gesellschafter dahingehend informiert, dass der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 1 InsO) vorliegt, haben diese in eigener Zuständigkeit zu entscheiden, ob eine mögliche Sanierung mit dem Ziel der Betriebsfortführung innerhalb oder außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens stattfinden soll. Die Entscheidung erfordert eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile der einzelnen Sanierungsmöglichkeiten.35) Liegt bereits ein Insolvenzgrund vor, der nach § 15a InsO zum Insolvenzantrag verpflichtet, entscheidet die Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung darüber, ob in einem eröffneten Insolvenzverfahren die Fortführung des Betriebes angestrebt werden soll. Die Insolvenzantragspflicht der Geschäftsführer steht nicht mehr zu Disposition. Allerdings müssen die Gesellschafter damit rechnen, dass die Gläubigerversammlung gemäß § 157 Satz 1 InsO im Berichtstermin beschließt, dass das Schuldnerunternehmen gegen ihren Willen stillgelegt wird.36)

___________ 33) Vgl. Wertenbruch, DB 2013, 1592 ff.; OLG München Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121 = GmbHR 2013, 590 m. Anm. Leinekugel. 34) Vgl. Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1593 und die dort in Fn. 19 angegebene Literatur. 35) Vgl. Uhlenbruck, BB 2001, 1641 ff.; Uhlenbruck, Außergerichtliche Sanierung, in: Knops/Bamberger/ Maier/Reimer, Recht der Sanierungsfinanzierung, § 5; Undritz/Knof in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 1 ff.; Undritz, in: Kölner Schrift zur InsO, Kap. 29 Rz. 10 ff. 36) „Eine Unternehmensfortführung in der Insolvenz ist die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs unter Führung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter anstatt durch die Organe des insolventen Unternehmensträgers“ (K. Schmidt-Jungmann, InsO, § 157 Rz. 1).

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung VI.

§1

Anforderungen an ein Sanierungskonzept

Die Sanierungspflicht eines organschaftlichen Vertreters37) umfasst in der Unternehmens- 26 krise die Erarbeitung eines tragfähigen Sanierungskonzepts und sämtliche vorbereitenden Maßnahmen, die der Gesellschafterversammlung eine rasche Entscheidung über die notwendigen Sanierungsmaßnahmen ermöglichen (siehe oben Rz. 21 ff. und unten § 7 Rz. 62 ff. [Weniger] sowie § 9 Rz. 287 [Mönning]). Bei Vorliegen eines überzeugenden Unternehmenskonzepts und einer langfristigen Finanzplanung (§ 9 Rz. 296 ff. [Mönning]) kann ein organschaftlicher Vertreter grundsätzlich von der Bereitschaft der Gesellschafter ausgehen, den Betrieb fortzuführen. Für einen sanierungsvorbereitenden Insolvenzantrag darf die angestrebte Sanierung allerdings nicht offensichtlich aussichtslos sein, was auch für einen Antrag auf Eigenverwaltung mit Schutzschirm gilt (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO). Nicht übersehen werden darf, dass es seit dem Inkrafttreten des ESUG möglich ist, i. R. eines Insolvenzplans einen Kapitalschnitt durchzuführen, der zunächst eine Kapitalherabsetzung auf „Null“ vorsieht und damit zu einem Verlust der Geschäftsanteile der Altgesellschafter führt. Die Altgesellschafter bilden bei der Abstimmung über den Insolvenzplan eine eigene Gruppe. Auf deren Abstimmungsverhalten kommt es – anders als bei einem Gesellschafterbeschluss – im Ergebnis nicht an, wenn die Umsetzung des Plans zu einem Ausscheiden des Altinhabers ohne jegliche Abfindung führt. Insoweit greift das Obstruktionsverbot des § 245 Abs. 3 InsO ein. Wird der Betroffene durch den Plan nicht schlechter gestellt als ohne Plan, so kann eine verweigerte Zustimmung zum Plan durch das Gericht ersetzt werden.38) Im Wege des „Debt-Equity-Swaps“ besteht die Möglichkeit für Gläubiger, ihre Forderungen im Wege des Planverfahrens in eine Beteiligung am schuldnerischen Unternehmen umzuwandeln, wodurch ein Passivtausch von bilanziellen Fremdkapital in Eigenkapital stattfindet (§ 225a Abs. 2 InsO). VII. Die unverzichtbare Fortbestehensprognose 1.

Gesetzliche Grenzen einer Unternehmensfortführung

Eine Fortführung des Schuldnerunternehmens im und außerhalb des Insolvenzverfahrens 27 setzt eine überzeugende Insolvenzprognose voraus. „Die Vorgabe der dauerhaften Betriebsfortführung mit dem Ziel der Sanierung ist ohne weitere konkrete Determinanten nicht möglich.“ (Wimmer/Wegener).39) Die fortsetzende Sanierung eines Krisenunternehmens erfordert eine sorgfältige Vorbereitung. Bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit entscheiden die Gesellschafter, ob das Unternehmen außergerichtlich oder i. R. eines Insolvenzverfahrens saniert werden soll. Letzterenfalls kann es aber eine unliebsame Überraschung geben, wenn der Insolvenzverwalter das Unternehmen vor dem Berichtstermin stilllegen will (§ 158 Abs. 1 InsO) oder die Gläubigerversammlung gemäß § 157 Satz 1 InsO im Berichtstermin beschließt, dass er Betrieb stillgelegt wird. Im Eröffnungsverfahren hat der Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO 28 das Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen. Aber auch hier kann das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmen, um eine erhebliche Verminderung des Schuldnervermögens zu vermeiden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO). Wird eine Fortführung des Schuldnerunternehmens durch Insolvenzverfahren angestrebt, so ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der gerichtlichen Sanierung die ___________ 37) Vgl. Frege, NZI 2006, 545, 546; Undritz in: Kölner Schrift zur InsO, Kap. 29 Rz. 21. 38) LG Traunstein, Beschl. v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461; Wimmer/Jaffé in: FK-InsO, § 245 Rz. 37 ff. Zu den gesellschaftsrechtlichen Regelungsvorschlägen der Kommission für Insolvenzrecht s. Ulmer, ZHR 149 (1985), 541 ff. 39) So Wimmer/Wegener in FK-InsO, § 157 Rz. 2.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

gründliche und rechtzeitige Vorbereitung des Insolvenzverfahrens. Es gilt, das Schuldnerunternehmen als betriebliche Einheit zu erhalten, um eine dauerhafte Sanierung durch Insolvenzplan im Verfahren zu erreichen. Aber: „Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, den Betrieb im Blindflug oder um jeden Preis fortzuführen, nur um der Fortführungsprämisse gerecht zu werden.“40) Zulässig ist jedoch eine kurzfristige Betriebsfortführung mit dem Ziel einer wirtschaftlich sinnvollen Ausproduktion und anschließenden Stilllegung. 29 Ist eine übertragende Sanierung beabsichtigt, sind entsprechende Übernahmeangebote oder das Interesse eines oder mehrerer potentieller Erwerber zu dokumentieren. Die Fortbestehensprognose hat für die Insolvenzpraxis eine besondere Bedeutung erlangt, seitdem durch Gesetz vom 5.12.2012 (BGBl. I, 2418), der mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom 17.10.2008 eingeführte Überschuldungsbegriff in § 19 Abs. 2 InsO entfristet wurde. Die Fortführung des Unternehmens, also des Unternehmensträgers, ist nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO Tatbestandsmerkmal und von einem organschaftlichen Vertreter einer antragspflichtigen Gesellschaft ohnehin zu prüfen. Die maßgeblichen Elemente der Fortführungsprognose sind ein tragfähiges Unternehmenskonzept und eine Finanzplanung sowie die Fortsetzungsbereitschaft der Gesellschafter. Auf eine Ertragsfähigkeit kommt es nicht an.41) 2.

Die Sanierungsbescheinigung

30 Zu den vorbereitenden Tätigkeiten des oder der organschaftlichen Vertreter eines antragspflichtigen Unternehmens kann im Einzelfall auch die Einholung eines Sanierungsgutachtens gehören.42) Das Sanierungsgutachten hat zwei Funktionen: einmal ermöglicht es die Entscheidung, ob eine außergerichtliche Unternehmenssanierung möglich ist; zum anderen kann es die Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation darstellen, aus der sich ergibt, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO; siehe auch unten § 13 Rz. 75 ff. [Spies]). Die Bescheinigung ist mit Gründen zu versehen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat 2012 den Entwurf eines IDW-Standards verabschiedet (IDW ES 9), der die Berufsauffassung wiedergibt, welche Anforderungen an den beauftragten Wirtschaftsprüfer und den Inhalt der Bescheinigung zu stellen sind. Entgegen dem IDW-Standard ist die Bescheinigung schon taugliche Grundlage für eine Anordnung des Schutzschirmverfahrens, wenn nachgewiesen wird, dass die Fortführung des Unternehmens gesichert ist.43) Dazu reicht die Darstellung wesentlicher Punkte des Sanierungskonzepts aus, was allerdings nicht unbestritten ist. Die Bejahung des Merkmals der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Unternehmensfortführung“ schließt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung aus.44) 3.

Die Sanierungsfähigkeit

31 Nach Auffassung des II. Zivilsenats des BGH45) ist die Überlebens- bzw. Fortführungsprognose dann negativ, wenn die „Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahr___________ 40) 41) 42) 43) 44) 45)

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So Borchardt/Frind v. Websky, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Teil III Rz. 1703 S. 533. Vgl. K. Schmidt, ZIP 2013, 485 ff.; Hirte/Knof/Mock, ZInsO 2008, 1217, 1219 f. Vgl. auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 288 ff. Vgl. auch Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 733. Vgl. K. Schmidt/Uhlenbruck-K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 5.144. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 214 = ZIP 1992, 1382; vgl. auch OLG Köln, Urt. v. 19.12.2000 – 22 U 144/00, WM 2001, 1160.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

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scheinlichkeit kurz- oder mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht“ (siehe auch unten § 7 Rz. 62 ff. [Weniger]). In einer weiteren Entscheidung vom 9.10.200646) stellt der BGH darauf ab, ob die Finanzkraft des Unternehmens objektiv mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Fortführung ausreicht. Eine günstige Fortführungsprognose setze sowohl den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe als auch die – grundsätzlich aus einem aussagefähigen Unternehmenskonzept herzuleitende – Überlebensfähigkeit des Schuldnerunternehmens voraus. Anders als bei der Überschuldung kommt es auf eine Prognosedauer nicht an. Die in einem Insolvenzplan vorgesehenen Opfer der Gläubiger und Anteilseigner können dazu führen, dass mit Abschluss des Verfahrens der Betrieb wieder profitabel arbeitet. Bis zur Entscheidung der Gläubigerversammlung oder nach deren Entscheidung entstehende Kosten gehen zu Lasten der Masse. Entscheidend ist immer, ob die Fortsetzung eines defizitären Betriebes im Hinblick auf den durch die Sanierung entstehenden Massezuwachs kompensiert wird. Es kommt letztlich darauf an, ob durch die Fortführung des Betriebes oder des Unternehmens ein optimales Verwertungsergebnis zugunsten der Gläubiger erzielt wird. Selbst bei optimaler Fortführungsprognose ist das Ergebnis der Betriebsfortführung nicht immer mit letzter Sicherheit planbar. Wegen der mit einer Betriebsfortführung verbundenen Risiken sind an die Prüfung durch den Insolvenzverwalter besondere Anforderungen zu stellen. Eine Fortführung des Geschäftsbetriebes ohne solide Planrechnungen wird dem Ziel und Zweck des Insolvenzverfahrens nicht gerecht und kann zur Haftung des Insolvenzverwalters sowie der entscheidenden Gläubigerorgane führen. In masseunzulänglichen Verfahren besteht nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die 32 Verpflichtung des Verwalters zur Abwicklung und Verwertung der Masse fort. Eine weitere Betriebsfortführung ist nur zulässig, wenn als Ergebnis der Betriebsfortführung eine zeitnahe, möglichst vollständige Befriedigung der Massegläubiger erreicht werden kann.47) Mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ändert sich meist das Verfahrensziel. Der Insolvenzverwalter hat die Masse unverzüglich zu verwerten und langfristige Verträge zu beenden. Ob die Fortführungsfähigkeit auch die Ertragsfähigkeit des Unternehmens voraussetzt, ist umstritten.48) Richtig ist, dass die langfristige Sanierung eines Krisenunternehmens letztlich dazu führen muss, dass wieder Gewinn erwirtschaftet wird. „Die Ertragsfähigkeit des Unternehmens im Sinne einer Sicherung der Innenfinanzierung des Unternehmens ist kein selbstständiger und notwendiger Gegenstand der Fortführungsprognose, sondern nur ein – allerdings wichtiger – Faktor zur Bestimmung der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens.“49)

Etwas anderes gilt nur, wenn bei einem dauerhaft nicht ertragsfähigen Unternehmen die 33 Liquidität nur noch für einen von vornherein absehbaren Zeitraum durch Aufzehrung des vorhandenen Vermögens aufrechterhalten werden kann. Entscheidend ist letztlich, ob die Liquiditätsprognose für das laufende und nächstfolgende Geschäftsjahr zu einer Gefährdung der Gläubigeransprüche führt, also der Zusammenbruch des Unternehmens bereits absehbar ist. Zur Sanierungswürdigkeit siehe unten Rz. 43 und Rz. 69. VIII. Rechtsfolgen einer misslungenen außergerichtlichen Sanierung Bei den meisten antragspflichtigen Gesellschaften geht einem gerichtlichen Insolvenzver- 34 fahren der Versuch einer außergerichtlichen Sanierung voraus in der Hoffnung, den Betrieb trotz Vorliegens einer Krise, oftmals sogar trotz eines Insolvenzgrundes fortführen ___________ 46) 47) 48) 49)

BGH, Beschl. v. 9.10.2006 – II ZR 303/05, ZInsO 2007, 36, 37 = ZIP 2006, 2171. Vgl. BGH Urt. v. 4.7.2002 – IX ZR 97/99, ZIP 2002, 1633 = ZInsO 2002, 879. Vgl. K. Schmidt-K. Schmidt, InsO, § 19 Rz. 52. Bitterkresser, ZIP 2012, 1733, 1743.

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zu können. Die antragspflichtigen organschaftlichen Vertreter übersehen dabei, dass sie erhebliche Haftungs- und strafrechtliche Risiken eingehen, wenn die sog. „freie“ Sanierung nicht gelingt und ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wird.50) Selbst wenn eine Zahlungsunfähigkeit droht, aber noch kein antragspflichtiger Insolvenzgrund vorliegt, ist das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO oftmals die einzige Option für eine fortführende Sanierung des Betriebes und des Unternehmens. Zu unterscheiden ist zwischen der internen Sanierungspflicht, die dem organschaftlichen Vertreter einer antragspflichtigen Gesellschaft gegenüber der Gesellschaft als Ausfluss seiner Organisationspflicht obliegt, und der externen Sanierungspflicht. Die schuldhafte Verletzung der externen Sanierungspflicht führt dazu, dass das Unternehmensrisiko weitgehend auf die Gläubiger des Krisenunternehmens abgewälzt wird.51) 35 Rechtsgrundlage für eine vorinsolvenzliche außergerichtliche Sanierungspflicht sind die §§ 4 Abs. 2, 3, 5a Abs. 4, 30, 43a, 64 GmbHG, § 15a InsO.52) Oftmals übersehen und verkannt werden von organschaftlichen Vertretern eines Krisenunternehmens die Risiken einer schuldhaften Verletzung interner und externer Sanierungspflichten. Neben der schuldhaften Verletzung der Insolvenzantragspflicht, die nach § 15 Abs. 4 InsO strafbar ist, kommt oftmals eine Strafbarkeit wegen unterlassener Verlustanzeige (§§ 401, 92 AktG, §§ 84, 49 Abs. 3 GmbHG) in Betracht, sowie eine Haftung nach den § 64 GmbHG, § 93 Abs. 3 – 5 AktG. Neben dem strafbaren Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) erweist sich die vielgepriesene übertragende Sanierung oftmals als Bankrottdelikt i. S. von § 283 StGB, das mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht ist, wenn der Übertragungsakt bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit stattgefunden hat. 36 Scheitert eine vorinsolvenzliche Sanierung und kommt es zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, werden sämtliche Vermögensübertragungen und sonstige gläubigerbenachteiligende Handlungen im Wege der Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO rückgängig gemacht. Eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass der Schuldner mit dem Vorsatz gehandelt hat, seine Gläubiger zu benachteiligen. Ein erhebliches Beweisanzeichen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH gegeben, wenn der Gläubiger eine Befriedigung erhält, die er nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hat.53) Die Indizwirkung der Inkongruenz für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners kann im Einzelfall allerdings ausgeschlossen sein. So z. B., wenn die Gewährung einer inkongruenten Befriedigung Bestandteil eines ernsthaften, letztlich aber fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs ist.54) Nach Auffassung des BGH entfällt der Benachteiligungsvorsatz nicht etwa durch die bloße Hoffnung des Schuldners auf eine Sanierung, „[ ] wenn die dazu erforderlichen Bemühungen über die Entwicklung von Plänen und die Erörterung von Hilfsmöglichkeiten nicht hinausgekommen sind“. Vielmehr muss zu der Zeit der angefochtenen Handlung „ein schlüssiges, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept vorliegen, das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt

___________ 50) S. Uhlenbruck, ZInsO 2013, 2033 ff. 51) Nach Feststellung von Eidenmüller (ZIP 2010, 649, 652) gibt es allerdings kein Urteil, durch das der Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft auf dieser Grundlage zum Schadensersatz verurteilt worden ist. Die Einführung einer Haftungsnorm bei unterbliebenen Restaurierungsmaßnahmen sei aber erwägenswert. vgl. auch Veil, ZGR 2006, 374, 376 ff. 52) Vgl. Undritz in: Kölner Schrift zur InsO, Kap. 29 Rz. 21; Bork, ZIP 2011, 101, 102; krit. in: Lutter/ Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, 13. Aufl., 1991, § 43 Rz. 37. 53) BGH, Urt. v. 5.3.2009 – IX ZR 85/07, BGHZ 180, 98 = ZIP 2009, 922. 54) So BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137, 138.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

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worden ist und beim Schuldner die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigt“.55)

Die Teilnahme an außergerichtlichen Sanierungsversuchen stellt somit auch für die Gläubi- 37 ger des Krisenunternehmens ein erhebliches Risiko dar. Nach § 26 Abs. 4 InsO ist bei schuldhafter Insolvenzverschleppung jede antragspflichtige Person zur Leistung eines Massekostenvorschusses verpflichtet. Insgesamt ist entgegen einer noch h. M. in der Literatur56) jedoch festzustellen, dass die außergerichtliche Sanierung und vor allem die fortführende „freie“ Sanierung mit dem Inkrafttreten des ESUG und den gerichtlichen Möglichkeiten einer Betriebsfortführung im „Wettbewerb der Insolvenzrechte“ gleichgezogen hat.57) IX.

Das ESUG und die neue Insolvenzkultur

1.

Das unveränderte Verfahrensziel

Auf dem 7. Deutschen Insolvenzrechtstag 2010 hat die Bundesministerin der Justiz von der 38 Notwendigkeit einer „neuen Insolvenzkultur“ gesprochen. Bereits 1999 hatte Eidenmüller58) für außergerichtliche Sanierungen eine „fehlende Vergleichskultur“ beklagt und das deutsche Insolvenzrecht als „Zerschlagungsrecht“ beanstandet. Allerdings vollziehe sich der von ihm angemahnte Einstellungswandel „natürlich nicht von heute auf morgen“. Wie oben bereits dargestellt wurde, hatte die Betriebswirtschaftslehre schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts erkannt, dass ein Insolvenzverfahren volkswirtschaftlich nicht mehr allein als „Instrument zur Ausmerzung unrentabler Betriebe“ oder als „privatrechtliche Todesstrafe“ für unternehmerisches Fehlverhalten angesehen werden kann.59) Mit der am 1.1.1999 in Kraft getretenen InsO wurde die Grundlage für eine neue Insolvenzkultur geschaffen. Im Rahmen der gesetzgeberischen Aktivitäten wurde sich meist auf die US-amerikanische Regelung des Chapter 11 berufen. Dabei wurde übersehen, dass die amerikanische Insolvenzkultur Sanierungen im ausschließlichen Interesse des Schuldnerbetriebes oder im Allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zulässt. Nicht verkannt werden darf auch, dass in den USA an dem Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 BC teilweise heftige Kritik geübt wird und das Restrukturierungsgesetz sich ebenso zu einer „Dauerbaustelle“ entwickelt hat wie in Deutschland die InsO. Elizabeth Warren hat die Stimmungslage in den USA 1992 wie folgt beschrieben: „After twelve years of experience with the new Bankruptcy Code, people are angry with the bankruptcy process. Creditors are angry with debtors who have resisted payment and thwarted their collection efforts. Employees are angry with companies that have laid them off while big boys remain in their high paying jobs. Tort victims are angry with companies because they are not getting enough money to compensate them for all that they have lost. Judges are angry with disputants because they have neither the time nor the resources to monitor the cases in their care. And everyone is angry with the lawyers because they are getting rich.”60)

Dem Reformgesetz von 1978 in den USA ist immer wieder der Vorwurf gemacht worden, 39 allzu schuldnerfreundlich zu sein. In Deutschland zeigte sich bald, dass die als Jahrhundertgesetz gepriesene InsO der Nachbesserung bedurfte. Es folgte 2007 das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens (BGBl. I, 509), 2008 das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (BGBl. I, 2026), das Re___________ 55) BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137, 138 m. w. Rechtsprechungshinweisen. 56) Statt aller Undritz/Knof in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 247 ff. 57) Zu neuen Sanierungsmöglichkeiten durch das ESUG s. a. Schienstock/Reifert/Drießen, KSI 2013, 167 ff.; Römermann/Praß, GmbHR 2012, 425 ff. 58) Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 363, 364. 59) Anders noch Sombart, Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus. 60) The Untenable Case for Repeal of Chapter 11, 102 Yale LJ 37, 477 f. (1992).

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strukturierungsgesetz als Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz und das Haushaltsbegleitgesetz 2011 (BGBl. I, 1855). Letztlich stellte sich heraus, dass sämtliche Nachbesserungsgesetze nicht den beabsichtigten Erfolg brachten und vor allem die Eigenverwaltung und damit die Fortführung von Unternehmen im Insolvenzverfahren von der Praxis vielfach nicht angenommen wurden. Erst das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), das am 1.3.2012 hinsichtlich seiner wesentlichen Teile in Kraft getreten ist (BGBl. I, 2582), brachte den entscheidenden Durchbruch, indem es dem Schuldner in erfolgversprechenden Sanierungsfällen die Eigenverwaltung als Sanierungsweg anbot. 40 Die Eigenverwaltung erhielt ihre besondere Ausprägung durch das in § 270b InsO geregelte Schutzschirmverfahren, das dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet, den Insolvenzantrag vorzubereiten und frühzeitig zu stellen. Das ESUG eröffnet neue Sanierungsoptionen und erweitert das Aufgabenspektrum für die Restrukturierungsbranche. Durch die Reform sollte insbesondere die „Eigenverwaltung aus ihrem bisherigen Dornröschenschlaf geweckt werden“.61) Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers kann hierdurch die Quote erfolgreicher Sanierungen erhöht werden.62) Auch nach dem ESUG bleibt das Sanierungsverfahren Insolvenzverfahren und zugleich ein Mittel der Haftungsverwirklichung. Die fortführende Sanierung ist demnach „nur ein Mittel zur bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger“.63) Auch eine Restruktion oder Reorganisation ist nach der zutreffenden Formulierung von Eidenmüller lediglich „ein Instrument zur Maximierung des haftenden Schuldnervermögens“.64) Die materielle Insolvenz lässt nicht zwingend den Schluss auf ein Versagen der Vermögens- und Haftungssteuerung zu.65) Schlechte Unternehmensführung ist zwar die Hauptursache vieler Insolvenzen; zwingend ist aber nicht, dass der Schuldner bzw. seine organschaftlichen Vertreter in allen Fällen den Eintritt der Insolvenz zu vertreten haben. Nach zutreffender Feststellung von Brinkmann und Zipperer66) darf die Eigenverwaltung nicht etwa in den „Dienst einer Kultur des Scheiterns“ gestellt werden. Das Schuldnerunternehmen erhält keineswegs auf Kosten seiner Gläubiger eine neue Chance. Vielmehr geht es letztlich darum, die Unternehmensfortführung im Wege der Eigenverwaltung als beste Form der Gläubigerbefriedigung zu nutzen und das Verfahren gleichzeitig im Bereich der internationalen Insolvenzrechte konkurrenzfähig zu machen. 2.

Besondere Merkmale der neuen Insolvenzkultur

41 Das ESUG hat die insolvenzrechtliche Welt in Deutschland verändert.67) Besondere Merkmale einer neuen Insolvenzkultur sind die Regelungen, die auch in einem Eröffnungsverfahren oder Schutzschirmverfahren den Schuldner und den vorläufigen Insolvenzverwalter verpflichten, ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung der Gläubiger über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer vorzeitigen Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Schuldnervermögens zu vermeiden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO). Da nach § 157 InsO die Gläubiger über eine Fortführung, übertragende Sanierung oder Liquidation entscheiden, ist der vorläufige Insolvenzverwalter grundsätzlich und vorrangig verpflichtet, das ___________ 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67)

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Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337. Einzelheiten bei Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337 ff. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1137, 1138. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 50. So aber Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 2.24. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1339. Römermann, GmbHR 2013, 337, 344.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

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Unternehmen bzw. den Betrieb bis zum Berichtstermin aufrechtzuerhalten und fortzuführen.68) Nach Luttermann und Geißler69) hat das ESUG neue Instrumentarien geschaffen, wobei namentlich konkrete Mitwirkungsbefugnisse der Gläubiger einer „herkömmlichen Resignation zur Ohnmacht verurteilter Verfahrensbeteiligter entgegenwirken.“ Gesetzt werde auf ein stärkeres Miteinander und gefördert werde eine allseits tragfähige Sanierungskultur, die auch international konkurrenzfähig sei. Letztlich eröffnet das ESUG neue Strategien zur Optimierung der Sanierungschancen von krisenbetroffenen Unternehmen im Eigenverwaltungsverfahren. Die neue Rechtslage erfordert ein Umdenken von allen Verfahrensbeteiligten. Aus der Pflicht, das Schuldnerunternehmen fortzuführen, folgt „[ ] ohne dass es eines gesonderten Beschlusses des Insolvenzgerichts bedürfte, auf der Grundlage der gesetzlichen Kompetenzzuweisung die Rechtsmacht, alle der Fortführung zweckdienlichen Entscheidungen zu treffen.“70)

Das Haftungsrisiko der Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder nach § 64 Satz 1 42 GmbHG, § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG erhöht sich allerdings, wenn ein Unternehmen in (vorläufiger) Eigenverwaltung fortgeführt wird.71) An einem Verschulden der organschaftlichen Vertreter fehlt es jedoch meistens, wenn rechtzeitig ein Sanierungsplan als sog. pre-packaged-Plan erstellt wird, der den Fortbestand des Krisenunternehmens dokumentiert und Zahlungen an Gläubiger garantiert.72) Je höhere Anforderungen an eine aktuelle Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO gestellt werden, umso geringer ist die Gefahr einer organschaftlichen Haftung oder einer Strafbarkeit. Im Zweifel sollte der organschaftliche Vertreter des Schuldnerunternehmens den Antrag nach § 270b Abs. 3 InsO stellen, dass er Masseverbindlichkeiten begründen darf. In dem durch das ESUG eingeführten Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO ist dem Insolvenzgericht die verantwortungsvolle Aufgabe zugewiesen, anhand der Bescheinigung nach § 270b Abs. 3 InsO darüber zu entscheiden, ob dem Schuldner bzw. Schuldnerunternehmen der Zutritt zu diesem Verfahren innerhalb eines Insolvenzeröffnungsverfahrens gewährt wird.73) Aus der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO, die von einem in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation ausgestellt sein muss, ergibt sich meist die Rechtfertigung für die Anordnung sanierungsvorbereitender Maßnahmen im Eröffnungsverfahren. Die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters (§ 270 Abs. 2 Satz 1 InsO) sowie eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 22a InsO verhindern weitgehend eine Haftung des organschaftlichen Vertreters wegen verbotener Zahlungen. Zur Sanierungswürdigkeit ist festzustellen, dass nach § 1 InsO das Insolvenzverfahren 43 auch nach Inkrafttreten des ESUG weiterhin ein Instrument der Haftungsverwirklichung i. R. der Gesamtvollstreckung bleibt. Weder die Verwertung des Schuldnervermögens noch der „Erhalt“ des Unternehmens sind das alleinige Ziel des Verfahrens.74) Beide sind lediglich Mittel zur Gläubigerbefriedigung, die andere Mittel keineswegs ausschließen. Auf die Sanierungswürdigkeit des Schuldners bzw. des organschaftlichen Vertreters kommt es nach dem ESUG nicht mehr an, da die Ablehnungsgründe der §§ 17, 18 VglO ___________ Borchardt/Frind-v. Websky, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Teil III, Rz. 1535, S. 483. Luttermann/Geißler, ZInsO 2013, 1381, 1386; Schienstock/Reifert/Drießen, KSI 2013, 167 ff. K. Schmidt-Hölzle, InsO, § 22 Rz. 9. Vgl. A. Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369 ff. Zur Sanierungsfähigkeitsprüfung vgl. Portisch, KSI 2013, 149 ff. Zu den Anforderungen an die Bescheinigung für das Schutzschirmverfahren vgl. auch Zipperer/ Vallender, NZI 2012, 729 ff.; s. a. Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014. 74) Vgl. Gerhardt in GroßKomm-InsO, § 1 Rz. 2.

68) 69) 70) 71) 72) 73)

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sich in der Praxis oftmals als gläubigerschädlich erwiesen hatten.75) Einige Insolvenzgerichte wie z. B. Hamburg und Heidelberg haben inzwischen Leitlinien entwickelt, wie Leistungen betriebsnotwendiger Lieferanten im Insolvenzeröffnungsverfahren abzusichern sind.76) Nach Feststellung von Frind77) ist die Betriebsfortführung niemals als Selbstzweck anzusehen, sondern sie ist vielmehr darauf reduziert, „im eröffneten Insolvenzverfahren eine optimale Befriedigung der Gläubiger zu erreichen“. Das ist angesichts der Empfehlung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 an die Kommission zu Insolvenzverfahren i. R. des EU-Gesellschaftsrechts78) zweifelhaft geworden, wenn es dort heißt „das Insolvenzrecht ein Mittel zur Rettung von Unternehmen […] sein sollte; […] in der Erwägung, dass eine solche Rettung, wenn immer sie möglich ist, dem Schuldner, den Gläubigern und den Arbeitnehmern nützen sollte.“79)

3.

Rechtzeitige Kommunikation mit den Hauptgläubigern

44 Die durch das ESUG in den §§ 270a und 270b InsO eingeführten Sanierungsoptionen sind so angelegt, dass sie ohne die Einschaltung eines Beraters nicht funktionieren. Eine fortführende Sanierung in einem gerichtlichen Insolvenzverfahren kann letztlich nur Erfolg haben, wenn rechtzeitig ein Sanierungs- und Insolvenzplan erstellt wird. Erst wenn die Opfer feststehen, die einige oder alle Gläubiger zu bringen haben, hat der Berater oder der organschaftliche Vertreter nach Information der Gesellschafter die Pflicht, die wesentlichen Verfahrensbeteiligten von den beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen und der damit verbundenen Fortführung zu unterrichten und den Plan zu verhandeln. Zu Beginn der Verhandlungen stehen meist ein betriebswirtschaftliches Grobkonzept und die integrierte Planung für das erste Jahr. In der Praxis zeigt sich, dass den Großgläubigern, vor allem den Banken eine besondere Bedeutung i. R. der Vorprüfung zukommt. Es entspricht jahrelanger Erfahrung und Praxis, dass später auch andere Gläubiger einer betriebsfortführenden Sanierung zustimmen, wenn die Bankengläubiger das Fortführungskonzept geprüft und gebilligt haben. Ähnliches gilt für den PSVaG, wenn das Schuldnerunternehmen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu erbringen hat.80) Bei einer beabsichtigten Fortführung des insolventen Unternehmens gilt es vor allem auch, eine betriebliche Altersversorgung fortzuführen.81) Weiterhin sind die relevanten Stakeholder rechtzeitig in das Verfahren einzubinden. Aus der Aufgabenverteilung im Zusammenhang mit einer Sanierung folgt, dass der organschaftliche Vertreter die Gesellschafter schon über das Vorliegen einer krisenhaften Entwicklung und mögliche Sanierungskonzepte zu informieren hat.82) 4.

Anfechtungsrisiken von Krisenvereinbarungen

45 Zu beachten ist, dass bei vorinsolvenzlichen Vereinbarungen mit Gläubigern und die Besicherung von Krediten in der Unternehmenskrise die Gefahr besteht, dass diese später in ___________ 75) Vgl. Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetzes, 17. Aufl., § 17 VglO Anm. 1; Gottwald-Uhlenbruck, Insolvenzrechts-Hdb, 1. Aufl., 1992, § 69 Rz. 6; Zabel in: Kübler, HRI, § 4 Rz. 43. 76) Hamburger Leitlinien, ZInsO 2004, 24; Heidelberger Richtlinien, ZInsO 2009, 1848. 77) Borchardt/Frind-Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Teil II, Rz. 416, S. 109. 78) Entschließung des Europäischen Parlaments v. 15.11.2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts (2011/2006(INI)), Erwägungsgrund J; abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA2011-0484+0+DOC+XML+V0//DE (Abrufdatum: 6.5.2016). 79) S. a. Zipperer, ZInsO 2016, 831. 80) Vgl. Rendels in: Kübler, HRI, § 23 Rz. 4. 81) Vgl. Wohlleben in: FS Wellensiek, S. 691, 698. 82) Vgl. Scholz-K. Schmidt/Seibt, GmbHG, § 49 Rz. 23; Bork, ZIP 2011, 101, 108.

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einem eröffneten Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter angefochten werden.83) Einem Gläubiger dürfte es nach der Kenntnis von einem Sanierungsplan schwerfallen, seine mangelnde Kenntnis von der Krise in einem späteren Insolvenzverfahren zu beweisen. Das Risiko einer allzu offenen Kommunikation mit Gläubigern besteht zum einen darin, dass die Krise des Unternehmens bekannt wird und zu Forderungen der Gläubiger nach weiterer Besicherung ihrer Ansprüche führt, zum anderen die erhöhte Gefahr eines Gläubigerinsolvenzantrags besteht. In der Praxis wird empfohlen, zunächst ein betriebswirtschaftliches Grobkonzept und die integrierte Finanzplanung für das erste Jahr zu erstellen. Eine Woche vor Einreichung sollten die Insolvenzanträge fertiggestellt und die Insolvenzgeldvorfinanzierung geklärt sein. Sodann finden der Reihenfolge nach statt: „Ansprache möglicher Sachwalter, Vorgespräch mit dem Gericht, Vorbereitung unechter Massekreditverträge, Information und Abstimmung mit den Banken und Kreditversicherern, Factoringgesellschaften und den Mitgliedern eines präsumptiven vorläufigen Gläubigerausschusses.“84) Das ESUG erlaubt Vorgespräche des vorläufigen Sachwalters über das geplante Verfahren auch bei Gericht.85) Soweit Arbeitnehmerinteressen tangiert werden, ist die rechtzeitige Information der Bundesagentur für Arbeit unverzichtbar. Soweit Gläubiger dem vorläufigen Gläubigerausschuss angehören, sind diese bereits informiert und insoweit entfällt die Informationspflicht des Schuldnerunternehmens. X.

Die problematische Fortführungsfinanzierung

1.

Die Beschaffung von Liquidität

Da der vorläufige Insolvenzverwalter ebenso wie der vorläufige Sachwalter das Unterneh- 46 men im Eröffnungsverfahren zunächst ebenso fortzuführen hat wie die organschaftlichen Vertreter des Schuldnerunternehmens, stellt sich meist die Frage, wie die Finanzierung der einstweiligen Fortführung sichergestellt werden kann. Ohne ausreichende Liquidität ist weder eine einstweilige noch eine endgültige Fortführung des Schuldnerunternehmens möglich. Ist die Finanzierung der Unternehmensfortführung nicht gewährleistet, bleibt nur eine schnelle Beendigung der Fortführung durch Übergang in ein formelles Insolvenzverfahren oder durch Übertragung des Unternehmens auf einen Dritten im Wege der übertragenden Sanierung.86) Die Frage der Fortführungsfinanzierung ist die Kernfrage jeglicher Unternehmensfortführung innerhalb eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens. Das hat auch der Gesetzgeber so gesehen, wenn in der Begründung zu § 311 RegE InsO darauf hingewiesen wird, dass es für das Gelingen einer Sanierung häufig entscheidend ist, dass dem Unternehmen nach der Bestätigung des Sanierungsplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens fresh money zugeführt wird. Ohne eine ausreichende Liquidität lässt sich eine Betriebsfortführung nicht organisieren und es bleibt nichts anderes übrig, als entweder das Unternehmen im Wege der übertragenden Sanierung auf einen „liquiden Dritten“ zu übertragen oder in das Regelverfahren überzugehen.87) Vom vorläufigen Insolvenzverwalter werden oftmals Zahlungszusagen, Bürgschaften oder „Garantieerklärungen“ abgegeben, um den Schuldnerbetrieb am Laufen zu halten. Eine Vorfinanzierung von Insolvenzgeld durch den vorläufigen Verwalter dürfte allerdings wegen Interessenkollision unzulässig sein. Liquidität kann auch geschaffen werden durch ein restriktiveres Forderungsmanagement, Reduktion von Vorratsvermögen, durch Lagerabverkäufe sowie Aus___________ 83) S. BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137, 139; . K. Schmidt/Uhlenbruck-Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 2.9; Uhlenbruck, ZInsO 2013, 2033 ff. 84) Buchalik, INDat-Report 2013, 38. 85) Vgl. Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt liquidieren, S. 155. 86) Vgl. Undritz in: Kübler, HRI, 1. Aufl., 2012, § 2 Rz. 28. 87) So zutr. Undritz in: Kübler, HRI, 1. Aufl., 2012, § 2 Rz. 28.

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weitung von Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen durch Verlängerung von Zahlungszielen.88) Auch der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter kann aufgrund einer gerichtlichen Einzelermächtigung während des Eröffnungsverfahrens bereits Masseverbindlichkeiten begründen. Inzwischen ist auch weitgehend anerkannt, dass die Absicherung von im Eröffnungsverfahren benötigten Gläubigern durch ein sog. Treuhandkonto ebenfalls in Betracht kommt, sofern das Insolvenzgericht zustimmt.89) Die in § 1 Satz 1 InsO postulierte Sanierungsfunktion des Insolvenzverfahrens wird verstärkt durch die Fortführungspflicht es „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters in § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO, der andererseits eine stärkere Einbeziehung der Gläubiger bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren nach § 22a InsO entspricht. 2.

Die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld

47 Eine weitere, aber bedeutsame Möglichkeit der Fortführungsfinanzierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens ist die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld. Nach § 170 Abs. 4 SGB III können Ansprüche auf Arbeitsentgelt schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwecks Vorfinanzierung von Insolvenzgeld an einen Dritten übertragen oder verpfändet werden, wenn der neue Gläubiger oder Pfandgläubiger nicht zugleich Gläubiger des Arbeitgebers oder an dessen Unternehmen beteiligt ist und wenn kein Umgehungsgeschäft vorliegt.90) Mittlerweile ist es einhellige Meinung, dass die Ausschöpfung des Insolvenzgeldzeitraums in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines fortführungs- und sanierungsfähigen Unternehmens dem Willen des Gesetzgebers jedenfalls entspricht, wenn ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt worden ist.91) „Die Fortführungsfinanzierung bleibt auch nach der Stärkung der Sanierungsinstrumente Eigenverwaltung und Insolvenzplan die Achillesferse eines jeden Sanierungsversuchs“ (Undritz).92)

48 Meist ist zur Besicherung von Massekrediten kein Vermögen vorhanden. In der Praxis bleibt daher die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds durch ein Kreditinstitut die einzige Möglichkeit, die notwendige Liquidität aufrechtzuerhalten. Einzelheiten zur Finanzierung der Betriebsfortführung siehe unten § 8 [Pluta/Ch. Keller]. Mit dem Inkrafttreten der InsO gelten für die Ansprüche der Arbeitnehmer auf Zahlung von Insolvenzgeld die Regelungen in den §§ 165 ff. SGB III. Nach § 170 Abs. 4 Satz 1 SGB III ist für die wirksame Übertragung des Entgeltanspruchs auf die Bank die Zustimmung der Agentur für Arbeit erforderlich.93) Da der vorläufige Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 InsO verpflichtet ist, das Schuldnerunternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, gewinnt die Finanzierung der offenen und noch anfallenden Personalkosten oftmals verfahrensentscheidende Bedeutung. Ohne die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld müssten viele Verfahren in das Regelverfahren überführt werden, weil es an der notwendigen Liquidität fehlt. Ein gewisses Risiko besteht vor allem beim Schutzschirmverfahren, weil die Antragsrücknahme nicht allein vom Insolvenzschuldner abhängt, sondern der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens beantragen kann.94) Die Insolvenzgeldvorfinanzierung ist auch im Schutzschirm___________ 88) So Sendel-Müller, KSI 2007, 262 ff. 89) AG Hamburg, Beschl. v. 8.12.2004 – 67g IN 390/04, ZInsO 2005, 447; Kirchhof in: FS Kreft, S. 359; A. Schmidt in: HambKomm-InsO, § 1 Rz. 47. 90) Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 20 Rz. 38; Borchardt/Frind-Borchardt, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren Teil II Rz. 567 ff., S. 158 ff. 91) Vgl. A. Schmidt in: HambKomm-InsO, § 1 Rz. 25. 92) Undritz in: Kübler, HRI, 1. Aufl., 2012, § 2 Rz. 30; s. a. Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, Kap. 9.6, S. 273 ff. 93) Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 9 Rz. 20 ff., S. 89 ff. 94) Vgl. Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt liquidieren, Ziff. 24.1 S. 160.

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verfahren nach § 270b InsO möglich und zulässig.95) In der Praxis wird empfohlen, bereits in der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO Ausführungen in Bezug auf § 170 Abs. 4 SGB III aufzunehmen.96) Generell sollte eine Bank nur dann einer Insolvenzgeldvorfinanzierung zustimmen, wenn im Schutzschirmverfahren ein vorläufiger Gläubigerausschuss nach § 22a InsO bestellt wird. Einzelheiten siehe unten § 11 Rz. 162 [Gerster] und § 8 Rz. 1 ff. [Pluta/Ch. Keller]. 3.

Die Begründung von Masseschulden

Schließlich hat das Gericht auf Antrag des Schuldners gemäß § 270b Abs. 3 InsO anzu- 49 ordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet. Auch hierdurch sollten die Voraussetzungen für eine Unternehmensfortführung für das Schuldnerunternehmen im Eröffnungsverfahren verbessert werden. Durch den in § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO erfolgenden Verweis auf § 55 Abs. 2 InsO erhält das Schuldnerunternehmen zudem im Antragsverfahren bereits die Möglichkeit, wie ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeiten zu begründen. Bei der Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten besteht kein richterliches Ermessen. Es ist Sache des Schuldnerunternehmens, bei seinem Antrag abzuwägen, ob in der konkreten Situation eine Einzelermächtigung oder eine globale Ermächtigung erforderlich ist.97) Sanierungen großer Unternehmen mit einem Umsatz von über 300 Mio. € finden bislang überwiegend im außergerichtlichen Bereich statt. Die unbestreitbaren Vorteile eines Eigenverwaltungsverfahrens nach dem ESUG, wie z. B. Insolvenzgeldvorfinanzierung, erleichterte Kündigung von Dauerschuldverhältnissen, Erfüllungswahlrecht bei bestehende Aufträgen, Satzungsänderungen, Anteilsübertragungen oder Abberufung und Bestellung von Organen, sind bislang nur in wenigen Fällen wahrgenommen worden. Die ersten Erfahrungen mit dem ESUG zeigen jedoch hinsichtlich der Abwicklungsgeschwindigkeit und Steuerbarkeit des Verfahrens für die Gläubiger sehr gute praktische Ergebnisse (Einzelheiten siehe § 12 Rz. 80 ff. [Hermann/Hübl] § 9 Rz. 312 ff. [Mönning]).98) Als Grund hierfür werden allgemein der gründliche Vorbereitungsaufwand und eine sachkundige Beratung angeführt. Statt oder neben einer Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten kann 50 der Schuldner auch im Verfahren nach § 270b InsO die Betriebsfortführung durch Vereinbarung einer „Doppeltreuhand“ organisieren.99) Zu beachten ist, dass nach § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO die nach § 169 SGB III auf die Bundesagentur übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche als Insolvenzforderungen zu behandeln sind. Durch den Insolvenzantrag kann schließlich vor allem in Bezug auf rückständige Mieten (§ 112 InsO) und auf die Finanzierung der laufenden Gehälter (§ 165 SGB III) zumindest vorübergehend der Liquiditätsbedarf reduziert werden.100) Bei der beabsichtigten Betriebsfortführung durch das Schuldnerunternehmen ist oftmals die 51 Liquiditätsbeschaffung das einzige Problem. Bei dem Verkauf nicht betriebsnotwendigen Vermögens ist zu beachten, dass Verwertungshandlungen grundsätzlich dem eröffneten Insolvenzverfahren vorbehalten sind. Die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ist eine frei___________ 95) Vgl. die Durchführungsanweisung der Bundesagentur für Arbeit Ziff. 3.2 Abs. 3 zu § 170 SGB III, abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/HEGA-Internet/A07-Geldleistung/Publikation/ HEGA-06-2013-Aktualisierung-DA-Insg-und-DA-AtG-Anlage-1.pdf. 96) Vgl. Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt liquidieren, Ziff. 24.3 S. 161. 97) Vgl. BT-Drucks. 17/7511, S. 50; K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270b Rz. 12. 98) Vgl. WBDat/INDat-Report, Das erste Jahre ESUG – Erfahrungen und Analysen aus der Praxis, 2013, 8; Empirische Studie von The Boston Consulting Group (BCG), mitgeteilt in INDat-Report 02/2003, 6. 99) Ganter, NZI 2012, 433, 439 f.; K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270b Rz. 12. 100) So Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, S. 30.

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willige Maßnahme, die schließlich auch der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedarf (§ 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III). Diese wird ihre Zustimmung nur erteilen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass zumindest eine erhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen durch die Betriebsfortführung erhalten werden kann.101) Der Nachweis setzt ein belastbares Fortführungskonzept voraus. 52 Die Liquiditätsbeschaffung erfordert kurzfristige Maßnahmen, die mit erheblichen Haftungsgefahren verbunden sind. So kann z. B. fraglich sein, ob das Schuldnerunternehmen die Eigentumsvorbehaltsware nutzen, verarbeiten oder veräußern darf.102) Eine Sicherungsanordnung des Insolvenzgerichts nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO enthält im Regelfall nicht das Recht zur Einziehung einer sicherheitshalber abgetretenen Forderung und zur Nutzung der abgetretenen Zahlungseingänge im laufenden Geschäftsbetrieb103) (siehe unten § 8 Rz. 1 ff. [Pluta/Ch. Keller]). Die Beschaffung der notwendigen Liquidität hängt oftmals auch von dem Vertrauen eines Kreditinstituts in die Fähigkeiten eines vorläufigen Insolvenzverwalters ab. Nicht zuletzt darum ist die Betriebsfortführung in der Insolvenz von einem erfahrenen Insolvenzrechtler leichter zu beurteilen als von einem Anfänger, z. B. bei der Frage, ob eine Insolvenzgeldvorfinanzierung auch im Schutzschirmverfahren möglich ist (siehe unten § 21 Rz. 19 ff. [Dreschers]).104) Die InsO i. d. F. des ESUG bietet letztlich dem Krisenunternehmen einen rechtlich und wirtschaftlich geordneten Weg, Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken zu vermeiden.105) Durch das ESUG sollen einem notleidenden Unternehmen Anreize geboten werden, in einer wirtschaftlichen Krisensituation möglichst frühzeitig eine Restrukturierung in einem Insolvenzverfahren anzustreben. Deshalb wurde die Eigenverwaltung gestärkt und das „Schutzschirmverfahren“ (§ 270b InsO) eingeführt.106) XI.

Rechtzeitige Einbeziehung der Anteilsinhaber

53 Es gilt als eine der besonderen Errungenschaften des ESUG, dass der Gesetzgeber mit dem „debt-equity-swap“ die Anteilseigner einer Gesellschaft in das Insolvenzverfahren einbezogen hat. Der durch das ESUG vollzogene Paradigmenwechsel ist gekennzeichnet durch den Grundsatz „Insolvenzrecht überlagert Gesellschaftsrecht“. Die Folge ist, dass Entscheidungszuständigkeiten für gesellschaftsrechtliche Maßnahmen von der früher ausschließlich zuständigen Gesellschafterversammlung nunmehr teilweise auf die Beteiligtenversammlung verlagert werden, in der die Anteilseigner eine Gruppe neben den Gläubiger-Gruppen bilden.107) Die inhaltliche Beschlusskontrolle richtet sich nicht mehr ausschließlich nach Gesellschafterinteressen, sondern orientiert sich weitgehend am Gläubigerinteresse. Zweifelhaft ist allerdings, ob es sich für einen Formwechsel, eine Ausgliederung oder eine Verschmelzung lohnen kann, freiwillig und geplant in ein Insolvenzverfahren zu gehen und die Möglichkeiten einer „pre-packaged bankruptcy“ unter Eigenverwaltung für Restaurierungen zu nutzen108) (siehe unten § 2 Rz. 36 [Prütting]). Soll durch Insolvenz___________ 101) Vgl. Borchardt/Frind-Götsch, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1040 ff.; Sinz in: FS Uhlenbruck, S. 157 ff. 102) Vgl. BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZInsO 2010, 714, 723 = ZIP 2010, 739. 103) Vgl. auch Ganter, NZI 2010, 551, 552; Borchardt/Frind-Borchardt, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren Teil II Rz. 573, S. 160. 104) Vgl. Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1494. 105) Vgl. Ehlers, BB 2013, 1539 ff.; Luttermann/Geißler, ZInsO 2013, 1381 ff.; Römermann/Praß, GmbHR 2012, 425, 426. 106) So Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765. 107) Vgl. Haas, NZG 2012, 961, 964; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2014. 108) So teilweise wörtlich Madaus, ZIP 2012, 2133, 2139.

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plan in Anteilsrechte der Gesellschafter eingegriffen werden, müssen sie als selbstständige Gruppe am Planverfahren beteiligt werden (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Ein solcher Eingriff findet immer statt, wenn der Plan auf eine Fortsetzung der Gesellschaft gerichtet ist, womit die Gesellschafter ihr Liquidationsrecht verlieren und gemäß § 225a Abs. 3 InsO dem insolvenzrechtlichen Fortsetzungsbeschluss unterworfen werden.109) Die Umwandlung von Gläubigerforderungen in Anteilsrechte durch einen „debt-equity- 54 swap“ ist eine Sacheinlage. Eine Forderung darf auf die Einlage nur angerechnet werden, soweit sie vollwertig, fällig und liquide ist. Nach einer im Vordrängen befindlichen Meinung kann die Forderung zum Nominalwert eingelegt werden.110) Einzelheiten siehe § 8 Rz. 48 ff. [Pluta/Ch. Keller]. Da die Ursache für die Unternehmenskrise oftmals in der Person des organschaftlichen 55 Vertreters liegt, ist der Austausch häufig Voraussetzung für die erfolgreich fortgesetzte Unternehmenssanierung. Mit der Bestätigung des Insolvenzplans werden die im Plan vorgesehene Abberufung eines Organs und eine gleichzeitige Neubestellung wirksam. Allerdings ist es für diese Maßnahme meist zu spät. Die Abberufung eines Geschäftsführers, der die Unternehmenskrise zu verantworten hat, sollte bereits im Vorverfahren erfolgen und durch Insolvenzplan bestätigt werden. XII. Die Betriebsfortführung nach der dreistufigen Insolvenzrechtsreform 1.

Herausforderungen im Europäischen Insolvenzrecht

Die Unterschiede im Insolvenzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten der EU sind derart 56 gravierend, dass sie nicht nur grenzüberschreitende Kapitalanlagen und Finanzierungen erschweren, sondern auch den freien Kapitalverkehr behindern.111) Im Rahmen einer Angleichung der nationalen Rechte hat die EU-Kommission am 12.3.2014 eine Empfehlung zur frühzeitigen Umstrukturierung von finanziell angeschlagenen Unternehmen vorgelegt, die nach Ablauf von18 Monaten in einen Legislativakt umgesetzt werden muss. Da die Empfehlung – anders als das ESUG – die Einführung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens vorsieht, ergeben sich möglicherweise wesentliche Änderungen für das deutsche Insolvenzrecht.112) Mit dem ESUG, das am 1.3.2012 in Kraft getreten ist, hat der deutsche Gesetzgeber u. a. 57 die Sanierungsmöglichkeiten überlebensfähiger Krisenunternehmen wesentlich verbessert, den Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters gestärkt, das Insolvenzplanverfahren gestrafft und Blockadepotenzial abgebaut sowie den Zugang zur Eigenverwaltung erleichtert. Entsprechend der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses113) hat der Deutsche Bundestag es abgelehnt, ein in der Fachliteratur114) vielfach gefordertes

___________ 109) Vgl. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 5. 110) Vgl. Hölzle in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 25, der zutreffend von einem „Verdrängungsbereich II“ spricht, Fischer, NZI 2013, 823 ff. 111) Vgl. die Rede des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas beim Deutschen Insolvenzverwalterkongress 2015, NZI 23/2015. 112) Vgl. Eidenmüller, KTS 2014, 401 ff.; Madaus, KTS 2015, 115, 135 ff.; Thole, ZGR 2013, 109 ff.; Lürken, NZI 2015, 3, 5. 113) BT-Drucks. 17/7511; BT-Plenarprotokoll v. 27.10.2011, S. 16173. Überlagert wurde das Gesetzgebungsverfahren durch Begehrlichkeiten des Fiskus, der Sonderregelungen für sich forderte. S. Hirte/ Knof/Mock, Das neue Insolvenzrecht nach dem ESUG, S. 5; Lürken, NZI 2015, 3 ff. 114) Vgl. Bork, ZIP 2010, 397, 406; Jacoby, ZGR 2010, 359, 371 ff.; Beissenhirtz, ZInsO 2011, 57; Madaus, NZI 2011, 622, 624 ff.; Undritz in: Kübler, HRI, 1. Aufl., 2012, § 2 Rz. 2.

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vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren einzuführen. Dies entsprach der von der Reformkommission vorgeschlagenen einheitlichen Regelung des Insolvenzverfahrens.115) 58 Das ESUG verzichtet auf ein Moratorium („automatic stay“), wie etwa das Recht des amerikanischen Chapter 11. Es orientiert sich vielmehr an dem Scheme of Arrangement nach sec. 895 ff. des englischen Companies Act 2006.116) Die Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung würde dem Schuldnerunternehmen dringend benötigte Liquidität entziehen.117) In der Sanierungsphase benötigt ein Unternehmen eine zeitlich begrenzte Exekutionssperre, die § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO auf höchstens drei Monate festlegt. Durch die Kombination von Eigenverwaltung mit einem Debt Equity Swap und eine Einschränkung der Rechtsbehelfe sollen die Voraussetzungen für eine rasche und nachhaltige Unternehmenssanierung geschaffen werden. Nach Feststellung von Karsten Schmidt sind „gute Sanierungen früh, schnell und still“ durchzuführen.118) Nach wie vor ist bei fehlender Antragspflicht von dem organschaftlichen Vertreter einer Gesellschaft zunächst abzuwägen, ob eine außergerichtliche Sanierung nicht kostengünstiger, in kürzerer Zeit und stiller zu bewältigen ist.119) Ein Nachteil dieses Verfahrens liegt darin, dass kein Zwang zur Einigung der Gläubiger besteht und sog. Akkordstörer die Verteilungsgerechtigkeit torpedieren können. Die Entscheidung darüber, ob bei wirtschaftlicher Unternehmenskrise eine außergerichtliche Sanierung durchgeführt werden soll, fällt in den Zuständigkeitsbereich der Gesellschafterversammlung.120) 2.

Empfehlungen der Europäischen Kommission

59 Im Rahmen einer Modernisierung der EuInsVO hat die EU-Kommission eine Empfehlung (C[2014] 1500 final) „ für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen“ vorgelegt. Im Gegensatz zum ESUG sieht die Empfehlung die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens vor.121) Dazu erfolgte unter dem 30.9.2015 eine erste Evaluation.122) 60 Danach sollen nationale Gerichte Empfehlungen der EU-Kommission bei der Auslegung nationaler Vorschriften beachten, die in Umsetzung einer Empfehlung erlassen worden sind.123) 61 Da die EU-Kommission vorhat, die Empfehlungen zum Unternehmensinsolvenzrecht bis Ende 2016 in einen Legislativakt umzusetzen und damit verbindlich auszugestalten, stellt sich die Frage, ob und inwieweit das ESUG mit der Einführung eines vorinsolvenzlichen ___________ 115) BT-Plenarprotokoll v. 27.10.2011, S. 16173. 116) Vgl. Gehler, NZI 2010, 665; Paulus, ZIP 2011, 1077; High Court of Justice (Chancery Division) London, v. 6.5.2011 – [2011] EWHC 1104 (Ch), ZIP 2011, 1017. 117) Einzelheiten und zur Stornierung von Vertragsbeziehungen bei Zipperer, ZInsO 2016, 831, 838. 118) INDat-Report 01/2016, 33. 119) S. Mackebrandt/Jung, KSI 2014, 5; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1851; Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 655; Beissenhirtz, ZInsO 2011, 57; Bork, ZIP 2010, 397; Undritz/Knof in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 1; Undritz in: Kölner Schrift zur InsO, Kap. 29 Rz. 1 ff.; Uhlenbruck, NZI 2008, 201; Uhlenbruck, BB 2001, 1641. 120) Vgl. Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014, Rz. 88; Zipperer, ZInsO 2016, 831, 836. 121) ZIP 2014, A 24; ZInsO 2016, 320 ff.; Lürken, NZI 2015, 3. 122) Die Reformkommission war nach eingehender Diskussion zu dem Ergebnis gekommen, ein dem eigentlichen Insolvenzverfahren vorgelagertes „Insolvenzverhütungsverfahren“, wie es in Frankreich oder Österreich praktiziert wird, in Deutschland nicht einzuführen. Vgl. Erster Bericht der Reformkommission, 1985, S. 154, 167; Uhlenbruck, NZI 2008, 201, 202; K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 196 ff. 123) Streinz-Schroeder, EUV/AEUV, Art. 288 Rz. 143; Lürken, NZI 2015, 3, 5; Paulus in: FS Pekcanitez, S. 2345, 2353: „Was sich scheinbar harmlos und schlicht beratend als ‚Empfehlung‘ ausgibt, ist tatsächlich nichts geringeres als eine Handlungsanweisung.“

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

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Sanierungsverfahrens vereinbar ist oder dieses gar ersetzt.124) Würde das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO systematisch vom Insolvenzeröffnungsverfahren entkoppelt und zu einem eigenständigen Sanierungsverfahren ausgestaltet, wäre zwar den Empfehlungen der EU-Kommission Rechnung getragen; die Einheitlichkeit des Insolvenzverfahrens wäre jedoch aufgegeben.125) Da nur die materielle Insolvenz Eingriffe in die Gläubiger- und Gesellschafterrechte zu rechtfertigen vermag, könnte in einem Vorverfahren allenfalls ein Vollstreckungsstopp (Moratorium) in Einzelfällen gerichtlich angeordnet und Sanierungsfinanzierungen eine Vorzugsstellung im nachfolgenden eröffneten Insolvenzverfahren eingeräumt werden.126) Es ist zu befürchten, dass die Einführung eines dem Insolvenzverfahren vorgeschalteten Sanierungsverfahrens letztlich zu einem Rückfall in die frühere vollstreckungsrechtlich geprägte Verfahrensphilosophie führt, zumal es oftmals an einer plausiblen Rechtfertigung fehlen wird, Einzelzwangsvollstreckungen für die Dauer eines Vorverfahrens zu untersagen.127) Das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO wird den Vorgaben der Empfehlung der 62 EU-Kommission zur Einführung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens nicht gerecht. Um den Vorgaben der Empfehlung Rechnung zu tragen, wird zu prüfen sein, ob das Schutzschirmverfahren systematisch vom Insolvenzeröffnungsverfahren abgekoppelt und zu einem eigenständigen Sanierungsverfahren aufgewertet werden kann. Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas hat beim Deutschen Insolvenzverwalterkongress 2015 darauf hingewiesen, dass es möglicherweise an einer gemeinsamen Grundlage fehlt, an die eine Rechtsangleichung an die Rechtsordnungen anderer europäischer Mitgliedstaaten erfolgen kann. Vor allem müsse dafür gesorgt werden, dass bei einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren sichergestellt wird, dass unproduktive, wertevernichtende oder gar missbräuchliche Sanierungsversuche unterbleiben. Weiterhin müsse dafür Rechnung getragen werden, dass die verbliebenen Ressourcen nicht für unproduktive Berateraufträge im Zusammenhang mit dem Sanierungsvorhaben verschleudert werden. Schließlich müssten die Rechte der Arbeitnehmer gewahrt und dafür gesorgt werden, dass die Bezieher und Anwärter auf Betriebsrenten nicht übermäßig an den Kosten der Sanierung beteiligt werden. Obgleich ein in sich geschlossener gesetzlicher Rahmen für außergerichtliche Sanierungen 63 fehlt, werden in der Praxis wesentliche Vorteile gegenüber einer gerichtlichen Sanierung angeführt.128) Nicht bestreitbare Vorteile sind z. B. eine schnellere Abwicklung, geringere Kosten und fehlende Stigmatisierung des Schuldners.129) Bei einer außergerichtlichen Sanierung läuft das Schuldnerunternehmen vor allem Gefahr, dass die bereits getroffenen Maßnahmen in einem späteren Insolvenzerfahren vom Insolvenzverwalter angefochten

___________ 124) S. hierzu die Rede des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas beim Deutschen Insolvenzverwalterkongress 2015, NZI 23/2015, S. XI, XII. 125) S. a. Lürken, NZI 2015, 3, 9; Uhlenbruck, NZI 2008, 201 ff.; Vallender/Undritz-Vallender, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 1 Rz. 100; Koch/Jung in: Kübler, HRI, § 8 Rz. 1 ff. 126) Bei dem Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO handelt es sich nicht um ein echtes Moratorium, denn die Regelung verhindert nicht, dass Gläubiger Verträge kündigen und Verbindlichkeiten fällig stellen. Vgl. Gottwald-Haas, Hdb. InsR, § 88 Rz. 16; Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 732. 127) Vgl. Uhlenbruck, NZI 2008, 201 ff.; Undritz/Knof in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 1 ff. 128) K. Schmidt/Uhlenbruck-Uhlenbruck, Die GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.1 ff.; Mackebrandt/ Jung, KSI 2014, 5 ff. 129) S. Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849; Huntemann/Dietrich, ZInsO 2001, 13; Bork, ZIP 2010, 397, 413; Frind, ZInsO 2010, 1426, 1427.

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werden. Die schon frühzeitig von Karsten Schmidt130) geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Zwangseingriffe in Gesellschafterrechte, bestehen in einem dem eigentlichen Insolvenzverfahren vorgeschalteten außergerichtlichen Verfahren selbst dann, wenn das Vorverfahren entsprechend dem Vorschlag von Paulus131) „noch nicht mit der vollen Wucht des herkömmlichen Verfahrens einhergeht, sondern Schuldner und Gläubiger mit sanftem, ggf. steigerbarem Druck an einen Tisch zwingt.“ Der VID hat in seiner Glückwunschadresse zum zehnjährigen Jubiläum der ZInsO132) noch betont: „das Ziel der Einheitlichkeit des Verfahrens ist erreicht.“ Dieses Ziel ist durch die Empfehlung der EU-Kommission vom 12.3.2014 aber in Frage gestellt, weil das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO den Vorgaben der Empfehlung zu präventiven Restrukturierungsverfahren wohl nicht gerecht wird. Die Sanierungsverhandlungen sollen danach ebenso wie eine evtl. Planabstimmung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens stattfinden. Die Beteiligung des Gerichts soll erst erfolgen, wenn sie zur Legitimation von Planeingriffen in die Rechte dissentierender Gläubiger unabdingbar ist.133) 3.

Sonderregelung für systemrelevante Unternehmen

64 Die Finanzmarktkrise und die Abwicklungsschwierigkeiten bei der Hypo Real Estate Bank haben gezeigt, dass für die Insolvenzabwicklung und Krisenbewältigung von Kreditinstituten die bestehenden gesetzlichen Normen der InsO nicht ausreichen, um die wirtschaftlichen Probleme systemrelevanter Kreditinstitute angemessen zu bewältigen. Die Folge war das Restrukturierungsgesetz vom 9.12.2010134), das als Vorstufe ein zweistufiges Reorganisationsverfahrens vorsieht, dass erst nach einem Scheitern der Sanierungsbemühungen hoheitliche Maßnahmen ermöglicht. Die Empfehlung der EU-Kommission hält es für angemessen, Versicherungsunternehmen, Kreditinstitute, Wertpapierfirmen sowie Organismen für gemeinsame Anlagen, Zentrale Gegenparteien, Zentralverwahrer und andere Finanzinstitute, für die spezielle Vorschriften zur Wiederherstellung und Abwicklung gelten, von der Anwendung der Empfehlung auszuschließen.135) § 270b InsO dürfte in seiner jetzigen Fassung und als Teil eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens den Kommissionsempfehlungen nicht genügen.136) 4.

Ein vorgerichtliches Verfahren als Rückschritt?

65 Mit der Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens wäre nach zutreffender Auffassung von Eidenmüller137) die Gefahr einer Übersanierung gegeben, weil in fast allen Fällen einer Unternehmenskrise zunächst einmal das außergerichtliche Verfahren

___________ 130) K. Schmidt, Gutachten D zum 54. DJT, 1982, D 83; ähnlich Uhlenbruck, NZI 2008, 201 ff. Zum französischen Schlichtungsverfahren (procédure de conciliation) und Rettungsverfahren (loi de sauvegarde) s. Hente/App, KSI 2010, 116 ff. Das französische Insolvenzrecht sieht mit dem regressement judiciaire ein vorläufiges Insolvenzverfahren mit Sanierungsversuch vor. 131) Paulus, INDat-Report 07/2017, 15. 132) VID, ZInsO 08/2008, 393. Eingehend auch der Erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, Bd. 1, 1985, S. 14 f.; Uhlenbruck, KSI 2010, 125; Uhlenbruck, NZI 2008, 201 ff. 133) Vgl. auch Garber, ZInsO 2015, 1937 f.; Cranshaw, ZInsO 2016, 357 ff. 134) BGBl. I 2010, 1900. 135) So Ziff. (15) der Empfehlung, abgedr. ZInsO 2016, 321. 136) Zum Text der Empfehlung der EU-Kommission für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen s. ZInsO 2016, 320 ff. 137) Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 655.

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„probiert“ wird.138) Da die EU-Mitgliedstaaten, die ein Insolvenzvorverfahren eingeführt haben, teilweise sehr unterschiedliche Verfahrenswege beschritten haben, fehlt es letztlich auch an einer gemeinsamen Grundlage, an die eine Rechtsangleichung anknüpfen könnte.139) Für grenzüberschreitende Verfahren stellt Eidenmüller140) zu Recht die Frage: „Was ist ein Insolvenzverfahren?“141) Schon zu dieser Frage geben die nationalen Insolvenzrechte unterschiedliche Antworten. Das Bestreben nach einer Insolvenzvermeidung hat in Frankreich zur Einführung immer weiterer und effektiverer Verfahrensarten geführt. England hat mit seinem Scheme of Arrangement deutsche Unternehmen dazu verleitet, sich dem englischen Sanierungsrecht zu unterstellen. Inzwischen ist von einem „Wettbewerb der Insolvenzrechte“ die Rede.142) Das Österreichische Unternehmensorganisationsgesetz (URG) von 1997 ist wegen der Publizität der Verfahren von der Praxis nicht angenommen worden.143) Das französische Recht verwirrt durch eine Vielzahl von Verfahrensstufen.144) Festzustellen ist, dass das ESUG bislang sein Planungsziel keineswegs erreicht hat und als 66 „Dauerbaustelle“ noch weiterer Nachbesserungen bedarf.145) Das gilt vor allem hinsichtlich der zu hohen Anforderungen an die Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO, die nicht nur Zeit kostet, sondern auch zu teuer ist, da der eingewechselte Sanierungsexperte oftmals erhebliche Geldbeträge erhält, wodurch die Liquidität des Unternehmens geschwächt wird. Der „mitgebrachte“ vorläufige Sachwalter ist eine Fehlkonstruktion, da er eine Unabhängigkeit wie ein Insolvenzverwalter aufweisen muss, die wegen der Nähe zum Schuldner nicht möglich ist.146) Die amtswegige Prüfung der Unabhängigkeit eines (vorläufigen) Sachwalters sowie das Merkmal der Vorbefassung über die Grenzen des § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 InsO hinaus in Form einer Beratung, vor allem aber etwaige Kooperations- und Sozietätsverträge mit einschlägigen Mandatsbeziehungen, kostet Zeit und ist in Einzelheiten umstritten. Die Unabhängigkeit eines (vorläufigen) Sachwalters ist vor allem gefährdet, wenn seine Kanzlei krisenbezogene Beratungsleistungen für das Schuldnerunternehmen erbracht oder an einem Insolvenzplan mitgewirkt hat.147) der frühere Vergleichshelfer nach der VglO 1935 brauchte nicht unabhängig vom Vergleichs___________ 138) In etwa 50 % aller Insolvenzverfahren haben außergerichtliche Sanierungsversuche stattgefunden. Zu den Vor- und Nachteilen eines außergerichtlichen Sanierungsverfahrens s. a. Mackebrandt/Jung, KSI 2014, 5 ff.; Ehlers, ZInsO 2010, 257, 262; Undritz in: Kölner Schrift zur InsO, S. 932, 943; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1856 ff.; Bork, ZIP 2010, 397, 401; Beissenhirtz, ZInsO 2011, 57 ff.; Uhlenbruck in: Konecny, Insolvenz-Forum 2001, S. 206 ff.; Uhlenbruck, KSI 2010, 125; Uhlenbruck, NZI 2008, 201; Siemon, NZI 2016, 57. 139) Vgl. auch Maas, NZI 23/2015, S. XI. 140) Eidenmüller, ZIP 2016, 145 ff. 141) S. hierzu den Anhang A der EuInsVO; EuGH, Urt. v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), Rz. 33, ZIP 2012, 2403 = NZI 2013, 106; Prager/Keller, WM 2015, 805; Partzinger, NZI 2016, 63, 64. 142) S. u. a. Lissner, DZWIR 2014, 59 ff.; Eidenmüller, ZGR 2006, 467 f.; Florstedt, ZIP 2014, 1513, 1518; Paulus in: FS Pekcanitez, S. 2345 ff. 143) S. a. Uhlenbruck, Wirtschaftstreuhänder 1997, 30; Feldbauer/Durstmüller/Schlager-Uhlenbruck, Krisenmanagement – Sanierung – Insolvenz, S. 1359; Buchegger in: Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht, Bd. I, Einl. Rz. 12: „Retrospektiv betrachtet muß das Vorverfahren als gesetzgeberische ‚Totgeburt‘ bezeichnet werden.“. 144) Vgl. Hente/App, KSI 2010, 116 ff. Zur Rechtsvergleichung s. a. den Ersten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, S. 10 ff. 145) S. ZIP 2016, 145 ff.; Änderungsvorschläge des Gravenbrucher Kreises, NZI 21/2015, S. VII. 146) Vgl. Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 64; Frind, ZInsO 2014, 119; Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014, Rz. 453 ff. 147) Vgl. Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014, Rz. 453 ff.; Frind, ZInsO 2014, 119; K. Schmidt-Ries, InsO, § 56 Rz. 21; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO §§ 56, 56a Rz. 65 ff.; Kübler/Prütting/BorkPape, InsO, Stand: 07/2012, § 274 Rz. 26 f.

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schuldner zu sein. Der „Fragebogen zur Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters“,148) der von einigen Gerichten zur Prüfung der Unabhängigkeit des „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalters verwandt wird, bietet angesichts zahlreicher Streitfragen zur erforderlichen Schuldnerferne auch keine Garantie für eine Unabhängigkeit. Das gilt vor allem für die Frage, ob allgemein wiederkehrende Mandatsbeziehungen zu Banken, Kreditversicherern, Sozialversicherungsträgern, Groß-Vermietern oder anderen Poolbeteiligten die Unabhängigkeit ausschließen.149) 67 Ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren müsste nicht nur einstiegsfreundlich, sondern vor allem eingriffsarm ausgestaltet sein, wobei auch die öffentliche Bekanntmachung entfallen müsste, um das Stigma „Insolvenz“ zu vermeiden.150) Karsten Schmidt151): „Solange noch um die Akzeptanz des vorhandenen Insolvenzverfahrens gerungen wird, sprechen die besseren Gründe dagegen.“

68 Die nach wie vor eingeforderten Änderungen der InsO lassen die Befürchtung aufkommen, dass die Umgestaltung der Unternehmensinsolvenz in ein „gerichts- und verwalterfernes, schuldnergesteuertes Verfahren“ und die „Wiederherstellung der Privilegien alter Prägung“152) die InsO auf den Rückweg in die Zeiten der Konkurs- und Vergleichsordnung bringen. Nach zutreffender Feststellung von G. Pape153) befindet sich die InsO letztlich “auf dem Weg zu einer Ruine, bei der schon bald wieder die Zustände aus der Zeit von 1975 eintreten könnten und der Ruf nach einer umfassenden Reform des Insolvenzrechts dann nur eine Frage der Zeit wäre.“ 69 Nach der VglO von 1935 war gemäß § 18 Abs. 1 eine Vergleichseröffnung abzulehnen, wenn der Schuldner den Vermögensverfall durch Unredlichkeit herbeigeführt hatte. Die frühere Vergleichsunwürdigkeit soll künftig durch den Begriff der Sanierungsunwürdigkeit ersetzt werden. Bei juristischen Personen führt dies oftmals zu wirtschaftlich unvertretbaren Ergebnissen, da eine gerichtliche Sanierung an dem unredlichen Verhalten eines einzigen organschaftlichen Vertreters einer juristischen Person scheitert, der längst abberufen worden ist.154) Nunmehr soll nach den Empfehlungen der EU-Kommission die „Möglichkeit einer zweiten Chance“ nur dem redlichen Schuldner offenstehen, so dass die alten Probleme der Zurechnung des Verhaltens von Organen juristischer Personen wieder aktuell werden. Das „Bock zum Gärtner“-Argument passt in den meisten Fällen nicht, da die für die Insolvenz bzw. drohende Zahlungsunfähigkeit verantwortlichen Personen oftmals schon ausgetauscht worden sind.155)

___________ 148) Vgl. Frind/Graeber/Schmerbach/Siemon/Stephan, Fragebogen zur Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, ZInsO 2012, 368; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 65 ff. 149) Bejahend Vallender, NZI 2005, 473, 476; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 28; str. a. A. K. Schmidt-Ries, InsO § 56 Rz. 22 m. w. Zitaten. 150) Für die Beibehaltung einer Stigmatisierung Pluta, NZI 23/2010 S. V. 151) K. Schmidt-K. Schmidt, InsO, Einl. Rz. 18; K. Schmidt, DB-Standpunkte, Beilage zu DB Heft 13/2010, 27. 152) So eingehend Pape, ZInsO 2016, 125 ff.; Pape in: FS Vallender, S. 363 ff.; ferner Pape/Uhlenbruck, ZIP 2005, 417; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 8 Rz. 13 ff.; Brinkmann/Jacobi/Thole, ZIP 2015, 2001; Brinkmann, NZG 2015, 697; Ganter, WM 2015, 905; Huber, ZInsO 2015, 713. 153) Pape in: FS Vallender, S. 363, 364; s. a. Uhlenbruck, ZInsO 2005, 505 ff.; Pape/Uhlenbruck, ZIP 2005, 417 ff; Jaffé in: Kölner Schrift zur InsO, S. 74. 154) Vgl. Künne, Der Herstatt-Vergleich, KTS 1975, 178, 189. Die IHK Köln hatte wegen Vergleichsunwürdigkeit die Vergleichseröffnung abgelehnt. In dem Aktionsplan der Kommission v. 9.1.2013 (COM[2012] 795 final) ist vom „ehrlichen“ Unternehmer die Rede. 155) Vgl. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1339; zu personenbezogenen öffentlichen Genehmigungen, Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157.

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Dem außergerichtlichen Sanierungsverfahren ist letztlich eine gewisse Überlegenheit 70 gegenüber dem gerichtlichen Insolvenzverfahren zuzusprechen.156) Einem nicht bestreitbaren Kostenvorteil steht aber oftmals eine lästige Akkordstörerproblematik entgegen. Die Beteiligung sämtlicher Gläubiger an einem außergerichtlichen Sanierungsverfahren ist zwar nicht zwingend. Akkordstörer stellen aber nicht selten die Verteilungsgerechtigkeit in Frage. Auch stellen die Vorwirkungen der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) oftmals ein erhebliches Risiko dar. Scheitert die vorgerichtliche Sanierung, müssen die Gläubiger in einem anschließenden Insolvenzverfahren damit rechnen, dass der Insolvenzverwalter sämtliche bislang durchgeführten Sanierungsmaßnahmen auf ihre Anfechtbarkeit nach den §§ 129 ff. InsO hin prüft.157) Letztlich ist zu beachten, dass das Bekanntwerden eines außergerichtlichen Sanierungsverfahrens dazu führen kann, dass Schuldner ihre Zahlungen einstellen und Gläubiger ihre Lieferungen von Vorkasse abhängig machen, was nicht selten zur Zahlungsunfähigkeit als antragspflichtigem Insolvenzgrund führt. 5.

Die Notwendigkeit gerichtlicher Eingriffe

Nach den Vorstellungen der EU-Kommission soll auf die Mitwirkung des Gerichts nicht 71 gänzlich verzichten werden. Die Einbeziehung des Gerichts sollte aber auf das erforderliche Maß begrenzt und im Hinblick auf die Interessen der Verfahrensbeteiligten verhältnismäßig sein. So sollte der Schuldner bei Gericht eine Aussetzung einzelner Durchsetzungsmaßnahmen und die Aussetzung eines auf Antrag der Gläubiger eingeleiteten Insolvenzverfahrens beantragen können, „[ ] wenn derartige Maßnahmen die Verhandlungen beeinträchtigen und die Aussichten auf eine Restrukturierung des Unternehmens des Schuldners mindern können.“158)

Im Übrigen wird selbst ein eingriffsarmes Vorverfahren kaum jemals auf Eingriffe in ver- 72 fassungsrechtlich geschützte Rechte von Stakeholdern verzichten können, die ihre Rechtfertigung nur durch ein gerichtliches Verfahren finden. Eine außergerichtliche Sanierung sollte durch die InsO keineswegs ausgeschlossen werden, wie die Abschaffung des § 419 BGB durch Art. 33 Nr. 16 EGInsO und die Möglichkeit einer vereinfachten Kapitalherabsetzung bei der GmbH (§§ 58a – 58f GmbHG) zeigen.159) Die Empfehlung C(2014) 1500 der Kommission sieht weiterhin die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans vor, wenn der Plan nicht einstimmig beschlossen wird oder wenn er neue Finanzierungsmaßnahmen vorsieht, „[ ] damit sichergestellt ist, dass die Einschränkung der Rechte der Gläubiger in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen der Restrukturierung steht und die Gläubiger im Einklang mit der unternehmerischen Freiheit und dem Eigentumsrecht, die in der Charta der Grundrechte der EU verankert sind, Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf haben. Das Gericht sollte daher einen Plan ablehnen, wenn die betreffende Restrukturierung die Rechte von Gläubigern, die mit dem Restrukturierungsplan nicht einverstanden sind, derart reduzieren dürfte, dass sich dadurch die Ansprüche, die ihnen ohne eine Restrukturierung des Unternehmens des Schuldners erwartungsgemäß zustünden, verringern würden“160)

___________ Vgl. zu den Einzelheiten Undritz/Knof in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 6. Vgl. Undritz/Knof in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 9. So die Empfehlung der EU-Kommission v. 12.3.2014, Ziff. (18), ZInsO 2016, 320, 321. Vgl. Uhlenbruck-Pape, InsO, § 1 Rz. 6; zu den Vor- und Nachteilen einer außergerichtlichen Sanierung s. a. Uhlenbruck, BB 2001, 1641 ff.; Uhlenbruck/Vallender, NZI 2009, 1 ff.; Knops/Bamberger/ Maier-Reimer-Uhlenbruck, Recht der Sanierungsfinanzierung, § 5 Rz. 11 ff., Uhlenbruck, KSI 2010, 125 ff. 160) Vgl. Ziff. (19) der Empfehlungen, ZInsO 2016, 320, 321 f. S. a. Brömmekamp, ZInsO 2016, 500 ff.

156) 157) 158) 159)

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung Hürden eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens

73 Das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO in der geltenden Fassung entspricht nicht den Vorgaben der Empfehlung der EU-Kommission.161) Teilweise stellen die Empfehlungen jedoch überhöhte Anforderungen an ein vorinsolvenzliches Insolvenzverfahren, die dessen Effektivität erheblich beeinträchtigen. Dazu gehört vor allem, dass beim „best interest“Test außer einem Vergleich mit der Liquidation ein Wertevergleich mit einer Unternehmensveräußerung im Wege einer übertragenden Sanierung stattzufinden hat.162) Dabei wird nicht übersehen, dass z. B. die Anforderungen, die § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO an die Bescheinigung stellt, den Schuldner ebenfalls überfordern, zumal streitig ist, welchen Inhalt die Bescheinigung haben muss. Angesichts der Tatsache, dass in den meisten Fällen das Krisenunternehmen bereits erfolglose Versuche einer außergerichtlichen (freien) Sanierung unternommen hat, wird ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren oftmals auf die Funktion beschränkt sein, dissentierende Gläubiger zu zwingen, Planeingriffen zuzustimmen. Bedenklich ist, dass Insolvenzanträge gegen einen Schuldner ausgesetzt werden und für die Dauer der Aussetzung auch die Insolvenzantragspflicht entfallen soll. Die EU-Kommission hat die Rangliste der Weltbank über die nationalen Insolvenzrechte zum Maßstab für die Leistungsfähigkeit der nationalen Insolvenzrechte gemacht. Aufgrund dieser Liste identifiziert sie die Länder, deren Insolvenzrechte sich als Modell für eine Rechtsvereinheitlichung eignen.163) In diesem weltweiten Vergleich steht das deutsche Insolvenzrecht auf Rang 3, und wird damit in Europa nur von Finnland übertroffen. Der deutsche Gesetzgeber sollte sorgfältig abwägen, ob das ESUG als einheitliches Insolvenzverfahren und Instrument zur frühzeitigen Sanierung von Unternehmen dem Mindeststandard der Kommissionsempfehlung entspricht oder ob § 270b InsO als eigenständiges Vorverfahren aus dem einheitlichen Insolvenzverfahren ausgegliedert werden muss. 7.

Die Beschränkung auf ein „Teilplanverfahren“

74 Bork164) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es in den meisten Fällen zunächst um die „Sanierung der Passivseite“ geht und dort nur um eine bestimmte Gläubigergruppe. Wenn sich eine Insolvenz abzeichnet, seien die Ansprüche der Gläubiger nicht mehr vollwertig, was durch einen forderungsmodifizierenden „Mehrheitsbeschluss“ mit verbindlicher Wirkung zum Ausdruck gebracht werden könne. Dazu brauche man „kein komplexes Insolvenzverfahren, wohl aber einen soliden Minderheitenschutz.“ Nach Auffassung von Bork ist dem sanierungsfeindlichen Verfahren nach den §§ 248 ff. InsO einschließlich des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) ein nicht mit Rechtsmitteln angreifbares Verfahren vorzuziehen, das mit Bestätigung durch den Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen (§ 349 Abs. 2 ZPO), dessen Prüfung sich auf den Verstoß gegen Rechtsvorschriften beschränkt, für alle Beteiligten wirksam werde.165) ___________ 161) Eingehend Eidenmüller, KTS 2014, 401, 417 ff.; Eidenmüller, ZIP 2010, 649 ff.; Madaus, KTS 2015, 115 ff. 162) Zu den Abweichungen zwischen geltendem deutschen Sanierungsrecht und den Mindestanforderungen der Empfehlungen s. a. Florstedt, ZIP 2014, 1513, 1520; Paulus, BB 2014, 1 ff. 163) So der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas anlässlich des Dt. Insolvenzverwalterkongresses 2015, NZI 23/2015, XII. Zur Doing-Business_Studie der Weltbank s. Dettbarn/ Prusko/Plank, INDat-Report 01/2016, 11 ff. 164) Bork, ZIP 2011, 2035. Auch nach dem VID-Positionspapier v. 16.2.2016 (KSI 2016, 77 Fn. 6) ist es nicht notwendig, alle Gläubiger an dem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren zu beteiligen. 165) Das wirft die Frage auf, ob für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren die Vorschriften des Schuldverschreibungsgesetzes analoge Anwendung finden können. Bork: Mit einem solchen Verfahren “könnte man dem europäischen Ausland eine deutlich billigere Alternative zu deren Scheme of Arrangement anbieten.“

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

§1

Ein Teilplanverfahren als Teil eines formellen Insolvenzverfahrens wäre nicht nur kosten- 75 und zeitsparend, sondern würde – ähnlich der irischen Examinership – auch die Durchführung eines Scheme of Arrangement unter gerichtlichem Gläubigerschutz durch ein allgemeines Moratorium und der Aufsicht eines Sachwalters (Mediator) ermöglichen. Zur Bestätigung eines solchen Vergleichs, der nur die Rechte wesentlicher Gläubiger tangiert, bedarf es dann nicht der Eröffnung eines formellen Insolvenzverfahrens.166) Der Gesetzgeber müsste allerdings für das Abstimmungsverfahren noch eine Kopf- und Summenmehrheit festlegen. Scheitert das Teilplanverfahren oder wird die gerichtliche Bestätigung versagt, so geht das Verfahren automatisch in ein formelles Insolvenzverfahren über. Der deutsche Gesetzgeber muss sich etwas einfallen lassen, um das Schutzschirmverfahren so 76 zu gestalten, dass es einerseits in der InsO verortet bleibt, anderseits aber als selbstständiges insolvenzliches Verfahren alle Möglichkeiten einer Unternehmenssanierung eröffnet, ohne mit den Nachteilen eines Insolvenzverfahrens, wie z. B. öffentliche Bekanntmachung, offener Arrest (§ 28 Abs. 3 InsO) oder Eintragung in die in § 31 InsO genannten Register belastet zu sein. Auch die obligatorische Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses müsste entfallen.167) Die gerichtlichen Eingriffsbefugnisse sind auf ein Minimum zu beschränken. Denkbar wäre z. B., das Eigenverwaltungsverfahren als eigene Form des Insolvenzver- 77 fahrens so zu gestalten, dass zunächst die Rechte der Arbeitnehmer gewahrt werden und Eingriffe in vollwertige Forderungsrechte unterbleiben. Nach zutreffender Feststellung von Madaus gehört es zu den wichtigsten Aufgaben eines insolvenzlichen Sanierungsverfahrens, zunächst einmal die ungestörte Fortführung des Schuldnerunternehmens abzusichern, den Nachteilsbegriff des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO durch eine „praxisgenauere Reglung„ zu ersetzen und vom Schuldnerunternehmen zu verlangen, mit der Antragstellung ein belastbares Sanierungskonzept vorzulegen. Bei unvorbereiteten Verfahren sollte es dagegen bei der vorläufigen Insolvenzverwaltung bleiben, wobei es nach wie vor „Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters wäre, dass Unternehmen fortzuführen“.168) Das Sanierungskonzept müsste zum einen den Nachweis erbringen, das kein zum Insolvenzantrag verpflichtender Insolvenzgrund vorliegt, zum anderen aber das antragstellende Unternehmen der Sanierung bedarf (Sanierungsbedürftigkeit). Schließlich sollte der Nachweis verlangt werden, dass die außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen mit den wesentlichen Gläubigern erfolglos waren. Nur der erfolglose Versuch einer außergerichtlichen Sanierung rechtfertigt den Eingriff in die Gläubigerrechte. Das Stigma des wirtschaftlichen Scheiterns, also der „Makel des Konkurses“169) lässt 78 sich auch durch ein vorgerichtliches Verfahren nicht beseitigen. Selbst wenn Veröffent-

___________ 166) Instruktiv Schlegel, Die irische Examinership – Das Scheme of Arrangement unter dem Schutzschirm, INDat-Report 02/2016, 30 ff. 167) S. a. Swierczok, Das englische Scheme of Arrangement und seine Rezeption in Deutschland; Thole, ZGR 2013, 109 ff.; Paulus in: FS Pekcanitez, S. 2345, 2351; Bork, ZIP 2010, 387 ff.; Uhlenbruck, NZI 2008, 201; Eidenmüller, KTS 2014, 401 ff.; Madaus, KTS 2015, 115 ff.; Janjuah/Westphahl, ZIP 03/2008, Beil. 1; Lürken, NZI 2015, 3 ff.; K. Schmidt/Uhlenbruck-Vallender, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 12.133 ff. 168) Madaus, KTS 2015, 115, 140. Nach dem Vorschlag von Mackebrandt/Jung, KTS 2014, 5 ff., sollte darüber „[ ] nachgedacht werden, dass der Schuldner statt dem negativ besetzten Insolvenzantrag einen auf die Sanierung des Unternehmensträgers gerichteten und in der Insolvenzordnung geregelten Restrukturierungsantrag stellt.“ 169) Vgl. W. Gerhardt in: FS Michaelis, 1973, S. 100 ff.; W. Gerhardt in: FS Weber, S. 186 ff.; Uhlenbruck in: FS Gerhardt, S. 979 ff.

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§1

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

lichungspflichten entfallen, gilt: „Nichts spricht sich schneller herum, als ein wirtschaftliches Scheitern“.170) 79 Eine Verlagerung der Zuständigkeiten für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, z. B. auf eine landgerichtliche Kammer für Handelssachen, eine neuartige Spruchkammer,171) oder einen Senat beim zuständigen OLG würde mehrere Probleme zugleich lösen. Zum einen wäre der Empfehlung der EU-Kommission für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen genüge getan, zum anderen würde das Stigma der Insolvenz weitgehen beseitigt,172) sodass die „Sanierung ohne Insolvenzstempel“ für Schuldnerunternehmen attraktiv würde mit der Folge rechtzeitiger Verfahrenseinleitung.173) Die Vorschrift des § 270b InsO könnte als Insolvenznorm entfallen und in die ZPO eingebaut werden mit der Folge, dass ein Insolvenzplan mit dem Antrag auf Sanierung bei dem zuständigen Zivilgericht (Kammer für Handelssachen) eingereicht werden müsste.174) Allerdings ist zu befürchten, dass die Insolvenzgerichte vor allem in Großverfahren überfordert sind.175) 80 Diskutiert wird auch die Option, eine „außergerichtliche“ Sanierung verfahrensrechtlich bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer anzusiedeln.176) Die Empfehlungen der EU-Kommission verzichten nicht auf eine gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans, auch wenn die Einbeziehung des Gerichts auf das erforderliche Maß beschränkt sein sollte. Die Gerichte können aber Restrukturierungspläne ablehnen, die eindeutig keine Aussicht haben, die Insolvenz abzuwenden. Die Gläubiger, die von dem Restrukturierungsplans betroffen sind, sollen berechtigt sein Einwendungen vorzubringen oder gegen den Restrukturierungsplan Rechtsmittel einzulegen. Da die „zweite Chance“ nur dem redlichen Unternehmer eröffnet wird, werden u. U. umfangreiche gerichtliche Feststellungen erforderlich. 8.

Nachteile eines Gesamtinsolvenzverfahrens

81 Nach Feststellung von Lürken177) schickt das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO das Krisenunternehmen dorthin, wo es sich und seine Gesellschafter nicht sehen wollen: „In ein sämtliche Stakeholder – Finanzgläubiger, Arbeitnehmer, öffentlich-rechtliche Gläubiger, Kunden, Lieferanten und Gesellschafter – einbeziehendes Insolvenzverfahren“.

82 Nur die Gläubigerversammlung könne im eröffneten Insolvenzverfahren das Schuldnerunternehmen i. R. der Eigenverwaltung aufgrund eines Insolvenzplans ermächtigen, den ___________ 170) Deshalb hat das Vorverfahren im österreichischen Insolvenzrecht in der Praxis keine Akzeptanz gefunden. 171) Vgl. Siemon. NZI 2016, 57, 62; Haarmeyer, ZInsO 2016, 479: „Sanierungsgericht mit professioneller Besetzung“. 172) Vgl. Vallender, DB 2015, 231; Graf-Schlicker in: FS Vallender, S. 183, 196. 173) Vgl. auch die Empfehlung der EU-Kommission v. 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, C(2014) 1500, ZInsO 2016, 320; Lürken, NZI 2015, 3 ff. 174) S. a. § 3 des öst. Unternehmensreorganisationsgesetzes (URG). Allerdings besteht nach § 3 öst. URG keine gerichtliche Sonderzuständigkeit, sodass gemäß § 10 JEG die Reorganisationsverfahren in die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte fallen. Für Wien ist gemäß § 3 URG das Handelsgericht zuständig. S. a. W. Buchegger, Öst. Insolvenzrecht, 1. Zusatz-Bd., 2009, S. 510; Reich-Rohrwig/Zehetner, Das neue Insolvenzrecht, 1997, S. 338; Uhlenbruck, Der Wirtschaftstreuhänder 1997, 13 ff. Vgl. auch für Frankreich das „Loi des Sauvegarde des entreprises“ und die „procedure de consilliation“. Dammann/ Undritz, NZI 2005, 198. 175) S. zur Überforderung der Gerichte mit der Prüfung von Insolvenzplänen auch Siemon, NZI 2016, 57, 62. 176) Vgl. Garber, ZInsO 2015, 1937 f.; Cranshaw, ZInsO 2016, 357, 358; ablehnend Wimmer, juris-PRInsR, 05/2011, Anm. 1, Abschn. II. 6. 177) Lürken, NZI 2015, 5.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

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Betrieb fortzuführen. Das Schutzschirmverfahren, das sich nicht ohne weiteres als Insolvenzvermeidungsverfahren verstehe, leide an einem großen Manko, da es sich mit seinem universalen Effekt auf sämtliche Stakeholder des Schuldners erstrecke, d. h. auch auf solche, „deren Beitrag für die Sanierung des Schuldners in casu gar nicht erforderlich sein mag“. Richtig ist, dass für eine Unternehmenssanierung oftmals nur die Restrukturierung einer bestimmten Gruppe von Verbindlichkeiten erforderlich ist. Das wirft die Frage auf, ob entsprechend dem KredReorgG vom 9.10.2010178), ein Sanierungsverfahren auf bestimmte Arten von Verbindlichkeiten beschränkt werden kann, ohne dass ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Bork179) hat dementsprechend die analoge Anwendung des Schuldverschreibungsgesetzes in Erwägung gezogen, wenn es nur um die „Sanierung der Passivseite“ geht und dort nur um eine bestimmte Gruppe von Gläubigern. In der Tat ist nicht zu begründen, warum ein noch funktionierendes Unternehmen, das marktfähig ist und weiterbetrieben werden soll, „für die Bewältigung des aus der ‚credit fragmentation‘ resultierenden Spezialproblems ein komplettes Insolvenzverfahren braucht“ (Bork). Dass dieser Vorschlag nicht für alle, wie z. B. bestimmte leistungswirtschaftliche Sanierungen, gilt, liegt auf der Hand. 9.

Möglichkeiten einer Verfahrensbeschränkung

Der Erfolg ausländischer vorgerichtlicher Verfahren, wie z. B. im Scheme of Arrange- 83 ment, hat gezeigt, dass oftmals die Sanierungsbedürftigkeit nur eine bestimmte Gruppe der Verbindlichkeiten des Schuldnerunternehmens betrifft, wie z. b: Finanzverbindlichkeiten. Dabei stellt sich die Frage, ob wegen einer einzigen geringfügigen Forderung oder einer beschränkten Gruppe von Forderungen ein i. Ü. lebendes und fortführungsfähiges Unternehmen in ein Gesamtvollstreckungsverfahren gezwungen werden kann, in das nunmehr sämtliche Stakeholder einbezogen werden, auch wenn von ihnen kein Beitrag zur Sanierung des Schuldnerunternehmens gefordert wird. Lürken180) und Paulus181) haben zutreffend darauf hingewiesen, dass das deutsche Recht z. B. mit dem KredReorgG182) ein auf bestimmte Arten von Verbindlichkeiten beschränktes Sanierungsverfahren kennt, das allerdings nur bestimmten Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten offensteht. 10.

Die Zulässigkeit von Teilplanverfahren

Lässt man bei einer Krisenursache im Finanzierungsbereich ein Teilplanverfahren zu, so 84 muss ein ausreichender Minderheitenschutz gewährleistet sein. Das Modell der §§ 248 ff. InsO ist nach Auffassung von Bork183) „auch in der abgemilderten Fassung des ESUG sanierungsfeindlich.“ Deshalb sei eine nicht mit Rechtsmitteln angreifbare Bestätigungsentscheidung durch den Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen“ (§ 349 Abs. 2 ZPO) vorzuziehen.184) Beruht z. B. die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) auf den Pensionsverpflichtungen eines Unternehmens, so müsste eine Art gerichtlicher Vertragshilfe als Nothilfe ausreichen, um die vollständige oder teilweise Übernahme der Pensionsverpflichtungen durch den PSVaG herbeizuführen. Nicht verkannt werden soll dabei, dass es ___________ 178) 179) 180) 181) 182) 183)

KredReorgG v. 9.10.2010, BGBl. I 2010, 1900. Bork, ZIP 2011, 2035. Lürken, NZI 2015, 3, 8. Paulus, ZIP 2011, 1077, 1081. KredReorgG v. 9.10.2010, BGBl. I 2010, 1900. Bork, ZIP 2011, 2035. Auch das VID-Positionspapier „Grundsätze eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens“ v. 16.2.2016 (KSI 2016, 77) hält es nicht für notwendig, alle Gläubiger an dem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren zu beteiligen. 184) Bork, ZIP 2011, 2035.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

Fälle gibt, in denen ein Teilplanverfahren nicht in Betracht kommt, z. B. wenn der Insolvenzgrund im leistungswirtschaftlichen Bereich liegt. 11.

Abkehr vom Prinzip der Gesamtvollstreckung?

85 Bei einem Scheme of Arrangement wird auf ein Moratorium verzichtet. Es genügt, dass sich das Krisenunternehmen mit seinen wesentlichen Gläubigern zusammensetzt, um eine Restrukturierung seiner Verbindlichkeiten zu erreichen. Abstimmungen über den Sanierungsplan erfolgen nur durch die betroffenen Gläubiger.185) Mit einem solchen Verfahren wäre der erste Schritt zu einer Abkehr vom Gesamtvollstreckungsprinzip getan. Zudem müsste sichergestellt werden, dass verfassungsrechtlich unzulässige Eingriffe in vollwertige Forderungsrechte, Rechte der Arbeitnehmer und Anwärter bzw. Bezieher von Betriebsrenten, unterbleiben. Schließlich wären das Unternehmen und seine Organe von dem Stigma eines Insolvenzverfahrens befreit. Ein Verfahren, dass sich auf die eigentliche Ursache der Krise bezieht, lässt sich in der Regel schneller, geräuschloser und kostengünstiger abwickeln. Ein Nachteil diese Art vorinsolvenzlicher Sanierung, die man auch als Vertragshilfe bezeichnen könnte, besteht darin, dass bei einer übertragenden Sanierung der Erwerber der Gefahr einer Inanspruchnahme nach § 25 HGB und § 75 AO ausgesetzt ist.186) Eine erfolgreiche außergerichtliche (freie) Sanierung vermindert überdies das strafrechtliche Risiko für die Geschäftsführung.187) Da der außergerichtliche Sanierungs- oder Liquidationsvergleich kein mehrseitiges Rechtsgeschäft darstellt, sondern das Ergebnis einer Vielzahl von Einzelvergleichen zwischen Schuldner und einzelnen Gläubigern ist, ist die Beteiligung sämtlicher Gläubiger nicht zwingend.188) Da der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger für das Vorverfahren nicht gilt, bietet dieses wie das Scheme of Arrangement den Vorteil, dass das Krisenunternehmen seine Gläubiger ungleich behandeln darf, was flexiblere Lösungen im Hinblick auf einen Sanierungserfolg erlaubt. 86 Ungeachtet der Vorteile, die ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren bieten würde, kann dieses auf eine gerichtliche Bestätigung nicht verzichten. Zudem bestehen Zweifel, ob dieses Verfahren eine Anerkennung nach Art. 16 EuInsVO erlangt und in den Anhang A der EuInsVO aufgenommen wird.189) 87 Nach Auffassung von Eidenmüller190) sind auch Verfahren „[ ] die von vornherein nicht alle Gläubiger betreffen, […] anerkennungsfähig (UK Scheme of Arrangement), sofern sie nicht nur im Interesse eines Gläubigers geführt werden oder mehr den Charakter einer Individualzwangsvollstreckung besitzen. Entscheidend ist immer, ob das Verfahren ein „common pool“-Problem der Gläubiger lösen möchte.“191)

88 Damit die Klassifizierung eines Verfahrens als Insolvenzverfahren anerkannt wird, ist unverzichtbare Voraussetzung, dass mit der Verfahrenseinleitung ein universeller Vollstreckungsstopp (automatic stay) eingreift. Würde sich ein Teilverfahren nur auf einen Teil ___________ 185) Zum Scheme of Arrangement Gehler, NZI 2010, 665; Paulus, ZIP 2011, 1077; Steffek in: Münch-Hdb. GesR, Bd. 6, Teil 2, Kap. 2, § 39 Rz. 231 ff.; Thole, ZGR 2013, 109. 186) Vgl. Uhlenbruck, ZInsO 2013, 2033, 2034; K. Schmidt/Uhlenbruck-K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 2.32 ff. 187) Zu den strafrechtlichen Grenzen einer freien Sanierung s. Undritz/Knof in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 10 f.; K. Schmidt/Uhlenbruck-Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 2.10. 188) Vgl. BGH, Urt. v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = ZIP 1992, 191; Vallender-Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 7; K. Schmidt/Uhlenbruck-Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 2.6. 189) Vgl. Westpfahl/Knapp, ZIP 2011, 2033. 190) Eidenmüller, ZIP 2016, 145, 149. 191) Eidenmüller, ZIP 2016, 145, 150.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

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der Verbindlichkeiten erstrecken, ohne die Einzelvollstreckung der übrigen Gläubiger zu beschränken, würde diesem Verfahren die Anerkennung nach Art. 1 Abs. 1 EuInsVO versagt werden. Zulässig wäre nach geltendem Recht schon ein Restplanverfahren, wenn das außergerichtliche Verfahren bereits zu einem fast vollständigem Abschluss mit Befriedigung fast aller Gläubiger gefäührt hat. (siehe auch Rz. 36). XIII. Konzerninsolvenzrecht Die 3. Stufe des Reformprogramms des BMJV betrifft die Konzerninsolvenz. Regelungen 89 zur Konzerninsolvenz enthält die EuInsVO i. d. F. vom 5.6.2015. Die Neuerungen in Art. 56 ff. EuInsVO werden auf Insolvenzverfahren Anwendung finden, die nach dem 26.6.2017 eröffnet werden. Bis dahin gilt die EuInsVO, die am 1.5.2002 in Kraft getreten ist. Der Vorschlag der EU-Kommission vom 12.12.2012 hatte bereits Regelungen zur Konzerninsolvenz enthalten. Dem ursprünglichen Reformvorschlag hat das Europaparlament im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens das Gruppenkoordinationsverfahren hinzugefügt.192) Im Rahmen der Überarbeitung der EuInsVO sind Regelungen zur Bewältigung von Konzerninsolvenzen geschaffen worden, die zu einem von der Bundesregierung am 28.8.2013 beschlossenen „Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“ geführt haben.193) Hinsichtlich des Inhalts und der Grenzen der Kooperationspflichten der Insolvenzverwalter in der Konzerninsolvenz sowie zu den europäischen Regelungen siehe die Ausführungen unten zu § 18 [Hermann/ Fritz] und § 19 [Cranshaw].194) XIV. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es ein Ziel des ESUG ist, der Eigenverwal- 90 tung und der Betriebsfortführung in der Insolvenz zu mehr Akzeptanz in der Praxis zu verhelfen und sie für die Schuldner planbar zu machen. Es reicht für die Zulassung der Eigenverwaltung nunmehr aus, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Außerdem soll bei einem nicht offensichtlich aussichtslosen Eigenverwaltungsantrag kein vorläufiger Insolvenzverwalter mehr eingesetzt werden (§ 270a Abs. 1 InsO), was zu einer weitgehenden „Entstigmatisierung“ dieses Verfahrensabschnitts führt. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Anträge auf Anordnung der Eigenverwaltung und auf Zulassung eines Schutzschirms einen Insolvenzantrag voraussetzen. Auch das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO bleibt somit Teil eines Insolvenzverfahrens. Bislang sind Eigenverwaltungsverfahren weitgehend bei Sanierungen großer Unternehmen 91 genutzt worden. Es hat sich herausgestellt, dass das ESUG erhebliche Anforderungen an die Fachkompetenz von Beratern, Insolvenzverwaltern und Insolvenzrichtern stellt. Der organschaftliche Vertreter eines Schuldnerunternehmens ist mit den gesetzlichen Maßnahmen, die die Unternehmensfortführung gewährleisten und sich am IDW-Standard „IDW S 6“ zu orientieren haben, im Allgemeinen überfordert. Das inzwischen weitgehend perfekte Sanierungsgesetz erfordert deshalb in seiner Anwendung professionelle Rechtsanwender. Noch ist die außergerichtliche Sanierung in der Praxis der bevorzugte Weg der Unternehmenssanierung. Die unbestreitbaren Vorteile eines Insolvenzverfahrens ___________ 192) Vgl. Vallender, ZInsO 2015, 57; Thole, KTS 2014, 351; Partzinger, NZI 2016, 63; Eble, NZI 2016, 115. 193) BT-Drucks. 18/407. 194) Vgl. auch Kübler in: FS Vallender, S. 291 ff.; Graf-Schlicker in: FS Vallender, S. 183, 200 ff.; Partzinger, NZI 2016, 63, 67 f.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

für eine fortführende Sanierung werden in absehbarer Zeit jedoch zu einem Umdenken führen. Vor allem durch das Schutzschirmverfahren wird einem Schuldner bzw. einem Schuldnerunternehmen hinreichend Zeit für eine sorgfältige Sanierungsplanung unter dem Schutz des Insolvenzgerichts verschafft.195) Die frühzeitige Einbindung der wesentlichen Gläubiger in das Verfahren entsprechend dem sog. „pre-arranged deal“ erweist sich in den meisten Fällen als hilfreich. Die Rolle, die Insolvenzrichter, vorläufiger Gläubigerausschuss und vorläufiger Sach- bzw. Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren spielen, gewinnt zunehmend an Bedeutung. 92 Nicht abschrecken, sondern anspornen sollte die Tatsache, dass in der Diskussion zur Anwendung von Neuregelungen des ESUG zahlreiche Streitfragen auftreten, wie z. B., ob im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO Masseverbindlichkeiten begründet werden können.196) Der Streit der Gesellschafter im Schutzschirmverfahren des Suhrkamp-Verlags197) hat die Frage aufgeworfen, ob insoweit der Vorwurf eines „missbräuchlichen Insolvenzverfahrens“ zu erheben und ob das Schutzschirmverfahren ein taugliches Instrument ist, Gesellschafterstreitigkeiten zu bereinigen. Die Antwort ist einfach: Liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vor, ist der Weg offen, im eröffneten Verfahren auch gesellschaftsrechtliche Probleme durch Insolvenzplan zu lösen. Sollten die Insolvenzgerichte im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO bereits von Gesetzes wegen befugt sein, einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter zu ermächtigen, Masseverbindlichkeiten zu begründen,198) käme dies einer Betriebsfortführung entgegen. Verfahrenshinderlich wäre es dagegen, in der vorläufigen Eigenverwaltung bei beabsichtigter Betriebsfortführung dem nach § 270a InsO vorläufig eigenverwaltenden Schuldner und dem vorläufigen Sachwalter einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter an die Seite zu stellen und diesen zur Eingehung bestimmter Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen. Richtig ist, dass der Gesetzgeber mit dem „Schutzschirmverfahren“ dem Schuldner eine gewisse Atempause verschafft, um die Sanierung so vorzubereiten, dass sie den gesetzlichen Anforderungen entspricht. „Die Rechtspraxis hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie – unterstützt durch eine umfangreiche Aufsatz- und Kommentarliteratur – in der Lage ist, Anfangsschwierigkeiten bei der Anwendung neuer Regelungen erfolgreich zu überwinden.“199)

93 Das Strafbarkeitsrisiko für Berater, Schuldner und Sachwalter sowie die strafrechtlichen Risiken der Mitglieder des Gläubigerausschusses und der Neugesellschafter bedürfen noch einer eingehenden Klärung. Die Schnittstelle zwischen Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht wirft noch eine Fülle von Problemen auf, die ebenso der Bewältigung durch die Gerichte und die Praxis bedürfen wie die Folgen des ESUG zum Insolvenzarbeitsrecht oder die Wertberechnung bei Unternehmensfortführung.200) Nach zutreffender Feststellung von Karsten Schmidt201) hat sich „[ ] das Insolvenzrecht immer mehr unternehmensrechtliche Aufgaben aufgeladen und begonnen, die Wirtschaftswelt – weit über die bloß haftungsrechtliche Befassung mit Interessen von Gläubigern und Schuldnern hinaus – mitzuprägen.“

___________ Vgl. Vallender, GmbHR 2012, 450 ff. Vgl. BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525 = ZInsO 2013, 460. Vgl. Fölsing, ZInsO 2013, 1325 ff. Vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 13. 199) So Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765. 200) Vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.7.2010 – I-10 W 60/10, ZIP 2010, 1911; OLG München, Urt. v. 8.8.2012 – 11 W 832/12, ZInsO 2012, 1722; LG Leipzig, Beschl. v. 28.2.2013 – 8 T 325/12, ZInsO 2013, 684. 201) K. Schmidt, BB 2011, 1603 ff. 195) 196) 197) 198)

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Die Handhabung des neuen Instrumentariums durch das Insolvenzgericht und die Beteilig- 94 ten setzt gesellschaftsrechtliche und insolvenzrechtliche Sachkenntnis sowie viel wirtschaftliches Fingerspitzengefühl voraus. Der Fall „Suhrkamp“ zeigt, dass die InsO i. d. F. des ESUG durchaus geeignet ist, mittels Insolvenzverfahrens auch gesellschaftsrechtliche Probleme zu lösen, solange nicht der Insolvenzzweck verlorengeht. Auf europäischer Ebene wird zwecks Harmonisierung der nationalen Insolvenzrechte 95 durch die Empfehlung der EU-Kommission ein insolvenzliches Vorverfahren angestrebt.202) Die Kommission hat den Weg über eine Empfehlung gewählt, die für die Umsetzung der Mitgliedstaaten nur 18 Monate lässt. Für eine Unternehmensfortführung würden sich durch die Empfehlung zwar Erleichterungen, wie z. B. die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen, ergeben, jedoch auch erhebliche Nachteile, weil z. B. die Vollstreckungssperre (Moratorium) auf Antrag des Schuldners angeordnet wird und der Restrukturierungsplan in bestimmten Fällen der Bestätigung durch das Gericht bedarf. Auf den Universalcharakter des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO kann in einigen Fällen, in denen es um die Restrukturierung einer bestimmten Gruppe von Verbindlichkeiten geht, verzichtet werden. Ein Teilplanverfahren mit einer beschränkten Anzahl von Gläubigern würde das Verfahren wesentlich vereinfachen und zeitlich verkürzen. Zudem wäre ein solches Verfahren, von dem nicht alle Gläubiger betroffen wären, anerkennungsfähig nach Art. 1 Abs. 1 EuInsVO. In Österreich führen die Verpflichtungen des Schuldners, mit dem Antrag auf Eröffnung des Sanierungsverfahrens mit Eigenverwaltung einen Status und einen Finanzplan vorzulegen, ebenso wie die Beibehaltung einer Mindestquote zwar dazu, dass Sanierungen innerhalb von 90 Tagen durchgeführt werden können. Die Vorlage eines Status und eines Finanzplans mit Antragstellung stößt aber in der Praxis auf Schwierigkeiten. Der Finanzplan gemäß § 169 Abs. 1 Nr. 1 döIO deckt sich weitgehend mit der vom Insolvenzverwalter i. R. der Planung einer Unternehmensfortführung zu erstellenden Planrechnung.203) Schon in der Allgemeinen Begründung zum RegE der InsO204) heißt es: „Es braucht nicht hoheitlich beurteilt zu werden, ob eine angestrebte Sanierung etwa von Dauer sein oder ein bestimmtes wirtschaftliches Ergebnis erzielen werde. Es besteht auch kein Bedürfnis, die Zulässigkeit einer Sanierung von der subjektiven Würdigkeit oder von einer bestimmten Vermögenslage abhängig zu machen. Sogar im Falle der Masseunzulänglichkeit kann die Sanierung wirtschaftlicher sein als eine Liquidation.“

Diese Erkenntnisse sollten auch durch eine Empfehlung der EU-Kommission nicht in 96 Frage gestellt werden. Noch immer werden Insolvenzanträge viel zu spät gestellt. Meist ist es für eine fortfüh- 97 rende Sanierung des Unternehmens zu spät. Will das ESUG seinen Sanierungsauftrag erfüllen, bedarf es gewisser Grundkenntnisse beim Schuldner bzw. eines Krisenmanagements und eines sachkundigen Beraters, der zu angemessenem Honorar im Stande ist, für das Krisenunternehmen ein tragfähiges Sanierungskonzept zu erstellen. Die nachfolgenden Beiträge werden Möglichkeiten und Wege aufzeigen einem Krisenunternehmen mit Hilfe von ausgewiesenen Sachkennern und auf der Grundlage des ESUG in einem Insolvenzverfahren den Betrieb nachhaltig zu restrukturieren und das Unternehmen mit einer oftmals Vielzahl von Arbeitsplätzen zu erhalten und fortzuführen. Ein rechtlich wie betriebswirtschaftlich und steuerlich durchdachtes Sanierungskonzept kostet Zeit. Ein Ge___________ 202) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. (EG) L 160/1 v. 30.6.2000; die Empfehlung der EU-Kommission v. 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, C(2014) 1500, ZInsO 2016, 320. 203) Vgl. Riel, ZinsO 2011, 1401; Nunner/Krautgasser/Reckenzaun, Eilverwaltung in Österreich – Ein Erfahrungs- und Entwicklungsbericht von 2010 bis heute, ZInsO 2016, 413 ff. 204) Vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 2. Aufl., 1999, S. 144.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

schäftsführer oder Vorstand sollte es bei beabsichtigter Eigenverwaltung und Betriebsfortführung nicht so weit kommen lassen, dass er den Sanierungszeitraum des Schutzschirmverfahrens benötigt. 98 Unter dem Gesichtspunkt der neuen Insolvenzkultur hat Pluta205) die Frage gestellt „Sanierung in der Insolvenz – Für wen?“ Richtig ist, dass eine Vielzahl von Interessen bei der Entscheidung über die Fortführung im Insolvenzverfahren mitspielen. Auch wenn man nicht mit dem allgemeinen Sanierungsstandard IDW S 6 davon ausgeht, dass ein Unternehmen erst saniert ist, wenn es eine branchenübliche Rendite abwirft, erfordert die Nachhaltigkeit der Sanierung, dass die Existenz des Krisenunternehmens für das laufende und das folgende Jahr gesichert ist. Der Erfolg zeigt sich erst im dauerhaften Erhalt des Unternehmens oder in der Höhe der Quote für gesicherte und für ungesicherte Gläubiger. „Allerdings kann es“, nach Pluta „ungesicherten Gläubigern passieren, dass sich – je nach Verfahrenssteuerung – keiner mehr um sie kümmert“ (sog. „forgotten men“). Dass dieses nicht geschieht, gilt es zu vermeiden. Dass für die Restrukturierung von Kreditinstituten Sonderregelungen gelten, die die Stabilität des Finanzmarktsystems garantieren sollen, muss im Interesse eines umfassenden Anlegerschutzes hingenommen werden.206) Durch das ESUG sollte die Möglichkeit einer außergerichtlichen Restrukturierung keineswegs ausgeschlossen werden. Die einzelnen Beiträge in diesem Werk sollen dazu beitragen, Vertrauen in die Möglichkeiten aufzubauen, die der deutsche Gesetzgeber mit dem ESUG Krisenunternehmen als Mittel einer nachhaltigen Restrukturierung anbietet. 99 Die Einheitlichkeit des Verfahrens und der Verzicht auf ein außerinsolvenzliches Vorverfahren könnten nach wohlüberlegten Nachbesserungen durchaus Vorbildfunktion i. R. einer Harmonisierung der europäischen Insolvenzrechte haben. Auch wenn das vorgeschaltete Sanierungsverfahren Teil eines einheitlichen Insolvenzverfahrens ist, lässt sich einerseits das Stigma einer Insolvenz durch eine andere Verfahrensbezeichnung weitgehend vermeiden (z. B. Restrukturierung, Sanierung oder Reorganisation), andererseits aber eine effektive Vermögenssicherung durch gerichtliche Maßnahmen rechtfertigen. Mehr kann auch ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren nicht leisten, das zudem noch den großen Nachteil aufweist, dass es an die Person des mitgebrachten vorläufigen Sachwalters hinsichtlich der Unabhängigkeit die gleichen Anforderungen stellt wie an einen Insolvenzverwalter.

___________ 205) Pluta, ZInsO 2013, 1404. 206) Vgl. Pannen, Krise und Insolvenz bei Kreditinstituten; Kuder, Neues Restrukturierungsrecht für Banken, in: Stärkung des Anlegerschutzes – Neues Rechtsrahmen für Sanierungen (Bankrechtstag 2011), 2012, S. 95 ff.; Gößmann/Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 58 Rz. 1 ff.

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§2 Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung Übersicht I.

Die Bedeutung von Verfahrensgrundsätzen ................................................. 1 II. Die klassischen Verfahrensgrundsätze....... 2 1. Verfassungsrechtlich garantierte Verfahrensgrundsätze ........................................ 3 1.1 Rechtsstaatsprinzip........................... 3 1.2 Gesetzlicher Richter ......................... 6 1.3 Rechtliches Gehör............................. 7 1.4 Justizgewährung................................ 8 1.5 Willkürverbot .................................... 9 1.6 Materieller Grundrechtsschutz ...... 10 1.7 Informationelle Selbstbestimmung..................................... 11 2. Allgemeine Verfahrensgrundsätze ............ 12 2.1 Dispositionsmaxime ....................... 12 2.2 Untersuchungsgrundsatz ............... 13 2.3 Amtsbetrieb..................................... 14 2.4 Mündlichkeit ................................... 15 2.5 Unmittelbarkeit .............................. 16 2.6 Öffentlichkeit.................................. 17 2.7 Konzentrationsmaxime .................. 18 2.8 Förderung gütlicher Einigung........ 19 3. Spezielle insolvenzrechtliche Verfahrensgrundsätze............................................ 20

3.1

Gleichmäßige Gläubigerbefriedigung .................................... 20 3.2 Universalität .................................... 21 3.3 Geldliquidation ............................... 24 3.4 Formalisierung ................................ 25 3.5 Gläubigerautonomie ....................... 26 3.6 Einheit des Verfahrens.................... 27 3.7 Nachforderung und Entschuldung ........................................ 28 III. Die Verfahrensgrundsätze bei Fortführung und Sanierung .................... 29 1. Grundsatz ................................................... 29 2. Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit........ 30 3. Die Sanierungsinstrumente ....................... 32 4. Abweichung von Verfahrensgrundsätzen?............................................... 35 4.1 Einheit des Verfahrens.................... 35 4.2 Dispositionsmaxime ....................... 37 4.3 Förderung gütlicher Einigung........ 38 4.4 Untersuchungsmaxime................... 39 IV. Ethik und Betriebsfortführung ............... 40 V. Pflichtenentlastung und Freistellung von Risiken bei Betriebsfortführung?.... 43

Literatur: Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, 2011; Kassing, Mediation im Insolvenzrecht, in: Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation, 3. Aufl. 2016, S. 845; Prütting, Rechtsmissbrauch und Insolvenzantrag, in: Festschrift für Bruno Kübler, 2015, S. 567; Prütting, Allgemeine Verfahrensgrundsätze der Insolvenzordnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (Kap. 1), 3. Aufl., 2009, S. 1; Thole, Treuepflicht-Torpedo? Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenzverfahren (Zugleich Besprechung LG Frankfurt/M. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13, ZIP 2013, 1831 – Suhrkamp), ZIP 2013, 1937.

I.

Die Bedeutung von Verfahrensgrundsätzen

Strukturprinzipien und Verfahrensabläufe lassen sich in jedem geordneten Verfahren i. R. 1 gewisser Grundsätze systematisieren. Solche Grundsätze sind für eine prozedurale Gerechtigkeit von erheblicher Bedeutung. Denn sie verweisen auf das Gesamtverständnis einer Verfahrensordnung und auf die dahinterstehenden Gerechtigkeitsmaßstäbe des Gesetzgebers. Nur durch solche Verfahrensgrundsätze lassen sich der allgemeine Aufbau einer Prozessordnung, seine tragenden Elemente und letztlich die Gesamtstruktur des Verfahrens ermitteln und darstellen. Durch die Herausarbeitung von Verfahrensgrundsätzen kann also eine Diskussion über konkrete einzelne Fragen durchaus erleichtert werden. Auch jede Rechtsvergleichung setzt solche allgemeinen Strukturmerkmale und Verfahrensgrundsätze voraus. Schließlich baut die methodische Fortentwicklung einer Verfahrensordnung auf solchen Strukturmerkmalen auf. Es erstaunt daher, dass sich im Insolvenzrecht nur sehr selten Überlegungen zu den Verfahrensmaximen finden lassen.1) ___________ 1) Eine Ausnahme machen Stürner in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 46 ff.; Prütting in: Kölner Schrift, S. 1 ff.

Prütting

43

§2 II.

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung Die klassischen Verfahrensgrundsätze

2 Will man sich einen Überblick über die Verfahrensgrundsätze des geltenden Insolvenzrechts verschaffen, so liegt es nahe, eine Dreiteilung vorzunehmen. x

Zunächst wirkt das Verfassungsrecht auf das Insolvenzrecht ein. Daher lassen sich diejenigen verfassungsrechtlich garantierten Verfahrensgrundsätze zusammenstellen, die sich unmittelbar aus der Verfassung herauslesen lassen.

x

Darüber hinaus verweist § 4 InsO bekanntlich auf die Vorschriften der ZPO, die i. R. des Insolvenzverfahrens subsidiär zur Anwendung kommen können. Daher ist es sinnvoll, im Anschluss an die verfassungsrechtlichen Grundlagen eine Zusammenstellung der allgemeinen Verfahrensgrundsätze zu geben, wie sie typischerweise auch in einem zivilprozessualen Verfahren zu erörtern wären.

x

Schließlich kann man eine dritte Gruppe von Verfahrensgrundsätzen zusammenstellen, die sich in dieser Form allein aus dem geltenden Insolvenzrecht herauslesen lassen und die durch ganz spezielle insolvenzrechtliche Aspekte geprägt sind.

1.

Verfassungsrechtlich garantierte Verfahrensgrundsätze2)

1.1

Rechtsstaatsprinzip

3 An erster Stelle ist hier das Rechtsstaatsprinzip zu nennen, wie es in Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG niedergelegt ist. Kennzeichen des Rechtsstaatsprinzips ist es, dass es von der Rechtsprechung des BVerfG nach Art einer grundlegenden Generalklausel herangezogen wird, um einzelne speziellere Verfahrensgrundsätze aus ihm heraus zu entwickeln. Zu diesen Grundsätzen gehören die Gesetzesbindung der Gerichte sowie der Grundsatz der Rechtssicherheit und Berechenbarkeit des Verfahrens, den man nicht selten mit dem Schlagwort der „Justizförmigkeit“ zum Ausdruck bringt. 4 Weiterhin ist aus dem Rechtsstaatsprinzip das Gebot des effektiven Rechtsschutzes entwickelt worden. Damit wird vor allem die wirksame Kontrolle aller Rechtsakte durch die zuständige Gerichtsbarkeit charakterisiert. Ein Teilaspekt des Gebots des effektiven Rechtsschutzes ist der Beschleunigungsgrundsatz. Er soll sicherstellen, dass jedes Verfahren in einer zügigen und rechtsstaatlich vertretbaren Weise abgewickelt wird. Das insolvenzrechtliche Eröffnungsverfahren ist als ein Eilverfahren in besonderer Weise dem Beschleunigungsgrundsatz unterstellt. 5 Aus dem Zusammenwirken von materiellen Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip hat das BVerfG den Anspruch auf ein faires Verfahren entwickelt. Soweit also einer Partei (insbesondere in der Zwangsvollstreckung) große materielle Verluste drohen, ergibt sich aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren die Forderung an den Richter, diese Partei gesondert über die Rechtslage zu belehren. Schließlich ist das Gebot der Waffengleichheit im Prozess sowie das Verbot einer überlangen Verfahrensdauer ein Ausschluss des Rechtsstaatsprinzips. Das Problem der überlangen Verfahrensdauer ist daneben insbesondere in Art. 6 Abs. 1 EMRK ausdrücklich geregelt. 1.2

Gesetzlicher Richter

6 Aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt sich die Garantie des gesetzlichen Richters und damit das Gebot, für jede einzelne Rechtssache den zuständigen Spruchkörper und den zuständigen Richter im Voraus möglichst eindeutig in einer allgemeinen Norm festzulegen. Die einzelnen Normen der Gerichtsverfassung, die jeweiligen Zuständigkeitsnormen der Prozess___________ 2) Zu den verfassungsrechtlich garantierten Verfahrensgrundsätzen im Einzelnen vgl. Stürner in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 77 ff.; Prütting in: Kölner Schrift, S. 1 ff, Rz. 7 ff.

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Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung

§2

ordnungen und die ergänzenden Regeln aus dem Geschäftsverteilungsplan sind daher Ausprägungen dieses grundgesetzlichen Gedankens. Insbesondere soll durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verhindert werden, dass innerhalb der Gerichtsorganisation Manipulationen vorkommen. 1.3

Rechtliches Gehör

In Art. 103 Abs. 1 GG ist der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör nieder- 7 gelegt. Er kann heute als ein absolut zentrales prozessuales Grundrecht gelten. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör in drei verschiedenen Schritten zu realisieren ist. Für die Parteien besteht zunächst ein Recht auf Orientierung, also auf Benachrichtigung vom Verfahren, auf Mitteilung von Äußerungen anderer Beteiligter sowie auf Akteneinsicht. In einem zweiten Schritt gibt der verfassungsrechtliche Grundsatz rechtlichen Gehörs jeder Partei das Recht auf Äußerung. Schließlich und in zentraler Weise wird in einem dritten Schritt durch diesen Grundsatz das Gericht verpflichtet, das Parteivorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. 1.4

Justizgewährung

Verfassungsrechtlich garantiert ist weiterhin der Justizgewährungsanspruch (auch Rechts- 8 schutzgarantie genannt). So ergibt sich aus Art. 19 Abs. 4 GG unmittelbar eine solche Garantie des Zugangs zu Gericht für jedermann bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt. Über diesen Wortlaut der Verfassung hinaus ist aber auch für alle privatrechtlichen Streitigkeiten anerkannt, dass sich eine Garantie des umfassenden Rechtsschutzes aus der Verfassung ableiten lässt. Neben Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG werden als Rechtsgrundlagen häufig das Rechtsstaatsprinzip sowie Art. 2 Abs. 1 GG genannt. 1.5

Willkürverbot

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist auch im Verfahren von Bedeutung. 9 Das BVerfG hat aus ihm das Willkürverbot entwickelt, das sich auch für die konkrete Ausgestaltung von Verfahrensnormen fruchtbar machen lässt. 1.6

Materieller Grundrechtsschutz

Das BVerfG hat ferner konkrete Folgerungen für das Verfahrensrecht auch unmittelbar aus 10 einzelnen materiell-rechtlichen Grundrechten gezogen. Dies gilt insbesondere für die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG, für das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 Abs. 2 GG sowie für den Gesichtspunkt der Berufsfreiheit des Art. 12 GG. 1.7

Informationelle Selbstbestimmung

Prozessuale Bedeutung hat auch der verfassungsrechtliche Grundsatz der informationellen 11 Selbstbestimmung. Dieses Grundrecht hat das BVerfG aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG entwickelt. 2.

Allgemeine Verfahrensgrundsätze3)

2.1

Dispositionsmaxime

Die Verfahrenseinleitung und die Verfahrensherrschaft werden je nach Ausgestaltung im 12 Einzelnen durch den Gegensatz von Dispositionsmaxime und Offizialprinzip gekennzei___________ 3) Zu den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen im Einzelnen vgl. Stürner in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 47 ff.; Prütting in: Kölner Schrift, S. 1 ff., Rz. 38 ff.

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45

§2

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

chnet. Im Insolvenzrecht gibt es keine Verfahrenseinleitung ohne Antrag. Darin spiegelt sich die Dispositionsmaxime deutlich wider. Im weiteren Verlauf des Verfahrens wird freilich die Parteiherrschaft über den Verfahrensgegenstand und über das Verfahrensende sehr stark eingeschränkt. Insofern kann man nur von einer beschränkten Dispositionsmaxime sprechen. Durch das ESUG ist jedoch die Dispositionsfreiheit der Gläubiger deutlich erweitert worden. Die moderne Entwicklung des Insolvenzrechts strebt also nach einer Verstärkung der Dispositionsmaxime. 2.2

Untersuchungsgrundsatz

13 Die Sammlung und Beibringung des Tatsachenstoffs in einem Verfahren wird durch den Gegensatz von Verhandlungsmaxime und Untersuchungsgrundsatz geprägt. Das Insolvenzrecht hat hier in § 5 Abs. 1 InsO ganz klar den Untersuchungsgrundsatz gesetzlich festgeschrieben. Daran ändern die im Einzelnen vorhandenen Mitwirkungspflichten der Beteiligten nichts. 2.3

Amtsbetrieb

14 Der formale Verfahrensgang ist durch den Amtsbetrieb gekennzeichnet (Gegensatz: Parteibetrieb). Danach ist das Insolvenzgericht zuständig für Terminsanberaumungen, Ladungen, Zustellungen, Bekanntmachungen und Eintragungen. 2.4

Mündlichkeit

15 Die Form des wirksamen prozessualen Handelns von Gericht und Parteien wird durch den Gegensatz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit näher bestimmt. In der InsO gilt insoweit der Grundsatz der fakultativen Mündlichkeit. Dies ergibt sich insbesondere aus § 5 Abs. 2 und Abs. 3 InsO. Dabei ist i. R. der Änderungen durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vom 15.7.20134) das Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Weise neu geregelt worden, dass nunmehr das schriftliche Verfahren insoweit der Regelfall sein soll. 2.5

Unmittelbarkeit

16 Im Zivilprozess ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit anerkannt, wonach die mündliche Verhandlung und insbesondere die Beweisaufnahme unmittelbar vor dem erkennenden Gericht durchzuführen sind (vgl. im Einzelnen §§ 128 Abs. 1, 355 Abs. 1, 309 ZPO). Im Insolvenzrecht wird der Grundsatz der Unmittelbarkeit regelmäßig nicht näher behandelt. Denn da das Insolvenzrecht keine zwingende Mündlichkeit des Verfahrens kennt, kann insoweit auch der Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht streng durchgeführt werden. Soweit aber auch im Insolvenzrecht die Mündlichkeit des Verfahrens beachtet wird, muss ebenfalls der Grundsatz der Unmittelbarkeit gelten. Dagegen verliert der Grundsatz der Unmittelbarkeit im eröffneten Verfahren aufgrund der Kompetenzen des Insolvenzverwalters vollkommen an Bedeutung. 2.6

Öffentlichkeit

17 Ähnlich wie die Unmittelbarkeit beruht auch der Grundsatz der Öffentlichkeit auf dem Prinzip der Mündlichkeit. Soweit daher Mündlichkeit nur fakultativ vorgesehen ist, kann auch der Grundsatz der Öffentlichkeit nur fakultativ Beachtung finden. Im Übrigen be___________ 4) Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.2013, BGBl. I 2013, Nr. 38, S. 2379.

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Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung

§2

zieht sich der Grundsatz der Öffentlichkeit nur auf die Gerichtsverhandlungen (§ 169 Satz 1 GVG). Dagegen ist eine Gläubigerversammlung grundsätzlich nicht öffentlich. Öffentlich ist demgegenüber die Bekanntgabe einer Entscheidung des Insolvenzgerichts (§§ 23, 30, 252 InsO). 2.7

Konzentrationsmaxime

Vielfältige verfahrensrechtliche Einzelregelungen, die der Beschleunigung und der Konzen- 18 tration des Verfahrens dienen, werden teilweise auch unter dem Begriff der Konzentrationsmaxime zusammengefasst. Hierher gehören also gesetzliche oder richterliche Fristen, Vorschriften zur Straffung des Verfahrensablaufs sowie insbesondere Präklusionsmöglichkeiten. 2.8

Förderung gütlicher Einigung

Besonderes Gewicht hat in jüngerer Zeit der Verfahrensgrundsatz der Förderung einer güt- 19 lichen Einigung erhalten. Im Zivilprozess ist dieser Grundgedanke insbesondere in § 278 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 und Abs. 6 sowie in § 278a ZPO niedergelegt. Im Insolvenzrecht wird man die sich aus den §§ 278, 278a ZPO ergebenden Grundgedanken ebenfalls anwenden können. Jedenfalls ist anerkannt, dass auch im Insolvenzverfahren eine Mediation sowohl außergerichtlich als auch während des Verfahrens möglich erscheint.5) 3.

Spezielle insolvenzrechtliche Verfahrensgrundsätze6)

3.1

Gleichmäßige Gläubigerbefriedigung

An erster Stelle ist der Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (par conditio 20 creditorum) zu nennen, der im Insolvenzrecht als das beherrschende Prinzip anzusehen ist. Er steht im Gegensatz zum Prioritätsprinzip der Einzelzwangsvollstreckung und sichert im Insolvenzverfahren den grundlegenden Vorgang einer gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger in der Form einer anteiligen und gleichmäßigen Befriedigung. 3.2

Universalität

Ein weiteres zentrales insolvenzrechtliches Prinzip ist der Universalitätsgrundsatz. Er weist 21 allerdings unterschiedliche Inhalte und Ausprägungen auf. Im nationalen Insolvenzrecht wird der Universalitätsgrundsatz vor allem in der Form der personellen Universalität (Gläubigeruniversalität) verstanden. Damit kommt zum Ausdruck, dass in einem Insolvenzverfahren alle Gläubiger ohne Rücksicht auf ihre jeweilige Stellung am Insolvenzverfahren teilnehmen müssen und ihnen eine isolierte Befriedigung durch Einzelzwangsvollstreckung verwehrt ist. Insofern ist der Gedanke der personellen Universalität eine zwingende Folge des Gedankens der Gläubigergleichbehandlung. Der Grundgedanke der Universalität lässt sich im nationalen Insolvenzrecht aber auch mit 22 der Frage nach der Insolvenzfähigkeit i. S. von § 11 InsO verknüpfen (Schuldneruniversalität). Im Gegensatz zum Gedanken des Kaufmannskonkurses, wie er etwa im französischen Recht ausgeprägt ist, geht das deutsche Insolvenzrecht davon aus, dass jede natürliche und jede juristische Person sowie jede Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit i. S. von § 11 InsO insolvenzfähig ist. Demgegenüber stehen sich i. R. des internationalen Insolvenzrechts die beiden Grund- 23 prinzipien des Territorialitätsgrundsatzes und des Universalitätsgrundsatzes gegenüber. Bei ___________ 5) Im Einzelnen vgl. Kassing in: Haft/Schlieffen, Hdb. Mediation, S. 845 ff. 6) Zu den speziellen insolvenzrechtlichen Verfahrensgrundsätzen im Einzelnen vgl. Stürner in: MünchKommInsO, Einl. Rz. 62 ff.; Prütting in: Kölner Schrift, S. 1 ff., Rz. 61 ff.

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§2

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

der Frage nach der internationalen Universalität geht es um das Problem, in welchem Umfang ein nationales Insolvenzverfahren Auslandswirkungen aufweist und ob durch ein ausländisches Insolvenzverfahren Inlandswirkungen herbeigeführt werden. Aufgrund der Rechtsprechung des BGH7) wird in Deutschland der Gedanke der internationalen Universalität vertreten. Der Gesetzgeber hat diesen Gedanken in Art. 102 EGInsO übernommen. Im Rahmen der EU ist insbesondere auf Art. 16 EuInsVO hinzuweisen. Diese europäische Universalität findet freilich in Art. 16 Abs. 2 EuInsVO insoweit eine starke Einschränkung, als in jedem Mitgliedstaat der Union ein eigenes Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden kann. 3.3

Geldliquidation

24 Im Gegensatz zum Grundsatz der Naturalvollstreckung in der Einzelzwangsvollstreckung ist das Insolvenzrecht im Hinblick auf die Forderungen nach gleichmäßiger und anteiliger Befriedigung aller Gläubiger vom Grundsatz der Geldliquidation geprägt. Dies setzt in verschiedener Weise eine Umwandlung von Forderungen in Geldbeträge sowie eine Umwandlung noch nicht fälliger Forderungen, Auflösen bedingter Forderungen oder Forderungen auf wiederkehrende Leistungen voraus (im Einzeln vgl. §§ 41, 42, 45, 46 InsO). 3.4

Formalisierung

25 Trotz aller Unterschiede zwischen Einzelzwangsvollstreckung und Insolvenz dient auch das Insolvenzrecht ebenso wie der Bereich der Einzelzwangsvollstreckung letztlich der Befriedigung der Gläubiger. Insolvenzrecht ist also im Kern ebenfalls Vollstreckungsrecht. Daher muss sich das Insolvenzrecht wie jede Zwangsvollstreckung im Hinblick auf die Stärke des Grundrechtseingriffs und den Gedanken der Rechtssicherheit durch eine strenge Formgebundenheit auszeichnen. Vollstreckungsmaßnahmen sind daher stets an strikte formelle Voraussetzungen geknüpft. Daher erzwingen i. R. des Insolvenzrechts der Gedanke der Effizienz und der Rechtssicherheit ebenfalls ein Verfahren, in dem einerseits formalisierte Kriterien die Prüfung der materiellen Gläubigerberechtigung ablösen und andererseits die materielle Berechtigung in einem eigenen Streitverfahren außerhalb des Insolvenzverfahrens geklärt werden kann. Insolvenzrechtlich umgesetzt wird dies durch das Feststellungsverfahren der §§ 174 ff. InsO. 3.5

Gläubigerautonomie

26 Von besonderer Bedeutung im vorliegenden Zusammenhang ist der Grundsatz der Gläubigerautonomie. In einem engen Zusammenhang mit der möglichst marktkonformen Insolvenzabwicklung und einer Verstärkung der Verteilungsgerechtigkeit i. R. der Insolvenz sowie vor allem einer Verbesserung der Sanierungsmöglichkeiten soll die Gläubigerautonomie den Ablauf des Verfahrens positiv beeinflussen. Grundsätzlich stehen hierzu die Mitwirkungsmöglichkeiten der Gläubiger i. R. einer Gläubigerversammlung und i. R. des Gläubigerausschusses zur Verfügung. Ein zentrales Mittel zur autonomen Abwicklung ist darüber hinaus die Aufstellung eines Insolvenzplans. Von besonderer Bedeutung ist weiterhin die Gläubigerbeteiligung bei der Bestellung des Insolvenzverwalters (§§ 56a, 57 InsO). 3.6

Einheit des Verfahrens

27 Die InsO ist im Gegensatz zum früheren deutschen Recht und zum Recht vieler anderer Staaten durch den Grundsatz der Einheit des Verfahrens geprägt. Dies zeigt sich äußerlich ___________ 7) BGH, Urt. v. 13.7.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 = ZIP 1983, 961; BGH, Urt. v. 11.7 1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 = ZIP 1985, 944.

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Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung

§2

in der Zusammenfassung aller wesentlichen insolvenzrechtlichen Regelungen i. R. eines einheitlichen Gesetzes, nämlich der InsO. Inhaltlich zeigt sich dies i. R. der verfahrensmäßigen Einheit einer Insolvenz. So wird insbesondere die Frage nach der Liquidation oder Sanierung des schuldnerischen Unternehmens nicht durch eine notwendige Entscheidung zwischen einem Konkursantrag und einem Vergleichsantrag präjudiziert, wie ihn das frühere Recht kannte. Vielmehr eröffnet der einheitliche Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. 3.7

Nachforderung und Entschuldung

Ein zentrales Anliegen des Insolvenzrechts ist der Grundsatz der Restschuldbefreiung. 28 Allerdings stehen sich hier wiederum die konträren Gesichtspunkte der Nachforderung und der Entschuldung gegenüber. So ist auch im neuen Insolvenzrecht jedenfalls für natürliche Personen am Grundsatz der Nachforderung festgehalten worden (vgl. § 201 InsO). Nur auf Antrag kann in einem besonderen Verfahren Restschuldbefreiung gewährt werden (§ 286 InsO). Diese Restschuldbefreiung ist allerdings auch i. R. eines Insolvenzplans möglich (§§ 254, 254b InsO). Die Restschuldbefreiung gemäß § 286 InsO gilt allerdings nicht für juristische Personen und insolvenzfähige Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit. Bei diesen juristischen Personen und Gesellschaften tritt freilich im Falle einer insolvenzrechtlichen Liquidation des Rechtsträgers eine faktische Schuldbefreiung ein. III.

Die Verfahrensgrundsätze bei Fortführung und Sanierung

1.

Grundsatz

Aus dem Grundgedanken der Einheit des Insolvenzverfahrens und den gleichgelagerten 29 Verfahrenszielen des § 1 InsO lässt sich der allgemeine Gedanke entnehmen, dass die Verfahrensabläufe eines Insolvenzverfahrens sowohl im Falle der Liquidation als auch der insolvenzmäßigen Sanierung gleichgelagert sind. Man könnte also die naheliegende These aufstellen, dass dieselben Verfahrensprinzipien einschlägig sind, auch wenn eine Betriebsfortführung und der Versuch einer Sanierung gegeben sind. Der Belastbarkeit dieses Grundgedankens und der möglichen Abweichung vom dargestellten Grundsatz muss im Folgenden nachgegangen werden. 2.

Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit

Im Einzelnen gibt das Gesetz dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Möglichkeit, bis zur 30 Entscheidung über den Eröffnungsantrag das schuldnerische Unternehmen fortzuführen (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Darüber hinaus kann der vorläufige Insolvenzverwalter Prüfungen ansetzen, inwieweit Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Nichts anderes gilt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Insolvenzverwalter. Auch dieser hat grundsätzlich die Sanierungsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens und die verschiedenen Möglichkeiten einer Sanierung im Einzelnen zu prüfen. Dies ergibt sich neben der allgemeinen Zielsetzung in § 1 InsO vor allem auch aus § 156 InsO, wonach der Insolvenzverwalter im Berichtstermin die Chancen einer Sanierung oder einer übertragenden Sanierung darzulegen hat. Sodann beschließt nach § 157 InsO die Gläubigerversammlung über eine vorläufige Fortführung des schuldnerischen Unternehmens. Der BGH hat für eine Prüfung der Sanierungsfähigkeit verlangt, dass ein schlüssiges Kon- 31 zept vorliegt, das ernsthafte und begründete Aussichten auf Erfolg rechtfertigt.8) Nach ___________ 8) BGH, Urt. v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276, 279.

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§2

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

dem neuen IDW-Standard über die Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6) ist ein Unternehmen sanierungsfähig nur dann, wenn die Annahme der Unternehmensfortführung i. S. von § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB bejaht werden kann und daher keine rechtlichen oder tatsächlichen Gegebenheiten der Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen. Für einen längeren Prognosezeitraum sind in diesem Zusammenhang sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Renditefähigkeit des Unternehmens wiederherzustellen (sog. nachhaltige Fortführungsfähigkeit). Eine solche positive Fortführungsprognose setzt zunächst jedenfalls voraus, dass die Gefahr des Eintritts einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung für einen prognosefähigen Zeitraum abzuwenden oder behebbar ist. 3.

Die Sanierungsinstrumente

32 Soweit die Sanierungsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens zu bejahen ist, bietet die Gesetzeslage verschiedene Sanierungsinstrumente an. In erster Linie ist hier als vorläufige Maßnahme an die Fortführung des Unternehmens zu denken (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Weiteres zentrales Sanierungsinstrument ist das Insolvenzplanverfahren. Hintergrund ist der Gedanke der Gläubigerautonomie und die Möglichkeit, eine privatautonome Bewältigung der Insolvenz in einem bestimmten Rechtsrahmen abzuwickeln. Daher bietet der Insolvenzplan die Möglichkeit, Sanierungskonzepte rechtlich festzuschreiben und umzusetzen und dabei auch vom Regelinsolvenzverfahren (also vom Gesetz) abzuweichen. Es lässt sich also sagen, dass die Möglichkeit einer privatautonomen Insolvenzplanerstellung zugleich einer Förderung des Gedankens der gütlichen Einigung dient. Umgekehrt wird die in § 5 Abs. 1 InsO angeordnete Untersuchungsmaxime i. R. eines Planverfahrens deutlich zurückgedrängt. 33 Innerhalb des Insolvenzplanverfahrens ermöglicht das Gesetz seit der Änderung durch das ESUG, die Forderungen der Gläubiger in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umzuwandeln (debt to equity swap). Diese Neuregelung in § 225a InsO beruht auf der bahnbrechenden Änderung in § 217 Satz 2 InsO, wonach im Falle der Insolvenz eines Schuldners, der keine natürliche Person ist, auch die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan einbezogen werden können. Weiterhin zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Konsequenzen einer solchen Forderungsumwandlung. Gemäß § 225a Abs. 4 InsO sind dabei nämlich change-of-control-Klauseln ohne Wirksamkeit und können nicht zum Rücktritt oder zur Kündigung von Verträgen führen, an denen der Schuldner beteiligt ist. Schließlich ist § 225a Abs. 5 InsO zu erwähnen, der den am Schuldner beteiligten Personen die Möglichkeit zum Austritt aus der juristischen Person oder der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit gibt. 34 Als weitere zentrale Sanierungsinstrumente kommen die erheblich erweiterte Eigenverwaltung sowie insbesondere das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO in Betracht. Auch die Möglichkeit einer übertragenden Sanierung ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Das in jüngster Zeit viel diskutierte Schutzschirmverfahren stellt dem Schuldner einen Zeitraum von maximal drei Monaten zur Verfügung, um einen Insolvenzplan vorzulegen. Während dieses Zeitraums können Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder vorläufig eingestellt werden. Nur hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass sich i. R. der verschiedenen Sanierungsmöglichkeiten komplizierte Probleme des Zusammenspiels von Gesellschafts- und Insolvenzrecht ergeben, wie dies der Fall Suhrkamp paradigmatisch gezeigt hat.9) ___________ 9) Vgl. dazu Thole, ZIP 2013, 1937; Prütting in: FS Kübler, S. 567.

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Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung 4.

Abweichung von Verfahrensgrundsätzen?

4.1

Einheit des Verfahrens

§2

Der dargestellte Grundsatz der Einheit des Insolvenzverfahrens bedarf in diesem Zu- 35 sammenhang näherer Prüfung. Denn dieser Grundsatz beschreibt nicht nur die integrierende Wirkung der Gläubigergleichbehandlung, der Formalisierung und damit der Verfahrenseinheit in dem Sinne, dass neben dem Schuldner alle Gläubiger an einem Insolvenzverfahren beteiligt sind. Vielmehr lässt sich dieser Grundsatz umgekehrt auch durch eine Ausschlusswirkung Dritter charakterisieren. Dies bedeutet, dass an einem Insolvenzverfahren niemand beteiligt sein kann, der nicht Schuldner, Gläubiger oder Verwalter (bzw. gleichgestellte Person) ist. Von diesem Grundsatz hat nun § 217 Satz 2 InsO eine bemerkenswerte Ausnahme gebracht. 36 Nunmehr können auch die Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten am Schuldner in den Insolvenzplan einbezogen werden. Die revolutionäre Bedeutung dieses unscheinbaren Satzes ist im insolvenzrechtlichen Schrifttum noch nicht ausreichend gewürdigt worden. Konsequenterweise werden diese an der schuldnerischen Gesellschaft beteiligten Personen i. R. des Planverfahrens in eine eigene Gruppe eingeordnet (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Im Rahmen des Obstruktionsverbotes können diese Personen also auch letztlich gegen ihren Willen von gesellschaftsrechtlichen Veränderungen betroffen werden. 4.2

Dispositionsmaxime

Interessante Überlegungen zu Einschränkungen der Dispositionsmaxime i. R. eines Sanie- 37 rungsverfahrens können sich daraus ergeben, dass nach Antragstellung starke Einschränkungen der Dispositionsfreiheit gegeben sind. Im Grundsatz läuft das Insolvenzverfahren nach Verfahrenseinleitung seinen gesetzlich vorgezeichneten Weg.10) Das Gericht kann weiterhin im Falle der beantragten Eigenverwaltung einen solchen Antrag nach Prüfung zurückweisen. Die Dispositionsmöglichkeiten des Antrags stellenden Schuldners begrenzen sich in diesem Fall darauf, dass er den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurücknimmt (§ 270a Abs. 2 InsO). Die weiteren Möglichkeiten der Beteiligten i. R. ihrer Dispositionsfreiheit bestehen gemäß § 218 InsO vor allem in der Vorlage eines Insolvenzplans an das Insolvenzgericht. Diese Hinweise zeigen, dass i. R. von Sanierungsbemühungen weder von einer eindeutigen Dispositionsmaxime im Hinblick auf die Befugnisse der Parteien noch vom Offizialprinzip ausgegangen werden kann. Vielmehr entsteht hier eine insolvenzrechtliche Maxime gemischter Befugnisse. 4.3

Förderung gütlicher Einigung

Die erhebliche Ausweitung von Möglichkeiten i. R. des Insolvenzplanverfahrens und der 38 Eigenverwaltung sowie die Schaffung des Schutzschirmverfahrens stärken in erheblichem Umfang den Gedanken der Förderung einer gütlichen Einigung.11) Die Chance zu parteiautonomen Lösungen ist jedenfalls verstärkt gegeben. Freilich ist auch in diesem Zusammenhang als gegenläufige Tendenz festzustellen, dass unterschiedliche Interessen der Beteiligten zu besonders heftigen Auseinandersetzungen i. R. parteiautonomer Lösungen führen können. Das Suhrkamp-Verfahren ist hierfür wiederum ein deutlicher Beleg.12)

___________ 10) Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, S. 70. 11) Kassing in: Haft/Schlieffen, Hdb. Mediation, S. 845. 12) Prütting in: FS Kübler, S. 567.

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51

§2 4.4

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung Untersuchungsmaxime

39 Im gesamten Insolvenzverfahren gilt gemäß § 5 Abs. 1 InsO generell die Untersuchungsmaxime. Diese erfährt freilich i. R. von Planverfahren und Eigenverwaltung starke Einschränkungen. Lediglich bei der Entscheidung über den Eröffnungsantrag (§ 13 InsO) und dessen Voraussetzungen, also vor allem dem Vorliegen eines Eröffnungsgrundes i. S. von §§ 16 ff. InsO kommt insoweit eine Amtsermittlung in Betracht. IV.

Ethik und Betriebsfortführung

40 Der Zwiespalt zwischen konsensualen Lösungen i. R. von Sanierungsbemühungen und dem extrem harten Aufeinandertreffen unterschiedlicher Interessen der Gläubiger, der Gesellschafter sowie der an der Existenz des Unternehmens Interessierten führt zu der weitergehenden Frage, ob die Beteiligten sich hier Fragen eines ethischen Verhaltens stellen müssen oder ob umgekehrt die existenzielle Bedrohung des Schuldners alle Überlegungen eines ethischen Verhaltens zur Seite stellt. Im Einzelnen könnte der Gedanke eines ethischen Einwirkens bedeuten, dass die nach § 15a InsO einer Antragspflicht unterliegenden Mitglieder des schuldnerischen Vertretungsorgans unter Abwägung der Interessen der Gesellschaft, der eigenen Haftungsinteressen sowie der Interessen der Gläubiger und der Arbeitnehmer die Entscheidung über einen möglichen Insolvenzantrag nicht ausschließlich aus der Sicht einer möglichen eigenen Haftung treffen, sondern i. R. der Prognoseentscheidung alle realen Möglichkeiten einer Unternehmensrettung bedenken und gegenüberstellen. 41 Ganz ähnlich ist von einem Sanierungsberater zu erwarten, dass er nicht ausschließlich aus dem Gesichtspunkt von Haftungsfolgen zu einer möglichst frühzeitigen Stellung eines Insolvenzantrags rät. Vielmehr wäre diesem Ratschlag die Chance einer Sanierung außerhalb der Insolvenz und ohne ein Insolvenzverfahren in der Abwägung gegenüberzustellen. Exakt solche Abwägungen unter Berücksichtigung aller berechtigten Interessen werden durch die Möglichkeiten des ESUG jedenfalls gestärkt.13) Das Schutzschirmverfahren und die Möglichkeit einer Antragsrücknahme nach § 270a Abs. 2 InsO sind hierzu ein wichtiger Ansatzpunkt. Der dort vorgesehene maximale Zeitraum von drei Monaten wird allerdings im Zweifel nicht immer ausreichend sein. Er setzt voraus, dass die handelnden Personen (Geschäftsführer, Gesellschafter, Sanierungsberater) schon vorher einen Sanierungsplan ausgearbeitet haben. Genau dieser Weg ist aber sicherlich Teil eines nunmehr auch vom Gesetzgeber gewünschten wirtschaftsethischen Verhaltens. Grundlage ist insoweit § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO, der die Vorlage eines Insolvenzplans durch den Schuldner ausdrücklich auch in dem Zeitpunkt vorsieht, in dem der Antrag auf Eröffnung des Verfahrens gestellt wird. 42 Die hier geforderten ethischen Aspekte bei der Abwägung von Sanierungsentscheidungen und Insolvenzanträgen lassen sich in gewissem Umfang auch auf das eröffnete Verfahren übertragen. Dies gilt jedenfalls für die Durchführung der Eigenverwaltung. Dies betrifft darüber hinaus in abgeschwächter Form auch den Insolvenzverwalter eines Regelverfahrens. Auch er wird heute neben dem Grundgedanken der Liquidation in verstärktem Maße die gemeinsame Prüfung der Interessen der Gläubiger, der Arbeitnehmer, der Anteilseigner und des betroffenen Umfeldes zu erwägen und auszutarieren haben. V.

Pflichtenentlastung und Freistellung von Risiken bei Betriebsfortführung?

43 Die bisherigen Erwägungen führen letztlich auch zu der Frage, ob den am Insolvenzverfahren Beteiligten und insbesondere dem das schuldnerische Unternehmen fortführende Insolvenzverwalter als Ausgleich für das im Zusammenhang mit der Fortführung übernommene Risiko verfahrensmäßige Erleichterungen, also die Befreiung von Pflichten und Las___________ 13) S. unten § 5 [Runkel/Fliegner].

52

Prütting

Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung

§2

ten sowie die Freistellung von Risiken zugesprochen werden können. Diese Frage ist – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur noch keiner abschließenden Klärung zugeführt. Die Ambivalenz der Fragestellung liegt freilich auf der Hand. Man könnte zweifellos argumentieren, dass sich für eine Pflichtenentlastung oder eine Freistellung von Risiken der handelnden Personen im Gesetz keinerlei Anhaltspunkt findet. Umgekehrt ließe sich argumentieren, dass die Unternehmensfortführung und alle weiteren Sanierungsbemühungen im Interesse aller Beteiligten und mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Allgemeinheit sind. Pflichtenentlastungen und Risikofreistellungen könnten daher aus diesem Blickwinkel ein sinnvoller Ausgleich für die besonderen Bemühungen der Beteiligten sein. Zur Beantwortung der gestellten Frage bedarf es eines normativen Ansatzpunktes. Dieser 44 ist speziell für die Haftung des Insolvenzverwalters entweder in § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO oder in § 93 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AktG (business judgment rule) zu suchen. Nach § 60 InsO hat der Verwalter für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen. Diese Formulierung ist geeignet, die Haftungsnorm des § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO zu konkretisieren und auszufüllen, wonach der Insolvenzverwalter in dem Umfang haftet, in dem er schuldhaft seine Pflichten verletzt. Es erscheint hier denkbar und naheliegend, im Einzelnen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters unter Einbeziehung der eingegangenen Risiken und Belastungen zu bestimmen.14) Dieser Gedanke könnte zu einer gewissen Absenkung des strengen Haftungsmaßstabes des § 60 Abs. 1 InsO führen. Der Verschuldensmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters ist individuell anhand seiner konkreten Aufgaben zu bestimmen.15) Zu demselben Ergebnis würde es wohl führen, wenn man die Rolle des die Betriebsfortführung leitenden Insolvenzverwalters mit dem Organ einer juristischen Person vergliche und § 93 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AktG analog heranziehen würde. Dieser Gedanke wird in der Literatur verschiedentlich erwogen.16) In künftigen Fällen ist hier die Rechtsprechung aufgerufen, die Sorgfaltsmaßstäbe im Einzelfall zu konkretisieren. Gleiches (nämlich die Haftung nach § 60 InsO einschließlich des Haftungsmaßstabs des § 60 45 Abs. 1 Satz 2 InsO bzw. analog § 93 Abs. 1 AktG) gilt für den vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO), für den Sachwalter (§ 274 Abs. 1 InsO), für den Treuhänder (§ 313 Abs. 1 Satz 3 InsO) und für Sanierungsberater sowie Sachverständige aus vertraglichen Anspruchsgrundlagen mit dem Haftungsmaßstab des § 276 BGB. Im Ergebnis ist dieser Haftungseinschränkung zuzustimmen.

___________ 14) Vgl. insbesondere Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 2/2009, § 60 Rz. 36. 15) So wohl auch Brandes/Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 90, 90a. 16) Siehe unten § 38 Rz. 51 ff. [Frege/Berger/Nicht].

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§3 Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht Übersicht I. 1.

Konkurs und Vergleich .............................. 1 Die Entwicklung des Konkurs- und Vergleichsrechts ........................................... 1 2. Der Funktionsverlust des Konkursrechtes......................................................... 11 3. Selbsthilfe der Praxis – Änderung des Sequestrationszweckes............................... 19 4. Akzeptanz der Betriebsfortführung als zulässige Verwaltungsmaßnahme.............. 22 II. Gesamtvollstreckungsverfahren ............. 25 1. Liquidation oder Betriebsfortführung ...... 25

2.

Betriebsfortführungen, Verfahrensziele, gesetzliche Sanierungsförderung.......... 27 III. Die Insolvenzordnung ............................. 32 1. Verfahrenszwecke ...................................... 32 2. Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren............................................. 43 3. Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren..................................... 47 4. Reformen des Insolvenzrechts durch das ESUG ................................................... 51 IV. Zusammenfassung .................................... 62

Literatur: Beule, Die Umsetzung der Insolvenzrechtsreform in der Justizpraxis, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 23; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, Mechanismen der Unternehmensreorganisation und Kooperationspflichten im Reorganisationsrecht, 1999; Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, 1978; Gravenbrucher Kreis, Alternativentwurf zum Regierungsentwurf einer Insolvenzordnung, ZIP 1993, 625; Gravenbrucher Kreis, „Große“ oder „kleine“ Insolvenzrechtsreform?, ZIP 1992, 657; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Gesamtvollstreckungsordnung, 4. Aufl., 1998; Jaeger, Die Konkursordnung 1879 – 1904, DJZ 1904, Sp. 904; Jaffé, Restrukturierung nach der InsO: Gesetzesplan, Fehlstellen und Reformansätze innerhalb einer umfassenden InsO-Novellierung aus Sicht eines Insolvenzpraktikers, ZGR 2010, 248; Kilger/Schmidt, KO, 16. Aufl., 1993; Kreft, Aktuelle Schwerpunkte der BGH-Rechtsprechung zum Gesamtvollstreckungsrecht, in: Prütting, RWS-Forum 9, 1997, S. 21; Landfermann, Sanierungsförderung und Gesamtvollstreckung, ZIP 1991, 826; Paulus, Zum Verhältnis von Aufrechnung und Insolvenzanfechtung, ZIP 1997, 569; Smid, Probleme von Unternehmenssanierung und Gesamtvollstreckung, WM 1991, 1621; Smid/Zeuner, Gesamtvollstreckungsordnung, 2. Aufl., 1994; Undritz, Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren – die Quadratur des Kreises?, NZI 2007, 65.

I.

Konkurs und Vergleich

1.

Die Entwicklung des Konkurs- und Vergleichsrechts

Das Verständnis der Funktion der Betriebsfortführung im Deutschen Insolvenzrecht er- 1 fordert zunächst einen Blick auf die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Deutschen Insolvenzrechts und ihrer Verfahrenszwecke. Der Antrag auf Eröffnung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens setzt den Schlusspunkt 2 hinter ein gescheitertes wirtschaftliches Engagement. Im Bewusstsein der Menschen bedeutet Insolvenz Zerschlagung im Anschluss an eine rasche oder bereits bei Antragstellung abgeschlossene Betriebsstilllegung. Dieser Satz von Mönning in der 1. Auflage des Werkes1) hat auch heute, nach 19 Jahren, nichts von seiner Richtigkeit verloren. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit ist nach wie vor die Auffassung von Ernst Jaeger zu 3 finden vom „Konkurs als Wertevernichter schlimmster Sorte und teuerstem Schuldentilgungsverfahren“2). Man wird sich die Frage stellen müssen, ob dieser Sachverhalt nicht schon in der Kon- 4 kurs- und Vergleichsordnung angelegt war. Die KO von 1877 war ihren Vorschriften und dem Verständnis der Konkursabwicklung nach darauf angelegt, dass das Unterneh___________ 1) Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, 1. Aufl., 1997. 2) Jaeger, DJZ 1940, Sp. 904, 911.

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men des Schuldners liquidiert werden müsse. Der Grund dafür, dass die Liquidation des Schuldnervermögens ausschließlich im Vordergrund des Konkursgeschehens stand, ergab sich anscheinend aus dem Zweck jedes Insolvenzverfahrens, die Haftung des Schuldners für alle seine Verbindlichkeiten zu verwirklichen. Ursächlich für diese einseitige Ausrichtung des deutschen Konkursrechts war wohl der Umstand, dass bei der Neuregelung des Konkursrechts 1877 anstelle der deutschen Gemeinschuldordnung, die auch die Möglichkeit zur Sanierung des Schuldners bot,3) die KO zum Gesetz wurde. So kam weder die Lehre, noch die Konkurspraxis auf die Idee, das Geschäft des Schuldners fortzuführen, um es im Ganzen zu verwerten, obwohl in den §§ 130, 132 Abs. 1 KO dafür durchaus Ansatzmöglichkeiten gegeben waren. 5 Auch in der Literatur spielte die Möglichkeit der Betriebsfortführung im Konkursverfahren keine Rolle. Noch in der 3. Auflage des Kurzkommentars von Böhle-Stamschräder zur KO aus dem Jahre 1953 findet sich weder im Stichwortverzeichnis noch in den §§ 130, 132, 117 KO irgendein Hinweis auf die Möglichkeit, dass das Unternehmen des Schuldners anstelle der Zerschlagung auch als Geschäftsfortführung und späterer Veräußerung im Ganzen verwertet werden könnte. 6 Die Erkenntnis, dass das Unternehmen des Schuldners als Sach- und Rechtsgesamtheit zur Konkursmasse gehört und der Verwertungskompetenz des Verwalters unterstand, war nicht vorhanden. Auch dass der i. R. der Betriebsfortführung erwirtschaftete Überschuss einen Aktivposten der Konkursbilanz darstellte, wurde in der Konkurspraxis nicht erkannt.4) 7 Trotz dieser Möglichkeiten, hat die Betriebsfortführung als Verwertungs- und Verwaltungsinstrument in der Hand des Verwalters lange Zeit in der Praxis keine Rolle gespielt. Eine auf die damalige Bundesrepublik bezogene Untersuchung belegt, dass nur in 4 % der untersuchten Konkursfälle Betriebe zeitweilig durch den Konkursverwalter fortgeführt worden sind.5) 8 Ein kurzer Blick auf die Entwicklung des Konkursrechts zeigt, dass die KO von 1877 schon kurze Zeit nach ihrem Inkrafttreten Gegenstand erster Reformbemühungen war. Es lässt sich dabei feststellen, dass die Schwerpunkte der Reformdiskussionen sich im Wandel der wirtschaftlichen Verhältnisse und der wirtschaftspolitischen Grundströmungen wechselten. Erste Reformbemühungen bezogen sich auf die Notwendigkeit eines konkursabweisenden Vergleichsverfahrens. Hatte der Reichsgesetzgeber in der KO noch die Notwendigkeit betont, gescheiterte Schuldner aus dem Wirtschaftsverkehr auszuscheiden, so erkannte man bereits vor dem Ersten Weltkrieg, dass die alleinige Gesamtvollstreckung zum „Wertevernichter schlimmster Art“ wurde.6) Die vordringlichste Reformaufgabe wurde darin gesehen, den Konkurs abzuwenden. Diese Überlegungen führten dazu, dass 1935 die Vergleichsordnung erlassen wurde. 9 Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten die Reformthemen der Vorkriegszeit wieder. Das wieder auflebende Interesse an der Rechtsvergleichung brachte darüber hinaus vom geltenden Recht völlig abweichende Verfahrenskonzeptionen in den Blick. Die Forderung nach einer großen Insolvenzrechtsreform, insbesondere nach der Zusammenfassung von Konkurs und Vergleich in einem einheitlichen, durchgängig am Gläubigerinteresse ausge___________ 3) Deutsche Gemeinschuldordnung, 1873, 4. Buch. §§ 233 – 256. 4) Z. B. RG, Urt. v. 26.1.1909 – VII 146/08, RGZ, 70, 228; RG, Urt. v. 2.4.1919 – I 221/18, RGZ 95, 237; BGH, Urt. v. 26.2.1960 – I ZR 159/58, BGHZ 32, 103, 105. 5) Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der der Konkursabwicklung S. 218, zit. nach Riering, Die Betriebsfortführung durch den Konkursverwalter, 1987, S. 16. 6) Jaeger, DJZ 1904, Sp. 904, 911.

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richteten Verfahren, wurde seitdem immer nachdrücklicher vorgetragen und mündete schließlich in der InsO, die am 1.1.1999 in Kraft trat. Trotz dieser Tendenzen und Überlegungen blieb das Konkursrecht noch bis weit in die 10 1980 Jahre einseitig haftungsorientiert. Betriebsfortführungen spielten, wie oben bereits dargelegt, so gut wie keine Rolle. 2.

Der Funktionsverlust des Konkursrechtes

Die durch die Ölpreiskrise 1973 ausgelöste Rezession, die 1972 bis 1975 zu einer Verdop- 11 pelung der Konkurs- und Vergleichsanträge führte, verschaffte den Reformforderungen die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit. Die zunehmende Funktionsunfähigkeit von Konkurs- und Vergleichsverfahren wurde eindringlich mit dem Schlagwort vom „Konkurs des Konkurses“ belegt. Im Jahre 1970 wurden in der Bundesrepublik 4 201 Konkursverfahren beantragt, die Er- 12 öffnungsquote lag bei nahezu 50 %. Diese Tendenz hielt bis zum Jahre 1973 mit lediglich geringfügigen Veränderungen (plus 3,6 %) an. Im 1974 stieg die Zahl der Konkurse sprungartig um 40 % auf 7 722 Verfahren an. Während 1970 die Zahl der eröffneten Konkursverfahren die der mangels Masse abgewiesen Anträge noch überstieg, standen 1974 3 870 abgelehnte Verfahren 3 482 eröffneten Verfahren gegenüber. Erstmals 1981 wurde die Schwelle von 10 000 Konkursverfahren mit insgesamt 11 635 be- 13 antragten Verfahren überschritten. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Insolvenzkurve 1985 mit 18 876 Verfahren. Dabei ging die Zahl der Vergleichsverfahren oder Anschlusskonkurse kontinuierlich seit 1970 von 258 auf noch 72 Verfahren im Jahre 1985 zurück. Die Zahl der eröffneten Konkursverfahren stagnierte trotz der gestiegenen Gesamtzahl bei ca. 4 000 Verfahren.7) Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung stellte sich die Frage, welche Ursachen dem 14 Funktionsverlust des Konkurs- und Vergleichsrechts zugrunde lagen. Eine Analyse der Rechtspraxis zeigt verschiedene Ursachen für den Funktionsverlust des Konkursrechts. Zu nennen wären hier zunächst die zunehmenden Sonderrechte der Kreditwirtschaft 15 sowie der Warenkreditgeber. Die daraus abgeleitete Sicherungspraxis erfasste den werthaltigen Teil der vorhandenen Wirtschaftsgüter und führte zu einer erheblichen Belastung der Masse mit Aussonderungs- und Absonderungsrechten. Während die Konkursmasse durch die bestehenden Aussonderungs- und Absonderungs- 16 rechte wertmäßig ausgehöhlt wurde, wuchsen die Masseverbindlichkeiten aus dem Lohnund Gehaltsbereich an. Zu nennen sind hier die Ansprüche aus Gegenseitigkeitsschuldverhältnissen, deren Erfüllung für die Zeit nach Konkurseröffnung bis zu ihrer ordnungsgemäßen Beendigung aus der Konkursmasse zu erfolgen hatte (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 KO). Dies betraf vor allem Ansprüche der von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmer, deren Lohnforderungen bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach Konkurseröffnung als echte Masseschulden zu berücksichtigen waren.8) Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die Tatsache, dass sämtliche Kündigungsschutz- 17 bestimmungen im Konkursverfahren ihre Gültigkeit behielten.9) Gesetzliche Kündigungsfristen von bis zu sieben Monaten, teilweise verlängert um vom Arbeitsamt verfügte Sperrfristen, Sonderkündigungsschutzregelungen für Betriebsräte, Schwerbehinderte, werdende Mütter u. a. Personengruppen führten unter den Bedingungen zunehmender Sockelar___________ 7) ZIP-Report, Insolvenzstatistik 1995, ZIP 1996, 1150. 8) BAG, Urt. v. 15.12.1987 – 3 AZR 420/87, ZIP 1988, 327. 9) BAG, Urt. v. 16.9.1982 – 2 AZR 271/80, ZIP 1983, 205 = NJW 1983, 1341.

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beitslosigkeit zum „Konkurs im Konkurs“, einer alsbaldigen Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse gemäß § 204 KO oder der Ablehnung einer Verfahrenseröffnung mangels Kostendeckung (§ 107 KO). 18 Wo mangels Masse nichts mehr zu eröffnen oder nach Eröffnung keine Deckung der echten Masseverbindlichkeiten und der Massekosten zu bewerkstelligen war, drohte der Funktionsverlust des geltenden Konkurs- und Vergleichsrechts. So wurden 1983 von vier Konkursanträgen drei bereits mangels Masse abgelehnt. 3.

Selbsthilfe der Praxis – Änderung des Sequestrationszweckes

19 Es war zunächst nicht der Gesetzgeber der versuchte, Abhilfe zu schaffen. Bereits in den 70iger Jahren als die Krise des Konkursrechts immer stärker in die Diskussion kam, entdeckte die Praxis das Rechtsinstitut der Sequestration für das Konkursverfahren. Man sah in ihm insbesondere ein probates Mittel, die Entstehung von Masseansprüchen zu verhindern oder abzubauen. Dem Sequester wurden weitreichende Befugnisse zugestanden, die es ihm ermöglichen sollten, i. R. einer sog. „dynamischen Sequestration“ bei problematischer Massekostendeckung durch planmäßiges Vorgehen das Verfahren überhaupt erst eröffnungsfähig und das Konkursverfahren durchführbar zu machen. Die Sequestration wurde bald routinemäßig in den meisten Eröffnungsverfahren angeordnet. 20 Die Unternehmensfortführung durch den Sequester, früher kaum anzutreffen, war nicht mehr ungewöhnlich. In Rechtsprechung und Literatur bestand weitgehend Einigkeit, dass der Sequester den schuldnerischen Betrieb nicht einfach schließen darf.10) Begründet wurde dies damit, dass der Sequester in unzulässiger Weise einen endgültigen Zustand schaffen würde, obwohl zu dieser Zeit noch gar nicht feststehe, ob der beantragte Konkurs eröffnet werde oder nicht.11) 21 Vorgetragen wurde außerdem, dass die KO davon ausgeht, dass nach Eröffnung des Konkursverfahrens der Geschäftsbetrieb des Schuldners fortzuführen sei. Dies ergäbe sich daraus, dass über die Schließung des Geschäftsbetriebes erst die Gläubigerversammlung (§ 132 KO) zu beschließen habe. 4.

Akzeptanz der Betriebsfortführung als zulässige Verwaltungsmaßnahme

22 Die oben geschilderte Entwicklung, insbesondere die rechtliche Ausgestaltung der Sequestration als dynamische Sequestration war die Antwort der Insolvenzpraxis und der insolvenzrechtlichen Literatur auf die Anfang der 80iger Jahre drohende Funktionsunfähigkeit des geltenden Konkurs- und Vergleichsrechts. 23 Dabei diente die Fortführung des Geschäftsbetriebes während der Sequestration zunächst nur dem Ziel, die für die Eröffnung eines Konkursverfahrens erforderliche Kostendeckung im Verfahrensstadium zu erwirtschaften und die Zahl der mangels Masse nicht eröffnungsfähigen Insolvenzverfahren nicht weiter zu erhöhen. Schon bald zeigte sich, dass das Instrument der Betriebsfortführung als Vehikel fungierte, um die Diskussion über die Verfahrensziele des Insolvenzrechts anzustoßen. Darauf wird noch einzugehen sein. 24 In Zeiten zunehmender Insolvenzanträge war aus ordnungspolitischen Gründen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewünscht. Ein geordnetes Verfahren bot Gewähr, dass das Verhalten des Schuldners geprüft wurde, dass das verbliebene Vermögen gesichert ___________ 10) BGH, Urt. v. 27.3.1961 – II ZR 294/59, NJW 1961, 1304; OLG Schleswig, Urt. v. 22.2.1985 – 14 U 187/84, ZIP 1985, 556, 558; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 106 Rz. 13a; Kilger/Schmidt, KO, § 106 Rz. 4. 11) Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb. der Insolvenzverwaltung, § 106 I 27, Fn. 1.

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Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht

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und bestmöglichst verwertet, und dass insbesondere Auskunfts-, Anzeige- und Nachweispflichten im steuerlichen Bereich erfüllt wurden. II.

Gesamtvollstreckungsverfahren

1.

Liquidation oder Betriebsfortführung

Anstelle der Übernahme der KO auch für das Gebiet der ehemaligen DDR entschied 25 sich der Gesetzgeber 1990 für die Beibehaltung der Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) bis zum Inkrafttreten eines angestrebten einheitlichen Insolvenzrechts für das vereinigte Deutschland. Mit dem Erlass der Gesamtvollstreckungsverordnung am 1.7.1990, durch den Einigungsvertrag geändert und umbenannt in „Gesamtvollstreckungsordnung“,12) sollte zusammen mit der Zweiten Verordnung über die Gesamtvollstreckung vom 25.7.1990, ebenfalls durch den Einigungsvertrag geändert und umbenannt in „Gesetz über die Unterbrechung von Gesamtvollstreckungsverfahren“,13) dem Problem Rechnung getragen werden, dass der Anpassungsprozess in der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden DDR zu einem raschen Anstieg der Insolvenzen führen würde, wobei es rechtspolitisch darauf ankam, den Unternehmen einen gesetzlichen Rahmen zu geben, die Betriebe auch nach Einleitung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens fortzuführen. Betriebsfortführung und Liquidation sollten gleichwertig nebeneinander stehen. Im 26 Einzelfall sollte zu entscheiden sein, ob eine sofortige Verwertung der vorhandenen Wirtschaftsgüter erfolgen muss oder eine begrenzte Betriebsfortführung auch mit dem Ziel einer Sanierung möglich ist.14) 2.

Betriebsfortführungen, Verfahrensziele, gesetzliche Sanierungsförderung

Durch den Einigungsvertrag ist die GesO mit nur geringen Änderungen in den Rang eines 27 eigenständigen Bundesgesetzes erhoben worden. Die GesO definierte als Verfahrensziele nunmehr auch wirtschafts-, sozial-, arbeitsmarkt- und strukturpolitische Ziele. So sollte die GesO mit ihren Nebengesetzen dazu beitragen, den zwar erwarteten, in seinen 28 Ausmaßen aber falsch eingeschätzten Anpassungsprozess der DDR-Planwirtschaft und den Übergang in eine marktwirtschaftliche Ordnung zu erleichtern, die erwarteten Massenentlassungen zu verlangsamen und den Rechtsfrieden in der ehemaligen DDR zu sichern.15) Bereits vom Verfahrenszweck her waren KO und GesO nicht identisch.16) Werden 29 Probleme der wirtschaftlichen Neuordnung und Anpassung an regionale und überregionale Strukturfragen zu einem eigenständigen Insolvenzverfahrenszweck, so verabschiedet sich das Spannungsfeld der tradierten Insolvenzverfahrensziele von Liquidation durch Einzelveräußerung und der damit verbundenen Zerschlagung hin zur Gesamtverwertung mit dem Ziel einer übertragenden Sanierung oder zur Reorganisation und Sanierung des insolventen Unternehmensträgers selbst. ___________ 12) Verordnung über die Gesamtvollstreckung v. 6.6.1990, GBI. I Nr. 32, S. 285, geändert durch Anlage II Kap. III A Abschn. II Nr. 1 des Einigungsvertrages v. 31.8.1990, BGBl. II 1990, 889, 1153, Bekanntmachung der Neufassung v. 23.5.1991, BGBl. I, 1185, zuletzt geändert durch Gesetz v. 18.6.1997, GBGl. I, 1430, 1441. 13) Zweite Verordnung über die Gesamtvollstreckungs – Unterbrechnung des Verfahrens, v. 25.7.1990, GBl. Nr. 45, S. 762, geändert durch Anlage II Kap. III A Abschn. II Nr. 2 des Einigungsvertrages v. 31.8.1990, BGBl. II 1990, 889, 1155, i. d. F. der Bekanntmachung v. 23.5.1991, BGBl. I, 1191. 14) Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, § 1 Rz. 6 ff.; Landfermann, ZIP 1991, 826 ff.; Smid/Zeuner-Smid, GesO, § 1 Rz. 7. 15) Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, § 1 Rz. 6 ff.; Landfermann, ZIP 1991, 826; Smid, WM 1991, 1621 ff. 16) Kreft in: Prütting, RWS-Forum 9, S. 21, 23 f.; Paulus, ZIP 1997, 569, 574 ff.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

30 Auch im Gesamtvollstreckungsverfahren war der Verwalter Sachwalter der Gläubigerinteressen. Nicht anders als im Konkursverfahren diente auch im Gesamtvollstreckungsverfahren das Mittel der Betriebsfortführung durch den Verwalter allen Verfahrenszielen – Liquidation, übertragende Sanierung, Reorganisation. 31 Dass dabei die Betriebsfortführung im besonderen Maße die Erfüllung der erweiterten rechtspolitischen Zielsetzung der GesO gewährleistete, lag auf der Hand, da durch die Betriebsfortführung der unvermeidbare Absturz eines insolventen Unternehmens zumindest zeitlich verzögert wurde. Der Gesetzgeber hat dafür zumindest versucht, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Betriebsfortführung zu schaffen. III.

Die Insolvenzordnung

1.

Verfahrenszwecke

32 Am 1.1.1999 trat die Insolvenzordnung (InsO) in Kraft. Mit ihr wurde die innerdeutsche Rechtseinheit durch Schaffung eines einheitlichen Insolvenzverfahrens herbeigeführt.17) Die inhaltliche Auseinandersetzung um die Insolvenzrechtsreform war geprägt, um die Auseinandersetzung über die von der Insolvenzrechtsreform verfolgten Verfahrenszwecke. 33 Während die vom BMJ 1978 berufene Insolvenzrechtskommission in ihrem Abschlussbericht vom Dezember 1984 sowie in dessen Ergänzung aus dem Jahre 198018) den Schwerpunkt auf die Entwicklung eines besonderen Reorganisationsverfahrens zum Zwecke der Sanierung des insolventen Unternehmensträgers zur Vermeidung einer Insolvenz legten, betonten zunächst der RefE eines Gesetztes zur Reform des Insolvenzrechts vom November 1989 und der davon nur leicht abweichende RegE vom November 1991 als Verfahrensziel wieder das Prinzip der kollektiven Haftungsverwirklichung, wonach das Insolvenzverfahren zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger durch bestmögliche Liquidation des Schuldnervermögens führen sollte.19) 34 Die nachhaltige Kritik, die der RegE durch Literatur und Praxis erfuhr,20) veranlassten den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zu substantiellen Änderungen und Ergänzungen, die insbesondere auch das Vorverfahren betrafen, das jetzt auch dazu dienen sollte, die Fortführungsaussichten mit dem Ziel einer nachhaltigen Sanierung zu prüfen.21) Zusammen mit der Regelung, dass ein Verfahren nur eröffnet werden darf, wenn die Kosten des gesamten Verfahrens gedeckt sind, wurden wesentliche Kritikpunkte der Insolvenzpraxis übernommen.22) 35 Dem vorläufigen Insolvenzverwalter wird die Möglichkeit eingeräumt, die Weichen auf eine Fortführung des Geschäftsbetriebes auszurichten, um die Option für die nunmehr gleichwertigen Verfahrensziele Liquidation, übertragende Sanierung oder Sanierung des Rechtsträgers bis zur Gläubigerversammlung offenzuhalten.23) Die Betriebsfortführung erhält damit im Insolvenzeröffnungsverfahren eine zentrale Bedeutung. 36 Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers der InsO kommt der Gläubigerversammlung die Entscheidungskompetenz über den Fortgang des Insolvenzverfahrens zu. Sowohl durch die Form und die Art der Masseverwertung als auch durch die Gestaltung des Ver___________ 17) Beule in: Kölner Schrift zur InsO, S. 23 ff. Rz. 2 – 4. 18) BMJ, Erster und Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht. 19) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 77 ff., abgedr. in: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, RWS-Dok. 8, Bd. 1, 1. Aufl., 1994, S. 97 f. 20) Gravenbrucher Kreis, ZIP 1992, 657 ff. 21) Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, RWS-Dok. 8, Bd. 1, 1. Aufl., 1994, S. 5 f. 22) Gravenbrucher Kreis, ZIP 1992, 625 ff. 23) Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, RWS-Dok. 8, Bd. 1, 1. Aufl., 1994, S. 5 f.

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Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht

§3

fahrens (Fortführung des schuldnerischen Unternehmens) werden die Interessen der Beteiligten unmittelbar berührt.24) Die Entscheidungsmöglichkeit über den Ablauf des Verfahrens ist Ausfluss einer beson- 37 deren Betonung der Gläubigerautonomie. Prägende Intention dieser Ausgestaltung war die Überlegung des Gesetzgebers, dass die Entscheidungen über das Verfahrensziel grundsätzlich von denjenigen Personen zu treffen sind, deren Vermögenswerte auf dem Spiel stehen. Die Bestimmung des Verfahrensziels obliegt der Gläubigerversammlung (§ 157 InsO). 38 Die Gläubiger bestimmen dabei im Berichtstermin die Aufgaben des Insolvenzverwalters hinsichtlich der Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse.25) Die Gläubigerversammlung kann demnach entscheiden über x

die Stilllegung oder

x

die vorläufige Fortführung des Betriebes oder

x

den Verkauf des Betriebes als Ganzes sowie

x

die Erstellung eines Insolvenzplans.

Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren kein 39 Selbstzweck ist. Ziel und Rechtfertigung der Betriebsfortführung liegen vielmehr allein darin, die den Gläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse im Vergleich zu anderen Formen der Insolvenzabwicklung zu maximieren; dies stellt § 1 InsO klar.26) Neben der Vollabwicklung des Schuldnervermögens und der Liquidation des Rechtsträ- 40 gers27) eröffnen das Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO und auch die Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO28) die Möglichkeit, durch Fortführung des Unternehmens bei gleichzeitigem Erhalt des Rechtsträgers die Haftung des Schuldnervermögens zu verwirklichen. Zwischen den Arten der Massenverwertung besteht Gleichrang.29) Es gibt weder eine 41 Zerschlagungsautomatik noch ist die Sanierung ein vorrangiges Verfahrensziel. Den Wettbewerb um die beste Verwertungsart entscheidet allein das eben genannte Ziel des Verfahrens nach § 1 InsO, das darin besteht, die Befriedigungschancen für die Gesamtheit der Gläubiger zu optimieren. Demnach ist „eine Betriebsfortführung betriebswirtschaftlich sinnvoll, volkswirtschaftlich erwünscht und juristisch geboten, wenn der Wert des Unternehmens im Falle der Fortführung größer ist als bei einer Liquidation“.30)

Aus dieser strikten Zweckbindung ergibt sich auch, dass es im Falle des Gelingens der Sa- 42 nierung allein darum geht, die positive Differenz zwischen Zerschlagungs- und Fortführungswert unter den Beteiligten aufzuteilen.

___________ 24) Vgl. Allgemeine Begr. RegE Nr. 3. a, kk in: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, RWS-Dok. 18, Bd. 1, 2. Aufl., 2000, S. 96. 25) Vgl. Allgemeine Begr. RegE Nr. 3. a, kk in: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, RWS-Dok. 18, Bd. 1, 2. Aufl., 2000,S. 96. 26) Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 50. 27) Zur Aufgabe der Vollabwicklung s. etwa Uhlenbruck-Pape, InsO, § 1 Rz. 11. 28) Zu dem Zwecke der Eigenverwaltung, insbesondere in Fortführungsfällen ein effizienteres Verfahren anzubieten s. Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb., § 86 Rz. 13 ff. 29) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 1 Rz. 1. 30) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 1 Rz. 4.

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§3 2.

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren

43 Nach der Konzeption der InsO sollen weder der Insolvenzantrag noch die Verfahrenseröffnung eine Vorentscheidung zur Betriebseinstellung treffen. Daher sind sowohl der vorläufige als auch der endgültige Verwalter gehalten, den Geschäftsbetrieb des schuldnerischen Unternehmens regelmäßig bis zum Berichtstermin aufrechtzuerhalten. 44 Wurde einem vorläufigen Verwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übertragen, handelt es sich also um einen „starken“ vorläufigen Verwalter, so bestimmt § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO, dass das Unternehmen des Schuldners bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen ist.31) Die Unternehmensfortführung steht dabei nicht im Ermessen des vorläufigen Verwalters, sondern stellt eine Pflichtaufgabe dar.32) 45 Das Unternehmen des Schuldners ist nur dann stillzulegen, wenn durch die Betriebsfortführung eine erhebliche Minderung des Haftungsvermögens droht.33) 46 Die gleiche Pflicht obliegt auch dem sog. „schwachen“ vorläufigen Verwalter. Obwohl der „schwache“ vorläufige Verwalter nur über den Zustimmungsvorbehalt Einfluss nehmen kann und er für die Masse keine Verpflichtungs- oder Verfügungsgeschäfte vornehmen darf, hat er seine Entscheidungen am Ziel der Betriebsfortführung zu orientieren.34) Dies ergibt sich aus § 21 Abs. 1 InsO, wonach es Ziel aller Sicherungsmaßnahmen ist, nachteilige Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern. Hierzu zählt – darauf weist der Gesetzgeber ausdrücklich hin – dass ein Unternehmen des Schuldners vorläufig fortgeführt werden soll.35) Mangels eigener Verfügungsbefugnis besteht die Fortführungspflicht des „schwachen“ vorläufigen Verwalters auf der Ebene der Ausübung des Zustimmungsvorbehalts. Rein passives Verhalten des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters oder die Ausübung der Zustimmungserklärung, die sich nicht am Ziel der Betriebsfortführung orientiert, wären pflichtwidrig; der vorläufige Insolvenzverwalter liefe Gefahr, sich wegen Verletzung der Fortführungsverpflichtung schadensersatzpflichtig zu machen.36) 3.

Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren

47 Der Insolvenzverwalter hat das Unternehmen des Schuldners regelmäßig bis zum Berichtstermin fortzuführen. Die Pflicht zur Betriebsfortführung ist zwar nicht ausdrücklich normiert, ergibt sich aber stillschweigend aus der Gesetzessystematik, insbesondere aus den Bestimmungen der §§ 157, 158 InsO. Die Pflicht zur Betriebsfortführung bedeutet gleichzeitig ein vorläufiges Verwertungsverbot. Nach § 159 InsO darf der Verwalter erst nach dem Berichtstermin das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen verwerten. 48 Die Fortführung des Geschäftsbetriebes des Schuldners ist dabei niemals Selbstzweck, sondern allenfalls Mittel zur Verwirklichung eines zulässigen Verfahrensziels. Häufig wird die Betriebsfortführung nur i. V. m. Sanierungsbestrebungen des Schuldners gesehen. Übersehen wird dabei jedoch, dass die Betriebsfortführung auch die spätere Einzel- oder Gesamtliquidation des Unternehmens des Schuldners vorbereiten bzw. erst ermöglichen kann. Auch darin besteht die Funktion der Betriebsfortführung. ___________ Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 23. Vgl. Blersch/Goetsch/Haas, BK-InsO, § 22 Rz. 13. Vgl. Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 5 Rz. 109 ff. Vgl. Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 5 Rz. 109 ff. Vgl. Begr. RegE zu § 21, Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, RWS-Dok. 18, Bd. 1, 2. Aufl., 2000, S. 178. 36) Undritz, NZI 2007, 65, 68. 31) 32) 33) 34) 35)

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Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht

§3

Die Betriebsfortführung in der Insolvenz des Schuldners eröffnet demnach i. S. der oben 49 geschilderten Verfahrensziele die nachfolgenden Optionen:37) x

kurzzeitige Betriebsfortführung begrenzt auf den Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens zur Schaffung der Masse für die Verfahrenskostendeckung;

x

Betriebsfortführung i. R. einer Auslaufproduktion auch über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus mit anschließender Liquidation des Geschäftsbetriebes;

x

Betriebsfortführung (auch mittel- bis langfristig) mit dem Ziel einer übertragenden Sanierung;

x

dauerhafte Betriebsfortführung zum Zwecke der Reorganisation (Insolvenzplanverfahren).

Aus alledem ergibt sich, dass die Entscheidung über die Betriebsfortführung im eröffneten 50 Insolvenzverfahren nicht von den gesetzlichen Verfahrenszielen getrennt werden kann. Die Betriebsfortführung in der Insolvenz ist nicht Zweck, sondern allenfalls Mittel zur Realisierung eines zugelassenen Verfahrensziels. 4.

Reformen des Insolvenzrechts durch das ESUG

Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), in 51 Kraft getreten am 1.3.2012, hat der Gesetzgeber, das als Paradigmenwechsel angekündigte, bislang größte Reformpaket in der Geschichte der InsO umgesetzt. Ziele des ESUG sind u. a. die seit langem geforderten Verbesserungen der Sanierungs- 52 möglichkeiten überlebensfähiger Krisenunternehmen und die stärkere Beteiligung der Gläubiger am Insolvenzverfahren. Durch die Neuerungen sollen im Wesentlichen die Schwachstellen im Insolvenzplanver- 53 fahren, insbesondere durch den Abbau von Blockadepotential einzelner Gläubiger und von Gesellschaftern beseitigt, die Eigenverwaltung gestärkt und die frühzeitige Stellung von Eröffnungsanträgen erleichtert werden. Dazu werden für das deutsche Recht zum Teil völlig neue Wege beschritten und teilweise 54 im Deutschen Insolvenzrecht nicht bekannte bzw. in der InsO bislang nicht kodifizierte Instrumente eingeführt. Zu nennen sind insbesondere x

die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren,

x

die Einflussnahme des vorläufigen Gläubigerausschusses auf die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters und des vorläufigen Sachwalters sowie des Insolvenzverwalters und des Sachwalters;

x

zur Vorbereitung eines Sanierungsplans in Eigenregie des Schuldners wurde ein sog. „Schutzschirmverfahren“ (§ 270b InsO) eingeführt;

x

schließlich wurde der Debt-Equity-Swap (Umtausch von Forderungen in Anteile bei der Insolvenzschuldnerin) im Insolvenzplanverfahren ohne Zustimmung bzw. Mitwirkung der Altgesellschafter eingeführt.

In einer Pressemitteilung des BMJ zum Inkrafttreten des ESUG vom 29.2.2012 heißt es:

55

„Insgesamt wollen wir durch das neue Gesetz einen Mentalitätswechsel für eine neue Insolvenzkultur in Deutschland einleiten.“

Die Frage bleibt, welche Auswirkungen das Inkrafttreten des ESUG auf die Funktion 56 der Betriebsfortführung hat? Zunächst bleibt festzustellen, dass das Inkrafttreten des ___________ 37) Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, 1. Aufl., 1997, VII. Rz. 340.

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§3

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

ESUG die Verfahrensziele der InsO, wie sie in § 1 Satz 1 InsO festgelegt sind, nicht geändert hat. § 1 Satz 1 InsO bestimmt nach wie vor, „[…] dass das Insolvenzverfahren dazu dient, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, in dem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird.“

57 Das gesetzgeberische Ziel des ESUG ist die Erleichterung der Sanierung von Unternehmen. Dies soll durch die Stärkung des Einflusses der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters, durch den Ausbau und die Straffung des Insolvenzplanverfahrens und die Vereinfachung des Zugangs zur Eigenverwaltung erreicht werden. 58 Das Ziel des Gesetzgebers, Sanierungen von Unternehmen zu erleichtern, scheint erreicht worden zu sein. Dies zeigt die Entwicklung der Eigenverwaltungsverfahren nach Inkrafttreten des ESUG. Während im Jahre 2011 bei 30 099 Unternehmensinsolvenzverfahren 192 Eigenverwaltungen angeordnet wurden, stieg im Jahre 2012 bei 28 297 Unternehmensinsolvenzverfahren die Zahl der angeordneten Eigenverwaltungsverfahren auf 346. Im Jahre 2013 lag bei 25 955 Unternehmensinsolvenzen die Zahl der angeordneten Eigenverwaltungen bei 420.38) 59 Die Grenze dieser Sanierungsbemühungen ist jedoch in § 1 InsO festgelegt. Das Insolvenzverfahren ist ein kollektives Gesamtvollstreckungsverfahren im Interesse der Gläubiger. Die Sanierung des Schuldners ist ein Reflex, wenn es den Gläubigern dient, nicht aber der Hauptzweck des Verfahrens.39) Daraus ergibt sich, dass eine Sanierung des Unternehmens nur dann erfolgen kann, wenn der Fortführungswert höher ist als der Zerschlagungswert.40) 60 Die Funktion der Betriebsfortführung besteht darin, den Gläubigern des Insolvenzverfahrens die bestehenden Verwertungsoptionen bis zum Berichtstermin zu erhalten. Insoweit hat das ESUG keine Änderungen gebracht. 61 Gesetzlich nicht geregelt sind die Fragen der Fortführungsfinanzierung. Die Finanzierung der Unternehmensfortführung ist conditio sine qua non für jede Betriebsfortführung und für jede beabsichtigte Sanierung des Rechtsträgers, sei es im Wege eines Insolvenzplanes oder sei es mit Hilfe des Instituts der Eigenverwaltung. Lassen sich keine Quellen zur Fortführungsfinanzierung erschließen, bleibt kein Raum mehr für die Sanierungsinstrumente des ESUG. IV.

Zusammenfassung

62 Das Insolvenzverfahren ist ein kollektives Gesamtvollstreckungsverfahren im Interesse der Gläubiger, das dazu dienen soll, eine gemeinschaftliche Befriedigung durch Verwertung des Vermögens des Schuldners zu erreichen (§ 1 Satz 1 InsO). 63 Die Sanierung des Schuldners ist ein Reflex, wenn es den Gläubigern dient, nicht aber der Hauptzweck des Verfahrens. Eine Sanierung des Unternehmens des Schuldners soll und muss dann erfolgen, wenn der Fortführungswert höher ist als der Zerschlagungswert. 64 Die Funktion der Betriebsfortführung besteht zum einen darin, die Eröffnungsvoraussetzungen des Insolvenzverfahrens zu schaffen und zum anderen die im Insolvenzverfahren bestehenden Verwertungsoptionen bis zum Berichtstermin für die Gläubiger zu erhalten. ___________ 38) Quelle: Statistisches Bundesamt. 39) Jaffé, ZGR 2010, 248, 251. 40) K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 4.13.

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Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht

§3

Analysiert man die gesetzgeberischen Vorhaben der zurückliegenden Jahrzehnte und die 65 in der Fachöffentlichkeit geführten Diskussionen, wird man feststellen können, dass im Insolvenzrecht ein Paradigmenwechsel zu verzeichnen ist. Weg vom Insolvenzmodell der Gesamtvollstreckung, wie in § 1 der InsO normiert, hin zu einem Insolvenzmodell, in dem die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Vordergrund steht. Stichworte seien hier Insolvenzrecht als Sanierungsrecht und Bemühungen, ein außergerichtliches Sanierungsverfahren gesetzlich zu installieren. Bei Unternehmensinsolvenzen ist die praktische Anwendung des deutschen Insolvenzrechts schon seit längerem zu einer Priorisierung des Unternehmenserhalts übergegangen – zumal diese Ausrichtung auch schon in § 1 InsO selbst angesprochen ist.41) Mit dieser Entwicklung gewinnt die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren als Grund- 66 lage und Voraussetzung jeder Sanierungsbemühung eine zentrale Bedeutung. Die InsO schafft lediglich den Rahmen der Unternehmenssanierung. Die eigentliche betriebswirtschaftliche und operative Sanierung des Rechtsträgers muss i. R. eines Insolvenzverfahrens umgesetzt werden. Neben den rein rechtlichen Anforderungen treten deshalb immer mehr betriebswirtschaftliche Herausforderungen für die handelnden Personen. Der Insolvenzverwalter wird deshalb immer mehr zu einem Koordinator eines umfassenden Sanierungsprozesses. Dieser Wandel führt auch dazu, dass die Anforderungen an die Person des Insolvenzverwalters und an die Mitarbeiter, welche das Verfahren betreuen, einem Veränderungsprozess unterzogen sind. Neben der insolvenzrechtlichen Kenntnis treten vermehrt betriebswirtschaftliche Fähigkeiten auf.

___________ 41) S. auch Ganter/Lohmann in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 10.

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§4 Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Der Insolvenzverwalter und das Klavier .......................................................... 6 1. Das Instrument .......................................... 10 1.1 Schaffung der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlage...... 11 1.2 M&A-Prozess, Insolvenzplan........ 13 1.3 Gläubigerrechte............................... 14 1.4 Sonderrechte ................................... 15 1.5 Individualarbeitsrechtliche Pflichten .......................................... 16 1.6 Kollektivarbeitsrechtliche Pflichten .......................................... 19

1.7 1.8

2. 3. III. IV. V. 1. 2. VI.

Immaterielle Wirtschaftsgüter ....... 21 Öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeiten ................................. 22 1.9 Erfüllung steuerlicher Pflichten..... 24 Geeignete Spieler........................................ 26 Das Konzert ............................................... 31 Verantwortlichkeit ................................... 39 Normierungs-/Messbarkeitsversuche..... 42 ESUG.......................................................... 47 Allgemeines ................................................ 47 Bisherige Entwicklung unter dem ESUG.......................................................... 51 Zusammenfassung/Ausblick ................... 59

Literatur: Berger/Frege/Nicht, Unternehmerische Entscheidungen im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Ehlers, Die besondere Verantwortlichkeit des (vorläufigen) Sachwalters, ZInsO 2015, 1417; Gravenbrucher Kreis, ESUG: Erfahrungen, Probleme, Änderungsnotwendigkeiten, ZIP 2015, 2159; Jäger/Weber, Konkursordnung, Kommentar, 8. Aufl., 1958 – 1973; Mönning, Insolvenzverwalter als Arbeitgeber: Chancen und Risiken für Arbeitnehmer und Betriebsrat, in: Heinrich (Hrsg.), Wirtschaft im Umbruch, Neue Aufgaben für die Arbeitsund Insolvenzrechtspraxis, 2010; Rattunde, Sanierung durch Insolvenz, ZIP 2003, 2103; Stapper, Das Profil des Insolvenzverwalters, in: Festschrift für Wilhelm Nordemann, 1999, S. 259; Wellensiek, Die Fachanwaltschaft für Insolvenzrecht, NZI 1999, 169; Wellensiek, Probleme der Betriebsfortführung in der Insolvenz, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 199; Thole, Treuepflicht Torpedo? Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenzverfahren, ZIP 2013, 1937; Uhlenbruck-Kommission, Zusammenfassung der Empfehlungen der Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507.

I.

Einleitung

Nach wie vor präsent und zutreffend ist die Aussage von Jäger, wonach die Auswahl des 1 Insolvenzverwalters die Schicksalsfrage des Insolvenzverfahrens ist.1) Im letzten Jahrzehnt hat die Zahl der bestellten Insolvenzverwalter stark zugenommen. 2 Laut statistischer Erfassung von INDat2) stieg die Zahl der bestellten Insolvenzverwalter von 1.265 im Jahr 2001 auf 2.002 im Jahr 2010 an. Diese Entwicklung ist u. a. dem Umstand geschuldet, dass an die Zulassung als Insolvenzverwalter, welchen das BVerfG3) ausdrücklich als Beruf anerkannt hat, zunächst keine detaillierten und genauen Voraussetzungen verbunden sind. Trotz konstantem jährlichen Rückgang der Unternehmensinsolvenzen in den Jahren 2012 bis 2015 hat die von vielen erwartete Marktbereinigung und der damit verbundene Rückgang der Zahl tätiger Insolvenzverwalter bisher noch nicht stattgefunden.4) Grundsätzlich wird der Insolvenzverwalter durch einen, das Insolvenzverfahren eröffnen- 3 den Beschluss gemäß § 27 InsO bestellt. Dabei schreibt § 56 InsO lediglich vor, dass zum Insolvenzverwalter eine für den Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige Person zu bestellen ist, die aus dem ___________ 1) 2) 3) 4)

Jäger/Weber, KO, § 78 Rz. 7. www.INDat.info/Statistikenvorjahre.php (Abrufdatum: 4.2.2016). BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01, ZIP 2004, 1649 = NZI 2004, 574. Statistische Bundesamt, www.destatis.de/DE/ZahlenFakten (Abrufdatum: 4.2.2016).

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§4

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist. Weitere Voraussetzungen für die Bestellung normiert § 56 InsO nicht. 4 Die Rechtsprechung hat ergänzend neben der Geschäftskundigkeit auch die persönliche Integrität, insbesondere die Ehrlichkeit, als weitere persönliche Anforderung an einen Insolvenzverwalter festgelegt ebenso wie das Nichtvorliegen von strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit der Verwaltung fremden Vermögens, die die Ablehnung der Bestellung bzw. auch eine Entlassung rechtfertigen.5) 5 Die genannten Vorgaben reichen jedoch bei Weitem nicht aus, um hieraus auch nur annähernd den Rückschluss ziehen zu können, ob eine Person die Anforderungen, die eine Betriebsfortführung mit sich bringt, erfüllt bzw. über die erforderlichen unternehmerischen Qualitäten hierzu verfügt. II.

Der Insolvenzverwalter und das Klavier

6 Das Insolvenzverfahren selbst als auch die Betriebsfortführung sind mit einem Klavier vergleichbar, das der Insolvenzverwalter zu spielen hat. Damit das Konzert im Ergebnis auch ein Erfolg für alle Beteiligten wird, sind bestimmte Anforderungen zu erfüllen. 7 Voraussetzung ist, dass der Insolvenzverwalter zunächst die Belegung sämtlicher Tasten kennt und weiß, wann er welche zu spielen hat. Hierbei hat er die Saiten, sprich Beteiligten, i. R. der Betriebsfortführung so anzusprechen, dass im Ergebnis eine Komposition entsteht, die zu dem in § 1 InsO normierten Ziel der bestmöglichen Befriedigung aller Gläubiger führt. Hierzu ist es nicht ausreichend, allein das Instrument und dessen Tastenbelegung zu kennen, der Insolvenzverwalter muss das Instrument auch beherrschen, um gerade auch die sich aus § 158 InsO ergebende Grundidee zu realisieren, einen laufenden schuldnerischen Betrieb zumindest bis zur Gläubigerversammlung fortzuführen, sofern dies ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse möglich ist. 8 Im Hinblick auf die bereits oben erwähnte Vielzahl der zwischenzeitlich bestellten Verwalter kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass es bereits ausreichend für eine Listung bzw. auch Bestellung ist, wenn man behauptet zu wissen, was ein Klavier ist. 9 Gerade hinsichtlich eines laufenden, fortzuführenden Geschäftsbetriebs und den darin verkörperten Wert, bedarf es jedoch umfangreicherer und weiterer Voraussetzungen und Qualifizierungen, um die in der InsO normierten Ziele im Hinblick auf die Erhaltung von Geschäftsbetrieben erfüllen zu können. 1.

Das Instrument

10 Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Dies bewirkt eine Vielzahl einerseits gesetzlicher als auch aufgabenimmanenter Pflichten auch i. R. der Betriebsfortführung, die durch den Insolvenzverwalter zu erfüllen sind. Auf diese wird in den folgenden Kapiteln des Werks dezidiert eingegangen werden. Insbesondere handelt es sich um folgende Parameter: 1.1

Schaffung der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlage

11 Der Insolvenzverwalter ist hier i. R. der obligatorischen Betriebsfortführung zu allen Maßnahmen berechtigt und verpflichtet, die der Fortführung des Schuldnerbetriebes dienen und ___________ 5) BGH, Beschl. v. 17.3.2011 – IX ZB 192/10, ZIP 2011, 671 = NZI 2011, 282; LG Stendal, Beschl. v. 11.8.2010 – 25 T 107/10, NZI 2010, 993; BGH, Beschl. v. 31.1.2008 – III ZR 161/07, ZIP 2008, 446 = NZI 2008, 241; LG Halle, Beschl. v. 22.10.1993 – 2 T 247/93, ZIP 1993, 1739.

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Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil

§4

eine vorzeitige Stilllegung verhindern. Zu diesem Zweck hat er insbesondere Finanz- und Liquiditätspläne, Plan-, Gewinn- und Verlustrechnungen zu erstellen sowie diese fortlaufend den tatsächlichen Entwicklungen des Unternehmens anzupassen.6) Ebenfalls hat er ein entsprechendes Controlling durchzuführen und Soll- und Istergebnisse 12 zu vergleichen.7) 1.2

M&A-Prozess, Insolvenzplan

Der Insolvenzverwalter muss sowohl mit der Durchführung von M&A-Prozessen, im Hin- 13 blick auf eine eventuelle Veräußerung des Betriebes i. R. einer übertragenden Sanierung, als auch mit dem Instrument des Insolvenzplans vertraut sein und diese auch beherrschen sowie entscheiden, welches der Instrumente zur Anwendung kommen kann. 1.3

Gläubigerrechte

Die in der InsO normierten Rechte der Gläubiger, insbesondere in Form der Einberufung 14 von Gläubigerversammlungen bzw. des Gläubigerausschusses sind zu wahren. 1.4

Sonderrechte

Er hat geltend gemachte Sonderrechte zu prüfen und entsprechend zu berücksichtigen, 15 was insbesondere in den §§ 48 ff. InsO normiert ist. Aus- und Absonderungsrechte hat der Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren grundsätzlich zu berücksichtigen und deren Rechtspositionen zu achten.8) 1.5

Individualarbeitsrechtliche Pflichten

Der Insolvenzverwalter tritt funktionell in die Arbeitgeberposition mit der Folge ein, dass 16 er sämtliche Rechte und Pflichten hat, die sich aus der Arbeitgeberstellung des Insolvenzschuldners ergeben. Er ist an die zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehende arbeitsrechtliche Rechtslage gebunden.9) Ebenso muss der Insolvenzverwalter mit dem Belangen des Insolvenzgeldes vertraut sein, 17 insbesondere i. R. des vorläufigen Verfahrens mit der Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes nach § 188 Abs. 4 Satz 1 SGB III. Dies umfasst auch sozialversicherungsrechtliche Pflichten, insbesondere die Abführung 18 der Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach § 28d Satz 1 SGB IV bzw. auch die Beiträge zu Berufsgenossenschaft nach §§ 150 ff. SGB VII. 1.6

Kollektivarbeitsrechtliche Pflichten

Der Insolvenzverwalter ist an geltende Betriebsvereinbarungen gebunden.10) Er hat die 19 betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften, insbesondere auch im Hinblick auf Betriebsänderungen und damit verbundene Pflichten zum Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans – unter Berücksichtigung der speziellen insolvenzrechtlichen Vorschriften der §§ 120 ff. InsO – zu beherrschen. ___________ Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 211. Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 22 Rz. 167. BGH, Urt. v. 1.12.2005 – IX ZR 115/01, ZIP 2006, 194, 195. Gottwald-Heinze/Bertram, Hdb. InsR, § 103 Rz. 24; BAG, Urt. v. 30.1.1991 – 5 AZR 32/90, ZIP 1991, 744 = NJW 1991, 1971. 10) Gottwald-Heinze/Bertram, Hdb. InsR, § 103 Rz. 24. 6) 7) 8) 9)

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§4

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

20 Der Insolvenzverwalter hat sämtliche Rechte des Betriebsrats in personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zu beachten.11) Auch die tariflichen Bindungen wirken gegenüber dem Insolvenzverwalter.12) 1.7

Immaterielle Wirtschaftsgüter

21 Der Insolvenzverwalter muss in der Lage sein die, eventuell bei der Schuldnerin bestehenden und vorhandenen, immateriellen Wirtschaftsgüter in Form von Patenten, Konzessionen etc. zu erfassen, zu bewahren und deren weitere Anwendungen i. R. der Betriebsfortführung sicherzustellen. 1.8

Öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeiten

22 Grundsätzlich wird das Ordnungsrecht durch das Insolvenzrecht nicht verdrängt.13) Die Bestimmungen des Ordnungsrechts gelten im eröffneten Verfahren fort. Adressat der Ordnungsverfügung ist nach Insolvenzeröffnung der Verwalter. 23 Dies ist insbesondere problematisch bei Vorhandensein von umweltbelastenden Gegenständen bzw. hinsichtlich eventuell erforderlicher Genehmigungen zur Fortsetzung bzw. Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes, bspw. nach dem BImSchG.14) 1.9

Erfüllung steuerlicher Pflichten

24 Der Schuldner selbst bleibt auch während des Insolvenzverfahrens Steuersubjekt und damit auch Steuerschuldner i. S. von § 43 AO bzw. Steuerpflichtiger nach § 33 AO.15) Gemäß § 34 Abs. 3 AO hat der Insolvenzverwalter jedoch die steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners wahrzunehmen. 25 Im Rahmen der Fortführung, insbesondere auch im Zusammenhang mit insolventen Konzernen, hat er sich mit x

ggf. bestehenden steuerrechtlichen Organschaften,

x

der eventuellen Besteuerung des Sanierungsgewinns sowie

x

sämtlichen weiteren Steuern wie Körperschaftsteuer, Lohnsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Grundsteuer, Kraftfahrzeugsteuer etc.

auseinanderzusetzen, die insolvenzrechtlich erforderlichen Abgrenzungen vorzunehmen und entsprechende Pflichten der Insolvenzmasse zu erfüllen.16) 2.

Geeignete Spieler

26 Die hier dargestellten Themen stellen die wesentlichen Bereiche der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren dar. Aus der Komplexität ergibt sich bereits, dass eine nicht hinreichend qualifizierte Person nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden kann. 27 Ersichtlich muss ein Insolvenzverwalter Kenntnisse über eine große Bandbreite von Rechtsgebieten, insbesondere im Gesellschafts-, Handels-, Arbeits-, Steuerrecht und den ___________ 11) BAG, Urt. v. 20.11.1970 – 1 AZR 409/69, BAGE 23, 62, 72; Ott in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 126. 12) BAG, Urt. v. 28.1.1987 – 4 AZR 150/86, ZIP 1987, 727; Nerlich/Römermann-Wittkowski, InsO, § 80 Rz. 111. 13) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, NZI 2005, 51, 52 = ZIP 2004, 2145; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 170. 14) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 247 ff. 15) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 238. 16) Hierzu im Einzelnen: Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 238 ff., 244 f.

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Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil

§4

angeschlossenen Nebenrechtsgebieten besitzen, da das Insolvenzrecht eine Schnittmaterie verschiedenster Rechtsgebiete ist.17) Neben diesen Rechtskenntnissen sind des Weiteren betriebswirtschaftliche Kenntnisse 28 erforderlich, um zumindest theoretisch und vom Wissenshorizont her die Aufgaben i. R. einer Betriebsfortführung bewältigen zu können. Daher werden insbesondere Berufsgruppen wie Juristen, Wirtschaftsprüfer oder Steuerbe- 29 rater und ähnlich vorgebildete Personen als Insolvenzverwalter bestellt, die jedoch nicht nur auf ihren berufsspezifischen Wissensbereich beschränkt sein dürfen, sondern insbesondere das Zusammenspiel der einzelnen rechtlichen und wirtschaftlichen Bereiche beherrschen müssen.18) Lediglich umfangreiches theoretisches Wissen bzw. die Kenntnis der Belegung der Tasten 30 des Klaviers führen nun nicht dazu, dass eine in sich stimmige Komposition erklingt und damit ein gelungenes Konzert gespielt wird. Hierzu bedarf es weiterer, nicht normierter und auch schwer messbarer Voraussetzungen und Fähigkeiten. 3.

Das Konzert

Bei den im vorigen Abschnitt dargestellten Voraussetzungen handelt es sich um die fach- 31 lichen Voraussetzungen, über die jeder Insolvenzverwalter i. R. einer Betriebsfortführung grundsätzlich verfügen muss. Alleine die fachliche Kompetenz an sich ist jedoch nicht ausreichend, um eine Betriebsfortführung erfolgreich durchführen zu können. Hinzukommen müssen hier weitere persönliche, insbesondere auch unternehmerische 32 Voraussetzungen, die gesetzlich nicht normiert, aber vom Gesetzgeber unausgesprochen intendiert sind. Das sind diejenigen Anforderungen, die sich im Laufe der Ausübung des Berufs herauskristallisiert haben. Danach ist unerlässlich, dass der Insolvenzverwalter für eine erfolgreiche Ausübung der Tätigkeit i. R. der Fortführung über zahlreiche sog. Softskills verfügt.19) Bei der Ausübung seiner Tätigkeit auch und gerade i. R. der Betriebsfortführung ist der 33 unternehmerisch handelnde Insolvenzverwalter als zentrale Figur des Insolvenzverfahrens nicht nur den Normierungen der InsO unterworfen, vielmehr muss der Insolvenzverwalter bei seiner Entscheidungsfindung eine Vielzahl von Interessen berücksichtigen, die seine Entscheidungsfreiheit zumeist stark reduzieren.20) Insbesondere bei der Betriebsfortführung übt der Insolvenzverwalter eine Unternehmer- 34 funktion aus und hat unternehmerische Entscheidungen zu treffen.21) Zur optimalen Wahrung der Gläubigerinteressen werden an einen Insolvenzverwalter gerade im Falle der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens, insbesondere bei der Sanierung, Anforderungen gestellt, die auch mit den Anforderungen an aktive Unternehmer, Kaufleute und im besten Sinne des Wortes Manager gestellt werden.22) Der Insolvenzverwalter nimmt daher grundsätzlich dieselben Aufgaben wie ein Kaufmann, Geschäftsführer oder Vorstand wahr. Er ist auf Grund seines wirtschaftlichen Betätigungshintergrunds mit einem Unternehmensleiter vergleichbar.23) ___________ 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23)

Eickmann in: HK-InsO, § 56 Rz. 19. Stapper in: FS Nordemann, S. 259, 261; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 18. Mönning in: Heinrich, Wirtschaft im Umbruch, S. 31. Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, § 9 II. 1. Rz. 1. Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321. Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 290. Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321, 322.

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§4

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

35 Er hat strategische und operative Entscheidungen, gerade auch im Hinblick auf die künftige Positionierung des Unternehmens mit seinen Produkten, zu treffen. Dies erfordert eine selbstbewusste, erfahrene, wirtschaftlich denkende und auf Ausgleich völlig widerstreitender Interessen bedachte Persönlichkeit mit Entscheidungsfreude, pragmatischer Tendenz zu schnellen Lösungen, guter Menschenkenntnis und peinlicher finanzieller Korrektheit. Gefordert wird Mut, Rückgrat, Entscheidungsfreude, Ehrlichkeit und Erfahrung.24) 36 Die gesamte, bisher dargestellte, fachliche Kompetenz kann in einer Betriebsfortführung lediglich ein- und umgesetzt werden, sofern der Insolvenzverwalter über die Fähigkeit der Kommunikation mit allen Beteiligten verfügt. Insbesondere in Sanierungsfällen braucht der Insolvenzverwalter nicht nur Kompetenz, sondern vor allem Akzeptanz, denn Sanierung beruht auf Konsens.25) 37 Im Rahmen der Betriebsfortführung wird nur derjenige Insolvenzverwalter erfolgreich sein, der insbesondere gegensätzliche Interessen von Beteiligten erkennt und durch sinnvolle Kommunikation und Akzeptanz in der Lage ist, die widerstreitenden Interessen so auszugleichen, dass die Betriebsfortführung erfolgreich durchgeführt werden kann. Kommunikationstalent ist hierbei in vielfältiger Weise gefordert, da der Insolvenzverwalter mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten vor dem Hintergrund deren jeweiliger Individualinteressen und auch dem vorhandenen Verständnis für die Rahmenbedingungen eines Insolvenzverfahrens Konsens schaffen muss. Hier ist insbesondere auch diplomatisches Geschick Voraussetzung,26) um das für eine erfolgreiche Betriebsfortführung bzw. Unternehmenssanierung erforderliche positive Insolvenzklima zu schaffen.27) 38 Nur wenn diese Voraussetzungen in der Person des Insolvenzverwalters vorhanden sind, wird es ihm gelingen, durch das Spielen der richtigen Tasten zum richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Stärke dem Klavier die Komposition zu entlocken, die im Ergebnis den Erfolg bei den Insolvenzgläubigern schaffen wird. III.

Verantwortlichkeit

39 Bei Durchsicht der InsO ist festzustellen, dass der Insolvenzverwalter selbst nur in ganz geringem Umfang hinsichtlich der direkten Vornahme von Handlungen eingeschränkt ist. 40 Lediglich in § 158 Abs. 2 InsO ist normiert, dass das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners und nach Anhörung des Verwalters die Stilllegung oder Veräußerung eines schuldnerischen Betriebes untersagt, wenn diese ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse bis zum Berichtstermin aufgeschoben werden kann. Zwar sehen die §§ 160 – 1 63 InsO eine Vielzahl von Konstellationen vor, für deren Umsetzung der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung benötigt. Gleichwohl ist jedoch in § 164 InsO festgehalten, dass durch einen Verstoß gegen diese Vorschriften die Wirksamkeit der Handlungen des Insolvenzverwalters an sich nicht berührt wird. Entsprechende Verfügungen des Insolvenzverwalters sind lediglich unwirksam, sofern sie dem Insolvenzzweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung offenbar zuwiderlaufen.28) 41 Ansonsten verbleiben den Geschädigten lediglich Ersatzansprüche gemäß §§ 60 ff. InsO. Gerade aber die Tatsache, dass der Insolvenzverwalter im Hinblick auf Verfügungen le___________ 24) BGH, Beschl. v. 17.3.2011 – IX ZB 192/10, ZIP 2011, 671 = NZI 2011, 282; Leonhardt/Smid/ZeunerSmid, InsO, § 56 Rz. 6; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 55. 25) Rattunde, ZIP 2003, 2103. 26) Wellensiek, NZI 1999, 169, 170. 27) Rattunde, ZIP 2003, 2103, 2109. 28) Ausführlich hierzu: Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 80 ff.

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Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil

§4

diglich in ganz geringem Umfang zunächst bezüglich deren Wirksamkeit eingeschränkt werden kann, erfordert es einen verantwortungsvollen Umgang unter Berücksichtigung sämtlicher widerstreitender Interessen mit dem anvertrauten Vermögen, insbesondere dem laufenden Geschäftsbetrieb und damit einhergehend die Charakterstärke, die in so großem Umfang übertragene Entscheidungsmacht sinnvoll zur bestmöglichen Zielerreichung der Beteiligten einzusetzen. IV.

Normierungs-/Messbarkeitsversuche

In der Vergangenheit ist vielfach versucht worden, durch diverse Normierungsregularien 42 Kriterien für den „idealen“ Insolvenzverwalter zu entwickeln. Beispielhaft sind hier zu nennen die Empfehlungen der Uhlenbruck-Kommission,29) die teilweise auch von Eigeninteressen gesteuerten Bemühungen diverser Berufsverbände wie des VID oder des Gravenbrucher Kreises, die diverse Zertifizierungsmodelle bzw. Verhaltenskodizes entwickelt haben als auch Messbarkeitsversuche des Erfolgs eines Insolvenzverwalters, wie es bspw. das AG Hannover durch Auswertung diverser Verfahrenszahlen vornimmt. Das Erfüllen all dieser objektiven Voraussetzungen, wie das Einhalten eines Verhaltens- 43 kodexes, persönliche Integrität etc., ist ohnehin Grundvoraussetzung zur verantwortungsvollen Ausübung des Verwalteramts. Gerade nicht messbar sind jedoch die oft entscheidenden Erfolgsparameter, die Softskills 44 bzw. die Persönlichkeit eines einzelnen Verwalters, für den Erfolg einer Betriebsfortführung. So ist erfahrenen Praktikern durchaus bekannt, dass es Betriebsfortführungen gibt, bei denen 45 es ohne größere Probleme möglich ist, den Betrieb fortzuführen und nahezu sämtliche bzw. sämtliche bei der Schuldnerin bestehenden Arbeitsplätze zu erhalten, was im Ergebnis dazu führt, dass dieser Insolvenzverwalter als „guter“ Verwalter wahrgenommen wird. Andererseits ist derjenige Verwalter, dem es gelingt, unter schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wenigstens einen Teilbetrieb zu erhalten und einen Teil der Arbeitsplätze zu bewahren, deswegen nicht automatisch ein schlechter Insolvenzverwalter, wenngleich oftmals hier das Ergebnis von allen Beteiligten oder dem breiten Publikum als minderwertig wahrgenommen wird, auch wenn es inhaltlich mit höheren qualitativen Anforderungen verbunden war. Da jede Betriebsfortführung, aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, als Ein- 46 zelfall betrachtet werden muss und hier grundsätzlich keine objektiv messbaren Erfolgskriterien angelegt werden können, kann hier aus der Erfüllung objektiver Kriterien wie der Inhaberschaft eines Zertifikats, die zudem lediglich meist Abläufe und nicht Inhalte erfassen, noch kein Rückschluss auf die jeweilige Eignung bzw. die qualitative Abwicklung des einzelnen Fortführungsfalles gezogen werden, da die hierfür u. a. sehr ausschlaggebenden persönlichen Qualitäten des Insolvenzverwalters objektiv nicht messbar sind. V.

ESUG

1.

Allgemeines

Gemäß dem durch das ESUG per 1.3.2012 eingeführten § 56a InsO besteht nun die Mög- 47 lichkeit, dass die Gläubiger „ihren“ Insolvenzverwalter selbst bestimmen können. Das früher bei der Bestellung alleinherrschende Insolvenzgericht ist hier nunmehr stark bzw. vollständig eingeschränkt, wenn eine entsprechend professionelle Vorbereitung dieses Punktes erfolgt ist. ___________ 29) Uhlenbruck-Kommission, Zusammenfassung der Empfehlungen der Uhlenbruck-Kommission, NZI 2007, 507; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 32.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

48 Bis zu diesem Zeitpunkt war, um im obigen Bild zu bleiben, den Gläubigern vielfach bekannt, dass ein Klavierkonzert stattfindet. Unter dem Programmpunkt Klavierspieler war jedoch immer vermerkt: Überraschung des Veranstalters, die dann oftmals auch für die Gläubiger sehr groß war. Diese haben nun entsprechend hohen Einfluss auf die Verwalterwahl, womit sich auch ein Insolvenzverwalter nunmehr bei den potenziellen Gläubigern bzw. auch den Koordinatoren im Vorfeld, insbesondere Sanierungsberatungen bzw. Sanierungsabteilungen größerer Dienstleistungseinheiten wie Wirtschaftsprüfern etc. präsentieren muss. 49 Hierzu gehört zu der vorerwähnten Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten heutzutage auch eine repräsentative Außendarstellung einschließlich entsprechender Werbe- und Marketingmaßnahmen. Auch hier haben in den letzten zehn bis zwanzig Jahren starke Umwälzungen stattgefunden, was sich an den Darstellungen vieler Büros durch Erarbeitung einer corporate identity, den Bezug repräsentativer Büroflächen oder eben auch der Entwicklung der Printmedien und auch in den letzten Jahren der zeitgemäßen Internet-Medien und der Selbstdarstellung auf vielfach von Profis ausgefeilten Internetpräsentationen ablesen lässt. 50 Die Abdeckung dieser Bereiche ist erforderlich, um auch in Zeiten des ESUG für die nun zum Teil bezüglich der Bestellung des Verwalters relevanten Beteiligten präsent zu sein. 2.

Bisherige Entwicklung unter dem ESUG

51 Einer relativ aktuellen Statistik der STP GmbH30) ist zu entnehmen, dass in den ersten drei Jahren der Gültigkeit des ESUG bei insgesamt über 29 000 Insolvenzverfahren von Kapital- und Personengesellschaften lediglich 732 Verfahren über die Instrumente der §§ 270a sowie 270b InsO eingeleitet worden, was nicht einmal 2,5 % entspricht. 52 Dieser eigentlich marginale Anteil an ESUG-Verfahren erlangt jedoch trotzdem besondere Bedeutung, da insbesondere bei den sog. „großen“ Verfahren nahezu 50 % der Verfahren über die §§ 270a oder 270b InsO eingeleitet worden sind. 53 So erfuhr das ESUG auch in den letzten beiden Jahren erhebliche Kritik; insbesondere werden Zweifel gehegt, ob das ESUG tatsächlich zu der angestrebten höheren Insolvenzkultur geführt hat.31) 54 Der Deutsche Bundestag hat bereits bei Verabschiedung des ESUG im Oktober 2011 die Evaluierung der beschlossenen Änderungen ab März 2017 sowie eine entsprechende Berichterstattung der Bundesregierung gefordert,32) die mit Spannung erwartet werden darf. 55 Das ESUG hat im Hinblick auf die hier gegenständliche Thematik des Insolvenzverwalters als Unternehmer in Verfahren dieser Art zu erheblichen Änderungen geführt. Als Sachwalter i. R. der Eigenverwaltung stehen diesem keinerlei Verfügungsbefugnisse, sondern lediglich Überwachungsaufgaben zu, die Parallelen im Wirtschaftsleben am ehesten in der Position des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft finden, der gegenüber dem Vorstand nicht weisungsbefugt ist, gleichwohl jedoch umfangreiche Kontrollpflichten hat als auch für die Erfüllung seiner Pflichten entsprechend umfangreich haftet. 56 Die dem klassischen Insolvenzverfahren innenwohnende Position des Insolvenzverwalters als Regenten sieht das ESUG nicht mehr vor; sollte der in Aussicht genommene schwache Regent im Vorfeld andeuten, den Schlüssel zur Schatztruhe übernehmen zu wollen, wie ___________ 30) http://insolvenzblog.de/3-jahre-esug-statistik/2015/03/11/ (Abrufdatum: 4.2.2016). 31) Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 4/2012, § 270 Rz. 194; Ehlers, ZInsO 2015, 1417 f.; Thole, ZIP 2013, 1937, 1944; Gravenbrucher Kreis, ZIP 2015, 2159 ff. 32) Bericht des Rechtsausschusses zum ESUG, 2011 v. 26.10.2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 5 Abschn. II (Entschließungsantrag); Deutscher Bundestag, Beschluss v. 27.10.2011, Plenarprotokoll 17/136, S. 16173.

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Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil

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ihm dies in § 275 Abs. 2 InsO eingeräumt wird, führt dies im Ergebnis faktisch meist dazu, dass der Kandidat aus dem Kreis der eventuell zu Ernennenden ausgeschlossen wird. Unabhängig davon, ob das Instrumentarium des ESUG nun die Gläubigerautonomie wie 57 ursprünglich angedacht verstärkt hat oder tatsächlich das Verfahren eher den Schuldnern und deren Beratern zur Sanierung in Eigenregie nahezu ohne Einfluss des Sachwalters verhilft, ist im Ergebnis festzustellen, dass es in ESUG-Verfahren zu einer deutlichen Schwächung des vom Gesetzgeber vorgesehenen Überwachungsorgans im Vergleich zum klassischen Insolvenzverwalter gekommen ist. Als Unternehmer im eigentlichen Sinne, wie dies im klassischen Insolvenzverfahren der 58 Fall ist, kann der Sachwalter im ESUG-Verfahren nicht gesehen werden. VI.

Zusammenfassung/Ausblick

Neben der Beherrschung der relevanten, sämtlicher ein Insolvenzverfahren berührender 59 Rechtsgebiete und betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten, sind insbesondere Softskills in der Person des Insolvenzverwalters erforderlich, mit denen er in der Lage ist, die oftmals widerstreitenden Interessen der Beteiligten zu einen, und durch Kommunikation und diplomatisches Geschick das angestrebte Verfahrensziel zu erreichen. Hierbei muss es dem Insolvenzverwalter insbesondere gelingen, sich innerhalb kürzester Zeit das Vertrauen der Beteiligten zu erarbeiten, um erfolgreich den der InsO innewohnenden Grundgedanken der Sanierung und Betriebsfortführung unter enormem Zeitdruck umsetzen zu können. Diese Erfordernisse sind jedoch nur eingeschränkt normierbar. Deren Auswirkungen 60 auf das Verfahrensergebnis sind zwar von entscheidender Bedeutung, jedoch im Hinblick auf das Verfahrensergebnis leider schwer messbar. Durch die Einführung des ESUG ist es bereits zu einer erheblichen Schwächung der alten 61 Position des Insolvenzverwalters gekommen, der als Sachwalter lediglich noch Überwachungspflichten zu erfüllen hat. Weiteren, befürchteten Wettbewerbsverschärfungen zumindest vorläufig entgangen sind 62 die Insolvenzverwalter durch die Entscheidung des BVerfG vom 12.1.2016:33) Das BVerfG hatte diese von einer Rechtsanwalts GmbH eingelegte Verfassungsbeschwerde bezüglich ihrer Zulassung zur Insolvenzverwaltung abgewiesen und entschieden, dass der Ausschluss juristischer Personen vom Amt des Insolvenzverwalters verfassungsgemäß ist. Von der Insolvenzverwalterschaft war hier im Falle einer gegenteiligen Entscheidung befürchtet worden, dass vor allem in den größeren und lukrativeren Verfahren mit dem Eintritt weiterer Markteilnehmer insbesondere aus dem angloamerikanischen Bereich zu rechnen gewesen wäre. Ob hier eventuell auf internationaler Ebene noch anderweitige Entscheidungen ergehen werden, bleibt abzuwarten. Ebenfalls Ungemach droht dem klassischen Insolvenzverwalter aufgrund des am 30.9.2015 63 von der Europäischen Kommission vorgelegten Aktionsplans zur Schaffung einer Kapitalmarktunion.34) Angestrebt wird hier eine Harmonisierung des Insolvenzrechts der EUStaaten dahingehend, dass eine frühzeitige Restrukturierung tragfähiger Unternehmen u. a. durch die Einführung eines verwalterlosen vorinsolvenzrechtlichen Sanierungsverfahrens ermöglicht werden soll, bei dem vermutlich eine dem Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter ähnliche Position nicht mehr vorgesehen sein wird. ___________ 33) BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, ZIP 2016, 321 m. Anm. Römermann. 34) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion v. 30.9.2015, COM(2015) 468 final, dort 6.2, abrufbar unter http://ec.europa.eu/finance/capital-marketsunion/docs/building-cmu-action-plan_de.pdf (Abrufdatum: 4.2.2016).

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

64 Der sich in den letzten fünf bis zehn Jahren abzeichnende Wandel auch im Bereich der Gesetzgebung führt also insbesondere dazu, dass der Insolvenzverwalter als Unternehmer im Insolvenzverfahren selbst immer weniger relevant sein wird, da vermutlich größere Unternehmensrestrukturierungen künftig außerhalb eines klassischen Insolvenzverfahrens, bei dem der Insolvenzverwalter als Unternehmer gefordert ist, durchgeführt werden. Der Insolvenzverwalter ist künftig vielmehr in der Rolle als eigener Unternehmer gefordert, um sich hier dem Wandel der Märkte anzupassen und sich auch künftig in den maßgeblichen Restrukturierungsprozessen eine Position zu sichern.

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§5 Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung Übersicht I.

Einführung in die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung........ 1 1. Entstehungsgeschichte ................................ 1 2. GOI: Verpflichtender Qualitätsstandard im VID ................................................. 7 II. Überblick über die Regelungen der GOI ............................................................ 11 1. Gliederungsübersicht ................................. 11 2. Die wichtigsten Grundaussagen einzelner Regelungen ...................................... 12 2.1 Geltungsbereich .............................. 12 2.2 Allgemeine Anforderungen an den Verwalter und sein Büro.......... 13 2.3 Regeln zum Verfahrensablauf ........ 21 III. GOI-Regelungen zur Betriebsfortführung und Auslaufproduktion ............ 40 1. Betriebsfortführung ................................... 41

1.1 1.2

2.

Die spezielle GOI-Regelung .......... 41 Weitere einschlägige Qualitätsstandards.......................................... 45 1.2.1 Höchstpersönlichkeit ..................... 46 1.2.2 Externe Dienstleistung ................... 49 1.2.3 Compliance ..................................... 51 1.2.4 Verfahrensannahme und Kontaktaufnahme ......................................... 52 1.2.5 Transparenz und Kommunikation gegenüber Beteiligten ..................... 53 1.2.6 Behandlung von Masseverbindlichkeiten ......................................... 56 1.2.7 Rechnungswesen und Abschlüsse....................................... 57 1.2.8 Eigenverwaltung und Insolvenzplan .................................................. 60 Regelung zur Auslaufproduktion.............. 63

Literatur: Ahrendt, Qualität in der Insolvenzverwaltung, InsVZ 2010, 363; Dettmer, Neue Qualitätsstandards im VID e. V. – Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung GOI, ZInsO 2013, 170; Römer, QMS und GOI: Chancen und Herausforderungen für die Insolvenzpraxis! Ein Erfahrungsbericht aus Auditoren-, Berater- und Insolvenzverwaltersicht, KSI 2012, 218; Siemon, Die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung des VID – des Guten zu viel!, ZInsO 2013, 666.

I.

Einführung in die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

1.

Entstehungsgeschichte

Die Spiele der Fußball-Bundesliga werden vom Anpfiff bis zum Abpfiff nach den Regeln 1 des Deutschen Fußball-Bundes durchgeführt. Trotzdem hält die samstägliche Sportschau neben Spieltag-Highlights immer auch „schmale Kost“ bereit. Der Einfluss von Spielregeln auf die Güte des Spiels ist offensichtlich begrenzt. Die materiell- und verfahrensrechtlichen Bestimmungen der InsO sind die normierten 2 Spielregeln des Insolvenzverfahrens. Sie enthalten Regelungen zur Verfahrenschronologie und begründen Rechte und Pflichten Verfahrensbeteiligter. Indes zeigt auch hier die Praxis, dass allein eine an den Maßstäben der InsO gemessen regelkonforme Verfahrensabwicklung noch kein Gütesiegel verdient. Seit jeher waren im Kreis der Konkurs- und Insolvenzverwalter unterschiedliche Abwick- 3 lungsmentalitäten erkennbar. Die Gründe dafür sind vielschichtig. So waren bis zur Einführung der InsO im Jahr 1999 noch nicht einmal die Verfahrensziele normiert. Auch die rechtliche Einordung des Konkurs-/Insolvenzverwalters selbst stand im Streit.1) Im Spannungsfeld zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen konnte so ein generell unterschiedliches Aufgabenverständnis bei der Handhabung ein und desselben Abwicklungssachverhalts zu recht unterschiedlichen Sachbehandlungen führen. ___________ 1) Zum Theorienstreit: Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 20 ff.

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§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

4 In jüngerer Zeit ist die Praxis der Insolvenzabwicklung zunehmend in den Fokus der Fachöffentlichkeit, aber auch allgemein der Medien geraten. Gegenstand der Kritik war dabei immer häufiger unzulängliches Verwalterhandeln, das im schlimmsten Fall sogar die Strafbarkeitsschwelle überschritt.2) Es kann dahinstehen, ob diese zunehmende Aufmerksamkeit tatsächlich mit einer Zunahme an schlechter Verwaltung korreliert. Tatsache ist jedenfalls, dass das Ansehen des Berufsstands der Insolvenzverwalter unter dieser Presse zunehmend litt. 5 Zudem wirkten auch weitere äußere Einflüsse in den letzten Jahren maßgeblich auf den Verwalterberuf ein: In der Folge eines Beschlusses des BVerfG vom August 20043) waren die bis dahin in der Praxis üblichen geschlossenen Listen bei den Insolvenzgerichten nach und nach abgeschafft worden. Die Konkurrenzsituation hat sich vor diesem Hintergrund in den letzten Jahren stetig verschärft. Weitere Konkurrenz erwächst dem Berufsstand der Insolvenzverwalter neuerdings durch die Beraterbranche. Hier hat das ESUG mit der Novellierung des Rechts der Eigenverwaltung ein umkämpftes Betätigungsfeld bereitet. 6 Der Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID) hatte diese Entwicklungen auf seiner Frühjahrstagung im Jahr 2010 aufgenommen. Nach eingehender Diskussion hatte die Mitgliederversammlung beschlossen, einen Kodex für gute Insolvenzverwaltung zu erarbeiten, der über die schon damals existierenden (allgemeinen) Berufsgrundsätze des VID hinausgehen sollte. Deshalb wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche die nachfolgend behandelten Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) erarbeitete, die letztendlich auf der Frühjahrstagung des VID am 5.5.2012 verabschiedet wurden. Nach geringfügigen Ergänzungen und formalen Anpassungen gelten derzeit die GOI in der Fassung vom 3.5.2013. 2.

GOI: Verpflichtender Qualitätsstandard im VID

7 Wie sich bereits aus der Präambel ergibt, schaffen die im VID zusammengeschlossenen Insolvenzverwalter mit den GOI, aufbauend auf den gesetzlichen Vorschriften und den bereits 2006 verabschiedeten Berufsgrundsätzen, nunmehr erstmals einen Qualitätsstandard der Berufsausübung. Zwar handelt es sich dabei durchaus um einen Mindeststandard für die Abwicklung von Insolvenzverfahren,4) gleichwohl sind die GOI so konzipiert, dass sie ein aus heutiger Sicht gutes fachliches Niveau der Verwaltertätigkeit („State of the art“) in allen wesentlichen Aufgabenbereichen sicherstellen sollen. Sie sind alles andere als der „Marketinggag“ eines Berufsverbandes. 8 Im Dienste der Sache kam weder eine Orientierung am untersten Abwicklungsniveau noch an etwaigen besonderen Schutzbedürfnissen kleiner (Einzel-)Verwalterbüros in Betracht. Vielmehr verlangte der ausschließliche Qualitätsfokus, bei der Formulierung der GOI einzig die sachlichen Erfordernisse in den Mittelpunkt zu rücken. Bei der Formulierung der Qualitätsstandards wurden deshalb vornehmlich die Erwartungen der (anderen) Verfahrensbeteiligten in den Mittelpunkt gestellt.5) Die GOI sind darauf angelegt, die Abwicklungspraxis durch eine Vielzahl verpflichtender Qualitätsvorgaben zu verbessern, indem insbesondere jeder Insolvenzverwalter aufgerufen ist, seine Abwicklungsprozesse in qualitativer Hinsicht an jene der GOI anzugleichen. ___________ 2) Vgl. bspw. Rspr.- und Literaturnachweise bei Frind in: HambKomm-InsO, § 59 Rz. 6, die nahezu ausschließlich jüngeren Datums sind. 3) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 u. 1086/01, ZIP 2004, 1649 ff. 4) Dettmer, ZInsO 2013, 170. 5) Ahrendt, InsVZ 2010, 363 ff.

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Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

§5

Die GOI sind bereits heute – wenige Jahre nach ihrer Einführung – über die Implementie- 9 rung einer Zertifizierungsverpflichtung faktisch ein gelebter Standard. Über die Satzung des VID wurde die Anerkennung und Einhaltung der GOI für dessen Mitglieder verbindlich normiert. Zudem haben sich die Mitglieder verpflichtet, für ihre Tätigkeit als Insolvenzverwalter ein Qualitätsmanagementsystem zu installieren und dieses durch eine akkreditierte Zertifizierungsstelle nach ISO 9001 in der jeweils aktuellen Fassung zertifizieren zu lassen. Die Einhaltung der GOI ist durch die Zertifizierung nachzuweisen. Maßgeblich sind insoweit alle Verfahren ab dem 1.1.2013.6) Die Einhaltung der GOI wird i. R. der Zertifizierung jährlich anhand einer eigenständig hierfür erarbeiteten Prüfungsordnung (GOI PrüfO) überprüft.7) Zertifizierte Verwalter führen das Zertifikat VID-CERT. Wenn mit der verbindlichen Verpflichtung auf Einhaltung der GOI zukünftig eine Auslese, 10 etwa i. R. von Bestellungsentscheidungen, verbunden ist, so ist dies seitens des VID sicherlich beabsichtigt. Die durchaus fordernden, aktivierenden Qualitätsanforderungen der GOI sollen Richtern und Gläubigern gleichermaßen ein maßgebliches Unterscheidungskriterium etwa i. R. von Bestellungsentscheidungen sein.8) Die GOI sollen eben nicht nur schlechte Verwaltung im Bereich des Berufsstands der Insolvenzverwalter erschweren, sie sollen auch Begehrlichkeiten der Beraterbranche9) zurückdrängen, die häufig insbesondere schon den hohen Anforderungen an eine spezialisierte Büroorganisation nicht genügen wird. II.

Überblick über die Regelungen der GOI

1.

Gliederungsübersicht

Die GOI enthalten einführend zunächst Standards zu allgemeinen Anforderungen an den 11 Verwalter und sein Büro. Der Verfahrenschronologie folgend werden im Anschluss Standards typischer Verwaltertätigkeiten gesetzt. Die aktuelle Fassung der GOI ist unter www.VID.de jederzeit abrufbar. Die ebenfalls dort abrufbare GOI PrüfO behandelt den konkreten Prüfungsumfang jedes einzelnen der insgesamt 70 Grundsätze. Aus Platzgründen sowie aus Gründen der Übersichtlichkeit wird nachstehend lediglich die Gliederung wiedergegeben. Präambel I. Geltungsbereich II. Allgemeine Anforderungen an den Verwalter und sein Büro 1. Höchstpersönlichkeit 2. Externe Dienstleister 3. Vertretungsregelungen (Urlaub, Krankheit) 4. Personelle und sachliche Büroausstattung 5. Haftpflichtversicherung 6. Fortbildung 7. Sachbearbeiterfortbildung 8. Compliance 9. Erfolgskontrolle

___________ 6) Zu Einzelheiten s. „I. Erläuterung“ der Prüfungsordnung zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI PrüfO); zum konkreten Nutzen der Zertifizierung: Römer, KSI 2012, 218 ff. 7) Text der Prüfungsordnung (GOI PrüfO) abrufbar unter www.VID.de. 8) Grundsätzlich zustimmend neuerdings Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 19. 9) Auch die Beraterbranche blieb nicht untätig: Im Oktober 2015 hat der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BDU e. V. mit den von seinem „Fachverband Sanierungs- und Insolvenzberatung“ erarbeiteten Grundlagen ordnungsgemäßer Restrukturierung und Sanierung (GoRS) einen Leitfaden für seine Mitglieder vorgelegt.

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§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

III. Regeln zum Verfahrensablauf 1. Annahme des Amtes/Erklärung gegenüber dem Gericht 2. Kontaktaufnahme 3. Sicherungsmaßnahmen 4. Arbeitnehmerfragen 5. Gläubigerausschuss 6. Gutachten 7. Einrichtung von Treuhandkonten 8. Informationen gegenüber Gericht und Verfahrensorganen 9. Gläubigerinformation 10. Regeln für Buchhaltung, zeitnahes Buchen 11. Erstellung von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen 12. Behandlung von Aus- und Absonderungsrechten 13. Behandlung der Masseverbindlichkeiten 14. Betriebsfortführung 15. Auslaufproduktion 16. Vermögensverwertung 17. Unternehmensveräußerung 18. Forderungsprüfung und Tabellenführung 19. Verteilung 20. Verfahrensabschluss 21. Schlussrechnungslegung 22. Eigenverwaltung 23. Insolvenzplan 24. Besonderheiten bei Auslandberührungen 25. Öffentlichkeitsarbeit

2.

Die wichtigsten Grundaussagen einzelner Regelungen

2.1

Geltungsbereich

12 Der Geltungsbereich der GOI umfasst die Tätigkeit als x

Sachverständiger,

x

(vorläufiger) Insolvenzverwalter,

x

Sonderinsolvenzverwalter,

x

(vorläufiger) Sachwalter und

x

Treuhänder.

2.2

Allgemeine Anforderungen an den Verwalter und sein Büro

13 Die GOI unterstreichen die höchstpersönliche Natur des Verwalteramts. Danach ist das Kriterium persönlicher Aufgabenwahrnehmung nicht erfüllt, wenn der Verwalter sich nur formal zum Insolvenzverwalter bestellen lässt, die Abwicklung aber umfassend anderen Personen überlässt. Die grundlegenden, verfahrensleitenden Entscheidungen muss der Verwalter immer selbst treffen. Gleichzeitig wird der Einsatz von Mitarbeitern für eine effiziente Verfahrensabwicklung allerdings als unverzichtbar anerkannt. 14 Die für den Zertifizierer maßgebliche PrüfO geht zur Sicherstellung der Höchstpersönlichkeit von Regelungen im Qualitätsmanagementsystem aus, die sicherstellen, dass ggf. eingesetzte Mitarbeiter dem Verwalter alle Sachverhalte vorlegen, die einer grundsätzlich verfahrensleitenden Entscheidung bedürfen.

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Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

§5

Die Regelung zu externen Dienstleistern zielt durch Erstellung einer Positivliste u. a. dar- 15 auf ab, die sog. „Kofferraumverwaltung“ zu bekämpfen, die sich durch die regelmäßige Beauftragung externer Dienstleister zur Bewerkstelligung ureigener Verwalteraufgaben, z. B. Insolvenzbuchhaltung, Tabellenführung oder Erstellung von Schlussrechnungen, auszeichnet. Aus Transparenzgründen sollen im Übrigen alle Beauftragungen stets dem Insolvenzgericht in geeigneter Weise angezeigt werden. Bei der Büroausstattung verlangen die GOI in personeller Hinsicht den Einsatz qualifi- 16 zierten Personals für alle relevanten Bereiche der Insolvenzverwaltung, namentlich für die Personalsachbearbeitung, die Lohn- und Finanzbuchhaltung, das Vertragswesen und die Verwaltung der Dauerschuldverhältnisse, die Behandlung der Aus- und Absonderungsansprüche, die Tabellenführung, das Forderungsmanagement, die Qualitätssicherung sowie für die Fristenkontrolle und die Terminverwaltung. In sachlicher Hinsicht setzen die GOI den Einsatz einer leistungsfähigen und gerichtskompatiblen elektronischen Datenverarbeitung voraus. Nach den GOI unterhält der Insolvenzverwalter eine seinem Risiko angemessene, auf das 17 spezielle Risiko des Verwalters zugeschnittene Berufshaftpflichtversicherung, wobei ein Mindestversicherungsschutz von 2 Mio. € pro Versicherungsfall und 4 Mio. € Jahreshöchstleistung festgeschrieben ist. Auch ist der Insolvenzverwalter gehalten, seinen Versicherungsschutz ständig zu überprüfen, um einen Nachversicherungsbedarf jederzeit erkennen zu können. In deutlicher Abweichung von den Vorschriften der Fachanwaltsordnung (FAO) regeln 18 die GOI einen Fortbildungsumfang von mindestens 30 Stunden im Jahr, wobei allerdings Autoren- und Vortragstätigkeiten anrechenbar sind. Auch sorgt der Insolvenzverwalter für eine regelmäßige Aus- und Fortbildung der eingesetzten Sacharbeiter. Nach den GOI garantiert er, dass mindestens ein „Mann-Tag“ pro Sachbearbeiter und pro Jahr für Aus- und Fortbildungskurse aufgewandt wird. Im Rahmen der Compliance hat der Verwalter nach den GOI durch schriftliche Arbeits- 19 anweisung oder entsprechende arbeitsvertragliche Vereinbarungen sicherzustellen, dass auch seine Mitarbeiter Kontrahierungs-, Erwerbs- und Nutzungsverbote beachten, welche der Verwalter bereits gemäß § 8 der Berufsgrundsätze des VID zu beachten hat. Insbesondere Vorschläge des BRAK-InsO aufnehmend, sehen die GOI auch erstmals 20 verpflichtend eine Erfolgskontrolle vor, welche allerdings zunächst als rein interne Erfolgskontrolle ausgestaltet ist. Danach prüft der Verwalter einmal jährlich die Ergebnisse abgeschlossener Verfahren unter Bildung geeigneter Bezugs- und Referenzwerte nach bestimmten Kriterien, bspw. Eröffnungsquote, durchschnittliche Verfahrensdauer, Massemehrung durch insolvenzspezifische Ansprüche etc. Eine externe Erfolgskontrolle, bspw. durch Abgleich der Daten verschiedener Verwalter, ist angesichts der fast unüberschaubaren Vielzahl an verfahrens- und verwalterbezogenen Besonderheiten nach heutigem Stand nicht seriös möglich.10) Eine wissenschaftlich anerkannte vergleichende externe Erfolgskontrolle gibt es bisher nicht. Die GOI möchten deshalb – begleitend zu den neuen Vorgaben des Insolvenzstatistikgesetztes – zunächst einmal einen eigenen Datenbestand schaffen, der intern durch Datenabgleiche durchaus schon in einem überschaubaren Zeitraum Verbesserungspotenzial aufdecken kann.

___________ 10) Vgl. dazu auch Ahrendt, InsVZ 2010, 363 ff.

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§5 2.3

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung Regeln zum Verfahrensablauf

21 Nach den Regeln zum Verfahrensablauf darf der Insolvenzverwalter sein Amt nur annehmen, wenn er nach seiner aktuellen Belastung, der Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeiter und der vorhandenen Infrastruktur in der Lage ist, den Anforderungen des konkreten Verfahrens zu genügen. 22 Für die Umsetzung angeordneter Sicherungsmaßnahmen setzen die GOI in bestimmten Bereichen konkrete Standards: So soll die Inventur des beweglichen Anlage- und Vorratsvermögens (lieferantenbezogen) an allen relevanten Standorten durch hierfür qualifiziertes Personal oder Sachverständige erfolgen. Bei Bauinsolvenzen hat eine Sicherung der Baustelle und die Erfassung der Bautenstände zu erfolgen. Zudem sind die Bauvertragsunterlagen einschließlich Korrespondenz sowie die Avalunterlagen (insbesondere Subunternehmer-Avale) sicherzustellen. 23 Im Bereich des Arbeitnehmersektors sehen die GOI ganz konkrete Kommunikationspflichten des Verwalters vor. In einer Betriebsversammlung sind die Arbeitnehmer regelmäßig unmittelbar nach Insolvenzantragstellung über den generellen Verfahrensablauf, die Situation des Unternehmens und die geplanten Maßnahmen und insbesondere über ihre Rechte zu informieren. Auch sind konkrete Maßnahmen des Verwalters vorgesehen, die gerade im Interesse der Arbeitnehmer liegen. So hat der Verwalter auf die Insolvenzgeldvorfianzierung hinzuwirken, eine Funktionsfähigkeit der Personalabteilung sicherzustellen und Urlaubs- und Überstundenansprüche der Arbeitnehmer zeitnah zu ermitteln. 24 Da zu einem professionellen Verständnis von Insolvenzverwaltung die möglichst frühzeitige und intensive Einbindung der Gläubiger in alle Entscheidungen und Maßnahmen des Verwalters gehört, regt der (vorläufige) Insolvenzverwalter, wenn Entscheidungen von besonderer Bedeutung zu treffen sind und soweit dies für den Einzelfall zweckmäßig und angemessen erscheint, die Einsetzung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses an. Nach der Intention der GOI soll § 22a Abs. 3 InsO aus Sicht des Verwalters eher restriktiv ausgelegt werden. 25 Zu Form und Inhalt des Insolvenzgutachtens setzen die GOI konkrete Mindeststandards. So soll sich etwa die Darstellung des Aktivvermögens an der Gliederung des § 266 Abs. 2 HGB orientieren und jeweils auch die an den Vermögensgegenständen bestehenden Fremdrechte benennen. Zudem ist stets auf die insolvenzspezifischen Ansprüche (z. B. Anfechtung, Haftungsansprüche gegen Organe und Gesellschafter) einzugehen. 26 Zur Einrichtung von Treuhandkonten regeln die GOI das Verbot von Sammelkonten. Sofern in einem Verfahren gesonderte Treuhandkonten genutzt werden (z. B. Projekt-, Sonderkonten), hat der Verwalter diese Konten unabhängig von der rechtlichen bzw. wirtschaftlichen Zuordnung vollständig, umfassend und transparent gegenüber dem Insolvenzgericht abzurechnen. Gleiches gilt nach den GOI, wenn der Insolvenzverwalter Dritte als Treuhänder beauftragt. Die rechtliche Gestaltung ist in diesem Fall zu dokumentieren. 27 Ausführlich regeln die GOI auch den Informationsumfang gegenüber Gericht und Verfahrensorganen sowie die Gläubigerinformation. Letztere wird verpflichtend über ein elektronisches passwortgeschütztes Gläubigerinformationssystem gewährleistet. 28 Ambitioniert sind die Regeln für Buchhaltung und das zeitnahe Buchen. Danach soll die insolvenzrechtliche Rechnungslegung mittels eines Systems, das Radierbuchungen ausschließt, erfolgen. In ab dem 1.1.2013 eröffneten Verfahren muss ein Insolvenzverwalter die Standardkontenrahmen InsO-SKR 04 oder InsO-SKR 03 verwenden. Zahlungswirksame Geschäftsvorfälle auf den Treuhandkonten sind regelmäßig innerhalb von zehn Arbeitstagen buchhalterisch zu verarbeiten. Wenngleich der Beginn dieser Zehn-Tages-Frist

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§5

nach den Erwägungen der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung der GOI erst am 4. Tag ab dem Datum des Auszugs zu rechnen ist, so zwingt gerade diese Anforderung die meisten Verwalterbüros doch zu erheblichen Anpassungsanstrengungen. Die GOI enthalten weiterhin Mindeststandards bei der Behandlung von Aus- und Ab- 29 sonderungsrechten und Masseverbindlichkeiten. Hier geht es insbesondere um die Wahrung der Rechte der Aus- und Absonderungsgläubiger und der Massegläubiger. Der Verwalter muss i. R. seiner Verfahrensführung Sorge dafür tragen, dass die Rechte dieser Gläubiger – etwa auch durch Anträge nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO oder gerichtliche Einzelermächtigung – erhalten bleiben. Diesem Ziel dient auch die oben beschriebene Regelung bei den Sicherungsmaßnahmen, lieferantenbezogen zu inventarisieren. Beauftragt der Insolvenzverwalter für die Be- und/oder Verwertung des Anlage- und 30 Umlaufvermögens einen Dritten, so muss dieser (wie auch der Verwalter selbst) grundsätzlich zertifiziert sein, eine ausreichende Haftpflichtversicherung nachweisen und die Verwertungserlöse für jedes einzelne Verfahren auf gesonderten Treuhandkonten vereinnahmen. Im Bereich der Unternehmensveräußerung gehen die GOI von einer aktiven Suche nach 31 Kaufinteressenten aus. Der Verwalter hat vorhandene Interessenten kurzfristig zu kontaktieren. Auch soll der Verwalter selbst oder über einen geeigneten Dienstleister die jeweiligen Voraussetzungen für einen strukturierten M&A–Prozess schaffen. Zur optimalen Gestaltung des Veräußerungsprozesses sehen die GOI weitere konkrete Vorgaben vor. Begleitend soll der Verwalter aktiv notwendige Restrukturierungsmaßnahmen als Voraussetzung einer optimalen Veräußerung ergreifen. Im Bereich der Tabellenführung gehen die GOI davon aus, dass der Verwalter zum Prü- 32 fungstermin die eingegangenen Forderungsanmeldungen regelmäßig materiell geprüft hat. Vorläufiges Bestreiten soll vermieden werden. Die Forderungsprüfung soll laufend fortgesetzt werden. Wie sich aus der aktivierenden Intention der GOI ergibt, soll von Abschlagsverteilungen 33 frühzeitig Gebrauch gemacht werden. Die „Kann“-Bestimmung des § 187 Abs. 2 Satz 1 InsO soll von den Verwaltern als eine „Soll“-Bestimmung verstanden werden. Konsequenterweise fordern die GOI auch den frühestmöglichen Verfahrensabschluss, 34 ggf. unter dem Vorbehalt der Nachtragsverteilung. Nach den Erwägungen der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung der GOI sollte aus den Zwischenberichten des Insolvenzverwalters idealerweise stets hervorgehen, wann der Verwalter mit dem Verfahrensabschluss rechne und von welchen Arbeitsschritten der Abschluss abhängig sei. Demgegenüber äußert sich die letztendlich verabschiedete GOI PrüfO zu entsprechenden inhaltlichen Anforderungen an die Zwischenberichte allerdings nicht. Für die Schlussrechnungslegung halten die GOI das Erfordernis fest, an die Vermögens- 35 übersicht (§ 153 InsO) anzuknüpfen. Die anschließende Vermögensentwicklung ist unter Bezugnahme auf die Zwischenberichte umfassend und detailliert darzustellen. Die Transparenz und Nachvollziehbarkeit für die Verfahrensbeteiligten soll so erhöht werden. Die GOI sahen in ihrer Ursprungsfassung zunächst lediglich eine „konstruktive Beglei- 36 tung der Eigenverwaltung durch den Verwalter“ vor. Herausgestellt wurde zudem schon anfänglich, dass der Verwalter für das Amt des (vorläufigen) Sachwalters als objektiver und unabhängiger Vertreter der Gläubigerinteressen zur Verfügung stehe. Die sehr kurz gehaltene Ursprungsformulierung stammte aus einer Zeit, als noch keine praktischen Erfahrungen mit den Verfahren nach den §§ 270a, 270b InsO vorlagen. Der Ausschuss Sanierung, Insolvenzplan und Eigenverwaltung im VID hatte später ergänzende Formulierungsvorschläge unterbreitet, welche nach Abstimmung mit der GOI-Arbeitsgruppe und

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§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

einer Beschlussfassung durch die Mitgliederversammlung im Mai 2013 in Kraft traten. Im Hinblick auf die für die Unabhängigkeit des Verwalters streitende Transparenz11) sind nach der überarbeiteten Regelung nunmehr Kontakte des (vorläufigen) Sachwalters mit Beteiligten vor Beauftragung stets offenbarungspflichtig. Zudem ist es dem (vorläufigen) Sachwalter verboten, vor seiner Beauftragung Verpflichtungen oder Zusagen im Hinblick auf die spätere Amtsausübung zu machen. Zudem enthält die Eigenverwaltungsregelung nunmehr ein auf die Interessen des eigenverwaltenden Schuldners bezogenes Rücksichtnahmegebot. Schließlich wird der Umfang der i. R. einer Betriebsfortführung seitens des (vorläufigen) Sachwalters einzuholenden Informationen definiert, was eine sachgerechte Ausübung des Sachwalteramtes gewährleisten soll. 37 Für den Insolvenzplan normieren die GOI die Verpflichtung des Verwalters zu prüfen, ob sich durch einen Plan die Verfahrensergebnisse gegenüber einer Regelabwicklung verbessern lassen. Insoweit besteht eine Äußerungspflicht im Bericht zur Gläubigerversammlung. 38 Soweit Verfahren Auslandsbezug aufweisen, muss der Verwalter gewährleisten, dass er oder die von ihm in den jeweiligen Verfahren eingesetzten Sachbearbeiter über ausreichende Kenntnisse des internationalen Insolvenzrechts und über entsprechende Sprachkenntnisse, zumindest aber verhandlungssicheres Business-English verfügen. Auch muss sichergestellt sein, dass der Verwalter rechtliche Problemstellungen in fremder Jurisdiktion prüfen und Lösungen erarbeiten kann. 39 Die GOI betonen abschließend die Notwendigkeit, eine die Verfahrensziele fördernde aktive, professionelle Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. III.

GOI-Regelungen zur Betriebsfortführung und Auslaufproduktion

40 Eingebettet in die Regeln zum Verfahrensablauf enthalten die GOI zwei spezielle Regelungen, die sich mit der Fortführung und Einstellung des schuldnerischen Geschäftsbetriebs befassen. III. 14. Betriebsfortführung a) In jedem Verfahren sind alle Möglichkeiten der Betriebsfortführung zwecks Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze auszuschöpfen (Grundsatz Nr. 56 GOI PrüfO). b) Die Betriebsfortführung erfordert eine zeitnahe Liquiditätsplanung in Anlehnung an den IDWStandard. Die Einhaltung der Planung wird in regelmäßigen Abständen durch einen Soll-/IstVergleich überprüft (Grundsatz Nr. 57 GOI PrüfO). III. 15. Auslaufproduktion Der Insolvenzverwalter erstellt in Fällen, in denen ein dauerhafter Erhalt des Unternehmens nicht möglich ist, für den Auslaufzeitraum ausreichende Planungen in den Bereichen Personal, Liquidität und Produktion in Abhängigkeit realistischer Auftragsvolumina. Der Insolvenzverwalter sorgt für die notwendige Kommunikation – insbesondere mit den beschäftigten Arbeitnehmern – über die Besonderheiten, den Ablauf und die Folgen einer Auslaufproduktion. Während der auslaufenden Beschäftigungsverhältnisse macht der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmern in geeigneten Fällen die jeweiligen Förderungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten zugänglich (Grundsatz Nr. 58 PrüfO).

1.

Betriebsfortführung

1.1

Die spezielle GOI-Regelung

41 Wie oben bereits deutlich wurde, haben die GOI im Hinblick auf den Verwalter eine fordernde, aktivierende Intention. Dies zeigt sich auch bei der Betriebsfortführung. Der Verwalter soll – durch Schaffung entsprechender Standardprozesse – alle Möglichkeiten der ___________ 11) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270a Rz. 27.

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Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

§5

Betriebsfortführung ausschöpfen, die dem Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze dienen könnten. Die GOI-Arbeitsgruppe hatte den Diskussionsstand, der für die Formulierung der jeweiligen GOI-Regelungen maßgeblich war, als „Motive/Erläuterungen“ festgehalten. Danach setzt das Ausschöpfen aller Möglichkeiten einer Betriebsfortführung in einem ersten Schritt voraus, die Fortführungsfähigkeit positiv festzustellen. Vorab ist zu klären:

42

x

Stehen der Fortführung schutzrechtliche Aspekte entgegen, z. B. fehlende Patente, Lizenzen?

x

Sind die schuldnerischen Produkte aus irgendwelchen Gründen nicht mehr absetzbar?

x

Stehen die erforderlichen Mitarbeiter, insbesondere eventuelle Know-how-Träger zur Verfügung oder sind diese bereits „auf dem Sprung“?

x

Stehen die bisherigen Betriebswege, etwa Vertreter etc., noch zur Verfügung und besteht weitere Abnahmebereitschaft der Kunden, Stichwort: Delisting?

x

Können die erforderlichen Vormaterialien noch bezogen werden oder verweigern eventuelle (Key-)Lieferanten die weitere Belieferung?

x

Bestehen sonstige unternehmens- oder marktbedingte Besonderheiten?

Ergeben die vorbezeichneten grundsätzlichen Überlegungen zur Fortführungsfähigkeit 43 einen positiven Befund, so hat der Verwalter in einem zweiten Schritt eine realistische Planrechnung unter Berücksichtigung der liquiditätswirksamen Zu- und Abflüsse aufzustellen. Nach den Motiven/Erläuterungen der GOI-Arbeitsgruppe entspricht die Planrechnung ihrer Form nach einer in die Zukunft gerichteten GuV mit der Maßgabe der Aufzeichnung der liquiditätswirksamen Einnahmen und Ausgaben. Hieraus muss sodann ein eventueller Kreditbedarf wegen des zeitlichen Auseinanderfallens zwischen Ausgabenerfordernis und Einnahmezufluss zu ersehen sein. Die Besonderheit der Implementierung der GOI in das Qualitätsmanagementsystem der 44 Verwalterkanzleien besteht angesichts des vorbezeichneten Regelungsinhalts weniger in einer Verschärfung der ohnehin hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH an die Liquiditätsplanung gestellt hat. Vielmehr führt die mit der Implementierungsverpflichtung verbundene Zertifizierungspflicht in den Verwalterbüros dazu, dass die geforderte Liquiditätsplanung auch tatsächlich zeitnah erstellt wird und körperlich vorliegen muss. Denn die PrüfO zur GOI sieht für den Fall der Betriebsfortführung die Vorlage der entsprechenden Liquiditätsplanungen vor (GOI PrüfO Nr. 57, 58). Der Wert der GOI liegt damit in der Beseitigung eines (vermeintlichen) Vollzugsdefizits. 1.2

Weitere einschlägige Qualitätsstandards

Oben wurden bereits die wichtigsten Grundaussagen der einzelnen GOI-Regelungen in 45 allgemeiner Form behandelt. Nahezu jeder in den GOI geregelte Standard hat schon bei Betriebsfortführungen kleineren Zuschnitts seinen Anwendungsbereich. Auf die besonders fortführungsrelevanten Standards soll nachstehend eingegangen werden. 1.2.1 Höchstpersönlichkeit Wie vorstehend bereits ausgeführt wurde, unterstreichen die GOI die höchstpersönliche 46 Natur des Verwalteramts. Lässt sich der Verwalter nur formal zum Insolvenzverwalter bestellen, so ist das Kriterium persönlicher Aufgabenwahrnehmung nicht erfüllt. Nach den GOI sollen folgende Tätigkeiten deshalb regelmäßig höchstpersönlich ausgeführt werden: x

Grundlegende, verfahrensleitende Entscheidungen;

x

Terminwahrnehmung beim Insolvenzgericht; Runkel/Fliegner

85

§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

x

Teilnahme an Gläubigerausschusssitzungen;

x

Informationserteilung zumindest in der ersten Betriebsversammlung;

x

grundlegende Verhandlungen mit Übernahmeinteressenten;

x

interne und externe Verfahrensleitung.

47 Fraglos kann ein Verwalter, der pro Jahr 50 oder sogar 100 neue Verfahren annimmt, die übernommenen Aufgaben nur durch erhebliche Delegation erfüllen. Er wird nur in der Lage sein, einen kleinen Teil der Arbeit höchstpersönlich zu erledigen. Unabhängig von der Arbeitsbelastung ist allerdings unabdingbar, dass der Verwalter die das Verfahren prägenden Entscheidungen stets selbst trifft und auch die insoweit wesentlichen Termine selbst wahrnimmt. Dies soll „regelmäßig“ der Fall sein. Vertretungen sind nach der PrüfO zur GOI zwar zulässig. Sie sind aber sachlich zu begründen und zu dokumentieren. Gerechtfertigt ist eine Vertretung insbesondere bei Krankheit, Urlaub und Doppelterminierung. Auch der Einsatz eines jüngeren Kollegen zum Zwecke der Ausbildung wird von der PrüfO akzeptiert. 48 Regelmäßig wird die höchstpersönliche Aufgabenwahrnehmung im ureigenen Interesse des Verwalters liegen. Dies gilt schon aus Marketinggründen für die Teilnahme an einer Gläubigerausschusssitzung und die Terminwahrnehmung beim Insolvenzgericht. Es gilt aber auch für die Betriebsversammlung und Übernahmeverhandlungen, wo der Verwalter für sich regelmäßig eine größere Überzeugungskraft in Anspruch nehmen kann. 1.2.2 Externe Dienstleistung 49 Die GOI definieren Bereiche, in denen sich der Insolvenzverwalter externer Dienstleister auf Kosten der Masse bedienen kann. Dies sind: x

Inventarisierung sowie die Be- und Verwertung von Wirtschaftsgütern;

x

Unterstützung bei der Suche nach Investoren zur Vorbereitung der übertragenden Sanierung eines insolventen Unternehmens durch M&A-Berater;

x

Erstellung der Buchführung sowie von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen;

x

Rechtsberatung und Steuerberatung, soweit es sich um „besondere Aufgaben“ i. S. der InsVV handelt;

x

Be- und Verwertung von Immobilien;

x

Einschaltung von branchen- und insolvenzerfahrenen Zeitmanagern, sofern das vorhandene Management entweder nicht vertrauenswürdig genug oder nicht qualifiziert genug erscheint oder wenn es aus anderen Gründen nicht zur Verfügung steht;

x

bei Bauinsolvenzen die Beauftragung von Fachingenieuren, die zur Sicherung der Bautenstände und zur Sicherung der entsprechenden Werklohnansprüche erforderlich sind.

50 Hier ist auf das Übliche abgestellt worden und dies nicht zuletzt mit Blick auf die InsVV. Die natürliche Bremse für ein totales outsourcen sind die Zuschlagsfaktoren, die jeder Verwalter im eigenen Interesse im Blick haben wird. Zugleich ist umgekehrt festzuhalten, dass der vergütungsneutrale Einsatz hochspezialisierter Unterstützungskräfte zur sachgerechten Verfahrensbearbeitung unabdingbar ist. Insoweit sind die GOI gerade bei Betriebsfortführungen auch einer Argumentationshilfe gegenüber einer hin und wieder noch anzutreffenden, allzu naiven gerichtlichen Sichtweise. Aus Transparenzgründen ist die Beauftragung externer Dienstleister dem Insolvenzgericht im Übrigen anzuzeigen. Nach Auffassung der GOI-Arbeitsgruppe war hier letztlich auch der Rechtsgedanke des § 407a Abs. 2 Satz 2 ZPO zu berücksichtigen.

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Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

§5

1.2.3 Compliance Nach den GOI stellt der Verwalter durch schriftliche Arbeitsanweisungen oder entspre- 51 chende arbeitsvertragliche Vereinbarungen sicher, dass auch seine Mitarbeiter die Kontrahierungs-, Erwerbs- und Nutzungsverbote des § 8 der Berufsgrundsätze des VID beachten. Dadurch soll verhindert werden, dass Mitarbeiter des Verwalterbüros und auch die ihnen nahestehenden Personen während der Dauer des Insolvenzverfahrens eine Beratung oder Vertretung des Schuldners übernehmen. Erst Recht soll verhindert werden, dass Mitarbeiter des Insolvenzverwalters mit Unternehmen, an denen sie persönlich unmittelbar oder mittelbar – etwa über Familienangehörige oder andere Gesellschaften – beteiligt sind, kontrahieren. Mitarbeiter dürfen zudem keine Vergütung für Leistungen annehmen, die i. R. des Insolvenzverfahrens erbracht werden. Hierzu zählen insbesondere von dritter Seite angebotene Provisionen für die Vermittlung von Grundstücken, Gewerbebetrieben etc. Schließlich soll auch verhindert werden, dass Mitarbeiter des Insolvenzverwalters Massegegenstände selbst oder durch Dritte erwerben. Eine solche Compliance-Regelung war längst überfällig, da Zweifel an der Unabhängigkeit des Verwalters auch durch Handlungen seiner Mitarbeiter hervorgerufen werden können. 1.2.4 Verfahrensannahme und Kontaktaufnahme Die Förderung der Transparenz, der Kommunikation und einer an den berechtigten Inte- 52 ressen der Beteiligten orientierten Abwicklung ist ein Leitbild der GOI. Im Falle der Betriebsfortführung haben alle Beteiligten ein besonderes Interesse daran, dass schnell Klarheit über den Verwalter besteht. Manchmal kommt es auf wenige Stunden an, weil unter Umständen dringend Erklärungen gegenüber Arbeitnehmern, Lieferanten, Kunden usw. abgegeben werden müssen. Dem tragen die GOI Rechnung. Nach sofortiger Prüfung der aktuellen Belastung und potenzieller Interessenkollisionen hat der Verwalter „unverzüglich“ zu erklären, ob er das ihm übertragene Amt annimmt. Ebenso „unverzüglich“ hat der Verwalter Kontakt zum Schuldner aufzunehmen. Wie die GOI ausdrücklich festhalten, muss diese Kontaktaufnahme bei einem laufenden Geschäftsbetrieb innerhalb von 24 Stunden vor Ort erfolgen. 1.2.5 Transparenz und Kommunikation gegenüber Beteiligten Die GOI soll dazu beitragen, im wohlverstandenen Eigeninteresse des Berufsstands der 53 Insolvenzverwalter die Transparenz der Verfahrensabwicklung zu erhöhen. Deshalb sehen die GOI – unabhängig von normierten gesetzlichen Verpflichtungen – gesteigerte Kommunikationspflichten des Verwalters vor. So sind die Mitarbeiter in der Regel unmittelbar nach Insolvenzantragstellung auf einer Betriebsversammlung durch den vorläufigen Verwalter über den generellen Verfahrensablauf, die Situation des Unternehmens und die geplanten Maßnahmen sowie ihre Rechte zu informieren. Die Betriebsversammlung soll regelmäßig innerhalb von drei Tagen nach Anordnung der vorläufigen Verwaltung erfolgen. Dabei regeln die GOI sogar im Detail, welche einzelnen Rechte der Arbeitnehmer anzusprechen sind. Auch halten die GOI fest, dass Arbeitnehmer während des Verfahrensablaufs über den Sachstand, geplante Maßnahmen und die Verfahrensoptionen zu informieren sind. Die GOI verlangen den fortlaufend kommunikativen Verwalter. Zum Zwecke der (laufenden) Gläubigerinformation sehen die GOI standardmäßig die 54 Bereitstellung eines elektronischen, passwortgeschützten Gläubigerinformationssystems vor. Der Verwalter hat die Bereitstellung aktueller Informationen zu den Ergebnissen der Forderungsprüfung, zur voraussichtlichen Verfahrensdauer und zur Quote zu gewährleisten. Damit beheben die GOI einen nach wie vor in vielen Kanzleien festzustellenden Missstand: Natürlich müssen Sachstandsanfragen nach der Rechtsprechung des BGH nicht

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§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

beantwortet werden und sind auf den ersten Blick häufig lästig. Auch gibt es sicherlich bei manchen Gläubigern (noch verbreiteter in bestimmten Anwaltsbüros) die Unsitte, unreflektiert in regelmäßigen Abständen bei dem Verwalter nach dem Stand der Sache anzufragen, obwohl Änderungen nicht absehbar sind. Andererseits muss hervorgehoben werden, dass ein Insolvenzverfahren gerade im wirtschaftlichen Interesse der Gläubiger stattfindet. Deshalb wird zwar weiterhin die Bearbeitung von Einzelanfragen nicht beansprucht werden können. Die Bereitstellung der verfahrensspezifischen Informationen über einen Zugangscode (PIN) ist aus Transparenzgründen allerdings geboten und jedem professionellen Büro zumutbar. 55 Gegenüber dem Gericht und den weiteren Verfahrensorganen sehen die GOI im Hinblick auf das Transparenz- und Kommunikationsgebot rechtzeitige, ausführliche und transparente Informationen vor, die die Beteiligten in die Lage versetzen, jederzeit die ihnen gesetzlich zugewiesenen Entscheidungen treffen zu können. 1.2.6 Behandlung von Masseverbindlichkeiten 56 Eine Betriebsfortführung ohne das Vertrauen des geschäftlichen Umfelds ist nicht möglich. Es liegt im ureigenen Interesse des Insolvenzverwalters, gerade jene Gläubiger als besonders schützenswert anzusehen, die durch Leistungen an die Insolvenzmasse eine Fortführung des Betriebs erst ermöglichen. Die GOI sehen deshalb nicht nur eine sorgfältige Liquiditätsplanung vor. Sie verweisen auch auf das Erfordernis, zum Schutz der Gläubiger ggf. gerichtliche Einzelermächtigungen einzuholen. Zusätzlich soll sich der Verwalter bemühen, Zahlungszusagen adäquat abzusichern. Zu denken ist hier bspw. an eine (zulässige) Vereinbarung von Sicherheiten an Neuforderungen. Persönliche Garantieübernahmen eines Verwalters sind mit solchen „ adäquaten Absicherungen“ nicht gemeint. 1.2.7 Rechnungswesen und Abschlüsse 57 Nach den GOI müssen Insolvenzverwalter zukünftig im Interesse der Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit die Standardkontenrahmen InsO-SKR 04 oder InsO-SKR 03 verwenden. Die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchhaltung sind zu beachten und vor allem die in vielen Kanzleien immer noch übliche Methode sog. Radierbuchungen ist zu unterlassen. 58 Weiterhin sind Geschäftsvorfälle auf den Treuhandkonten regelmäßig innerhalb von zehn Arbeitstagen buchhalterisch zu verarbeiten. In der GOI-Arbeitsgruppe war diese Regelung lange diskutiert worden. Die Extrempositionen lagen bei drei Tagen einerseits und jahres- oder quartalsmäßigem Verbuchen andererseits. Selbst bei den abschließenden Formulierungsdiskussionen wurden immer noch Stimmen laut, die Zehn-Tages-Frist sei nicht praxisgerecht. – Richtigerweise ist zu differenzieren: Liegen dem professionell eingerichteten Verwalterbüro alle für die Buchung erforderlichen Belege innerhalb der Frist vor, sollte das Verwalterbüro auch in der Lage sein, die Verbuchungen fristgemäß vorzunehmen. Dabei kommt dem Verwalterbüro schon zu Gute, dass der Beginn der ZehnTages-Frist nach den Motiven/Erläuterungen der GOI-Arbeitsgruppe erst mit dem 4. Tag ab dem Datum des Kontoauszugs beginnt. Wie immer im Leben, kann allerdings Unmögliches nicht verlangt werden. Können Geschäftsvorfälle wegen fehlender Belege nicht verbucht werden, so stellt dies einen Entschuldigungsgrund i. S. der PrüfO dar. Allerdings wird auf eine Dokumentation der jeweiligen Unzulänglichkeiten bei der Belegbeschaffung zu achten sein (GOI PrüfO Nr. 47). 59 Die GOI halten die Pflicht fest, Steuererklärungen und Jahresabschlüsse grundsätzlich auf Kosten der Masse erstellen zu müssen. Hierdurch wird nicht zuletzt die schon zur Haftungsvermeidung gebotene, aber häufig übersehene Geltendmachung von Verlustvorträgen gefördert. Gleichwohl tragen die GOI der schon bisher in der Praxis verbreiteten 88

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Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

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Einsicht Rechnung, dass die Erfüllung der steuerlichen Pflichten nicht zu einem unverhältnismäßigen Verbrauch von Massemitteln führen soll. Die GOI heben daher – auch i. S. des Kommunikationsgebots – den Versuch einer „Verständigung mit der Finanzverwaltung“ hervor. Der Verwalter hat im Interesse optimaler Verfahrensergebnisse (Quoten) ein ganz besonderes Bemühen an den Tag zu legen. 1.2.8 Eigenverwaltung und Insolvenzplan Im Fall der Eigenverwaltung muss der (vorläufige) Sachwalter nach der Neufassung der 60 speziellen GOI-Regelung aus dem Jahr 2013 dafür Sorge tragen, „dass er über die eingegangenen Verbindlichkeiten (III. 13), die Betriebsfortführung (III. 14), die aktuellen Ergebnisrechnungen und Planrechnungen, die Auftragslage, die Ausübung der Wahlrechte nach §§ 103 InsO ff, die Personalentwicklung sowie Kosteneinsparungen und die Vermögensverwertung (III. 16, 17) regelmäßig informiert wird (Grundsatz Nr. 67 GOI PrüfO).“

Damit machen die GOI dem (vorläufigen) Sachwalter ganz konkrete, die Kommunikation 61 zum Schuldnerunternehmen prägende Vorgaben zur Herstellung einer für die Bewältigung seiner Aufgaben (§§ 274, 275 InsO) ausreichenden Informationsgrundlage. Die GOI betonen im Übrigen den Willen zur konstruktiven Begleitung von Eigenverwal- 62 tungen. Ebenso wird die Objektivität und Unabhängigkeit des (vorläufigen) Sachwalters durch Regelungen zur Offenbarungspflicht von Vorkontakten und das Verbot von Vorabsprachen in den Mittelpunkt gestellt. Zudem regeln die GOI bestimmte Kommunikationspflichten, insbesondere bei der Nachteilsfeststellung (§ 274 Abs. 3 InsO) und bei der Übernahme der Kassenführung. 2.

Regelung zur Auslaufproduktion

Kann der Verwalter eine weitere Betriebsfortführung nicht gewährleisten, so sehen die 63 GOI für die dann anstehende Auslaufproduktion eine gesonderte Regelung vor. Unter Auslaufproduktion wird nach den Erwägungen der GOI-Arbeitsgruppe sowohl die ausschließliche Verwendung der vorgefundenen RHBs (ohne Zukäufe) verstanden als auch die bloße Abarbeitung/Fertigstellung einzelner Aufträge. Die Anforderungen an die Einnahme-/Ausgabe-Planung sind nach Auffassung der GOI- 64 Arbeitsgruppe reduziert, da lediglich bestands- oder einzelfallauftragsbezogen geplant werden muss. Auch in diesem Kontext liegt der Wert der GOI letztendlich in der Tatsache, dass die ohne- 65 hin aus Haftungsgründen geforderten zukunftsorientierten Planungen sowie die ihnen zugrunde liegenden Überlegungen auch rein tatsächlich stets und zeitnah dokumentiert werden. Da die Implementierung der GOI mit einer Zertifizierungsverpflichtung verzahnt ist und die PrüfO zur GOI die Vorlage der Planrechnung verlangt, sind entsprechende Dokumentationen bei jedem Audit vorzulegen (GOI PrüfO Nr. 58).

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§6 ESUG: Geänderte Sanierungs- und Fortführungskultur Übersicht I. Allgemeines ................................................. 1 II. Die Lage vor der Gesetzesreform.............. 4 1. Sanierungsmöglichkeiten vor dem ESUG............................................................ 5 1.1 Schattendasein von Eigenverwaltung und Planverfahren............... 6 1.2 Gründe für die Seltenheit von (echten) Sanierungen vor dem ESUG................................................. 9 2. Ziele des Gesetzgebers durch ESUG ........ 12 III. Einführung einer Sanierungs- und Fortführungskultur durch das ESUG .... 13 1. Allgemeines ................................................ 13 2. Steigerung der Attraktivität des Eigenverwaltungsverfahrens...................... 15 3. Steigerung der Attraktivität des Insolvenzplanverfahren.............................. 21 4. Verbesserte Quote in ESUG-Verfahren .... 22 5. ESUG – Der Weg zu einer neuen Sanierungskultur?....................................... 23 5.1 Vermeidung ungeeigneter Anträge auf Eigenverwaltung......... 25 5.2 Anforderungen an den Insolvenzantrag............................... 29

5.3

Anforderungen an die Person des Sachwalters................................ 32 5.4 Stärkung der Position des Sachwalters ..................................... 33 5.4.1 Möglichkeit zum Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung.......... 34 5.4.2 Anordnung von Zustimmungsvorbehalten/Kassenführungsrecht ................................................. 35 5.5 Unklare Gesetzeslage ..................... 37 5.5.1 Begründung von Masseverbindlichkeiten in der vorläufigen Eigenverwaltung.............................. 38 5.5.2 Organhaftung in der Eigenverwaltung ....................................... 41 5.5.3 Umsatzsteuer in der vorläufigen Eigenverwaltung.............................. 43 5.5.4 Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und weitere sanktionsbewehrte öffentlich-rechtliche Forderungen.................................... 44 5.6 Haftung des Bescheinigungserstellers........................................... 47 IV. Fazit ............................................................ 48

Literatur: Bitter/Röder, Insolvenz und Sanierung in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise – Ergebnisse einer Befragung von Unternehmensinsolvenzverwaltern, ZInsO 2009, 1283; The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG, abrufbar unter http://www.bcg.de/documents/file188855.pdf; Buchalik/Kraus, Die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen im Eigenverwaltungseröffnungsverfahren, ZInsO 2014, 2354; Flöther, Die aktuelle Reform des Insolvenzrechts durch das ESUG – Mehr Schein als Sein?, ZIP 2012, 1833; Frind, Umgang mit sanktionsbewehrten öffentlichrechtlichen Forderungen in der vorläufigen Eigenverwaltung, ZInsO 2015, 22; Gravenbrucher Kreis, ESUG: Erfahrungen, Probleme, Änderungsnotwendigkeiten – Thesenpapier, Stand: 10/2015, ZIP 2015, 2159; Haarmeyer, Das ESUG wird von der Praxis angenommen, ZInsO-Newsletter 4/2012, S. 8; Haas, § 64 S. 1 GmbHG im (vorläufigen) Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren, ZHR 2014, 603; Haghani/Bizenberg/Blatz/Seagon, ESUG-Studie 2014/15 – Polarisierung der Meinungen, in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung und Unternehmensinsolvenz – national, international, europäisch, 2015, S. 73; Hunsalzer, Haftung für Sozialversicherungsbeiträge und deren Insolvenzanfechtung im Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO, ZInsO 2014, 1748; Kluth, Auf der Suche nach dem verlorenen Partner – die merkwürdige Unternehmensveräußerung im Insolvenzplan, ZInsO 2002, 1115; K. Schmidt, Organverantwortlichkeit und Sanierung im Insolvenzrecht der Unternehmen, ZIP 1980, 328; Skauradszun/Spahlinger, Die Haftung des Geschäftsführers in der Eigenverwaltung – Meinungsstand, Praxisbeispiele und Handlungsempfehlungen, DB 2015, 2559.

I.

Allgemeines

Bereits vor Inkrafttreten des „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Un- 1 ternehmen“ (ESUG)1) war in Deutschland ein regelrechter Sanierungshype zu verzeichnen, der natürlich nicht zuletzt durch die Einführung des ESUG verstärkt wurde. Bei ___________ 1) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I, 2582.

Flöther/Gelbrich

91

§6

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

zahlreichen Großinsolvenzen wie bspw. der manroland AG, des Anton Schlecker e.K., der Q-Cells AG, der Nürburgring GmbH oder der neckermann.de GmbH hieß es bereits vor dem ESUG: Das Unternehmen wolle sich sanieren – zum Teil sogar im Eigenverwaltungsverfahren. Bekannte Tages- und Wirtschaftszeitungen, aber auch die Fachpresse sprangen auf diese Sanierungswelle auf.2) 2 In der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz zum Inkrafttreten des ESUG vom 29.2.2012 hieß es: „Insgesamt wollen wir durch das neue Gesetz einen Mentalitätswechsel für eine neue ‚Insolvenzkultur‘ in Deutschland einleiten.“ Auf dem Deutschen Insolvenzrechtstag am 22.3.2012 lobte die damalige Bundesministerin der Justiz das von ihr auf den Weg gebrachte ESUG als „Meilenstein in der deutschen Insolvenzgeschichte“. Auch in den Printmedien wurde das neue „Sanierungsgesetz“ frenetisch gefeiert. In dem Newsletter einer insolvenzrechtlichen Fachzeitschrift hieß es: „Deutschland ist auf dem besten Weg zu einer neuen Sanierungskultur“.3) Gleichzeitig wurde das ESUG bereits nach kürzester Zeit als „Erfolgsmodell“ bezeichnet.4) Eine Tageszeitung titelte sogar: „Besser insolvent!“. Eine Überschrift in der FAZ lautete ein wenig zurückhaltender, aber doch vielversprechend: „Neue Regeln gegen die Insolvenz“.5) 3 Doch hat das ESUG die Sanierungskultur in Deutschland tatsächlich nachhaltig verändert? Da die Beantwortung dieser Fragen überwiegend auf subjektiven Eindrücken beruht, ist eine wissenschaftliche Beantwortung dieser Frage äußerst herausfordernd. Dennoch soll im Folgenden nach vier Jahren ESUG ein kurzer Abriss über die ersten Erfahrungen mit dem „Sanierungsgesetz“ dargestellt werden. II.

Die Lage vor der Gesetzesreform

4 Zur systematischen Darstellung der Veränderungen ist zunächst die Darstellung der Lage vor der Gesetzesreform notwendig. 1.

Sanierungsmöglichkeiten vor dem ESUG

5 § 1 Satz 1 der am 1.1.1999 in Kraft getretenen InsO lautet: „Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird.“

Nach dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers bestand somit schon vor dem ESUG die Möglichkeit, ein Unternehmen im Insolvenzverfahren zu sanieren. Auch andere Vorschriften der Insolvenzordnung unterstützten diesen Sanierungsgedanken. So statuierte § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO bereits vor der Gesetzesreform die Fortführungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters, und nach §§ 157, 158 InsO hatten allein die Gläubiger zu entscheiden, ob das Unternehmen des Schuldners stillgelegt oder fortgeführt wird. Auch vor dem ESUG-Zeitalter kannte die Insolvenzordnung das Insolvenzplanverfahren und die Eigenverwaltung als Sanierungsinstrumente. Beide sind dem US-amerikanischen Insolvenzrecht entlehnt. Während das Insolvenzplanverfahren dem chapter-11-Verfahren nachempfunden ist, entspricht das Eigenverwaltungsverfahren überwiegend der debtor-inpossession-Regelung. ___________ 2) 3) 4) 5)

92

Vgl. hierzu ausführlich Flöther, ZIP 2012, 1833. Haarmeyer, ZInsO-Newsletter 4/2012, S. 8. Haarmeyer, ZInsO-Newsletter 4/2012, S. 8. Jahn, Neue Regeln gegen die Insolvenz, FAZ v. 10.4.2012, S. 11.

Flöther/Gelbrich

§6

ESUG: Geänderte Sanierungs- und Fortführungskultur 1.1

Schattendasein von Eigenverwaltung und Planverfahren

Allerdings führten sowohl Eigenverwaltungs- als auch Planverfahren ein Schattendasein. 6 Nur in unter 1 % aller Insolvenzen wurde die Eigenverwaltung angeordnet oder ein Insolvenzplanverfahren durchgeführt (siehe die nachfolgende Übersicht). Die bisher einzigen „echten“ Sanierungsinstrumente der Insolvenzordnung – die Eigenverwaltung und der Insolvenzplan – genossen somit in den ersten 13 Jahren seit ihrer Einführung einen absoluten Exotenstatus. Übersicht: Insolvenzplanverfahren/Eigenverwaltungen zwischen 2005 bis 2009 Jahr

Verfahren

Insolvenzpläne Absolut

Anteil in %

2005

39 213

200

0,51

2006

36 843

206

0,56

2007

29 160

238

0,82

2008

29 291

257

0,81

2009

32 687

302

0,92

Jahr

Verfahren

7

Angeordnete Eigenverwaltungen Absolut

Anteil in %

2005

39 213

173

0,44

2006

36 843

147

0,4

2007

29 160

147

0,5

2008

29 291

160

0,54

2009

32 687

157

0,48

Quelle: https://www.destatis.de und http://www.ifm-bonn.org/

Die wohl häufigste Form der Sanierung vor dem ESUG war die übertragende Sanierung.6) 8 Da das Vermögen des Schuldners dennoch durch den Insolvenzverwalter verwertet und das insolvente Unternehmen abgewickelt wird, handelt es sich bei der übertragenden Sanierung letztlich um eine Sonderform der Zerschlagung und damit eine Liquidation im Gewand der Sanierung.7) Für den Großteil der insolventen Unternehmen blieb es indes bei dem Insolvenzrecht in seiner herkömmlichen Bedeutung. Sie wurden im Verfahren der Gesamtvollstreckung zerschlagen. Das bedeutet nichts anderes als Vollliquidation unter Verwertung des gesamten Schuldnervermögens. 1.2

Gründe für die Seltenheit von (echten) Sanierungen vor dem ESUG

Vor dem ESUG blieben viele Sanierungsversuche trotz der dargestellten Sanierungsmög- 9 lichkeiten ohne Erfolg. Insbesondere die mangelnde Einsicht der Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens und das „Auf-die-lange-Bank-schieben“ der erforderlichen Restrukturierung durch das Management führten dazu, dass viele Unternehmen nicht überlebten. Die Gründe für den regelmäßig viel zu späten Beginn der Sanierung lagen in der Unfähigkeit und der Unkenntnis der Schuldner bzw. ihrer Organe und ihrer Berater. Eine Studie des Zentrums für Insolvenz und Sanierung in Mannheim, für die zahlreiche Insolvenz___________ 6) Geprägt wurde der Begriff „übertragende Sanierung“ von K. Schmidt, ZIP 1980, 328, 336. 7) Kluth, ZInsO 2002, 1115, 1122.

Flöther/Gelbrich

93

§6

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

verwalter befragt wurden,8) zeigte: Im Durchschnitt erfolgte der Eintritt der materiellen Insolvenz des späteren Schuldners mehr als zehn Monate vor Stellung des Insolvenzantrages. Gründe für die verspätete Insolvenzantragstellung waren die Hoffnung, dass es nach jahrelangen Erfolgen irgendwie von selbst wieder aufwärts geht, die Angst vor Bloßstellung im Bekanntenkreis und in der Branche, die fälschliche Einstufung der Situation des Unternehmens als Krise, aber nicht als echte Insolvenz sowie das fehlende Vertrauen in das Insolvenzverfahren.9) 10 Unternehmen, die sich bereits zu einem Zeitpunkt tief in der wirtschaftlichen Krise (Ergebnis- oder gar schon Liquiditätskrise) befanden, der weit vor der Stellung des Insolvenzantrages liegt, waren in der Regel einfach nicht mehr zu retten. Dies lässt Verwaltern und Gerichten keine Wahl, so dass das Insolvenzverfahren nur noch als klassisches Marktbereinigungsverfahren durchlaufen werden konnte. 11 Hinzu kamen in der Vergangenheit sicherlich auch Hemmungen der Insolvenzverwalter und Insolvenzgerichte Planverfahren durchzuführen und Eigenverwaltungen anzuordnen. Trotzdem gab es bereits vor dem ESUG erfolgreiche Eigenverwaltungs- bzw. Insolvenzplanverfahren, beispielhaft seien nur Herlitz, Senator und SinnLeffers genannt. 2.

Ziele des Gesetzgebers durch ESUG

12 Mit dem ESUG beabsichtigte der Gesetzgeber, wie schon der Name des Gesetzes verrät, die Erleichterung der Sanierung von Unternehmen. Dies sollte i. E. durch die Stärkung des Einflusses der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters, den Ausbau und die Straffung und damit eine attraktivere Gestaltung des Insolvenzplanverfahrens und die Vereinfachung des Zugangs zur Eigenverwaltung erfolgen. III.

Einführung einer Sanierungs- und Fortführungskultur durch das ESUG

1.

Allgemeines

13 Ob tatsächlich ein Mentalitätswechsel stattgefunden hat, die Ziele des ESUG-Gesetzgebers erreicht wurden und eine echte „Sanierungskultur“ geschaffen wurde, lässt sich mit Zahlen schwer nachweisen. Allerdings gibt es zahlreiche Thesenpapiere und eine jährliche Studie der Roland Berger GmbH, aus denen sich zumindest Indizien dafür ergeben können, ob eine Veränderung der Sanierungskultur erfolgt ist. Außerdem werden vom Statistischen Bundesamt Zahlen über die Häufigkeit der Nutzung von Eigenverwaltungsverfahren veröffentlicht.10) 14 Allgemein lässt sich aus der Umfrage der Roland Berger GmbH („ESUG-Studie“) eine positive Bewertung der Ergebnisse des ESUG feststellen. Insgesamt sehen ca. 90 % der Befragten der ESUG-Studie ihre Erwartungen an das ESUG als voll oder zumindest teilweise erfüllt an.11) 2.

Steigerung der Attraktivität des Eigenverwaltungsverfahrens

15 Die Eigenverwaltung ist nach Einführung des ESUG tatsächlich häufiger angeordnet worden, als in der Zeit davor. Dies zeigt sich zum einen darin, dass in der ESUG-Studie festgestellt wurde, dass eine wesentlich größere Zahl der Studienteilnehmer Erfahrungen ___________ 8) Bitter/Röder, ZInsO 2009, 1283 ff. 9) Bitter/Röder, ZInsO 2009, 1283, 1287. 10) Ab dem Jahr 2016 soll es auch erstes statistisches Zahlenmaterial zur Häufigkeit von Insolvenzplanverfahren geben. 11) Vgl. hierzu auch Haghani/Bizenberg/Blatz/Seagon, in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung und Unternehmensinsolvenz, S. 73, 74.

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Flöther/Gelbrich

ESUG: Geänderte Sanierungs- und Fortführungskultur

§6

mit Eigenverwaltungsverfahren gemacht hat.12) Zudem zeigen auch die vom Statistischen Bundesamt erhobenen Werte, dass die absoluten Zahlen der angeordneten Eigenverwaltungen zugenommen haben. Waren es in den Jahren 2005 bis 2009 noch etwa 160 (durchschnittlich etwa 0,5 %)13) angeordnete Eigenverwaltungen im Jahr,14) waren es im Jahr 2012 346 (1,22 %), im Jahr 2013 420 (1,6 %) und im Jahr 2014 277 (1,15 %) angeordnete Eigenverwaltungen. Auch die ESUG-Studie kommt zu einer Steigerung des Anteils der angeordneten Eigenverwaltungen.15) Insgesamt kann also festgestellt werden, dass das ESUG zu einer Steigerung von Sanierungen in Eigenverwaltung geführt hat und das Sanierungsinstrument durchaus an Attraktivität gewonnen hat, auch wenn die Zunahme der Eigenverwaltungsverfahren nicht drastisch war. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass seit Einführung des ESUG die Zahl der An- 16 träge auf Eigenverwaltungsverfahren nach einem kurzen Anstieg sogar zunächst rückläufig war.16) Im Jahr 2014 lag sie allerdings wieder bei 31 % und ist damit im Vergleich zu 2013 wieder angestiegen. Allerdings ist die Zahl der Verfahren, in denen bereits mit Eröffnung oder später im Ver- 17 fahrensverlauf in ein Regelinsolvenzverfahren gewechselt wurde, seit Einführung des ESUG angestiegen.17) Ausweislich der ESUG-Studie sind 24 % der Verfahren, bei denen Eigenverwaltung beantragt wurde, direkt im Regelinsolvenzverfahren eröffnet worden. Ursache hierfür dürfte die Ablehnung der Eigenverwaltung durch die Gläubiger sein.18) Mit Blick darauf, dass die Anträge auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung angestiegen sind, muss es aber denklogisch auch so sein, dass die Zahl der Anträge ansteigt, die sich für ein Eigenverwaltungsverfahren nicht eignet. Zudem sind insbesondere die sog. Profigläubiger kritischer im Umgang mit der Eigenverwaltung geworden. Allerdings ist diesem zunächst negativ anmutenden Ergebnis auch zu entnehmen, dass die Gläubiger ihre Möglichkeit zur Beeinflussung des Verfahrensverlaufes mittlerweile sehr aktiv nutzen. Darüber hinaus ist auch der Anteil der Verfahren, in denen im Verlauf des Verfahrens vom 18 Eigenverwaltungsverfahren in die Regelinsolvenz gewechselt wurde, angestiegen.19) In der ESUG-Studie wird als häufigste Ursache das Scheitern eines vorgelegten Insolvenzplanes genannt.20) Nach den Erfahrungen in der Praxis dürften hier aber auch erfolgreiche übertragende Sanierungen zum häufigeren Wechsel in das Regelinsolvenzverfahren geführt haben. Denn nach Abschluss eines erfolgreichen M&A-Prozesses (in Form eines Asset Deals) wird in der Praxis häufig auch ein Wechsel ins Regelinsolvenzverfahren durchge___________ 12) The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG, S. 6, abrufbar unter http://www.bcg.de/documents/ file188855.pdf (Abrufdatum: 23.3.2016). 13) Die Prozentsätze beziehen sich auf die Gesamtheit der erhobenen Unternehmensinsolvenzverfahren. 14) Vgl. Übersicht bei Rz. 7. 15) Die ESUG-Studie kommt sogar zu einer Quote von über 2 % angeordneter Eigenverwaltung, gerechnet auf Insolvenzverfahren von Personen- und Kapitalgesellschaften. Darin liegt auch der Unterschied in der prozentualen Quote, denn die Statistik des Statistischen Bundesamtes erfasst neben Personenund Kapitalgesellschaften auch noch Einzelunternehmen, freie Berufe und Kleingewerbe u. Ä. 16) The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG, S. 6, abrufbar unter http://www.bcg.de/documents/ file188855.pdf (Abrufdatum: 23.3.2016). 17) The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG, S. 6, abrufbar unter http://www.bcg.de/documents/ file188855.pdf (Abrufdatum: 23.3.2016). 18) The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG, S. 6, abrufbar unter http://www.bcg.de/documents/ file188855.pdf (Abrufdatum: 23.3.2016). 19) The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG, S. 6, abrufbar unter http://www.bcg.de/documents/ file188855.pdf (Abrufdatum: 23.3.2016). 20) The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG, S. 6, abrufbar unter http://www.bcg.de/documents/ file188855.pdf (Abrufdatum: 23.3.2016).

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§6

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

führt, um die Kosten zu senken. Damit bedeutet ein Wechsel in das Regelinsolvenzverfahren nicht immer zwangsläufig das Scheitern der Eigenverwaltung. 19 Auffällig ist, dass das Schutzschirmverfahren nur extrem selten zum Einsatz kommt. Aus der ESUG-Studie ergibt sich, dass lediglich zwei bis drei Schutzschirmverfahren im Monat angeordnet werden. Dies ist eine sehr geringe Zahl, wenn man betrachtet, dass im Jahr 2014 insgesamt 24 085 Unternehmensinsolvenzen zu verzeichnen waren. 20 Grundsätzlich ist dennoch zu sagen, dass die Attraktivität des Eigenverwaltungsverfahrens insbesondere für große und mittelgroße Unternehmen tatsächlich zugenommen hat und die Beteiligten den Umgang mit Eigenverwaltungsverfahren geübt haben und nunmehr auch bereit sind einzuschreiten, wenn das Verfahren für die Eigenverwaltung nicht geeignet ist. 3.

Steigerung der Attraktivität des Insolvenzplanverfahren

21 Ob die Anzahl von Insolvenzplanverfahren gesteigert wurde, kann derzeit durch Statistiken noch nicht festgestellt werden, da diese Zahlen bisher nicht erhoben wurden und erste Ergebnisse hierzu erst ab 2016 bereitstehen werden. Damit fehlt es auch an entsprechenden Vergleichswerten. 4.

Verbesserte Quote in ESUG-Verfahren

22 Ausweislich der ESUG-Studie sind die Quoten in den Sanierungsverfahren im Vergleich zum allgemeinen Durchschnitt (3 % bis 5 %) mit 11 % wesentlich höher.21) Allerdings ist zu berücksichtigen, dass in der Praxis in Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung besonders häufig Geld zugeführt werden muss, z. B. durch Massekredite.22) 5.

ESUG – Der Weg zu einer neuen Sanierungskultur?

23 Festzuhalten ist, dass durch das ESUG der erhoffte Mentalitätswechsel hin zu einer neuen Sanierungskultur bisher ausblieb.23) Allerdings kann auch festgestellt werden, dass die Eigenverwaltung wesentlich öfter zum Einsatz kommt und durch die Möglichkeit der Durchführung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO oder eines vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens gemäß § 270a InsO auch wesentlich besser vorbereitet werden kann. Auch hinsichtlich des Sanierungsinstrumentes Planverfahren ist in der Praxis eine Verbesserung zu verspüren. Insbesondere die Regelung zum Debt-Equity-Swap hat zu einer Verbesserung der Rahmenbedingung von Insolvenzplanverfahren geführt. 24 Mit dem ESUG wurde daher zumindest eine gute Grundlage für einen Mentalitätswechsel hin zu einer Sanierungskultur geschaffen. Ein solcher kann jedoch – wie es in der Natur eines Mentalitätswechsels liegt – nicht innerhalb weniger Jahre erreicht werden. Vielmehr wird es noch einige Zeit dauern, bis die weit verbreitete Verbindung von Insolvenz und Scheitern einen Wandel erfahren wird und das sog. „I-Wort“ „entstigmatisiert“ wird. Kurz gesagt: Der Weg zu einer echten Sanierungskultur ist noch lang.

___________ 21) The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG, S. 10, abrufbar unter http://www.bcg.de/documents/ file188855.pdf (Abrufdatum: 23.3.2016). 22) Zudem erfolgen in Sanierungsverfahren besonders häufig Forderungsverzichte, vgl. The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG, S. 10, abrufbar unter http://www.bcg.de/documents/file188855.pdf (Abrufdatum: 23.3.2016). 23) Vgl. hierzu auch die Ergebnisse der Befragung, dargestellt bei Haghani/Bizenberg/Blatz/Seagon, in: Ebke/ Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung und Unternehmensinsolvenz, S. 73, 81.

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ESUG: Geänderte Sanierungs- und Fortführungskultur 5.1

§6

Vermeidung ungeeigneter Anträge auf Eigenverwaltung

Bereits bei den zur Antragstellung getroffenen Regelungen hat sich aus den praktischen 25 Erfahrungen Nachbesserungsbedarf ergeben. Wie bereits dargestellt (siehe hierzu unter Rz. 15 ff.), werden zahlreiche Verfahren als Eigenverwaltungsverfahren eröffnet, und es kommt später zu einem Wechsel vom Eigenverwaltungsverfahren in ein Regelinsolvenzverfahren. Dies hat neben einer Verunsicherung der Gläubiger im betreffenden Verfahren und einem Vertrauensverlust bei Kunden und Lieferanten und somit einer Erschwerung der Unternehmensfortführung auch häufig steigende Kosten zu Lasten der Gläubigerbefriedigung zur Folge. Zudem lässt es auch das Vertrauen von Gläubigern und der Öffentlichkeit in das Sanierungsinstrument Eigenverwaltung als solches schwinden. Es sollte daher zwingend vor Anordnung der Eigenverwaltung darauf geachtet werden, 26 dass der Schuldner auch tatsächlich geeignet ist, ein Eigenverwaltungsverfahren durchzuführen. Natürlich lässt sich in der Kürze der Zeit in der Praxis nicht immer vermeiden, dass bestimmte Tatsachen, die den Schuldner als unzuverlässig erscheinen lassen, erst später festgestellt werden können. Dennoch sollte – soweit möglich – ein objektives Instrument zur Vermeidung ungeeigneter Anträge auf Eigenverwaltung eingeführt werden. Der Gravenbrucher Kreis fordert daher zu prüfen, ob das vorinsolvenzliche Verhalten des Schuldners ein Mindestmaß an Zuverlässigkeit und Mitwirkungsbereitschaft erfüllt. Konkret wird vorgeschlagen, die Anforderungen an die Antragstellung um eine Versicherung des Schuldners zu erweitern, in der erklärt wird, dass die folgenden Ausschlusskriterien beim Schuldner bzw. bei seinen organschaftlichen Vertretern nicht festgestellt werden können: x

fortlaufende und nachhaltige Verletzung der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten,

x

fortlaufende und nachhaltige Verletzung der Steuererklärungspflichten,

x

erhebliche Lohn- und Gehaltsrückstände (inkl. rückständiger Sozialversicherungsbeiträge),

x

mangelnde Erfahrung des Schuldners bzw. seiner organschaftlichen Vertreter mit dem Instrument der Eigenverwaltung,

x

offensichtliche Verletzung von Insolvenzantragspflichten nach Maßgabe von § 15a InsO.

Zusätzlich zu dieser Gesetzesänderung sollten auch die den Antrag vorbereitenden Sanie- 27 rungsberater zunehmend für diese Problematik sensibilisiert werden und kritisch prüfen, ob eine Eigenverwaltung tatsächlich das richtige Sanierungsinstrument für den betreffenden Mandanten ist.24) Zudem sollten die Zugangsvoraussetzungen i. R. von § 270a InsO angepasst werden. Für 28 den Fall, dass bereits materielle Insolvenz eingetreten ist, ergibt sich ein erhebliches Gefährdungspotential für die Interessen der Gläubiger. Schließlich hat der Schuldner damit bereits unter Beweis gestellt, dass er nicht in der Lage ist, die von ihm eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Dies sollte zwingend berücksichtigt werden, und in diesen Fällen sollte ein vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren nur angeordnet werden, wenn dem ein vorläufiger Gläubigerausschuss ausdrücklich zugestimmt hat.25)

___________ 24) Thesenpapier des Gravenbrucher Kreises, Stand: 10/2015, S. 3, abgedr. ZIP 2015, 2159 ff.; ähnlich auch Entschließung der BAKinso-Jahrestagung v. 21.11.2014, Nr. 4.1, abrufbar unter http://www.zip-online.de/ fileadmin/res/pdfs/zip_volltexte/553c9a0 ffe060caf78bd1a6789b5aa4f.pdf (Abrufdatum: 28.3.2016). 25) Thesenpapier des Gravenbrucher Kreises, Stand: 10/2015, S. 4, abgedr. ZIP 2015, 2159 ff.

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§6 5.2

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung Anforderungen an den Insolvenzantrag

29 Zum einen sollten darüber hinaus die Hürden für einen Antrag nach § 13 InsO abgeschwächt werden, damit ein Eigenantrag auf Eigenverwaltung nicht aufgrund von Formvorschriften scheitert. Denkbar wäre hier die Arbeit mit Vordrucken aber auch die Erleichterung von Zulässigkeitshürden durch bessere Information der Schuldner.26) 30 Zum anderen sollte regelmäßig auch eine genauere Überprüfung der Richtigkeit der Angaben insbesondere der Gläubigerverzeichnisse erfolgen. Diese Angaben erfüllen keinen Selbstzweck, sondern dienen dazu, dass in Eigenverwaltung tatsächlich nur Verfahren eröffnet werden, bei denen eine positive Zusammenarbeit mit den Hauptgläubigern erfolgt. In der Praxis wird jedoch berichtet, dass einige Schuldner geneigt sind, ungeliebte Gläubiger außen vor zu lassen, um einen „friends and family“-Gläubigerausschuss zu installieren oder die Fälligstellung von Forderungen zu vermeiden. Es sollte daher eine Sanktionsmöglichkeit für bewusste Falschangaben in den nach § 13 InsO beizufügenden Verzeichnissen eingeführt werden.27) 31 Besonders entscheidend für eine erfolgreiche Sanierung in Zusammenarbeit mit sämtlichen Gläubigern und unter Berücksichtigung der Interessen sämtlicher Gläubiger ist eine paritätische Zusammensetzung des Gläubigerausschusses.28) 5.3

Anforderungen an die Person des Sachwalters

32 Für den Fall, dass vom Vorschlagsrecht nach § 56a InsO Gebrauch gemacht wird, sollten die Gerichte stärker darauf achten, dass die vorgeschlagene Person tatsächlich unabhängig und für das entsprechende Verfahren als Sachwalter aufgrund seiner Kenntnisse und Befähigungen geeignet ist. Dies setzt ebenfalls voraus, dass der Vorschlag mit den Hauptgläubigern abgestimmt ist und durch einen paritätisch besetzten Gläubigerausschuss getroffen wurde.29) Ob dafür tatsächlich der Vorschlag von drei möglichen Sachwaltern aus verschiedenen Kanzleien gegenüber den Gerichten zu fordern ist,30) erscheint fraglich. Insbesondere wäre auch dadurch nicht gewährleistet, dass die entsprechenden Personen tatsächlich über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hinsichtlich des konkreten Verfahrens verfügen. 5.4

Stärkung der Position des Sachwalters

33 Zudem sollte die Position des Sachwalters gestärkt werden, um diesem zu ermöglichen, seine verfahrensüberwachenden Funktionen tatsächlich effektiv wahrzunehmen und in Notfällen entsprechend eingreifen zu können.

___________ 26) In der Entschließung der BAKinso wird z. B. die Arbeit mit einem Antragsvordruck vorgeschlagen, s. BAKinso-Jahrestagung v. 21.11.2014, abrufbar unter http://www.zip-online.de/fileadmin/res/pdfs/ zip_volltexte/553c9a0 ffe060caf78bd1a6789b5aa4f.pdf (Abrufdatum: 28.3.2016). 27) Vgl. zu den vorgeschlagenen konkreten Gesetzesänderungen Thesenpapier des Gravenbrucher Kreises, Stand: 10/2015, S. 6 ff., abgedr. ZIP 2015, 2159 ff. 28) Thesenpapier des Gravenbrucher Kreises, Stand: 10/2015, S. 5, abgedr. ZIP 2015, 2159 ff.; BAKinsoJahrestagung v. 21.11.2014, Nr. 2, abrufbar unter http://www.zip-online.de/fileadmin/res/pdfs/ zip_volltexte/553c9a0 ffe060caf78bd1a6789b5aa4f.pdf (Abrufdatum: 28.3.2016). 29) BAKinso-Jahrestagung v. 21.11.2014, Nr. 3, abrufbar unter http://www.zip-online.de/fileadmin/res/pdfs/ zip_volltexte/553c9a0 ffe060caf78bd1a6789b5aa4f.pdf (Abrufdatum: 28.3.2016). 30) So der Vorschlag in: BAKinso-Jahrestagung v. 21.11.2014, Nr. 3, abrufbar unter http://www.zip-online.de/ fileadmin/res/pdfs/zip_volltexte/553c9a0 ffe060caf78bd1a6789b5aa4f.pdf (Abrufdatum: 28.3.2016).

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ESUG: Geänderte Sanierungs- und Fortführungskultur

§6

5.4.1 Möglichkeit zum Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung So sollte dem Sachwalter die Möglichkeit gegeben werden, die Aufhebung der Eigenver- 34 waltung zu beantragen, wenn der Gläubigerausschuss dem Antrag zustimmt. Bisher hat der Sachwalter gegen den Willen des Schuldners lediglich die Möglichkeit die Gläubiger über Fehlverhalten oder Überforderung des Schuldners zu informieren und eine Aufhebung der Eigenverwaltung anzuregen. Eine Aufhebung der Eigenverwaltung ist dann nur nach den engen Voraussetzungen von § 272 InsO möglich. Die Aufhebung muss also durch die Gläubigerversammlung beantragt werden bzw. von einem absonderungsberechtigten Gläubiger oder einem Insolvenzgläubiger. Ein Antrag eines Insolvenzgläubigers ist aber nur zulässig, wenn diesem selbst, erhebliche Nachteile drohen. Damit sind die Voraussetzungen für die Aufhebung einer Eigenverwaltung sehr eng, und es besteht das Risiko, dass der Schuldner trotz Fehlverhaltens die Eigenverwaltung zumindest einige Zeit fortführt. Eine solche Konstellation ist nicht nur für das konkrete Verfahren negativ, sondern birgt auch die Gefahr, dass die Eigenverwaltung als Sanierungsinstrument im Allgemeinen an Vertrauen verliert. 5.4.2 Anordnung von Zustimmungsvorbehalten/Kassenführungsrecht Zudem sollte den Gerichten die Möglichkeit zur Anordnung von Zustimmungsvorbehal- 35 ten für den Sachwalter – zumindest sofern dies durch die Gläubiger beantragt wurde – gegeben werden. Damit kann vermieden werden, dass der Schuldner trotz Widerspruchs des Sachwalters oder fehlender Zustimmung wirksam Rechtsgeschäfte abschließen kann, durch die die Interessen der Gläubiger gefährdet werden. Ebenfalls sollte dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss die Möglichkeit gegeben werden, 36 einen Antrag auf Übernahme des Kassenführungsrechts gemäß § 275 Abs. 2 InsO durch den Sachwalter zu beantragen, damit benachteiligende Verfügungen durch den Schuldner verhindert werden können. Damit könnte in Zweifelsfällen auch das Vertrauen der Gläubiger wieder erlangt werden. 5.5

Unklare Gesetzeslage

In der Praxis haben sich zahlreiche Anwendungsfälle gezeigt, die im Gesetz nicht eindeu- 37 tig geregelt sind. Im Folgenden sollen einige der offenen Punkte in einer kurzen Übersicht dargestellt werden. 5.5.1 Begründung von Masseverbindlichkeiten in der vorläufigen Eigenverwaltung Derzeit sind die gesetzlichen Regelungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im 38 vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO unklar und stark umstritten.31) Während teilweise davon ausgegangen wird, der Schuldner sei ohne weiteres berechtigt, Masseverbindlichkeiten zu begründen,32) wurde anderseits lediglich die Möglichkeit einer Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten angenommen.33) Andere Insolvenzgerichte vertreten die Auffassung, allein der vorläufige Sachwalter habe die Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten.34) ___________ 31) Geklärt ist diese Frage hinsichtlich des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO. Zum einen schafft der Wortlaut von § 270b InsO Klarheit; zum anderen ist eine zusätzliche Klarstellung durch den BGH, erfolgt, BGH, Beschl. v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, ZIP 2016, 831. S. a. § 9 Rz. 313 ff., 437 [Mönning]. 32) AG Montabaur, Beschl. v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZIP 2013, 899 = NZI 2013, 350. 33) AG Köln, Beschl. v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788 = NZI 2012, 375; AG München, Beschl. v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308 = BB 2012, 2975. 34) AG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787 = NZI 2012, 566; AG Duisburg, Beschl. v. 6.11.2012 – 62 IN 178/12.

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§6

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

39 Probleme bereitet in der Praxis auch immer wieder die Abstimmung mit den Gerichten, ob ein Beschluss zur Begründung von Masseverbindlichkeiten noch vor Begründung der Verbindlichkeit beantragt werden muss oder ob auch ein nachträglicher Beschluss ausreichend ist. 40 Mit Blick darauf, dass die Fortführung des Geschäftsbetriebes ohne die Möglichkeit zur Begründung von Masseverbindlichkeiten aufgrund des zum Teil berechtigten Misstrauens von Lieferanten nahezu unmöglich ist, sollte hierzu dringend eine eindeutige gesetzliche Regelung getroffen und damit Rechtssicherheit für die am vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren Beteiligten erlangt werden. 5.5.2 Organhaftung in der Eigenverwaltung 41 Ebenfalls ein offenes Thema, das bisher nahezu nicht gesetzlich geregelt ist, ist die Haftung der schuldnerischen Organe im Eigenverwaltungsverfahren sowie im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren und im Schutzschirmverfahren.35) Damit fehlt es an einer Sicherheit für die Gläubiger, was zu Unsicherheiten im Eigenverwaltungsverfahren führt. Insbesondere die gesellschaftsrechtlichen Haftungsregeln vermögen keine ausreichende Sicherheit zu verschaffen, da diese im Normalfall lediglich eine Haftung der Organe gegenüber der Gesellschaft und keine Haftung gegenüber den Gläubigern begründen.36) 42 In der Praxis wird diese Haftungslücke häufig über Haftungszusagen des Sachwalters geschlossen. Wünschenswert wäre aber eine ausdrückliche Regelung zur Schaffung von Rechtssicherheit. Insbesondere um die handelnden Organe zu sorgfältigem Handeln zu bewegen, erscheint eine Haftung gem. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. §§ 60, 61 InsO sinnvoll. 5.5.3 Umsatzsteuer in der vorläufigen Eigenverwaltung 43 Ebenfalls unklar ist die Behandlung von Steuerverbindlichkeiten, die vom eigenverwaltenden Schuldner im Eröffnungsverfahren begründet werden. Insofern wäre ein Gleichlauf zum Regelinsolvenzverfahren sinnvoll, der durch eine Klarstellung in § 55 Abs. 4 InsO erreicht werden könnte.37) 5.5.4 Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und weitere sanktionsbewehrte öffentlich-rechtliche Forderungen 44 Ebenfalls stark umstritten ist der Umgang mit den Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren.38) Auch hier sollte insbesondere auch zum Schutz der Geschäftsführer vor einer möglichen Haftung nach § 266a StGB eine ausdrückliche gesetzliche Regelung getroffen werden. 45 In der Praxis sind einige Gerichte bereit, im Insolvenzantragsverfahren einen Beschluss zu fassen, der vorsieht, dass Zahlungen des Antragstellers auf sanktionsbewehrte öffentliche Forderungen nur mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters erfolgen können. Beispielhaft könnte der Beschluss so lauten: „Es wird angeordnet, dass Zahlungen der Antragstellerin auf Forderungen aus dem Steuerschuldverhältnis gemäß § 37 AO sowie Zahlungen auf Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung gemäß § 266a StGB nur mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters geleistet werden dürfen.“

___________ 35) Vgl. hierzu Hofmann, Eigenverwaltung, S. 482 ff.; Flöther in: Kübler, HRI, § 18 Rz. 1 ff.; Skauradszun/ Spahlinger, DB 2015, 2559 ff.; Haas, ZHR 2014, 603 ff. 36) Flöther in: Kübler, HRI, § 18 Rz. 22. 37) Vgl. hierzu i. E.: Thesenpapier des Gravenbrucher Kreises, Stand: 10/2015, S. 11, abgedr. ZIP 2015, 2159 ff. 38) Frind, ZInsO 2015, 22 ff.; Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354 ff.; Hunsalzer, ZInsO 2014, 1748 ff.

100

Flöther/Gelbrich

ESUG: Geänderte Sanierungs- und Fortführungskultur

§6

Ein solcher Beschluss könnte zur optimalen Verfahrensvorbereitung bereits von den Sa- 46 nierungsberatern i. R. der Insolvenzantragstellung angeregt werden. 5.6

Haftung des Bescheinigungserstellers

Wünschenswert wäre ebenfalls die Einführung einer Haftung des Erstellers der Beschei- 47 nigung nach § 270b Abs. 1 InsO. Insbesondere mit Blick auf die Vermeidung von Gefälligkeitsbescheinigung und um die Anwendung der erforderlichen Sorgfalt zu gewährleisten, erscheint eine Haftungsvorschrift sinnvoll. IV.

Fazit

Unter ständiger Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen und der sich daraus erge- 48 benden Verbesserungsmöglichkeiten erscheint es möglich, die durch das ESUG zur Verfügung gestellten Sanierungsinstrumente zu etablieren und damit eine breite Akzeptanz für Unternehmenssanierungen zu schaffen. Dies verbunden mit einer Vielzahl von erfolgreichen Beispielen von Unternehmenssanierungen wird nach und nach zu einem Mentalitätswechsel hin zu einer „Sanierungs- und Fortführungskultur“ in Deutschland führen.

Flöther/Gelbrich

101

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

§7 Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung Übersicht I. Die Entscheidungssituation....................... 1 II. Analyse der Unternehmenskrise (Ursachenanalyse)....................................... 9 1. Krisenstadium............................................... 9 2. Methoden der Krisenanalyse ..................... 20 III. Ermittlung von Sanierungsmaßnahmen ............................................... 26 1. Finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen ................................................ 28

2.

Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen ................................................ 39 2.1 Einkauf und Beschaffung ............... 41 2.2 Produktion ...................................... 46 2.3 Vertrieb............................................ 51 3. Planung der Sanierungsmaßnahmen ......... 61 IV. Sanierungskonzept und Planungsrechnung .................................................... 62 V. Umsetzung und Controlling................... 67 VI. Zusammenfassung .................................... 75

Literatur: Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management in der Praxis, 4. Aufl., 2009; Gabler Wirtschaftslexikon, 18. Aufl., 2013; Porter, Wettbewerbsvorteile, 2010.

I.

Die Entscheidungssituation

Die Übernahme von großen und mittleren Insolvenzverfahren als Insolvenz- oder Sach- 1 verwalter bzw. als eigenverwaltender Schuldner (im Folgendem Eigenverwalter) bedeutet immer auch die Übernahme unternehmerischer Verantwortung. Innerhalb kürzester Zeit müssen in den Verfahren Entscheidungen getroffen werden, deren Tragweite nicht immer vollständig transparent ist, deren wirtschaftliche Dimension aber häufig weitreichend ist. Teilweise übersteigen sie auch die aktuell verfügbaren Mittel, über die man im Verfahren zu Beginn verfügt. Die Beispiele hierfür sind mannigfaltig: Bei einer Druckerei-Insolvenz stehen am Tag der Antragstellung Farblieferungen für die Pressen an. Der Fahrer ist angewiesen, nur dann zu entladen, wenn vom vorläufigen Insolvenzverwalter eine Zahlungszusage für mehrere zehntausend Euro abgegeben wird. Ob und in welchem Umfang die Farbe benötigt wird, weiß der vorläufige Insolvenzverwalter zu diesem Zeitpunkt nicht, da er erst vor ca. einer Stunde vom Gericht bestellt wurde. Die freie Liquidität reicht für die Bezahlung nicht aus. Ohne die Lieferung steht die Produktion wegen umfangreicher Nachrüstarbeiten für mindestens drei Wochen still. Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Unternehmensfortführung 2 sind in erster Linie liquiditätsorientiert. Entscheidungsmaßstab ist die Frage, ob eine Verfügung (z. B. Bestellungen, Produktionsorder, Annahme eines Auftrages etc.) zu einem Einnahmen-Überschuss führt oder nicht. Führt dies zu mehr Liquidität und damit am Ende des Tages zu einer Mehrung der Insolvenzmasse, dann wird diese Verfügung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeführt. Führt dies zu weniger Liquidität, unterbleibt voraussichtlich die Verfügung. Die Maßstäbe für diese Entscheidungen unterscheiden sich erheblich je nach Verfahrens- 3 stadium und Verfahrensart. Es ist zum einen zu unterscheiden zwischen dem vorläufigen Insolvenzverfahren und dem eröffneten Insolvenzverfahren. Bestimmte Leistungsinanspruchnahmen (z. B. Arbeitsleistungen der Mitarbeiter) führen im Antragsverfahren nicht unmittelbar bzw. nicht in voller Höhe zu Auszahlungsverpflichtungen. Nach Verfahrenseröffnung sind sie bei Leistungsinanspruchnahmen in vollem Umfang zu zahlen.

Weniger

105

§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

4 Daneben ist zum anderen zu klären, in welchem spezifischen Stadium sich das Verfahren befindet. Ist i. R. des vorläufigen Verfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO bereits auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen (sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter), sind andere Maßstäbe anzusetzen, als ohne diese Anordnung. Im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO gestaltet sich die Entscheidungssituation wieder völlig anders. Da das § 270b-Verfahren gerade auf die Sanierung des insolventen Unternehmens abzielt,1) wird hier unter der Voraussetzung, dass die angestrebte Sanierung nicht aussichtslos ist (§ 270b Abs. 1 Satz 1 InsO), keine Einstellung des Geschäftsbetriebes erfolgen. Auch nach Verfahrenseröffnung kann es unterschiedliche Stadien geben. Liegt z. B. die Anzeige einer Masseunzulänglichkeit vor, ist mit bestimmten Leistungsinanspruchnahmen anders zu verfahren, als ohne eine solche Anzeige. 5 Neben der kurzfristigen Betrachtung der Liquidität ist aber auch der Aspekt der nachhaltigen Wettbewerbs- und Renditefähigkeit des Unternehmens zu beachten. In aller Regel wird der Geschäftsbetrieb nur dann veräußerbar bzw. im Wege einer erhaltenden Sanierung (Insolvenzplanverfahren) dauerhaft fortführbar sein, wenn das Unternehmen rentabel arbeitet.2) Hier geht es im Kern um die Frage, ob das Unternehmen nachhaltig in der Lage ist, eine im Marktmaßstab angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals zu erwirtschaften: x

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren sind daher immer kurzfristig anhand der Liquidität zu ermitteln. Maßstab ist hier die Frage, ob ein Einnahmenüberschuss erzielt werden kann oder nicht.

x

Mittel- bzw. langfristig ist eine Ertragsbetrachtung anzustellen. Die Renditeerwartung richtet sich dabei nach den marktspezifischen Besonderheiten.

6 Letztlich ist ein Fortführungskonzept zu erarbeiten, welches auf Basis einer Ursachenund Potentialanalyse Maßnahmen definiert, mit denen die zuvor definierten Ziele (Einnahmenüberschuss, Erwirtschaftung von Erträgen zur Massemehrung) erreicht werden können.3) 7 In Ausnahmefällen kann eine Fortführung des Unternehmens trotz drohender Masseunzulänglichkeit oder Verluste gerechtfertigt sein. Ein solcher Ausnahmefall liegt bspw. vor, wenn eine realistische Chance besteht, dass der Geschäftsbetrieb durch einen Investor übernommen wird und der dafür zu zahlende Kaufpreis insgesamt zu einer Massemehrung führt. Auch drohende Schadensersatzforderungen von Kunden aufgrund von Lieferausfällen können dazu führen, dass eine Fortführung einer Einstellung vorzuziehen ist, wenn dadurch am Ende die Masse geringer belastet wird. 8 Die betriebswirtschaftliche Abbildung erfolgt in Form von (integrierten) Planungsrechnungen (Cashflow-Rechnung bzw. einer Gewinn- und Verlust-Rechnung und Bilanzplanung). Grundlagen für diese Planungsrechnungen bilden eine Analyse des Krisenstadiums (Ursachenanalyse der Insolvenz) und die Erarbeitung von leistungs- und finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen. Mithilfe der integrierten Planungsrechnung kann eine Potenzialanalyse für das sanierte Unternehmen vorgenommen werden. Ferner ist ein Instrumentarium zu schaffen, das eine laufende Plan-/Ist-Abweichung in Bezug auf die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen und auf die vorzunehmenden Maßnahmen darstellt.

___________ 1) Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 07/2012, § 270b Rz. 17. 2) Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 22 Rz. 267 f. 3) Haarmeyer/Frind, Insolvenzrecht, Rz. 111.

106

Weniger

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung II.

Analyse der Unternehmenskrise (Ursachenanalyse)

1.

Krisenstadium

§7

Ausgangspunkt der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlage für eine Unterneh- 9 mensfortführung und der Erstellung eines Fortführungskonzeptes ist die Analyse des konkreten Krisenstadiums. Dabei ist zunächst der Begriff der Unternehmenskrise zu klären: x

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Unternehmenskrise definiert als eine Situation, die für das Unternehmen existenzbedrohend ist und die von einer dynamischen Ergebnis- und Liquiditätsambivalenz gekennzeichnet ist. Das Ausmaß der Krise kann anhand von diversen Kennzahlen (Ergebnis-, Kapital- oder Liquiditätskennzahlen) im Verhältnis zu relevanten Benchmark-Zahlen ermittelt werden.

x

In rechtlicher Hinsicht gibt es verschiedene Vorschriften, die sich auf eine Unternehmenskrise beziehen. Hierunter fällt z. B. der Verzehr des hälftigen Stamm- bzw. Grundkapitals (§ 49 Abs. 3 GmbHG), die Unterbilanz, d. h. das bilanzielle Eigenkapital deckt nicht mehr das Stammkapital (§ 30 Abs. 1 GmbHG), sowie bestandsgefährdende Tatsachen und Risiken (§ 321 Abs. 1 HGB).

x

Insolvenzrechtlich konkretisiert sich der Krisenbegriff beim Vorliegen der Insolvenzauslösetatbestände gemäß §§ 17 und 19 InsO, der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit und/ oder der Überschuldung. In der Entscheidungssituation der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren wird jedenfalls eine der beiden Krisenarten vorliegen.

Unternehmenskrisen verlaufen nicht linear, sondern sind von einer Entwicklungsdynamik 10 gekennzeichnet. Gleichwohl ist es für die Erarbeitung eines nachhaltigen Sanierungskonzepts erforderlich, dass die genauen Krisenursachen und das Krisenstadium des Unternehmens analysiert werden. Der Sanierungsstandard 6 des Instituts der Wirtschaftsprüfer mit Stand vom 20.8.20124) unterscheidet sechs Krisenstadien, die eine idealtypische Abfolge darstellen. Hiernach wird unterschieden zwischen: x

Stakeholderkrise,

x

Strategiekrise,

x

Produkt- und Absatzkrise,

x

Erfolgskrise,

x

Liquiditätskrise,

x

Insolvenzreife.

Aufgrund der dynamischen Entwicklung von Unternehmenskrisen durchläuft ein Unter- 11 nehmen typischerweise nicht jedes Krisenstadium, bevor die Insolvenzreife eintritt. Im Einzelfall ist zu analysieren, welche konkreten Krisengründe und Krisenursachen bzw. Krisenstadien gegeben sind. Der idealtypische Ablauf der Krisenphasen ist auf der einen Seite durch eine zunehmende 12 Erkennbarkeit gekennzeichnet. Spiegelbildlich hierzu reduziert sich aber der Handlungsspielraum für das Management erheblich. Dieser Zusammenhang ist in der folgenden Grafik dargestellt:

___________ 4) IDW S 6 (Stand: 20.8.2012).

Weniger

107

§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

13 Abb. 1

Indikatoren

Stakeholderkrise

Strategische Krise

Produkt-/ Absatzkrise

Verluste von relativen Marktanteilen

Erfolgskrise

Liquiditätskrise

Erfolgsfaktoren Starker des Unternehmens Gewinnrückgang sind nicht mehr in bzw. erste der ursprünglichen Verluste Form vorhanden

Ernsthafte Gefährdung der Stagnierende oder Konflikte zwischen Erfolgspotenziale rückläufige Interessenund Verlust von Nachfrage nach WettbewerbsHauptumsatz-/ gruppen des Unternehmens fähigkeit Erfolgsträger

Gefahr der Zahlungsunfähigkeit

Insolvenz Zahlungsunfähigkeit Überschuldung

Zeit

Betriebsergebnis

Zunehmende Erkennbarkeit und Handlungsdruck

Abnehmender Handlungsspielraum

Quelle: Eigene Darstellung

14 Die Stakeholderkrise beschreibt ein über das übliche Maß an Interessenkonflikten hinausgehendes Spannungsverhältnis zwischen den Unternehmens-Beteiligten. Hierzu zählen die Gesellschafter, Organe der Gesellschaft (Aufsichtsrat, Beirat), Management und Arbeitnehmer. Ferner zählen dazu auch Außenstehende wie Kreditgeber, Finanzierer, Lieferanten, sonstige Gläubiger oder öffentliche Stellen5). Es liegt im Wesen der Stakeholderkrise, dass sie weder intern noch extern unmittelbar erkannt wird.6) Im Rahmen von Insolvenzverfahren konkretisieren sich allerdings häufig die bereits in der Stakeholderkrise angelegten Spannungen (missglückte Unternehmensnachfolge, Konflikte zwischen Gesellschaftern etc.). 15 Eine Strategiekrise liegt vor, wenn die Erfolgspotenziale des Unternehmens ernsthaft gefährdet oder bereits aufgebraucht sind bzw. keine neuen Potenziale geschaffen wurden. Das Unternehmen ist zumindest perspektivisch nicht mehr wettbewerbsfähig, da es Marktentwicklungen übersehen bzw. falsch eingeschätzt hat.7) 16 Die Produkt- und Absatzkrise ist durch stagnierende bzw. rückläufige Nachfrage nach den Hauptumsatzträgern des Unternehmens gekennzeichnet.8) Die Gründe liegen in qualitativ nicht ausreichenden Marketing- oder Vertriebskonzepten, Sortimentsschwächen, Schwächen in der Produkt- und Servicequalität, mangelnder Liefertreue, Fehler in der Preispolitik sowie einer mangelhaften oder fehlenden Vertriebssteuerung. 17 Eine Erfolgskrise tritt ein, wenn das Unternehmen nachhaltig Verluste erwirtschaftet, die zu einem Verzehr des Eigenkapitals führen.9) Aber auch bei einer im Vergleich zum Wettbewerb deutlich geringeren Ertragsmarge liegt eine Erfolgskrise vor, da Ertragspotenziale nicht optimal ausgeschöpft werden. Die Erfolgskrise ist regelmäßig eine Folge der Produkt- und Absatzkrise, sofern diese nicht überwunden werden kann. 18 Bei der Liquiditätskrise besteht die akute Gefahr der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens.10) Das Unternehmen erwirtschaftet eine liquide Unterdeckung und kommt aktuell bzw. auf Sicht nicht mehr den laufenden Zahlungsverpflichtungen nach. Häufig wird die ___________ 5) 6) 7) 8) 9) 10)

108

IDW S 6 Nr. 65 (Stand: 20.8.2012). IDW S 6 Nr. 67 (Stand: 20.8.2012). IDW S 6 Nr. 70 (Stand: 20.8.2012). IDW S 6 Nr. 73 (Stand: 20.8.2012). IDW S 6 Nr. 74 (Stand: 20.8.2012). IDW S 6 Nr. 77 (Stand: 20.8.2012).

Weniger

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung

§7

Liquiditätskrise durch eine ungünstige Finanzierungsstruktur verstärkt, da keine fristenkongruente Finanzierung vorliegt oder die Gesellschaft mit nur einer sehr geringen Eigenkapitalquote wirtschaftet. Selten wird die Liquiditätskrise durch externe Begebenheiten ausgelöst, wie z. B. einem größeren Zahlungsausfall durch die Insolvenz eines Kunden. Die Insolvenzreife liegt vor, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig und/oder über- 19 schuldet ist.11) Dieses Krisenstadium liegt definitionsgemäß vor, wenn eine Betriebsfortführung im Verfahren zu organisieren ist. 2.

Methoden der Krisenanalyse

Zur Ermittlung, welches konkrete Krisenstadium im Unternehmen vorliegt, gibt es ver- 20 schiedene Methoden, um eine genaue Analyse vornehmen zu können. Im Rahmen der Betriebsfortführung wird es sich regelmäßig anbieten, solche Methoden zu wählen, die in kurzer Zeit valide Ergebnisse liefern. Zunächst kann anhand von Kennzahlen eine Positionierung des Krisenstadiums vorge- 21 nommen werden.12) Im Vordergrund stehen dabei nicht die Kennzahlen zur Liquidität. Vielmehr ist eine Analyse der leistungswirtschaftlichen Kennzahlen (Working-Capital, Material-, Personal- und sonstige Aufwands-Quoten) erforderlich. Auch die Ermittlung von durchschnittlichen Zahlungszielen bei Lieferanten und Kunden, der Lagerdauer und der Kapitalbindungsdauer lassen wertvolle Rückschlüsse zu, wo das Unternehmen steht und welche konkreten Krisenarten vorliegen. Neben der Analyse der beschriebenen „weichen“ Faktoren zur Einordnung des Unternehmens in eine Krisenphase, bieten „harte“ Kennzahlen weitere Möglichkeiten zur Bestimmung der Krisenursachen. Insbesondere sind hier auch branchenspezifische Kennzahlen von hoher Bedeutung.13) Bei der Strukturierung der dauerhaften Fortführungslösung, entweder im Wege einer über- 22 tragenden Sanierung („Asset-Deal“) oder erhaltenden Sanierung im Insolvenzplanverfahren, ist die optimale Finanzierungsstruktur anhand von Kennzahlen (Eigenkapitalquote, Fremdkapitalquote, Kapitalrentabilität etc.) zu ermitteln. An dieser Stelle kommt den Kennzahlen zur Liquiditätsanalyse eine wesentliche Bedeutung zu. Eine weitere Methode zur Krisenanalyse ist die sog. Stärken-Schwächen-Chancen-Risiken- 23 Analyse (sog. „SWOT“-Analyse; nach dem Englischen Strengths, Weaknesses, Opportunities and Threats). Dabei wird nach der internen Analyseebene (Stärken-Schwächen) und nach der externen Analyseebene (Chancen-Risiken) unterschieden. Die SWOT-Analyse wurde als Instrument der strategischen Planung entwickelt. Sie dient aber auch dazu, eine Positionsbestimmung von Unternehmen und Organisationen vorzunehmen. Gerade in Sanierungssituationen bietet es sich an, anhand der Stärken des Unternehmens eine Entscheidung zu treffen, sodass Chancen (Möglichkeiten) realisiert werden können.14) Typischerweise wird man i. R. einer Betriebsfortführung eine solche SWOT-Analyse im engsten Führungskreis, einschließlich der Leistungsträger aus der zweiten Ebene, erstellen. Damit lassen sich wertvolle Rückschlüsse auf das aktuelle Krisenstadium gewinnen, um die strategische Stoßrichtung für eine Sanierung zu ermitteln.

___________ 11) 12) 13) 14)

IDW S 6 Nr. 79 (Stand: 20.8.2012). Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 49 ff. Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management in der Praxis, S. 77. Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: SWOT-Analyse.

Weniger

109

§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

24 Abb. 2

Externe Analyse

SWOT-Analyse

Interne Analyse Strenghts = Stärken

Weaknesses = Schwächen

Opportunities = Chancen

SO-Strategie: Stärken nutzen Chancen nutzen

WO-Strategie: Schwächen abbauen Chancen nutzen

Threats = Risiken

ST-Strategie: Stärken nutzen Risiken vorbeugen

WT-Strategie: Schwächen abbauen Risiken vorbeugen

Quelle: Eigene Darstellung

25 Die ABC-Analyse ist ein betriebswirtschaftliches Mittel zur Planung und Entscheidungsfindung15) und unterteilt Objekte in drei Klassen von A-, B- und C-Objekten. Diese Objekte werden nach Werten sortiert und den Klassen zugeordnet, um sie danach in einem Paretodiagramm darzustellen. Mithilfe der Anordnung kann man sich ein grobes Bild der Ist-Situation verschaffen, um daraus die weitere Vorgehensweise abzuleiten. Die ABCAnalyse ist ein vergleichsweise einfach einzusetzendes Tool und kann daher in Krisensituationen schnell bei der Entscheidungsfindung helfen. Einsatzfelder sind z. B. die Clusterung der umsatzstärksten Produkte oder Filialen.16) III.

Ermittlung von Sanierungsmaßnahmen

26 Ausgehend von der Analyse des Krisenstadiums mithilfe von geeigneten Analysemethoden müssen Maßnahmen ermittelt werden, wie das Unternehmen wieder zu einer nachhaltigen Rendite- und Wettbewerbsfähigkeit geführt werden kann.17) Diese Phase wird in der vorliegenden Betrachtung auch als Potenzialanalyse verstanden. Das Ergebnis der Analyse liefert einen detaillierten Überblick über die betriebswirtschaftlichen Strukturen, einschließlich der Abbildung der Ertragsquellen und der Kostenstruktur. Auf der Grundlage sind nunmehr Maßnahmen zu entwickeln, wie das Unternehmen i. R. der Betriebsfortführung mit einem Liquiditätsüberschuss betrieben bzw. wie eine nachhaltige Wettbewerbsund Renditefähigkeit erreicht werden kann (Fortführungskonzept). 27 Die vielfältigen Ansätze der Sanierungsmaßnahmen können dabei im Wesentlichen in zwei Grundformen eingeteilt werden: x

zum einen in finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen18) und

x

zum anderen in leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen19) einschließlich arbeitsrechtlicher Maßnahmen.

1.

Finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen

28 Die finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen beschreiben sämtliche Ansätze, die zu einer Stärkung der Kapitalausstattung des Unternehmens führen. Hierbei kann man zwi___________ 15) 16) 17) 18) 19)

110

Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: ABC-Analyse. Brühl/Göpfert-Wlecke, Unternehmensrestrukturierung, S. 93 f. IDW S 6 Nr. 101 (Stand: 20.8.2012). Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 129 ff. Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 109 ff.

Weniger

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung

§7

schen Maßnahmen zur Stärkung der Innenfinanzierung und zur Stärkung der Außenfinanzierung unterscheiden.20) Die Innenfinanzierung ist eine Finanzierung durch die Einbehaltung von Einnahmenüber- 29 schüssen.21) Hierzu müssen zum einen dem Unternehmen liquide Mittel aus dem innerbetrieblichen Umsatz- und Leistungserstellungsprozess zufließen und zum anderen steht dem Mittelzufluss kein oder ein geringerer auszahlungswirksamer Aufwand gegenüber. Bei einer Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren gibt es eine Reihe von Maßnahmen 30 der Innenfinanzierung, die ohne einen spezifischen Bezug zur unternehmerischen Wertschöpfung realisiert werden. Der Insolvenzverwalter wird langfristig angelegte Festgelder oder Wertpapiere auflösen oder nicht betriebsnotwendiges Vermögen (Grundstücke, Immobiliarvermögen oder sonstiges Umlaufvermögen) liquidieren. Bei der Erarbeitung von finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen, die sich auf die Fortführung der Betriebstätigkeit beziehen, wird es im Wesentlichen um eine Optimierung des Working-Capital gehen. Dies umfasst eine gezielte Reduzierung des Umlaufvermögens und damit des darin gebundenen Kapitals durch eine Optimierung des Vorratsbestands an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie der Halbfertig- und Fertigwaren. Mithilfe von ABC-Analysen lässt sich eine Optimierung des Warenbestands ermitteln. Im Rahmen der Betriebsfortführung wird es zunächst um eine Aufrechterhaltung der 31 Lieferbeziehung gehen, da typischerweise die Warenlieferanten Forderungsverluste in Folge der Insolvenzantragstellung realisiert haben. Es ist die Aufgabe des (vorläufigen) Verwalters, neues Vertrauen zu schaffen, um die Chance für eine zukünftige Lieferbeziehung aufrechtzuerhalten. Durch die Einrichtung von Konsignationslägern und die zugehörige Beistellung von Material kann in der Zukunft die Kapitalbindung für das schuldnerische Unternehmen reduziert werden. Parallel hierzu ist ein konsequentes Bestandsmanagement zu etablieren, welches die Waren- 32 beschaffung an den tatsächlichen Bedarfen orientiert und eine Reduzierung des durchschnittlichen Kapitalbedarfs zur Folge hat. Typischerweise werden die Bestellvorgänge an den konkreten Bedarfen orientiert. Eine weitere Komponente der Working-CapitalOptimierung ist die gezielte Verlängerung von Zahlungszielen bei den Lieferanten. Dies wird typischerweise i. R. der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren aus den vorgenannten Gründen mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein. Weiterer Ansatzpunkt für finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen durch eine Wor- 33 king-Capital-Optimierung ist die Reduzierung der Forderungsbestände.22) Hier können mit den Kunden i. R. der Betriebsfortführung verkürzte Zahlungsziele vereinbart werden, um die Kapital- und damit Liquiditätslage zu verbessern. Weiterer Ansatz ist ein konsequenter Abbau des Altforderungsbestands. Unter Außenfinanzierung fasst man alle Finanzierungsvorgänge zusammen, bei denen 34 dem Unternehmen Mittel von außen zugeführt werden, d. h. die nicht aus dem Leistungserstellungsprozess des Unternehmens stammen. Die Bereitstellung von Eigenkapital ist i. R. der Betriebsfortführung im Insolvenzver- 35 fahren bei einer kurzfristigen Betrachtung untypisch. Allerdings kommt bei der Strukturierung einer dauerhaften Betriebsfortführung dieser Maßnahme eine erhebliche Bedeutung zu. Dabei erfordern die beiden Optionen der Fortführung, sei es als übertragende oder als erhaltende Sanierung, in unterschiedlichen Ausprägungsformen in aller Regel die Be___________ 20) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 131 ff., 143 ff. 21) Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Innenfinanzierung. 22) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 135 ff.

Weniger

111

§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

reitstellung von Eigenkapital. Bei der Strukturierung der Übernahmefinanzierung spielt neben der Eigenkapitalkomponente auch die optimale Bereitstellung von Fremdkapital eine Rolle. Hier wird der Erwerber sämtliche Möglichkeiten der Bereitstellung von Fremdmitteln (Darlehen, Anleihen, Kontokorrentkredite etc.) einbeziehen. Auch die Einbindung von eigenkapitalähnlichen Finanzierungsformen (Mezzanine, Genussscheine etc.) treten hier auf. Bei einer Sanierung im Wege eines Insolvenzplanverfahrens werden die Gläubiger eine ausreichende Kapitalisierung des Unternehmens erwarten, die nicht nur durch einen Verzicht der Gläubiger finanziert wird. 36 Neben der Bereitstellung neuer, „frischer“ Liquidität durch Eigen- oder Fremdmittel spielt im Insolvenzverfahren auch die Finanzierung durch die Reduzierung des bestehenden Fremdkapitals eine zentrale Rolle. Gerade das Insolvenzverfahren dient dazu, eine kollektive Haftung zu realisieren. Dies geht mit einem Forderungsverlust der Gläubiger einher. Im Hinblick auf die Finanzierung der Betriebsfortführung wird entweder der (vorläufige) Verwalter oder der Erwerber, der das Unternehmen dauerhaft fortführt, versuchen, einen möglichst hohen Beitrag beim Forderungsverzicht der bisherigen Gläubiger zu realisieren. Dies konkretisiert sich deutlich bei der Sanierung mittels eines Insolvenzplans, da eine geringe Quote bei den Altverbindlichkeiten unmittelbar zu einer geringeren Finanzierungslast des Unternehmens nach Planannahme führt. Aber auch bei der Übernahme einer bestehenden Finanzierungsstruktur konkretisiert sich dies durch eine unmittelbare Verhandlung zwischen der (typischerweise) finanzierenden Bank und dem Erwerber. Häufig wird dabei die Einbindung eines Besserungsscheins vereinbart, bei dem eine Nachzahlung an das Eintreten bestimmter ertrags- oder liquiditätsrelevanter Kennzahlen gebunden wird. 37 Statt einem Forderungsverzicht kann auch eine Umwandlung der Forderung in Eigenkapital (Debt-Equity-Swap) als Sanierungsmaßnahme in Betracht kommen. Mit dem durch das ESUG eingeführten § 225a InsO wird diese Maßnahme ausdrücklich als Option in Insolvenzplanverfahren genannt. Neben der positiven bilanziellen Auswirkung, die aufgrund der Verbesserung des Verschuldungsgrades sogar bis zur Beseitigung einer Überschuldung reichen kann, wirkt sich ein Debt-Equity-Swap durch entfallende Zins- und Tilgungspflichten auch regelmäßig positiv auf die Liquidität aus.23) 38 Weitere finanzwirtschaftliche Sanierungsinstrumente sind die Einbeziehung von Sonderformen der Finanzierung wie Leasing24) oder Factoring25). Hier ist im Einzelfall zu prüfen, ob und in welcher Form diese Mittel eingesetzt werden können. 2.

Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen

39 Einen breiten Raum nehmen die leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen ein. Hierbei geht es um eine Strukturverbesserung des Unternehmens. Das Ziel ist es, nach einer Schwachstellenanalyse und einer Aufdeckung der Krisenursachen mittels der leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen die Ertrags- und Finanzkraft des Unternehmens zu stärken. Die Ansätze für diese Maßnahmen lassen sich entlang der Wertschöpfungskette des Unternehmens bilden.

___________ 23) Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, Stand: 10/2013, § 225a Rz. 9. 24) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 178. 25) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 179.

112

Weniger

§7

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung Abb. 3

40

Unterstützende Aktivitäten

nne spa inn Gew

Unternehmensinfrastruktur Personalwirtschaft Forschung & Entwicklung Einkauf

Ausgangslogistik

Marketing und Vertrieb

Kundenservice

nne

spa

Produktion

Gew inn

Eingangslogistik

Primäre Aktivitäten Bildquelle: Porter, Wettbewerbsvorteile, S. 64

2.1

Einkauf und Beschaffung

Die leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen im Bereich des Einkaufs und der Be- 41 schaffung sind darauf gerichtet, günstiger einzukaufen. Dabei muss sichergestellt sein, dass die erforderlichen Materialien in der ausreichenden Menge und Qualität und zum richtigen Zeitpunkt bereitgestellt werden. Maßgröße für eine Optimierung im Bereich Einkauf und Beschaffung ist im Wesentlichen die Materialaufwandsquote. Diese ist definiert als das Verhältnis zwischen dem Materialaufwand und der Gesamtleistung. Reziprok hierzu ergibt sich die Rohertragsquote als das Verhältnis zwischen Gesamtleistung minus Materialaufwand geteilt durch Gesamtleistung. Typische leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen im Bereich des Einkaufs und der 42 Beschaffung sind die Volumenbündelung und Reduktion der Anzahl der Lieferanten, um dadurch Skaleneffekte bzw. bessere Preise zu erzielen. Zudem reduziert sich typischerweise der Verwaltungsaufwand durch eine Komplexitätsreduzierung.26) Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Verbesserung von Einkaufskonditionen. Ein erster An- 43 satzpunkt ist der Vergleich von Preisen und Zahlungsbedingungen zwischen verschiedenen Produktionsstandorten bzw. Tochtergesellschaften. In einem weiteren Schritt können Drittangebote von Fremdlieferanten eingeholt werden. Im Rahmen der Betriebsfortführung im Insolvenz(antrags)verfahren können aufgrund der Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO bestehende Kontrakte ab Verfahrenseröffnung jederzeit gelöst werden. Allerdings ist hier zu beachten, dass die Substitution von einzelnen Lieferanten typischerweise einen zeitlichen Vorlauf erfordert. Auch hier ist im Einzelfall abzustimmen, ob der Wechsel des Lieferanten eine geeignete Maßnahme ist. Weiterer Ansatzpunkt im Bereich Einkauf und Beschaffung ist die Prüfung einer grund- 44 sätzlichen Substitution von Materialien durch günstigere Drittprodukte. Allerdings ist hier auf die konkrete Materialspezifikation zu achten, sodass die qualitativen Anforderungen weiterhin erfüllt werden.27) Schließlich können einzelne Produktbereiche, die im Unternehmen nicht oder nicht kostendeckend gefertigt werden können, an Drittfirmen outgesourct ___________ 26) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 112. 27) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 113 f.

Weniger

113

§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

werden. Dies ist sowohl auf zentrale Dienstleistungen, wie z. B. die Buchhaltung, als auch auf einzelne Wertschöpfungsstufen im Fertigungsprozess anwendbar. 45 Im Rahmen der Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren wird dies typischerweise kein geeignetes Mittel sein, da aufgrund der Regelungen zum Insolvenzgeld erhebliche Einsparungen bei der Eigenfertigung realisiert werden können. Zur dauerhaften Sicherung der Rentabilität kann es hier im Einzelfall jedoch geboten sein, Teilbereiche outzusourcen. 2.2

Produktion

46 Im Bereich der Produktion gibt es ein breites Einsatzgebiet für leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen. Ansatzpunkte können sein: x

die Senkung der Materialeinsatzquote,

x

die Steigerung der Anlageneffizienz,

x

die Reduktion der Durchlaufzeiten von Material- und Vorratsbeständen oder

x

ein effizienterer Einsatz von vorhandenen Maschinen und Personal durch eine verbesserte Ressourcenplanung und -steuerung.28)

47 Typischerweise erfordert die Optimierung der Produktion das Hinzuziehen von Produktionsexperten, um z. B. Ausschussquoten zu reduzieren bzw. konstruktionsbedingte oder prozessbedingte Mehrverbräuche in den Griff zu bekommen. 48 Im Bereich der Produktion lässt sich eine Reihe von Kennzahlen ermitteln, die standortbzw. filialbezogene Vergleiche ermöglichen. Die Kennzahl für die Leistungsfähigkeit in der Produktion ist die Produktivität, also das Verhältnis zwischen Output und Input. Beispiele: Die Arbeitsproduktivität, also das Verhältnis zwischen Ausbringungsmenge und geleisteter Arbeitszeit in Stunden: Diese Kennzahl ist im produzierenden Gewerbe, aber auch in anderen Bereichen gängig, wie z. B. dem Handel. Ferner gibt es die Maschinen- oder Anlagenproduktivität als das Verhältnis zwischen der Ausbringungsmenge und der eingesetzten Maschinen bzw. Anlagen und Zeit oder die Flächenproduktivität als das Verhältnis zwischen dem Umsatz oder Ertrag und der eingesetzten Fläche. Letztere finden hauptsächlich im Einzelhandel, aber auch in Bereichen wie der Landwirtschaft Anwendung. 49 Eine zentrale Aufgabe der Produktportfolioanalyse i. R. der Erarbeitung von leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen ist die Schaffung von Transparenz in Bezug auf die Produktrentabilität.29) Auf dieser Grundlage lassen sich auch bestimmte Stadien im Produktlebenszyklus von Produkten oder Produktionslinien darstellen. Hieraus ergeben sich Rückschlüsse auf die strategische Positionierung des Unternehmens. 50 Diese Rückschlüsse sind erforderlich, um ein langfristiges Sanierungskonzept für das schuldnerische Unternehmen zu erarbeiten. Erst dann, wenn eine dauerhafte Renditefähigkeit des Unternehmens mittels geeigneter Sanierungsmaßnahmen darstellbar ist, bestehen Chancen, dass der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb verkaufen bzw. im Wege eines Insolvenzplanverfahrens sanieren kann.

___________ 28) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 115. 29) Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management, S. 80.

114

Weniger

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung 2.3

§7

Vertrieb

Im Bereich der leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen im Vertrieb lassen sich 51 kurz- und mittel- bzw. langfristige Ansätze unterscheiden. Typischerweise wird der (vorläufige) Insolvenzverwalter im Insolvenz(antrags)verfahren alle Möglichkeiten zur kurzfristigen Vertriebssteigerung ausschöpfen. Erforderlich ist in einem zweiten Schritt aber auch eine langfristige Absicherung der Vertriebsstrategie.30) In kurzfristiger Hinsicht muss die Kundenkommunikation verbessert werden, um da- 52 mit auch das Kundenvertrauen wiederherzustellen. Aufgrund der Insolvenzantragstellung sind typischerweise gerade die Kunden unsicher und zeigen dies in einem zurückhaltenden Bestellverhalten. Hier kann der (vorläufige) Verwalter durch die Einhaltung von Lieferund Qualitätszusagen verlorengegangenes Vertrauen wiederherstellen. Wichtig ist hier eine offene und rechtzeitige Kommunikation. Die bestehenden Chancen aber auch Risiken in der weiteren Zusammenarbeit müssen offen kommuniziert werden. Unter Liquiditätsgesichtspunkten kann das Working-Capital optimiert werden, indem 53 eine beschleunigte Rechnungslegung bzw. eine Verkürzung von Zahlungszielen vereinbart wird. Ein weiteres Mittel ist auch die Vereinbarung von Anzahlungen bzw. das Beistellen von Material. Durch einen beschleunigten Abbau von Fertigerzeugnissen, Sonderverkäufen und sonstigen Rabatt- oder Werbeaktionen können zudem Liquiditätspotenziale erschlossen werden.31) In langfristiger Hinsicht ist typischerweise eine Neuausrichtung der Vertriebsstrategie 54 erforderlich. Hier hilft das Instrument der ABC-Analyse, um zu ermitteln, welche Kunden für die zukünftige Positionierung des Unternehmens relevant sind. Hierbei steht weniger das Umsatzvolumen, als vielmehr die Erwirtschaftung von besonders hohen Deckungsbeiträgen im Vordergrund. Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen zur Optimierung der Unternehmensin- 55 frastruktur setzen bei den Sachkosten32) an. Diese umfassen, neben dem betrieblichen Overhead und der Verwaltung, den gesamten Organisationsbereich des Unternehmens. Entscheidend ist hier die Frage, was benötigt wird, um den operativen Betrieb zu erhalten. In diesem Zusammenhang kommen sämtliche Sachkosten auf den Prüfstand. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens besteht die Möglichkeit, sich sämtlicher vertraglichen Verpflichtungen zu entledigen, die nicht mit der Kernwertschöpfungstätigkeit im Unternehmen im Zusammenhang stehen. Solch weitreichende Ansätze zur leistungswirtschaftlichen Optimierung des Unternehmens bestehen außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht bzw. nicht in diesem Umfang. Im Bereich der Raumkosten ist zu klären, welche Räume tatsächlich für die Betriebsfort- 56 führung benötigt werden. Sonstige Flächen werden abgemietet. Hier stellt sich auch die Frage, ob durch eine Verringerung der vom Unternehmen genutzten Räume bzw. durch eine dichtere Besetzung bestimmter Räumlichkeiten die Flächenrentabilität erhöht werden kann. Sofern eine Fortführung zu den bisherigen Mietkonditionen betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll ist, ist auch der Umzug in Räume mit niedrigeren Raumkosten pro Quadratmeter zu prüfen.33) In Einzelfällen können aber auch befristete Mietkürzungen in Form eines Sanierungsbeitrags des Vermieters vereinbart werden.

___________ 30) 31) 32) 33)

Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management, S. 88. Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 122 f. Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management, S. 101. Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management, S. 103.

Weniger

115

§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

57 Der Fuhrpark des Unternehmens steht auf dem Prüfstand. Nicht benötigte Fahrzeuge werden verkauft bzw. dem Leasinggeber zurückgegeben. Eine interne Optimierung kann durch die Einführung von Poolfahrzeugen erreicht werden. 58 Gleiches gilt für sämtliche sonstigen betrieblichen Aufwendungen, wie der x

Energieverbrauch,

x

der Bereich Werbung und Marketing,

x

Kommunikationsaufwendungen,

x

Mitgliedschaften,

x

Versicherungen und

x

sonstige Verbrauchsmaterialien.

59 Im Bereich der Kapitalkosten ist zu prüfen, wie eine optimale Unternehmensfinanzierung gestaltet werden kann. Dies hängt maßgeblich auch von der Frage ab, in welcher Form die Fortführung des Unternehmens organisiert werden soll (übertragende oder erhaltende Sanierung). 60 Ein breites Feld der leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen sind die Personalaufwendungen. Im Kern ist zu prüfen, welche Kapazitäten für die zukünftige Leistungserstellung erforderlich sind. Im Rahmen dieser Personalplanung ist anhand von BenchmarkingZahlen (intern und extern) zu ermitteln, wie die optimale Personalstruktur aussehen soll.34) Die Personalanpassung im Insolvenzverfahren erfolgt dabei grundsätzlich nach den gleichen Regeln, wie i. R. eines außergerichtlichen Sanierungsprozesses. Allerdings gibt es durch die verkürzte Kündigungsfrist gemäß § 113 InsO bzw. durch die Begrenzung des Sozialplanvolumens gemäß § 123 Abs. 1 InsO erhebliche Erleichterungen gegenüber der außergerichtlichen Sanierung. 3.

Planung der Sanierungsmaßnahmen

61 Sämtliche Sanierungsmaßnahmen (finanzwirtschaftliche und leistungswirtschaftliche) sind im Einzelnen zu identifizieren und auf ihre Liquiditäts- und GuV-Relevanz hin zu prüfen. Ferner sind die Verantwortlichkeiten für die Umsetzung einschließlich der zeitlichen Komponente festzulegen. Die Sanierungsmaßnahmen bilden das Rückgrat des nachfolgend zu erstellenden Sanierungskonzepts, das den Fahrplan für die Restrukturierung aufzeigt. Nur wenn im Wege einer wertenden Gesamtschau aller identifizierten Sanierungsmaßnahmen eine positive Liquiditäts- und Ertragssituation dargestellt werden kann, ist eine Betriebsfortführung zu befürworten. Diese Potenzialanalyse ist vom (vorläufigen) Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Eigenverwalter durchzuführen. IV.

Sanierungskonzept und Planungsrechnung

62 Das Sanierungskonzept zeigt auf, mit welchen Maßnahmen und Effekten das Unternehmen zu einer nachhaltigen Rendite und Wettbewerbsfähigkeit geführt werden kann. Das Konzept ist damit Grundlage für jede nachvollziehbare und schlüssige Darstellung der Sanierungsfähigkeit des Unternehmens. 63 Grundsätzlich gibt es verschiedene formale Anforderungen, die ein Sanierungskonzept zu erfüllen hat. In der Praxis hat sich vor allem der Standard 6 (IDW S 6) durchgesetzt. Bei der Erarbeitung betriebswirtschaftlicher Entscheidungsgrundlagen für eine Unternehmensfortführung kann ein standardisiertes Sanierungsgutachten nach formellen Kriterien allenfalls ein Anhaltspunkt für den Aufbau des Gutachtens sein. ___________ 34) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 127.

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Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung

§7

Allerdings bietet es sich hinsichtlich des Inhalts und Umfangs des Konzepts an, sich an 64 solchen Standards zu orientieren. Das Anwendungsgebiet ist dabei in dreierlei Hinsicht zu sehen: x

Zum einen dient ein Sanierungskonzept als Entscheidungsgrundlage für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter, ob eine Betriebsfortführung sinnvoll ist.

x

Zum zweiten bietet sich das Sanierungskonzept als Argumentationsgrundlage i. R. eines Verkaufsprozesses an, um den angesetzten Firmenwert zu rechtfertigen.

x

Schließlich ist das Sanierungskonzept bei einer erhaltenden Sanierung erforderlich, um die Anforderungen des darstellenden Teils des Insolvenzplans zu erfüllen.

Gemäß dem IDW Standard ist es erforderlich, dass im Sanierungskonzept wesentliche 65 Unternehmensdaten aufgenommen werden sowie die für die Krise verantwortlichen Ursachen und deren Auswirkungen erläutert werden. Auf relevante Einflussfaktoren – rechtlicher als auch ökonomischer Natur – ist ebenfalls einzugehen. Auf Grundlage einer „systematischen Lagebeurteilung“ sind dann die Sanierungsmaßnahmen (finanz- und leistungswirtschaftliche) aufzuführen, welche sich am Leitbild des sanierten Unternehmens zu orientieren haben. Schließlich werden die Auswirkungen der Sanierungsmaßnahmen i. R. einer integrierten Liquiditäts-, Ertrags- und Vermögensplanung abgebildet.35) Diese integrierte Unternehmensplanung muss dabei die insolvenzbedingten Effekte im Einzelnen aufführen. Ferner sind die GuV-relevanten, liquiditäts- und bilanzrelevanten finanzund leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen in der integrierten Unternehmensplanung abzubilden. Bei der Planungserstellung bietet es sich an, sämtliche Planungsannahmen im Detail zu dokumentieren und rechentechnisch mit der integrierten Unternehmensplanung zu verknüpfen. Vor der Planungserstellung sollten sich zunächst der Planungsgegenstand (Marktumfeld, 66 Branche, Unternehmensgruppe, Geschäftsmodell) sowie der Planungszweck (z. B. Prüfung der Fortführungsfähigkeit des Unternehmens) vergegenwärtigt werden. An diesem sollten der Aufbau und die Darstellung der Planung ausgerichtet sein.36) Eine gesetzliche Vorschrift, wie das Planungswerk zu strukturieren ist, gibt es nicht. Typischer Planungshorizont ist ein Zeitraum von drei bis fünf Jahren. Dies hängt im Wesentlichen vom Unternehmensgegenstand ab. Unternehmen, die z. B. im Projektgeschäft mit langjährigen Entwicklungs- und Produktionslaufzeiten zu tun haben, werden in der Regel einen längeren Planungshorizont haben. Die Tragfähigkeit und Stimmigkeit des Sanierungskonzepts ist auch anhand der Entwicklung geeigneter Kennzahlen im Planungszeitraum zu plausibilisieren.37) V.

Umsetzung und Controlling

Die Umsetzung des Sanierungskonzepts i. R. der Betriebsfortführung erfordert ein kon- 67 sequentes Projektmanagement, das mit einer klaren Aufbauorganisation und klaren Verantwortlichkeiten die Grundlage für die Umsetzung schafft. In der Konzeptionierungsphase erfolgt dabei ein Top-Down-Ansatz, bei dem die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen unter Einbeziehung des Eigenverwalters und der Führungskräfte des Unternehmens gemeinsam mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter erarbeitet werden. Neben der Ausarbeitung eines umfassenden Sanierungskonzepts benötigt insbesondere 68 der vorläufige Insolvenz- bzw. Eigenverwalter oder Sachwalter eine cashflow-basierte Planungsrechnung. Darin sind die zu erwartenden Überschüsse aus der unmittelbaren Be___________ 35) IDW S 6 Nr. 2 (Stand: 20.8.2012). 36) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 213. 37) IDW S 6 Nr. 131 (Stand: 20.8.2012).

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§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

triebstätigkeit den zu erwartenden Auszahlungen gegenüberzustellen. Sofern ein liquider Überschuss erzielt wird, ist die Betriebsfortführung sinnvoll, um die Masse zu mehren. 69 Die Umsetzung der Maßnahmen erfolgt in der Implementierungsphase in Form eines Bottom-Up-Ansatzes. 70 Unter Einbindung der Mitarbeiter werden die Maßnahmenpakete in Einzelmaßnahmen zerlegt und mit konkreten Verantwortlichkeiten und Deadlines hinterlegt. Ein typisches Arbeitsinstrument ist hierbei ein Workshop. 71 Die detaillierten Maßnahmenpläne dienen als Grundlage für das spätere Sanierungscontrolling. Das Controlling wird in aller Regel in die Bereiche x

Maßnahmencontrolling und

x

Ergebniscontrolling

unterschieden. 72 Aufgabe des Sanierungscontrollings ist es, ggf. Planabweichungen möglichst frühzeitig zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern. Typische Abweichungen können sein: Terminverzug, Budgetüberschreitung oder Ergebnisabweichung. Die Aufgaben des Sanierungscontrollings gehen über die reine Kontrolle weit hinaus. Frühzeitig und regelmäßig soll ein Plan-Ist-Abgleich erfolgen, um Ursachen von x

Planabweichungen zu analysieren,

x

Gegenmaßnahmen zu initiieren und

x

die Verantwortlichen zu informieren.

73 Neben dem Maßnahmencontrolling spielt das Ergebniscontrolling, d. h. die Überprüfung, ob die angestrebten Ergebniseffekte erreicht werden, eine zentrale Rolle. Das Sanierungscontrolling vereint die beiden Elemente des Maßnahmen- und Ergebniscontrollings und soll die (geplante) positive Entwicklung des Unternehmens gezielt begleiten und steuern. 74 Zur Unterstützung der Umsetzung des Sanierungskonzepts gibt es verschiedene Ansätze i. R. von Insolvenzverfahren. Typischerweise wird der (vorläufige) Insolvenzverwalter auf die bestehenden Managementstrukturen aufsetzen. Allerdings gibt es im Einzelfall Situationen, in denen eine externe Unterstützung erforderlich ist. Diese kann entweder durch einen Berater oder einen Restrukturierungsverantwortlichen (Chief Restructuring Officer: CRO) erfolgen. Der CRO bringt die benötigten persönlichen Eigenschaften und die fachliche Kompetenz mit und hat die Aufgabe, die Sanierung maßgeblich zu gestalten und voranzutreiben. Seine Tätigkeit im Unternehmen ist immer zeitlich befristet, hat einen klaren Fokus auf die Sanierung und er hat typischerweise Weisungsbefugnis. VI.

Zusammenfassung

75 Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen zur Unternehmensfortführung im Insolvenz(antrags)verfahren sind bei einer kurzfristigen Betrachtung liquiditätsorientiert, mittel- bzw. langfristig sind sie ertragsorientiert. Das Ziel ist dabei, ein nachhaltig renditeund wettbewerbsfähiges Unternehmen zu erhalten. 76 Basis für die Entscheidungsfindung, ob bzw. in welcher Form der Betrieb fortgeführt werden kann, ist eine detaillierte Krisenanalyse einschließlich des konkreten Krisenstadiums (Ursachenanalyse). Auf dieser Grundlage werden finanz- und leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen erarbeitet. Die sich daraus ergebenden Effekte werden in Form eines Sanierungskonzepts dargestellt, das die Unternehmensentwicklung in Form einer integrierten Liquiditäts-, GuV- und Bilanzplanung abbildet. Dieses Konzept dient auch als Grundlage für das Controlling der weiteren Betriebsfortführung.

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§8 Die Finanzierung der Betriebsfortführung Übersicht I. 1.

Theoretische Grundlagen .......................... 1 Betriebsfortführung und Unternehmensfinanzierung ......................................... 1 2. Regel- und Insolvenzplanverfahren ............ 2 3. Systematisierung der Finanzierungsformen........................................................... 4 4. Umfang der Darstellung .............................. 8 II. Liquiditätsplanung...................................... 9 III. Finanzierung durch Verwertung ............ 13 1. Überblick .................................................... 13 2. Verwertung unbelasteter Gegenstände ..... 16 3. Verwertung belasteter Gegenstände ......... 22 4. Insbesondere: Forderungseinzug .............. 25 IV. Finanzierung durch Eigenkapital ........... 31 1. Überblick .................................................... 31 2. Kapitalerhöhung/Nachschüsse ................. 33 2.1 Grundlagen...................................... 33 2.2 Durchführung ................................. 34 2.3 Vorteile und Risiken ....................... 39 2.4 Personengesellschaften................... 41 3. Kapitalschnitt ............................................. 42 3.1 Grundlagen...................................... 42

3.2 Durchführung ................................. 43 3.3 Vorteile und Risiken ....................... 46 3.4 Personengesellschaften................... 47 4. Debt-Equity-Swap ..................................... 48 4.1 Grundlagen...................................... 48 4.2 Durchführung ................................. 49 4.3 Vorteile und Risiken ....................... 52 4.4 Personengesellschaften................... 58 V. Finanzierung durch Fremdkapital.......... 59 1. Überblick.................................................... 59 2. Langfristige Kreditfinanzierung ................ 60 2.1 Massedarlehen ................................. 60 2.2 Gesellschafterdarlehen.................... 76 3. Kurzfristige Kreditfinanzierung................ 78 3.1 Handelskredit.................................. 78 3.2 Kontokorrentkredit ........................ 79 4. Kreditsubstitute ......................................... 81 4.1 Factoring ......................................... 82 4.2 Leasing............................................. 88 5. Fortführungsvereinbarungen .................... 91 VI. Finanzierung durch die öffentliche Hand ........................................................... 95

Literatur: Altmeppen, Zur Rechtsstellung der Gläubiger im Konkurs gestern und heute, in: Festschrift für Peter Hommelhoff, 2012, S. 1; Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter in der Unternehmensinsolvenz, 2002; Andres/Hees, Weiterveräußerung von Vorbehaltsware im Insolvenzeröffnungsverfahren trotz Erlaubnis, NZI 2011, 881; Arnold, The Handbook of Corporate Finance, 2005; Bauer/Dimmling, Endlich im Gesetz(entwurf): Der Debt-Equity-Swap, NZI 2011, 517; Beyer, Die handels- und steuerrechtliche Behandlung eines Debt-Equity-Swap mit Genussrechten bei Kapitalgesellschaften, DStR 2012, 2199; Bochardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, 2. Aufl., 2015; Born, Aktuelle Steuerfragen im Zusammenhang mit Debt-Equity-Swap-Transaktionen, BB 2009, 1730; Braun/Frank, Der Kreditrahmen gem. § 264 InsO als Finanzierungsinstrument des Sanierungsplans, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2009, S. 859; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz – Grundlagen, Gestaltungsmöglichkeiten, Sanierung mit der Insolvenzordnung, 1997 (zit. Unternehmensinsolvenz); Brugugnone, Insolvenzbedingte Vereinbarungen im Lichte des § 103 InsO, NZI 2012, 638; Decher/Voland, Kapitalschnitt und Bezugsrechtsausschluss im Insolvenzplan – Kalte Enteignung oder Konsequenz des ESUG, ZIP 2013, 103; Ehricke, Grundprobleme staatlicher Beihilfen an ein Unternehmen in der Krise im EG-Recht, WM 2001, Beilage 3; Eilers, Der Debt Equity Swap – Eine Sanierungsmaßnahme für unternehmerische Krisensituationen, GWR 2009, 3; Engert, Die Haftung für drittschädigende Kreditgewährung, 2005; Ferran, Principles of Corporate Finance, 2008; Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung in der Unternehmensinsolvenz, 1998 (zit. Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung); Fischer, Haftungsrisiken für Insolvenzverwalter bei unterlassener Inanspruchnahme gewerblicher Prozessfinanzierung, NZI 2014, 241; Flitsch, Gesetzentwurf zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens – Großer Wurf oder Stückwerk?, BB 2006, 1805; Fritze/Heithecker, Insolvenzplansanierung und EU-Beihilfenrecht, EuZW 2010, 817; Ganter, Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungs- und Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 433; Ganter, Betriebsfortführung durch den vorläufigen Verwalter trotz Globalzession?, NZI 2010, 551; Ganter, Sicherungsmaßnahmen gegenüber Aus- und Absonderungsberechtigten im Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2007, 549; Gehrlein, Banken – vom Kreditgeber zum Gesellschafter – neue Haftungsfallen? (Debt-Equity-Swap nach ESUG), NZI 2012, 257; Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Stand: 57. Lfg. 2015; Grub, Die Fortführungsvereinbarung in der Insolvenz, in: Festschrift für Klaus Hubert Görg, 2010, S. 201; Haarmeyer/Pape, Das Ende des zu allen Rechtshandlungen ermächtigten „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters, ZInsO 2002, 845; Hess, Sanierungshandbuch, 4. Aufl., 2009; Hess/Fechner/Huber, Finanzierungsoptionen für ein Kreditinstitut im Insolvenzeröffnungsverfahren – unter besonderer Berücksichtigung der unechten Massekredite, NZI

Pluta/Ch. Keller

119

§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

2014, 439; Hill, Gläubigerinteresse versus Kundeninteresse bei Fortführungsvereinbarungen in Insolvenzverfahren von Automobilzulieferern – Anmerkungen zur ZInsO-Dokumentation, ZInsO 2014, 642 ff. – Fortführungsvereinbarungen in einem Insolvenzverfahren aus der Automobilbranche, ZInsO 2014, 1513; Hess/Fechner/Freund/Körner, Sanierungshandbuch, 3. 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Planung und Beschaffung von Liquidität); Lwowski/Wunderlich, Insolvenzanfechtung von Kapitalerhöhungsmaßnahmen, NZI 2008, 129; Lwowski/Wunderlich, Insolvenzanfechtung von Kapitalherabsetzungs- und Umwandlungsmaßnahmen, NZI 2008, 595; Möhlenkamp, Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten – Die neuen Leitlinien der EU-Kommission im System des europäischen Beihilfenrechts, Beilage zu ZIP 2014, Heft 44; Müller, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan, KTS 2012, 419; Müller, Die Kapitalerhöhung in der Insolvenz, ZGR 2004, 842; Müsgen, Die GmbH in Konkurs und Insolvenz, MittRhNotK 1997, 409; Oppermann/Smid, Ermächtigung des Schuldners zur Aufnahme eines Massekredits zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes im Verfahren nach § 270a InsO, ZInsO 2012, 862; Pape, Aktuelle Entwicklungen im Insolvenzeröffnungsverfahren, ZIP 2002, 2277; Paulus, Fortführungsvereinbarungen, Insolvenzgeld und Lieferketten, ZInsO 2015, 2160; Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, 16. 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Eine Bestandsaufnahme aus dem Blickwinkel der GmbHBeratung, GmbHR 2013, 337; Runge, Covenants in Kreditverträgen: Grenzen der Einflussnahme von Kreditinstituten, 2010; Schaaf/Mushardt, Das Schicksal des Wahlrechts nach § 103 InsO bei Fortführungsvereinbarungen, BB 2013, 2056; Schmidt, K., Debt-to-Equity-Swap bei der (GmbH & Co.-)Kommanditgesellschaft, ZGR 2012, 566; Schmidt, K., Treuepflichten der Gesellschafter eines Immobilienfonds in Sanierungsfällen, JuS 2010, 162 (Urteilsanm.); Schmidt, K., Die sanierende Kapitalerhöhung im Recht der Aktiengesellschaft, GmbH und Personengesellschaft, ZGR 1982, 519; Schönfelder, Die Besicherung von Massekrediten im Insolvenzeröffnungsverfahren, WM 2007, 1489; Schluck-Amend/ Seibold, Fortführungsvereinbarungen als Mittel der Unternehmensfortführung in der Insolvenz, ZIP 2010, 62; Sinz, Leasing und Factoring im Insolvenzverfahren, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. 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Websky, Betriebsfortführung bei Masseunzulänglichkeit, ZInsO 2014, 1468; Wansleben, Werthaltigkeitsprüfung und Offenlegung beim Debt Equity Swap, WM 2012, 2083; Weber, Sanieren oder Ausscheiden – Treuebindungen bei der Sanierung von Personengesellschaften, DStR 2010, 702; Wellensiek, Probleme der Betriebsfortführung in der Insolvenz, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 199; Wertenbruch, Die Personengesellschaft im Vergleich zur AG und GmbH im Insolvenzplanverfahren, ZIP 2013, 1693; Wilde, Nachschusspflichten in KG und GbR, NZG 2012, 215; Wirsch, Debt Equity Swap und Risiko der Insolvenzanfechtung, NZG 2010, 1131; Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Grundzüge der Unternehmensfinanzierung, 10. Aufl., 2009; Wuschek, Massekredite als Sanierungsbeitrag, InsbürO 2012, 456; Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, 3. Aufl., 2011.

I.

Theoretische Grundlagen

1.

Betriebsfortführung und Unternehmensfinanzierung

1 Die Finanzierung der Betriebsfortführung in der Insolvenz ist eine spezielle Form der Unternehmensfinanzierung. Sie ist Unternehmensfinanzierung, weil sie der Finanzierung 120

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

eines am Markt tätigen Unternehmens dient. Um eine spezielle Form der Unternehmensfinanzierung handelt es sich, weil die Insolvenz des Unternehmens zu besonderen tatsächlichen und rechtlichen Problemlagen führt, die gelöst werden müssen. Die Einordnung der Finanzierung der Betriebsfortführung als besondere Form der Unternehmensfinanzierung ist von doppeltem Erkenntniswert: Zum einen eröffnet dieser Verständniszugang den Zugriff auf den theoretischen Unterbau, den die Betriebswirtschaftslehre für die Unternehmensfinanzierung geschaffen hat und noch schafft. Zum anderen sensibilisiert er dafür, dass herkömmliche Finanzierungsmodelle nicht unverändert auf die Situation der Insolvenz übertragen werden können, sondern dass sie im rechtlichen Detail der Abstimmung auf diese besondere Situation bedürfen. 2.

Regel- und Insolvenzplanverfahren

Die Finanzierung eines Betriebs ist im Kontext dieses Handbuches die Finanzierung eines 2 Unternehmens, über das ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Dieses Insolvenzverfahren kann die Gestalt eines Regel- oder eines Insolvenzplanverfahrens annehmen. Ob das eine oder das andere der Fall ist, hat auf die in Betracht kommenden Finanzierungsmöglichkeiten maßgeblichen Einfluss: Liegt ein Regelinsolvenzverfahren vor, so stellt sich die Frage der Finanzierung der Betriebsfortführung nur dann, wenn der Betrieb überhaupt fortgeführt werden soll. Das ist keineswegs immer, sondern nur dann der Fall, wenn die Veräußerung des Betriebs oder eines Teils hiervon im Wege der übertragenden Sanierung geplant ist. Wo dies nicht der Fall ist, ist das Regelinsolvenzverfahren ein reines Liquidationsverfahren, i. R. dessen Fragen der Betriebsfortführung oder ihrer Finanzierung regelmäßig keine Bedeutung erlangen. Anders im Insolvenzplanverfahren: Das Insolvenzplanverfahren ist auf die Erhaltung sowohl des Unternehmens als auch des Unternehmensträgers ausgerichtet, weshalb beider Finanzierung eine seiner zentralen Fragen ist. Dem hat auch der Gesetzgeber Rechnung getragen: Die Vorschriften über das Insolvenzplanverfahren enthalten anders als diejenigen über das Regelinsolvenzverfahren Spezialvorschriften über die Finanzierung des fortzuführenden Unternehmens. Das eröffnete Insolvenzverfahren – sei es Regel- oder Planverfahren – ist nicht der einzige 3 Hintergrund, vor dem sich die Frage nach der Finanzierung der Betriebsfortführung stellt: Sie stellt sich auch schon im vorläufigen Insolvenzverfahren. Die Finanzierung der Betriebsfortführung wird in diesem Kapitel im Hinblick auf das eröffnete Insolvenzverfahren entwickelt. Das vorläufige Insolvenzverfahren findet nur dort Erwähnung, wo sich Unterschiede in der Implementierung eines Finanzierungsinstruments ergeben. Gleiches gilt für die Eigenverwaltung (einschließlich des Schutzschirmverfahrens), die kein eigener Verfahrenstyp, sondern eine Modalität der Durchführung von Regel- oder Insolvenzplanverfahren ist. 3.

Systematisierung der Finanzierungsformen

Die Finanzierung eines insolventen Unternehmens ist im wesentlichen Außenfinanzierung. 4 Ihr Gegenstück, die Innenfinanzierung, ist bei der Finanzierung eines insolventen Unternehmens regelmäßig von untergeordneter Bedeutung. Das hat zwei Gründe: x

Erstens: Innenfinanzierung ist die Finanzierung des Unternehmens aus Umsatzüberschüssen (cashflow).1) Ein insolventes Unternehmen wird in der Regel aber nicht mehr über eine tragfähige Innenfinanzierung verfügen, auf die der (vorläufige) Insolvenzverwalter zurückgreifen kann. Vielmehr ist gerade das Fehlen einer tragfähigen Innenfinanzierung in unheilvollem Verbund mit einer zu geringen Eigenkapitalquote die am

___________ 1) Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 281, 286.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung häufigsten anzutreffende Insolvenzursache: Der betriebliche Umsatzprozess bildet kein Kapital mehr, sondern verbraucht es nur noch.2)

x

Zweitens: Selbst wenn das Unternehmen aus dem betrieblichen Umsatzprozess noch Liquidität schöpfen kann, ändert sich der Befund nicht. Innenfinanzierung ist die Finanzierung des Unternehmens mit der Liquidität, die dem Unternehmen von seinen Kunden zufließt. Die insolvenzrechtliche Praxis zeigt indes, dass Forderungen gegen Kunden praktisch immer zur Sicherheit an Fremdkapitalgeber abgetreten sind.3) Sie stehen deshalb zur Finanzierung der Betriebsfortführung nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, selbst wenn der erzielte Umsatzgewinn an sich zur Finanzierung der Betriebsfortführung geeignet wäre. Hierauf wird später – im Abschnitt über den Forderungseinzug – zurückzukommen sein.

5 Im Rahmen der Außenfinanzierung kann die Eigenfinanzierung von der Fremdfinanzierung unterschieden werden.4) Mit diesen Oberbegriffen korrespondieren auf Ebene des Unternehmens die Begriffe Eigenkapital und Fremdkapital. Eigenfinanzierung ist die Finanzierung durch Eigenkapital, Fremdfinanzierung diejenige durch Fremdkapital. Eigenund Fremdkapital entsprechen den in § 266 Abs. 3 A. bzw. C. HGB ausgewiesenen Positionen. Während die Darstellung der Instrumente der Fremdfinanzierung weitestgehend ohne rechtsformspezifische Differenzierungen auskommt (mit der wichtigen Ausnahme des Rechts der Gesellschafterdarlehen), ist dies bei der Eigenfinanzierung anders: Die Art der Eigenfinanzierung unterscheidet sich je nachdem, ob Unternehmensträger eine natürliche Person, eine Personengesellschaft oder eine Kapitalgesellschaft ist. Die Darstellung der Eigenfinanzierung wird hier aus Raumgründen exemplarisch anhand der Kapitalgesellschaften deutschen Rechts – GmbH und AG – entwickelt.5) Den Personengesellschaften ist jeweils ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem die sie jeweils betreffenden Besonderheiten komprimiert dargestellt sind. Unternehmensträger anderer Rechtsformen finden nur Erwähnung, wo dies zum besseren Verständnis erforderlich ist. 6 Eigen- und Fremdfinanzierung weisen eine Reihe von Charakteristika auf, die sich wie folgt systematisieren lassen:6) x

Eigenkapital zeichnet sich aus durch das Risiko des Totalverlusts in der Insolvenz (vgl. § 199 InsO), die Vermittlung von Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen, den unmittelbaren Zugang zu Informationen über die Gesellschaft, die Beteiligung am Unternehmenswert und die Beteiligung am Gewinn des Unternehmens. Das Paradigma des Eigenkapitalgebers ist der Gesellschafter.

___________ 2) Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 22 Rz. 2. 3) Vgl. Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 22 Rz. 120. 4) Damit folgen wir Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 43. A. A. Wöhe/Bilstein/ Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 22 f., 190, wonach Eigen- und Fremdfinanzierung sowohl Außen- als auch Innenfinanzierung sein können. 5) Eine vollständige rechtsformspezifische Darstellung der Eigenfinanzierung findet sich bei Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 60 – 1 15 oder Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 49 – 1 68. Monografische Abhandlungen zur Finanzierung der Betriebsfortführung sind Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität in Insolvenzverfahren (2010) und Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung in der Unternehmensinsolvenz (1998). 6) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 371 f. Die folgende Systematisierung bedarf in zweierlei Hinsicht der Erläuterung. Erstens: Die dargestellten Merkmale müssen nicht alle gemeinsam und nicht alle in maximaler Ausprägung vorliegen; sie stellen ein bewegliches System dar, das Mischformen zwischen Fremd- und Eigenkapital (sog. „Mezzanine“) zulässt (dazu Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 173 – 1 79). Zweitens: Darlehensgeber streben danach, ihre Rechtsstellung namentlich in puncto Entscheidungsbefugnis und Informationszugang vertraglich an die eines Gesellschafters anzunähern (monografisch Runge, Covenants in Kreditverträgen: Grenzen der Einflussnahme von Kreditinstituten, 2010). Geschieht dies im Übermaß, ist die Anwendung der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO die Folge.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung x

§8

Fremdkapital ist gekennzeichnet durch die quotale Beteiligung an der Insolvenzmasse, das Fehlen von Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen, den fehlenden Zugang zu Informationen über die Gesellschaft, das Fehlen einer Beteiligung am Unternehmenswert und die feste Verzinsung. Das Paradigma des Fremdkapitalgebers ist der Darlehensgeber. Die Forderung des Darlehensgebers ist regelmäßig besichert, was den fehlenden Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen und den fehlenden Zugang zu Informationen über die Gesellschaft ausgleichen soll.

Der Gewinnanteil des Gesellschafters und die Verzinsung des Darlehensgebers unterlie- 7 gen unterschiedlicher Besteuerung. Schließlich ist zu beachten, dass Eigen- und Fremdfinanzierung nicht beziehungslos nebeneinander stehen: Je größer die Eigenkapitalquote ist, desto geringer sind die Kosten der Aufnahme von Fremdkapital. Diese Charakteristika sind die wesentlichen Parameter der Finanzierungsentscheidung.7) Sie werden bei der Gegenüberstellung von Risiken und Vorteilen bestimmter Finanzierungsinstrumente später in diesem Kapitel nicht mehr eigens erwähnt, denn dort geht es nur noch um die spezifischen Vorteile und Risiken eines bestimmten Finanzierungsinstruments. Sie müssen aber stets mitbedacht werden. 4.

Umfang der Darstellung

Dieses Kapital enthält im Folgenden eine Skizze der von jedem Insolvenzverwalter zu leis- 8 tenden Liquiditätsplanung. Es enthält sodann eine nach Verwertungsmaßnahmen, Eigenund schließlich Fremdfinanzierung geordnete Darstellung der Instrumente, von denen ein Insolvenzverwalter Gebrauch machen kann, wenn er – wie Mönning in der ersten Auflage dieses Buches schrieb – bei Amtsantritt leere Kassen vorfindet.8) Den Schluss des Kapitels bildet ein Überblick über die Möglichkeiten, die Betriebsfortführung aus öffentlichen Finanzierungshilfen zu bestreiten. Dieses Kapitel enthält keine steuerliche Beurteilung der einzelnen Finanzierungsinstrumente; insofern muss der Leser auf speziellere Publikationen verwiesen werden, die, wenn sie von besonderer Bedeutung, Sachnähe oder Prägnanz sind, im Fußnotenapparat ausgewiesen sind. Ferner enthält dieses Kapitel keine Darstellung des Insolvenzgelds. Diese wichtige Finanzierungsquelle wird dem Grundsatz möglichst geschlossener Darstellung Rechnung tragend im Kapitel über die arbeitsrechtlichen Aspekte der Betriebsfortführung ausführlich behandelt (siehe dazu § 21 [Dreschers]). Die Insolvenzanfechtung9) und der Lastschriftwiderruf10) schließlich, die, werden sie schnell und erfolgreich durchgeführt, ebenfalls der Finanzierung der Betriebsfortführung dienen können,11) finden nur in Form dieses Hinweises Erwähnung. Zur Frage der Betriebsfortführung bei Masseunzulänglichkeit siehe von Websky;12) mit der speziellen Frage der Prozessfinanzierung beschäftigt sich Fischer.13)

___________ 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13)

Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 373 – 3 76. Mönning, 1. Aufl., 1997, Rz. 314. Mönning, 1. Aufl., 1997, Rz. 1033 ff. Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 150 – 1 54. Mönning, 1. Aufl., 1997, S. 250 ff. v. Websky, ZInsO 2014, 1468. Fischer, NZI 2014, 241.

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§8 II.

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Liquiditätsplanung

9 Es ist heute unbestritten, dass zur Betriebsfortführung im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren die Erstellung einer Liquiditätsplanung gehört.14) Eine sorgfältig erarbeitete und tragfähige Liquiditätsplanung erleichtert die Verhandlungen mit potentiellen Eigen- oder Fremdkapitalgebern,15) namentlich im Zusammenhang mit Sanierungsplänen.16) Die Erstellung, laufende Überprüfung und Aktualisierung einer Liquiditätsplanung ist i. Ü. eine insolvenzspezifische Sorgfaltspflicht i. S. der §§ 60 Abs. 1 Satz 1, 61 Satz 1 InsO.17) Ihre Verletzung kann mithin zur persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters führen. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur dann, wenn vom Insolvenzverwalter begründete Masseverbindlichkeiten nicht bedient werden können.18) Missachtet der Verwalter seine Verpflichtung zur Erstellung einer Liquiditätsplanung, so soll ihm das Insolvenzgericht nach teilweise vertretener Ansicht die Betriebsfortführung im Wege einer aufsichtlichen Maßnahme untersagen;19) richtiger erscheint jedoch, dass ihn das Gericht zunächst einmal dazu anhält, seiner Planungsverpflichtung nachzukommen. 10 Die Liquiditätsplanung besteht sowohl für den vorläufigen als auch den endgültigen Insolvenzverwalter in einer (in Anlehnung an § 275 HGB) vertikalen Gegenüberstellung von fälligen Verbindlichkeiten und verfügbarer Liquidität.20) Es handelt sich um einen Soll/Ist-Vergleich des Liquiditätszu- und -abflusses in einem den Anforderungen des Betriebes gerecht werdenden Intervall.21) Die Sollseite umfasst dabei jeden prognostizierten Zahlungszufluss und -abfluss. Als Planungseinheit sollte grundsätzlich auf die Kalenderwoche zurückgegriffen werden.22) Der Planungshorizont reicht aus Sicht des vorläufigen Insolvenzverwalters bis zum Zeitpunkt der geplanten Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wobei Besonderheiten – wie etwa die Insolvenzgeldvorfinanzierung – zu berücksichtigen sind.23) Wie weit der Planungshorizont des endgültigen Insolvenzverwalters reicht, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig: Bei Umsetzung eines Insolvenzplans kann der Planungshorizont ausnahmsweise ein Jahr oder sogar mehrere Jahre umfassen.24) 11 Die Planung ist originär oder derivativ aus anderen geprüften Teil- oder Vorplänen, wie z. B. einer Ertragsplanung, zu bilden. Der Verwalter kann extrapolierende, kausale und prag___________ 14) Braun-Böhm, InsO, § 22 Rz. 41; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 100; Mohrbutter/RingstmeierVoigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 22 Rz. 132; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 211; teilweise wird allerdings bestritten, dass die Aufstellung einer Liquiditätsplanung auch zu den Aufgaben eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters zählt, vgl. Borchardt/Frind-Borchardt, Betriebsfortführung, Rz. 687; unabdingbar soll sie sein, falls eine sog. Einzelermächtigung beantragt wird (ibid.). Weiterführend Borchardt/Frind-Wentzler, Betriebsfortführung, Rz. 1306 – 1 381. 15) Buth/Hermanns-Gless/Schmelzner, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 39 Rz. 59. 16) Borchardt/Frind-Borchardt, Betriebsfortführung, Rz. 113. 17) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 43/08, ZIP 2004, 1107; ausführlich zu dieser Entscheidung und den daraus abzuleitenden Anforderungen an die Liquiditätsplanung Pape/Graeber-Gerbers, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 100 – 1 08; s. ferner OLG Karlsruhe, Urt. v. 4.2.2005 – 12 U 227/04, VersR 2005, 1681; OLG Celle, Urt. v. 25.2.2003 – 16 U 204/02, ZIP 2003, 587; Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 39 – 4 3; zur Möglichkeit der Entlastung durch einen Liquiditätsplan BGH, Urt. v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, ZIP 2005, 311 und LG Dortmund, Urt. v. 21.10.2010 – 2 O 10/10, ZIP 2010, 2413 (LS). 18) Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung, Rz. 283 f. 19) Braun-Böhm, InsO, § 22 Rz. 41; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 67. 20) Muster: Pape/Graeber-Gerbers, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 108. 21) Borchardt/Frind-Borchardt, Betriebsfortführung, Rz. 689. 22) Pape/Graeber-Gerbers, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 104. 23) Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 61. 24) Pape/Graeber-Gerbers, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 104; Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 49 ff., 61.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

matische Prognosemethoden anwenden,25) sofern keine Methode isoliert Gegenstand der Planungsprognose ist. Bei der Quantifizierung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Prognoseansätzen – sie muss mehr als 50 % betragen – sind alternative Szenarien zu erstellen. Bei der Erstellung der Liquiditätsplanung hat der Insolvenzverwalter mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob Masseverbindlichkeiten bei Fälligkeit erfüllt werden können. Zur Absicherung der Zahlungsfähigkeit sollte eine Liquiditätsreserve vorgehalten werden. Über die Erstellung einer Bilanz- und Ertragsplanung kann eine integrierte Rechnung aufgebaut werden, die eine Kontrolle und Plausibilisierung der Liquiditätsplanung ermöglicht. Der Insolvenzverwalter kann die Liquiditätsplanung selbst erstellen oder die Aufgabe an 12 qualifizierte eigene Mitarbeiter oder externe Fachkräfte delegieren.26) Für eigene Mitarbeiter haftet der Verwalter nach § 278 BGB. Für externe Mitarbeiter wird die Haftung auf das Auswahlverschulden begrenzt. Setzt der Verwalter Mitarbeiter des Schuldners ein,27) so findet die Haftungserleichterung des § 60 Abs. 2 InsO Anwendung. Eine ungeprüfte Übernahme von Daten oder Plänen des Schuldnerunternehmens ist aber nicht exkulpationsfähig. III.

Finanzierung durch Verwertung

1.

Überblick

Das Primärinstrument der Finanzierung der Betriebsfortführung ist die Verwertung der 13 Insolvenzmasse, im Wesentlichen also der Verkauf von nicht betriebsnotwendigem Anlage- und Umlaufvermögen und der Einzug von Forderungen. Zur Verwertung der Insolvenzmasse gehört auch der Verkauf von im betrieblichen Prozess erzeugten Waren und Dienstleistungen. Systematisch handelt es sich um Maßnahmen der Innenfinanzierung. Bei der Darstellung ist zwischen der Verwertung unbelasteter und der Verwertung belasteter 14 Gegenstände zu unterscheiden, wobei belastete Gegenstände solche sind, an denen Dritten Absonderungsrechte i. S. der §§ 49 f. InsO zustehen. Nicht gemeint ist der Fall, dass Dritten an den betreffenden Gegenständen Aussonderungsrechte i. S. des § 47 InsO zustehen. Gegenstände, die einem Aussonderungsrecht unterliegen, sind nicht Bestandteil der Insolvenzmasse. Sie dürfen nicht durch den Insolvenzverwalter verwertet werden. Geschieht dies doch, ist ein Ersatzaussonderungsanspruch nach § 48 InsO die Folge und, kann dieser nicht erfüllt werden, die persönliche Haftung des Verwalters nach § 61 InsO.28) Ferner ist zwischen der Situation des eröffneten und des vorläufigen Insolvenzverfahrens 15 zu unterscheiden. Dem Forderungseinzug durch den Insolvenzverwalter ist aufgrund der sehr ausdifferenzierten Rechtsprechung ein eigener Abschnitt gewidmet. Nicht Gegenstand der Darstellung ist die Frage, wie bestimmte Gegenstände zu verwerten sind. Hierüber geben speziellere Veröffentlichungen Auskunft.29) 2.

Verwertung unbelasteter Gegenstände

Primärquelle der Finanzierung der Betriebsfortführung ist die Verwertung unbelasteter 16 Gegenstände des Schuldnervermögens. Im eröffneten Insolvenzverfahren ist die Verwertung der Insolvenzmasse nach § 159 InsO die vornehmste Pflicht des Insolvenzverwalters ___________ 25) Pape/Graeber-Gerbers, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 107; Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 62. 26) Borchardt/Frind-Borchardt, Betriebsfortführung, Rz. 688. 27) Was empfehlenswert sein kann, s. Buth/Hermanns-Gless/Schmelzner, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 39 Rz. 60. 28) Ganter in: MünchKomm-InsO, § 48 Rz. 64. 29) Mohrbutter/Ringstmeier-Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 23.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

und steht der Verwertungserlös zur Finanzierung der Betriebsfortführung ungeschmälert zur Verfügung. 17 Komplizierter ist die Lage im vorläufigen Insolvenzverfahren: Der vorläufige Insolvenzverwalter ist ohne Zustimmung des Insolvenzgerichts nicht verwertungsbefugt.30) Das gilt unabhängig davon, ob es sich um einen „starken“ oder einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter handelt. Das Verwertungsverbot ergibt sich zum einen aus einem Umkehrschluss zu § 159 InsO, der das Verwertungsrecht dem Insolvenzverwalter zuweist, indem er für deren Beginn auf den Zeitpunkt des Berichtstermins abstellt: Der aber findet erst im eröffneten Verfahren statt. Zum anderen ergibt es sich aus der dogmatischen Konzeption der vorläufigen Insolvenzverwaltung: Sie ist eine Sicherungsmaßnahme. Das folgt aus § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO, wonach der vorläufige Insolvenzverwalter die Aufgabe hat, das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten, um die Verfahrenseröffnung zu ermöglichen und das folgende Verfahren vorzubereiten.31) Da im Antragsverfahren die Eröffnung des Verfahrens aber noch nicht feststeht, müssen nicht nur die Gläubiger, sondern muss auch der Schuldner vor Vermögenseinbußen geschützt werden.32) Eine Verwertung in diesem Verfahrensstadium würde diesem schuldnerbezogenen Schutzzweck zuwiderlaufen. 18 Wenn es nun aber einerseits die Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters ist, den Betrieb des Schuldners fortzuführen, er andererseits aber nicht dazu befugt ist, die für die Fortführung des Betriebs notwendige Liquidität aus der Verwertung des Vermögens des Schuldners zu generieren, dann wird klar, dass in der Konzeption der vorläufigen Insolvenzverwaltung ein Spannungsverhältnis angelegt ist, das der Auflösung bedarf. Der BGH sucht zur Lösung beizutragen, indem er der Praxis erlaubt, den Begriff der Verwertung nach § 159 InsO i. S. der endgültigen Umwandlung des Schuldnervermögens in Geld zum Zwecke der Gläubigerbefriedigung von der dem vorläufigen Verwalter i. R. einer Fortführung gebotenen kaufmännischen Verwaltungstätigkeit als Teil laufender Umsatzgeschäfte zu unterscheiden.33) In der Literatur wurde der Satz geprägt, das für den vorläufigen Insolvenzverwalter geltende Verwertungsverbot erfasse nur Verwertungshandlungen im technischen Sinne.34) Gemeint ist in beiden Fällen dasselbe, nämlich, dass dem vorläufigen Verwalter solche Veräußerungen von Anlage- und Umlaufvermögen erlaubt sein müssen, die sich bei wertender Betrachtung nicht als Maßnahme der Verwertung i. S. der Liquidation des schuldnerischen Unternehmens, sondern als Maßnahme der Betriebsfortführung darstellen. 19 So sinnvoll das Bemühen ist, das in der Konzeption der vorläufigen Insolvenzverwaltung angelegte Spannungsverhältnis durch begriffliche Abgrenzungsarbeit aufzulösen, so klar ist auch, dass allein das Hantieren mit Begriffen das Problem nicht löst, sondern verschärft. Immerhin können allerdings die in der Literatur präsentierten Formulierungen Anhaltspunkte dafür liefern, was noch erlaubte Verwaltungsmaßnahme und was schon verbotene Verwertung ist: Ampferl schreibt, zulässig seien zunächst alle Veräußerungen, die i. R. des ___________ 30) BGH, Urt. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296; BGH, Urt. v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632; BGH, Urt. v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42; BGH, Urt. v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, ZIP 2005, 40; BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 127/04, Rz. 15 ff., ZIP 2006, 672 (Verwertungshandlung mit Zustimmung des Gerichts). 31) Pohlmann, Befugnisse und Funktionen, Rz. 388 und 390; Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 2; zur Möglichkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters, eine verjährungsbedrohte Forderung in eigenem Namen einzuziehen, s. BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737 = NZI 2012, 365. 32) Wegener in: FK-InsO, § 159 Rz. 3. 33) BGH, Urt. v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632. 34) Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, Rz. 493 f.; Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 76.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

„gewöhnlichen Geschäftsbetriebs“ stattfinden (also z. B. Verkäufe von Lagerware oder von nicht mehr im Betrieb benötigtem Anlagevermögen). Außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs seien dagegen nur „kaufmännisch vernünftige Veräußerungen“ zulässig.35) Solche sollen vorliegen, wenn sie entweder der Beschaffung dringend benötigter Liquidität dienen36) oder der Betrieb auch ohne den verkauften Gegenstand aufrechterhalten werden kann37). Kirchhof schlägt für die Unterscheidung zwischen Verwaltungs- und Verwertungstätigkeit eine Orientierung an den Grundsätzen der Bruchteils- und Erbengemeinschaft vor.38) Nach Becker soll die subjektive Sicht des Verwalters entscheidend sein, also ob dieser selbst die Maßnahme als Bewirtschaftungsmaßnahme mit dem Nebeneffekt eines Erlöses oder als Maßnahme allein mit dem Zweck der Erlöserzielung ansieht.39) Anders argumentiert Reischl, nach dem es darauf ankommen soll, ob durch die konkrete Maßnahme in die „betriebsnotwendige Substanz“ eingegriffen wird.40) Nach Haarmeyer darf der vorläufige Insolvenzverwalter alle Handlungen vornehmen, „die in einem Schuldnerunternehmen vergleichbaren Umfangs anfallen würden“ und die „ein ordentlicher Kaufmann unter den jeweils gegebenen Umständen zur Unternehmensfortführung vornehmen würde“, also etwa Rohstoffe verarbeiten, Fertigprodukte verkaufen und Forderungen aus dem Erlös zur Masse einziehen.41) Die solchermaßen erlaubte Verwaltung des Schuldnervermögens umfasse ferner dessen Einsatz zur Absicherung nötiger Kredite und eine vermehrte, aber kaufmännisch vertretbare Veräußerung von Umlaufvermögen.42) Über diesen Ansatz hinausgehend würden wir auch die Veräußerung von Teilen des An- 20 lagevermögens für zulässig halten, sofern dem ein schlüssiges betriebswirtschaftliches Konzept über die Verkleinerung des Betriebs (z. B. einer Verminderung der Produktionskapazitäten) oder eine Änderung seines Schwerpunktes (z. B. Einstellung eines verlustbringenden Produktionszweigs oder Aufgabe eines Werkes) zu Grunde liegt. Derartige Veräußerungen bedürfen allerdings als Teil einer grundlegenderen betriebswirtschaftlichen Entscheidung der Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses. Eine Ausnahme vom Verwertungsverbot ist mit Haarmeyer und der h. M. schließlich 21 dann zu machen, wenn entweder Einvernehmen über die Verwertung mit allen Beteiligten besteht, also sowohl mit dem Schuldner als auch mit den Gläubigern und dem Insolvenzgericht, oder wenn nur der Beteiligte und allein Betroffene einer Verwertung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter zustimmt.43) Dies folgt unmittelbar aus der doppelten Zweckbindung des Eröffnungsverfahrens, nämlich der Bestandsschutzgarantie und der Werterhaltungskomponente des Sicherungszwecks. Während die Bestandsschutzgarantie dazu dient, dem Schuldner für den Fall der Nichteröffnung des Verfahrens seine Vermögenswerte für eine Fortsetzung des Betriebes nach Möglichkeit zu erhalten, schützt die Werterhaltungskomponente die Gläubiger davor, i. R. des Eröffnungsverfahrens in ihren Befriedigungsaussichten durch nicht optimale oder unzulässige Handlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters verletzt zu werden.44) ___________ 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44)

Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, Rz. 498, 502 f. Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, Rz. 509. Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, Rz. 498. Kirchhof, ZInsO 1999, 436. Becker, InsR, Rz. 1326. Reischl, InsR, Rz. 156. Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 76. Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 76. Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 78. Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 78.

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§8 3.

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Verwertung belasteter Gegenstände

22 Die Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters erstreckt sich im eröffneten Insolvenzverfahren gemäß §§ 165 – 1 72 InsO auch auf Gegenstände, an denen ein Absonderungsrecht besteht. Vom Erlös der Verwertung einer beweglichen Sache oder einer Forderung darf der Verwalter gemäß §§ 170 Abs. 1 Satz 1, 171 InsO grundsätzlich45) 9 % Feststellungsund Verwertungskosten einbehalten, und diese stehen in vollem Umfang zur Finanzierung für die Betriebsfortführung zur Verfügung. Der übrige Verwertungserlös steht für die Finanzierung der Betriebsfortführung dagegen nur in sehr engen Grenzen zur Verfügung, denn er ist gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO unverzüglich an den absonderungsberechtigten Gläubiger auszukehren. Nun heißt, worauf Beck zu Recht hinweist,46) unverzüglich nicht sofort, sondern nur ohne schuldhaftes Zögern. Gleichwohl ist zu empfehlen, den Erlös aus der Verwertung von Absonderungsgut grundsätzlich nicht zur Finanzierung der Betriebsfortführung einzusetzen, denn geht der Erlös verloren, kann die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters die Folge sein.47) 23 Wiederum komplizierter ist die Lage im vorläufigen Insolvenzverfahren. Grundsätzlich gilt für belastete Gegenstände insofern nichts anderes als für unbelastete Gegenstände: Ein vorläufiger Insolvenzverwalter ist zur Verwertung grundsätzlich nicht befugt (siehe oben Rz. 17 f.). Insbesondere verleiht eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO dem vorläufigen Insolvenzverwalter keine Verwertungsbefugnis. Nach dieser Vorschrift kann das Insolvenzgericht zwar anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens von § 166 InsO erfasst würden, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen, und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind. Nach ganz h. M. verleiht eine solche Anordnung dem Insolvenzverwalter aber lediglich das Recht zur Nutzung, nicht das Recht zur Verwertung.48) Will der vorläufige Insolvenzverwalter eingezogene Forderungen zur Finanzierung einer Betriebsfortführung einsetzen, bedarf es dazu einer Verwertungsvereinbarung mit dem Sicherungsgläubiger.49) 24 Wie im Falle unbelasteter Gegenstände, so kann auch im Falle belasteter Gegenstände die Situation eintreten, dass der vorläufige Insolvenzverwalter ausnahmsweise zur Verwertung berechtigt ist. Ein denkbarer Fall ist der, dass einem mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstand Verderb droht. Ist dem so, steht der Verwertungserlös zur Finanzierung der Betriebsfortführung nicht zur Verfügung, weil er unverzüglich an den Sicherungsgläubiger auszukehren ist. § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO betreffend die Festellungs- und Verwertungspauschale ist auch nicht analog anwendbar. Anderes gilt nur i. R. des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO.50)

___________ 45) Lagen die tatsächlich entstandenen, für die Verwertung erforderlichen Kosten erheblich niedriger oder erheblich höher, so sind gemäß § 171 Abs. 2 Satz 2 InsO diese Kosten anzusetzen. 46) Beck/Depré-Beck, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 40. 47) BGH, Urt. v. 2.12.1993 – IX ZR 241/92, ZIP 1994, 140, dazu EWiR 1994, 229 (Stadler); Andres/Hees, NZI 2011, 881, 884; Pape/Graeber-Gundlach, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 266 – 2 69. 48) Braun-Böhm, InsO, § 21 Rz. 70; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 11/2015, § 21 Rz. 40y; Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 30 a. E. 49) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 82; Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 3; Nerlich/ Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 226; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69d a. E.; GottwaldUhlenbruck, InsR-Hdb., § 14 Rz. 103. 50) BGH, Urt. v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42; BGH, Urt. v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, ZIP 2005, 40; Büchler in: HambKomm-InsO, § 170 Rz. 12.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung 4.

§8

Insbesondere: Forderungseinzug

Für den Einzug von Forderungen gilt grundsätzlich das soeben zur Verwertung von unbelas- 25 teten und belasteten Gegenständen der Insolvenzmasse Ausgeführte. Im Detail weist der Einzug von verpfändeten oder zur Sicherheit abgetretenen Forderungen jedoch einige Besonderheiten auf, die eine gesonderte Darstellung rechtfertigen. Darum geht es nun. Im eröffneten Insolvenzverfahren ist beim Einzug von verpfändeten oder zur Sicherheit 26 abgetretenen Forderungen zu unterscheiden: x

Forderungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, werden vorbehaltlich der Insolvenzanfechtung von einer vor Insolvenzeröffnung vereinbarten Sicherungsabtretung oder einem vor Insolvenzeröffnung vereinbarten Forderungspfandrecht erfasst. Geht es um eine Forderungsabtretung, so steht das Verwertungsrecht gemäß § 166 Abs. 2 InsO dem Insolvenzverwalter zu. Der Erlös aus dem Einzug der Forderung steht dem Insolvenzverwalter wegen der Verpflichtung zur unverzüglichen Herausgabe nach § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO wiederum nur in engen Grenzen zur Finanzierung der Betriebsfortführung zur Verfügung (siehe oben Rz. 28). Geht es um ein Forderungspfandrecht, so steht das Verwertungsrecht nach h. M. nicht dem Insolvenzverwalter, sondern dem Pfandgläubiger zu;51) der Erlös aus der Verwertung der Sicherheit steht zur Finanzierung der Betriebsfortführung in diesem Fall überhaupt nicht zur Verfügung.

x

Forderungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, werden von einer vor Eröffnung des Insolvenzerfahrens vereinbarten Sicherungszession nicht erfasst (§ 91 Abs. 1 InsO).52) Anders ist nur zu entscheiden, wenn der Insolvenzverwalter selbst eine neue Sicherungszession vornimmt, etwa um ein Massedarlehen zu besichern (siehe dazu unten Rz. 68 ff.). Tritt dann der Sicherungsfall ein, steht der Erlös aus dem Forderungseinzug dem Sicherungszessionar zu. In allen genannten Fällen gilt, dass Insolvenzverwalter und gesicherter Gläubiger selbstverständlich eine Verwertungsvereinbarung anderen Inhalts schließen können.

Was den Forderungseinzug im vorläufigen Insolvenzverfahren angeht, so können hinsicht- 27 lich des Einzugs verpfändeter oder zur Sicherheit abgetretener Forderungen zwei Konstellationen voneinander unterschieden werden: Möglich ist einerseits, dass der Sicherungsgläubiger die dem Schuldner im Sicherungsver- 28 trag erteilte Einziehungsermächtigung nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung widerruft. In diesem Fall ist weiter zu unterscheiden: x

Hat das Gericht eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO getroffen, so kann der Insolvenzverwalter die Forderung einziehen.53) Wie aus dem Verweis auf §§ 170, 171 InsO folgt, muss er den Erlös allerdings unverzüglich unter Abzug seiner Kostenpauschale an den Sicherungsgläubiger herausgeben.54) Nach dem Willen des Gesetzgebers

___________ 51) OLG Jena, Urt. v. 5.4.2005 – 5 U 529/04, ZInsO 2005, 550, 552; LG Tübingen, Urt. v. 17.11.2000 – 4 0 233/00, NZI 2001, 263, 264; AG Karlsruhe, Urt. v. 7.2.2008 – 12 C 490/07, ZIP 2009, 143 m. w. N.; Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 166 Rz. 38; Braun-Dithmar, InsO, § 166 Rz. 15; Kübler/Prütting/ Bork-Flöther, InsO, Stand: 02/2015, § 166 Rz. 21; Landfermann in: HK-InsO, § 166 Rz. 27; Lwowski/ Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 166 Rz. 45; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rz. 30; Wegener in: FK-InsO, § 166 Rz. 9. 52) BGH, Urt. v. 22.4.2010 – IX ZR 8/07, Rz. 9, NZI 2010, 682, 683 m. w. N. 53) A. A. AG Hamburg, Beschl. v. 2.5.2011 – 67 g IN 62/11, ZIP 2011, 1279; zust. K. Schmidt-Hölzle, InsO, § 21 Rz. 76: Einziehungsrecht verbleibt beim Zessionar. 54) Borchardt/Frind-Henkel, Betriebsfortführung, Rz. 986; Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 29; Kuder, ZIP 2007, 1690, 1695; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 11/2015, § 21 Rz. 40y; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38e.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung dürfen Erlöse aus dem Forderungseinzug auf der Grundlage einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO nicht zur Finanzierung der Betriebsfortführung verwendet werden.55) Geschieht dies doch, droht die persönliche Haftung des Verwalters.56) Der Einsatz von Erlösen zur Finanzierung der Betriebsfortführung ist bei einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO nur auf der Grundlage einer Verwertungsvereinbarung möglich.57)

x

Hat das Insolvenzgericht keine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO getroffen und zieht der vorläufige Insolvenzverwalter eine zur Sicherheit abgetretene oder verpfändete Forderung ein, so geschieht dies „unberechtigt“ i. S. des § 48 InsO und steht dem Sicherungszessionar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Ersatzabsonderungsrecht zu.58) In diesem Fall ist der vorläufige Insolvenzverwalter schlecht beraten, wenn er die aus dem Forderungseinzug erzielten Erlöse ohne Verwertungsvereinbarung mit dem Sicherungsgläubiger für die Finanzierung der Betriebsfortführung verbraucht und deshalb später nicht mehr in der Lage ist, das Ersatzabsonderungsrecht zu bedienen: Er haftet dann persönlich.

29 Denkbar ist ferner, dass der Sicherungszessionar die Einziehungsermächtigung nicht widerruft. Auch hier ist zu unterscheiden: x

Liegt eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO vor, so gilt das oben Gesagte entsprechend.

Liegt keine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO vor, so darf der Insolvenzverwalter die Forderung zwar einziehen. Allerdings muss er den Erlös nach einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2010 von der übrigen Masse separieren und unterscheidbar verwahren. Denn das an der zur Sicherheit abgetretenen Forderung bestehende Absonderungsrecht setzt sich kraft dinglicher Surrogation in entsprechender Anwendung des § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO am Erlös fort.59) Zu beachten ist allerdings, dass der BGH die Globalzession in seiner Entscheidung ausdrücklich von dieser Regel ausnimmt.60) Mithin kann der vorläufige Insolvenzverwalter den Erlös aus dem Einzug globalzedierter Forderungen zur Betriebsfortführung einsetzen. Hintergrund dieser Besonderheit dürfte sein, dass der Sicherungszessionar bei der Globalzession durch die im laufenden Geschäftsbetrieb ständig neu entstehenden Forderungen fortlaufend gesichert ist. Der Globalzessionar erleidet durch die Betriebsfortführung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter deshalb keine Vermögenseinbuße. Allerdings dürfte die so erlangte Sicherheit des Globalzessionars eher flüchtig sein, da ihm nach Eröffnung wegen dieser später entstandenen Forderungen die Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO droht. Die Entscheidung des BGH ist nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. Neben dogmatischen Einwänden wurde ihr entgegengehalten, sie schaffe ein Spannungsverhältnis zur gesetzlichen Fortführungsverpflichtung des vorläufigen Insolvenzverwalters und erschwere die Betriebsfortführung. Als Lösungsmöglichkeit ___________ x

55) BT-Drucks. 16/3227 S. 16; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38e. 56) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38e; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69j a. E. 57) Braun-Böhm, § 22 Rz. 51; Flitsch, BB 2006, 1805, 1806; Borchardt/Frind-Henkel, Betriebsfortführung, Rz. 986; K. Schmidt-Hölzle, InsO, § 21 Rz. 79; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69j m. w. N. 58) Henkel, NJW 2010, 2590 (Urteilsanm.); Borchardt/Frind-Henkel, Betriebsfortführung, Rz. 974. 59) BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = NZI 2010, 339; a. A. OLG Frankfurt, Urt. v. 6.12.2006 – 23 U 149/05, WM 2007, 1178. 60) Wörtlich heißt es in den Entscheidungsgründen (BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = NZI 2010, 339): „Zieht er kraft einer ihm vom Insolvenzgericht erteilten Ermächtigung Forderungen ein, die der Schuldner zur Sicherheit abgetreten hatte, hat er – abgesehen von dem Sonderfall einer Globalzession […] – den eingezogenen Betrag an den Sicherungsnehmer abzuführen oder ihn jedenfalls unterscheidbar zu verwahren […]“.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

wurde vorgeschlagen, der vorläufige Insolvenzverwalter solle mit dem Sicherungszessionar eine Verwertungsvereinbarung abschließen, nach der der Erlös aus dem Einzug der sog. Altforderungen für die Betriebsfortführung verwendet wird, dem Sicherungszessionar im Gegenzug der Erlös aus den nach Anordnung der vorläufigen Verwaltung erwirtschafteten sog. Neuforderungen zusteht, die ansonsten nach Anfechtung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO in die freie Masse fallen würden. Unter diesen Voraussetzungen halten Ganter und Henkel i. R. einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO den Verbrauch des Erlöses aus den abgetretenen Forderungen für zulässig.61) Ist in dem eingezogenen Betrag Umsatzsteuer enthalten, so handelt es sich bei der Forde- 30 rung des Fiskus auf Zahlung von Umsatzsteuer nach der Rechtsprechung des BFH62) und § 55 Abs. 4 InsO um eine Masseverbindlichkeit. Zu beachten ist, dass auch der Zessionar gemäß § 13c Abs. 1 Satz 1 UStG als Gesamtschuldner für die Umsatzsteuer haftet. IV.

Finanzierung durch Eigenkapital

1.

Überblick

Unter dem Begriff der Eigenfinanzierung (auch Einlagen- oder Beteiligungsfinanzierung 31 genannt) wird eine Reihe von Finanzierungsinstrumenten zusammengefasst, deren übereinstimmendes Charakteristikum ist, dass die vom Kapitalgeber hingegebenen Mittel Bestandteil des Eigenkapitals der Gesellschaft werden. Das Paradigma der Eigenfinanzierung ist die Finanzierung durch die Einlage des Gesellschafters (§ 266 Abs. 3 A. I. HGB). Diese Form der Finanzierung findet obligatorisch bei Gründung der Gesellschaft, später nur noch fakultativ im Wege der Kapitalerhöhung oder des Nachschusses statt. Zur Eigenfinanzierung rechnen ferner die Finanzierung durch Zuzahlungen in die freien Rücklagen63) (§ 266 Abs. 3 A. II. HGB), durch das Stehenlassen von Gewinnen64) (§ 266 Abs. 3 A. III. HGB) und eigenkapitalähnliche Mezzaninfinanzierungen wie die atypische stille Beteiligung (§ 230 HGB).65) Den drei zuletzt genannten Finanzierungsformen kommt im Bereich der Finanzierung der Betriebsfortführung praktisch keine nennenswerte Bedeutung zu. Die Eigenkapitalfinanzierung kann in Abhängigkeit von Rechtsform, Größe und Kapitalbedarf des Unternehmens am oder außerhalb des Kapitalmarktes stattfinden,66) wobei die Finanzierung der Betriebsfortführung eines insolventen Unternehmens in der Praxis typischerweise außerhalb des Kapitalmarkts erfolgt. Die Finanzierung des insolventen Unternehmens durch Eigenkapital kommt praktisch 32 nur in Betracht, wenn ein Sanierungskonzept vorliegt.67) Unter anderen Umständen wird ein potentieller Kapitalgeber nicht bereit sein, das mit der Hingabe von Eigenkapital verbundene Risiko des Totalverlusts zu tragen. Konkret kommt eine Finanzierung des insolventen Unternehmens durch Eigenkapital nur in Betracht, wenn es durch einen Insolvenz___________ 61) Ganter, NZI 2007, 549, 551 ff. Ganter hat diesen Gedanken nach dem Urteil v. 21.1.2010 (BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = NZI 2010, 339) noch einmal aufgegriffen (vgl. Ganter, NZI 2010, 551, 554). Ihm folgt Henkel, NZI 2010, 2590, 2591 (Urteilsanm.). A. A. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38d; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 11/2015, § 21 Rz. 40y; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69d, 69j. 62) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782. 63) Knebel/Schmidt, BB 2009, 430, 431, auch zur steuerlichen Behandlung solcher Zahlungen. 64) Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 504. 65) Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 174. 66) Eingehend Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 60 – 115. 67) H. F. Müller, ZGR 2004, 842, 843 f., Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 58 und Spindler/StilzServatius, AktG, § 182 Rz. 72 für die Kapitalerhöhung; Vetter in: MünchKomm-GmbHG, Vorb. zu § 58 Rz. 86 a. E. für den Debt-Equity-Swap; umfassend Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

plan saniert werden soll. Im Falle der übertragenden Sanierung findet zwar auch eine Finanzierung durch Eigenkapital statt – aber nicht der insolventen, sondern der übernehmenden Gesellschaft: Das Akquisitionsvehikel wird mit Eigen- und Fremdkapital ausgestattet, übernimmt im Wege eines Asset Deals das Unternehmen des Schuldners und führt es fort. Weil es sich dabei aber um herkömmliche Akquisitionsfinanzierung ohne insolvenzrechtliche Besonderheiten handelt, ist sie hier nicht von Interesse.68) Im Rahmen eines Insolvenzplans dagegen bleibt der insolvente Unternehmensträger als solcher erhalten und muss mit Kapital und Liquidität ausgestattet werden. Das geschieht in der Regel durch eine Mischung aus Fremd- und Eigenkapital. Vielfach werden die Fremdkapitalgeber es zu einer Bedingung ihrer Zustimmung zum Insolvenzplan machen, dass die Gesellschafter einen eigenen Sanierungsbeitrag in Form der Hingabe neuen Eigenkapitals leisten.69) 2.

Kapitalerhöhung/Nachschüsse

2.1

Grundlagen

33 Soll der insolvente Unternehmensträger im Wege eines Insolvenzplanverfahrens saniert werden, kommt eine Finanzierung der Betriebsfortführung durch Kapitalerhöhung (bei Kapitalgesellschaften) oder Nachschüsse (bei Personengesellschaften) in Betracht.70) Die Kapitalerhöhung bzw. die Leistung von Nachschüssen kann dabei während des vorläufigen oder des eröffneten Insolvenzverfahrens durchgeführt werden. Sie kann, muss aber nicht mit einer Änderung der Gesellschafterstruktur einhergehen. 2.2

Durchführung

34 Eine Kapitalerhöhung besteht aus zwei Akten: Dem Kapitalerhöhungsbeschluss und der Leistung der Einlage. Der Kapitalerhöhungsbeschluss71) muss als Satzungsänderung der Anforderungen der §§ 53 f. GmbHG, §§ 182 ff. AktG genügen. Er bedarf einer Mehrheit von 75 % der abgegebenen Stimmen, sofern nicht die Satzung andere Mehrheitserfordernisse vorsieht. Sofern neue Gesellschafter aufgenommen werden sollen, ist im Kapitalerhöhungsbeschluss das Bezugsrecht auszuschließen und der/die Übernahmeberechtigte/n zu bestimmen. Für die Bestimmung des/der Übernahmeberechtigten genügt die einfache Mehrheit. Allein durch den Kapitalerhöhungsbeschluss besteht noch keine Pflicht der Gesellschafter, eine neue Einlage zu übernehmen. Eine solche Verpflichtung wird erst durch Abschluss des Übernahmevertrages gemäß § 55 Abs. 1 GmbHG bzw. der Zeichnung der neuen Aktien gemäß § 185 AktG begründet. 35 Eine bei Insolvenzeröffnung bereits beschlossene Kapitalerhöhung (was auch den Fall des Beschlusses im vorläufigen Insolvenzverfahren erfasst) kann nach h. M. im eröffneten Insolvenzverfahren zu Ende geführt werden.72) Zwar werden GmbH und AG mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG). Die Organstellung der Gesellschafterversammlung/Hauptversammlung bleibt davon nach ___________ S. stattdessen Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 248 ff. Michalski-Hermanns, GmbHG, § 55 Rz. 62. H. F. Müller, ZGR 2004, 842, 843 f.; Kuntz, DStR 2006, 519. Muster: Pfisterer in: Beck‘sches Formularbuch GmbH-Recht, Teil J., Muster I für die GmbH und SillerBauer/Pfisterer in: Beck‘sche Online-Formulare Vertragsrecht, Abschn. 7.9.8.1.1 für die AG. 72) Bork/Schäfer-Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rz. 42; Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 57 f.; Baumbach/Hueck-Zöllner, GmbHG, § 55 Rz. 5; Ulmer/Habersack/Winter-Ulmer, GmbHG, § 55 Rz. 33 f.; Scholz-Priester, GmbHG, § 55 Rz. 31; Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 182 Rz. 72; Hüffer, AktG, § 182 Rz. 32; Peifer in: MünchKomm-AktG, § 182 Rz. 78. Für den früheren Zwangsvergleich und eine AG bereits LG Heidelberg, Urt. v. 16.3.1988 – O 6/88 KfH II, ZIP 1988, 1257, 1257 f., dazu EWiR 1988, 945 (Timm).

68) 69) 70) 71)

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

h. M. jedoch unberührt. Wird die Kapitalerhöhung durchgeführt, fallen sowohl die Forderungen auf Leistung der Einlage als auch die Einlage selbst als Neuerwerb in die Insolvenzmasse und werden deshalb von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters erfasst (§ 35 Abs. 1 i. V. m. § 80 Abs. 1 InsO).73) Dieser zieht die ausstehenden Einlagen ein. Eines Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 2 GmbHG bedarf es dazu nicht.74) Allerdings steht den Gesellschaftern nach h. M. das Recht zu, die Kapitalerhöhung durch 36 gegenläufige Beschlussfassung abzubrechen und so die Entstehung der Verpflichtung zur Leistung der Einlage zu verhindern.75) Zwar gehören die durch die Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister aufschiebend bedingten Forderungen auf Leistung der Einlage der Gesellschaft zur Insolvenzmasse.76) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt aber nicht dazu, dass die Gesellschafter gehindert wären, die von ihnen beschlossene Kapitalerhöhung wieder aufzuheben und damit einen endgültigen Bedingungsausfall herbeizuführen. Alternativ können sie den Geschäftsführer veranlassen, die Anmeldung der Kapitalerhöhung zurückzunehmen.77) Bis zur Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister unterliegt die Durchführung der Kapitalerhöhung mithin der Autonomie der Gesellschafter. Gesellschafter, die bei Übernahme der neuen Geschäftsanteile die prekäre Finanzlage der Gesellschaft nicht kannten, können vom Übernahmevertrag unter den Voraussetzungen des § 313 BGB zurücktreten.78) Sofern bereits Einzahlungen erfolgt sind, kann die Rückzahlung derselben lediglich aus § 812 Abs. 1 Satz Alt. 1 BGB als einfache Insolvenzforderungen geltend gemacht werden, es sei denn, die Einzahlung wurde aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister geleistet.79) Daneben kann eine Kapitalerhöhung nach ganz h. M. auch erst im eröffneten Insolvenz- 37 verfahren begonnen werden.80) Auch genehmigte Kapitalien können bei GmbH und AG im Insolvenzverfahren neu geschaffen werden.81) Zur Begründung wird ins Feld geführt, dass das Insolvenzverfahren seit Inkrafttreten der InsO nicht mehr nur auf die Liquidation, sondern auch auf die Sanierung des insolventen Unternehmens gerichtet sei, und dieser Zweck die Zulassung von Kapitalmaßnahmen als Sanierungsmaßnahmen erfordere.82) Dass die Kapitalmaßnahme explizit auf dieses Ziel gerichtet ist, ist aber keine Zulässigkeitsvoraussetzung.83) Auch in diesem Fall stellen sowohl die Forderungen auf Leistung der Einlage als auch die Einlagen selbst Bestandteile der Insolvenzmasse in Form von Neuerwerb dar und werden deshalb von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenz___________ 73) KG, Urt. v. 19.7.1999 – 23 U 3401/97, NZG 2000, 103, 104; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 193; Eickmann in: HK-InsO, § 35 Rz. 18; Müsgen, MittRhNotK 1997, 409, 429; Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, Rz. 613 und die in Fn. 72 Genannten; a. A. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 88 f. 74) Bork/Schäfer-Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rz. 43. 75) Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 59. 76) Dennoch soll es nach Bork/Schäfer-Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rz. 42 nicht möglich sein, den Abbruch der Kapitalerhöhung nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO anzufechten. Vorsichtiger Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 463. 77) Bork/Schäfer-Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rz. 42. 78) Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 59. 79) Wellensiek/Schluck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 43. 80) S. die in Fn. 72 Genannten sowie Michalski-Hermanns, GmbHG, § 55 Rz. 62. 81) Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, Rz. 614; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 193. Die Ausnutzung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossenen genehmigten Kapitals ist aber mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr möglich (Hirte in: GroßKommAktG, § 202 Rz. 205; Lutter in: KölnKomm-AktG, § 202 Rz. 17; Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 504 f.). 82) Müsgen, MittRhNotK 1997, 409, 429; Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 57. 83) H.-F. Müller, ZGR 2004, 842, 843 f.; Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 58.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

verwalters erfasst (§ 35 Abs. 1 i. V. m. § 80 Abs. 1 InsO), der die Einlage gegenüber den Gesellschaftern geltend macht.84) 38 Eine Verpflichtung der Gesellschafter, an der Kapitalerhöhung teilzunehmen, besteht grundsätzlich nicht, weder vor noch nach Insolvenzeröffnung. Im Einzelfall können sie aufgrund der sie treffenden gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht jedoch ausnahmsweise verpflichtet sein, an sanierenden Kapitalmaßnahmen mitzuwirken.85) Im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens kann eine Kapitalerhöhung auch gegen den Willen der Gesellschafter beschlossen werden (§§ 217, 225a Abs. 2 Satz 3, 245 Abs. 3 InsO).86) 2.3

Vorteile und Risiken

39 Die Kapitalerhöhung hat den Vorteil einer juristisch simplen Struktur, die zu geringen Kosten und geringer Fehleranfälligkeit führt. Zu den Risiken der Kapitalerhöhung gehört die Differenzhaftung: Werden Einlagen nicht oder nicht vollständig erbracht und scheitert die Sanierung, so wird der Insolvenzverwalter in einer Folgeinsolvenz den noch ausstehenden Teil der Einlagen zzgl. Zinsen einziehen. Dazu gehört auch der Fall, dass die Kapitalerhöhung nicht in bar, sondern mit Sacheinlagen erfolgt und sich herausstellt, dass die Sacheinlagen überbewertet wurden. Für diesen Anspruch haften die Mitgesellschafter nach § 24 GmbHG solidarisch. Ob § 254 Abs. 4 InsO auf die Kapitalerhöhung analoge Anwendung findet, wenn diese i. R. eines Insolvenzplans durchgeführt wird, ist unklar. Nachdem es sich bei § 254 Abs. 4 InsO der Sache nach um eine Ausnahme vom Grundsatz der Kapitalaufbringung handelt, spricht einiges dafür, die Vorschrift eng auszulegen und ihren Anwendungsbereich nicht über ihren wörtlichen Anwendungsbereich hinaus auszudehnen. 40 Ob Kapitalerhöhungen in einer Folgeinsolvenz der Insolvenzanfechtung unterliegen, ist umstritten, nach h. M. aber zu bejahen.87) Dabei muss allerdings bedacht werden, dass sich diese Frage regelmäßig nur im Zusammenhang mit der Insolvenz des an der Kapitalerhöhung teilnehmenden (Neu)Gesellschafters stellt, und auch hier nur, sofern eine Kapitalerhöhung gegen Einlage in Rede steht.88) Denn unabhängig davon, ob die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln oder aus Einlagen erfolgt, fehlt es auf Ebene der Gesellschaft an einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger (§ 129 Abs. 1 InsO). Das liegt auf der Hand, wenn es um eine Kapitalerhöhung gegen Einlagen geht, denn dann verbessert sich die Situation der Gläubiger. Aber auch die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln verschlechtert die Zugriffsmöglichkeiten der Gesellschaftsgläubiger regelmäßig nicht, denn es wird lediglich eine Eigenkapitalposition – Gewinnrücklage – in eine andere – gezeichnetes Kapital – umgewandelt. Das gilt auch unter Berücksichtigung der der Gesellschaft regelmäßig auferlegten Kosten der Kapitalerhöhung,89) zumal sich die hierin liegende Gläubigerbenachteiligung einfacher durch eine Insolvenzanfechtung der Zahlung dieser Kosten gegenüber dem Kostengläubiger als durch eine Anfechtung der Kapitalmaßnahme selbst wird neutralisieren lassen.

___________ 84) S. die in Fn. 72 Genannten. 85) BGH, Urt. v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289; OLG Celle, Urt. v. 21.12.2005 – 9 U 96/05, ZIP 2006, 807 = NZG 2006, 225; OLG Celle, Urt. v. 17.8.2005 – 9 U 33/05, NZG 2006, 17; Vetter in: MünchKomm-GmbHG, Vorb. zu § 58 Rz. 8 – 85. 86) Bork/Schäfer-Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rz. 44; ausführlich Stöber, ZInsO 2012, 1811. 87) Nachweise zum Meinungsstand bei Lwowski/Wunderlich, NZI 2008, 129, 130 f. 88) Lwowski/Wunderlich, NZI 2008, 129, 130 unter 2. 89) Lwowski/Wunderlich, NZI 2008, 129, 130 unter 1.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung 2.4

§8

Personengesellschaften

Auch die Fortführung des Betriebs einer insolventen Personengesellschaft kann durch Er- 41 höhung der Einlagen der Gesellschafter finanziert werden.90) Man spricht allerdings nicht von Kapitalerhöhung, sondern von der Leistung von Nachschüssen. Dazu sind die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft grundsätzlich nicht verpflichtet (§ 707 BGB i. V. m. § 105 Abs. 3 HGB).91) Entsprechendes gilt für den Kommanditisten (§ 161 Abs. 2 HGB). Abweichendes kann jedoch im Gesellschaftsvertrag vereinbart werden, und zwar auch und gerade für den Fall einer Insolvenz. Voraussetzung für die Geltendmachung eines solchen Anspruchs ist allerdings das Vorliegen eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses, ohne den dem Insolvenzverwalter die Einziehung der Nachschüsse nicht möglich ist.92) Analog dem zu den Kapitalgesellschaften Ausgeführten sind die Gesellschafter nicht gehindert, die Verpflichtung zur Leistung eines Nachschusses durch gegenläufige Beschlussfassung zu verhindern oder sich unter den Voraussetzungen des § 313 BGB von der vertraglichen Vereinbarung über den Nachschuss zu lösen. Im Einzelfall kann der Gesellschafter auch ohne gesellschaftsvertragliche Regelung aufgrund der ihn treffenden Treuepflicht dazu verpflichtet sein, einen Nachschuss zu leisten.93) 3.

Kapitalschnitt

3.1

Grundlagen

Auf einer Kombination von vereinfachter Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung be- 42 ruht der sog. Kapitalschnitt.94) Beim Kapitalschnitt handelt es sich um eine Finanzierungsmaßnahme eigener Art, die Elemente der bilanziellen Restrukturierung mit solchen der Eigenkapitalfinanzierung verbindet.95) Ihr Hauptanwendungsgebiet ist die vorinsolvenzliche Sanierung; sie dient dort der Beseitigung der rechnerischen Überschuldung (§ 19 InsO) und der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit (§ 17 bzw. § 18 InsO).96) Sie ist darauf aber nicht beschränkt, sondern kann auch i. R. eines eröffneten Insolvenzverfahrens – namentlich eines Insolvenzplanverfahrens97) – durchgeführt werden.98) 3.2

Durchführung

Bei einem Kapitalschnitt wird zunächst eine vereinfachte Kapitalherabsetzung durchge- 43 führt. Die Voraussetzungen und die Durchführung einer vereinfachten (oder nominellen) Kapitalherabsetzung ergeben sich aus §§ 58a ff. GmbHG, §§ 229 ff. AktG. Das Charakteristikum der vereinfachten Kapitalherabsetzung ist, dass es nicht zur Auszahlung von Ge___________ 90) K. Schmidt, ZGR 1982, 519; Wilde, NZG 2012, 215. 91) Nerlich/Kreplin-Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 26 Rz. 155; Gottwald-Haas/Vogel, InsR-Hdb., § 94 Rz. 53, beide m. w. N. 92) S. die in Fn. 91 Genannten. 93) S. die in Fn. 85 Genannten. 94) Näher Reger/Stenzel, NZG 2009, 1210. Muster: Pfisterer in: Beck’sches Formularbuch GmbH-Recht, Teil J., Muster IX. 95) Zu den steuerlichen Auswirkungen Nerlich/Kreplin-Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 9 Rz. 24 und 25. 96) Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1817 m. w. N. 97) Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 505 – 510; Decher/Voland, ZIP 2013, 103. 98) BGH, Urt. v. 9.2.1998 – II ZR 278/96 (Sachsenmilch), NJW 1998, 2054 betraf den Fall einer vereinfachten Kapitalherabsetzung im Insolvenzverfahren. Der Entscheidung kann entnommen werden, dass der BGH einen Kapitalschnitt (zu dem es damals letztendlich nicht kam) in einem Insolvenzverfahren grundsätzlich für zulässig hält. Zu dieser Entscheidung Weber, DStR 2010, 702.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

sellschaftsmitteln an die Gesellschafter kommt.99) Bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung wird lediglich das Stamm- bzw. Grundkapital an das noch vorhandene Reinvermögen der Gesellschaft angepasst. Dadurch wird nach außen dokumentiert, dass das ursprüngliche Eigenkapital endgültig nicht mehr an die Gesellschafter zurückbezahlt wird.100) 44 Eine vereinfachte Kapitalherabsetzung ist nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig: Sie ist nur zulässig zum Ausgleich von Wertminderungen, zur Deckung sonstiger Verluste oder zur Verschiebung von Kapital in die Kapitalrücklage. Dabei sind die Gewinnrücklage sowie derjenige Teil der gesetzlichen Rücklage und der Kapitalrücklage vorweg aufzulösen, um den diese zusammen über 10 % des nach der Herabsetzung verbleibenden Grundkapitals hinausgehen (§ 58a Abs. 2 Satz 1 GmbHG, § 229 Abs. 2 Satz 1 AktG). Auch darf kein Gewinnvortrag vorhanden sein (§ 58a Abs. 2 Satz 1 GmbHG, § 229 Abs. 2 Satz 2 AktG). Wird Eigenkapital in die Kapitalrücklage eingestellt, so bewirkt die Kapitalherabsetzung eine höhere Liquidität. Die umgeschichteten Mittel können schneller verwendet werden, insbesondere zur Deckung etwaiger Fehlbeträge.101) Bei der AG müssen außerdem weniger Jahresüberschüsse in die gesetzliche Rücklage eingestellt werden (§ 150 Abs. 2 AktG), wodurch kurzfristig Ausschüttungen ermöglicht werden.102) Eine Kapitalherabsetzung kann unter die Grenze des gesetzlichen Mindeststamm- oder -grundkapitals i. H. von 25 000 bzw. 50 000 € (§ 5 Abs. 1 GmbHG, § 7 AktG) bis zu einem Stamm- oder Grundkapital i. H. von 0 € erfolgen, wenn zugleich das Stamm- oder Grundkapital mindestens wieder auf einen Betrag erhöht wird, der dem des Mindestkapitals entspricht (§ 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG). 45 Nach der Kapitalherabsetzung erfolgt eine Kapitalerhöhung. Damit werden neue Geschäftsanteile bzw. Aktien geschaffen, die von den bisherigen Gesellschaftern oder Dritten gegen Leistung einer Einlage übernommen werden können. Soweit das Stamm- oder Grundkapital unter den Mindestnennbetrag herabgesetzt wurde, ist eine damit verbundene Kapitalerhöhung nur gegen Bareinlage zulässig. Insbesondere eine Sachkapitalerhöhung, eine bedingte Kapitalerhöhung, eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und die Ausnutzung genehmigten Kapitals scheiden aus.103) Wird allerdings die Mindestgrenze des § 5 Abs. 1 GmbHG, § 7 AktG durch eine Barkapitalerhöhung erreicht, sind darüber hinaus im selben Kapitalerhöhungsbeschluss auch Sacheinlagen festsetzbar.104) Das allgemeine Bezugsrecht der Altgesellschafter (gemäß oder analog105) § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG) besteht auch bei einem Kapitalschnitt auf null, auch wenn sie für eine juristische Sekunde durch die Kapitalherabsetzung ihre Gesellschafterstellung verlieren.106) Das Bezugsrecht kann ausgeschlossen werden.107) 3.3

Vorteile und Risiken

46 Der Vorteil des Kapitalschnitts ist seine juristisch simple Struktur, die geringe Kosten und geringe Fehleranfälligkeit zur Folge hat. Weil der Kapitalschnitt eine Kapitalerhöhung ___________ 99) Zur steuerlichen Behandlung der zu Sanierungszwecken vorgenommenen Kapitalherabsetzung s. Budde/ Förschle/Winkeljohann-Förschle/Heinz, Sonderbilanzen, Teil Q. Rz. 301 – 304. 100) Beck/Depré-Beck, Praxis der Insolvenz, § 1 Rz. 145. 101) Hommel/Knecht/Wohlenberg-Reger, Hdb. Unternehmensrestrukturierung, S. 810. 102) Reger/Stenzel, NZG 2009, 1210, 1211. 103) Reger/Stenzel, NZG 2009, 1210, 1211; Oechsler in: MünchKomm-AktG § 228 Rz. 8. 104) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 228 Rz. 7; Spindler/Stilz-Marsch-Barner, AktG, § 228 Rz. 5. 105) Eine dem § 182 AktG entsprechende Regelung fehlt im Recht der GmbH; die Vorschrift wird nach h. M. (w. N. bei Seibt in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 2 Rz. 71 m. Fn. 159) dort analog angewendet. 106) Krieger, ZGR 2000, 885, 898. 107) Näher Reger/Stenzel, NZG 2009, 1210, 1211 unter b).

136

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

enthält, ist er mit den diesem Finanzierungsinstrument immanenten Risiken verbunden, also dem Risiko der Differenzhaftung (§ 254 Abs. 4 InsO dürfte auch insoweit nicht analog anwendbar sein)108) und dem Risiko der Insolvenzanfechtung in einer Folgeinsolvenz (siehe oben bei Rz. 40 und in Fn. 87). Die Kapitalherabsetzung ist allerdings – anders als die Kapitalerhöhung – jedenfalls dann nicht mehr anfechtbar, wenn sie in das Handelsregister eingetragen ist.109) Ab diesem Zeitpunkt geht der Bestandsschutz der jeweiligen Maßnahmen im Interesse des Rechtsverkehrs dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung vor. Die Interessen der hiervon nachteilig betroffenen Insolvenzgläubiger werden durch die Vorschriften des Gesellschaftsrechts hinreichend geschützt.110) 3.4

Personengesellschaften

Das Recht der Personengesellschaften kennt den Kapitalschnitt als solchen genauso wenig 47 wie es Kapitalherabsetzungen oder -erhöhungen kennt. Dennoch werden die Grundsätze des Kapitalschnitts sinngemäß auf Personengesellschaften übertragen.111) Dies geschieht, indem zunächst die Anpassung der Kapitalkonten der Gesellschafter an das Reinvermögen der Gesellschaft und sodann ein Nachschuss beschlossen werden. Der BGH hatte eine solche Sanierungsmaßnahme in seiner Entscheidung vom 19.10.2009112) zu beurteilen und hielt sie dort für zulässig. 4.

Debt-Equity-Swap

4.1

Grundlagen

Eine Weiterentwicklung des Kapitalschnitts ist der sog. Debt-Equity-Swap.113) Wie der 48 Kapitalschnitt, so ist auch der Debt-Equity-Swap eine Finanzierungsmaßnahme eigener Art, die Elemente der bilanziellen Restrukturierung und der Eigenkapitalfinanzierung verbindet.114) Daneben stellt der Debt-Equity-Swap ein Akquisitionsinstrument dar, mit dem Unternehmensbeteiligungen erworben werden können.115) Wie der Kapitalschnitt, so beruht auch der Debt-Equity-Swap typischerweise auf einer Kombination von vereinfachter Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung.116) Anders als beim Kapitalschnitt ist das Hauptanwendungsgebiet des Debt-Equity-Swap tatsächlich aber das eröffnete Insolvenzverfahren. Dort dient er – typischerweise i. R. eines Insolvenzplanverfahrens117) – der Sanierung des Unternehmens. Aufgrund seiner Bedeutung hat er für das Insolvenzplanverfahren in § 225a Abs. 2 InsO und für die Reorganisation von Banken in § 9 KredReorgG eine – wenn auch fragmentarische – gesetzliche Regelung erfahren.

___________ 108) 109) 110) 111) 112) 113) 114) 115)

S. o. in Rz. 39. A. A. Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 462. Näher Lwowski/Wunderlich, NZI 2008, 595, 598. K. Schmidt, JuS 2010, 162. BGH, Urt. v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289. Muster: Meyer-Landrut, Formularbuch GmbH-Recht, Teil F. Zur steuerlichen Behandlung Born, BB 2009, 1730 und Beyer, DStR 2012, 2199. Zu diesem Aspekt Redeker, BB 2007, 673. Zu den Vorteilen des Debt-Equity-Swap als Akquisitionsinstrument gegenüber der übertragenden Sanierung Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1817. 116) Alternativ können bereits bestehende Anteile von Altgesellschaftern erworben und als Gegenleistung Forderungen gegen die Gesellschaft erlassen werden. Zu Struktur des Debt-Equity-Swap Wansleben, WM 2012, 2083 (der selbst für ein anderes Verständnis plädiert) oder – kürzer – Eilers, GWR 2009, 3 sowie Braun-Braun/Frank, InsO, § 225a Rz. 7. 117) Dazu H. F. Müller, KTS 2012, 419, 441 und Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 510 – 512.

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137

§8 4.2

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Durchführung

49 Ein Debt-Equity-Swap ist die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital durch eine Kombination von vereinfachter Kapitalherabsetzung und Sachkapitalerhöhung. Dieses Verständnis des Debt-Equity-Swap liegt auch § 225a Abs. 2 InsO zu Grunde, der in Satz 3 ausdrücklich auf die Kombination der beiden Kapitalmaßnahmen verweist. Das Element der vereinfachten Kapitalherabsetzung dient beim Debt-Equity-Swap nicht nur der bilanziellen Neutralisierung aufgelaufener Verluste, sondern es dient – der Natur des DebtEquity-Swap als Akquisitionsinstrument Rechnung tragend – der Vermeidung einer Verwässerung der Anteile der Altgesellschafter. Wegen der Voraussetzungen und Formalia der Durchführung der vereinfachten Kapitalherabsetzung wird auf die Ausführungen zum Kapitalschnitt verwiesen (siehe oben Rz. 43 ff.). 50 Im Rahmen der anschließenden Sachkapitalerhöhung gegen Ausgabe neuer Anteile werden Forderungen gegen die Gesellschaft im Wege der Sachkapitalerhöhung in die Gesellschaft eingebracht (vgl. § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO). Die Forderungen gegen die Gesellschaft erlöschen durch Konfusion. Die Bezugsrechte der Altgesellschafter werden typischerweise ausgeschlossen (vgl. erneut § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO).118) Zur Durchführung des DebtEquity-Swap sind mithin ein Sachkapitalerhöhungsbeschluss119) sowie ein Prüfungsbericht, in dem die Werthaltigkeit der Forderung nachgewiesen wird, erforderlich (§§ 5 Abs. 4, 19 Abs. 2 Satz 2, 56 GmbHG).120) Dabei ist als Wert der Betrag zu Grunde zu legen, den der Forderungsinhaber auf seine Forderung in der Liquidation oder i. R. eines Insolvenzverfahrens erhalten würde. Eine Einbringung der Forderung zum Nennwert kann daher nur erfolgen, wenn der Anspruch fällig, liquide und vollwertig ist. Da sich die GmbH aber in einer Krise befindet, wird der tatsächliche Wert der Forderung regelmäßig nicht mehr ihrem Nennwert entsprechen.121) 51 Soll der Debt-Equity-Swap i. R. des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans beschlossen werden, ergeben sich hinsichtlich der Zuständigkeiten Abweichungen.122) Anders als sonst ist dann nämlich nicht mehr die Gesellschafterversammlung für den Beschluss über die Kapitalherabsetzung und -erhöhung zuständig, sondern die Beteiligtenversammlung, die über den Insolvenzplan abstimmt. Das hat zur Folge, dass gesonderte Beschlüsse der Hauptoder Gesellschafterversammlung über Kapitalherabsetzung und -erhöhung nicht erforderlich sind.123) Der Debt-Equity-Swap kann i. R. eines Insolvenzplanverfahrens sogar gegen den Willen der Gesellschafter beschlossen werden.124) Die Handelsregistereintragung bleibt jedoch auch bei der Einbettung des Debt-Equity-Swap in einen Insolvenzplan erforderlich.125) Die Umwandlung von Forderungen in Anteile/Mitgliedschaftsrechte bedarf der Zustimmung des Gläubigers. § 230 Abs. 2 InsO verlangt diese Zustimmungserklärung als Anlage zum Plan.126)

___________ 118) Ausführlich zum Bezugsrechtsausschluss H. F. Müller, KTS 2012, 419, 440. 119) Zur Verpflichtung der Altgesellschafter zur Mitwirkung an Debt-Equity-Swaps aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht Redeker, BB 2007, 673, 675 f. 120) Aus diesem Grund für ein Alternativmodell streitend Wansleben, WM 2012, 2083. 121) Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 333; zur Frage der Bewertung Altmeppen in: FS Hommelhoff, S. 10 – 1 6 m. w. N. sowie Römermann, GmbHR 2013, 337, 343 f. 122) Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1817 f. 123) Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1817 – für den Kapitalerhöhungsbeschluss. 124) Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1818. 125) Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1817 m. w. N. 126) Braun-Braun/Frank, InsO, § 225a Rz. 19.

138

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung 4.3

§8

Vorteile und Risiken

Die Vorteile des Debt-Equity-Swap sind, dass

52

x

er die Eigenschaften eines Akquisitions- mit denen eines Sanierungsinstruments verbindet,

x

er den Rechtsträger erhält und

x

er zur Verbesserung der Eigenkapitalquote und damit zu einer Senkung der Finanzierungskosten führt.127)

Die Nachteile des Debt-Equity-Swap sind

53

x

seine juristische Komplexität und

x

die hierdurch versursachten Kosten.

x

Ferner ist der Debt-Equity-Swap mit einer Reihe juristischer Risiken behaftet, die sich, scheitert die Sanierung, in einem Folgeinsolvenzverfahren verwirklichen.128) Dazu gehört zunächst – wie bei Kapitalerhöhung und Kapitalschnitt – die Differenzhaftung (auch in Form der Solidarhaftung nach § 24 GmbHG), die beim Debt-Equity-Swap namentlich dann droht, wenn die eingebrachten Forderungen zu hoch bewertet wurden.129) Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und es – allerdings nur für den DebtEquity-Swap i. R. eines Insolvenzplans – in § 254 Abs. 4 InsO einer Lösung zugeführt. Nach dieser Vorschrift kann der Schuldner – und damit auch der Insolvenzverwalter in einem Folgeinsolvenzverfahren – nach der gerichtlichen Bestätigung des Plans keine Ansprüche gegen den bisherigen Gläubiger wegen einer Überbewertung der Forderungen im Plan geltend machen.130)

Der Anteilserwerb kann im Falle des Scheiterns der Sanierung i. R. der Folgeinsolvenz 54 ferner dazu führen, dass die verbleibenden Restforderungen nur noch als nachrangige Insolvenzforderungen i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO geltend gemacht und dass Rückzahlungen auf die Forderungen nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO angefochten werden können. Der ehemalige Fremdkapitalgeber ist ja nun Gesellschafter und unterliegt mit seinen verbleibenden Fremdkapitalforderungen dem für Gesellschafterdarlehen geltenden Rechtsregime.131) Abgesehen von diesem Sonderfall wird das Anfechtungsrisiko bei einem Debt-Equity- 55 Swap als gering angesehen: Thole hält im Regelfall schon das Vorliegen von Gläubigerbenachteiligung i. S. des § 129 Abs. 1 InsO für zweifelhaft.132) Wirsch133) hat dargelegt, dass es für eine Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen fehlt, und zwar unabhängig davon, ob die eingebrachten Forderungen vor Einbringung bereits den Charakter einer Forderung auf Rückzahlung eines Gesellschaf___________ 127) Braun-Braun/Frank, InsO, § 225a Rz. 8. 128) Als Alternativen zum Debt-Equity-Swap werden in der Literatur (neben Kapitalerhöhung und Kapitalschnitt) die atypische stille Beteiligung und die Ausgabe von Genussscheinen (Nerlich/Kreplin-Nerlich/ Rhode, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 250 und 251; zu diesen Instrumenten Wöhe/ Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 313) genannt. 129) Braun-Braun/Frank, InsO, § 225a Rz. 11. 130) Kritisch Braun-Braun/Frank, InsO, § 225a Rz. 10 und Römermann, GmbHR 2013, 337, 344. Fraglich ist, ob hierdurch auch eine Insolvenzanfechtung ausgeschlossen wird, verneinend Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 466. 131) Gehrlein, NZI 2012, 257; Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 1 Rz. 146; H. F. Müller, KTS 2012, 419, 449. Dieses Risiko kann vermieden werden, wenn der Inferent seine sämtlichen Forderungen gegen die Gesellschaft in Eigenkapital umwandelt. 132) Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 470 f. 133) Wirsch, NZG 2010, 1131, 1132 ff.; ebenso H. F. Müller, KTS 2012, 419, 449.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

terdarlehens i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO hatten. Bauer/Dimmling134) weisen darauf hin, dass der Debt-Equity-Swap nach Ansicht des Gesetzgebers dem Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO unterfällt. Für Debt-Equity-Swaps im Anwendungsbereich des KredReorgG ist die Anfechtung durch dessen § 9 Abs. 3 ausdrücklich ausgeschlossen worden. 56 Bei einem Anteilserwerb von mindestens 30 % der Anteile an einer börsennotierten Aktiengesellschaft muss der Investor nach Maßgabe der §§ 35 ff. WpÜG den übrigen Aktionären ein Pflichtangebot zum Erwerb ihrer Aktien unterbreiten oder sich eine behördliche Befreiung erteilen lassen.135) 57 Hölzle hat mit überzeugenden Gründen dargelegt, dass eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Neugründung beim Debt-Equity-Swap nicht in Betracht kommt.136) 4.4

Personengesellschaften

58 Der Debt-Equity-Swap ist grundsätzlich auch bei Personengesellschaften denkbar. Auch § 225a InsO ist auf Personengesellschaften anwendbar.137) Risiken ergeben sich auch bei Personengesellschaften aus der Überbewertung des umgewandelten Fremdkapitals. Das Personengesellschaftsrecht kennt zwar keine Differenzhaftung nach dem Vorbild des Kapitalgesellschaftsrechts.138) Dennoch kann sich auch hier bei Scheitern der Sanierung in einer Folgeinsolvenz das Problem ergeben, dass die eingebrachten Forderungen zu hoch bewertet wurden und der Insolvenzverwalter deshalb den noch ausstehenden Teil der Einlage fordern kann. Erfolgt der Debt-Equity-Swap i. R. eines Insolvenzplans, ist allerdings § 254 Abs. 4 InsO analog139) anzuwenden. V.

Finanzierung durch Fremdkapital

1.

Überblick

59 Unter der Überschrift Fremdfinanzierung werden die Finanzierungsinstrumente zusammengefasst, die zu einer Erhöhung des Fremdkapitals der Gesellschaft führen (§ 266 Abs. 3 C. HGB). Das sind die Darlehen i. S. des § 488 BGB und die darlehensähnlichen Geschäfte. Bei den Darlehen werden üblicherweise die langfristigen Darlehen von den kurzfristigen Darlehen unterschieden, wobei die Grenze bei einer Laufzeit von einem Jahr verläuft. Darlehensähnliche Geschäfte sind das Factoring, das Leasing und die Verbriefung von Forderungen (sog. Asset Backed Securitization). Nicht alle dieser Finanzierungsformen spielen im Bereich der Finanzierung der Betriebsfortführung eine Rolle. Namentlich die kapitalmarktgebundenen Finanzierungsformen (wie die Anleihe, der Genussschein oder die ___________ 134) Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519. Die Rolle des Sanierungsprivilegs bei Debt-Equity-Swaps behandelt ausführlich Gehrlein, NZI 2012, 257, 261. Auch er ist (bei Fn. 23) der Auffassung, dass das Sanierungsprivileg Anwendung finde. Ebenso Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 337. 135) Braun-Braun/Frank, InsO, § 225a Rz. 17 f. 136) Hölzle in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 55 ff. 137) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 70. 138) Braun-Braun/Frank, InsO, § 225a Rz. 12. 139) Braun-Braun/Frank, InsO, § 225a Rz. 13; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 70; K. Schmidt, ZGR 2012, 566, 582 f.; Wertenbruch, ZIP 2013, 1693, 1699 f. Die Vorschrift schließt ihrem (auf Kapitalgesellschaften zugeschnittenen) Wortlaut nach nur Forderungen des Schuldners aus. Ansprüche, die sich aus einer Überbewertung der umgewandelten Forderungen ergeben, können bei Personengesellschaften aber nicht nur von dieser selbst (dem Schuldner), sondern im Wege der actio pro socio auch von Mitgesellschaftern geltend gemacht werden. Diesen Fall erfasst § 254 Abs. 4 InsO zwar nicht nach seinem Wortlaut, wohl aber nach seiner Ratio, weshalb er analog angewendet werden sollte.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

Verbriefung von Forderungen) spielen hier keine Rolle, ganz ähnlich, wie dies schon im Bereich der Eigenfinanzierung zu beobachten war. Eine große Rolle spielen dagegen das Massedarlehen und das Gesellschafterdarlehen als Formen langfristiger und das Kontokorrentdarlehen sowie der Handelskredit als Form kurzfristiger Darlehensfinanzierung. Bei größeren Fortführungszeiträumen können diese Instrumente ergänzt werden durch die Kreditsubstitute des Factoring und des Leasing. 2.

Langfristige Kreditfinanzierung

2.1

Massedarlehen

Der Begriff des Massedarlehens ist kein Begriff der Gesetzessprache, sondern ein in Wissen- 60 schaft und Praxis verwendeter Kunstbegriff. Er bezeichnet üblicherweise das Darlehen einer Bank, dessen Zweck die Finanzierung der Betriebsfortführung während des vorläufigen oder eröffneten Insolvenzverfahrens ist.140) Wer Vertragspartner der Bank ist, hängt davon ab, in welcher Phase des Insolvenzverfahrens 61 das Darlehen gewährt wird. Wird es im eröffneten Insolvenzverfahren gewährt, ist Vertragspartner der Insolvenzverwalter. Der Schuldner selbst ist im eröffneten Verfahren nur dann Vertragspartner, wenn Eigenverwaltung (§ 270 InsO) angeordnet ist, wobei die Zustimmung des Sachwalters erforderlich ist (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO). Wird das Massedarlehen – wie typischerweise – schon im vorläufigen Insolvenzverfahren gewährt, kommt es für die Frage des Vertragspartners darauf an, ob ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde und wenn ja, mit welchen Befugnissen er ausgestattet wurde: Wurde kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ist Vertragspartner der Schuldner. Gleiches gilt im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren (§ 270a InsO)141) und im Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO),142) wobei in beiden Fällen die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters erforderlich ist (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO). Wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und gleichzeitig ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 i. V. m. § 22 Abs. 2 InsO), so ist Vertragspartner ebenfalls der Schuldner; die Aufnahme des Darlehens bedarf zu ihrer Wirksamkeit dann allerdings der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und diesem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übertragen (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO), ist Vertragspartner der vorläufige Insolvenzverwalter. Das Kernproblem des Massedarlehens ist die Sicherstellung des Rückzahlungsanspru- 62 ches.143) Das Problem liegt in den – typischen – Fällen klar zu Tage, in denen das Darlehen während des vorläufigen Insolvenzverfahrens gewährt wird. Liegt nicht ausnahmsweise der Fall der Übertragung der Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter vor (dann § 55 Abs. 2 InsO), ist der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens Insolvenzforderung i. S. des § 38 InsO,144) die nur mit der Insolvenzquote, schlimmstenfalls also gar nicht bedient wird. Die Praxis hat deshalb verschiedene Modelle entwickelt, wie der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens gesichert werden kann. Im Wesentlichen handelt ___________ 140) So – mit Unterschieden im Detail – Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 47; Hess/ Fechner/Huber, NZI 2014, 439; Schönfelder, WM 2007, 1489, 1490. Muster: Mohrbutter/RingstmeierVoigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 22 Rz. 151; Haarmeyer/Pape/Stephan/Nickel, Formularbuch Insolvenzrecht, Muster 68; Theiselmann-Bähr, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 18 Rz. 191; Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559, 560 f. 141) Trowski, WM 2014, 1257, 1260. 142) Dazu Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862; Wuschek, InsbürO 2012, 456, 459. 143) Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559 und Theiselmann-Bähr, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 18 Rz. 156 – 190. 144) Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 47; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 221.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

es sich dabei um die Begründung der persönlichen Haftung des Verwalters und die Besicherung des Massedarlehens durch neue Real- oder Personalsicherheiten. 63 Die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters kann über die Vorschrift des § 61 InsO erschlossen werden. Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger nach Satz 1 dieser Vorschrift zum Schadenersatz verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde. Daraus folgt, dass die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters jedenfalls dann in Betracht kommt, wenn ein während des eröffneten Insolvenzverfahrens aufgenommenes Massedarlehen nicht zurückbezahlt werden kann. Denn der Insolvenzverwalter begründet, nimmt er während des eröffneten Verfahrens ein solches Darlehen auf, eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Dasselbe gilt im vorläufigen Insolvenzverfahren, wenn das Massedarlehen von einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) aufgenommen wird. Denn auch der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter begründet durch sein Handeln Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 InsO). 64 Bedenkt man nun, dass einerseits die Aufnahme eines Massedarlehens typischerweise bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren erforderlich ist, dass andererseits die Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters nach wie vor die Ausnahme ist,145) wird klar, dass § 61 InsO im Regelfall schon aus strukturellen Gründen nicht dazu geeignet ist, den Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens sicherzustellen. Denn ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 i. V. m. § 22 Abs. 2 InsO) begründet keine Masseverbindlichkeiten; § 55 Abs. 2 InsO ist nicht analog anwendbar.146) Die Praxis hat deshalb das Modell der sog. Einzelermächtigung geschaffen:147) Dabei wird dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter durch gerichtlichen Beschluss die Befugnis verliehen, selbst ein Massedarlehen aufzunehmen, wobei sich die Ermächtigung inhaltlich auf „einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse“ beziehen muss.148) Dadurch wird der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens in den Stand einer Masseverbindlichkeit erhoben.149) 65 Keine Strategie der Sicherstellung des Darlehensrückzahlungsanspruchs ist die Erklärung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters, dass das Darlehen aus der Insolvenzmasse zurückgeführt werden wird (sog. Zahlungszusage). Zwar liegen zwei oberlandesgerichtliche Urteile vor, nach denen der Verstoß gegen eine solche Zahlungszusage die persönliche Haftung des Verwalters begründet: Das OLG Celle meint, dass die Aussage, die Zahlung durch das Insolvenzsonderkonto sei sichergestellt, einen Garantievertrag begründe;150) das OLG Schleswig ist der Ansicht, dass der vorläufige Verwalter sich in diesem Fall einer Haftung aus culpa in contrahendo aussetze.151) ___________ 145) Schönfelder, WM 2007, 1489, 1490. 146) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 LS 2; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 55 Rz. 93 m. w. N. 147) Ausführlich – auch zu den Alternativen Treuhand und Anderkonto und zu Kriterien für die Entscheidungsfindung im Einzelfall – Ganter, NZI 2012, 433. Für die Erteilung einer Einzelermächtigung ist die Vorlage einer Liquiditätsplanung (hierzu oben Rz. 9 – 12) Voraussetzung, vgl. Borchardt/FrindBorchardt, Betriebsfortführung, Rz. 687 m. Fn. 1035. 148) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, 1626. 149) Grundlegend BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 m. Bespr. Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1608. S. ferner Laroche, NZI 2010, 965. 150) OLG Celle, Urt. v. 21.10.2003 – 16 U 95/03, NZI 2004, 89, dazu EWiR 2004, 445 (Undritz). 151) OLG Schleswig, Urt. v. 31.10.2003 – 1 U 42/03, NZI 2004, 92, dazu EWiR 2004, 393 (Undritz).

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

Eine solche Zahlungszusage ist nach h. M. aber unzulässig, weil der „schwache“ vorläufige 66 Insolvenzverwalter die ihm durch die InsO verliehenen Kompetenzen überschreitet, wenn er eine solche Zusage gibt.152) Dass derartiges Verwalterhandeln nicht die Grundlage einer Strategie zur Sicherstellung des Anspruchs auf Rückzahlung eines Massedarlehens sein kann, bedarf keiner näheren Darlegung. Im Schutzschirmverfahren kann das Gericht gemäß § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO anord- 67 nen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet; § 55 Abs. 2 InsO ist im Falle einer solchen Anordnung entsprechend anwendbar.153) Die Vorschrift könnte es ihrer Konzeption nach dem Schuldner ermöglichen, Massedarlehen aufzunehmen.154) Bei näherer Betrachtung erweist sich die Vorschrift allerdings als für diesen Zweck unzulänglich: Im Falle der Einzelermächtigung und der dadurch geschaffenen Möglichkeit, Masseverbindlichkeiten zu begründen, ist es die Vorschrift des § 61 InsO, die der Sicherstellung des Anspruchs auf Rückzahlung des Massedarlehens Substanz und Kredibilität verleiht. § 270b Abs. 3 InsO kennt eine solche komplementäre Haftungsvorschrift aber nicht, so dass der potentielle Darlehensgeber im Hinblick auf das Risiko der Masseunzulänglichkeit jedenfalls dann ungesichert ist, wenn für das Darlehen keine Real- oder Personalsicherheiten bestellt werden.155) Dieses Risiko zu tragen, wird er nicht bereit sein. Gleiches gilt für das herkömmliche Verfahren der Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO.156) Das Massedarlehen kann durch die Bestellung von Realsicherheiten am beweglichen und 68 unbeweglichen Vermögen des Schuldners gesichert werden, also durch Fahrnispfandrechte, Sicherungsübereignungen und -abtretungen oder Grundpfandrechte.157) Geschieht dies, steht dem Darlehensgeber in der späteren Insolvenz des Schuldners ein Absonderungsrecht i. S. der §§ 49 ff. InsO zu. Die Schwierigkeit der Besicherung eines Massedarlehens durch Realsicherheiten besteht darin, dass zum Zeitpunkt der Stellung des Insolvenzantrags das Vermögen des Schuldners in der Regel wertausschöpfend belastet ist – wäre dem anders, hätte er selbst noch Kredit bekommen und hätte kein Insolvenzantrag gestellt werden müssen. Faktisch steht zur Besicherung des Massedarlehens in der Regel deshalb nur die Wertschöpfung ab Insolvenzantrag zur Verfügung.158) Die mit der Bestellung von Realsicherheiten verbundenen rechtlichen Risiken sind mode- 69 rat.159) Denn eine Anfechtung der Bestellung von Realsicherheiten scheidet nach einer jüngeren Entscheidung des BGH nämlich bereits dann und deshalb aus, wenn bzw. weil die besicherte Verbindlichkeit – also der Anspruch auf Rückzahlung des Massedarlehens – den Rang einer Masseverbindlichkeit hat.160) ___________ 152) AG Hamburg, Beschl. v. 16.12.2002 – 67g IN 419/02 (UfA), NZI 2003, 153, 154 = ZIP 2003, 43; Undritz, NZI 2003, 136, 139; Pape, ZIP 2002, 2277, 2285 ff.; Haarmeyer/Pape, ZInsO 2002, 845, 848 f. 153) BGH, Beschl. v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, ZIP 2016, 831; s. ferner Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 379 ff.; Hess/Fechner/Huber, NZI 2014, 439, 441; Undritz, BB 2012, 1551. 154) Dass dies im Schutzschirmverfahren überhaupt erforderlich werden kann, bestreiten wegen des vorverlegten Antragszeitpunktes Richter/Pernegger, BB 2011, 876, 878. 155) K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270b Rz. 11. 156) Zur umstrittenen Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Schuldner in Verfahren nach § 270a InsO Masseverbindlichkeiten begründen kann, s. BGH, Beschl. v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, Rz. 6, ZIP 2016, 831. 157) Braun-Böhm, § 22 Rz. 46; Jaffé in: FS Görg, S. 233, 235 f., 237 f.; Obermüller, Bankpraxis, S. 924. 158) Zur Abtretung von Anfechtungsansprüchen: Theiselmann-Bähr, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 18 Rz. 173 f. 159) Vgl. dazu Wellensiek/Schluck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 57 ff. 160) BGH, Urt. v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, Rz. 11, NZI 2014, 321, 322 = ZIP 2014, 584; Hess/ Fechner/Huber, NZI 2014, 439, 444. I. E. ebenso Jaffé in: FS Görg, S. 233, 235, allerdings unter Hinweis auf § 142 InsO.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

70 Verwertet der Insolvenzverwalter die dem Absonderungsrecht unterliegenden Gegenstände, so steht ihm die Feststellungs- und Verwertungspauschale nach § 171 InsO zu, im gesetzlichen Regelfall also 9 % des Verwertungserlöses. Ein sorgfältig formulierter Massedarlehensvertrag enthält deshalb Regelungen dazu, wem die Verwertung der Sicherheiten zusteht und, wird sie dem Insolvenzverwalter zugewiesen, welche Erlösbeteiligung der Insolvenzmasse insofern zusteht. In der Praxis haben sich – in Abhängigkeit von der Verhandlungsposition der Parteien – Prozentsätze zwischen 3 % und 5 % eingebürgert, wobei gilt, dass der Massebeitrag umso kleiner ausfällt, je größer das Volumen der Sicherheitenverwertung insgesamt ist. 71 Schließlich kommt die Bestellung von Personalsicherheiten in Betracht, also Bürgschaften, Garantien und Schuldbeitritte. Als Sicherungsgeber kommen grundsätzlich alle Personen ausreichender Bonität in Betracht, mit Ausnahme des (vorläufigen) Insolvenzverwalters. Die Übernahme einer persönlichen Garantie bzw. einer persönlichen Bürgschaft des (vorläufigen) Insolvenzverwalters kommt nicht in Betracht, weil er Treuhänder fremden Vermögens ist. Er darf keinerlei Eigeninteresse haben; würde er eine persönliche Garantie oder Bürgschaft übernehmen, wäre er ab sofort in seinen Entscheidungen nicht mehr frei; er würde seine Entscheidungen unter Haftungsvermeidungsaspekten treffen.161) Zum anderen sagt bereits das bürgerliche Recht, dass der Insolvenzverwalter keinerlei Eigengeschäft mit der Insolvenzmasse vornehmen darf. § 450 Abs. 2 BGB verbietet Erwerbsgeschäfte mit der Insolvenzmasse. § 181 BGB verbietet ein Selbstkontrahieren. Die Übernahme einer Bürgschaft oder Garantie gegenüber dem Kreditinstitut geht jedoch mit dem gleichzeitigen Abschluss eines Auftrages oder Geschäftsbesorgungsvertrags zwischen dem vorläufigen Insolvenzverwalter und dem Hauptschuldner, der Masse, einher.162) 72 Die Gesellschafter dürften wegen des aus § 135 Abs. 2 InsO folgenden Anfechtungsrisikos in einer Folgeinsolvenz nur dann als Sicherungsgeber in Betracht kommen, wenn sie in den Genuss entweder des Sanierungs- oder des Kleinbeteiligungsprivilegs kommen (§ 39 Abs. 4 Satz 2 bzw. Abs. 5 InsO). 73 Wird das Darlehen im vorläufigen Insolvenzverfahren gewährt, so wird seine Laufzeit typischerweise auf die prognostizierte Dauer des vorläufigen Insolvenzverfahrens – typischerweise drei Monate (§ 183 Abs. 1 SGB III) – begrenzt.163) Kommt es zur Verfahrenseröffnung, wäre entweder das Massedarlehen zurückzuführen oder aber eine Anschlussvereinbarung mit dem Insolvenzverwalter zu treffen. Wird die Verfahrenseröffnung mangels Masse abgelehnt, muss das Darlehen zurückgeführt oder die Sicherheiten verwertet werden. Neben allgemeinen verhaltens- oder erfolgsbedingten vertraglichen Kündigungstatbeständen, also z. B. die Erfüllung bestimmter wirtschaftlicher Voraussetzungen oder Planzahlen, ist vor allem darauf zu achten, auch drohende insolvenzspezifische Ereignisse zu erfassen. Dies bedeutet zum einen, dass ein Kündigungsrecht sowohl für die Fälle vorbehalten werden sollte, dass eine Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse droht oder erfolgt, wie auch für die Fälle, dass die Einstellung des eröffneten Insolvenzverfahrens mangels Masse oder wegen Masseunzulänglichkeit droht oder erfolgt.164) 74 Bei der Aufnahme eines summenmäßig erheblichen Darlehens bedarf diese – ebenso wie dessen Besicherung – der Genehmigung des (vorläufigen) Gläubigerausschusses oder, sofern ein solcher nicht eingesetzt ist, der Genehmigung der Gläubigerversammlung ___________ 161) Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 53; Uhlenbruck-Maus, InsO, 13. Aufl., 2010, § 22 Rz. 193 f. 162) Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 54; Palandt-Sprau, BGB, Einf. § 764 Rz. 5. 163) Schönfelder, WM 2007, 1489, 1490. 164) Schönfelder, WM 2007, 1489, 1490.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

(§ 160 InsO).165) Ein Verstoß hiergegen berührt indes die Wirksamkeit des Kreditvertrages nicht (§ 164 InsO), selbst wenn dies dem Kreditgeber bekannt war.166) Die Zustimmung des Gläubigerausschusses resp. der Gläubigerversammlung sollte zur aufschiebenden Bedingung für die Wirksamkeit des Darlehensvertrags gemacht werden. Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans kann gemäß § 264 InsO vorgesehen werden, dass 75 die Insolvenzgläubiger nachrangig sind gegenüber Gläubigern mit Forderungen aus Darlehen und sonstigen Krediten167), die der Schuldner oder die Übernahmegesellschaft während der Zeit der Überwachung aufnimmt oder die ein Massegläubiger in die Zeit der Überwachung hinein stehen lässt.168) In diesem Fall ist zugleich ein Gesamtbetrag für derartige Kredite festzulegen (Kreditrahmen). Dieser darf den Wert der Vermögensgegenstände nicht übersteigen, die in der Vermögensübersicht des Plans (§ 229 Satz 1 InsO) aufgeführt sind. Der Nachrang der Insolvenzgläubiger gemäß § 264 Abs. 1 InsO besteht nur gegenüber Gläubigern, mit denen vereinbart wird, dass und in welcher Höhe der von ihnen gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten innerhalb des Kreditrahmens liegt, und gegenüber denen der Insolvenzverwalter diese Vereinbarung schriftlich bestätigt. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bleibt unberührt. § 264 InsO stellt sicher, dass das planmäßig fortzuführende Unternehmen in die Lage versetzt wird, zur Deckung der Fortführungsverbindlichkeiten Kredite in Anspruch zu nehmen, ohne dass der Kreditgeber im Falle des Scheiterns der Sanierung einen Ausfall hinnehmen muss.169) 2.2

Gesellschafterdarlehen

Auch ein Darlehen der Gesellschafter des Schuldners an den Insolvenzverwalter kann zur 76 Finanzierung der Betriebsfortführung dienen.170) Die Hingabe eines Gesellschafterdarlehens kann für den Gesellschafter sinnvoll sein, wenn er so durch einen Beitrag zu einem Sanierungskonzept den Totalverlust seiner Einlage vermeiden kann. Zu den Vorteilen des Gesellschafterdarlehens gegenüber der Teilnahme an einer Kapitalerhöhung gehören die größere kautelarische Flexibilität, die schlichtere Struktur und, daraus folgend, geringere Kosten, fehlende Registerpublizität und die steuerliche Attraktivität für die Gesellschaft. Ein Gesellschafterdarlehen ist auch dann das Mittel der Wahl, wenn einzelne Gesellschafter überquotale Beiträge zur Krisenüberwindung erbringen möchten, ohne dass die Mitgesellschafter daran partizipieren. Zu den Nachteilen des Gesellschafterdarlehens gehört das aus §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO 77 sich ergebende Risiko des insolvenzrechtlichen Nachrangs und der Anfechtung im Falle einer Folgeinsolvenz.171) Risikomindernd wirkt § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO, wonach sanierungswillige Gläubiger, die zum Zwecke der Sanierung Anteile erwerben, von der Anwendung der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO verschont werden (Sanierungsprivileg). Auch i. R. der Anfechtung nach § 133 InsO ist der sanierende Gläubiger nach ständiger Rechtsprechung ___________ 165) Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung, Rz. 266 f.; Mönning, 1. Aufl., 1997, Rz. 1024; Theiselmann-Bähr, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 18 Rz. 142. 166) Breuer, Insolvenzrechts-Formularbuch, Anm. zu Formular Nr. 15 Massekredit. 167) Das Tatbestandsmerkmal des „sonstigen Kredits“ ist weit auszulegen und umfasst alle Maßnahmen der Fremdkapitalfinanzierung mit Ausnahme der Gesellschafterdarlehen, die Eigenkapital darstellen, s. Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 32 Rz. 21. 168) Zu dieser Vorschrift Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung, Rz. 356 ff. und Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 32. 169) Mönning, 1. Aufl., 1997, Rz. 1024; Braun/Frank in: Kölner Schrift zur InsO, S. 859 ff. Rz. 17 – 19. 170) Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung, Rz. 320 ff. 171) Nicht jedoch in dem Insolvenzverfahren, in dem es gegeben wird, s. Parzinger, Fortführungsfinanzierung in der Insolvenz, S. 73.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

des BGH i. R. eines „ernsthaften Sanierungsversuchs“ privilegiert.172) Zu den Risiken der Kreditgewährung in Krise und Insolvenz gehört schließlich dasjenige der Haftung aus § 826 BGB. Zu dieser Haftung kommt es, wenn der Darlehensgeber das Darlehen nur deshalb gewährt oder prolongiert, um seine eigene Position im Falle einer Folgeinsolvenz auf Kosten anderer Gläubiger zu verbessern.173) 3.

Kurzfristige Kreditfinanzierung

3.1

Handelskredit

78 Als die wichtigste Form der kurzfristigen Kreditfinanzierung wird international der Handelskredit angesehen.174) Seine Vorteile sind, dass es sich um eine kostengünstige und einfach zu erlangende Finanzierung handelt. Er steht grundsätzlich jeder Art von Unternehmen zur Verfügung.175) Von diesen Vorteilen wird regelmäßig auch i. R. der Betriebsfortführung in der Insolvenz profitiert. Unter dem Begriff des Handelskredits werden der Lieferantenkredit und erhaltene Kundenanzahlungen zusammengefasst: x

Unter Lieferantenkredit im engeren Sinn versteht man den Kredit, der vom Verkäufer einer Ware dem Käufer im Zusammenhang mit dem Warenabsatz gewährt wird.176) Wesentliches Merkmal des Lieferantenkredits ist seine enge Verbundenheit zum Warenabsatz. In Form des Lieferungskredits soll er den Zeitraum zwischen Beschaffung und Wiedergeldwerdung der Ware überbrücken. Die Tilgung erfolgt aus dem Umsatzerlös der kreditierten Ware. Geldmittel werden dem Kreditnehmer hierbei nicht zur Verfügung gestellt, sondern die Kreditierung liegt in der Stundung des Kaufpreises der Ware durch den Lieferanten. Daneben werden auch Einrichtungs- oder Ausstattungskredite, die der Lieferant seinen Abnehmern gewährt, zu den Lieferantenkrediten gezählt.177) Sie sind – insbesondere in der Situation der Betriebsfortführung in der Insolvenz – von untergeordneter Bedeutung und werden hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

x

Während beim Lieferantenkredit eine Kreditierung durch Zulieferer der Unternehmen erfolgt, treten beim Anzahlungskredit Abnehmer als Kreditgeber auf.178) Der Besteller einer Ware leistet hier im Voraus, d. h. vor Lieferung, teilweise oder vollständige Bezahlung. Die Anzahlung oder Vorauszahlung stellen für das produzierende Unternehmen eine Finanzierungshilfe dar. Ferner wird das Risiko verringert, dass der Auftraggeber die bestellte Ware nicht abnimmt oder keine Zahlung leistet. Anzahlungen können zinslos zur Verfügung gestellt werden, oder die Berücksichtigung der Kreditzinsen erfolgt durch einen unter dem normalen Barpreis liegenden Rechnungsbetrag.

3.2

Kontokorrentkredit

79 Der Kontokorrentkredit stellt eine klassische Form des kurzfristigen Kredits dar.179) Unter dem Begriff wird typischerweise der von einer Bank gewährte Kredit verstanden, der durch die Einräumung der Möglichkeit gewährt wird, ein Kontokorrentkonto (oder Girokonto) zu überziehen. Mit der Eröffnung eines Kontokorrentkontos ist freilich nicht automatisch eine Krediteinräumung verbunden. In der Regel setzt diese einen Kreditantrag und eine ___________ 172) 173) 174) 175) 176) 177) 178) 179)

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BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137. Ausführlich Engert, Die Haftung für drittschädigende Kreditgewährung. Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 382. Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 385. Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 455. Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 456. Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 457. Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 457.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

Kreditwürdigkeitsprüfung durch die Bank voraus. Die Zusage des Kredits erfolgt dann in Form einer vertraglich eingeräumten Kontokorrentkreditlinie. Der Vorteil des Kontokorrentkredits ist, dass er, ist er erst einmal vereinbart, sofort und 80 flexibel zur Verfügung steht.180) Er ist insbesondere geeignet für den Ausgleich von Liquiditätsschwankungen hingen in der Abwicklung des Zahlungsverkehrs,181) nie jedoch für die Finanzierung (gar langfristiger) Investitionen.182) Der Nachteil des Kontokorrentkredits ist, dass er verhältnismäßig teuer ist: Die Kosten für die Inanspruchnahme eines Kontokorrentkredits setzen sich zusammen aus den (verglichen mit Habenzinsen) hohen Sollzinsen, der Bereitstellungsprovision, der Überziehungsprovision (typischerweise 3 – 4 % p. a.), der Umsatzprovision und den Gebühren.183) Ein weiterer Nachteil ist, dass der Kontokorrentkredit typischerweise sehr kurzfristig kündbar ist.184) 4.

Kreditsubstitute

Neben den verschiedenen Formen des kurz- und langfristigen Kredits haben sich in den 81 letzten Jahrzehnten Finanzierungsinstrumente herausgebildet, die Kredite substituieren können. Die wichtigsten Kreditsubstitute sind das Factoring und das Leasing. 4.1

Factoring

Factoring ist der laufende Ankauf von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen durch 82 einen Factor, der typischerweise vor Fälligkeit und unter Übernahme bestimmter Servicefunktionen und des Delkredererisikos erfolgt.185) Geschieht dies, spricht man von echtem Factoring186) und kommen dem Factoringvertrag drei Funktionen zu:187) x

Die Finanzierungsfunktion, die in der Schaffung sofort verfügbarer Liquidität besteht;

x

die Dienstleistungsfunktion, die in der Übernahme von Debitorenbuchhaltung, Inkasso- und Mahnwesen liegt;

x

und schließlich die Kreditsicherungsfunktion, die in der Übernahme des Ausfallrisikos durch den Factor liegt.

In juristischer Hinsicht können beim Factoring der Rahmenvertrag zwischen dem Factor 83 und dem Anschlusskunden sowie die Verträge über den Ankauf einzelner Forderungen unterschieden werden. Im Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens bleibt der Rahmenvertrag in seinem 84 rechtlichen Bestand grundsätzlich unberührt. Verträge über den Ankauf der einzelnen Forderungen können bei Bestellung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters nur noch ___________ 180) Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 458. 181) Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 189. Vgl. Ferran, Principles of Corporate Finance, S. 319, wonach in Großbritannien viele Unternehmen den Kontokorrentkredit als Notfallkredit ansehen und gar nicht laufend in Anspruch nehmen. 182) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 378. 183) Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 349 – 3 54; Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 189. 184) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 377. Das Problem tritt in Deutschland mit der aus Großbritannien bekannten Schärfe (wo grundsätzlich jederzeit sofortige Rückzahlung verlangt werden kann) nur in den Fällen der ungenehmigten Kontoüberziehung auf. 185) Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 485. 186) Von unechtem Factoring spricht man, wenn der Factor das Delkredererisiko des Forderungsschuldners nicht übernimmt (Palandt-Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 39 f.). Unechtes Factoring birgt das juristische Risiko, dass die dem Factoring zugrunde liegende Zession nach Maßgabe der sog. Vertragsbruchtheorie nichtig ist (Palandt-Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 40). Sie sind deshalb nicht besonders verbreitet. 187) Larenz-Canaris, Schuldrecht, S. 85.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

mit dessen Zustimmung, bei Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters nur noch durch diesen geschlossen werden. 85 Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so erlischt der Rahmenvertrag ipso iure (§§ 115, 116 InsO).188) Praktisch gesehen bedeutet dies, dass, will der Insolvenzverwalter Factoring für die Finanzierung der Betriebsfortführung nutzen, er den Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung dazu nutzen sollte, mit dem Factor einen Anschlussvertrag zu verhandeln. Der Abschluss eines solchen im eröffneten Insolvenzverfahren ist von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters gedeckt, wenn er sich i. R. des Insolvenzzwecks hält und der Betriebsfortführung dient. Ist der Abschluss des Anschlussvertrags von erheblicher Bedeutung für die Insolvenzmasse, ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder, wo ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung einzuholen (§ 160 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Weiterführung oder der Neuabschluss eines Factoringvertrags wird allerdings nur in Betracht kommen, wenn die Fortführung des Betriebs längerfristig angelegt ist, also z. B. zur Vorbereitung einer übertragenden Sanierung oder i. R. eines Insolvenzplans erfolgt. 86 Das Factoring hat folgende Vorteile: Durch die Gewährung von Zahlungszielen erleidet das fortzuführende Unternehmen an sich einen Liquiditätsverlust, so dass es zu Zahlungsengpässen und zum Verlust von Barzahlungsskonti kommen kann.189) Ein Unternehmen, das seinen Kunden Zahlungsziele einräumt, muss überdies Rechnungen schreiben, eine Debitorenbuchhaltung führen und Zahlungseingänge überwachen.190) Die Weiterführung oder der Neuabschluss eines Factoringvertrags kann wegen der Vermeidung dieser Nachteile sowohl liquiditätsschonend als auch kostensenkend191) wirkend. Als Vorteil wird in Abgrenzung zum Kontokorrent auch die Finanzierungssicherheit genannt, und zwar in Form typischerweise längerer Kündigungsfristen und starrer vertraglicher Konditionen.192) 87 Als Nachteil des Factoring wird der erhebliche organisatorische und finanzielle Aufwand genannt, der nach dem Ende eines längerfristigen Factoringvertrags getrieben werden muss, um die drei genannten Funktionen wieder unternehmensintern abzudecken. Ferner kann insbesondere das offene Factoring von Geschäftspartnern als Zeichen wirtschaftlicher Schwäche gedeutet werden.193) Beide Gesichtspunkte sind in der speziellen Situation der Betriebsfortführung in der Insolvenz aber von nachrangiger Bedeutung. Ein Nachteil, der bedacht werden sollte, ist dagegen stets der, dass das unechte Factoring als Kreditsubstitut den §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO unterfallen kann, wird der Vertrag mit einem Gesellschafter geschlossen.194)

___________ 188) Sinz in: Kölner Schrift zur InsO, Rz. 101 f. Nach der Gegenansicht findet § 103 Abs. 1 InsO auf das echte Factoring Anwendung, so dass der Insolvenzverwalter über die Fortsetzung oder Beendigung des Rahmenvertrags entscheiden kann; nur beim unechten Factoring führe die Insolvenz des Anschlusskunden nach §§ 115, 116 InsO zum Erlöschen des Rahmenvertrags. In der Praxis wird ohnehin regelmäßig ein fristloses Kündigungsrecht des Factors bei Insolvenz des Anschlusskunden vereinbart und ausgeübt, so dass der Meinungsstreit kaum je relevant wird. 189) Larenz-Canaris, Schuldrecht, S. 85. 190) Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 334. 191) Gewiss muss bedacht werden, dass der Factor für die Übernahme der drei genannten Funktionen ein Entgelt verlangt. Dies liegt nach Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker (Unternehmensfinanzierung, S. 337) je nach Arbeitsaufwand zwischen 0,8 % bis 2,5 % des Forderungsumsatzes und kann sich mithin als kostengünstiger erweisen als der Unterhalt einer Debitorenbuchhaltung. 192) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 392. 193) Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 337. 194) v. Gerkan/Hommelhoff-Johlke/Schröder, Hdb. Kapitalersatzrecht, Rz. 5.55 f.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung 4.2

§8

Leasing

Rechtlich und steuerlich können mehrere Arten des Leasings unterschieden werden:

88

Beim Finanzierungsleasing erwirbt der Leasinggeber nach Abschluss des Leasingvertrags den Leasinggegenstand und überlässt ihn dem Leasingnehmer gegen Zahlung der Leasingraten für eine bestimmte Zeit zur Nutzung. Der Leasingnehmer trägt die Gefahr des Untergangs und der Beschädigung.195) Ziel des Leasingebers ist, die Vollamortisation der Anschaffung des Leasinggegenstandes zu erreichen, indem der Leasingnehmer durch seine Zahlungen den Kaufpreis des Leasinggegenstands zzgl. aller Kosten, Zinsen, Kreditrisiko und Gewinn vergütet.196) Enthält der Leasingvertrag – wie typischerweise – eine Kaufoption, ähnelt er einem finanzierten Kaufvertrag, worin die Finanzierungsfunktion dieser Form des Leasings besonders deutlich zum Ausdruck kommt. x Das Sale-and-Lease-Back-Geschäft ist eine Weiterentwicklung des Finanzierungsleasing. Dabei wird der Leasinggegenstand vom Leasinggeber nicht von einem Dritten, sondern vom Leasingnehmer erworben und diesem dann gegen Entgelt zur Nutzung überlassen. Neben die Finanzierungsfunktion in ihrer allgemeinen Ausprägung tritt der besondere Effekt, dass durch den Zufluss des Kaufpreises beim Leasingnehmer ein einmaliger Liquiditätseffekt geschaffen wird. x Das Operating Leasing schließlich zielt auf Amortisation der Kosten der Anschaffung des Leasinggegenstands durch mehrfaches Überlassen des Leasinggegenstands an verschiedene Leasingnehmer ab. Es handelt sich jeweils um Mietverträge.197) Im Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens bleibt der Leasingvertrag in seinem recht- 89 lichen Bestand grundsätzlich unberührt. Der Neuabschluss solcher Verträge kann in dieser Phase bei Bestellung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters nur noch mit dessen Zustimmung, bei Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters nur noch durch diesen stattfinden. Bestehen bei Insolvenzeröffnung ungekündigte198) Leasingverträge, so steht dem Insolvenzverwalter im Falle beweglicher Sachen das Wahlrecht des § 103 InsO zu Gebote. Im Falle unbeweglicher Sachen gilt § 108 InsO und besteht der Vertrag zunächst fort. War der Leasinggegenstand noch nicht überlassen, gilt § 109 Abs. 1 InsO und besteht ein beiderseitiges Rücktrittsrecht. Der Abschluss neuer Leasingverträge ist dann von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach § 80 InsO gedeckt, wenn er sich i. R. des Insolvenzzwecks hält und der Betriebsfortführung dient. Ist der Neuabschluss eines Leasingvertrags von erheblicher Bedeutung für die Insolvenzmasse, ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder, wo ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung einzuholen (§ 160 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ganz generell ist dabei zu beachten, dass die Weiterführung oder der Neuabschluss von Leasingverträgen wegen der typischerweise längeren Vertragsdauer199) nur in Betracht kommt, wenn sie Teil eines längerfristigen Sanierungskonzeptes – etwa i. R. eines Insolvenzplans – sind. x

Sowohl das Finanzierungsleasing als auch das Sale-and-Lease-Back-Geschäft können 90 Bausteine der Finanzierung der Betriebsfortführung sein. Zu ihren Vorteilen zählen ihre gute Verfügbarkeit, die Bequemlichkeit der Finanzierung, die Vertragsklarheit, die aus der Vereinbarung typischerweise starrer Konditionen folgende Finanzierungssicherheit und ___________ 195) 196) 197) 198)

Palandt-Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 535 Rz. 37. Palandt-Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 535 Rz. 39 a. E. Palandt-Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 535 Rz. 40. Für Leasingverträge gilt die Kündigungssperre des § 112 InsO, s. Palandt-Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 535 Rz. 73. 199) Die Laufzeit eines typischen Finanzierungsleasingvertrags beträgt typischerweise 40 % bis 90 % der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Gegenstands, mithin in Abhängigkeit vom konkreten Gegenstand zwischen zwei und sieben Jahren, s. Palandt-Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 535 Rz. 39.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

steuerliche Vorteile.200) Insbesondere das Sale-and-Lease-Back-Geschäft ist i. R. der Finanzierung der Betriebsfortführung reizvoll: Der Insolvenzverwalter verkauft betriebsnotwendiges Anlagevermögen an eine Leasinggesellschaft, die es dem Insolvenzverwalter gegen Entgelt zur Nutzung überlässt. Dem Unternehmen fließen auf diese Weise liquide Mittel (der Kaufpreis) zu, ohne dass auf eine betriebliche Nutzung des veräußerten Gegenstands verzichtet werden muss.201) Ein solches Geschäft setzt allerdings voraus, dass der betreffende Gegenstand nicht mit einem Sicherungsrecht belastet ist (oder die Zustimmung des Sicherungsgebers vorliegt) und dass der Anspruch auf Zahlung der Leasingraten Masseverbindlichkeit ist. Ähnlich wie beim Massedarlehen kann dies dort, wo ein Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet und kein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt ist, durch eine Einzelermächtigung des Insolvenzgerichts sichergestellt werden. Zu den Nachteilen des Leasing gehört das Risiko, dass es als Kreditsubstitut dem Regime der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO unterfallen kann, wenn ein Gesellschafter der Leasinggeber ist.202) 5.

Fortführungsvereinbarungen

91 Unter Fortführungsvereinbarungen werden Verträge verstanden, mit denen sich der Insolvenzverwalter verpflichtet, im beantragten und/oder eröffneten Insolvenzverfahren den Betrieb des Schuldners fortzuführen und den Vertragspartner weiterhin zu vereinbarten Konditionen zu beliefern, wobei der Vertragspartner einen etwaig aus der Betriebsfortführung erzielten Verlust auszugleichen hat.203) Fortführungsvereinbarungen erweisen sich damit systematisch als ein Instrument der Fremdfinanzierung. 92 Typische Inhalte einer Fortführungsvereinbarung sind:204) x die Verpflichtung des Vertragspartners, einen etwaig durch die Betriebsfortführung erzielten Verlust auszugleichen. Bei der Vereinbarung der Verlustübernahme werden jedoch nur solche Aufwendungen berücksichtigt, die während des Insolvenzverfahrens ausgabewirksam werden. Verbindlichkeiten, die Insolvenzforderungen sind oder werden, oder Abschreibungen auf das Anlagevermögen entfallen. x Änderungen bestehender vertraglicher Absprachen, wie z. B. Preiserhöhungen, die nach den Kalkulationen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters erforderlich sind, um ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen oder Beschränkung von Gewährleistungsregelungen, um zusätzliche finanzielle Belastungen zu vermeiden; x Zahlungspflichten des Vertragspartners, namentlich die Leistung von Abschlagszahlungen durch den Kunden, um die Zahlungsunfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens herzustellen; x Verfahrenskostengarantien, mit der die Vergütung des Insolvenzverwalters, die Gerichtskosten und die Vergütung des Gläubigerausschusses in einer bestimmten Höhe garantiert werden;205) ___________ 200) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 395. 201) Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 154. 202) v. Gerkan/Hommelhoff-Johlke/Schröder, Hdb. Kapitalersatzrecht, Rz. 5.71 und 5.73; Sinz in: Kölner Schrift zur InsO, Rz. 55 ff. 203) Grub in: FS Görg, S. 201. Muster: ZInsO 2014, 642, dazu Hill, ZInsO 2014, 1513. Weiterführend Schluck-Amend/Seibold, ZIP 2010, 62; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb. vorl. Insolvenzverwaltung, § 12 Rz. 29 – 35; Paulus, ZInsO 2015, 2160. 204) Schluck-Amend/Seibold, ZIP 2010, 62 ff.; Bochardt/Frind-Denkhaus, Betriebsfortführung, Rz. 1623. 205) Zur Frage, ob ein Automobilhersteller, der sich in einer Fortführungsvereinbarung für den Fall (partieller) Masseunzulänglichkeit gegenüber der Masse verpflichtet hat, für die Kosten des Insolvenzverfahrens (anteilig) einzustehen, gegen die Festsetzung der Vergütung des (vorläufigen) Verwalters beschwerdeberechtigt ist, BGH, Beschl. v. 20.12.2012 – IX ZB 19/10, ZIP 2013, 226 = ZInsO 2013, 238 (bejahend).

150

Pluta/Ch. Keller

Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

x

Rückerstattungsverpflichtungen. Vereinbart wird, dass Leistungen des Vertragspartners im eröffneten Verfahren im Rang einer Masseverbindlichkeit erstattet werden müssen, wenn sie zur Betriebsfortführung nicht benötigt wurden oder werden, wenn aus der Betriebsfortführung Überschüsse erzielt werden oder wenn die Betriebsfortführung fehlschlägt.

x

Aufrechnungsverbote;

x

Haftungsausschluss des vorläufigen Insolvenzverwalters;

x

Informationsrechte;

x

Regelungen zur Laufzeit der Fortführungsvereinbarung (typischerweise 6 – 9 Monate) sowie

x

Kündigungsrechte.

Mit dem Abschluss einer Fortführungsvereinbarung ist für den Vertragspartner des In- 93 solvenzverwalters eine Reihe von Risiken verbunden. So wird in der Literatur das Risiko genannt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter dem Kunden kein oder kein lastenfreies Eigentum an Sachen überträgt, weil er über Gegenstände verfügt, an denen Dritte Sicherungsrechte haben. Dabei handelt es sich indessen nur um ein theoretisches Risiko, wenn diejenigen Mittel, die zur Ablösung etwaig bestehender Sicherungsrechte erforderlich sind, eingeplant und zum Gegenstand der Verlustausgleichspflicht oder von Zahlungsverpflichtungen gemacht werden. Ferner ist denkbar, dass eine Fortführungsvereinbarung, die von einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossen wurde, im eröffneten Verfahren vom Insolvenzverwalter angefochten oder gemäß § 103 InsO nicht erfüllt wird. Das Anfechtungsrisiko wird sich jedenfalls dann als gut beherrschbar erweisen, wenn der i. R. der Fortführungsvereinbarung Leistungsaustausch als Bargeschäft i. S. des § 142 InsO strukturiert wird. Das Risiko, dass der Insolvenzverwalter Nichterfüllung der Fortführungsvereinbarung wählt, ist in rechtlicher Hinsicht real.206) Schließlich besteht das Risiko, dass etwaige Rückzahlungsverpflichtungen nicht erfüllt werden. Insofern muss – wie beim Massedarlehen – zunächst dafür gesorgt werden, dass der Rückzahlungsanspruch Masseverbindlichkeit ist; dies geschieht – wie beim Massedarlehen – dadurch, dass eine Einzelermächtigung des Insolvenzgerichts beantragt wird.207) Geschieht dies, verbleibt das Risiko der Masseunzulänglichkeit, gegen das sich der Vertragspartner nur durch Realoder Personalsicherheiten schützen kann. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass das Risiko der Masseunzulänglichkeit bei mit einer sorgfältig erstellten Liquiditätsplanung unterlegten Fortführungsvereinbarungen ein theoretisches ist, denn diese sollen ja gerade dazu dienen, Masseunzulänglichkeit zu vermeiden. Ein Sonderproblem ist die Frage, wie sich ein Vertragspartner dagegen schützen kann, 94 dass der Insolvenzverwalter gegen etwaige Rückzahlungsansprüche aus der Fortführungsvereinbarung mit Anfechtungsansprüchen aufrechnet. Das kann einmal dadurch geschehen, dass Zahlungen des Vertragspartners auf einem Treuhandkonto von der übrigen Insolvenzmasse separiert werden. Das bewirkt, dass gegen den Anspruch auf Herausgabe des Treugutes nur noch mit Ansprüchen aus dem Treuhandverhältnis, aber nicht mit anderen Ansprüchen – wie Anfechtungsansprüchen – aufgerechnet werden kann. Alternativ kommt die Vereinbarung eines vertraglichen Aufrechnungsverbots in Betracht.

___________ 206) S. Brugugnone, NZI 2012, 638, 640; dagegen Schaaf/Mushardt, BB 2013, 2056. 207) Grub in: FS Görg, S. 201, 205.

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§8 VI.

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Finanzierung durch die öffentliche Hand

95 Zur Sanierung von Unternehmen stehen bisweilen auch Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand zur Verfügung.208) Systematisch handelt es sich um Maßnahmen der Außenfinanzierung, wobei sowohl (selten) Maßnahmen der Eigenfinanzierung als auch (fast ausschließlich) Maßnahmen der Fremdfinanzierung Anwendung finden. Typische Formen der Finanzierung durch die öffentliche Hand sind die Hingabe von Darlehen,209) die Gewährung von Investitionszulagen und die Bestellung von Sicherheiten für Bank- oder Lieferantenkredite.210) Wie stets, so gilt auch im Sondergebiet der Finanzierung durch die öffentliche Hand, dass nicht alle Finanzierungsformen für die Finanzierung der Betriebsfortführung in der Insolvenz in Betracht kommen. Hinzu kommt erschwerend, dass die meisten der angebotenen Finanzierungsprogramme langfristig angelegt sind, die Betriebsfortführung in der Insolvenz sich ihrer Natur nach aber auf einen eher kürzeren Zeitraum beschränkt. Tatsächlich dürften zur Finanzierung der Betriebsfortführung nur kurzfristige Darlehen und Bürgschaften der öffentlichen Hand in Betracht kommen.211) In der Regel schließen die Bürgschaftsrichtlinien zwar Bürgschaften zum Zwecke der Unternehmenssanierung aus und gestatten diese nur zur Förderung von Investitionen. Tatsächlich aber werden Bürgschaften gerade zu diesem Zweck gewährt; finanzielle Sanierungen sind gewöhnlich auch mit der Umsetzung investiver Maßnahmen verbunden. Es existieren verschiedene Bürgschaftsprogramme, die in der Regel alle eine maximale Besicherung i. H. von 80 % des Kreditbetrages erlauben.212) Ist der Abschluss des Darlehens- oder Bürgschaftsvertrags von erheblicher Bedeutung für die Insolvenzmasse, ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder, wo ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung einzuholen (§ 160 Abs. 1 Nr. 1 InsO). 96 Bei der Gewährung einer öffentlichen Finanzierungshilfe in der Krise des Unternehmens handelt es sich in der Regel um eine Beihilfe i. S. von Art. 107 AEUV. Solche Beihilfen sind mit dem Binnenmarkt grundsätzlich nicht vereinbar. Etwas anderes gilt gemäß Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV aber für Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Unter diese Ausnahmevorschrift werden auch die sog. Rettungsbeihilfen213) subsumiert, wenn sie die Voraussetzungen der Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten214) erfüllen.215) Ein Unternehmen in Schwierigkeiten ist danach einerseits ein Unternehmen, hinsichtlich dessen die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag eines Gläubigers erfüllt sind, bezogen auf Deutschland also Zahlungsunfähigkeit oder Überschul___________ 208) Buth/Hermanns-Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 16 Rz. 55; Ehricke, WM 2001, Beilage 3; Hess/Fechner/Freund/Körner-Hess, Sanierungshandbuch, S. 468 ff.; Mönning, 1. Aufl., 1997, Rz. 1082 ff.; Wellensiek/Schluck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 60. 209) Schimansky/Bunte/Lwowski-Peters, Bankrechts-Hdb., § 89. 210) Wellensiek/Schluck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 60. 211) Wellensiek/Schluck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 62. 212) Wellensiek/Schluck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 62. 213) Die dem europäischen Recht ebenfalls bekannte Umstrukturierungsbeihilfe ist im Unterschied zur Rettungsbeihilfe für die langfristige Sanierung des Unternehmens gedacht. Sie ist i. R. der Betriebsfortführung im vorläufigen oder eröffneten Insolvenzverfahren daher tendenziell weniger geeignet als die Rettungsbeihilfe. 214) Mitteilung der Kommission, Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABl. EU Nr. 2014/C 249/01 v. 31.7.2014 (fortan zit. als Leitlinien 2014); dazu Möhlenkamp, Beilage zu ZIP 44/2014 (mit Abdruck der Leitlinien). 215) Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 107 Rz. 228.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§8

dung vorliegen.216) Die drohende Zahlungsunfähigkeit führt dagegen nicht (mehr) per se dazu, dass das betroffene Unternehmen „in Schwierigkeiten“ i. S. der Leitlinien 2014 ist, weil die drohende Zahlungsunfähigkeit nach deutschem Recht nur den Schuldner selbst, nicht aber einen Gläubiger zur Antragstellung berechtigt.217) Daneben befindet sich ein Unternehmen aber auch dann in Schwierigkeiten, wenn ein Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist.218) Mithin kann sowohl eine im vorläufigen als auch im eröffneten Insolvenzverfahren gewährte öffentliche Finanzierungshilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar sein. Die Genehmigungsvoraussetzungen für eine Rettungsbeihilfe219) sind in Kapitel 3.3.1 97 der Leitlinie 2014 aufgezählt: x

Es muss sich um vorübergehende Liquiditätshilfen in Form von Darlehensbürgschaften oder Darlehen handeln.

x

Die Höhe der Vergütung, die ein begünstigtes Unternehmen für eine Rettungsbeihilfe zu zahlen hat, sollte der zugrunde liegenden Kreditwürdigkeit des jeweiligen Unternehmens unter Berücksichtigung der vorübergehenden Auswirkungen der Liquiditätsprobleme und der staatlichen Unterstützung Rechnung tragen und dem begünstigten Unternehmen einen Anreiz bieten, die Beihilfe möglichst rasch zurückzuzahlen.220)

x

Soweit nicht unter lit. d der Leitlinien etwas anderes festgelegt ist, gilt für die Rückzahlung von Darlehen und die Laufzeit von Bürgschaften eine höchstens sechsmonatige Frist ab Auszahlung der ersten Rate an das begünstigte Unternehmen.

x

Die Mitgliedstaaten müssen sich verpflichten, der Kommission innerhalb von sechs Monaten nach Genehmigung der Rettungsbeihilfe oder, im Falle nicht angemeldeter Beihilfen, spätestens sechs Monate ab Auszahlung der ersten Rate an das begünstigte Unternehmen Folgendes zu übermitteln: einen Nachweis darüber, dass das Darlehen vollständig zurückgezahlt und/oder die Bürgschaft ausgelaufen ist, oder x sofern das begünstigte Unternehmen ein Unternehmen in Schwierigkeiten ist (und es nicht lediglich mit einem akuten Liquiditätsbedarf konfrontiert ist), einen Umstrukturierungsplan nach Abschnitt 3.1.2 der Leitlinie 2014; bei Vorlage eines Umstrukturierungsplans verlängert sich die Genehmigung der Rettungsbeihilfe automatisch bis zum endgültigen Beschluss der Kommission über den Plan, es sei denn, die Kommission stellt fest, dass eine solche Verlängerung nicht gerechtfertigt ist oder im Hinblick auf Zeit oder Anwendungsbereich begrenzt werden sollte; sobald ein Umstrukturierungsplan, für den eine Beihilfe beantragt worden ist, erstellt ist und umgesetzt wird, gilt jede weitere Beihilfe als Umstrukturierungsbeihilfe, oder x einen Abwicklungsplan, in dem dargelegt und begründet wird, mit welchen Schritten die Abwicklung des begünstigten Unternehmens innerhalb einer angemessenen Frist ohne weitere Beihilfen erreicht werden soll. Rettungsbeihilfen dürfen nicht für die Finanzierung struktureller Maßnahmen, wie bspw. den Erwerb wesentlicher Geschäftsbereiche oder Vermögenswerte verwendet werden, es sei denn, sie sind im Hinblick auf das Überleben des begünstigten Unternehmens während der Laufzeit der Rettungsbeihilfe erforderlich. x

x

___________ 216) 217) 218) 219) 220)

Leitlinien 2014, Rz. 20 lit. c (vgl. Fn. 214). Möhlenkamp, Beilage zu ZIP 44/2014, S. 4. Leitlinien 2014, Rz. 20 lit. c (vgl. Fn. 214). Zu praktischen Problemen und ihrer Lösung Koenig/Pickartz, BB 2001, 633. Leitlinie 2014, Rz. 55, 56 (vgl. Fn. 214).

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§8 x

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Der EuGH verlangt über die in der Leitlinie genannten Voraussetzungen hinaus zusätzlich, dass ein tragfähiges Finanzierungskonzept vorliegt.221)

98 Auch wenn eine Finanzierungshilfe unter die Leitlinie fällt, ist Voraussetzung ihrer Zulässigkeit allerdings, dass das Notifizierungsverfahren nach Art. 108 AEUV durchgeführt wird. Sofern die Rettungsbeihilfen die vorstehenden Voraussetzungen erfüllen, wird die Kommission gemäß Abschnitt 7.1 der Leitlinie im sog. Vereinfachten Verfahren innerhalb eines Monats entscheiden, wenn x

die Rettungsbeihilfe auf den Betrag begrenzt ist, der sich aus der Formel in Anhang I ergibt, und höchstens 10 Mio. € beträgt;

x

die Beihilfe nicht in den unter Rz. 72 lit. b und lit. c der Leitlinie 2014 genannten Situationen gewährt wird, also x

x

wenn die Rettungsbeihilfe oder vorübergehende Umstrukturierungshilfe im Einklang mit diesen Leitlinien gewährt worden ist und im Anschluss keine Umstrukturierungsbeihilfe gewährt wurde, sofern zu dem Zeitpunkt – zu dem die Beihilfe auf der Grundlage dieser Leitlinien gewährt wurde – vernünftigerweise davon ausgegangen werden konnte, dass das begünstigte Unternehmen langfristig rentabel sein würde, und neue Rettungs- oder Umstrukturierungsbeihilfen frühestens nach fünf Jahren aufgrund unvorhersehbarer Umstände erforderlich werden, die das begünstigte Unternehmen nicht zu vertreten hat oder in außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Fällen, die das begünstigte Unternehmen nicht zu vertreten hat.

___________ 221) Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 107 Rz. 227; zur Bedeutung des Beihilfenrechts im Insolvenzplanverfahren Fritze/Heithecker, EuZW 2010, 817.

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§9 Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren Übersicht I. 1. 2.

Funktion des Eröffnungsverfahrens......... 1 Allgemeines .................................................. 1 Verfahrensziele und Zulässigkeit der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ..................................................... 11 2.1 Liquidation als Verfahrensziel........ 11 2.2 Betriebsfortführung und übertragende Sanierung.......................... 15 2.3 Übertragende Sanierung mit Insolvenzplan ...................................... 18 2.4 Betriebsfortführung zwecks Reorganisation im Regelverfahren mit Insolvenzplan...............................22 2.5 Betriebsfortführung und Reorganisation in Eigenverwaltung (§§ 270, 270a InsO) ........................ 27 2.6 Betriebsfortführung zur Reorganisation in Eigenverwaltung und zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren, § 270b InsO) ................................... 32 2.7 Ergebnis........................................... 35 II. Rechtliche Voraussetzungen der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ......................................................... 37 1. Steuerungsfunktion des Insolvenzantrags............................................................. 37 2. Weichenstellung durch Entscheidungen des Insolvenzgerichts im Eröffnungsverfahren ........................................... 47 2.1 Die vorläufigen Maßnahmen im Einzelnen......................................... 48 2.1.1 Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters................................. 48 2.1.2 Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses...................... 52 2.1.3 Anordnung eines allgemeinen Vollstreckungsverbotes .................. 66 2.1.4 Eingriffe in Grundrechte, Postkontrolle .......................................... 68 2.1.5 Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis bei Sonderrechten ............ 75 2.2 Zweck/Mittel-Relation bei Betriebsfortführung ............................ 80 2.2.1 Pflicht zur Anordnung vorläufiger Maßnahmen..................................... 80 2.2.2 Art und Weise der Anordnung ...... 93 2.2.3 Zeitpunkt der Anordnung.............. 99 2.2.4 Rechtsbehelfe ................................ 104

Mönning

2.3

Rechtsfolgen der gerichtlichen Anordnungen ................................ 107 2.3.1 Gesetzliche Kompetenzzuweisung bei Anordnung eines Verfügungsverbots (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO)................................... 107 2.3.1.1 Sicherung des Vermögens............ 112 2.3.1.2 Fortführungspflicht ..................... 115 2.3.1.3 Prüfungspflicht............................. 122 2.3.2 Richterliche Kompetenzzuweisung bei Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) ... 123 2.3.3 Einzelermächtigungen durch richterliche Anordnung ................ 130 2.3.3.1 Vorläufige Insolvenzverwaltung .....130 2.3.3.2 Vorläufige Eigenverwaltung ........ 132 2.3.4 Auswirkung des Vollstreckungsverbotes ......................................... 135 2.3.5 Folgen der Postkontrolle im Eröffnungsverfahren..................... 137 2.3.6 Verwertungsstopp und Nutzung von Gegenständen mit Aus- und Absonderungsrechten................... 140 2.3.7 Einbeziehung des vorläufigen Gläubigerausschusses ................... 145 2.3.8 Auswirkung auf grenzüberschreitende Verfahren................... 150 2.4 Die Bedeutung der gerichtlichen Anordnungen für Betriebsfortführung und Verfahrensziele...........154 2.4.1 Bindung des Gerichts an die mit der Antragstellung verfolgten Ziele ............................. 154 2.4.2 „Starker“ oder „schwacher“ vorläufiger Verwalter .................... 166 2.4.3 Die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters ...................... 169 2.4.4 Bindung an den mitgebrachten vorläufigen Sachwalter.................. 179 2.5 Gläubigerautonomie und Betriebsfortführung .......................... 184 2.5.1 Allgemeines ................................... 184 2.5.2 Gläubigerausschuss bestimmt Anforderungsprofil des vorläufigen Insolvenzverwalters ...................... 187 2.5.3 Bindende Beschlüsse des Gläubigerausschusses zur Person ....................190

155

§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

2.5.4 Auswirkungen des Abwahlrechtes des vorläufigen Gläubigerausschusses auf Betriebsfortführungen ...............196 2.5.5 Bindende Beschlüsse des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Verfahrensart.......................... 200 2.5.6 Mitwirkungsrechte des vorläufigen Gläubigerausschusses bei Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ....................................... 203 2.5.7 Besonders bedeutsame Rechtshandlungen.................................... 206 2.5.8 Überprüfung des Geldverkehrs...... 208 2.5.9 Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses, Anzahl der Mitglieder................................ 212 2.6 Die Aufsicht des Insolvenzgerichts bei Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ............... 217 2.6.1 Beschränkung auf Rechtsaufsicht .......................................... 217 2.6.2 Anforderung von Berichten, Einsicht in Konten........................ 222 2.6.3 Zustimmung zur Stilllegung des Geschäftsbetriebes ................. 226 3. Der vorläufige Insolvenzverwalter/ vorläufige Sachwalter ............................... 235 3.1 Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters ...................... 235 3.2 Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters.................................... 242 3.3 Anforderungsprofil bei Betriebsfortführung im Regelverfahren............................................. 248 3.4 Anforderungsprofil bei Eigenverwaltung..................................... 252 3.5 Qualitätsnachweise, Zertifikate ... 257 3.5.1 DIN EN ISO 9001 – 2008 ........... 259 3.5.2 GOI – Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzabwicklung..... 262 3.5.3 InsO-Excellence des Gravenbrucher Kreises ............................. 264 3.6 Netzwerk externer Dienstleister.....265 3.7 Organisation und Ausstattung .... 272 3.8 Interessenkonflikte und Tätigkeitsverbote................................... 275 3.9 Unabhängigkeit des mitgebrachten vorläufigen Sachwalters............................................ 280 III. Wirtschaftliche und organisatorische Voraussetzungen der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren......... 285 1. Analyse, Planung, Steuerung................... 285 1.1 Ursachenanalyse ........................... 291 1.2 Potentialanalyse ............................ 295

156

1.3

2.

3.

4.

Mönning

Planrechnungen (Liquiditätsplanung, Ertragsplanung, Investitionsplanung) .................... 296 1.4 Soll/Ist-Vergleich ......................... 302 1.5 Form der Überwachung ............... 304 1.6 Korrekturmaßnahmen/Abbruch.....305 1.6.1 Stilllegung im Regelverfahren ...... 306 1.6.2 Abbruch in der vorläufigen Eigenverwaltung ........................... 307 1.6.3 Aussichtlosigkeit der Sanierung..... 308 1.6.4 Anordnungen des Insolvenzgerichts .......................................... 309 1.6.5 Risiken aufgrund abweichender Bewertung ..................................... 310 Finanzierung der Betriebsfortführung ... 312 2.1 Massekredite, Begründung von Masseverbindlichkeiten ................ 313 2.2 Öffentlich-rechtliche Finanzierungshilfen .................................... 320 2.3 Insolvenzgeldvorfinanzierung ..... 325 2.4 Forderungseinzug......................... 329 2.5 Verwertung von Anlagegegenständen ......................................... 333 2.6 Abbau von Warenlagern............... 334 2.7 Sonstige Finanzierungsmöglichkeiten....................................... 336 2.7.1 Lastschriftwiderruf ....................... 336 2.7.2 Debitorenmanagement................. 337 2.7.3 Anfechtungs- und Schadensersatz ............................................. 339 2.7.4 Ablehnung der Erfüllung ............. 340 Anforderungen an die Unternehmensführung ...................................... 341 3.1 Führungsbedingungen in der Unternehmenskrise ...................... 341 3.2 Führungsstil, Lenkungsausschüsse........................................... 347 3.3 Auswechseln von Führungspersonal ......................................... 356 3.4 Unternehmensführung bei Eigenverwaltung, Kompetenzverteilung, Kassenführung ........... 361 3.5 Besonderheiten beim Schutzschirmverfahren ............................ 370 3.6 Äußere Einflüsse auf die Unternehmensführung, soziale Netzwerke..................................... 375 3.7 Mitarbeiterführung in der Krise..... 377 3.8 Einbeziehung der Aufsichtsorgane, Weisungen........................ 378 Verhaltensregeln ...................................... 384 4.1 Informationsbeschaffung ............. 384 4.2 Zugang........................................... 385 4.3 Büroräume..................................... 387 4.4 Betriebsrundgang.......................... 389

§9

Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren 4.5 Nutzung von Einrichtungen ........ 390 4.6 Präsenz........................................... 392 4.7 Abwicklungsteam.......................... 396 4.8 Jour-Fixe........................................ 397 4.9 Veranstaltungen ............................ 398 4.10 Geschenke ..................................... 399 4.11 Compliance ................................... 400 5. Betriebsfortführung im Konzern ............ 401 6. Verwaltung von Kleinverfahren .............. 407 IV. (Zwangs-)Maßnahmen zur Sicherung der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ...........................................409 1. Mitwirkungspflichten des Schuldners und seiner Organe (§ 20 Abs. 1 InsO) ... 409 1.1 Art und Umfang der Mitwirkung ............................................... 409 1.2 Pflicht zur Mitarbeit, Vergütung .... 410 1.3 Mitarbeit bei Eigenverwaltung ..... 413 1.4 Zutrittsrecht .................................. 414 1.5 Pflicht zur Auskunftserteilung .... 418 1.6 Durchsetzung der Pflichten ......... 419 2. Absicherung der Betriebsfortführung gegen Ein- und Übergriffe von Gläubigern und Dritten ................................... 420 2.1 Mögliche Störpotentiale: Verbotene Eigenmacht, Faustrecht, Drohungen .................................... 420

2.2 2.3 2.4

Diebstähle und Sabotage............ 422 Korruption.................................. 425 Zwangsweise Durchsetzung von Ansprüchen ........................ 427 2.5 Nutzung von Gegenständen mit Aussonderungsrechten ....... 428 2.6 Nutzung und Einziehung/ Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrechten .. 430 2.7 Erfüllung von Verträgen, Lösungsklauseln ......................... 432 2.8 Sicherung der Beschaffungsstrukturen ................................... 433 2.9 Sicherung des Standorts............. 439 2.10 Sicherung des Wettbewerbs....... 441 2.11 Konzessionen und Genehmigungen ........................................ 442 2.12 Altlasten...................................... 444 2.13 Belegschaft/Personalmaßnahmen ....................................... 445 V. Betriebsfortführung und Öffentlichkeit .................................................. 454 VI. Übergang .............................................. 458 VII. Ausblick – Das außergerichtliche Sanierungsverfahren ........................... 460 VIII. Fazit....................................................... 462

Literatur: van der Aa, Afkoelingsperiode in Faillissement, 2007; Ampferl/Kilper, Die Pflicht des Gläubigerausschusses zur Prüfung von Geldverkehr und -bestand; ZIP 2015, 553; Baetge/Hippel/ Sommerhoff, Anforderungen und Praxis der Prognoseberichterstattung in: DB 2011, 365; Becker/ Bieckmann/Martin/Müller, Endgültige Verabschiedung des IDW S 11 zur Beurteilung der Insolvenzreife, KSI 2015, 164; Becker/Bieckmann/Martin/Müller, Der neue IDW S 11, KSI 2014, 197; Berger/ Frege, Business Judgment Rule bei Unternehmensfortführung in der Insolvenz – Haftungsprivileg für den Verwalter?, ZIP 2008, 204; Berger/Frege/Nicht, Unternehmerische Ermessensentscheidung im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Beth, Die gerichtliche Prüfung der Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO, ZInsO 2015, 369; Blank, Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers an seiner Arbeitsleistung bei Betriebsfortführung durch den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter trotz Sicherstellung des Lohnanspruchs über das demnächst zu erwartende Insolvenzgeld (§ 273 BGB)?, ZInsO 2007, 426; Blöse/ Kihm, Unternehmenskrisen, Ursachen – Sanierungskonzepte – Krisenvorsorge – Steuern, 2006; Bork, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters ist nicht disponibel, ZIP 2013, 145; Bork, Verfolgungspflichten – Muss der Insolvenzverwalter alle Forderungen einziehen?, ZIP 2005, 1120; Braun, Das Gegenteil der (Rechtsanwendungs-)Kunst ist gut gemeint!, NZI-aktuell 2013, Heft 1 – 2, S. V; Brauweiler (Hrsg.), Unternehmensführung heute, 2008; Buchta/Ott, Business judgement rule in der Eigenverwaltung – Eine Betrachtung drei Jahre nach Inkrafttreten des ESUG, ZInsO 2015, 288; v. Buchwaldt, Die Insolvenz in der Eigenverwaltung – auf die richtige Vorbereitung kommt es an, BB 2015, 3017; Cranshaw, Bemerkungen zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld, ZInsO 2013, 1493; Cranshaw/Knöpnadel, Unternehmenssanierung zwischen Ökonomie und Recht – Teil 1, ZInsO 2016, 357; Creditreform, Insolvenzen in Deutschland, Jahr 2015; Eidenmüller, Strategische Insolvenz: Möglichkeiten, Grenzen, Rechtsvergleichung, ZIP 2014, 1197; Euler/Hermes/ZIS Mannheim, Insolvenzen in Zeiten der Finanzkrise, Wirtschaft Konkret Nr. 107; Fachverband Sanierungs- und Insolvenzberatung des BDU e. V., Grundlagen ordnungsgemäßer Restrukturierung und Sanierung (GoRS), KSI 2015, 170; Frind, Bewertung des neuen IDW S 9 (Bescheinigung gem. § 270b InsO) aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2014, 2264; Frind, Haftungsgefahren für den vorläufigen Sachwalter in Eigenverwaltungsund Schutzschirmverfahren – Eine Betrachtung aus insolvenzgerichtlicher Sicht, NZI 2014, 977; Frind, Der Aufgabenkreis des vorläufigen Sachwalters in der Eigenverwaltung – Eine Betrachtung aus insolvenzgerichtlicher Sicht, NZI 2014, 937; Graeber, Th./Graeber, A., Die Beauftragung von Dienstleistern und deren Auswirkungen auf die Vergütung des Insolvenzverwalters, ZInsO 2013, 1284; Haarmeyer/Basinski/Hillebrand/Weber, Durchbruch in der insolvenzrechtlichen Rechnungslegung.

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§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Bericht über den aktuellen Stand der Forschungsgruppe „Schlussrechnung“ des Rheinland-Pfälzischen Zentrums für Insolvenzrecht und Sanierungspraxis (ZEFIS), ZInsO 2011, 1874; Flöther, Die aktuelle Reform des Insolvenzrechts durch das ESUG – Mehr Schein als Sein?, ZIP 2012, 1833; Fölsing, Konzerninsolvenz: Gruppen-Gerichtsstand, Kooperation und Koordination, ZInsO 2013, 413; Frege/Nicht, Informationserteilung und Informationsverwendung im Insolvenzverfahren, InsVZ 2010, 407; Frind, Die Überregulierung der „Konzern“insolvenz, ZInsO 2013, 429; Frind, Aktuelle Anwendungsprobleme beim „ESUG“ – Teil II, ZInsO 2013, 279; Frind, Die Praxis fragt, „ESUG“ antwortet nicht, ZInsO 2011, 2249; Frind, Hilfestellung zur Formulierung eines Anforderungsprofils an einen erfolgreichen Insolvenzverwalter: die fortgeschriebene Verfahrenskennzahlenauswertung, ZInsO 2011, 1913; Frind, Neue Gefahren für Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, ZInsO 2002, 745; Fritsche, Entwicklungstendenzen der Zustimmungsverwaltung nach §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 2. Alternative, 22 Abs. 2 InsO im Insolvenzeröffnungsverfahren, DZWIR 2005, 265; Ganter, Sicherungsmaßnahmen gegenüber Aus- und Absonderungsberechtigten im Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2007, 549; Gravenbrucher Kreis, ESUG: Erfahrungen, Probleme, Änderungsnotwendigkeiten, ZIP 2015, 2159; Geroldinger, Verfahrenskoordination im europäischen Insolvenzrecht. Die Abstimmung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, 2010; Graf-Schlicker, Die Entwicklung des ESUG und die Fortentwicklung des Insolvenzrechts, ZInsO 2013, 1765; Gundlach/Frenzel/Jahn, Die Kassenprüfung durch die Gläubigerausschussmitglieder, ZInsO 2009, 902; Gutheil/Zimmermann, Ausgewählte insolvenzrechtliche Probleme bei der Behandlung von Vertragshändlerverträgen, RAW 2016, 2; Haarmann/Vorwerk, Rechtliche Anforderungen an die Feststellung der positiven Fortbestehensprognose, BB 2015, 1603; Haarmeyer, Das fürsorgliche Insolvenzgericht oder Gläubigermitwirkung als Zahlenspiel?, ZInsO 2012, 1204; Haarmeyer, Die „gute“ Insolvenzverwaltung, ZInsO 2007, 169; Haarmeyer/Buchalik/Haase, Befragung der Insolvenzgerichte zu den §§ 270a und 270b InsO-Verfahren, ZInsO 2013, 26; Hauser/Höbart/Hoffmann/u. a., Unternehmenskrise, 2009; Heeseler/Neu, Plädoyer für die Professionalisierung des Gläubigerausschusses, NZI 2012, 440; Heinrich, Wirtschaft im Umbruch: Neue Aufgaben für die Arbeits- und Insolvenzrechtspraxis, 2010; Henkel, Die Voraussetzungen für die Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung, ZIP 2015, 562; Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, 2001; Hölzle, Zur Disponibilität der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, ZIP 2013, 447; Hölzle, Gesellschaftsrechtliche Veränderungssperre im Schutzschirmverfahren, ZIP 2012, 2427; Hölzle/Pink, MezzanineProgramme und Gestaltungspotenzial der Sanierungseigenverwaltung im ESUG. Eine Bedarfsanalyse für das modernisierte Insolvenzplanverfahren auf empirischer Grundlage, ZIP 2011, 360; Horstkotte, „Unabhängigkeit“ – the new battleground, ZInsO 2013, 160; Horstkotte, Effektiver Rechtsschutz im Verfahren über die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, ZInsO 2012, 1930; Huber, Großer Wurf oder viel Lärm um nichts?, ZInsO 2013, 1; Hunkemöller, „Richterlicher Hochmut“, INDatReport 07/2012, S. 24; Hunoldt, Insolvenzgeld und Insolvenzgeldvorfinanzierung als Sanierungsinstrument, NZI 2015, 785; Jungclaus/Keller, Die Änderungen der InsO durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011, NZI 2010, 808; Kirchhof, Probleme bei der Einbeziehung von Aussonderungsrechten in das Insolvenzeröffnungsverfahren, ZInsO 2007, 227; Kirchhof, Begründung von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Insolvenzverfahren, ZInsO 2004, 57; Kluth, Die „übertragende Sanierung” – Risiken und Nebenwirkungen einer Packungsbeilage zur Unternehmensveräußerung in der Insolvenz, NZI 2002, 1; Kraus, Die Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung – Urteil des OLG Dresden vom 15.10.2014 – 13 U 1605/13 schafft weitere Klarheit, ZInsO 2015, 2522; Kremers/Hoffmann, Insolvenzrechtsreform führt zum Mentalitätswechsel, ZInsO 2013, 289; Kück, Erfolgsmessung im Insolvenzverfahren, ZInsO 2007, 637; Lambrecht/Michelsen, Die Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO – Ruf nach dem Gesetzgeber!, ZInsO 2015, 2520; Landfermann, Allgemeine Wirkung der Insolvenzeröffnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 159; Laroche, Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter, NZI 2010, 965; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, 2010; Lehmann/Rettig, Die Auswahl der Gläubigerausschussversicherung – von der Haftpflicht in die Haftung?, NZI 2015, 790; Lenger/Schmitz, Insolvenzrechtliche Lösungsklauseln in AGB – quo vadis?!, NZI 2015, 396; v. Loeffelholz/Sanne, Die Bescheinigung nach § 270b InsO, NZI 2015, 583; Luttermann/Geißler, Rechtsbasis und Praxis einer Kultur der Unternehmenssanierung, ZInsO 2013, 1381; v. d. Meden Mitversicherung von Richtern – Gefahr der Korruption in der Insolvenzverwaltung, ForderungsPraktiker 2015, 164; Meyer, IDW S 11 – Neue Standards zur Beurteilung der Insolvenzreife, NWB 2015, 1930; Moldenhauer/Herrmann/Wolf/Drescher, Drei Jahre ESUG, (The Boston Consulting Group), INDat-Report 05/2015, abrufbar unter: http://www.bcg.de/documents/file188855.pdf; Moldenhauer/ Herrmann/Wolf/Drescher, Das 1. Jahr ESUG, Beilage zu INDat-Report, 03/2013, 3; Mönning, Der Schutzschirm: Strategische Insolvenz und Haftung, in: Festschrift für Bruno Kübler, 2015, S. 431; Mönning, Der Zwang zur Kooperation: Kompetenzen in der Eigenverwaltung, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 641; Mönning, Beteiligung der Gläubiger bei der Auswahl des Insolvenzverwalters, in: Festschrift für Klaus Hubert Görg, 2010, S. 291; Mönning/Hage, Regulierung von Fortführungsverbindlichkeiten mittels Treuhandkonto auch bei Masseunzulänglichkeit, ZInsO 2005, 1185; Mönning/Zimmermann, Die Einstellungsanträge des. Insolvenzverwalters gem. §§ 30d, 153b ZVG im eröffneten Insolvenzverfahren, NZI 2008, 134; Neue Insolvenzverwaltervereinigung Deutsch-

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§9

lands e. V., Stellungnahme der Neuen Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands e. V. (NIVD e. V.) zum Diskussionsentwurf des BMJ für ein Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, ZInsO 2013, 434; Obermüller, Der Gläubigerausschuss nach dem ESUG, ZInsO 2012, 18; Obermüller/Kuder, SEPA-Lastschriften in der Insolvenz nach dem neuen Recht der Zahlungsdienste, ZIP 2010, 349; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgement Rule, 2011; Pape, Insolvenzverwalter mit beschränkter Haftung Ade, ZInsO 2016, 428; Pape, Änderungen im Eröffnungsverfahren durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, NZI 2007, 425; Pape/Schulz, Die Pflichten der Mitglieder des Gläubigerausschusses im eröffneten Verfahren, ZIP 2015, 1662; Paulus, § 1 InsO und sein Insolvenzmodell, NZI 2015, 1001; Paulus, Insolvenzverwalter und Gläubigerorgane, NZI 2008, 705; Paulus, Die Insolvenz als Sanierungschance – ein Plädoyer, ZGR 2005, 309; Paulus/Hörmann, Emotionale Kompetenz im Insolvenzverfahren, NZI 2013, 623; Priebe, Insolvenzgeld im Spiegel der Refinanzierung, ZInsO 2015, 2547; Rhode/Calic, Auswahlkriterien der Insolvenzgerichte – DIN EN ISO 9001:2000 als Qualitätsmerkmal, ZInsO 2006, 1247; Richter/ Pluta, Bescheinigung zum Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO nach IDW ES 9 im Praxistest, BB 2012, 1591; Römermann, Die „Unabhängigkeit“ des Insolvenzverwalters: Endlich Schluss mit der uferlosen Auslegung!, ZInsO 2013, 218; Römermann/Praß, Rechtsschutz bei Ablehnung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, ZInsO 2012, 1923; Schelo, Der neue § 270b InsO – Wie stabil ist das Schutzschirmverfahren in der Praxis? Oder: Schutzschirmverfahren versus vorläufige Eigenverwaltung, ZIP 2012, 712; Schlegel, EU-Trend zu vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren – EU gibt Gerüst vor: Präventiv und hybrid, INDat Report, 08/2015; Schmidt, A./Hölzle, Der Verzicht auf die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters. Kein Schutz der Gläubiger vor sich selbst – ein Leitbild zur Anwendung der §§ 56, 56a InsO, ZIP 2012, 2238; Schmidt, K., Organverantwortlichkeit und Sanierung im Insolvenzrecht der Unternehmen, ZIP 1980, 328; Seagon, Beschränkung des Verwalteramts auf natürliche Personen: Ungleichbehandlung aus gutem Grund!, NZI 2015, 825; Siemon, Das Konzept für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, NZI 2016, 57; Siemon, Wer lässt sich dadurch schmieren, ZInsO 2015, 1968; Siemon/Frind, Der Konzern in der Insolvenz – Zur Überwindung des Dominoeffekts in der (internationalen) Konzerninsolvenz, NZI 2013, 1; Smid, Zum Beweisverfahren im Eröffnungsverfahren der §§ 270a, 270b InsO und im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren, ZInsO 2013, 209; Smid, Kritsche Anmerkungen zu § 21 Abs. 2 Nr. 1a n. F., ZInsO 2012, 757; Spremann, Asymmetrische Information, ZfB 1990, 561; Steffan/Solmecke, Die Bescheinigung im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, WPg 2015, 269; Steffan/Solmecke, Die Bescheinigung als Eintrittskarte zum Schutzschirmverfahren – der IDW S 9, ZIP 2014, 2271; Ströhmann/Längsfeld, Die Geschäftsführungsbefugnis in der GmbH im Rahmen der Eigenverwaltung, NZI 2013, 271; Thiele, Die Rechtsfigur des Sanierungsgeschäftsführers Teil 1, ZInsO 2015, 877; Thiele, Die Rechtsfigur des Sanierungsgeschäftsführers Teil 1, Teil 2, Teil 3, ZInsO 2015, 877, ZInsO 2015, 977 und ZInsO 2015, 1083; Thole, EU-Trend zu vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren – EU gibt Gerüst vor: Präventiv und hybrid, INDat Report, 08/2015, S. 19; Uhlenbruck, Die Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 360; Uhlenbruck, Insolvenzgeschäftsführung und Sachwalterschaft in der Eigenverwaltung, in: Festschrift für Klaus Hubert Görg, 2010, S. 515; UhlenbruckKommission, Empfehlungen der „Uhlenbruck-Kommission“ zur Vorauswahl und Bestellung von InsolvenzverwalterInnen sowie Transparenz, Aufsicht und Kontrolle im Insolvenzverfahren, ZIP 2007, 1432; Uhlenbruck/Mönning, Listing, Delistung und Bestellung von Insolvenzverwaltern, ZIP 2008, 157; Undritz, Ermächtigung und Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten beim Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung, BB 2012, 1551; Undritz, Restrukturierung in der Insolvenz, ZGR 2010, 201; Undritz, Der vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter als Sanierungsbremse?, NZI 2003, 136; Vallender, Gerichtliche Erfahrungen mit Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren, DB 2015, 231; Vallender, Der deutsche Motor stockt, aber Europa drückt aufs Gas, ZInsO 2015, 57; Vallender, Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) – Änderungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens, MDR 2012, 61; Vallender/Zipperer, Der vorbefasste Insolvenzverwalter – ein Zukunftsmodell? Erwiderung auf Schmidt/Hölzle, Der Verzicht auf die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, ZIP 2012, 2238, ZIP 2013, 149; Verhoeven, Konzerne in der Insolvenz nach dem Regierungsentwurf zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (RegE) – Ende gut, alles gut … und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende!, ZInsO 2014, 217; Wallner, Wann ist die Eigenverwaltung die richtige Verfahrensart?, ZIP 2015, 997; Wellensiek, Übertragende Sanierung, NZI 2002, 233; Werres, Gläubiger im Insolvenzeröffnungsverfahren – Massegläubiger oder Treuhandmodell?, ZInsO 2005, 1233; Wroblewski, Arbeitnehmervertreter im (vorläufigen) Gläubigerausschuss, ZInsO 2014, 115; Zabel/Pütz, Beurteilung der Insolvenzeröffnungsgründe nach IDW S 11, ZIP 2015, 912.

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§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

I.

Funktion des Eröffnungsverfahrens

1.

Allgemeines Wer sanieren und reorganisieren will, muss insolvente Betriebe fortführen.1)

1 Dieser Leitsatz aus der 1. Auflage hat unverändert Gültigkeit. Und unverändert gilt auch, dass die Voraussetzungen für die Fortführung eines Unternehmens, das der Schuldner betreibt, bereits in den ersten Tagen nach Zulassung des Insolvenzantrages geschaffen werden müssen. Geschäftsbetriebe, die bei Antragstellung bereits eingestellt sind oder unmittelbar danach zum Erliegen kommen, sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht mehr zu reaktivieren. Eine Fortführung scheidet in diesen Fällen fast immer aus. 2 Bislang gehörte die Fortführung eines insolventen Unternehmens zur Kernaufgabe zunächst des vorläufigen Insolvenzverwalters und nach Eröffnung des Verfahrens des Insolvenzverwalters. Diese entschieden nach pflichtgemäßem Ermessen, ob die Voraussetzungen für eine Fortführung des Unternehmens gegeben waren und welche Verfahrensziele mit einer Fortführung verfolgt werden sollten. Mit Einführung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011, das am 1.3.2012 in Kraft getreten ist, haben sich die Gewichte verschoben. Fest steht, dass keine Reform das Insolvenzrecht so nachhaltig verändert hat, wie das ESUG.2) Dies wirkt sich auch unmittelbar auf die Fortführung von Unternehmen aus. Denn jetzt ist die Unternehmensfortführung ein zentraler Baustein innerhalb eines vor Einleitung des Insolvenzverfahrens entwickelten Sanierungskonzeptes, das mit Hilfe eines Insolvenzverfahrens umgesetzt werden soll. 3 Das in den §§ 11 – 34, 270a InsO und zum Teil auch in § 270b InsO geregelte Eröffnungsverfahren definiert die Insolvenzfähigkeit von natürlichen und juristischen Personen sowie von Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, beschreibt die Anforderungen, die an einen zulässigen und begründeten Eröffnungsantrag zu stellen sind und enthält detaillierte Bestimmungen für den Verfahrensverlauf zwischen Antragstellung und gerichtlicher Entscheidung über den von einem Schuldner oder einem Gläubiger gestellten Insolvenzantrag.3) 4 Zum Zeitpunkt des Erscheinens der Erstauflage im Jahre 1997 war das Eröffnungsverfahren in der Form einer Sequestration gesetzlich nicht geregelt. Aufgaben und Befugnisse des vom Gericht ernannten Sequesters wurden von der Rechtsprechung entwickelt und bestimmt.4) Zwangsläufig wiesen daher die Verfahrensabläufe regional erhebliche Unterschiede auf. Die Einstellung der Insolvenzgerichte und der von Ihnen ernannten Sequester, deren Verständnis von der Funktion eines Eröffnungsverfahrens und den Aufgaben eines Sequesters bestimmten die Abwicklung. Dies wirkte sich vor allem auch auf die Betriebsfortführung aus, für die es weder eine gesetzliche Grundlage noch allgemein anerkannte Rechts- und Verfahrensgrundsätze gab. Ob unmittelbar nach Antragstellung fortgeführt wurde oder nicht, blieb daher vielfach dem Zufall überlassen. 5 Mit Einführung der InsO im Jahre 1999 erweiterten sich die Verfahrensziele um Reorganisation und übertragene Sanierung, die nunmehr gleichberechtigt neben der Liquidation als fortbestehendem Verfahrenszweck stehen, auch wenn man den Begriff der übertragenen Sanierung in der InsO nicht findet.5) Gleichwohl sind der von Karsten Schmidt ___________ 1) Mönning, 1. Aufl., 1997, Kap. V. 2) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 3) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, vor § 11 Rz. 1. 4) BGH, Urt. v. 12.11.1992 – IX ZR 68/92, ZIP 1993, 48 = NJW 1193, 1206 (Baumaschinenfall); BGH, Urt. v. 25.3.1993 – IX ZR 164/92, ZIP 1993, 687 (Gummibärchenfall). 5) Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 12.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§9

geprägte Begriff und die mit einer übertragenen Sanierung verfolgte Konzeption rechtspolitisch unumstritten und als Verfahrensziel der InsO allgemein anerkannt.6) Mit den Verfahrenszielen der Reorganisation und der übertragenen Sanierung verfolgt 6 die InsO eine nunmehr gesetzlich etablierte Sanierungsförderung mit zumindest ansatzweiser Beseitigung von Sanierungshemmnissen. Die grundsätzliche Frage, ob ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, fortführungsfähig und damit letztendlich auch sanierungsfähig ist, ist als Pflichtaufgabe vom gerichtlich beauftragten Sachverständigen im Eröffnungsverfahren zu klären (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Die Durchführung einer Sanierung beginnt daher bereits im Eröffnungsverfahren. Es handelt sich um eine zentrale Aufgabe, die der vorläufige Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren zu erfüllen hat.7) Seit Inkrafttreten der InsO ist vor allem das Eröffnungsverfahren immer wieder Gegen- 7 stand von Gesetzesänderungen geworden. Diese hatten vor allem das Ziel, in der Praxis erkannte Sanierungshemmnisse zu beseitigen, indem der Katalog der vorläufigen Maßnahmen, ehemals Sicherungsmaßnahmen, immer weiter aufgefächert und ausdifferenziert wurde. Einen zumindest vorläufigen Schlusspunkt setzt das ESUG, dessen Regelungen am 1.3.2012 in Kraft getreten sind. Ziel des ESUG ist es, die Sanierung von Unternehmen zu erleichtern,8) was wiederum voraussetzt, dass die jetzt eingeführten gesetzlichen Regelungen eine frühzeitige Insolvenzantragstellung bewirken.9) Damit soll es nun endlich gelingen, alle Sanierungsoptionen in unterschiedlichen Verfahrens- 8 arten offenzuhalten, um damit – und auch endgültig – den bereits vom Reformgesetzgeber verfolgten Ansatz eines Wettbewerbs um die beste Verwertungsart, auch und gerade zum Zwecke der Sanierungsförderung Geltung zu verschaffen. Vor allem den seit Einführung der InsO ein Schattendasein fristenden neuen Instrumenten – Insolvenzplan und Eigenverwaltung – soll mit ESUG zum Durchbruch verholfen werden. Die Wege zur Sanierung, ob mit Insolvenzplan oder ohne, ob unter Verantwortung eines Insolvenzverwalters oder in der Eigenverwaltung, sollen von verfahrensrechtlichen Hemmnissen, aber auch gedanklichen Blockaden, freigeräumt werden, um im Wettbewerb der internationalen Insolvenzordnungen den Nachweis zu erbringen, das die deutsche InsO ein überaus taugliches Sanierungsinstrument ist. Dies wiederum setzt voraus, dass Unternehmen, die übertragen saniert oder reorganisiert 9 werden sollen, ohne Unterbrechung fortgeführt werden. Die Weichen stellt das Eröffnungsverfahren. Auch wenn das Sanierungsziel in den allerseltensten Fällen bereits im Eröffnungsverfahren erreicht werden kann, entscheidet sich in dieser Phase, ob der Sanierungsansatz überhaupt verfolgt und im eröffneten Verfahren mit Aussicht auf Erfolg umgesetzt und realisiert werden kann.10) Angesichts der unterschiedlichen Wege, die das ESUG eröffnet, um das gesetzlich geför- 10 derte Ziel einer Sanierung von erhaltenswürdigen Unternehmen zu erreichen, spielt die sorgfältige Vorbereitung eines Insolvenzverfahrens und die frühzeitige und umfassende Abstimmung sowohl der Verfahrensziele als auch der damit verbundenen Maßnahmen nunmehr eine entscheidende Rolle. Dies gilt vor allem für Verfahren, die in Eigenverwaltung geführt werden, da diese von zusätzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen abhängen, ___________ 6) K. Schmidt, ZIP 1980, 328, 329; Wellensiek, NZI 2002, 233, 234; Kluth, NZI 2002, 1 ff.; Undritz, ZGR 2010, 201, 205; Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 11 f. m. w. N. 7) Uhlenbruck in: Kölner Schrift, S. 360 ff., Rz. 39 ff. 8) Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, Rz. 1. 9) Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 10 f. 10) Paulus, NZI 2015, 1001 ff., der den Erhalt von Unternehmen und damit verbunden auch die Rettung von Arbeitsplätzen als vorrangiges Verfahrensziel aus dem Text von § 1 InsO ableitet.

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§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

um bereits im Eröffnungsverfahren beurteilen zu können, ob das konkrete Verfahren für eine Abwicklung in Eigenverwaltung im Allgemeinen und für dessen spezielle Ausprägung in der Form eines Verfahrens zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren) geeignet ist.11) Insbesondere gilt dies für das mit dem ESUG neu eingeführte Schutzschirmverfahren, mit dem nunmehr die Möglichkeit eröffnet wird, die Insolvenzabwicklung als strategische Option zu planen und umzusetzen, indem ein freiwilliger, vom Schuldner sorgfältig vorbereiteter Insolvenzantrag gestellt wird, um ein bestimmtes wirtschaftliches Ziel, meist die Sicherung oder Wiederherstellung der Ertragskraft eines unmittelbar vor oder im Anfangsstadium einer Krise befindlichen Unternehmens zu erreichen.12) 2.

Verfahrensziele und Zulässigkeit der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

2.1

Liquidation als Verfahrensziel

11 In der öffentlichen Wahrnehmung bestimmen Insolvenzverfahren mit mindestens regionaler, vielfach aber auch mit überregionaler und sogar internationaler Bedeutung mit vielen Beschäftigten das Bild. Der Insolvenzalltag sieht jedoch anders aus. Immer noch dominieren die Insolvenzverfahren von Betrieben, die keine oder weniger als fünf Mitarbeiter aufweisen und zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits eingestellt sind oder unmittelbar vor der Einstellung stehen, wobei dies in vielen Fällen nicht einmal eine willentliche Entscheidung der Inhaber ist, weil die Betriebe einfach wegen fehlender Ressourcen zum Erliegen kommen. Etwas künstlich am Leben zu erhalten, was keine (Über-)Lebensberechtigung hat, ist mit den Zielen der InsO unvereinbar. Eine Aufrechterhaltung derartiger Betriebe um jeden Preis und ohne Perspektive ist insolvenzrechtswidrig. Das Insolvenzverfahren ist kein Experimentierfeld. Erst recht gilt das für die Betriebsfortführung. 12 Aber auch bei Unternehmen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung noch am Markt und damit werbend tätig sind, kann die geordnete Liquidation unter Führung eines Insolvenzverwalters die einzige sinnvolle Abwicklungsvariante darstellen, um dem insolvenzrechtlichen Ziel der gleichmäßigen aber auch bestmöglichen Befriedigung der am Verfahren beteiligten Gläubiger, gerecht zu werden. 13 Ist das Verfahrensziel der Liquidation alternativlos, bleibt es gleichwohl Aufgabe des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, die Folgen einer sofortigen Stilllegung mit den Ergebnissen einer temporären Betriebsfortführung zu vergleichen, die i. S. einer Ausproduktion dazu führen kann, ansonsten unverwertbare oder nur mit hohen Abschlägen verwertbare Vermögensgegenstände werthaltig zu machen, was insbesondere für die Fertigstellung von zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens halbfertigen Erzeugnissen gelten kann. Allerdings muss der vorläufige Insolvenzverwalter in diesem Fall im Eröffnungsverfahren besonderes Gewicht auf eine umfassende Potentialanalyse legen, da nicht alle fortführungsfördernden Maßnahmen, wie bspw. der Verwertungsstopp gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO oder auch die Möglichkeiten zur Insolvenzgeldvorfinanzierung (§§ 170 ff. SGB III) zur Verfügung stehen, wenn es keine mittelfristigen Fortführungsperspektiven gibt oder keine Aussicht besteht, dass eine Auslaufproduktion dazu führt, einen wesentlichen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten. Zudem ist die Bereitschaft aller Stakeholder, sich zugunsten eines insolventen Unternehmens zu engagieren, dann wesentlich geringer, als in den Fällen, in denen ein aussichtsreicher Sanierungsversuch unternommen wird. ___________ 11) v. Buchwaldt, BB 2015, 3017 ff. 12) Mönning in: FS Kübler, S. 431 ff., 433; Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 ff.

162

Mönning

Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§9

Dennoch gilt: Betriebsfortführung und Liquidation schließen sich nicht aus, vielmehr 14 kann eine temporäre Betriebsfortführung eine notwendige Bedingung sein, um das Liquidationsergebnis zu verbessern. 2.2

Betriebsfortführung und übertragende Sanierung

Bei weiter Begriffsauslegung ist auch die Übertragung der dem Insolvenzbeschlag unter- 15 liegenden Vermögensgegenstände auf einen anderen Rechtsträger i. R. eines Kauf- und Übertragungsvertrages (Asset Deal) eine Sanierung, obwohl der zurückbleibende Rechtsträger liquidiert wird. Diese Form der Sanierung ist das eigentliche Erfolgsmodell der zurückliegenden Jahre und wurde bereits im Geltungsbereich der KO sowie der GesO vielfach erfolgreich praktiziert.13) Da der insolvente Unternehmensträger nach Verkauf und Übertragung betriebsnotwen- 16 diger Vermögensgegenstände auf einen Erwerber im Zuge des weiterlaufenden Insolvenzverfahrens liquidiert wird, handelt es sich bei der übertragenden Sanierung tatsächlich und aus der Sicht des insolventen Unternehmens gesehen um eine Form der Liquidation, die allerdings bezogen auf das vom Rechtsträger abgetrennte Unternehmen zu dessen Erhaltung (Sanierung) führt. Im Zuge des sog. Vier-Stufen-Modells14) erfolgt die Entscheidung hinsichtlich einer Be- 17 triebsfortführung mit dem Ziel einer übertragenden Sanierung auf der 3. Stufe. Es handelt sich dabei mindestens um eine mittel-, häufig auch längerfristige Betriebsfortführung, die auf das Ziel ausgerichtet ist, i. R. eines M&A-Prozesses in der Form eines beschränkten Bieterverfahrens ein Bestgebot in Bezug auf den Abschluss eines Kauf- und Übertragungsvertrages einzuwerben. Die mindestens mittelfristige Anlage einer Betriebsfortführung zum Zwecke der Durchführung einer übertragenden Sanierung ergibt sich bereits aus den gesetzlichen Zustimmungserfordernissen (§ 160 InsO), da der Abschluss eines Kauf- und Übertragungsvertrages sowie dessen Durchführung entweder der Zustimmung der Gläubigerversammlung (§§ 157, 160 InsO) oder eines Gläubigerausschusses, falls ein solcher bestellt ist, bedarf. Wird eine übertragende Sanierung angestrebt, müssen alle Planungstools zeitlich mindestens auf sechs Monate angelegt sein. Der Zeitrahmen umfasst die (maximale) Dauer des Eröffnungsverfahrens sowie den gesetzlichen Zeitrahmen von mindestens sechs Wochen bzw. maximal drei Monaten, der dem Insolvenzgericht zur Verfügung steht, um eine erste Gläubigerversammlung (Berichtstermin) zu terminieren (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO). 2.3

Übertragende Sanierung mit Insolvenzplan

Ist Ziel einer im Eröffnungsverfahren begonnenen Betriebsfortführung eine übertragende 18 Sanierung, so stellt sich häufig das Problem, die sachverständig bewerteten Vermögensgegenstände auch zu den veranschlagten Preisen zu verkaufen. Die Marktpreisfindung für die von der Veräußerung betroffenen Wirtschaftsgüter gelingt zwar häufig i. R. von Bieterverfahren, die im Auftrag des (vorläufigen) Insolvenzverwalters von erfahrenen M&ABeratern durchgeführt werden. Aus diesem Grunde sehen die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (siehe II. 2. Spiegelstrich 2 GOI) die Einschaltung von M&ABeratern zur Durchführung des Akquisitionsprozesses vor, um eine Bieterkonkurrenz

___________ 13) Dazu auch Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 9, 10. 14) Zur Begriffsbildung s. Mönning, 1. Aufl., 1997, Rz. 348, 349.

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163

§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

aufzubauen, die eine optimale Kaufpreisfindung ermöglicht.15) Vgl. dazu auch unten den Beitrag von Deichmann, § 29. 19 Bleiben dennoch Gebote hinter den Erwartungen zurück oder gibt es nur einen einzigen Bieter, kann die Kombination von übertragender Sanierung und Insolvenzplan eine auch von den Gläubigern akzeptierte Preisbildung gewährleisten. Insoweit lässt sich über einen Insolvenzplan regeln, dass die Insolvenzgläubiger im Zuge des Planverfahrens auf ihre Forderungen gegen den Insolvenzschuldner in der Höhe verzichten, wie ihnen über die von dem Erwerber zu zahlenden Kaufpreise befriedigt werden. Auch ist es denkbar, die übertragende Sanierung mit einer Reorganisation zu verbinden, indem die Insolvenzgläubiger im Insolvenzplan Forderungen, die über die durch den Kaufpreis ermöglichten Quoten hinausgehen, erlassen. Der bisherige, auf diese Weise reorganisierte Unternehmensträger hat dann die Möglichkeit, auch mit einem geänderten Unternehmensgegenstand weiter werbend tätig zu sein.16) 20 Kommt es zu einer Kombination von Insolvenzplan und übertragender Sanierung, muss ein längerer Zeitrahmen für die Betriebsfortführung eingeplant werden, sofern es nicht gelingt, den Abstimmungs- und Erörterungstermin mit dem Prüfungstermin zu verbinden (§ 236 InsO), wobei auch eine Verbindung mit dem Berichtstermin möglich ist.17) 21 Im Regelfall ist jedoch die übertragende Sanierung i. V. m. einem Insolvenzplanverfahren langwieriger, da der Auftrag zur Erarbeitung eines Insolvenzplans vielfach erst im Berichtstermin durch die Gläubigerversammlung als Ergebnis der Erörterung im Berichtstermin erteilt wird.18) Die integrierte Fortführungsplanung (Liquiditätsplanung, Ertragsplanung, Vermögensplanung) muss in derartigen Fällen sicherheitshalber auf einen Zeitraum bis zu einem Jahr ab Einleitung des Insolvenzverfahrens angelegt werden und steht damit vor den bekannten Problemen der Fortführungsfinanzierung, die auch durch das ESUG nicht gemildert wurden.19) 2.4

Betriebsfortführung zwecks Reorganisation im Regelverfahren mit Insolvenzplan

22 Bis zur Einführung des ESUG verharrte die Quote von Insolvenzplanverfahren bei 1 % bezogen auf alle bis 2008 schlussgerechneten Unternehmensinsolvenzen.20) 23 In 2011 lag die Anzahl der Planverfahren bezogen auf Unternehmensinsolvenzen bei 2 %.21) Mit zunehmender Akzeptanz des ESUG steigt die Zahl der Planverfahren konti-

___________ 15) Insolvenzordnung, Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung, Textsammlung zum Insolvenzrecht und den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung, Berlin 2014, S. 371. 16) Ein Beispiel für die Variante übertragende Sanierung und Insolvenzplan zum Zwecke der Reorganisation des insolventen Unternehmensträgers bietet das Insolvenzverfahren Adessa Moden GmbH, deren Insolvenzplan von den beteiligten Gläubigern einstimmig angenommen wurde (Aufhebung des Insolvenzverfahrens AG Aachen, Beschl. v. 23.5.2012 – 91 IN 66/09). 17) Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, S. 641; Nerlich/Römermann-Braun, InsO, § 236 Rz. 4. 18) Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 27. 19) Zu diesem Problem Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 27– 37. 20) Die Quoten der Insolvenzgläubiger in Regel- und Insolvenzplanverfahren, eine Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung (IFM) v. 20.3.2012, abrufbar unter www.ifm-bonn.org/ publikationen/ifm-materialien/Publikationendeetail/?tx 50 % = 51 %“). Bezieht man in die Fortführungsfähigkeit die Verprobung des unverzichtbaren Fortführungssanierungsplans (im Insolvenzverfahren ist der Insolvenzplan ein solcher Planansatz) nach einem Standard ein, z. B. nach IDW S 6,81) der u. a. das Erreichen der (marktüblichen) Rentabilität fordert,82) muss man § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO dahingehend verstehen, dass die Fortführungswahrscheinlichkeit das Risiko des Scheiterns deutlich übersteigt. Wollte man letztlich doch an statistischen Quantifizierungskriterien anstelle einer Fortführungswahrscheinlichkeit83) (oder umgekehrt aus der Sicht der Investoren an eine sehr geringe Ausfallwahrscheinlichkeit als Gegenstand der Betrachtung) anknüpfen, müsste eine 50 %-Grenze wohl weit überschritten werden. Das Krisenunternehmen muss unter Ratingaspekten wohl einen investment grade84) mit geringem Ausfallrisiko erreichen können. Die Betrachtung ist stets einzelfallbezogen.85) 1.4

Drohende Zahlungsunfähigkeit

Die mit der InsO eingeführte drohende Zahlungsunfähigkeit als „unechter“ Insolvenz- 62 grund86) ist seit dem ESUG ein wesentliches Tatbestandsmerkmal des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO. Ihre Prüfung bedarf eines zeitbezogenen Liquiditätsplans, der von dem jeweiligen Unternehmen abhängig ist, im Wesentlichen aber einen Zeitraum von bis zu knapp zwei Jahren umfassen wird. Aus dem Blick der Betriebsfortführung ist der Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit trotz der bestehenden Krisensituation ___________ 79) Die Handelsbilanz allein reicht nicht zur Darlegung der Überschuldung, vielmehr bedarf es nach höchstrichterlicher Judikatur einer Überschuldungsbilanz, BGH, st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZR 102/11, Rz. 5, ZInsO 2012, 732 f. m. w. N. Kann nur eine Handelsbilanz, die „einen nicht durch Eigenkapital gedeckten“ Jahresfehlbetrag ausweist (BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZR 102/11, Rz. 5, ZInsO 2012, 732) vorgelegt werden, bedarf es der Erläuterung der Abweichungen von den tatsächlichen Verhältnissen unter insolvenzrechtlichem Aspekt (BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZInsO 2007, 1349 f. = ZIP 2008, 72), d. h. es sind u. a. die stillen Reserven aufzuzeigen. 80) Vgl. statt aller Uhlenbruck-Mock, InsO, § 19 Rz. 221 f. m. w. N. 81) IDW Standard S 6 Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten, Ausgabe 2012, Wpg. Supplement 4/2012, S. 130 ff.; Rz. 11 fordert als Sanierungsziel die Wiedererlangung der „Renditefähigkeit“. 82) IDW S 6 Rz. 97, das sanierte Unternehmen, vorliegend die sanierte Unternehmensgruppe, soll „attraktiv für Eigen- und Fremdkapitalgeber“ werden. 83) So wohl auch Uhlenbruck-Mock, InsO, § 19 Rz. 221 f. 84) Zum Begriff s. Everling in: Gabler Wirtschaftslexikon, „Credit Rating“, V 1., abrufbar unter: http:// wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/3758/credit-rating-v7.html (Abrufdatum: 16.2.2016). 85) Zu der Problematik qualitativer und quantitativer Wahrscheinlichkeitsaussagen s. bei Dannenberg, Quantitative Bewertung des Ausfallrisikos, S. 82 ff., 103 ff., abrufbar unter: http://www.iwh-halle.de/e/publik/ sh/PDF/SH_12-2.pdf (Abrufdatum: 15.2.2016). 86) Leonhardt/Smid/Zeuner-Leonhardt/Smid, InsO, § 18 Rz. 1. Zu einer kritischen rechtspolitischen Betrachtung der Norm s. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 18 Rz. 5, zum Prognosezeitraum Rz. 21 ff.; zur Relevanz im Kontext mit dem Verfahrensschritt des § 270b InsO vgl. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 24 ff.

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§ 19

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

der insolvenzrechtliche Idealfall. Das Unternehmen hat noch nicht das Vertrauen seiner Partner verloren und schickt sich an, aus eigener Kraft einen Insolvenzplan zu entwickeln. Die Liquiditätsvorteile durch die Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung bleiben auch im „Schutzschirmverfahren“ (wie auch im Verfahren der Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO) aufrechterhalten.87) Ob man sich u. a. mit Zipperer aus nachvollziehbaren verfahrensrechtlichen Überlegungen als Folge der Frist des § 270b InsO auf die dortigen drei Monate für den Prognosezeitraum für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit beschränkt, erscheint kritisch, wobei er allerdings völlig zu Recht selbst darauf hinweist, dass hier die Grenze zur aussichtslosen Sanierung fließend sei (§ 270b Abs. 1 Satz 1 InsO).88) Für die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Eintritts oder Nichteintritts der Zahlungsunfähigkeit gilt auch hier entgegen der Formel der h. M. keine quantitative Betrachtung („>50 %“), sondern wie bei der Überschuldung eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung. IDW S 11 verknüpft die drohende Zahlungsunfähigkeit sachlich zutreffend mit einer (zum Zeitpunkt des Drohens) zu bejahenden negativen Fortführungsprognose. Die Abgrenzung zur Überschuldung erfolgt dort durch den Begriff des „positiven Reinvermögens“, so dass sich die Überschuldung aus den Merkmalen „negatives“ Reinvermögen + negative Fortbestehensprognose zusammensetzt, während die drohende Zahlungsfähigkeit allein auf die negative Prognose rekurriert.89) 1.5

Fazit: Fortführungsmöglichkeiten

63 Bei der Fortführung der einzelnen Gesellschaft innerhalb des Konzerns spielen die im Folgenden näher betrachteten Verflechtungen eine wesentliche Rolle. Abgesehen von der Liquiditätsentlastung durch die Insolvenzgeldvorfinanzierung bis zur Eröffnung hängt die Fortführung davon ab, woher die notwendige Liquidität kommt und wie sehr man auf diese Quellen und Leistungen vertrauen darf. Sind wesentliche Liquiditätsfaktoren konzerninterne Lieferungen, so kommt es in der wichtigen Startphase vor Eröffnung darauf an, dass der Bargeschäftscharakter (§ 142 InsO) gewahrt wird, um Anfechtungsrisiken weitgehend zu vermeiden. Genau genommen bedarf es zudem einer positiven Fortführungsprognose nach allgemeinen Kriterien,90) um die Risiken des § 133 InsO ebenfalls zuverlässig zu vermeiden. 2.

Wesentliche Fragen und Voraussetzungen der Betriebsfortführung in der Insolvenz

2.1

Aufrechterhaltung des Konzerns in seiner Gesamtheit?

64 Die Betriebsfortführung im Konzern bedarf der Berücksichtigung der gegenseitigen Verflechtungen, indes nicht ohne Weiteres deren vollständige Aufrechterhaltung. Wie stets

___________ 87) S. die Insolvenzgeld-DA der Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 170 SGB III Tz. 3.2 (2), S. 7. Kommt es nicht zur Verfahrenseröffnung, gibt es aber auch hier keinen Insolvenzgeldanspruch. Soll die faktische Subvention durch die Insolvenzgeldvorfinanzierung im Konzern genutzt werden, muss zwingend jedes beantragte Verfahren eröffnet werden. Als Vehikel der letztlich außergerichtlichen Sanierung taugen daher die vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren unter dem Aspekt des Insolvenzgeldes in keiner Weise. Die Durchführungsanweisungen (DA) Insolvenzgeld (Stand: 1.6.2015) sind verfügbar unter der Internetadresse der Bundesagentur. 88) Uhlenbruck-Zipperer, InsO § 270b Rz. 24 m. w. N., auch zu der > 50 %-Formel als „allgemeine Meinung“. 89) IDW S 11, IDW FN 4/2015, S. 213 Rz. 91 ff., 93 f. 90) Z. B. nach Maßgabe der Standards von IDW S 6 (Stand: 20.8.2012), Wpg Supplement 4/2012, S. 130 ff.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

§ 19

erfolgt die Fortführung im Interesse aller Gläubiger des jeweiligen Unternehmensträgers im Abgleich mit den Konzerninteressen.91) Wie bei einzelnen Gesellschaften ohne Konzernbindung wird es in praxi kaum möglich 65 sein, einen Konzern in seiner Struktur vor dem Insolvenzeintritt vollständig zu erhalten. Wie stets wird es Betriebe oder Betriebsteile oder auch Konzerngesellschaften geben, die geschlossen werden oder bei denen eine übertragende Sanierung durch Veräußerung an einen Dritten stattfindet. Das gilt auch für die Konzernobergesellschaft. Eine der in Frage kommenden Varianten zur Abwicklung der Insolvenz ist auch die der erleichterten Zusammenschlusskontrolle nach dem GWB (durch Ministererlaubnis gemäß § 42 GWB) unterliegende sog. Sanierungsfusion.92) Die wettbewerbsrechtlichen Fragen in Sanierungsfällen werden gerne unterschätzt, wenn es etwa um Teilunternehmensverkäufe geht, bei denen plötzlich sogar die Zuständigkeit der EU-Kommission nach der Fusionskontrollverordnung berührt sein kann. Entscheidend sind jeweils das Geschäftsmodell und die zur Umsetzung von Änderungen notwendige bzw. zur Verfügung stehende Zeit. Die Sanierungsziele und Modalitäten bestimmen auf der Zeitachse folglich die sich ggf. dynamisch ändernde Strategie der Betriebsfortführung. Im Rahmen eines Konzerns spielen die etwa wettbewerbsverzerrenden Folgen eine besondere Rolle. Stets bedarf es jedoch fraglos eines tragfähigen Fortführungskonzeptes.93) 2.2

Planungen und Planungsparameter

2.2.1 Planungsgrundlagen Die Betriebsfortführung in der Insolvenz erstreckt sich von dem Zeitpunkt des Insol- 66 venzantrags bis zur Verfahrensbeendigung, d. h. im Planverfahren bis zur Rechtskraft der Bestätigung eines Insolvenzplans und der Aufhebung des Verfahrens (§ 258 InsO). Nur ___________ 91) Diesen Umstand verkennt Verhoeven, ZInsO 2012, 2369 ff., 2376, wenn er bei seiner Argumentation für ein „Mutter-COMI für Konzerne“ behauptet, Arbeitnehmer und „nicht-institutionelle Gläubiger“, zu denen er die Warenkreditgeber zählen will, müssten „nolens volens“ darauf vertrauen, dass der Schuldner nicht in die Insolvenz gerate, sie seien auf die Zusammenarbeit mit diesem angewiesen. 92) S. dazu Madaus, ZIP 2012, 2133 ff.; aus der Praxis s. BKArtA, Beschl. v. 21.10.2003 – B 7 100/03, WuW/E DE-V 848-852; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.4.2007 – VI-Kart 6/05, AG 2007, 551 ff., Bestätigung durch BGH, Beschl. v. 16.1.2008 – KVR 26/07, BGHZ 175, 333 ff.; keine Heranziehung der Kriterien der Sanierungsfusion bei Krankenhäusern. Auf europäischer Ebene (zur aktuellen EG-Fusionskontrollverordnung 139/2004 v. 20.1.2004, ABl. (EU) L 24/1 ff. v. 29.1.2004 und der Vorgängerregelung) s. Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1410 ff. m. w. N. Im Ergebnis geht es insbesondere um die „failing company defence“-Doktrin, wonach – verkürzt – eine Wettbewerbsverschlechterung nicht eintritt, wenn die insolvente Gesellschaft und ihre Wettbewerbsaktivitäten ohnehin aus dem Markt als Folge der Insolvenz verschwinden werden. Dann ist die Fusion nicht kausal für die Wettbewerbsbeeinträchtigung; zur Ablehnung der Anwendung der Doktrin vgl. BKartA, Beschl. v. 21.5.2010 – B 9 – 29320 – Fa – 13/10, (Magna/Karmann), verfügbar über: http://www.bundeskartellamt.de/. Zu einem Fall der Freigabe s. BKartA, Entsch. v. 23.7.2009 – B6 – 67/09 (Rhein-Neckar-Zeitung/Eberbacher Zeitung), www.bundeskartellamt.de. Aus dem Blick des europäischen Rechts s. EU-Kommission, Entscheidung v. 10.5.2007 – COMP/M.4381 (JCI/FIAMM), ABl. (EU) C 241/12 ff. v. 8.10.2009; zu den Kriterien der Sanierungsfusion s. dort Rz. 9. Aus der neueren Literatur s. Körber, ZWeR 2014, 32 ff. sowie Frenz, ESW 2014, 311 ff. Aus der neueren Praxis des BKartA s. die Freigabe einer weiteren Sanierungsfusion im Pressebereich im Falle des „Münsteraner Zeitungsmarktes“, BKartA, Entsch. v. 1.9.2014/Bekanntgabe 1.12.2014 – B6-97/14, www.bundeskartellamt.de. Zur Sanierungsfusion s. a. den Überblick bei Cranshaw, Einflüsse des Europ. Rechts auf das Insolvenzverfahren, S. 1405 ff. m. w. N. Zur Ablehnung einer Sanierungsfusion s. EuG, Urt. v. 7.6.2013 – Rs. T-405/08, (Billa/Adeg), juris = NZKart 2013, 371 ff. 93) So im Einklang mit Rspr. und Literatur in einer eigentümlichen Haftungsklage gegen einen Insolvenzverwalter (§ 60 InsO) mit mehreren Parallelfällen das LArbG Rostock, Urt. v. v. 4.1.2011 – 5 Sa 138/10 (u. a.), ZInsO 2011, 688 ff. = ZIP 2011, 1169; zust. Raab. jurisPR-InsR 4/2011, Anm. 4. Das BAG hat auf die Revision des Beklagten hin die Klagen abgewiesen, BAG, Urteile v. 15.11.2012, 6 AZR 321/11, 6 AZR 322/11 und 6 AZR 356/11. Zum „führenden“ Urteil mit Tatbestand und Entscheidungsgründen s. 6 AZR 321/11, ZIP 2013, 638 ff. sowie Oberhofer, jurisPR-ArbR 18/2013, Anm. 3.

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§ 19

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

mit Einschränkungen lässt sich die im gestaltenden Teil des (Sanierungs-)Insolvenzplans etwa vorgesehene Zeitdauer der Überwachung der Planerfüllung, die höchstens drei Jahre ab der Aufhebung des Insolvenzverfahrens beträgt (§§ 260 Abs. 1, 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO), darunter subsumieren. Die Planüberwachung (§ 261 InsO) ist auch in den Fällen der Eigenverwaltung zulässig; sie obliegt dem Sachwalter (§ 284 Abs. 2 InsO). Zudem stellt sich die Frage, ob der vorrangige Kreditrahmen in der Überwachungsphase wirklich realistisch ist, denn er reduziert zwar das Risiko für den Massekreditgeber, der seine Finanzierung in die Überwachungsphase hinein stehen lässt (§§ 264 f. InsO). Zugleich aber erschwert er die Finanzierung des als Folge des bestätigten Insolvenzplans neu startenden Unternehmens, das zugleich gesellschaftsrechtlich nicht mehr in der Liquidation ist, sondern seinen ursprünglichen oder einen angepassten Gesellschaftszweck am Markt verfolgt.94) Insbesondere gilt das für den Konzern, soweit er als komplexe Struktur fortbesteht. Die wirkliche wirtschaftliche Sanierungsphase des betroffenen Unternehmens bzw. (der verbliebenen Teile) des Konzerns beginnt erst nach der finanzwirtschaftlichen Sanierung und nach Rechtskraft des Insolvenzplans mit der leistungswirtschaftlichen Sanierung. Sie wird nicht selten Jahre benötigen, worauf z. B. Pluta zutreffend hinweist.95) 67 Die Betriebsfortführung bis zur Aufhebung bzw. Beendigung des Insolvenzverfahrens hat demgegenüber eine Interimsaufgabe, der auch die Liquiditäts- und Erfolgsplanung zu entsprechen hat. Das ist bei einer Gesellschaft ohne Konzernbezug nicht anders als im Konzern, soweit dieser als Einheit fortbesteht. Während der Betriebsfortführung muss stets die notwendige Liquidität vorhanden sein, bspw. im Eröffnungsverfahren durch die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes, die natürlich bei hohen Anteilen der Personalkosten an den Gesamtkosten deutlich größere Bedeutung hat als bei Unternehmen, die mit geringeren Personalzahlen oder -kosten auskommen. Die Erfolgsplanung muss Verluste möglichst rasch eindämmen bzw. baldmöglichst egalisieren.96) Ohne einen geeigneten „Ergebnis- und Finanzplan“ (§ 229 InsO), eine Plan-Gewinn- und Verlustrechnung sowie eine Planbilanz und eine detaillierte Liquiditätsplanung bei sachgerechtem Planungszeitraum kann kein Insolvenzplan vorgelegt werden und diese Unterlagen erfordern wiederum eine belastbare Planung der Betriebsfortführung. 68 Bei einem konzerngebundenen Unternehmen, ob Mutter- oder Tochtergesellschaft, kommen die konzerninternen Auswirkungen hinzu, die positiv sein mögen, die aber auch geeignet sein können, die Fortführung und damit die Sanierung zu beeinträchtigen. Diese konzerninternen Faktoren der Betriebsfortführung sind zugleich der Ausdruck des Umstands, dass die Konzernleitung bzw. die Gesellschafter der herrschenden Gesellschaft ihre unternehmerischen Aktivitäten diversifiziert haben, insbesondere x

zur Risikominimierung,

x

zur Optimierung der Marktdurchdringung,

___________ 94) Rechtlich ist das ein gesellschaftsrechtliches sowie ein insolvenzrechtliches Thema, das im Insolvenzplan mit und ggf. ohne bzw. gegen die Gesellschafter gelöst werden kann (vgl. § 225a Abs. 3 InsO), ökonomisch eine Frage der Adaptierung des alles entscheidenden Geschäftsmodells. Das Ziel, am Markt zu bestehen, bedeutet nicht zwingend das Ziel einer jährlichen Bardividende für die Eigner, denn ansonsten wären im Allgemeininteresse tätige (gemeinnützige) Organisationen per se in der Insolvenz nicht fortführungs- und sanierungswürdig. Wohl aber ist in diesen Fällen für künftige Investitionen oder als Liquiditätsreserve ein thesaurierbarer Überschuss zu erzielen, der bspw. die steuerliche Gemeinnützigkeit nicht beeinträchtigt. Der Begriff der Renditefähigkeit ist in den Fällen solcher NPO’s durch den Grundsatz der nachhaltigen Fähigkeit zur Erfüllung der auferlegten Aufgaben zu ersetzen. 95) Pluta, ZInsO 2013, 1404 f., 1405. 96) Ansonsten bleibt nur der schnelle Verkauf der Aktiva; die Fortführungsstrategie des Verwalters wird sich an diesen beiden Polen orientieren, denn kein Gläubiger, Insolvenzverwalter oder Sachwalter wird auf längere Sicht eine masseverzehrende Verlustfinanzierung hinnehmen können.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

§ 19

x

aus steuerlichen oder arbeitsrechtlichen bzw. sozialversicherungsrechtlichen Gründen; dazu gehört bspw. die häufig anzutreffende Konstellation, dass die Tochtergesellschaft in einer Branche mit niedrigerem (tariflichem) Lohnsegment tätig ist, aber auch wenn man Unternehmenssegmente in sog. „Billiglohnländer“ verlagert (nicht selten erweist sich indes diese Maßnahme im Nachhinein als unternehmerische Fehlentscheidung);

x

im Hinblick auf Aktivitäten in einer fremden Rechtsordnung oder aus ähnlichen Gründen.

Parallel soll aber die Steuerung auf Konzernebene aufrechterhalten bleiben. Die Planung 69 in der Fortführungsphase während des Insolvenzverfahrens dient der Gewährleistung der Stabilisierung der fortgeführten Gesellschaft und dient zugleich dazu, die Basis für den Insolvenzplan zu liefern. 2.2.2 Unternehmensverträge 2.2.2.1

Unternehmensverträge als Instrument der Konzernsteuerung

Unternehmensverträge (§§ 291 ff. AktG), insbesondere in der Form des Beherrschungs- 70 und Ergebnisabführungsvertrages (EAV, § 291 AktG), sind in der Praxis der Konzernsteuerung von herausragender Bedeutung.97) Die liquiditäts- und bilanzwirksamen sowie die steuerrechtlichen Effekte sind in die Planung im Insolvenzeröffnungsverfahren bzw. im (eröffneten) Insolvenzverfahren aufzunehmen, jeweils abhängig von dem Schicksal des Vertrages in der Insolvenz. Auf der Ebene der beherrschten Gesellschaft ist der positive Effekt, dass einem Verlust der Gesellschaft ein gleich hoher Anspruch auf Verlustausgleich gegenübersteht. Der Anspruch entsteht jeweils mit dem Beginn des Geschäftsjahres (regelmäßig das Kalenderjahr), bezogen auf den Jahresüberschuss bzw. den Jahresfehlbetrag des abgelaufenen Jahres. Ab diesem Zeitpunkt ist der Anspruch auch zu verzinsen.98) Gegebenenfalls mögen Abschlagszahlungen in Frage kommen. Entscheidend für den maßgeblichen Betrag ist jeweils der Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses. Im Konzern sind die hierfür vorgeschriebenen Fristen zu beachten, damit bei der herrschenden Gesellschaft im Einzelabschluss der EAV abgebildet werden kann. Der Ergebnisabführungsvertrag verhindert im Allgemeinen die Zahlungsunfähigkeit dann, 71 wenn der Anspruch gegen die herrschende Gesellschaft (zusammen mit der anderweitigen Liquidität) ausreicht, die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen, soweit nicht bis zur Leistung des Verlustausgleichs aus anderen Gründen Zahlungsunfähigkeit eintritt. Da ein Verlust begrifflich während der Laufzeit des EAV ausscheidet, kann auch keine Überschuldung eintreten, die Insolvenz wird zuverlässig vermieden.99) Eine Ausnahme besteht dann, wenn die herrschende Gesellschaft in die Insolvenz gerät 72 und die Durchsetzbarkeit des Anspruchs ökonomisch, ggf. auch rechtlich, zweifelhaft wird100) oder wenn evident ist, dass eine Zahlung nur als Insolvenzquote erfolgen wird. ___________ 97) Steinwachs, Der Organschaftsvertrag/Die Organschaftserklärung, in: Assies/Beule/Heise/Strube, Hdb. FA Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 1359 ff. S. den Überblick bei Henssler/Strohn-Paschos, GesR, § 291 AktG Rz. 30 ff. sowie bei Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 397 ff., 398. 98) BGH, Urt. v. 11.10.1999 – II ZR 120/98, BGHZ 142, 382 ff., 385 f. = ZIP 1999, 1965; Cranshaw, jurisPRHaGesR 1/2012, Anm. 4, zu OLG München, Beschl. v. 20.6.2011 – 31 Wx 163/11, ZIP 2011, 1912. 99) Aus diesem Grunde wird der EAV von den Finanzgläubigern nicht selten als atypische Kreditsicherheit verstanden; die Wirkung des EAV (§ 302 AktG) und die lange Verjährungsfrist des Anspruchs (§ 302 Abs. 4 AktG), aber auch die Gläubigerschutzvorschrift des § 303 AktG sind die Grundlage dafür. Ausführlich hierzu: Assies/Beule/Heise/Strube-Steinwachs, Hdb. FA Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 1359 ff. 100) Zahlt die herrschende Gesellschaft nach Antragstellung den noch offenen Verlustausgleichsbetrag an die Tochter, so ist diese Leistung als kongruent (§ 130 InsO) anfechtbar. Nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen der herrschenden Gesellschaft handelt es sich um eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO).

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Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

Dann muss die beherrschte Gesellschaft die Forderung gegen die Mutter jedenfalls wertberichtigen, wenn nicht gar sofort vollständig abschreiben. Ihr fehlt die Liquidität, ferner wandelt sich der die Überschuldung vermeidende Vermögenswert der Forderung gegen die herrschende Gesellschaft rechnerisch in einen Verlust i. H. der Wertberichtigung, so dass buchmäßige Überschuldung eintreten kann. Dann bedarf es einer spezifisch auf die beherrschte Gesellschaft zugeschnittenen positiven Fortbestehensprognose, um die insolvenzrechtlich relevante Überschuldung zu beseitigen (siehe unter Rz. 61). Ansonsten wird die beherrschte Gesellschaft ebenfalls Insolvenzantrag stellen müssen. Die andere Seite der Verlustübernahme, die Gewinnabführung, hat nämlich die Selbstfinanzierungskraft der Tochtergesellschaft durch Unterlassen der Thesaurierung von (anteiligen) nicht ausgeschütteten Gewinnen geschwächt. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, welchen Effekt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den EAV hat. 2.2.2.2

Beendigungsszenarien des Unternehmensvertrags in der Insolvenz

73 Nach der Rechtsprechung des BGH zur KO sowie Literaturstimmen endet der EAV mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens.101) 74 Dem widersprechen andere Meinungen.102) Vor dem Hintergrund des ESUG, der (bevorstehenden) Kodifizierung der Konzerninsolvenzverfahren und in Ansehung der auf weitergreifende Sanierungserleichterung abzielenden Erwägungen auf Unionsebene muss man der Lösung über ein Recht zur fristlosen Kündigung anstelle des Erlöschens des EAV zustimmen, wie z. B. Trendelenburg103) schon 2002 vorgeschlagen hat. Dieses Recht muss mit Hirte für beide Vertragsparteien gelten, es kann erst mit Verfahrenseröffnung entstehen. Ist nicht die beherrschte Gesellschaft insolvent, sondern die herrschende Konzernobergesellschaft oder Zwischenholding, so wird die Gewinn abwerfende abhängige Gesellschaft jedenfalls dann nicht kündigen, wenn sie operativ von der herrschenden Gesellschaft abhängig ist, z. B. als Vertriebsgesellschaft. Ansonsten wird deren Kündigung z. B. bei der GmbH schon an der fehlenden internen Genehmigung ihrer Gesellschafter scheitern, d. h. an dem Insolvenzverwalter oder an dem Vertretungsorgan der herrschenden Gesellschaft. Ist die abhängige Gesellschaft in der Verlustzone, wird die herrschende Gesellschaft den EAV beenden, eine zu beobachtende Tendenz in der Praxis bei anhaltender Verlustsituation. 75 Die Rechtsprechung des BGH achtet in diesen Fällen darauf, dass die gesetzlichen Voraussetzungen eingehalten werden. So kann auch der EAV mit der abhängigen GmbH analog § 296 Abs. 1 Satz 1 AktG nur zum Ende des Geschäftsjahrs oder des „vertraglich bestimmten Abrechnungszeitraums aufgehoben werden“.104) Der BGH hat der herrschenden Gesellschaft eine gewisse Erleichterung zur Aufhebung des EAV durch den Hinweis auf die Möglichkeit, ein Rumpfgeschäftsjahr zu beschließen, an die Hand gegeben, eine Option, die auch dem Insolvenzverwalter i. R. des § 155 Abs. 2 InsO begrenzt offen steht ___________ 101) BGH, Urt. v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, BGHZ 103, 1 ff., 6 = ZIP 1988, 229, so auch Bork/SchäferWeller, GmbHG, Anh. § 13 Rz. 37 m. w. N. 102) Vgl. etwa Trendelenburg, NJW 2002, 647 ff., 649 f. Die Autorin empfiehlt u. a., in die Unternehmensverträge die Insolvenz als wichtigen Grund zur Kündigung gemäß § 297 AktG aufzunehmen. Ob dieser sachgerechten Lösung die Anwendbarkeit des § 103 InsO entgegensteht (s. zur Anwendung des § 103 InsO auf Unternehmensverträge Marotzke in: HK-InsO, § 115 Rz. 9) und damit ggf. die jüngere Judikatur des BGH zu § 119 InsO heranzuziehen ist (Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 ff. = ZIP 2013, 274 = ZInsO 2013, 292), kann im vorliegenden Rahmen in den Details nicht erörtert werden. Für die fristlose Kündigung u. a. auch Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 398 m. w. N. 103) Trendelenburg, NJW 2002, 647 ff. 104) BGH, Urt. v. 16.6.2015 – II ZR 384/13, ZIP 2015, 1483 ff. = WM 2015, 1463 ff. – Urteil zur früheren BMW/Rover-Gruppe; dazu Cranshaw, jurisPR-HaGesR 9/2015, Anm. 1.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

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und die er ggf. nutzen kann.105) Die von Marotzke ausdrücklich entgegen der h. M. vorgeschlagene Anwendung des § 103 InsO überzeugt nicht, zumal der Hinweis auf den Charakter der Verlustausgleichsverpflichtung der insolventen herrschenden Gesellschaft als Masseverbindlichkeit, wenn der Verwalter Erfüllung wählt, zu Recht zugleich die Warnung vor dem Risiko der Masseunzulänglichkeit bei der herrschenden Gesellschaft enthält.106) Die andere von Hirte vertretene Auffassung, trotz der Fortgeltung des EAV (vor Kündigung) und trotz der Ablehnung der Anwendung des § 103 InsO seien die Wirkungen des EAV „suspendiert“, da dieser durch die insolvenzrechtlichen Normen überlagert werde,107) erscheint nach der hier vertretenen Meinung ebenfalls nur zum Teil überzeugend. Hier muss man zwischen der Insolvenz der herrschenden und der beherrschten Gesellschaft differenzieren. Während mit Hirte selbstverständlich die „Leitungsmacht“ der herrschenden Gesellschaft gemäß § 308 AktG (oder ihres Insolvenzverwalters in der Doppelinsolvenz beider Vertragsbeteiligter des EAV) als Folge des § 80 InsO (sowie im Hinblick auf § 276a InsO in der Eigenverwaltung) in der Insolvenz der beherrschten Gesellschaft nicht ausgeübt werden kann, gilt das nicht zwangsläufig für die Gewinnabführungs- und Verlustausgleichspflichten. Dagegen spricht mehrerlei: § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG unterscheidet systematisch zwischen den Alternativen des Beherrschungs- und des Gewinnabführungsvertrages. § 302 AktG ist eine Norm zum Schutz der beherrschten Gesellschaft und zugleich von deren Gläubigern (siehe auch die Überschrift des 3. Abschnitts des 3. Buches des AktG); von den Unternehmensverträgen systematisch getrennt ist der zweite Teil des 3. Buches des AktG über die Leitungsmacht. Sind auch Ergebnisabführung und Beherrschung im EAV vereint, so spricht doch nichts dagegen, die unmittelbaren finanziellen Pflichten von der Leitungsmacht zu trennen, zumal beide Parteien ein außerordentliches Kündigungsrecht nach der jedenfalls im Vordringen befindlichen Meinung haben. Der „isolierte“ Gewinnabführungsvertrag ist möglich,108) die „Suspendierung“ (Hirte) der Leitungsmacht des § 308 AktG in der Insolvenz der beherrschten Gesellschaft bedeutet nicht zugleich, dass die Parteien die Ergebnisabführung als beendet ansehen müssen. Die Kündigung führt für die Beteiligten zu der gebotenen hinreichenden Flexibilität. 2.2.2.3

Konzernstrategische Erwägungen und Insolvenz

Zu ergänzen ist aus dem Blick des Konzerns mehrerlei: Eine andauernd verlustträchtige Ge- 76 sellschaft wird der Konzern bemüht sein, zu veräußern oder zu liquidieren. Die Judikatur lässt aber zu Recht die außerordentliche Kündigung des EAV durch den Alleingesellschafter auch dann nicht zu, wenn er die Auflösung der Gesellschaft beschlossen hat.109) Er muss sich an gesetzliche oder zulässige vertragliche Vorgaben halten.

___________ 105) BGH, Urt. v. 16.6.2015 – II ZR 384/13, Rz. 17, ZIP 2015, 1483 ff. = WM 2015, 1463; zur Befugnis des Insolvenzverwalters, ab Insolvenzeröffnung vom Rumpfgeschäftsjahr zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr zurückzukehren, vgl. BGH, Beschl. v. 14.10.2014 – II ZB 20/13, ZIP 2015, 88 ff. = Rpfleger 2015, 212 ff. 106) Marotzke in: HK-InsO, § 103 Rz. 9. Die dort ebenfalls als kritisch herausgestellte Situation bei der Eigenverwaltung, weil es dort an der Ausgleichsmöglichkeit durch einen Anspruch gegen den Verwalter nach § 61 InsO fehle, soll vorliegend einmal dahinstehen. 107) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 398 m. w. N. 108) Vgl. Henssler/Strohn-Paschos, GesR, § 291 AktG Rz. 43, 46; OLG München, Beschl. v. 20.6.2011 – 31 Wx 163/11, Rz. 14 a. E., ZIP 2011, 1912 f., dazu Cranshaw, jurisPR-HaGesR 1/2012, Anm. 4. 109) OLG München, Beschl. v. 20.6.2011 – 31 Wx 163/11, ZIP 2011, 1912 f., dazu Cranshaw, jurisPRHaGesR 1/2012, Anm. 4.

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Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

77 Die trotz der langen Erfahrungen mit den Unternehmensverträgen bestehenden Unsicherheiten in Insolvenzfällen führen aus praktischer Sicht bspw. zu folgenden Erwägungen, die im Einzelfall anzustellen sind: x

Ist es insbesondere in den Fällen der vorläufigen Eigenverwaltung nicht richtig, mit den (wesentlichen) Gläubigern ggf. im Vorfeld des Insolvenzantrags über das Vermögen der herrschenden Konzernobergesellschaft oder Zwischenholding eine Abrede zu treffen, keinen Gläubigerinsolvenzantrag bezüglich der operativen oder sonst für das Funktionieren der Unternehmensgruppe wesentlichen Konzerngesellschaften im Inund/oder Ausland zu treffen? Soweit ein Eigenantrag geboten ist, muss dieser natürlich von den organschaftlichen Vertretern gestellt werden. Die Gläubiger haben es aber in der Hand, die Zahlungsunfähigkeit der Konzerngesellschaft wesentlich mitzusteuern, indem sie Forderungen soweit vertretbar nicht fällig stellen oder Stundung bewilligen und ähnliche Vorgehensweisen, die den institutionellen Finanzgläubigern aus der „außergerichtlichen“ Sanierung geläufig sind.

x

Dadurch werden Leitungsmacht und EAV aufrechterhalten; freilich muss dabei im Konzerninteresse die Frage beantwortet werden, wie die etwaigen Verluste der Tochtergesellschaften auszugleichen sind und wie diese Thematik bezüglich ausländischer Gesellschaften zu lösen ist. Es darf bspw. nicht der Fall eintreten, dass die – heute vornehmlich noch aus steuerlichen Gründen erfolgende Einbringung der Schutzrechte und Lizenzen des Konzerns in eine eigenständige Gesellschaft in einem Niedrigsteuerland110) – in der Insolvenz der Konzernobergesellschaft zur Folge hat, dass die betroffene Gesellschaft in die Insolvenz gerät und der Konzerneinfluss verloren geht – mit desaströsen Folgen für die Fortführung und Sanierung.

x

Im eröffneten Verfahren sind diese Themen richtiger Weise insbesondere Gegenstand der Verhandlungen und Absprachen der beteiligten Verwalter und Gläubigerausschüsse sowie Gegenstand eines sachgerechten Koordinationsplans (vgl. § 269h InsO-RegE). Beispiele sind hier die wichtige operativ tätige Gruppengesellschaft und die die Schutzrechte haltende Gesellschaft, soweit jeweils Insolvenzverfahren eröffnet sind (für den Raum der EuInsVO n. F. vgl. den „Gruppen-Koordinationsplan gemäß Art. 70, 72 Abs. 1 lit. b EuInsVO n. F.). Die Einsetzung eines einzigen Insolvenzverwalters scheint sich daher idealiter anzubieten. Das ist freilich tendenziell eine Art Scheinlösung, da die potentiellen Interessenkonflikte der Gläubiger der verschiedenen Massen sich dann in einer Person bündeln und nicht ins Auge springend zu Tage treten müssen.

x

Wie geht man mit Leistungen im Vorfeld der Insolvenz und etwaigen Anfechtungsansprüchen um?

78 Das Bestehen eines Unternehmensvertrages ist zugleich Voraussetzung der steuerlichen Organschaft (körperschaftssteuerliche, gewerbesteuerliche umsatzsteuerliche Organschaft, siehe unter Rz. 94 ff.). 2.2.3 Weitere Verträge zwischen den Konzerngesellschaften 79 Zu den Planungsgrundlagen gehört zwingend auch die Berücksichtigung der diversen weiteren (vertraglichen) Lieferungs- und Leistungsbeziehungen der Konzerngesellschaften untereinander und zur Konzernobergesellschaft. Diese Thematik, die aufgrund ihres Umfangs und ihrer Vielfalt i. R. des vorliegenden Beitrags ebenfalls nur angedeutet werden ___________ 110) Das ist die Schaffung einer sog. „intellectual property box“, vgl. dazu Evers/Miller/Spengel, Intellectual Property Box Regimes: Effective Tax Rates and Tax Policy Considerations, Mannheim, ZEW 2013, verfügbar über: www.ftp.zew.de/pub(zew-docs/dp/dp13070.pdf (Abrufdatum: 15.2.2016).

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

§ 19

kann, enthält eine Fülle verschiedener Facetten, die von „intercompany loans“ über Lieferungsbeziehungen innerhalb der Konzerngesellschaften bis hin zu der Frage von „Konzernumlagen“ reicht. Das insolvenzrechtliche Schicksal dieser Vertragsbeziehungen ist von erheblicher Bedeutung dafür, ob bei der einzelnen Gesellschaft ein Insolvenzverfahren ausgelöst wird, wie sich die Befriedigung oder der Ausfall der betroffenen Forderungen auf die Fortführung auswirkt und ob bzw. inwieweit von einer Konzerngesellschaft bezogene Leistungen weiterhin notwendig sind bzw. ob sie, bejaht man das, am Markt für die insolvente Gesellschaft bezahlbar erhältlich sind. 2.3

Anpassung von Leistungsbeziehungen unter Konzerngesellschaften in der Insolvenz?

Die in der Insolvenz evtl. notwendige Änderung der Grundlagen der konzerninternen 80 Beziehungen kann sich ergeben als Folge des Wegfalls der vertraglichen Basis in der Insolvenz (z. B. nach den §§ 115 f. InsO), als Konsequenz des § 103 InsO, auf dem Wege der Anfechtung111) oder ähnlicher rechtlicher Erwägungen, denen aber stets eine ökonomische Überlegung zugrunde liegt, nämlich die Frage des Vorteils für die jeweilige Insolvenzmasse (siehe auch im Folgenden unter Rz. 81 ff.). 2.3.1 Intercompany Loans „Intercompany loans“ sind gruppeninterne Finanzierungen, zum einen in Gestalt von 81 evtl. auch nur kurzfristigen Gesellschafterdarlehen (nicht notwendig der Konzernmutter, wenn diese nicht unmittelbar Gesellschafter ist), insbesondere auch in Form von Betriebsmittelfinanzierungen für die Konzerngesellschaften. Dazu gehören auch Finanzierungen durch andere Konzerngesellschaften wie über eine Finanzierungsholding. In der Insolvenz steht diese Liquidität z. B. infolge etwaiger Kündigung aus wichtigem Grund oder als Folge des § 41 InsO ggf. nicht mehr zur Verfügung. Im eröffneten Verfahren sind diese Verbindlichkeiten für die Schuldnergesellschaft im Allgemeinen als Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO oder als nachrangige Forderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unter den dortigen Voraussetzungen nicht liquiditätsrelevant und damit zwar für die Akzeptanz des Insolvenzplans von Bedeutung, aber nicht für die Betriebsfortführung. Umgekehrt fehlt dort die Liquidität, sollte der Rahmen der „intercompany loans“ im Einzelfall einmal nicht ausgeschöpft sein. 2.3.2 Sonstige Lieferungs- und Leistungsbeziehungen Konzerninterne Lieferungen und Leistungen haben wie die unter Rz. 84 ff. nachfolgend 82 umrissenen „Konzernumlagen“ drei Problemfelder, nämlich x

zivilrechtliche

x

insolvenzrechtliche und

x

steuerrechtliche Themen.

Zivilrechtlich sind jeweils wirksame Vereinbarungen erforderlich, die fortwirken, da sie 83 ansonsten in der Insolvenz nicht genutzt werden können. Im Insolvenzverfahren lassen sich maßgebliche Themen durch die Stichworte bzw. Fragen umreißen x

insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit, Verwalterwahlrecht nach § 103 InsO oder Fortbestand über die Verfahrenseröffnung hinaus; Kündigungssperre gemäß § 112 InsO (bei Konzernleasing) usf.

x

Fortbestehen oder Beendigung einer steuerlichen Organschaft.

___________ 111) Zu der Thematik der Anfechtung im Konzern s. Wenner/Schuster, ZIP 2008, 1512 ff.

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§ 19

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

2.3.3 Konzernverflechtung und „Konzernumlagen“112) 84 „Konzernverflechtung“ und Konzernumlagen im hier verwendeten Sinne haben ihre Ursache u. a. im Bestreben der Konzernleitung, aus Kosten- und Steuerungsgründen für alle Konzerngesellschaften (evtl. länderübergreifende) einheitliche zentrale Stellen zu schaffen, die bestimmte Funktionen für den gesamten Konzern ausführen und deren Leistungen jeweils den anderen Konzerngesellschaften in Rechnung gestellt werden. 85 Dazu gehört die als schon „klassisch“ zu bezeichnende Konzentration bestimmter Organisationseinheiten auf der Ebene der Konzernmutter, wie etwa x

Personalwesen mit seinen diversen Ausprägungen, beginnend mit der Lohn- und Gehaltsbuchhaltung bis hin zur Personalbeschaffung einschließlich des Segments der Leiharbeitnehmerverhältnisse sowie verwandter Instrumentarien,113)

x

Steuerabteilung,

x

Rechnungswesen,

x

Controlling,

x

Rechtsabteilung,

x

Revision,

x

Compliance,

x

Konzernsteuerung,

x

Beteiligungsmanagement,

x

Real estate management innerhalb des Konzerns, beginnend mit der einfachsten Stufe des facility management bis zu komplexen Stufen der Beschaffung der Immobilien und deren konzernweiter Verwaltung und Vermarktung,

x

Konzernkommunikation,

x

Geschäftsleitungs-/Vorstandssekretariat,

___________ 112) Vgl. den Überblick bei Bernegger/Rosar/Rosenberger-Rosenberger, Hdb. Verrechnungspreise, S. 353 ff. 113) Wie weit hier die ggf. völlig unerwarteten Folgen reichen, zeigt die Entscheidung des FG Münster, Urt. v. 1.10.2015 – 5 K 1994/13 U, juris. Die Klägerin, die Obergesellschaft einer Firmengruppe im Inund Ausland, hatte ein Fitnessstudio auf dem Gelände einer anderen Konzerngesellschaft errichtet und ihren eigenen Mitarbeitern unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Auch Mitarbeiter von Konzerngesellschaften, die „keine Organgesellschaften der Klägerin“ waren, waren zur Nutzung berechtigt, hier allerdings entgeltlich. Aufzeichnungen hatte das Unternehmen nicht vorgenommen. Als Ergebnis einer Lohnsteueraußenprüfung und einer weitergehenden Betriebsprüfung kam es dann im Anschluss an eine tatsächliche Verständigung zu Lohnsteuernachforderungen (geldwerte Vorteile der Arbeitnehmer) und zu Umsatzsteuernachforderungen. Bei den Konzerngesellschaften war die Überlassung zu pauschalierten Beträgen „als Teil der Konzernumlage“ erfolgt (FG Münster, Urt. v. 1.10.2015 – 5 K 1994/13 U, Rz. 9). Die gegen den Umsatzsteuerbescheid gerichtete Klage war nur zum Teil erfolgreich, die Revision wurde nicht zugelassen. Unternehmenseigene Fitnesseinrichtungen, die unentgeltlich ohne Bezug zur Arbeitsleistung den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellt werden, sind umsatzsteuerpflichtig im Umfang des Wertes des Sachbezugs, der nicht durch überwiegend betriebliche Interessen veranlasst ist. Das Ziel allgemeiner Gesundheitsprävention genügt auch bei von der Betriebskrankenkasse förderungsfähigen Maßnahmen nicht, einen überwiegend betrieblichen Grund zu bejahen. Erforderlich wäre dazu das Ziel „berufsbedingten Beeinträchtigungen der Gesundheit der Arbeitnehmer“ entgegenzuwirken (FG Münster, Urt. v. 1.10.2015 – 5 K 1994/13 U, Orientierungssätze 1 und 2, Rz. 32 f.). Solche aus dem Blick der Unternehmensgruppe unerwarteten Ergebnisse auf dem einen oder anderen Gebiet dürfen auch bei der Fortführung in der Insolvenz und im Sanierungsplan bzw. im Sanierungsablauf nicht außer Acht gelassen werden. Die vorstehend zitierte Entscheidung ist nur ein Beispiel, das die vielfältigen möglichen Baustellen und Risikoelemente andeutet. Besonders bei der mittelständischen und kleinen Unternehmensgruppe könnten mangels hinreichenden Know hows bzw. nicht hinreichender Beratung hier Problemfelder lauern.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht x

§ 19

zentrale Steuerung und Verwaltung des geistigen Eigentums in der Unternehmensgruppe (gewerbliche registergebundene Schutzrechte, urheberrechtliche Nutzungsrechte, Leistungsschutzrechte nach dem UrhG, entsprechende Rechte nach ausländischem Recht).114)

Eine weitere neuere Entwicklung (neben den intellectual property boxes) ist die Kon- 86 zentration des (ggf. weltweiten) Vertriebs und der Vertriebssteuerung auf die Konzernzentrale.115) Darin inbegriffen wird die Markensteuerung der verschiedenen Konzernmarken sein mit der Fragestellung, auf welchen (ausländischen) Märkten man das Produkt oder die Leistung mit der Marke der Konzerngesellschaft A verkaufe, auf welchem Markt die Leistung mit der Marke der Konzerngesellschaft B usf. Diese Vorgehensweise bedeutet allerdings zugleich einen Eingriff des Gesellschafters in die rechtliche Selbstständigkeit der betroffenen Konzerngesellschaft als juristische Person. Mit der zentralen Verwaltung der Schutzrechte und Lizenzen hat das zunächst nichts zu tun, wobei organisatorisch die Steuerung und die Innehabung zweckmäßig allerdings in einer Hand liegen. Die Steuerungsmöglichkeiten reichen weit über die vorstehend umrissenen Zwecke hinaus, 87 u. a. können Verrechnungspreise und Konzernumlagen der Ergebnisverlagerung der Ergebnisse von Betriebsstätten bzw. Konzerngesellschaften dienen, auch in andere Staaten (EU, EWR, Drittstaaten).116) In der Praxis sind Vereinbarungen über die bereits erwähnten immateriellen Rechtsgüter (Patente, Marken, Urheberrechtslizenzen usw.) besonders neuralgisch; die EU-Kommission und die nationalen Finanzbehörden bzw. –ministerien nehmen sie zunehmend in den Blick und betrachten das System kritisch.117) Für die Betriebsfortführung spielen sie im Hinblick auf die Frage der Insolvenzfestigkeit der Leistungsbeziehungen sowie der Liquidität eine bedeutende Rolle. In der Konzerninsolvenz sind bei der Fortführung auch aus Gläubigersicht die Auswirkungen solcher Lösungen zu berücksichtigen, da auch ausländische Steuerforderungen in der inländischen Insolvenz anzumelden bzw. als Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigen sind (vgl. z. B. für Steuer- und Sozialversicherungsansprüche Erwägungsgrund 63 EuInsVO n. F. und § 341 Abs. 1 InsO im Verhältnis zu Drittstaaten). ___________ 114) Zu den „intellectual property boxes“ und den steuerlichen Implikationen vgl. auch Fn. 110 oben. 115) S. Kieninger/Lips, FAZ v. 22.7.2013, S. 18. 116) Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 501 ff., 886 f. Zielsetzung ist die Nutzung der steuerrechtlichen Divergenzen der verschiedenen steuerrechtlichen Sitzstaaten der Konzerngesellschaften (das „Steuergefälle“, Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 505). Vgl. dazu auch Tipke/LangSeer, Steuerrecht, § 1 Rz. 89 m. w. N.; Tipke/Lang-Hey, Steuerrecht, § 11 Rz. 85 m. w. N.; s. insbesondere zur „Verrechnungspreisprüfung“ bei Tipke/Lang-Seer, Steuerrecht, § 21 Rz. 175, 209 m. w. N. Die nach § 90 Abs. 3 AO erforderliche Dokumentation bleibt vom Insolvenzverfahren unberührt. Im internationalen Verkehr gilt das ähnlich, s. Tipke/Lang-Seer, Steuerrecht, § 21 Rz. 261 m. w. N. Die Problematik der Steuerverlagerung wird insbesondere für die global players unter den IT-Konzernen auf der Ebene der OECD und der G 20 fortwährend diskutiert, die OECD hat schon vor Jahren einen Aktionsplan vorgestellt, s. OECD (2013), Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), OECD Publishing, verfügbar über: https://www.oecd.org/ctp/BEPSActionPlan.pdf (Abrufdatum: 23.4.2016). Das Beispiel zeigt, dass die Betriebsfortführung eingehend auf die steuerlichen Rahmenbedingungen (auch international) zu achten hat und sich vorschnelle Schritte verbieten; s. a. die OECD Executive Summaries 2015 zu BEPS in Fn. 117. 117) Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 886 f. Vgl. zu solchen „Lizenzierungsmodellen“ zur Steuergestaltung im Konzern ferner Egner, Internationale Steuerlehre, S. 162 und S. 164 sowie die Antwort der Bundesregierung auf „Steuergestaltung über Lizenz- bzw. Patentboxen“, BT-Drucks. 18/1238 v. 25.4.2014. Die BReg sieht solche Patentboxen „kritisch“ (S. 3), wobei man die „OECD-BEPS-Initiative um internationaler Steuervermeidung entgegen zu wirken“, unterstütze (S. 3). Zu einer Reihe von Teilaspekten liegen der BReg danach keine Erkenntnisse vor. Zu den Initiativen auf Ebene der OECD vgl. OECD, OECD/G 20 Base Erosion and Profit Shifting Project, 2015 Final Reports, Executive Summaries, u. a. S. 43, verfügbar über: www.oecd.org/tax/beps.htm (Abrufdatum: 15.2.2016).

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Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

88 Die insbesondere steuerliche Behandlung der Konzernumlagen (verdeckte Gewinnausschüttung, verdeckte Einlage usw.) spielt gerade in der „cross border“-Fortführung eine bedeutende Rolle. OECD (seit vielen Jahren)118) und EU (2012) befassen sich mit dieser Thematik, die auch handels- und gesellschaftsrechtliche Bezüge hat.119) In der zitierten Kommissionsmitteilung COM (2012) 516 final sind Empfehlungen enthalten, wie Verrechnungspreise grenzüberschreitend steuerrechtlich von den Mitgliedstaaten zu handhaben sind. 89 Diese Funktionen lassen sich je nach Zielsetzung bei der Konzernmuttergesellschaft bündeln, aber auch bei Tochtergesellschaften mit spezifischen Dienstleistungsfunktionen. Daher sind diese Organisationsstrukturen von Fall zu Fall völlig unterschiedlich.120) In den einzelnen abhängigen Gesellschaften können Mitarbeiter der entsprechenden Organisationseinheit implementiert werden, die die vorerwähnten Funktionen in der „lokalen“ Konzerngesellschaft ausüben, aber (dienstrechtlich) der Konzernobergesellschaft oder einer anderen Einheit zugeordnet sind. Bei der Gesellschaft, die diese zentralisierten Funktionen ausübt, entstehen Kosten, die insbesondere auch steuerlich unter verschiedenen Aspekten von hoher Bedeutung sind, gerade auch bei grenzüberschreitender Organisation. Schon aus diesem Grunde, aber auch aufgrund grundsätzlicher betriebswirtschaftlicher Erwägungen, bedarf es einer Kostenverteilung auf die Leistungsbezieher, d. h. die einzelnen Konzerngesellschaften. Keine Frage ist, dass die auf einzelne Gesellschaften bezogene Leistungsabrechnung aufgrund eines spezifischen Vertrages, der bei allen Konzerngesellschaften in der Struktur praktisch deckungsgleich sein wird, zu präferieren ist. Aus betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Gründen (gerade auch des ausländischen Steuerrechts bei international vernetzten Unternehmensgruppen) ist es richtig, dass Vereinbarungen zu Bedingungen wie mit fremden Dritten121) geschlossen und die Transaktionen jeweils einzeln abgerechnet werden.122) Dasselbe gilt umso mehr für Lieferungs- und Abnahmeverträge, wenn die Muttergesellschaft z. B. nicht nur den Vertrieb der Tochter organisatorisch darstellt, sondern vielmehr die Produkte sämtlich aufkauft und weiterverkauft. Bei Vergütungen, die auf der Betrachtung der Leistungsbeziehungen innerhalb des gesamten Konzerns aufbauen, kommt es auf den Verteilungsmaßstab und die Verteilungskriterien an; grenzüberschreitend, so Schreiber zutreffend, scheitere diese sog. „indirekte“ Methode an der fehlenden Steuerharmonisierung.123)

___________ 118) S. OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 2011. 119) S. die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Tätigkeit des EU-Verrechnungspreisforums, Dokument COM(2012) 516 final v. 19.9.2012, verfügbar über: http://ec.europa.eu; die Mitteilung wurde vom Rat am 4.12.2012 angenommen. S. insgesamt Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 501 ff. 120) Daher sieht Bernegger/Rosar/Rosenberger-Rosenberger, Hdb. Verrechnungspreise, S. 361, völlig zu Recht die Erstellung eines ständig zu aktualisierenden Konzernorganigramms als eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Analyse und die Einführung von Konzernumlagen vor. Man wird weitergehend feststellen dürfen, dass es sich dabei um ein Instrument handelt, das wie der dortige „BenefitTest“ (S. 363) für die Konzerngesellschaft ein unverzichtbares Element auch der Betriebsfortführung in der Insolvenz auf allen Ebenen des Konzerns ist. S. das Beispiel bei Fritze, DZWIR 2007, 89 ff., 90. 121) Nach der aus dem angelsächsischen Rechts- und Wirtschaftskreis stammenden griffigen Formel „at arm’s length“. In deutscher Terminologie muss die gewählte Vertragsstruktur und Preisfestsetzung einem „Fremdvergleich“ standhalten. Diese Situation ist erreicht, wenn der ordentliche Kaufmann oder Geschäftsführer bzw. Vorstand die „verkehrsübliche Sorgfalt“ angewandt hat, um den Preis zu ermitteln, Eingehend hierzu und zur Ermittlung der Verrechnungspreise Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 507 ff. 122) S. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 501, der hier von der „direkten“ Methode spricht. 123) Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 503 f.

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2.3.4 Weitergehende Problemfelder der Konzernverflechtung? Die Bündelung von Funktionen und Steuerungsmechanismen in der Unternehmensgruppe 90 kann in der Insolvenz – ggf. insbesondere bei Eigenverwaltungsstrukturen – mit der aus Sicht der Konzernspitze grundsätzlich gewünschten Aufrechterhaltung der Beherrschung der Konzerngesellschaften – an anderer Stelle der europaweit (EU/EWR) bzw. darüber hinaus international tätigen Firmengruppe zu Problemen führen. Nur stellvertretend für eine Fülle denkbarer und jeweils länderspezifischer Themenfelder 91 darf paradigmatisch auf die Kosten des meist unvermeidbaren Abbaus von Arbeitsplätzen hingewiesen werden. In Frankreich vertritt bspw. die Cour de Cassation seit ihrer sog. Jungheinrich-Judikatur die Auffassung, dass die Konzernmutter (oder die sonst herrschende Zwischenholding), auch wenn sie überhaupt nicht mit dem jeweiligen Arbeitnehmer in einem Arbeitsvertragsverhältnis steht, „Mitarbeitgeber“ („Coemployeur“) sein kann mit der Folge der Haftung für hohe Abfindungen, Schadenersatz wegen unwirksamer Kündigungen und andere arbeitsrechtliche Ansprüche gemeinsam mit der insolventen Tochter.124) Anknüpfungspunkt sind dort verschiedene Kriterien der Konzernverflechtung, u. a. im Strategieund Personalbereich mit maßgeblicher Einflussnahme der Konzernobergesellschaft, die praktisch Alleingesellschafterin war. Das Beispiel zeigt, dass jede einzelne Konzernbeziehung mit ihren Eigentümlichkeiten in den Blick genommen werden muss, um die Risikopotentiale einzelner Entscheidungen in der jeweiligen Rechtsordnung zu erkennen und steuern zu können. Das ist kostenaufwendig und ohne aus dem Blick der Konzernobergesellschaft kundige Fachleute (Anwälte, Steuerberater, Ingenieure usf.) nicht zu bewältigen.125) ___________ 124) Cour de Cassation, chambre sociale, Arrêt no 199, No 09-69.199, 18.1.2011 (Jungheinrich), veröffentlicht im Bulletin im Januar 2011, verfügbar über: www.courdecassation.fr/publications_cour_26/ bulletin_travail_2011-3979 (Abrufdatum: 22.7.2013). Trifft das Verdikt der „Mitarbeitgeberschaft“ nicht nur eine ausländische Holdingtochter der Konzernobergesellschaft, sondern unmittelbar die inländische insolvente Muttergesellschaft, so kann diese bzw. deren Verwalter in Frankreich verklagt werden. Das Urteil ist im Inland vollstreckbar, denn das hier vorliegende arbeitsrechtliche Verfahren aus dem Blick des anwendbaren französischen Rechts (das heute aus Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO resultiert) ist unter die EuGVVO zu subsumieren. Es handelt sich auch nicht um eine Streitsache, die unter Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO fiele, da es an dem unmittelbaren und engen Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren nach der Gourdain/Nadler- bzw. Seagon/Deko Marty-Rspr. des EuGH (EuGH, Urt. v. 12.2.2009 – Rs. C-339/07 (Deko Marty), Slg. 2009 I-767 ff. = ZIP 2009, 427) fehlt. Bestätigt bzw. erweitert wurde die JungheinrichJudikatur vom Kassationsgerichtshof in dem Urteil Metaleurop bzw. Metaleurop Nord/Recyclex v. 12.9.2012, No de pourvoi 11-12343 u. a., verfügbar über: www.legifrance.gouv.fr (Abrufdatum: 22.7.2013). Maßgeblich ist, dass eine Vermischung der Interessen, der Geschäftstätigkeit und der Geschäftsleitung vorliegt, insbesondere aber auch die Personalsteuerung der Tochtergesellschaft bei der Konzernspitze liegt („[…] une confusion d’intérêt, d’activités et de direction“, passim; s. i. E. zum Sachverhalt in „premier moyen de cassation“ der Entscheidung). S. aus der jüngeren Judikatur der Cour de Cassation in diesem Umfeld die Entscheidungen „ELLAT Métallurgie“ v. 16.5.2013 – No de pourvoi 11-25711, verfügbar über www.legifrance.de sowie „Infor France et Infor global solutions Inc.“ v. 29.5.2013 – Node pourvoi 12-13943, verfügbar über: www.legifrance.gouv.fr (Abrufdatum: 23.7.2013). An diesen Kriterien hält die Cour de Cassation Chambre sociale auch in dem neueren Urteil „Molex automotive – MAS/Molex International Inc.“ v. 2.7.2014 – ECLI:FR:CCASS:2014:SO01298, www.legifrance.gouv.fr./ telecharger_rtf.do?idTexte=JURITEXT000029194325&origine=juriJudi fest. Aus der Literatur s. Boetzkes, Die Konzernmutter als Mitarbeitgeberin im französischen Recht. 125) Der Insolvenzverwalter der Konzernmutter darf und muss sogar solche Leistungen outsourcen (insbesondere im grenzüberschreitenden Verkehr), s. zum Outsourcing Cranshaw/Portisch, ForderungsPraktiker 2012, 275 ff. Vgl. auch Cranshaw/Portisch/Rösler in: IQS (Hrsg.), IQS Ma InsO, 2014, B I. 16, S. 43 ff., zu der Inanspruchnahme externer Dienstleister durch den Verwalter. Das BVerfG hat in seinem Beschluss v. 12.1.2016 zur verfassungsrechtlichen Akzeptanz des Ausschluss der juristischen Person vom Amt des Insolvenzverwalters zugleich hervorgehoben, dass die betroffene juristische Person den mit ihr kooperierenden Verwaltern „auf vertraglicher Grundlage ihre personellen und sachlichen Ressourcen zur Verfügung stellen und Unterstützung in rechtlichen, steuerlichen, technischen und betriebswirtschaftlichen Fragen leisten“ kann, BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, Rz. 38, ZIP 2016, 321 ff. = ZInsO 2016, 383 ff.; s. a. Cranshaw, jurisPR-InsR 9/2016, Anm. 1. Der Senat hat damit zugleich das Outsourcing bestätigt, wenn auch nicht unmittelbar dessen Grenzen.

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92 In „Jungheinrich“ und „Metaleurop“ hatten die Arbeitnehmer nach der Cour de Cassation Ansprüche gegen die Obergesellschaft, die nach dem vom Arbeitsrechtsstatut abweichenden Insolvenzstatut, also nach inländischem Recht in einem deutschen Verfahren, Masseverbindlichkeiten, aber auch Insolvenzforderungen sein können. Wird im eröffneten Verfahren gekündigt, handelt es sich bei den dort entstehenden Forderungen der Arbeitnehmer um Masseverbindlichkeiten mit all den damit verbundenen Folgen. Die §§ 120 ff. InsO sind in einem inländischen Verfahren auf im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer mit ausländischem Arbeitsvertragsstatut nicht anwendbar, da es sich dabei funktional um arbeitsrechtliche und nicht um insolvenzrechtliche Normen handelt.126) 93 Die hier nur aleatorisch herausgegriffenen Fälle auf einem wichtigen Feld der Betriebsfortführung sind genau genommen Phänomene der Durchbrechung der Schranken, die durch die Trennung der verschiedenen juristischen Personen im Konzern errichtet werden und die in dergleichen Fällen als Folge enger Konzernverflechtungen partiell nicht mehr aufrechterhalten werden. Welche rechtliche Konstruktion i. E. verwendet wird, um dieses Ergebnis zu erzielen, ist in jeder beteiligten Rechtsordnung unterschiedlich. In der zitierten Rechtsprechung der französischen Cour de Cassation ist es dort im Arbeitsrecht die Rechtsfigur des „Coemployeur“ („qualité d’employeurs conjoints“, Urteil „Metaleurop“ u. a.). In den USA mag es u. a. der Aspekt die „substantive consolidation“ (siehe Rz. 141 ff.) sein, in Deutschland die Durchgriffshaftung oder die Existenzvernichtungshaftung, mit jeweils anderen Folgen, anderen rechtlichen Anwendungsbereichen und Voraussetzungen. Abstrakt betrachtet ist nur ein Merkmal immer identisch, die enge Verflochtenheit im Konzern, die die Tochtergesellschaft (oder Mehrheitsbeteiligung der Konzernmutter) faktisch weitgehend jeder Selbstständigkeit entkleidet.127) Damit ist das Risiko des „Rückschlags“ der Problematik in der Krise verbunden, so dass dergleichen Phänomene bei der Fortführungsplanung zu bedenken sind, um eine Haftung der Konzernobergesellschaft daraus möglichst zu vermeiden. 2.4

Steuerrechtliche Implikationen

94 Die Betriebsfortführung im Konzern wird – wie oben erwähnt – maßgeblich auch von den steuerrechtlichen Gegebenheiten in der jeweiligen Rechtsordnung bestimmt, in der die von der Insolvenz betroffenen Gesellschaften steuerrechtlich beheimatet sind. Dabei wirkt sich immerhin aus dem Blick des Sanierers positiv aus, dass der steuerliche Wegzug eines Unternehmens unter Aufgabe von Betriebsstätten in einem Mitgliedstaat der EU in einen anderen keiner gesonderten Wegzugsteuer unterworfen werden darf, die anders strukturiert ist als etwaige Steuern bei Betriebsstättenverlagerungen oder Betriebsaufgaben im internen Markt des Mitgliedstaates.128) Dennoch wird man bei Verlagerungen in der Krise mit dem Ziel eines Insolvenzverfahrens in anderer Rechtsordnung vorsichtig sein müssen, zumal wenn die lex fori concursus Insolvenzvorrechte für Forderungen des Fiskus oder der Sozialversicherungsträger kennt, da dadurch die Masse nicht nur belastet wird mit vorrangigen Insolvenzforderungen, sondern ggf. auch mit steuerlich bedingten Masseverbindlichkeiten (siehe § 55 Abs. 4 InsO). Überdies werden durch solche Vorrechte bei „cross border“-Aktivitäten nicht nur inländische öffentliche Gläubiger bevorrechtigt, ___________ 126) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 ff. = ZInsO 2012, 2386 ff. 127) Die Eingliederung in den Konzern kann so weit gehen und damit auch dokumentiert sein, dass die Tochtergesellschaft im Organigramm der Mutter wie ein Geschäftsbereich mit fortlaufender Organisationskennziffer geführt wird ist. Nicht selten besteht Personenidentität von Geschäftsführern/ Vorständen der Tochter und Führungskräften der Mutter auf verwandten Organisationseinheiten. 128) EuGH, Urt. v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 (Kommission/Portugal), ZIP 2012, 1801 ff., dazu Cranshaw, jurisPR-InsR 21/2012, Anm. 4.

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sondern es werden auch bevorrechtigte Forderungen „importiert“ (Art. 39 EuInsVO a. F. = Art. 53 EuInsVO n. F. und Art. 45 EuInsVO n. F. bei den Sekundärverfahren, jeweils i. V. m. Erwägungsgrund 63 für die Insolvenzforderungen; § 55 InsO i. V. m. dem unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot für die Masseverbindlichkeiten). Eine besondere Rolle spielt das Bestehen oder die Beendigung einer steuerlichen Organ- 95 schaft129) zwischen der Konzernobergesellschaft als Organträger und Konzerngesellschaften als Organgesellschaften, die sich auf Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer130) und Umsatzsteuer131) erstrecken kann. Es erfolgt eine Zurechnung des Einkommens bzw. des Umsatzes der Organgesellschaft zum Organträger. Maßstäbe des Vorliegens der Organschaft sind die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung einer juristischen Person in ein Unternehmen, wobei eine Gesamtbetrachtung der tatsächlichen Umstände maßgeblich ist. Nicht alle drei Kriterien müssen im gleichen Maße ausgeprägt sein.132) Findet ein „Regelinsolvenzverfahren“ statt, wird also ein Insolvenzverwalter oder ein vor- 96 läufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bei der Organgesellschaft bestellt, endet die steuerliche Organschaft nach der Rechtsprechung des BFH mit der Konsequenz etwa negativer steuerlicher Folgen.133) Die Entwicklung in der Judikatur ist auf diesem Segment einigermaßen dynamisch. Die zitierte Entscheidung des BFH zu V R 53/09 machte es bereits schwieriger, das Ende der steuerlichen Organschaft zu beurteilen. Wird das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung für alle Konzerngesellschaften geführt, idealiter aus Unternehmenssicht in Form des Verfahrens gemäß § 270b InsO, stellte sich noch die Frage, ob nicht die Beherrschung des insolventen Unternehmens auf diese Weise gesichert ist und damit die Organschaft fortbesteht. Insbesondere spielt diese Problematik bei der Umsatzbesteuerung eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Die Thematik beeinflusst ebenfalls die Betriebsfortführung. Die Verfügung der OFD Frankfurt a. M. vom 11.3.2013134) „Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft – insbesondere in Fällen der Insolvenz“, befasst sich mit der Eigenverwaltung nicht. Die Insolvenz des Organträgers berührte danach das Fortbestehen der Organschaft im Allgemeinen nicht. Bei der Organgesellschaft sollte die Bestellung eines „schwachen“ vorläufigen Verwalters und die Ablehnung der Verfahrenseröffnung mangels Masse gleichfalls unschädlich sein, die Insolvenzeröffnung mit Insolvenzverwalter aber die Organschaft beenden. Angesichts der bei der Eigenverwaltung auf die Insolvenzabwicklung verpflichteten Geschäftsführung der Tochtergesellschaft und unter Berücksichtigung der Entmachtung der Gesellschafter und Aufsichtsorgane (vgl. § 276a InsO) war dort mindestens offen, ob die Organschaft aufrecht erhalten bleibt oder mit Verfahrenseröffnung endet. Der BFH hat in seinem Beschluss vom 19.3.2014 darauf erkannt, im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen von Organträger und/oder Organgesellschaft spreche der „insolvenzrechtliche ___________ 129) Vgl. dazu i. E. den Überblick bei Uhlenbruck-Sinz/Vallender, InsO, § 11 Rz. 209 ff., zu steuerlichen Pflichten des vorl. Insolvenzverwalters, Rz. 229 f. zur umsatzsteuerlichen Organschaft sowie bei Roth, Insolvenzsteuerrecht, S. 498 ff. zur körperschaftssteuerlichen Organschaft, S. 558 ff. zur umsatzsteuerlichen Organschaft. 130) Zur körperschaftsteuerlichen bzw. gewerbesteuerlichen Organschaft s. a. den Überblick bei Tipke/ Lang-Montag, Steuerrecht, § 14 Rz. 2 – 19 zur körperschaftsteuerlichen Organschaft, Rz. 20 – 27 zur gewerbesteuerlichen Organschaft bzw. Rz. 28 ff. zur „Fortentwicklung“. Zur Organschaft s. a. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 286 – 295. 131) Zur umsatzsteuerlichen Organschaft s. Tipke/Lang-Englisch, Steuerrecht, § 17 Rz. 61 – 65. 132) UStAE, v. 1.10.2010, BStBl. I, 846 – aktuelle Version (21.1.2016) – nach dem Stand zum 31.12.2015, mit Änderung gemäß Schreiben v. 21.1.2016 – III C 3 – S 7168/08/10001/ (2016/0063899), Tz. 2.8 Rz. 1. 133) S. BFH, Urt. v. 24.8.2011 – V R 53/09, BFHE 235, 5 ff. = ZIP 2011, 2421 ff.; dazu Eversloh, jurisPRSteuerR 9/2012, Anm. 5. Der Senat weist in Rz. 25 des Urteils auf die 2010 erfolgte Änderung seiner Rspr. zur finanziellen Eingliederung hin. 134) OFD Frankfurt/M., Verfügung v. 11.3.2013 – S 7105 A – 21 – St 110, ZInsO 2013, 1243 ff.

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Einzelverfahrensgrundsatz […] gegen den Fortbestand der Organschaft“. Ohne Bedeutung ist danach, ob nur ein Insolvenzverwalter für beide Partner der Organschaft bestellt wird oder zwei oder ob Eigenverwaltung angeordnet wurde.135) 97 Die aktuelle Haltung der Finanzverwaltung folgt aus dem UStAE des BMF,136) der in Tz. 2.8 (Organschaft), Rz. 12 „Insolvenzverfahren“ ausführt: „[…] (12) 1Bei Organgesellschaften, bei denen der Organträger Geschäftsführer der Organgesellschaft ist, endet die Organschaft nur dann bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters im Rahmen der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter den maßgeblichen Einfluss auf die Organgesellschaft erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist (vgl. BFH […]). 2Dies gilt auch bei einer Insolvenz des Organträgers. 3Das Insolvenzverfahren steht der Organschaft grundsätzlich nicht entgegen, solange dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine vom Willen des Vorstands abweichende Willensbildung beim Organträger nicht möglich ist [BFH, V R 14/08]. 4 Die Organschaft kann aber ausnahmsweise mit der Insolvenz des Organträgers enden, wenn sich die Insolvenz nicht auf die Organgesellschaft erstreckt [… BFH, V R 32/98].“

98 Zu der Eigenverwaltung äußert sich der UStAE nicht. 99 In der Rechtsprechung hat der EuGH auf Vorlage des 11. Senats des BFH entschieden, ein Unterordnungsverhältnis sei als Voraussetzung der umsatzsteuerlichen Organschaft (= Behandlung rechtlich selbstständiger juristischer Personen zusammen als ein einziger Steuerpflichtiger nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der „Mehrwertsteuerrichtlinie“ 77/388/ EWG) nicht erforderlich, soweit nicht dieses Kriterium „erforderlich und geeignet ist“, um Steuerhinterziehung zu vermeiden oder den Steuermissbrauch zu verhindern.137) Der 5. Senat des BFH hat in einer aktuellen Entscheidung unter Würdigung des zitierten Urteils des EuGH an seiner Auffassung zu den Voraussetzungen zur Organschaft und der Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers festgehalten.138) 100 Fasst man zusammen, so endet die Organschaft jedenfalls mit Insolvenzeröffnung, weil es an der notwendigen Eingliederung fehlt. Es ist gleichgültig, ob es sich um ein „Regelverfahren“ mit einem Insolvenzverwalter handelt oder um Eigenverwaltung. Daher spricht viel dafür, Insolvenzen der Organgesellschaften möglichst abzuwenden. 101 Die außergerichtliche Sanierung bzw. das von der EU-Kommission beabsichtigte offenkundig außerhalb eines Insolvenzverfahrens angesiedelte Gesetzgebungsvorhaben zur Stärkung der Sanierungen könnten unter diesem steuerlichen Aspekt Ansätze sein, die Eingliederung der Organgesellschaft zu erhalten. 2.5

Kooperation der Akteure des Insolvenzverfahrens der Konzerngesellschaften

2.5.1 Kooperation der Verwalter nach der novellierten EuInsVO139) 102 Mangels eines materiell einheitlichen Insolvenzverfahrens über alle in der Insolvenz befindlichen Konzerngesellschaften (siehe zu einem materiellen Konzept unter Rz. 136 ff.) ___________ 135) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, Rz. 28, 33, 41, ZIP 2014, 889 ff. = DZWIR 2014, 356 ff. 136) UStAE v. 1.10.2010, BStBl. I, 846 – aktuelle Version (21.1.2016) – nach dem Stand zum 31.12.2015, mit Änderung gemäß Schreiben v. 21.1.2016 – III C 3 – S 7168/08/10001/ (2016/0063899), zur Veröffentlichung im BStBl. I bestimmt. 137) EuGH, Urt. v. 16.7.2015 – verb. Rs. C-108/14, C-109/14 (Laurentia+Minerva KG/FA Nordenham“ und Marenave Schiffahrts AG/FA Hamburg-Mitte), Tenor Ziff. 2, ECLI:EU:C:2015:496 = ZIP 2015, 1971 ff. = RIW 2015, 619 ff. 138) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, DStR 2016, 226 ff. 139) Zum Konzerninsolvenzverwalter des inländischen Rechts s. aus der neueren Literatur Graeber, NZI 2007, 265 ff.

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hinweg kann die übergreifende Strukturierung der Insolvenz der Unternehmensgruppe nur i. R. einer Kooperation der beteiligten Insolvenzverwalter gelingen, die miteinander ihre Vorgehensweise koordinieren, wie das nunmehr künftig in Art. 56 EuInsVO n. F. vorgesehen ist bzw. ermöglicht wird (siehe oben unter Rz. 46 ff.); in den Fällen der Eigenverwaltung ermöglicht Art. 76 EuInsVO n. F. dem debtor in possession die Kooperation wie einem Insolvenzverwalter. Dies betrifft nicht nur den Insolvenzplan oder eine Restrukturierung ohne Insolvenzplan, sondern auch die etwaige Liquidation des Konzerns, der einen oder anderen Gesellschaft oder des einen oder anderen Betriebs oder Betriebsteils. Ziel der Zusammenarbeit und Kommunikation der Verwalter (bzw. der Vertretungsorgane der eigenverwaltenden Schuldner) und gleichzeitige Bedingung ist nämlich die Erleichterung der „wirksamen“ Abwicklung der Verfahren. Die unveränderte rechtliche Selbstständigkeit der Verfahren unterstreicht Art. 56 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO n. F. durch die weiteren Voraussetzungen der Vereinbarkeit der Kommunikation mit den für die Einzelverfahren geltenden Bestimmungen und das Fehlen von Interessenkonflikten, die kausal auf die Kooperation und Kommunikation zurückgehen. Ergänzt wird diese Regelung durch die sachlogischen Vorschriften der Art. 57 und 58 EuInsVO n. F. über die Kooperation bzw. Kommunikation der beteiligten Gerichte und der derjenigen der Gerichte und der Verwalter, jeweils unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit der jeweiligen lex fori concursus und der fehlenden Interessenkollision. Ziel ist dort die Erleichterung der „wirkungsvolle[n] Verfahrensführung“. Die Zusammenarbeit der Gerichte kann sich nach Art. 57 Abs. 3 EuInsVO n. F. insbesondere auf die für Gläubiger besonders interessanten Punkte der Koordinierung der Verwalterbestellung (lit. a), der Verwaltung und Überwachung der Masse und ihrer Geschäfte (lit. b) sowie der Koordinierung der geführten Verhandlungen (lit. c) beziehen. Ziel ist letztlich, bindet man den Gedanken der „zweiten Chance“ hier mit ein und die Erwägungen auf EU-Ebene zur Unternehmenssanierung, ein „Gruppen-Koordinationsverfahren“ (Art. 61 ff. EuInsVO n. F.), das zu Empfehlungen des Koordinators und einem „Gruppen-Koordinationsplan“ führt (Art. 72 Abs. 1 EuInsVO n. F.), an den sich trotz des Grundsatzes der Freiwilligkeit (Art. 70 Abs. 2 EuInsVO n. F.) die beteiligten Insolvenzverwalter (und Gläubiger) halten. Bei der übergreifenden Betrachtung der Abwicklung der Einzelinsolvenz strahlt diese Ko- 103 operation, Kommunikation und Koordination in gleicher Weise auf die Betriebsfortführung aus, ist diese doch nichts anderes als ein – wenn auch entscheidender Teil – des Gesamtkonzepts, denn ohne Fortführung im sinnvollen Umfang140) scheidet ein Sanierungsinsolvenzplan für den insolventen Unternehmensträger aus. Dabei bedarf es eines Insolvenzverwalters, der die Organisation bzw. „Führung“ der Koordinierung übernimmt, dem Projektleiter eines gemeinsamen Projektes der beteiligten Gesellschaften vergleichbar. Art. 71 Abs. 2 EuInsVO bestimmt allerdings, dass der Koordinator, also der Projektleiter der Koordination, keiner der beteiligten Insolvenzverwalter sein darf und auch sonst Interessenkollisionen bei ihm nicht bestehen dürfen. Das ist freilich nichts Außergewöhnliches, sondern nichts anderes als eine besondere Form des wichtigen Unabhängigkeitskriteriums, wie sie das inländische Recht in Art. 56 Abs. 1 Satz 1 InsO fordert. Das Problem liegt naturgemäß darin, dass der jeweilige Insolvenzverwalter allein dem Inte- 104 resse seiner Masse bzw. seiner Gläubiger verpflichtet ist, d. h. er kann sich nur austauschen, soweit er Vertraulichkeitsgebote nach Interessenabwägung bzw. entsprechende Verpflich___________ 140) Dabei ist bis zur Entscheidung der Gläubiger im Berichtstermin ein Dilemma zu meistern, welches darin besteht, dass der vorläufige Verwalter im Eröffnungsverfahren oder der Verwalter nach Verfahrenseröffnung zwar zum einen das Interesse der Gläubiger an autonomer Entscheidung über die Fortführung zu wahren hat, andererseits aber Zweifel darüber bestehen mögen, ob die Fortführung – und in welcher Gestalt – bewältigt werden kann.

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tungen gegenüber anderen Beteiligten nicht beachten muss und soweit er die Interessen seiner Gläubiger gewahrt sieht. Die etwaige Beeinträchtigung seiner Masse durch Maßnahmen muss durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen werden. Besonders neuralgisch sind dabei die Insolvenzanfechtung und die Frage der Erfüllungswahl gemäß § 103 InsO bei gruppeninternen Verträgen. Im Eröffnungsverfahren kann im Interesse des Erhalts von notwendigen Lieferungen und Dienstleistungen das Anfechtungsproblem nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH durch gemeinsam zwischen den beteiligten Verwaltern geschaffene Vertrauenstatbestände gelöst werden.141) 105 Die Art. 56 ff. EuInsVO n. F. zeigen gleichzeitig die Grenzen einer solchen Koordination sehr plastisch auf, wenn es dort z. B. bei der Zusammenarbeit der Verwalter in Art. 56 Abs. 1 EuInsVO n. F. eben heißt, die Kooperation, die auch die Koordination durch Vereinbarungen und „Protokolle“ über das weitere Procedere einschließt (Abs. 1 Satz 2), erfolge u. a. in dem Umfang, als sie „[…] mit den für die einzelnen Verfahren geltenden Vorschriften vereinbar ist und keine Interessenkonflikte nach sich zieht“142) (Art. 56 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO n. F.). Diese Regelungen entsprechen dem Stand von Praxis und Wissenschaft, denn sie wahren die Eigeninteressen der Gläubiger des Einzelverfahrens (und wenn man so will diejenigen der betroffenen juristischen Personen als Schuldner). Sie stehen ferner im Einklang mit Art. 4 EuInsVO a. F. (= Art. 7 EuInsVO n. F.), denn die Regeln, die für derartige Verfahren i. S. des Art. 56 Abs. 1 EuInsVO n. F. herangezogen werden müssen, sind diejenigen der jeweiligen lex fori concursus. Das neue europäische – bisher systematisch nur internationale – Insolvenzrecht orientiert sich damit einerseits an der sich herauskristallisierenden Praxis in Mitgliedstaaten, andererseits belässt es diesen die Wahl des materiellen Rechts. Die u. a. haftungsrelevante Problematik, ob sich die Beteiligten innerhalb der Grenzen bewegt haben, die die Einzelinsolvenz nach nationalem Recht von ihnen fordert, unterstreicht das zu wiederholende Postulat, dass der den Betrieb fortführende Verwalter und die anderen Beteiligten jedenfalls unter den die Haftung reduzierenden Schutz der „Business Judgment Rule“ zu stellen sind.143) 2.5.2 Strukturelemente des im Gesetzgebungsverfahren befindlichen inländischen Konzerninsolvenzrechts 106 Diesem Konzept der Kooperation und Koordination der EuInsVO-Novelle entspricht auch der RegE eines „Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“, der sich im April 2016 unverändert noch im parlamentarischen Beratungsstadium befand.144) Hierzu müssen im vorliegenden Rahmen einige Hinweise hinreichen. Zum einen plant man als Basis einer gewissen formellen Koordinierung der diversen Einzelinsolvenzverfahren einen einheitlichen „Gruppengerichtsstand“ nach den §§ 3a ff. InsO-RegE. Dabei wird in § 3e InsO-RegE) für insolvenzrechtliche Zwecke der Begriff der Unternehmensgruppe definiert als „rechtlich selbständige Unternehmen“ mit Interessenmittelpunkt im Inland, die „unmittelbar oder mittelbar“ miteinander verbunden sind und zwar ___________ 141) Kreft in: HK-InsO, § 129 Rz. 31 m. w. N.; BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, BGHZ 165, 285 ff., 286 f. = ZIP 2006, 431. 142) Zweifel an dieser klaren Bedingung bestehen nicht, die deutsche Fassung entspricht ohne Abstriche dem englischen Text „[…] to the extent, that such cooperation […] is not incompatible with the rules applicable to such proceedings and does not entail any conflict of interests“, sowie dem französischen Text “[…] pour autant, qu’ une telle cooperation […] ne soit pas incompatible avec les règles applicables à ces procedures et n’entraîne aucun conflict d’interêts […].” – vergleicht man ihn einmal mit diesen beiden anderen Arbeitssprachen in der EU. 143) Cranshaw, ZInsO 2012, 1151 ff., 1154 f. m. w. N. 144) BT-Drucks. 18/407 v. 30.1.2014; die einzelnen Vorschriften des Entwurfes werden mit „InsO-RegE“ bezeichnet.

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durch die „Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses“ oder „eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung“.145) Der Grundsatz des rechtsträgerbezogenen Einzelinsolvenzverfahrens wird jedoch nicht aufgegeben. Die Generalklausel in § 3e InsO-RegE erscheint gelungen, zumal auch die mittelbare Beteiligung der Konzernobergesellschaft an Gesellschaften erfasst wird, die von ihr in der Beteiligungskette weiter entfernt sind. Zur Illustration mag folgendes Beispiel dienen: Die Konzernobergesellschaft A.-AG beherrscht die X-GmbH, an der sie 80 % hält, diese die Y. GmbH, an der sie mit 75,1 % beteiligt ist, und diese wiederum die Z.-KGaA, deren Kapital ihr zu 66 % gehört. Die A. kann ihren beherrschenden Einfluss bis zur Z. durchsetzen, obwohl sie an deren Vermögen – durchgerechnet – nur noch mit knapp über 40 % beteiligt ist, betrachtet man den theoretischen Anteil am Liquidationserlös, Liquidation aller Beteiligungen unterstellt. Zugleich sind „intercompany loans“ von A. an Z. in deren Insolvenz nachrangig gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 Abs. 4 Satz 1 InsO mit den Folgen des § 135 Abs. 1, 2 InsO, aber auch des § 135 Abs. 3 InsO, so dass die insolvente Z., hat die A. ihr bspw. das Betriebsgrundstück vermietet, verpachtet oder verleast, an diese ein Nutzungsentgelt zahlen muss (§ 135 Abs. 3 Satz 2 InsO). Dieser letztere Aspekt ist bei der Betriebsfortführung zu beachten. Die Antragsbefugnis auf Bestimmung eines Konzerngerichtsstands („Gruppen-Gerichts- 107 stand“) ist einigermaßen komplex. Antragsteller kann jede Konzerngesellschaft sein, die selbst einen zulässigen Insolvenzantrag über ihr Vermögen gestellt hat und die nicht offensichtlich von untergeordneter Relevanz für die Gruppe ist. Dies darf regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn die Antragstellerin mehr als 10 % der kumulierten Bilanzsumme und Umsätze aller Gruppengesellschaften repräsentiert (§ 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 InsO-RegE).146) Der antragstellende Schuldner muss zudem mehr als 10 % der durchschnittlich im Jahr im Konzern tätigen Arbeitnehmer beschäftigen (§ 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO-RegE). Bestehen Zweifel, ob die Verfahrenskonzentration an dem beantragten Gruppen-Gerichts- 108 stand im „gemeinsamen Interesse der Gläubiger“ liegt (§ 3a Abs. 2 InsO-RegE), kann das Gericht den Antrag zurückweisen.147) Die beteiligten Insolvenzgerichte müssen abstimmen, ob ein einziger Konzerninsolvenzverwalter im Gläubigerinteresse ist und ob „Interessenkonflikte durch […] Sonderinsolvenzverwalter ausgeräumt werden können“ (§ 56b InsORegE). Im Interesse eines Gruppen-Insolvenzverwalters wird auch der starke Einfluss der Gläubiger durch den vorläufigen Gläubigerausschuss des Eröffnungsverfahrens nach § 56a InsO (seit dem ESUG) wieder etwas zurückgedrängt. Wenn nämlich der vorläufige Gläubigerausschuss eines anderen gruppenangehörigen Unternehmens einstimmig für einen Verwalter votiert, der (auch) als Insolvenzverwalter für die gesamte Unternehmensgruppe in Frage kommt, kann das Gericht nach Anhörung des betroffenen vorläufigen Gläubigerausschusses von dessen Vorstellungen abweichen und den für die gesamte Gruppe geeigneten Verwalter bestellen. Gegebenenfalls ist i. R. einer Strategie zur Vermeidung bzw. Steuerung potentieller Interessenkonflikte, wie erwähnt, ein Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen ___________ 145) Der Begriff der „group of companies“ in Art. 2 (13), (14) EuInsVO n. F. ist detaillierter, wenn die Verordnung in (13) den Konzern als „parent undertaking und all its subsidiary undertakings“ definiert und (14) sehr eingehend „parent undertaking“ definiert: „‘parent undertaking’ means an undertaking which controls, either directly or indirectly, one or more subsidiary undertakings. An undertaking which prepares consolidated financial statements in accordance with Directive 2013/34/EU of the European Parliament and of the Council (1) shall be deemed to be a parent undertaking.” Die Entwurfsfassung hatte noch einen etwas anderen Wortlaut; u. a. verwendete man den Begriff der „parent company“ anstelle von „parent undertakting“. 146) Zur Gesetzesbegründung des § 3a InsO-RegE i. E. vgl. BT-Drucks. 18/407, S. 26 f. 147) Konsequent geht die Begr. des Entwurfes, BT-Drucks. 18/407, S. 27, davon aus, dass es sich um das Interesse aller Gläubiger der „gruppenangehörigen Schuldner“ handeln muss. Gläubiger sind nicht befugt, den Antrag nach § 3a InsO zu stellen; dem wird man zustimmen.

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(§ 56b Abs. 2 InsO-RegE). Die Begründung des RegE votiert eindeutig für einen gemeinsamen Insolvenzverwalter für alle Gruppengesellschaften, soweit das stets latente Problem der Interessenkollision durch Sonderinsolvenzverwalter (für diese Teilsegmente der Kollisionen) gesteuert werden kann.148) Diese Überlegung beendet die Diskussion um die Zulässigkeit des einheitlichen Insolvenzverwalters für die gesamte Gruppe. Tritt diese Regelung in Kraft, dann dürfte sie gleichwohl an den Grundsätzen der Judikatur des BFH um die steuerliche Organschaft (siehe oben Rz. 94 ff.) nichts ändern. 109 Kernstück der Neuregelungen ist die Verfahrenskoordinierung in dem neuen Teil 7 der InsO „Koordinierung der Verfahren von Schuldnern, die derselben Unternehmensgruppe angehören“ (§§ 269a – 269i InsO-RegE). Neben den §§ 269a – 269c des Gesetzentwurfes über die gegenseitige Kooperation der beteiligten Verwalter, der Gerichte und der Gläubigerausschüsse (hier durch die Schaffung eines Gruppen-Gläubigerausschusses auf Antrag eines der Gläubigerausschüsse in einem der Insolvenzverfahren über eine Gruppengesellschaft,149) der aus jedem der Einzelgläubigerausschüsse beschickt wird, um deren Kooperation zu gewährleisten),150) steht im Mittelpunkt das Koordinationsverfahren der §§ 269d – 269i InsO. Das Koordinationsgericht (= Insolvenzgericht für die Gruppen-Folgeverfahren des § 3a Abs. 1 Satz 1 InsO-RegE; vgl. §§ 3b – 3d InsO-RegE) kann auf Antrag das Koordinationsverfahren einleiten (§ 269d InsO-RegE). Antragsbefugt ist jeder gruppenangehörige Schuldner und dessen Insolvenzverwalter sowie jeder Gläubigerausschuss oder vorläufige Gläubigerausschuss auf der Grundlage eines einstimmigen Beschlusses (§ 269d Abs. 2 InsO-RegE); im Eigenverwaltungsverfahren ist der Schuldner antragsbefugt, aber auch kooperationspflichtig gemäß § 269a InsO-RegE (vgl. § 270d InsO-RegE). 110 Als Koordinationsverwalter wird „eine von den gruppenangehörigen Schuldnern und deren Gläubigern unabhängige Person“ bestellt. Seine Aufgabe ist die „im Interesse der Gläubiger“ liegende Abstimmung der Verfahrensabwicklung, insbesondere durch Vorlage eines Koordinationsplans (§§ 269e, 269f, 269h InsO-RegE). Weder der Schuldner im Eigenverwaltungsverfahren kann sein eigener Koordinationsverwalter werden noch kann im Allgemeinen einer der Verwalter oder Sachwalter der Einzelverfahren dazu bestellt wer___________ 148) BT-Drucks. 18/407 v. 30.1.2014, S. 30 f. 149) Die Schaffung eines Gruppen-Gläubigerausschusses gemäß § 269c InsO-RegE führt zugleich dazu, dass in demjenigen einzelnen Verfahren über das Vermögen einer Konzerngesellschaft, in denen es nicht zur Bestellung eines Gläubigerausschusses gekommen ist, wesentliche Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten der dortigen Gläubiger im Konzern wegfallen, von den untergeordneten Konzerngesellschaften einmal abgesehen. Dies gilt insbesondere im Falle eines Gruppen-Insolvenzverwalters, den es in grenzüberschreitenden Verfahren nach der EuInsVO n. F. nicht geben darf (Art. 71 Abs. 2 EuInsVO). Das europäische Recht geht daher an dieser Stelle einen anderen Weg als die InsO und beschränkt sich auf die Koordination, eine Funktion, die dem des Koordinationsverwalters nach §§ 269e–269g InsO-RegE entspricht. Anders gewendet, wäre in grenzüberschreitenden Verfahren nur dann ein einziger Insolvenzverwalter für die Gruppe denkbar, wenn die jeweiligen nationalen Rechte dies zuließen – oder die Harmonisierung der Insolvenzrechte so vorangeschritten wäre, dass dieser Lösung näher getreten werden könnte. Maßgeblich ist die jeweilige lex fori concursus (Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 lit. c EuInsVO = Art. 7 EuInsVO n. F.). 150) Die Regelung scheint nicht „bis zu Ende“ durchdacht. Bei einem großen Konzern mit vielen Gesellschaften mit z. B. obligatorischen vorläufigen Ausschüssen gemäß § 22a Abs. 1 InsO, Gläubigerausschüsse, die es auch in den eröffneten Verfahren geben wird (vgl. §§ 67 f. InsO), entsteht ein GruppenGläubigerausschuss mit tendenziell vielen Mitgliedern, so dass Handlungsunfähigkeit droht. Die Beschränkung auf eine einzige Person des jeweiligen Einzelausschusses im Gruppen-Gläubigerausschuss und der Ausschluss von Gläubigerausschüssen von Gesellschaften, die für die Unternehmensgruppe „offensichtlich von untergeordneter Bedeutung [sind]“, reicht zur Steuerung der umrissenen Problematik nicht aus. Dem Gericht kommt daher ein recht weites Ermessen zu, vgl. BT-Drucks. 18/407 v. 30.1.2014, S. 34 f., Begr. zu § 269c InsO-RegE. Dieses Ermessen muss sich auch auf die geeignete Zahl der Mitglieder des Gruppen-Gläubigerausschusses zur Vermeidung der ggf. zu befürchtenden Handlungsunfähigkeit beziehen. Wählen Gläubiger keinen Ausschuss, entsteht für die betroffene Gesellschaft bzw. deren Gläubiger wie oben erwähnt ein Mitwirkungsdefizit.

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den (§ 269e Abs. 1 Sätze 3, 2 InsO-RegE).151) Zwar ist der die Verwalter und Sachwalter betreffende § 269e Abs. 1 Satz 2 InsO-RegE „nur“ Sollvorschrift, was aber schon angesichts der bereits zitierten Begründung der Norm, die u. a. fordert, der Koordinationsverwalter müsse eine neutrale Vermittlerrolle ausfüllen und er müsse „konfligierende Interessen möglichst […] entschärfen und Verwalter auf ein gemeinsames Ziel [ausrichten]“, zu der Folgerung führt, dass die Sollvorschrift nur ganz ausnahmsweise die Bestellung eines Koordinationsverwalters aus dem Kreis der beteiligten Verwalter der Einzelverfahren ermöglicht. Die Akzeptanz seines Konzeptes hängt sehr davon ab, dass es von den Beteiligten in allen einzelnen Verfahren als neutral und ausgewogen betrachtet wird und nicht als Ausprägung des Verfahrensziels eines Verfahrens, in dem der Koordinationsverwalter zugleich Insolvenzverwalter oder Sachwalter ist. Der Koordinationsplan (§ 269h InsO-RegE) ist ein besonderer (ggf. auch nur verfahrens- 111 rechtlicher Insolvenzplan), der alle für die Abstimmung „sachdienlichen“ Maßnahmen enthalten kann, wie – als Regelbeispiele – Vorschläge „[…] 1. zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen gruppenangehörigen Schuldner und der Unternehmensgruppe, 2. zur Beilegung gruppeninterner Streitigkeiten, 3. zu vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Insolvenzverwaltern“ (vgl. § 269h InsO-RegE).

Mit anderen Worten entspricht diese Lösung dem Modell des Masterinsolvenzplans bzw. 112 des Sanierungsverbundes in der Literatur.152) Zurückhaltend geht es dem Konzept letztlich darum, eine „Pareto-Effizienz“153) zu berücksichtigen, d. h. Lösungen zu erreichen, die bei der einen Insolvenzmasse zu besserer Befriedigungsquote führen, ohne dass dies letztlich auf Kosten der Quote in anderen der einzelnen Verfahren gehen darf. All dies hat erhebliche Folgen für die Betriebsfortführung in der Konzerninsolvenz. Gerade das Gegenteil bewirkt die sog. „materielle Konsolidierung“, die für Gläubiger des einen Verfahrens Vorteile, für die anderer Verfahren von Konzernunternehmen Nachteile generiert (siehe i. E. Rz. 136 ff.). Die Interessenkonflikte wären vorprogrammiert, wenn kein außerhalb der Einzelver- 113 fahren stehender Dritter „Konzern-/Koordinationsverwalter“ würde, so dass es eines Sonder___________ 151) BT-Drucks. 18/407 v. 30.1.2014, S. 35 f. 152) Ehricke, ZInsO 2002, 393, 394 f. 153) BT-Drucks. 18/407 v. 30.1.2014, S. 37. Die Pareto-Effzienz beschreibt aus volkswirtschaftlicher Sicht eine Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich bei Veränderung eines von mehreren darauf einwirkenden Parametern zwar auf der einen Seite ein Vorteil (für einen Akteur oder eine Gruppe Beteiligter) ergibt, dem aber ein Nachteil an anderer Stelle (für andere Akteure) gegenüber steht. ParetoEffizienz ist erst erreicht, wenn ein negativer Effekt nicht eintritt. Diese ökonomische Überlegung hat auch eine moralische Kategorie im Spannungsverhältnis zwischen Effizienz und Gerechtigkeit, worauf z. B. Nida-Rümelin, NG/FH 1/2/2012, S. 79 ff. sowie Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, S. 83 f., hinweisen. In der Insolvenz zeigt sich das Problem insbesondere in der rechtspolitischen Frage der Verteilungsgerechtigkeit unter den Gläubigern, namentlich in der Konzerninsolvenz auch bei der Frage des Abgleichs der Interessen der Massen untereinander. Vor dem Hintergrund der dynamisch zunehmenden Relevanz des Sanierungsziels zeigt sich das Problem der Pareto-Effizienz schon bei der im Einzelfall ggf. masseauszehrenden Fortführung, i. Ü. an der Konkurrenz zwischen dem Fortführungsinteresse der Unternehmenseigner bzw. der sonstigen Investoren in Eigenkapital und der Arbeitnehmer auf der einen sowie der privaten Gläubiger auf der anderen Seite. Der Staat als „Zwangsgläubiger“ nimmt hier wie bereits erwähnt eine ambivalente Rolle ein. Zur „Pareto-Effizienz“ s. a. unter http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/4636/pareto-optimum-v7.html. Zu wirtschaftlichen Erwägungen im Kontext mit der Restrukturierung von Unternehmen s. etwa Nida-Rümelin, Ist eine humanistische Wirtschaftsordnung realistisch?, in: HandelsblattJournal, Sonderveröffentlichung 4/2016, Restrukturierung, S. 3 f., und Jäde, Braucht Deutschland einen Verhaltenskodex für Restrukturierung?, in: HandelsblattJournal, Sonderveröffentlichung 4/2016, Restrukturierung, S. 4 f.

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insolvenzverwalters bedürfte, um dem entgegen zu wirken. Der Koordinationsplan ist für die Gruppengesellschaft nicht zwingend, allerdings muss der Verwalter einer Konzerngesellschaft den Plan vorstellen und Abweichungen für seine Gesellschaft aus seinem Blick darlegen und begründen. Die Gläubigerversammlung der jeweiligen Gesellschaft kann umgekehrt für ihre Gesellschaft die Durchsetzung des Koordinationsplans erzwingen (vgl. z. B. § 157 Satz 2 InsO), muss dies aber nicht tun. Der Gesetzesentwurf vermeidet sorgfältig jede materielle oder formelle Konsolidierung (siehe unter Rz. 136 ff.). Er bleibt hinter Art. 60 Abs. 1 lit. b, i–iv bzw. Abs. 2 EuInsVO n. F. insoweit zurück, als dort jeder Insolvenzverwalter einer Gruppengesellschaft beim zuständigen Gericht den Fortgang des Insolvenzverfahrens einer anderen Gesellschaft anhalten lassen kann (d. h. die Verabschiedung und den Vollzug eines Plans, die Verwertung des Assets usw.), sofern dies dem Interesse der Gläubiger der Gesellschaft dient, „für die die Aussetzung beantragt wird“. Dem Antragsteller kann auferlegt werden, die Interessen der Gläubiger der betroffenen Gesellschaft zu wahren, d. h. alle „geeigneten Maßnahmen zum Schutz“ ihrer Interessen zu ergreifen (Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 3 EuInsVO n. F.).154) All diese Leitentscheidungen des europäischen wie des inländischen Gesetzgebers haben prägende Wirkung für die Betriebsfortführung. 2.6

Betriebsfortführung und Insolvenz der Konzernobergesellschaft

114 Die Betriebseinstellung bei der Konzernobergesellschaft – jedenfalls soweit diese keine reine Beteiligungsholding ist – führt regelmäßig notwendig zum endgültigen Zusammenbruch der Unternehmensgruppe als solcher. Ihre Fortführung kann je nach der Organisationsstruktur von der Kooperation mit den Verwaltern der Tochtergesellschaften abhängen. Die Eigenverwaltung kann hier strukturell etwas ändern, wenn ein geeigneter CEO in der Muttergesellschaft tätig ist und die Sachwalter aller Gesellschaften koordiniert miteinander kooperieren, wie dies in der Praxis in den geeigneten Fällen auch erfolgreich geschieht. Sie müssen freilich die Interessenlage ihrer jeweiligen Masse im Auge haben. Entsprechend gilt das auch für den Gläubigerausschuss. 2.7

Betriebsfortführung in der Insolvenz der Konzerngesellschaft?

115 Die in der Überschrift wiedergegebene Fragestellung ist angesichts der Entscheidung des Gesetzgebers für die Einzelinsolvenz eigentlich dahingehend zu stellen, ob die Betriebsfortführung im Interesse der Unternehmensgruppe erfolgen soll oder im Interesse der Gläubiger der betroffenen Gesellschaft. Ist sie ausschließlich im Interesse des Gesamtkonzerns sachgerecht, müsste der Betrieb aber eingestellt werden, um Schaden für die Gläubiger der Konzerngesellschaft zu verhüten (vgl. die Konstellationen, die den §§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Halbs. 2, 158 InsO zugrunde liegen)155), so sind die Betriebsverluste und die weiteren Schäden auszugleichen und der Ausgleich im Vorhinein sicherzustellen. Als weiteres Beispiel möge der Fall dienen, dass die Konzerngesellschaft ein wichtiges Einzelteil für ein Produkt herstellt, das schon Jahre an die Mutter unter Verlust geliefert wurde, wobei die Mutter die Preise festgesetzt hat. Ein gegenteiliger Fall, der nicht selten ___________ 154) Beispiel wäre, den „eigentlich“ gebotenen Verkauf (vgl. § 159 InsO) einer Produktionsanlage einer insolventen Tochtergesellschaft zur Erzeugung eines ganz bestimmten Vorproduktes zu stoppen, um die Produktion des wichtigen Endproduktes bei der ebenfalls insolventen Muttergesellschaft fortsetzen zu können. Im Gegenzug muss den Gläubigern dieser Gesellschaft durch die Konzernmutter eine geeignete und hinreichende (sichere) Kompensation aus der Masse gewährt werden. 155) Der Insolvenzverwalter, der im absolut berechtigten Interesse des Konzerns die mit evidenten Verlusten arbeitende Konzerntochter auf Kosten der Gläubiger derselben weiterführt oder der Gläubigerausschuss, der dem zustimmt, setzen sich erheblichen Schadenersatzrisiken aus (§§ 60, 61, 71 InsO). Vgl. dazu auch Cranshaw/Portisch/Knöpnadel, ZInsO 2015, 1 ff., 8 ff.

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vorkommen dürfte, kennzeichnet die umgekehrte Situation. Die Mutter erwirbt ohne zählbare Gegenleistung alle gewerblichen Schutzrechte der Konzerngesellschaft und lizenziert sie zurück, um in der Krise der Tochter deren Lizenz zu kündigen. Daraufhin kann die Tochter nicht mehr sinnvoll weiterarbeiten, jedenfalls dann nicht, wenn sie keine Lizenzgebühr bezahlt. Hier muss entweder soweit als möglich bspw. nach § 134 InsO angefochten werden oder das Lizenzentgelt muss nach Abwägung der ökonomischen und rechtlichen Risiken bei Betriebseinstellung oder -fortführung entrichtet werden. Da der Rechtsstreit gegen den formellen Rechtsinhaber des Schutzrechts über dessen Berechtigung längere Zeit dauern wird, wäre die Betriebsfortführung unter Missachtung der formell ordnungsgemäß übergegangenen Rechte für die Beteiligten (Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss) usw. hoch riskant; das „Erpressungspotential“ der formellen Rechtsinhaber ist in dergleichen Fällen daher ggf. erheblich.156) 3.

Konzerninsolvenzpläne?

Das bisherige Recht kennt (noch) keinen Konzerninsolvenzplan. In Literatur und Praxis 116 wird freilich seit längerem die Frage eines Masterinsolvenzplans157) diskutiert, der sich ganz i. S. der EuInsVO-Novelle und des inländischen Gesetzgebungsvorhabens nach Maßgabe der oben umrissenen §§ 269h, 269i InsO-RegE als koordinierter Plan mit Zustimmung der Gläubiger in jedem einzelnen Verfahren strukturieren lässt, soweit die betroffenen Gesellschaften sich in der Insolvenz befinden. Man darf bei der Diskussion nicht übersehen, dass es sich dabei nahezu ausschließlich um den Fall eines Sanierungsplans handeln wird, der inhaltlich genauso gut innerhalb einer außergerichtlichen Sanierung möglich ist. Die Eigenverwaltung ist bei dieser Betrachtung eine Art verfahrensrechtlich notwendiger Mittelweg, die Insolvenzverwaltung durch einen „fremden“ Insolvenzverwalter der „extreme“ andere Weg der Sanierung. Berücksichtigt man diese Zusammenhänge, so kann bei Vermeidbarkeit der materiellen 117 Insolvenz von Konzerngesellschaften bei Konzernen mit klarer Fokussierung der wesentlichen Aktivitäten auf die Muttergesellschaft eine Strategie auch darin bestehen, einen Insolvenzplan für die insolvente Konzernobergesellschaft zu entwickeln und die nicht insolventen Konzerngesellschaften dort wie jedes andere Asset (hier die Beteiligung) auch zu behandeln, insbesondere, wenn man sich von einer in einer solchen Gesellschaft etwa gebündelten Produktions- oder Entwicklungssparte trennen und die Beteiligung (mittels eines M&A-Prozesses) veräußern möchte. Dabei spielt es strukturell nicht grundsätzlich eine Rolle, ob ein Gläubiger der insolventen Mutter auch Forderungen daraus gegen die Tochter aus Garantie oder einem ähnlichen Rechtsverhältnis hat oder ob ihm ein Pfandrecht an der Beteiligung als Finanzsicherheit zur Verfügung steht. Im Rahmen des Insolvenzplans ist diese Thematik lösbar, ohne die Rechte der betroffenen Gläubiger zu beeinträchtigen. Der Betrieb der Tochter wird unbeschadet der Insolvenz der Muttergesellschaft von ihrer Geschäftsführung fortgeführt. ___________ 156) Zu Problemfällen in diesem Zusammenhang vgl. paradigmatisch LG Hamburg, Urt. v. 24.5.2012 – 327 O 822/10 (cha cha positive eating), juris, n. rkr. (Berufung nach juris im Februar 2016 noch anhängig beim OLG Hamburg – 3 U 97/12); s. zu dem Urteil des LG Hamburg Cranshaw, jurisPR-InsR 22/2012, Anm. 2. Zu der Thematik des Missbrauchs einer grenzüberschreitenden Konzernstruktur durch ein Schneeballsystem vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 28.9.2012 – 5 U 17/12, ZIP 2012, 2162 ff. = ZInsO 2012, 2153 ff., dazu Anm. Cranshaw, jurisPR-InsR 23/2012, Anm. 2; nachfolgend BGH, Vorlagebeschl. v. 10.10.2013 – IX ZR 265/12 (Vorlage an den EuGH zur Auslegung von Art. 13 EuInsVO a. F., ZIP 2013, 2167 ff.); EuGH, Urt. v. 16.4.2015 – Rs. C-557/13 (ECZ/Lutz), ZIP 2015, 1030 ff. = DZWIR 2016, 14; BGH, Urt. v. 15.10.2015 – IX ZR 265/12, ZIP 2015, 2284 ff., m. Anm. Cranshaw, jurisPR 22/2015, Anm. 2. 157) S. zu dem Modell eines „Sanierungsverbundes“ nach Maßgabe eines Masterinsolvenzplans bei Ehricke, DZWIR 1999, 353 ff.; Ehricke, ZInsO 2002, 393 ff.

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118 Diese Strukturen dürften durch die im 4. Quartal 2016 bevorstehende Gesetzesinitiative der EU-Kommission zur „Förderung der Konvergenz der Insolvenzverfahren“ i. R. der Verfolgung der Kapitalmarktunion erheblich verstärkt werden.158) IV.

Folgen der Eigenverwaltung

119 Die Eigenverwaltung ändert an den vorstehenden umrissenen Problemfeldern angesichts des gesetzlichen Ziels des Insolvenzverfahrens (§ 1 Satz 1 InsO) und der Methodik, dieses auf dem Wege der Sanierung des insolventen Unternehmensträgers zu erreichen, nicht grundsätzlich etwas. Die Betriebsfortführung als zentraler Teil des durch die Insolvenz verfahrensrechtlich organisierten Sanierungsprozesses steht denselben Problemen gegenüber wie im „Regelinsolvenzverfahren“, abgesehen von der ggf. positiven Wirkung des debtor in possession auf die Märkte des betroffenen Konzerns, der Mutter-, ebenso wie der Tochtergesellschaften. 120 Offen erscheinen die Folgen der Eigenverwaltung für Unternehmensverträge, aufgrund der seit der letzten Auflage des vorliegenden Bandes ergangenen Judikatur des BFH und der Haltung der Finanzverwaltung jedoch nicht mehr für die damit (noch) verbundene steuerliche Organschaft.159) Das bisherige Leitbild der Beendigung der Eingliederung des beherrschten Unternehmens durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen (und die Bestellung eines Insolvenzverwalters mit den Befugnissen des § 80 InsO), das bisher in Praxis und Rechtsprechung vorherrschte, trifft als Folge der zunehmenden Zahl der Eigenverwaltungen allerdings so nicht mehr zu. Andererseits bleibt die Trennung der verschiedenen Gesellschaften und der Verfall des Einflusses der Gesellschaftsorgane auf die Geschäftsführung während des Insolvenzverfahrens (vgl. § 276a InsO). Zudem haben die Geschäftsführer bzw. Vorstände in der Eigenverwaltung ausschließlich die Interessen ihrer Gläubiger und ihrer Massen zu wahren, soweit nicht die Gläubiger in jedem der verschiedenen Verfahren einer Planregelung zustimmen, die im Interesse aller Gläubiger des gesamten Konzerns getroffen wird.160) Der oben umrissene „Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“ (BT-Drucks. 18/407) ändert hieran nichts. Die dortige Koordination ist strukturell eine verfahrensrechtliche Lösung zur Erleichterung der Abläufe, wie wohl bereits aus der Gesetzesbezeichnung („[…] zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“) hervorgeht. 121 Zur Illustration darf das folgende (fiktive) Beispiel herangezogen werden, bei dem die Interessen aller Massen gewahrt werden. In der Praxis tritt eine solche Konstellation in ähnlicher Form nicht selten auf. Beispiel A, eine natürliche Person, erwirbt mittelbar über Objektgesellschaften Immobilien zur Vermietung und zum Handel damit (u. a. zur Gründung und zum Vertrieb von Immobilienfonds), wobei jede Immobilie in eine eigene Objektgesellschaft in der Rechtsform der GmbH & Co. KG eingebracht wird. A ist Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH, Alleinkommanditist der KG und Alleingeschäftsführer der GmbH. Es handelt sich jeweils um Volumina in Millionenhöhe, die er weitgehend fremdfinanziert. A verbürgt sich mit Teilbeträgen und verpfändet die KG-und die GmbH-Anteile an seine beiden finanzierenden Banken B und C. Die Unternehmensgruppe bricht zusammen, alle Gesellschaften werden insolvent. Gläubiger aller Gesellschaften und des A sind die Banken B und C mit jeweils weit über ___________ 158) Vgl. Dokument COM(2015) 468 final, S. 26 – 28, 35. 159) S. Tipke/Lang-Montag, Steuerrecht, § 14 Rz. 28 ff. („Fortentwicklung“) sowie OFD Frankfurt/M., Verfügung v. 11.3.2013 – S 7105 A – 21 – St 110, ZInsO 2013, 1243 ff., zur aktuellen Rechtslage s. o. unter Rz. 94 ff. 160) Das ist tendenziell ein Schritt im Hinblick auf eine faktische materielle Konsolidierung, s. unter Rz. 136 ff.

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90 % der Insolvenzforderungen. Der Konzern wird im Interesse der Großgläubiger zweckmäßig saniert, da die Marktsituation auf Jahre keine sachgerechte Veräußerung der Immobilien gestattet. Der Ertrag aus dem laufenden Betrieb der Immobilien deckt die Massekosten und die sonstigen Masseverbindlichkeiten. In diesem Fall sollte ein einheitlicher Konzerninsolvenzplan auf die Zustimmung der Hauptgläubiger stoßen. bei denen es im Zweifel bei jeder Gesellschaft nur einen einzigen Großgläubiger, den Fremdkapitalgeber, gibt, der in diesem Ausnahmefall die Sanierung durch Anteilserwerb über debt equity swap zweckmäßig vorantreibt (vgl. § 225a Abs. 2 InsO). Dieselbe Konstellation besteht bei ganz ähnlicher Finanzierungsstruktur z. B. bei „Einzweckgesellschaften“(„Projekt-/Objektgesellschaften“), die i. R. eines Konzerns Offshore-Windkraftanlagen betreiben. In deren Insolvenz bleibt dem Finanzier wohl nur übrig, die Betriebsfortführung im Interesse der Realisierung der Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) – die einzige Ertragsquelle und wohl der einzige wirklich werthaltige Vermögenswert der Gesellschaft – zu ermöglichen und mit Hilfe eines Insolvenzplans die Anteilsmehrheit zu erwerben. Die kritischen Strukturen der sicher vereinbarten Kreditsicherheiten weisen in beiden Fällen im Ergebnis nach der hier vertretenen Auffassung diesen Weg zum Sanierungsplan mit ausnahmsweiser Anteilsübernahme durch die Gläubiger.161) Für Sanierungsinsolvenzpläne ergeben sich keine Besonderheiten durch die Eigenverwal- 122 tung, soweit hiervon die Betriebsfortführung betroffen ist. Allerdings stellt sich in der Eigenverwaltung des Konzerns die Frage, welche Funktion 123 der Sachwalter bzw. der vorläufige Sachwalter des jeweiligen Insolvenzverfahrens haben bzw. der jeweilige Gläubigerausschuss. Begreift man die Funktion dieser beiden Organe des Eigenverwaltungsverfahrens herkömmlich als Überwachungs- und Unterstützungstätigkeit, denkt man beim Gläubigerausschuss gar im Fokus im Wesentlichen an die „Kassenprüfung“162) (= Prüfung des Geldverkehrs nach § 69 Satz 2 Alt. 2 InsO), so gelangt man leicht an die Grenzen. Gerade in der Konzerninsolvenz in Eigenverwaltung haben aber beide Gremien ihre darüber deutlich hinausgehende Funktion und Berechtigung, nämlich als dem Aufsichtsrat bzw. dem Kontrollorgan der Geschäftsführung vergleichbare Institutionen. Vor dem Hintergrund des § 276a InsO muss man folgern, dass im Insolvenzverfahren die 124 Aufsichtsfunktionen der Gesellschaftsorgane strukturell und verfahrensbezogen auf Organe des Insolvenzverfahrens übergehen. Dem Aufsichtsrat der Konzernmutter entspricht der Gläubigerausschuss mit dem Sachwalter.163) § 69 InsO muss dazu allenfalls wenig erweiternd gelesen werden. Die Sachwalter und Gläubigerausschussmitglieder der Konzerntochter (sofern es denn einen Gläubigerausschuss gibt) überwachen im Interesse ihrer Masse die Abläufe im Verfahren und hier wieder insbesondere die Betriebsfortführung. Mit anderen Worten üben sie innerhalb der ihnen gesetzlich übertragenen Funktionen interne unternehmerische Tätigkeiten aus.

___________ 161) Die Sicherungszession der durch die Neufassung des EEG reduzierten Einspeisevergütungen ist im eröffneten Insolvenzverfahren wie alle Globalzessionen für den Gläubiger wertlos. Ob sicherungsübereignete Anlagen auf hoher See als solche im Wege der Einzelverwertung vermarktbar sind, erscheint tendenziell problematisch. 162) Zur Kassenprüfung vgl. die ausführliche Darstellung bei Steinwachs/Vallender/Cranshaw-Metoja, Der Gläubigerausschuss, Rz. 515 ff. Zu einem Muster zum Kassenprüfbericht vgl. gleichfalls Steinwachs/ Vallender/Cranshaw-Metoja, Der Gläubigerausschuss in der Insolvenz des Firmenkunden, Anh. IV, S. 410 ff.; vgl. ferner Steinwachs, BP 2006, 246, 249. 163) Zum Gläubigerausschuss der InsO als Aufsichtsrat s. Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, InsO, § 71 InsO Rz. 3; Cranshaw, ZInsO 2012, 1151, 1152, zum vorläufigen Gläubigerausschuss; vgl. auch Steinwachs/ Vallender/Cranshaw-Cranshaw, Der Gläubigerausschuss in der Insolvenz des Firmenkunden, Rz. 14 und Cranshaw/Portisch/Knöpnadel, ZInsO 2015, 8 f., 12.

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125 So ist die Entscheidung im „vorläufigen“ Eigenverwaltungsverfahren, den Eintritt der Aussichtslosigkeit der Sanierung im Schutzschirmverfahren dem Insolvenzgericht anzuzeigen (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO), nicht nur eine Option, sondern eine Pflicht des Gläubigerausschusses. Die Auswirkungen auf die Fortführung sind evident; ggf. kündigt der Absonderungsberechtigte daraufhin einen (stillen) Massekredit, Lieferanten entscheiden sich bspw. nicht mehr oder nur auf Vorkasse zu liefern, Kunden halten sich mit Aufträgen oder Käufen zurück bzw. sie verlangen in den entsprechenden Branchen vermehrt Avale. 126 Die Mitglieder des Gruppen-Gläubigerausschusses nach § 269c InsO-RegE treffen Pflichten im Zusammenhang mit ihren Koordinationsaufgaben und zusätzlich diejenigen im Kontext mit den Verfahren der jeweiligen Konzerngesellschaft, für die sie bestellt wurden. Ihre Haftungsrisiken164) dürften im Vergleich zu den Gläubigerausschüssen der einzelnen Gesellschaften noch erheblich größer sein, da sie auf dem Wege ihrer Aufgaben nach § 269c Abs. 2 InsO-RegE eben Funktionen in den einzelnen Gruppengesellschaften, aber auch in der Koordination haben. Vieles erscheint hier unklar. V.

Entwicklungslinien im Konzerninsolvenzrecht

1.

Deutschland, Folgen der europäischen Entwicklung

127 Betrachtet man die derzeitigen Entwicklungslinien im Konzerninsolvenzrecht, so kann man die Entwicklung in Deutschland nicht wirklich von den internationalen Tendenzen trennen, insbesondere aber nicht von der europäischen Rechtsentwicklung. Letzteres ist ungeachtet der oben umrissenen derzeit dynamischen Rechtsentwicklung auf EU-Ebene, die wesentlich von der EU-Kommission ausgeht, auch deshalb nicht möglich, weil die Novelle zur EuInsVO (siehe unter Rz. 41 ff.), die für alle nach dem 26.6.2017 eröffneten Insolvenzverfahren gilt (vgl. Art. 84 Abs. 1 EuInsVO n. F.), sicherlich dem Teil der Stakeholder des europäischen Insolvenzgeschehens nicht weit genug geht, die einer materiellen Konsolidierung jedenfalls in bestimmten Fällen das Wort reden (siehe unter Rz. 136 ff.). Insoweit wird auch künftig sicher rechtspolitisches Diskussionspotential bleiben. 128 Die dem Vorschlag der EuInsVO-Novelle parallele Mitteilung der Kommission (Dokument COM(2012) 742 final) zeigte zudem bereits, dass man wohl eine Richtlinie zur Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Insolvenzrechtsregelwerke in den zentralen Regelungen des Insolvenzrechts beabsichtigte. Ein weiterer Schritt war die Empfehlung der EU-Kommission vom 12.3.2014.165) Dort geht es im Kern um die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, im Interesse des Binnenmarktes und der zweiten Chance der Unternehmen umgehend Möglichkeiten früher Restrukturierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens durch einen „präventiven Restrukturierungsrahmen“ zu schaffen.166) Der Schuldner soll nach den Grundsätzen dieses Dokuments bei offenkundig drohender Insolvenz als „debtor in possession“ den Weg eines solchen Restrukturierungskonzeptes beschreiten können, wobei Maßnahmen der Gläubiger „zeitweise“ unterbunden werden können sollen. Der von der Gläubigermehrheit angenommene Plan sollte für alle Gläubiger verbindlich sein (soweit der Plan gerichtlich bestätigt würde) und die Unternehmensrefinanzierung zur ___________ 164) Für die Mitgliedschaft im Gruppen-Gläubigerausschuss bedarf es dann auch einer eigenen Versicherung, denn diese Tätigkeit stellt ein anderes zu versicherndes Risiko dar als die Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss des Einzelverfahrens einer konzernzugehörigen Gesellschaft. 165) Dokument C(2014) 1500 final, Empfehlung „[…] für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen“, verfügbar über: http://ec.europa.eu/ justice/civil/files/c_2014_1500_de.pdf (Abrufdatum: 15.2.2016). 166) Dokument C(2014) 1500 final, S. 6, Rz. 6, verfügbar über: http://ec.europa.eu/justice/civil/files/ c_2014_1500_de.pdf (Abrufdatum: 15.2.2016).

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

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notwendigen Umsetzung des Plans sollte (später in einer doch eintretenden Insolvenz) nicht als anfechtbar, nichtig oder relativ unwirksam angreifbar sein. Die nächste Stufe ist die i. R. der Mitteilung über den Aktionsplan zur „Schaffung einer 129 Kapitalmarktunion“ in dem bereits mehrfach erwähnten Dokument COM(2015) 468 final vom 30.9.2015 für das 4. Quartal angekündigte Gesetzesinitiative der EU-Kommission, deren Grundzüge aus dem Begleitdokument SWD(2015) 183 final, dem Commission Staff Working Document sowie den bisherigen Verlautbarungen erkennbar scheinen. Soweit Ziel des Entwurfes ein verbindliches Präventivverfahren außerhalb eines Insol- 130 venzverfahrens (i. S. der EuInsVO a. F./n. F.) wäre, würde eine Sanierung innerhalb des Insolvenzverfahrens, ein vom inländischen Gesetzgeber der InsO bis zum ESUG und zum Konzerninsolvenzrecht verfolgtes Konzept, wohl zum Teil obsolet, einschließlich des bisher strikten einzigen oder doch mindestens primären Insolvenzziels der Gläubigerbefriedigung gemäß § 1 InsO. Das Insolvenzverfahren könnte im Einzelfall ggf. auf ein Residualverfahren zurückgeführt werden.167) Das bisherige Konzept der außergerichtlichen Sanierung (außerhalb eines förmlichen Verfahrens) würde ein anderes Gewand annehmen. Die Betriebsfortführung in der Krise, in der Gruppengesellschaft ebenso wie im Konzern, 131 müsste jedenfalls in Teilen sicher neu überdacht werden. Die bestehende bzw. nach den bisherigen Verlautbarungen mögliche Rechtsentwicklung wird also zugleich bedeutende Konsequenzen für das Konzerninsolvenzrecht ebenso wie für die Unternehmens-/Betriebsfortführung haben. Bereits heute geht ab dem 27.6.2017 ein Teil der Autonomie der Mitgliedstaaten, zu definie- 132 ren, was man unter „Konzerninsolvenzrecht“ versteht, auf den EuGH im Wege der Auslegung der novellierten EuInsVO über. Dies wird seine Wirkung auf die Auslegung der Regelungen der §§ 269a ff. InsO-RegE nicht verfehlen und zwar im Interesse einer Einheitlichkeit der Auslegung und der Rechtssicherheit. Abgeschwächt wird diese Konsequenz dadurch, dass das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO n. F. ganz weitgehend mit dem inländischen Konzept in Gestalt des RegE übereinstimmt. Zugleich wird diese Entwicklung die Debatte um das Konzern-COMI im internationalen Insolvenzrecht168) verstärken, wobei wiederum der EuGH bereits die Linien in den Urteilen „Interedil“ und „Rastelli“ vorgezeichnet hat.169) Das bedeutet ferner, dass die künftige Richtung wohl diejenige der Koordinierung der verschiedenen Einzelverfahren sein wird und der Kooperation der Beteiligten. Gegebenenfalls wird ein Masterinsolvenzplan unter einem „Konzerninsolvenzverwalter“ (ggf. als „Koordinationsverwalter“) oder unter Anleitung durch entsprechende Sachwalter in der Eigenverwaltung die Regel sein. Dieselben Erwägungen gelten dann für einen „präventiven Restrukturierungsplan“, der freilich inhaltlich nichts anderes sein könnte als ein Insolvenzplan. Es versteht sich von selbst, dass die Sanierung eines Unternehmens, erst recht einer ganzen Unternehmensgruppe, ein ökonomischer Vorgang, nur auf der Basis eines planmäßigen Vorgehens Erfolgsaussicht hat. Dasselbe gilt für die verfahrensrechtliche Abwicklung. ___________ 167) Bei den existenzbedrohenden Krisen systemischer Banken ist das wohl bereits eine Option, wie u. a. das oben bereits zitierte SAG, das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz, zeigt. 168) Richtiger Weise wird man künftig tendenziell eher vom Europäischen Internationalen Insolvenz- und Sanierungsrecht sprechen müssen. 169) Die Rspr. ist keineswegs gescheitert, wie Verhoeven, ZInsO 2012, 2369 ff., 2371, meint. Entscheidend hat sich als COMI der „business activities“-Ansatz durchgesetzt, d. h. die nach außen erkennbaren geschäftlichen Aktivitäten einschließlich der Steuerung und Leitung der jeweiligen Gesellschaft bzw. Einzelgesellschaft eines Konzerns sind maßgeblich.

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133 All das hat, wie oben erwähnt, zugleich parallele und entscheidende Auswirkungen auf die Betriebsfortführung. Das Prinzip der Trennung der verschiedenen Gesellschaften wird dabei nicht aufgehoben, sofern nicht die lex fori concursus (oder ein Sanierungsstatut) dies vorsieht und sich im Wettbewerb der nationalen Insolvenzrechte durchsetzt, soweit keine Vollharmonisierung der Insolvenz- und Sanierungsregelwerke auf europäischer Ebene das Ergebnis der Rechtsentwicklung auf der Zeitachse wäre. Sonderinsolvenzverwalter/sachwalter werden kaum vermeidbar sein. Die Kostenstrukturen gilt es dann freilich gegen den Nutzen derartiger Koordinierungen abzuwägen. 134 Das autonome internationale Insolvenzrecht der §§ 335 ff. InsO wird naturgemäß ebenfalls fortentwickelt werden müssen. Außerdem ist das EGInsO an die Änderungen der EuInsVO n. F. ab dem 27.6.2017 anzupassen. 2.

Europäische und internationale Entwicklungen zu einem formellen Konzerninsolvenzrecht, materielles Konzerninsolvenzrecht und „substantive consolidation“

2.1

Formelles Konzerninsolvenzrecht in Gestalt der Führung eines einzigen Verfahrens?

135 Zu den Bestrebungen, zu einem koordinierten formellen Konzerninsolvenzverfahren i. R. der EuInsVO zu gelangen, darf auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Dasselbe gilt für die Bundesrepublik, wo das BMJ bis heute die materielle ebenso wie die formelle Konsolidierung von Einzelinsolvenzen zugunsten bloßer Koordination abgelehnt hat,170) eine Lösung, die in dem oben mehrfach angesprochenen RegE zum Konzerninsolvenzrecht konsequent aufrechterhalten wurde. 2.2

Materielles Konzerninsolvenzrecht, „substantive consolidation“ in der internationalen Praxis

136 Daneben stehen Überlegungen bzw. Postulate aus Praxis und Schrifttum zu einer formellen oder materiellen Konzerninsolvenz durch Mechanismen der Zusammenfassung der verschiedenen Verfahren oder gar Vermögensmassen. Die Diskussion wird wie nicht selten auch hier von Rechtsinstrumenten des US-amerikanischen Rechts beeinflusst und zwar bei den Konzerninsolvenzen insbesondere unter dem Aspekt der „substantive consolidation“, bei der die dogmatischen Grundlagen keineswegs gesichert scheinen.171) Dieses Instrument ___________ 170) Lührig, AnwBl. 2012, 540. 171) S. dazu für die USA Brasher, Substantive Consolidation, http://www.law.harvard.edu/programs/corp_gov/ papers/Brudney2006_Brasher.pdf (Abrufdatum: 27.4.20016); für die EU s. van Galen/Dutilh, The European Insolvency Regulation and Groups of Companies, verfügbar über: http://www.eir-reform.eu/ uploads/papers/Robert%20van%20Galen.pdf (Abrufdatum: 27.4.2016); vgl. aus der jüngeren inländischen Literatur Verhoeven, ZInsO 2012, 1757 ff. Allein schon die Vielfalt der von Brasher zusammengefassten Instrumente zeigt den unterschiedlichen Ansatz: „Substantive Consolidation“ in den hier interessant erscheinenden Fällen des Sanierungsplans nach Chapter 11 des US Bankruptcy Code habe nach verabschiedetem („rechtskräftigem“) Plan die Bildung eines einheitlichen Unternehmens zur Folge. Die davon zu unterscheidende „deemed consolidation“ führt nach Verfahrensbeendigung wieder zu rechtlich voneinander getrennt handelnden Gesellschaften. Die „partial consolidation“ berücksichtigt Sonderinteressen von Gläubigern, die sich allein auf die Haftung der konkreten Schuldnergesellschaft bei Eingehung ihres wirtschaftlichen Engagements verlassen haben und die daher allein aus deren Vermögen Befriedigung erlangen sollen (mit Nachteilen für die Gläubiger der gesamten Gruppe, wenn der betreffende Gläubiger weitgehend befriedigt wird und die Quoten für die anderen Gläubiger dadurch sinken). Davon wiederum ist als weitere dogmatische Struktur das „piercing the veil“, der Rückgriff auf die Muttergesellschaft als Folge der Überschreitung der Grenze der rechtlichen Selbstständigkeit jeder einzelnen Gesellschaft, zu unterscheiden, das man wirtschaftlich als Durchgriffshaftung der Muttergesellschaft verstehen kann. Neben diesen Strukturen steht als „procedural consolidation“ das Instrumentarium der „joint administration“ d. h. der formellen Konsolidierung im oben umrissenen Sinne; s. diese Differenzierungen bei Brasher, Substantive consolidation, S. 3 – 7.

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der richterlichen Rechtsfortbildung führt Vermögensmassen verschiedener rechtlich getrennter Unternehmensträger zusammen und bildet eine einheitliche Vermögensmasse, aus der eine ebenfalls einheitliche Quote für alle Insolvenzgläubiger gebildet wird. In der aktuellen Diskussion in Deutschland wird dieses Instrument ganz weitgehend abgelehnt, vereinzelt aber auch dezidiert befürwortet.172) Die bereits im Jahr 2003 von van Galen auf der Ebene der EuInsVO vertretene Position 137 scheint einen vermittelnden Ansatz zu verfolgen, wenn er für die damals noch neue EuInsVO die bloß verfahrensrechtliche Koordinierung für Unternehmensgruppen postuliert. Der Konzerninsolvenzverwalter sollte nach diesem schon länger zurückliegenden Vorschlag die Verfahren ebenso wie den Verkauf der Aktiva der Konzerntöchter koordinieren. Ferner sollte ein Konzerninsolvenzplan entwickelt werden können. Nur ausnahmsweise, bei untrennbarer Vermischung von Vermögen und Unternehmenstätigkeit der Beteiligten, soll danach zudem eine materielle Konsolidierung möglich sein, die das für die Konzerngesellschaft zuständige Insolvenzgericht beschließt, während das für das Hauptinsolvenzverfahren der Muttergesellschaft zuständige Gericht über die konsolidierten Hauptinsolvenzverfahren aller Gesellschaften entscheidet.173) Den gegen die materielle Konsolidierung sprechenden Argumenten des Gläubigerschutzes 138 der Gläubiger der jeweiligen Konzerngesellschaften wird entgegen gehalten, bei den institutionellen Gläubigern stelle man ohnehin auf den Konzern ab, nicht auf das einzelne Unternehmen. Zudem sei das gesellschaftsrechtliche „Trennungsprinzip“ ohnehin in der Rechtsordnung vielfach durchbrochen. Als Beispiel erwähnt Verhoeven etwa Bürgschaften und Patronatserklärungen. Gerade dieses Beispiel widerlegt den Befürworter; der Finanzier und Bürgschaftsgläubiger stelle sicher auch auf den Konzern als solchen ab, zum Teil mit der Erwägung, dieser werde seine Tochter auch ohne Sicherheit zugunsten des Gläubigers schon nicht fallen lassen.174) Diese Überlegungen sind aus dem Blick der Praxiserfahrung teilweise schlicht unrichtig. Zudem fordert der Gläubiger die Bürgschaft oder die „Mitverpflichtung“ möglichst vieler Konzerngesellschaften auch deshalb, weil der gerne übersehenen Vorschrift des § 43 InsO in ihrem Anwendungsbereich (Gesamtschuld und vergleichbare Konstellationen)175) der Grundsatz der Doppel- oder Mehrfachberücksichtigung

___________ 172) Verhoeven, ZInsO 2012, 1757 ff., mit im Ergebnis ablehnender Erörterung der die „materielle Konsolidation“ bezweifelnden Meinungen. 173) van Galen/Dutilh, The European Insolvency Regulation, http://www.eir-reform.eu/uploads/papers/ Robert%20van%20Galen.pdf, unter V. „Proposals“. 174) Darauf kann sich der Gläubiger ohne harte Patronatserklärung oder eine sonstige Haftung der Konzernobergesellschaft ihm gegenüber nicht verlassen. Die insolvente Konzerngesellschaft wird von der Konzernspitze ggf. aus übergeordneten ökonomischen Gründen fallen gelassen. Um Risiken nicht bei der Mutter zu generieren oder zu belassen, bedient man sich eben gerade der Haftungsbeschränkung. In diesem Kontext darf zudem an die nicht seltenen „Antipatronatserklärungen“ erinnert werden. Bei einem Blick nach Frankreich hat das Phänomen, dass die Mutter nicht zu der Tochter steht, sondern umgekehrt in der Krise noch ihr Vermögen angreift, zu gesetzgeberischen Initiativen geführt, letztlich das Tochtervermögen durch verschiedene Maßnahmen zu schützen; s. das Dokument No 4411 der Assemblée nationale v. 22.2.2012 zu dem Gesetzesvorschlag No 4400 über eine Ergänzung verschiedener Regelungen, u. a. des Art. L 621-2 Code de Commerce um solche zum Schutz des Vermögens von Konzerngesellschaften, dort S. 5 f. Grund war der Fall einer Raffinerie im insolventen „Petroplus-Konzern“, ein anderer derjenige der „Sodimédical“, eine insolvente Gesellschaft in einem deutsch-österreichischen Konzern, s. zu beiden insbesondere das Dokument No 4400 der Assemblée Nationale, S. 7 ff. Das am 12.3.2012 erlassene Gesetz no 2012-346 wurde durch eine Durchführungsregelung in Art. R 621-8-2 Code de Commerce präzisiert und handhabbar gemacht, Décret no 2012-1190 v. 25.10.2012. Die zitierten Gesetze sind verfügbar über: http://www.legifrance.gouv.fr. Ziel der Maßnahmen ist die Bekämpfung von Missbräuchen. 175) S. die Übersicht bei Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid/Leonhardt, InsO, § 43 Rz. 3 – 7.

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innewohnt.176) Der Gläubiger bekommt die Quote aus jedem der Verfahren seiner insolventen Schuldner bis hin zur vollen Befriedigung seiner Insolvenzforderungen (§ 38 InsO).177) 139 Ungerechtfertigten Vorteilen (u. a. auch dem Missbrauch der Verwendung einer juristischen Person zur Haftungsbegrenzung und ähnlichen Konstellationen zum Nachteil der Gläubiger) begegnet das inländische Recht z. B. mit der Insolvenzanfechtung bzw. dem Durchgriff auf den Gesellschafter, insbesondere nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH zum existenzvernichtenden Eingriff gemäß § 826 BGB nach der „Trihotel“-Judikatur.178) 140 Die Überschreitung der Schwelle der juristischen Person durch Bildung einheitlicher Insolvenzmassen ist keineswegs nur eine Frage des Insolvenzplans, also der Quotenverteilung oder der „Quotengerechtigkeit“.179) Sie ist vielmehr wirtschaftlich von hoher Bedeutung für die Betriebsfortführung, rechtlich u. a. für das Gesellschaftsrecht. Nach Bildung einer rechtlich einheitlichen Masse stellen sich für die Fortführung zwar keine unüberwindbaren, aber gravierende Hindernisse, ganz abgesehen davon, wann diese „materielle Konsolidierung“ geschehen soll. Methodisch könnte das nur aufgrund einer richterlichen Entscheidung geschehen oder durch Zustimmung aller betroffenen Gläubiger. Im Rahmen dieses Beitrags kann nur auf die Frage des Betriebsübergangs durch materielle Konsolidierung, die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld und steuerliche Gegebenheiten hingewiesen werden. Es würde nicht entfernt genügen, ein solches materiell konsolidiertes Konzerninsolvenzverfahren in einem gesonderten Abschnitt in der InsO zu schaffen, ohne zugleich weitere Eingriffe in das materielle Insolvenzrecht (z. B. Abschaffung des § 43 InsO), das Arbeitsrecht sowie ggf. das Gesellschafts- und das Steuerrecht vorzunehmen. Es fragt ___________ 176) Daher ist es auch nicht zutreffend, wenn Verhoeven, ZInsO 2012, 1757 ff., 1763 meint, es gehe bei den Personalsicherheiten (bei materieller) Konsolidierung nur um die Bewertung der Personalsicherheiten, die aus seinem Blick ohnehin sehr volatil sind. Es ist eben ein erheblicher Unterschied, ob der Bürgschaftsgläubiger etwa vom Darlehensnehmer und 9 ebenfalls insolventen Gesellschaften, die ihm gegenüber haften, bspw. eine Quote von je nur 7 % erhält (also in summa 70 %) oder bei Konsolidierung einmal eine erhöhte Quote von bspw. 40 %. S. die sehr klare Tabelle bei De Franceschi, Substantive consolidation, S. 179, der zutreffend feststellt (S. 180), dass „upon substantive consolidation certain creditors will improve their recoveries and others will suffer.” 177) Daneben steht die Befriedigung aus bestehenden Sachsicherheiten innerhalb des Konzerns, wobei als weitere „Komplikation“ die Beachtung der „Wahlmöglichkeit“ des Gläubigers aus § 44a InsO hinzukommt. 178) BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = ZIP 2007, 1552 ff., st. Rspr., vgl. auch BGH, Urt. v. 24.7.2012 – II ZR 17/11, ZIP 2012, 1804 ff. 179) Brasher, Substantive Consolidation, abrufbar unter: http://www.law.harvard.edu/programs/corp_gov/ papers/Brudney2006_Brasher.pdf (Abrufdatum 27.4.2016), arbeitet sehr deutlich den letztlich im Kern stehenden Ansatz heraus, den er im US-Recht wohl noch nicht hinreichend berücksichtigt sieht, nämlich einer erweiterten Quotengerechtigkeit unter den Gläubigern der Unternehmensgruppe, die deren strukturelles Ungleichgewicht ausgleicht. Er unterscheidet daher konsequent zwischen „voluntary“ und „involuntary creditors“ (in der deutschen Terminologie die aufoktroyierten Gläubiger, die sich ihren Schuldner nicht aussuchen können, wie der Steuerfiskus auf allen Ebenen und die Sozialversicherungsträger bzw. die Gläubiger mit deliktischen Ansprüchen, die auch Brasher, Substantive Consolidation, S. 16 f., 34 f., erwähnt, ebenso wie den Steuerfiskus). Bei den „freiwilligen“ Gläubigern unterscheidet er zwischen Gläubigern, die „sophisticated“ und solchen, die „unsophisticated“ seien (Brasher, Substantive Consolidation, S. 17). Zu der ersten Gruppe gehören Banken und Finanzgläubiger (Brasher, Substantive Consolidation, S. 17). Dieser Klassifizierung muss man zustimmen, sie ist in allen vergleichbaren Volkswirtschaften ganz ähnlich. Eine der Folgerungen von Brasher (unter Conclusions, S. 46 f.) ist, dass „Courts should not allow sophisticated creditors and shareholders to offload the costs of economic activity on involuntary creditors“. Damit verbunden ist zugleich eine Wertung der Funktion des Gesellschaftsrechts und der Gründe, Konzernstrukturen zu wählen, Ansätze, die vorliegend nicht weiter untersucht werden können. Letzten Endes bedeutet eine materielle Konsolidierung in dem hier beschriebenen Sinne eine neue Definition der par condicio creditorum, die sich im Konzern anders darstelle als bei der Einzelinsolvenz als Folge der Konzernverflechtungen. Das ist bei genauer Betrachtung ein wirtschaftsethischer Ansatz, der die Gläubigergleichbehandlung auch auf einen gewissen Ausgleich der unterschiedlichen Handlungsoptionen der unterschiedlichen Gläubiger bezieht sowie auf deren Marktmacht und deren unterschiedliches Know how; zu wirtschaftsethischen Ansätzen s. a. Fn. 153.

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sich auch, was die Konsequenz einer solchen Konsolidierung nach Rechtskraft der Bestätigung eines Insolvenzplans wäre. Müsste nach § 225a InsO eine Verschmelzung der beteiligten Gesellschaften stattfinden oder würde dann über den Plan eine Entflechtung der Vermögensmassen herbeigeführt unter Fortführung der konsolidierten Gesellschaften mit oder ohne Haftung für Leistungen aus dem Insolvenzplan ? Dezidiert zu widersprechen ist der Auffassung von Verhoeven, wenn die Gläubiger den vorgelegten Gesamtinsolvenzplan nicht wollten, dann könne man ja wieder zu der Abwicklung der Einzelverfahren übergehen.180) Dafür wäre es dann angesichts der fortgeführten und angepassten Prozessschritte insbesondere als Folge der dynamischen Entwicklung nahezu jeder Betriebsfortführung zu spät. Ausweglose Verflechtungen, einer der aufgeführten Anwendungsfälle der materiellen Konsolidierung mit unaufklärbarer Vermögensvermischung, dürften regelmäßig mit gesetzwidrigem Verhalten der Organe der beteiligten Gesellschaften einhergehen und sind mit den herkömmlichen Rechtsinstrumenten des inländischen Rechts zu lösen. Die bloße Erleichterung der Insolvenzabwicklung erscheint kein geeigneter Grund für eine materielle Konsolidierung. 2.3

Anhaltspunkte zur „substantive consolidation“ und deren Schranken in der Rechtsprechung in den USA bzw. Kanada

Zudem darf keineswegs verkannt werden, dass das Instrument der materiellen Konsolidie- 141 rung in den USA (also das Modell der Befürworter der Einführung der materiellen Konsolidierung in die inländische bzw. europäische Rechtsordnung) nicht nur dogmatisch kaum einheitlich beurteilt wird, sondern dass es auch in der Praxis keineswegs flexibel in der Hand der Parteien liegt. Vielmehr sind die Voraussetzungen eng, die „substantive consolidation“ ist die Ausnahme. Nur beispielhaft soll aus der Entscheidung eines USBankruptcy Court vom August 2012 zitiert werden, der wiederum die nachfolgenden Grundsätze zur „substantive consolidation“ einer früheren Rechtsmittelentscheidung des US Court of Appeals (3rd Circuit) zur Grundlage seiner Entscheidung nimmt:181) „(1) Limiting the cross-creep of liability by respecting entity separateness is a ‘fundamental ground rule’. […] As a result, the general expectation of state law and of the Bankruptcy Code, and thus of commercial markets, is that courts respect entity separateness absent compelling circumstances calling equity (and even then only possibly substantive consolidation) into play. (2) The harms substantive consolidation addresses are nearly always those caused by debtors (and entities they control) who disregard separateness. […] (3) Mere benefit to the administration of the case (for example, allowing a court to simplify a case […]) is hardly a harm calling substantive consolidation into play. (4) Indeed, because substantive consolidation is extreme (it may effect profoundly creditor’s rights und recoveries) and imprecise, this ‘rough justice’ remedy should be rare and, in any event, one of the last resort after considering and rejecting other remedies […] (5) While substantive consolidation may be used defensively to remedy the identifiable harms caused by entangled affairs, it may not be used offensively (for example, having a primary purpose to disadvantage tactically a group of creditors in the plan process or to alter creditor rights).”

___________ 180) Verhoeven, ZInsO 2012, 1757 ff., 1764. Folgerichtig aus diesem Blick der materiellen Konsolidierung wird dann auch argumentiert, die Position dissentierender Gläubiger „lediglich einer oder zweier Gesellschaften“ könne seitens des Gerichts durch das cram down des § 245 InsO erledigt werden. 181) S. zu dem folgenden Zitat die Entscheidung des US Bankruptcy Court, District of Kansas v. 17.8.2012 – Case No. 11-11425-11 u. a. (Schubbach Investments LLC), als pdf-Datei verfügbar über: http:// www.ksb.uscourt.gov, S. 9 f. der sich mit dem wiedergegebenen Zitat der Auffassung des US Court of Appeals Third Circuit v. 15.8.2005 anschließt – (Re: Owens Corning), No. 04-4080, 2005 WL 1939796 (3d. Cir.), pdf-Datei, S. 37, verfügbar über: http://www.ca3.uscourts.gov bzw. US App. LEXIS 17150 (3rd Cir.) (Abrufdatum: 25.7.2013).

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142 Diese Rechtsprechung mahnt zur extremen Zurückhaltung bei der Überschreitung der Grenzen der juristischen Person und des Einzelverfahrens durch Umsetzung der „substantive consolidation“.182) In der zitierten Entscheidung „Owens Corning“ hat der Court of Appeals (Third Circuit)183) die materielle Konsolidierung in einem Fall abgelehnt, der durch umfängliche Garantien von Konzerngesellschaften zur Absicherung eines Teils der Forderungen eines großen Bankkonsortiums gegen die Muttergesellschaft gekennzeichnet war.184) Die Aufrechterhaltung der Vermögenstrennung könnte übrigens ganz einfach durch eine entsprechende Regelung in der Vertragsdokumentation bewirkt werden, indem der Gläubiger vertraglich erklärt bzw. vereinbart, ihm komme es im Einvernehmen mit dem jeweiligen Schuldner bzw. Verpflichteten oder Garanten auf die Trennung der Vermögensmassen an. In der US-amerikanischen Literatur warnt eine Stimme geradezu die Gläubiger vor der „substantive consolidation“. Sie werden aufgefordert, die notwendigen Sicherungsmaßnahmen für ihr Kreditinvestment zu treffen bis zu dem Rat, wonach „[…] such creditors would be well advised to consult legal counsel to help them navigate the stormy waters of substantive consolidation both outside and inside bankruptcy proceedings.“185)

143 Die Bewilligung der substantive consolidation stellt sich unverändert als außerordentliche und seltene Maßnahme dar, die eine neuere Entscheidung des US Bankruptcy Court Central District of Illinois vom 3.8.2015 belegt, die auf der Linie der oben umrissenen anderen Entscheidungen liegt und den Antrag auf materielle Konsolidierung ablehnt.186) Das Gericht stellt dort auch den alleinigen Zweck der Konsolidierung dar – und wozu sie nicht dient: „[…] substantive consolidation operates only to combine the assets of the bankruptcy estates for distributional purposes. It does not serve to merger or consolidate the debtors themselves. […]”.

144 Nur am Rande soll ergänzt werden, dass das kanadische Insolvenzrecht, welches wie die USA ebenfalls das Instrument der substantive consolidation als Richterrecht kennt, gleichermaßen eine strikte Beschränkung der Anwendung dieses Instrument vorsieht, wie aus einer jüngeren Entscheidung des Ontario Superior Court of Justice vom 17.10.2014 hervorgeht.187) Dem Begehren auf substantive consolidation wurde zwar stattgegeben, wobei aber der Richter das Instrument nur für angemessen hält, „[…] where the directing mind of the bankrupt estates has conducted the affairs of the bankrupt with the total disregard for the niceties of corporate identity und separate judicial personalities.”,

mit anderen Worten in Fällen des Missbrauchs.

___________ 182) Vgl. zur Entwicklung der „substantive consolidation“ die Entscheidung des US Court of Appeals Third Circuit zu dem Fall „Owens Corning“, No. 04-4080, 2005 WL 1939796 (3d. Cir.); pdf-Datei, S. 23 ff. 183) Zuständig für die US-Bundesstaaten Delaware, New Jersey, Pennsylvania und die United States Virgin Islands. 184) Court of Appeals, Third Circuit (Owens Corning), No. 04-4080, 2005 WL 1939796 (3d. Cir.); pdfDatei, S. 7 – 9. 185) De Franceschi, Substantive consolidation, S. 175 ff., 182 unter „Conclusion”. 186) US Bankruptcy Court Central District of Illinois – Case No. 12-81285, 12-81287 (Bauman/Midwest Asphalt Repair, Inc.), verfügbar über: http://ilcb.uscourts.gov., mit Verlinkungen, pdf-Datei. S. dort zu den Grundzügen der substantive consolidation auf S. 10-12 des pdf-Dokuments zur „Analysis“; zur Abwägung für und gegen die Konsolidierung vgl. S. 17–19 des Dokuments sowie S. 21 f., Tenor S. 23. 187) Ontario Superior Court of Justice, Court File NO: 13-57904, 2014 ONSC 5875 (CanLII), (Bacic v. Millenium Educational & Research Charitable Foundation), verfügbar über: http://www.ontariocourts.ca/ search-canlii/scj/scj-en.htm (Abrufdatum: 21.4.2016).

682

Cranshaw

Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

§ 19

In einem in der Entscheidung herangezogenen Fall aus der kanadischen Judikatur war die 145 Sachlage so, dass „[…] the corporate records were so hopelessly confused or non-existent that it was next to impossible to know which fixed assets belonged to which of the respective bankrupt company.”

Voraussetzung der Anordnung der Konsolidierung ist danach ist eine Abwägung der Vor- 146 und Nachteile: „[…] the test as to substantive consolidation requires the balancing of interests of the affected parties and an assessment whether creditors will suffer greater prejudice in the absence of consolidation and the debtors or any objecting creditor will suffer from its imposition.”

Als Testkriterien, die zur Prüfung der Angemessenheit einer substantive consolidation zu 147 berücksichtigen sind, werden aufgeführt „(a) difficulty in segregating assets; (b) presence of consolidated Financial Statements; (c) profitability of consolidation at a single location; (d) commingling of assets and business functions; (e) unity of interests in ownwership; (f) existence of intercorporate loan guarantees, and (g) transfer of assets without observance of corporate formalities.”188)

2.4

Materielle Konsolidierung in Frankreich

Im französischen Recht besteht – nicht ganz unähnlich der US-amerikanischen Lösung – 148 ebenfalls die Möglichkeit der Einbeziehung von Vermögensmassen in das eröffnete Verfahren eines anderen Rechtsträgers, aber nur „[…] en cas de confusion de leur patrimoine avec celui du débiteur ou de fictivité de la personne morale.“ [Art. L 621-2 alinéa. 2, 3 Code de Commerce [Frankreich])

Die Cour de Cassation hat in einer Entscheidung zu der zitierten Norm in dem hier inte- 149 ressierenden Zusammenhang u. a. vom Missbrauch der Rechtsfigur der juristischen Personen durch die Beteiligten gesprochen.189) Maßstab der Vermögensvermischung („confusion de leur patrimoine“) sind anormale finanzielle Beziehungen der Beteiligten („relations financières anormales […]“). Grenzüberschreitend scheidet diese Möglichkeit bei der Konzerngesellschaft eines französischen Unternehmens mit Sitz bzw. COMI in einem anderen Mitgliedstaat des Geltungsbereichs der EuInsVO a. F./n. F. freilich aus den Gründen des oben zitierten Urteils „Rastelli“ des EuGH aus. 2.5

Die Überlegungen zur materiellen Konsolidierung im Unionsrecht

Im Rahmen der Reform des europäischen Internationalen Insolvenzrechts hatte das Euro- 150 päische Parlament in seiner Entschließung vom 15.11.2011 u. a. vorgeschlagen, bei nicht mehr trennbaren Vermögensmassen, den „Grundsatz der materiellen Zusammenfassung“190) anzuwenden, also die „substantive consolidation“ in einer eingeschränkten, dem französischen Recht ähnlichen Fassung. In der Novelle der EuInsVO wurde dieser Vorschlag nicht aufgegriffen. Allerdings sollte nach diesen Überlegungen die materielle Konsolidierung nur in denjenigen Fällen Platz greifen, in denen ausnahmsweise nicht festgestellt ___________ 188) Ontario Superior Court of Justice, Court File NO: 13-57904, 2014 ONSC 5875 (CanLII), (Bacic v. Millenium Educational & Research Charitable Foundation), verfügbar über: http://www.ontariocourts.ca/ search-canlii/scj/scj-en.htm (Abrufdatum: 21.4.2016), pdf Rz. 108 f., 113, 114 ff. 189) Cour de cassation, chambre commerciale, Arrêt v. 8.10.2012 – No 12-40058, verfügbar über: http:// www.juricaf.org. bzw. http://www.legifrance.gouv.fr/ (Abrufdatum: 1/2013). S. a. Cour de Cassation, Arrêt v. 30.10.2012 – No 11-25560, verfügbar über: http://www.legifrance.gouv.fr/, zu den „relations financières anormales“ unter 40 der Entscheidung a. E. Vgl. ferner die jüngere Entscheidung der Cour de Cassation chambre commerciale v. 16.6.2015 – No du pourvoi: 14-10187, verfügbar über: https:// www.legifrance.gouv.fr/affichJuriJudi.do?idTexte=JURITEXT000030760165 (Abrufdatum: 19.2.2016). 190) S. dazu das Dokument A7-0355/2011 des europäischen Parlaments, verfügbar über: http://www.europarl.europa.eu (Abrufdatum: 27.4.2016).

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683

§ 19

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

werden kann, welches Vermögen welchem Schuldner gehört und wenn eine Bewertung der „gruppeninternen Forderungen“191) nicht möglich sei. Diese Anregung wurde bisher zutreffend nicht aufgegriffen. Es kann im Interesse einer wohl verstandenen Subsidiarität den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten überlassen werden, wie sie sich mit Sachverhalten auseinandersetzen, die auf dem Missbrauch der Rechtsfigur der juristischen Person beruhen und zu einer massiven Schädigung der Gläubigerinteressen führen. VI.

Zusammenfassung, Thesen

151 x

Die Betriebsfortführung in der Konzerninsolvenz führt über die ohnehin bei Betriebsfortführungen bestehenden rechtlichen und ökonomischen Problemfelder hinausgehend zu weitergehenden Aufgabenstellungen für die Planung der Fortführung, da sie die konzerninternen Verflechtungen zu beachten hat.

152 x

Die Planung nimmt daher die gesamte Unternehmensgruppe in den Blick und zwar auch aus dem Blickwinkel jeder einzelnen Gesellschaft. Im Mittelpunkt stehen dabei insbesondere die konzerninternen Beziehungen und die Gegenleistungen dafür, Fragen um die steuerliche Organschaft und die Auswirkungen von Unternehmensverträgen.

153 x

Die Fortführung und deren Planung sind Teil des strategischen Abwicklungskonzepts der Insolvenz der einzelnen Gesellschaft und des Konzerns, es bedarf stets eines tragfähigen Konzeptes.

154 x

Ein formeller Rahmen zur „Erleichterung“ der Abwicklung der Konzerninsolvenz ist wünschenswert. Die EU hat mit der Neufassung der EuInsVO durch die Verordnung (EU) Nr. 2015/848 vom 20.5.2015 ein entsprechendes Regelwerk geschaffen. Der damit weitgehend übereinstimmende Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (BT-Drucks. 18/407) wird als weitere Stufe der Insolvenzrechtsreform verabschiedet werden.192)

155 x

Eine Koordinierung der Verfahren ist, wie die Praxis zeigt, sachgerecht. Sie muss aber die Interessen der Gläubiger jeder einzelnen Gesellschaft wahren. Nicht frei vom Risiko des Interessenkonfliktes ist die Bestellung eines einzigen Konzerninsolvenzverwalters für alle insolventen Gruppen-Gesellschaften. Es darf nicht übersehen werden, dass die Vielzahl der etwa erforderlichen Sonderinsolvenzverwalter – oder Sachwalter, soweit dieses Konzept in Eigenverwaltung umgesetzt wird – die Kosten des Verfahrens (vgl. § 53 InsO) in die Höhe treibt. Der Koordinationsverwalter nach dem RegE des Konzerninsolvenzrechts (BTDrucks. 18/407) dürfte faktisch eine dominierende Rolle einnehmen. Bei diesem Modell handelt es sich dennoch nicht um eine formelle Konsolidierung (Zusammenfassung) der Einzelverfahren mit einem führenden Verfahren, das bestimmend ist.193) In praxi dürfte es bei der bloßen Vorlage eines Masterinsolvenzplans durch den Koordinationsverwalter, wie ihn Literaturstimmen schon lange im Auge haben, nicht bleiben.

Die materielle Konsolidierung, die für die Betriebsfortführung erhebliche Folgen hätte, ist deutlich abzulehnen, die Verfahrenserleichterung reicht zur Legitimation nicht aus. Ob man de lege ferenda vor den dogmatischen Hintergrund einer wirtschaftsethisch determinierten „Quotengerechtigkeit“ für alle Gläubiger im Konzern dieses Instrument für Ausnahmefälle in Erwägung zieht, mag eine andere Frage sein, es wäre aber ___________

156 x

191) Teil 3 lit. E des Dokuments A7-0355/2011. 192) S. dazu die Synopse in § 18 Rz. 194 [Hermann/Fritz]. 193) BT-Drucks. 18/407, S. 16 („Flexible Koordinierungsmechanismen statt Konsolidierungslösungen), S. 17 (ausdrückliche Ablehnung der „verfahrensrechtlichen Zusammenfassung“), S. 22 (ausdrückliche Hervorhebung der „Selbständigkeit der koordinierten Einzelverfahren“).

684

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

§ 19

ein Paradigmenwechsel im Insolvenzrecht mit tiefgreifenden Änderungen im materiellen Insolvenzrecht bis hin zum Gesellschafts- und Steuerrecht. Daraus würde sich eine Fülle ungelöster Fragen ergeben, bspw., ob damit ein einziger Betrieb entstünde oder wie § 613a BGB anzuwenden wäre. Ferner würde sich die Finanzierungs- bzw. Sicherungspraxis ändern, ggf. auch die Praxis der Konzernsteuerung, da die Übertragung von Aufgaben „im Konzern“ zur Risikoauslagerung weitgehend in Frage gestellt würde. Man darf dabei nicht vergessen, dass die „substantive consolidation“ ein Instrument ist, um bei missbräuchlichem, jedenfalls grob fehlerhaftem Handeln im Konzern, die dortigen Problemfelder der Vermögenszuordnung zu dem einen oder anderen Schuldner zu erledigen. Unmittelbare Ursache ist ein desolates oder weitgehend fehlendes Rechnungswesen und ein völliges Fehlen des Controllings als Steuerungsinstrument. x

Sind, wie häufig, ausländische Gruppengesellschaften beteiligt, müssen zudem alle 157 Rechtsvorschriften des ausländischen Rechts bei der Fortführung beachtet werden, nicht nur das dort heranzuziehende Insolvenzrecht, sondern die gesamte Rechtsordnung. Durch unterschiedliche konzernrechtliche Normen bzw. Durchgriffsmöglichkeiten auf die Konzernobergesellschaft können in der Insolvenz unerkannte Risiken entstehen, die den Einsatz von Experten erfordern, die in der entsprechenden Rechtsordnung und in der jeweiligen Branche erfahren sind. Ein solches Outsourcing ist nicht nur zulässig, sondern geboten.

x

Bestimmendes Element bei all den hier diskutierten Fragen wird sicher auch sein, wohin 158 sich das Insolvenzrecht entwickeln wird. Wird es zu einem Schuldnerschutzverfahren oder stehen jedenfalls der Zweck der Unternehmens- bzw. Schuldnersanierung und derjenige der Gläubigerbefriedigung gleichwertig nebeneinander, wie dies (entgegen vereinzelter Stimmen in der Literatur) derzeit freilich nicht dem Gesetzesbefehl des § 1 InsO entspricht? Es ist daran zu erinnern, dass das geltende inländische Insolvenzrecht strukturell „Gesamtvollstreckungsrecht“ ist, also Verfahrensrecht, das die Gläubigerbefriedigung zum Gegenstand hat, wobei die Unternehmenssanierung auch nach dem ESUG eine der Gläubigerautonomie unterliegende Methode der Abwicklung des Insolvenzverfahrens bleibt. Ob dieses gläubigerorientierte Konzept zukunftsfähig bleiben wird, hängt nicht nur von den in der InsO bereits vorhandenen flexiblen Instrumenten und deren Handhabung ab, sondern u. a. auch von der europäischen Rechtsentwicklung und den dort z. B. im EU-Parlament gesetzten Schwerpunkten.

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§ 20 Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren ...................................................... 2 III. Modifizierte Universalität nach der EuInsVO ...................................................... 5 1. Ausgangspunkt: Universeller Geltungsanspruch ........................................ 6 1.1 Durchsetzung des universellen Geltungsanspruchs im Ausland ....... 7 1.2 Einheitliche europäische Kollisionsnorm.................................. 9 1.3 Einheitliche Zuständigkeitsregel: „COMI-Konzept“ ................ 12 2. Modifikationen der Universalität des Hauptverfahrens......................................... 30 2.1 Sekundärinsolvenzverfahren .......... 32 2.2 Sonderkollisionsnormen und Sachnormen..................................... 36 IV. Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführung.................................. 46 1. Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren ..................................................... 48 1.1 Unterschiedlicher Verfahrenszweck ............................................... 49

1.2

Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens....................... 54 1.3 Wirkung der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens ...... 60 2. Mehrere Hauptinsolvenzverfahren........ 63 V. Öffentliche Bekanntmachungen......... 75 VI. Grenzüberschreitende Befugnisse des Insolvenzverwalters ........................ 78 VII. Kooperation der Insolvenzverwalter...... 83 1. Informationspflichten ............................ 84 2. Einwirkungsmöglichkeiten des Hauptinsolvenzverwalters...................... 87 3. Exkurs: Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren ............................ 94 VIII. Kooperation der Insolvenzgerichte .... 97 IX. Ausübung von Wahlrechten .............. 101 X. Austauschverträge zwischen den Verfahren.............................................. 103 XI. Masseverbindlichkeiten aus grenzüberschreitender Betriebsfortführung .......................................... 104 XII. Erhalt des Unternehmens als organisatorischer Verbund................. 116

Literatur: Adam/Poertzgen, Überlegungen zum Europäischen Konzerninsolvenzrecht, ZInsO 2008, 281 (Teil 1), 347 (Teil 2); Beck, Verteilungsfragen im Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, NZI 2007, 1; Beck, Verwertungsfragen im Verhältnis von Hauptund Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, NZI 2006, 609; Bismarck/Schümann-Kleber, Insolvenz eines ausländischen Sicherungsgebers – Anwendung deutscher Vorschriften auf die Verwertung in Deutschland belegener Kreditsicherheiten, NZI 2005, 147; Duursma-Kepplinger, Einfluss eines Sekundärinsolvenzverfahrens auf die Befriedigung von Masseverbindlichkeiten, ZIP 2007, 752; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung, 2002; Ehricke, Zur Kooperation von Insolvenzgerichten bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, ZIP 2007, 2395; Ehricke, Das Verhältnis des Hauptinsolvenzverwalters zum Sekundärinsolvenzverwalter bei grenzüberschreitenden Insolvenzen nach der EuInsVO, ZIP 2005, 1104; Ehricke, Die Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter bei grenzüberschreitenden Insolvenzen nach der EuInsVO, WM 2005, 397; Ehricke, Verfahrenskoordination bei grenzüberschreitenden Unternehmensinsolvenzen in: Festschrift 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001, S. 337; Eidenmüller, Verfahrenskoordination bei Konzerninsolvenzen, ZHR 169 (2005), 528; Eidenmüller, Der Markt für internationale Konzerninsolvenzen: Zuständigkeitskonflikte unter der EuInsVO, NJW 2004, 3455; Eidenmüller, Der nationale und der internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, in: Zeitschrift für Zivilprozess, ZZP 114 (2001), 3; Eidenmüller, Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren und zukünftiges deutsches internationales Insolvenzrecht, IPRax 2001, 2; Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, 2014; Fletcher/Wessels, Global Principles for Cooperation in International Insolvency Cases, IILR 2013, 2; Frind, Ein letzter Pin: Zur Ökonomisierung des Prinzips vom gesetzlichen Richter, ZInsO 2008, 614; Frind, Forum shopping – made in Germany?, ZInsO 2008, 261; Göpfert, In re Maxwell Communications – ein Beispiel einer „koordinierten“ Insolvenzverwaltung in parallelen Verfahren, ZZPInt 1 (1996), 269; Haas, Die Verwertung der im Ausland belegenen Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter im Anwendungsbereich der EuInsVO, in: Festschrift für Walter Gerhardt, 2004, S. 319; Herchen, Die Befugnisse des deutschen Insolvenzverwalters hinsichtlich der „Auslandsmasse“ nach Inkrafttreten der EG-Insolvenzverordnung (Verordnung des Rates Nr. 1346/2000), ZInsO 2002, 345; Herchen, Das Übereinkommen über Insolvenzverfahren der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 23.11.1995 – Eine Analyse zentraler Fragen des Internationalen Insolvenzrechts unter beson-

Undritz/Meyer-Sommer

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§ 20

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

derer Berücksichtigung dinglichere Sicherungsrechte, 2000; Hirte, Sechs Thesen zur Kodifikation der Konzerninsolvenz in der EuInsVO, ZInsO 2011, 1788; Hirte, Towards a Framework for the Regulation of Corporate Groups’ Insolvencies, ECFR 2008, 213; Hirte, Vorschläge für die Kodifikation eines Konzerninsolvenzrechts, ZIP 2008, 444; Knof/Mock, Noch einmal: Forumshopping in der Konzerninsolvenz, ZInsO 2008, 499; Knof/Mock, Innerstaatliches Forum Shopping in der Konzerninsolvenz – Cologne Calling?, ZInsO 2008, 253; Lüke, Das europäische internationale Insolvenzrecht, ZZP 111 (1998), 275; Mankowski, Zusicherungen zur Vermeidung von Sekundärinsolvenzen unter Art. 36 EuInsVO – Synthetische Sekundärverfahren, NZI 2015, 961; Meyer-Löwy/Poertzgen, Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) löst Kompetenzkonflikt nach der EuInsVO, ZInsO 2004, 195; Parzinger, Die neue EuInsVO auf einen Blick, NZI 2016, 63, Paulus, Die ersten Jahre mit der Europäischen. Insolvenzverordnung: Erfahrungen und Erwartungen, RabelsZ 2006, 458; Paulus, Das inländische Parallelverfahren nach der Europäischen Insolvenzverordnung, EWS 2002, 497; Paulus, „Protokolle“ – ein anderer Zugang zur Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzen, ZIP 1998, 977; Reinhart, Sanierungsverfahren im internationalen Insolvenzrecht, 1995; Ringstmeier/Homann, Masseverbindlichkeiten als Prüfstein des internationalen Insolvenzrechts, NZI 2004, 354; Smid, Judikatur zum internationalen Insolvenzrecht, DZWIR 2004, 397; Staak, Mögliche Probleme i. R. der Koordination von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO), NZI 2004, 480; Thole, Die Reform der Europäischen Insolvenzverordnung, ZEuP 2014, 39; Vallender, Judicial cooperation within the EC Insolvency Regulation, IILR 2011, 309; Vallender, Die Zusammenarbeit von Richtern in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren nach der EuInsVO, in:. Festschrift für Hans-Jochem Lüer, 2008, S. 479; Westbrook, The Lessons of Maxwell Communication, Fordham L. Rev. 64 (1996), 2531; Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004.

I.

Einleitung

1 Die Fortführung des schuldnerischen Betriebes in der Insolvenz stellt eine besondere Herausforderung für alle an dem Insolvenzverfahren Beteiligten dar: Mit einem Schlag ändern sich die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der unternehmerischen Tätigkeit. Die Verhinderung des Kollapses der unternehmerischen Tätigkeit in den ersten Tagen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. – aus deutscher Sicht – nach Stellung des Insolvenzantrags ist für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter in der Regel ein Kraftakt. Die ganz unterschiedlichen rechtlichen, aber vor allem auch betriebswirtschaftlichen Maßnahmen, die es unmittelbar zu ergreifen gilt, werden an anderer Stelle dieses Handbuchs ausführlich dargestellt. Die ohnehin schon komplexe Situation wird aber zusätzlich noch einmal deutlich komplexer, wenn die unternehmerische Tätigkeit des Schuldners die Grenzen überschritten hat. Denn nicht einmal für den europäischen Binnenmarkt gilt ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen für die grenzüberschreitende Betriebsfortführung in der Insolvenz. Eine grenzüberschreitende Betriebsfortführung hat daher regelmäßig die Vorgaben ganz unterschiedlicher Sachrechte zu beachten, d. h. vor allem unterschiedliche nationale Insolvenzrechte, aber auch unterschiedliche Kreditsicherungsrechte oder arbeits- und sozialrechtliche Vorgaben. Damit diese unterschiedlichen Vorgaben für die grenzüberschreitende Betriebsfortführung erfüllt werden können, ist ein koordiniertes Vorgehen erforderlich. Die spezielle Herausforderung der Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführung steht im Folgenden im Mittelpunkt. II.

Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren

2 Im Ausgangspunkt hat man zwei Sachverhalte grenzüberschreitender Insolvenz zu unterscheiden: x

Einmal die Insolvenz eines Unternehmens, dessen grenzüberschreitende Tätigkeit mit Niederlassungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit organisiert ist und ferner

x

die Insolvenz einer Unternehmensgruppe, deren Tätigkeit unter mehreren Gesellschaften „arbeitsteilig“ aufgeteilt ist.

3 Da auch im Fall der grenzüberschreitenden Insolvenz der Grundsatz „Eine Person, eine Insolvenz, ein Verfahren“ gilt, stellen sich in den beiden unterschiedlichen Konstellationen entsprechend unterschiedliche Herausforderungen im Hinblick auf die Koordination der 688

Undritz/Meyer-Sommer

Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 20

Verfahren im Allgemeinen bzw. der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung im Besonderen. Im Mittelpunkt stehen hier im Folgenden grenzüberschreitende Insolvenzen, bei denen 4 sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners i. S. von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in einem Mitgliedstaat der EU befindet und ein Bezug zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat gegeben ist.1) Den Rechtsrahmen der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung stellt in diesen Sachverhalten dann die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (kurz: EuInsVO)2) bzw. die Verordnung (EG) Nr. 2015/848 des Rates vom 20.5.2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung) (kurz: EuInsVO n. F.)3) auf. Die EuInsVO n. F. ist nach ihrer Übergangsbestimmung in Art. 84 EuInsVO n. F. nur auf solche Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 26.6.2017 eröffnet worden sind. Ferner gilt für Rechtshandlungen des Schuldners, die vor dem 26.6.2017 vorgenommen worden sind, weiterhin das Recht, das für diese Rechtshandlung anwendbar war, als sie vorgenommen wurde. Aufgrund dieses zeitlichen Anwendungsbereichs der EuInsVO n. F. steht im Folgenden die bisherige Fassung der EuInsVO unverändert im Mittelpunkt der Ausführungen. Auf die Neufassung der EuInsVO wird aber dort, wo es sich anbietet, i. R. eines Ausblicks Bezug genommen, insbesondere wenn die EuInsVO n. F. Klarstellungen enthält, die bereits heute im Zusammenhang mit der Auslegung der derzeit geltenden Fassung von Bedeutung sein können. III.

Modifizierte Universalität nach der EuInsVO

Die grenzüberschreitende Insolvenz ist (auch) im Anwendungsbereich der EuInsVO vom 5 Grundsatz der sog. modifizierten Universalität geprägt.4) 1.

Ausgangspunkt: Universeller Geltungsanspruch

Nach diesem Grundsatz gilt zunächst, dass jedes Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich 6 der EuInsVO einen universellen Geltungsanspruch hat, d. h. keine territoriale Begrenzung ihrer Wirkungen kennt.5) Das Insolvenzverfahren erfasst demnach vor allem auch das ausländische Vermögen des Schuldners, das der Verwalter zu der einen Insolvenzmasse zu ziehen hat. Das ergibt sich in den allermeisten Insolvenzrechten an sich bereits daraus, dass der mit der Verfahrenseröffnung einhergehende Vermögensbeschlag keine räumliche Beschränkung der Insolvenzmasse auf das im Inland belegene Vermögen vorsieht, sondern schlicht das gesamte schuldnerische Vermögen erfasst (vgl. für das deutsche Insolvenzverfahren etwa § 35 InsO).6) 1.1

Durchsetzung des universellen Geltungsanspruchs im Ausland

Die Durchsetzung dieses universellen Geltungsanspruchs im Ausland hängt dann freilich 7 davon ab, ob das deutsche Insolvenzverfahren „grenzüberschreitend“ anerkannt wird oder ___________ 1) Zu der Frage, wann ein hinreichender Bezug zu einem weiteren Mitgliedstaat gegeben ist, s. statt vieler Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 6 ff. 2) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. (EG) Nr. L 160/1 ff. 3) Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. (EU) Nr. L 141/19 ff.; zur Reform der EuInsVO s. etwa Thole, ZEuP 2014, 39; Parzinger, NZI 2016, 63. 4) Statt vieler Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, Int. InsR, Art. 3 EuInsVO Rz. 5; Kindler in: MünchKommBGB, Art. 3 EuInsVO Rz. 6: „kontrollierte Universalität“. 5) Derselbe universelle Geltungsanspruch wird im Übrigen regelmäßig außerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO erhoben, so etwa auch von dem deutschen Insolvenzrecht. 6) Hier wird freilich nicht die Universalität i. S. des internationalen Insolvenzrechts mit der Universalität der Beschlagwirkung eins gesetzt, vgl. auch den Hinweis zur Verwendung des Begriffes bei Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, Int. InsR, Art. 16 EuInsVO Rz. 2.

Undritz/Meyer-Sommer

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§ 20

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

nicht. Diese Frage ist für grenzüberschreitende Insolvenzsachverhalte im räumlichen Anwendungsbereich der EuInsVO mit Blick auf die Art. 16 und 17 EuInsVO zu bejahen, die im Schrifttum – zu Recht – regelmäßig als Herzstück der EuInsVO bezeichnet werden:7) x

Nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO wird die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Neben der automatischen Anerkennung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 16 EuInsVO, bestimmt Art. 25 EuInsVO die Anerkennung und Vollstreckung weiterer gerichtlicher Entscheidungen, die im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren ergehen.

x

Über die automatische Anerkennung der Verfahrenseröffnung hinaus gilt im Anwendungsbereich der EuInsVO auch der Grundsatz der Wirkungserstreckung. Hiernach entfaltet die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 17 Abs. 1 EuInsVO in jedem anderen Mitgliedstaat die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt, ohne dass es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten oder „Transformationsakte“ bedürfte.

8 Die automatische Anerkennung und Wirkungserstreckung bleibt auch in der neugefassten EuInsVO unverändert das Herzstück. Dort finden sich die entsprechenden Regelungen in Art. 19 und 20 EuInsVO n. F. bzw. in Art. 32 EuInsVO n. F. hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung weiterer gerichtlicher Entscheidungen, die im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren ergehen. 1.2

Einheitliche europäische Kollisionsnorm

9 Für das Insolvenzverfahren und seine materiell-rechtlichen Wirkungen gilt nach Art. 4 EuInsVO das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird (lex fori concursus). Der Art. 4 EuInsVO statuiert eine einheitliche europäische Kollisionsnorm für das Insolvenzrecht, die als Sachnormverweisung das jeweilige Internationale Privatrecht der Mitgliedstaaten verdrängt.8) Damit ist ein gewisser Gleichlauf von Verfahrensrecht und anwendbarem materiellen Recht hergestellt. Das Gericht des Staates der Verfahrenseröffnung wendet im Ausgangspunkt sein ihm vertrautes nationales Insolvenzrecht an. Die Frage, welche Regelungsgegenstände ganz konkret unter den Anknüpfungsgegenstand der Grundkollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO (= „das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“) zu subsumieren sind, ist im Wege der Qualifikation zu beantworten. Dabei geht es häufig um die Abgrenzung von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht.9) Im Ausgangspunkt hilft hier die Auflistung in Absatz 2 des Art. 4 EuInsVO. Hiernach regelt das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt „insbesondere“: 1. bei welcher Art von Schuldnern ein Insolvenzverfahren zulässig ist; 2. welche Vermögenswerte zur Masse gehören und wie die nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte zu behandeln sind; 3. die jeweiligen Befugnisse des Schuldners und des Verwalters; 4. die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung; ___________ 7) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 16 EuInsVO Rz. 1; Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, Int. InsR, Art. 16 EuInsVO Rz. 1. 8) Zum Charakter des Art. 4 EuInsVO als Sachnormverweisung s. Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, Int. InsR, Art. 4 EuInsVO Rz. 1. 9) Ausführlich dazu Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 4 EuInsVO Rz. 9 ff.; zur Reichweite des Insolvenzstatuts s. a. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 4 EuInsVO Rz. 2 ff.

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§ 20

5. wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt; 6. wie sich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt; ausgenommen sind die Wirkungen auf anhängige Rechtsstreitigkeiten; 7. welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen; 8. die Anmeldung, die Prüfung und die Feststellung der Forderungen; 9. die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Vermögens, den Rang der Forderungen und die Rechte der Gläubiger, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines dinglichen Rechts oder infolge einer Aufrechnung teilweise befriedigt wurden; 10. die Voraussetzungen und die Wirkungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens, insbesondere durch Vergleich; 11. die Rechte der Gläubiger nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens; 12. wer die Kosten des Insolvenzverfahrens einschließlich der Auslagen zu tragen hat; 13. welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. Die lex fori concursus kommt nach der Grundkollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 10 aber nur zur Anwendung, soweit die EuInsVO nichts anderes bestimmt. Solche „anderen Bestimmungen“ finden sich vor allem in den Art. 5 bis 15 EuInsVO; zu diesen Ausnahmen von der Grundkollisionsnorm sogleich im Folgenden unter Rz. 36 ff. Bei diesem Konzept einer einheitlichen europäischen Kollisionsnorm bleibt es gemäß Art. 7 11 EuInsVO n. F. auch nach dem 26.6.2017, und zwar auch mit entsprechenden „anderen Bestimmungen“ in Art. 8 bis 18 EuInsVO n. F. 1.3

Einheitliche Zuständigkeitsregel: „COMI-Konzept“

Nicht zuletzt wegen der Anknüpfung der Grundkollisionsnorm des Art. 4 EuInsVO an das 12 Recht des Staates der Verfahrenseröffnung steht die Frage der internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens im Zentrum der grenzüberschreitenden Insolvenz. Die Antwort auf diese Frage gibt Art. 3 Abs. 1 EuInsVO: Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“ – oder in der englischen Fassung „center of main interests“ (kurz: COMI) – beschäftigt die Rechtsprechung und das Schrifttum seit dem Inkrafttreten der Verordnung am 31.5.2002 bis heute. Die zahlreichen Veröffentlichungen legen von dieser europaweit geführten Diskussion beredt Zeugnis ab.10) Bei Gesellschaften und juristischen Personen hilft im Ausgangspunkt noch die Vermu- 13 tungsregel des Satzes 2 von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Hiernach wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. In der Rechtssache Eurofood hat der EuGH11) die Leitlinien für die Konkretisierung des 14 unbestimmten Rechtsbegriffs des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“ in Art. 3 ___________ 10) Vgl. etwa die Zusammenstellung des Schrifttums vor der Kommentierung des Art. 3 EuInsVO von Kindler in: MünchKomm-BGB; s. a. die Hinweise bei Leible in: Münch-Hdb. GesR, Bd. 6, § 35. 11) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood IFSC Ltd), ZIP 2006, 907 = NZI 2006, 360.

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Abs. 1 EuInsVO festgelegt, die immer noch uneingeschränkt gelten. Der EuGH hob bei der Auslegung vor allem die 13. Begründungserwägung der Verordnung hervor, wo es heißt:12) „Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen sollte der Ort gelten, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist.”

15 Aus dieser Definition des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen durch den EuGH geht hervor, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen ist.13) Diese Objektivität und diese Möglichkeit der Feststellung durch Dritte sind nach Ansicht des EuGH erforderlich, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren. Diese Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit seien umso wichtiger, als die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO die des anwendbaren Rechts nach sich ziehe. 16 In der Rechtssache Interedil präzisierte der EuGH14) die Vorgaben aus seiner EurofoodEntscheidung dahingehend, dass er eine „Gesamtbetrachtung“ für maßgeblich erachtet.15) Der EuGH stärkt aber die Vermutungswirkung des satzungsmäßigen Sitzes nach Absatz 1 Satz 2 des Art. 3 EuInsVO: „Wenn sich die Verwaltungs- und Kontrollorgane einer Gesellschaft am Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes befinden und die Verwaltungsentscheidungen der Gesellschaft in durch Dritte feststellbarer Weise an diesem Ort getroffen werden, lässt sich die in dieser Vorschrift aufgestellte Vermutung nicht widerlegen.“

17 Die Vermutung kann nach Auffassung des EuGH indessen widerlegt werden, wenn sich der Ort der Hauptverwaltung einer Gesellschaft aus der Sicht von Dritten nicht am Ort des satzungsmäßigen Sitzes befindet. Zu den für die Bestimmung des Ortes des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners maßgeblichen Umstände gehören dann vor allem alle Umstände, die mit der Entfaltung einer operativen Tätigkeit des Schuldners an einem bestimmten Ort zusammenhängen, wie z. B. der Ort der Belegenheit von Geschäftsräumen, Produktionsstätten oder Warenlagern, der Einsatzort von Arbeitnehmern sowie der Ort der Einrichtung von Geschäftskonten für den Zahlungsverkehr mit Gläubigern.16) 18 Die Neufassung der EuInsVO17) sieht eine ausdrückliche Konkretisierung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO n. F. vor:18) „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist.“

19 Da diese Konkretisierung auf die Formulierung in der 13. Begründungserwägung der EuInsVO zurückgeht, so wie sie auch in der Rechtsprechung des EuGH bereits mehrfach ___________ 12) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood IFSC Ltd), Rz. 32, ZIP 2006, 907 = NZI 2006, 360; genau mit diesen Worten hat der Normgeber in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO n. F. den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nunmehr ausdrücklich näher konkretisiert, dazu sogleich im Folgenden. 13) Dazu und zum Folgenden EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood IFSC Ltd), Rz. 33, ZIP 2006, 907 = NZI 2006, 360. 14) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), ZIP 2011, 2153 = NZI 2011, 990 m. Anm. Mankowski. 15) Dazu auch Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 6; s. a. Erwägungsgrund 30 EuInsVO n. F., der ebenfalls eine „Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren“ für die Zuständigkeitsentscheidung voraussetzt. 16) Zu den unterschiedlichen Kriterien s. a. Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 14. 17) Abl. (EU) Nr. L 141/19 ff. 18) Bei einer natürlichen Person, die eine selbstständige oder freiberufliche Tätigkeit ausübt, gilt als Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen ihre Hauptniederlassung; bei allen anderen natürlichen Personen gilt als Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts.

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zur Konkretisierung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen herangezogen wurde, ist mit der Ergänzung des Wortlauts keine Neuerung verbunden, nicht einmal ein Gewinn an Rechtssicherheit. In Anlehnung an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Interedil ist zudem ein 20 neuer Erwägungsgrund Nr. 30 in die Neufassung der EuInsVO aufgenommen worden, der (auszugsweise) wie folgt lautet: „[…] (30) Folglich sollten die Annahmen, dass der Sitz, die Hauptniederlassung und der gewöhnliche Aufenthalt jeweils der Mittelpunkt des hauptsächlichen Interesses sind, widerlegbar sein, und das jeweilige Gericht eines Mitgliedstaats sollte sorgfältig prüfen, ob sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners tatsächlich in diesem Mitgliedstaat befindet. Bei einer Gesellschaft sollte diese Vermutung widerlegt werden können, wenn sich die Hauptverwaltung der Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet als in dem Mitgliedstaat, in dem sich der Sitz der Gesellschaft befindet, und wenn eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten überprüfbare Feststellung zulässt, dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in diesem anderen Mitgliedstaat befindet. […]“

Konkreter Maßgaben enthält der Erwägungsgrund Nr. 30 der EuInsVO n. F. hinsichtlich 21 des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen natürlicher Personen: „[…] Bei einer natürlichen Person, die keine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt, sollte diese Vermutung [gemeint in diesem Kontext: die Vermutung, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Mittelpunkt des hauptsächlichen Interesses ist] widerlegt werden können, wenn sich z. B. der Großteil des Vermögens des Schuldners außerhalb des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts des Schuldners befindet oder wenn festgestellt werden kann, dass der Hauptgrund für einen Umzug darin bestand, einen Insolvenzantrag im neuen Gerichtsstand zu stellen, und die Interessen der Gläubiger, die vor dem Umzug eine Rechtsbeziehung mit dem Schuldner eingegangen sind, durch einen solchen Insolvenzantrag wesentlich beeinträchtigt würden.“

Diese Konkretisierung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen natürlicher Per- 22 sonen soll dem „Restschuldbefreiungs-Tourismus“ in Europa erschweren. In Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2 EuInsVO n. F. ist eine weitere Hürde für rechtsmiss- 23 bräuchliches Forum Shopping aufgestellt worden: Die Vermutung, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen einer Gesellschaft oder juristischen Person ihr Sitz ist, soll nicht gelten, wenn der Schuldner seinen Sitz in einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat. Damit hat der europäische Normgeber erstmals eine période suspecte hinsichtlich der Vermutungsregel zugunsten des Sitzes des Schuldners eingefügt. Dies geht über die bisherige Rechtsprechung des EuGH hinaus, mag auch bisher schon gegolten haben, dass die Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen nicht „ad hoc“ durch Verlegung des Satzungssitzes zu bewerkstelligen war, sondern bereits rein faktisch mehr Zeit in Anspruch genommen hat. Auch im Hinblick auf natürliche Personen, die eine selbständige gewerbliche oder freibe- 24 rufliche Tätigkeit ausüben, wurde eine solche période suspecte hinsichtlich der Vermutungsregel eingefügt: Hier wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen ihre Hauptniederlassung ist. Diese Annahme gilt nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 2 EuInsVO n. F. aber nur, wenn die Hauptniederlassung der natürlichen Person nicht in einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde. Bei allen anderen natürlichen Personen wird die entsprechende période suspecte sogar noch 25 weiter auf sechs Monate ausgedehnt: Hier gilt im Ausgangspunkt nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 Satz 1 EuInsVO n. F. bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung, dass der

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Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der nicht gewerblich oder freiberuflich tätigen natürlichen Personen der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts ist. Diese Annahme gilt nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 Satz 2 EuInsVO n. F. jedoch nur, wenn der gewöhnliche Aufenthalt nicht in einem Zeitraum von sechs Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde. 26 Es ist zu erwarten, dass diese neu eingefügte période suspecte hinsichtlich der Vermutungsregel in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO n. F. bereits vor ihrer direkten Anwendbarkeit nach dem 26.6.2017 gewisse Vorwirkungen zeitigt. Bereits jetzt dürften Sitzverlegungen bzw. Verlegungen der Hauptniederlassung oder des gewöhnlichen Aufenthalts in den Zeiträumen von drei bzw. sogar sechs Monaten vor Antragstellung besonders kritisch hinterfragt werden. 27 Besondere Schwierigkeiten macht die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in Konzernsachverhalten.19) Wie eingangs bereits betont gilt auch nach der EuInsVO der Grundsatz „Eine Person, eine Insolvenz, ein Verfahren“, sodass für jede Konzerngesellschaft der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen eigenständig bestimmt werden muss.20) In der Praxis wird der Umstand, dass der Schuldner Teil eines Konzernverbundes ist, freilich nicht völlig ausgeblendet. Vielmehr gelangen zahlreiche Gerichte vor wie nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eurofood in Konzernsachverhalten zu einer schnellen Widerlegung der Vermutung in Absatz 1 Satz 2 des Art. 3 EuInsVO und damit im Ergebnis zu einem „Konzerngerichtsstand“ für Mutter- und Tochtergesellschaften an ein und demselben Ort.21) 28 Die Neufassung der EuInsVO22) hält an dem Grundsatz „Eine Person, eine Insolvenz, ein Verfahren“ auch für Konzernsachverhalte fest. Sie enthält auch keine Ergänzung des Art. 3 EuInsVO um einen einheitlichen Konzerngerichtsstand.23) Allerdings enthält die Neufassung der EuInsVO in Kapitel V umfassende Maßgaben für Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe, welche die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den mehreren Insolvenzverwaltern (Art. 56 EuInsVO n. F.), zwischen den mehreren Gerichten (Art. 57 EuInsVO n. F.) und zwischen den Insolvenzverwaltern und den Gerichten (Art. 58 EuInsVO n. F.) betreffen. Ferner wird zukünftig ein (freiwilliges) Gruppen-Koordinationsverfahren (Art. 61 bis 77 EuInsVO n. F.) zur Verfügung gestellt. 29 Die Vorschriften der neugefassten EuInsVO über die Zusammenarbeit, Kommunikation und Koordinierung i. R. von Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe sollten jedoch nur insoweit Anwendung finden, als Verfahren über das Vermögen verschiedener Mitglieder derselben Unternehmensgruppe in mehr als einem Mitgliedstaat eröffnet worden sind. Ausweislich Erwägungsgrund 53 der EuInsVO n. F. ___________ 19) Dazu und zum Folgenden auch Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 7. 20) Vgl. zu diesem Grundsatz EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10 (Rastelli), ZIP 2012, 183 = NZI 2012, 148 m. Anm. Mankowski. 21) Dazu Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 16 f. Ebenso wie in Deutschland unter extensiver Auslegung des § 3 InsO bei nationalen Konzerninsolvenzen de facto ein „Konzerngerichtsstand“ für Mutter- und Tochtergesellschaften begründet wird, s. zu einem reinen Binnensachverhalt vor allem AG Köln, Beschl. v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07 (PIN), ZIP 2008, 982 = ZInsO 2008, 215, dazu EWiR 2008, 595 (K. Müller); ferner die Kontroverse zwischen Knof/Mock, ZInsO 2008, 253; Knof/Mock, ZInsO 2008, 499 und Frind, ZInsO 2008, 261, 263; Frind, ZInsO 2008, 614; mit Auslandsbezug dagegen AG Köln, Beschl. v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08 (PIN II), ZIP 2008, 423 = ZInsO 2008, 388, dazu EWiR 2008, 531 (Paulus). 22) ABl. (EU) Nr. L 141/19 ff. 23) Anders der DiskE des BMJ eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen v. 3.1.2013, der für die deutsche Regelung der Zuständigkeit in § 3 InsO eine Ergänzung um einen Konzerninsolvenzgerichtsstand vorschlägt. Die Regelung findet sich auch in dem nachgefolgten RegE v. 28.8.2013.

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sollte durch die Einführung von Vorschriften über die Insolvenzverfahren von Unternehmensgruppen ein Gericht nicht in seiner Möglichkeit eingeschränkt werden, Insolvenzverfahren über das Vermögen mehrerer Gesellschaften, die derselben Unternehmensgruppe angehören, nur an einem Gerichtsstand zu eröffnen, wenn es feststellt, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen dieser Gesellschaften in einem einzigen Mitgliedstaat liegt. In diesen Fällen sollte das Gericht für alle Verfahren ggf. dieselbe Person als Verwalter bestellen können, sofern dies mit den dafür geltenden Vorschriften vereinbar ist. Im Hinblick auf die mannigfaltigen Fragen rund um die Auslegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen in Konzernsachverhalten wird mithin alles beim Alten bleiben. 2.

Modifikationen der Universalität des Hauptverfahrens

Die automatische Anerkennung und Wirkungserstreckung erfährt nun in zweifacher Weise 30 eine Modifikation: x

Zum einen durch die Möglichkeit nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO neben dem bereits eröffneten Hauptinsolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat ein sog. Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen. Die Einzelheiten des Sekundärinsolvenzverfahrens sind in Art. 27 ff. EuInsVO geregelt.

x

Zum anderen durch Sonderkollisionsnormen und Sachnormen des europäischen Rechts, insbesondere in den Art. 5 bis 15 EuInsVO.

Bei diesen Modifikationen bleibt es auch nach der Neufassung der EuInsVO:

31

x

Die Möglichkeit neben dem bereits eröffneten Hauptinsolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat ein sog. Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen, findet sich unverändert in Art. 3 Abs. 2 EuInsVO n. F. Die Einzelheiten des Sekundärinsolvenzverfahrens sind in Art. 34 ff. EuInsVO n. F. geregelt.

x

Die Modifikationen durch Sonderkollisionsnormen und Sachnormen des europäischen Rechts finden sich insbesondere in den Art. 8 bis 18 EuInsVO n. F.

2.1

Sekundärinsolvenzverfahren

Im Falle der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens wird zum Schutz der Interessen 32 der „lokalen Gläubiger“ eine territorial begrenzte Ausnahme zur Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens gemacht. Die Anwendung des Rechts des Staates der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens wird insoweit zurückgedrängt, als auf das Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 28 EuInsVO (= Art. 35 EuInsVO n. F.) sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht das Recht des Mitgliedstaates Anwendung findet, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden ist (lex fori concursus secundarii). Letztlich gilt auch für das Sekundärinsolvenzverfahren die Aussage der Grundkollisionsnorm nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO, dass nämlich für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des „Staats der Verfahrenseröffnung“ anzuwenden ist.24) Die Wirkungen dieses Sekundärinsolvenzverfahrens sind nach Art. 27 Abs. 1 Satz 3 33 EuInsVO (= Art. 34 Satz 3 EuInsVO n. F.) auf das im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats belegene Vermögen des Schuldners beschränkt. Die universelle Wirkungserstreckung des Hauptinsolvenzverfahrens wird mithin nicht schlechterdings in Frage gestellt, sondern lediglich territorial begrenzt. Der grundsätzlich das gesamte schuldnerische Vermögen erfassende Insolvenzbeschlag des Hauptinsolvenzverfahrens wird im Hinblick auf die im Mitgliedstaat des Sekundärinsolvenzverfahrens belegenen Gegenstände überlagert. ___________ 24) Vgl. etwa Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 28 EuInsVO Rz. 2: „Art. 28 der VO ist daher an sich überflüssig. Fehlte er, so ergäben sich die dort angeordneten Rechtsfolgen aus Art. 4 EuInsVO.“

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34 Dass die Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens nicht ganz entfallen, zeigt auch der in Art. 35 EuInsVO (= Art. 49 EuInsVO n. F.) statuierte Anspruch der Hauptverfahrensmasse gegen die Sekundärverfahrensmasse auf Herausgabe eines eventuellen Überschusses im Sekundärinsolvenzverfahren, der dort verbleibt, nachdem alle festgestellten Forderungen befriedigt sind. Dieser Überschuss wird mithin vom Insolvenzbeschlag des Hauptinsolvenzverfahrens erfasst. Die Regelung mag dogmatisch interessant sein, praktisch dürfte sie aber in den allermeisten Fällen irrelevant sein, weil nach Art. 32 EuInsVO (= Art. 46 EuInsVO n. F.) jeder Gläubiger in jedem Sekundärinsolvenzverfahren seine Forderung anmelden kann, mit der Folge, dass eine vollständige Befriedigung in einem Sekundärinsolvenzverfahren regelmäßig ausscheidet.25) 35 Auch die territorial begrenzten Wirkungen eines Sekundärinsolvenzverfahrens werden nach Art. 17 Abs. 2 EuInsVO (= Art. 20 Abs. 2 EuInsVO n. F.) in den anderen Mitgliedstaaten automatisch anerkannt. Deshalb wirkt nach Art. 17 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO jegliche Beschränkung der Rechte der Gläubiger, insbesondere eine Stundung oder eine Schuldbefreiung infolge des Hauptinsolvenzverfahrens, hinsichtlich des im Gebiet des Sekundärinsolvenzverfahrens belegenen Vermögens nur gegenüber den Gläubigern, die ihre Zustimmung hierzu erteilt haben. Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens stellt mithin eine ganz zentrale Weichenstellung für die Koordination grenzüberschreitender Insolvenzverfahren dar und gestaltet nicht zuletzt auch die Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung um. 2.2

Sonderkollisionsnormen und Sachnormen

36 Eine weitere Modifikation der Universalität des Hauptverfahrens ergibt sich aus verschiedenen Einzelregelungen der EuInsVO, z. B. Art. 5 bis 15 EuInsVO (= Art. 8 bis 18 EuInsVO n. F.) oder Art. 18 Abs. 3 EuInsVO. Hier wird in unterschiedlichen Sonderkollisionsnormen und Sachnormen des europäischen Rechts die grundlegende Kollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 modifiziert. Diese Modifikationen gelten unabhängig von der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens. 37 Im Einzelnen sind folgende Regelungsgegenstände betroffen: x

Dingliche Rechte Dritter (Art. 5 EuInsVO);

x

Aufrechnung (Art. 6 EuInsVO);

x

Eigentumsvorbehalt (Art. 7 EuInsVO);

x

Vertrag über einen unbeweglichen Gegenstand (Art. 8 EuInsVO);

x

Zahlungssysteme und Finanzmärkte (Art. 9 EuInsVO);

x

Arbeitsvertrag (Art. 10 EuInsVO);

x

Wirkung auf eintragungspflichtige Rechte (Art. 11 EuInsVO);

x

Gemeinschaftspatente und -marken (Art. 12 EuInsVO);

x

benachteiligende Handlungen (Art. 13 EuInsVO);

x

Schutz des Dritterwerbers (Art. 14 EuInsVO);

x

Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf anhängige Rechtsstreitigkeiten (Art. 15 EuInsVO).

38 Besonders weitgehend ist der Schutz dinglicher Rechte, insbesondere der Kreditsicherheiten, dem Art. 5 EuInsVO dient. Hiernach werden die Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat im Hinblick auf dingliche Rechte eines Gläu___________ 25) Ebenso Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 35 EuInsVO Rz. 2.

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bigers oder eines Dritten an körperlichen oder unkörperlichen, beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen des Schuldners suspendiert („von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt“), wenn sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet. Der Belegenheitsort ist nach Art. 2 lit. g EuInsVO zu bestimmen.26) Die Reichweite der Rechtsfolge des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO („nicht berührt“) ist umstrit- 39 ten. Klar dürfte sein, dass dingliche Rechte nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ohne jede Rücksicht auf das Insolvenzrecht des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens durchgesetzt werden. Für die Art und Weise der Durchsetzung kommt es nur auf das Belegenheitsrecht an. Unklar und streitig ist aber, ob bei der Verwertung dinglicher Rechte wenigstens auch die Beschränkungen des jeweiligen Insolvenzrechts des Belegenheitsstaates zu beachten sind.27) Die Frage ist zu verneinen.28) Zur Anwendung etwaiger insolvenzrechtlicher Einschränkungen nach dem Insolvenzrecht am Ort der Belegenheit des dinglichen Rechts kommt es erst, wenn hier ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet wurde. Für die grenzüberschreitende Betriebsfortführung von erheblicher Bedeutung ist vor allem 40 Art. 10 EuInsVO. Hiernach gilt für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist. Die Sonderkollisionsnorm bezweckt den Schutz des Arbeitnehmers und des Arbeitsverhältnisses vor der Anwendung fremder Rechtsvorschriften. Soweit Art. 10 EuInsVO das Recht des Mitgliedstaats, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist, zur Anwendung beruft, ist hiermit wegen des in dieser Frage durch die Verordnung über vertragliche Schuldverhältnisse (Rom I) ebenfalls vereinheitlichten Kollisionsrechts die Richtung klar vorgegeben: Im Ausgangspunkt gilt nach Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO der Vorrang der Rechtswahl i. S. des Art. 3 Rom I-VO. Soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist, unterliegt der Arbeitsvertrag nach Absatz 2 des Art. 8 Rom I-VO dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet (lex loci laboris). Der gewöhnliche Arbeitsort kann dort angenommen werden, wo der Arbeitnehmer fest in einen Betrieb eingegliedert ist, in dem er seine Arbeitsleistung erbringt, oder wo das zeitliche und inhaltliche Schwergewicht der Arbeitnehmertätigkeit verortet werden kann.29) Zu der Reichweite des kollisionsrechtlichen Schutzes für die Rechte und Pflichten aus dem 41 Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis enthält Erwägungsgrund 28 der EuInsVO wichtige Hinweise: „Zum Schutz der Arbeitnehmer und der Arbeitsverhältnisse müssen die Wirkungen der Insolvenzverfahren auf die Fortsetzung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie auf die Rechte und Pflichten aller an einem solchen Arbeitsverhältnis beteiligten Parteien durch das gemäß den allgemeinen Kollisionsnormen für den Vertrag maßgebliche Recht bestimmt werden. Sonstige insolvenzrechtliche Fragen, wie etwa, ob die Forderungen der Arbeitnehmer durch ein Vorrecht geschützt sind und welchen Rang dieses Vorrecht gegebenenfalls erhalten soll, sollten sich nach dem Recht des Eröffnungsstaats bestimmen.“

Für die zuletzt genannte „Rangfrage“ mit Blick auf Lohnforderungen gelten mithin unver- 42 ändert Art. 4 Abs. 2 lit. g und lit. i EuInsVO. ___________ 26) Zur Bestimmung des Belegenheitsortes s. etwa Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 21 ff. 27) So Bismarck/Schümann-Kleber, NZI 2005, 147, 148; Haas in: FS Gerhardt, S. 319, 329; noch weiter gehend Herchen, ZInsO 2002, 345, 347. 28) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 5 EuInsVO Rz. 7 f.; zum Ganzen auch Pannen-Ingelmann, EuInsVO, Art. 5 Rz. 9 ff. 29) Statt vieler Martiny in: MünchKomm-BGB, Art. 8 Rom I-VO Rz. 48 ff. m. w. N.

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Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

43 Der Schutz der Arbeitnehmer vor Arbeitsentgeltausfall bei Insolvenz des Arbeitgebers wird hingegen weder von der Sonderkollisionsnorm des Art. 10 EuInsVO noch von der Grundkollisionsnorm des Art. 4 EuInsVO gewährt. Das Arbeitsentgelt wurde zunächst durch die RL 80/987/EWG vom 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers europarechtlich abgesichert, die durch die Richtlinie 2002/74/EWG später geändert wurde. Die Frage, ob dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Insolvenzgeld zusteht, ist nach Maßgabe der §§ 165 ff. SGB III zu beantworten. Ein Anspruch auf Insolvenzgeld besteht gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III grundsätzlich, wenn der Arbeitnehmer im Inland beschäftigt war. 44 Die entscheidende Voraussetzung ist ein „inländisches Beschäftigungsverhältnis“.30) Ein solches kann auch bei Arbeitnehmern bejaht werden, die i. S. von § 4 SGB IV ins Ausland entsandt sind, solange der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses im Inland liegt. Liegt nämlich der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses im Inland, so gilt das auch für den arbeitsrechtlichen Entgeltanspruch gegen den inländischen Arbeitgeber. Der anspruchsberechtigte Personenkreis ist jedoch nicht auf im Inland beschäftigte oder i. S. von § 4 SGB IV („Ausstrahlung“) entsandte Arbeitnehmer beschränkt. Nach der Rechtsprechung des BSG31) kann ein Anspruch auf Insolvenzgeld darüber hinaus sogar auch dann bestehen, wenn nicht alle Voraussetzungen einer „Entsendung“ erfüllt sind, so etwa, wenn der Arbeitnehmer im Ausland nur für ein Arbeitsverhältnis im Ausland eingestellt worden ist, ohne einen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zu haben. Da der wesentliche Anknüpfungspunkt der arbeitsrechtliche Entgeltanspruch ist, wird der Arbeitnehmer jedenfalls dann erfasst, wenn insoweit erhebliche Berührungspunkte zur deutschen Rechtsordnung bestehen, aus denen zu folgern ist, dass der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers im Inland liegt. Merkmale hierfür sind ein Arbeitsvertrag mit einem inländischen Unternehmen, Befristung der Auslandstätigkeit, Anwendung deutschen Arbeitsrechts, Vereinbarung des deutschen Gerichtsstandes.32) 45 Satz 3 des § 165 Abs. 1 SGB III stellt klar, dass im Inland beschäftigte Arbeitnehmer auch bei einem ausländischen Insolvenzereignis einen Anspruch auf Insolvenzgeld haben.33) IV.

Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführung

46 Im Hinblick auf die Koordination der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung ist stets zwischen folgenden drei Szenarien zu unterscheiden: x

Grenzüberschreitende Betriebsfortführung in einem einheitlichen Insolvenzverfahren,

x

grenzüberschreitende Betriebsfortführung in einem Haupt- und einem bzw. mehreren Sekundärinsolvenzverfahren und

x

grenzüberschreitende Betriebsfortführung in mehreren Hauptinsolvenzverfahren (klassischer Fall der „Konzerninsolvenz“).

47 Das zuerst genannte Szenario ist der „einfache“ Fall des Insolvenzverfahrens mit universellem Geltungsanspruch. Bis auf die zuvor genannten Modifikationen durch europäisches ___________ 30) Dazu und zum Folgenden s. Gagel-Peters-Lange, SGB II/SGB III, Stand: 60. Lfg. 12/2015, § 165 SGB III Rz. 61 m. w. N. 31) S. etwa BSG, Urt. v. 21.9.1983 – 10 RAr 6/82, Rz. 15, ZIP 1984, 469 = BeckRS 1983, 04054. 32) Gagel-Peters-Lange, SGB II/SGB III, Stand: 60. Lfg. 12/2015, § 165 SGB III Rz. 61 a. E. 33) Vgl. auch Durchführungsanweisungen zum Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 165 SGB III Rz. 3.7 (Stand: 1.6.2015), abrufbar unter https://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/ public/documents/webdatei/mdaw/mdc4/~edisp/l6019022dstbai758580.pdf?_ba.sid= L6019022DSTBAI758592 (Abrufdatum: 10.4.2016).

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 20

Sachrecht gilt hier im grenzüberschreitenden Zusammenhang die zuvor bereits dargestellte automatische Anerkennung und Wirkungserstreckung (siehe oben Rz. 7). 1.

Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren

Die Koordination der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung in einem Hauptinsolvenz- 48 verfahren und einem bzw. mehreren territorial begrenzten Sekundärinsolvenzverfahren ist der paradigmatische Fall der Koordination nach der EuInsVO. 1.1

Unterschiedlicher Verfahrenszweck

Das Sekundärinsolvenzverfahren ist dem Hauptinsolvenzverfahren als „Hilfsverfahren“ 49 untergeordnet.34) In manchen Konstellationen, in denen der Schuldner in mehreren Mitgliedstaaten Niederlassungen unterhält, können Sekundärinsolvenzverfahren zu einer Entzerrung und Vereinfachung der Verfahrensabwicklung beitragen.35) Es kann aber auch der umgekehrte Effekt eintreten, dass nämlich eine Zersplitterung der Insolvenzverfahren stattfindet, welche die grenzüberschreitende Betriebsfortführung und letztlich auch die Verwertung des schuldnerischen Vermögens als Ganzes stark behindert (zu entsprechenden Vermeidungsstrategien siehe unten Rz. 119). In den meisten Fällen wird bei näherem Hinsehen erkennbar, dass weniger die „Hilfsfunk- 50 tion“ des Sekundärinsolvenzverfahrens aus Sicht des Hauptinsolvenzverfahrens im Mittelpunkt steht als seine „Schutzfunktion“ aus Sicht der inländischen Gläubiger. Das Sekundärinsolvenzverfahren bezweckt nämlich den Schutz der inländischen Gläubiger, indem sie von den Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens ausgenommen werden. Ohne heimisches Sekundärinsolvenzverfahren müssten die inländischen Gläubiger die Befriedigung ihrer Forderungen in einem fernen Verfahren unter Geltung eines anderen materiellen Insolvenzrechts in einer fremden Sprache suchen.36) Erwägungsgrund Nr. 20 der EuInsVO betont mit Recht, dass Hauptinsolvenzverfahren und 51 Sekundärinsolvenzverfahren nur dann zu einer effizienten Verwertung der Insolvenzmasse beitragen können, wenn die parallel anhängigen Verfahren koordiniert werden. Die Koordination der Verfahren, insbesondere die Zusammenarbeit der verschiedenen Insolvenzverwalter, erfolgt dabei insbesondere durch eine wechselseitige Informations- und Kooperationspflicht (ausführlich unten Rz. 83 ff.). Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO muss es sich bislang bei den Sekundärinsolvenzverfahren 52 um ein Liquidationsverfahren handeln.37) Was unter einem Liquidationsverfahren zu verstehen ist, wird nach Art. 2 lit. c EuInsVO durch die in Anhang B der EuInsVO aufgeführten Verfahren beantwortet. Das deutsche Insolvenzverfahren ist als Einheitsverfahren sowohl in Anhang A als auch in Anhang B aufgeführt. Die Aufnahme im Anhang B der EuInsVO spricht dafür, dass i. R. eines Sekundärinsolvenzverfahrens ein Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO zulässig ist. Auch aus Art. 34 Abs. 2 EuInsVO lässt sich eine Zulässigkeit von Beschränkungen der Gläubigerrechte in einem Sekundärinsolvenzverfahren ableiten.38) Nach der Neufassung der EuInsVO39) ist die Begrenzung des Verfahrenszwecks eines Se- 53 kundärinsolvenzverfahrens auf die Liquidation aufgegeben worden. ___________ 34) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 9; monographisch zum Verhältnis von Hauptund Sekundärinsolvenzverfahren Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren. 35) Vgl. Erwägungsgrund 19 der EuInsVO. 36) So auch die Beschreibung von Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 27 EuInsVO Rz. 4. 37) Kritisch Paulus, EWS 2002, 497, 502. 38) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 21. 39) ABl. (EU) Nr. L 141/19 ff.

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§ 20 1.2

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens

54 Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens stellt nach dem zuvor Gesagten eine ganz zentrale Weichenstellung für die Koordination grenzüberschreitender Insolvenzverfahren dar und gestaltet nicht zuletzt auch die Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung um. Es fragt sich daher, unter welchen Voraussetzungen ein solches territorial begrenztes Insolvenzverfahren zulässig ist. Die Frage beantwortet Art. 3 Abs. 2 EuInsVO: Die Möglichkeit der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens setzt voraus, dass der Schuldner in dem jeweiligen Mitgliedstaat über eine Niederlassung i. S. von Art. 2 lit. h EuInsVO verfügt. 55 Der Begriff der Niederlassung ist nach dem EuGH40) dahingehend auszulegen, dass er „[…] die Existenz einer auf die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgerichteten Struktur mit einem Mindestmaß an Organisation und einer gewissen Stabilität erfordert. Das bloße Vorhandensein einzelner Vermögenswerte oder von Bankkonten genügt dieser Definition grundsätzlich nicht.“

56 Die Definition der Niederlassung in Art. 2 Nr. 10 EuInsVO n. F. wird zudem noch um einen Aspekt erweitert. Hiernach bezeichnet der Ausdruck „Niederlassung“ für die Zwecke der Neufassung der EuInsVO: „[…] jeden Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht oder in den drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nachgegangen ist, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt“.

57 Neu ist, dass ausdrücklich auch eine wirtschaftliche Aktivität in den drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens hinreichend ist, um eine Niederlassung zu begründen. Damit endet mit der Einstellung des Geschäftsbetriebs nicht auch die Möglichkeit, ein Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen. 58 Neben einer Niederlassung ist ein Insolvenzantrag weitere Voraussetzung der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens. Antragsberechtigt sind die nach nationalem Recht antragsberechtigten Personen sowie der ausländische Hauptinsolvenzverwalter. Dies gibt Art. 29 EuInsVO41) vor. Umstritten ist, ob das Antragsrecht auch dem Schuldner selbst zusteht. Zweifel an einem Antragsrecht des Schuldners selbst sind begründet, weil mit Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nach dem jeweiligen nationalen Recht regelmäßig die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners auf den Hauptinsolvenzverwalter überwechselt. 59 Die Insolvenz des Schuldners wird allerdings nach Art. 27 Satz 1 EuInsVO42) nicht (noch einmal) geprüft. Entsprechend ist ein Insolvenzgrund für das Sekundärinsolvenzverfahren nicht darzulegen oder sogar zu beweisen. Insofern ersetzt die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens den Insolvenzgrund für das Sekundärinsolvenzverfahren. Dies kann zur Folge haben, dass auf der Grundlage der Feststellung der Insolvenz nach Maßgabe des Rechts des Staates der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens anschließend ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet wird, der den Insolvenzgrund des Hauptinsolvenzverfahrens nicht kennt.43)

___________ 40) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), ZIP 2011, 2153 = NZI 2011, 990 m. Anm. Mankowski. 41) Dasselbe gilt nach Art. 37 EuInsVO n. F. 42) Dasselbe gilt nach Art. 34 Satz 2 EuInsVO n. F. 43) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 5.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen 1.3

§ 20

Wirkung der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens

Die Niederlassung stellt lediglich eine Eingangshürde vor dem Zugang zum Sekundärin- 60 solvenzverfahren dar, ist im Übrigen aber weitgehend funktionslos. Das zeigt sich vor allem mit Blick auf die Wirkungen des Sekundärinsolvenzverfahrens, die sich nach Art. 27 Satz 3 EuInsVO44) auf das im Gebiet des Mitgliedstaates belegene Vermögen des Schuldners begrenzen. Die Abgrenzung der Aktivmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens vollzieht sich demnach 61 rein territorial, ohne dass es irgendeines Bezuges zur Niederlassung des Schuldners bedürfte. Entscheidend ist allein der Ort, an dem sich ein Vermögensgegenstand befindet i. S. von Art. 2 lit. g EuInsVO. Befindet sich der Vermögengegenstand in dem Mitgliedstaat der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens, fällt er in die Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens. Nach Art. 2 lit. g EuInsVO ist maßgeblich:45) x

bei körperlichen Gegenständen der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Gegenstand belegen ist,

x

bei Gegenständen oder Rechten, bei denen das Eigentum oder die Rechtsinhaberschaft in ein öffentliches Register einzutragen ist, der Mitgliedstaat, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird,

x

bei Forderungen der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der zur Leistung verpflichtete Dritte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen i. S. von Art. 3 Abs. 1 hat.

Dasselbe gilt im Hinblick auf die Abgrenzung der Passivmassen. Auch insoweit kommt 62 es nicht auf einen Bezug der im Sekundärinsolvenzverfahren angemeldeten Forderungen zur Niederlassung an. Vielmehr kann hier jeder Gläubiger nach Maßgabe des Art. 32 EuInsVO seine Forderung im Hauptinsolvenzverfahren und in jedem Sekundärinsolvenzverfahren anmelden. Damit der Gläubiger im Wege der Doppel- oder sogar Mehrfachanmeldung keine Sondervorteile erzielt, sieht Art. 20 Abs. 2 EuInsVO eine Quotenanrechnung und einen Ausschüttungsstopp vor.46) 2.

Mehrere Hauptinsolvenzverfahren

Den Konzern und folgerichtig ein Insolvenzverfahren über mehrere rechtlich eigenständige, 63 aber konzernangehörige Gesellschaften kennt die EuInsVO nicht,47) obwohl die Insolvenz gruppengebundener Unternehmen nachgerade der Prototyp der grenzüberschreitenden Insolvenz ist.48) Das nimmt freilich nicht Wunder, weil schon das Europäische Gesellschaftsrecht „den Konzern“ als Regelungsgegenstand nicht kennt.49) Auch der Begriff des Konzerns ist inhaltlich unklar. Für die Koordination der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung in mehreren parallel eröffneten Hauptinsolvenzverfahren hält die EuInsVO daher auch keinen Regelungsrahmen bereit. Auch die Kooperations- und Unterrichtungspflichten

___________ 44) Dasselbe gilt nach Art. 34 Satz 3 EuInsVO n. F. 45) Entsprechendes gilt nach Art. 2 Nr. 9 EuInsVO n. F. Der dortige Katalog wird sogar um einige Gegenstände erweitert. 46) Zu den Einzelheiten dieses Modus der Quotenanrechnung s. etwa Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 20 EuInsVO Rz. 8 ff. m. Beispiel. 47) Zu Überlegungen zum Europäischen Konzerninsolvenzrecht s. Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281 (Teil 1), 347 (Teil 2); s. für konkret formulierte Änderungsvorschläge zur EuInsVO Hirte, ZInsO 2011, 1788; Hirte, ECFR 2008, 213 ff.; zur parallelen Reformdiskussion in Deutschland ebenfalls Hirte, ZIP 2008, 444. 48) Mankowski, NZI 2004, 450, 452; Eidenmüller, ZHR 2005, 528; zum Ganzen auch Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 5. 49) Vgl. dazu Grundmann, Europ. GesR, Rz. 978 ff.

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§ 20

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nach Art. 31 EuInsVO sind allein an den (einen) Hauptinsolvenzverwalter und den (einen) bzw. die (mehreren) Sekundärinsolvenzverwalter adressiert. 64 Die Koordination der mehreren Hauptinsolvenzverfahren hat hier auf privatautonomer Grundlage zu erfolgen. In sog. Drittstaatensachverhalten wurde zuletzt zum Zwecke der Koordination mehrere Insolvenzverfahren auf das Instrument der Insolvenzverwalterverträge50) zurückgegriffen, die im anglo-amerikanischen Rechtsraum als „protocols“ bekannt sind. Bekanntester Fall ist hier das Verfahren Maxwell Communication Corporation p. l. c., über deren Vermögen sowohl in den USA als auch in England das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.51) 65 Verträge des Insolvenzverwalters sind im Grundsatz nicht hoheitlicher oder öffentlichrechtlicher,52) sondern privatrechtlicher Natur. Dasselbe gilt auch für Insolvenzverwalterverträge. Das auf den materiellen Inhalt anwendbare Recht richtet sich deshalb nach dem Vertragsstatut. Jedenfalls sollte eine Konkretisierung der in Art. 31 ff. EuInsVO enthaltenen Kooperationspflichten zulässig sein.53) Im Übrigen macht die EuInsVO keine Vorgaben. 66 Die Frage danach, wer zum Abschluss solcher Insolvenzverwalterverträge befugt ist, beantwortet sich nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung.54) Der deutsche Insolvenzverwalter hat je nach Inhalt des Insolvenzverwaltervertrages die Zustimmung des Gläubigerausschusses nach § 160 InsO einzuholen. Der Abschluss eines Insolvenzverwaltervertrages dürfte hiernach ohne Zustimmung des Gläubigerausschusses zulässig sein, wenn er lediglich das Procedere der Kommunikation und Information der Insolvenzverwalter untereinander festlegt oder Maßgaben für die gemeinsame Gläubigerinformation aufstellt. Anders ist mit Blick auf die Auflistung in § 160 Abs. 2 InsO aber zu entscheiden, z. B. wenn der Insolvenzverwaltervertrag verbindliche Vorgaben für die Verwertung des Unternehmens als Ganzes oder eines Teilbetriebs enthält.55) 67 Die Neufassung der EuInsVO56) reagiert auf das dringende praktische Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung der Koordination der Insolvenzverfahren konzernangehöriger Gesellschaften. Die Neufassung widmet den Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe ein ganz neues Kapitel V. Flankiert wird dieses neue Kapitel durch eine Ergänzung der Begriffsbestimmungen in Art. 2 EuInsVO n. F. um die Definitionen der „Unternehmensgruppe“ und des „Mutterunternehmens“.57) 68 Kern der neuen Regelungen zur „Konzerninsolvenz“ sind umfassende Pflichten zur Kooperation und Kommunikation unter den Insolvenzverwaltern (Art. 56 EuInsVO n. F.), aber ___________ 50) Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 5; Ehricke, WM 2005, 397, 403; Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1111; s. a. Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, passim.; für eine Bezeichnung als Kooperationsübereinkommen, s. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 38. 51) Zu diesem Fall s. etwa Göpfert, ZZPInt 1 (1996), 269 ff.; Westbrook, Fordham L. Rev. 64 (1996), 2531; s. a. Paulus, ZIP 1998, 977, 979 ff. sowie Paulus, RabelsZ 2006, 458, 460 f.; weitere Beispiele für Protocols aus der Praxis stellt das International Insolvency Institute zur Verfügung, abrufbar unter http://www.iiiglobal.org. 52) So aber etwa Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 18. 53) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 40 m. w. N. 54) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 40. 55) Ebenso Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 41. 56) Abl. (EU) Nr. L 141/19 ff. 57) Für die Zwecke der EuInsVO n. F. bezeichnet „Unternehmensgruppe“ ein Mutterunternehmen und alle seine Tochterunternehmen und „Mutterunternehmen“ ein Unternehmen, das ein oder mehrere Tochterunternehmen entweder unmittelbar oder mittelbar kontrolliert. Ein Unternehmen, das einen konsolidierten Abschluss gemäß der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates erstellt, wird als Mutterunternehmen angesehen.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

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auch eine Kommunikation und Zusammenarbeit unter den Gerichten (Art. 57 EuInsVO n. F.) und auch zwischen den Insolvenzverwaltern und den Gerichten (Art. 58 EuInsVO n. F.). Schließlich erhalten die Insolvenzverwalter nach der Neufassung der EuInsVO die Mög- 69 lichkeit der Einwirkung auf die jeweiligen Insolvenzverfahren der Unternehmensgruppe (Art. 60 EuInsVO n. F.). Die Einwirkungsmöglichkeiten dienen dem Erhalt des Unternehmensverbundes und sollen vor allem eine „konzernweite Sanierung“ ermöglichen. Zu diesem Zweck soll jeder Insolvenzverwalter gehört werden, wenn ein weiteres Insolvenzverfahren über das Vermögen eines anderen Mitglieds derselben Unternehmensgruppe eröffnet worden ist. Die Insolvenzverwalter der konzernangehörigen Gesellschaften sollen sogar die Aussetzung jeder Maßnahme im Zusammenhang mit der Verwertung der Insolvenzmasse in jedem anderen Insolvenzverfahren beantragen können. Die Aussetzung soll nicht zuletzt dazu dienen, die Zeit zu gewinnen, die für die Integration des neu eröffneten Insolvenzverfahrens in ein „konzernweites“ Sanierungskonzept erforderlich ist. Jeder Insolvenzverwalter erhält nämlich nach der Neufassung der EuInsVO das Recht, eine koordinierte Verwaltung und Überwachung des Geschäftsbetriebs zu vereinbaren (vgl. Art. 56 Abs. 2 lit. b EuInsVO n. F.) oder einen koordinierten Sanierungsplan abzustimmen (vgl. Art. 56 Abs. 2 lit. c EuInsVO n. F.). Die neuen Regelungen für die Insolvenz von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe sind 70 zwar sehr zu begrüßen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Regelungen der Konzerninsolvenz nur einen sehr allgemeinen verfahrensmäßigen Rahmen für die Koordination der mehreren Hauptinsolvenzverfahren geben und die inhaltliche Ausgestaltung der so koordinierten Insolvenzverfahren weitgehend offenlassen. So bleibt es eine enorme Herausforderung für die Beteiligten, ein „konzernweites“ Sanierungskonzept unter Beachtung der verschiedenen einschlägigen nationalen Insolvenzrechte aufzustellen, z. B. einen einheitlichen, konzernweiten Insolvenzplan zu erarbeiten. Mit der Neufassung der EuInsVO wurde zudem die Möglichkeit der Eröffnung eines 71 Gruppen-Koordinationsverfahrens ganz neu geschaffen (vgl. Art. 61 bis 83 EuInsVO n. F.). Dabei handelt es sich um ein freiwilliges Verfahren, das dem Zweck dienen soll, die effektive Führung der Insolvenzverfahren über das Vermögen der verschiedenen Mitglieder der Gruppe zu erleichtern. Die Initiierung steht jedem Insolvenzverwalter eines jeden Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Mitglieds der Unternehmensgruppe frei. Kern des Gruppen-Koordinationsverfahrens ist die Bestellung eines sog. Koordinators, der einen Gruppen-Koordinationsplan vorschlägt. Der Koordinator darf nach Art. 71 Abs. 2 EuInsVO n. F. keiner der Verwalter sein, die für ein Mitglied der Gruppe bestellt sind, und es darf kein Interessenkonflikt hinsichtlich der Mitglieder der Gruppe, ihrer Gläubiger und der für die Mitglieder der Gruppe bestellten Verwalter vorliegen. Der Gruppen-Koordinationsplan soll einen umfassenden Katalog geeigneter Maßnahmen 72 für einen integrierten Ansatz zur Bewältigung der Insolvenz der Gruppenmitglieder festlegen, beschreiben und empfehlen. Der Plan kann nach Art. 72 Abs. 1 lit. b EuInsVO n. F. insbesondere Vorschläge enthalten zu x

den Maßnahmen, die zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Solvenz der Gruppe oder einzelner Mitglieder zu ergreifen sind;

x

der Beilegung gruppeninterner Streitigkeiten in Bezug auf gruppeninterne Transaktionen und Anfechtungsklagen;

x

Vereinbarungen zwischen den Verwaltern der insolventen Gruppenmitglieder.

Allerdings ist der Gruppen-Koordinationsplan ebenso wenig verbindlich wie die Teilnahme 73 an dem Gruppen-Koordinationsverfahren insgesamt. Nach Art. 70 Abs. 2 EuInsVO n. F.

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ist ein Verwalter nicht verpflichtet, den Empfehlungen des Koordinators oder dem GruppenKoordinationsplan ganz oder teilweise Folge zu leisten. 74 Ob die Durchführung eines Gruppen-Koordinationsverfahrens ein probates Mittel zur Bewältigung von Insolvenzen gruppengebundener Unternehmen sein kann, muss die Praxis zeigen. Allerdings bestehen Zweifel, da die Durchführung sehr aufwändig ist, nicht zuletzt die Aufstellung eines Gruppen-Koordinationsplans durch einen bislang nicht involvierten Koordinator, der nicht einmal mit der volle Unterstützung durch alle beteiligten Insolvenzverwalter rechnen kann, erscheint als eine nur in besonders gelagerten Fällen lösbare Herkulesaufgabe. In der Praxis dürften insbesondere x

die bereits bei Antragstellung geforderte Darstellung der geschätzten Kosten der vorgeschlagenen Gruppen-Koordination und eine Schätzung des von jedem Mitglied der Gruppe zu tragenden Anteils dieser Kosten nur schwer zu liefern sein und

x

die vom Insolvenzgericht geforderte Feststellung, dass nicht zu erwarten ist, dass ein Gläubiger eines Mitglieds der Gruppe, das voraussichtlich am Verfahren teilnehmen wird, durch die Einbeziehung dieses Mitglieds in das Verfahren finanziell benachteiligt wird, nur schwer zu treffen sein.

V.

Öffentliche Bekanntmachungen

75 Nach Art. 21 Abs. 1 EuInsVO ist auf Antrag des Insolvenzverwalters in jedem anderen Mitgliedstaat der wesentliche Inhalt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung entsprechend den Bestimmungen des jeweiligen Staates für öffentliche Bekanntmachungen zu veröffentlichen. In dieser fakultativen Bekanntmachung ist anzugeben, welcher Insolvenzverwalter bestellt wurde und ob es sich um ein Haupt- oder ein Sekundärinsolvenzverfahren handelt. 76 Darüber hinaus kann die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens auch obligatorisch sein. So kann nach Abs. 2 des Art. 21 EuInsVO jeder Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Schuldner eine Niederlassung besitzt, die obligatorische Bekanntmachung vorsehen. In diesem Fall hat der Verwalter oder jede andere hierzu befugte Stelle des Mitgliedstaats, in dem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde, die für diese Bekanntmachung erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die für eine Bekanntmachungspflicht vorausgesetzte nationale Regelung findet sich für Deutschland etwa in Art. 102 § 5 Abs. 2 Satz 1 EGInsO. 77 Die Verbesserung der Transparenz hat sich auch die Neufassung der EuInsVO58) auf die Fahne geschrieben. Im Mittelpunkt steht hier die Einrichtung von elektronischen Insolvenzregistern (vgl. Art. 24 EuInsVO n. F.) und deren europaweite Vernetzung (vgl. Art. 25 EuInsVO n. F.). VI.

Grenzüberschreitende Befugnisse des Insolvenzverwalters

78 Die automatische Anerkennung und Wirkungserstreckung wird durch Art. 18 EuInsVO flankiert, der die „grenzenlosen“ Befugnisse des Insolvenzverwalters ausdrücklich vorsieht.59) Hieran ändert sich auch durch die Neufassung der EuInsVO nichts (vgl. Art. 21 EuInsVO n. F.). Im geltenden wie im zukünftigen Recht darf der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats alle Befugnisse ausüben, die ihm nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung zustehen. Er kann nach Satz 2 ___________ 58) Abl. (EU) Nr. L 141/19 ff. 59) Art. 18 EuInsVO ist eine Sachnorm des europäischen Rechts, so der Hinweis etwa auch von PannenPannen/Riedemann, EuInsVO, Art. 18 Rz. 34.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

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des Art. 18 Abs. 1 EuInsVO insbesondere vorbehaltlich der Art. 5 und Art. 7 EuInsVO (= Art. 8 und 10 EuInsVO n. F.) die zur Masse gehörenden Gegenstände aus dem Gebiet des Mitgliedstaats entfernen, in dem sich die Gegenstände befinden. Als Nachweis der Verwalterstellung ist nach Maßgabe des Art. 19 EuInsVO eine be- 79 glaubigte Abschrift der Entscheidung des Gerichts über die Bestellung oder auch eine andere von dem Gericht ausgestellte Bescheinigung ausreichend. Die Praxis zeigt, dass die niedrige Nachweisschwelle des Art. 19 EuInsVO noch nicht in allen Mitgliedstaaten „gelebt“ wird, sondern je nach den örtlichen Gepflogenheiten etwa noch Beschlüsse mit Apostille oder weitere Dokumente eingefordert werden.60) Jedenfalls sollte sich der Hauptinsolvenzverwalter frühzeitig um eine Übersetzung des Nachweises über seine Bestellung in alle Amtssprachen der Mitgliedstaaten bemühen, zu denen sein Insolvenzverfahren einen Kontakt hat.61) Die Übersetzung sollte in Anlehnung an Art. 55 Abs. 2 EuGVVO von einer in dem Mitgliedstaat befugten Person beglaubigt werden.62) Die Regel der „grenzüberschreitenden Befugnis“ des Hauptinsolvenzverwalters nach Maß- 80 gabe der lex fori concursus kennt allerdings zwei Einschränkungen, wenn nämlich x

Verwertungshandlungen oder Befugnisse zur Streitentscheidung in Rede stehen oder

x

in einem anderen Mitgliedstaat ein Sekundärinsolvenzverfahren beantragt und daraufhin Sicherungsmaßnahmen erlassen werden oder das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet wird.

Im Fall der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens und der Bestellung eines Sekun- 81 därinsolvenzverwalters stellt sich mit Blick auf die Befugnisse der Insolvenzverwalter die Abgrenzungsaufgabe. Der Sekundärinsolvenzverwalter nimmt seine Befugnisse nach Maßgabe der lex fori concursus secundarii zunächst eigenständig wahr, nur eben territorial begrenzt. Unabhängig von der einschlägigen lex fori concursus secundarii räumt Art. 18 Abs. 2 EuInsVO dem Sekundärinsolvenzverwalter zudem die Befugnis ein, in jedem anderen Mitgliedstaat (auch dem der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens) gerichtlich und außergerichtlich geltend zu machen, dass ein beweglicher Gegenstand nach der Eröffnung „seines“ Sekundärinsolvenzverfahrens aus dem Gebiet des Staates der Verfahrenseröffnung in das Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats verbracht worden ist. Des Weiteren kann er eine den Interessen der Gläubiger dienende Anfechtungsklage erheben. Allerdings muss die Ausübung der Befugnisse, die den verschiedenen Insolvenzverwaltern 82 nach der jeweiligen lex fori eingeräumt sind, im Fall der grenzüberschreitenden Sachverhalte aufeinander abgestimmt werden. Zu dieser Kooperation der Insolvenzverwalter sogleich im Folgenden unter Rz. 83 ff. VII. Kooperation der Insolvenzverwalter Die Koordination der Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren erfolgt insbesondere durch 83 eine wechselseitige Informations- und Kooperationspflicht der verschiedenen Insolvenzverwalter.63) 1.

Informationspflichten

Nach Art. 31 Abs. 1 EuInsVO besteht für den Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens 84 und für die Verwalter der Sekundärinsolvenzverfahren die Pflicht zur gegenseitigen Un___________ 60) 61) 62) 63)

S. dazu Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 2. Eine solche Übersetzung kann nach Satz 2 des Art. 19 EuInsVO ohnehin verlangt werden. Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 1. Dazu und zum Folgenden s. a. Ehricke, WM 2005, 397; Staak, NZI 2004, 480.

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terrichtung. Sie haben nach Satz 2 des Art. 31 Abs. 1 EuInsVO einander „unverzüglich“ alle Informationen mitzuteilen, die für das jeweilige andere Verfahren von Bedeutung sein können, insbesondere den Stand der Anmeldung und der Prüfung der Forderungen sowie alle Maßnahmen zur Beendigung eines Insolvenzverfahrens.64) 85 Die in Absatz 1 Satz 2 geforderte „Unverzüglichkeit“ der Information ist autonom auszulegen. Es kann nicht auf die in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltene Legaldefinition der Unverzüglichkeit als ein Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“ und deren Konkretisierung durch die Rechtsprechung in Deutschland zurückgegriffen werden.65) Eine pauschale Bestimmung der Unverzüglichkeit verbietet sich. Vielmehr bemisst sich das Zeitfenster im Einzelfall vor allem nach dem konkreten Gegenstand der Information und nach dem Bezug zum jeweiligen Insolvenzverfahren. Klar dürfte insofern sein, dass übergeordnete, verfahrensleitende Umständen (z. B. bevorstehender Unternehmensverkauf) von den jeweiligen Insolvenzverwaltern eine zügigere Information verlangen als rein territorial begrenzte Sachverhalte. Der Umstand, dass eine Übersetzung erforderlich ist, darf in einem immer weiter fortentwickelten Binnenmarkt keine wesentliche Verzögerung hervorrufen. 86 Die Folgen einer Nichtbeachtung der Pflicht aus Art. 31 Abs. 1 EuInsVO ist in der EuInsVO nicht normiert. Maßgeblich ist folglich das nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO bzw. Art. 28 EuInsVO anzuwendende Recht des Staates der Verfahrenseröffnung. Nach deutschem Insolvenzrecht dürfte die Pflicht zur wechselseitigen Information eine Pflicht i. S. des § 60 InsO sein, deren schuldhafte Verletzung zur persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters führt. Das ist nicht zweifelsfrei, weil § 60 InsO von der Verletzung einer Pflicht „nach diesem Gesetz“ spricht und damit die InsO meint.66) Eine europarechtskonforme Auslegung des § 60 InsO führt aber zu dem Ergebnis, dass § 60 InsO auch auf Verletzung von Pflichten anzuwenden ist, die ihren Ursprung in der EuInsVO haben, die in jedem Mitgliedstaat unmittelbar anwendbares Recht darstellt. 2.

Einwirkungsmöglichkeiten des Hauptinsolvenzverwalters

87 Über die Pflicht zur wechselseitigen Information hinaus ist die Grundordnung der Koordination der Hauptinsolvenzverfahren und Sekundärinsolvenzverfahren aber durch ein Über-/Unterordnungsverhältnis gekennzeichnet. Die dominierende Rolle des Hauptinsolvenzverfahrens wird vor allem durch mehrere Einwirkungsmöglichkeiten des Hauptinsolvenzverwalters auf gleichzeitig anhängige Sekundärinsolvenzverfahren sichergestellt.67) 88 Der Verwalter eines Sekundärinsolvenzverfahrens hat nach Art. 31 Abs. 3 EuInsVO dem Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens zu gegebener Zeit Gelegenheit zu geben, Vorschläge für die Verwertung oder Verwendung der Masse des Sekundärinsolvenzverfahrens zu unterbreiten (entspricht Art. 41 Abs. 2 lit. c EuInsVO n. F.). In dieser Regelung zeigt sich der „dienende Charakter“ der Sekundärinsolvenzverfahren. Allerdings ist der Grad der Verbindlichkeit der Vorschläge des Hauptinsolvenzverwalters unklar.68) 89 Die Vorschläge des Hauptinsolvenzverwalters für die Verwertung oder Verwendung der Masse des Sekundärinsolvenzverfahrens haben keinen Weisungscharakter, insbesondere ein Weisungsrecht des Hauptinsolvenzverwalters kann dem Absatz 3 des Art. 31 EuInsVO nicht entnommen werden. Der Sekundärinsolvenzverwalter wird sich aber auch nicht ohne weiteres über einen Vorschlag des Hauptinsolvenzverwalters zur Verwertung oder Verwen___________ 64) 65) 66) 67) 68)

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Dasselbe gilt nach Art. 41 Abs. 2 EuInsVO n. F. Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 4. Zu dieser Problematik s. Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 5. Vgl. Erwägungsgrund 20 der EuInsVO. Ausführlich dazu Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 9 f.

Undritz/Meyer-Sommer

Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 20

dung der Masse des Sekundärinsolvenzverfahrens hinwegsetzen dürfen. Denn die Verweigerung einer nachgewiesener Maßen besseren Verwertungsmöglichkeit durch den Sekundärinsolvenzverwalter kann eine Schadenersatzpflicht nach Maßgabe des jeweils anzuwenden Rechts des Staates der Verfahrenseröffnung begründen.69) In den Fällen, in denen der Sekundärinsolvenzverwalter einen Gegenstand verwerten 90 möchte, der für die Betriebsfortführung dringend erforderlich ist, kann der Hauptinsolvenzverwalter die avisierte Verwertung sogar nach Art. 33 EuInsVO aussetzen lassen (entsprechende Regelung Art. 46 EuInsVO n. F.). Die Aussetzung der Verwertung von Gegenständen der Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens soll den drohenden „Zerschlagungsmechanismus“70) dieses Verfahrens stoppen. Die Aussetzung gewährt dem Hauptinsolvenzverwalter gemäß Art. 33 Abs. 1 Satz 3 EuInsVO (höchstens) drei Monate Zeit, um alternative Verwertungsszenarien zu entwickeln, insbesondere den Betrieb bis zu einer sog. übertragenden Sanierung des schuldnerischen Unternehmens als Ganzes fortzuführen. In dem zuletzt genannten Fall richtet sich die Aussetzung nach Art. 33 Abs. 1 EuInsVO dann gegen Stilllegungsmaßnahmen des Geschäftsbetriebs durch den Sekundärinsolvenzverwalter. Die Aussetzung der Verwertung ordnet das nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO zuständige Gericht 91 auf Antrag des Hauptinsolvenzverwalters an.71) Die Voraussetzungen der Aussetzung der Verwertung sind nicht besonders streng. Nach Satz 2 des Art. 33 Abs. 1 EuInsVO kann der Antrag des Hauptinsolvenzverwalters nur abgelehnt werden, wenn die Aussetzung offensichtlich für die Gläubiger des Hauptinsolvenzverfahrens nicht von Interesse ist. Die Offensichtlichkeit begründet den Ausnahmecharakter der Ablehnung.72) Da die Aussetzung der Verwertung an keine strengen Voraussetzungen geknüpft ist, steht 92 dem zuständigen Gericht das Recht zu, vom Hauptinsolvenzverwalter alle angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Gläubiger des Sekundärinsolvenzverfahrens sowie einzelner Gruppen von Gläubigern zu verlangen. Schließlich kann das Gericht nach Maßgabe des Absatzes 2 des Art. 33 EuInsVO die Aus- 93 setzung der Verwertung auch wieder aufheben: x

auf Antrag des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens,

x

von Amts wegen, auf Antrag eines Gläubigers oder auf Antrag des Verwalters des Sekundärinsolvenzverfahrens, wenn sich herausstellt, dass diese Maßnahme insbesondere nicht mehr mit dem Interesse der Gläubiger des Haupt- oder des Sekundärinsolvenzverfahrens zu rechtfertigen ist.

3.

Exkurs: Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren

Die Möglichkeit der Anordnung der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO besteht 94 grundsätzlich auch im grenzüberschreitenden Kontext.73) Mit Blick auf ein Sekundärinsolvenzverfahren stellt sich allerdings die Frage, ob der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens als „eigenverwaltender Schuldner“ des Sekundärinsolvenzverfahrens angesehen werden kann. Bejaht man die Frage, wird der Hauptinsolvenzverwalter zum Träger einer „Doppelrolle“, die für die einheitliche Verfahrensabwicklung im Einzelfall erhebliche ___________ 69) Zur nicht ganz unproblematischen Anwendung des § 60 InsO mit Blick auf Pflichten nach Maßgabe der EuInsVO s. o. Rz. 86 und Nachweis bei Fn. 66. 70) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 33 EuInsVO Rz. 1. 71) Ausführlich zum Verfahren s. Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 33 EuInsVO Rz. 15 f. 72) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 33 EuInsVO Rz. 5. 73) Zum Ganzen statt vieler Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 30; ausführlich auch Beck, NZI 2006, 609, 616 ff.

Undritz/Meyer-Sommer

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§ 20

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

Vorteile mit sich bringen kann.74) Das AG Köln ging in der Rechtssache Automold von der Zulässigkeit der Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren aus und hat den englischen Joint Administrators des Hauptinsolvenzverfahrens auf diesem Wege auch eine Verwaltung der „Sekundärmasse” ermöglicht.75) Das AG Köln begründete diesen Weg ausdrücklich mit dem Bestreben „[…] die Schwierigkeiten, die sich aus der unterschiedlichen Ausrichtung eines Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahrens ergeben können, zu reduzieren”.

95 Diese Konstruktion kann jedoch ohne Frage Interessenkonflikte mit sich bringen, die dem Sinn und Zweck der Sekundärinsolvenzverfahren, die ja gerade dem Schutz der „lokalen“ Interessen dienen sollen, zuwiderlaufen. Überdies deuten die Vorschriften der Art. 31 ff. EuInsVO darauf hin, dass die EuInsVO von einer jeweils eigenständigen Tätigkeit der Insolvenzverwalter in jedem grenzüberschreitendem Insolvenzverfahren ausgeht. Diese Grenzziehung zwischen „lokalen“ Interessen und Interessen des Hauptinsolvenzverfahrens droht durch eine Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren verwischt zu werden. Vor diesem Hintergrund lehnen es einige Stimmen auch ab, dass der Hauptinsolvenzverwalter durch die Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren eine „Doppelrolle“ einnimmt.76) 96 Die Kritik an der Zulässigkeit der Eigenverwaltung darf nicht übersehen, dass die Eigenverwaltung nach nationalem Insolvenzrecht nicht voraussetzungslos angeordnet wird. Sie scheidet vielmehr aus, wenn Nachteile für die Gläubiger drohen (vgl. § 270 InsO). Auch nach der Anordnung sind die Interessen der lokalen Gläubiger noch hinreichend geschützt, weil zum einen ein Sachwalter den eigenverwaltenden Hauptinsolvenzverwalter überwacht und zum anderen das Insolvenzgericht auf Antrag auch einzelner Gläubiger anordnen kann, dass bestimmte Rechtsgeschäfte nur mit Zustimmung des Sachwalters abgeschlossen werden dürfen. Schließlich kann das Insolvenzgericht nach Maßgabe des § 272 InsO die Eigenverwaltung auch wieder aufheben. VIII. Kooperation der Insolvenzgerichte 97 Zu der Frage der Kooperation der Insolvenzgerichte in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren enthält sich die EuInsVO.77) Eine analoge Anwendung der Pflicht der Insolvenzverwalter zur Kooperation und Unterrichtung nach Art. 31 EuInsVO auf die Insolvenzgerichte kommt nicht in Betracht.78) Die fehlende Pflicht zur Kommunikation schließt das Recht bzw. die Möglichkeit zur Kommunikation selbstverständlich nicht aus.79) 98 Nicht bindende Maßgaben für die Kooperation der Insolvenzgerichte hat INSOL Europe unter Federführung von Miguel Virgos und Bob Wessels entworfen und in einer entsprechenden „Guideline“ veröffentlicht, den European Communication and Cooperation Guidelines for Cross-Border Insolvency (kurz: CoCo-Guidelines). Hier konkretisiert Guideline 16 ___________ 74) Für die Zulässigkeit der Anordnung einer Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren etwa MeyerLöwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195; Smid, DZWIR 2004, 397, 406 ff. 75) AG Köln, Beschl. v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471 = NZI 2004, 151. 76) Beck, NZI 2006, 609, 616 f.; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458. 77) Eingehend zur Problematik der Kooperationspflicht zwischen Insolvenzgerichten Ehricke, ZIP 2007, 2395; Vallender in: FS Lüer, S. 479, 480. 78) Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 31 EuInsVO Rz. 8. 79) Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 9; Ehricke in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001, S. 337, 348. Erste Ansätze der Aufnahme der Kommunikation zwischen den Gerichten finden sich etwa in dem Insolvenzverfahren in der Rechtssache Nortel, vgl. High Court of Justice London, Beschl. v. 11.2.2009 – (2009) EWHC 206 (Ch), ZIP 2009, 578 = NZI 2009, 450 m. krit. Anm. Mankowski.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 20

i. S. einer nicht bindenden „best practice“ den Rahmen der Kooperation und Kommunikation der Gerichte in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren.80) Nach der Neufassung der EuInsVO81) wurde nun erstmals die Kommunikation und Zu- 99 sammenarbeit unter Gerichten als Regelungsgegenstand in die Verordnung aufgenommen. Nach Art. 42 EuInsVO n. F. soll ein Gericht, das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befasst ist oder das ein solches Verfahren eröffnet hat, mit jedem anderen Gericht, das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befasst ist oder das ein solches Verfahren eröffnet hat, zusammenarbeiten, um die Koordinierung von Hauptinsolvenzverfahren, Partikularverfahren und Sekundärinsolvenzverfahren über das Vermögen desselben Schuldners zu erleichtern. Die Zusammenarbeit steht allerdings ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass sie nach den für jedes dieser Verfahren geltenden nationalen Vorschriften zulässig ist. Ebenso sollen nach Art. 43 EuInsVO n. F. die Insolvenzverwalter und die Gerichte zum 100 Zwecke der Koordinierung von Hauptinsolvenzverfahren, Partikularverfahren und Sekundärinsolvenzverfahren über das Vermögen desselben Schuldners zukünftig enger zusammenarbeiten. Details lässt die Regelung indes weitgehend offen. IX.

Ausübung von Wahlrechten

Das Recht des Staates der Eröffnung des Haupt- bzw. Sekundärinsolvenzverfahrens ent- 101 scheidet nach Art. 4 Abs. 2 lit. e EuInsVO darüber, wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt (entsprechende Regelung in Art. 7 Abs. 2 lit. e EuInsVO n. F.). Gewährt das jeweils einschlägige nationale Recht dem Insolvenzverwalter besondere Wahlrechte (im deutschen Recht z. B. nach §§ 103 ff. InsO) stellt sich in der Konstellation, dass ein Hauptinsolvenzverfahren und mehrere Sekundärinsolvenzverfahren über das Vermögen einer (juristischen) Person eröffnet wurde, die Frage nach der Befugnis zur Ausübung dieser Wahlrechte.82) Rechtlich sind die Verträge dem Schuldner als (juristische) Person zugeordnet. Im Fall der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens muss die Zuordnung anders erfolgen, und zwar zum Hauptinsolvenzverfahren oder zu der territorial begrenzten Vermögensmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens. Die Zuordnung beiderseits noch nicht vollständig erfüllter Verträge erfolgt nach Maßgabe der allgemeinen Regeln der Vermögensbelegenheit nach Art. 2 lit. g EuInsVO.83) Im Ergebnis dürfte sich die Belegenheit des schwebenden Vertrages nach der Maßgabe für die Belegenheit von Forderungen bestimmen, also danach, wo die andere Vertragspartei den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen i. S. von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO hat. Es wird hier nicht übersehen, dass auch nach dieser Zuordnung die Befugnis zur Ausübung 102 des Wahlrechts in den „falschen Händen“ liegen kann, wenn über die weitere Erfüllung des Vertragsverhältnisses nicht der Insolvenzverwalter zu befinden hat, dessen Haupt- bzw. Sekundärinsolvenzverfahren auch den entsprechenden wirtschaftlichen Wert der Erfüllung erlangen würde, wenn also z. B. der Hauptinsolvenzverwalter das Erfüllungswahlrecht im Hinblick auf Zulieferungsverträge auch für die Produktionsstätten des Schuldners in unterschiedlichen Niederlassungsstaaten hat. Der Koordinationsbedarf bleibt daher unverändert groß. Vor jeder Ausübung eines Wahlrechts ist die mögliche Betroffenheit des Hauptinsolvenzverfahrens oder eines anderen Sekundärinsolvenzverfahrens zu prüfen und ggf. eine Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter des jeweiligen Verfahrens herbeizuführen. ___________ 80) 81) 82) 83)

S. a. Vallender, IILR 2011, 309; Fletcher/Wessels, IILR 2013, 2. Abl. (EU) Nr. L 141/19 ff. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 23. Ebenso Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 24.

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§ 20 X.

Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung Austauschverträge zwischen den Verfahren

103 In den Konstellationen der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung findet in aller Regel auch ein grenzüberschreitender Austausch von Lieferungen und Leistungen zwischen mehrere Betriebsstätten des Schuldners statt.84) Rechtlich liegt dem regelmäßig kein Austauschvertrag zugrunde, weil der Niederlassung die eigenständige Rechtspersönlichkeit fehlt. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert hieran regelmäßig nichts, weil den verschiedenen Vermögensmassen keine Rechtspersönlichkeit zukommt, insbesondere sind die Insolvenzmassen keine juristischen Personen. Gleichwohl kann eine Gegenleistung als Vermögensausgleich vereinbart werden. Eine solche Vereinbarung ist jedenfalls von der Kooperationspflicht in Art. 31 Abs. 2 EuInsVO gedeckt.85) Die Neufassung der EuInsVO nennt ausdrücklich den Abschluss von „Vereinbarungen und Verständigungen“ als gangbaren Weg der Zusammenarbeit zwischen den Insolvenzverwaltern (vgl. Art. 41 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO n. F.). XI.

Masseverbindlichkeiten aus grenzüberschreitender Betriebsfortführung

104 Wenn das schuldnerische Unternehmen in der Insolvenz fortgeführt wird, entstehen während der Betriebsfortführung durch Handlungen des Insolvenzverwalters und auch aus gegenseitigen Verträgen, deren Erfüllung unverändert zur Insolvenzmasse verlangt wird (zur Ausübung des Wahlrechts siehe oben Rz. 101), kontinuierlich neue Verbindlichkeiten. Nicht zuletzt laufen auch die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer während der Betriebsfortführung weiter. Diese Forderungen aus der Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind regelmäßig vorrangig aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Der Rang solcher Forderungen, die im Zusammenhang mit der Betriebsfortführung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet werden, ergibt sich im Ausgangspunkt gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. i EuInsVO nach Maßgabe der lex fori concursus. Bei einer Verfahrenseröffnung in Deutschland ergibt sich der Vorrang solcher „Fortführungskosten“ aus ihrer Einordnung als „sonstige Masseverbindlichkeiten“ i. S. des § 55 Abs. 1 InsO. 105 Die Behandlung derartiger Masseverbindlichkeiten im Fall der späteren Eröffnung eines Sekundärverfahrens stellt ein besonderes Problem der Koordination von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren dar.86) Es geht beispielhaft um folgende Fallkonstellation:87) Der Schuldner hat den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in England, wo auch das Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnet wird. In Deutschland unterhält der Schuldner eine unselbständige Niederlassung. Die Produktionstätigkeit am Ort der Niederlassung wird zunächst vom englischen Insolvenzverwalter unverändert fortgeführt, sodass neue Verbindlichkeiten begründet werden. Einen Monat später wird ein Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO in Deutschland eröffnet. 106 Nach wohl überwiegender Auffassung sind in diesem Fall drei (fiktive) Vermögensmassen zu bilden:88) x

Vermögensmasse 1: Die erste Vermögensmasse bildet das, vom universellen Geltungsanspruch des Hauptinsolvenzverfahrens erfasste, gesamte Vermögen des Schuldners als die „ursprüngliche“, einheitliche Insolvenzmasse. Diese Vermögensmasse haftet für

___________ 84) Dazu und zum Folgenden Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 24 ff. 85) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 24. 86) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 15a ff.; Pannen-Herchen, EuInsVO, Art. 27 Rz. 50 ff.; ausführlich auch Beck, NZI 2007, 1 ff.; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 752 ff. 87) Vgl. das einfache Beispiel von Ringstmeier/Homann, NZI 2004, 354. 88) S. zu dieser Lösung etwa Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 752, 754.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 20

die Kosten der Betriebsfortführung aus der Zeit, in der (noch) kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet war.89) x

Vermögensmasse 2: Die zweite Vermögensmasse bildet das vom Vermögensbeschlag des Sekundärinsolvenzverfahrens erfasste Vermögen des Schuldners, das im Staat des Sekundärverfahrens belegen ist und auf das sich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Sekundärinsolvenzverwalters bezieht. Dieses territorial begrenzte Vermögen wird mit der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens aus der einheitlichen Haftungsmasse, die infolge der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens gebildet wurde, herausgelöst.90) Diese Teilmasse haftet für die Kosten der Betriebsfortführung für den Zeitraum ab Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens, soweit die Kosten das Sekundärinsolvenzverfahren betreffen, also insbesondere vom Sekundärinsolvenzverwalter begründet wurden.

x

Vermögensmasse 3: Das vom Vermögensbeschlag des Hauptinsolvenzverfahrens erfasste Vermögen des Schuldners, abzüglich der Vermögensgegenstände, die in einem Mitgliedstaat belegen sind, in dem zwischenzeitlich ein Sekundärverfahren eröffnet wurde und die damit mit der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens in dessen territorial begrenzte Insolvenzmasse fallen. Diese Teilmasse haftet für die Kosten der Betriebsfortführung für den Zeitraum ab Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens, soweit die Kosten das Hauptinsolvenzverfahren betreffen, also insbesondere vom Hauptinsolvenzverwalter begründet wurden.

Im Ergebnis sollen die Masseverbindlichkeiten je nach Zuordnung aus den entsprechen- 107 den Vermögensmassen beglichen werden, wobei die Zuordnung nach zeitlichen und nach territorialen Gesichtspunkten erfolgt.91) Diese Zuordnung ist mit Blick auf Masseverbindlichkeiten, die zeitlich nach Eröffnung 108 des Sekundärinsolvenzverfahrens begründet wurden, naheliegend. Je nachdem, ob die Masseverbindlichkeiten sich auf das Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren beziehen und entsprechend vom Insolvenzverwalter des Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahrens begründet wurden, haftet für sie die zuvor gennannte „Vermögensmasse 2“ oder „Vermögensmasse 3“. Dagegen ist die angenommene Haftung der territorial begrenzten Insolvenzmasse des Se- 109 kundärverfahrens für Masseverbindlichkeiten, die vor der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens bereits begründet wurden, nicht selbstverständlich. Deshalb wird auch vereinzelt eine Einschränkung dieser Haftung in der Weise vorgeschlagen, dass die Haftung für Masseverbindlichkeiten im Verhältnis der Umfänge der Vermögensmassen aufgeteilt werden oder nach dem ganz konkreten Nutzen zugeordnet werden müssten.92) Die zuletzt genannte Aufteilung der Masseverbindlichkeiten zu dem jeweiligen Verfahren, in dem sie einen entsprechenden Mehrwert geschaffen haben, ist nicht praktikabel. Wenn die Haftung generell verneint würde, fallen zwar Aufteilungsschwierigkeiten weg, 110 dann müsste der Hauptinsolvenzverwalter aber von Beginn an auch die Eröffnung eines ___________ 89) Es wird hier davon ausgegangen, dass vor der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens auch noch kein eigenständiges Partikularinsolvenzverfahren i. S. des Art. 3 Abs. 4 EuInsVO eröffnet worden ist. 90) Statt vieler Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, Int. InsR, Art. 27 EuInsVO Rz. 25. Die territorial begrenzte Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens kann dabei auch Vermögensgegenstände erfassen, die zuvor nicht von der Beschlagwirkung des Hauptinsolvenzverfahrens erfasst wurden, insbesondere weil sie unter die Ausnahmetatbestände der Vorschrift des Art. 5 EuInsVO fielen, zu diesem Effekt der „Massemehrung“ s. o. Rz. 39. 91) Grundlegend Herchen, Das Übereinkommen über Insolvenzverfahren, S. 51; Reinhart, Sanierungsverfahren im internationalen Insolvenzrecht, S. 595 f.; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 306. 92) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 27 Rz. 58.

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Sekundärinsolvenzverfahrens und die Herauslösung einer entsprechenden Teilmasse antizipieren und dürfte nur jene Vermögensgegenstände in seine Berechnung der Massekostendeckung miteinbeziehen, die sich am Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen oder in einem Mitgliedstaat befinden, in dem eine Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in Ermangelung einer Niederlassung von vornherein scheitern muss.93) Anderenfalls würde das schutzwürdige Vertrauen der Massegläubiger in nicht mehr hinnehmbarer Weise verletzt, wenn der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens die Massezulänglichkeit zunächst an der „Vermögensmasse 1“ bemessen dürfte, die spätere Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens einen Teil der Haftungsmasse dem Zugriff der Massegläubiger aber rückwirkend wieder entziehen können soll. Nicht übersehen werden darf dabei, dass es sich hierbei durchaus um einen erheblichen Teil der Haftungsmasse handeln kann, wenn nämlich z. B. der wesentliche Teil des Vermögens des Schuldners im Mitgliedstaat der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahren belegen ist, während am Ort des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen lediglich die Verwaltungsentscheidungen getroffen werden.94) 111 Geht man im Ergebnis davon aus, dass das vom universellen Geltungsanspruch des Hauptinsolvenzverfahrens erfasste gesamte Vermögen des Schuldners als einheitliche Insolvenzmasse („Vermögensmasse 1“) für die Kosten der Betriebsfortführung aus der Zeit, in der (noch) kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet war haftet, gibt es für einen Innenausgleich zwischen den verschiedenen Vermögensmassen vor der Schlussverteilung wegen der uneingeschränkten Universalität der Passivmasse kein praktisches Bedürfnis der Massegläubiger oder der „einfachen“ Insolvenzgläubiger. Denn nach dem Grundsatz der Doppelanmeldung gemäß Art. 32 Abs. 1 EuInsVO kann jeder Insolvenzgläubiger seine Forderung im Hauptinsolvenzverfahren und in jedem Sekundärinsolvenzverfahren anmelden.95) 112 Die Massegläubiger des Sekundärinsolvenzverfahrens werden dadurch nicht unangemessen benachteiligt, weil sie die ihnen haftende Vermögensmasse schlicht von Beginn an verkürzt um die Masseverbindlichkeiten aus der Zeit bis zur Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens vorfinden.96) 113 Ist die Deckung der Massekosten (Gerichtskosten, Verwaltervergütung, Auslagen) nach nationalem Recht – wie in Deutschland nach § 26 InsO – Voraussetzung für die Verfahrenseröffnung, sind im Fall der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens die Kosten des Hauptinsolvenzverfahrens zu berücksichtigen, soweit die territorial begrenzte Insolvenzmasse für diese Kosten ebenfalls haftet. Nach Art. 30 EuInsVO (entsprechend Art. 40 EuInsVO n. F.) kann das Gericht vom Antragsteller einen Kostenvorschuss oder eine angemessene Sicherheitsleistung verlangen, wenn Masseunzulänglichkeit besteht. Auch der Hauptinsolvenzverwalter, der nach Art. 29 lit. a EuInsVO den Antrag zur Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens stellen kann, kommt als Kostenschuldner in Betracht. Die Frage, ob dann eine Masseunzulänglichkeit vorliegt, beurteilt sich nach der lex fori concursus secundariae. 114 Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich im Übrigen auch bei der Abgrenzung der Aktivmasse (dazu bereits oben Rz. 61). Im Ergebnis muss sichergestellt sein, dass den Kosten auch die entsprechenden Einnahmen aus der Betriebsfortführung gegenüberstehen. Das ist nicht selbstverständlich. Denn Forderungen des Insolvenzschuldners gegen Dritte werden nach Art. 2 lit. g EuInsVO dem Mitgliedstaat zugeordnet, in dessen Gebiet der zur ___________ 93) S. zu diesem Aspekt auch Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 15a; kritisch Ringstmeier/ Homann, NZI 2004, 354; ferner Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 752. 94) Zu den für die Begr. des COMI hinreichenden tatsächlichen Umständen s. o. Rz. 17. 95) Ebenso Ringstmeier/Homann, NZI 2004, 354, 357; der Grundsatz der Doppelanmeldung findet sich auch in Art. 45 Abs. 1 EuInsVO n. F. 96) Ebenso Ringstmeier/Homann, NZI 2004, 354, 357.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

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Leistung verpflichtete Dritte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen i. S. von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO hat. Deshalb kann es durchaus sein, dass die Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens, mit den Kosten belastet wird, während die aus der Betriebsfortführung generierten Forderungen in die Insolvenzmasse des Hauptinsolvenzverfahrens fallen, weil der Drittschuldner seinen Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen außerhalb des Mitgliedstaates des Sekundärinsolvenzverfahrens hat. Auf solche Sachverhalte stößt man regelmäßig, wenn die Produktion des Schuldners in einen bestimmten Mitgliedstaat ausgelagert wurde, die produzierten Waren aber schwerpunktmäßig im Inland oder doch zumindest nicht am Standort der Produktionsstätte vertrieben werden. Da eine Produktionsstätte den Niederlassungsbegriff des Art. 2 lit. h EuInsVO ohne weiteres erfüllt, ist die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens möglich und in aller Regel sogar wahrscheinlich (zum Begriff der Niederlassung siehe oben Rz. 55). Vor diesem Hintergrund muss ggf. in einer Fortführungsvereinbarung zwischen dem 115 Hauptverwalter und den betreffenden Sekundärverwalter ein Ausgleich zugunsten der mit den Kosten belasteten Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens vereinbart werden. Jedenfalls müssen Haupt- und Sekundärverwalter die Frage der Fortführungsfinanzierung gemeinsam beantworten. Diese Fragen können auch Gegenstand von Insolvenzverwalterverträgen (protocols) sein (zu diesem Instrument siehe oben Rz. 64 ff.). XII. Erhalt des Unternehmens als organisatorischer Verbund Die Betriebsfortführung mündet nicht selten in eine übertragende Sanierung des gesam- 116 ten Geschäftsbetriebs. Ist ein „grenzüberschreitender“ Geschäftsbetrieb Gegenstand eines solchen Asset Deals, stellt die Koordination des Verkaufsprozesses eine enorme Herausforderung an die Verfahrensbeteiligten dar, für die die EuInsVO keinen geschlossenen Rechtsrahmen bereithält. In diesem Zusammenhang ist erneut zwischen der Koordination mehrerer Hauptinsolvenzverfahren, die über das Vermögen mehrerer Gesellschaften einer Unternehmensgruppe eröffnet wurden („Konzerninsolvenz“), und der Koordination von einem Hauptinsolvenzverfahren und einem bzw. mehrerer Sekundärinsolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft und einer bzw. mehrerer Niederlassungen zu unterscheiden. Insbesondere mit Blick auf die Insolvenzverwalter des Haupt- und der Sekundärinsolvenz- 117 verfahren setzt dies eine unbedingte Bereitschaft zur gegenseitigen Kooperation voraus, und zwar weitgehend auf privatautonomer Basis (zur Kooperationspflicht der Insolvenzverwalter nach der EuInsVO siehe oben Rz. 87 ff.). Es wird regelmäßig sinnvoll sein, gemeinsam eine Investmentbank oder einen M&A-Berater zur Durchführung des erforderlichen Investorenprozesses zu beauftragen.97) Ferner wird die Verhandlung und Gestaltung des Kaufvertrags zentral gesteuert werden müssen. Nicht zuletzt wird sich auch die Frage stellen, wie der erzielte Kaufpreis auf die unterschiedlichen Insolvenzmassen aufzuteilen ist. In diesem Zusammenhang ist sowohl zum Zwecke der Koordination mehrerer Hauptin- 118 solvenzverfahren („Konzerninsolvenz“) als auch eines Hauptinsolvenzverfahrens und eines oder mehrerer Sekundärinsolvenzverfahren auf das Instrument der Insolvenzverwalterverträge98) zurückzugreifen (zu diesem Instrument bereits oben Rz. 64 ff.). Zum Zwecke des Erhalts des Unternehmens als organisatorischer Verbund ist die Ver- 119 meidung der Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren zwar nicht rechtlich zwingend, die ___________ 97) Ebenso Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 29. 98) Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 5; Ehricke, WM 2005, 397, 403; Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1111; s. a. Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, passim; für eine Bezeichnung als Kooperationsübereinkommen, s. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 38.

Undritz/Meyer-Sommer

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Teil IV Konzern und grenzüberschreitende Fortführung

Vermeidung der „verfahrensmäßigen Zersplitterung“ kann hierfür aber faktisch Voraussetzung sein.99) Vor diesem Hintergrund haben englische Gerichte in den Insolvenzverfahren in der Rechtssache Collins & Aikman100) und MG Rover101) den englischen Hauptinsolvenzverwalter dazu ermächtigt, Forderungen ausländischer Gläubiger nach dem in ihrem jeweiligen Land geltenden Recht zu befriedigen, ungeachtet der an sich anwendbaren englischen Verteilungsordnung. Es ging in dem Verfahren MG Rover vor allem darum, Forderungen der Arbeitnehmer der acht europäischen Vertriebsgesellschaften in demselben Rang zu bedienen, den diese Forderungen nach dem jeweils anwendbaren nationalen Insolvenzrecht hätten, welches gelten würde, wenn in dem jeweiligen Mitgliedstaat ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet würde. Ob eine solche Regelung des Ranges nach deutschem Insolvenzrecht auch dem deutschen Hauptinsolvenzverwalter möglich wäre, ist mit Blick auf den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (par condicio creditorum) zweifelhaft.102) 120 Die neugefasste EuInsVO sieht in Art. 36 EuInsVO n. F. ein Instrument vor, dass in seinen Wirkungen der flexiblen Herangehensweise der englischen Gerichte in den vorgenannten Fällen entspricht:103) Um die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu vermeiden, kann der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens in Bezug auf das Vermögen, das in dem Mitgliedstaat, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden könnte, belegen ist, eine einseitige Zusicherung des Inhalts geben, dass er bei der Verteilung dieses Vermögens oder des bei seiner Verwertung erzielten Erlöses die Verteilungs- und Vorzugsrechte nach nationalem Recht wahrt, die Gläubiger hätten, wenn ein Sekundärinsolvenzverfahren in diesem Mitgliedstaat eröffnet worden wäre. 121 Im Einzelfall wird auch der Verkauf der gesamten Masse des Sekundärverfahrens an den Hauptinsolvenzverwalter im Wege eines Asset Deals in Betracht gezogen, um Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren zu vermeiden.104) Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer solchen „übertragenden Sanierung“ im Sekundärinsolvenzverfahren sind jedoch nicht einmal ansatzweise geklärt, sodass der Hauptinsolvenzverwalter mit dieser Strategie wohl eher vom Regen in die Traufe gerät.

___________ 99) Zu verschiedenen Strategien der Vermeidung von Sekundärinsolvenzverfahren s. etwa Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 17. 100) High Court of Justice London, Beschl. v. 9.6.2006 – EWHC 1343 (Collins & Aikman), ZIP 2006, 2093 = NZI 2006, 654 m. Anm. Meyer-Löwy/Plank, NZI 2006, 622. 101) High Court of Justice Birmingham, Beschl. v. 11.5.2005 – 2375 bis 2382/05 (MG Rover II), NZI 2005, 515 m. Anm. Penzlin/Riedemann; High Court of Justice Birmingham, Beschl. v. 30.3.2006 – No. 2377/ 2006, NZI 2006, 416 m. Anm. Mankowski. 102) So auch Mankowski, NZI 2006, 418 (Urteilsanm.); Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 517, 519 (Urteilsanm.). 103) Ausf. dazu Mankowski, NZI 2015, 961. 104) Dazu und zum Folgenden Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 30 f.

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Undritz/Meyer-Sommer

Teil V Einzelfragen

§ 21 Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren ............ 5 1. Die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts .............................. 5 2. Der Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots ............................................. 9 3. Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen bei Beantragung einer Eigenverwaltung .................................................. 10 4. Die Voraussetzungen einer Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ................ 11 4.1 Die Insolvenzgeldvorfinanzierung nach herkömmlichem Muster.............................................. 11 4.2 Sonderfall: Die Insolvenzgeldvorfinanzierung im Schutzschirmverfahren .............................. 19 III. Arbeitsrechtsrechtliche Probleme einer Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren ................... 25 1. Die Freistellung von Arbeitnehmern........ 25 1.1 Zulässigkeit auf individualvertraglicher Ebene .............................. 25 1.2 Freistellung und betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung.... 37 2. Rechtliche Voraussetzungen einer Änderung der Arbeitsbedingungen........... 40 3. Personalabbau innerhalb einer Betriebsfortführung ....................................... 46 3.1 Das Recht zur Beendigungskündigung........................................ 46 3.2 Einzelvertragliche, kollektivrechtliche und gesetzliche Formvorschriften............................ 48 3.3 Die Beschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung .......... 51 3.3.1 Gesetzlicher Sonderkündigungsschutz............................................... 51 3.3.2 Die Kündigung von Berufsausbildungsverhältnissen ................ 56 3.3.3 Befristete oder auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse .......... 58

3.3.4 Vereinbarter Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts..... 59 3.3.5 Tariflicher Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung .......... 60 3.4 Kündigungsfristen und -termine in der Insolvenz............................... 61 3.4.1 Gesetzliche Regelungen ................. 61 3.4.2 Einzelvertragliche Vereinbarungen über Kündigungsfristen und -termine ........................................... 63 3.5 Die Nachkündigung durch den Insolvenzverwalter.......................... 64 3.6 Ersatz des „Verfrühungsschadens“......................................... 67 3.7 Die betriebsbedingte Beendigungskündigung.............................. 69 3.7.1 Dringende betriebliche Erfordernisse ................................................. 70 3.7.2 Die Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung im Insolvenzverfahren.................................. 79 3.7.2.1 Allgemeine Grundsätze ................. 79 3.7.2.2 Die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur ............................. 89 3.7.2.3 Die Leistungsträgerregelung ......... 92 3.7.3 Die Anhörung des Betriebsrats...... 93 3.7.4 Beurteilungszeitpunkt, Darlegungs- und Beweislast.................. 95 3.8 Der Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Insolvenz.......... 98 3.8.1 Die Voraussetzungen des Betriebsübergangs......................... 102 3.8.2 Die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs....................................... 106 3.8.2.1 Das Kündigungsverbot gemäß § 613a Abs. 4 BGB ........................ 106 3.8.2.2 Die Haftungsprivilegierung des Erwerbers ...................................... 110 3.8.2.3 Informationspflichten und Widerspruch des Arbeitnehmers gemäß § 613a Abs. 5 und 6 BGB ....114 3.9 Das Verfahren bei Massenentlassungen ....................................... 122

Literatur: Annuß, Der Vorrang der Änderungs- vor der Beendigungskündigung, NZA 2005, 443; Annuß/Lembke, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, 2005; Annuß/Stamer, Die Kündigung des Betriebsveräußerers auf Erwerberkonzept, NZA 2003, 1237; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, 3. Aufl., 2014; Ascheid, Beschäftigungsförderung durch Einbeziehung kollektivvertraglicher Regelungen in das Kündigungsschutzgesetz, RdA 1997, 333; Ascheid, Die betriebsbedingte Kündigung – § 1 KSchG – § 54 AGB-DDR – § 613a IV 2 BGB, NZA 1991, 873;

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§ 21

Teil V Einzelfragen

Aszmonis/Beck, Der Wiedereinstellungsanspruch auf einen Blick – Rechtlicher Umgang und praktische Umsetzung, NZA 2015, 1098; Bayreuther, Sanierungs- und Insolvenzklauseln im Arbeitsverhältnis, ZIP 2008, 573; Berscheid, Vorschläge zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften der Insolvenzordnung, ZInsO 2001, 64; Berscheid, Ausgewählte arbeitsrechtliche Probleme im Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2000, 1; Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, 1999; Berscheid, Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen nach § 113 InsO (Teil II), ZInsO 1998, 159; Berscheid, Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen nach § 113 (Teil I), ZInsO 1998, 115; Berkowsky, Das neue Insolvenz-Kündigungsrecht, NZI 1999, 129; Bertram, Die Kündigung durch den Insolvenzverwalter, NZI 2001, 625; Boemke, Schwerbehinderung und Namensliste in der Insolvenz, NZI 2005, 209; Braun/ Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997; Buchalik, Das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO (incl. Musteranträge), ZInsO 2012, 349; Bütefisch, Die Sozialauswahl, 2000; Däubler/Hjort/Schubert/ Wollmerath, Arbeitsrecht, 2013; Düwell, Änderungs- und Beendigungskündigungen nach dem neuen Insolvenzrecht, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 1433; Franzen, Begriff der Entlassung nach der Massenentlassungsrichtlinie, NZA 2016, 26; Ganter, Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungs- und Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 433; Gaul/Bonanni, Änderungen der Gewerbeordnung – Gesetzliche Niederlegung allgemeiner arbeitsrechtlicher Grundsätze, ArbRB 2002, 234; Gaul/Bonanni/Naumann, Betriebsübergang: Neues zur betriebsbedingten Kündigung aufgrund Erwerberkonzepts, DB 2003, 1902; Henkel, Zur Anwendbarkeit von § 113 InsO bei NeuEinstellungen durch den Insolvenzverwalter, ZIP 2008, 1265; Henckel, Die Anpassung des Rechts der Betriebsübernahme (§ 613a BGB) an die Insolvenzsituation de lege lata und de lege ferenda, ZGR 1984, 225; Krieger/Willemsen, Der Wiedereinstellungsanspruch nach Betriebsübergang, NZA 2011, 1128; Lauer, Die Gratwanderung bei der Freistellung von Arbeitnehmern im Insolvenzverfahren, ZIP 2006, 983; Leithaus, Zur „Nachkündigung“ nach § 113 InsO und zur Anfechtungsproblematik bei Kündigungen von Arbeitsverhältnissen im Vorfeld eines Insolvenzantrags, NZI 1999, 254; Kleinebrink/ Commandeur, Der „neue“ Betriebsbegriff bei Massenentlassungen und dessen Folgen, NZA 2015, 853; Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, 1989; Lembke, Besonderheiten beim Betriebsübergang in der Insolvenz, BB 2007, 1333; Lipinski, Reichweite der Kündigungskontrolle durch § 613a IV Satz 1 BGB, NZA 2002, 75; Meyer, Die Unterrichtung der Arbeitnehmer vor Betriebsübergang, 2007; Mückl, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB in der Insolvenz – jetzt erst Recht ein Sanierungshindernis? ZIP 2012, 2373; Oetker, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrundes, ZIP 2000, 643; Opolony, Die Beendigung von Berufsausbildungsverhältnissen, BB 1999, 1706; Pils, Umgehung von § 613a BGB durch Einsatz einer Transfergesellschaft, NZA 2013, 125; Risse, Betriebswirtschaftliche Aspekte der Sanierung durch Unternehmensfortführung nach der Insolvenzordnung, KTS 1994, 465; Salamon, Unterrichtung und Beratung im Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG, NZA 2015, 789; Schubert, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers nach betriebsbedingter Kündigung in der Insolvenz, ZIP 2002, 554; Schulte, Direktionsrecht à la § 106 GewO – mehr Rechtssicherheit? Neue Konturierung des Direktionsrechts, ArbRB 2003, 245; Schumacher-Mohr, Zulässigkeit einer betriebsbedingten Kündigung durch den Veräußerer bei Betriebsübergang, NZA 2004, 629; Sieger/Hasselbach, Veräußererkündigung mit Erwerberkonzept, DB 1999, 430; Simon/Greßlin, Eine Sorge weniger beim Personalabbau: Die Entlassungssperre hindert nicht den Ausspruch von Kündigungen, BB 2009, 727; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 2010; Vossen, Die betriebsbedingte Kündigung durch den bisherigen Arbeitgeber aus Anlaß des Betriebsübergangs, BB 1984, 1557; Warbein, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB – ein Sanierungshindernis in der Insolvenz? DZWIR 2006, 11; Willemsen, Aktuelles zum Betriebsübergang, NJW 2007, 2065.

I.

Einleitung

1 Ungeachtet der Tatsache, dass die Lohn- und Gehaltsforderungen der Arbeitnehmerschaft – statistisch gesehen – in der Mehrzahl der Insolvenzverfahren den geringsten Teil der betroffenen Forderungen ausmachen, steht dennoch regelmäßig die Behandlung von Arbeitnehmerfragen im Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit eines jeden in der Betriebsfortführung befindlichen Unternehmens. Nicht zuletzt haben Fälle wie die SchleckerInsolvenz1) gezeigt, dass ohne eine befriedigende Klärung der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen – einschließlich einer Finanzierung der für eine Fortsetzung der operativen Tätigkeit notwendigen Personalkosten – eine aussichtsreiche Fortführung zum Scheitern verurteilt ist. Das „Human Capital“ stellt mit wenigen Ausnahmen die wesentliche Ressource ___________ 1) Vgl. etwa (exemplarisch) die Zeitungsberichte in der FAZ v. 19.3.2012, v. 30.3.2012 (nach dem Scheitern der Transfergesellschaft) und v. 8.6.2012.

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Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 21

dar, ohne die an eine Weiterführung der geschäftlichen Tätigkeit (auch) unter Insolvenzbedingungen nicht zu denken ist. Trotz dieser Erkenntnis trägt das gültige Arbeits- und Sozialrecht diesem Umstand bis heute 2 nur unvollkommen Rechnung. Insbesondere innerhalb des Insolvenzeröffnungsverfahrens fehlen nach wie vor arbeitsrechtliche Sondervorschriften, die z. B. eine schnelle und vor allem rechtssichere Umstrukturierung im Personalbereich ermöglichen. Diese wird jedoch im Regelfall zwingend erforderlich sein, da zumeist eine am Umsatz gemessen zu hohe Fixkostenbelastung – und damit regelmäßig auch die Personalkostenbelastung – einen der wesentlichen Insolvenzgründe darstellt, die es im Interesse einer kostendeckenden Weiterführung des Unternehmens möglichst zeitnah zu beseitigen gilt.2) Hier bedarf es regelmäßig eines Rückgriffs auf allgemeine arbeitsrechtliche Normen, die naturgemäß den Notwendigkeiten des bereits eingeleiteten Insolvenzverfahrens und der Knappheit der finanziellen Mittel keine Rechnung tragen. Flankierend hilft hier allenfalls das Sozialrecht, welches über das – auf europäischer Ebene lange Zeit umstrittene – Insolvenzgeld zumindest eine zeitlich befristete Finanzierungshilfe bietet sowie über die finanzielle Förderung von Transfermaßnahmen i. R. der §§ 110 ff. SGB III eine Unterstützungsleistung zur Wiedereingliederung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den (zweiten) Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. Das klassische „Insolvenzarbeitsrecht“3) setzt in seiner Anwendbarkeit eine Insolvenz- 3 eröffnung zwingend voraus. Jedoch auch innerhalb der sich dann anschließenden Phase beschränken sich die wesentlichen insolvenzrechtlichen Vorschriften des Arbeitsrechts darauf, zu bereits existenten kollektivrechtlichen Phänomenen Sonderregelungen vorzusehen. Aus dieser rechtlichen Unvollkommenheit folgt die Erkenntnis, dass unter Zugrundelegung 4 der derzeitigen Rechtslage die schnelle Schließung eines insolventen Unternehmens und die unterschiedslose Entlassung sämtlicher Arbeitnehmer im Regelfall arbeitsrechtlich unproblematisch zu realisieren ist, hingegen eine Fortsetzung der operativen Tätigkeit, verbunden mit einer auch nur teilweisen Reduktion des Personalbestandes oftmals zu erheblichen Konflikten und Risiken führt. Deren erfolgreiche Bewältigung setzt eine umfassende und vor allem rechtzeitige Einbeziehung der Arbeitnehmerschaft und ihrer Vertretung auf der Grundlage der zu beachtenden Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte im Zuge einer angedachten Betriebsänderung voraus. II.

Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren

1.

Die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts

Folgt die InsO – gleichermaßen wie vorher die KO – dem Grundsatz, dass die Eröffnung 5 eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers keinerlei Einfluss auf die Fortgeltung des allgemeinen Arbeitsrechts hat,4) gilt dies erst recht für die vorgeschaltete Phase des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Der Schutz des zwingenden Arbeitsrechts soll den Arbeitnehmern auch in der Insolvenz des Arbeitgebers erhalten bleiben, soweit insolvenzrechtliche Ausnahmebestimmungen keine abweichenden Regelungen enthalten.5) Ist damit die Frage nach dem anwendbaren Arbeitsrecht mit einem Verweis auf die allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen (insbesondere des KSchG, des Betriebsverfassungsrechts sowie sonstiger arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen zugunsten spezieller Personen___________ 2) 3) 4) 5)

Risse KTS 1994, 465, 475 ff.; dazu auch schon Mönning, 1. Aufl., 1997, Rz. 846. Vgl. hierzu die bereits 1997 veröffentlichte zusammenfassende Darstellung bei Braun/Uhlenbruck, S. 101 ff. Vgl. statt vieler etwa Küttner-Kania, Personalbuch 2015, Insolvenz des Arbeitgebers, Rz. 3. Küttner-Kania, Personalbuch 2015, Insolvenz des Arbeitgebers, Rz. 3.

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§ 21

Teil V Einzelfragen

gruppen) schnell geklärt, stellt sich regelmäßig innerhalb dieser frühen Phase des Insolvenzverfahrens die Frage nach der Person des Arbeitgebers als Adressat der arbeitsrechtlichen Bestimmungen. 6 Nach Eingang des Insolvenzantrags hat das Insolvenzgericht alle Maßnahmen zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage der Insolvenzschuldnerin zu treffen (vgl. § 21 Abs. 1 InsO); insbesondere ist regelmäßig gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO ein vorläufiger Verwalter zu bestellen. Dessen Rechtsstellung hängt gemäß § 22 InsO davon ab, ob ihm die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übertragen wird oder nicht. 7 Wird dem Insolvenzschuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, bestimmt das Insolvenzgericht die Befugnisse des vorläufigen Verwalters und dessen Pflichten (§ 22 Abs. 2 Satz 1 InsO, sog. „schwacher“ vorläufiger Verwalter). Diese dürfen nicht über die Pflichten eines starken vorläufigen Verwalters gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 InsO hinausgehen (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO). Der vorläufige Insolvenzverwalter ist in diesen Fällen nicht allgemeiner Vertreter des Schuldners, sondern hat (nur) die Aufgabe, durch Überwachung des Schuldners dessen Vermögen zu sichern und zu erhalten. 8 Der „schwache“ vorläufige Verwalter wird damit nicht Arbeitgeber und ist deshalb auch nicht Adressat der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften. Die Arbeitgeberfunktion verbleibt beim schuldnerischen Unternehmen und somit bei der dortigen jeweiligen Geschäftsführung, die jedoch aufgrund des regelmäßig gleichzeitig angeordneten Zustimmungsvorbehalts arbeitsrechtliche Maßnahmen – insbesondere den Ausspruch von Kündigungen – nur mit der vorherigen Zustimmung des vorläufigen Verwalters umsetzen kann.6) Die Einwilligung des vorläufigen Verwalters ist beim Ausspruch der Kündigung dem Arbeitnehmer schriftlich vorzulegen.7) Unterbleibt dies, kann der Arbeitnehmer die Kündigung gemäß § 182 Abs. 3 i. V. m. § 111 Sätze 2 und 3 BGB zurückweisen. 2.

Der Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots

9 Mit der Bestellung eines vorläufigen Verwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 22 Abs. 1 InsO verliert der Schuldner (auch) seine Arbeitgeberfunktion vollständig. Damit ist ausschließlich der vorläufige Verwalter Adressat der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften, insbesondere auch der Kündigungsbefugnis.8) 3.

Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen bei Beantragung einer Eigenverwaltung

10 Im Falle der Anordnung einer Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO durch das Insolvenzgericht verbleibt die Position des Arbeitgebers naturgemäß beim Insolvenzschuldner; allerdings kann das Insolvenzgericht auch hier anordnen, dass für bestimmte Rechtsgeschäfte die Zustimmung des Sachwalters erforderlich ist (§ 277 InsO). Hieran hat auch die Neuregelung der Eigenverwaltung durch das ESUG9) zum 1.3.2012 nichts geändert.

___________ 6) Auch die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses stellt eine Vermögensverfügung dar, vgl. dazu BAG, Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, NZA 2003, 909 ff. = ZIP 2003, 1161; LAG Düsseldorf, Urt. v. 24.8.2001 – 18 Sa 671/01, LAG-Report 2002, 38 ff. 7) BAG, Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, NZA 2003, 909, 910 r. Sp. = ZIP 2003, 1161. 8) Grundlegend BAG, Urt. v. 17.9.1974 – 1 AZR 16/74, AP Nr. 1 zu § 113 BetrVG 1972 m. Anm. Richardi; vgl. auch Berscheid, NZI 2000, 1, 2 m. w. N. 9) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I, 2582.

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Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung 4.

Die Voraussetzungen einer Vorfinanzierung von Insolvenzgeld

4.1

Die Insolvenzgeldvorfinanzierung nach herkömmlichem Muster

§ 21

Hängt die Möglichkeit einer Fortführung des operativen Geschäftsbetriebs der Insolvenz- 11 schuldnerin mithin regelmäßig von einer Aufrechterhaltung der hierfür erforderlichen vertraglichen Beziehungen ab, ist neben der Kontaktierung der Lieferanten und Versorgungsträger auch für eine Finanzierung der laufenden Löhne der Arbeitnehmerschaft Sorge zu tragen, um diese von der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts oder sogar vom Ausspruch von (außerordentlichen) Eigenkündigungen abzuhalten. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steht gegenüber der Agentur für Arbeit ein An- 12 spruch auf Insolvenzgeld zu, wenn x

sie im Inland beschäftigt waren und

x

bei einem Insolvenzereignis

x

für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben (vgl. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III).

Als „Insolvenzereignis“ gilt

13

x

entweder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1),

x

die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) oder

x

die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland ohne Stellung eines Insolvenzantrags und offensichtlicher Undurchführbarkeit eines Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3).10)

Diese deutsche gesetzliche Regelung widersprach lange Zeit den einschlägigen europarecht- 14 lichen Bestimmungen der Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 80/987/EWG.11) Nach dieser Richtlinie ist x

entweder der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers oder

x

der Zeitpunkt der Kündigung zwecks Entlassung des betreffenden Arbeitnehmers wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers bzw.

x

der Beendigung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses des betreffenden Arbeitnehmers wegen Zahlungsunfähigkeit i. R. der Bestimmung des „Insolvenzereignisses“

maßgebend.12) Im Rahmen einer Modifikation des Gemeinschaftsrechts durch die Richtlinie 2002/74/EG13) wurde dieser Widerspruch aufgehoben: Gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser geänderten Richtlinie gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist […] und ___________

x

10) Vgl. zur Sperrwirkung des Insolvenzereignisses i. S. einer vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III gegenüber einer späteren Insolvenzeröffnung LSG München, Urt. v. 29.1.2015 – L 9 AL 12/12, ZIP 2015, 1699. 11) Richtlinie 80/987/EWG des Rates v. 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. L 283/23 – 27 v. 28.10.1980. 12) Vgl. dazu auch EuGH v. 15.5.2003 – Rs. C-160/01 (Mau/Bundesanstalt für Arbeit), ZIP 2003, 1000 = NZA 2003, 713 ff., wo festgestellt wurde, dass die nationale deutsche Regelung über den Insolvenzgeldzeitraum (damals § 183 Abs. 1 SGB III, seit 1.4.2012 § 165 Abs. 1 SGB III) nicht europarechtskonform sei. 13) Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlaments und Rats v. 23.9.2002 zur Änderung der Richtlinie 80/987/EWG des Rates v. 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. L 270/10 v. 8.10.2002.

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§ 21 x

Teil V Einzelfragen

die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde entweder x

die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat oder

x

festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen.

15 Damit dürfte die Europarechtswidrigkeit der deutschen gesetzlichen Regelung jedenfalls derzeit ausgeräumt sein.14) 16 Aus der gesetzlichen Regelung folgt jedoch zwingend, dass die Zahlung von Insolvenzgeld zunächst eine gerichtliche Entscheidung über die Insolvenzeröffnung voraussetzt. Da dieser Zeitpunkt die Phase des Insolvenzeröffnungsverfahrens naturgemäß beendet, kommt die reguläre Auszahlung des Insolvenzgeldes regelmäßig zu spät, um dem Versorgungsinteresse der Arbeitnehmerschaft innerhalb des überwiegend mehrere Monate andauernden Insolvenzeröffnungsverfahrens Rechnung zu tragen. Gerade in dieser finanziell angespannten Situation wird jedoch kaum ein Mitarbeiter des schuldnerischen Unternehmens über ausreichende Rücklagen verfügen, um den Zeitraum bis zur Eröffnung zu überbrücken. Im Interesse einer Abmilderung dieser Situation ergeben sich folgende Alternativen: x

Die Zahlung eines Vorschusses auf das Insolvenzgeld setzt nach § 168 SGB III neben der Stellung eines Insolvenzantrags und der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Erfüllung der Voraussetzungen des Insolvenzgeldanspruchs voraus, dass das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist (§ 168 Satz 1 Nr. 2 SGB III); bereits aus diesem Grunde stellt der Vorschuss regelmäßig keine Möglichkeit der Zwischenfinanzierung einer (auch) dem Erhalt von Arbeitsplätzen dienenden Betriebsfortführung dar.

x

Als Alternative verbleibt die in der Praxis häufig praktizierte Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes innerhalb der Eröffnungsphase. Hierzu wird seitens des Arbeitgebers mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ein Darlehen bei einer finanzierenden Bank aufgenommen; aus dessen Valuta werden sodann die Nettolöhne der Arbeitnehmerschaft ausbezahlt. Zur Absicherung des Rückzahlungsanspruchs lässt sich der vorläufige Insolvenzverwalter bzw. die finanzierende Bank seitens der Arbeitnehmerschaft den zukünftigen Insolvenzgeldanspruch gegen die Agentur für Arbeit abtreten. Diese Verfügung über das Insolvenz- bzw. Arbeitsentgelt bedarf zu ihrer Wirksamkeit einer vorherigen Zustimmung seitens der Agentur für Arbeit, die nur erfolgen darf, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsstellen erhalten bleibt (§ 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III).

17 Nach Maßgabe der derzeit gültigen Durchführungsanweisungen der Agentur für Arbeit ist vom Erhalt eines erheblichen Teils der Arbeitsplätze auszugehen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen arbeitstechnischen Zwecks die betriebliche Funktion zumindest teilweise erhalten bleibt (die betriebliche Tätigkeit insoweit fortgeführt wird) und der Arbeitsmarkt nicht nur unwesentlich begünstigt wird.15) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist hierbei zu beachten. Zur Orientierung wird seitens der Agentur für Arbeit einheitlich für alle Betriebe die Grenze des § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG zugrunde gelegt: ___________ 14) Dauert die in einem ersten Insolvenzverfahren nachgewiesene Zahlungsunfähigkeit trotz dessen Aufhebung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens an, gilt das sodann eröffnete (zweite) Insolvenzverfahren nicht als neues Insolvenzereignis i. S. des § 165 SGB III; so zur Vorgängervorschrift des § 183 SGB III BSG, Urt. v. 6.12.2012 – B 11 AL 11/11 R, ZIP 2013, 795 = NZI 2013, 454. 15) HEGA 06/15 – 04, Geschäftszeichen AV 32-75165/75167/7317; Insg-DA zu § 170 SGB III Nr. 3.2. Abs. 7, Stand: 1.6.2015, abrufbar unter https://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/ documents/webdatei/mdaw/mjcx/~edisp/l6019022dstbai758580.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI758592 (Abrufdatum: 15.3.2016).

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Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 21

Ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze bleibt demzufolge dann erhalten, soweit deren Umfang die Mindestgrenze von 10 % zu erhaltender Arbeitsplätze erreicht oder überschreitet.16) Nach Maßgabe der Vorschrift des § 169 SGB III gehen Ansprüche auf Arbeitsentgelt, 18 die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, mit dem Antrag auf Insolvenzgeld auf die Bundesagentur über. Durch die Neuregelung des § 55 Abs. 3 InsO17) ist der anfangs bestehende Streit darüber, ob durch den Anspruchsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit der Regressanspruch als Masseverbindlichkeit oder als einfache Insolvenzforderung zu qualifizieren ist,18) im letzteren Sinne entschieden worden. 4.2

Sonderfall: Die Insolvenzgeldvorfinanzierung im Schutzschirmverfahren

Beim Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO handelt es sich um einen durch das 19 ESUG zum 1.3.2012 eingeführten Sonderfall der Eigenverwaltung, in dessen Rahmen die angestrebte Sanierung des Unternehmens über einen zeitlich befristet vorzulegenden Insolvenzplan erfolgen soll. Ein erfolgversprechender Antrag zur Einleitung des Schutzschirmverfahrens setzt dabei das Bestehen einer (lediglich) drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 18 InsO oder einer Überschuldung i. S. des § 19 InsO voraus; darüber hinaus bedarf es einer diesbezüglichen Bescheinigung eines externen Fachmanns verbunden mit der Aussage, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist (vgl. § 270b Abs. 1 Sätze 1, 3 InsO). Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang das Vorliegen eines für den Insolvenz- 20 geldanspruch und damit auch für dessen Vorfinanzierung maßgeblichen Insolvenzereignisses; darüber hinaus besteht in den Fällen einer (nur) drohenden Zahlungsunfähigkeit bei Eigenverwaltung regelmäßig auch die Gefahr einer Rücknahme des Insolvenzantrags. Die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele und Vorteile eines Schutzschirmverfahrens würden 21 jedoch ins Gegenteil verkehrt, wenn hier in Anbetracht der aufgezeigten Risiken keine Insolvenzgeldvorfinanzierung zur Verfügung stünde. Im Rahmen einer Ergänzung ihrer Durchführungsanweisungen zum Insolvenzgeld in Nr. 3.2 Abs. 2 zu § 170 SGB III19) hatte die Bundesagentur für Arbeit daher bereits im April 2012 klargestellt, dass auch i. R. eines Schutzschirmverfahrens die Vorfinanzierung von Arbeitsentgeltansprüchen möglich sein soll, sobald das Gericht eine entsprechende Anordnung nach § 270b Abs. 1 InsO getroffen hat. Im Rahmen dieser Durchführungsanweisung wurde jedoch ebenfalls unterstrichen, dass im Falle einer Sanierung des Unternehmens ohne Entscheidung über den Insolvenzantrag die Gewährung von Insolvenzgeld ausscheidet.20) ___________ 16) HEGA 06/15 – 04, Geschäftszeichen AV 32-75165/75167/7317; Insg-DA zu § 170 SGB III Nr. 3.2 Abs. 8, Stand: 1.6.2015, abrufbar unter https://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/ documents/webdatei/mdaw/mjcx/~edisp/l6019022dstbai758580.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI758592 (Abrufdatum: 15.3.2016). 17) Eingefügt durch das InsOÄndG v. 26.10.2001, BGBl. I, 2710. 18) Durch einen Forderungsübergang wird die Rechtsqualität eines Anspruchs grundsätzlich nicht tangiert (§§ 412, 401 Abs. 2 BGB; hierzu Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 55 Rz. 100 m. w. N.); dazu auch LAG Hamm, Urt. v. 10.1.2000 – 19 Sa 1638/99, ZIP 2000, 590 = NZI 2000, 189; LAG Köln, Urt. v. 25.2.2000 – 12 Sa 1512/99, ZIP 2000, 805 = NZI 2000, 288. 19) HEGA 06/15 – 04, Geschäftszeichen AV 32-75165/75167/7317; Insg-DA zu § 170 SGB III Nr. 3.2 Abs. 2, so auch die aktuelle Fassung, Stand: 1.6.2015, abrufbar unter https://www.arbeitsagentur.de/web/ wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mjcx/ ~edisp/l6019022dstbai758580.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI758592 (Abrufdatum: 15.3.2016). 20) HEGA 06/15 – 04, Geschäftszeichen AV 32-75165/75167/7317; Insg-DA zu § 170 SGB III Nr. 3.2 Abs. 2, so auch die aktuelle Fassung, Stand: 1.6.2015, abrufbar unter https://www.arbeitsagentur.de/web/ wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mjcx/~edisp/l6019022dstbai758580.pdf?_ba.sid =L6019022DSTBAI758592 (Abrufdatum: 15.3.2016).

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§ 21

Teil V Einzelfragen

22 Da die Vorschrift des § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO für das Schutzschirmverfahren ausdrücklich lediglich eine entsprechende Geltung des § 55 Abs. 2 InsO anordnet, ist in der Insolvenzpraxis – und damit insbesondere bei den das Insolvenzgeld vorfinanzierenden Banken – die Frage nach einer entsprechenden Anwendbarkeit der Vorschrift des § 55 Abs. 3 InsO im Schutzschirmverfahren aufgekommen. 23 In der Praxis haben in der unmittelbaren Folgezeit innerhalb der zweiten Jahreshälfte 2012 offensichtlich einige kreditierende Banken versucht, sich diese scheinbare Gesetzeslücke zunutze zu machen und in ihren Rahmenvereinbarungen die Forderung aufgestellt, dass „es sich bei den angekauften Nettoarbeitsentgelten um Masseforderungen handeln muss und die Insolvenzschuldnerin vor Durchführung der Ankäufe daher einen Beschluss des zuständigen AG vorzulegen hat, nachdem die zum Ankauf vorgesehene Nettoarbeitsentgelte Masseforderungen sind“.21)

Sollte sich diese Vorgehensweise durchsetzen, wäre das Schutzschirmverfahren als Sanierungsinstrument gescheitert. 24 In der Folgezeit hat sich jedoch rasch die Auffassung durchgesetzt, das ungeachtet der gesetzgeberischen Lücke innerhalb des § 270b Abs. 3 Satz 2 die Anwendbarkeit des § 55 Abs. 3 InsO auch i. R. eines Schutzschirmverfahrens gegeben ist.22) Auch die Bundesagentur für Arbeit geht i. R einer Stellungnahme vom 16.7.2012 in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Justiz von einer entsprechenden Anwendbarkeit des § 55 Abs. 3 InsO (auch) auf das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO aus.23) III.

Arbeitsrechtsrechtliche Probleme einer Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren

1.

Die Freistellung von Arbeitnehmern

1.1

Zulässigkeit auf individualvertraglicher Ebene

25 Eine erfolgreiche Betriebsfortführung mit dem Ziel einer Reduzierung (auch) der Personalkosten führt zwangsläufig zur Notwendigkeit, dem durch den Auftragsrückgang reduzierten Beschäftigungsvolumen möglichst zeitnah durch eine Personalreduzierung Rechnung zu tragen. Selbst wenn die im Vorfeld des Ausspruchs einer Kündigung zu beachtenden formalen Hürden (Betriebsratsanhörung, ggf. Einholung von Behördenzustimmungen im Falle des Sonderkündigungsschutzes, Abschluss eines Interessenausgleichs bei Betriebsänderung) erfüllt sind, setzt eine ordentliche Kündigung erst eine in der Regel mehrmonatige Kündigungsfrist in Lauf, während derer das Arbeitsverhältnis mit seinen wechselseitigen Pflichten fortbesteht. Dies mag innerhalb der Phase des Insolvenzeröffnungsverfahrens zu vernachlässigen sein, da eine Finanzierung der Lohn- und Gehaltskosten über das Insolvenzgeld erfolgt, spätestens jedoch nach der Insolvenzeröffnung stellen diese Kosten Masseschulden dar, die i. R. einer Fortführungsplanung zu berücksichtigen sind. 26 Dabei lässt sich in der Praxis beobachten, dass die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern auf mittelfristig nicht mehr benötigten Arbeitsplätzen regelmäßig wenig sinnvoll erscheint. Zum einen fehlt es oftmals an der Motivation der betroffenen Arbeitnehmer, zum anderen ist angesichts der Knappheit der Ressourcen auf Arbeitgeberseite nur ein geringes Interesse vorhanden, vakante Arbeitsverhältnisse gezwungenermaßen bis zum vertraglich geschuldeten Ende abzuwickeln. Auch hier stellt es im eröffneten Insolvenzverfahren ein weiteres Mittel der (Zwischen-)Finanzierung der Fortführung dar, Arbeitnehmer vorzeitig von ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen. Auf Arbeit___________ 21) So u. a. der Bericht aus der Insolvenzpraxis unter www.buchalik-broemmekamp.de (Abrufdatum: 2.5.2016). 22) Vgl. dazu Buchalik, ZInsO 2012, 349, 356. 23) So der Erfahrungsbericht abrufbar bei www.buchalik-broemmekamp.de (Abrufdatum: 2.5.2016).

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Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 21

geber- und damit Insolvenzverwalterseite birgt dies den Vorteil, i. R. der aufoktroyierten Masseschulden die entsprechenden Lohn- und Gehaltskosten nicht mehr i. R. der Rangklasse des § 55 Abs. 1 Nr. 1, sondern nunmehr i. R. der Rangklasse des § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO berücksichtigen zu müssen; erfolgt darüber hinaus die Freistellung unwiderruflich, hat dies auf Arbeitgeberseite gleichzeitig den Vorzug, dass durch diese Freizeitgewährung bei entsprechender Formulierung im Freistellungstext etwaige noch offene Resturlaubsansprüche verbraucht werden24) und damit zum Beendigungszeitpunkt nicht mehr abgegolten werden müssen.25) Um eine Urlaubsabgeltung während der Freistellung herbeizuführen, ist es mithin zum einen erforderlich, dass der Insolvenzverwalter die unwiderrufliche Freistellung ausdrücklich unter Anrechnung der Resturlaubsansprüche erklärt. Ferner muss deutlich werden, in welchem Umfang der Arbeitgeber die Urlaubsansprüche erfüllen will. Erklärt er sich nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit, geht dies zu seinen Lasten.26) Es ist daher anzuraten, den Urlaubszeitraum im Freistellungstext möglichst konkret zu datieren. Seit Februar 2015 wird weiterhin von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefordert, 27 dass es zur wirksamen Urlaubsgewährung zur Vermeidung eines Abgeltungsanspruchs auch gehört, dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Urlaubsantritt entweder zu zahlen oder aber wenigstens vorbehaltslos zuzusagen.27) Die Auswirkung dieser Rechtsprechung auf die insolvenzrechtliche Praxis ist bislang noch ungeklärt. Eine derartige Zusage dürfte jedenfalls in masseunzulänglichen Insolvenzverfahren zu Problemen führen. Auf Arbeitnehmerseite bietet die vorzeitige Freistellung von der Verpflichtung zur Ar- 28 beitsleistung den Vorteil, i. R. der sog. Gleichwohlgewährung gemäß § 157 Abs. 3 SGB III ungeachtet des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses bereits Arbeitslosengeld beanspruchen zu können, da die Zahlungsansprüche aus der Insolvenzmasse tatsächlich nicht erfüllt werden. Ungeachtet der wirtschaftlichen Vor- und Nachteile einer Freistellung vor oder auch 29 nach Ausspruch einer Kündigung stellt sich die Frage der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit einer derartigen einseitigen Maßnahme. Das BAG hat insoweit in zwei maßgeblichen Entscheidungen vom 11.10.195528) und 27.2.198529) auf Arbeitnehmerseite das Bestehen eines Beschäftigungsanspruchs dem Grunde nach bestätigt. Nach Auffassung des BAG stellt die Arbeitsleistung nicht nur ein Wirtschaftsgut dar, sondern ist regelmäßig auch Ausdruck des Persönlichkeitsrechts des Mitarbeiters; dieses findet seine Verankerung in der Verfassung und konkurriert mit den ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechten des Arbeitgebers (Art. 12, Art. 14 GG). Nach Ansicht des BAG ist das Konkurrenzverhältnis jedenfalls im ungekündigten Arbeitsverhältnis zugunsten der Interessen des Beschäftigten zu lösen. Seine Rechtsposition überwiegt grundsätzlich diejenige des Arbeitgebers.30) Treten auf Seiten des Unternehmens jedoch weitere Umstände hinzu, kann die Abwägung der Rechtspositionen anders ausfallen. Dies gilt namentlich dann, wenn auf Arbeitgeberseite ein berechtigtes Interesse besteht, einen Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.31) ___________ 24) BAG, Urt. v. 19.3.2002 – 9 AZR 16/01, ZIP 2002, 2186, 2188. 25) Es ist bei vakanten Urlaubsansprüchen i. Ü. sinnvoll, im Zuge der Freistellungserklärung den genauen Urlaubstermin konkret festzulegen, vgl. dazu BAG, Urt. v. 17.5.2011 – 9 AZR 189/10, NZA 2011, 1032. 26) BAG, Urt. v. 17.5.2011 – 9 AZR 189/10, NZA 2011, 1032 = NJW 2011, 3386. 27) BAG, Urt. v. 10.2.2015 – 9 AZR 455/13, NZA 2015, 998 = ZIP 2015, 1753 (LS). 28) BAG, Urt. v. 11.10.1955 – 2 AZR 591/54, BAGE 2, 221 = NJW 1956, 359. 29) BAG, Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84, ZIP 1985, 1214. 30) So ausdrücklich LS 1 Abs. 2 Satz 2 des Urteils des BAG, Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84, ZIP 1985, 1214. 31) BAG, Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84, ZIP 1985, 1214, 1221.

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Teil V Einzelfragen

30 Mithin gelten im Insolvenzeröffnungsverfahren im Falle einer Freistellung durch den bisherigen Arbeitgeber mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters im Vorfeld des Ausspruchs einer etwaigen Kündigung die allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätze. 31 Für das eröffnete Insolvenzverfahren folgt der Prüfungsmaßstab für die Zulässigkeit einer Freistellung aus dem Beschluss des Großen Senats des BAG vom 27.2.1985. Im Rahmen der dortigen Entscheidung wurde der arbeitsrechtliche Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers auf der Grundlage von § 242 BGB hergeleitet; ferner führte der Große Senat i. R. eines obiter dictum mehrere Beispiele dafür an, wann konkret die Interessen des Arbeitgebers an einer Freistellung des Arbeitnehmers die Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers überwiegen. Dies soll u. a. dann der Fall sein, wenn Auftragsmangel besteht.32) Hierauf wird sich ein Insolvenzverwalter – jedenfalls im Regelfall – ohne weiteres berufen können.33) Auf einen Rückgriff auf das seitens des LAG Hamm in seinen beiden Urteilen vom 27.9.200034) und vom 7.9.200135) formulierte insolvenzspezifische Freistellungsrecht kommt es mithin voraussichtlich nicht an. 32 Nach Auffassung des LAG Nürnberg36) ist der Insolvenzverwalter bei der Ausübung seines Freistellungsrechts an die Grenzen des billigen Ermessens gemäß § 315 BGB gebunden. Insoweit können i. R. der Auswahl der freizustellenden Mitarbeiter auch soziale Gesichtspunkte i. S. von § 1 KSchG wie etwa Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und besonderer finanzielle Interessen sowie Sonderkündigungsschutztatbestände von Bedeutung sein.37) 33 Vom seitens des BAG in seinen beiden Entscheidungen von 1955 und 1985 hergeleiteten allgemeinen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers ist der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zu unterscheiden: Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen und der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben, ist der Arbeitgeber – und damit auch der Insolvenzverwalter – verpflichtet, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Von dieser Beschäftigungsverpflichtung kann sich auch ein Insolvenzverwalter lediglich unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 – 3 BetrVG im Wege einer einstweiligen Verfügung des ArbG entbinden lassen. 34 Wird ein Teil der Belegschaft durch den Insolvenzverwalter mangels ausreichender Masse von der Arbeit freigestellt, besteht die Rechtsschutzmöglichkeit der betroffenen Arbeitnehmer über eine einstweilige Verfügung im Übrigen lediglich dann, wenn die Auswahlentscheidung des Insolvenzverwalters willkürlich war oder offensichtlich unwirksam ist und besondere Beschäftigungsinteressen dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den freigestellten Arbeitnehmer erfordern.38) ___________ 32) BAG, Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84, ZIP 1985, 1214, 1221. 33) Berscheid, ZInsO 2001, 64; Weisemann, DZWIR 2001, 151 (Urteilsanm.); Bertram, NZI 2001, 625; Lauer, ZIP 2006, 983; Bayreuther, ZIP 2008, 573; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 130 m. w. N. 34) LAG Hamm, Urt. v. 27.9.2000 – 2 Sa 1178/00, ZIP 2001, 435 ff. 35) LAG Hamm, Urt. v. 6.9.2001 – 4 Sa 1276/01, ZInsO 2002, 45 ff. 36) LAG Nürnberg, Beschl. v. 30.8.2005 – 6 Sa 273/05, ZIP 2006, 256 (LS); Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 199. 37) So etwa Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 200 m. w. N. 38) LAG Hamm, Urt. v. 27.9.2000 – 2 Sa 1178/00, ZIP 2001, 435 = NZI 2001, 499; a. A. ArbG Kaiserslautern, Urt. v. 4.5.2001 – 7 Ca 193/01, ZInsO 2002, 96; LAG Hamm, Urt. v. 6.9.2001 – 4 Sa 1276/01, ZInsO 2002, 45; zum Ganzen auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 223.

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Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 21

Aufgrund einer Handhabung der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger hatte 35 sich die unwiderrufliche Freistellung im Interesse einer Erfüllung der etwaigen Resturlaubsansprüche und Freizeitguthaben der freigestellten Arbeitnehmer vorübergehend als problematisch erwiesen: Im Rahmen der gemeinsamen Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesagentur für Arbeit am 5. und 6.7.2005 schlussfolgerten diese aus einer solchen Freistellung, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung des BSG, ein Ende der Versicherungspflicht mit der Folge, dass damit die Pflichtmitgliedschaft der betroffenen freigestellten Arbeitnehmer in der Krankenversicherung und auch in der Arbeitslosenversicherung ende.39) Nach Auffassung der Organisationen und Spitzenverbände verzichte der Arbeitgeber im Falle einer unwiderruflichen Freistellung auf sein Direktionsrecht; damit werde die ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis i. S. von § 7 SGB IV kennzeichnende zweiseitige Beziehung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgehoben.40) Das BSG hat dieser Auffassung jedoch zwischenzeitlich mit zwei Entscheidungen vom 36 24.9.2008 eine Absage erteilt und das Fortbestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses trotz (unwiderruflicher) Freistellung festgestellt.41) 1.2

Freistellung und betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung

Im Falle der ersatzlosen Freistellung eines Arbeitnehmers von seiner Verpflichtung zur 37 Arbeitsleistung werden diesem seine bisherigen Arbeitsaufgaben entzogen, ohne dass ihm gleichzeitig neue Tätigkeiten zugewiesen werden. Mithin liegt hierin keine mitbestimmungspflichtige Versetzung i. S. von §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.42) Die Freistellung eines Arbeitnehmers während der Laufzeit der Kündigungsfrist führt 38 nach der Rechtsprechung auch nicht zur Mitbestimmung des Betriebsrates vor dem Hintergrund einer vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit i. S. von § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG oder infolge der Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie der Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG43). Für Aufsehen gesorgt hat insoweit eine Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 39 2.3.2012:44) Stellt der Insolvenzverwalter alle Arbeitnehmer unwiderruflich von der Arbeit frei, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, so liege hierin bereits der Beginn einer Betriebsänderung, der den Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs i. S. von § 113 Abs. 3 BetrVG – als Masseschuld – entstehen lässt. Gleichermaßen wie eine Kündigung als einseitig gestaltende Willenserklärung sei die unwiderrufliche Freistellung nicht mehr umkehrbar. Dieser Konflikt lässt sich im (drohend) masseunzulänglichen Verfahren bei fehlenden finanziellen Mitteln zur Darstellung sämtlicher Löhne und Gehälter daher einmal mehr nur im Wege der verständnisvollen Kooperation mit dem amtierenden Betriebsrat lösen. Allerdings stellt das Unterlassen einer Frei___________ 39) Vgl. zur einschlägigen Rspr. des BSG etwa Urt. v. 25.4.2002 – B 11 AL 65/01 R, NZA-RR 2003, 105; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 230. 40) Besprechung über Fragen des sog. Beitragseinzugs zur Kranken-, Pflege-, Renten und Arbeitslosenversicherung v. 5./6.7.2005, zit. bei Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 231. 41) BSG, Urt. v. 24.9.2008 – B 12 KR 22/07 R, BB 2009, 782 = NZA-RR 2009, 272 und BSG, Urt. v. 24.9.2008 – B 12 KR 27/07 R, NZA 2009, 559 = NZA-RR 2009, 269. 42) So BAG, Beschl. v. 28.3.2000 – 1 ABR 17/99, NZA 2000, 1355. 43) LAG Köln, Urt. v. 16.3.2000 – 10 (11) Sa 1280/99, ZInsO 2000, 571; so auch LAG Hamm, Beschl. v. 20.9.2002 – 10 TaBV 95/02, ZInsO 2003, 531; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 239. 44) LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 1429.

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Teil V Einzelfragen

stellung durch den Insolvenzverwalter bei Masseunzulänglichkeit keine zum Schadensersatz nach §§ 60, 61 InsO führende (insolvenzspezifische) Pflichtverletzung dar.45) 2.

Rechtliche Voraussetzungen einer Änderung der Arbeitsbedingungen

40 Die Betriebsfortführung im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren stellt regelmäßig keinen Selbstzweck dar, sondern dient jeweils der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung als Hauptziel eines jeden Insolvenzverfahrens.46) Unabhängig davon, ob dies i. R. einer x

„zerschlagenden“ Sanierung durch Einstellung des Geschäftsbetriebs durch Liquidation i. S. einer Veräußerung der Betriebsmittel und Beendigung der Arbeitsverhältnisse,

x

einer „übertragenden“ Sanierung i. S. einer Veräußerung der Assets des Unternehmens in der Regel durch Einzelrechtsnachfolge auf einen anderen Rechtsträger47) oder

x

einer „investiven“ Verwertung i. S. einer Sanierung und Erhaltung des Rechtsträgers infolge eines Insolvenzplans

geschieht, bedarf es regelmäßig bei allen drei Optionen (auch) einer Umstrukturierung im Personalbereich, um möglichst zeitnah eine Kostensenkung zu realisieren. 41 Als mildestes Mittel einer personellen Umstrukturierung ist im Vorfeld einer ersatzlosen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses an eine Änderung der Arbeitsbedingungen zu denken, die – sofern eine einvernehmliche Regelung nicht möglich ist – notfalls in Form des Ausspruchs einer Änderungskündigung zu erfolgen hat.48) 42 Eine Änderungskündigung enthält zunächst gleichermaßen wie die Beendigungskündigung die Erklärung, dass das (bisherige) Arbeitsverhältnis sein Ende findet. Insoweit kommt die Änderungskündigung wie die Beendigungskündigung in ordentlicher wie auch außerordentlicher/fristloser Form in Betracht. Der Unterschied zur ersatzlosen Beendigungskündigung besteht darin, dass im Vorfeld oder – spätestens gleichzeitig – mit der Kündigung ein Änderungsangebot unterbreitet wird, das nach dem Willen des Arbeitgebers im Falle seiner Annahme nach Ablauf der Kündigungsfrist seine Rechtswirkungen entfaltet. 43 Eine Änderungskündigung ist indes rechtlich nur zulässig und wirksam, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht auf milderem Wege, z. B. durch Ausübung des Direktionsrechts49) erreicht werden kann. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Umschreibung des Arbeitsgebiets im Arbeitsvertrag (auch) die erstrebte Änderung zulässt und durch die Änderung der Tätigkeit kein wesentlicher Ansehens-, Status- oder auch finanzieller Verlust eintritt. Vermag mithin eine geringer dotierte Tätigkeit durch bloße Ausübung des Direktionsrechts nicht zugewiesen zu werden, verbleibt lediglich der Ausspruch einer Änderungskündigung i. S. einer einseitig gestaltenden Willenserklärung. 44 Im Zuge einer Betriebsfortführung innerhalb eines Insolvenzverfahrens wird die Änderung der Arbeitsbedingungen im Regelfall entweder zur Herabsetzung des Entgelts oder aber zur (zusätzlichen) Übertragung eines weiteren Aufgabengebietes gewollt sein. Derartige Maßnahmen sind typischerweise nicht vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht umfasst. 45 Im Übrigen gelten (auch) innerhalb der Insolvenz unabhängig davon, ob es sich um das Insolvenzeröffnungsverfahren oder das eröffnete Insolvenzverfahren handelt, die allge___________ 45) 46) 47) 48)

BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 6 AZR 321/11, NZI 2013, 234 = ZIP 2013, 638. So statt vieler Schmerbach in: FK-InsO, § 1 Rz. 11. Hierzu etwa Annuß/Lembke, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, Rz. 2 – 5 m. w. N. „Vorrang der Änderungskündigung“; st. Rspr. d. BAG, vgl. etwa BAG, Urt. v. 27.9.1984 – 2 AZR 62/83, BAGE 47, 26; BAG, Urt. v. 29.11.1990 – 2 AZR 282/90, n. v.; zum Ganzen auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 310 ff.; Annuß, NZA 2005, 443. 49) Vgl. § 106 GewO; hierzu Gaul/Bonanni, ArbRB 2002, 234 ff.; Schulte, ArbRB 2003, 245.

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Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 21

meinen arbeitsrechtlichen Grundsätze. Dies gilt insbesondere für das nach § 623 BGB einzuhaltende Schriftformerfordernis, das sich nicht nur auf die Beendigungserklärung, sondern auch auf das Änderungsangebot bezieht.50) Weiterhin muss das Änderungsangebot eindeutig formuliert sein, wobei der Vorbehalt einer näheren Gestaltung der geänderten Arbeitsbedingungen i. R. einer späteren Klärung zulässig ist. 3.

Personalabbau innerhalb einer Betriebsfortführung

3.1

Das Recht zur Beendigungskündigung

Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Berechtigung, die Rechte 46 und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis wahrzunehmen, vom Insolvenzschuldner auf den Insolvenzverwalter über. Der Insolvenzverwalter ist Partei kraft Amtes.51) Da innerhalb der nunmehr beginnenden Phase des Insolvenzverfahrens die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmerschaft nicht mehr über Drittmittel (Insolvenzgeld) finanziert werden, hat dieser regelmäßig ein Interesse daran, zur Vermeidung eines Masseverzehrs sowie im Interesse einer Optimierung des Verfahrensergebnisses personelle Umstrukturierungsmaßnahmen zeitnah umzusetzen. Die Arbeitsverhältnisse im Unternehmen der Insolvenzschuldnerin bestehen nach Ver- 47 fahrenseröffnung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO unverändert, d. h. mit allen Rechten und Pflichten, fort,52) so dass spätestens zu diesem Zeitpunkt mit den Vorbereitungen zum Ausspruch von Beendigungskündigungen begonnen werden sollte. Im Interesse eines Zeitgewinns erscheint es darüber hinaus sinnvoll, entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen bereits innerhalb des Eröffnungsverfahrens zu beginnen; dies gilt namentlich dann, wenn im Unternehmen ein Betriebsrat vorhanden ist, mit dem sowohl auf individueller (siehe Rz. 93 f.) als auch auf kollektiver Ebene (siehe dazu nachfolgend § 22 Rz. 1 ff. [Schäfer]) Verhandlungen durchzuführen sind. Zwar beginnen – rein formal – sämtliche einzuhaltenden Konsultationspflichten mit der Insolvenzeröffnung mit dem hierdurch vollzogenen, gesetzlich angeordneten Arbeitgeberwechsel erneut und sind grundsätzlich ein zweites Mal durchzuführen, jedoch wird im Zweifelsfalle ein verständiger Betriebsrat dazu bereit sein, angesichts einer innerhalb des Eröffnungsverfahrens bereits ausführlich behandelten und diskutierten Umstrukturierungsmaßnahme auf das Verhandlungsergebnis Bezug zu nehmen und die erneut anlaufenden Anhörungsfristen zu verkürzen.53) 3.2

Einzelvertragliche, kollektivrechtliche und gesetzliche Formvorschriften

Da die in verschiedenen Gesetzen verstreuten arbeitsrechtlichen Bestimmungen durch die 48 Insolvenzeröffnung nicht tangiert werden, hat auch der Insolvenzverwalter bei Ausspruch einer Kündigung die vertraglich vereinbarten oder kollektivrechtlich vorgeschriebenen ___________ 50) Vgl. BAG, Urt. v. 16.9.2004 – 2 AZR 628/03, ZIP 2005, 366 = DB 2005, 395. 51) Herrschende „Amtstheorie“, st. Rspr. seit RG, Urt. v. 30.3.1892 – Rep. V. 255/91, RGZ 29, 29; vgl. etwa BGH, Urt. v. 26.1.2006 – IX ZR 282/03, ZInsO 2006, 260; BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, ZIP 2005, 1034 = WM 2005, 1084, Nerlich/Römermann-Delhaes, InsO, Vor § 56 Rz. 10; Nerlich/ Römermann-Wittkowski/Kruth, InsO, § 80 Rz. 38 ff. Hieraus folgt auch die Passivlegitimation für etwaige Kündigungsschutzklagen, vgl. etwa BAG, Urt. v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, DB 2013, 586. Diese Passivlegitimation endet, wenn der Verwalter von seinem Freigaberecht aus § 35 Abs. 2 InsO Gebrauch macht, vgl. BAG, Urt. v. 21.11.2013 – 6 AZR 979/11, DB 2014, 667 = ZIP 2014, 339. 52) Statt vieler Berscheid, ZInsO 1998, 115; Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Rz. 518; Arens/ Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 155. 53) Selbst wenn sich der der Kündigungsentscheidung zugrunde liegende Sachlage alleine durch die Insolvenzeröffnung nicht geändert hat, hört nunmehr i. S. des § 102 BetrVG – formal – ein neuer Arbeitgeber an; i. R. des Informationspflichten ist zwingend darauf zu achten, dass insbesondere auch die auf durch § 113 InsO nunmehr geänderte Kündigungsfrist und deren Auswirkung auf jeden Einzelfall hingewiesen wird.

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Formvorschriften einzuhalten; § 113 Satz 1 InsO eröffnet lediglich das Recht zur jederzeitigen Kündigungsmöglichkeit, enthält jedoch nicht gleichzeitig auch eine Freistellung von vertraglich vereinbarten Formerfordernissen.54) 49 Mithin ist auch seitens des Insolvenzverwalters gemäß § 623 BGB die gesetzlich postulierte Schriftform der Kündigung zu beachten; die Nichteinhaltung dieser oder der durch Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung vorgeschriebenen ergänzenden Formvorschriften hat gemäß § 125 Satz 1 BGB die Nichtigkeit der ausgesprochenen Kündigung zur Folge. 50 Im Hinblick auf eine Bestimmtheit der Kündigungserklärung gelten die allgemeinen Grundsätze: Der Empfänger muss insoweit erkennen können, wann das Arbeitsverhältnis enden soll. Ausreichend ist hier regelmäßig eine Angabe des Kündigungstermins oder der Kündigungsfrist, der Fristberechnung zugrunde liegende rechtliche Erwägungen oder Bestimmungen müssen im Regelfall nicht angegeben werden.55) 3.3

Die Beschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung

3.3.1 Gesetzlicher Sonderkündigungsschutz 51 Enthält § 113 InsO ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung das jederzeitige Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters verbunden mit einer Maximalfrist (Kappungsgrenze) von drei Monaten zum Monatsende, folgt daraus im Umkehrschluss, dass ein etwaig bestehender gesetzlicher Sonderkündigungsschutz in der Insolvenz nicht ausgeschlossen werden sollte. Damit ist der Sonderkündigungsschutz namentlich folgender Arbeitnehmergruppen zu beachten:56) x

Schwerbehindertenschutz bei Schwerbehinderten und Gleichgestellten gemäß § 85 SGB IX,

x

Sonderkündigungsschutz von Inhabern eines Bergmannsversorgungsscheins (§ 1 BVSG Nds.; §§ 11, 12 BVSG NRW; §§ 11, 12 BVSG Saarland),

x

Sonderkündigungsschutz für Immissionsschutz- und Störfallbeauftragte (§ 58 Abs. 2 BImSchG und § 58d i. V. m. § 58 Abs. 2 BImSchG),

x

amtsbezogener Kündigungsschutz für Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit (§ 9 Abs. 3 ASIG) und sonstige Betriebsbeauftragte,

x

amtsbezogener Kündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte (§ 36 Abs. 3 Satz 4 BDSG),

x

Sonderkündigungsschutz von Mitgliedern des Betriebsrats oder anderer Organe der Betriebsverfassung (§ 15 Abs. 1 KSchG, ferner nach § 15 Abs. 3 KSchG von Mitgliedern des Wahlvorstandes sowie Wahlbewerbern, Mitgliedern einer Jugendvertretung etc.),

___________ 54) So etwa Düwell in: Kölner Schrift zur InsO, S. 1433, 1454, Rz. 62; Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Rz. 542 m. w. N. 55) Umgekehrt reicht bei Nichtangabe des konkreten Beendigungstermins ein Hinweis auf die maßgebliche gesetzliche Regelung im Kündigungstext aus, wenn der Erklärungsempfänger durch eigene Subsumtion unschwer ermitteln kann, zu welchem Termin sein Arbeitsverhältnis enden soll; vgl. zu einer Kündigung durch einen Insolvenzverwalter BAG, Urt. v. 20.6.2013 – 6 AZR 805/11, ZIP 2013, 1835 = DB 2013, 2093; zur ausreichenden Bestimmtheit des Ausspruchs einer Kündigung „zum nächstmöglichen Termin“ vgl. auch BAG, Urt. v. 10.4.2014 – 2 AZR 647/13, NZA 2015, 162. 56) Es handelt sich um einen Auszug der wichtigsten einen Sonderkündigungsschutz genießenden Personengruppen; weitere Vorschriften wie z. B. zum Schutz von Personen während der Ableistung von Wehroder Zivildienst (gemäß § 2 ArbPlSchG/§ 78 ZDG) oder von Kämpfern gegen den Faschismus und Verfolgte des Faschismus (§ 58 Abs. 1a i. V. m. § 59 Abs. 2 AGB-DDR) spielen heute in der Praxis keine maßgebliche Rolle mehr.

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x

Sonderkündigungsschutz von Mitgliedern der Schwerbehindertenvertretung (§ 96 Abs. 3 SGB IX unter Verweis auf den Kündigungsschutz des Betriebsrats), Mutterschutz (§ 9 Abs. 1 MuSchG),

x x

Elternzeit (vormals: Erziehungsurlaub) gemäß § 18 BEEG, pflegende Angehörige nach § 26 PflegeZG.

x

Der Schutz dieser Personengruppen ist grundsätzlich insolvenzfest, es sei denn, es kann 52 seitens des Insolvenzverwalters nachgewiesen werden, dass der betreffende Arbeitsplatz insolvenzbedingt entfällt. Teilweise kann sodann ordentlich zum Zeitpunkt des Wegfalls des Arbeitsplatzes, teilweise muss außerordentlich mit einer der maßgeblichen ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist, gekündigt werden.57) In einigen Fällen – namentlich im Falle der Schwerbehinderten sowie des Mutterschutzes/Erziehungsurlaubes – bedarf der Insolvenzverwalter gleichermaßen wie der Arbeitgeber vor Verfahrenseröffnung zur Kündigung der vorherigen Zustimmung von Behörden. Weiterhin bleibt zu beachten, dass die Kündigung im Bereich des Mutterschutzes schriftlich unter Angabe der Kündigungsgründe zu erfolgen hat (§ 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG). Mitglieder des Betriebsrats können nach Maßgabe der § 15 Abs. 4 und 5 KSchG ordentlich frühestens zum Zeitpunkt einer Betriebs- oder Betriebsteilstilllegung gekündigt werden. Im Falle der Betriebsfortführung führt dies regelmäßig zur zwingenden Weiterbeschäftigung des (gesamten) Betriebsrats, es sei denn, ein abgrenzbarer Betriebsteil wird vorzeitig geschlossen. Behinderten Arbeitnehmern bzw. Gleichgestellten i. S. von § 2 Abs. 3 SGB IX kommt ein 53 besonderer Kündigungsschutz zu, indem – falls das Arbeitsverhältnis mit dem Schwerbehinderten/Gleichgestellten zum Zeitpunkt der Kündigung länger als sechs Monate andauerte – der Kündigung durch den Arbeitgeber/Insolvenzverwalter gemäß § 85 SGB IX die Erteilung einer vorherigen Zustimmung durch das Integrationsamt vorausgehen muss. Dabei setzt der Bestand des Sonderkündigungsschutzes dann ein, wenn dem Arbeitgeber dieser im Zeitpunkt der Kündigung nachgewiesen ist (§ 90 Abs. 2a SGB IX). Die rein präventive Stellung eines Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft ins Blaue hinein im Vorfeld einer erwarteten Kündigung macht angesichts dieser zum 1.4.2004 in Kraft getretenen Neuregelung keinen Sinn mehr. Die Kündigungsfrist beträgt gemäß § 86 SGB IX mindestens vier Wochen. Im Übrigen gelten für das sodann vom Insolvenzverwalter durchzuführende Zustimmungs- 54 verfahren vor dem Integrationsamt keine Besonderheiten. Allerdings ergeben sich Sonderregelungen für den Fall der Durchführung einer interessen- 55 ausgleichspflichtigen Betriebsänderung im eröffneten Insolvenzverfahren: Hier soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn der Schwerbehinderte im Interessenausgleich mit Namensliste bezeichnet ist, die Schwerbehindertenvertretung beim Zustandekommen des Interessenausgleichs beteiligt wurde, der Anteil der nach dem Interessenausgleich zu entlassenden schwerbehinderten Menschen an der Zahl der beschäftigten Schwerbehinderten nicht größer ist als der Anteil der zu entlassenden übrigen Arbeitnehmer und die Gesamtzahl der schwerbehinderten Menschen, die nach dem Interessenausgleich im Unternehmen der Insolvenzschuldnerin verbleiben sollen, zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 71 SGB IX ausreicht (vgl. hierzu im Einzelnen § 89 Abs. 3 SGB IX). Im Falle einer völligen Betriebsstilllegung (auch im Insolvenzverfahren) besteht für das Integrationsamt kein Ermessensspielraum. Die Zustimmung ist in diesem Fall zu erteilen, wenn zwischen der Kündigung und dem Tag, bis zu dem Lohn oder Gehalt bezahlt wird, mindestens drei Monate liegen (§ 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). ___________ 57) So etwa Berufsausbildungsverhältnisse im Falle einer Betriebsstilllegung, BAG, Urt. v. 27.5.1993 – 2 AZR 601/92, ZIP 1993, 1316.

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3.3.2 Die Kündigung von Berufsausbildungsverhältnissen 56 Ausbildungsverhältnisse können (auch) durch den Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 BBiG innerhalb der ein- bis dreimonatigen Probezeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Nach deren Ablauf bedarf (auch) ein Insolvenzverwalter eines wichtigen Grundes zur Kündigung (§ 22 Abs. 2 BBiG). 57 Für den Fall des Vorliegens einer Betriebsstilllegung ist es dem Insolvenzverwalter erlaubt, eine außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen in entsprechender Anwendung des § 622 BGB auszusprechen.58) 3.3.3 Befristete oder auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse 58 Befristete und auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse enden gemäß § 620 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf der Zeit, für die sie eingegangen sind. Sofern vertraglich nicht noch zusätzlich das Recht zur ordentlichen Kündigung vorbehalten wurde, ist daher nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen innerhalb der Laufzeit nur eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB möglich. Die Vorschrift des § 113 InsO ermöglicht es dem Insolvenzverwalter, ein Dienstverhältnis ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer jederzeit zu kündigen.59) Aufgrund dieser gesetzgeberischen Anordnung sind auch tarifvertragliche Kündigungsbeschränkungen bei befristeten und auflösend bedingten Arbeitsverhältnissen im Insolvenzverfahren unbeachtlich.60) 3.3.4 Vereinbarter Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts 59 Durch § 113 Satz 1 InsO wird klargestellt, dass eine einzelvertraglich vereinbarte Unkündbarkeit in der Insolvenz generell unbeachtlich ist.61) Die Kündigungsfrist bemisst sich nach den maßgeblichen gesetzlichen oder tariflichen Fristen, wenn diese kürzer als drei Monate sind, ansonsten gilt als Kappungsgrenze die Höchstfrist bis § 113 Satz 2 InsO von drei Monaten zum Monatsende. 3.3.5 Tariflicher Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung 60 Manche Tarifverträge sehen unter gewissen Voraussetzungen (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter) eine ordentliche Unkündbarkeit betroffener Mitarbeiter vor;62) in diesen Fällen der Kündigung eines sog. „altersgeschützten“ Arbeitnehmers bedurfte es früher nach allgemeinen rechtlichen Grundsätzen mithin eines wichtigen Grundes i. S. von § 626 BGB, um dennoch eine Beendigungsmöglichkeit – mit entsprechender Auslauffrist – zu eröffnen. Wie im Falle der Auszubildenden hat auch hier das BAG die Konstellation einer Betriebsstilllegung als solchen wichtigen Grund anerkannt, um eine außerordentliche Kündigung ausnahmsweise zu rechtfertigen. In diesem Fall sollte eine außerordentliche Kündigung gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zulässig sein, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weggefallen und auch unter Einsatz aller zumutbaren Mittel, ggf. durch Umorganisation eines Betriebes oder eine Versetzung, eine Weiterbeschäftigungs___________ 58) Für das z. Zt. einer Geltung der KO maßgebliche Recht BAG, Urt. v. 27.5.1993 – 2 AZR 601/92, ZIP 1993, 1316; für eine entsprechende Anwendung im Insolvenzverfahren auch Opolony, BB 1999, 1706, 1707. 59) So bereits für das Konkursrecht LAG Frankfurt/M., Urt. v. 13.9.1985 – 13 Sa 332/85, BB 1986, 596, dazu EWiR 1985, 899 (Grunsky), dazu auch Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Rz. 554. 60) Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Rz. 554. 61) Vgl. zur Rechtslage z. Zt. der KO Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Rz. 556. 62) So etwa § 20 Nr. 4 Satz 1 MTV Metall NRW.

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möglichkeit ausgeschlossen war.63) Mithin war im Falle einer Kündigung als Auslauffrist die bis dahin erdiente gesetzliche/tarifliche Kündigungsfrist einzuhalten, die gegolten hätte, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen gewesen wäre.64) Nach aktueller Rechtsprechung des BAG auf der Grundlage der InsO ist nunmehr eine tarifvertraglich vereinbarte Unkündbarkeit älterer Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit als ein vereinbarter Kündigungsausschluss i. S. von § 113 Satz 1 InsO anzusehen.65) Die insbesondere unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 GG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken haben sich in der Praxis nicht durchsetzen können.66) 3.4

Kündigungsfristen und -termine in der Insolvenz

3.4.1 Gesetzliche Regelungen Die Vorschrift des § 113 Satz 2 InsO bestimmt, dass die Kündigungsfrist im eröffneten 61 Insolvenzverfahren maximal drei Monate zum Monatsende beträgt, sofern nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Damit ist für das Insolvenzverfahren eine Höchstfrist bestimmt; sie kommt nur zur Anwendung, wenn außerhalb des Insolvenzverfahrens keine kürzere einzelvertragliche, tarifliche oder gesetzliche Kündigungsfrist zur Anwendung gelangt.67) Mithin bedarf es in jedem Einzelfall einer Überprüfung der (einzel-)vertraglichen Kündigungsfristenregelung; selbst wenn jedoch im Individualvertrag eine kurze Kündigungsfrist niedergelegt ist, hat in Anbetracht des im Arbeitsrecht geltenden Günstigkeitsprinzips noch eine parallele Überprüfung anhand der gesetzlichen Kündigungsfristenregelung des § 622 BGB zu erfolgen, die in Absatz 2 für den Fall der Arbeitgeberkündigung i. R. einer Bemessung der Frist auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers zurückgreift. Entgegen der derzeit noch im Gesetz befindlichen Anordnung sind (auch) Zeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, voll berücksichtigungsfähig.68) Im Übrigen gelten jenseits der Kappungsgrenze von drei Monaten für eine Insolvenz- 62 kündigung keine Besonderheiten; insbesondere sind die Sonderkündigungsfristen besonderer Personengruppen (Kündigungsfristen in Heimarbeitsverhältnissen, Heuerverhältnissen, Kündigungsfristen für Schwerbehinderte, Kündigungsfristen für Ersatzkräfte ___________ 63) So bejaht für den Fall einer Betriebsstilllegung (außerhalb des Konkurses/der Insolvenz) BAG, Urt. v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, ZIP 1985, 1351; so nachfolgend auch BAG, Urt. v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, ZIP 1998, 1119. 64) BAG, Urt. v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, ZIP 1985, 1351. 65) BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 70/99, NZA 2000, 658, 659 = ZIP 2000, 985, so auch zuvor schon zur Verkürzung längerer tarifvertraglicher Kündigungsfristen durch die Kappungsgrenze des § 113 Satz 2 InsO BAG, Urt. v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98, ZIP 1999, 1933 = NZA 1999, 1331. 66) Vgl. etwa ArbG Limburg, Urt. v. 2.7.1997 – 1 Ca 174/97, InVo 1998, 46; ArbG Stuttgart, Beschl. v. 4.8.1997 – 18 Ca 1752/97, 1758/97, ZIP 1997, 2013, darauffolgend BVerfG v. 8.2.1999 – 1 BvL 25/97, ZIP 1999, 1221; zum Ganzen auch Kübler/Prütting/Bork-Moll, InsO, Stand: 11/2015, § 113 Rz. 124 ff.; Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 113 Rz. 73 – 76. 67) Berscheid, ZInsO 1998, 159, 162; Düwell in: Kölner Schrift zur InsO, S. 1433, 1449 Rz. 47; Weigand in: KR, §§ 113, 120 – 124 InsO Rz. 34; sie kommt auch bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in einem amerikanischen Chapter-11-Verfahren zur Anwendung, wenn nach Maßgabe der Bestimmungen des internationalen Insolvenzrechts (hier § 337 InsO mit seinem Verweis auf Rom I) deutsches Recht auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, vgl. BAG, Urt. v. 24.9.2015 – 6 AZR 492/14, ZIP 2015, 2387. 68) EuGH, Urt. v. 19.1.2010 – Rs. C-555/07 (Seda Kücükdeveci/Swedex GmbH & Co KG), Slg. 2010, I-365 = ZIP 2010, 196; nachfolgend BAG, Urt. v. 1.9.2010 – 5 AZR 700/09, ZIP 2011, 140 = NJW 2010, 3740; BAG, Urt. v. 9.9.2010 – 2 AZR 714/08, ZIP 2011, 444 = NJW 2011, 1626; die von der Beschäftigungsdauer abhängige Staffelung der Kündigungsfristen stellt jedoch i. Ü. keine verbotene Altersdiskriminierung dar, vgl. BAG, Urt. v. 18.9.2014 – 6 AZR 636/13, ZIP 2015, 91 = NZA 2014, 1400.

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für Erziehungsurlaub etc.) auch in der Insolvenz bis zur Maximalfrist von drei Monaten zu beachten.69) 3.4.2 Einzelvertragliche Vereinbarungen über Kündigungsfristen und -termine 63 Vom einzelvertraglich vereinbarten Kündigungsausschluss ist die einzelvertragliche Modifikation der Kündigungsfrist zu unterscheiden. Die – auch nach dem Günstigkeitsprinzip ohne weiteres zulässige – vertragliche Überschreitung der gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 BGB wird durch die Maximalfrist von drei Monaten des § 113 Satz 2 InsO begrenzt.70) Dem gegenüber beurteilt sich die Zulässigkeit einer Unterschreitung der gesetzlichen Kündigungsfristen – insolvenzunabhängig – nach § 622 Abs. 5 BGB. 3.5

Die Nachkündigung durch den Insolvenzverwalter

64 Jedes Insolvenzverfahren zeichnet sich von Beginn an durch eine gewisse Dynamik aus. Dabei kann es vorkommen, dass gegenüber ein- und demselben Arbeitnehmer im Zuge des zeitlichen Verlaufs wiederholt eine Kündigung ausgesprochen werden muss. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn der Insolvenzschuldner bereits vor Beginn des Verfahrens im Interesse einer Sanierung seines notleidenden Unternehmens Kündigungen ausgesprochen hatte und sich nunmehr innerhalb des Eröffnungsverfahrens oder des eröffneten Insolvenzverfahrens diese Notwendigkeit verfestigt. Die Notwendigkeit des Ausspruchs einer erneuten Kündigung (Nachkündigung) kann insbesondere dann gegeben sein, wenn entweder die erste Kündigung an formalen oder materiellen Mängeln leidet, die durch eine Nachkündigung geheilt werden sollen oder etwa der Ausspruch der erneuten Kündigung lediglich vor dem Hintergrund erfolgt, die Kappungsgrenze des § 113 Satz 2 InsO im Interesse einer weitergehenden Kostenminimierung zur Anwendung zu bringen. Insbesondere im Zuge einer Betriebsfortführung kann es erforderlich sein, vom Insolvenzschuldner bereits im Vorfeld eingeleitete Sanierungsmaßnahmen durch überholende zweite Kündigungen in ihrer Kostenfolge zu beschleunigen. 65 Das ArbG Köln hatte in einer viel beachteten Entscheidung der Wirksamkeit einer Nachkündigung unter ausschließlicher Ausnutzung der privilegierten (kürzeren) Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO eine Absage erteilt.71) Das BAG hat sich seinerseits einige Jahre später mit der Problematik beschäftigt und die Nachkündigung in der Insolvenz auch für den Fall der bloßen Ausnutzung der kürzeren Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO für zulässig erklärt und das Vorliegen einer unzulässigen Wiederholungskündigung verneint.72) 66 Im Zuge der Dynamik einer Betriebsfortführung kann es umgekehrt auch vorkommen, dass es erforderlich wird, neue Arbeitskräfte einzustellen. Hier hat sich in der Vergangenheit die Frage gestellt, ob auch in dieser Konstellation im Falle der Notwendigkeit einer anschließenden Kündigung das Privileg der Kappungsgrenze des § 113 Satz 2 InsO Anwendung findet. Das LAG Berlin-Brandenburg hat diese Frage – gleichermaßen wie der ___________ 69) So lehnt etwa das BAG einen Anspruch einer in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmerin aus Art. 6 GG auf Verlängerung der Kappungsgrenze des § 113 Satz 2 InsO ab, vgl. BAG, Urt. v. 27.2.2014 – 6 AZR 301/12, ZIP 2014, 1685 = DB 2014, 1145. 70) Dies gilt – verfassungsrechtlich unbedenklich – auch für längere tarifliche Kündigungsfristen, vgl. BAG, Urt. v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98, ZIP 1999, 1933 = NZA 1999, 1331. 71) ArbG Köln, Urt. v. 8.12.1998 – 4 (15) Ca 5991/98, NZI 1999, 282; dazu auch Leithaus, NZI 1999, 254; Berscheid, NZI 2000, 1, 5; zur Zulässigkeit und Unzulässigkeit von sog. Nach- oder Wiederholungskündigungen – auch in der Insolvenz – s. zuvor auch schon LAG Hamm, Urt. v. 13.8.1997 – 14 Sa 566 – 568/ 97, ZIP 1998, 161; LAG Hamm, Urt. v. 23.9.1999 – 4 Sa 1007/98, ZIP 2000, 246; LAG Düsseldorf, Urt. v. 13.1.1999 – 12 Sa 1810/98, ZInsO 1999, 544. 72) BAG, Urt. v. 8.4.2003– 2 AZR 15/02, ZIP 2003, 1260; BAG, Urt. v. 22.5.2003 – 2 AZR 255/02, ZIP 2003, 1670; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 507– 5 1 0 m. w. N.

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Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung

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Großteil des arbeitsrechtlichen Schrifttums – bejaht.73) In der Praxis wird diese Problematik kaum relevant sein, da ein neu eingestellter Arbeitnehmer jedenfalls im Regelfall (noch) über keine die Grundperiode von vier Wochen überschreitende Kündigungsfrist verfügen wird. 3.6

Ersatz des „Verfrühungsschadens“

Als Ausgleich für die gesetzliche Anordnung, der zufolge die durch mehrjährige Betriebs- 67 zugehörigkeit erdienten längeren Kündigungsfristen auf eine Maximalfrist von drei Monate reduziert werden, hat der Gesetzgeber in § 113 Satz 3 InsO dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz zugebilligt (sog. „Verfrühungsschaden“). Dieser Schadenersatzanspruch begründet allerdings keine Masseschuld, sondern ist entsprechend der eindeutigen gesetzlichen Anordnung i. S. von § 174 InsO als Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden.74) Im Rahmen der Schadensberechnung ist grundsätzlich die Differenz zur – durch § 113 68 Satz 1 InsO auf drei Monate verkürzten – Kündigungsfrist zugrunde zu legen. Ein innerhalb der hypothetischen längeren Kündigungsfrist anderweitig erzielter oder erzielbarer Verdienst ist i. R. der Schadensberechnung anzurechnen.75) Falls der Arbeitnehmer mit dem Insolvenzverwalter einen (vorzeitigen) Aufhebungsvertrag abschließt, soll dies allerdings nicht gelten.76) Im Falle des vertraglichen/tarifvertraglichen Ausschlusses der ordentlichen Kündbarkeit bspw. eines altersgeschützten Arbeitnehmers ist i. R. der Bemessung des Schadens die ohne die vereinbarte Unkündbarkeit geltende längste ordentliche Kündigungsfrist maßgebend.77) 3.7

Die betriebsbedingte Beendigungskündigung

Während noch innerhalb des Insolvenzeröffnungsverfahrens eine Darstellung der Arbeit- 69 nehmerlöhne regelmäßig über das Insolvenzgeld (ggf. unter Inanspruchnahme einer Vorfinanzierung) gesichert ist, stellt sich das Problem einer Finanzierung der Betriebsfortführung in seiner gesamten Schärfe ab dem Stichtag der Verfahrenseröffnung. Ab diesem Zeitpunkt übernimmt der Insolvenzverwalter die Arbeitgeberfunktion und rückt damit in den gesamten Pflichtenkreis ein, zu dem insbesondere auch eine Erfüllung der Lohnzahlungsverpflichtung als Masseschuld gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO gehört.78) Im Interesse einer Optimierung des Fortführungsergebnisses gehört daher die zeitnahe Umsetzung von personellen Anpassungsmaßnahmen regelmäßig zu den Grundvoraussetzungen der Rentabilität einer Betriebsfortführung.79) Jenseits der Bestimmungen des kollektiven Ar-

___________ 73) LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.7.2007 – 23 Sa 450/07, ZIP 2007, 2002; hierzu auch Müller-Glöge in: ErfK, § 113 InsO Rz. 5; Weigand in: KR, §§ 113, 120 – 124 InsO Rz 21; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 255; ablehnend Henkel, ZIP 2008, 1265. 74) Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 113 Satz 3 InsO und der Kompensation in Form des Verfrühungsschadens verweigert das BAG auch in Fällen des Sonderkündigungsschutzes einen Anspruch auf Verlängerung der Kündigungsfrist, so etwa zur Elternzeit BAG, Urt. v. 27.2.2014 – 6 AZR 301/12, ZIP 2014, 1685 = DB 2014, 1145. 75) Hierzu etwa Berkowsky, NZI 1999, 129, 131; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 249; etwaige Nachteile durch den eventuell früher endenden Bezugszeitraum für Arbeitslosengeld sind nicht zu berücksichtigen; vgl. dazu etwa LAG Hessen, Urt. v. 22.1.2013 – 13 Sa 1108/12, ZIP 2013, 1137 = NZI 2013, 363. 76) BAG, Urt. v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/04, ZIP 2007, 1875. 77) BAG, Urt. v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, ZIP 2007, 1829. 78) Allg. Ansicht, statt vieler etwa Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 4 Rz. 3. 79) So schon Mönning, 1. Aufl., 1997, Rz. 852.

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beitsrechts80) ergeben sich hier dem Grunde nach für das Kündigungsrecht innerhalb des Insolvenzverfahrens keine Besonderheiten. 3.7.1 Dringende betriebliche Erfordernisse 70 In denjenigen Fällen, in denen der Anwendungsbereich des KSchG eröffnet ist,81) unterfällt eine im Interesse der Erhaltung/Optimierung der Rentabilität ausgesprochene Kündigung dem Bereich der betriebsbedingten Kündigung i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG. Nach der gesetzlichen Vorgabe bedarf es mithin „dringender betrieblicher Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen“, um die Kündigung sozial zu rechtfertigen. Derartige dringende betriebliche Erfordernisse liegen regelmäßig dann vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung auf der betrieblichen Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Diese Prognose muss schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt sein.82) Wurde mit der Umsetzung der organisatorischen Maßnahmen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht begonnen, müssen zumindest die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, diese Maßnahmen vorzunehmen, zu diesem Zeitpunkt schon vorhanden und abschließend gebildet worden sein.83) 71 Die zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führenden dringenden betrieblichen Erfordernisse können sich dabei aus innerbetrieblichen oder aus außerbetrieblichen Umständen ergeben:84) x

Zu außerbetrieblichen Gründen gehören etwa Auftragsmangel, Umsatzrückgang oder Absatzschwierigkeiten;

x

innerbetriebliche Gründe bestehen regelmäßig in einer von der Geschäftsleitung/dem Insolvenzverwalter geplanten Umstrukturierungsmaßnahme aus Kostengründen, Betriebseinschränkungen, einer Verlagerung der Produktion ins Ausland oder einer (Teil-) Betriebsstilllegung.85)

72 Auf der Grundlage entsprechender innerbetrieblicher oder außerbetrieblicher Gründe muss sich der Insolvenzverwalter im Wege einer unternehmerischen Entscheidung zu organisatorischen Maßnahmen entschließen, als deren Folge das Bedürfnis für die weitere Beschäftigung der betroffenen Arbeitnehmer gänzlich entfällt.86) Ob eine solche unternehmerische Entscheidung tatsächlich getroffen wurde, ist von den ArbG i. R. einer Beweisaufnahme voll überprüfbar. In der Praxis empfiehlt sich hier regelmäßig eine entsprechende schriftliche Dokumentation bspw. in Form eines Protokolls der Sitzung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses. Ob sodann die unternehmerische Entscheidung angesichts der wirtschaftlichen Situation sachlich gerechtfertigt oder zweckmäßig ist, unterliegt hingegen nicht der ___________ 80) S. hierzu unten § 22 [Schäfer]. 81) Vgl. die Anwendbarkeitsvoraussetzungen gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG. 82) BAG, Urt. v. 23.2.2010 – 2 AZR 268/08, ZIP 2010, 1461 = NZA 2010, 944; BAG, Urt. v. 7.7.2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266; BAG, Urt. v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, ZIP 2014, 2525; vgl. dazu auch unten Rz. 95. 83) BAG, Urt. v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, ZIP 2014, 2525; BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, DB 2015, 1105= NZA 2015, 679. 84) Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 264. 85) Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 266; vgl. auch zur betriebsbedingten Kündigung bei Betriebsstilllegung BAG Urt. v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, DB 2013, 2687 = NZA 2014, 336. 86) BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 271.

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richterlichen Überprüfung; diese beschränkt sich vielmehr i. R. eines eingeschränkten Prüfungsmaßstabs auf eine Willkürkontrolle.87) Insbesondere für den Bereich der außerbetrieblichen Gründe hat das BAG klargestellt, dass 73 eine soziale Rechtfertigung der Kündigung in diesem Sinne dann vorliegt, wenn bei Ausspruch der Kündigung aufgrund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Prognose zu erwarten ist, dass zum Zeitpunkt des Kündigungstermins mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden, betrieblichen Grundes gegeben ist und keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht.88) In dieser Konstellation wird der Rückgang der Beschäftigung dem Insolvenzverwalter gleichsam von außen „aufgezwungen“, ohne dass er selbst gestaltend eingewirkt hat. Hier trifft der Insolvenzverwalter in der Konsequenz eine sich selbst bindende Entscheidung, die im Streitfall insbesondere auch hinsichtlich der außerbetrieblichen Zwänge und deren Auswirkungen auf den einzelnen betroffenen Arbeitsplatz gerichtlich voll überprüft werden kann.89) Einen bislang in der Praxis eher selteneren Sonderfall stellt insoweit die betriebsbedingte 74 Druckkündigung dar. Hier sieht sich der Insolvenzverwalter als Arbeitgeber aufgrund des Drucks von Vertragspartnern der Insolvenzschuldnerin bzw. Gläubigern gezwungen, zur Vermeidung schwerer wirtschaftlicher Schäden für das Unternehmen (etwa infolge der Notwendigkeit einer Betriebsstilllegung mangels Bereitschaft einer Bank zu einer Verlustübernahme)90) ein oder mehrere Arbeitsverhältnisse zu kündigen. Die Rechtsprechung hat diese betriebsbedingte Druckkündigung als „echte Druckkündigung“91) grundsätzlich für zulässig erklärt, auch wenn sie – der „unechten Druckkündigung“ insoweit vergleichbar – hohen Anforderungen unterliegt: Der Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter hat sich auch hier zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen. Nur wenn auf diese Weise die Drohung nicht abgewendet werden kann und bei Verwirklichung der Drohung schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber drohen, kann die Kündigung sozial gerechtfertigt sein.92) In der Praxis hat sich die Heranziehung von außerbetrieblichen Gründen zur Rechtfertigung 75 einer Kündigung angesichts der Notwendigkeit einer quasi rechnerischen Herleitung des Wegfalls einer Beschäftigungsmöglichkeit infolge Auftragsmangels regelmäßig als problematisch erwiesen. Oftmals ist es einfacher, innerbetriebliche Gründe – bspw. eine Umstrukturierung aus Kostengründen – zur Rechtfertigung für das Entfallen eines Arbeitsplatzes heranzuziehen. In den Fällen innerbetrieblicher Gründe wirkt die Unternehmerentscheidung gestaltend. Der Insolvenzverwalter hat in diesem Falle vorzutragen, wie er sich die Umsetzung der unternehmerischen Maßnahme vorstellt und wie sich diese betrieblich auswirken ___________ 87) BAG, Urt. v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, ZIP 1999, 1721; im Zuge mehrerer Entscheidungen v. 17.6.1999 hat das BAG hinsichtlich der „Unternehmerentscheidung“ die abgestufte Darlegungs- und Beweislast klar umrissen. Insbesondere muss die Umsetzung der Maßnahme im Zweifelsfalle durch ein nachvollziehbares Konzept aufgezeigt werden können. 88) BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 255/01, ZInsO 2003, 51; BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 256/01, BB 2002, 2184 = NJW 2002, 3795; BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 740/00, NZA 2002, 1175; bestätigt durch BAG, Urt. v. 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, ZIP 2008, 2091; instruktiv hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 268. 89) Ascheid, NZA 1991, 873, 876 unter 4.b. und c. 90) So etwa die Fallkonstellation des BAG, Urt. v. 18.7.2013 – 6 AZR 420/12, ZIP 2014, 391. 91) Diese ist zu unterscheiden von der „unechten“ Druckkündigung: Während bei der „echten“ Druckkündigung die Kündigungsnotwendigkeit ausschließlich auf das Verhalten Dritter zurückzuführen ist, führt bei der „unechten“ Druckkündigung ein (Fehl-)Verhalten des betroffenen Arbeitnehmers oder ein bei ihm liegender personenbedingter Grund zum Druck von dritter Seite (vgl. etwa BAG, Urt. v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NJW 1987, 211 = DB 1986, 2498 – zu B II 2 a der Gründe). 92) BAG, Urt. v. 18.7.2013 – 6 AZR 420/12, ZIP 2014, 391.

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wird, insbesondere, wie der unternehmerische Entschluss organisatorisch und betrieblich umgesetzt wird.93) 76 Auch hier stellt sich einmal mehr die Entscheidung zur Fortsetzung der operativen Tätigkeit unter Einsatz eines Teils der Arbeitnehmerschaft mit gleichzeitiger Personalreduzierung als gegenüber einer vollständigen Betriebsstilllegung weitaus anspruchsvollere Maßnahme dar; für die Rechtfertigung letzterer genügt demgegenüber eine Dokumentation des Entschlusses des Arbeitgebers, ab sofort keine neuen Aufträge mehr anzunehmen, allen Arbeitnehmern zum nächstmöglichen Termin zu kündigen, zur Abarbeitung der vorhandenen Aufträge einige Arbeitnehmer nur noch während der jeweiligen Kündigungsfristen einzusetzen und so den Betrieb schnellst möglichst stillzulegen.94) 77 Im Rahmen der Überprüfung, ob ein dringendes betriebliches Erfordernis für die Kündigung von Arbeitnehmern vorliegt, kommt es darauf an, ob unter Respektierung einer bindenden Unternehmerentscheidung mit dem geringeren Arbeitsanfall auch das Bedürfnis einer Weiterbeschäftigung für die gekündigten Arbeitnehmer entfallen oder innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer gesunken ist.95) 78 Im Vorfeld der Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung im Zusammenhang mit einer Personalreduzierung zur Ermöglichung einer Betriebsfortführung bedarf es regelmäßig einer ins Einzelne gehenden Darstellung des „unternehmerischen Konzepts“, welches insbesondere die Belastungen bzw. die Kapazitätsreserven der verbliebenen Arbeitnehmer detailliert darstellt.96) 3.7.2 Die Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung im Insolvenzverfahren 3.7.2.1

Allgemeine Grundsätze

79 Für die nach § 1 Abs. 3 KSchG sodann durchzuführende Sozialauswahl gelten für eine vom Insolvenzverwalter auszusprechende ordentliche, betriebsbedingte Kündigung grundsätzlich keine Besonderheiten. Sofern keine kollektivrechtlich verankerten Vermutungstatbestände greifen (vgl. dazu etwa § 1 Abs. 5 KSchG, § 125 InsO) ergeben sich regelmäßig an dieser Stelle erhebliche Risiken für eine erfolgreiche soziale Rechtfertigung der betriebsbedingten Kündigung. In der Praxis lässt sich die allgemeine Tendenz feststellen, das erstmals innerhalb des Insolvenzverfahrens längst überfällige Umstrukturierungen im Personalbereich in Angriff genommen werden; oftmals wird dabei erst jetzt quasi in letzter Minute auch noch versucht, leistungsbezogene Aspekte mit den maßgeblichen Kriterien einer betriebsbedingten Kündigung zu vermengen. 80 Auch innerhalb des Insolvenzverfahrens sind bei einer Auswahl des von einer betriebsbedingten Kündigung betroffenen Personenkreises die vom Gesetz in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgegebenen Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung zu berücksichtigen.97) Die soziale Auswahl ist dabei betriebs-

___________ 93) Zum Ganzen auch Ascheid, NZA 1991, 873, 876. 94) So etwa BAG, Urt. v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, ZIP 2001, 1022; BAG, Beschl. v. 7.3.2002 – 2 AZR 147/01, NZA 2002, 1111 (LS); dazu ausführlich auch BAG, Urt. v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, DB 2013, 2687 = NZA 2014, 336; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 273. 95) BAG, Urt. v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047 = NJW 1998, 178. 96) So auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 272. 97) Vgl. dazu auch Boemke, NZI 2005, 209.

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bezogen, also immer abteilungsübergreifend, nicht jedoch unternehmens- oder konzernbezogen durchzuführen.98) Unter Zugrundelegung der aktuellen, seit dem 1.1.2004 geltenden Fassung des KSchG99) 81 ist die Sozialauswahl dabei in drei Stufen zu prüfen: x

an erster Stelle bleibt festzustellen, welche Arbeitnehmer überhaupt miteinander vergleichbar und damit in die Sozialauswahl einzubeziehen sind;

x

hieran schließt sich die Feststellung an, wie sich deren soziale Schutzbedürftigkeit anhand der vom Gesetz vorgegebenen Kriterien (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, etwaige Schwerbehinderung) darstellt;

x

außerdem ist zu überprüfen, welche berechtigten betrieblichen Interessen der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl zusätzlich zu berücksichtigen hat.

Bevor eine ins Einzelne gehende Auswahl unter Berücksichtigung der Kriterien Dauer der 82 Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und etwaiger Schwerbehinderung durchgeführt wird, hat mithin zunächst an erster Stelle eine Feststellung der Gruppen der vergleichbaren Arbeitnehmer stattzufinden.100) Wer in den Kreis der von einer sozialen Auswahl betroffenen Arbeitnehmer einzubeziehen ist, richtet sich dabei nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und mithin nach der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit.101) Vergleichbar sind demnach Arbeitnehmer, die sowohl aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse als auch nach dem Inhalt der von Ihnen vertraglich geschuldeten Aufgaben austauschbar sind.102) Je enger und konkreter die Tätigkeit des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag definiert und umbeschrieben ist, umso kleiner ist auch die Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer.103) Der Vergleich vollzieht sich dabei ausschließlich auf derselben Ebene der Betriebshierarchie (sog. „horizontale Vergleichbarkeit“); eine Erweiterung durch die Bereitschaft des betroffenen Arbeitnehmers, ggf. freiwillig auch auf einer geringer dotierten Stufe der Betriebshierarchie zu arbeiten, führt nicht zu einer Erweiterung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer.104) Die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmerschaft ist dabei i. S. einer Austauschbarkeit zu ver- 83 stehen, die ihrerseits wiederum zum einen die Zuweisung der Tätigkeit ohne Notwendigkeit einer Änderungskündigung und zum anderen das Fehlen einer längeren Einarbeitungs___________ 98) BAG, Urt. v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, DB 2013, 2687 = NZA 2014, 336; BAG, Urt. v. 22.3.2001 – 8 AZR 565/00, NZA 2002, 1349; BAG, Urt. v. 21.2.2002 – 2 AZR 749/00, BB 2002, 2335 zur möglichen Weiterbeschäftigung in einem anderen konzernangehörigen Unternehmen; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 325; die Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl ist selbst dann gegeben, wenn sich der Arbeitgeber selbst vertraglich ein betriebsübergreifendes Versetzungsrecht vorbehalten hat (BAG, Urt. v. 2.6.2005 – 2 AZR 158/04, ZIP 2005, 2077 = NZA 2005, 1175). 99) BGBl. I 2003, 3002 ff.; hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 346; während früher innerhalb der zweiten Stufe i. R. der Sozialauswahlkriterien ohne weiteres auch weitere Gesichtspunkte wie etwa Doppelverdienerehe, Berufskrankheiten, unverschuldete Arbeitsunfälle und Chancen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden konnten; ist diese Möglichkeit seit dem 1.1.2004 ausgeschlossen; hierzu auch Küttner-Eisemann, Personalbuch 2015, Kündigung, betriebsbedingte, Rz. 34. 100) Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 346. 101) BAG, Urt. v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120; BAG, Urt. v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798. 102) St. Rspr. des BAG, vgl. etwa BAG, Urt. v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040; BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, ZIP 2012, 1623 = NZA 2012, 1044; BAG, Urt. v. 20.6.2013 – 2 AZR 271/12, ZIP 2014, 145 = NZA 2013, 837. 103) Hierzu etwa BAG, Urt. v. 17.9.1998 – 2 AZR 725/97; BAG, Urt. v. 17.2.2000 – 2 AZR 142/99, ZIP 2000, 1069; hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 328. 104) BAG, Urt. v. 17.9.1998 – 2 AZR 725/97, NZA 1998, 1332.

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zeit voraussetzt.105) Eine Vergleichbarkeit liegt mithin nicht vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern nicht einseitig aufgrund seines arbeitgeberseitigen Direktionsrechts auf einen anderen Arbeitsplatz versetzen kann.106) Alleine aus dem Umstand, dass der betroffene Arbeitnehmer jahrelang immer am gleichen Arbeitsort eingesetzt wurde, ergibt sich noch keine die Austauschbarkeit ausschließende nachträgliche Beschränkung des Einsatzortes.107) Kann jedoch ein Arbeitnehmer aufgrund der mit ihm getroffenen vertraglichen Vereinbarung nur innerhalb eines bestimmten Arbeitsbereichs versetzt werden, ist im Falle des Wegfalls dieses Arbeitsbereichs keine soziale Auswahl unter Einbeziehung der vom Tätigkeitsfeld her vergleichbaren Arbeitnehmer anderer Arbeitsbereiche vorzunehmen.108) 84 Im Rahmen einer Durchführung der Sozialauswahl sind Vollzeit- und Teilzeitkräfte grundsätzlich nicht miteinander vergleichbar. Eine Vergleichbarkeit ist ausnahmsweise dann eröffnet, wenn in einem bestimmten Bereich lediglich die Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden abgebaut werden soll, ohne dass eine konkrete, auf Arbeitsplätze bezogene Organisationsentscheidung vorliegt. In dieser Konstellation sind sämtliche in diesem Bereich gleichartig beschäftigten Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf ihre Arbeitszeitvolumen in die soziale Auswahl einzubeziehen.109) 85 Innerhalb des Kreises der Teilzeitbeschäftigten ist eine soziale Auswahl jedenfalls dann möglich, wenn sich hinsichtlich der geschuldeten Arbeitszeit nur geringfügige Unterschiede ergeben und der kündigungsbedrohte Arbeitnehmer die fortbestehende Stelle eines anderen Arbeitnehmers übernehmen kann, ohne dass eine Anpassung anderer Arbeitsverträge erforderlich wird.110) 86 Die vier Auswahlkriterien sind dabei abschließend und untereinander vollkommen gleichwertig. Die Berücksichtigung des Lebensalters als Auswahlkriterium verstößt dabei auch nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000.111) 87 Durch die Formulierung in § 1 Abs. 3 Satz 1 „[ ] nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat“ ist klargestellt, dass dem Arbeitgeber bei der Sozialauswahl ein gewisser Bewertungsspielraum zusteht und der gekündigte Arbeitnehmer sich nur dann erfolgreich auf eine Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl berufen kann, wenn er sich i. R. seines Vergleichs auf einen mit ihm austauschbaren, nicht gekündigten Arbeitnehmer zu beziehen ___________ 105) Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 327; dazu auch BAG, Entsch. v. 5.5.1995 – 2 AZR 91/93, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 31. 106) BAG, Entsch. v. 5.5.1995 – 2 AZR 91/93, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 31. 107) BAG, Urt. v. 3.6.2004 – 2 AZR 577/03, NZA 2005, 175. 108) BAG, Urt. v. 17.2.2000 – 2 AZR 142/99, ZIP 2000, 1069 = NZA 2000, 822; beschränkt sich etwa das vertragliche Einsatzgebiet einer Verkäuferin auf ein konkretes Filialgeschäft, kommt die Einbeziehung der Verkäufer einer benachbarten Filiale nicht in Betracht. 109) BAG, Urt. v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, NJW 1999, 1733; BAG, Urt. v. 12.8.1999 – 2 AZR 12/99, NJW 2000, 533 = NZA 2000, 30; hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 338. 110) LAG Niedersachsen, Urt. v. 11.6.2001 – 5 Sa 1832/00, BB 2001, 2379 unter Hinweis auf BAG, Urt. v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, BB 1999, 847 und EuGH, Urt. v. 26.9.2000 – Rs. C-322/98 (Kachelmann/ Bankhaus Lampe), ZIP 2000, 1947 = NZA 2000, 1155. 111) Vgl. etwa BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, NZA 2012, 1044, 1048 ff. = ZIP 2012, 1623; BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 87, 89 = ZIP 2013, 234; so auch ausdrücklich für die Möglichkeit, über einen Interessenausgleich mit Namensliste i. S. von § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO eine – altersbezogen – ausgewogene Personalstruktur zu schaffen, vgl. BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, ZIP 2014, 536 = NZA 2014, 909 sowie zur von der Beschäftigungsdauer abhängigen Kündigungsfristenregelung in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB vgl. BAG, Urt. v. 18.9.2014 – 6 AZR 636/13, ZIP 2015, 91 = NZA 2014, 1400.

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vermag, der deutlich ungünstigere Sozialdaten aufweist.112) Die Auswahlentscheidung muss daher lediglich vertretbar sein und nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen müssen.113) Der dem Arbeitgeber – und mithin auch dem Insolvenzverwalter – vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können.114) Der vom BAG in der Vergangenheit als „Dominotheorie“ aufgestellte Grundsatz, demzu- 88 folge im Falle eines Sozialauswahlfehlers automatisch die Kündigungen aller sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmer als unwirksam angesehen wurden, auch wenn bei fehlerfreier Erstellung der Rangfolge ggf. nur ein einziger Arbeitnehmer von der Kündigungsliste zu streichen gewesen wäre, wurde zwischenzeitlich wieder aufgegeben. Nunmehr können sich nur noch diejenigen Arbeitnehmer auf eine fehlerhafte Sozialauswahl berufen, deren Position auf einer Kündigungsliste sich bei korrekter Rangfolge tatsächlich konkret verbessert hätte.115) 3.7.2.2

Die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur

Auch im Zuge einer Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren erscheint es 89 oftmals sinnvoll, die Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens in personeller Hinsicht zu sichern, um es für eine spätere Übertragung an einen Investor attraktiver zu gestalten. Insoweit erkennt das Gesetz in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG u. a. die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur i. R. der Sozialauswahl als „sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse“ an. Das Gesetz selbst enthält darüber hinaus jedoch keine konkreten Vorgaben zu deren Umsetzung. In der Praxis wird – in Übereinstimmung mit einer mittlerweile umfangreichen Rechtspre- 90 chung – versucht, dieses anerkannte Ziel auf der Grundlage einer Altersgruppenbildung zu erreichen. Insoweit kommt dem Arbeitgeber bei deren Bildung grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum zu.116) Demgegenüber unterliegt die Frage, ob die im konkreten Fall vorgenommene Altersgruppenbildung tatsächlich zur Sicherung der bestehenden Personalstruktur geeignet ist, einer umfassenden gerichtlichen Überprüfung.117) Im Interesse einer Bewahrung der bestehenden Personalstruktur muss die bisherige Verteilung der Beschäftigten auf die Altersgruppen ihre prozentuale Entsprechung in der Anzahl der in der jeweiligen Altersgruppe zu Kündigenden finden.118) Lediglich dann, wenn die Anzahl der Entlassungen vergleichbarer Arbeitnehmer innerhalb einer Altersgruppe im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht, wird ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur – widerleg___________ 112) BAG, Urt. v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, NZA 2003, 791; BAG, Urt. v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120; BAG, Urt. v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, DB 2013, 2687 = NZA 2014, 336. 113) BAG, Urt. v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, DB 2013, 2687 = NZA 2014, 336. 114) BAG, Urt. v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, DB 2013, 2687 = NZA 2014, 336; BAG, Urt. v. 7.7.2011 – 2 AZR 476/10, openJur 2013, 26472; BAG, Urt. v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, ZIP 2007, 2433 = NZA 2008, 33. 115) Zur (veralteten) Dominotheorie: BAG, Urt. v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, ZIP 1985, 953 = NJW 1985, 2046; aktuell BAG, Urt. v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, BB 2007, 1393. 116) BAG, Beschl. v. 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, ZIP 2005, 1803; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 1141; zu einer in einer Altersgruppenbildung etwaig liegenden Altersdiskriminierung vgl. BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, ZIP 2014, 536 = NZA 2014, 909. 117) BAG, Urt. v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040; BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 87, 89 = ZIP 2013, 234. 118) BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 87, 89 = ZIP 2013, 234.

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bar – indiziert.119) Im Übrigen trifft den Arbeitgeber – und mithin auch den Insolvenzverwalter – die volle Beweis- und Darlegungslast.120) 91 Im Interesse der Erzielung einer größeren Übersichtlichkeit und damit einer Erleichterung der Sozialauswahl werden in der Praxis häufig vom Arbeitgeber/Insolvenzverwalter einseitig erstellte Punktesysteme verwendet. Die rechtlichen Wirkungen einer auf kollektiver Ebene abgeschlossenen Vereinbarung i. S. von § 1 Abs. 4 KSchG ist hiermit allerdings nicht verbunden; vielmehr ist dieses Schema und die daraus folgende Auswahlentscheidung gerichtlich voll überprüfbar,121) sie kann aber jedenfalls zur Orientierung dienen. 3.7.2.3

Die Leistungsträgerregelung

92 Entsprechend der Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG sind Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (sog. Leistungsträgerregelung)122). Nach aktuellem, seit dem 1.1.2004 geltendem Recht ist die Erfüllung eines der drei genannten Kriterien (Kenntnisse, Fähigkeiten, Leistungen) unter Nützlichkeitsgesichtspunkten ausreichend;123) dabei kann die Herausnahme einzelner Mitarbeiter aus der Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer auch aufgrund von Kriterien erfolgen, die mit dem Arbeitsverhältnis in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen.124) Je schwerer das soziale Interesse wiegt, desto gewichtiger müssen allerdings die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein.125) Der Hinweis auf eine höhere Krankheitsquote eines an sich sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmers kann die Ausklammerung eines Leistungsträgers alleine nicht begründen.126) 3.7.3 Die Anhörung des Betriebsrats 93 Auch bei einer durch den Insolvenzverwalter ausgesprochenen Kündigung ist die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG unabdingbare Voraussetzung. Dies gilt auch im Falle einer Nachkündigung, die bspw. zur Heilung formaler Fehler oder zur Erzielung einer kürzeren Kündigungsfrist gemäß § 113 Satz 1 InsO gestützt auf denselben (und dem Betriebsrat an sich bereits bekannten) Kündigungsgrund wiederholt wird.127) Im Übrigen gelten zum Umfang der Anhörung keinerlei Besonderheiten; in der Regel sind hier daher die notwendigen Angaben zu den Sozialdaten der betroffenen Arbeitnehmer, die Kündigungsgründe sowie im Falle einer betriebsbedingten Kündigung die Aspekte der Sozial___________ 119) BAG, Urt. v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040, 1043; BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, NZA 2012, 1044, 1051 = ZIP 2012, 1623; BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 87, 89 = ZIP 2013, 234. 120) BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 87, 89 = ZIP 2013, 234. 121) BAG, Urt. v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, ZIP 1985, 953; hierzu auch Ascheid, RdA 1997, 333, 335. 122) Nach früherem Recht war die Herausnahme eines Leistungsträgers zur Sozialauswahl nur möglich, wenn die Leistungsunterschiede derart erheblich waren, dass der Arbeitgeber im Interesse eines geordneten Betriebsablaufs auf ihn nicht verzichten konnte; vgl. etwa BAG, Urt. v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, ZIP 1983, 1105; BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, NJW 2002, 3797 = NZA 2003, 42. 123) Vgl. dazu Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 362; nach BAG, Urt. v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA 2008, 72 (LS) = NZA-RR 2007, 460 setzt das „berechtigte betriebliche Interesse“ keine Zwangslage voraus. 124) BAG, Urt. v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA 2008, 72 (LS) = NZA-RR 2007, 460 für den Fall eines als Reinigungskraft beschäftigten Mitglieds der freiwilligen Feuerwehr. 125) BAG, Urt. v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120, 1122 unter Hinweis auf das Regel-/AusnahmePrinzip. 126) BAG, Urt. v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, NZA 2007, 1362. 127) BAG, Urt. v. 10.11.2005 – 2 AZR 623/04, NZA 2006, 491.

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auswahl ins Einzelne gehend darzulegen. In diesem Zusammenhang hat eine Erläuterung der Kündigungsgründe so ausführlich zu erfolgen, dass die Betriebsratsmitglieder in die Lage versetzt werden, ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich darüber klar zu werden, wie die Reaktion auf die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers aussehen soll.128) Maßgeblich ist insoweit die subjektive Sichtweise des Arbeitgebers; er hat daher die nach seiner Ansicht maßgeblichen Kündigungsgründe vorzutragen (sog. „subjektive Determination“).129) Auch wenn das Gesetz in § 102 BetrVG keine Form vorsieht, empfiehlt es sich bereits aus 94 Beweisgründen die Anhörung schriftlich zu formulieren und parallel i. R. eines persönlichen Gesprächs zu erläutern. Bei der betriebsbedingten Kündigung ist der Entschluss des Insolvenzverwalters möglichst detailliert zu schildern, und zwar hinsichtlich des Zeitpunkts und der näheren Umstände, in deren Folge Arbeitsplätze im insolventen Betrieb entfallen. Hier ist plausibel darzulegen, welche Auswirkungen diese Entscheidung auf die Erfüllung der bislang von den entfallenden Arbeitsplätzen zu erbringende Leistung hat und wie die in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistung künftig erfüllt werden soll. Fällt der Arbeitsplatz ersatzlos fort, muss dargelegt werden, dass die Arbeit nicht mehr das ursprüngliche Volumen erreicht. In diesem Zusammenhang kann es zu einer Arbeitsverdichtung kommen, ggf. folgt hieraus jedoch auch eine Überbelastung, die die Kündigung nicht rechtfertigt. 3.7.4 Beurteilungszeitpunkt, Darlegungs- und Beweislast Zur Beurteilung der Wirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung kommt es grund- 95 sätzlich auf die Sachlage zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an.130) Erforderlich ist etwa im Falle einer geplanten (teilweisen) Betriebsstilllegung, dass der Arbeitgeber – und mithin auch der Insolvenzverwalter – zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den betroffenen Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen.131) Wird zum Kündigungszeitpunkt etwa noch über eine Veräußerung von Gesellschaftsanteilen verhandelt, scheidet eine Kündigung wegen geplanter Betriebsstilllegung aus.132) War die Kündigung zu diesem Zeitpunkt sozial gerechtfertigt, können spätere Änderungen 96 der Umstände hieran nichts mehr ändern.133) Die zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung herangezogenen Gründe sind in ihrer Natur nach zukunftsbezogen; in der Folgezeit eintretende Veränderungen der Prognose haben auf ihre Wirksamkeit als Gestaltungserklärung im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich keinen Einfluss.134) Auswirkungen ergeben sich insoweit in diesem Zusammenhang allerdings im Bereich der Beweislast: Wird der Betrieb etwa nach der wegen geplanter Betriebsstilllegung ausgesprochenen Kündigung von einem Erwerber fortgeführt, begründet dies eine gegen die Stilllegungsabsicht sprechende Vermutung, die der Arbeitgeber/Insolvenzverwalter dadurch widerlegen kann, indem er ___________ 128) St. Rspr. des BAG, vgl. etwa BAG, Urt. v. 15.11.1995 – 2 AZR 974/94, ZIP 1996, 648. 129) BAG, Urt. v. 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, NZA 1997, 656 = MDR 1994, 697. 130) St. Rspr. des BAG; vgl. etwa BAG, Urt. v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, ZIP 1989, 326 = NZA 1989, 265; BAG, Urt. v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, ZIP 1989, 1012 = NZA 1989, 461; BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122 = NZA 1997, 251. 131) BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA 2012, 999. 132) BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122 = NZA 1997, 251. 133) BAG, Urt. v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, ZIP 1989, 326 = NZA, 1989, 265; i. Ü. BAG, Urt. v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, ZIP 1989, 1012 = NZA 1989, 461; BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122 = NZA 1997, 251; hierzu auch Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128. 134) Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128; vgl. etwa zur personenbedingten Kündigung BAG, Urt. v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328; zur Verdachtskündigung vgl. etwa BGH, Urt. v. 13.7.1956 – VI ZR 88/55, NJW 1956, 1513.

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substantiiert darlegt, dass die Veräußerung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung weder vorhersehbar noch geplant war. Dabei ist es ohne Belang, ob die Betriebsfortführung durch den Erwerber vor oder nach Ablauf der Kündigungsfrist stattgefunden hat.135) 97 Als weiteres Korrektiv hat die Rechtsprechung im Interesse der Vermeidung von unangemessenen Rechtsfolgen auf der Grundlage des Grundsatzes von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB unter bestimmten Voraussetzungen einen Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch entwickelt, auf dessen Grundlage der Arbeitnehmer eine Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses verlangen kann, sofern sich durch nachträglich eintretende Umstände eine dauerhafte Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ergibt, der Arbeitgeber noch keine anderweitigen Dispositionen getroffen hat sowie ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.136) Der Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch wurde dabei vom BAG anhand von Konkurs- bzw. Insolvenzfällen entwickelt.137) Jedenfalls in dieser Konstellation ist nach der Rechtsprechung ein Wiedereinstellungsanspruch auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen sich die nachträglich eintretenden Umstände innerhalb der Kündigungsfrist (mithin maximal innerhalb des Drei-MonatsZeitraums des § 113 Satz 2 InsO) ergeben; nach Ablauf der Kündigungsfrist hat das BAG einen Wiedereinstellungsanspruch – jedenfalls für Insolvenzfälle – abgelehnt.138) Gleichermaßen ist ein Wiedereinstellungsanspruch dann nicht gegeben, wenn das Arbeitsverhältnis wirksam befristet war oder das KSchG nicht anwendbar ist.139) 3.8

Der Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Insolvenz

98 Die Fortführung der operativen Tätigkeit eines Schuldnerunternehmens stellt regelmäßig keinen Selbstzweck dar, sondern dient – jenseits der Erwirtschaftung eines Überschusses zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung – regelmäßig der Vorbereitung von Verwertungsmaßnahmen, entweder in Form der Sanierung des Rechtsträgers i. R. eines Insolvenzplans gemäß §§ 217 ff. InsO oder der Vorbereitung einer übertragenden Sanierung i. S. der Veräußerung des Unternehmens oder von Unternehmensteilen, in der Regel durch Einzelrechtsnachfolge i. R. eines Asset Deals.140) 99 Ungeachtet der Erleichterung einer Restrukturierung durch eine Modifikation des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG mit Wirkung zum 1.3.2012 wird in der Praxis auch zum ___________ 135) BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA 2012, 999. 136) Vgl. zum Wiedereinstellungsanspruch nach (wirksamer) Kündigung die Grundsatzentscheidung des BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, DB 1997, 1414 = NJW 1997, 2257; BAG, Urt. v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, BB 1998, 538 = NZA 1998, 254; BAG, Urt. v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, BB 1998, 1108; BAG, Urt. v. 12.11.1998 – 8 AZR 265/97, ZIP 1999, 670 = NZA 1999, 311; zum Ganzen auch Oetker, ZIP 2000, 643; Schubert, ZIP 2002, 554; in jüngerer Zeit Aszmonis/Beck, NZA 2015, 1098; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 459 ff. 137) Vgl. etwa BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, DB 1997, 1414 = NJW 1997, 2257. 138) BAG, Urt. v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, ZIP 2004, 1610; dazu Berkowsky, NZI-aktuell 1/2005; vgl. auch die ausführliche Darstellung der Rspr. der BAG-Senate bei Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 459 ff.; zur Geltung der KO so schon BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97 (Dörries Scharmann I), ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422. Im Bereich der Instanzenrechtsprechung ist das Vorliegen eines Fortsetzungs- oder Wiedereinstellungsanspruchs im Insolvenzfall nach wie vor umstritten; nach Auffassung des LAG Frankfurt soll etwa ein Fortsetzungsanspruch hier generell nicht bestehen (vgl. LAG Frankfurt/M., Urt. v. 25.1.2001 – 11 Sa 908/99, ZInsO 2002, 48; so auch LAG Hessen, Urt. v. 27.2.2003 – 11 Sa 799/02, ZInsO 2003, 1060; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 475. 139) BAG, Urt. v. 20.2.2002 – 7 AZR 600/00, ZIP 2002, 1162; LAG Hessen, Urt. v. 7.3.2000 – 9 Sa 1077/99, ZInsO 2000, 625; LAG Hamm, Entsch. v. 26.8.2003 – 5/11 Sa 589/03, NZA-RR 2004, 76; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 476. 140) Dazu auch Annuß/Lembke, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, Rz. 2 – 5 m. w. N.

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Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung

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heutigen Zeitpunkt in der überwiegenden Zahl der Fälle die zweite Alternative gewählt.141) Bei jeder Übertragung von Vermögenswerten des schuldnerischen Unternehmens taucht sodann automatisch die Frage nach dem Vorliegen eines (Teil-) Betriebsüberganges i. S. des § 613a BGB auf, der sich in der Vergangenheit angesichts seiner empfindlichen Rechtsfolgen oftmals als Sanierungshindernis erwiesen hat.142) Dabei war die Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz lange Zeit durchaus um- 100 stritten:143) Eingeführt wurde die Vorschrift durch die EG-Richtlinie Nr. 77/187/EWG vom 14.2.1977;144) die dieser nachfolgende Richtlinie Nr. 98/50/EG des Rates vom 29.6.1998145) bestimmt in ihrem Art. 4a, dass die insoweit maßgeblichen Art. 3 und 4 der Ausgangsrichtlinie vom 14.2.1977 – sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen – nicht für Übergänge von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen gelten, bei denen gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein von einer zuständigen Behörde ermächtigter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde. Die hierdurch eröffnete Chance wurde jedoch spätestens durch die gesetzliche Neurege- 101 lung im Zuge einer Einführung der InsO zum 1.1.1999 vertan: In § 128 InsO wird die Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkannt bzw. vorausgesetzt, so dass jedenfalls hiermit der Vorbehalt einer mitgliedstaatlichen Regelung i. S. von Art. 4a der Richtlinie Nr. 98/50/EG ausgefüllt wurde.146) 3.8.1 Die Voraussetzungen des Betriebsübergangs Die zuverlässige Beurteilung der Frage, ob ein Betriebsübergang vorliegt bzw. stattfindet, 102 ist in der Vergangenheit in der Praxis nicht zuletzt in Anbetracht des Einflusses der Rechtsprechung des EuGH immer wieder auf Schwierigkeiten gestoßen.147) Innerhalb der letzten Jahre hat die Rechtsprechung des insoweit zuständigen 8. Senats des BAG im Zuge eines stetigen Wandels unter dem Einfluss der Urteile des EuGH eine Reihe von Kriterien aufgestellt, die es i. R. einer Überprüfung zu beachten gilt: Auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH definiert das BAG in ständiger Recht- 103 sprechung den Betriebsbegriff i. S. von § 613a BGB als eine „auf Dauer angelegte wirt___________ 141) Ausweislich der auf der Grundlage einer Insolvenzverwalterbefragung vorgenommenen Ermittlungen von Prof. Bitter/Universität Mannheim betrug im Jahre 2007 bei fortgeführten Unternehmen mit einem Umsatzvolumen zwischen 5 Mio.–50 Mio. der Anteil von Insolvenzplänen 10 % zu 56 % übertragenden Sanierungen, s. die vom Zentrum für Insolvenz und Sanierung (ZIS) und der Euler Hermes Kreditversicherungs-AG durchgeführte Studie „Rettung aus der Insolvenz“, abrufbar unter www.zis.uni-mannheim.de (Abrufdatum: 9.3.2016). 142) Hierzu etwa Warbein, DZWIR 2006, 11 – 17; Mückl, ZIP 2012, 2373. 143) Gegen eine Anwendbarkeit des § 613a BGB für das Insolvenzverfahren etwa LAG Hamm, Urt. v. 4.4.2000 – 4 Sa 1220/99, ZInsO 2000, 292. 144) Richtlinie 77/187/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer bei Übergang von Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen v. 14.2.1977, ABl. Nr. 61/26. 145) Richtlinie 98/50/EG des Rates v. 29.6.1998 zur Änderung der Richtlinie 77/187/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, Abl. L 201/88 v. 17.7.1998. 146) Hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 588; die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 613a BGB wird in der Rspr. seither auch nicht ernsthaft in Zweifel gezogen; vgl. etwa BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, ZIP 2004, 1013 = ZInsO 2004, 1325; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387; BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027. 147) Vgl. etwa das vielbeachtete Urteil des EuGH i. S. „Christel Schmidt“ EuGH, Urt. v. 14.4.1994 – Rs. C-392/ 92 (Schmidt/Spar- und Leihkasse der früheren Ämter Bordesholm, Kiel und Cronshagen), ZIP 1994, 1036.

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Teil V Einzelfragen

schaftliche Einheit“; ein Betriebsübergang liegt vor, wenn diese wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität auf einem neuen Inhaber übergeht. Maßgeblich ist insoweit eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände.148) In diesem Zusammenhang wird insbesondere abgestellt auf x

den Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva (Gebäude, bewegliche Güter, Produktionsanlagen),149)

x

den Wert der übergehenden immateriellen Aktiva (Patente, Geschmacksmuster, Knowhow, Goodwill etc.),

x

die Übernahme der maßgeblichen Belegschaft,150)

x

den Übergang der Kundschaft/des Kundenstammes,151)

x

den Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten operativen Tätigkeiten,152)

x

sowie schließlich die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser betrieblichen Tätigkeit.153)

___________ 148) Vgl. dazu unter Übernahme fast gleichlautender Formulierungen etwa BAG, Urt. v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, ZIP 2011, 2023 = NZA 2011, 1143; BAG, Urt. v. 24.4.2008 – 8 AZR 268/07, NZA 2008, 1314; hierzu auch Küttner-Kreitner, Personalbuch 2015, Betriebsübergang, Rz. 10. 149) Maßgeblich insb. bei sog. „betriebsmittelintensiven“ Betrieben; vgl. hierzu im Anschluss an EuGH, Urt. v. 20.11.2003 – Rs. C-340/01 (Abler), ZIP 2003, 2315 = NZA 2003, 1384; sowie EuGH, Urt. v. 15.12.2005 – Rs. C-232, 233/04 (Güney-Görres), ZIP 2006, 95 m. Anm. Kock = NZA 2006, 29 etwa BAG, Urt. v. 6.4.2006 – 8 AZR 222/04, ZIP 2006, 1268 = NZA 2006, 723; BAG, Urt. v. 13.6.2006 – 8 AZR 271/05, ZIP 2006, 1917 = NZA 2006, 1101; BAG, Urt. v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, ZIP 2007, 1382 = NZA 2007, 793; BAG, Urt. v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021. 150) Insbesondere maßgeblich bei „betriebsmittelarmen“ Betrieben; hierzu etwa EuGH, Urt. v. 26.11.2015 – Rs. C-509/14 (Aira Pascual u. a.), ZIP 2015, 2434; BAG, Urt. v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162; BAG, Urt. v. 28.4.2011 – 8 AZR 709/09, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de; BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 397/07, ZIP 2009, 1128 = NZA 2009, 485. Insoweit kommt es nach der besagten Rspr. maßgeblich darauf an, dass ein „nach Zahl und Sachkunde wesentlicher Teil der Belegschaft vom Erwerber übernommen bzw. neu eingestellt worden ist“; so BAG, Urt. v. 23.9.2010 – 8 AZR 567/09, NZA 2011, 197; BAG, Urt. v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, ZIP 1998, 666 = NZA 1998, 534; umgekehrt kann aus einer unterbliebenen Übernahme von Personal jedoch nicht grundsätzlich darauf geschlossen werden, dass ein Betriebsübergang nicht vorliegt, so etwa LAG Köln, Urt. v. 8.3.2004 – 4 Sa 1115/03, NZA-RR 2004, 464. 151) Die ausschließliche Übernahme nur des Kundenstammes eines Unternehmens begründet für sich betrachtet allerdings noch keinen Betriebsübergang, so etwa ArbG Frankfurt v. 5.11.2002 – 7/12 Ca 2593/02, n. v.; hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 633; allerdings kann die Übertragung einer Kundenkartei oder der Übergang einer Vertriebsberechtigung für ein bestimmtes Gebiet bei der Frage der Wahrung der wirtschaftlichen Einheit Berücksichtigung finden; dazu etwa EuGH, Urt. v. 7.3.1996 – Rs. C-171, 172/94 (Cour du travail Brüssel), Slg. 1996, I-1253 = ZIP 1996, 882. 152) Hierzu BAG, Urt. v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, ZIP 1998, 36 = NZA 1998, 31; BAG, Urt. v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, ZIP 2000, 711 = NZA 2000, 369; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 331/05, ZIP 2006, 2181 = NZA 2006, 1357; BAG, Urt. v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, ZIP 2007, 1382 = NZA 2007, 793; BAG, Urt. v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, ZIP 2007, 2233 m. Anm. Kock = NZA 2007, 1431. 153) BAG, Urt. v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, ZIP 1997, 1555 = NZA 1997, 1050; die für die Ablehnung eines Betriebsübergangs maßgebliche Dauer der Unterbrechung ist dabei abhängig vom jeweiligen Unternehmensgegenstand; bei einer Kindertagesstätte kann bereits eine dreimonatige Unterbrechung gegen einen Betriebsübergang sprechen, vgl. etwa LAG Köln, Urt. v. 2.10.1997 – 10 Sa 643/97, NZA-RR 1998, 290; hierzu auch ausführlich Küttner-Kreitner, Personalbuch 2015, Betriebsübergang, Rz. 12 ff. Bei Betrieben des Saisongeschäfts führt bspw. eine reguläre Schließung und Fortführung zur nächsten Saison für sich alleine noch nicht zum Identitätsverlust der wirtschaftlichen Einheit, so EuGH, Urt. v. 17.12.1987 – Rs. 287/86 (Ny Molle Kro), Slg. 1987, 5465 = EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 3; bei Modefachgeschäften hat das BAG jedenfalls eine neun Monate währende tatsächlich Einstellung jeglicher Verkaufstätigkeit als erhebliche Zeitspanne angesehen, vgl. BAG, Urt. v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, ZIP 1997, 1555 = NZA 1997, 1050.

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Demgegenüber stellt die bloße Auftrags- oder Funktionsnachfolge i. S. der Übernahme 104 einer bestimmten Tätigkeit beim Erwerber ohne Übertragung eines betrieblichen Substrats regelmäßig keinen Betriebsübergang dar.154) Der Verweis auf die einzelnen Hilfskriterien darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, 105 dass sowohl die Rechtsprechung des EuGH als auch des BAG die Frage nach dem Vorliegen eines Betriebsübergangs i. S. eines identitätswahrenden Übergangs einer wirtschaftlichen Einheit als organisierter Gesamtheit von Personen und Sachen regelmäßig im Zuge einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls vornimmt. 3.8.2 Die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs 3.8.2.1

Das Kündigungsverbot gemäß § 613a Abs. 4 BGB

Lässt sich i. R. einer Gesamtbetrachtung aller Umstände unter Beachtung der vorstehend 106 genannten Kriterien das Vorliegen eines Betriebsübergangs nicht in Abrede stellen, ist insoweit bei in zeitlicher Nähe zu einer Veräußerung erfolgenden Kündigungen die Verbotsvorschrift des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB zu beachten. Eine Kündigung wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist demzufolge unwirksam; allerdings bleibt das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen unberührt (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB). Demzufolge ist der Ausspruch einer i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigten Kündigung aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen ohne weiteres zulässig; für die Beurteilung kommt es insoweit nach allgemeinen Grundsätzen auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an. Ist etwa zum betreffenden Zeitpunkt der betriebsbedingten Kündigung eine (Teil-)Betriebsstilllegung endgültig geplant und eingeleitet, wird diese ursprünglich sozial gerechtfertigte Kündigung nicht etwa dadurch unwirksam, dass es später doch noch zu einer Betriebsveräußerung kommt.155) Der in der Praxis (oftmals im Zusammenhang mit der Durchführung von Transfermaß- 107 nahmen i. S. des § 110 SGB III und dem Übertritt der Arbeitnehmerschaft in eine BQG) unternommene Versuch, das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags beim (alten) Arbeitgeber und den gleichzeitigen Abschluss eines Neuvertrags beim Erwerber zu umgehen, ist jedenfalls dann zum Scheitern verurteilt, wenn dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrags vom Betriebserwerber bereits ein neues Arbeitsverhältnis verbindlich in Aussicht gestellt

___________ 154) EuGH, Urt. v. 20.1.2011 – Rs C-463/09 (CLECE), ZIP 2011, 488 – Gebäudereinigung; BAG, Urt. v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, ZIP 1998, 167 = NZA 1998, 251 – Gebäudereinigung im Krankenhaus; BAG, Urt. v. 13.11.1997 – 8 AZR 52/96, EzA BGB § 613a Nr. 166 – Verpackungsabteilung; BAG, Urt. v. 11.12.1997 – 8 AZR 699/96, AuR 1998, 202 – Buchhalter; BAG, Urt. v. 22.1.1998 – 8 AZR 197/95 n. v. – Reinigungskraft im Schuhgeschäft; BAG, Urt. v. 23.4.1998 – 8 AZR 665/96 n. v. – Auslieferungsfahrer im Einzelhandel; BAG, Urt. v. 14.5.1998 – 8 AZR 418/96, NZA 1999, 483 – Bewachungsauftrag; BAG, Urt.. v. 4.6.1998 – 8 AZR 644/96, n. v. – Kinderklinik; BAG, Urt. v. 3.9.1998 – 8 AZR 306/97, NZA 1999, 147 – Möbelauslieferung und -montage; BAG, Urt. v. 16.5.2007 – 8 AZR 693/06, NZA 2007, 1296 – Handling auf Großflughafen; BAG, Urt. v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, ZIP 2007, 2233 m. Anm. Kock = NZA 2007, 1431 – technische Dienstleistung in Universitätsklinik; BAG, Urt. v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021 – Lagerbetrieb; BAG, Urt. v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 98 – Tankstellenpächter; LAG Köln, Urt. v. 24.7.2003 – 10 Sa 86/03, NZA-RR 2004, 236 – Kinderbetreuung; zur Weiterführung eines öffentlichen Transportunternehmens durch einen öffentlichen Auftraggeber mit denselben (eigenen) Betriebsmitteln nach Beendigung des Vertrags mit privatem Anbieter EuGH, Urt. v. 26.11.2015 – Rs. C-509/14 (Aira Pascual u. a.), ZIP 2015, 2434; vgl. i. Ü. auch die ausführliche Darstellung bei Küttner-Kreitner, Personalbuch 2015, Betriebsübergang, Rz. 11. 155) BAG, Urt. v. 3.9.1998 – 8 AZR 306/97, NZA 1999, 147; zum Korrektiv des Fortsetzungs- oder Wiedereinstellungsanspruchs vgl. oben unter Rz. 97.

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wurde oder es für den Arbeitnehmer nach den gesamten Umständen klar gewesen ist, dass er vom Betriebserwerber eingestellt werde.156) 108 Da die Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren regelmäßig (auch) dem Zweck dient, das Unternehmen für einen Investor attraktiv und verkaufsfähig zu gestalten, gelten für zu diesem Zweck ausgesprochene – betriebsbedingte – Kündigungen die allgemeinen Grundsätze.157) Insoweit war es bereits in der Vergangenheit dem bisherigen Betriebsinhaber (und mithin auch dem Insolvenzverwalter) vor der Veräußerung des Betriebs unbenommen, ein eigenes Sanierungskonzept zu entwickeln und umzusetzen.158) Die Absicht einer dauerhaften anschließenden eigenen Fortsetzung der operativen Tätigkeit ist dabei nicht zwingende Voraussetzung.159) In konsequenter Fortsetzung dieser Rechtsprechung hat das BAG in der Folgezeit seit dem Jahre 2003 die Kündigung eines Insolvenzverwalters als Betriebsveräußerer (auch) auf der Grundlage eines Erwerberkonzepts akzeptiert. Diese wird als betriebsbedingt und nicht gegen das Verbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB verstoßend angesehen, sofern ein verbindliches Konzept oder ein Sanierungsplan des Erwerbers vorliegt, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung (zulässigerweise auch des Insolvenzverwalters) bereits greifbare Formen angenommen hat;160) hierbei soll es für die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung – jedenfalls in der Insolvenz – nicht maßgeblich darauf ankommen, ob das Konzept auch beim Veräußerer hätte durchgeführt werden können.161) 109 Trotz des seit der grundlegenden Entscheidung des BAG vom 20.3.2003 vergangenen Zeitraums sind bis heute eine Reihe damit zusammenhängender Fragen höchstrichterlich noch ungeklärt: x

Soweit die Kündigung (noch) vom veräußernden Insolvenzverwalter ausgesprochen wird, ist es allerdings allg. M., dass insoweit die (verkürzte) Kündigungsfrist des § 113 InsO zur Anwendung kommt.162) Hierbei handelt es sich um eine automatische Folge der im Insolvenzverfahren vorgesehenen Erleichterungen.163)

x

Ebenso dürfte es keinen Bedenken begegnen, dass vor Ausspruch der Kündigung ausschließlich der beim veräußernden Insolvenzverwalter bestehende Betriebsrat und nicht etwa auch diejenige des Erwerbers gemäß § 102 BetrVG zu beteiligen ist.164)

___________ 156) Nach der Rspr. des BAG wird die vom Schutzzweck des § 613a BGB gewollte Kontinuität des Arbeitsverhältnisses hier im Falle des Fehlens eines „Risikogeschäfts“ für den Arbeitnehmer künstlich unterbrochen; der Aufhebungsvertrag ist in einem solchen Fall wegen Umgehung des § 613a Abs. 4 BGB nichtig gemäß § 134 BGB; vgl. etwa BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203; zur Entwicklung der Rspr. in diesem Zusammenhang vgl. BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97 (Dörries Scharmann I), ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422; BAG, Urt. v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, ZIP 2006, 148 = NZA 2006, 145; BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = NZA 2007, 866; BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 313/10, ZInsO 2012, 291 (Losverfahren); zum Ganzen auch Pils, NZA 2013, 125. 157) Hierzu BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387. 158) Dazu etwa BAG, Urt. v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, ZIP 1983, 1377. 159) BAG, Urt. v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, ZIP 1996, 2028, dazu EWiR 1996, 1115 (Joost). 160) BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387. Die auszusprechenden Kündigungen dürfen dabei nicht alleine durch den Druck des Erwerbers motiviert sein, den Betrieb nicht zu übernehmen, da die dort beschäftigen Arbeitnehmer „zu teuer“ seien; vgl. die genannten BAG Entscheidungen. 161) BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387, dazu auch EWiR 2007, 363 (Grimm/Michaelis). 162) Dies findet bereits Anklang in der Entscheidung v. 20.3.2003, vgl. BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671, 1674 unter ee). 163) So auch Annuß/Stamer, NZA 2003, 1237, 1248. 164) Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt-Willemsen, Kap. H 118, so auch Annuß/Stamer, NZA 2003, 1237, 1248.

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Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung

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x

Auch hinsichtlich des Verhandlungsmandats für einen abzuschließenden Interessenausgleich nach § 125 InsO, der das Erwerberkonzept ggf. im Zuge der erstellten Namensliste umsetzt, ist die ausschließliche Beteiligung des Insolvenzverwalters auf Arbeitgeberseite ohne Berücksichtigung des Erwerbers bislang unbestritten.165) Auch im Zuge einer Beurteilung des flankierend verhandelten Sozialplanvolumens dürfte es insoweit ausschließlich auf die Spezialvorschrift des § 123 InsO und nicht etwa auf die Leistungsfähigkeit des Erwerbers ankommen.166)

x

Umfassendere Auseinandersetzungen gibt es auf der Ebene des arbeitsrechtlichen Schrifttums in Bezug auf die personelle Reichweite der durchzuführenden Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG: Nach ganz h. M. im Schrifttum167) soll diese – nicht zuletzt unter formaler Bezugnahme auf den Betriebsbegriff – per se ausschließlich auf den Betrieb des Veräußerers und damit auf den Betrieb der Insolvenzschuldnerin beschränkt sein. Andere Auffassungen differenzieren: So gibt es Meinungen, die in Fällen der eingliedernden Betriebs(Teil-)übernahme (alleine) die Arbeitnehmer des aufnehmenden Betriebs bei der Sozialauswahl berücksichtigen wollen;168) andere wiederum vertreten in diesen Fällen generell eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl unter Einbeziehung der Arbeitnehmer des Erwerbers.169) Eine weitere Literaturmeinung differenziert danach, ob das zur Kündigung führende Sanierungskonzept (auch) vom veräußernden Insolvenzverwalter hätte durchgeführt und umgesetzt werden können: In diesem Fall soll es sich materiell–rechtlich um eine Kündigung des Veräußerers mit entsprechender Beschränkung der Sozialauswahl auf den abgebenden (insolventen) Betrieb handeln.170) Ist dies nicht gegeben, wird die Kündigung der Sphäre des Erwerbers zugerechnet mit entsprechender Ausdehnung des Sozialauswahlkreises (auch) auf den aufnehmenden Betrieb.171) Eine höchstrichterliche Entscheidung zu diesem Punkt ist bislang nicht bekannt.172)

3.8.2.2

Die Haftungsprivilegierung des Erwerbers

Nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmung in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der neue 110 Inhaber kraft Gesetzes in die Rechte und Pflichten aus den zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Für den Fall eines (Teil-)Betriebsübergangs nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt allerdings eine in ihren Grundzügen bereits zur Zeit der KO entwickelte Haftungserleichterung:173) Wird ein Betrieb oder ein Betriebsteil vom Insolvenzverwalter i. R. eines eröffneten Insolvenzverfahrens veräußert, haftet der Betriebserwerber nicht für vor Insolvenzeröffnung entstandene Verbindlichkeiten (sog. ___________ 165) Annuß/Stamer, NZA 2003, 1237, 1248. 166) Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt-Willemsen, Kap. H 118; Annuß/Stamer, NZA 2003, 1237, 1248. 167) Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 434; Henckel, ZGR 1984, 225, 234 ff.; Vossen, BB 1984, 1557, 1560; Lipinski, NZA 2002, 75, 79; Moll, Münch-AHB ArbR, Rz. 181; für eine umfassende, auch den aufnehmenden Erwerberbetrieb einbeziehende Sozialauswahl Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, S. 110 ff.; zum Ganzen auch Küttner-Kreitner, Personalbuch 2015, Betriebsübergang, Rz. 76. 168) Bütefisch, Die Sozialauswahl, S. 99. 169) So etwa Preis in: ErfK, § 613a BGB Rz. 172 a. E.; Däubler/Hjort/Schubert/Wollmerath, Arbeitsrecht, Rz. 258. 170) So Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 632. 171) Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 632; dazu auch Gaul/Bonanni/Naumann, DB 2003, 1902. 172) Vgl. zur Instanzenrechtsprechung ArbG München, Entsch. v. 19.10.2011 – 1 Ca 496/11, abrufbar unter http://www.arbg.bayern.de. 173) Vgl. dazu bereits zur Zeit der KO BAG, Urt. v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, ZIP 1996, 1914.

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„Altverbindlichkeiten“).174) Begründet wird dieses Haftungsprivileg mit einem Vorrang der Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens im Interesse einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung.175) Insbesondere auch für den Bereich der Versorgungsleistungen tritt für die bis zur Insolvenzeröffnung erdienten unverfallbaren Anwartschaften der Arbeitnehmer der Pensionssicherungsverein (PSV) ein.176) 111 Vom Grundsatz der Haftungsbeschränkung eines Betriebserwerbers in der Insolvenz werden Urlaubsansprüche allerdings lediglich dann erfasst, sofern sie – angesichts einer bereits erfolgten zeitlichen Festlegung – der Zeitspanne vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugeordnet werden können.177) Bringt der (übernommene) Arbeitnehmer noch nicht erfüllte Urlaubsansprüche in das übergegangene Arbeitsverhältnis mit, haftet der Erwerber für deren Erfüllung, sofern diese nach dem Stichtag des Betriebsübergangs vom Arbeitnehmer geltend gemacht werden. Dies gilt gleichermaßen für die Urlaubsabgeltung.178) 112 Zu beachten bleibt allerdings, dass der Erwerber jenseits des Haftungsprivilegs auch für nach Insolvenzeröffnung entstandene und bereits vor Betriebsübergang fällig gewordene Masseschulden aus dem Arbeitnehmerbereich haftet. So tritt er nach der Rechtsprechung des BAG in die zwar gekündigten, aber noch bestehenden Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten ein; hierzu zählt auch der beim früheren Betriebsinhaber begründete Annahmeverzug aus dem Zeitraum vor Betriebsübergang.179) 113 Es ist vor diesem Hintergrund dringend davon abzuraten, einen Betrieb oder Betriebsteil vor Verfahrenseröffnung zu übernehmen. Die Haftungsprivilegierung findet lediglich nach Insolvenzeröffnung Anwendung; auch erscheint es im Interesse einer Vermeidung der Erwerberhaftung sinnvoll, eine Konkretisierung bzw. zeitliche Festlegung der Urlaubsansprüche vor dem Stichtag des Betriebsübergangs herbeizuführen. 3.8.2.3

Informationspflichten und Widerspruch des Arbeitnehmers gemäß § 613a Abs. 5 und 6 BGB

114 Das in der Vergangenheit auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH180) sowie des BAG181) entwickelte Widerspruchsrecht angesichts eines Betriebsübergangs ist seit dem 1.4.2002182) durch eine Neuaufnahme der Absätze 5 und 6 in § 613a BGB gesetzlich normiert. Zur Ermöglichung der Beurteilung, ob ein Widerspruch des Arbeitnehmers erfolgen soll oder nicht, hat der Gesetzgeber dem bisherigen Arbeitgeber und dem Erwerber in § 613a Abs. 5 BGB Informationspflichten auferlegt, die vor dem Übergang in Textform zu erfüllen sind. ___________ 174) BAG, Urt. v. 13.11.1986 – 2 AZR 771/85, ZIP 1987, 525; BAG, Urt. v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, ZIP 1992, 1247; so auch zur InsO BAG, Urt. v. 9.12.2009 – 3 AZR 384/07, BB 2010, 191. 175) BAG, Urt. v. 13.11.1986 – 2 AZR 771/85, ZIP 1987, 525; BAG, Urt. v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, ZIP 1992, 1247; ergänzende Rspr. zur InsO auch BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, ZIP 2003, 222; hierzu auch Berscheid, NZI 2000, 1, 5; Kübler/Prütting/Bork-Moll, InsO, Stand: 11/2015, § 128 Rz. 5. 176) Vgl. dazu bereits BAG, Urt. v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, ZIP 1992, 1247. 177) BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, ZIP 2004, 1011 = NZA 2004, 654; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 904. 178) Vgl. BAG, Urt. v. 18.3.2003 – 9 AZR 95/03, ZIP 2004, 1013. 179) BAG, Urt. v. 22.10.2009 – 8 AZR 766/08, ZIP 2010, 849; BAG, Urt. v. 23.9.2009 – 5 AZR 518/08, NZA 2010, 781; so zur Zeit der KO schon BAG, Urt. v. 4.12.1986 – 2 AZR 246/86, ZIP 1987, 454 = NJW 1987, 1966. 180) Vgl. etwa EuGH v. 7.3.1996 – Rs. C-171, 172/94 (Cour du Travail Brüssel), Slg. 1996, I-1253 = ZIP 1996, 882; EuGH, Urt. v. 24.1.2002 – Rs. C-51/00 (Tempco), Slg. 2002, I-969 = BB 2002, 464. 181) BAG, Urt. v. 22.4.1993 – 2 AZR 313/92, ZIP 1994, 391 = DB 1994, 941; BAG, Urt. v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, ZIP 1998, 1080. 182) Eingeführt durch das Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze vom 23.3.2002, verkündet in BGBl. 2002, S. 1163.

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Demzufolge müssen die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer über die im 115 Gesetz angesprochenen Umstände unterrichtet werden, namentlich also über den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Überganges, den Grund für den Übergang, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer (z. B. die Haftungsregelung gemäß § 613a Abs. 1, 2 BGB), x die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen und x die Identität des Erwerbers (vollständiger Name, Vertretungsverhältnisse, Anschrift und Kontaktmöglichkeiten).183) Die Unterrichtung erfordert dabei eine verständliche, arbeitsplatzbezogene und inhaltlich 116 zutreffende Information i. R. einer konkreten, betriebsbezogenen Darstellung in einer auch für einen juristischen Laien möglichst verständlichen Sprache.184) Nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung hat der 8. Senat des BAG den Umfang der 117 Unterrichtungsverpflichtung in einer Fülle von Entscheidungen sukzessive konkretisiert.185) Dabei lässt sich nicht verhehlen, dass die vom BAG stetig i. R. von Einzelfallentscheidungen ausgeweitete Unterrichtungsverpflichtung in gewissem Gegensatz zum gleichzeitig aufgestellten Gebot der sprachlichen Verständlichkeit für einen juristischen Laien steht.186) Jenseits der im Gesetzestext konkret aufgeführten Punkte empfiehlt es sich, die Unterrich- 118 tungsverpflichtung in Form eines möglichst umfassenden Standardschreibens zu erfüllen, welches – trotz der Standardisierung – auch tatsächliche oder rechtliche Unterschiede, die nur einzelne Bereiche oder einzelne Arbeitsverhältnisse betreffen, ausreichend berücksichtigt. x x x

Unterbleibt die Unterrichtung bzw. wird diese nicht vollständig und ordnungsgemäß vor- 119 genommen, bleibt den Arbeitnehmern die Möglichkeit unbenommen, das in § 613a Abs. 6 BGB enthaltene Widerspruchsrecht unbeachtlich der darin festgelegten Monatsfrist auch noch nach dem Betriebsübergang zu einem späteren Zeitpunkt auszuüben; die Frist für die Erhebung des Widerspruchs wird in dieser Konstellation nicht ausgelöst.187) Der Widerspruchsmöglichkeit ist sodann in zeitlicher Hinsicht – jenseits der Verwirkungsgrundsätze188) ___________ 183) Hierzu im Einzelnen mit Beispielen Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 786, 791 ff. 184) Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 776; Meyer, Die Unterrichtung der Arbeitnehmer vor Betriebsübergang, Rz. 309 ff.; instruktiv auch Willemsen, NJW 2007, 2065; LAG Düsseldorf, Urt. 19.9.2007 – 7 Sa 769/07, FA 2008, 59; BAG, Urt. V. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, NZA 2007, 682. 185) Vgl. etwa BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de; BAG, Urt. v. 21.8.2008 – 8 AZR 407/07, ZIP 2009, 1295 = NZA-RR 2009, 62; BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, ZIP 2010, 46 = NZA 2010, 89; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, ZIP 2006, 2143 = NZA 2006, 1273; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050 = NZA 2006, 1268; BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, BB 2007, 1340 = NZA 2007, 682; BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 808/07, NZA 2009, 547; BAG, Urt. v. 27.11.2008 – 8 AZR 174/07, ZIP 2009, 929 = NZA 2009, 552; BAG, Urt. v. 27.11.2008 – 8 AZR 188/07, NZA 2009, 752 (LS) = DB 2009, 1077; BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354. 186) Kritisch zur zum Perfektionismus tendierenden Auslegung der Informationspflicht auch Willemsen, NJW 2007, 2065, 2068. 187) Vgl. etwa BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050 = NZA 2006, 1268. 188) Zur Verwirkung des Widerspruchsrechts des Arbeitnehmers hat es ebenfalls in der Zwischenzeit eine Reihe von Entscheidungen des BAG gegeben, die tendenziell eine Verwirkung lediglich in engen Grenzen annehmen. Nach herkömmlichen Grundsätzen reicht alleine das Zeitmoment nicht aus; i. Ü ist die Tatsache alleine, dass der Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang zunächst seine Tätigkeit bei dem (neuen) Betriebsinhaber weitergeführt hat, für das Vorliegen eines Umstandsmoments nicht ausreichend, so etwa BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, BB 2007, 1340 = NZA 2007, 682; zur Verwirkung i. Ü. BAG, Urt. v. 25.4.2001 – 5 AZR 497/99, ZIP 2001, 1647 = NZA 2001, 966; BAG, Urt. v. 18.12.2003 – 8 AZR 621/02, ZIP 2004, 1068 = NZA 2004, 791; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, ZIP 2007, 87.

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§ 21

Teil V Einzelfragen

– keine Grenze gesetzt.189) Auch eine auf anderem Wege erlangte (vollständige) Kenntnis des Arbeitnehmers von den Umständen des Betriebsübergangs ist unbeachtlich.190) Das Widerspruchsrecht ist dabei gegenüber dem neuen Inhaber (= dem Erwerber) oder dem bisherigen Arbeitgeber, nicht aber – bei mehreren aufeinanderfolgenden Betriebsübergängen – gegenüber einem früheren Arbeitgeber auszuüben.191) 120 Im Falle einer Inanspruchnahme des Widerspruchsrechts durch den Arbeitnehmer kommt ein Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber nicht zustande; vielmehr bleibt das alte Arbeitsverhältnis zum veräußernden Betrieb – mithin vorliegend mit dem insolventen Unternehmen – bestehen.192) 121 Im Falle der fristgerechten Ausübung des Widerspruchsrechts ist sodann der Insolvenzverwalter als neuerlicher Arbeitgeber berechtigt, das wiedererlangte Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zu kündigen, da im insolventen Unternehmen angesichts der Veräußerung kein vakanter Arbeitsplatz mehr vorhanden ist. Bei dieser betriebsbedingten Kündigung ist eine Sozialauswahl nicht erneut durchzuführen, da im Regelfall eine Vergleichsmöglichkeit mangels weiterbeschäftigter anderer Arbeitnehmer nicht gegeben sein wird. Für diese Kündigung gilt gleichermaßen die Kappungsgrenze des § 113 InsO.193) Dies mag allenfalls dann anders sein, wenn der Insolvenzverwalter lediglich einen Betriebsteil veräußert und der widersprechende Arbeitnehmer geltend macht, in der Vergangenheit auch in einer anderen – im Insolvenzverfahren noch fortgeführten – Betriebsabteilung beschäftigt gewesen zu sein. In dieser Konstellation dürften die allgemeinen Grundsätze einer betriebsbedingten Kündigung einschließlich der nach § 1 Abs. 3 KSchG durchzuführenden Sozialauswahl gelten. 3.9

Das Verfahren bei Massenentlassungen

122 Soweit die Anzahl der durchzuführenden Entlassungen in Betrieben den Schwellenwert des § 17 KSchG erfüllt, muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigungen den Betriebsrat konsultieren und der örtlichen Agentur für Arbeit unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats diese Massenentlassung schriftlich anzeigen.194) Durch die Massenentlassungsanzeige soll der Agentur für Arbeit die Möglichkeit geschaffen werden, rechtzeitig Maßnahmen zur Einleitung oder wenigstens zum Aufschub von Belastungen des Arbeitsmarktes einzuleiten und für anderweitige Beschäftigungen der Betroffenen zu sorgen.195) 123 Auch in der Insolvenz des Arbeitgebers ist das Verfahren der Konsultation des Betriebsrats und der Massenentlassungsanzeige uneingeschränkt vom Insolvenzverwalter zu beachten bzw. durchzuführen.196) Inhaltlich übereinstimmend mit der Regelung in § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG ersetzt allerdings auch hier entsprechend der ausdrücklichen gesetzlichen ___________ 189) Vgl. etwa Preis in: ErfK, § 613a BGB Rz. 93; so auch BAG, Urt. v. 2.4.2009 – 8 AZR 220/07, ZIP 2009, 2310 = ZInsO 2010, 496. 190) So Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 822. 191) BAG, Urt. v. 11.12.2014 – 8 AZR 943/13, NZA 2015, 481. 192) Statt vieler Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 829. 193) Zum Ganzen Lembke, BB 2007, 1333. 194) Dabei ist es ohne Bedeutung, ob der Massenentlassung eine Entscheidung zur vollständigen Stilllegung des Geschäftsbetriebs oder nur zur Kündigung eines Teils der Arbeitsverhältnisse zugrunde liegt; vgl. EuGH, Urt. v. 3.3.2011 – C-235/10 bis C-239/10 (Claes u. a.) Rz 33, Slg. 2011, I-1113; BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881 Rz. 14. 195) Richtlinie 98/59/EG des Rates v. 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. L 225/16 ff. v. 12.8.1998. 196) EuGH, Urt. v. 17.12.1998 – Rs. C-250/97, ZIP 1999, 1183 =NZA 1999, 305 = NZI 1999, 227; hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 930.

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Arbeitsrechtliche Probleme im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 21

Anordnung in § 125 Abs. 2 InsO der Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrats. Der Betriebsbegriff bestimmte sich dabei bislang nach betriebsverfassungsrechtlichen 124 Maßstäben unter Berücksichtigung von §§ 1, 4 BetrVG.197) Bildeten etwa zwei Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb,198) war bislang die Zahl aller Arbeitnehmer in diesem Betrieb maßgeblich für die Ermittlung des Schwellenwertes des § 17 KSchG.199) Der EuGH hat in mehreren im Frühsommer des Jahres 2015 ergangenen Entscheidungen seinerseits den Betriebsbegriff auf der Grundlage der Massenentlassungsrichtlinie konkretisiert.200) Demzufolge ist nunmehr der Begriff „Betrieb“ unionsrechtlicher Natur und einer Bestimmung anhand der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten entzogen. Er ist daher in der Unionsrechtsordnung autonom und einheitlich auszulegen. Besteht ein Unternehmen etwa aus mehreren Einheiten, wird der „Betrieb“ von der Einheit gebildet, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgaben zugewiesen sind.201) Neben den herkömmlichen Kündigungen (ordentlich und außerordentlich) zählen zu den 125 Entlassungen auch andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses, die vom Arbeitgeber veranlasst werden (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Hierzu gehören u. a. auch Aufhebungsverträge auf Veranlassung des Arbeitgebers202) oder das Zuvorkommen einer sonst erforderlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers.203) Wesentlich hierbei ist, dass die zur Beendigung führende Handlung bzw. „Veranlassung“ des Arbeitgebers vor der Entlassung liegt.204) Unter Berücksichtigung eines jüngeren Urteils des EuGH205) stellt bereits eine wesentliche Veränderung der Vertragsbedingungen durch den Arbeitgeber, die nicht auf Gründen in der Person des Arbeitnehmers beruht, eine Entlassung i. S. des § 17 KSchG dar; für die Rechtslage in Deutschland ergibt sich hierdurch jedoch keine wesentliche Änderung, da nach Maßgabe der aktuellen Rechtsprechung des BAG Änderungskündigungen ohnehin i. R. des § 17 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen sind.206) Die inhaltlichen Vorgaben der Konsultation des Betriebsrates ergeben sich aus § 17 126 Abs. 2 Nr. 1 – 6 KSchG; die Mindestinhalte der schriftlichen Massenentlassungsanzeige ___________ 197) BAG, Vers.-Urt. v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, BeckRS 2013, 74879 Rz. 47 m. w. N.; Weigand in KR, § 17 KSchG Rz. 31; dazu auch Salamon, NZA 2015, 789. 198) Vgl. etwa BAG, Beschl. v. 22.6.2005 – 7 ABR 57/04, NZA 2005, 1248 zu einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen. 199) Vgl. hierzu die Darstellung bei Kleinebrink/Commandeur, NZA 2015, 853. 200) EuGH, Urt. v. 30.4.2015 – Rs. C-80/14 (US-DAW u. a./WW Realisation 1 Ltd. in Liquidation u. a.), NZA 2015, 601; EuGH, Urt. v. 13.5.2015 – Rs. C-392/13 (Andrés Rabal Cañas/Nexea Gestión Documental SA), NZA 2015, 669; EuGH, Urt. 13.5.2015 – Rs. C-182/13 (Valerie Lyttle, Sarah Louise Halliday, Clara Lyttle, Tanya McGerty/Bluebird UK Bidco 2 Ltd.), NZA 2015, 731. 201) Dies führte in der englischen „Woolworths“-Insolvenz dazu, dass einzelne Geschäfte im Einzelhandel als eigenständige Betriebe oder Einheiten definiert und damit aufgrund ihrer geringen Mitarbeiterzahl einem Anwendungsbereich der Massenentlassungsrichtlinie entzogen wurden, vgl. EuGH, Urt. v. 30.4.2015 – Rs. C-80/14 (US-DAW u. a./WW Realisation 1 Ltd. in Liquidation u. a.), NZA 2015, 601; dazu auch Kleinebrink/Commandeur, NZA 2015, 853. 202) Vgl. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029 Rz. 48 m. w. N. ; BAG, Urt. v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14, DB 2015, 2029 Rz. 46. 203) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029; BAG, Urt. v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14, DB 2015, 2029. 204) BAG, Urt. v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14, DB 2015, 2029 Rz. 40; das LAG Sachsen-Anhalt als Vorinstanz (LAG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21.6.2013 – 6 Sa 444/11) hatte noch für die Entlassung i. S. des § 17 KSchG gefordert, das der Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis zum identischen Zeitpunkt einer ordentlichen Kündigung beenden müsse. 205) EuGH, Urt. v. 11.11.2015 – Rs. C-422/14 (Pujante Rivera/Gestora Clubs Dir SL u. a.), NZA 2015, 1441. 206) BAG, Urt. v. 20.2.2014 – 2 AZR 346/12, ZIP 2014, 1691 = NZA 2014, 1069; zum Ganzen auch Franzen, NZA 2016, 26.

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Teil V Einzelfragen

gegenüber der Agentur für Arbeit folgen aus § 17 Abs. 3 KSchG, der insoweit zwischen Pflicht- und Sollangaben unterscheidet. 127 In einer Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit wurden die inhaltlichen Voraussetzungen des Konsultationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 2 KSchG konkretisiert: 128 Jenseits des in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–6 KSchG beschriebenen Umfangs der Unterrichtung besteht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG weiterhin eine Verpflichtung zur Beratung der Maßnahme mit dem Betriebsrat. Diese Pflicht geht dabei über eine bloße Anhörung des Betriebsrats deutlich hinaus. Der Arbeitgeber – und damit auch der Insolvenzverwalter – hat mit dem Betriebsrat über die Entlassungen bzw. die Möglichkeiten ihrer Vermeidung ernstlich zu verhandeln bzw. ihm dies zumindest anzubieten.207) 129 In der Regel liegen bei anzeigepflichtigen Massenentlassungen i. S. des § 17 KSchG parallel auch die Voraussetzungen einer Betriebsänderung i. S. von § 111 BetrVG vor; die Konsultationspflicht gegenüber dem Betriebsrat ist der Sache nach daher regelmäßig dann erfüllt, wenn der Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich abschließt und dann erst kündigt.208) Soweit die Informationspflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen nach § 111 BetrVG übereinstimmen, können sie zeitlich gleichzeitig erfüllt werden.209) Dabei kommt es allerdings wesentlich darauf an, dass für den Betriebsrat erkennbar ist, dass die stattfindenden Beratungen (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen.210) 130 Da die Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Vorfeld der Durchführung von massenentlassungspflichtigen Betriebsänderungen regelmäßig auf verschiedener rechtlicher Grundlage parallel stattfinden (Verhandlung eines Interessenausgleichs nach § 111 BetrVG, Verhandlung eines Sozialplans bzw. ggf. Gründung einer Transfergesellschaft i. S. von § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2a BetrVG i. V. m. § 110 SGB III, Maßnahmen i. R. von §§ 99 ff. BetrVG), empfiehlt es sich, eine gleichzeitig stattfindende Beratung im Zuge der Konsultation gemäß § 17 KSchG schriftlich zu dokumentieren.211) 131 Neben der Konsultation des Betriebsrats hat die Massenentlassungsanzeige weiterhin auch ihrem Inhalt nach die gesetzlichen Vorgaben gemäß § 17 Abs. 3 KSchG zu erfüllen. Üblicherweise wird die Massenentlassungsanzeige auf der Grundlage von seitens der Bundesagentur für Arbeit angebotenen Formularen ausgefüllt.212) 132 Jenseits der im Formular der Agentur für Arbeit regelmäßig standarisiert abgefragten Informationen zählt zu ihrem Umfang gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG als Wirksamkeits-

___________ 207) BAG, Urt. v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, ZIP 2013, 1589 = NZA 2013, 966 Rz. 15; BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029 Rz. 57; BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881 Rz. 15. 208) BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11, NZA 2013, 1040 Rz. 46; BAG, Urt. v. 18.9.2003 – 2 AZR 79/02, ZIP 2004, 677 = NZA 2004, 375 zu B III 1b der Gründe; BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, Rz. 17, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881. 209) BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, Rz. 17, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881. 210) BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, Rz. 17, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881; so auch bereits BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, Rz. 47, ZIP 2012, 2412 = NZA 2013, 32; BAG, Urt. v. 18.1.2012 – 6 AZR 407/10, Rz. 34, ZIP 2012, 1193 = NZA 2012, 817; zurückhaltend zum Konsultationsverfahren bei Interessenausgleich LAG Hannover, Urt. v. 26.2.2015 – 5 Sa 1318/14, ZIP 2015, 1604. 211) So konnte im Fall des BAG (BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881) ungeachtet des abgeschlossenen Interessenausgleichs eine Beratung speziell zu den Massenentlassungen nicht nachgewiesen werden. 212) Abrufbar unter www.arbeitsagentur.de.

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voraussetzung213) auch die Beifügung einer Stellungnahme des Betriebsrats als Ergebnis der mit ihm durchgeführten Beratungen. Sofern ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen wurde, ersetzt dieser aufgrund der gesetzlichen Anordnung in § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG, § 125 Abs. 2 InsO214) dessen Stellungnahme. Liegt ein derartiger qualifizierter Interessenausgleich hingegen nicht vor, muss die Stellungnahme des Betriebsrats bestimmte aus dem Gesetz nicht ohne weiteres ersichtliche Mindestanforderungen erfüllen. Um entsprechend dem Sinn und Zweck der Massenentlassungsanzeige der zuständigen Agentur für Arbeit Auskunft darüber geben zu können, ob und welche Möglichkeiten er sieht, die angezeigten Kündigungen zu vermeiden und zugleich zu belegen, dass soziale Maßnahmen mit ihm beraten und ggf. getroffen worden sind, muss sich der Betriebsrat in einer Weise äußern, die erkennen lässt, dass er seine Beteiligungsrechte als gewahrt ansieht und dass es sich um eine abschließende Erklärung zu den vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigungen handelt.215) Eine etwaige – im Regelfall der Sphäre des Betriebsrats zuzuordnende – Unklarheit i. R. der Formulierung der Stellungnahme führt zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.216) Zu den inhaltlichen Vorgaben des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG gehört u. a. auch die Angabe 133 der vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer. Selbst bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste auf der Grundlage eines Erwerbermodells ist diese Voraussetzung dann nicht erfüllt, wenn diese Liste lediglich das Ergebnis der Sozialauswahl, nicht aber für die Agentur für Arbeit nachvollziehbar den auf den Sozialauswahlkriterien basierenden Weg dorthin im Einzelnen darlegt.217) Fordert die gesetzliche Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG die Vorlage der Massenent- 134 lassungsanzeige vor Durchführung einer „Entlassung“, wurde dies in der Vergangenheit mit dem Zeitpunkt gleichgesetzt, in welchem das Arbeitsverhältnis seine rechtliche Beendigung fand und der Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausschied.218) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 27.1.2005219) („Junk“-Entscheidung) festgelegt, dass entgegen der bisherigen deutschen Rechtsprechung die Konsultation des Betriebsrats und die Anzeige an die Bundesagentur für Arbeit bei Massenentlassungen i. S. von § 17 KSchG vor Ausspruch der Kündigungen stattzufinden hat, mithin als „Entlassung“ die Abgabe der Kündigungserklärung anzusehen ist. Die Praxis der Vergangenheit, zunächst die Kündigungen auszusprechen und sodann innerhalb des Laufs der Kündigungsfristen das Anzeigeverfahren bei der Agentur für Arbeit einzuleiten, ist damit obsolet. Das BAG hat sich in der Folgezeit dieser Rechtsprechung angeschlossen und allenfalls für Altfälle, in denen bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des EuGH auf der Grundlage der nationalen Rechtsprechung vorgegangen worden war, spezielle Grundsätze des Vertrauensschutzes aufgestellt.220) ___________ 213) BAG, Urt. v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, ZIP 2013, 1589 = NZA 2013, 966 Rz. 34; BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11 = NZA 2013, 1040 Rz. 64; BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881 Rz. 34. 214) Vgl. oben Rz. 123. 215) BAG, Urt. v. 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, Rz. 33, ZIP 2012, 1259 = NZA 2012, 1058; BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, Rz. 38, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881. 216) BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, Rz. 39 ff., ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881. 217) So jedenfalls LAG Düsseldorf, Urt. v. 26.9.2013 – 5 Sa 530/13, ZIP 2014, 47 = BB 2014, 125. 218) Vgl. BAG, Urt. v. 6.12.1973 – 2 AZR 10/73, BAGE 25, 430 = NJW 1974, 1263; BAG, Urt. v. 24.10.1996 – 2 AZR 895/95, BAGE 84, 267 = NJW 1997, 2131; BAG, Urt. v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, ZIP 1999, 1568. 219) EuGH, Urt. v. 27.1.2005 – Rs. C-188/03 (Junk/Kühnel), ZIP 2005, 230. 220) Vgl. etwa BAG, Urt. v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, ZIP 2006, 1644 = NZA 2006, 971; BAG, Urt. v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, ZIP 2006, 2329; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, ZIP 2006, 2396; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387; BAG, Urt. v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, ZIP 2008, 1598 = BB 2008, 1460;. zum Ganzen auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 768 ff., 772.

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§ 21

Teil V Einzelfragen

135 Gemäß § 18 KSchG werden Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit nur mit deren Zustimmung wirksam (sog. „Entlassungssperre“). Die Zustimmung kann dabei auch rückwirkend bis zum Tage der Antragstellung erteilt werden. Ferner kann die Agentur für Arbeit im Einzelfall bestimmen, dass die Entlassungen nicht vor Ablauf von längstens zwei Monaten nach Eingang der Anzeige wirksam werden (§ 18 Abs. 2 KSchG). 136 Infolge der „Junk“-Entscheidung des EuGH war es unklar, welche Auswirkungen dem modifizierten Entlassungsbegriff im Hinblick auf die in § 18 KSchG enthaltene Entlassungssperre zukommt. Teilweise wurde hierzu die Auffassung vertreten, angesichts des neuen Entlassungsbegriffs könnten die Kündigungen erst zeitversetzt nach Ablauf der Sperrfrist ausgesprochen werden.221) Das LAG Berlin-Brandenburg ging davon aus, dass die Kündigungsfrist nach Vorlage der Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 KSchG erst nach Ablauf der Sperrfrist des § 18 Abs. 1 KSchG beginne.222) Das BAG hat zwischenzeitlich klargestellt, dass die Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 KSchG weder den Ausspruch einer Kündigung (unmittelbar) nach Vorlage der Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit während des Laufs der Sperrfrist nach § 18 Abs. 1 oder 2 KSchG hindere, noch die Sperrfrist die gesetzlichen Kündigungsfristen verlängere.223) 137 Eine – auch unter dem Blickwinkel der aktuellen Rechtsprechung des EuGH und nachfolgend des BAG – unterbliebene, fehlerhafte oder verspätete Massenentlassungsanzeige führt in ihrer Rechtsfolge gemäß § 134 BGB zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung, wenn sich der gekündigte Arbeitnehmer im Prozess hierauf beruft.224) 138 Der Arbeitnehmer ist insoweit darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer Anzeigeflicht nach § 17 KSchG. Steht die Anzeigepflicht fest, trifft die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens nach § 17 KSchG den Arbeitgeber, weil dieses Verfahrens Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung ist.225) In der Praxis lässt sich indes beobachten, dass viele Arbeitsrichter dazu tendieren, die Ordnungsgemäßheit der Massenentlassungsanzeige auch bei Fehlen jeglicher Rüge seitens der Arbeitnehmervertretung226) vollumfänglich von Amts wegen zu prüfen.

___________ 221) Hierzu etwa die Darstellung des Meinungsstands bei Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 951, 953. 222) LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 21.12.2007 – 6 Sa 1846/07, AE 2008, 112 = DB 2009, 236; vgl. auch LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.2.2007 – 6 Sa 2152/06, BB 2007, 2296. 223) BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 935/07, ZIP 2009, 487; vgl. dazu auch die Anm. v. Simon/Greßlin, BB 2009, 727. 224) So BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 219/06, n. v.; BAG, Urt. v. 12.7.2007 – 2 AZR 619/05, n. v.; BAG, Urt. v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, ZIP 2008, 428; BAG, Urt. v. 8.11.2007 – 2 AZR 554/05, BB 2008, 563; BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, ZIP 2010, 246; BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, NZA 2013, 845 = ZIP 2013, 742; BAG Urt. v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, NZA 2013, 966 = ZIP 2013, 1589; vgl. zur Beweislastverteilung auch BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 5/12, NZA 2013, 864 = BB 2013, 1150. 225) BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 5/12, NZA 2013, 864 = BB 2013, 1150. 226) Die konkreten Anforderungen an den Vortrag richten sich dabei nach den allgemeinen Regelungen zur Verteilung der Darlegungslast nach § 138 Abs. 2 ZPO. Trägt etwa der Insolvenzverwalter ohne Rüge des Arbeitnehmers zu dem von ihm durchgeführten Verfahren nach § 17 KSchG vor und ist daraus ersichtlich, dass den Anforderungen des § 17 KSchG nicht genügt ist, hat das Gericht nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln unabhängig von einer ausdrücklichen Rüge des Arbeitnehmers derartige Unwirksamkeitsgründe von Amts wegen zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt, wenn sich solche Unwirksamkeitsgründe aus vom Arbeitgeber/Insolvenzverwalter in das Verfahren eingeführten Unterlagen eindeutig ergeben; vgl. BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 5/12, NZA 2013, 864 = BB 2013, 1150.

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§ 22 Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme Übersicht I. 1.

2.

Betriebsverfassungsrechtliche Probleme ...................................................... 1 Der Betriebsrat im Insolvenzverfahren ...... 1 1.1 Allgemeine Stellung des Betriebsrates ...................................... 1 1.2 Allgemeine Rechte des Betriebsrates im Insolvenzverfahren ............. 4 1.3 Kostentragungspflicht des Insolvenzverwalters ............................ 17 1.4 Rechte des Betriebsrates in der Betriebsfortführung ........................ 20 1.4.1 Rechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen im Insolvenzverfahren.......................................... 20 1.4.2 Rechte des Betriebsrates beim Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Betriebsfortführung (übertragende Sanierung) ............... 58 1.5 Betriebsvereinbarungen in der Betriebsfortführung ........................ 66 1.5.1 Beratungsgebot gemäß § 120 InsO....................................... 69 1.5.2 Kündigungsmöglichkeiten von Betriebsvereinbarungen .................. 75 1.5.2.1 Ordentliche Kündigung................. 76 1.5.2.2 Außerordentliche Kündigung ....... 86 1.5.2.3 Wegfall der Geschäftsgrundlage.... 90 1.5.3 Nachwirkung................................... 91 1.5.4 Anfechtung von Betriebsvereinbarungen .......................................... 95 Interessenausgleich und Sozialplan in der Insolvenz .............................................. 96 2.1 Betriebsänderung nach §§ 121, 122 InsO........................... 105 2.2 Interessenausgleich nach § 125 InsO..................................... 121 2.2.1 Zustandekommen des Interessenausgleiches ..................................... 126 2.2.1.1 Voraussetzungen .......................... 126 2.2.1.2 Beteiligung des zuständigen Betriebsrates .................................. 127 2.2.1.3 Erfordernis einer Betriebsänderung ........................................ 131 2.2.1.4 Zeitpunkt ...................................... 133 2.2.1.5 Anforderungen an die Namensliste................................... 138 2.2.2 Wirkung des Interessenausgleiches mit Namensliste.............. 142 2.2.2.1 Vermutung dringender betrieblicher Erfordernisse....................... 142

2.2.2.2 Sozialauswahl................................ 144 2.3 Beschlussverfahren nach § 126 InsO..................................... 158 2.4 Bindungswirkung nach § 127 InsO..................................... 174 2.5 Betriebsänderung ohne Interessenausgleich ....................... 180 2.6 Der Nachteilsausgleich................. 182 2.6.1 Abweichung von einem Interessenausgleich ....................... 183 2.6.2 Unterbliebener Versuch eines Interessenausgleiches.................... 187 2.6.3 Entstehung des Nachteilsausgleichsanspruchs ...................... 192 2.6.4 Entlassung von Arbeitnehmern......................................... 198 2.6.5 Andere wirtschaftliche Nachteile ....................................... 200 2.6.6 Höhe des Nachteilsausgleichs und Verhältnis zu einem Sozialplan....................................... 201 2.6.7 Nachteilsausgleich als Masseverbindlichkeit .............................. 206 2.7 Betriebsveräußerung nach § 128 InsO..................................... 207 2.8 Sozialplan nach §§ 123, 124 InsO........................................ 212 2.8.1 Absolute Obergrenze ................... 220 2.8.2 Relative Obergrenze ..................... 228 2.8.3 Verteilung des Sozialplanvolumens ....................................... 231 2.8.4 Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans ..................................... 243 2.8.5 Widerruf des Sozialplans .............. 247 2.8.6 Verjährung von Sozialplanforderungen................................... 257 2.9 Transfermaßnahmen..................... 269 II. Tarifrechtliche Probleme ....................... 279 1. Tarifgebundenheit des Insolvenzverwalters.................................................. 279 1.1 Begriff der Tarifgebundenheit...... 280 1.2 Mitglieder der Tarifvertragsparteien .......................................... 281 1.3 Beginn und Ende der Mitgliedschaft in der Tarifvertragspartei .............................................. 283 1.4 Beendigung der Mitgliedschaft per Gesetz...................................... 287

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§ 22

Teil V Einzelfragen

1.5

Auswirkungen der Beendigung der Mitgliedschaft auf die Tarifgebundenheit ........................ 291 1.5.1 Auswirkungen auf die Tarifgebundenheit des Schuldners......... 291

2.

1.5.2 Auswirkungen auf die Tarifgebundenheit des Insolvenzverwalters ...................................... 292 1.6 Nachwirkung ................................ 295 Sanierungstarifverträge ............................ 299

Literatur: Annuß/Hohenstadt, Betriebsidentität und Sozialauswahl beim gemeinsamen Betrieb, NZA 2004, 420; Giesen, Die Betriebsverfassung nach dem neuen Insolvenzrecht, ZIP 1998, 142; Griese, Weitergeltung des Sanierungstarifvertrages nach Betriebsübergang, Arbeitsrecht Aktiv 2009, 194; Karthaus, Betriebsübergang als interessenausgleichspflichtige Maßnahme nach der Richtlinie 2004/14/EG, AuR 2007, 114; Köhler, Kein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei vorzeitiger Umsetzung interessenausgleichspflichtiger Betriebsänderungen, GWR 2014, 454; Mückl/Krings, Rettung des durch den vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste, ZIP 2012, 106; Oetker/Friese, Massebelastende Betriebsvereinbarungen in der Insolvenz (§ 120 InsO), DZWIR 2000, 397; Pott, Verjährung von Sozialplanansprüchen in der Insolvenz, NZI 2015, 535; Runkel, Verjährungsproblematiken im Insolvenzverfahren, in: Festschrift für Bruno Kübler, 2015, S. 595; Salomon, Unterrichtung und Beratung im Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG, NZA 2015, 789; Wenner/Jauch, Die Verjährung von Masseverbindlichkeiten im Insolvenzverfahren, ZIP 2009, 1894; Wroblewski, Arbeitnehmervertreter im (vorläufigen) Gläubigerausschuss, ZInsO 2014, 115.

I.

Betriebsverfassungsrechtliche Probleme

1.

Der Betriebsrat im Insolvenzverfahren

1.1

Allgemeine Stellung des Betriebsrates

1 Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens allein hat auf den Bestand von Arbeitsverhältnissen keinen Einfluss. Damit bleiben auch die gewählten Betriebsratsmitglieder bis zur Auflösung des Betriebsrates oder der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im Amt.1) 2 Die Bestimmungen des BetrVG – insbesondere über Interessenausgleich, Sozialplan und Nachteilsausgleich – und das SprAUG gelten auch in der Insolvenz des Unternehmens.2) Der Betriebsrat behält somit seine betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte, die auch im Insolvenzverfahren nur durch den Betriebsrat als Gremium und nicht durch den Vorsitzenden allein ausgeübt werden können.3) 3 Dies gilt – mit wenigen Ausnahmen (vgl. Rz. 101, 106 ff.) – auch dann, wenn der Betriebsrat erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewählt wurde (zur Unterrichtungspflicht des Insolvenzverwalters bei Betriebsänderung vgl. Rz. 20 ff.). 1.2

Allgemeine Rechte des Betriebsrates im Insolvenzverfahren

4 Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (ggf. auch bereits mit Beschluss des Gerichtes gemäß § 22 Abs. 1 InsO) übernimmt der Insolvenzverwalter (bzw. der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter) die Arbeitgeberstellung. Dieser gesetzlich geregelte Arbeitgeberwechsel hat jedoch keine einschränkenden Auswirkungen auf die im BetrVG geregelten Rechte des Betriebsrates. Der Betriebsrat übt die betriebsverfassungsrechtlichen Informations-, Beratungs-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte nun allerdings ausschließlich gegenüber dem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter oder dem Insolvenzverwalter aus. 5 Die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte des Betriebsrates werden im eröffneten Insolvenzverfahren durch sein Recht, im Berichtstermin (erste Gläubigerversammlung) zum Bericht des Insolvenzverwalters Stellung nehmen zu können (§ 156 Abs. 2 InsO) erweitert. ___________ 1) Fitting, BetrVG, § 24 Rz. 30. 2) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99. 3) BAG, Beschl. v. 14.11.1978 – 6 ABR 85/75, BB 1979, 522.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 22

Entscheidend für eine Sanierung ist das Eröffnungsverfahren, da hier bereits die Weichen 6 für eine Betriebsfortführung oder Stilllegung gestellt werden. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) wurde die Gläubigerautonomie bereits im Eröffnungsverfahren gestärkt. So werden dem vorläufigen Gläubigerausschuss wichtige Entscheidungskompetenzen eingeräumt (z. B. Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters, § 56a InsO), was zwangsläufig zu der Diskussion führt, wer an diesen frühen Entscheidungen zu beteiligen ist. Mit dem ESUG wurde § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO dahingehend geändert, dass zwar nach wie vor 7 dem Gläubigerausschuss ein Vertreter der Arbeitnehmer angehören soll, es jedoch nicht mehr zwingend erforderlich ist, dass die vertretenen Arbeitnehmer Insolvenzgläubiger mit „nicht unerheblichen Forderungen“ sind. Der Gesetzgeber begründet die Änderung wie folgt: „In der Praxis hat sich in den vergangenen Jahren seit dem Inkrafttreten der InsO die Beteiligung eines Vertreters der Arbeitnehmer im Gläubigerausschuss durchweg als sinnvoll erwiesen. Die Arbeitnehmer verfügen meist über vertiefte Kenntnisse des Unternehmens. Insbesondere bei einer Fortführung und Sanierung im Insolvenzverfahren ist die Einbindung von Vertretern der Arbeitnehmer unerlässlich. Künftig soll dem Gläubigerausschuss ebenso wie die anderen genannten Gläubigergruppen stets ein Vertreter der Arbeitnehmer angehören.“4)

In der Literatur wird kontrovers diskutiert, ob zu Mitgliedern des vorläufigen Gläubiger- 8 ausschusses gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a InsO ausschließlich Personen bestellt werden dürfen, die bereits Gläubiger sind, oder zumindest mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden und wer Vertreter der Arbeitnehmer sein kann. Einerseits wird vertreten, dass aus dem in § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO nun fehlenden Verweis 9 auf § 67 Abs. 3 InsO nur Gläubiger des Schuldners zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses bestellt werden können und damit die Bestellung von Arbeitnehmern ausscheidet, wenn diese keine Insolvenzforderungen haben.5) Andererseits wird in der Änderung des § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO (weglassen des 2. Halbsatzes) die Bekräftigung durch den Gesetzgeber gesehen, dass ein Arbeitnehmervertreter stets dem Gläubigerausschuss angehören soll, unabhängig ob und in welcher Höhe Arbeitnehmerforderungen bestehen. Der fehlende Verweis auf § 67 Abs. 3 InsO beträfe damit nur Nichtgläubiger, die keine Arbeitnehmervertreter sind.6) Der Literaturmeinung, dass die im vorläufigen Gläubigerausschuss vertretenen Arbeitneh- 10 mer, nicht Gläubiger sein müssen, ist zuzustimmen. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass die Arbeitnehmer (als Ausnahme) stets im Ausschuss vertreten sein sollen. Der Gesetzgeber hat mit der Änderung in § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO und dem Verweis in § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO akzeptiert, dass die Arbeitnehmer keine Insolvenzgläubiger sein müssen. Der Begriff des „Vertreters der Arbeitnehmer“ wird weder im Gesetz noch in der Geset- 11 zesbegründung definiert. Hölzle sieht, ausgehend von der nach seiner Auffassung erforderlichen Gläubigerstellung, die Gewerkschaften nicht als mögliche Arbeitnehmervertreter.7) Wroblewski kommt zu dem Ergebnis, dass eine im Betrieb des Schuldners vertretene Gewerkschaft (§ 2 Abs. 1 BetrVG) als nichtrechtsfähiger Verein, der juristischen Personen gleichsteht, Mitglied des vorläufigen Gläubigerausschusses sein kann. Vertreten wird die Gewerkschaft dann durch einen lokalen Gewerkschaftssekretär.8) Dieser Auffassung ist u. a. ___________ 4) BT-Drucks. 17/5712, S. 27 zu Nr. 10 (Änderung von § 67). 5) Vgl. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, 2. Aufl. 2014, Rz. 61, 74, Kübler/Prütting/Bork-Pape/Lüke, InsO, Stand: 11/2015, § 21 Rz. 24p, q; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 16c. 6) Wroblewski, ZInsO 2014, 115 ff. 7) Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, Rz. 82. 8) Wroblewski, ZInsO 2014, 115 ff.

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Teil V Einzelfragen

auch im Hinblick darauf, dass im Betriebsverfassungsrecht der Gewerkschaft neben dem Betriebsrat das Recht zur Vertretung von Arbeitnehmerinteressen zuerkannt wird, zu folgen. 12 Wroblewski erachtet es zudem auch für sinnvoller, eine betriebszuständige Gewerkschaft an Stelle des/der Vorsitzenden des Betriebsrates als Arbeitnehmervertreter zu bestellen, da Gewerkschaftssekretäre regelmäßig durch die Insolvenz nicht unmittelbar persönlich betroffen sind, insbesondere nicht durch Kündigung oder Freistellung den Kontakt zum Betrieb und zum Insolvenzverfahren verlieren.9) Soweit hiergegen in der Literatur nachhaltige Interessenkonflikte insoweit gesehen werden, dass Gewerkschaften später ihren Mitgliedern Rechtsschutz für Kündigungsschutzklagen erteilen, in denen auch die Sozialauswahl, die sie zuvor mitdiskutiert haben, geprüft wird,10) ist darauf hinzuweisen, dass Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Betriebsrat und nicht mit der Gewerkschaft und zudem erst im eröffneten Insolvenzverfahren verhandelt und abgeschlossen werden. Gewerkschaften haben damit keine stärkeren Interessenkonflikte als andere Gläubigervertreter im vorläufigen Gläubigerausschuss. 13 Einheitlich wird vertreten, dass mangels Rechtsfähigkeit für die Tätigkeit als vorläufiges Ausschussmitglied nicht der Betriebsrat als Vertretungsorgan und Gremium, sondern allenfalls ein Mitglied des Betriebsrates als natürliche Person in Frage kommt. 14 Die Auskunftsrechte des Betriebsrates ergeben sich im Wesentlichen aus § 80 Abs. 2 BetrVG. Auch der Insolvenzverwalter ist bereits dann zur Auskunft gegenüber dem Betriebsrat verpflichtet, wenn dieser die Auskünfte benötigt, um einschätzen zu können, ob Mitbestimmungsrechte bestehen.11) 15 Die wesentlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates ergeben sich bei personellen Maßnahmen aus §§ 99, 102 BetrVG, bei Betriebsänderungen aus §§ 111 ff. BetrVG und bei sozialen Angelegenheiten aus § 87 BetrVG. 16 Missachtet der Insolvenzverwalter die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte des Betriebsrates, kann der Betriebsrat diese in der gleichen Art und Weise wie zuvor gegen den schuldnerischen Arbeitgeber durchsetzen (arbeitsgerichtliches Erkenntnisverfahren nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, arbeitsgerichtliches Vollstreckungsverfahren nach § 23 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BetrVG, Einigungsstellenverfahren nach §§ 76 f. BetrVG). 1.3

Kostentragungspflicht des Insolvenzverwalters

17 Die Pflicht des Insolvenzverwalters, die Kosten für notwendige Aufwendungen des Betriebsrates zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben zu tragen, ergibt sich aus § 40 BetrVG. Der Betriebsrat kann zudem gemäß § 80 Abs. 3 BetrVG einen Sachverständigen hinzuziehen, der die beim Betriebsrat ggf. fehlende Sachkunde ersetzt, wobei Rechtsanwälte zur rechtlichen Beratung des Betriebsrats als Sachverständige zu bewerten sind. Der 7. Senat des BAG hat mit Urteil vom 25.6.2014 klargestellt, dass die Heranziehung eines Rechtsanwaltes als Sachverständiger i. S. des Gesetzes voraussetzt, dass er dem Betriebsrat spezielle Rechtskenntnisse vermitteln soll, die in der konkreten Situation, in der der Betriebsrat seine Aufgaben zu erfüllen hat, als erforderlich anzusehen sind. Nicht erforderlich ist nach dieser Entscheidung die Hinzuziehung eines externen Sachverständigen, wenn sich der Betriebsrat die fehlende Sachkunde kostengünstiger als durch die Beauftragung des Sachverständigen verschaffen kann. Der Betriebsrat kann gegen den Willen des Arbeitgebers die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes als Sachverständiger nach § 80 Abs. 3 BetrVG ___________ 9) Wroblewski, ZInsO 2014, 115. 10) Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, Rz. 82. 11) Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 5.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 22

nicht in Fällen beanspruchen, in denen zwischen den Betriebsparteien ein konkreter Streit über das Bestehen und den Umfang von Mitbestimmungsrechten hinsichtlich eines bestimmten Regelungsgegenstandes besteht. Vielmehr ist in einer solchen Situation der betriebsverfassungsrechtlich für den Betriebsrat vorgesehene Weg, die ihm durch § 40 Abs. 1 BetrVG eröffnete Beauftragung eines Rechtsanwaltes, der i. R. eines solchen Mandats zunächst das Bestehen und den Umfang des in Betracht kommenden Mitbestimmungsrechts prüft. Dadurch wird regelmäßig dem berechtigten Interesse des Betriebsrates an der Klärung einer zwischen ihm und dem Arbeitgeber streitigen betriebsverfassungsrechtlichen Frage weniger zeitaufwendig, effizienter und in der Regel auch kostensparender Rechnung getragen (Orientierungssatz des Gerichtes).12) Die Hinzuziehung bedarf jedoch einer Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Insolvenzverwalter, anderenfalls muss der Insolvenzverwalter diese Kosten nicht übernehmen.13) Verweigert der Insolvenzverwalter als Arbeitgeber eine solche Vereinbarung trotz der Erforderlichkeit der Hinzuziehung des Sachverständigen, so kann der Betriebsrat die fehlende Zustimmung des Arbeitgebers durch eine arbeitsgerichtliche Entscheidung ersetzen lassen.14) Hinzuweisen ist auch auf die Entscheidung des BGH vom 25.10.2012, wonach Betriebs- 18 ratsmitglieder, die einen Beratungsvertrag mit einem Beratungsunternehmen abschließen und hierbei Aufgaben vereinbaren, die nicht zur Erfüllung der Betriebsratsaufgaben erforderlich sind, nach § 179 BGB gegenüber den Beratungsunternehmen haften können. Ein Freistellungs- und Kostenerstattungsanspruch gegen den Arbeitgeber (und damit auch gegen den Insolvenzverwalter) besteht nur i. R. der erforderlichen Beratungstätigkeit i. H. des marktüblichen Honorars. Bezüglich des überschießenden Betrages kommt eine Haftung der Betriebsratsmitglieder in Frage, die sich mit dem Kennen bzw. Kennenmüssen der Berater nach § 179 Abs. 3 BGB exkulpieren können.15) Das BAG hat mit Urteil vom 18.3.201516) entschieden, dass der Arbeitgeber nur diejenigen 19 Kosten einer anwaltlichen Tätigkeit zu tragen hat, die auf eine Beauftragung aufgrund eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses zurückgehen. Dabei ist der ordnungsgemäße Betriebsratsbeschluss ungeachtet einer Verfahrensvollmacht nach § 81 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG für jede Instanz gesondert erforderlich. Fehlt ein solcher Beschluss, kann das Rechtsmittel bei entsprechender Verfahrensvollmacht zwar wirksam eingelegt sein, jedoch besteht für den Arbeitgeber keine Pflicht zur Tragung der Anwaltskosten für dieses Rechtsmittel.17) 1.4

Rechte des Betriebsrates in der Betriebsfortführung

1.4.1 Rechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen im Insolvenzverfahren Reorganisation und übertragende Sanierung sind Verfahrensziele (§ 1 InsO). In diesen 20 Fällen sind notwendigerweise Betriebe fortzuführen. Mit dem Erhalt des Unternehmens ist der Erhalt von Arbeitsplätzen verbunden. Im Insolvenzeröffnungsverfahren hilft im Wesentlichen die Zahlung des Insolvenzgeldes bei der Fortführung des Unternehmens, da während des dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraumes (§ 165 SGB III) das schuldnerische Unternehmen die Löhne nicht zahlen muss. Während der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren bleibt zunächst die Geschäftsführung des schuldnerischen Unternehmens weiter___________ 12) 13) 14) 15) 16) 17)

BAG, Beschl. v. 25.6.2014 – 7 ABR 70/12, NZA 2015, 629. BAG, Beschl. v. 19.4.1989 – 7 ABR 87/87, NZA 1989, 936. BAG, Beschl. v. 25.6.2014 – 7 ABR 70/12, NZA 2015, 629. BGH, Urt. v. 25.10.2012 – III ZR 266/11, ZIP 2012, 2363 = NZA 2012, 1382. BAG, Urt. v. 18.3.2015 – 7 ABR 4/13, NZA 2015, 954. Vgl. auch Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht, 2015, Bd. 2, S. 599 ff.

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hin verantwortlich, so dass der Betriebsrat die vorgenannten Auskunfts-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte gegenüber der Geschäftsführung ausübt. Der Betriebsrat hat jedoch zu beachten, dass jede Verfügung der bisherigen Geschäftsleitung des Unternehmens über die schuldnerische Masse der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters bedarf, sofern das Gericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 2 InsO einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt. Legt das Gericht dem Schuldner bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren ein allgemeines Verwaltungs- und Verfügungsverbot auf (§ 22 Abs. 1 InsO), führt allein der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter den Betrieb fort und ist alleiniger Verhandlungspartner des Betriebsrates. 21 Die Betriebsfortführung ist regelmäßig mit Betriebsänderungen i. S. des § 111 BetrVG verbunden, d. h. mit x

Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen,

x

Verlegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen,

x

Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben,

x

grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszweckes oder der Betriebsanlagen,

x

Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren.

22 Sowohl im vorläufigen als auch im eröffneten Insolvenzverfahren muss der Betriebsrat über geplante vorgenannte Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend durch den Insolvenzverwalter unterrichtet werden. Für die Beteiligungsrechte des Betriebsrates ist es dabei unerheblich, ob sich die Betriebsänderung zwingend aus der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ergibt.18) 23 Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen sind von einer bestimmten Größe des Unternehmens abhängig. Sie bestehen nur dann, wenn im Unternehmen in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Unerheblich ist, ob diese Arbeitnehmer eines Unternehmens in einer oder mehreren Betriebseinheiten eingesetzt werden. Damit sind auch in kleineren Betrieben ein Interessenausgleich zu versuchen und ein Sozialplan abzuschließen, sofern im Unternehmen regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind.19) 24 Bei den vorgenannten, in § 111 BetrVG aufgezählten, Betriebsänderungen handelt es sich um eine beispielhafte, nicht abschließende Aufzählung. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst ist aber keine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG, weshalb der Betriebsrat bei der Stellung des Insolvenzantrages nicht zu beteiligen ist.20) 25 Die Unterrichtungspflicht des Betriebsrates setzt voraus, dass mit der Betriebsänderung wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft verbunden sind. Diese Nachteile können sowohl materieller Art (Entgeltminderung, Entstehung von Fahrtkosten durch längere Arbeitswege, Verlust des Arbeitsplatzes und Eintritt von Arbeitslosigkeit) als auch immaterieller Art (Leistungsverdichtung oder geringere Anforderungen an die auszuführenden Tätigkeiten, verstärkte Kontrollen) sein.21) Bei den in § 111 Satz 3 BetrVG genannten Betriebsänderungen wird der Eintritt solcher Nachteile fingiert, ___________ 18) Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 38. 19) Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 18 ff.; BAG, Urt. v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09, ZIP 2011, 730 = NZA 2011, 466, dazu EWiR 2011, 269 (Joost). 20) Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 39. 21) Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 47.

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da mit der Aufzählung der Betriebsänderungen in § 111 Satz 3 BetrVG nur solche genannt werden, die nach § 111 Satz 1 BetrVG auch beteiligungspflichtig sind.22) Ob der in § 111 Satz 1 BetrVG verlangte „erhebliche Teil der Belegschaft“ von der Betriebs- 26 änderung betroffen ist, richtet sich nach den Schwellenwerten des § 17 Abs. 1 KSchG, wobei aber mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sein müssen. Die Grenzwerte des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG passen allerdings nicht für Betriebe mit weniger als 21 Arbeitnehmern, in denen – sofern das Unternehmen mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt – eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung möglich ist. Hier liegt eine Betriebsänderung bereits dann vor, wenn durch den Personalabbau mindestens 6 Arbeitnehmer betroffen sind.23) Zudem muss es sich um eine einheitliche unternehmerische Planung handeln.24) Der VierWochen-Zeitraum nach § 17 Abs. 1 KSchG ist allerdings unerheblich, da auch mehrere Personalabbaumaßnahmen hintereinander und in einem Zeitraum von nur wenigen Wochen auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruhen können.25) Der Betriebsrat ist nur dann rechtzeitig unterrichtet, wenn er mit der Unterrichtung noch 27 in die Lage versetzt wird, auf das „Ob“ und „Wie“ der geplanten Betriebsänderung Einfluss nehmen zu können. Allerdings hat der Betriebsrat bei der Frage „ob“ und „wie“ der Insolvenzverwalter eine Betriebsänderung durchführt lediglich ein eingeschränktes Mitwirkungsrecht, d. h. er kann die Durchführung der Betriebsänderung gegen den Willen des Insolvenzverwalters als Arbeitgeber weder verhindern, noch eine andere Durchführung erzwingen.26) Der Insolvenzverwalter ist somit lediglich verpflichtet, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplante Betriebsänderung zu unterrichten und hat diese mit ihm zu beraten. Ziel der Beratung ist ein Interessenausgleich (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, vgl. hierzu Rz. 96 ff.) Es ist unschädlich, wenn der Arbeitgeber – und so auch der Insolvenzverwalter – den Ent- 28 schluss zur Betriebsänderung bereits gefasst hat, ohne diesen zuvor mit dem Betriebsrat zu beraten.27) Um eine sinnvolle Information des Betriebsrates zu ermöglichen, muss der Insolvenzverwalter den Betriebsrat noch nicht über erste Vorüberlegungen unterrichten, da diese noch keine Planung darstellen. Die Unterrichtung des Betriebsrates ist jedoch nicht mehr rechtzeitig, wenn mit der Durchführung der Betriebsänderung bereits begonnen wurde.28) Gerade bei Betriebsänderungen im Insolvenzverfahren, deren kurzfristige Umsetzung erfor- 29 derlich ist, um eine erfolgreiche Betriebsfortführung zu gewährleisten, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen der Insolvenzverwalter einleiten darf, bevor er den Betriebsrat von der Betriebsänderung unterrichtet und die Interessenausgleichsverhandlungen abgeschlossen sind. Diese Frage ist im Insolvenzverfahren gerade deshalb von Bedeutung, da trotz der Beschleunigungsregelungen in den §§ 121, 122 InsO der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, mit dem Betriebsrat den Versuch eines Interessenausgleiches zu unternehmen. Er kann sich nicht darauf berufen, die Beteiligung des Betriebsrates sei wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation ausnahmsweise entbehrlich.29) Dies gilt auch, wenn der Betriebsrat erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens errichtet wurde.30) Vgl. aber Rz. 101. ___________ 22) 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30)

Kania in: ErfK, § 111 BetrVG Rz. 8. BAG, Urt. v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09, ZIP 2011, 730 = NZA 2011, 466. BAG, Beschl. v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, ZIP 2006, 1460 = NZA 2006, 932. BAG, Beschl. v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, ZIP 2006, 1460 = NZA 2006, 932. Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 102. BAG, Urt. v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, ZIP 2006, 1510; Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 109. BAG, Urt. v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, ZIP 2006, 1510. BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235.

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30 Wenngleich der Betriebsrat die Betriebsänderung an sich nicht verhindern bzw. eine andere Durchführung erzwingen kann, so kann er doch im Wege der einstweiligen Verfügung gemäß §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO sein Informationsrecht erzwingen. 31 Die umstrittene Frage, ob dem Betriebsrat ein durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Abschluss der Verhandlungen über den Interessenausgleich zusteht, oder ob ein solcher Unterlassungsanspruch i. R. des § 111 BetrVG bereits vom Grundsatz her nicht gegeben ist, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Das LAG Hamm hat mit Beschluss vom 28.8.2003 seine bis dahin einen Unterlassungsanspruch verneinende Auffassung aufgegeben, da bessere Argumente dafür sprächen, einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrates zu bejahen.31) Dem Unterlassungsanspruch des Betriebsrates steht nach Auffassung des LAG Hamm auch nicht der Umstand entgegen, dass der Betriebsrat letztlich die Durchführung der Betriebsänderung nicht verhindern kann. Wenn der Betriebsrat schon keine direkte Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidung habe, so sei es umso notwendiger, dem Betriebsrat ein abgesichertes Verfahren zur Verfügung zu stellen, um die Arbeitnehmerinteressen in den Entscheidungsprozess des Arbeitgebers einfließen zu lassen. Im Juni 2010 bestätigte das LAG Hamm die Rechtsprechung, der Betriebsrat habe einen Anspruch darauf, dass Betriebsänderungen zu unterlassen sind, „bis von Seiten des Arbeitgebers den Anforderungen des § 111 Abs. 1 BetrVG Rechnung getragen worden ist“. Nur so kann nach Auffassung des LAG Hamm sichergestellt werden, dass der Betriebsrat die ihm durch §§ 111, 112 BetrVG zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen kann. Bei der Gewährung des Unterlassungsanspruches gehe es ausschließlich darum, den Weg bis zum ordnungsgemäßen Zustandekommen eines Interessenausgleiches oder seines Scheiterns verfahrensrechtlich abzusichern. Anderenfalls würde man den Betriebsrat hinsichtlich seiner Rechte auf rechtzeitige und umfassende Unterrichtung im Ergebnis schutzlos stellen.32) Nach LAG Hamm korrespondiert mit dem Verhandlungsanspruch des Betriebsrates bei einer Betriebsänderung ein Unterlassungsanspruch, der sich gegen jede einseitige Durchführung der Betriebsänderung richten soll.33) Hieran anschließend hat das LAG Hamm am 17.2.2015 entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch grundsätzlich besteht, aber ausgeschlossen ist, wenn die Betriebsänderung bereits durchgeführt worden ist.34) 32 Das LAG Köln hat mit Urteil vom 30.8.2003 bei einem Teilbetriebsübergang als Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG keinen Unterlassungsanspruch gesehen.35) Es vertritt die Auffassung, dass grundsätzlich ein im Wege des Beschlussverfahrens oder einer einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Anspruch des Betriebsrates gegen den Arbeitgeber auf Einhaltung des Interessenausgleichs nicht besteht, weil es dem Arbeitgeber gemäß § 113 BetrVG gestattet ist, von Vereinbarungen im Interessenausgleich abzuweichen und die vom Arbeitgeber im Interessenausgleich eingegangenen Verpflichtungen nur als Naturalobligationen anzusehen sind. Dem Betriebsrat steht nach Auffassung des LAG auch kein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch vor Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich zu. Dies gelte umso mehr in einem Fall, in dem aufgrund einer bevorstehenden Betriebsänderung (Teilbetriebsübergang) für die davon betroffenen Arbeitnehmer wegen des umfassenden Schutzes gemäß § 613a BGB keine mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses vergleichbaren Nachteile drohen. Das Gericht sieht lediglich für Fälle einer mit Kündigung verbundenen Betriebsänderung einen Unterlassungsanspruch des ___________ 31) LAG Hamm, Beschl. v. 28.8.2003 – 13 TaBV 127/03, NZA-RR 2004, 80. 32) LAG Hamm, Beschl. v. 28.6.2010 – 13 Ta 372/10, openJur 2011, 72536. 33) LAG Hamm, Beschl. v. 20.4.2012 – 10 TaBVGa 3/12, m. ausführl. Nachweisen zum Streitstand, openJur 2012, 85955. 34) LAG Hamm, Beschl. v. 17.2.2015 – 7 TABVGa 1/15, NZA-RR 2015, 247 = BeckRS 2015, 66619. 35) LAG Köln, Beschl. v. 30.8.2004 – 5 Ta 166/04, ZIP 2004, 2155.

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Betriebsrates. Das Gericht weist zugleich darauf hin, dass bei Durchführung der Betriebsänderung im Wege des Teilbetriebsübergangs Verhandlungen über den Ausgleich der hiermit ggf. drohenden Nachteile für die Arbeitnehmer auch noch nach dem Betriebsübergang geführt werden können, ohne dass dadurch die Verhandlungsposition des Betriebsrates wesentlich geschwächt wird. Das LAG Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 19.6.2014 einen Anspruch des Be- 33 triebsrates auf Unterlassung einer Betriebsänderung nur für den Fall der Sicherung eines Verhandlungsanspruches für den Interessenausgleich gesehen. Die Untersagung der Betriebsänderung selbst sei jedoch nicht möglich. Durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung können demnach nur solche (unumkehrbaren) Maßnahmen des Arbeitgebers untersagt werden, die den Verhandlungsanspruch des Betriebsrates rechtlich oder faktisch in Frage stellen.36) Nach Köhler dürfte somit nur in krassen Ausnahmefällen ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrates bestehen, etwa dann, wenn die wirksame dingliche Übertragung von Rechten, die ohne den Dritten nicht rückgängig gemacht werden kann, untersagt werden soll.37) Auch Fitting sieht bei der Verletzung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach § 111 34 BetrVG materiell-rechtlich keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Unterlassung der Durchführung der Betriebsänderung, da das BetrVG einen derartigen Anspruch nicht regelt.38) Fitting zeigt zur effektiven Durchsetzung der Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen den Weg des einstweiligen Rechtsschutzes auf.39) Danach hat das Gericht im Wege der einstweiligen Verfügung gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG und § 935 ZPO i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen die erforderlichen Anordnungen zu treffen, die auch darin liegen können, eine Handlung zu verbieten, konkret also die einstweilige Durchführung der Betriebsänderung zu verhindern. Diese Auffassung wird vom LAG Hamm bestätigt.40) Der Insolvenzverwalter sollte prüfen, welche Auffassung das jeweilige LAG hinsichtlich 35 des Unterlassungsanspruchs des Betriebsrates vertritt, um seine Taktik in Verhandlungen mit dem Betriebsrat darauf abstellen zu können. Allerdings ergeben sich gemäß §§ 121 ff. InsO Besonderheiten im Interesse einer zügigen 36 Abwicklung des Insolvenzverfahrens, worauf unter Rz. 105 ff. näher eingegangen wird. Sehr oft bedingen Betriebsänderungen im Insolvenzverfahren Personalabbaumaßnahmen, 37 bei denen die Schwellenwerte des § 17 KSchG überschritten werden, so dass der Insolvenzverwalter vor den Kündigungen die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit abzugeben hat. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff „Entlassung“ in § 17 Abs. 1 KSchG auch Änderungskündigungen erfasst. Diese zählen nach der Entscheidung des 2. Senates des BAG vom 20.2.2014 bei der Berechnung der für eine Anzeige maßgebenden Zahl zu entlassender Arbeitnehmer mit, wobei es nicht darauf ankommt, ob von einer Änderungskündigung betroffene Arbeitnehmer das ihnen unterbreitete Änderungsangebot bei oder nach Zugang der Kündigungserklärung abgelehnt oder ggf. unter Vorbehalt des § 2 KSchG angenommen haben.41) Auch das Angebot von Aufhebungsverträgen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist eine die „Veranlassung des Arbeitgebers“ i. S. von § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG kennzeichnende unmittelbare Willensäußerung des Arbeitgebers. Aufhebungsver___________ 36) LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.6.2014 – 7 TaBVGa 1219/14, Beck RS 2014, 71664, bestätigt durch LAG Hamm, Beschl. v. 17.2.2015 – 7 TaBVGa 1/15, NZA-RR 2015, 247 = BeckRS 2015, 66619. 37) Köhler, GWR 2014, 454. 38) Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 135. 39) Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 138. 40) LAG Hamm, Beschl. v. 28.6.2010 – 13 Ta 372/10, openJur 2011, 72536. 41) BAG, Urt. v. 20.2.2014 – 2 AZR 346/12, Rz. 27 ff., ZIP 2014, 1691.

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träge, die damit auf Veranlassung des Arbeitgebers/Insolvenzverwalters geschlossen werden, sind deshalb bei der Berechnung des Schwellenwertes zu berücksichtigen.42) Die Anzeigepflicht aus § 17 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 KSchG gilt uneingeschränkt auch für den Insolvenzverwalter.43) 38 Beabsichtigt der Insolvenzverwalter, anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat er gemäß § 17 Abs. 2 KSchG auch dem Betriebsrat rechtzeitig zweckdienliche Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere zu unterrichten über x

die Gründe für die geplanten Entlassungen,

x

die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,

x

die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,

x

den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,

x

die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,

x

die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.

39 Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG hat der Insolvenzverwalter (als Arbeitgeber) mit dem Betriebsrat in einem Konsultationsverfahren Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. § 17 KSchG regelt nicht ausdrücklich, welche Rechtsfolge ein Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat gemäß Absatz 2 der Bestimmung hat. Ebenso wenig lässt sich dies aus § 18 KSchG entnehmen. Auch die Richtlinie 98/59/EG bestimmt nicht selbst die Rechtsfolgen eines Unterbleibens des nach Art. 2 MERL vorgesehenen Konsultationsverfahrens.44) Das BAG hat am 21.3.2013 entschieden, dass eine i. R. einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung – unabhängig von dem Erfordernis einer ordnungsgemäßen Anzeige bei der Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 KSchG – wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i. S. von § 134 BGB rechtsunwirksam ist, wenn kein Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt wird. Die Durchführung des Konsultationsverfahrens ist ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die Kündigung.45) 40 Zuständig für die Beteiligung nach § 17 Abs. 2 KSchG ist der Betriebsrat. Bloße Gespräche mit dem Betriebsratsvorsitzenden oder dem Wirtschaftsausschuss genügen nicht.46) 41 Ob die Unterrichtung des Betriebsrates gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG der Schriftform gemäß § 126 BGB bedarf, hat das BAG auch in seinem Urteil vom 20.9.2012 offengelassen.47) In der Literatur wird einerseits die Auffassung vertreten, dass eine eigenhändige Unterschrift zum Abschluss der entsprechenden Informationen und eine körperliche Verbundenheit verschiedener Dokumente bei § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG nicht geboten sind.48) 42 Andererseits wird aber auch geäußert, dass die gesetzliche Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB für die Unterrichtung des Betriebsrates einzuhalten sei.49) Eine lediglich mündliche Un___________ 42) BAG, Urt. v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14, ZInsO 2015, 2601. 43) BAG, Urt. v. 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, ZIP 2012, 1259 = NZA 2012, 1058. 44) Richtlinie 98/59/EG des Rates v. 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL), Abl. (EG) Nr. L 225/16. 45) BAG, Urt. v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, ZIP 2013, 1589 = NZA 2013, 966, s. a. Weigand in: KR, § 17 KSchG Rz. 63. 46) BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881, dazu EWiR 2015, 423 (Fuhlrott). 47) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, ZIP 2012, 2412 = NZA 2013, 32. 48) Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht, 2013, Bd. 2, S. 480 f. 49) Kiel in: ErfK, § 17 KSchG Rz. 23.

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terrichtung genügt nach Kiel nicht, da der Betriebsrat bei nur mündlicher Unterrichtung nicht verpflichtet ist, eine Stellungnahme abzugeben. Die Stellungnahme des Betriebsrates ist jedoch Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige. Kiel hält den Verstoß gegen die Formvorschriften jedoch für unschädlich, wenn der Betriebsrat trotzdem eine Stellungnahme i. S. des § 17 KSchG abgibt. Ein Verstoß gegen die Pflicht, der Arbeitsagentur eine Durchschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten, hat nach Auffassung von Weigand allerdings keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Anzeige.50) Das BAG hält mit Entscheidung vom 20.9.2012 die Vorlage des Entwurfes eines Interessen- 43 ausgleiches zunächst als ausreichend für eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrates nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Durch die Rechtsprechung des EuGH sei geklärt, dass die Verbindung der Interessenausgleichsverhandlung mit der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrates richtlinienkonform ist. Aus dem Wortlaut der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG (MERL) folgt, dass die Auskünfte des Arbeitgebers gegenüber der Arbeitnehmervertretung im Verlauf und nicht unbedingt im Zeitpunkt der Eröffnung der Konsultationen zu erteilen sind. Der Arbeitgeber hat der Arbeitnehmervertretung nach dem Grundgedanken der Richtlinienvorgabe während der gesamten Konsultation die entsprechenden Informationen zu geben.51) Die MERL normiert die Notwendigkeit der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrates in Form einer Willenserklärung, benennt aber die formalen Anforderungen hierfür nicht. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG und auch Art. 2 MERL dienen dem Zweck, dem Betriebsrat zweckdienliche Auskünfte zu erteilen. Hierbei kommt es weder auf die Warnfunktion der gesetzlichen Schriftform gemäß § 126 BGB, noch auf die Echtheitsfunktion an.52) Das BAG hat am 26.2.2015 wiederholt ausgeführt, dass der Arbeitgeber die ihm obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG – soweit diese mit denen nach § 111 Satz 1 BetrVG übereinstimmen – auch gleichzeitig erfüllen kann. Dabei muss der Betriebsrat allerdings klar erkennen können, dass die stattfindenden Beratungen (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen, d. h., für den Betriebsrat muss die Absicht des Arbeitgebers, Massenentlassungen vornehmen zu wollen, klar erkennbar sein.53) Bis zur abschließenden Entscheidung des EuGH ist die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform dringend zu empfehlen. Das LAG Niedersachsen hat am gleichen Tag entschieden, dass sich die Verhandlungen über einen Interessenausgleich i. S. des § 112 BetrVG und die Beratung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG möglicherweise formal unterscheiden, in der Praxis aber deckungsgleich sind. Hier eine Unterscheidung zu treffen, wäre ein übertriebener Formalismus. Das Angebot, einen Interessenausgleich zu verhandeln, umfasst konkludent auch das Beratungsangebot nach § 17 Abs. 2 KSchG.54) In § 17 Abs. 2 KSchG ist keine bestimmte Dauer für die Beteiligung des Betriebsrates 44 vorgesehen. Erklärt der Betriebsrat das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG vor Ablauf von zwei Wochen nach seiner Unterrichtung für abgeschlossen, kann die Massenentlassungsanzeige eingereicht werden. Ihr steht dann das Erfordernis der rechtzeitigen Unterrichtung des Betriebsrates nicht mehr entgegen.55)

___________ 50) Kiel in: ErfK, § 17 KSchG Rz. 28. 51) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, ZIP 2012, 2412 = NZA 2013, 32. Richtlinie 98/59/EG des Rates v. 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL), ABl. (EG) Nr. L 225/16. 52) So auch Salomon, NZA 2015, 789, der zudem eine Parallele zur Rspr. des BAG zum schriftlichen Widerspruch des Betriebsrates gemäß § 99 BetrVG zieht. 53) BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881. 54) LAG Niedersachsen, Urt. v. 26.2.2015 – 5 SA 1318/14, ZIP 2015, 1604 = ZInsO 2015, 1065. 55) BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11, NZA 2013, 1040 = Beck RS 2013, 68180.

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45 Sollten sich aus dem bisherigen Verhalten des Betriebsrates Zweifel ergeben, dass dieser in der gebotenen Eile einen Interessenausgleich unterzeichnen, in diesem seine ausreichende Information bestätigen oder eine gesonderte Stellungnahme abgeben wird, empfiehlt es sich, den Text des im Regelfall vom Insolvenzverwalter vorbereiteten Interessenausgleichsentwurfes dem Betriebsrat gesondert und unterzeichnet mit dem Zusatz „Information gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG“ zuzuleiten und zeitgleich die Agentur für Arbeit unter Beifügung dieser Information an den Betriebsrat in Kenntnis zu setzen, dass im insolventen Unternehmen wegen einer beabsichtigten Betriebsänderung anzeigepflichtige Entlassungen bevorstehen. 46 Dieses Schreiben empfiehlt sich gemäß § 17 Abs. 3 KSchG bereits vor Abgabe der eigentlichen Massenentlassungsanzeige, auch wenn in der Literatur bislang die Meinung vertreten wird, dass ein Verstoß gegen die Pflicht gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Anzeige habe. § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist kein Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB. Die nicht gleichzeitige Zuleitung einer Abschrift des Schreibens an den Betriebsrat über die Unterrichtung über anzeigepflichtige Entlassung (§ 17 Abs. 2 KSchG) führt auch nach Auffassung des LAG Hamm (Urteil vom 13.1.2015) nicht zur Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung.56) 47 Mit der Massenentlassungsanzeige, für welche das Formular der Bundesagentur für Arbeit (Anzeige von Entlassungen gemäß § 17 KSchG) ausgefüllt werden sollte, ist auch eine Stellungnahme des Betriebsrates zu den Entlassungen zu übermitteln (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Wird der Massenentlassungsanzeige keine Stellungnahme des Betriebsrates beigefügt und sind auch die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nicht erfüllt (Glaubhaftmachung des Insolvenzverwalters, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet hat), kann dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Die Beifügung der Stellungnahme ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige.57) Die Stellungnahme des Betriebsrates muss nicht zwingend in einem eigenständigen Schriftstück niedergelegt sein. Kommt zwischen den Betriebsparteien im Zusammenhang mit den beabsichtigten Kündigungen ein Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG zustande, kann die Stellungnahme in diesem Interessenausgleich integriert sein. Dazu bedarf es allerdings einer ausdrücklichen abschließenden Erklärung im Interessenausgleich, dass sich der Betriebsrat mit den angezeigten Kündigungen befasst hat.58) Eine Stellungnahme i. S. von § 17 Abs. 3 KSchG liegt aber nur vor, wenn sich der Erklärung entnehmen lässt, dass der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte als gewahrt sieht und er eine abschließende Meinung zu den beabsichtigten Kündigungen geäußert hat.59) 48 Von der Zuleitung einer Stellungnahme des Betriebsrates an die Agentur für Arbeit kann nur in folgenden Fällen abgesehen werden: Ein Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG (im vorläufigen Insolvenzverfahren) oder gemäß § 125 Abs. 1 InsO (im eröffneten Verfahren) wird abgeschlossen und dieser der Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit beigefügt. Gemäß §§ 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG und 125 Abs. 2 InsO ersetzt der Interessenausgleich mit einer Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Da sich Arbeitgeber und Betriebsrat in einem Interessenausgleich mit Namensliste auf namentlich genannte Arbeitnehmer einigen, die von der Betriebsänderung be___________ x

56) LAG Hamm, Urt. v. 13.1.2015 – 7 SA 900/14, ZIP 2015, 893. 57) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029; BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 5/12, NZI 2013, 447 = NZA 2013, 864. 58) BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, ZIP 2013, 742 = NZA 2013, 845, dazu EWiR 2013, 395 (Göpfert/Pfister). 59) BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881.

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troffen und deren Arbeitsverhältnis gekündigt werden soll, entspricht dies einer Stellungnahme des Betriebsrates zu den beabsichtigten Entlassungen. x

Wird ein Interessenausgleich ohne Namensliste abgeschlossen, ersetzt die Beifügung dieses Interessenausgleiches die Stellungnahme des Betriebsrates nur dann, wenn der Interessenausgleich eine eindeutige Feststellung enthält, dass mit Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen auch die Beteiligung des Betriebsrates nach § 17 Abs. 2 KSchG abgeschlossen ist und dass dieser Interessenausgleich zugleich die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG sein soll. Fehlt eine solche eindeutige Feststellung im Interessenausgleich ohne Namensliste, ist dessen Beifügung zur Massenentlassungsanzeige allein nicht ausreichend.60)

x

Kommt lediglich ein Interessenausgleich ohne Namensliste zu Stande und enthält dieser Interessenausgleich auch nicht die vorgenannte eindeutige Feststellung zum Abschluss der Beteiligung des Betriebsrates nach § 17 Abs. 2 KSchG, muss der Insolvenzverwalter gegenüber der Agentur für Arbeit glaubhaft machen, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG, d. h. schriftlich, unterrichtet hat. Zeitgleich muss der Insolvenzverwalter den Stand der Beratungen zum Zeitpunkt der Massenentlassung darlegen.

In einem Interessenausgleich ohne Namensliste sollte zur Wahrung der erforderlichen 49 Stellungnahme des Betriebsrates folgende Regelung aufgenommen werden: „Die gemäß § 17 Abs. 2 KSchG erforderlichen Auskünfte wurden dem Betriebsrat am (TTMMJJ) vom Insolvenzverwalter erteilt. Der Betriebsrat sieht abschließend keine Möglichkeit, die beabsichtigten Entlassungen zu vermeiden. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist somit abgeschlossen. Der Interessenausgleich dient als Stellungnahme des Betriebsrates gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG.“

Zeichnet sich ein destruktives Verhalten des Betriebsrates ab, welches sich meistens schon 50 im vorläufigen Insolvenzverfahren und vor Beginn der Interessenausgleichsverhandlungen zeigt, muss sich der Insolvenzverwalter die Möglichkeit offenhalten, die Massenentlassungsanzeige ohne Stellungnahme des Betriebsrates, aber mit Glaubhaftmachung dessen rechtzeitiger Unterrichtung bei der Arbeitsagentur einzureichen. Auch hierfür ist es ratsam, den Betriebsrat bei Beginn der Interessenausgleichsverhandlungen schriftlich und unter Berücksichtigung der in § 17 Abs. 2 Nr. 1 – 5 KSchG geforderten Angaben zu unterrichten. Für eine eventuell notwendige Glaubhaftmachung, dass der Betriebsrat auch rechtzeitig, 51 d. h. mindestens zwei Wochen vor der Massenentlassungsanzeige unterrichtet wurde, sollte die Übergabe der schriftlichen Unterrichtung an den Betriebsrat mittels Empfangsbekenntnis dokumentiert werden. Ob eine Stellungnahme des Betriebsrates für eine wirksame Massenentlassungsanzeige aus- 52 reichend ist, ist in der Praxis unter Umständen schwierig zu beurteilen, da § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht den erforderlichen Inhalt der Stellungnahme des Betriebsrates regelt. Die Stellungnahme des Betriebsrates soll aber gegenüber der Arbeitsverwaltung belegen, ob und welche Möglichkeiten dieser sieht, die angezeigten Kündigungen zu vermeiden bzw. welche sozialen Maßnahmen mit dem Betriebsrat beraten und ggf. gefunden wurden.61) Aus der Stellungnahme des Betriebsrates muss die Arbeitsverwaltung damit zumindest beurteilen können, ob die Betriebsparteien tatsächlich über eine Massenentlassung beraten haben, auch wenn die Parteien keine Möglichkeit sehen, eine solche zu vermeiden, ob der Betriebsrat ___________ 60) BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881. 61) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029; BAG, Urt. v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, ZIP 2013, 1589 = NZA 2013, 966; LAG Düsseldorf, Urt. v. 25.4.2013 – 15 Sa 1892/12, openJur 2013, 31827.

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mit einer Massenentlassung nicht einverstanden ist, oder hierzu keine Stellungnahme abgeben will. Auch eine eindeutige Äußerung des Betriebsrates, keine Stellung nehmen zu wollen, ist für eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige ausreichend.62) 53 Gibt der Betriebsrat nur eine ungenügende Stellungnahme ab, hat der Insolvenzverwalter gleichwohl die Möglichkeit, eine wirksame Massenentlassungsanzeige einzureichen. Auch in diesem Fall bleibt es dem Insolvenzverwalter unbenommen, glaubhaft zu machen, dass er den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet hat. Der Massenentlassungsanzeige ist in diesem Fall die (ggf.) ungenügende Stellungnahme des Betriebsrates, das Empfangsbekenntnis des Betriebsrates zu dessen Unterrichtung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG und eine Darstellung über den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat beizufügen. Auf das bereits mit Beginn der Unterrichtung des Betriebsrates an die Agentur gerichtete Infoschreiben kann Bezug genommen werden. 54 Es war in der Vergangenheit umstritten, ob Fehler, die dem Arbeitgeber und damit auch dem Insolvenzverwalter bei der Erstattung der Massenentlassungsanzeige unterlaufen, durch einen Verwaltungsakt der Arbeitsverwaltung geheilt werden können. 55 Das BAG hat mit Urteil vom 28.6.201263) entschieden, dass auch ein bestandskräftiger Verwaltungsakt nach § 18 KSchG vorangegangene Fehler des Arbeitgebers (und so auch des Insolvenzverwalters) bei der Massenentlassungsanzeige nicht heilen kann. Der Bescheid der Arbeitsverwaltung entfaltet zunächst weder gegenüber dem gekündigten Arbeitnehmer noch gegenüber der Arbeitsgerichtsbarkeit (entgegen bisheriger Rechtsprechung des BAG) materielle Rechtskraft. Zudem umfasst die Bindungswirkung des Bescheides der Arbeitsagentur nach § 20 KSchG nur den eigentlichen Inhalt des Bescheides (Sperrfrist, Zeitpunkt des Ablaufs der Sperrfrist oder die Genehmigung, Entlassungen vor Ablauf der Sperrfrist vorzunehmen), nicht aber die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige selbst. Die Einhaltung der formalen Anforderungen des § 17 KSchG ist nach jetziger Auffassung des BAG nur eine Vorfrage des Bescheides nach § 20 KSchG und gehört damit nach den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen nicht zum Regelungsinhalt des Bescheides. Da weder Arbeitnehmer noch Betriebsrat am Verwaltungsverfahren beteiligt sind und ihnen damit der Klageweg gegen Bescheide der Arbeitsverwaltung nicht offensteht, würde dem Arbeitnehmer die Möglichkeit genommen, sich im Kündigungsschutzprozess auf Formfehler bei den Anforderungen des § 17 Abs. 3 KSchG zu berufen, sofern ein Bescheid nach §§ 18, 20 KSchG vorangegangene Fehler des Arbeitgebers heilen würde. Damit wäre auch das von Art. 6 MERL geforderte Schutzniveau unterschritten.64) 56 Das LAG Nürnberg hat mit Urteil vom 10.12.201465) die Einholung einer amtlichen Auskunft durch die Agentur für Arbeit zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung für zulässig und sachdienlich erachtet. Bestreitet der Arbeitnehmer, dass die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung erfolgt ist und behauptet der Arbeitgeber, die Anzeige ordnungsgemäß erstattet zu haben, ist zur Vorbereitung der streitigen Verhandlung die Einholung einer amtlichen Auskunft bei der zuständigen Agentur für Arbeit über Inhalt und Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige nach § 56 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG zulässig und naheliegend. 57 Die aktuelle Rechtsprechung zeigt, dass auch und gerade in Insolvenzverfahren, in denen es auf schnelle Entscheidungen zu Betriebsänderungen und deren Umsetzung im Interesse ___________ 62) 63) 64) 65)

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BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, Rz. 77, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. LAG Nürnberg, Urt. v. 10.12.2014 – 2 Sa 379/14, ZIP 2015, 702 (LS) = Beck RS 2015, 66522.

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§ 22

einer Betriebsfortführung ankommt, die Beteiligungsrechte des Betriebsrates sorgfältig beachtet werden müssen, wenn die Wirksamkeit von Kündigungen nicht gefährdet werden soll. 1.4.2 Rechte des Betriebsrates beim Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Betriebsfortführung (übertragende Sanierung) Geht ein Betrieb als Ganzes auf einen Erwerber über, liegt allein darin nach ganz überwiegen- 58 der Auffassung in Rechtsprechung und Literatur keine Betriebsänderung i. S. der §§ 111 ff. BetrVG vor.66) Für den Fall, dass im Zusammenhang mit einem Teilbetriebsübergang Teile eines Betriebes 59 abgespalten werden und sich dadurch die Betriebsorganisation oder der Betriebszweck ändern, wird zumindest in der Literatur die Auffassung vertreten, dass es sich um eine Spaltung des Betriebes bzw. um eine Betriebsänderung i. S. des § 111 Satz 3 Nr. 3, 4 BetrVG handelt.67) Die Beurteilung, dass der Übergang des ganzen Betriebes keine Betriebsänderung i. S. von 60 § 111 BetrVG darstellt, hält Fitting für gemeinschaftsrechtlich problematisch.68) Betrachtet man den anlässlich eines Betriebsübergangs eintretenden Wechsel des Arbeitgebers als eine wesentliche Änderung der Arbeitsverträge, dürfte nach Auffassung von Fitting die vorherige Unterrichtung und Anhörung des Betriebsrates entsprechend der RL 2002/14/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer69) (für Unternehmen mit mindestens 50 Arbeitnehmern oder für Betriebe mit mindestens 20 Arbeitnehmern in einem Mitgliedsstaat) erforderlich sein.70) Dass die Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG (Nachteilsausgleich) meist daran scheitert, dass die Arbeitnehmer in Folge des Betriebsübergangs nicht entlassen werden, könnte ein Argument für den allgemeinen Unterlassungsanspruch sein, so Karthaus.71) Mit dem am 28.7.2001 in Kraft getretenen § 21a BetrVG werden die Voraussetzungen und 61 die Dauer eines allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Übergangsmandates für den Betriebsrat geregelt. Für das Entstehen des Übergangsmandates ist es dabei unerheblich, ob die Spaltung von Betrieben oder deren Zusammenfassung auf einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang nach § 613a BGB oder eine Umwandlung i. S. des UmwG beruht. Sinn und Zweck des Übergangsmandates ist es, die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte während einer betrieblichen Umstrukturierung zu erhalten und betriebsratslose Zeiten zu vermeiden. Ein Übergangsmandat ist jedoch ausgeschlossen bei einer ausschließlich räumlichen Verlegung des Betriebes, einer Änderung des Betriebszwecks unter Beibehaltung der Betriebsorganisation, bei einem bloßen Betriebsinhaberwechsel, bei einem Gesellschafterwechsel oder einer Änderung der Rechtsform des Unternehmens.72) Das Übergangsmandat setzt voraus, dass die neu entstandene Einheit betriebsratsfähig ist. 62 Werden in der neu entstandenen Einheit weniger als fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt oder werden die Arbeitnehmer auf eine Einrichtung einer Religionsgemeinschaft übertragen (§ 118 Abs. 2 BetrVG), kann ein Restmandat in Betracht kommen (§ 21b BetrVG). Kein Übergangsmandat entsteht, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil in einem Betrieb eingegliedert wird, für den bereits ein Betriebsrat gewählt ist. Die übernommenen ___________ BAG, Beschl. v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, ZIP 2000, 2039; Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 49 ff. Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 52; LAG Köln, Beschl. v. 30.8.2002 – 5 Ta 166/04, ZIP 2004, 2155. Fitting, BetrVG, § 1 Rz. 137. Richtlinie 2002/14/EG des Rates v. 11.3.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der EG, ABl. (EG) Nr. L 80 v. 23.3.2002. 70) Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 50a. 71) Karthaus AuR 2007, 114, 118 f. 72) Fitting, BetrVG, § 21a Rz. 7. 66) 67) 68) 69)

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Teil V Einzelfragen

Arbeitnehmer werden vom Betriebsrat des übernehmenden Betriebes vertreten. Ein Nebeneinander zweier Betriebsräte ist vom Gesetzgeber nicht gewollt, es widerspräche dem Prinzip einer einheitlichen betriebsbezogenen Interessenvertretung.73) 63 Die Dauer des Übergangsmandates ist auf die Höchstdauer von sechs Monaten zeitlich befristet, sofern diese nicht durch eine Kollektivvereinbarung um ein weiteres halbes Jahr verlängert wird. Der Fristbeginn wird durch das BetrVG nicht geregelt. Es ist hierfür an die tatsächliche Änderung bestehender betrieblicher Strukturen anzuknüpfen.74) 64 Das Übergangsmandat endet vor Ablauf der geregelten Höchstdauer von sechs Monaten sobald in dem neuen, noch betriebsratslosen, Betrieb ein Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekannt gegeben wurde. Wird der Betrieb in mehrere selbstständige Betriebsteile zergliedert und damit das Übergangsmandat auf mehrere Betriebe erstreckt, endet das Übergangsmandat mit der letzten Bekanntgabe des Wahlergebnisses. 65 Die Rechte und Befugnisse des Betriebsrates während des Übergangsmandates sind nicht eingeschränkt. Dem Betriebsrat obliegt nicht nur die Betriebsratsneuwahl. Er behält alle Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte und bleibt zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen befugt. Der Betriebsrat bleibt befugt, Beschlussverfahren zu führen, auch dann, wenn eine gerichtliche Entscheidung erst nach Ende des Übergangsmandates ergehen sollte. Allerdings wird das Verfahren nach Ablauf des Übergangsmandates vom neu gewählten Betriebsrat als Funktionsnachfolger fortgesetzt.75) 1.5

Betriebsvereinbarungen in der Betriebsfortführung

66 Die Betriebsvereinbarung ist ein eigenes Rechtsinstrument der Betriebsverfassung und die wichtigste Form der Einigung zwischen den Organen der Betriebsverfassung (Arbeitgeber und Betriebsrat). Sie ist das durch die Betriebsparteien geschaffene Gesetz des Betriebes.76) 67 Betriebsvereinbarungen sind gemäß § 77 Abs. 2 BetrVG schriftlich niederzulegen und von beiden Seiten zu unterzeichnen, es sei denn, dass die Betriebsvereinbarung auf einem Spruch der Einigungsstelle beruht. Die Betriebsvereinbarung hat gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG Normwirkung, d. h. sie wirkt wie eine Rechtsnorm auf Arbeitsverhältnisse. Die normativen Regelungen einer Betriebsvereinbarung gelten ebenso wie die Tarifnormen gemäß § 4 Abs. 1 und 3 TVG unmittelbar und zwingend. 68 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Fortgeltung der Betriebsvereinbarungen. Besonderheiten ergeben sich allenfalls aus § 120 InsO. In der Eigenverwaltung gelten die Vorschriften über die Erfüllung gegenseitiger Verträge und die Mitwirkung des Betriebsrates (§§ 103 – 128) mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Insolvenzverwalters der Schuldner tritt, welcher seine Rechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben soll. 1.5.1 Beratungsgebot gemäß § 120 InsO 69 Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 2 BetrVG, insbesondere freiwillige Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, enthalten oft Verpflichtungen des Arbeitgebers, die das Unternehmen finanziell erheblich belasten. Gerade in der Betriebsfortführung und unabhängig davon, ob eine Reorganisation oder eine übertragende Sanierung im Wege des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB angestrebt wird, ist es kaum möglich, in Be___________ 73) 74) 75) 76)

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Fitting, BetrVG, § 21a Rz. 14. Fitting, BetrVG, § 21a Rz. 24. Fitting, BetrVG, § 21a Rz. 20. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 11 f.

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triebsvereinbarungen geregelte Sonderleistungen, wie z. B. Beihilfen im Krankheitsfall, Essensgeldzuschüsse, Gratifikationszahlungen, Jubiläumszuwendungen, Belegschaftsaktien, Treueprämien, Zusatzurlaube zu gewähren. Es muss daher möglich sein, das schuldnerische Unternehmen kurzfristig von solchen Verbindlichkeiten zu entlasten, wenn das Unternehmen nicht ohnehin stillgelegt, sondern fortgeführt werden soll. Gerade bei einer beabsichtigten übertragenden Sanierung gemäß § 613a BGB wird es für den Investor maßgeblich darauf ankommen, welche Betriebsvereinbarungen auf die übernommenen Arbeitsverhältnisse Anwendung finden. Da die Identität des Betriebes bei der übertragenden Sanierung erhalten bleibt, gelten die geschlossenen Betriebsvereinbarungen bei dem Erwerber fort.77) Das BAG hat in 2009 entschieden, dass die Kollektivnormen eines Tarifvertrages in dem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Erwerber ihren kollektivrechtlichen Charakter behalten.78) Danach werden die Kollektivnormen zwar in das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Erwerber transformiert, behalten jedoch ihren kollektivrechtlichen Charakter.79) Versteht man § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB als Anordnung einer kollektivrechtlichen Rechtsnachfolge entsprechend dieser Rechtsprechung des BAG, gelten auch Betriebsvereinbarungen für die übernommenen Arbeitnehmer in der im Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Fassung normativ beim Erwerber fort. Nur in Ausnahmefällen werden diese Rechte und Pflichten aus einer Betriebsvereinbarung beim Erwerber individualrechtlich fortgelten.80) Der (vorläufige) Insolvenzverwalter sollte sich umgehend einen Überblick über Umfang 70 und Inhalt geschlossener Betriebsvereinbarungen verschaffen und Beratungen mit dem Betriebsrat aufnehmen, welche Betriebsvereinbarungen beibehalten werden können und welche Betriebsvereinbarungen dringend geändert oder beendet werden müssen. In der Eigenverwaltung obliegt diese Aufgabe dem Schuldner mit der Maßgabe, dass es zur Wirksamkeit der Kündigung einer Betriebsvereinbarung der Zustimmung des Sachwalters bedarf (§ 279 Satz 3 InsO). § 120 InsO findet auf belastende freiwillige und erzwingbare Betriebsvereinbarungen, 71 auch Gesamtbetriebsvereinbarungen, die ein Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG unternehmensbezogen abgeschlossen hat, Anwendung. Eine belastende Betriebsvereinbarung liegt vor, wenn sich aus ihr eine unmittelbare Leistungspflicht ergibt, die die Insolvenzmasse (§ 35 InsO) belastet. Jedoch ist nicht jede Leistung zugleich auch eine Belastung der Insolvenzmasse. Eine Belastung liegt aber stets dann vor, wenn durch die Leistungspflicht der Insolvenzmasse Finanz- und/oder Sachmittel entzogen oder solche gebunden werden.81) Der Vorschrift selbst ist nicht zu entnehmen, welche konkreten Leistungen von der Regelung des § 120 InsO erfasst werden.82) Auch Regelungsabreden mit belastenden Leistungen werden von § 120 InsO erfasst. Dabei 72 handelt es sich um formlose Einigungen zwischen den Betriebsparteien, die als Regelungsabrede, Regelungsabsprache, Betriebsabrede oder Betriebsabsprache bezeichnet werden. Die Regelungsabreden sind schuldrechtliche Verträge zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und haben keine normative Auswirkung auf den Inhalt der einzelnen Arbeitsverhältnisse. Der Inhalt der Regelungsabreden muss gesondert in die einzelnen Arbeitsverträge transformiert werden, welches ggf. durch Ausübung des Direktionsrechtes oder durch den Abschluss von ___________ 77) 78) 79) 80) 81) 82)

BAG, Beschl. v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, ZIP 1995, 235 = NZA 1995, 222. BAG, Urt. v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, ZIP 2009, 2461 = NZA 2010, 41. BAG, Urt. v. 26.8.2009 – 5 AZR 969/08, ZIP 2010, 545 (LS) = NZA 2010, 173. Preis in: ErfK, § 613a BGB Rz. 116. So wörtlich Oetker/Friese, DZWIR 2000, 397, 398; s. a. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 120 Rz. 6. Vgl. Katalog belastender Leistungen: Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 120 Rz. 7.

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einvernehmlichen Änderungsverträgen möglich ist. Die Regelungsabrede ist an keine bestimmte Form gebunden, gleichwohl ist nicht jede wegen fehlender Schriftform unwirksame Betriebsvereinbarung eine Regelungsabrede. Es kommt darauf an, ob die Vereinbarung zwischen den Betriebsparteien unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse wirken soll.83) Regelungsabreden werden häufig zur Regelung von Einzelfällen und Angelegenheiten, die keine Dauerwirkung haben, abgeschlossen. In Regelungsabreden werden häufig organisatorische Fragen der Betriebsratstätigkeit geregelt (Zeit und Ort der Sprechstunden des Betriebsrates, Ort der Betriebsratssitzungen, Durchführung von Betriebsversammlungen, Umgang mit Beschwerden, Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern an Schulungsmaßnamen). 73 Der Betriebsrat hat einen Rechtsanspruch darauf, dass der Arbeitgeber die Regelungsabreden einhält und umsetzt, was ggf. im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren durchgesetzt werden kann.84) 74 Regelmäßig enden Regelungsabreden durch Zweckerreichung, Zeitablauf oder auflösende Bedingung. Sie können jedoch auch durch Aufhebungsvertrag einvernehmlich beendet werden. Die Kündigung der Regelungsabrede ist in analoger Anwendung des § 77 Abs. 5 BetrVG möglich. Hieraus wird in der Literatur abgeleitet, dass § 120 InsO auch auf Regelungsabreden anzuwenden ist.85) 1.5.2 Kündigungsmöglichkeiten von Betriebsvereinbarungen 75 Kann zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat keine einvernehmliche Regelung zur Herabsetzung der in Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden enthaltenen Leistungen herbeigeführt werden, können gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO Betriebsvereinbarungen mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Gemäß § 120 Abs. 2 InsO bleibt das Recht, eine Betriebsvereinbarung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, unberührt. In der Eigenverwaltung obliegt das Kündigungsrecht dem Schuldner mit der Maßgabe, dass es zur Wirksamkeit der Kündigung einer Betriebsvereinbarung der Zustimmung des Sachwalters bedarf (§ 279 Satz 3 InsO). 1.5.2.1

Ordentliche Kündigung

76 Es können sowohl freiwillige (§ 88 BetrVG) als auch erzwingbare Betriebsvereinbarungen (§ 87 BetrVG) gemäß § 120 InsO gekündigt werden, sofern sich aus diesen eine unmittelbare Belastung der Insolvenzmasse ergibt (vgl. oben Rz. 71 ff.). Damit sollen Betriebsvereinbarungen z. B. über Schichtpläne oder Fragen der Betriebsordnung und auch Betriebsvereinbarungen, die tarifvertragliche Leistungspflichten lediglich ergänzen oder konkretisieren, nicht von § 120 InsO erfasst werden.86) 77 Die Kündigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters nach § 120 InsO ist lex specialis zu § 77 Abs. 5 BetrVG, d. h. im Insolvenzverfahren können Betriebsvereinbarungen auch dann mit der Maximalkündigungsfrist von drei Monaten gekündigt werden, wenn eine längere Kündigungsfrist in der Betriebsvereinbarung vereinbart ist, die nach § 77 Abs. 5 BetrVG zwingend zu berücksichtigen wäre, wobei im Gegensatz zu § 113 Satz 2 InsO (Kündigung von Arbeitsverhältnissen) die Kündigung von Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden nicht zum Monatsende ausgesprochen werden muss.

___________ 83) 84) 85) 86)

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Vgl. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 218. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 221. Vgl. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 120 Rz. 5; Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 154. Vgl. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 154.

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Ist in Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden eine kürzere als dreimonatige Kün- 78 digungsfrist vereinbart, gilt diese auch für den Insolvenzverwalter. In der Literatur ist umstritten, ob § 120 InsO ein eigenes Kündigungsrecht oder nur eine 79 Verkürzung der Kündigungsfristen normiert (ablehnend Fitting, bejahend Zobel)87) Im letzteren Fall wären Kündigungen von Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden, die eine Kündigung ausschließen oder für die bestimmte Kündigungstermine vorgesehen sind, nicht gemäß § 120 InsO ordentlich kündbar. Dies widerspräche dem Gesetzeszweck. In der Begründung zu § 138 RegE heißt es, dass „solche Betriebsvereinbarungen […]„ (gemeint sind belastende Betriebsvereinbarungen nach § 120 Abs. 1 InsO) „stets mit der gesetzlichen Frist des § 77 Abs. 5 BetrVG gekündigt“ werden können.88) Daher sind ausnahmslos alle belastenden Betriebsvereinbarungen im Insolvenzverfahren gemäß § 120 InsO ordentlich kündbar. Für Fristbeginn und Fristende gelten für Kündigungen nach § 120 InsO die Vorschriften 80 der §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Nach § 120 InsO ist auch eine Teilkündigung von Betriebsvereinbarungen möglich, sofern 81 die Betriebsvereinbarung entweder eine Teilkündigung ausdrücklich zulässt oder die Betriebsvereinbarung einen selbstständigen Teilkomplex enthält, der Leistungen regelt, die die Insolvenzmasse belasten. Dieser Teil der Betriebsvereinbarung kann gemäß § 120 InsO mit der Maximalkündigungsfrist von drei Monaten gekündigt werden, während der restliche Teil der Betriebsvereinbarung entweder mit der in der Betriebsvereinbarung vereinbarten Kündigungsfrist gekündigt oder ungekündigt fortgesetzt wird.89) Die Kündigungserklärung gemäß § 120 InsO ist an keine Form gebunden. Ist in der Be- 82 triebsvereinbarung ausdrücklich die Schriftform der Kündigung vereinbart, aber auch zu Beweiszwecken, sollte der Insolvenzverwalter die Kündigung generell schriftlich erklären. Die Kündigungsmöglichkeit gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO besteht unabhängig davon, 83 ob Insolvenzverwalter und Betriebsrat zuvor eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen beraten haben, da § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO als Sollvorschrift ausgestaltet ist.90) Teilweise wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass der bei Kündigungen von Dauerschuldverhältnissen zu beachtende ultima-ratio-Grundsatz verlangt, dass auch vor der Kündigung von Betriebsvereinbarungen durch den Insolvenzverwalter gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO die gesetzlich geregelte Beratung und Verhandlung gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO durchzuführen ist.91) Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 „sollen“ Insolvenzverwalter und Betriebsrat über eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen beraten. Hieraus ergibt sich aber weder ein Beratungsanspruch des Betriebsrates, noch eine Beratungspflicht des Insolvenzverwalters. Zudem regelt § 120 Abs. 1 Satz 2 nicht, dass die Kündigung erst nach erfolgloser Beratung ausgesprochen werden kann.92) Da eine analoge Anwendung des § 120 InsO auch auf Regelungsabreden, die sich belastend 84 auf die Insolvenzmasse auswirken, geboten ist, kann der Insolvenzverwalter auch derartige Regelungsabreden kündigen. Die Rechtswirkung ist jedoch eine andere als bei Betriebsvereinbarungen. Da Regelungsabreden nicht unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse einwirken, hat die Kündigung der Regelungsabrede zumindest dann keine unmit___________ 87) Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 156; Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 120 Rz. 14. 88) Vgl. Begr. zu § 138 RegE, BR-Drucks. 1/92, S. 153. 89) Vgl. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 120 Rz. 14 und Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 156; a. A. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 33. 90) Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 120 Rz. 12; Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 33; offengelassen LAG Baden- Württemberg, Beschl. v. 15.6.2005 – 12 TaBV 6/04. 91) Vgl. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 120 Rz. 12. 92) Vgl. auch Giesen, ZIP 1998, 142.

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telbare Auswirkung auf die einzelnen Arbeitsverhältnisse, wenn die Regelungsabrede auf der arbeitsvertraglichen Ebene bereits umgesetzt wurde. In diesem Fall muss der Insolvenzverwalter auch die Herabsetzungsvereinbarung und die Kündigung der Regelungsabrede auf der Arbeitsvertragsebene umsetzen, so dass § 120 Abs. 1 InsO nicht voll durchschlägt.93) 85 Die Kündigung von Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden ist während der gesamten Dauer des Insolvenzverfahrens möglich. Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede bedarf – wie auch außerhalb des Insolvenzverfahrens – keiner Rechtfertigung und unterliegt keiner inhaltlichen Kontrolle. Dies gilt unabhängig vom Regelungsgegenstand, also auch dann, wenn es um eine betriebliche Altersversorgung geht.94) 1.5.2.2

Außerordentliche Kündigung

86 Gemäß § 120 Abs. 2 InsO kann der Insolvenzverwalter eine Betriebsvereinbarung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. 87 Wie jedes Dauerschuldverhältnis kann auch eine Betriebsvereinbarung dann außerordentlich gekündigt werden, wenn das Festhalten an der Betriebsvereinbarung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder dem vereinbarten Ende der Betriebsvereinbarung nicht zumutbar ist. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an sich und das Fehlen von Geldmitteln zur Erbringung der in der Betriebsvereinbarung vereinbarten Leistungen stellen allerdings noch keinen außerordentlichen Kündigungsgrund dar.95) 88 Unter Beachtung der gesetzlichen Höchstkündigungsfrist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO (drei Monate) wird der Insolvenzverwalter vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung beurteilen müssen, ob ihm die Durchführung der Betriebsvereinbarung auch nicht bis zum Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist möglich ist. Eine außerordentliche Kündigung der Betriebsvereinbarung kann auch dem Insolvenzverwalter nur dann empfohlen werden, wenn der Nachweis gelingt, dass auch bei nur dreimonatiger Durchführung der Betriebsvereinbarung die Fortführungssanierung oder die übertragende Sanierung unmöglich wird. 89 Auch hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass unter Berücksichtigung des ultima-ratio-Grundsatzes vor deren Ausspruch die Beratung des Insolvenzverwalters mit dem Betriebsrat über eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO erforderlich ist. Dies ist mit der unter Rz. 83 ff. genannten Begründung zu verneinen. Da jedoch die außerordentliche Kündigung zu ihrer Wirksamkeit eines wichtigen Grundes bedarf, der nicht in der Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst und dem damit verbundenen Geldmangel besteht, sind einvernehmliche Regelungen mit dem Betriebsrat zur sofortigen Beendigung der Betriebsvereinbarungen unerlässlich und zumeist einzige Chance einer schnellen und rechtssicheren Lösung im Interesse der Betriebsfortführung. 1.5.2.3

Wegfall der Geschäftsgrundlage

90 Auch für Betriebsvereinbarungen (insbesondere für Sozialpläne) ist anerkannt, dass diese eine Geschäftsgrundlage haben können, bei deren Wegfall die getroffene Regelung den geänderten tatsächlichen Umständen anzupassen ist, wenn dem Vertragspartner im Hinblick auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage das Festhalten an der Vereinbarung nicht mehr zuzumuten ist.96) Der Wegfall der Geschäftsgrundlage einer Betriebsvereinbarung führt jedoch ___________ 93) 94) 95) 96)

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Vgl. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 120 Rz. 5. BAG, Urt. v. 11.5.1999 – 3 AZR 21/98, ZIP 2000, 421. Vgl. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 32 m. w. N. BAG, Beschl. v. 10.8.1994 – 10 ABR 61/93, ZIP 1995, 1037.

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nicht dazu, dass diese von selbst und ggf. auch rückwirkend unwirksam wird. Folge ist vielmehr, dass die Regelung der Betriebsvereinbarung den geänderten tatsächlichen Umständen anzupassen ist, so dass das Festhalten an der getroffenen Regelung dem Vertragspartner noch zuzumuten ist. Damit unterscheidet sich der Wegfall der Geschäftsgrundlage einer Betriebsvereinbarung von der außerordentlichen Kündigung insoweit, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht zur Beendigung der Betriebsvereinbarung führt, sondern diese mit einem anderen Inhalt fortbestehen lässt. Die Anpassung der Regelung müssen die Betriebspartner jedoch vereinbaren. Beruft sich der Insolvenzverwalter also auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, hat er gegenüber dem Betriebsrat einen Anspruch auf Verhandlungen über die Anpassung der Betriebsvereinbarung. Verweigert der Betriebsrat eine solche Anpassung oder kann diese nicht einvernehmlich vereinbart werden, verbleibt dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, den Spruch der Einigungsstelle herbei zu führen. 1.5.3 Nachwirkung Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gelten Betriebsvereinbarungen, die durch Anrufung der Eini- 91 gungsstelle erzwungen werden können, bei vorzeitiger Kündigung weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Dies gilt auch im Insolvenzverfahren, da § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO lediglich lex specialis zu § 77 Abs. 2 Satz 5 BetrVG ist, nicht aber zu § 77 Abs. 6 BetrVG. Der Grundsatz der Nachwirkung beendeter erzwingbarer Betriebsvereinbarungen bleibt durch die Vorschrift des § 120 InsO unberührt. Werden vom Insolvenzverwalter erzwingbare Betriebsvereinbarungen gekündigt, gelten sie grundsätzlich so lange fort, bis sie durch eine neue Betriebsvereinbarung oder eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt werden. Es handelt sich hierbei insbesondere um Betriebsvereinbarungen, die soziale Angelegenheiten gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG regeln. Die Nachwirkung besteht auch im Falle der außerordentlichen Kündigung erzwingbarer Betriebsvereinbarungen. Freiwillige Betriebsvereinbarungen können bei fehlender Einigung zwischen den Betriebs- 92 parteien nicht durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden. Sie unterliegen daher nicht dem Nachwirkungsgrundsatz gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG. Diese Betriebsvereinbarungen kann der Insolvenzverwalter ordentlich kündigen, ohne dass dies eine Nachwirkung entfaltet. Die in der freiwilligen Betriebsvereinbarung geregelten Leistungen entfallen mit Ablauf der Kündigungsfrist. Entfallene Ansprüche können auch nicht zur Insolvenztabelle angemeldet werden, da § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO keinen Schadenersatzanspruch analog des in § 113 Satz 3 InsO geregelten sog. Verfrühungsschadens vorsieht.97) Haben die Betriebsparteien in einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung deren Nachwirkung 93 im Falle der Beendigung ausgeschlossen, so sind sie auch im Insolvenzverfahren an diese Vereinbarung gebunden.98) Hingegen entfalten gewillkürte Nachwirkungsvereinbarungen in freiwilligen Betriebsvereinbarungen im Falle einer insolvenzspezifischen Kündigung gemäß § 120 InsO keine Wirkung. Dies würde dem Normzweck des § 120 InsO zuwiderlaufen. Die Regelungen des § 120 InsO sollen der Entlastung der Insolvenzmasse dienen. Wäre der Insolvenzverwalter an freiwillige Vereinbarungen der Betriebsparteien, die über dem gesetzlichen Mindestgebot liegen (z. B. im Fall der Vereinbarung längerer Kündigungsfristen als in § 77 Abs. 5 BetrVG oder auch gesetzlich nicht vorgeschriebener Nachwirkungsvereinbarungen), gebunden, führe dies zwangsläufig zu einer Belastung der Insolvenzmasse, was dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen würde.99) ___________ 97) Giesen, ZIP 1998, 142. 98) Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 120 Rz. 16. 99) Vgl. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 35 f.; Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 156; UhlenbruckZobel, InsO, § 120 Rz. 18.

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94 Regelungsabreden entfalten, da § 77 Abs. 6 BetrVG die Nachwirkung ausdrücklich nur für erzwingbare Betriebsvereinbarungen regelt, keine Nachwirkung i. S. von § 77 Abs. 6 BetrVG. Dies gilt auch dann, wenn in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit eine Regelungsabrede statt einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung geschlossen wurde.100) Wegen der fehlenden normativen Wirkung der Regelungsabrede besteht keine Notwendigkeit der Nachwirkung von Regelungsabreden. Wurde die Regelungsabrede arbeitsvertraglich umgesetzt, löst die Beendigung der Regelungsabrede auch keinen regelungslosen Zustand aus, da die auf der Grundlage einer Regelungsabrede getroffenen vertraglichen Vereinbarungen vom Ablauf der Regelungsabrede unberührt bestehen bleiben. 1.5.4 Anfechtung von Betriebsvereinbarungen 95 Betriebsvereinbarungen können grundsätzlich gemäß §§ 129 ff. vom Insolvenzverwalter angefochten werden. Dies gilt grundsätzlich auch für Sozialpläne, wobei wegen der Möglichkeit des Widerrufs nach § 124 Abs. 1 InsO die Anfechtung von Sozialplänen an Bedeutung verloren hat.101) Für die Sanierungspraxis dürfte allerdings die Anfechtung von massebelastenden Betriebsvereinbarungen, welche parallel zur Kündigung nach § 120 InsO möglich ist, von Bedeutung sein, insbesondere wenn die Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG vermieden werden soll. Zu beachten ist allerdings, dass Anfechtungsgegner der Betriebsrat und die aus der Betriebsvereinbarung anspruchsberechtigten Arbeitnehmer sind. Da der Sanierungserfolg in vielen Fällen vom „Können und Wollen“ der Belegschaft und dem Betriebsfrieden abhängt, sollten die Gründe einer Anfechtung frühzeitig mit dem Betriebsrat erörtert werden.102) 2.

Interessenausgleich und Sozialplan in der Insolvenz

96 Die Vorschriften des BetrVG über Interessenausgleich, Sozialplan und Nachteilsausgleich bei Betriebsänderungen (§§ 111 – 113 BetrVG) gelten auch in der Insolvenz des Unternehmens. 97 Im Eröffnungsverfahren hat der Schuldner die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zu beachten und Interessenausgleichs- sowie Sozialplanverhandlungen zu führen, sofern ihm kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wurde. Verfügungen des Schuldners bedürfen dann jedoch der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über (§ 22 InsO), hat der sog. „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter die Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen im Eröffnungsverfahren zu führen. 98 Im Falle der Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO tritt an die Stelle des Insolvenzverwalters der Schuldner, welcher gemäß § 279 InsO seine Rechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben soll. Die Rechte nach §§ 120, 122 und 126 InsO kann der Schuldner nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben (§ 279 Satz 3 InsO). 99 Mit Verfahrenseröffnung ist der Schuldner wegen des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse auf den Insolvenzverwalter nicht mehr berechtigt, Verhandlungen mit dem Betriebsrat zum Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplan zu führen. Da der Insolvenzverwalter mit Verfahrenseröffnung in die Rechtsstellung des Arbeitgebers eintritt, obliegen ihm mit Verfahrenseröffnung alle Rechte und Pflichten des Arbeitgebers.103) ___________ 100) Vgl. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 226. 101) Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 120 Rz. 22. 102) Vgl. zu den Voraussetzungen und Hindernissen einer erfolgreichen Anfechtung von Betriebsvereinbarungen Mückl/Krings, ZIP 2015, 1714. 103) So bereits BAG, Urt. v. 9.7.1985 – 1 AZR 323/83, ZIP 1986, 45 = NZA 1986, 100; BAG, Urt. v. 20.11.1997 – 2 AZR 52/97, ZIP 1998, 437 = NZA 1998, 334.

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Der Insolvenzverwalter hat mit der Verfahrenseröffnung die Mitbestimmungsrechte des 100 Betriebsrates zu beachten und bei beabsichtigten Betriebsänderungen die Regelungen der §§ 111, 112 BetrVG einzuhalten, wenn er Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer vermeiden will. Der Insolvenzverwalter hat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern bei Betriebsänderungen gemäß § 111 BetrVG den Betriebsrat zu unterrichten und den Versuch eines Interessenausgleiches zu unternehmen. Er kann sich nicht darauf berufen, die Beteiligung des Betriebsrates sei wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation ausnahmsweise entbehrlich104) (vgl. hierzu auch Rz. 29 ff.). Unterlässt der Insolvenzverwalter den Versuch eines Interessenausgleiches, haben die Arbeitnehmer gemäß § 113 Abs. 3 Satz 1 BetrVG einen Anspruch auf Nachteilsausgleich.105) Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters, den Betriebsrat über eine geplante Betriebsände- 101 rung zu unterrichten, diese mit ihm zu beraten und den Versuch eines Interessenausgleiches zu unternehmen, besteht auch dann, wenn der Betriebsrat erst nach der Verfahrenseröffnung gewählt wurde.106) Voraussetzung für die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Unterrichtung, Beratung und zum Versuch eines Interessenausgleiches ist allerdings, dass der Betriebsrat zu dem Zeitpunkt besteht, zu welchem der Insolvenzverwalter mit der Durchführung der Betriebsänderung beginnt. Ein hingegen erst während der Durchführung der Betriebsänderung gewählter Betriebsrat kann weder den Versuch eines Interessenausgleiches noch den Abschluss eines Sozialplanes verlangen.107) Selbst wenn dem Insolvenzverwalter im Zeitpunkt der Durchführung der Betriebsänderung bekannt ist, dass im Unternehmen ein Betriebsrat gewählt werden soll und mit den Vorbereitungen zur Wahl des Betriebsrates begonnen wurde, ist er nicht gehindert, mit der Durchführung der Betriebsänderung zu beginnen.108) Zuständiges Betriebsverfassungsorgan ist grundsätzlich der Betriebsrat des betroffenen 102 Betriebes. Wenn die Betriebsänderung mehrere Betriebe betrifft, wie z. B. bei einer Zusammenlegung von Betrieben, und deshalb betriebsübergreifende Regelungen notwendig werden, ist der Gesamtbetriebsrat zuständig.109) Allerdings folgt aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates für einen Interessenausgleich 103 nicht zwingend auch seine Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplanes. Vielmehr ist hierfür Voraussetzung, dass die Regelung des Ausgleichs oder der Milderung der durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile zwingend unternehmenseinheitlich oder betriebsübergreifend erfolgen muss.110) Wird ein von zwei Unternehmen geführter Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst, weil eines der 104 beiden Unternehmen seine betriebliche Tätigkeit einstellt, führt dies grundsätzlich nicht zur Beendigung der Amtszeit des für den Gemeinschaftsbetrieb gewählten Betriebsrates. Dieser nimmt für die verbleibenden Arbeitnehmer des anderen Unternehmens weiterhin die ihm nach dem BetrVG zustehenden Rechte und Pflichten wahr.111) Da nach der Auffas___________ 104) 105) 106) 107) 108) 109) 110) 111)

BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99. BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235. BAG, Beschl. v. 20.4.1982 – 1 ABR 3/80, ZIP 1982, 982; BAG, Beschl. v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, ZIP 1993, 289. BAG, Beschl. v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, ZIP 1993, 289; BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235. BAG, Beschl. v. 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, ZIP 2006, 1596; BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498. BAG, Beschl. v. 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, ZIP 2006, 1596; BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498. BAG, Urt. v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, ZIP 2004, 426.

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sung des BAG im Urteil vom 19.11.2003 die Insolvenzeröffnung allein nicht zur Auflösung des gemeinsamen Betriebes führt, sondern dafür stets noch eine tatsächliche Trennung der Betriebsorganisation erforderlich ist, bleibt der im Gemeinschaftsbetrieb gewählte Betriebsrat auch nach Verfahrenseröffnung für Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zuständig.112) 2.1

Betriebsänderung nach §§ 121, 122 InsO

105 Die §§ 112, 112a BetrVG regeln die Voraussetzungen, das Zustandekommen und den Inhalt von Interessenausgleich und Sozialplan. Diese Vorschriften finden auch im Insolvenzverfahren grundsätzlich Anwendung. Insbesondere im Eröffnungsverfahren ist das Prozedere des § 112 BetrVG uneingeschränkt einzuhalten. 106 Im eröffneten Insolvenzverfahren und im Falle der Eigenverwaltung wird § 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG dahingehend geändert, dass der Vermittlungsversuch des Präsidenten des Landesarbeitsamtes nur bei einem übereinstimmenden Ersuchen von Insolvenzverwalter und Betriebsrat stattfinden muss. Beide Parteien sind also berechtigt, unmittelbar die Einigungsstelle anzurufen, wenn die Verhandlungen über einen Interessenausgleich oder den Sozialplan scheitern (§ 121 InsO).113) Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber die Dauer der Interessenausgleichsverhandlung abkürzen, um im Interesse einer Betriebsfortführung oder übertragenden Sanierung schnellstmöglich mit der Betriebsänderung beginnen zu können. Die Vorschrift ist jedoch wenig praxiswirksam, da auch die Einschaltung des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG keine Voraussetzung für die Anrufung der Einigungsstelle ist und die Einigungsstelle gemäß § 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG von jeder Seite angerufen werden kann, wenn es nicht zu einem Vermittlungsversuch kommt.114) 107 Von größerer Bedeutung ist die in § 122 InsO geregelte Möglichkeit zur Beschleunigung der Betriebsänderung im Insolvenzverfahren. Hiernach kann der Verwalter die Zustimmung des ArbG dazu beantragen, dass die Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist. In der Eigenverwaltung obliegt diese Aufgabe dem Schuldner mit der Maßgabe, dass er hierfür die Zustimmung des Sachwalters bedarf (§ 279 Satz 3 InsO). Dieser Antrag kann bereits drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung des Betriebsrates zur Aufnahme von Verhandlungen gestellt werden. Dabei muss der Insolvenzverwalter weder die Vermittlung durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes versucht, noch zuvor die Einigungsstelle angerufen haben (§ 112 Abs. 2 BetrVG). Allerdings muss der Insolvenzverwalter den Betriebsrat nach § 111 Satz 1 BetrVG rechtzeitig und umfassend unterrichtet haben. Für den Beginn der Drei-Wochen-Frist ist entweder die Aufnahme tatsächlicher Beratungen der Betriebsparteien oder die schriftliche Aufforderung an den Betriebsrat zur Aufnahme der Beratungen entscheidend. 108 Werden Beratungen mit dem Betriebsrat aufgenommen empfiehlt es sich, im gemeinschaftlich unterzeichneten Protokoll der ersten Sitzung festzuhalten, dass mit diesem Datum die Beratungen hinsichtlich des Abschlusses eines Interessenausgleiches und Sozialplanes begonnen wurden, um damit den Beginn der Drei-Wochen-Frist gemäß § 122 Abs. 1 InsO eindeutig zu bestimmen. Der Betriebsrat könnte anderenfalls behaupten, dass es sich bei diesem Termin nur um die Ankündigung demnächst aufzunehmender Verhandlungen ge___________ 112) Abweichend von BAG, Urt. v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, ZIP 1987, 1588 = NZA 1988, 32; vgl. auch Annuß/Hohenstadt, NZA 2004, 420 ff. 113) BAG, Urt. v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, ZIP 2004, 426. 114) Vgl. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a, Rz. 27 ff.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

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handelt hat. Wird der Betriebsrat zur Aufnahme der Beratungen schriftlich aufgefordert, sollte das Aufforderungsschreiben dem Vorsitzenden des Betriebsrates gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt werden. Zeichnet sich bereits im Vorfeld ein destruktives Verhalten des Betriebsrates ab, sollte der 109 Betriebsrat vor dem ersten Sitzungstermin schriftlich zur Aufnahme von Beratungen aufgefordert werden. Zusammen mit dieser Aufforderung empfiehlt sich die schriftliche Unterrichtung über den Inhalt und den Umfang der vom Insolvenzverwalter geplanten Betriebsänderung unter Vorlage entsprechender Unterlagen an den Betriebsrat (vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Unterrichtung des Betriebsrates vor Massenentlassungsanzeige, Rz. 37 ff.). Versucht der Betriebsrat sodann erkennbar, den Beginn der Beratungen über die Betriebs- 110 änderung zu verzögern oder erklärt er gar dem Insolvenzverwalter, dass er nicht bereit sei, mit ihm über die geplante Betriebsänderung zu verhandeln, kann der Insolvenzverfahren das Scheitern der Verhandlungen erklären und das Verfahren vor der Einigungsstelle einleiten. Das Fristende bestimmt sich nach § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB. Sie endet mit dem Ablauf 111 desjenigen Tages der dritten Woche, welcher dem Tag entspricht, an dem die Beratungen tatsächlich begonnen worden oder die schriftliche Aufforderung zur Beratung dem Betriebsrat zugegangen ist. Ist dieser letzte Tag der Frist ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, tritt an dessen Stelle der nächste Werktag (§ 193 BGB). Das Verfahren vor dem ArbG muss im beschleunigten Beschlussverfahren nach § 122 112 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO nach Maßgabe des § 61a Abs. 3 – 6 ArbGG entschieden werden. Demnach gilt gemäß § 83 ArbGG der Untersuchungsgrundsatz. Das bedeutet, dass das ArbG den Sachverhalt zu erforschen hat, um entscheiden zu können, ob „[…] die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer erfordert, dass die Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes durchgeführt wird.“ (Gesetzestext § 122 Abs. 2 Satz 1 InsO).

Im normalen Beschlussverfahren dürfte damit keine nennenswerte Beschleunigung zu er- 113 warten sein. Entscheidet sich der Insolvenzverwalter zu einem Antrag gemäß § 122 InsO, sollte er den Weg des einstweiligen Verfügungsverfahrens (§ 85 Abs. 2 a ArbGG) wählen. Da § 122 Abs. 2 InsO generell auf die Vorschriften des ArbGG über das Beschlussverfahren verweist, dürfte der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 85 Abs. 2 AGG zulässig sein.115) In der Literatur wird allerdings vertreten, dass eine solche einstweilige Verfügung nur in seltenen Ausnahmefällen möglich ist, da gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache verstoßen wird.116) Die einstweilige Verfügung soll dann zulässig sein, wenn anderenfalls die Einstellung des Verfahrens nach § 207 Abs. 1 InsO drohen würde, weil die Insolvenzmasse bei Durchführung des Hauptverfahrens soweit aufgezehrt wird, dass eine die Kosten des Verfahrens deckende Masse nicht mehr vorhanden wäre.117) Die Vorschrift des § 122 InsO soll aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht nur den Weg zur Einigungsstelle abkürzen (§ 121 InsO), sondern der Eilbedürftigkeit der Durchführung der Betriebsänderung Rechnung tragen. Die Eilbedürftigkeit darf dabei nicht nur in extremen Ausnahmefällen bejaht werden. Denn wenn bereits eine Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse nach § 207 Abs. 1 InsO droht, dürften die sich an das Verfahren gemäß § 122 InsO anschließenden Sozialplanverhandlungen als reine Formalität erweisen. ___________ 115) Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 121, 122 Rz. 90. 116) Giesen, ZIP 1998, 142. 117) Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 121, 122 Rz. 91.

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Teil V Einzelfragen

114 Die Zustimmung des ArbG bewirkt, dass der Verwalter trotz Nichtabschlusses des Verfahrens nach §§ 111 ff. BetrVG keinen Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG zahlen muss (§ 122 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das ArbG entscheidet allerdings nicht, ob die Betriebsänderung zulässig ist, sondern lediglich wann mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen werden kann. Zudem bleibt die Pflicht zur Verhandlung und zum Abschluss eines Sozialplanes gemäß § 112 BetrVG auch nach Abschluss des Verfahrens gemäß § 122 InsO bestehen. 115 Soll die Betriebsänderung im Interesse einer Erhaltungslösung zügig umgesetzt werden, ist der sicherste Weg die Herstellung einer einvernehmlichen Regelung mit dem Betriebsrat. Umfassende, wenn auch zeitintensive Besprechungen mit dem Betriebsrat führen meist schneller zum Ziel als die vom Gesetzgeber vorgesehenen Beschlussverfahren, zumal mit den Informationen gegenüber dem Betriebsrat bereits im Eröffnungsverfahren begonnen werden kann. 116 Unabhängig vom Antrag auf gerichtliche Zustimmung zur Durchführung der Betriebsänderung gemäß § 122 InsO hat der Insolvenzverwalter das Recht, einen besonderen Interessenausgleich nach § 125 InsO zu Stande zu bringen oder einen Feststellungsantrag nach § 126 InsO zu stellen (§ 122 Abs. 1 Satz 3 InsO). 117 Die Bestimmung des § 122 Abs. 1 Satz 3 InsO, die das Recht des Insolvenzverwalters, einen Interessenausgleich nach § 125 InsO zu schließen oder einen Feststellungsantrag nach § 126 InsO zu stellen, parallel zum Antrag an das ArbG auf Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung zulässt, gestattet dem Betriebsrat auch, das Einigungsstellenverfahren zur Herbeiführung eines Interessenausgleiches zu führen. Wegen der Möglichkeit, dass das ArbG den Antrag des Insolvenzverwalters nach § 122 InsO zurückweist, aber auch wegen der Wirkungen eines Interessenausgleiches mit Namensliste gemäß § 125 InsO (vgl. hierzu Rz. 121 ff.), ist die Weiterverhandlung mit dem Betriebsrat dringend zu empfehlen. 118 Stimmt das ArbG gemäß § 122 InsO zu, bevor der Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 125 InsO mit dem Betriebsrat vereinbart hat, kann mit der Durchführung der Betriebsänderung, die im Regelfall mit betriebsbedingten Kündigungen verbunden ist, begonnen werden. Der Zustimmungsbeschluss hat Gestaltungswirkung und schließt Nachteilsausgleichsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer nach § 113 Abs. 3 BetrVG aus. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Betriebsänderung, wenngleich die Frage des Unterlassungsanspruchs des Betriebsrates in Rechtsprechung und Literatur ohnehin umstritten ist (vgl. vorn Rz. 31 ff.). 119 Kommt es nach Zustimmung des ArbG zur Durchführung der Betriebsänderung doch noch zum Abschluss eines Interessenausgleiches mit Namensliste gemäß § 125 InsO, ist fraglich, welche Rechtsfolgen dieser nachträglich zu Stande gekommene Interessenausgleich hat. § 122 Abs. 1 Satz 3 InsO enthält hierzu keine Regelung. Nach dem Wortlaut des § 125 InsO kann die dort geregelte Vermutungswirkung nur dann entstehen, wenn mit der Durchführung der Betriebsänderung im Zeitpunkt des Zustandekommens des besonderen Interessenausgleiches noch nicht begonnen wurde. In der Literatur wird angenommen, dass eine analoge Anwendung der Norm auf einen nachträglich zu Stande gekommenen Interessenausgleich wegen des Ausnahmecharakters dieser Norm ausscheidet.118) 120 Mit der Zustimmung des ArbG zur Durchführung der Betriebsänderung muss der Insolvenzverwalter entscheiden, ob er die Kündigungen ausspricht und Kündigungsschutzverfahren ohne die für ihn günstige Vermutungswirkung des § 125 InsO führt, oder aber das präventive Beschlussverfahren gemäß § 126 InsO einleitet (vgl. Rz. 158 ff.). ___________ 118) Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 121, 122 Rz. 79.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme 2.2

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Interessenausgleich nach § 125 InsO

Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren ist häufig nur dann gewährleistet, wenn 121 gleichwohl Arbeitsplätze abgebaut und Arbeitnehmer entlassen werden. Oft sind Massenentlassungen unumgänglich. Um eine Betriebsfortführung nicht zu gefährden, muss der Insolvenzverwalter schnell Sicherheit erlangen können, ob das Unternehmen nach Durchführung der Änderungsmaßnahmen fortgeführt und ggf. auf einen potentiellen Erwerber übertragen werden kann, der genau wissen muss, welche Arbeitsverhältnisse mit dem Betrieb gemäß § 613a BGB auf ihn übergehen werden. Langwierige Kündigungsschutzprozesse stehen dem entgegen. Im Interessenausgleich wird mit dem Betriebsrat vereinbart, ob, wann und wie die Betriebs- 122 änderung durchgeführt wird. Bei dem Interessenausgleich handelt es sich nicht um eine Betriebsvereinbarung i. S. des 123 § 77 Abs. 4 BetrVG. Er entfaltet nur dann normative Wirkung auf Einzelarbeitsverhältnisse, wenn die Betriebsparteien dies eindeutig und unmissverständlich vereinbaren und den Interessenausgleich als Betriebsvereinbarung qualifizieren. Durch die Regelung des § 125 InsO werden dem Interessenausgleich in Einzelfällen besondere Rechtswirkung kraft Gesetzes auferlegt. In diesen Fällen handelt es sich um einen Interessenausgleich eigener Art.119) Den Verwalter trifft keine Pflicht, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste abzuschließen. Ein solcher Interessenausgleich ist jedoch in jedem Fall empfehlenswert (vgl. Rz. 124, 142 ff.). Kommt ein Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 125 Abs. 1 InsO nicht zu Stande, wird die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen in Kündigungsschutzverfahren nach den Grundsätzen des KSchG geprüft. (§ 1 KSchG). Das Angebot des Insolvenzverwalters/Sachwalters, einen Interessenausgleich zu verhandeln, umfasst zudem auch konkludent das Beratungsgebot nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG.120) Kommt ein Interessenausgleich gemäß § 125 Abs. 1 InsO i. V. m. §§ 112, Abs. 1 – 3, 111 124 BetrVG zu Stande, können die Prozessrisiken erheblich eingeschränkt werden, da bei wirksamem Abschluss eines solchen Interessenausgleiches x

vermutet wird, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO),

x

die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden kann,

x

sich die Vermutung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 auch darauf erstreckt, dass im Falle eines Betriebsübergangs nach Verfahrenseröffnung die Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt (§ 128 Abs. 2 InsO).

x

die Zuordnung der einzelnen Arbeitnehmer zu einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil bei einer Betriebsteilung ebenfalls nur auf grobe Fehlerhaftigkeit geprüft wird (§ 323/2 UmwG analog)

Kommt bei einer Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG ein Interessenausgleich mit 125 Namensliste gemäß § 125 Abs. 1 InsO zu Stande, muss der Insolvenzverwalter in einem Kündigungsschutzverfahren zunächst lediglich darlegen x

dass der Interessenausgleich wegen einer Betriebsänderung wirksam zu Stande gekommen ist,

___________ 119) Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 47, 105. 120) LAG Niedersachsen, Urt. v. 26.2.2015 – 5 SA 1318/14, ZIP 2015, 1604 = ZInsO 2015, 1065.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

x

der Arbeitnehmer wegen dieser Betriebsänderung gekündigt wurde, und

x

der Arbeitnehmer in diesem Interessenausgleich auf der Namensliste, die Bestandteil des Interessenausgleiches ist, namentlich genannt ist.

2.2.1 Zustandekommen des Interessenausgleiches 2.2.1.1

Voraussetzungen

126 Voraussetzung für die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zum Versuch eines Interessenausgleiches ist, dass der Betriebsrat zu dem Zeitpunkt besteht, zu welchem mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen werden soll. Ein erst während der Durchführung der Betriebsänderung gewählter Betriebsrat kann weder den Versuch eines Interessenausgleiches noch den Abschluss eines Sozialplanes verlangen.121) Auch wenn dem Insolvenzverwalter bekannt sein sollte, dass im schuldnerischen Unternehmen Betriebsratswahlen vorbereitet werden, hindert dies ihn nicht an der Durchführung der Betriebsänderung, wenn im Zeitpunkt des Beginns der Durchführung der Betriebsänderung der Betriebsrat noch nicht konstituiert ist.122) 2.2.1.2

Beteiligung des zuständigen Betriebsrates

127 Wurde im schuldnerischen Unternehmen ein Gesamtbetriebsrat gewählt, ist zu prüfen, ob dieser evtl. entsprechend den Regelungen der §§ 50, 59 BetrVG für die Verhandlungen zum Interessenausgleich zuständig ist. Nach § 50 Abs. 1 BetrVG i. V. m. § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren, wenn sich die geplante Maßnahme auf alle oder mehrere Betriebe auswirkt und deshalb einer einheitlichen Regelung bedarf. Dies kann i. R. einer Betriebsfortführung bei Zusammenlegung von Betrieben der Fall sein.123) Der betriebsübergreifende Regelungsbedarf bestimmt sich nach der vom Insolvenzverwalter geplanten Maßnahme. Liegt ein unternehmenseinheitliches Konzept vor, ist der Interessenausgleich mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren.124) Ein mit dem unzuständigen Betriebsrat abgeschlossener Interessenausgleich ist unwirksam.125) 128 Ob der Gesamtbetriebsrat im Falle seiner Zuständigkeit auch für die Aufstellung der Namensliste i. S. von § 125 InsO zuständig ist, wird diskutiert.126) 129 Der Gesamtbetriebsrat kann gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch für betriebsratslose Betriebe zuständig sein, sofern er gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen, originär zuständig ist. 130 In Zweifelsfällen sollten die Verhandlungen zum Interessenausgleich sowohl mit dem Betriebsrat als auch mit dem Gesamtbetriebsrat geführt werden. Es empfiehlt sich zugleich, Interessenausgleich und Namensliste von beiden Gremien unterzeichnen zu lassen.

___________ 121) 122) 123) 124)

BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235. Vgl. auch Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 64. BAG, Urt. v. 24.1.1996 – 1 AZR 542/95, ZIP 1996, 1391. BAG, Urt. v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93, ZIP 1994, 1466; BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498. 125) Vgl. BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498. 126) Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 66.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme 2.2.1.3

§ 22

Erfordernis einer Betriebsänderung

Die Anwendung des § 125 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass der Interessenausgleich wegen 131 einer bestimmten Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG abgeschlossen wird. Die Vermutungswirkung gilt nicht, wenn der Interessenausgleich abgeschlossen wird, weil den Arbeitnehmern aus Gründen, die keine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG darstellen, gekündigt werden soll. Ebenso wenig gilt die Vermutungswirkung bei Abschluss eines Interessenausgleiches in Betrieben mit weniger als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern oder wenn nur ein geringer Personalabbau geregelt werden soll, der noch keine Betriebsänderung darstellt, weil er unterhalb der Werte gemäß § 17 Abs. 1 KSchG liegt. Die Schwelle der Sozialplanpflichtigkeit nach § 112a BetrVG muss allerdings nicht überschritten werden.127) Vgl. auch Rz. 217. Die Vermutungswirkung des § 125 InsO gilt nicht bei lediglich freiwillig abgeschlossenen 132 Interessenausgleichen.128) 2.2.1.4

Zeitpunkt

Der Interessenausgleich mit Namensliste muss vor Ausspruch der Kündigung zu Stande 133 gekommen sein. Würde man Betriebsrat und Insolvenzverwalter die Möglichkeit eröffnen, bereits ausgesprochene Kündigungen durch einen nachträglichen Interessenausgleich zu sanktionieren, führe dies zu Rechtsunsicherheit und eröffnete zudem die Möglichkeit, vom Arbeitgeber geschaffene Fakten nachträglich zu sanktionieren.129) Häufig verlangt der Betriebsrat zeitgleich mit dem Abschluss des Interessenausgleiches die 134 Unterzeichnung eines Sozialplanes, um der Belegschaft nicht nur den im Interessenausgleich geregelten Stellenabbau erklären zu müssen, sondern auch Abfindungszahlungen oder die Errichtung einer Transfergesellschaft in Aussicht stellen zu können. Betriebsräte meinen schon mal, mit der Forderung nach zeitgleichem Abschluss eines Sozialplanes ein Druckmittel zu haben, wenn der Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 125 InsO beabsichtigt. Allerdings wird dabei die Beschränkung der Sozialplanhöhe gemäß § 123 InsO übersehen, ebenso wie die Tatsache, dass unter den Voraussetzungen des § 112a BetrVG ein Sozialplan erzwingbar ist, ein Interessenausgleich jedoch nicht (vgl. hierzu auch Rz. 212 ff.). Der Betriebsrat sollte bereits zu Beginn der Interessenausgleichsverhandlungen über die ge- 135 setzlichen Beschränkungen zur Höhe des Sozialplanes im Insolvenzverfahren informiert werden. Gleichzeitig sollte dem Betriebsrat mitgeteilt werden, dass der Insolvenzverwalter bereit ist, bereits im Interessenausgleich die Höhe des geplanten Sozialplanvolumens zu regeln. Dies erleichtert die weiteren Verhandlungen mit dem Betriebsrat, insbesondere zur Namensliste. Der Interessenausgleich muss nach Verfahrenseröffnung abgeschlossen werden, wenn der 136 Insolvenzverwalter die Vermutungswirkung des § 125 InsO für sich nutzen will. Vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und damit auch im Eröffnungsverfahren findet § 125 InsO keine Anwendung.130) Der ggf. im Eröffnungsverfahren vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insol- 137 venzverwalters geschlossene Interessenausgleich mit Namensliste entfaltet allerdings die Wirkung nach § 1 Abs. 5 KSchG und bietet damit ebenfalls weitreichende Gestaltungs___________ 127) 128) 129) 130)

Gallner in: ErfK, § 125 InsO Rz. 3; Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 125 Rz. 17. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 125 Rz. 18. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 125 Rz. 11. LAG Hamm, Urt. v. 22.5.2002 – 2 SA 1560/01, NZA-RR 2003, 378 = ZInsO 2002, 1104.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

möglichkeiten.131) Ob allerdings der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossene Interessenausgleich mit Namensliste vom Insolvenzverwalter nach der Eröffnung genehmigt werden kann und in diesem Fall rückwirkend auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung die Vermutungswirkung des § 125 InsO entfaltet, ist höchstrichterlich nicht entschieden. Nach Auffassung von Mückl/Krings soll ein vom vorläufigen Verwalter abgeschlossener Interessenausgleich nach § 125 InsO vom endgültigen Verwalter zumindest mittels ausdrücklicher Genehmigung, die auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zurückwirken soll, „gerettet“ werden können.132) Auch mit Urteil vom 28.6.2012 hat das BAG die Beantwortung dieser Frage dahinstehen lassen.133) Bis zur Beantwortung dieser Frage durch das BAG muss dem Insolvenzverwalter dringend empfohlen werden, nach Verfahrenseröffnung einen neuen Interessenausgleich gemäß § 125 InsO abzuschließen. Dies ist nicht zeitaufwendig, wenn die Interessenausgleichsverhandlung im Eröffnungsverfahren soweit vorbereitet wird, dass diese in nur einer weiteren Besprechung mit dem Betriebsrat zum Abschluss gebracht und der Interessenausgleich unterzeichnet werden kann. 2.2.1.5

Anforderungen an die Namensliste

138 Voraussetzung für die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ist, dass die zu kündigenden Arbeitnehmer im schriftlich abgeschlossenen Interessenausgleich namentlich genannt sind. Aus der Namensliste muss eindeutig hervorgehen, welcher Arbeitnehmer gemeint ist. Es empfiehlt sich daher, Vor- und Nachnamen anzugeben. Bei Namensidentitäten sollten die Abteilungen, in denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind und ggf. auch das Geburtsdatum der Arbeitnehmer hinzugefügt werden. 139 Der Interessenausgleich ist schriftlich niederzulegen und vom Insolvenzverwalter und Betriebsrat zu unterschreiben (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Da gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO die zu kündigenden Arbeitnehmer „im“ Interessenausgleich namentlich zu bezeichnen sind, ist es erforderlich, die Arbeitnehmer entweder im Text des Interessenausgleiches zu benennen, die Namensliste als Anlage zum Interessenausgleich mit Bezugnahme auf den Interessenausgleich gesondert zu unterschreiben oder aber die nicht unterschriebene Namensliste als Anlage zum Interessenausgleich mit diesem fest zu verbinden.134) Wird die Namensliste z. B. mittels Heftmaschine fest mit dem Interessenausgleich verbunden, muss sie nicht ausdrücklich als Anlage zum Interessenausgleich bezeichnet werden.135) Allerdings muss die Namensliste dann bereits vor der Unterzeichnung fest mit dem Interessenausgleich verbunden werden, damit eine Gesamturkunde erkennbar ist. Das Zusammenheften der nicht unterschriebenen Namensliste mit dem Interessenausgleich erst nach dessen Unterzeichnung ist nicht ausreichend.136) Eine Verbindung der nicht unterschriebenen Namensliste mit dem Interessenausgleich mittels Büroklammer ist nicht ausreichend, da zur Wahrung des Schriftformerfordernisses erkennbar sein muss, dass die Verbindung von Interessenausgleich und Namensliste endgültig und dauerhaft gewollt ist. Eine Verbindung durch Büroklammer kann jederzeit ohne Substanzzerstörung aufgehoben werden.137) Die Unterzeichnung des Interessenausgleiches auf dem letzten Blatt der Vertragsurkunde ist ausreichend.138) Allerdings muss die Unterschrift unter der letzten Textzeile stehen. ___________ 131) 132) 133) 134) 135) 136) 137) 138)

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Vgl. Mückl/Krings, ZIP 2012, 106, 108. Mückl/Krings, ZIP 2012, 106, 111. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151. BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, ZIP 1998, 1885. BAG, Urt. v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, ZIP 2006, 2329. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 125 Rz. 26. LAG Hamm, Urt. v. 23.3.2000 – 4 SA 910/99, ZInsO 2000, 570.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 22

Auch wenn der überwiegende Teil der Belegschaft gekündigt werden muss und nur eine 140 sehr geringe Anzahl der Arbeitnehmer im fortzuführenden Betrieb verbleiben sollte, ist es dringend erforderlich, in der Namensliste die zu kündigenden und nicht die im Unternehmen verbleibenden Arbeitnehmer zu benennen. Der Wortlaut des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO ist insoweit eindeutig, denn es wird gefordert, dass die zu entlassenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet werden. Praktikabilitätsgründe sind dabei unerheblich.139) Auch die Stilllegung ganzer Abteilungen oder eines Betriebsteiles erfordert die namentliche Benennung der einzelnen zu kündigenden Arbeitnehmer, wenn die Vermutungswirkung nach § 125 InsO nicht entfallen soll. Die Namensliste muss in einem Interessenausgleich vereinbart sein. Zwar ist es zulässig 141 und üblich, Interessenausgleich und Sozialplan in einer Urkunde nieder zu legen und diese ggf. auch nur als Sozialplan zu bezeichnen, allerdings ist eine Ausdehnung des § 125 auf Sozialpläne, die durch den Spruch der Einigungsstelle festgelegt worden sind, nicht zulässig, da der Interessenausgleich nicht erzwingbar ist (§ 112 Abs. 4 Satz 1 BetrVG).140) Zu beachten ist außerdem, dass es sich bei der Verteilungsliste des Sozialplanes und der Entlassungsliste des § 125 InsO um unterschiedliche und nicht vergleichbare Namenslisten handelt.141) 2.2.2 Wirkung des Interessenausgleiches mit Namensliste 2.2.2.1

Vermutung dringender betrieblicher Erfordernisse

Gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 wird vermutet, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse 142 der im Interessenausgleich namentlich bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist. Trotz dieses Wortlautes spricht der Gesetzeszweck des § 125 dafür, die Vermutungswirkung auch auf das Fehlen von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben des Unternehmens zu erstrecken. Dies gilt jedenfalls dann, wenn i. R. der Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Betriebsrat erörtert wurde, ob anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben des Unternehmens bestehen. Vorsorglich sollte das Ergebnis dieser Prüfung im Interessenausgleich dargelegt werden.142) Die Vermutungsregel des § 125 InsO erfasst auch die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit zu veränderten Bedingungen, wenngleich der Wortlaut in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nur fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zu „unveränderten Arbeitsbedingungen“ nennt.143) Die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ändert die allgemeine Beweis- 143 lastregel. Der Insolvenzverwalter hat zunächst lediglich darzulegen, dass die Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung erfolgte, wegen der ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen wurde, in welchem der gekündigte Arbeitnehmer namentlich benannt ist und welcher schriftlich niedergelegt wurde. Hat der Insolvenzverwalter dies dargelegt, wird vermutet, dass ein dringendes betriebliches Erfordernis besteht. Die Vermutung ist allerdings durch den Arbeitnehmer widerlegbar. Es gilt § 292 Abs. 1 ZPO (§ 46 Abs. 2 Satz 1 AGG). Die Vermutung kann nur durch Beweis des Gegenteils beseitigt werden. Der Arbeitnehmer muss dabei aber substantiierten Sachvortrag leisten, der das dringende betrieb___________ 139) 140) 141) 142) 143)

Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 125 Rz. 24. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 125 Rz. 28. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 125 Rz. 29. Vgl. auch BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387. Vgl. zu § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG: BAG, Urt. v. 6.9.2007 – 2 AZR 671/06, openJur 2011, 98316.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

liche Erfordernis ausschließt und nicht nur in Zweifel zieht.144) Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich die Betriebsänderung und die von den Betriebsparteien vorgenommene Sozialauswahl aus dem prozessualen Vorbringen des Kündigenden oder aus dem Interessenausgleich selbst ergeben müssen. Kann in Ermangelung dessen der gekündigte Arbeitnehmer die Vermutungswirkung nicht widerlegen und die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl nicht darlegen, ist eine auf einen Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO gestützte Kündigung unwirksam.145) 2.2.2.2

Sozialauswahl

144 Gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO kann die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf x

die Dauer der Betriebszugehörigkeit,

x

das Lebensalter und

x

die Unterhaltspflichten und

x

auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden.

145 Grob fehlerhaft ist eine Sozialauswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt.146) Bei der Gewichtung der sozialen Daten Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten besteht keine Rangfolge. Dem Insolvenzverwalter bleibt insoweit ein Wertungsspielraum. Die Sozialauswahl ist jedoch dann grob fehlerhaft, wenn eines der Auswahlkriterien vollständig außer Acht gelassen wird.147) 146 Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl auch dann, wenn bei der Bestimmung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt wird oder bei der Anwendung des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG (keine Einbeziehung von Arbeitnehmern in die Sozialauswahl, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegt) die betrieblichen Interessen augenfällig überdehnt worden sind.148) 147 Vergleichbar sind die Arbeitnehmer, die austauschbar sind. Die Austauschbarkeit bestimmt sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, d. h. nach der ausgeübten Tätigkeit. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen, allerdings muss der Arbeitgeber berechtigt sein, den Arbeitnehmer einseitig, d. h. im Wege seines Direktionsrechtes, auf einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen bzw. zu versetzen, um von einer arbeitsvertraglichen Austauschbarkeit sprechen zu können. 148 Die soziale Auswahl ist zudem nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder sogar erst geschaffen wird. Die im Insolvenzverfahren eröffnete Möglichkeit, über einen Interessenausgleich mit Namensliste eine ausgewogene Personalstruktur zu schaffen, ist mit dem Antidiskriminierungsrecht der EU vereinbar.149) Dem Insolvenzverwalter ist es damit gemäß § 125 InsO nicht nur möglich, die vorhandene ___________ 144) BAG, Urt. v. 26.4.2007 – 8 AZR 695/05, ZIP 2007, 2136; BAG, Urt. v. 12.3.2009 – 2 AZR 418/07, NZA 2009, 1023. 145) ArbG Mönchengladbach, Urt. v. 23.7.2015 – 4 Ca 993/15, ZInsO 2015, 1928. 146) BAG, Urt. v. 21.9.2006 – 2 AZR 284/06, openJur 2011, 97155 m. w. N.; BAG, Urt. v. 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, DB 2008, 1688. 147) LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.1.1998 – 5 (4) (3) Sa 1 913/97, DB 1998, 1235. 148) BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, ZIP 2006, 774. 149) BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, ZIP 2014, 536 = NZA 2014, 909, dazu EWiR 2014, 295 (Mückl).

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§ 22

Personalstruktur zu erhalten (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG), sondern es steht ihm frei, bei der Prüfung der Fortführungsaussichten von einer Personalstruktur auszugehen, die mit der Durchführung der Betriebsänderung erst geschaffen wird. Gerade in insolventen Unternehmen ist häufig eine überalterte Personalstruktur anzutreffen, da vorangegangene Rationalisierungsmaßnahmen meist zur Kündigung der jüngeren Belegschaft geführt haben. Um für diese Betriebe einen Investor zu finden, ist es zumeist nicht ausreichend, die vorhandene Personalstruktur lediglich zu sichern. Aus § 125 Abs. 1 Nr. 2 geht jedoch nicht hervor, wie eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.150) In der Praxis wird die Personalstruktur im Wesentlichen durch die Bildung von Altersgrup- 149 pen bei der Sozialauswahl erhalten oder geschaffen. Dabei ist zu beachten, dass die Bildung von Altersgruppen auch bei einem Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 125 InsO grob fehlerhaft sein kann, wenn diese Altersgruppen in völlig wahllos getroffenen Zeitsprüngen gebildet werden und der Schluss naheliegt, dass sie nur gebildet wurden, um bestimmte Arbeitnehmer wegen ihrer ansonsten zu berücksichtigenden Sozialdaten nicht kündigen zu müssen. Der Insolvenzverwalter kann in diesem Fall aber auch die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nutzen, wonach er Arbeitnehmer, die über besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen verfügen, nicht in die Sozialauswahl einbeziehen muss, wenn deren Weiterbeschäftigung im Betrieb im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.151) Auch bei der Herausnahme von sog. Leistungsträgern gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG findet 150 der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Anwendung.152) Der Insolvenzverwalter muss allerdings konkret darlegen und beweisen, welche konkreten Erwägungen zur Herausnahme des Leistungsträgers geführt haben. Eine schlagwortartige Bezeichnung der besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten ist dafür jedoch nicht ausreichend. Es reicht nicht, dass die Weiterbeschäftigung einzelner Arbeitnehmer bloß vorteilhaft oder nützlich ist.153) Der Insolvenzverwalter kann mit dem Betriebsrat allerdings auch Auswahlrichtlinien über 151 die Gewichtung der sozialen Gesichtspunkte vereinbaren (§ 1 Abs. 4 KSchG). Dies gilt auch beim Abschluss eines Interessenausgleiches mit Namensliste gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Betriebsparteien haben bei der Festlegung der Auswahlrichtlinien einen sehr weiten Gestaltungsspielraum, sofern sie sich an den Vorgaben des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG orientieren und dabei nicht eines der genannten Sozialkriterien völlig außer Acht lassen.154) Auch wenn in § 125 InsO das Auswahlkriterium „Schwerbehinderung“ nicht ausdrück- 152 lich genannt ist, ist die Vorschrift dahingehend auszulegen, dass auch in der Insolvenz die Schwerbehinderung ein zu beachtender sozialer Gesichtspunkt ist. Eine andere Auslegung würde zu Wertungswidersprüchen im Verhältnis zu § 1 Abs. 3 Satz 1 und § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG führen.155) Die Sozialauswahl darf nicht objektiv falsch sein, d. h. der Insolvenzverwalter muss die 153 richtigen Sozialdaten kennen und darf sich dabei nicht nur auf Informationen durch den Betriebsrat, den Personalleiter oder die Buchhaltung verlassen. In Anbetracht dessen, dass ___________ 150) Vgl. zu den Ansatzpunkten für die Schaffung bzw. den Erhalt einer ausgewogenen Personalstruktur Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 132 f. 151) Zu den Maßstäben für eine ausgewogene Altersstruktur vgl. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 125 Rz. 86 ff. 152) LAG Köln, Urt. v. 10.5.2005 – 1 Sa 1510/04, ZIP 2005, 1524; BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, ZIP 2006, 774. 153) Vgl. dazu i. E.: LAG Niedersachsen, Urt. v. 30.6.2006 – 10 Sa 1816/05, openJur 2012, 44478; BAG, Urt. v. 10.2.1999 – 2 AZR 716/98, NJW 1999, 3796 = NZA 1999, 702. 154) BAG, Urt. v. 18.10.2006 – 2 AZR 473/05, NZA 2007, 504. 155) LAG Hamm, Urt. v. 16.5.2007 – 2 Sa 1830/06, openJur 2011, 49194; Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 125 Rz. 62.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

für Sozialplanverhandlungen und damit auch die Durchführung der Sozialauswahl nach Verfahrenseröffnung meist wenig Zeit bleibt, ist es ratsam, dass bereits der vorläufige Insolvenzverwalter bei sich abzeichnenden Personalmaßnahmen jeden Arbeitnehmer konkret nach seinen aktuellen Sozialdaten befragt. Dies klingt zunächst aufwendig, kann jedoch durch folgenden Fragebogen kurzfristig umgesetzt werden. 154

Fragebogen zu den Sozialdaten 1. Name: 2. Geburtsdatum: 3. Betriebszugehörigkeit seit: … 4. Familienstand: ledig/verheiratet/geschieden/verwitwet 5. Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder:

Ƒ ja

6. Vorliegen einer Schwerbehinderung

Ƒ nein

wenn ja: Grad der Behinderung: … % Gleichstellung beantragt: Gleichstellung festgestellt: 7. Schwerbehinderung beantragt, die noch nicht rechtskräftig entschieden wurde:

Ƒ ja Ƒ ja Ƒ ja

Ƒ nein Ƒ nein Ƒ nein

wenn ja: Datum des Antrags: Datum des Widerspruchs: 8. Schwangerschaft: 9. Erziehungsurlaub:

Ƒ ja Ƒ ja

Ƒ nein Ƒ nein

wenn ja: Dauer des Erziehungsurlaubes: Datum, Unterschrift:

155 Nach ständiger Rechtsprechung des BAG hat der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich hinsichtlich der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft ein „Recht zur Lüge“ und braucht diese auch bei der Einstellung nicht zu offenbaren. Nach einem Urteil des BAG vom 16.2.2012 besteht hiervon jedoch eine Ausnahme, wenn zulässigerweise nach der Schwerbehinderteneigenschaft gefragt wurde und hierauf wahrheitswidrige Angaben gemacht worden sind. Für die Frage des Insolvenzverwalters nach der Schwerbehinderung besteht jedenfalls dann, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht, ein berechtigtes Interesse, wenn die Frage im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer betriebsbedingten Kündigung steht, da vor einer Kündigung bei der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG die Schwerbehinderung und der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX zu beachten ist.156) Bei wahrheitswidriger Beantwortung der rechtmäßig gestellten Frage nach der Schwerbehinderung ist es dem Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft im Kündigungsschutzprozess zu berufen. Es liegt dann der Fall einer unzulässigen Rechtsausübung vor.157)

___________ 156) BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 6 AZR 553/10, ZIP 2012, 1572. 157) BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 6 AZR 553/10, ZIP 2012, 1572.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 22

Ein Punkteschema für die soziale Auswahl ist gemäß § 95 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungs- 156 pflichtig.158) Lässt der Insolvenzverwalter das mit dem Betriebsrat vereinbarte Punkteschema unbeachtet, kann die Sozialauswahl grob fehlerhaft sein. Die Betriebsparteien können Auswahlrichtlinien i. S. von § 1 Abs. 4 Var. 2 KSchG bei späterer oder schon bei zeitgleicher Gelegenheit – etwa bei Abschluss eines Interessenausgleiches mit Namensliste – ändern. Setzen sie sich in einem bestimmten Punkt gemeinsam über die Auswahlrichtlinie hinweg, ist die Namensliste zumindest dann maßgeblich, wenn Interessenausgleich und Auswahlrichtlinie von denselben Betriebsparteien stammen. Ein Punkteschema für die soziale Auswahl ist auch dann eine nach § 95 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichte Auswahlrichtlinie, wenn der Arbeitgeber es nicht generell auf alle künftigen betriebsbedingten Kündigungen, sondern nur auf konkret bevorstehende Kündigung anwenden will. Das Punktesystem einer Auswahlrichtlinie muss keine individuelle Abschlussprüfung des Arbeitgebers vorsehen. Der Arbeitgeber braucht neben den in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ausdrücklich bezeichneten Grunddaten keine weiteren Gesichtspunkte berücksichtigen.159) § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des 157 Interessenausgleiches wesentlich geändert hat. Eine wesentliche Änderung der Sachlage liegt z. B. vor, wenn eine ursprünglich entschiedene Betriebsstilllegung, die zu einem Interessenausgleich geführt hat, nicht umgesetzt wird, weil ein Interessent gefunden wurde, der einen reorganisierten Betrieb übernimmt. Nicht wesentlich hingegen sind Einzelfalländerungen, die z. B. dazu führen, dass einzelne Arbeitnehmer, die auf der Namensliste genannt sind, nicht mehr gekündigt werden müssen, weil z. B. andere Arbeitnehmer den Betrieb durch Eigenkündigung verlassen oder der Betrieb einzelner Maschinen entgegen ursprünglicher Überlegungen fortgesetzt wird. Wesentlich ist eine Änderung der Sachlage dann, wenn die Betriebsparteien in Kenntnis dieser Sachlage einen Interessenausgleich mit anderem Inhalt abgeschlossen hätten. Die Änderung der Sachlage muss jedoch vor dem Ausspruch der Kündigung eingetreten sein.160) Ändert sich die Sachlage nach Ausspruch der Kündigungen, kann ein Wiedereinstellungsanspruch bestehen.161) 2.3

Beschlussverfahren nach § 126 InsO

Besteht im Betrieb der Insolvenzschuldnerin kein Betriebsrat oder kommt es innerhalb von 158 drei Wochen nach Verhandlungsbeginn mit dem Betriebsrat oder schriftlicher Aufforderung an den Betriebsrat zur Aufnahme von Verhandlungen nicht zum Abschluss eines Interessenausgleiches nach § 125 Abs. 1 InsO (Interessenausgleich mit Namensliste), obwohl der Verwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend nach § 111 BetrVG informiert hat, so kann der Insolvenzverwalter beim ArbG beantragen festzustellen, dass die Kündigung der namentlich genannten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. In der Eigenverwaltung obliegt diese Aufgabe dem Schuldner mit der Maßgabe, dass er hierfür der Zustimmung des Sachwalters bedarf (§ 279 Satz 3 InsO). Der Insolvenzverwalter kann den Antrag gemäß § 126 InsO auch dann stellen, wenn die 159 geplante Betriebsänderung erst nach einer Betriebsveräußerung durchgeführt werden soll. In diesem Fall ist der Erwerber des Betriebes am Verfahren nach § 126 InsO zu beteiligen (§ 128 Abs. 1 InsO).

___________ 158) BAG, Beschl. v. 26.7.2005 – 1 ABR 29/04, NZA 2005, 1372. 159) BAG, Urt. v. 24.1.2013 – 6 AZR 854/11, ZIP 2013, 2476, dazu EWiR 2014, 125 (Dahlbender); vgl. auch BAG, Urt. v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13, NZA 2015, 1122. 160) BAG, Urt. v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, NZA 2006, 64 = (LS) = Lexetius com/2004, 486. 161) BAG, Urt. v. 21.2.2001 – 2 AZR 39/00, ZIP 2001, 1825.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

160 Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann dabei gemäß § 126 Abs. 1 Satz 2 InsO nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten nachgeprüft werden. Die Überprüfung ist allerdings nicht auf grobe Fehlerhaftigkeit begrenzt. 161 Das Verfahren vor dem ArbG ist im Wege des Beschlussverfahrens zu führen. Beteiligte des Verfahrens sind der Insolvenzverwalter, der Betriebsrat und die namentlich bezeichneten Arbeitnehmer, soweit sie nicht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder mit den geänderten Arbeitsbedingungen einverstanden sind. Zwar gilt der Untersuchungsgrundsatz (Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen), das Gericht kann allerdings an den Sachvortrag anknüpfen und ist nicht zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet.162) 162 Der Insolvenzverwalter muss somit wie in einem Kündigungsschutzverfahren zum Grund der Kündigung und zur Sozialauswahl umfassend vortragen, da nach § 1 KSchG geprüft wird. Es gilt allerdings die Leistungsträgerklausel aus § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG (in die soziale Auswahl sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung – nicht Schaffung! – einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt) und die Erleichterung durch kollektivrechtliche Vereinbarungen aus § 1 Abs. 4 KSchG (ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden). 163 Sonstige Unwirksamkeitsgründe, wie z. B. die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates, werden nicht geprüft, wenngleich sich das empfehlen würde, um einen späteren Kündigungsschutzprozess, der sich wegen der Bindungswirkung des § 127 InsO nur auf sonstige Unwirksamkeitsgründe stützen kann, eventuell zu vermeiden.163) 164 Hat der Insolvenzverwalter wegen der Zustimmung des ArbG gemäß § 122 InsO die Arbeitnehmer gekündigt und diese Kündigungsschutzklage vor dem ArbG erhoben, so ist die rechtskräftige Entscheidung im Verfahren nach § 126 InsO für die Parteien bindend. Das Kündigungsschutzverfahren ist ggf. bis zur Rechtskraft im Verfahren nach § 126 InsO auszusetzen (siehe auch Rz. 167). 165 Umstritten ist, ob der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz auch dann einleiten kann, wenn weniger als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer im Unternehmen beschäftigt sind. Das BAG hat diese Frage bislang nicht beantwortet.164) In der Literatur wird einerseits darauf hingewiesen, die Vorschrift setze voraus, dass ein Interessenausgleich nach § 125 InsO nur im Falle einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG und damit nur in Betrieben mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern abgeschlossen werden kann. Andererseits wird vertreten, dass der Antrag nach § 126 InsO ohne Rücksicht auf die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer gestellt werden kann, da der Wortlaut des § 126 InsO auch ausdrücklich den betriebsratslosen Betrieb erfasse.165) Der ersten Auffassung ist zu folgen, da in § 126 InsO auf die Regelung des § 125 Abs. 1 InsO Bezug genommen wird, wonach eine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG geplant sein muss. Betriebsänderungen gemäß § 111 BetrVG sind nur solche, die in Betrieben mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern durchgeführt werden sollen. ___________ 162) 163) 164) 165)

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Germelmann/Matthes/Prütting-Matthes/Spinner, ArbGG, § 83 Rz. 84. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 126 Rz. 16. BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = NZA 2000, 1180. Vgl. Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 126, 127 Rz. 7, 8 m. w. N.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 22

In der Antragsschrift des Insolvenzverwalters nach § 126 InsO ist u. a. auch die Kündigungs- 166 befugnis darzulegen. Die Kündigungsberechtigung ist durch das BAG zur Voraussetzung einer wirksamen Antragstellung erhoben worden.166) Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner gleichzeitig ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO). Damit gehen zwingend auch die Arbeitgeberstellung und die Kündigungsbefugnis auf den sog. „starken“ vorläufigen Verwalter über. Dass der vorläufige „starke“ Insolvenzverwalter in die Arbeitgeberstellung mit den entsprechenden Kompetenzen einrückt, führt jedoch nicht zur Anwendbarkeit der Normen der §§ 113, 120 ff. InsO. Von der Spezialregelung dieser Normen kann nur der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung Gebrauch machen.167) Die arbeitsrechtlichen Vorschriften der InsO (§§ 113, 120 – 122, 125 – 128) stehen im 3. Teil der InsO unter „Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens“. Nach der Systematik der InsO gelten sie demgemäß nur ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht für das Eröffnungsverfahren. Auch fehlt – im Gegensatz zu § 279 InsO für den Schuldner im Fall der Eigenverwaltung – in den Vorschriften für den vorläufigen Insolvenzverwalter ein ausdrücklicher Verweis auf diese Normen.168) Antragsberechtigt ist damit allein der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung. Das Beschlussverfahren nach § 126 InsO kann aber der Feststellung dienen, dass die ggf. im vorläufigen Insolvenzverfahren ausgesprochenen Kündigungen wirksam sind, vorausgesetzt, der vorläufige Insolvenzverwalter war kündigungsberechtigt (z. B. durch Einzelermächtigung des schwachen vorläufigen Verwalters durch das Insolvenzgericht). Der Insolvenzverwalter kann das spezielle Beschlussverfahren nach § 126 InsO zum Kün- 167 digungsschutz sowohl für beabsichtigte als auch bereits ausgesprochene Kündigungen nutzen.169) Dass der Insolvenzverwalter zunächst die Kündigungen aussprechen darf und abwarten kann, welche Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erheben, bevor er den Antrag nach § 126 InsO stellt, ergibt sich auch aus § 127 Abs. 2 InsO, wonach der Kündigungsausspruch zumindest vor Rechtskraft der Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 126 InsO vorausgesetzt wird. Hieraus wird allerdings nicht abzuleiten sein, dass der Insolvenzverwalter zunächst das Verfahren nach § 126 InsO einleiten muss, bevor er die Kündigungen aussprechen darf. Der Gesetzgeber will dem Insolvenzverwalter eine weitere Möglichkeit geben, in einem vom Gericht beschleunigt durchzuführenden Verfahren die soziale Rechtfertigung mehrerer Kündigungen, die aufgrund einer Betriebsänderung notwendig werden, prüfen zu lassen. Zudem widerspräche es den allgemeinen Grundsätzen der Verfahrensökonomie, wäre der Verwalter zunächst gehalten, das Verfahren nach § 126 InsO hinsichtlich aller ausgesprochenen Kündigungen einzuleiten, bevor ihm überhaupt bekannt ist, ob und welche Arbeitnehmer beabsichtigen, Kündigungsschutzklage zu erheben. Eine weitere Antragsvoraussetzung ist die fehlgeschlagene Interessenausgleichsverhand- 168 lung. Es kommt allerdings nicht darauf an, warum kein Interessenausgleich zu Stande gekommen ist. Der Insolvenzverwalter muss jedoch nachweisen, dass bei Vorhandensein eines Betriebsrates dieser rechtzeitig und umfassend nach § 111 Satz 1 BetrVG über die beabsichtigte Betriebsänderung unterrichtet wurde und dass innerhalb von drei Wochen nach tatsächlichem Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen kein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO zu Stande gekommen ist. Der

___________ 166) 167) 168) 169)

BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = NZA 2000, 1180 ff. Vgl. BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289 = NZA 2006, 1352. BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289 = NZA 2006, 1352. BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = NZA 2000, 1180.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

Insolvenzverwalter kann das Verfahren nach § 126 InsO somit auch dann führen, wenn lediglich ein Interessenausgleich ohne Namensliste geschlossen wurde.170) 169 Auch in § 126 InsO wird die Verpflichtung des Insolvenzverwalters wiederholt, den Betriebsrat „rechtzeitig und umfassend zu unterrichten“. Der Betriebsrat muss also auch nach dieser Vorschrift die Möglichkeit haben, auf das „Ob“ und das „Wie“ der geplanten Betriebsänderung Einfluss zu nehmen. Hinsichtlich der Form der Unterrichtung und des Ablaufs der Drei-Wochen-Frist kann auf die Ausführungen zu § 122 InsO verwiesen werden (vgl. Rz. 105 ff.) 170 Tritt der Insolvenzverwalter in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat ein, die entweder bereits der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter oder der Schuldner vor Verfahrenseröffnung begonnen haben, und haben diese vorangegangenen Verhandlungen im Eröffnungsverfahren bereits länger als drei Wochen gedauert, kann er unmittelbar die Zustimmung des ArbG zur vorzeitigen Durchführung der Betriebsänderung nach § 122 Abs. 1 InsO beantragen bzw. das präventive Kündigungsschutzverfahren nach § 126 Abs. 1 InsO einleiten. Zudem wird hinsichtlich des Ablaufs der Drei-Wochen-Frist nicht auf den Zeitpunkt der Einleitung des Beschlussverfahrens, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung im Beschlussverfahren abgestellt (§ 83 ArbGG).171) 171 Gemäß § 122 Abs. 1 Satz 3 InsO bleibt das Recht des Insolvenzverwalters, einen Interessenausgleich nach § 125 InsO zu Stande zu bringen oder einen Feststellungsantrag nach § 126 InsO zu stellen, unberührt. Dies bedeutet, dass der Insolvenzverwalter nach dem Willen des Gesetzgebers das Verfahren nach § 126 InsO zeitgleich mit dem Verfahren auf gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung einleiten kann. Grundsätzlich ist die Reihenfolge der Verfahren nach §§ 122 und 126 InsO beliebig austauschbar. Da die Wirksamkeit der Kündigungen, die Gegenstand des Verfahrens nach § 126 InsO sind, nicht von dem ordnungsgemäßen Versuch eines Interessenausgleiches abhängen, muss das Verfahren nach § 122 InsO nicht dem Verfahren nach § 126 InsO vorausgehen.172) 172 Da nach § 127 InsO das präventive Kündigungsschutzverfahren gemäß § 126 InsO auch für zu diesem Zeitpunkt bereits ausgesprochene Kündigungen geführt werden kann, bleibt es dem Insolvenzverwalter unbenommen, zeitgleich mit dem Antrag auf gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung die vorgesehenen Kündigungen auszusprechen. Es verbleibt jedoch das nicht zu vernachlässigende Risiko, dass das ArbG den Antrag des Insolvenzverwalters nach § 122 InsO auf Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung vor Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen nach § 112 BetrVG zurückweist. Hat in diesem Fall der Insolvenzverwalter die Kündigungen bereits ausgesprochen, ohne dass ein Interessenausgleich zu Stande gekommen ist, drohen Nachteilsausgleichsansprüche gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG.173) 173 Will der Insolvenzverwalter Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer verhindern, sollte die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung gemäß § 122 InsO abgewartet werden, um nicht zu riskieren, dass auch bei erfolgreichem Beschlussverfahren nach § 126 InsO die Kündigungen verfrüht ausgesprochen wurden und Nachteilsausgleichsansprüche begründen.

___________ 170) 171) 172) 173)

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Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 126, 127 Rz. 10. Vgl. Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 126, 127 Rz. 13. Kübler/Prütting/Bork-Moll, InsO, Stand: 11/2013, § 122 Rz. 65. Vgl. Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 126, 127 Rz. 14.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme 2.4

§ 22

Bindungswirkung nach § 127 InsO

Erhebt ein im Verfahren nach § 126 InsO beteiligter Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage, 174 so sind die Feststellungen des Beschlussverfahrens für die Parteien des Kündigungsschutzrechtsstreites bindend, sofern sich die Sachlage nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung nicht wesentlich geändert hat, § 127 Abs. 1 InsO (siehe unten Rz. 177). Die Bindungswirkung nach Absatz 1 umfasst sowohl positive als auch negative Feststellun- 175 gen des Gerichtes. Wird im Beschlussverfahren festgestellt, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, werden im individuellen Kündigungsschutzprozess weder die Betriebsbedingtheit noch die Sozialauswahl geprüft. Die Kündigungsschutzklage kann somit nur auf sonstige Unwirksamkeitsgründe (Nichtzustimmung des Integrationsamtes bei Schwerbehinderung, Missachtung des Mutterschutzes oder Erziehungsurlaubes, nicht ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates) gestützt werden. Hat das ArbG hingegen im Beschlussverfahren entschieden, dass die beantragte Kündigung 176 nicht sozial gerechtfertigt ist, wird sich der Insolvenzverwalter daran auch im individuellen Kündigungsschutzverfahren festhalten lassen müssen, sofern er keine wesentliche Änderung der Sachlage vortragen kann. Die Bindungswirkung entfällt, wenn sich die Sachlage vor Ausspruch der Kündigung we- 177 sentlich geändert hat. Wesentlich ist die Änderung dabei nur, wenn sich die Gesamtlage geändert hat. Dies kann z. B. eintreten, wenn die vom Insolvenzverwalter geplante Betriebsfortführung im Wege der Reorganisation nicht mehr möglich ist, aber gleichzeitig ein potentieller Erwerber gefunden wurde. Die Bindungswirkung entfällt allerdings nur, wenn im Zeitpunkt der Änderung der Sachlage die Kündigung noch nicht ausgesprochen war, da für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Kündigung immer auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung abzustellen ist.174) Im Falle eines Betriebsübergangs gilt die Bindungswirkung für den individuellen Kündi- 178 gungsschutzprozess auch für den Erwerber (§ 128 Abs. 1 Satz 1 InsO), wenn er die Kündigungen ausspricht. Die Bindungswirkung erstreckt sich dann auch auf die Feststellung des Beschlussverfahrens, dass die Kündigung nicht wegen des Betriebsübergangs i. S. des § 613a BGB erfolgt ist (§ 128 Abs. 2 InsO).175) Will der Arbeitnehmer geltend machen, dass die beabsichtigte oder bereits ausgesprochene Kündigung wegen des Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 4 BGB unwirksam ist, muss er diese Einwendungen bereits im Beschlussverfahren erheben.176) Hat der Arbeitnehmer die Kündigung bereits vor der Rechtskraft der Entscheidung des 179 Beschlussverfahrens nach § 126 erhalten und Kündigungsschutzklage erhoben, so wird die Verhandlung über die Kündigungsschutzklage auf Antrag des Verwalters bis zum Abschluss des Beschlussverfahrens nach § 126 InsO ausgesetzt (§ 127 Abs. 2 InsO). Dieser Antrag ist dem Insolvenzverwalter dringend zu empfehlen, da er anderenfalls Gefahr läuft, in beiden Verfahren unterschiedliche Entscheidungen zu erlangen. Ihm bleibt dann nur die Möglichkeit einer Restitutionsklage nach § 580 Abs. 6 ZPO.177) 2.5

Betriebsänderung ohne Interessenausgleich

Lediglich in den Fällen, in denen im Betrieb der Insolvenzschuldnerin weniger als 20 wahl- 180 berechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden oder ein Betriebsrat vor Beginn der Durch___________ 174) 175) 176) 177)

Ständige Rspr., so z. B. BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 127 Rz. 5. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 127 Rz. 5; Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 126, 127 Rz. 43 ff. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 127 Rz. 6; Gallner in: ErfK, § 127 InsO Rz. 5.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

führung der Betriebsänderung nicht gewählt wurde, kann der Insolvenzverwalter sanktionslos die Betriebsänderung durchführen, ohne zuvor einen Interessenausgleich schließen zu müssen. 181 Ist der Insolvenzverwalter jedoch gemäß §§ 111, 112 BetrVG zur Beratung mit dem Betriebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleiches verpflichtet, muss er mit empfindlichen Sanktionen rechnen, wenn er die geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben (§ 113 Abs. 3 BetrVG) oder von dem geschlossenen Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abweicht (§ 113 Abs. 1 BetrVG) und die Arbeitnehmer infolge der Abweichung vom Interessenausgleich andere wirtschaftliche Nachteile erleiden (§ 113 Abs. 2 BetrVG). 2.6

Der Nachteilsausgleich

182 Die Vorschrift des § 113 BetrVG gilt auch im Insolvenzverfahren. Weicht der Insolvenzverwalter im Laufe des Verfahrens von einem geschlossenen Interessenausgleich ab oder unterlässt er den Versuch des Abschlusses eines Interessenausgleiches, haben die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ggf. einen individual-rechtlichen Nachteilsausgleichsanspruch. Bei der Vorschrift des § 113 BetrVG handelt es sich um eine Sanktionsnorm, die betriebsverfassungsrechtliche Rechte des Betriebsrates sichern soll. Als Sanktionsmittel werden allerdings nicht dem Betriebsrat, sondern den Arbeitnehmern individual-rechtliche Ausgleichsansprüche eingeräumt, welche unabhängig vom Verschulden des Insolvenzverwalters und damit ggf. auch unabhängig von Ansprüchen aus einem abgeschlossenen Sozialplan bestehen.178) 2.6.1 Abweichung von einem Interessenausgleich 183 Gemäß § 113 Abs. 1 BetrVG führt aber nicht jede Abweichung von einem Interessenausgleich zu Sanktionen. Bestehen zwingende Gründe für den Insolvenzverwalter, von der geplanten Betriebsänderung abzuweichen, kann dies ggf. ohne die gesetzliche Sanktion des § 113 BetrVG erfolgen. Als zwingende Gründe kommen allerdings nur nachträglich entstandene oder erkennbar gewordene Umstände in Betracht.179) Es müssen zudem zwingende und nicht nur wichtige Gründe vorliegen. Ein zwingender Grund wird dann zu bejahen sein, wenn es dem Insolvenzverwalter nach Treu und Glauben nicht mehr möglich ist, an der Vereinbarung festzuhalten, ihm insbesondere zur Abwendung drohender Gefahren praktisch keine andere Wahl bleibt (z. B. Insolvenz eines Hauptkunden, Verlust von Großaufträgen, Entziehung eines entscheidenden Bankkredites).180) 184 Der Insolvenzverwalter ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass ein zwingender Grund für die Abweichung von dem geschlossenen Interessenausgleich besteht. 185 Die Abweichung vom Interessenausgleich muss nicht zwingend mit einer neuen Betriebsänderung verbunden sein, weshalb auch nicht zwingend ein neuer Interessenausgleich abzuschließen ist. Neue Interessenausgleichsverhandlungen werden jedoch dann erforderlich, falls sich der Insolvenzverwalter statt zur geplanten Betriebsfortführung doch noch zu einer Stilllegung entschließt. Keine Abweichung vom Interessenausgleich liegt allerdings vor, wenn der Insolvenzverwalter die geplante Betriebsänderung schließlich unterlässt, was allerdings in der Praxis selten vorkommen dürfte.181) ___________ 178) 179) 180) 181)

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Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 1 ff. Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 8. Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 8, vgl. auch Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 184. Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 10.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 22

Sollten sich nach Abschluss des Interessenausgleiches Umstände ergeben, die eine Abwei- 186 chung vom Interessenausgleich erfordern, sollte vorsorglich mit dem Betriebsrat erneut verhandelt und ein neuer Interessenausgleich zur Ablösung des alten Interessenausgleiches vereinbart werden. 2.6.2 Unterbliebener Versuch eines Interessenausgleiches Gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG steht der unterbliebene Versuch eines Interessenausgleiches 187 dem Abweichen vom Interessenausgleich gleich. Führt der Insolvenzverwalter ohne ausreichenden Versuch eines Interessenausgleiches die Betriebsänderung durch und erleiden die hierdurch entlassenen Arbeitnehmer wirtschaftliche Nachteile, tritt die Sanktionswirkung des § 113 BetrVG ein. Der Insolvenzverwalter muss, um einen „hinreichenden Versuch“ eines Interessenausgleiches nachweisen zu können, alle Möglichkeiten einer Einigung über den Interessenausgleich ausschöpfen. Das Gesetz verpflichtet den Insolvenzverwalter – wie jeden Arbeitgeber –, mit dem Betriebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleiches mit dem ernsthaften Willen einer Verständigung zu beraten. Der Betriebsrat muss in diesen Beratungen die Möglichkeit haben, Alternativen zu der geplanten Betriebsänderung vorzuschlagen und der Insolvenzverwalter muss sich darauf einlassen und damit argumentativ auseinandersetzen. Können sich Insolvenzverwalter und Betriebsrat nicht auf einen Interessenausgleich ver- 188 ständigen, kann der Insolvenzverwalter entweder unmittelbar die Einigungsstelle anrufen (ohne den Vermittlungsversuch des Präsidenten des Landesarbeitsamtes, § 121 InsO) oder die Zustimmung des ArbG beantragen, dass die Betriebsänderung durchgeführt werden kann, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist (§ 122 InsO). § 122 InsO eröffnet dem Insolvenzverwalter daher die Möglichkeit, nach dreiwöchigen ergebnislosen Verhandlungen über einen Interessenausgleich Betriebsänderungen durchzuführen, ohne die Einigungsstelle anzurufen, wenn er zuvor die Zustimmung des ArbG eingeholt hat. Das Gericht hat nach § 122 Abs. 2 InsO den Antrag vorrangig zu erledigen und die Zustimmung zu erteilen, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer die Durchführung der Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG erfordert (vgl. Rz. 105 ff.). Hat der Insolvenzverwalter die Interessenausgleichsverhandlungen zugleich mit dem Ziel 189 des Abschlusses eines Interessenausgleiches gemäß § 125 Abs. 1 aufgenommen (was empfehlenswert ist, vgl. Rz. 124 ff.), kann er im Falle des Scheiterns dieser Verhandlungen gemäß § 126 InsO beim ArbG beantragen festzustellen, dass die Kündigungen der im Antrag benannten Arbeitsverhältnisse durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt sind. Diese vorgenannten Vorschriften regeln die Abweichungen vom sonst einzuhaltenden Betei- 190 ligungsverfahren, die wegen der Besonderheiten der Insolvenz geboten sind, abschließend.182) Der Insolvenzverwalter sollte zeitgleich mit seinem Antrag beim ArbG gemäß § 122 InsO 191 die Einigungsstelle anrufen. Sollte das ArbG die Zustimmung zur Betriebsänderung versagen, kann ggf. das eingeleitete Einigungsstellenverfahren kurzfristig zu einem Erfolg führen. 2.6.3 Entstehung des Nachteilsausgleichsanspruchs Der Anspruch entsteht, sobald der Insolvenzverwalter mit der Durchführung der Betriebs- 192 änderung begonnen hat, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit einem Betriebsrat versucht zu haben. ___________ 182) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

193 Nach der Rechtsprechung des LAG Berlin-Brandenburg kann die Durchführung auch mit einer unwiderruflichen Freistellung der Arbeitnehmer beginnen.183) In dem entschiedenen Fall hatte der Insolvenzverwalter nach einer Stilllegungsentscheidung die Interessenausgleichsverhandlungen aufgenommen und noch vor Unterzeichnung des Interessenausgleiches alle Arbeitnehmer der Betriebsstätte unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung von Arbeitsleistungen freigestellt. Nach ständiger Rechtsprechung beginnt der Unternehmer mit der Durchführung einer Betriebsänderung, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft.184) Nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg ist die unwiderrufliche Freistellung nicht mehr umkehrbar, da der Arbeitgeber damit selbst bindend erklärt, dass er auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers „für immer“ verzichtet. Anders als im Fall einer widerruflichen Freistellung, über welche das BAG am 30.5.2006 zu entscheiden hatte oder im Fall einer befristeten unwiderruflichen Freistellung, kann der Insolvenzverwalter bei unwiderruflicher Freistellung der Arbeitnehmer einseitig den Betrieb nicht mehr fortführen, da er hierfür das Einverständnis der Arbeitnehmer benötigt.185) Das LAG hat in seiner Entscheidung zwar berücksichtigt, dass der Insolvenzverwalter durch die unwiderrufliche Freistellung vor Abschluss des Interessenausgleiches den Arbeitnehmern die Möglichkeit des Bezuges von Arbeitslosengeld im Wege der sog. Gleichwohlgewährung gemäß § 143 Abs. 3 SGB III (jetzt: § 157 Abs. 1 SGB III) eröffnet hat. Dies wirkt sich nach Auffassung des LAG allenfalls auf die Höhe des Nachteilsausgleiches, nicht jedoch auf den entstandenen Anspruch an sich aus. 194 Auch bei der Betriebsfortführung, die im Insolvenzverfahren regelmäßig nur nach einer Massenentlassung möglich sein wird, ist es oft erforderlich, Arbeitnehmer bereits vor Ausspruch der Kündigung von der Pflicht zur Erbringung von Arbeitsleistungen freizustellen. Es ist davon auszugehen, dass die Gerichte in der unwiderruflichen Freistellung von Arbeitnehmern nicht nur den Beginn einer Betriebsstilllegung, sondern auch den Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung in Form einer Betriebseinschränkung oder Verlegung des Betriebes/Betriebsteilen sehen werden. 195 Will der Insolvenzverwalter vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist gemäß § 122 Abs. 1 InsO Arbeitnehmer von der Pflicht zur Erbringung von Arbeitsleistungen freistellen, um die Insolvenzmasse zu schonen, sollte er den Betriebsrat hierüber gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterrichten und seine Zustimmung einholen. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung zur Freistellung, kann der Insolvenzverwalter im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 85 Abs. 2 AGG i. V. m. §§ 935, 940 ZPO beantragen, ihm zu gestatten, bestimmte Arbeitnehmer bis zum Abschluss des Einigungsstellenverfahrens von der Arbeit freizustellen und zwar vorbehaltlich einer ggf. anderen späteren Regelung durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat oder Spruch der Einigungsstelle.186) 196 Diese Freistellung, die vorbehaltlich einer späteren anderen Regelung, mithin also widerruflich erfolgen sollte, dürfte trotz der geänderten Rechtsprechung zum Nachteilsausgleich bei Freistellung vor Abschluss eines Interessenausgleiches keine Nachteilsausgleichsansprüche begründen.187) 197 Sofern mit der Bundesagentur für Arbeit keine Übereinkunft erzielt werden kann, dass auch im Falle einer widerruflichen Freistellung Arbeitslosengeld gemäß § 157 Abs. 1 SGB III ___________ 183) 184) 185) 186) 187)

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LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 1429. Vgl. BAG, Urt. v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, ZIP 2006, 1510. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 1429. Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, 13. Aufl., §§ 121, 122 Rz. 103 – 104. Vgl. zum Nachteilsausgleich bei unwiderruflicher Freistellung vor Abschluss des Interessenausgleiches LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, rkr., ZIP 2012, 1429 ff.

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§ 22

(vormals § 143 Abs. 3 SGB III – sog. Gleichwohlgewährung) gezahlt wird, sollten die Arbeitnehmer vor Abschluss eines Interessenausgleiches allenfalls befristet unwiderruflich freigestellt werden. 2.6.4 Entlassung von Arbeitnehmern Entlassungen i. S. des § 113 BetrVG sind nicht nur arbeitgeberseitig bedingte Kündigungen, 198 sondern auch Aufhebungsverträge oder Eigenkündigungen von Arbeitnehmern, die aufgrund der beabsichtigten Betriebsänderung vom Arbeitgeber und damit vom Insolvenzverwalter veranlasst wurden.188) Der Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 BetrVG erfasst aber nur solche Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis von der Betriebsänderung unmittelbar nachteilig betroffen sein kann.189) Keine Entlassung liegt vor, wenn i. R. eines Kündigungsschutzverfahrens die Unwirksamkeit 199 der ausgesprochenen Kündigung festgestellt wird, oder die Kündigung vom Insolvenzverwalter im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer zurückgenommen wird.190) 2.6.5 Andere wirtschaftliche Nachteile Werden Arbeitnehmer aufgrund der Abweichung vom Interessenausgleich oder beim unter- 200 bliebenen Versuch des Interessenausgleiches nicht entlassen, hat der Unternehmer gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG ggf. entstehende andere wirtschaftliche Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugleichen. Hierunter können nur vermögensrechtliche Nachteile gefasst werden, wie z. B. erhöhte Fahrtkosten oder Umzugskosten bei Betriebsverlagerungen oder Lohneinbußen bei anderen Arbeitsaufgaben.191) 2.6.6 Höhe des Nachteilsausgleichs und Verhältnis zu einem Sozialplan Werden Arbeitnehmer entlassen, ohne dass der Insolvenzverwalter einen Interessenaus- 201 gleich versucht hat oder weil der Insolvenzverwalter von einem geschlossenen Interessenausgleich ohne zwingenden Grund abgewichen ist, können die Arbeitnehmer eine Abfindung beanspruchen, deren Höhe sich aus § 10 KSchG ergibt. Damit erhält der Arbeitnehmer je nach Lebensalter und Beschäftigungsdauer Abfindungen bis zu 12, 15 oder 18 Monatsverdiensten. Bei der Festlegung der Höhe der jeweiligen Abfindung sind x

das Lebensalter,

x

die Betriebszugehörigkeit und

x

die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt

202

zu berücksichtigen.192) Das Gericht kann darüber hinaus das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens 203 des Insolvenzverwalters berücksichtigen. Dagegen spielen wirtschaftliche Verhältnisse des Arbeitgebers für die Höhe der Abfindung keine Rolle.193) Auch im Insolvenzverfahren gilt § 10 KSchG uneingeschränkt und ist nicht etwa in analoger Anwendung des § 123 InsO auf zweieinhalb Monatsverdienste begrenzt.194) ___________ 188) 189) 190) 191) 192) 193) 194)

Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 21 ff. BAG, Urt. v. 22.1.2013 – 1 AZR 873/11, DB 2013, 1500. BAG, Urt. v. 14.12.2004 – 1 AZR 504/03, ZIP 2005, 1174. Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 24 ff. BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99. Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 30. BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

204 Umstritten ist, ob der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers aus einem Sozialplan auf den Anspruch auf Nachteilsausgleich anzurechnen ist. BAG195) und LAG Berlin-Brandenburg196) bejahen eine Anrechnung, allerdings nur, sofern die Sozialplanabfindung bereits ausgezahlt wurde. Andererseits wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass mit der Möglichkeit der Anrechnung der Sanktionscharakter des Nachteilsausgleiches geschmälert würde.197) 205 Im Sozialplan sollte konkret vereinbart werden, dass und in welcher Höhe Ansprüche aus dem Sozialplan auf Abfindungsansprüche aus einem gerichtlichen Vergleich im Kündigungsschutzverfahren, auf evtl. gerichtlich festgesetzte Abfindungen (§§ 9, 10 KSchG), auf Abfindungen gemäß § 1a KSchG198) und auch den Nachteilsausgleich (§ 113 BetrVG) anrechenbar sind (siehe auch Rz. 227). 2.6.7 Nachteilsausgleich als Masseverbindlichkeit 206 Nachteilsausgleichsansprüche sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und können im Wege der Leistungsklage gegen den Insolvenzverwalter verfolgt werden, wenn das betriebsverfassungswidrige Verhalten des Insolvenzverwalter der Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuzuordnen ist. x

Wird der Anspruch auf Nachteilsausgleich zwar nach Verfahrenseröffnung, aber vor einer Masseunzulänglichkeitsanzeige des Insolvenzverwalters begründet, ist der Anspruch im Wege der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend zu machen, da nach § 210 InsO die Vollstreckung einer zuvor begründeten Masseverbindlichkeit nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig ist.

x

Wird der Anspruch auf Nachteilsausgleich aber erst nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige begründet, handelt es sich um Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die regelmäßig im Wege der Leistungsklage verfolgt werden können.199)

2.7

Betriebsveräußerung nach § 128 InsO

207 Gemäß § 128 Abs. 1 sind die Vorschriften der §§ 125 – 127 (Interessenausgleich mit Namensliste, Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz, Bindungswirkung des Beschlussverfahrens) auch dann anwendbar, wenn die im Interessenausgleich zwischen den Betriebsparteien oder dem Feststellungsantrag nach § 126 InsO zu Grunde liegende Betriebsänderung erst nach einer Betriebsveräußerung durchgeführt werden soll. 208 Gemäß § 128 Abs. 2 InsO erstreckt sich die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO, sowie die gerichtliche Feststellung gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO auch darauf, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsüberganges erfolgt ist. Der Arbeitnehmer trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast, dass ein Betriebsübergang vorliegt und die Kündigung wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen wurde und deshalb gegen § 613a Abs. 4 BGB verstößt. Die ohnehin für den Arbeitnehmer bestehende Darlegungs- und Beweislast wird durch § 128 InsO verstärkt, da durch diese Vorschrift der ansonsten ausreichende Anscheinsbeweis entkräftet wird.200) 209 Die Vermutungswirkung setzt voraus, dass Insolvenzverwalter und Betriebsrat den Interessenausgleich gemäß § 125 InsO bereits vor dem Betriebsübergang abgeschlossen haben ___________ 195) 196) 197) 198) 199) 200)

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BAG, Urt. v. 24.8.2006 – 8 AZR 317/05, NZA 2007, 1287. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 1429. Vgl. Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 32 ff. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.7.2015 – 8 Sa 531/15, n. rkr., ZIP 2015, 1997. BAG, Urt. v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, ZIP 2006, 1510. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 260.

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§ 22

oder der Feststellungsantrag nach § 126 gestellt wurde. Im Interessenausgleich oder im Beschlussverfahren nach § 126 muss zudem auf die Betriebsveräußerung hingewiesen werden, wenn nicht riskiert werden soll, dass durch eine Änderung der Sachlage die Bindungswirkung entfällt (§§ 125 Abs. 1 Satz 2; 127 Abs. 1 Satz 2). Gemäß § 279 InsO gilt die Vorschrift des § 128 InsO auch bei der Eigenverwaltung 210 (§ 270 InsO). An die Stelle des Insolvenzverwalters tritt jedoch der Schuldner, der seine Rechte nach dieser Vorschrift im Einverständnis mit dem Sachwalter ausüben soll. Der vorläufige Insolvenzverwalter hingegen kann die Vorschrift des § 128 InsO nicht für 211 sich in Anspruch nehmen. Die Vorschriften des 3. Teils der InsO gelten nur im eröffneten Insolvenzverfahren. 2.8

Sozialplan nach §§ 123, 124 InsO

Während im Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat geregelt 212 wird, wie im Einzelnen die geplante Betriebsänderung durchgeführt werden soll, regelt der Sozialplan den Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsänderung entstehen.201) Im Gegensatz zum Interessenausgleich ist ein Sozialplan unter den Voraussetzungen des 213 § 112 Abs. 4 bzw. § 112a BetrVG erzwingbar. Voraussetzung für die Aufstellung eines Sozialplanes ist die Existenz eines Betriebsrates. 214 Ein existierender Gesamtbetriebsrat ist nur zuständig, wenn betriebsübergreifende Regelungen getroffen werden müssen. Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates für die Vereinbarung eines Interessenausgleiches folgt allerdings nicht zwangsläufig die gesetzliche Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplanes. Dafür ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 BetrVG gesondert zu prüfen. Nach § 50 Abs. 1 BetrVG i. V. m. § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren, wenn sich die geplante Maßnahme auf alle oder mehrere Betriebe auswirkt und deshalb einer einheitlichen Regelung bedarf. Dies kann im Fall der Betriebsfortführung bei einer Zusammenlegung von Betrieben der Fall sein.202) Regelt ein mit dem Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 BetrVG vereinbarter Interessen- 215 ausgleich Betriebsänderungen, die einzelne Betriebe unabhängig voneinander betreffen oder solche, die sich auf einen Betrieb beschränken, ist ein unternehmensweit zu findender Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile im Sozialplan nicht zwingend. Erfassen die im Interessenausgleich vereinbarten Betriebsänderungen mehrere oder gar sämtliche Betriebe des Unternehmens und ist die Durchführung des Interessenausgleichs abhängig von betriebsübergreifend einheitlichen Kompensationsregelungen in dem noch abzuschließenden Sozialplan, so kann diese Aufgabe von den Betriebsräten der einzelnen Betriebe nicht mehr wahrgenommen werden; sie ist dem Gesamtbetriebsrat zugewiesen.203) Der Sozialplan ist eine Betriebsvereinbarung besonderer Art gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 216 BetrVG und bedarf gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG der Schriftform, wobei die schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden kann. Insbesondere muss die Unterzeichnung auf derselben Urkunde erfolgen.204) Gemäß § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG ist ein Sozialplan erzwingbar im Falle einer Betriebsän- 217 derung gemäß § 111 BetrVG. Besteht die geplante Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG ___________ 201) 202) 203) 204)

Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 123 Rz. 4; Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 123, 124 Rz. 9 ff. BAG, Urt. v. 24.1.1996 – 1 AZR 542/95, ZIP 1996, 1391. BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rz. 129, § 77 Rz. 21.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

allein in einem Personalabbau, so findet § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG nur Anwendung, wenn die Grenzwerte des § 112a BetrVG überschritten werden, wobei auch ein stufenweiser Personalabbau erzwingbar sozialplanpflichtig sein kann, wenn er auf einer einheitlichen unternehmerischen Entscheidung beruht. Zu beachten ist, dass nach § 112a BetrVG auf die Unternehmensgröße abzustellen ist, während § 17 KSchG hinsichtlich einer interessenausgleichspflichtigen Maßnahme auf die Betriebsgröße abstellt. In Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern müssen für eine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG durch alleinigen Personalabbau mindestens sechs Arbeitnehmer betroffen sein.205) Wann eine Betriebsänderung in Form von Personalreduzierungen nur interessenausgleichspflichtig und wann auch sozialplanpflichtig ist, kann der Übersicht von Annuß entnommen werden.206) 218 Ist ein Sozialplan nicht erzwingbar, sollte der Insolvenzverwalter auch keinen Sozialplan aufstellen, da er sich ansonsten schadenersatzpflichtig gemäß § 60 InsO machen könnte.207) 219 In einem Sozialplan werden regelmäßig Abfindungszahlungen für die Arbeitnehmer vereinbart, die aufgrund der geplanten Betriebsänderung entlassen werden müssen. Entlassungen i. S. des § 123 InsO sind dabei nicht nur die vom Insolvenzverwalter ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen, sondern auch Aufhebungsverträge, die auf Veranlassung des Insolvenzverwalters wegen der Betriebsänderung mit den Arbeitnehmern geschlossen werden (§ 112a Abs. 1 Satz 2 BetrVG) und ggf. auch Eigenkündigungen der Arbeitnehmer, soweit nachweisbar ist, dass der Arbeitnehmer mit der Eigenkündigung lediglich einer beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung durch den Insolvenzverwalter zuvorgekommen ist. Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis, weil ihm die Situation des Betriebes unsicher erscheint, er hingegen ein anderes Arbeitsangebot erhalten hat, ist das nicht ausreichend, um diesen Arbeitnehmer zum Kreis der Berechtigten hinzuzuziehen.208) Nach der Entscheidung des BAG liegt eine Veranlassung zur Eigenkündigung oder zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages nur dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung bestimmt, selbst zu kündigen oder einen Aufhebungsvertrag zu schließen, um so eine ansonsten notwendig werdende Kündigung zu vermeiden. Ein bloßer Hinweis des Arbeitgebers auf eine unsichere Lage des Unternehmens, auf notwendig werdende Betriebsänderungen oder der Rat, sich eine neue Stelle zu suchen, genügt nicht. 2.8.1 Absolute Obergrenze 220 Nach § 123 Abs. 1 InsO kann in einem Sozialplan, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellt wird, ein Gesamtbetrag von bis zu zweieinhalb Monatsverdiensten der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen werden (absolute Obergrenze). Die Berechnung des der Abfindung zu Grunde liegenden Monatsverdienstes richtet sich nach § 10 Abs. 3 KSchG. Demgemäß sind bei der Berechnung des Monatsverdienstes sämtliche Geld- und Sachleistungen, die dem betroffenen Arbeitnehmer unter Berücksichtigung seiner regelmäßigen Arbeitszeit zustehen, zu beachten. Hierzu zählen x neben dem monatlichen Gehalt, x

dem Stundenlohn,

x

dem Fixum oder Akkordverdienst

auch Zulagen und Zuschläge, wie z. B. Erschwerniszuschläge, Schicht- und Nachtarbeitszuschläge, Gefahrenzulagen. ___________ x

205) 206) 207) 208)

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BAG, Urt. v. 9.11 2010 – 1 AZR 708/09, ZIP 2011, 730 = NZA 2011, 466. Richardi-Annuß, BetrVG, § 112a Rz. 9 – 11. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 123 Rz. 2. Vgl. BAG, Urt. v. 19.7.1995 – 10 AZR 885/94, ZIP 1995, 1915.

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§ 22

Nicht zu berücksichtigen sind reine Aufwandsentschädigungen wie z. B. Fahrtkostener- 221 stattung und Spesen. Unregelmäßig geleistete Überstunden werden nicht berücksichtigt. Kurzarbeit wirkt sich 222 nicht anspruchsmindernd aus. Sonderzuwendungen mit Entgeltcharakter (13. Monatsgehalt) werden anteilig hinzu gerechnet. Für die Bestimmung des Monatsverdienstes gilt der Monat, in dem das jeweilige Arbeits- 223 verhältnis des einzelnen Arbeitnehmers endet. Hinsichtlich der regelmäßigen Arbeitszeit ist auf die individuelle und nicht betriebsübliche Arbeitszeit abzustellen. Die so ermittelten einzelnen Monatsverdienste der Arbeitnehmer werden addiert und mit dem Faktor 2,5 multipliziert, um die Obergrenze zu errechnen. Umstritten ist, ob bei der Berechnung des Gesamtvolumens für den Sozialplan gemäß 224 § 123 Abs. 1 InsO auch die Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind, die zwar wegen der geplanten Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile erleiden, aber nicht entlassen werden. Hierzu zählen z. B. Arbeitnehmer, die wegen einer Zusammenlegung von Betrieben versetzt werden und höhere Fahrtkosten in Kauf nehmen müssen oder wegen veränderter Arbeitsaufgaben geringeres Entgelt erzielen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist ein Gesamtbetrag von bis zu zweieinhalb Monatsverdiensten der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen. Bei einschränkender Auslegung führt dies dazu, dass § 123 InsO auf den Ausgleich „sonstiger Nachteile“ nicht anwendbar und die Obergrenze für diese Fälle nicht zu berücksichtigen wäre. Damit müsste der Insolvenzverwalter die den Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehenden „sonstigen Nachteile“ durch freiwillige Sozialplanleistungen ausgleichen, welche unzulässig und für den Insolvenzverwalter haftungsrelevant sind. Es ist deshalb von einer planwidrigen Gesetzeslücke auszugehen, die durch eine analoge Anwendung des § 123 Abs. 1 InsO zu schließen ist.209) § 123 Abs. 1 InsO wird deshalb dergestalt auszulegen sein, dass bei der Ermittlung des Sozialplanvolumens sowohl die Arbeitnehmer, die wegen der Betriebsänderung entlassen werden müssen, als auch die Arbeitnehmer, die in sonstiger Weise wirtschaftliche Nachteile wegen der Betriebsänderung erleiden, zu berücksichtigen sind.210) Wird die absolute Obergrenze überschritten, ist der Sozialplan gemäß § 134 BGB nichtig. 225 Ob eine Gesamtnichtigkeit vorliegt, oder eine sog. geltungserhaltende Reduktion erfolgt, wird unterschiedlich beantwortet. Einerseits wird vertreten, dass der gesamte Sozialplan nichtig ist und von den Betriebsparteien neu verhandelt werden muss. Andererseits soll die Überschreitung der absoluten Obergrenze des Sozialplanvolumens nicht zu einer Gesamtnichtigkeit des Sozialplanes führen, wenn entsprechend § 140 BGB die Verteilungsmaßstäbe des Sozialplanes erkennbar sind, diese von einer Reduzierung des Sozialplanvolumens unberührt bleiben und Anhaltspunkte bestehen, dass die Beteiligten den Sozialplan bei einem reduzierten Volumen mit gleichen Verteilungsmaßstäben abgeschlossen hätten. In diesem Fall ist der Sozialplan mit dem Volumen aufrechtzuerhalten, welches § 123 Abs. 1 InsO entspricht.211) Zobel sieht sogar die Gefahr, dass die Behauptung aufgestellt werden kann, die Überschreitung der Obergrenze sei gewollt und die Betriebsvereinbarung sei hinsichtlich des überschreitenden Teils als freiwillige Betriebsvereinbarung zu bewerten, die dann Haftungsansprüche gegen den Insolvenzverwalter auslösen würde (§ 60 InsO).212) Regelmäßig wird die geltungserhaltende Reduktion statt der erneuten Verhandlung eines Sozialplanes anzustreben sein, damit die Arbeitnehmer schnell Klarheit über die Höhe der ___________ 209) 210) 211) 212)

Vgl. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a, Rz. 308 m. w. N. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 206. ArbG Düsseldorf, Beschl. v. 24.4.2006 – 2 BV 2/06, DB 2006, 1384. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 226.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

zu beanspruchenden Abfindung aus einem Sozialplan haben, was sich positiv auf Vergleichsgespräche in Kündigungsschutzverfahren auswirkt. 226 Zur Vermeidung eines nichtigen Sozialplanes sollte eine eindeutige Regelung aufgenommen werden, dass zwischen beiden Parteien beabsichtigt ist, die gesetzliche Höchstgrenze gemäß § 123 Abs. 1 InsO nicht zu überschreiten und welche Wirkung eintreten soll, falls die Obergrenze dennoch ungewollt überschritten wurde. 227 Zwischen einer Sozialplanabfindung und einer Abfindung wegen betriebsbedingter Kündigung gemäß § 1a KSchG besteht keine generelle Anspruchskonkurrenz. Dies hat das LAG Berlin-Brandenburg mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 10.7.2015 entschieden und dabei ausgeführt, dass der Kläger sowohl eine Abfindung nach § 1a Abs. 1 KSchG als auch in gleicher Höhe aus einem Interessenausgleich beanspruchen kann, da die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit einem Hinweis nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG verbunden gekündigt hatte und der Interessenausgleich keine sog. Anrechnungsklausel enthält, nach der Abfindungen nach § 1a KSchG auf Abfindungen aus dem Interessenausgleich angerechnet werden könnten. Da auch eine gesetzliche Regelung über das Verhältnis des Anspruchs nach § 1a KSchG zu einem Anspruch aus einem Sozialplan fehlt, kann nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg angesichts des weiteren Gesetzeszweckes eine generelle Anspruchskonkurrenz nicht angenommen werden (vom BAG offengelassen)213), so dass eine Anspruchskonkurrenz im Sozialplan geregelt werden muss.214) 2.8.2 Relative Obergrenze 228 Nach § 123 Abs. 2 InsO darf für die Berichtigung von Sozialplanforderungen, wenn ein Insolvenzplan nicht zustande kommt, nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden, die ohne den Sozialplan für die Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung stünde (relative Obergrenze). 229 Übersteigt der Gesamtbetrag aller Sozialplanforderungen diese Grenze, sind die einzelnen Forderungen anteilig zu kürzen. In der Literatur wird teilweise vertreten, dass der wegen der Kürzung ggf. verbleibende Differenzbetrag nach Abschluss des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzschuldner geltend gemacht werden kann (§§ 215 Abs. 2, 201 Abs. 1 InsO).215) 230 Beim Zustandekommen eines Insolvenzplanes findet zwar die absolute, nicht jedoch die relative Obergrenze des Sozialplanvolumens Anwendung. Nur § 123 Abs. 2 InsO verweist auf den Wegfall der Grenze, wenn ein Insolvenzplan zustande kommt.216) 2.8.3 Verteilung des Sozialplanvolumens 231 Bei der Verteilung des Sozialplanvolumens haben die Betriebsparteien insbesondere § 75 BetrVG zu beachten, wonach alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden müssen, insbesondere jede Benachteiligung von Personen aus Gründen x ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, x ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, x ihrer Nationalität, x ihrer Religion oder Weltanschauung, ___________ 213) BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, ZIP 2008, 90. 214) LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.7.2015 – 8 Sa 531/15, ZIP 2015, 1997, Rev. anhängig: 2 AZR 536/15. 215) Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 123, 124 Rz. 23; a. A. Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 201 Rz. 3, der das Nachforderungsrecht nur für Insolvenzgläubiger sieht. 216) So auch Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 123, 124 Rz. 42.

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x ihrer Behinderung, x ihres Alters, x ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder x ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleiben muss. Bei der Verteilung des Sozialplanvolumens sind nach der Rechtsprechung insbesondere 232 Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, Teilzeitbeschäftigung und Schwerbehinderteneigenschaft zu berücksichtigen. Jedoch müssen die Abfindungen nicht nach bestimmten Formeln berechnet werden, sondern können auch für jeden Arbeitnehmer einzeln individuell bestimmt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG haben die Betriebspartner bei der Aufstellung 233 der Verteilungsregelungen im Sozialplan einen weiten Ermessensspielraum in den Grenzen von Recht und Billigkeit. Sozialpläne haben nach der ständigen Rechtsprechung des BAG eine zukunftsbezogene 234 Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die von ihnen vorgesehenen Leistungen stellen kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste dar, sondern sollen die künftigen Nachteile ausgleichen, die dem Arbeitnehmer durch die Betriebsänderung entstehen können.217) Daher ist es unzulässig, in einem Sozialplan ausschließlich auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit des jeweils betroffenen Arbeitnehmers abzustellen.218) Arbeitnehmer, auf deren Arbeitsverhältnis der Kündigungsschutz noch keine Anwendung findet, sind nicht vom Kreis der Berechtigten auszuschließen. Ausschließlich auf die Betriebszugehörigkeit abzustellen ist allerdings nur dann unbedenklich, wenn sich die übrigen sozialplanrelevanten Faktoren wie etwa Lebensalter und Unterhaltspflichten nicht wesentlich unterscheiden.219) Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG ist auch die Beschäftigungsdauer ein grundsätzlich zulässiges Kriterium für die Bemessung der Abfindung. Zwar ist der Zweck einer Abfindung auf die künftige Lage der Arbeitnehmer bezogen, wofür die Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht ausschlaggebend ist, jedoch muss berücksichtigt werden, dass mit zunehmender Betriebszugehörigkeit einerseits die berufliche Qualifikation steigt, andererseits sich die Chancen auf dem Arbeitsmarkt mindern.220) Auch hängt der Umfang erworbener Besitzstände vor allem von der Dauer der Beschäftigung ab. Der Verlust von Besitzständen ist ein auch noch nach dem Ausscheiden fortwirkender Nachteil. Angesichts der Unsicherheit über den genauen Umfang der im Einzelfall zu erwartenden Nachteile hat der Rückgriff auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit den Vorzug hoher Transparenz und Praktikabilität. Durch ihn wird damit die Sozialplanabfindung noch nicht zu einer bloßen Entschädigung für den Verlust des Besitzstandes oder zu einer nachträglichen Vergütung der in der Vergangenheit geleisteten Dienste.221) Die Zahlung einer Sozialplanabfindung darf auch nicht davon abhängig gemacht werden, 235 dass der Arbeitnehmer gegen die ausgesprochene Kündigung nicht gerichtlich vorgeht. Die Betriebsparteien können aber zusätzlich zu einem Sozialplan in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung sog. „Turboprämien“ vereinbaren für den Fall, dass der Arbeitnehmer von

___________ 217) BAG, Urt. v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, ZIP 2009, 336; BAG, Urt. v. 20.1.2009 – 1 AZR 740/07, NZA 2009, 495. 218) Vgl. BAG, Beschl. v. 14.9.1994 – 10 ABR 7/94, ZIP 1995, 771 = NZA 1995, 440. 219) BAG, Urt. v. 12.11.2002 – 1 AZR 58/02, ZIP 2003, 1463 = NZA 2003, 1287. 220) BAG, Urt. v. 14.8.2001 – 1 AZR 760/00, ZIP 2002, 94. 221) BAG, Urt. v. 12.11.2002 – 1 AZR 58/02, ZIP 2003, 1463 = NZA 2003, 1287.

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einer Kündigungsschutzklage absieht.222) Es ist zulässig, die Fälligkeit der Sozialplanabfindung von dem rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsschutzverfahrens abhängig zu machen.223) Das BAG hat mit Urteil vom 8.12.2015224) entschieden, dass ein Sozialplan die Zahlung einer Abfindung auf Arbeitnehmer beschränken kann, die wegen der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Hingegen darf eine Betriebsvereinbarung, nach der Arbeitnehmer eine Sonderprämie erhalten, wenn sie auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichten, nicht solche Arbeitnehmer ausschließen, die im Anschluss an ihre Entlassung anderweitig beschäftigt werden und von der Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens absehen. 236 Die Betriebsparteien können in einem Sozialplan eine Stichtagsregelung vereinbaren, die diejenigen Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ausnimmt, die auf eigene Veranlassung ihr Arbeitsverhältnis beenden, bevor das Ausmaß einer sie treffenden Betriebsänderung konkret absehbar und der Umfang der daran anknüpfenden wirtschaftlichen Nachteile prognostizierbar ist.225) 237 Zulässig ist es, Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen auszunehmen, die einen angebotenen zumutbaren Arbeitsplatz ablehnen.226) Dies gilt auch für den Fall, dass ein Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB auf den Betriebserwerber widerspricht, da der Erhalt des Arbeitsplatzes bei dem Betriebserwerber nach einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Regel als zumutbar angesehen wird.227) Allerdings ist es nicht zulässig, die Zahlung der Sozialplanabfindung vom Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem Betriebsübernehmer abhängig zu machen.228) 238 In einem Sozialplan können Arbeitnehmer von Abfindungsleistungen ausgeschlossen werden, die nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I rentenberechtigt sind und zuvor die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses an einem anderen Unternehmensstandort abgelehnt haben.229) Sozialpläne können auch geringere Abfindungen für Arbeitnehmer in rentennahen Jahrgängen vorsehen.230) 239 Es verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn die Zahlung eines Zuschlages für unterhaltsberechtigte Kinder von deren Eintragung auf der Lohnsteuerkarte abhängig gemacht wird.231) 240 Zulässig ist es, bei der Bemessung der Sozialplanabfindung Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung gesondert zu berücksichtigen.232) 241 Eine unmittelbar an die Behinderung knüpfende Bemessung einer Sozialplanabfindung ist unwirksam, wenn sie schwerbehinderte Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern, die in gleicher Weise wie sie von einem sozialplanpflichtigen Arbeitsplatzverlust betroffen ___________ 222) Vgl. BAG, Urt. v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, ZIP 2005, 1468; BAG, Urt. v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438. 223) Vgl. BAG, Urt. v. 20.6.1985 – 2 AZR 427/84, NZA 1986, 258. 224) BAG, Urt. v. 8.12.2015 – 1 AZR 595/14, ZIP 2015, A 99. 225) BAG, Urt. v. 12.4.2011 – 1 AZR 505/09, ZIP 2011, 2074. 226) BAG, Urt. v. 19.10.1999 – 1 AZR 838/98, ZIP 2000, 815 = NZA 2000, 732; LAG Köln, Urt. v. 4.12.2000 – 8 Sa 914/00, ZInsO 2001, 1072. 227) Vgl. Uhlenbruck-Zobel, InsO, §§ 123, 124 Rz. 30. 228) LAG Baden-Württemberg 16.9.1997 – 8 Sa 77/97, NZA-RR 1998, 358. 229) BAG, Urt. v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, ZIP 2015, 492, dazu EWiR 2015, 361 (Schewiola). 230) BAG, Urt. v. 20.1.2009 – 1 AZR 740/07, NZA 2009, 495; vgl. zu Ausschluss rentennaher Jahrgänge auch LAG Hamm, Urt. v. 29.8.2012 – 4 Sa 668/11, openJur 2013, 5244. 231) BAG, Urt. v. 12.3.1997 – 10 AZR 648/96, NZA 1997, 1058; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.2.2013 – 11 Sa 130/12, openJur 2013, 27520. 232) BAG, Urt. v. 13.2.2007 – 9 AZR 729/05, NZA 2007, 860.

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sind, schlechter stellt. In der Regelung über den pauschalierten Abfindungsbetrag für Arbeitnehmer die wegen ihrer Schwerbehinderung rentenberechtigt sind, liegt eine unmittelbar an das Merkmal der Behinderung knüpfende Ungleichbehandlung.233) Der vollständige Ausschluss der Arbeitnehmer von Sozialplanabfindungsansprüchen, die 242 das sofortige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und dem Wechsel in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft durch den Abschluss eines Dreiseitigen Vertrages abgelehnt haben, verstößt gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Sinn und Zweck des Sozialplanes ist es nicht, dem Insolvenzverwalter die Durchführung des Insolvenzverfahrens zu erleichtern und ihm Kosten durch ein vorzeitiges Ausscheiden der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis zu ersparen, so dass diese Umstände die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer wegen des Wechsels bzw. dessen Ablehnung sachlich nicht rechtfertigen können.234) 2.8.4 Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans Der Sozialplan muss nicht wie der Interessenausgleich vor Beginn der Betriebsänderung 243 abgeschlossen sein. Es ist sogar für den Insolvenzverwalter ratsam, den Sozialplan erst nach Durchführung der Betriebsänderung abzuschließen, da zu diesem Zeitpunkt die tatsächlich für die einzelnen Arbeitnehmer mit der Betriebsänderung entstehenden Nachteile besser erkennbar sind. Zudem ist der Umfang der Insolvenzmasse, die der Verteilung für Sozialplanansprüche zur Verfügung steht, im weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens besser absehbar, wobei der tatsächliche Umfang ja sogar erst im Schlusstermin feststeht. Ein späterer Abschluss des Sozialplanes kann auch vor zu frühen Abschlagszahlungen schützen. Der Insolvenzverwalter soll gemäß § 123 Abs. 3 InsO mit Zustimmung des Insolvenzge- 244 richtes Abschlagszahlungen auf die Sozialplanforderungen leisten, so oft hinreichende Barmittel in der Masse vorhanden sind. Die Abschlagszahlung kann sowohl von den Arbeitnehmern, als auch vom Gläubigerausschuss, dem der Betriebsrat angehören kann, gefordert werden, was regelmäßig erfolgt, sobald ein Sozialplan abgeschlossen ist. Zwar handelt es sich bei der Vorschrift des § 123 Abs. 3 InsO um eine Sollvorschrift, weshalb auch eine Zwangsvollstreckung in die Masse wegen einer Sozialplanforderung unzulässig ist, dies hindert Arbeitnehmer und Betriebsrat gleichwohl nicht, Abschlagszahlungen zu fordern, insbesondere dann, wenn das Insolvenzverfahren noch längere Zeit nach Abschluss des Sozialplanes andauert. Regelmäßig fordern Betriebsräte und ihre Vertreter allerdings die zeitgleiche Verhandlung 245 von Interessenausgleich und Sozialplan und nutzen dies als Druckmittel insbesondere dann, wenn vom Insolvenzverwalter ein Interessenausgleich mit Namensliste angestrebt wird. Der Betriebsrat kann jedoch überzeugt werden, dass ein späterer Abschluss des Sozialplanes wegen der dann besser erkennbaren tatsächlichen Nachteile der Arbeitnehmer sachdienlicher ist. Dies wird vom Betriebsrat erfahrungsgemäß akzeptiert, wenn im Interessenausgleich eine Regelung dahingehend aufgenommen wird, in welcher konkreten Höhe (Anzahl der Gehälter der betroffenen Arbeitnehmer) das Sozialplanvolumen innerhalb der absoluten Höchstgrenze gebildet wird. Der Abschluss des Sozialplanes erst nach Durchführung der Betriebsänderung ist auch 246 gerade unter Beachtung der Haftungsbeschränkungen des § 613a Abs. 2 BGB bei einer geplanten Betriebsveräußerung im Insolvenzverfahren empfehlenswert. Die Verbindlichkeiten aus einem Sozialplan im Insolvenzverfahren sind Masseverbindlichkeiten (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die relative Begrenzung des Sozialplanvolumens (§ 123 Abs. 2 Satz 2 InsO) ___________ 233) BAG, Urt. v. 17.11.2015 – 1 AZR 938/13, APNews 2015, 287. 234) LAG Hamm, Urt. v. 14.5.2014 – 2 Sa 1652/13, ZIP 2015, 193, dazu EWiR 2015, 161 (Grimm).

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hat zur Folge, dass die Sozialplanforderungen im Nachrang zu herkömmlichen Masseforderungen stehen, d. h. nur erfüllt werden können, wenn die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) und die sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) berichtigt werden konnten. Führt die hiernach für die Insolvenzgläubiger verbleibende Teilungsmasse zur Kürzung der Sozialplanforderungen gemäß § 123 Abs. 2 Satz 3 InsO, besteht das Risiko, dass die Zahlung des gekürzten Teilbetrages des Sozialplanes vom Betriebserwerber gefordert werden kann. In der Praxis wird oft davon ausgegangen, dass die Haftung gemäß § 613a Abs. 2 BGB in der Insolvenz beschränkt ist auf die Ansprüche von Gläubigern für den Zeitraum nach dem Betriebsübergang bzw. nach Übernahme der Leitungsmacht und dass Masseforderungen gemäß § 55 InsO für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber vor Übernahme der Leitungsmacht durch den Betriebserwerber, nicht gegenüber Letzterem geltend gemacht werden können. Das BAG hat aber u. a. mit Urteil vom 22.10.2009235) entschieden, dass der Betriebserwerber auch in die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs zwar gekündigten, aber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist noch bestehenden Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten eintritt (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). Hierzu gehöre nach der zitierten Entscheidung des BAG auch der beim früheren Betriebsinhaber begründete Annahmeverzug und gelte gleichfalls, wenn ein Erwerber den Betrieb in der Insolvenz übernimmt. Aus dieser Rechtsprechung des BAG wird auch abzuleiten sein, dass verbleibende Sozialplandifferenzen, welche Masseverbindlichkeiten sind, vom Betriebserwerber gefordert werden können, vorausgesetzt der Sozialplan wurde nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen und das Arbeitsverhältnis des von der Kürzung betroffenen Arbeitnehmers nach dem Betriebsübergang beendet. 2.8.5 Widerruf des Sozialplans 247 Ein Sozialplan, der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch nicht früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden ist, kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Betriebsrat widerrufen werden (§ 124 Abs. 1 InsO). 248 Für die Ausübung des Widerrufsrechtes bedarf es keines Grundes. Der Widerruf ist deshalb auch nicht zu begründen; er ist an keine Form und Frist gebunden. Der Widerruf kann allerdings verwirkt werden. Das LAG Köln sieht das für die Verwirkung neben dem Umstandsmoment erforderliche Zeitmoment nach Ablauf von über einem Jahr nach Insolvenzeintritt als gegeben an.236) 249 Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, einen Sozialplan, welcher innerhalb von drei Monaten vor Eröffnungsantrag vereinbart wurde, zu widerrufen. Durch den Widerruf werden die sich aus dem widerrufenen Sozialplan ergebenden Ansprüche gegenstandslos. Die in dem widerrufenen Sozialplan aufgestellten Verteilungskriterien sind obsolet.237) Wird der Sozialplan nicht widerrufen, bleiben die Sozialplanforderungen aus diesem Sozialplan als Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO bestehen.238) 250 Für den Widerruf des Sozialplanes durch den Insolvenzverwalter ist auch nicht entscheidend, ob dieser Sozialplan die Obergrenzen gemäß § 123 InsO einhält und ob der Insolvenzverwalter diesen Sozialplan evtl. in seiner Funktion als vorläufiger Insolvenzverwalter selbst abgeschlossen hat. Ausschlaggebend für den Widerruf durch den Insolvenzverwalter ist, ob Forderungen aus dem vorinsolvenzlichen Sozialplan bereits erfüllt wurden. Gemäß § 124 Abs. 3 InsO können Leistungen, die ein Arbeitnehmer vor der Eröffnung des Verfahrens ___________ 235) 236) 237) 238)

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BAG, Urt. v. 22.10.2009 – 8 AZR 766/08, ZIP 2010, 849. LAG Köln, Beschl. v. 17.10.2002 – 5/4 TaBV 44/02, NZI 2003, 335. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 237. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 234 m. w. N.

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auf seine Forderung aus dem widerrufenen Sozialplan erhalten hat, nicht wegen des Widerrufs zurückgefordert werden. Wird im Insolvenzverfahren ein neuer Sozialplan aufgestellt, so können die Arbeitnehmer, die bereits unter den Geltungsbereich des vorinsolvenzlichen Sozialplanes fielen, erneut bei der Aufstellung des Sozialplanes im Insolvenzverfahren berücksichtigt werden (§ 124 Abs. 2 InsO). Hat ein Arbeitnehmer aus dem widerrufenen vorinsolvenzlichen Sozialplan bereits Leis- 251 tungen erhalten und wird er im Sozialplan nach Verfahrenseröffnung wieder berücksichtigt, ist die Abfindung, die er bereits aus dem vorinsolvenzlichen Sozialplan erhalten hat, bei der Berechnung des Gesamtbetrages der Sozialplanforderung im Insolvenzverfahren nach § 123 Abs. 1 InsO bis zur Höhe von zweieinhalb Monatsverdiensten abzusetzen. Sofern geprüft werden muss, ob überhaupt eine Sozialplanpflicht im Insolvenzverfahren besteht, sind diese Arbeitnehmer aber hinzuzurechnen. Dies hat zur Folge, dass die Arbeitnehmer, die aus dem vorinsolvenzlichen Sozialplan be- 252 reits einen höheren Abfindungsbetrag erhalten haben, als ihnen aus dem Sozialplan im Insolvenzverfahren zusteht, die Differenz nicht zurückzahlen müssen. Arbeitnehmer, die aus dem Sozialplan im Insolvenzverfahren einen höheren Anspruch erwerben, erhalten die Differenz unter Beachtung der insolvenzrechtlichen Verteilungsregelungen. Nach Zobel lässt die Vorschrift des § 124 Abs. 2 InsO, dass Arbeitnehmer, denen Forde- 253 rungen aus einem widerrufenen Sozialplan zustanden, bei der Aufstellung eines neuen Sozialplans im Insolvenzverfahren berücksichtigt werden können, den Schluss zu, dass der Insolvenzverwalter Arbeitnehmer aus dem widerrufenen Sozialplan nicht in den Insolvenzsozialplan aufnehmen muss, sofern es sich bei dem vorinsolvenzlichen Sozialplan um einen freiwilligen Sozialplan handelte. Wurde hingegen ein erzwingbarer Sozialplan widerrufen, besteht die Sozialplanpflicht nach Widerruf unverändert fort und die Aufnahme dieser Arbeitnehmer in den Insolvenzsozialplan ist zwingend und erzwingbar.239) Dem Insolvenzverwalter wird der Widerruf eines vorinsolvenzlichen Sozialplans nur dann 254 anzuraten sein, wenn Leistungen aus diesem Sozialplan nicht oder nur unwesentlich geflossen sind, und wenn der vorinsolvenzliche Sozialplan weit über den Höchstgrenzen des § 123 InsO liegt und die Insolvenzmasse damit erheblich schmälert. Für den Betriebsrat wird der Widerruf dann von Interesse sein, wenn ein vorinsolvenzlicher 255 Sozialplan gerade wegen der versuchten Sanierung des Unternehmens die maximalen Obergrenzen des § 123 Abs. 1 InsO wesentlich unterschreitet. Sozialpläne, die außerhalb des Drei-Monats-Zeitraums vor Antrag auf Eröffnung des Insol- 256 venzverfahrens abgeschlossen wurden, unterliegen nicht dem Widerrufsrecht gemäß § 124 InsO. Soweit Leistungen aus diesen Sozialplänen noch nicht geflossen sind, sind die Forderungen gemäß § 38 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden. Diese Sozialpläne sind weder ordentlich noch außerordentlich kündbar; ebenso wenig finden die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage Anwendung.240) 2.8.6 Verjährung von Sozialplanforderungen Nach der Rechtsprechung des BAG unterliegen Ansprüche auf Zahlung einer Sozialplan- 257 abfindung der dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB.241) ___________ 239) Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 236. 240) Vgl. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a, Rz. 328 ff. 241) Vgl. BAG, Urt. v. 13.2.2007 – 1 AZR 184/06, ZIP 2007, 1129 = NZA 2007, 825 – 829, dazu EWIR 2007, 615 (Urban).

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258 Die Verjährungsfrist des § 195 BGB ist auch dann anzuwenden, wenn es sich bei dem Sozialplananspruch um eine Masseforderung handelt. 259 Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den Tatsachen, die den Anspruch begründen, Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis erlangen musste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). 260 Ein Anspruch ist entstanden, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht werden kann, was wiederum grundsätzlich voraussetzt, dass der Anspruch fällig ist.242) 261 Ein Anspruch auf Zahlung einer Sozialplanabfindung wird, wenn eine Fälligkeitsregelung im Sozialplan fehlt, regelmäßig am Ende des Arbeitsverhältnisses fällig.243) Das gilt auch für Sozialpläne im Insolvenzverfahren. 262 Gemäß § 123 InsO darf, wenn kein Insolvenzplan zustande kommt, für die Berichtigung von Sozialplanforderungen nicht mehr als 1/3 der Masse verwendet werden, die ohne den Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung steht (relative Obergrenze, siehe auch Rz. 228 ff.). Wird diese Grenze überschritten, sind die einzelnen Sozialplanforderungen anteilig zu kürzen. Die tatsächliche Höhe der Sozialplanansprüche kann somit erst festgestellt werden, wenn alle anderen Masseverbindlichkeiten berichtigt sind, denn erst dann lässt sich 1/3 der fiktiven Teilungsmasse berechnen.244) 263 Generell können Ausschüttungen auf Sozialplanforderungen nur erfolgen, wenn vorab die vorrangigen Masseschulden und Massekosten (§§ 54, 55 Abs. 1 – 3 InsO) befriedigt sind. Daraus folgt nach Auffassung des LAG Düsseldorf,245) dass im Falle einer Masseunzulänglichkeit keine Sozialplanansprüche bestehen, da diese nicht berichtigt werden können, weil die Masse schon nicht ausreicht, um alle Masseverbindlichkeiten und Massekosten gemäß § 53 InsO vorweg zu berichtigen. Das in §§ 123 Abs. 2, 209 InsO geregelte Verfahren führe dazu, dass eine Bezifferung der Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer nicht möglich ist, solange das Volumen der Insolvenzmasse nicht feststeht. Aus diesen Umständen folge, dass die Zeit für die Leistung aus dem Sozialplan erst dann eintritt, wenn die nach § 209 InsO zu berichtigenden Masseverbindlichkeiten feststehen.246) 264 Das LAG Düsseldorf lässt unentschieden, wann bei einem möglichen Wegfall der Masseunzulänglichkeit und damit Rückkehr in das reguläre Insolvenzverfahren der Anspruch auf Zahlung der Sozialplanabfindung fällig wird. Denkbar ist, dass bei hinreichenden Barmitteln und beendeten Arbeitsverhältnissen im Zeitpunkt des Wegfalls der Masseunzulänglichkeit die Sozialplanansprüche entstehen und fällig werden, sofern der Sozialplan keine anderslautende Fälligkeit bestimmt. 265 Der Auffassung des LAG Düsseldorf, dass die Verjährung auch bei Fälligkeit der Abfindung mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht begonnen hat, da für den Arbeitnehmer aufgrund der angezeigten Masseunzulänglichkeit nicht vorhersehbar sei, ob überhaupt eine Zahlung erfolgen und wie hoch diese sein wird, kann nicht gefolgt werden, da für den Verjährungsbeginn im Allgemeinen eine solche Kenntnis ausreicht, die es dem Geschädigten erlaubt, eine hinreichend aussichtsreiche – wenn auch nicht risikolose – und ihm daher zumutbare Feststellungsklage zu erheben. Die Bezifferbarkeit ist keine zwingende Vor___________ 242) Vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, § 199 Rz. 3. 243) BAG v. 30.3.2004 – 1 AZR 85/03, NZA 2004, 1183 (LS). 244) BAG v. 21.1.2010 – 6 AZR 785/08, ZIP 2010, 546 = NZI 2010, 317, dazu EWiR 2010, 301 (Moll/ Krahforst). 245) LAG Düsseldorf v. 10.10.2013 – 5 Sa 747/13, ZIP 2013, 2482 = ZInsO 2014, 514. 246) LAG Düsseldorf v. 10.10.2013 – 5 Sa 747/13, ZIP 2013, 2482 = ZInsO 2014, 514.

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aussetzung für die Entstehung des Anspruches und die relative Obergrenze nach § 123 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO ist nur eine Verteilungssperre, aber keine Wirksamkeitsschranke.247) Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit allein ist auch weder ein Stundungs- oder Stillhal- 266 teabkommen gemäß § 205 BGB, noch höhere Gewalt gemäß § 206 BGB und kann auch nicht als Verhandlung über den Anspruch gemäß § 203 BGB gewertet werden.248) Runkel verweist auf einen in der Praxis wohl allgemein anerkannten Erklärungswert der Massenentlassungsanzeige, wonach diese die Aussage enthalten soll, der Anspruchsinhaber möge sich noch gedulden.249) Der Masseunzulänglichkeitsanzeige fehlt jedoch der Vereinbarungscharakter; ihr kann auch kein Rechtsbindungswille beigemessen werden.250) Da Sozialplanansprüche in der Insolvenz aber nur im Wege der Feststellungsklage verfolgt 267 werden können (§§ 123 Abs. 3 Satz 2, 210 InsO) und ein Feststellungsinteresse nur dann besteht, wenn dem Recht des Gläubigers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch droht, dass der Insolvenzverwalter das Recht des Gläubigers ernstlich bestreitet und das erstrebte Urteil in Folge seiner Rechtskraft geeignet wäre, diese Gefahr zu beseitigen,251) wird in der Literatur geschlussfolgert, dass es einer Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung nicht bedarf, weil in diesen Fällen der Verjährungsbeginn gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB (ein Anspruch ist entstanden, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht werden kann) noch nicht eingetreten ist.252) Infolge der Beseitigung jeglicher Vorrechte einzelner Gläubiger durch die InsO sind Ar- 268 beitnehmer und sonstige Gläubiger uneingeschränkt gleichzubehandeln. Deshalb wird sich der Insolvenzverwalter ggf. auf die Einrede der Verjährung auch gegenüber Arbeitnehmern berufen müssen.253) Gleichzeitig liegt es aber auch im Interesse des Insolvenzverwalters und der Gläubiger, keine unnötigen Gerichts- und Anwaltskosten (beachte Kostentragungspflicht gemäß § 12a ArbGG) für an sich unstreitige Sozialplanforderungen aufzuwenden. Zur Vermeidung kostenintensiver Feststellungsklagen (soweit ein Feststellungsinteresse im Einzelfall bestehen sollte) oder einer zeitaufwendigen Vielzahl verjährungshemmender Einzelerklärungen ist es ratsam, die Fälligkeit der Sozialplanansprüche im Sozialplan ausdrücklich zu regeln. 2.9

Transfermaßnahmen

Gerade in Insolvenzverfahren, die eine Betriebsfortführung zum Ziel haben, ist eine kurz- 269 fristige Umsetzung der geplanten Betriebsänderung erforderlich. Die Kurzfristigkeit scheitert meist daran, dass in schuldnerischen Unternehmen mit einer überalterten Personalstruktur für einen Großteil der Belegschaft die Maximalkündigungsfrist von drei Monaten gemäß § 113 InsO zu beachten und einzuhalten ist. Dies kann eine übertragende Sanierung erheblich erschweren und das Investoreninteresse senken. Daher empfiehlt es sich, nicht nur Sozialplanabfindungen, sondern auch über Transfermaßnahmen/Transferkurzarbeitergeldmaßnahmen mit dem Betriebsrat zu verhandeln. ___________ 247) Klasen, EWiR 2014, 195 zu LAG Düsseldorf v. 10.10.2013 – 5 Sa 823/13 – (Parallelentscheidung zu LAG Düsseldorf v. 10.10.2013 – 5 Sa 747/13), ZIP 2013, 2482 = ZInsO 2014, 514). 248) ArbG Oberhausen, Urt. v. 19.4.2012 – 4 Ca 2167/11, Beck RS 2013, 65300; vgl. auch weitergehend hierzu Wenner/Jauch, ZIP 2009, 1894 ff. 249) Runkel in: FS Kübler, S. 595, 602. 250) Wenner/Jauch, ZIP 2009, 1894 ff.; Pott, NZI 2015, 535 ff. 251) Vgl. BAG, Urt. v. 21.1.2010 – 6 AZR 785/08, ZIP 2010, 546 = NZI 2010, 317. 252) Pott, NZI 2015, 535 ff. 253) A. A. Runkel in: FS Kübler, S. 595, 596 ff., der den Insolvenzverwalter insoweit anders als den normalen Vertragspartner sieht, weshalb ihm nur in seltenen Ausnahmefällen die Verjährungseinrede möglich sein soll.

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270 Hierbei beraten die Agenturen für Arbeit die Betriebsparteien im Vorfeld der Entscheidung über die Einführung von Transfermaßnahmen, insbesondere i. R. der Verhandlungen über einen die Integration der Arbeitnehmer fördernden Interessenausgleich oder Sozialplan. Diese Transferberatungen durch die Agenturen für Arbeit sind seit dem 1.1.2011 (Einführung des Beschäftigungschancengesetzes in das SGB III) eine eigenständige Anspruchsvoraussetzung für die Förderung durch die Arbeitsagenturen (vgl. § 110 Abs. 1 Nr. 1, § 111 Abs. 1 Nr. 4 SBG III; mit dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl. I, 2854) wurden die §§ 216a und 216b SGB III a. F. durch die §§ 110 und 111 SGB III n. F. ersetzt). 271 Transfermaßnahmen sind gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 SGB III alle Maßnahmen zur Eingliederung von Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt, an deren Finanzierung sich der Arbeitgeber angemessen beteiligt. Diese sehr weit gefasste Formulierung eröffnet einen sehr großen Gestaltungsspielraum. Zu diesen Maßnahmen gehören u. a. das Profiling, Bewerbungs- und Orientierungstraining, Praktika, Kurzqualifizierungsmaßnahmen und Maßnahmen der arbeitsplatzbezogenen Qualifizierung (Gabelstaplerschein, Schweißerpass), Existenzgründerund Outplacementberatungen. 272 Grundlage für die Regelung von Transfermaßnahmen ist der Sozialplan. Ziel des Transfersozialplanes ist es, Arbeitnehmern, die von der Betriebsänderung betroffen sind, nicht nur einen finanziellen Ausgleich durch Zahlung einer Abfindung zu verschaffen, sondern ihnen die Möglichkeit einzuräumen, durch Vermittlungs- und Qualifizierungsangebote den Übergang in eine andere Beschäftigung zu ermöglichen. Der Insolvenzverwalter verpflichtet sich in dem Transfersozialplan, die erforderlichen Mittel zur Finanzierung der Durchführung von Transfermaßnahmen/Einrichtung einer Beschäftigungsgesellschaft mit Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld bereitzustellen (§ 110 Abs. 1 Nr. 4 und § 111 Abs. 3 Nr. 3 SGB III). 273 Regelungen über Transfermaßnahmen und Transferkurzarbeitergeld bieten sowohl für den Insolvenzverwalter als auch für die Arbeitnehmer Vorteile: x

Die Vorteile für den Insolvenzverwalter liegen im Wesentlichen in der Vermeidung von Kündigungsfristen, da die Arbeitnehmer mit Abschluss des dreiseitigen Vertrages (Aufhebungsvertrag zwischen Arbeitnehmer und Verwalter, befristeter Arbeitsvertrag mit Transfergesellschaft) unverzüglich in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft wechseln. Die Aufhebungsverträge zwischen Insolvenzverwalter und Arbeitnehmer vermeiden Kündigungsschutzklagen. Die Kosten des Personalabbaus sind damit besser kalkulierbar. Zudem kann die Errichtung einer Transfergesellschaft die Kosten des Personalabbaus erheblich minimieren, da der Insolvenzverwalter nicht die Löhne der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist, sondern lediglich die sog. Remanenzkosten, d. h. die Beiträge zur Sozialversicherung, ausgehend von 80 % des Bruttoentgeltes, den mit dem Betriebsrat ausgehandelten Aufstockungsbetrag zum Kurzarbeitergeld (in der Regel auf 80 % des Nettoentgeltes), evtl. vereinbarte Sonderzahlungen für die jeweilige Verweildauer der Arbeitnehmer in der Transfergesellschaft tragen muss.

Die Vorteile für den Arbeitnehmer liegen in der Hinauszögerung oder sogar in der Vermeidung des Eintrittes von Arbeitslosigkeit. Die Verweildauer in der Transfergesellschaft kann bis zu zwölf Monate betragen. Der Wechsel in die Transfergesellschaft löst keine Sperrfrist aus.254) Der Arbeitnehmer erhält zudem die Möglichkeit zur Teilnahme an Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und professionelle Unterstützung bei der Vorbereitung von Bewerbungsgesprächen. Führen diese Bewerbungsgespräche zu einer Arbeitserprobung bei einem neuen Arbeitgeber, muss das Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft nicht beendet werden, sondern ruht, damit der Arbeitnehmer ___________ x

254) Gagel, SGB II/SGB III, 59. EL 9/2015, Rz. 173 – 176.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 22

ggf. bei erfolgloser Arbeitserprobung in die Transfergesellschaft zurückkehren kann. Da sich der Arbeitnehmer während der Verweildauer in Kurzarbeit befindet, kann er die Freistellungszeiten aktiv für eine berufliche Neuorientierung nutzen. Führt die professionelle Betreuung bei der beruflichen Neuorientierung während der Verweildauer in der Transfergesellschaft nicht zu einer Vermittlung in ein neues Arbeitsverhältnis, tritt die Arbeitslosigkeit somit erst nach Ablauf der befristeten Verweildauer in der Transfergesellschaft ein. Eine Sperrfrist wird nicht verhängt, da das Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft auf der Grundlage einer wirksamen Befristung endet. Das Arbeitslosengeld wird auf der Basis der Verdienste bei der Insolvenzschuldnerin vor Eintritt in die Transfergesellschaft berechnet.255) Eine etwaig vom Arbeitgeber/Insolvenzverwalter mit Wechsel in die Transfergesellschaft gezahlte Abfindung führt nicht zum Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches nach Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses mit der Transfergesellschaft; § 143a SGB III ist nicht anwendbar. Ein Transfersozialplan kann auch durch eine Gewerkschaft mit einem Streik erzwungen 274 werden, da Gewerkschaften auch zu Streiks für einen Tarifvertrag aufrufen können, in welchem die wirtschaftlichen Nachteile, die durch eine Betriebsänderung entstehen, ausgeglichen oder gemildert werden sollen.256) Gewerkschaften können hierdurch die Betriebsräte bei den Verhandlungen zu einem Transfersozialplan unterstützen (§ 2 Abs. 3 BetrVG), wenngleich der Transfersozialplan selbst vom Insolvenzverwalter und Betriebsrat auszuhandeln und zu unterzeichnen ist. Der Transfersozialplan regelt neben der Zahlung einer Abfindung für ausscheidende Mit- 275 arbeiter auch Transferleistungen, z. B. durch Outplacementberatung und/oder Übertritt in eine Transfergesellschaft. Der Transfersozialplan lässt somit den Arbeitnehmern die Wahl, verschiedene Transferangebote wahrzunehmen oder aber die Zahlung einer Abfindung zu maximieren. Wegen der geringen finanziellen Möglichkeiten im Insolvenzverfahren werden regelmäßig Sozialpläne abgeschlossen, die eine Anrechnung der Kosten für die Transfergesellschaft auf das Sozialplanvolumen vorsehen, dennoch ist die Hinauszögerung des Eintritts in die Arbeitslosigkeit für die meist älteren Arbeitnehmer in insolventen Betrieben von größerer Bedeutung als eine Abfindungszahlung. Die oben genannten förderungsfähigen Maßnahmen können im Transfersozialplan verein- 276 bart werden,257) sofern folgende betriebliche Voraussetzungen erfüllt sind: x

wenn die Arbeitnehmer aufgrund von Betriebsänderungen von Arbeitslosigkeit bedroht sind,

x

wenn eine arbeitsmarktpflichtzweckmäßige Maßnahme zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt von einem Dritten durchgeführt wird, wobei dieser ein internes System zur Qualitätssicherung anwenden muss,

x

wenn der Dritte eine Trägerzulassung nach § 178 SGB III hat,

x

wenn die Durchführung der Maßnahme bis zu deren planmäßigem Ende gesichert ist und

x

der Arbeitgeber mindestens 50 % der ihm verbleibenden Maßnahmekosten trägt.

Als Betriebsänderungen gelten solche i. S. des § 111 BetrVG, unabhängig von der Unter- 277 nehmensgröße und der Anwendbarkeit des BetrVG im jeweiligen Betrieb. ___________ 255) BSG, Urt. v. 4.7.2012 – B 11 AL 9/11 R, NZA-RR 2013, 103, 104. 256) BAG, Urt. v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, ZIP 2007, 1768. 257) Vgl. auch Merkblatt 8c der Bundesagentur für Arbeit (Transferleistungen) unter www.arbeitsagentur.de und Geschäftsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit (Transferleistungen §§ 110, 111 und 134 SGB III) gültig ab 1.1.2016, unter www.arbeitsagentur.de.

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Teil V Einzelfragen

278 Eine Förderung ist für jene Arbeitnehmer ausgeschlossen, die eine solche der vorgenannten Maßnahmen nicht benötigen, weil sie unverzüglich in ein neues Arbeitsverhältnis vermittelt werden können. Die Förderung ist ebenfalls ausgeschlossen, wenn die vorgenannten Maßnahmen lediglich dazu dienen sollen, die Arbeitnehmer auf eine Anschlussbeschäftigung im gleichen Betrieb oder einem anderen Betrieb des gleichen Unternehmens vorzubereiten. Eine Förderung ist ebenfalls nicht möglich in Betrieben des öffentlichen Dienstes, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt in Unternehmen, die in selbstständiger Rechtsform erwerbswirtschaftlich betrieben werden. Die Arbeitsagenturen fördern die vorgenannten Maßnahmen durch einen Zuschuss i. H. von 50 % der erforderlichen und angemessenen Maßnahmekosten, maximal i. H. von 2 500 € je Arbeitnehmer. Auf diesen Zuschuss besteht bei Erfüllung der Voraussetzungen ein Rechtsanspruch. II.

Tarifrechtliche Probleme

1.

Tarifgebundenheit des Insolvenzverwalters

279 Tarifliche Regelungen zur Entlohnung aber auch zu den Rahmenbedingungen von Beschäftigungsverhältnissen können für eine Betriebsfortführung belastend sein. Ob und in welchem Umfang Insolvenzverwalter tarifgebunden sind, ist damit für die Frage einer möglichen Änderung vorn Arbeitsbedingungen von entscheidender Bedeutung. 1.1

Begriff der Tarifgebundenheit

280 Gemäß § 3 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist, tarifgebunden. Rechtsnormen des Tarifvertrages über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind. Die Tarifgebundenheit bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet (§ 3 Abs. 3 TVG). 1.2

Mitglieder der Tarifvertragsparteien

281 Tarifgebunden sind nur die Mitglieder der Tarifvertragsparteien (Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften). Die Tarifvertragsparteien sind als rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Vereine organisiert. Für die Mitgliedschaft ist das Satzungsrecht des Vereins maßgeblich. Die Mitgliedschaft des schuldnerischen Unternehmens in einem Arbeitgeberverband ist für den Insolvenzverwalter meist schnell festgestellt. Allerdings muss auch der Mitgliedschaftsstatus ermittelt werden, da es möglich sein kann, dass das Unternehmen lediglich ein sog. „OTMitglied“ ist. In diesem Fall läge trotz Mitgliedschaft keine Tarifbindung vor (ohne Tarifbindung). Ob dieser Status allerdings wirksam begründet wurde, oder nicht doch Tarifbindung vorliegt, weil z. B. durch eine fristlose Kündigung der Status gewechselt wurde, ist detailliert, sofort zu Beginn des Verfahrens zu prüfen, um realistisch einschätzen zu können, welche Ansprüche der Arbeitnehmer bestehen.258) 282 Schwieriger gestaltet sich die Feststellung, welche Arbeitnehmer Mitglied welcher Gewerkschaft sind. Zwar ist die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit vor der Einstellung des Arbeitnehmers nicht zulässig, jedoch darf die Frage im bestehenden Arbeitsverhältnis gestellt werden. Finden sich in den Arbeitsverträgen, die bereits zu Beginn des vorläufigen Insolvenzverfahrens zu prüfen sind, keine Bezugnahmeklauseln auf die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge, sollten im Falle der Tarifbindung des Arbeitgebers die Arbeitnehmer nach ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft befragt werden. Ebenso wichtig ist es für ___________ 258) Vgl. hierzu z. B. BAG, Urt. v. 18.5.2011 – 4 AZR 457/09, NZA 2011, 1378; BAG, Urt. v. 15.12.2010 – 4 AZR 256/09, NZA-RR 2012, 260.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 22

den (vorläufigen) Insolvenzverwalter, unverzüglich den Kontakt zur zuständigen Gewerkschaft herzustellen. 1.3

Beginn und Ende der Mitgliedschaft in der Tarifvertragspartei

Der Erwerb der Mitgliedschaft erfordert einen Antrag und die Aufnahme durch die Organi- 283 sation. Die Mitglieder der Tarifvertragspartei sind zum Austritt aus dem Verein berechtigt (§ 39 Abs. 1 BGB). Der Insolvenzverwalter selbst ist im Regelfall nicht tarifgebunden, da er nicht Mitglied eines Unternehmerverbandes ist. Die Insolvenz des Mitgliedes berührt die Mitgliedschaft nicht, es sei denn, die Satzung des 284 Vereins bestimmt etwas anderes oder Grundlage der Mitgliedschaft ist eine Geschäftsbesorgung. Die InsO enthält keine Vorschriften über die Geltung von Tarifnormen während des Insolvenzverfahrens. In Literatur und Rechtsprechung wird jedoch übereinstimmend vertreten, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nicht beseitigt. Soweit aus der Satzung des Arbeitgeberverbandes bzw. aus § 116 InsO (vgl. Rz. 287 ff.) folgt, dass die Mitgliedschaft des Schuldnerunternehmens durch die Insolvenz endet, bleibt die Tarifgebundenheit gemäß § 3 Abs. 3 TVG bis zum Ende des Tarifvertrages bestehen. Gemäß § 38 BGB ist die Mitgliedschaft nicht übertragbar. Die Ausübung der Mitglied- 285 schaftsrechte kann nicht einem anderen überlassen werden, wenn die Verbandssatzung insoweit nicht etwas anderes bestimmt (§ 40 BGB). Der Insolvenzverwalter kann sich in einem Rechtsstreit vor Gericht deshalb jedenfalls dann nicht durch den Vertreter eines Arbeitgeberverbandes vertreten lassen, wenn nach der Verbandssatzung die Mitgliedschaft des Gemeinschuldners geendet hat und der Verwalter nicht selbst Mitglied des Verbandes ist.259) Wird ein Betrieb von dem Geltungsbereich eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages 286 erfasst, so müssen die Rechtsnormen dieses allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages auch über die Insolvenzeröffnung hinaus eingehalten werden (§ 5 Abs. 4 TVG). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer weiter in der bisherigen betriebsüblichen Weise oder nur noch mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt.260) 1.4

Beendigung der Mitgliedschaft per Gesetz

Erlischt mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Mitgliedschaft des schuldnerischen 287 Unternehmens im Arbeitgeberverband gemäß §§ 115, 116 InsO? Geschäftsbesorgung i. S. des § 675 BGB ist eine selbständige Tätigkeit wirtschaftlicher 288 Art, für die ursprünglich der Geschäftsherr selbst zu sorgen hat, die ihm aber durch einen anderen (den Geschäftsführer) abgenommen wird. Der Geschäftsbesorger besorgt somit fremde Geschäfte für fremde Rechnungen im eigenen oder fremden Namen, aber immer unter Wahrung seiner Selbständigkeit. Dienst- oder Werkverträge, denen diese Merkmale fehlen, fallen nicht unter § 116 InsO. Regelmäßig besteht der Zweck eines Arbeitgeberverbandes in der Wahrnehmung der In- 289 teressen seiner Mitglieder auf allen Gebieten des Tarifwesens, des Arbeits- und Sozialrechts und der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, der Bildungs- und Gesellschaftspolitik sowie der branchenspezifischen Regional- und Strukturpolitik. In Erfüllung dieses Zweckes des Verbandes gehört es zu seinen Hauptaufgaben, Vereinbarungen mit den zuständigen Ge___________ 259) BAG, Urt. v. 20.11.1997 – 2 AZR 52/97, ZIP 1998, 437 = NZA 1998, 334, Koch in: ErfK, § 11 ArbGG Rz. 5 – 6. 260) Vgl. BAG, Urt. v. 28.1.1987 – 4 AZR 150/86, ZIP 1987, 727.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

werkschaften zu kollektiven Regelung der Arbeitsbedingungen zu treffen (Abschluss von Tarifverträgen) und die Mitglieder auf allen genannten Gebieten zu beraten, zu unterstützen und zu vertreten, sowie den Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedern zu fördern. Die Tätigkeit eines Arbeitgeberverbandes ist mithin auf rechtsgeschäftliches Handeln gerichtet. Sie ist auch selbständig, da genügend Raum für eigenverantwortliche Überlegungen und Willensbildungen des Verbandes bleibt. Die Tätigkeit des Verbandes ist auch wirtschaftlicher Art, da sie, insbesondere bei Tarifabschlüssen Bezug zum Vermögen der Mitglieder des Verbandes hat. Die Tätigkeit des Verbandes erfolgt darüber hinaus in fremdem Interesse, d. h., sie ist auf solche Geschäfte gerichtet, für die die Mitglieder des Verbandes selbst sorgen könnten (z. B. Abschluss eines Tarifvertrages aufgrund bestehender Tariffähigkeit des Mitgliedes), die dem Mitglied aber durch den Verband abgenommen werden (Verband ist regelmäßig Tarifvertragspartei). Die Tätigkeit des Verbandes erfolgt entgeltlich. Gemäß den Satzungen werden zur Aufbringung der durch die Erfüllung des Verbandszweckes entstehenden Kosten von den Verbandsmitgliedern Beiträge erhoben. 290 Dem Mitgliedschaftsverhältnis im Unternehmerverband liegt somit ein Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde. Es gilt § 115 InsO entsprechend, weshalb mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Mitgliedschaft im Unternehmerverband erlischt. 1.5

Auswirkungen der Beendigung der Mitgliedschaft auf die Tarifgebundenheit

1.5.1 Auswirkungen auf die Tarifgebundenheit des Schuldners 291 Auch das Ende der Mitgliedschaft des schuldnerischen Unternehmens im Arbeitgeberverband berührt zunächst nicht die Tarifgebundenheit, welche bestehen bleibt, bis der Tarifvertrag endet (§ 3 Abs. 3 TVG). Diese Nachbindung endet, sobald z. B. der Tariflohn im Tarifgebiet geändert wird. Das BAG hat sich aus Gründen der Rechtsklarheit dahingehend geäußert, dass viel dafür spräche, dass jede Änderung eines Tarifvertrages als Beendigung i. S. des § 3 Abs. 3 TVG – auch hinsichtlich der unveränderten Bestimmungen – anzusehen sei.261) 1.5.2 Auswirkungen auf die Tarifgebundenheit des Insolvenzverwalters 292 Das BAG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Insolvenzverwalter durch den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO keine weitergehenden Rechte als der Schuldner erlangt. Er ist vielmehr an die Rechtslage gebunden, die bei Eröffnung des Verfahrens besteht. Der Insolvenzverwalter rückt in die Arbeitgeberposition ein mit der Folge, dass er sämtliche Rechte und Pflichten hat, die sich aus der Arbeitgeberstellung des Insolvenzschuldners ergeben. Somit ist der Insolvenzverwalter auch an die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltenden Tarifverträge und/oder Betriebsvereinbarungen in gleicher Weise wie die Gemeinschuldnerin gebunden, selbst dann, wenn nur noch Restaufträge abgewickelt werden.262) 293 Die Rechtsprechung des BAG entspricht der Auffassung der Vertreter der Amtstheorie, wonach der Verwalter kraft des ihm übertragenen Amtes die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse im eigenen Namen ausübt. Das heißt, er handelt als Amtswalter in eigenem Namen und im Prozess als Partei kraft Amtes, wobei er ein privates Amt ausübt. ___________ 261) BAG, Urt. v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 – 701; vgl. auch BAG, Urt. v. 20.4.2011 – 4 AZR 467/09, NZA 2011, 1105. 262) BAG, Urt. v. 28.1.1987 – 4 AZR 150/86, ZIP 1987, 727 = NZA 1987, 455 – 456; vgl. auch Plössner in: BeckOK-ArbR, § 113 InsO Rz. 1 – 5, wonach der Insolvenzverwalter gemäß § 80 Abs. 1 InsO auch die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband wahrnehmen soll.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 22

Da der Insolvenzverwalter trotz Beendigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an 294 die Bestimmungen des Tarifvertrages bis zu dessen Ablauf gebunden bleibt, sind hinsichtlich möglicher Masseverbindlichkeiten ggf. entstandene Differenzen zwischen Tariflohn und gezahltem Lohn zu ermitteln und Rückstellungen zu bilden. Bei der Höhe der Rückstellungen sind nicht nur die Bruttolohndifferenzen für die Arbeitnehmer, sondern auch die abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen. 1.6

Nachwirkung

Nach Ablauf des Tarifvertrages tritt die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG ein. Die Nach- 295 wirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG ist jedoch statisch, d. h., sie beschränkt sich darauf, den materiell-rechtlichen Zustand für das Arbeitsverhältnis beizubehalten, der bei Eintritt der Nachwirkung bestand.263) An weiteren Änderungen nehmen die nachwirkenden Tarifnormen nicht teil. Nach § 4 Abs. 5 TVG gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrages nach seinem Ablauf 296 weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Eine „andere Abmachung“ i. S. des § 4 Abs. 5 TVG kann nach ständiger Rechtsprechung des BAG auch eine einzelvertragliche Abrede sein. Der Sinn der Nachwirkung besteht darin, ein inhaltsloses Arbeitsverhältnis zu verhindern. Daher kann gemäß der Rechtsprechung des BAG eine „andere Abmachung“ nur eine rechtlich relevante Vereinbarung sein, die auf das konkrete Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Die andere Abmachung muss den nachwirkenden Tarifvertrag ersetzen, sollte daher in zeitlicher Hinsicht erst nach Ablauf des Tarifvertrages getroffen werden. Allerdings wird in der Literatur auch vertreten, dass es genüge, wenn die andere Abmachung bereits im Zeitpunkt der noch normativen und zwingenden Wirkung des Tarifvertrages, aber bereits im Hinblick auf das Ende des Tarifvertrages und auf die Nachwirkung vereinbart wird.264) Gemäß ständiger Rechtsprechung des BAG erstreckt sich die Nachwirkung von Inhalts- 297 normen eines Tarifvertrages nach § 4 Abs. 5 TVG trotz Tarifbindung der Parteien aber nicht auf ein erst im Nachwirkungszeitraum begründetes Arbeitsverhältnis, sondern besteht nur für solche Arbeitsverhältnisse, die in der Laufzeit des Tarifvertrages bestanden haben und ihm unterlagen,265) weshalb mit Arbeitnehmern, die im Nachwirkungszeitraum eingestellt werden, Löhne wirksam vereinbart werden können, die unter dem Tariflohn liegen. Insoweit ist allenfalls zu berücksichtigen, dass die vereinbarten Löhne nicht sittenwidrig sind. Andere Abmachungen als individualrechtliche Vereinbarungen können auch Tarifverträge 298 (Sanierungstarifvertrag mit der Gewerkschaft im Wege eines Haustarifvertrags) und Betriebsvereinbarungen in den Grenzen des § 77 Abs. 3 BetrVG sein. In größeren Betrieben sollte zur Vermeidung vieler individual-rechtlicher Änderungsvereinbarungen geprüft werden, ob durch den Abschluss eines Sanierungstarifvertrages die Bedingungen der Arbeitsverhältnisse geändert werden kann. 2.

Sanierungstarifverträge

Regelmäßig dienen Sanierungstarifverträge dem tarifgebundenen Arbeitgeber bei der Aus- 299 setzung von Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) und der Hinauszögerung ___________ 263) Vgl. BAG, Urt. v. 17.6.2000 – 4 AZR 363/99, NZA 2001, 453 – 458. 264) BAG, Urt. v. 23.2.2005 – 4 AZR 186/04, DB 2005, 2305 = AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 42; BAG, Urt. v. 17.1.2006 – 9 AZR 41/05, NZA 2006, 923 = AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 40; BAG, Urt. v. 22.10.2008 – 4 AZR 789/07, NZA 2009, 265; vgl. hierzu auch weiterführend Franzen in: ErfK, § 4 TVG Rz. 64. 265) BAG, Urt. v. 22.7.1998 – 4 AZR 403/97, NZA 1998, 1287 – 1288; BAG, Urt. v. 7.5.2008 – 4 AZR 288/07, NZA 2008, 886.

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§ 22

Teil V Einzelfragen

von Entgelterhöhungen. Aber auch die Flexibilisierung von Arbeitszeiten kann Gegenstand des Sanierungstarifvertrages sein. Hierbei ist an die Erhöhung von Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich bei guter Auslastung des Unternehmens, an den Aufbau von Mehrarbeitsstunden ohne Zuschläge bei absehbar nur vorübergehend erhöhter Auslastung und den Aufbau von Minusstunden bei absehbar nur vorübergehender Stagnation der Auftragslage, zu denken. Dazu schließen – meist im Vorfeld und zur Vermeidung einer Insolvenz – die Arbeitgeber regelmäßig mit der Gewerkschaft des Verbandstarifes abweichende Haustarifverträge. Möglich ist auch, dass der Arbeitgeberverband und Gewerkschaft einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag abschließen. 300 Im Gegenzug verlangt die Gewerkschaft vom Arbeitgeber meist Investitionen und einen Verzicht auf den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen während der Laufzeit des Tarifvertrages, oder zumindest die Regelung konkreter Ausnahmetatbestände für betriebsbedingte Kündigungen. Der im Sanierungstarifvertrag vereinbarte Kündigungsverzicht hat nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen § 113 InsO keine Bedeutung. Ist im Sanierungstarifvertrag allerdings der Ausspruch der Kündigung von der Zustimmung des Betriebsrates abhängig, verdrängt § 113 InsO nach bisheriger Auffassung des BAG dieses Zustimmungserfordernis nicht. Es ist nach dem BAG ggf. zu prüfen, ob dieses Erfordernis auch im Falle einer Betriebsstilllegung durch den Insolvenzverwalter gilt.266) Hingegen werden Unkündbarkeitsklauseln in Betriebsvereinbarungen durch § 113 InsO verdrängt.267) 301 Allein die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist kein wichtiger Grund, einen Haustarifvertrag zu kündigen. Es ist durch Auslegung des Tarifvertrages zu ermitteln, ob und welche Tarifnormen in der Insolvenz gelten.268) 302 Ein Sanierungstarifvertrag kann auch bereits entstandene tarifliche Ansprüche rückwirkend beseitigen, soweit die betroffenen Arbeitnehmer nicht auf den Fortbestand dieser Ansprüche vertrauen durften.269) 303 Ebenso ist es möglich, dass Insolvenzverwalter und Gewerkschaft nach Verfahrenseröffnung einen Sanierungstarifvertrag schließen, um die Reorganisation oder die übertragende Sanierung überhaupt zu ermöglichen oder zumindest zu erleichtern. 304 Im Falle eines Betriebsübergangs auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber kann dieser Sanierungstarifvertrag nicht durch Gewerkschaft oder Arbeitnehmer beendet werden.270) Nach einem Betriebsübergang gilt auch ein Firmentarifvertrag beim Erwerber lediglich nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, nicht aber tarifrechtlich weiter. Ein anderes gilt nur dann, wenn der Erwerber die tarifrechtliche Geltung mit der am Tarifvertragsabschluss beteiligten Gewerkschaft in der Form des § 1 Abs. 2 TVG vereinbart. Das zum schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrags gehörende Kündigungsrecht ist nicht Bestandteil der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten Rechte und Pflichten. Eine auf die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten Normen eines Tarifvertrags begrenzte Kündigung eines Arbeitnehmers ist als Teilkündigung unzulässig (Orientierungssätze des BAG). 305 Ob der Betriebsübergang zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage für den Sanierungstarifvertrag führen kann, hat das BAG nicht entschieden. Der Erwerb des Betriebes durch den ___________ 266) BAG 19.1.2000 – 4 AZR 911/98, BeckRS 2009, 68954; Müller-Glöge in: ErfK, § 113 InsO Rz. 6 – 7b; abweichend LAG Düsseldorf, Urt. v. 18.11.2015 – 4 Sa 478/15, ZIP 2016, 737 = NZA 2016, 368, Rev. anhängig: 2 AZR 165/16. 267) BAG, Urt. v. 22.9.2005 – 6 AZR 526/04, ZIP 2006, 631= NZA 2006, 658. 268) Müller-Glöge in: ErfK, InsO Einf. Rz. 57. 269) BAG, Urt. v. 22.10.2003 – 10 AZR 152/03, NZA 2004, 444. 270) BAG, Urt. v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, ZIP 2010, 344, dazu EWiR 2010, 111 (Schreiner/Parotat).

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 22

neuen Inhaber allein lässt die Geschäftsgrundlage zumindest nicht entfallen.271) Geschäftsgrundlage einer Transformation der arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ist allein die normative Geltung der Tarifregelungen im Arbeitsverhältnis vor dem Betriebsübergang. Ein Betriebsübergang führt nicht dazu, dass der Erwerber Partei des Sanierungstarifvertrages wird, wenn er nicht tarifgebunden ist. Die Kündigung des Tarifvertrages kann daher nicht gegenüber einem nicht tarifgebundenen Erwerber erfolgen.272) Das gilt auch für bereits vereinbarte, aber erst später wirksam werdende Rechte und Pflich- 306 ten, die in Normen eines vor Betriebsübergang in Kraft gesetzten Sanierungstarifvertrags geregelt sind. Auch diese werden bei einem nicht tarifgebundenen Erwerber zum Inhalt des mit dem Arbeitnehmer bestehenden Arbeitsverhältnisses (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB). Die erst beim – nicht tarifgebundenen – Erwerber eintretende Fälligkeit von bereits vor dem Betriebsübergang in einem Sanierungstarifvertrag vereinbarten Ansprüchen widerspricht nicht dem Grundsatz der negativen Koalitionsfreiheit.273) Dem wird in der Praxis zu wenig Beachtung geschenkt. Gewerkschaften und Arbeitnehmer 307 sind im Interesse des Erhaltens von Arbeitsplätzen zu Zugeständnissen bereit, Erwerber möchten die ausgehandelten und für sie günstigeren Arbeitsbedingungen für die Zukunft gesichert wissen. Der Sanierungstarifvertrag kann damit die Veräußerungschancen deutlich erhöhen. Im Falle der Betriebsfortführung eines tarifgebunden Schuldners sind unverzüglich Ver- 308 handlungen mit der zuständigen Gewerkschaft zum Abschluss eines Sanierungstarifvertrages zu empfehlen. Da der Sanierungstarifvertrages aber nur für Mitglieder der Gewerkschaft gilt und für nicht organisierte Arbeitnehmer einzelvertragliche Regelungen gefunden werden müssen, wenn die Arbeitsverträge keine wirksame Bezugnahmeklausel enthalten, sind in den Verhandlungen möglichst die Namen der Gewerkschaftsmitglieder zu ermitteln. Ist dies nicht möglich, sollte nach Abschluss des Sanierungstarifvertrages mit jedem Arbeitnehmer individualrechtlich vereinbart werden, dass der Sanierungstarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

___________ 271) Griese, Arbeitsrecht Aktiv 2009, 194. 272) Vgl. auch Gussen in: BeckOK-ArbR, § 613a BGB Rz. 250a. 273) BAG, Urt. v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06, ZIP 2008, 378; s. a. BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 4 AZR 100/08, ZIP 2009, 2461 = NZA 2010, 41, dazu EWiR 2010, 213 (Haußmann), und BAG, Urt. v. 16.5.2012 – 4 AZR 321/10, Rz. 28, ZIP 2012, 1727, dazu EWiR 2012, 617 (Krüger).

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§ 23 Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz Übersicht I.

Abgrenzungsfragen und Begriffsklärung ......................................................... 2 1. Insolvenzgesicherte betriebliche Altersversorgung.......................................... 4 1.1 Zusage des Arbeitgebers................... 5 1.2 Betriebliche Altersversorgung i. S. des Gesetzes ............................... 6 1.3 Anspruch oder gesetzlich unverfallbare Anwartschaft .................. 9 1.4 Versorgungsfall ............................... 12 2. Sicherungsfall.............................................. 15 2.1 Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens............................ 16 2.2 Abweisung mangels Masse ............. 19 2.3 Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit ohne gerichtliches Insolvenzverfahren ............... 20 2.4 Zustimmung des PSVaG zu einem außergerichtlichen Vergleich................................................ 22 II. Abwicklung im Regelinsolvenzverfahren .................................................... 25 1. Gesetzlicher Übergang von Rechten (§ 9 BetrAVG) ........................................... 26 2. Kapitalisierte Forderungsanmeldung (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG)..................... 33

3.

Nachträgliche Berichtigung der PSVaG-Forderungen ................................. 41 4. Zahlungsaufnahme ..................................... 45 5. Mitwirkung in vorläufigen Gläubigerausschüssen und Gläubigerbeiräten .......... 48 6. Kein besonderes Insolvenzantragsrecht ................................................ 53 III. Handlungsoption Insolvenzplan ............ 61 1. Allgemeines zum Planverfahren................ 61 2. Betriebliche Altersversorgung im Plan ..... 66 2.1 Arbeitsrechtliche Ausgangslage ..... 67 2.2 Finanzwirtschaftliche Auswirkungen........................................ 68 2.3 Ordnungspolitische Einordnung ........................................... 72 3. Aufteilungsmöglichkeiten im Plan............ 73 3.1 Quotale Aufteilung......................... 74 3.2 Aufteilung nach Personenkreisen.............................................. 75 3.3 Aufteilung nach Durchführungsweg oder Rechtsgrundlage ......................................... 76 3.4 Aufteilung nach vertraglicher Absicherung .................................... 79 3.5 Zeitliche Aufteilung........................ 80 3.6 Entgeltumwandlung........................ 81 IV. Zusammenfassung und Ausblick ............ 83

Literatur: Berenz, Pflichten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der gesetzlichen Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung – Systematik des § 11 BetrAVG, BetrAV 2006, 225; Birkenbeul, Überlegungen zur Optimierung des Insolvenzschutzes kongruent rückgedeckter Versorgungen, BetrAV 2014, 721; Birkenbeul, Praxisgesichtspunkte für die Sicherung betrieblicher Versorgungszusagen in einer Großinsolvenz, BetrAV 2006, 227; Bremer, Die Fortführung insolvenzgeschützter betrieblicher Altersversorgung durch den Arbeitgeber bei Durchführung von Insolvenzplänen – Praktische Erfahrungen aus Sicht des PSVaG, DB 2011, 875; Feder, Vereinfachungen für den Arbeitgeber bei Meldungen und Beitragszahlungen an den PSVaG, BetrAV 2006, 224; Feldkamp, Die Rolle der Versicherungsmathematik beim PSVaG, BetrAV 2006, 232; Gareis, Insolvenzrechtliche Regelungen im Betriebsrentengesetz (BetrAVG), ZInsO 2007, 23; Hoppenrath/Wohlleben, Möglichkeiten der Insolvenzsicherung, in: Festschrift für Wolfgang Förster, 2001, S. 285; Kemper/KistersKölkes/Berenz/Huber, BetrAVG, Kommentar, 6. Aufl., 2014; Kranzusch, Sanierung im Vorfeld von Insolvenzverfahren – Vorträge der gemeinsamen Tagung des BMWi und des BMJ, WM 2010, 1338; Paulsdorff/Wohlleben, Die Rechtsstellung des Pensions-Sicherungs-Vereins, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG) nach neuem Insolvenzrecht, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 1655; Wohlleben, Betriebliche Altersversorgung im Wandel – Auswirkungen auf das Insolvenzwesen, in: Festschrift für Heinz Vallender, 2015, S. 827; Wohlleben, Unterstützungskasse und der PSVaG – Neuere Entwicklungen, BetrAV 2011, 232; Wohlleben, Insolvenzplan zur Fortführung von Unternehmen mit betrieblicher Altersversorgung, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 691; Wohlleben, Insolvenzschutz für geschäftsführende Gesellschafter – Eine Kurzbetrachtung der Trennlinie zwischen Eigenverantwortung und Sozialschutz, in: Festschrift für Sigmar-Jürgen Samwer, 2008, S. 281; Wohlleben, 29 Jahre Insolvenzsicherung durch den PSVaG, in: Finanzintermediation, Festschrift für Wolfgang Gerke, 2004, S. 333;

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§ 23

Teil V Einzelfragen

1 Die nachstehenden Ausführungen konzentrieren sich auf den – schon volumenmäßig – bedeutsamsten Teil der, durch den PENSIONS-SICHERUNGS-VEREIN Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG) geschützten, betrieblichen Altersversorgung. I.

Abgrenzungsfragen und Begriffsklärung

2 Nicht gemäß § 7 BetrAVG durch den PSVaG geschützt sind Versorgungsanwartschaften bzw. -ansprüche, soweit x

sie keine betriebliche Altersversorgung i. S. von § 1 BetrAVG darstellen, wie z. B. Guthaben auf Zeitkonten,

x

die gesetzlichen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen (§ 1b BetrAVG) nicht erfüllt sind,

x

die Höchstgrenzen des § 7 Abs. 3 BetrAVG überschritten wurden,

x

es sich um Zusagen an Unternehmer oder beherrschende Gesellschaftergeschäftsführer1) handelt (vgl. § 17 Abs. 1 BetrAVG),

x

Zusagen erst bei bereits absehbarer Inanspruchnahme des PSVaG bzw. innerhalb der Zwei-Jahres-Frist gegeben wurden (§ 7 Abs. 5 BetrAVG) oder

x

Versorgungsteile erst nach Eintritt der Insolvenz erdient wurden.

3 Solche Rechte sind nach den allgemeinen Regeln2) zu behandeln und demgemäß von den Berechtigten selbst beim Insolvenzverwalter geltend zu machen. Nach Eröffnung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens erdiente Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung richten sich gegen die Insolvenzmasse und sind insoweit privilegiert. Der Insolvenzverwalter kann sie jedoch nach der Spezialregelung des § 3 Abs. 4 BetrAVG abfinden, sofern die Anwartschaften nicht i. R. eines Betriebsübergangs (§ 613a BGB) auf einen Erwerber übergehen. 1.

Insolvenzgesicherte betriebliche Altersversorgung

4 Der Insolvenzschutz durch den PSVaG3) ist gegeben, wenn eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt ist. In aller Regel ist das schon deshalb der Fall, weil das Steuer- und das Sozialversicherungsrecht zumeist an die (gleichen) Begrifflichkeiten des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (kurz: Betriebsrentengesetz – BetrAVG) anknüpfen. 1.1

Zusage des Arbeitgebers

5 Voraussetzung für die Insolvenzsicherung ist zunächst eine Zusage des Arbeitgebers (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG). Der Arbeitgeber muss selbst vertragliche Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitnehmer eingehen. Bevor der Arbeitgeber oder bei Tarifverträgen der für ihn handelnde Arbeitgeberverband dies tut, wird er die in Rede stehende Versorgung regelmäßig einer Plausibilitätskontrolle unterziehen sowie die Bonität und Seriosität der Anbieter von Finanzprodukten hinterfragen. Dabei wird er sich zumindest kursorisch mit den sehr unterschiedlichen Möglichkeiten betrieblicher Altersversorgung beschäftigen und auch im Eigeninteresse die wichtigen Themen der Kapitalanlage und der Kostenbelastung im Auge behalten. Von daher ist auch in der Insolvenz kein überstürztes Handeln, sondern ein besonnenes Vorgehen gefragt. ___________ 1) Hierzu Wohlleben in: FS Samwer, S. 281 ff. m. w. N. 2) Allgemein zu den Möglichkeiten der Insolvenzsicherung Hoppenrath/Wohlleben in: FS Förster, S. 285 ff. 3) Jeweils aktuell dazu die PSVaG-Merkblätter, aufrufbar im Internet unter: www.psvag.de/Veröffentlichungen.

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz 1.2

§ 23

Betriebliche Altersversorgung i. S. des Gesetzes

Insolvenzgesichert ist nur betriebliche Altersversorgung i. S. von § 1 BetrAVG. Der Ge- 6 setzeswortlaut „Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung“ schließt bloße Sparvorgänge aus und setzt die Absicherung eines biometrischen Risikos voraus, nämlich den Schutz vor den Folgen x

einer Invalidität,

x

des Erreichens der Altersgrenze oder

x

des Versterbens des (früheren) Arbeitnehmers bei Hinterbliebenenleistungen.

Von praktischer Bedeutung sind auch so manche Fragen, die sich aus der Begriffserweiterung 7 in § 1 Abs. 2 BetrAVG etwa zum Thema der Entgeltumwandlung ergeben. Nicht jede sog. Deferred Compensation unterfällt dem Betriebsrentengesetz. Sind aufgeschobene Lohnzahlungsansprüche vererblich, so kann es am Versorgungscharakter fehlen, weil die Leistungen an kein biometrisches Ereignis anknüpfen. Dann gibt es keinen PSVaG-Schutz. § 1 BetrAVG bildet einen gewissen Filter zur Abgrenzung insolvenzgesicherter betrieb- 8 licher Altersversorgung von reinen Kapitalanlageprodukten. Er ist die Schlüsselvorschrift des Betriebsrentenrechts sowohl aus arbeits- und steuerrechtlicher als auch aus insolvenzrechtlicher Sicht. Die Vorschrift gewährleistet zumindest ein Minimum an Einheit in der deutschen Rechtsordnung und verhindert so einen nicht mehr überschaubaren Wildwuchs in dem für jedwede sinnstiftende Wirtschaftstätigkeit unverzichtbaren Rechtsrahmen. 1.3

Anspruch oder gesetzlich unverfallbare Anwartschaft

Insolvenzgeschützt sind nur solche betrieblichen Versorgungsleistungen, auf die bereits 9 ein Anspruch (§ 7 Abs. 1 BetrAVG) oder aber eine gesetzlich unverfallbare Anwartschaft (§ 7 Abs. 2 i. V. m. § 1b BetrAVG) besteht. Für die Unverfallbarkeit arbeitgeberfinanzierter Versorgungszusagen bedarf es der Voll- 10 endung des 25. Lebensjahres und einer mindestens fünfjährigen Betriebszugehörigkeit.4) Bei einer nachträglichen Verbesserung der Versorgungszusage schützt darüber hinaus die zweijährige Ausschlussfrist des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG den PSVaG davor, dass der Arbeitgeber, kurz vor der Insolvenz, seine Mitarbeiter mit freigebigen Versorgungsversprechen – gleichsam mittels eines Vertrages zulasten Dritter – vergüten kann. Mit der Zusage sofort unverfallbar und auch sofort gesetzlich insolvenzgeschützt ist 11 betriebliche Altersversorgung insoweit, als sie durch Entgeltumwandlung i. S. von § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG finanziert wird, wenn also etwa Ansprüche auf Barentgelt in eine wertgleiche Anwartschaft auf betriebliche Versorgungsleistungen umgewandelt werden, worauf der Arbeitnehmer seit etwa fünfzehn Jahren einen gesetzlichen Anspruch hat. Aufgrund dieser mit dem Altersvermögensgesetz5) erfolgten Ausweitung des insolvenzgesicherten Bereichs der betrieblichen Altersversorgung hat sich die Zahl der Mitgliedsunternehmen des PSVaG von rd. 40 000 auf mittlerweile über 94 000 erhöht. 1.4

Versorgungsfall

Zur Inanspruchnahme von Leistungen des PSVaG bedarf es weiterhin eines Versorgungs- 12 falls. Zum Beispiel muss der Anwärter die in der Versorgungszusage festgelegte Alters___________ 4) Für Altzusagen gilt u. U. noch das Mindestalter 35 und die früher zehnjährige Unverfallbarkeitsfrist, vgl. §§ 30 f. BetrAVG. Das Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie (BGBl. I 2015, 2553) setzt die Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit mit Inkrafttreten zum 1.1.2018 weiter herab auf künftig drei Jahre Betriebszugehörigkeit und die Vollendung des 21. Lebensjahres. 5) Gesetz v. 26.6.2001 – AVmG, BGBl. I 2001, 1310.

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§ 23

Teil V Einzelfragen

grenze erreicht haben oder aber es müssen die Voraussetzungen einer Invaliditäts- bzw. Hinterbliebenenversorgung erfüllt sein. 13 Ein Anspruch auf eine – vorzeitige – Abfindung von Rentenansprüchen oder Versorgungsanwartschaften besteht nicht. Zwar ist der PSVaG nach § 8 Abs. 2 BetrAVG seinerseits zur Abfindung von Anwartschaften berechtigt, was sich insbesondere bei niedrigen Anwartschaften6) und in Fällen mit Auslandsbezug als wirtschaftlich sinnvoll erweist. Die Versorgungsberechtigten ihrerseits können vom PSVaG aber keine Abfindung verlangen. 14 Auch der Insolvenzverwalter kann sich gegenüber den einzelnen Versorgungsberechtigten auf fehlende Anspruchsvoraussetzungen berufen, sofern diese nach Insolvenzeintritt überhaupt noch selbst Ansprüche haben und selbige nicht nach § 9 Abs. 2 BetrAVG kraft Gesetzes auf den PSVaG übergegangen sind. 2.

Sicherungsfall

15 Vor einer Inanspruchnahme des PSVaG muss ein Sicherungsfall beim Arbeitgeber vorliegen. Nur wenn der Arbeitgeber insolvent ist, muss die Solidargemeinschaft der im PSVaG zusammengeschlossenen Unternehmen einstehen. Die Sicherungsfälle sind in § 7 Abs. 1 Sätze 1 und 3 BetrAVG abschließend normiert. 2.1

Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens

16 Die weit überwiegende Zahl der Sicherungsfälle beim PSVaG sind Fälle der Eröffnung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (oder über seinen Nachlass). Bei mittleren und größeren Unternehmen mit aktiver Belegschaft dauert es von der Stellung des Insolvenzantrags beim zuständigen AG bis zur Verfahrenseröffnung regelmäßig drei Monate. Gründe hierfür sind zum einen die notwendige Prüfung der Insolvenzgründe (Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung) und die erforderliche Feststellung und Sicherung einer zur Durchführung des Insolvenzverfahrens ausreichenden Masse durch den vom Gericht eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter oder Gutachter. 17 Vor allem geht es der Praxis aber um den nur bis zur Verfahrenseröffnung möglichen Bezug von Insolvenzgeld. Das Insolvenzgeld wird maximal drei Monate gewährt und erleichtert wegen des Wegfalls von Personalkosten die Betriebsfortführung. 18 Den Betriebsrentnern kommt das Insolvenzgeld freilich nicht zugute. Bei ihnen kommt es aufgrund der insolvenzbedingten Zahlungseinstellung des Arbeitgebers regelmäßig zu Leistungsunterbrechungen. Frühestens mit Insolvenzeröffnung wird der PSVaG in die Lage versetzt, die Zahlung – bis zu einem Jahr rückwirkend7) – wieder aufzunehmen. 2.2

Abweisung mangels Masse

19 Ein gesetzlicher Sicherungsfall ist ebenfalls gegeben, wenn der Antrag auf Eröffnung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens zwar gestellt, vom AG aber mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse oder eines von dritter Seite gestellten Massekostenvorschusses abgewiesen wird. In diesen Fällen sog. Masselosigkeit ist entweder überhaupt kein Vermögen vorhanden oder das vorhandene Vermögen ist aufgrund bestehender Sicherungsrechte dem Zugriff durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter soweit entzogen, dass er hieraus ___________ 6) 2016, alte Länder bis zu 29,05 € Monatsrente entsprechend ein vom Hundert der Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV. 7) Nach § 7 Abs. 1a Satz 3 BetrAVG umfasst der Anspruch des Betriebsrentners gegen den PSVaG regelmäßig auch rückständige Versorgungsleistungen, und zwar bis zu zwölf Monaten vor Entstehung des Anspruchs gegenüber dem PSVaG (definiert in Satz 1 der Vorschrift).

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz

§ 23

die Verfahrenskosten nicht decken kann. Die Fälle der Masselosigkeit treten in der allgemeinen Insolvenzpraxis häufig auf, sind aber im Bereich der durch den PSVaG insolvenzgeschützten betrieblichen Altersversorgung seit Inkrafttreten der InsO von abnehmender Bedeutung. 2.3

Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit ohne gerichtliches Insolvenzverfahren

Wird kein Insolvenzantrag bei Gericht gestellt, weil ein gerichtliches Insolvenzverfahren 20 mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse von vornherein nicht in Betracht kommt, so ist der Auffangtatbestand der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit in Betracht zu ziehen. Solche Fälle der Masselosigkeit treten hauptsächlich bei kleinen, bereits vor Längerem stillgelegten Betrieben auf. Nach wie vor werden in Deutschland viele Unternehmen still liquidiert. Vor allem Familien- 21 betriebe versuchen auch heute noch mit allen Mitteln den Makel einer gerichtlichen Insolvenz zu vermeiden und bemühen sich bis zuletzt um eine volle Gläubigerbefriedigung. Volumenmäßig sind diese Fälle freilich nur von untergeordneter Bedeutung. 2.4

Zustimmung des PSVaG zu einem außergerichtlichen Vergleich

Sofern der Arbeitgeber mit seinen Gläubigern einen außergerichtlichen Vergleich (Stun- 22 dungs-, Quoten- oder Liquidationsvergleich) zur Abwendung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens schließt, kann der PSVaG unter sehr strengen, durch die Rechtsprechung des BAG näher definierten Voraussetzungen8) einem außergerichtlichen Sicherungsfall auch und gerade dann zustimmen, wenn beim Arbeitgeber noch freie Vermögensmasse nennenswerten Umfangs vorhanden und für eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung verfügbar ist. Unabdingbare Voraussetzung für eine außergerichtliche Sanierung von Unternehmen 23 unter Beteiligung aller maßgebenden Gläubigergruppen sind insbesondere ein schlüssiges operatives wie finanzwirtschaftliches Gesamtkonzept und ausreichend Zeit für eine sorgfältige Analyse der maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen durch die Beteiligten. Der Antrag auf Zustimmung des PSVaG kann formlos gestellt werden, muss allerdings 24 konkret und hinreichend bestimmt sein. Die notwendigen Unterlagen fordert der PSVaG nach Antragseingang bezogen auf den Einzelfall an. II.

Abwicklung im Regelinsolvenzverfahren

Die gesetzliche Qualifizierung der Ansprüche und Anwartschaften auf betriebliche Alters- 25 versorgung als Insolvenzforderungen ist weithin bekannt, anders als eine Reihe von Spezialregelungen, die nicht in der InsO selbst, sondern im Betriebsrentengesetz (BetrAVG) zu finden sind oder von der Praxis etabliert wurden. 1.

Gesetzlicher Übergang von Rechten (§ 9 BetrAVG)

Kraft Gesetzes gehen bestimmte Rechte der Betriebsrentner und Anwärter mit Eintritt 26 des Sicherungsfalles auf den PSVaG über, da der PSVaG nach § 7 BetrAVG die Ansprüche und Anwartschaften auf betriebliche Versorgungsleistungen zu befriedigen hat und aus den übergegangenen Rechten zumindest teilweise schadlos gestellt werden soll. Beachtenswert ist insoweit, dass der PSVaG aufgrund der Rechtsnachfolge nach § 9 27 Abs. 2 BetrAVG nicht nur die betrieblichen Versorgungsrechte und Anwartschaften beim ___________ 8) Vgl. BAG, Urt. v. 24.4.2001 – 3 AZR 402/00, ZIP 2001, 1886 = DB 2001, 1787 sowie PSVaG Merkblatt 110/M1, aufrufbar unter: www.psvag.de/Veröffentlichungen.

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§ 23

Teil V Einzelfragen

Insolvenzverwalter anmeldet sowie hierzu akzessorische Sicherungsrechte, wie z. B. Pfandrechte an Rückdeckungsversicherungen geltend macht, sondern sich auch eventuell vorhandene nicht akzessorische Sicherungsrechte im Gegenzug zu seinen Leistungen von den Versorgungsberechtigten abtreten lässt. 28 Bei Unterstützungskassen eines insolventen Arbeitgebers gehen kraft Gesetzes deren Vermögen und zumeist auch deren Verpflichtungen auf den PSVaG über (§ 9 Abs. 3 BetrAVG). 29 Eine Überschuldung kann bei einer Unterstützungskasse aufgrund der Insolvenz des Trägerunternehmens und der von diesem eingegangenen betrieblichen Versorgungsverpflichtungen nie eintreten. Leistungen über eine Unterstützungskasse ist nämlich kraft gesetzlicher Definition immanent, dass darauf kein Rechtsanspruch gegenüber der Kasse bestehen kann9) (§ 1b Abs. 4 BetrAVG). Wird dort gleichwohl Insolvenzantrag gestellt, so macht der PSVaG wegen der Sachwidrigkeit des Antrags von seinem Recht auf sofortige Beschwerde10) nach § 9 Abs. 5 BetrAVG Gebrauch. 30 Bei den sog. Gruppenunterstützungskassen mehrerer ansonsten nicht miteinander verbundener Arbeitgeber kommt es hingegen nicht zum Vermögensübergang. Dort hat der PSVaG einen Zahlungsanspruch gegen die Kasse, der aus dem anteiligen Kassenvermögen zu befriedigen ist (§ 9 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG). Ansonsten würden aufgrund der Insolvenz einzelner Arbeitgeber die großen überbetrieblichen Einrichtungen gesprengt, die durch die Tarifvertragsparteien oder Versicherer betrieben werden. 31 Pensionsfonds können bei zeitnaher Zustimmung der BaFin wie eine Art Versicherungsunternehmen fortbestehen (§ 9 Abs. 3a i. V. m. § 8 Abs. 1a BetrAVG). Ansonsten verhält es sich dort wie bei Unterstützungskassen. 32 Kein befriedigendes Zugriffsrecht auf betrieblichen Versorgungszwecken gewidmete Vermögenswerte hat der PSVaG derzeit bei x

sog. Contractual Trust Arrangements (CTA’s) und

x

bei Rückdeckungslösungen für unmittelbare Versorgungszusagen des Arbeitgebers bzw. für Unterstützungskassenzusagen11),

weil solche Gestaltungen große Vertragsfreiheit genießen und darin eingebundene Vermögenswerte häufig nicht zeitnah liquidiert werden können. 2.

Kapitalisierte Forderungsanmeldung (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG)

33 Aufgrund des gesetzlichen Übergangs nach § 9 BetrAVG, erlangt der PSVaG regelmäßig ein Sammelsurium an höchst unterschiedlichen Rechtspositionen. Diese umfassen x

bereits fällige oder erst künftig fällig werdende Ansprüche aus Versorgungszusagen,

x

sich erst mit Eintritt eines Versorgungsfalles zum Vollrecht konkretisierende Versorgungsanwartschaften,

x

akzessorische Sicherungsrechte,

x

versicherungsvertragliche Ansprüche,

___________ 9) Gleichwohl muss aber der Arbeitgeber für die Erfüllung der zugesagten Leistungen einstehen (§ 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG) und meldet der PSVaG aufgrund § 9 Abs. 2 BetrAVG im Insolvenzverfahren Forderungen an. 10) Instruktiv dazu Gareis, ZInsO 2007, 23 ff. 11) S. zur versicherungsförmigen Unterstützungskassenzusage Wohlleben, BetrAV 2011, 232, 235. Hieran anknüpfend hat der PSVaG dem Gesetzgeber die für die Versorgungsberechtigten vorteilhafte Wahl einer Fortführung bestehender Versicherungen nach der Arbeitgeberinsolvenz vorgeschlagen, vgl. Wohlleben in: FS Vallender, S. 827, 834.

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz x

Wertpapiere, Beteiligungsrechte und

x

Immobilien.

§ 23

Wie der Insolvenzverwalter ist auch der PSVaG in den seltensten Fällen mit der Sache 34 vorbefasst, anders als es etwa Kreditinstitute, Lieferanten oder Arbeitnehmer aufgrund ihrer langjährigen Vertragsbeziehungen zu dem schuldnerischen Unternehmen sind. Zwar hat der PSVaG vom Unternehmen normalerweise über viele Jahre die gesetzlichen Meldungen zur Beitragsbemessung erhalten. Wegen des gesetzlich festgeschriebenen Selbstveranlagungsprinzips12) sind diese Meldungen freilich bloße Summenmeldungen, denen sich lediglich die Anzahl der Versorgungsberechtigten und die Summe der Kapitalwerte aller Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften des jeweiligen Durchführungsweges der betrieblichen Altersversorgung (unmittelbare Versorgungszusage, Unterstützungskassenzusage, Pensionsfondszusage) entnehmen lassen. Es bedarf also einer gründlichen Einarbeitung seitens des Verwalters und des PSVaG in die Details des betrieblichen Versorgungswerks, bevor dieses in einem Insolvenzverfahren sachgerecht berücksichtigt werden kann. Denn hierzu sind häufig sowohl komplexe Sachverhalts- als auch schwierige Rechtsfragen zu klären. Einen langjährigen Streit, ob der PSVaG künftige Forderungen und Anwartschaftsrechte 35 im Insolvenzverfahren sofort mit ihrem Kapitalwert geltend machen darf oder aber die dem PSVaG dafür zustehenden Teile der Insolvenzmasse zunächst zu hinterlegen sind und erst Jahre bzw. Jahrzehnte später herausgegeben werden können, hat der Gesetzgeber mit dem i. R. der EGInsO13) in das BetrAVG eingefügten § 9 Abs. 2 Satz 3 praxisgerecht entschieden. Diese Vorschrift bestätigt die Praxis der kapitalisierten Forderungsanmeldung durch den Träger der Insolvenzsicherung. Dementsprechend sind nicht nur die mit Eintritt des Versorgungsfalls entstandenen Forderungen, sondern auch die auf den PSVaG übergegangenen Anwartschaften auf eventuelle Versorgungsleistungen als unbedingte Forderungen nach § 45 InsO geltend zu machen, und zwar mit dem Wert, der für die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschätzt werden kann. Bei der Schätzung des Wertes der betrieblichen Altersversorgung zum Insolvenzstichtag 36 sind die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik anzuwenden.14) Diese können mit den steuerlichen Regelungen zur Ermittlung des Teilwerts der Pensionsverpflichtungen übereinstimmen, müssen es aber nicht. So schreibt § 6a EStG für die Abzinsung der künftigen Versorgungsleistungen zur Ermittlung des in der Steuerbilanz abzugsfähigen Verpflichtungsumfangs einen Zinssatz von 6 % vor, während der PSVaG seit Langem seinen Forderungsanmeldungen einen Abzinsungssatz von 5,5 % zugrunde legt.15) Der vom PSVaG herangezogene Zinsfuß mag – abhängig von den jeweiligen Zinsen und 37 der jeweiligen Risikolage auf den Finanzmärkten – manchmal etwas niedrig oder auch etwas hoch erscheinen. Über die Jahrzehnte hat sich freilich die Heranziehung eines gleichbleibenden Zinssatzes bewährt, da sowohl die betrieblichen Versorgungszusagen als auch die Insolvenzverfahren lange Laufzeiten haben, und sich so manche Schwankungen über längere Sicht ausgleichen oder zumindest der bürokratische Aufwand und das Streitpotenzial hierdurch minimiert werden. Damit wird im Übrigen auch der ausdrücklich im Gesetzestext festgeschriebenen Stichtagsbetrachtung etwas an Schärfe genommen, nach der für die Berechnung der Höhe der Leistungen des PSVaG Veränderungen nach dem Insolvenzstichtag ebenfalls außer Betracht zu bleiben haben (§ 7 Abs. 2 i. V. m. § 2 Abs. 5 BetrAVG). ___________ 12) 13) 14) 15)

Dazu Feder, BetrAV 2006, 224 f. m. w. N. Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung v. 5.10.1994 – EGInsO, BGBl. I 1994, 2911. Paulsdorff/Wohlleben in: Kölner Schrift, S. 1655, 1660. Feldkamp, BetrAV 2006, 232 f.

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§ 23

Teil V Einzelfragen

38 Bei der Schätzung des Kapitalbetrags der Forderungsanmeldung des PSVaG sind gemäß § 45 Satz 1 InsO solche Tatsachen nicht zu berücksichtigen, die erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintreten. Insbesondere mindert deshalb das Ableben eines Versorgungsbegünstigten nach dem Insolvenzstichtag die Forderung des PSVaG nicht. Dies ist sowohl im Ergebnis richtig als auch systemgerecht. Denn die Todeswahrscheinlichkeit wird bereits in den versicherungsmathematischen Rechnungsgrundlagen berücksichtigt. Diese Rechnungsgrundlagen beruhen auf langjährigen statistischen Erwartungswerten und berücksichtigen mittlerweile in sog. Generationentafeln auch die sich verlängernde Lebenswahrscheinlichkeit der Menschen. Sie bilden also sowohl früh versterbende als auch sehr lang lebende Personen zutreffend ab. 39 Aufgrund der vorstehend beschriebenen Spezialregelungen hat der Insolvenzverwalter im Übrigen gegenüber dem PSVaG auch kein Zurückbehaltungsrecht, wie es § 191 Abs. 1 Satz 2 InsO ansonsten für aufschiebend bedingte Forderungen vorsieht. 40 Die kapitalisierte Anmeldung sowohl der Betriebsrenten als auch der Anwartschaften ist schließlich auch insofern systemgerecht, als der PSVaG mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. der Abweisung der Verfahrenseröffnung mangels Masse durch das Gericht hierfür insgesamt eintrittspflichtig wird und als bilanzierungspflichtiger Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit sowohl die bereits feststehenden Versorgungsverpflichtungen als auch die noch nicht zum Vollrecht erstarkten Anwartschaften mit ihrem Kapitalwert zu passivieren hat. Beide fließen gemäß § 10 BetrAVG mit ihrem Kapitalwert in die Beitragskalkulation des PSVaG ein und müssen von den Mitgliedsunternehmen sofort ausfinanziert werden. Von daher wäre es – gerade bei einem auf die zügige Gläubigerbefriedigung ausgerichteten Regelinsolvenzverfahren – nicht vermittelbar, wenn auf Verwalter- oder Hinterlegungskonten Deckungsmittel der betrieblichen Altersversorgung länger als unvermeidbar parken und Teile der betrieblichen Versorgungsverpflichtungen deshalb doppelt finanziert werden müssen. Auch angesichts der knappen öffentlichen Kassen widersprächen solche Lock-in-Effekte der gesetzgeberischen Intention, die demografischen Probleme mit Hilfe einer effizienten wie kostengünstigen betrieblichen Altersvorsorge zu lösen. 3.

Nachträgliche Berichtigung der PSVaG-Forderungen

41 Um die von der Insolvenz betroffenen Betriebe und deren Verwalter, in dem ohnehin sehr kurzen Zeitfenster für die Sanierung, nicht mehr als unbedingt nötig zu belasten, meldet der PSVaG seine kapitalisierten Forderungen zunächst auf Basis der vom Unternehmen gemeldeten Summenwerte an. Erst wenn die den jeweiligen Einzelansprüchen zugrunde liegenden Daten beim PSVaG vorliegen, kann damit begonnen werden, die individuellen Rentenansprüche und Anwartschaften dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen bzw. neu zu berechnen.16) Die hierzu erforderlichen Daten hat der Insolvenzverwalter dem PSVaG zeitgerecht mitzuteilen (§ 11 Abs. 3 BetrAVG). 42 Die wesentlichen Basisdaten der Versorgungsberechtigten – wie z. B. Name, Anschrift und Kontoverbindung, die Höhe der Betriebsrente und ggf. der Zeitpunkt der letzten Zahlung – sind meist in der firmeneigenen EDV gespeichert; sie können nach Aufbereitung in eine, für die EDV-Systeme des PSVaG, lesbare Form diesem im Wege des elektronischen Datenträgeraustauschs zugänglich gemacht werden. Die Datenübernahme setzt allerdings voraus, dass die Daten im Unternehmen aktuell sind, da nachträgliche Korrekturen beim PSVaG einen unverhältnismäßig hohen und vor allem zeitraubenden Aufwand nach sich ziehen würden. ___________ 16) Birkenbeul, BetrAV 2006, 227, 228.

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz

§ 23

Die z. B. infolge von Sterbefällen, Adressänderungen oder neuen Rentenanträgen erforder- 43 liche Aktualisierung der Daten hat aufgrund seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht der Insolvenzverwalter zu veranlassen. Hierzu ist es zweckmäßig, dass der Insolvenzverwalter möglichst frühzeitig die organisatorischen und technischen Details vor Ort mit den Mitarbeitern festlegt. Insbesondere die Anwartschaftsmeldungen können meist nur von den bislang schon mit der betrieblichen Altersversorgung des Unternehmens befassten Sachbearbeitern vorgenommen werden. Im eigenen Interesse ist es dem Insolvenzverwalter deshalb anzuraten, dass er diese Mitarbeiter in seiner Abwicklungsmannschaft weiter beschäftigt. Insbesondere bei Großinsolvenzen muss hierfür ein Zeitraum von zwei und mehr Jahren einkalkuliert werden. Erst wenn der Insolvenzverwalter seinen Mitteilungspflichten17) entsprochen hat, kann 44 der PSVaG die einzelnen Ansprüche bzw. Anwartschaften endgültig feststellen und erforderlichenfalls seine Forderungsanmeldung berichtigen. Bis dahin ist dann auch klar, ob überhaupt Aussicht auf die Zahlung einer Quote auf die Insolvenzforderungen besteht. Nur in diesem Falle macht es Sinn, ein versicherungsmathematisches Gutachten zur exakten Festsetzung der Forderung des PSVaG zu erstellen und seine Forderungsanmeldung zu berichtigen. Ansonsten können die erheblichen Kosten für eine interne oder externe Begutachtung gespart werden. Der PSVaG weist hierauf bereits in seiner Forderungsanmeldung auf Meldebogenbasis hin und bittet die Insolvenzverwalter jeweils um entsprechende zeitliche Koordination, damit die Insolvenzverfahren zielgerichtet, zügig und kostengünstig abgewickelt sowie schlussgerechnet werden können. 4.

Zahlungsaufnahme

Einer zielführenden Insolvenzabwicklung wie auch der Vermeidung sozialer Härten für 45 die Versorgungsempfänger dient es, wenn die Betriebsrentenzahlung überhaupt nicht oder nur für kurze Zeit unterbrochen wird. Ansonsten ist das Schlüsselpersonal bei größeren Personenzahlen mehr mit Erklärungen als mit der zu leistenden Arbeit beschäftigt. Nur in seltenen Fällen werden die Betriebsrenten nach der Zahlungseinstellung des Unter- 46 nehmens aufgrund eines Schuldbeitritts oder einer anderweitigen, z. B. versicherungsvertraglichen Verpflichtung von dritter Seite weiterhin ausgezahlt. Angesichts dessen ist der PSVaG üblicherweise bereit, dem Insolvenzverwalter die Betriebsrenten ohne vorherige Einzelfallprüfung zur Auszahlung an die Berechtigten zur Verfügung zu stellen. Eine entsprechende Vereinbarung mit bewährten Mustertexten wird sinnvollerweise schon vor der Verfahrenseröffnung getroffen, damit – ggf. auch rückwirkende – Zahlungen mit Eintritt des Sicherungsfalls unverzüglich auf den Weg gebracht werden können. Ausgeführt wird die Zahlung normalerweise zunächst über Sonderkonten des Insolvenz- 47 verwalters unter Nutzung der personellen und organisatorischen Strukturen des insolventen Arbeitgebers. Nach der Einzelfallbearbeitung werden die Renten dann üblicherweise gegen Einmalbeitrag beim Versicherungskonsortium für den PSVaG versichert und von dort ausgezahlt. Kapitalzahlungen und Abfindungszahlung erbringt der PSVaG hingegen zumeist selbst.

___________ 17) Dazu Berenz, BetrAV 2006, 225, 227 sowie Berenz in: Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, BetrAVG, § 11 Rz. 52 ff. Für Planverfahren empfiehlt sich die frühzeitige Klärung und Feststellung der PSVaGForderungen auf Basis eines „best estimate“ versicherungsmathematisch vorgebildeter Experten, sofern eine nachträgliche Forderungskorrektur auf nachvollziehbare rechtliche oder tatsächliche Hindernisse stößt.

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§ 23 5.

Teil V Einzelfragen Mitwirkung in vorläufigen Gläubigerausschüssen und Gläubigerbeiräten

48 Unabhängig von der jeweiligen Fallkonstellation und den verfahrensrechtlichen Besonderheiten, empfiehlt es sich bei Unternehmen mit größerer Personenzahl und nennenswerter betrieblicher Altersversorgung, deren Behandlung bereits in der Anfangsphase eines Verfahrens nach den Vorschriften der InsO auf ein zielführendes Gleis zu setzen. Während der PSVaG sich aus ordnungspolitischen und rechtlichen Gründen bei außergerichtlichen Sanierungen tendenziell eher zurückhält, ist er bei gerichtlichen Sanierungen wegen der unvermeidlichen Eintrittspflicht bei entsprechender Betroffenheit regelmäßig von Anfang an zur Mitwirkung bereit. Hierzu entsendet er im Wege der Institutsmitgliedschaft sachkundige und erfahrene Mitglieder in (vorläufige) Gläubigerausschüsse. So hat der PSVaG auch die letzte Insolvenzrechtsnovelle,18) insbesondere im Hinblick auf eine frühzeitige Gläubigerbeteiligung, ausdrücklich unterstützt, sich an gerichtlichen Anhörungen zur Schlüsselfrage der Verwalterbestellung beteiligt und wiederholt konstruktiv wirkende schriftliche Stellungnahmen, insbesondere zur Zusammensetzung von Gremien zur Gläubigerbeteiligung, abgegeben. 49 Im krisenbedingt härter werdenden und zunehmend von Verteilungskämpfen geprägten Umfeld wäre es nicht zu verantworten, die Führungsrolle allein dem Gesellschafterkreis und der Finanzgläubigerschaft zu überlassen, zumal die Grenzen zwischen risikobehaftetem Eigenkapital und besichertem Fremdkapital aufgrund von Finanzinnovationen, wie etwa des Debt Equity Swaps, mehr und mehr verschwimmen. Zu guten Teilen wertlos gewordene und abgeschriebene Finanzforderungen werden sowohl vor Beginn als auch während des Verlaufes von Insolvenz(eröffnungs-)verfahren veräußert und dann zum Nennwert im Verfahren geltend gemacht. Es bilden sich erstaunliche Allianzen im weiten Feld der Interessen vom Hedgefonds bis hin zur Arbeitnehmerschaft. Von daher dient sowohl ein neutraler als auch ein auf die Belange der betrieblichen Altersversorgung ausgerichteter Blick einer ausgewogenen Diskussion in den Gremien der Gläubigerbeteiligung. 50 Richtigerweise kann eine solche Mitwirkung nicht erst dann beginnen, wenn die wesentlichen Personalentscheidungen getroffen sind. Von daher ist der PSVaG an einer, die richterliche Verwalterbestellung womöglich beeinflussenden Mitwirkung der Gläubigerschaft frühzeitig zu beteiligen, auch wenn er selbst noch gar kein Gläubiger ist und das Unternehmen nicht so gut kennen kann wie etwa seine wichtigsten Kreditgeber, Kunden oder Lieferanten. 51 Sofern der betrieblichen Altersversorgung im fraglichen Unternehmen keine oder eine nur weit untergeordnete Bedeutung zukommt, wird der PSVaG auch künftig regelmäßig keine Mitglieder in die Gremien der Gläubigerbeteiligung entsenden. Ebenso wird er es weiterhin mittragen, wenn der Verwalter insbesondere aus Kostengründen in Absprache mit dem Gericht und wesentlichen Gläubigern von der Bildung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses abrät. 52 Ein zwangloser Kontakt zwischen dem Verwalter bzw. dessen Büro und dem PSVaG ist im Übrigen mit Blick auf die in diesem Beitrag bei weitem nicht abschließend beschriebenen Besonderheiten der betrieblichen Altersversorgung und deren effizienter Fortführung bzw. Überleitung auch ansonsten von Nutzen, wenn es z. B. ein Informationsschreiben an die Versorgungsberechtigten zu formulieren gilt.

___________ 18) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582.

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz 6.

§ 23

Kein besonderes Insolvenzantragsrecht

Angesichts der Fokussierung auf den gesetzlichen Auftrag und seiner wettbewerbs- 53 politischen Neutralität hat der PSVaG bisher beim Gesetzgeber kein besonderes Insolvenzantragsrecht für den Träger der Insolvenzsicherung eingefordert. Zu rechtfertigen ist diese Haltung solange die Einleitung eines Zwangsverfahrens mit Eingriffen in dem Sozialschutz dienende, betriebliche Versorgungsrechte klar umrissene Insolvenzgründe voraussetzt. Hier auf eine nur rechnerisch gegebene Überschuldung abzustellen, wäre hingegen sehr problematisch. Aus gutem Grunde wird im deutschen Recht bisher zwischen der stille Reserven zulassenden Handelsbilanz und der – diese aufdeckenden – Überschuldungsbilanz unterschieden. Nicht unproblematisch erscheint auch das maßgebliche Abstellen auf eine nur schwer zu 54 verifizierende Fortführungsprognose. Die künftige Geschäftsentwicklung kann man bekanntlich sowohl schön als auch schlecht rechnen. So wünschenswert es ist, dass konkret von Insolvenz bedrohte Unternehmen frühzeitig 55 eine Sanierung, erforderlichenfalls auch nach den Vorschriften der InsO, einleiten, so gilt es im Interesse einer ausgewogenen Verteilung von Rechten und Pflichten ebenfalls sicherzustellen, dass nicht nur die vom Gesellschafterinteresse maßgeblich gelenkte Unternehmensleitung, sondern auch andere Stakeholder über ein ausgewogenes Bündel an Rechten verfügen kann. Sollte das sog. Schutzschirmverfahren nach ESUG19) zu einem insolvenzfernen Entschul- 56 dungsverfahren weiterentwickelt werden, müsste möglicherweise auch der PSVaG als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung stärkeren Einfluss auf die Geschicke von sanierungsbedürftigen Unternehmen nehmen können, als dies bisher möglich ist. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO sind nur der Schuldner und die Gläubiger antragsberechtigt. 57 Beim PSVaG ergibt sich die Besonderheit, dass er – abgesehen von eventuell bestehenden Beitragsforderungen – erst mit der Verfahrenseröffnung und dem daran angeknüpften Forderungsübergang Gläubiger wird, vorher also kein besonderes Insolvenzantragsrecht hat. Wie alle anderen Gläubiger zum Insolvenzantrag berechtigt ist der PSVaG jedoch dann, 58 wenn er aufgrund eines vorherigen Sicherungsfalles und eines mit seinem Eintritt erfolgten gesetzlichen Übergangs der Ansprüche der Versorgungsberechtigten nach § 9 Abs. 2 BetrAVG bereits eine Gläubigerstellung innehat. Dies gilt insbesondere dann, wenn der PSVaG einem außergerichtlichen Vergleich zugestimmt hatte. Hat ein Arbeitgeber seine werbende Betriebstätigkeit bereits eingestellt und kommt ein 59 Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht, so kann der PSVaG gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 BetrAVG eigeninitiativ den Sicherungsfall feststellen, den Versorgungsberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 BetrAVG seinen Eintritt mitteilen und damit den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 9 Abs. 2 BetrAVG bewirken. Damit wird der PSVaG zum Gläubiger und kann als solcher nach § 13 Abs. 1 InsO Insolvenzantrag stellen, was im Übrigen auch dann gilt, wenn das Mitgliedsunternehmen nicht mehr in der Lage ist, seine ihm nach dem Betriebsrentengesetz obliegenden Pflichtbeiträge termingerecht an den PSVaG zu entrichten. In solchen Fallkonstellationen ist der Niedergang des schuldnerischen Unternehmens 60 freilich bereits so weit fortgeschritten, dass das beschriebene Instrumentarium letztlich ins Leere läuft und eine Sanierung des schuldnerischen Unternehmens unmöglich ist. Ein ___________ 19) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582.

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§ 23

Teil V Einzelfragen

ausgewogenes Gegengewicht zu den vorgelagerten Initiativrechten anderer Beteiligter bildet dieses Instrumentarium also nicht. III.

Handlungsoption Insolvenzplan

1.

Allgemeines zum Planverfahren20)

61 Das Planverfahren bietet als integraler Bestandteil der InsO ein geeignetes und in der Praxis vielfach bewährtes Instrumentarium, um Unternehmen und Unternehmensträger binnen weniger Monate zu sanieren und aus der Insolvenz zu führen. Wie bei einer erfolgreichen übertragenden Sanierung ist dafür jedoch erforderlich, dass der Insolvenzverwalter Zugriff nicht nur auf Unternehmensfragmente hat, sondern über die wesentlichen Bestandteile eines sanierungsfähigen Unternehmens einschließlich seiner Vertragsbeziehungen disponieren kann. Häufig ist das etwa aufgrund grenzüberschreitender Aktivitäten oder besonderer (Vertrags-)Gestaltungen (z. B. insolvenzbezogener Kündigungsrechte) extrem schwierig; zudem waren bisher die Mitwirkungspflichten der Gesellschafter im Insolvenzverfahren unzureichend. So konnten die nach der veröffentlichten allgemeinen Anschauung ungenügenden Sanierungserfolge des deutschen Insolvenzwesens nicht wirklich verwundern.21) 62 Statistisch betrachtet ist der Anteil der Planverfahren an der Zahl der Unternehmensinsolvenzen immer noch niedrig und zu niedrig, wie manche sagen; im Wege der übertragenden Sanierung werden nach wie vor wesentlich mehr Betriebe aus der Insolvenz geführt als mit einem Insolvenzplan.22) Nach bald zwanzigjähriger Anwendung der InsO lässt sich dies nicht mehr damit erklären, dass die Insolvenzpraktiker hierzulande angeblich lieber auf unter der KO Bewährtes zurückgreifen als sich auf Neuland zu wagen. Häufiger wird jetzt angeführt, dass ein Planverfahren mit Blick auf die Marktpositionierung des Unternehmens zu lange dauere und nur die übertragende Sanierung bereits am Tag der Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens vollzogen werden könne. 63 Der lohnenswerte Versuch, zeitnah zum Eröffnungstag einen kombinierten Berichts-, Planerörterungs- und Abstimmungstermin abzuhalten, wird noch zu selten gewagt. Zu groß ist noch die Sorge seitens der Insolvenzexperten, dass einige Wenige ihre formal bestehende Rechtsposition hemmungslos zu Geld machen wollen. 64 Seine Stärken kann das Planverfahren voll zur Geltung bringen, wenn die operative Sanierung des Unternehmens bereits vor der Insolvenz auf den Weg gebracht wurde und seine Aufspaltung oder aber die Abspaltung kranker Teile nicht (mehr) erforderlich ist. Die bei der übertragenden Sanierung erforderliche Einzelübertragung aller Vermögenswerte und relevanten Vertragsbeziehungen kann im Planverfahren unterbleiben, was besonders für Großunternehmen und bei bestehenden Übertragungshemmnissen bedeutsam ist. 65 Andererseits muss der Plan alle Rechtsgestaltungen und Abwicklungsthemen zumindest in Rahmenregelungen umfassen sowie hinreichend konkretisieren, weil mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens dessen Privilegien für Insolvenzverwalter und Insolvenzschuldner wieder entfallen. Bei der übertragenden Sanierung können sich der Verwalter und sein ___________ 20) Vgl. Wohlleben in: FS Wellensiek, S. 691, 693 ff. 21) Zur Versachlichung der Diskussion trug dann eine gemeinsame Tagung des BMWi und des BMJ am 8.6.2010 in Berlin bei, vgl. Sanierung im Vorfeld von Insolvenzverfahren – Vorträge der gemeinsamen Tagung des BMWi und des BMJ, WM 2010, 1337 ff. 22) Laut Kranzusch, WM 2010, 1338 m. w. N., in NRW in den untersuchten Jahren rd. 11 % der Unternehmen gegenüber rd. 2 % mit Insolvenzplan. Ähnlich der neuere Insolvenzplan-Index von Schultze & Braun, abrufbar unter www.betriebs-berater.ruw.de. Allerdings wurde inzwischen herausgearbeitet, dass die materiell besonders bedeutsamen Verfahren mit vielen betroffenen Arbeitnehmern sehr häufig solche nach ESUG sind, was auch dem Bildausschnitt beim PSVaG entspricht.

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz

§ 23

Team hingegen zunächst auf die Realisierung der Fortführungslösung konzentrieren und die meisten anderen arbeitsaufwendigen Themen wie etwa Anfechtungsfragen, Abrechnung und Berichterstattung auf später vertagen. 2.

Betriebliche Altersversorgung im Plan

In der fallbezogenen Behandlung der betrieblichen Altersversorgung liegt eine der wenigen 66 großen Gestaltungschancen, die das durch das Abstraktionsprinzip geprägte deutsche Zivil- und Verfahrensrecht für insolvenzbedrohte Unternehmen eröffnet.23) Diese Chance verständig zu ergreifen, zählt zu den vornehmsten Aufgaben sowohl der Sanierungsberater als auch der Insolvenzverwalter notleidender Unternehmen. 2.1

Arbeitsrechtliche Ausgangslage

Aufgrund der Vorschriften des Betriebsrentengesetzes und der hierzu ergangenen Recht- 67 sprechung des BAG ist ein Eingriff in erteilte Versorgungszusagen nur unter strengen Voraussetzungen und in aller Regel ausschließlich zukunftsbezogen möglich.24) Hierbei sind weitgehende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats25) hinsichtlich der betrieblichen Lohngestaltung sowie der Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen zu beachten. Die arbeitgeberseitig mögliche Schließung des Versorgungswerks betrifft nur danach ins Arbeitsverhältnis eintretende Personen. Das sog. Einfrieren der Versorgung erfasst nur künftige Zuwächse. In laufende Versorgungsleistungen und erdiente Besitzstände kann in aller Regel überhaupt nicht eingegriffen werden. 2.2

Finanzwirtschaftliche Auswirkungen

Die künftigen Zahlungsströme aus dem Versorgungswerk sind auf Jahre hinaus festgelegt 68 und können den Geschäftsbetrieb erheblich beeinträchtigen. Die Deckungsmittel für die betriebliche Altersversorgung sind direkt im Betrieb oder bei einem sonstigen Versorgungsträger (Unterstützungskasse, Pensionskasse, Pensionsfonds, Versicherungsunternehmen) gebunden. Die Versorgungsberechtigten können gleichwohl ihre Ansprüche gerichtlich durchsetzen und aufgrund der Einstandspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG letztlich in das Unternehmensvermögen vollstrecken. Neben den liquiditätsmäßigen sind auch noch die bilanziellen und die Auswirkungen auf die Ertragsrechnung beträchtlich. Im Regelinsolvenzverfahren hat der PSVaG die auf ihn nach § 9 BetrAVG übergehenden 69 Rechte mit dem Wert geltend zu machen, der für die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschätzt werden kann.26) Aufgrund der Kapitalisierung zementieren sich diese am Insolvenzstichtag zum Vollrecht, das es bei herkömmlicher Abwicklung durch Quotenzahlungen vom Insolvenzverwalter zu befriedigen gilt. Eine wirtschaftlich sinnvolle und damit auch schuldnerfreundliche Modifikation der Versorgungsansprüche und Anwartschaften ist dort nicht mehr möglich. Dies bedingt, dass auch das schuldnerische Aktivvermögen verwertet und sein Gegenwert dem Unternehmen zwecks ordnungsgemäßer Gläubigerbefriedigung entzogen werden muss. Eine Fortführung sowohl des Betriebes als auch des Versorgungswerks wird dadurch erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich. ___________ 23) Die Überhöhung der gesellschaftsrechtlichen Eignerstellung wurde inmitten der Finanzkrise bei der HRE auf die Spitze getrieben, Covenants unterwandern die Verlässlichkeit der Kreditbeziehungen, die Besicherungspraxis erfasst beinahe alles, was werthaltig ist, Vertragsnetze erschweren die Ausübung der dem Insolvenzverwalter in der InsO eingeräumten Rechte (sog. Ringfencing). 24) Hierzu kompakt Kemper in: Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, BetrAVG, § 1 Rz. 340 ff. m. w. N. 25) § 87 Abs. 1 Nr. 8 und 11 BetrVG. 26) Gemäß dem unter Rz. 35 ff. erläuterten § 9 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG i. V. m. § 45 InsO gilt dies auch für Versorgungsanwartschaften, die erst Jahre später mit Eintritt eines biometrischen Ereignisses (Invalidität, Erreichen der Altersgrenze, Tod) zu einem Vollrecht erstarken.

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§ 23

Teil V Einzelfragen

70 Anders beim Insolvenzplan: Mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein.27) Die Vertragsbeziehungen des Unternehmens müssen nicht entweder gekappt oder unverändert fortgeführt, sondern können umgestaltet werden. Anfechtungsthemen müssen nicht vor Gericht ausgefochten, sondern können in eine interessensgerechte Plangestaltung eingebettet werden. 71 Für die betriebliche Altersversorgung, auf die sich dieser Beitrag konzentrieren soll, eröffnet das einen Strauß von Lösungswegen zu einer situationsbezogenen Wahrung der Interessen aller Beteiligten. Dem Missverständnis einer formalistischen Gläubigergleichbehandlung hat der Gesetzgeber insoweit in § 7 Abs. 4 BetrAVG explizit mehrere Riegel vorgeschoben. Von daher erübrigen sich auch Diskussionen mit dem Tenor, dass der PSVaG nicht anders als andere Insolvenzgläubiger behandelt werden dürfe. Eine solche vereinfachende Betrachtung verbietet sich schon deshalb, weil es nicht nur um die Befriedigung des Gläubigers PSVaG, sondern in erster Linie um eine wettbewerbs- und sozialpolitisch angemessene Behandlung betrieblicher Versorgungswerke in der Insolvenz geht. 2.3

Ordnungspolitische Einordnung

72 Eine Unternehmenssanierung durch eine schlichte Befreiung des Unternehmensträgers von Versorgungsverpflichtungen widerspräche nicht nur dem Sozialschutzgedanken, sondern auch der Wettbewerbsgerechtigkeit.28) Richtigerweise können weder den Betriebsrentnern und den Anwärtern auf betriebliche Versorgungsleistungen noch den wettbewerbsfähigen Mitgliedsunternehmen des PSVaG die Folgen des unternehmerischen Misserfolgs der Insolvenzschuldnerin vollumfänglich angelastet werden. Im Sinne eines wohlverstandenen Interessenausgleichs muss stets auch der sanierungsbedürftige Betrieb in angemessener Weise zur Fortführung seiner eigenen betrieblichen Altersversorgung beitragen, wenn er künftig werbend tätig sein und innerhalb unserer sozialen Marktwirtschaft an den sich hier bietenden Wettbewerbschancen teilhaben möchte. 3.

Aufteilungsmöglichkeiten im Plan

73 Ein sowohl der marktwirtschaftlichen Ordnung als auch dem Sozialstaatsgedanken entsprechender Interessenausgleich lässt sich am besten durch eine Aufteilung der Lasten herstellen. Zudem lassen sich dadurch unerwünschte Doppelungseffekte in der Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung vermeiden. Über die Jahre hat die Praxis eine ganze Reihe von Möglichkeiten zur Aufteilung der gesetzlichen Versorgungslast29) zwischen dem insolvenzschuldnerischen Unternehmen und den im PSVaG zusammengeschlossenen Mitgliedsunternehmen entwickelt und umgesetzt, die nachfolgend ohne Anspruch auf Vollständigkeit wiedergegeben und mitunter auch kombiniert werden können.30) 3.1

Quotale Aufteilung

74 Abgeleitet von dem Gedanken einer quotalen Gläubigerbefriedigung kann sich das schuldnerische Unternehmen an allen gesetzlich insolvenzgeschützten Leistungen mit einem im Insolvenzplan festgelegten Prozentsatz beteiligen. Hierdurch werden die Chancen ___________ 27) § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO. 28) Ausführlicher zur Sozialschutzfunktion sowie zu gesellschafts- und ordnungspolitischen Aspekten der Insolvenzsicherung Wohlleben in: FS Gerke, S. 333, 344 ff. 29) Die aktive und die frühere Belegschaft des insolventen Unternehmens haben nach der gesetzlichen Risikoverteilung des BetrAVG u. U. die Schließung bzw. das Einfrieren des Versorgungswerks sowie den Wegfall von Anpassungen der Versorgungsleistungen an Preis- und Entgelttrends hinzunehmen. 30) Ausführlicher hierzu Bremer, DB 2011, 875 ff.

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz

§ 23

und die Risiken aus dem betrieblichen Versorgungswerk in demselben Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem PSVaG aufgeteilt. Es werden ein dauerhafter Interessengleichlauf und periodengerechte Dämpfungseffekte für beide erreicht. Allerdings müssen dann alle Versorgungsverpflichtungen sowohl vom Arbeitgeber als auch vom PSVaG dauerhaft verwaltet werden. Die Versorgungsberechtigten erhalten ihre Leistungen in zwei Teilen oder es muss eine Erstattung von Leistungsteilen organisiert werden. 3.2

Aufteilung nach Personenkreisen

Nicht nur unter Verwaltungsaspekten wird häufig eine Aufteilung nach Personenkreisen 75 vorgenommen. Sie ist regelmäßig auch durch finanzwirtschaftliche Überlegungen beeinflusst. So trägt etwa die Bedienung der Rentner durch den PSVaG überproportional zur Schonung der Liquidität des schuldnerischen Unternehmens in den ersten Jahren nach der Insolvenz bei. Nach vollständiger Bewältigung der Krise kann dann der Betrieb die später fällig werdenden Anwartschaftsrechte insgesamt bedienen. Hierbei treffen den PSVaG jedoch erhöhte Risiken aus einer eventuellen Folgeinsolvenz, die es bei der Aufteilung durch angemessene Risikozuschläge besonders zu berücksichtigen gilt. 3.3

Aufteilung nach Durchführungsweg oder Rechtsgrundlage

Aufgrund des gesetzlichen Übergangs von Unterstützungskassenvermögen31) auf den 76 PSVaG bereits bei Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens kann es sich empfehlen, dass der Träger der Insolvenzsicherung die Leistung nach dem Leistungsplan der Unterstützungskasse insgesamt erbringt und die Verpflichtungen aus anderen Durchführungswegen (unmittelbare Versorgungszusagen, Pensionsfondszusagen) durch den Insolvenzplan allein dem schuldnerischen Unternehmen auferlegt werden. Auch kann es sich anbieten, dass der PSVaG den auslaufenden Bestand aus einer alten 77 Versorgungsordnung insgesamt übernimmt, während die Zusagen aus einer neueren Versorgungsordnung dem schuldnerischen Unternehmen zugewiesen werden, weil diese vor allem die weiterhin im Betrieb tätigen Mitarbeiter betreffen. Schließlich kann es sich empfehlen, an das Management gegebene Einzelzusagen ausschließ- 78 lich dem Unternehmen zuzuordnen, um hierdurch einen zusätzlichen Leistungsanreiz für das Management zu schaffen. Andererseits kann die Realisierung des Risikos aus einer hohen Einzelzusage (Invalidität, Aktiventod) kleinere Unternehmen überfordern und deshalb dort eher die Fortführung der weniger risikoträchtigen allgemeinen Versorgungsordnung durch die Insolvenzschuldnerin angezeigt sein. 3.4

Aufteilung nach vertraglicher Absicherung

Häufiger als früher ist mittlerweile zumindest ein Teil der Versorgungszusagen durch 79 Rückdeckungsversicherungen, Grundpfandrechte oder (künftige) Ansprüche gegen einen Treuhänder i. R. eines sog. Contractual Trust Arrangements (CTA) oder sonstige Schuldbeitretende (Betriebsveräußerer) abgesichert. Derartige Sicherungen unterliegen regelmäßig diversen Bedingungen, deren Eintritt erst in der Zukunft liegt und/oder vom PSVaG kaum beeinflusst werden kann. Auch ist es nicht unüblich, dass das Sicherungsgut betriebsnotwendige Vermögensteile umfasst. Im Sinne einer effizienten Verwaltung und optimalen Nutzung des Sicherungsgutes kann es sich empfehlen, dass gesicherte Versorgungen im Insolvenzplan dem schuldnerischen Unternehmen und gänzlich ungesicherte Versorgungsverpflichtungen dem PSVaG zugewiesen werden. ___________ 31) Vgl. die obigen Ausführungen unter Rz. 27 ff. Beachte jedoch auch § 9 Abs. 3 BetrAVG mit den Besonderheiten bei Gruppenunterstützungskassen.

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§ 23 3.5

Teil V Einzelfragen Zeitliche Aufteilung

80 Bei einem eher temporären Sanierungsbedarf oder einem durch Fremdeinflüsse ausgelösten Einbruch des Geschäfts mit klar erkennbaren Aufwärtstendenzen sind Leistungen des PSVaG bis zu einem, im Plan näher bestimmten Zeitpunkt in Anwendung von § 7 Abs. 4 Satz 3 BetrAVG das Mittel der Wahl. Der Zeitpunkt des Wiedereintritts der Insolvenzschuldnerin in die Versorgungsverpflichtungen kann angelehnt an die Beiträge anderer Gläubigergruppen bereits bei Planerstellung kalendarisch festgelegt oder aber von der weiteren Entwicklung des schuldnerischen Unternehmens abhängig gemacht werden. Wichtig ist in letzterem Falle eine klar definierte Bezugsgröße, um späteren Auseinandersetzungen über den Zeitpunkt des Wiedereintritts des Arbeitgebers in die Versorgungsverpflichtungen vorzubeugen. Dabei gilt es Unwägbarkeiten, wie etwa einen späteren Verkauf des Unternehmens oder von relevanten Teilen, in die Überlegungen einzubeziehen. 3.6

Entgeltumwandlung

81 Einen besonderen Arbeitnehmerbezug haben regelmäßig die Zusagen aufgrund der Umwandlung von Ansprüchen auf Barentgelt in betriebliche Altersversorgung, auf die die Arbeitnehmer seit dem 1.1.2002 einen Rechtsanspruch haben.32) Diese Zusagen werden typischerweise durch Versicherungsverträge oder Fondsprodukte ausgefüllt, die sich gar nicht oder nur unter Inkaufnahme beträchtlicher Nachteile vorzeitig auflösen lassen. Solche Verträge und die damit getätigten Kapitalanlagen sind regelmäßig an den Bedürfnissen des Unternehmens und/oder der einzelnen Versorgungsberechtigten ausgerichtet. Sie lassen sich deshalb in sinnvoller Weise auch nicht auf den PSVaG überführen. 82 Jedenfalls die Zusagen aufgrund sog. Entgeltumwandlung sollten möglichst auch nach der Insolvenz fortgeführt und nach sorgfältiger Überprüfung mit weiteren steuerbegünstigten oder staatlich geförderten Beiträgen bedacht werden, am besten aufgrund einer entsprechenden Regelung im Insolvenzplan. Denn der PSVaG kann regelmäßig weder Zahlungen an die Produktanbieter leisten noch die Finanzverträge den Arbeitnehmern zur Fortführung übergeben.33) IV.

Zusammenfassung und Ausblick

83 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine frühzeitige wie sachkundige Einbeziehung der betrieblichen Altersversorgung in die Sanierungsüberlegungen beste Chancen für eine interessensgerechte Fortführung sowohl des insolvenzbetroffenen Unternehmens als auch des betrieblichen Versorgungswerkes eröffnet. Der PSVaG unterstützt dies mit seiner Fachkompetenz und wirkt konstruktiv in den Gremien der Gläubigerbeteiligung mit. Die Gläubigerbeteiligung hat sich mit dem ESUG verbreitert und zeitlich vorverlagert, ohne dass dadurch effiziente vorinsolvenzliche Sanierungen im Wettbewerb der Sanierungsinstrumente verdrängt werden. Der Wettbewerb der Unternehmen auf den Güter-, Dienstleistungs- und Finanzmärkten sowie die „Reifung“ dieser Märkte mit den Produkt- und Produktionszyklen macht allerdings auch künftig ein insolvenzbedingtes Ausscheiden von Anbietern aus dem Markt unvermeidbar. Die gesetzliche Insolvenzsicherung durch den PSVaG muss allein auf den Sozialschutz der (früheren) Arbeitnehmer des insolvenzbetroffenen Unternehmens fokussiert bleiben. ___________ 32) § 1a BetrAVG, eingefügt durch das Altersvermögensgesetz, Gesetz – AVmG, v. 26.6.2001, BGBl. I 2001, 1310 (s. o. unter Rz. 11). 33) Der PSVaG hat nach § 7 BetrAVG selbst zu leisten und kann sich von dieser Pflicht nur in den strengen (Abfindungs-)Grenzen des § 8 BetrAVG befreien, die es ggf. zu erweitern gilt, am besten durch eine gesetzliche Option für die Versorgungsberechtigten zur Fortführung bestehender Versicherungen auch nach der Arbeitgeberinsolvenz, vgl. Birkenbeul, BetrAV 2014, 721 ff. und Wohlleben in: FS Vallender, S. 827, 834 jeweils m. w. N.

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§ 24 Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft Übersicht I. Einführung .................................................. 1 II. Rechtsformüberlegungen .......................... 8 III. Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung ............................................ 11 1. Vorliegen einer wirtschaftlichen Neugründung..................................................... 13 2. Haftungsrisiken.......................................... 19 2.1 Gesellschafterhaftung ..................... 19 2.2 Geschäftsführerhaftung.................. 24 3. Handelsregisteranmeldung ........................ 25 IV. Kapitalaufbringung in der Auffanggesellschaft................................................. 27 1. Sachgründung ............................................. 27 2. Verdeckte Sacheinlage................................ 33 3. Debt-Equity-Swap ..................................... 35 3.1 Bilanzielle Betrachtungsweise ........ 41 3.2 Liquiditätsbezogene Betrachtungsweise ....................................... 42

3.3

Nennwertbezogene Betrachtungsweise ....................................... 43 3.4 Markwertbezogene Betrachtungsweise ....................................... 44 V. Rechtsbeziehungen zwischen Insolvenzmasse und Auffanggesellschaft................................................. 47 1. Entwicklung des Sanierungsprivilegs ........ 49 2. Voraussetzungen des Sanierungsprivilegs ...................................................... 51 2.1 Zeitpunkt des Anteilserwerbs ....... 53 2.2 Zeitpunkt der Darlehensgewährung ........................................... 68 2.3 Insolvenzreife.................................. 71 2.4 Sanierungszweck ............................. 72 3. Fazit ............................................................ 73

Literatur: Bärwaldt/Balder, Praktische Hinweise für den Umgang mit Vorrats- und Mantelgesellschaften – Teil 2: Mantelgesellschaften, GmbHR 2004, 350; Blöse, Haftung der Geschäftsführer und Gesellschafter nach dem ESUG, GmbHR 2012, 471; Cahn/Simon/Theiselmann, Nennwertanrechnung beim Debt Equit Swap!, DB 2012, 501; Cahn/Simon/Theiselmann, Forderungen gegen die Gesellschaft als Sacheinlage?, Zum Erfordernis der Forderungsbewertung beim Debt-Equity Swap, Corporate Finance Law 2010, 238; Carli/Rieder/Mückl, Debt-to-Equity-Swaps in der aktuellen Transaktionspraxis, ZIP 2010, 1737; Ekkenga, Sachkapitalerhöhung gegen Schuldbefreiung, ZGR 2009, 581; Götz, Darlegungs- und Beweislast im Unterbilanzhaftungsprozess bei Erstgründung und bei wirtschaftlicher Neugründung einer GmbH, GmbHR 2013, 290; Hacker/Petsch, Leere Hülse, volle Haftung?, Plädoyer für eine Insolvenzausnahme bei Unternehmensfortführung und wirtschaftlicher Neugründung, ZIP 2015, 761; Hannemann, Zur Bewertung von Forderungen als Sacheinlagen bei Kapitalgesellschaften, DB 1995, 2055; Hirte/Knof/Mock, Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, DB 2011, 632; Karollus, Die Umwandlung von Geldkrediten in Grundkapital – eine verdeckte Sacheinlage?, ZIP 1994, 589; Krause, Zulässigkeit und Verbindlichkeit von Vereinbarungen über neben der Einlage zu erbringendes Aufgeld (Agio), BB 2008, 77; Löwisch, Eigenkapitalersatzrecht, 2007; Pentz, Die Änderungen und Ergänzungen der Kapitalersatzregeln im GmbH-Gesetz, GmbHR 1999, 437; Priester, Debt-Equity-Swap zum Nennwert?, DB 2010, 1445; Redeker, Kontrollerwerb an Krisengesellschaften: Chancen und Risiken des Debt-Equity-Swaps, BB 2007, 673; Scheunemann/Hoffmann, Debt-Equity-Swap, DB 2009, 983; Schmidt, K., Unterbilanzhaftung bei Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft?, DB 2014, 701; Schmidt, K., Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht im ESUG-Entwurf, BB 2011, 1603; Seibt/Voigt, Kapitalerhöhungen zu Sanierungszwecken, AG 2009, 133; Tavakoli, Begrenzung der Unterbilanzhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung einer GmbH, NJW 2012, 1855; Theusinger/Andrä, Die Aktivierung unternehmensloser Gesellschaften – Praktische Hinweise zur Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, ZIP 2014, 1916; Toth-Feher/Schick, Distressed Opportunities – Rechtliche Probleme beim Erwerb notleidender Forderungen von Banken, ZIP 2004, 491; Wentzler, Debt Equity Swap als Teil der finanziellen Unternehmenssanierung, FB 2009, 446; Werner, Zur Behandlung von Gesellschafterdarlehen bei Unternehmensverkäufen, StBW 2014, 154.

I.

Einführung

Bei der Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft stellt sich für den Insol- 1 venzverwalter zunächst eine Frage, die auch jeder andere Unternehmensgründer für sich beantworten muss. Es ist zu entscheiden, in welcher Rechtsform die Auffanggesellschaft geführt werden soll.

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§ 24

Teil V Einzelfragen

2 Ist diese Frage beantwortet, ist es nicht selten so, dass die – u. U. teilweise – Übertragung der Aktiva des insolventen Rechtsträgers auf die Auffanggesellschaft unter zeitlichem Druck zu geschehen hat. Vor diesem Hintergrund wird es vielfach als attraktiv empfunden, nicht den Weg einer rechtlichen Neugründung der Auffanggesellschaft zu beschreiten, sondern einen bereits vorhandenen Rechtsträger zu verwenden. Dies geschieht in diesen Fällen regelmäßig durch den Erwerb und die Aktivierung einer Vorratsgesellschaft. Wird so verfahren, sind – da der BGH dies als einen Fall der wirtschaftlichen Neugründung betrachtet – die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die sich aus der Rechtsprechung erwachsenden Haftungsrisiken zu vermeiden. 3 Eine ebenfalls i. R. der Gründung zu beantwortende Frage ist – jedenfalls, wenn die Rechtsformüberlegungen zur Wahl einer Kapitalgesellschaft geführt haben – die der Aufbringung des Stamm- oder Grundkapitals der Auffanggesellschaft. Da diese das Unternehmen des insolventen Rechtsträgers ganz oder teilweise fortführen, also auffangen soll, kommt in Betracht, den Weg der Sachgründung unter Einbringung des Unternehmens zu beschreiten. Gegebenenfalls können sich aber auch – wenn eine Bargründung vollzogen wird – Fragen einer verdeckten Sacheinlage oder eines sog. Hin- und Herzahlens stellen. Denkbar – wenn auch nicht wahrscheinlich – ist der Fall, dass nach einer Bargründung die Übertragung des fortzuführenden Unternehmens erfolgt und dessen Wert gegen null geht. Hier stellt sich die Frage der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen. 4 Ist die Auffanggesellschaft schließlich gegründet, so tritt sie häufig in Rechtsbeziehungen zu dem insolventen Rechtsträger, sprich der Insolvenzmasse. Je nach Gestaltung und Entwicklung dieser Rechtsbeziehungen können sich – insbesondere bei einer Folgeinsolvenz der Auffanggesellschaft – nachteilige Konsequenzen für die Insolvenzmasse ergeben. 5 Durch das ESUG hat die Frage neue Dynamik gewonnen, ob die mit der klassischen Auffanggesellschaft beabsichtigten Effekte nicht auch auf Ebene des insolventen Rechtsträgers selbst erzielbar sind. Mit dem nunmehr ausdrücklich insolvenzrechtlich kodifiziert abgesicherten Instrument des Debt-Equity-Swaps besteht die Möglichkeit, die – zumindest teilweise – Entschuldung des Rechtsträgers auf anderem Wege als Separierung der Aktiva von den Passiva unter Zuhilfenahme zweier unterschiedlicher Rechtsträger zu erreichen. 6 Begrifflich ist es in einem solchen Fall nicht zutreffend, von einer Auffanggesellschaft im engeren Sinne zu sprechen, da eben gerade keine Übertragung von Aktiva auf einen neuen Rechtsträger und also gerade kein Auffangen des Geschäftsbetriebes des insolventen Unternehmens durch einen neuen Rechtsträger erfolgt.1) Gleichwohl sollen wegen der häufig anzutreffenden gestalterischen Nähe der beiden Verfahrensweisen auch einige Gedanken hinsichtlich der Betriebsfortführung im Zusammenhang mit einem Debt-Equity-Swap angestellt werden. 7 Mitunter werden die Anteilsinhaber des insolventen Rechtsträgers auch im Zusammenhang mit einem Debt-Equity-Swap in die Sanierungsüberlegungen mit einbezogen. Dies ist ebenfalls nichts grundsätzlich Neues, da auch in der Vergangenheit die Altgesellschafter grundsätzlich als (Mit-)Anteilsinhaber der klassischen Auffanggesellschaft in Betracht ___________ 1) Ob dies zur Anwendung der Grundsätze über die wirtschaftliche Neugründung führt, ist nach den Kriterien zu beantworten, die der BGH in seiner Entscheidung vom 10.12.2013 (BGH, Vers.-Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418) aufgestellt hat. Danach ist entscheidend, „ob die Gesellschaft noch ein aktives Unternehmen betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpft, oder ob es sich tatsächlich um einen leer gewordenen Gesellschaftsmantel ohne Geschäftsbetrieb handelt, der seinen – neuen oder alten – Gesellschaftern nur dazu dient, unter Vermeidung der rechtlichen Neugründung einer die beschränkte Haftung gewährleistenden Kapitalgesellschaft eine gänzlich neue Geschäftstätigkeit – ggf. wieder – aufzunehmen“. S. dazu auch die kritische Anm. von K. Schmidt, DB 2014, 701.

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Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft

§ 24

gekommen sind. Neuen Schwung haben allerdings die Gestaltungsüberlegungen erhalten, die dahin gehen, die drohende Inanspruchnahme der Altgesellschafter, insbesondere vor dem Hintergrund anfechtungsrechtlich relevanter Gesellschafterleistungen (§ 135 InsO), zu vermeiden. Durch geschicktes Kombinieren der insolvenzrechtlichen Instrumente der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO), des Insolvenzplans (§§ 217 ff. InsO), und innerhalb dessen insbesondere des Debt-Equity-Swaps (§ 225a Abs. 2 InsO), lässt sich im Zusammenwirken von Altgesellschaftern und den wesentlichen Gläubigern eine Haftungsbefreiung für die Altgesellschafter erreichen. Dies ist im Grundsatz unproblematisch, jedoch dann bedenklich, wenn auf diesem Wege die wirtschaftlichen Interessen der nicht am DebtEquity-Swap beteiligten Gläubiger berührt werden und daher die Erreichung der Ziele des Insolvenzverfahrens i. S. von § 1 InsO, also die gemeinschaftliche – und in diesem Sinne auch gleichmäßige – Befriedigung der Gläubiger in Gefahr gerät. Wünschenswert wäre es daher, die Stellung des Sachwalters auch durch gesetzliche Maßnahmen zu stärken. II.

Rechtsformüberlegungen

Die Erwägungen, die im Zusammenhang mit der Gründung einer Auffanggesellschaft 8 Platz greifen, unterscheiden sich nicht wesentlich von den Überlegungen, die im Zusammenhang mit der Gründung einer Gesellschaft für andere Zwecke angestellt werden. Insbesondere dann, wenn das Geschäftsmodell der Auffanggesellschaft risikoreich ist, 9 und also die Verwirklichung eines Verlustrisikos mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit versehen ist, wird für den Insolvenzverwalter, vor allem auch vor dem Hintergrund eigener Haftungsdrohung, der Gesichtspunkt der Risikoabschirmung von besonderer Bedeutung sein. Der praktische Regelfall der Rechtsform einer Auffanggesellschaft ist daher die Kapitalgesellschaft. Etwas anderes kann jedoch insbesondere in den Fällen gelten, in denen die Übernahme 10 der Auffanggesellschaft durch einen Erwerber weitgehend vorbereitet ist und zeitnah zur Gesellschaftsgründung erfolgen soll. In einer solchen Situation mag die Wahl auch auf eine Personengesellschaft fallen, da diese den Vorteil bietet, nicht selbst Ertragsteuersubjekt zu sein. Soll die Übernahme der Auffanggesellschaft unter Inanspruchnahme von deren Ertragskraft und/oder Substanz erfolgen, wie dies bei Leveraged Buy-Outs geschieht, so kann diese Verlustdurchlässigkeit für den Investor von Interesse sein und ihrerseits einen Finanzierungsbeitrag für die Übernahme der Gesellschaft darstellen. Auch in diesen Fällen wird jedoch regelmäßig Haftungsvorsorge zu betreiben sein, so dass auch bei solchen Gestaltungen die reine Personengesellschaft regelmäßig ausscheiden und die Wahl auf eine gemischte Gesellschaftsform, typischerweise die GmbH & Co. KG, fallen wird. III.

Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung

Die Übertragung der Aktiva eines insolventen Rechtsträgers auf eine Auffanggesellschaft 11 vollzieht sich oft in der Notwendigkeit der Beachtung knapper Fristen. Häufig ist es beidseits, d. h. sowohl von Seiten eines Investors als auch von Seiten des Insolvenzverwalters gewünscht, dass die Übernahme des Geschäfts des insolventen Rechtsträgers unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschieht. Es ist dann vor dem Hintergrund dieses zeitlichen Drucks vielfach nicht tunlich, die Auffanggesellschaft im Wege der rechtlichen Neugründung ins Leben zu rufen. Stattdessen wird nicht selten eine Vorratsgesellschaft genutzt. Die Nutzung einer solchen Gesellschaft stellt jedoch eine wirtschaftliche Neugründung dar, so dass die dafür von der Rechtsprechung aufgeführten Grundsätze zu beachten sind.

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Teil V Einzelfragen

12 Seit den Entscheidungen des BGH vom 9.12.20022) und 7.7.20033) ist klar, dass sich aus einer sog. wirtschaftlichen Neugründung ganz erhebliche Haftungsrisiken für die beteiligten Personen ergeben können. Der BGH hat damals entschieden, dass bei einer wirtschaftlichen Neugründung die Grundsätze über die Unterbilanzhaftung entsprechend anwendbar sind und dass daneben auch eine Handelndenhaftung analog § 11 Abs. 2 GmbHG in Betracht kommt. 1.

Vorliegen einer wirtschaftlichen Neugründung

13 Eine wirtschaftliche Neugründung ist nach der Rechtsprechung des BGH in den vorgenannten Beschlüssen vom 9.12.2002 und 7.7.2003 in zwei Varianten denkbar: x

Zum einen kommt die Erstverwendung einer Vorrats-GmbH in Betracht,

x

zum anderen die Wiederverwendung einer bereits existenten Gesellschaft, deren Geschäftsbetrieb jedoch vorübergehend eingestellt war.

14 Ein solcher Fall stellt im Zusammenhang mit der Gründung einer Auffanggesellschaft eine Ausnahme dar, die jedoch gleichwohl denkbar ist. Dies insbesondere dann, wenn der insolvente Rechtsträger Inhaber aller Anteile einer Gesellschaft ist, die ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hatte. In einem solchen Fall kann es sowohl unter dem bereits angesprochenen zeitlichen Aspekt, aber auch unter Kostengesichtspunkten in Betracht kommen, den Geschäftsbetrieb des insolventen Rechtsträgers auf eine solche inaktive Tochtergesellschaft zu übertragen und diese also als Auffanggesellschaft zu nutzen. 15 Während bei einer Vorrats-Gesellschaft der Umstand, dass nach der zitierten Rechtsprechung des BGH eine wirtschaftliche Neugründung vorliegt, für die Beteiligten regelmäßig leicht zu erkennen ist – zu Abgrenzungsfragen siehe sogleich – und zudem in der Mehrzahl der Fälle die Grundlage einer Haftung gar nicht gegeben sind, gilt für die Wiederverwendung einer zeitweise inaktiven Gesellschaft etwas anderes. Hier bestehen ganz erhebliche Schwierigkeiten, zu beurteilen, ob nach den Kriterien des BGH eine wirtschaftliche Neugründung vorliegt. In seiner Entscheidung vom 7.7.2003 hatte der BGH als Anhaltspunkte benannt: x

Änderung der Firma,

x

Änderung des Unternehmensgegenstandes,

x

Sitzverlegung,

x

Austausch der Geschäftsführung und

x

Veräußerung der Geschäftsanteile.

16 Diese Aufzählung kann jedoch nicht als in dem Sinne abschließend verstanden werden, dass immer dann, wenn die genannten Umstände vorliegen, eine wirtschaftliche Neugründung gegeben ist bzw. umgekehrt, dass eine solche ausscheidet, wenn die aufgeführten Kriterien nicht erfüllt sind.4) 17 Die Rechtsprechung verwendet regelmäßig den Begriff der „leeren Hülse“, um solche Gesellschaften zu beschreiben, die Gegenstand einer wirtschaftlichen Neugründung sind. Diese eingängige Formulierung soll eine Situation kennzeichnen, in der die Gesellschaft kein aktives Unternehmen mehr betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs, ___________ 2) BGH, Beschl. v. 9.12.2012 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251. 3) BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698 m. Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790. 4) S. dazu Bärwaldt/Balder, GmbHR 2004, 350.

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Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft

§ 24

sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebietes, in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtigen Weise anknüpfen kann.5) Als entscheidender Gesichtspunkt für die vorzunehmende Differenzierung wird demnach 18 betrachtet, ob die fragliche Gesellschaft in dem Zeitpunkt, in dem sie wieder aktiviert wird, überhaupt noch ein Unternehmen betrieben hat oder vielmehr tatsächlich stillgelegt war. Als eindeutig werden dabei die Fälle angesehen, bei denen ein (nahezu) vermögensloser Alt-Mantel für den Betrieb eines neuen Unternehmens verwandt wird.6) Das OLG Celle hat zudem einen geringen, eher symbolischen Kaufpreis bei einer Geschäftsanteilsübertragung als Indiz dafür gewertet, dass die Gesellschaft inaktiv war.7) 2.

Haftungsrisiken

2.1

Gesellschafterhaftung

Eine wirtschaftliche Neugründung führt sowohl für die beteiligten Gesellschafter als auch 19 für die Geschäftsführer zu Haftungsrisiken. Die Gesellschafter sehen sich mit dem Problem der Unterbilanzhaftung, teilweise auch Vorbelastungshaftung genannt, konfrontiert. Dies bedeutet, dass die Gesellschafter der Gesellschaft gegenüber anteilig auf Ausgleich haften, wenn durch Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Gesellschaft, also bei Eintragung ins Handelsregister, eine Differenz zwischen Stammkapital und Wert des Gesellschaftsvermögens besteht. Dieser allgemeine Grundsatz der Unterbilanzhaftung ist für die Fälle der analogen An- 20 wendung auf die wirtschaftliche Neugründung zu modifizieren. Aus der Natur der Sache heraus kann es hier nicht auf den Zeitpunkt der Eintragung ins Handelsregister ankommen, sondern entscheidend ist der Zeitpunkt, in dem die wirtschaftliche Neugründung gegenüber dem Handelsregister angemeldet bzw. offengelegt wird.8) Erfolgt eine Anmeldung bzw. Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung nicht, so wurde teilweise vertreten, dass die Haftung der Gesellschafter zeitlich unbeschränkt ist.9) Dieser Auffassung hat sich der BGH jedoch in einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 nicht angeschlossen.10) Im Kern geht es bei den unterschiedlichen Auffassungen darum, für welchen Zeitraum 21 sich die Gesellschafter einer unbeschränkten Verlustdeckungshaftung ausgesetzt sehen und ab welchem Zeitpunkt stattdessen die Beschränkung auf eine reine Unterbilanzhaftung eingreift. Diesen Zeitpunkt hat der BGH in der vorgenannten Entscheidung nunmehr definiert und auf den Zeitpunkt festgelegt, zu dem die wirtschaftliche Neugründung erstmals nach außen in Erscheinung tritt. Zur Begründung seiner Ansicht führt der BGH aus, dass entscheidend ist, wann die wirtschaftliche Neugründung erstmals offenbar geworden ist. Als Mittel für dieses Offenbarwerden, kann dabei nicht nur die Offenlegung durch Anmeldung zum Handelsregister dienen, sondern auch durch die nach außen wahrnehmbare, d. h. offenbare Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit. Ab diesem Zeitpunkt gilt dann eine Haftungsbeschränkung, die darin liegt, dass die Gesellschafterhaf-

___________ 5) BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698 m. Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790. 6) OLG München, Urt. v. 11.3.2010 – 23 U 2814/09, ZIP 2010, 579. 7) OLG Celle, Urt. v. 11.5.2005 – 9 U 218/04, GmbHR 2005, 1496, 1497. 8) BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 325 = ZIP 2003, 1698 m. Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790. 9) So OLG München, Urt. v. 11.3.2010 – 23 U 2814/09, ZIP 2010, 579. 10) BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817.

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tung auf die Unterbilanz begrenzt ist, die an dem Tag besteht, an dem Tatsache der wirtschaftlichen Neugründung dem Rechtsverkehr bekannt geworden ist.11) 22 Für den i. R. der Gründung einer Auffanggesellschaft praxisdominanten Fall der Übernahme einer Vorratsgesellschaft dürfte sich die Haftungsgefahr bei der wirtschaftlichen Neugründung damit weitgehend entschärft haben. Dies deshalb, weil die Vorratsgesellschaft im Zeitpunkt ihrer Übernahme durch den Insolvenzverwalter regelmäßig ein intaktes Stammkapital haben wird. Erfolgt die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung dann vor Aufnahme der Geschäftstätigkeit, so können noch keine Verluste verursacht worden sein, die nach den Grundsätzen der Unterbilanzhaftung ausgleichspflichtig sind. 23 Erfolgt die Offenlegung nicht, wird aber vielfach im Ergebnis das Gleiche gelten. Der Stichtag der Feststellung der Unterbilanz ist in diesem Fall der Zeitpunkt, in dem die Neugründung offenkundig wird und also – nach der neuen Rechtsprechung des BGH – der Zeitpunkt der Aufnahme geschäftlichen Kontakts mit Dritten. Dann fallen aber der Stichtag der Feststellung einer Unterbilanz und der Tag, an dem Verbindlichkeiten, die zu einem Verlust führen können, begründet werden, zusammen, so dass ausgleichspflichtige Verluste nicht bestehen dürften.12) 2.2

Geschäftsführerhaftung

24 Neben die Unterbilanzhaftung tritt die Handelndenhaftung aus § 11 Abs. 2 GmbHG. Diese adressiert die Geschäftsführer oder diejenigen, die wie Geschäftsführer für die künftige GmbH tätig werden.13) Inhalt und Umfang der Handelndenhaftung ergeben sich aus dem Inhalt der von den Handelnden begründeten Rechtsbeziehung. Mit anderen Worten haften die Handelnden auf Erbringung der primären Leistungspflicht, die sich aus dem von ihnen für die Vorgesellschaft abgeschlossenen Rechtsbeziehungen ergibt, und auf sich ggf. ergebende Sekundäransprüche. Die Haftung endet, wenn die fragliche Verbindlichkeit bei Entstehung der GmbH durch deren Handelsregistereintragung auf die Gesellschaft übergeht. 3.

Handelsregisteranmeldung

25 Das grundlegende Anliegen der Rechtsprechung des BGH zur wirtschaftlichen Neugründung ist es, dass durch eine solche Gestaltung des (Wieder-)Eintritts eines Rechtsträgers ins Wirtschaftsleben die Gründungsvorschriften nicht umgangen werden dürfen. Daher soll die wirtschaftliche Neugründung weitgehend eine Gleichbehandlung mit einer rechtlichen Neugründung erfahren. Dazu gehört im Grundsatz auch, dass eine Anmeldung zum Handelsregister erfolgt. Nach dem vorstehend Gesagten sind zwar die Haftungskonsequenzen des Unterbleibens einer solchen Anmeldung mittlerweile gemildert, gleichwohl ist die Vornahme der Anmeldung nach wie vor der unter Haftungsgesichtspunkten sicherste Weg. 26 In Vorbereitung dieser Anmeldung haben die anmeldeverpflichteten Geschäftsführer einen Vermögensstatus aufzustellen, um die aktuelle Vermögenssituation der Gesellschaft im Zeitpunkt der Anmeldung zu erfassen. Ergibt sich dabei, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Unterbilanzhaftung gegeben sind, dass also das Vermögen der Gesellschaft geringer ist als die Stammkapitalziffer, ist entweder ein Ausgleich durch eine ___________ 11) Tavakoli, NJW 2012, 1855, 1856. 12) Zur Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Unterbilanz s. Götz, GmbHR 2013, 290, 291. Zu Möglichkeiten der „Heilung“ einer haftungsauslösenden wirtschaftlichen Neugründung s. Theusinger/ Andrä, ZIP 2014, 1916, 1922. 13) Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, § 11 Rz. 47.

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entsprechende Vermögenszuführung oder ein bilanzieller Ausweis, der sich aus der Unterbilanzhaftung ergebenden Einlageforderung der Gesellschaft, vorzunehmen. Im Rahmen der Anmeldung der ohnehin – wegen der regelmäßig erfolgenden Umfirmierung – erforderlichen Satzungsänderung ist dann offenzulegen, dass es sich um einen Fall einer wirtschaftlichen Neugründung handelt. Zugleich ist von den Geschäftsführern die Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG abzugeben. Erfolgt ausnahmsweise keine Satzungsänderung, z. B. wenn als Auffanggesellschaft eine Tochterunternehmung des insolventen Rechtsträgers verwandt wird, deren Firmierung ohnehin attraktiv erscheint, und daher also keine Handelsregisteranmeldung erforderlich ist, hat eine isolierte Mitteilung der wirtschaftlichen Neugründung und eine darauf bezogene Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG zu erfolgen.14) IV.

Kapitalaufbringung in der Auffanggesellschaft

1.

Sachgründung

Da die Auffanggesellschaft das Unternehmen des insolventen Rechtsträgers fortführt, 27 kommt es grundsätzlich in Betracht, dass eine Sachgründung unter Einbringung jenes Unternehmens vorgenommen wird: x

Der damit verbundene Nachteil liegt darin, dass eine Bewertung der einzubringenden Vermögensgegenstände vorzunehmen ist.

x

Der Vorteil besteht hingegen darin, dass sich die – nachfolgend unter Rz. 33 f. anzusprechenden – Fragen einer verdeckten Sachgründung nicht stellen.

Wird der Weg einer Sachgründung beschritten, so ist zunächst zu klären, was konkret der 28 Einlagegegenstand ist. Besteht dieser also x

in den einzelnen Vermögensgegenständen, die vom insolventen Rechtsträger auf die Auffanggesellschaft übertragen werden, oder

x

in dem Unternehmen als solchem.

Im erstgenannten Fall ist eine Einzelbewertung der einzelnen einzubringenden Gegen- 29 stände des Anlage- und/oder Umlaufvermögens vorzunehmen. Das Risiko, das dabei das Thema einer Differenzhaftung nach § 9 GmbHG oder für die AG aus der übernommenen Kapitaldeckungszusage15) relevant wird, ist überschaubar. Zwar ist auch eine Überbewertung einzelner Vermögensgegenstände, also des einzubringenden Grundstücks, der einzubringenden Maschine, der einzulegenden Forderung16) usw. möglich, jedoch erscheinen die Bewertungsschwierigkeiten dabei deutlich geringer, als die mit der Bewertung eines Unternehmens insgesamt verbundenen Unsicherheiten. Wird ein Unternehmen als solches im Zuge einer Sachgründung eingebracht, so ist der 30 Wert dieses Einlagegegenstandes nach dem Ertragswert zu bemessen.17) Untergrenze ist dabei der Liquidationswert, also der Substanzwert, der sich bei einer Einzelveräußerung der zum Unternehmen gehörigen Vermögensgegenstände ergibt. Denkbar ist, dass sich insgesamt ein Unternehmenswert i. H. von Null ergibt. Dies dann, wenn das Unternehmen dauerhaft nicht in der Lage ist, Überschüsse zu erwirtschaften und es sich um ein be___________ 14) S. zum Ganzen Roth/Altmeppen-Roth, GmbHG, § 3 Rz. 14b; Hacker/Petsch, ZIP 2015, 761, sprechen sich für eine Insolvenzausnahme bei der wirtschaftlichen Neugründung aus. 15) Hüffer, AktG, § 27 Rz. 21. 16) Zur verwandten Thematik des Dept-Equity-Swaps im Insolvenzverfahren s. z. B. Blöse, GmbHR 2012, 471. 17) Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, § 5 Rz. 34; Lutter/Hommelhoff-Bayer, GmbHG, § 5 Rz. 22.

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triebsmittelarmes Unternehmen handelt bzw. der (Substanz-)Wert des Anlage- und Umlaufvermögens wegen dessen Zustands gegen null geht. In einem solchen Fall ist das Haftungsrisiko aus der Differenzhaftung – nahezu – betragsgleich mit der Stammkapitalziffer. 31 Inwieweit sich dieses Risiko dadurch eingrenzen lässt, dass der – angenommene – Wert des einzubringenden Unternehmens aufgeteilt wird in einerseits eine Kapitaleinlage und andererseits in eine Einzahlung in eine Rücklage, ist von der Gestaltung dieses Vorgangs abhängig. Im Grundsatz gilt insoweit nach der Entscheidung des BGH vom 6.12.2011,18) dass der gesetzliche Differenzhaftungsanspruch auch den Betrag des Aufgeldes, also den in die Kapitalrücklage einzustellenden Teil des Gesamtunternehmenswertes, deckt. Allerdings bezieht sich die Differenzhaftung dabei nur auf das sog. statuarische Aufgeld, nicht jedoch auf das rein schuldrechtlich vereinbarte.19) 32 Wirtschaftlich hilft diese Unterscheidung allerdings dem Inferenten nicht weiter, da dieser auch zur Zahlung des schuldrechtlich vereinbarten Aufgeldes eben aus der schuldrechtlichen Abrede verpflichtet ist.20) 2.

Verdeckte Sacheinlage

33 Häufiger als Probleme i. R. einer Sachgründung können Fragen einer verdeckten Sacheinlage auftreten. Dies sowohl dann, wenn nach einer Bargründung das vom insolventen Rechtsträger geführte Unternehmen bzw. die diesem zuzuordnenden Vermögensgegenstände unmittelbar entgeltlich auf die Auffanggesellschaft übertragen werden als auch dann, wenn zwar die Übertragung als solche unentgeltlich erfolgt, daneben aber schuldrechtliche Beziehungen zwischen Insolvenzmasse und Auffanggesellschaft begründet werden, bei denen das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung fraglich ist. Beispiel: Als Beispiel kann hier der Fall dienen, dass der Auffanggesellschaft sämtliche Aktiva des insolventen Rechtsträgers mit Ausnahme des Betriebsgrundstückes übertragen werden und dieses pachtweise überlassen wird, wobei die Bemessung des Pachtzinses zu Lasten der Auffanggesellschaft unüblich, d. h. im Drittvergleich zu hoch, erfolgt. In einem solchen Fall liegt eine verdeckte Sacheinlage vor, da bei wirtschaftlicher Betrachtung der den Marktpreis übersteigende Teil des Pachtzinses Kaufpreis für die der Auffanggesellschaft übertragenen Vermögensgegenstände ist. Je nach Gestaltung kann dann statt einer verdeckten Sacheinlage auch ein Fall des Hin- und Herzahlens i. S. von § 19 Abs. 5 GmbHG, § 27 Abs. 4 AktG vorliegen. 34 Da die Übertragung des Unternehmens auf die Auffanggesellschaft und die Gestaltung der schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Auffanggesellschaft und Insolvenzmasse typischerweise im Zusammenhang vorgenommen werden, muss in Fällen wie diesen – jedenfalls wenn Kenntnis davon besteht, dass der vereinbarte Pachtzins unüblich hoch ist – von einer bewussten verdeckten Sacheinlage ausgegangen werden. Dies hat für die anmeldeverpflichteten Geschäftsführer/Vorstände relevante nachteilige Konsequenzen. Da die Erfüllung der Einlageverpflichtung bei Fällen der verdeckten Sacheinlage nach § 19 Abs. 4 Satz 3 und 4 GmbHG bzw. § 27 Abs. 3 Satz 3 und 4 AktG im Wege der Anrechnung erfolgt und diese frühestens mit Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister geschieht, ist die von den Geschäftsführern/Vorständen abzugebende Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG bzw. § 37 Abs. 1 AktG notwendigerweise falsch. Daraus erwächst die strafrechtliche Konsequenz der § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG und § 399 Abs. 1 Nr. 1 AktG.21) ___________ 18) BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock/Borsig), BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73. 19) S. zur Unterscheidung BGH, Urt. v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416 = DB 2007, 2826; Krause, BB 2008, 77. 20) BGH, Urt. v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416 = DB 2007, 2826. 21) S. dazu für die GmbH: Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 82 Rz. 12.

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Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft

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Da beide Vorschriften zugleich Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB sind, ergibt sich zugleich gegenüber gegenwärtigen und künftigen Gläubigern der Gesellschaft sowie künftigen Gesellschaftern eine Schadenersatzverpflichtung.22) 3.

Debt-Equity-Swap

Eine Maßnahme der – nominellen – Kapitalaufbringung kann auch der Debt-Equity-Swap 35 sein.23) Das ESUG hat dieses in der Gestaltungspraxis bereits häufig genutzte Instrument mit einer ausdrücklichen Regelung in der InsO versehen. Seinem Wesen nach handelt es sich bei einem solchen Vorgang um eine Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage, bei der Forderungen gegen die Gesellschaft in diese eingebracht werden.24) Für den Inferenten können sich in diesem Zusammenhang grundsätzlich Haftungsrisiken 36 unter dem Gesichtspunkt der Differenzhaftung (§ 56 Abs. 2 i. V. m. § 9 GmbHG) ergeben. Hinsichtlich dieser Differenzhaftung ergibt sich jedoch aus § 254 Abs. 4 InsO eine wesentliche Haftungserleichterung. Nach dieser Vorschrift können Ansprüche wegen einer Überbewertung der eingebrachten Forderungen nach der gerichtlichen Bestätigung des Insolvenzplans gegen die bisherigen Gläubiger nicht mehr geltend gemacht werden. Die gesetzgeberische Motivation für diese Haftungsprivilegierung ergibt sich aus dem nach Auffassung des Gesetzgebers schützenswerten Interesse an Planungssicherheit derjenigen Gläubiger, die i. R. eines Planverfahrens ihre Forderungen gegen Anteilsrechte tauschen. Dem stehe auch nicht das Schutzinteresse der übrigen Gläubiger entgegen, da dieses durch das Planverfahren gewährleistet sei. In diesem Verfahren hätten die Beteiligten die Möglichkeit, auf eine fehlerhafte Bewertung der Sacheinlage hinzuweisen und Rechtsmittel gegen den Plan und damit die Bewertung der Sacheinlage einzulegen. Ein weitergehender Schutz sei nicht erforderlich.25) Diese Haftungsfreistellung kann allerdings zu nicht gewollten Ergebnissen führen, wenn 37 das Instrument des Debt-Equity-Swaps genutzt wird, um den insolventen Rechtsträger zu entschulden und die wieder werthaltig gewordenen Beteiligungen an ihm, den Altgesellschaftern bzw. ihnen nahestehenden Personen zu erhalten. Beispiel: Die A-GmbH befindet sich in fortgeschrittenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Verbindlichkeiten wurden in nennenswertem Umfang nicht erfüllt. Die Gesellschaft ist Inhaber von Patenten, hinsichtlich derer die berechtigte Hoffnung besteht, dass auf ihnen basierende Produkte mittelfristig zur Marktreife gebracht werden können. Dies kann jedoch nicht gelingen, bevor wegen der nahenden Zahlungsunfähigkeit ein Eröffnungsantrag gestellt werden muss. Im Auftrag des Alleingesellschafters A wendet sich B an die fünf größten Gläubiger des Unternehmens und bietet diesen an, deren Forderungen für 35 % des Nominalwertes zu erwerben. Nach Erwerb der Forderungen wird ein Eröffnungsantrag gestellt und i. R. eines Debt-EquitySwaps wird B Mehrheitsgesellschafter. In Umsetzung einer mit A getroffenen Absprache überträgt B diesem einige Zeit später die von ihm erworbenen Anteile an der A-GmbH. Auf diese Weise kann sich A seine Aussichten auf Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft bei Marktreife der in Entwicklung befindlichen Produkte sichern, ohne dem Unternehmen das Eigenkapital zur Verfügung zu stellen, um die Altschulden zu bedienen. ___________ 22) Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, § 82 Rz. 31. 23) Zur Bedeutung des Debt-Equity-Swaps als Sanierungsmaßnahme s. die Darstellung und die Beispiele bei Seibt/Voigt, AG 2009, 133; Wentzler, FB 2009, 446 und Carli/Rieder/Mückl, ZIP 2010, 1737. 24) Zu den zivilrechtlichen Rahmenbedingungen s. Redeker, BB 2007, 673 – 676; Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983 – 985. 25) RegE ESUG v. 4.5.2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 36.

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38 Noch attraktiver wäre die Gestaltung, wenn die Möglichkeit bestünde, Gesellschafterdarlehen abzutreten und diese sodann in Eigenkapital umzuwandeln und dabei neue Anteile an der Gesellschaft zu generieren. Dies wird aber im Ergebnis nicht gelingen, da ein Gesellschafterdarlehen, das nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig ist, nach der Rechtsprechung des BGH auch nach Abtretung seinen Nachrang nicht verliert.26) 39 Damit in Zusammenhang steht die beim Debt-Equity-Swap häufig entscheidende Frage: Wie ist die im Wege der Sacheinlage einzubringende Forderung zu bewerten? Denn die Forderung ist nur insoweit (voll)tauglicher Gegenstand der Sacheinlage, wie sie vollwertig ist.27) 40 Wie allerdings die Vollwertigkeit zu bestimmen ist, wird höchst unterschiedlich beurteilt. Es lassen sich insoweit vier Ansichten unterscheiden: x

Bilanzielle Betrachtungsweise,

x

liquiditätsbezogene Betrachtungsweise,

x

nennwertbezogene Betrachtungsweise,

x

marktwertbezogene Betrachtungsweise.

3.1

Bilanzielle Betrachtungsweise

41 Die bilanzielle Betrachtungsweise geht davon aus, dass eine Forderung dann als werthaltig zu betrachten ist, wenn das Vermögen der Gesellschaft deren Fremdkapital übersteigt. Erreicht der positive Unterschiedsbetrag zwischen Vermögen und Fremdkapital mindestens den Nennbetrag der einzubringenden Forderung, so ist diese vollwertig. Ist der positive Unterschiedsbetrag zwischen Vermögen und Fremdkapital geringer als der Nennwert der Forderung, so ist diese nur in entsprechend reduzierter Höhe bei der Ermittlung der realen Stammkapitalaufbringung zu berücksichtigen28) und i. H. eines Minderbetrages greift die Differenzhaftung. 3.2

Liquiditätsbezogene Betrachtungsweise

42 Die liquiditätsbezogene Betrachtungsweise stellt darauf ab, ob die Gesellschaft ohne die geplante Kapitalerhöhung in der Lage ist, die einzubringende Forderung im Fälligkeitszeitpunkt neben ihren übrigen Verbindlichkeiten zu bedienen.29) Wegen des dieser Betrachtungsweise immanenten prognostischen Elements, ist die Rückzahlungsfähigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt auf der Basis von Planungsrechnungen zu beurteilen. 3.3

Nennwertbezogene Betrachtungsweise

43 Nach dieser Betrachtungsweise ist bei der Einlage einer Forderung gegen die Gesellschaft immer deren Nennwert maßgeblich.30) Begründet wird diese Auffassung damit, dass die Gesellschaft i. H. des Nennwertes der eingebrachten Forderung von einer Verbindlichkeit befreit wird und exakt in diesem Umfang einen Gegenwert für die neu geschaffenen Ge___________ 26) BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, BGHZ 196, 220 = ZIP 2013, 582. S. dazu auch die Gestaltungsüberlegungen von Werner, StBW 2014, 154. 27) S. z. B. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, NJW 1990, 982, 985 = ZIP 1990, 156; Priester, DB 2010, 1445, 1445; Ekkenga, ZGR 2009, 581, 599. 28) S. dazu z. B. Ekkenga, ZGR 2009, 581, 600; Priester, DB 2010, 1445, 1448. 29) Hüffer, AktG, § 27 Rz. 18; Toth-Feher/Schick, ZIP 2004, 491, 496. 30) Karollus, ZIP 1994, 589, 595; Hannemann, DB 1995, 2055, 2056; Cahn/Simon/Theiselmann, Corporate Finance Law 2010, 238, 249 f.

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Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft

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schäftsanteile erhält, weil entsprechend mehr Vermögen zur Befriedigung der übrigen Gläubiger verfügbar ist. 3.4

Markwertbezogene Betrachtungsweise

Eine solche Beurteilung wird soweit ersichtlich nicht explizit vertreten, ist aber im Ergeb- 44 nis die Konsequenz daraus, dass teilweise angenommen wird, der Kaufpreis für eine Forderung habe Indizwirkung für deren Bewertung.31) Bereits dieser lediglich kursorische Überblick über die unterschiedlichen Methoden zur 45 Bestimmung der Werthaltigkeit einer Forderung zeigt, dass mit der Forderungsbewertung eine gewisse Unsicherheit einhergeht. Diese Problemlage hat auch der ESUGGesetzgeber gesehen und dazu wie folgt Stellung genommen: „Zur Frage der Werthaltigkeit des Anspruchs sind gegebenenfalls Gutachten einzuholen. Die Werthaltigkeit der Forderung wird aufgrund der Insolvenz des Schuldners regelmäßig reduziert sein und der Wert wird nicht dem buchmäßigen Nennwert entsprechen, sondern deutlich darunter liegen. Hierbei kann auch die Quotenerwartung berücksichtigt werden. Der Insolvenzplan hat eine entsprechende Wertberichtigung vorzusehen.“32)

Der Gesetzgeber geht damit sicher nicht von einer nennwertbezogenen Betrachtungsweise 46 aus.33) Wenn auf die Quotenerwartung abgestellt wird, so scheint er vielmehr einer liquiditätsbezogene Betrachtungsweise zuzuneigen.34) V.

Rechtsbeziehungen zwischen Insolvenzmasse und Auffanggesellschaft

Wird eine Auffanggesellschaft gegründet, um in ihrem Rechtskleid über einen gewissen 47 Zeitraum das Unternehmen des insolventen Rechtsträgers fortzuführen, erlangt die Insolvenzmasse Gesellschafterstellung in der Auffanggesellschaft. Regelmäßig wird sie dabei mittelbarer Gesellschafter sein, da die Anteile an der Auffanggesellschaft häufig vom Insolvenzverwalter treuhänderisch für die Insolvenzmasse gehalten werden. Soweit in diesem Rahmen Gesellschafterleistungen von der Masse an die Auffanggesellschaft erbracht werden, fragt sich, wie diese im Fall einer Insolvenz der Auffanggesellschaft zu behandeln sind. Sind diese also als nachrangige Insolvenzforderungen i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu 48 betrachten bzw. unterliegen sie der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 InsO? Eine Anfechtungsfreiheit und eine Behandlung als Insolvenzforderung i. S. des § 38 InsO ergäbe sich dann, wenn das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO anwendbar wäre. Um die Frage nach den Anwendbarkeit des Privilegs beantworten zu können, ist es zunächst notwendig, dessen Hintergründe und Zielrichtungen zu betrachten. 1.

Entwicklung des Sanierungsprivilegs

Das Sanierungsprivileg ist ursprünglich durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz 49 im Unternehmensbereich (KonTraG) in das GmbHG eingefügt worden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28.1.199835) enthielt diese Ergänzung von § 32a Abs. 3 GmbHG a. F. noch nicht. Erst der Rechtsausschuss hat in seiner Beschlussempfehlung ___________ 31) S. z. B. Redeker, BB 2007, 673, 675. 32) RegE ESUG v. 4.5.2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 31 f. 33) So auch K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1609; Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 504 meinen hingegen, dass sich eine Präferenz des ESUG-Gesetzgebers für eine bestimmte Betrachtungsweise nicht erkennen lasse. 34) Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 642 gehen davon aus, dass der Gesetzgeber auf eine Bewertung nach Zerschlagungswerten abzielt. 35) BT-Drucks. 13/9712.

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und seinem Bericht vom 4.3.199836) die Ergänzung angeregt. Tragende Erwägung war dabei:37) „Mit dem neu eingeführten Sanierungsprivileg wird es einem Darlehensgeber ermöglicht, in der Krise der Gesellschaft Geschäftsanteile und unternehmerische Kontrolle zu übernehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass seine stehen gelassenen Alt-Kredite allein deshalb in eigenkapitalersetzende Darlehen umqualifiziert werden. Dies gilt unabhängig davon, ob er neue Geschäftsanteile aus einer Kapitalerhöhung zeichnet oder bestehende Anteil von den Alteigentümern übernimmt. Auch letzteres, zumeist verbunden mit dem Austausch des Managements kann wichtiger Beitrag zu einer Sanierung sein. Die Regelung macht klar, dass die Umqualifizierung allein durch den Erwerb von Geschäftsanteilen in der Krise ausgeschlossen sein soll. Waren die Alt-Darlehen bereits umqualifiziert, weil der Darlehensgeber schon zuvor Anteile über 10 v. H. besaß, so kann das Sanierungsprivileg sie nicht rückwirkend befreien. Das Privileg gilt auch für Neudarlehen, die von dem Sanierungsgesellschafter in der Krise zum Zweck ihrer Überwindung gegeben werden. Auch bei solchen Krediten soll der Sanierungsgesellschafter nicht schlechter gestellt werden, als er stünde, wenn er die Geschäftsanteile in der Krise nicht erworben hätte, zumal solche Kredite in der Regel kaum besichert werden können und ein hohes Risiko gehen.“

50 Der Gesetzgeber des MoMiG hat sich den grundlegenden Erwägungen des KonTraGGesetzgebers angeschlossen und das Sanierungsprivileg ohne wesentliche sachliche Änderung in die InsO übernommen;38) eine Modifikation wurde lediglich hinsichtlich eines Tatbestandsmerkmals vorgenommen. In der Begründung des RegE zum MoMiG heißt es: „Das Sanierungsprivileg gilt auch zukünftig für Personen, die vor dem Anteilserwerb aus dem Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 herausfielen, also weder Gesellschafter noch gleichgestellte Personen waren oder vor dem Hinzuerwerb weiterer Anteile dem Kleinbeteiligtenprivileg nach § 39 Abs. 5 unterfielen. Infolge der durchgängigen Aufgabe des Merkmals der „Krise“ greift das Sanierungsprivileg künftig ab dem Zeitpunkt der drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bzw. der Überschuldung der Gesellschaft und bleibt bis zur „nachhaltigen Sanierung“ bestehen.“39)

2.

Voraussetzungen des Sanierungsprivilegs

51 Tatbestandliche Voraussetzungen der Privilegierung sind demnach: x

Anteilserwerb,

x

durch einen Darlehensgeber,

x

bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung der Gesellschaft,

x

zum Zweck der Sanierung.

52 Fraglich ist, ob dieser Voraussetzungen bei der Gründung einer Auffanggesellschaft und der Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dieser und der Insolvenzmasse vorliegen. 2.1

Zeitpunkt des Anteilserwerbs

53 Problematisch ist bereits, zu welchem Zeitpunkt der Anteilserwerb stattgefunden haben muss, damit die Privilegierung eingreift. Aus der vorstehend wiedergegebenen Begründung des RegE zum MoMiG könnte geschlossen werden, dass im Erwerbszeitpunkt bereits die Voraussetzungen des fakultativen Eröffnungsgrundes der drohenden Zahlungsunfähigkeit bzw. der zwingenden Eröffnungsgründe der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung vorliegen müssen. Auch unter Geltung der alten Vorschrift des § 32a ___________ 36) 37) 38) 39)

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BT-Drucks. 13/10038. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 4.3.1998, BT-Drucks. 16/9737, S. 28. Roth/Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl., 2009, Anh. §§ 32a, b Rz. 31. RegE MoMiG v. 25.7.2007, BT-Drucks. 16/6140, S. 138.

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Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft

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Abs. 3 GmbHG a. F. stellte sich eine ähnlich gelagerte Frage. Aus der bis zum Inkrafttreten des MoMiG bestehenden Tatbestandsvoraussetzung des Anteilserwerbs in der Krise hat die h. M. entnommen, dass nur der Neugesellschafter, der sich in der Krise der Gesellschaft an dieser beteiligt, Sanierungsgesellschafter i. S. des Gesetzes sein kann.40) Die gegenteilige Auffassung, nimmt an, dass auch Altgesellschafter, also solche, die an der Gesellschaft bereits vor Kriseneintritt beteiligt waren, die Privilegierung erlangen können.41) Innerhalb dieser Auffassung wird unterschiedlich beurteilt, ob der Erwerb zusätzlicher Anteile notwendig ist oder ob außer der Sanierungskreditwürdigkeit der Gesellschaft und der objektiven Eignung des Gesellschafterkredits zu dieser Sanierung die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 32 Abs. 3 Satz 3 GmbHG a. F. „in rechtsfortbildender Korrektur des Wortlauts beiseite zu lassen sind“42). Der, der h. M. widersprechenden Auffassung steht der erklärte Wille des Gesetzgebers entgegen. Aus der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass dieser davon ausgegangen ist, dass der Darlehensgeber erst nach Eintritt der Krise der Gesellschaft in dieser Gesellschafterstellung erworben hat. Auch die Rechtsprechung geht davon ganz selbstverständlich aus.43) Ausgehend von diesem Meinungsbild zur alten Rechtslage wird man für die jetzige gesetzliche Fassung des Sanierungsprivilegs zum Ergebnis kommen müssen, dass ein Anteilserwerb vor Eintritt der Voraussetzungen eines Eröffnungsgrundes nicht der Privilegierung unterfällt. Mit diesem Ergebnis wäre dann eine Anwendung des Privilegs auf Auffanggesellschaften regelmäßig ausgeschlossen, da diese im Zeitpunkt ihrer Gründung typischerweise nicht insolvenzreif sind. Fraglich ist aber, ob § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO einer teleologischen Extension zugänglich ist. Ansatzpunkt dafür könnten die Besonderheiten der Situation sein, in der Auffanggesellschaften gegründet werden. Der BGH trägt in seiner Rechtsprechung den Besonderheiten und Notwendigkeiten einer Insolvenzsituation verschiedentlich Rechnung. Ein solcher Gesichtspunkt kommt z. B. i. R. der einschränkenden Auslegung der Haftungsnorm des § 25 Abs. 1 HGB zum Tragen. Der BGH hat dazu in seiner Entscheidung vom 11.4.198844) ausgeführt: „Letztlich ausschlaggebend ist vielmehr, wie auch das Berufungsgericht nicht zu verkennen scheint, dass die Anwendung von § 25 Abs. 1 HGB und § 419 BGB auf Veräußerungsgeschäfte des Konkursverwalters im Widerspruch zu den bestimmenden Grundsätzen des Konkursverfahrens und der dem Konkursverwalter darin zugewiesenen Funktion stünde. Aufgabe des Konkursverwalters ist es, die Vermögensgegenstände des Gemeinschuldners zu verwerten und dabei im Interesse der Gläubiger den höchst möglichen Erlös zwecks anschließender Verteilung zu erzielen. Mit dieser Aufgabe wäre es unvereinbar, wenn der Erwerber eines zur Masse gehörenden Unternehmens nach § 25 Abs. 1 HGB oder § 419 BGB haften müsste. Eine Veräußerung des Unternehmens mit sämtlichen Schulden, die zum Zusammenbruch des bisherigen Trägers geführt haben, wäre nur in den seltensten Fällen erreichbar. Der Konkursverwalter wäre deshalb in aller Regel darauf beschränkt, eine Verwertung des Schuldnervermögens durch Zerschlagung durchzuführen. Dies würde Sinn und Zweck des § 25 Abs. 1 HGB und vor allem des § 419 BGB, der den Gläubiger begünstigen soll, widersprechen […]“

___________ 40) Scholz-K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., 2006, §§ 32a, 32b Rz. 214; Löwisch, Eigenkapitalersatzrecht, Rz. 428 f., jeweils m. w. N. 41) Roth/Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl., 2005, § 32a Rz. 59 ff. und 6. Aufl., 2009, Anh. §§ 32a, b Rz. 33; Pentz, GmbHR 1999, 437, 449. 42) Roth/Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl., 2005, § 32a Rz. 66. 43) S. z. B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.12.2003 – I-17 U 77/03, ZIP 2004, 508 = GmbHR 2004, 564; BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 = GmbHR 2006, 311. 44) BGH, Urt. v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, BGHZ 104, 151, 154 f. = ZIP 1988, 727.

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58 Maßgebliche Erwägung dieser Rechtsprechung ist es also, zu verhindern, dass durch die Anwendung der Haftungsnorm die Erreichung der Ziele des Insolvenzverfahrens erschwert oder unmöglich gemacht wird. Dieser Grundgedanke kann grundsätzlich auch dann zum Tragen kommen, wenn es darum geht, durch eine extensive Auslegung einer Privilegierungsvorschrift den Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu limitieren. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist dabei, dass die unlimitierte Anwendung mit den Zielen des Insolvenzverfahrens kollidiert. 59 Dessen Ziele finden sich in § 1 InsO. Die Vorschrift nennt einerseits die – im vorliegenden Zusammenhang nicht interessierende – Möglichkeit für den Schuldner, sich zu entschulden und andererseits die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger. Die Begründung des RegE zur InsO45) führt dazu aus: „Ziel des Verfahrens muss die bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens und die optimale Abwicklung oder Umgestaltung der Finanzstruktur des Schuldners im Interesse seiner Geldgeber sein. Die einzelwirtschaftliche Rentabilitätsrechnung der Beteiligten folgt im gerichtlichen Verfahren denselben Rationalitätsgesichtspunkten wie bei einer außergerichtlichen Investitions- oder Desinvestitionsentscheidung. Ein marktkonformes Verfahren ist deshalb an den Vermögensinteressen der Geldgeber des Schuldners auszurichten; es ist vermögens- nicht organisationsorientiert.“

60 In der Begründung zu § 1 InsO – der soweit hier interessierend, in den dem Regierungsentwurf zugrundeliegenden Grunderwägungen Gesetz geworden ist46) – heißt es dann47): „Dennoch liegt dem neuen Verfahren ein einheitliches Hauptziel zugrunde: Die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Dieses Ziel ist in erster Linie maßgeblich für die Entscheidungen, die innerhalb des Verfahrens zu treffen sind. Das Insolvenzrecht dient der Verwirklichung der Vermögenshaftung in Fällen, in denen der Schuldner zur vollen Befriedigung aller Gläubiger nicht mehr in der Lage ist. […] Das Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger wird zu Beginn des Gesetzes in § 1 Abs. 1 hervorgehoben, da es das gesamte Insolvenzverfahren prägt.“

61 Im vorliegenden Zusammenhang ist ausgehend von der dargestellten Intention des Gesetzgebers zu fragen, ob die Ziele des Insolvenzverfahrens es ebenso wie im Fall des § 25 HGB rechtfertigen, eine Einschränkung des Anwendungsbereiches des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO durch eine extensive Auslegung des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO vorzunehmen. 62 In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass der Gesetzgeber der InsO die übertragende Sanierung, also auch die Übertragung des Geschäftsbetriebs des Schuldnerunternehmens auf eine Auffanggesellschaft als Instrument zur Abwicklung eines Insolvenzverfahrens anerkannt hat. Im Regierungsentwurf zur InsO heißt es insoweit48): „Die übertragende Sanierung nach Betrieben und Unternehmen hat sich bereits nach dem geltenden Recht als Sanierungsinstrument außerordentlich bewährt. Sie soll den Verfahrensbeteiligten auch künftig zur Verfügung stehen. Unter übertragender Sanierung versteht der Entwurf die Übertragung eines Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteils von dem insolventen Träger auf einen anderen, bereits bestehenden oder neu zu gründenden Rechtsträger. […] Die übertragende Sanierung soll dem Beteiligten vielmehr neben der Sanierung des Unternehmensträgers als gleichrangiges Sanierungsinstrument angeboten werden.“

63 Stellt die Übertragung des Geschäftsbetriebs des Schuldners auf eine Auffanggesellschaft die bestmögliche Verwertungsvariante des Schuldnerunternehmens unter dem Gesichts___________ 45) 46) 47) 48)

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BT-Drucks. 12/2443, S. 79. S. RegE InsO, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsauschusses, BT-Drucks. 12/7302, S. 155. RegE InsO, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsauschusses, BT-Drucks. 12/7302, S. 110. RegE InsO, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsauschusses, BT-Drucks. 12/7302, S. 96.

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Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft

§ 24

punkt der optimalen Gläubigerbefriedigung dar, so verbindet sich damit die Erreichung eines zweiten anerkannten Ziels, nämlich des Erhalts eines Betriebs oder zumindest Betriebsteils als organisatorische Einheit und damit zugleich auch die Sicherung der in dieser organisatorischen Einheit vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten, sprich Arbeitsplätze. Die übertragende Sanierung stellt keine Sanierung des insolventen Rechtsträgers selbst 64 dar, sondern führt zum vollständigen oder teilweisen Erhalt der organisatorischen und unternehmerischen Einheit durch deren Übertragung auf einen neuen Rechtsträger. Daher wird durch den Akt der übertragenen Sanierung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise hinsichtlich der durch sie in ihrem Bestand erhaltenen unternehmerischen Einheit eine Sanierung erreicht. Diesem Vorgang ist es immanent, dass die unternehmenstragende Gesellschaft ausgetauscht wird. Gleichfalls immanent ist daher, dass eine Gesellschafterstellung erst im Zuge des Übertragungsaktes begründet wird. Mit anderen Worten und in der Terminologie des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO: Der Anteilserwerb findet in der manifesten Krise, also der Insolvenz des Schuldnerunternehmens und damit der übertragenden Rechtsträgers statt. Aus der Konstruktion der übertragenen Sanierung folgend, findet der Anteilserwerb zwingend nicht am übertragenden, sondern an dem Rechtsträger statt, auf den übertragen wird. Wird die übertragende Sanierung als Sanierungsinstrument anerkannt, wie dies der Ge- 65 setzgeber der InsO getan hat und stellt die übertragende Sanierung zwar nicht die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des insolventen Rechtsträgers, wohl aber – ganz oder teilweise – den Erhalt des von diesem getragenen Unternehmens dar, so entspricht es der Grundwertung des Gesetzgebers des KonTraG – die der MoMiGGesetzgeber nicht in Zweifel gezogen hat – auch den Gesellschafter als Sanierungsgesellschafter i. S. des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO zu betrachten, der sich zu Sanierungszwecken nicht am insolventen Rechtsträger beteiligt, sondern an einem anderen Rechtsträger, der als Auffanggesellschaft gegründet wird. Insgesamt ist also festzuhalten, dass der Anwendung des Sanierungsprivilegs auf Auf- 66 fanggesellschaften nicht entgegensteht, dass der Erwerb von Anteilen an diesen vor deren Insolvenzreife stattfindet. Zu fragen ist noch, ob die Anwendung des Sanierungsprivilegs in Fällen, wie dem vorlie- 67 gend diskutierten, daran scheitert, dass nicht Anteile an einer bereits bestehenden Gesellschaft übernommen werden, sondern der Anteilserwerb im Zuge des Gründungsaktes stattfindet. Der Gesetzgeber des KonTraG war der Auffassung, dass die Privilegierung unabhängig davon ist, ob der Sanierungsgesellschafter neue Geschäftsanteile aus einer Kapitalerhöhung zeichnet oder bestehende Anteile von Alteigentümern übernimmt. Wenn aber ein Anteilserwerb aus einer Kapitalerhöhung, also der Erwerb neu geschaffener Anteile, für die Erlangung der Privilegierung ausreichend ist, so kann nichts anderes für Anteile gelten, die bei der Gründung der Auffanggesellschaft neu entstehen. Auf dieser Basis ergibt sich hinsichtlich der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung, dass der Anteilserwerb bei Gründung der Auffanggesellschaft wertungsmäßig einem Anteilserwerb von einem Altgesellschafter oder im Zuge einer Kapitalerhöhung gleichsteht, so dass dieses Tatbestandmerkmal erfüllt ist. 2.2

Zeitpunkt der Darlehensgewährung

Nicht ganz unstreitig ist es, ob die Darlehensgewährung bereits vor Begründung der Ge- 68 sellschafterstellung erfolgen muss oder ob dies auch im Zuge des Eintritts des Sanierungsgesellschafters erfolgen kann. Nach wohl überwiegender Meinung zu § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG a. F. ist es nicht er- 69 forderlich, dass zuerst die kapitalersetzende Rechtshandlung und danach der AnteilserBlöse

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§ 24

Teil V Einzelfragen

werb erfolgen.49) Begründet wird dies damit, dass es ausreichen müsse, dass der Anteilserwerb Sanierungszwecken dient. Wenn das Privileg eine vorausgehende Kreditfinanzierung voraussetzen würde, wäre es ein Kunstfehler, zu Sanierungszwecken zunächst die Beteiligung zu erwerben und die Darlehensfinanzierung daran anzuschließen. Richtigerweise sei auf dieses Merkmal zu verzichten.50) 70 Im Anschluss an die wohl überwiegende Meinung ist daher davon auszugehen, dass auch eine dem Anteilserwerb nachfolgende Darlehensgewährung privilegiert sein kann. Im Falle einer Auffanggesellschaft ist dies sogar zwingend, da der darlehensnehmende Rechtsträger, an dem der Sanierungsgesellschafter Anteile erwirbt, erst geschaffen werden muss, also eine vorhergehende Darlehenshingabe gar nicht möglich ist. 2.3

Insolvenzreife

71 Wie ausgeführt ist es in Fällen, wie dem hier diskutierten, vor dem Hintergrund sowohl des Sinns und Zwecks des Sanierungsprivilegs als auch der Ziele des Insolvenzverfahrens gerechtfertigt, von einem strengen Bezug auf die Rechtsperson des Schuldners Abstand zu nehmen. Das bedeutet, dass zwar die Auffanggesellschaft, auf die zum Zweck der Sanierung das Unternehmen des Schuldners übertragen wird, nicht insolvenzreif ist, der Schuldner seinerseits sich jedoch in der manifesten Krise der Insolvenz befindet und also bei einer Gesamtschau des Schuldners und der dessen Unternehmen aufnehmenden Auffanggesellschaft von einem Anteilserwerb bei Insolvenzreife auszugehen ist. 2.4

Sanierungszweck

72 Da der Gesetzgeber der InsO davon ausgeht, dass eine übertragende Sanierung ein anerkanntes Sanierungsinstrument ist und unter diesem Gesichtspunkt eine Sanierung des Schuldners selbst gleichsteht, erfolgt der Erwerb der Anteile an der Auffanggesellschaft gerade zum Sanierungszweck. Dies deshalb, weil der Anteilserwerb Voraussetzung für die Durchführung der übertragenden Sanierung ist. 3.

Fazit

73 Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Wertungen in der InsO, dem KonTraG und dem MoMiG eine grundsätzliche Anwendung des Sanierungsprivilegs auch auf den Gesellschafter einer Auffanggesellschaft zulässig ist und die Tatbestandsvoraussetzungen des Sanierungsprivilegs in der Person des Gesellschafters einer Auffanggesellschaft regelmäßig vorliegen.

___________ 49) OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.12.2003 – I-17 U 77/03, ZIP 2004, 508 = GmbHR 2004, 564; Löwisch, Eigenkapitalersatzrecht, Rz. 437 m. w. N. 50) Scholz-K. Schmidt, GmbH, 10. Aufl., 2006, §§ 32a, 32b Rz. 215.

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§ 25 Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Aus- und Absonderungsrechte und deren Rechtsgrundlagen ............................ 5 1. Aussonderungsrechte................................... 6 1.1 Eigentum ......................................... 11 1.2 Einfacher Eigentumsvorbehalt....... 12 1.3 Factoring ......................................... 15 2. Absonderungsrechte .................................. 17 2.1 Sicherungsübereignung................... 20 2.1.1 Sicherungseigentum........................ 21 2.1.2 Sicherungsabtretung ....................... 22 2.2 Verlängerter Eigentumsvorbehalt.......................................... 24 3. Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten................................................ 31 3.1 Vermieterpfandrecht....................... 32 3.2 Spediteur- und Frachtführerpfandrecht ....................................... 35 3.3 Werkunternehmerpfandrecht......... 38 III. Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Antragsphase.................................. 40 1. Aussonderungsrechte................................. 41 1.1 Geltendmachung und Auskunftsrecht ...................................... 43 1.2 Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO................................................. 48 2. Absonderungsrechte .................................. 53

I.

2.1

Geltendmachung und Auskunftsrecht ...................................... 54 2.2 Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO................................................. 58 IV. Stellung der Sonderrechtsgläubiger im eröffneten Verfahren .......................... 62 1. Aussonderungsrechte ................................ 63 1.1 Geltendmachung und Auskunftsrecht ...................................... 64 1.2 Ersatzaussonderung........................ 70 2. Absonderungsrecht.................................... 71 2.1 Geltendmachung und Auskunftsrecht ...................................... 72 2.2 Verwertung unbeweglicher Gegenstände......................................... 75 2.3 Verwertung beweglicher Gegenstände......................................... 76 2.4 Verzögerung der Verwertung ........ 79 2.5 Schutz vor Wertverlust................... 81 2.6 Ersatzabsonderung ......................... 83 V. Konkurrenz von Sonderrechten ............. 84 1. Kollisionslagen ........................................... 86 1.1 Verarbeitung von Ware................... 87 1.2 Kollision verschiedener Absonderungsrechte.................................. 89 2. Verwertungsgemeinschaften ..................... 92

Einleitung

Im Fall der Fortführung der Betriebstätigkeit werden Sicherungsrechte an beweglichen 1 Gegenständen oder Forderungen in ihrem Bestand gefährdet. Unbezahlte Warenvorräte, halbfertige Waren, Fertigwaren und auch Forderungen werden regelmäßig i. R. der Betriebsfortführung eingesetzt und bestehende Aus- und Absonderungsrechte dadurch zerstört oder zumindest umgewandelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Erfassung und ggf. spätere Geltendmachung von Sicherungsrechten in der Regel von der Mitwirkung des Verwalters abhängt (zum Auskunftsanspruch in den verschiedenen Verfahrensstadien vgl. Rz. 43 ff. und 54 ff. sowie Rz. 64 ff.). Dieses potentielle Verlustrisiko führt in der Praxis zu Handlungsbedarf der betroffenen Sonderrechtsgläubiger. Zur Gewährleistung einer reibungslosen Betriebsfortführung sind eine schnelle Erfassung 2 dieser Rechte und eine offene Kommunikation gegenüber den Sonderrechtsgläubigern unerlässlich. Anderenfalls steht zu befürchten, dass durch Maßnahmen der Sonderrechtsgläubiger die betrieblichen Strukturen als Grundvoraussetzung der Fortführung stark beschädigt werden oder sogar verlorengehen. Ähnliches gilt für Forderungen gegen Kunden, die nicht selten zur Deckung der Anlauf- 3 finanzierung einer Betriebsfortführung revolvierend eingesetzt werden müssen. Diese sind in der Regel aufgrund von Vorausabtretungen im Wege verlängerter EigentumsvorBoddenberg

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§ 25

Teil V Einzelfragen

behaltsrechte (siehe Rz. 24 ff.) der Lieferanten oder auf der Grundlage von Globalzessionsverträgen mit den finanzierenden Banken nicht frei verfügbar. Wird eine dahingehende Zession offengelegt, zahlen die Kunden infolge der so entstehenden Unsicherheit oft erst einmal gar nicht mehr, wodurch die für die Betriebsfortführung notwendige Liquidität ausbleibt. 4 Die Findung einer schnellen Regelung zum Umgang mit den bestehenden Aus- und Absonderungsrechten ist damit eine der Kernaufgaben zu Beginn einer jeden Betriebsfortführung. Ohne entsprechende Vorbereitung und Umsetzung ist die Sicherung der für eine Betriebsfortführung notwendigen Liquidität sowie die in der Regel erforderliche Weiterversorgung mit Waren nicht möglich und die Betriebsfortführung zum Scheitern verurteilt. Nachfolgend werden die zu diesem Themenbereich einschlägigen rechtlichen Grundlagen sowie die in den jeweiligen Verfahrensabschnitten typischen Problemlagen dargestellt. II.

Aus- und Absonderungsrechte und deren Rechtsgrundlagen

5 Sonderrechtsgläubiger sind solche, die i. R. des Verfahrens Aus- und/oder Absonderungsrechte geltend machen können. 1.

Aussonderungsrechte

6 Mit dem Aussonderungsrecht (§ 47 InsO) wird geltend gemacht, dass ein bestimmter Gegenstand nicht im Eigentum der Gemeinschuldnerin steht.1) Zu Beginn eines jeden Verfahrens findet der Verwalter eine Vielzahl an Vermögenswerten vor, die er regelmäßig in Besitz nimmt, sog. „Ist-Masse“. Abzüglich der nicht im Eigentum der Schuldnerin stehenden Vermögenswerte verbleibt die sog. „Soll-Masse“. Letztere umfasst die verbleibenden Gegenstände und bildet damit die Insolvenzmasse i. S. des § 35 InsO einschließlich der mit Absonderungsrechten belasteten Vermögenswerte.2) 7 Damit wird das erste in der Betriebsfortführung bestehende Spannungsverhältnis deutlich: Wer Aussonderungsrechte bezüglich in der Betriebsfortführung benötigten Gegenständen geltend macht, reduziert mittelbar nicht nur das den Gläubigern haftende Vermögen und damit die Quotenerwartung; er greift ggf. auch unmittelbar in die Handlungsfähigkeit des Unternehmens ein und bedroht so die Machbarkeit der Fortführung. 8 Mit dem Aussonderungsrecht wird typischerweise ein Herausgabeanspruch geltend gemacht. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht jeder Herausgabeanspruch ein Aussonderungsrecht begründet. Ein solches ist nach dem Wortlaut des § 47 InsO vielmehr nur gegeben, wenn der Gläubiger geltend macht, dass der betroffene Gegenstand nicht zum Vermögen des Schuldners gehört. Im Regelfall handelt es sich hierbei um dingliche Rechte; vereinzelt berechtigen aber auch schuldrechtliche Ansprüche zur Aussonderung (z. B. Ansprüche aus Treuhandverhältnissen, Insolvenzanfechtungsansprüche).3) 9 Die Geltendmachung des Aussonderungsanspruchs erfolgt gegenüber dem (vorläufigen) Verwalter und dabei sollte der Gläubiger möglichst alle zum Nachweis seiner Eigentümerposition erforderlichen Nachweise einreichen. 10 Grundlagen des Aussonderungsanspruchs können sein: x

Eigentum

x

Einfacher Eigentumsvorbehalt

___________ 1) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 2; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 1. 2) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 2; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 2. 3) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 66; Ganter in: MünchKomm-InsO, § 47 Rz. 328.

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Boddenberg

Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung x

Grundschuldrückgewähranspruch

x

Uneigennützige Treuhand

x

Heimfallanspruch gemäß § 2 Nr. 4 ErbbauVO

§ 25

Die in der Praxis häufigsten Aussonderungsfälle werden nachfolgend kurz umrissen: 1.1

Eigentum

Der wichtigste und gleichzeitig in der Praxis häufigste Fall des Aussonderungsrechts ist 11 das Eigentum. Letzteres gewährt dem Gläubiger an dem Gegenstand gemäß § 985 BGB einen Anspruch auf Herausgabe gegen den Besitzer.4) Für den Fall, dass der Schuldner ein Recht zum Besitz hat (z. B. Leihe, Miete oder Leasing etc.), beschränkt sich der Anspruch des Gläubigers allerdings zunächst nur auf die Feststellung seines Eigentums. Dies gilt jedenfalls bis zur Beendigung bestehender Vertragsverhältnisse. 1.2

Einfacher Eigentumsvorbehalt

Anwendungsfall des einfachen Eigentumsvorbehalts ist die Situation, dass beide Parteien 12 eines Kaufvertrages diesen noch nicht vollständig erfüllt haben. Seitens des Käufers steht die (vollständige) Bezahlung des Kaufpreises aus und der Verkäufer hat das Eigentum an der Sache noch nicht übertragen.5) In dieser Situation bleibt der Verkäufer bis zum Bedingungseintritt (Kaufpreiszahlung) gemäß § 449 Abs. 1 BGB Eigentümer der Kaufsache. Der Schuldner erwirbt als Käufer durch die nur bedingte Übereignung der Kaufsache gemäß § 929 BGB allerdings ein Anwartschaftsrecht am Kaufgegenstand.6) Damit steht dem Schuldner als Käufer aus dem Kaufvertrag ab der Übergabe ein Besitzrecht 13 an dem Kaufgegenstand zu. Dies gilt in der Situation der Betriebsfortführung solange, wie der Verkäufer nicht wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist (vgl. § 449 Abs. 2 BGB). Die mit dem Aussonderungsanspruch verbundene Herausgabepflicht entsteht also erst mit Wegfall des Besitzrechts durch dem Rücktritt vom Kaufvertrag.7) Bis zum Widerruf bzw. Rücktritt kann i. R. der Betriebsfortführung über das Anwart- 14 schaftsrecht ebenso wie über das Vollrecht verfügt werden.8) Der Lieferant hat es also selbst in der Hand, seine Rechte am Aussonderungsgut durch entsprechende Erklärungen zu sichern. Wegen der Gefährdung seiner Rechte ist er mit dem Eintritt der Insolvenzsituation gemäß § 490 Abs. 1 BGB jederzeit zu diesem Widerruf berechtigt. Zumindest im Fall von Betriebsfortführungen im produzierenden Gewerbe bewirkt diese Ausgangslage je nach Verfahrensstadium verschiedene Problemlagen. 1.3

Factoring

Ein weiterer in der Praxis häufig vorkommender Anwendungsfall für Aussonderungsan- 15 sprüche ist das Factoring. Beim „echten“ Factoring kauft der Factor Forderungen, die der Schuldner gegenüber seinen Debitoren hat. Inhaltlich übernimmt der Factor dabei das Risiko der Zahlung durch den Debitor (sog. Delkredere-Risiko)9) und hat dabei grund___________ 4) Palandt-Bassenge, BGB, § 985 Rz. 8. 5) Palandt-Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 8; Staudinger-Beckmann, BGB, § 449 Rz. 39. 6) BGH, Urt. v. 24.6.1958 – VIII 205/57, BGHZ 28, 16, 21 ff.; Staudinger-Beckmann, BGB, § 449 Rz. 60 ff. m. w. N. 7) BGH, Urt. v. 1.7.1970 – VIII ZR 24/69, BGHZ 54, 214, 222; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 8. 8) BGH, Urt. v. 22.2.1956 – IV ZR 164/55, BGHZ 20, 88, 100 f.; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 13. 9) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 93; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 37 f.

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§ 25

Teil V Einzelfragen

sätzlich kein Rückgriffsrecht gegenüber dem Schuldner. In der Insolvenz wird so ein Aussonderungsanspruch begründet,10) d. h. die verkaufte Forderung ist dem Vermögen des Schuldners gänzlich entzogen. 16 Das Delkredere-Risiko ist zeitgleich die Grundlage zur Abgrenzung zwischen dem echten und dem unechten Factoring. Im Gegensatz zum echten Factoring geht das Ausfallrisiko beim unechten Factoring nämlich nicht auf den Factor über.11) Daher begründet das unechte Factoring wegen des Sicherungscharakters der Forderungsabtretung im Insolvenzfall auch kein Aus- sondern ein Absonderungsrecht.12) 2.

Absonderungsrechte

17 Der mit einem Absonderungsrecht (§§ 49 ff. InsO) belastete Vermögenswert gehört in Abgrenzung zu den Aussonderungsgut haftungsrechtlich zur Insolvenzmasse.13) Grundlage des Absonderungsrechts sind Sicherungsrechte, die dem Gläubiger vom Schuldner vor der Verfahrenseröffnung eingeräumt wurden. 18 Ohne solche insolvenzfesten Sicherungsrechte würde der Wirtschaftsverkehr nicht funktionieren. Jeder Lieferant oder sonstige Vertragspartner hat ein von der Rechtsordnung anerkanntes Interesse, dass er sich wegen seiner Ansprüche für den Fall der Insolvenz absichert. Diese Sicherung erfolgt in der Regel derart, dass der Schuldner (Sicherungsgeber) einen Teil seines Vermögens als Sicherheit zur Verfügung stellt, aus dem der Gläubiger (Sicherungsnehmer) im Fall der Insolvenz seine Forderung befriedigen kann. Bezogen auf den zur Sicherheit gegebenen Vermögenswert ist der Gläubiger also nicht auf die sonst im Insolvenzverfahren zu erwartende Quotenzahlung beschränkt, sondern wird aus dem Erlös bevorzugt befriedigt. Im Ergebnis erhält der Berechtigte aus dem erzielten Erlös seine Forderung in voller Höhe, einschließlich Nebenforderungen unter Berücksichtigung der Kostenbeiträge gemäß den §§ 170 ff. InsO.14) 19 Absonderungsrechte können an sämtlichen Vermögenswerten des Schuldners bestehen, d. h. beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie an Rechten. In der Praxis der Betriebsfortführung kann es gerade beim Zusammentreffen verschiedener Absonderungsrechte (vgl. dazu unter Rz. 89 ff.) sowie bei der Abgrenzung von Aus- und Absonderungsrechten im Zusammenhang mit Eigentumsvorbehaltsrechten (vgl. dazu unter Rz. 87 f.) zu Problemen kommen. Nachfolgend werden zunächst die speziell i. R. der Betriebsfortführung regelmäßig zu berücksichtigen Absonderungsrechte kurz zusammengefasst. 2.1

Sicherungsübereignung

20 In nahezu jeder Betriebsfortführung findet der Verwalter sicherungshalber übertragene Vermögenswerte vor. Abhängig davon, ob bewegliche Gegenstände oder Forderungen übertragen wurden, spricht man von Sicherungseigentum oder Sicherungsabtretung.15) 2.1.1 Sicherungseigentum 21 Mit der (Sicherungs-)Übereignung einzelner Gegenstände oder Sachgesamtheiten wird der Gläubiger Eigentümer dieser Gegenstände. Im Verhältnis zum Schuldner ist er aber ver___________ 10) 11) 12) 13) 14) 15)

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Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 82. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 39. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 39. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 49 Rz. 2. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 49 Rz. 2. Palandt-Bassenge, BGB, § 930 Rz. 13 ff.; Palandt-Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 1, 23 ff.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung

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pflichtet, die so entstandene Eigentümerposition nur im Zusammenhang zu seinem Sicherungsbedürfnis wahrzunehmen.16) Im Gegensatz zum Volleigentum kann der Sicherungsnehmer infolge des begrenzenden Sicherungszwecks nicht frei über den Gegenstand verfügen. Im Rahmen der Betriebsfortführung bzw. Überprüfung möglicher Absonderungsrechte wird der Verwalter prüfen, ob die Sicherungsübertragung wirksam vorgenommen wurde. Dies ist nur dann der Fall, wenn die von der Eigentumsübertragung betroffenen Sachen bestimmt, d. h. exakt bezeichnet sind. Bestimmbarkeit des zur Sicherheit übertragenen Gegenstandes reicht nicht aus.17) 2.1.2 Sicherungsabtretung Häufigster Abwendungsfall und praxisrelevant für nahezu jede Betriebsfortführung ist die 22 Sicherungsabtretung von Forderungen aus Lieferung und Leistungen des Schuldners. Wie im Fall des Sicherungseigentums, kann sich auch die Sicherungsabtretung auf einzelne Rechte oder auf die Gesamtheit von Rechten beziehen. Anders als bei der Sicherungsübereignung reicht es allerdings aus, wenn die zur Sicherheit übertragenen Forderungen bestimmbar sind. Damit ist eine wirksame Abtretung schon anzunehmen, wenn sich aus weiteren Informationen und Unterlagen durch Auslegung feststellen lässt, ob ein Recht von der Zession erfasst ist oder nicht.18) Gegenstand der Sicherungsabtretung können sämtliche Rechte des Schuldners, d. h. Forde- 23 rungen, Beteiligungsrechte, Markenrechte, Herausgabeansprüche etc. sein. 2.2

Verlängerter Eigentumsvorbehalt

Eine weitere wichtige Grundlage für ein Absonderungsrecht im Insolvenzverfahren bildet 24 der sog. verlängerte Eigentumsvorbehalt. In der Regel ermächtigt der Verkäufer einer Ware den Käufer i. R. des ordnungsgemäßen Geschäfts- und Wirtschaftsführung über die Vorbehaltssache zu verfügen. Mit der Verfügung/Verarbeitung/Vermischung (vgl. §§ 946 – 950 BGB) verliert er sein Eigentum und zeitgleich seine Rechte aus dem einfachen Eigentumsvorbehalt.19) Zur Kompensation sehen die meisten allgemeinen Geschäftsbedingungen deshalb die Abtretung derjenigen Forderungen an den Verkäufer vor, die der Käufer aus dem Weiterverkauf der Ware gegen dessen Kunden (Dritterwerber) erlangen wird. Zur Sicherstellung seiner Rechte muss der Verkäufer seine Ansprüche allerdings nachweisen, 25 was ihn im Fall der Betriebsfortführung oftmals vor erhebliche Probleme stellt (siehe Rz. 92 f.). Im Zeitpunkt des Zugriffs, d. h. der Verfügung durch den Schuldner, ist zunächst weder die Höhe der Forderung, noch die Person des Drittschuldners bekannt. Für die notwendige Bestimmbarkeit genügt es aber, wenn sich die Forderung im Zeitpunkt ihrer Entstehung auf andere Weise individualisieren lässt.20) Problematisch wird es, wenn der Schuldner die unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren 26 in gleicher Art und Güte gleichzeitig von mehreren Lieferanten bezieht. In dem Fall gelingt es dem Lieferanten oftmals nicht, den erforderlichen Nämlichkeitsnachweis (siehe Rz. 86 ff.), d. h. den konkreten Zusammenhang zwischen der von ihm gelieferten Ware ___________ 16) BGH, Urt. v. 28.6.1978 – VIII ZR 60/77, BGHZ 72, 141, 144 ff.; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 51 Rz. 2. 17) Palandt-Bassenge, BGB, § 930 Rz. 2. 18) BGH, Urt. v. 12.10.1999 – XI ZR 24/99, ZIP 1999, 2058 = NJW 2000, 276; Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 51 Rz. 12; zur Bestimmbarkeit: Palandt-Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 14. 19) Palandt-Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 15. 20) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 28; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 18.

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und dem Verkaufserlös des Schuldners infolge der Weiterveräußerung, nachzuweisen. Außerdem ist der Lieferant mangels Zugriff auf die zum Nachweis seiner Ansprüche notwendigen Unterlagen oftmals gar nicht in der Lage, seine Ansprüche in der erforderlichen Form nachzuweisen. 27 Durch die Abtretung der künftigen Forderungen aus der Weiterveräußerung ist der Lieferant aber Inhaber der Forderung geworden, weshalb diese zunächst nicht zur Fortführung der Betriebstätigkeit eingesetzt werden dürfen.21) Der Verwalter ist gehalten, die dazu eingehenden Gelder von der sonstigen Masse zu separieren oder aber vom Sicherungsnehmer die Zustimmung zur Einsetzung der dazu eingehenden Gelder zu erwirken. Letzteres wird immer dann gelingen, wenn der Gläubiger selbst ein Interesse an der Betriebsfortführung hat, was wegen des so erreichten Werterhalts sonstiger Sicherungsrechte oftmals der Fall ist. 28 Unabhängig von den Nachweisschwierigkeiten hat der Lieferant die Möglichkeit, seine Ansprüche unmittelbar beim Dritterwerber anzuzeigen und selbst geltend zu machen. Dazu ist er allerdings erst berechtigt, wenn seine Forderung aus dem Verkauf an den Schuldner nicht befriedigt wird.22) 29 Da beim verlängerten Eigentumsvorbehalt keine Voll-, sondern nur eine Sicherungsabtretung der künftigen Forderungen vorliegt, ist der Sicherungsnehmer (Lieferant) im Fall der Insolvenz des Sicherungsgebers (Schuldner) wie bereits erwähnt lediglich zur Absonderung dieser Forderung berechtigt.23) Gerade zu Beginn der Betriebsfortführung besteht unter der Lieferanten aber nicht selten der Wunsch, die Kunden des Schuldners selbst zu kontaktieren um sich so die Ansprüche aus dem verlängerten Eigentumsvorbehalt zu sichern. Hierzu ist der Sicherungsgläubiger grundsätzlich auch berechtigt und in der Insolvenzantragsphase kann er durch Offenlegung der Zession das Einzugsrecht für die Forderung an sich ziehen. 30 Dem muss im Interesse einer erfolgreichen Fortführung der Betriebstätigkeit möglichst entgegengewirkt werden, da es anderenfalls zu erheblichen Irritationen unter den Kunden kommt. Die Folge ist regelmäßig das Ausbleiben jeglicher Zahlungen, da die Kunden erst die Bezugsrechte geklärt wissen wollen. In einem solchen Fall gilt es im Interesse einer erfolgreichen Fortführung der Betriebstätigkeit schnell eine Einigung über den Einzug zu finden und diese gegenüber den Gläubigern zu kommunizieren. Die Einigung besteht im Regelfall darin, dass der Sicherungsgläubiger auf die Offenlegung der Zession verzichtet und der vorläufige Insolvenzverwalter im Gegenzug sicherstellt, dass die, auf die betroffenen Forderungen, eingehenden Zahlungen an den Sicherungsgläubiger ausgekehrt werden. 3.

Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten

31 Pfandrechte gelten als „klassische“ Absonderungsrechte, was sich u. a. durch ihre gesonderte Regelung in § 50 InsO niederschlägt.24) Die Sicherungszweckabrede und die gesicherte Forderung ergeben sich bei der Verpfändung aus dem Verpfändungsvertrag bzw. beim gesetzlichen Pfandrecht aus dem gesetzlichen Sicherungszweck.25) Nachfolgend werden ___________ 21) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38d; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69j; zur Bedeutung der Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO in der Betriebsfortführung vgl. Rz. 48 ff. und 58 ff. 22) BGH, Urt. v 15.5.2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256 = NZI 2003, 496; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38c. 23) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 51 Rz. 20; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 23. 24) Gottwald-Gottwald, Hdb. InsR, § 42 Rz. 1; Uhlenbruck-Brinkman, InsO, § 50 Rz. 1. 25) Palandt-Bassenge, BGB, § 1204 Rz. 2 ff.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung

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auch zu diesem Themenkreis diejenigen Pfandrechte kurz weiterführend dargestellt, die in der Betriebsfortführung eine besondere Rolle spielen. 3.1

Vermieterpfandrecht

Das Pfandrecht des Vermieters (§ 562 BGB) setzt einen zwischen den Parteien wirksam 32 begründeten Mietvertrag voraus und entsteht mit der Einbringung der Sache in den Mietgegenstand.26) Das Pfandrecht erlischt gemäß §§ 562a, 562b, 581 Abs. 2, 592 Satz 3 BGB mit dem Entfernen der Mietsache. Etwas anders gilt nur, wenn die Entfernung ohne Wissen des Vermieters geschehen oder der Vermieter widersprochen hat. Im Insolvenzverfahren steht dem Vermieter dann unter den weiteren Voraussetzungen des § 48 InsO ein Ersatzabsonderungsanspruch zu.27) Im Insolvenzantragsverfahren und damit zu Beginn einer Betriebsfortführung können 33 Miet- oder Pachtverhältnisse nur unter den Einschränkungen des § 112 InsO gekündigt werden.28) Später d. h. mit Verfahrenseröffnung bietet das ungekündigte Mietverhältnis eine weitere Sicherheit dadurch, dass die ab Eröffnung des Verfahrens entstehende Ansprüche aus der Masse auszugleichen sind (§§ 55 Abs. 1, 209 Abs. 2 Nr. 2, 3 InsO). Im Zusammenhang mit bestehenden Ansprüchen des Vermieters spielt die Konkurrenz 34 von Sicherungsrechten eine besondere Rolle.29) Dabei gilt der Prioritätsgrundsatz, d. h. dasjenige Recht, welches früher begründet wurde, hat Vorrang.30) 3.2

Spediteur- und Frachtführerpfandrecht

Gemäß § 441 HGB hat der Spediteur/Frachtführer31) wegen aller durch den Frachtvertrag 35 begründeten Forderungen sowie wegen unbestrittener Forderungen aus anderen mit dem Absender geschlossenen Fracht-, Speditions- und Lagerverträgen ein Pfandrecht an dem Gut.32) Dieses Pfandrecht erfasst alle frachtvertraglichen Geldforderungen gegen den Absender oder Empfänger, sowohl die Forderungen, welche gerade mit der aktuellen Beförderung des dem Pfandrecht unterfallenden Gegenstandes zusammenhängen (konnexe Forderung), als auch solche aus bereits zurückliegenden Transportvorgängen (inkonnexe Forderungen).33) Auf dieses, ebenfalls ein Absonderungsrecht begründendes Pfandrecht muss der Verwalter 36 vor und nach der Verfahrenseröffnung unbedingt achten. Denn es steht zu befürchten, dass der Spediteur die zu versendenden Waren gleich nach der Aufladung unter Berufung auf sein Pfandrecht zurückhält und die Ablieferung beim Kunden von der Zahlung seiner Forderungen abhängig macht. Unabhängig von der Frage der Anfechtbarkeit kann es so zu Lieferverzögerungen kommen, die im Interesse einer erfolgreichen Betriebsfortführung vermieden werden sollten. Verhindert werden kann diese Situation z. B. durch die Beauftragung anderer Spediteure, 37 bei denen der Schuldner keine Verbindlichkeiten hat. Ersatzweise sollte sich der Verwalter vom Spediteur vor der Übergabe der Ware unbedingt bestätigen lassen, dass er wegen seiner ___________ 26) Palandt-Weidenkaff, BGB, § 562 Rz. 6; Staudinger-Emmerich, BGB, § 562 Rz. 11. 27) BGH, Urt. v. 4.12.2003 –IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326, 328. 28) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Flöther/Wehner, InsO, § 112 Rz. 2; Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 112 Rz. 6 f. 29) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 50 Rz. 24; Büchler in: HambKomm-InsO, § 50 Rz. 37. 30) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 50 Rz. 18. 31) Zur Begrifflichkeit vgl. Mohrbutter/Ringstmeier-Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 43 Rz. 3 f. 32) Baumbach/Hopt-Hopt, HGB, § 441 Rz. 1. 33) Mohrbutter/Ringstmeier-Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 43 Rz. 26 ff.

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Altforderungen das Spediteurpfandrecht nicht an den zukünftig zu transportierenden Waren geltend macht. 3.3

Werkunternehmerpfandrecht

38 Zum Themenbereich der Absonderungsrechte in der Situation der Betriebsfortführung spielt daneben das Werkunternehmerpfandrecht eine besondere Rolle. Es entsteht an dem Gegenstand, an dem die Werkleistung erbracht wurde. Voraussetzung für die Entstehung ist die Eigentümerposition des Bestellers.34) Inhaltlich sichert das Werkunternehmerpfandrecht alle Ansprüche, die sich aus dem konkreten Werkvertrag ergeben. Nicht umfasst sind hingegen Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag, Bereicherung oder Forderungen aus früheren Werkverträgen.35) Das Werkunternehmerpfandrecht erlischt mit der Ablieferung des Gewerks an den Besteller und entsteht auch bei erneuter Besitzerlangung nicht neu.36) 39 Solange der Werkunternehmer den Gegenstand allerdings im Besitz hat, begründet das so entstehende Pfandrecht in der Insolvenzsituation ein Absonderungsrecht. Im Rahmen einer Betriebsfortführung stellen sich die damit verbundenen Fragen immer dann, wenn der Schuldner mit Subunternehmern, z. B. zur Weiterbearbeitung seiner Produkte, zusammenarbeitet (vgl. Rz. 87 f.). Aber auch die Notwendigkeit z. B. in der Werkstatt befindliche Fahrzeuge für das laufende Geschäft „frei“ zu bekommen, begründet oftmals die frühzeitige Einbeziehung dahingehender Ansprüche. III.

Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Antragsphase

40 Aufbauend auf den Ausführungen zu den gesetzlichen Grundlagen wird nachfolgend näher auf die Stellung der Sonderrechtsgläubiger eingegangen. Dabei wird zunächst die Betriebsfortführung in der Insolvenzantragsphase, d. h. zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung, betrachtet. 1.

Aussonderungsrechte

41 Das Recht auf Aussonderung eines Gegenstandes besteht unabhängig vom Beginn und Verlauf des Insolvenzverfahrens. Andererseits wird der Begriff „Aussonderung“ nur in der InsO verwendet, d. h. außerhalb des Anwendungsbereichs der InsO gibt es keine Aussonderungsrechte in der definierten Form.37) Man spricht also nicht von Aussonderung, wenn der Sonderrechtsgläubiger außerhalb des Insolvenzverfahrens seinen Herausgabeanspruch geltend macht.38) 42 Ungeachtet dessen, haben Aussonderungsrechte gerade zu Beginn einer Betriebsfortführung enorme Bedeutung. Im Fall der tatsächlichen Herausgabe von Waren oder von geliehenen Maschinen kann eine erfolgreiche Fortführung der Betriebstätigkeit nicht gelingen, da diese in der Regel benötigt werden. Das so entstehende Spannungsverhältnis zwischen den gegenläufigen Interessen der Beteiligten muss deshalb unbedingt frühzeitig geregelt werden.

___________ 34) 35) 36) 37) 38)

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Soergel in: MünchKomm-BGB, § 647 Rz. 5. BGH, Urt. v. 18.5.1983 – VIII ZR 86/82, ZIP 1983, 950; Busche in: MünchKomm-BGB, § 647 Rz. 14. BGH, Urt. v. 18.12.1968 – VIII 214/66, BGHZ 51, 250; Busche in: MünchKomm-BGB, § 647 Rz. 15. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 18; Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 74. Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 75; zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO vgl. auch Rz. 48 ff. und 58 ff.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung 1.1

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Geltendmachung und Auskunftsrecht

Es liegt im Interesse des Sonderrechtsgläubigers, sein Aussonderungsrecht möglichst bereits 43 bei der Einleitung des Verfahrens geltend zu machen. Anderenfalls liefe er Gefahr, dass sei Eigentum im Zuge der Betriebsfortführung, z. B. durch Verarbeitung oder Veräußerung, untergeht (siehe Rz. 11 ff.). Der vorläufige Insolvenzverwalter trifft in der Phase des Antragsverfahrens keine aus- 44 drücklich geregelte Pflicht zur Prüfung der Aussonderungsrechte.39) Die von Aussonderungsansprüchen erfassten Gegenstände gehören allerdings nicht zur Soll-Masse und unterliegen damit auch nicht dem Verwertungsrecht des späteren Insolvenzverwalters. Diesen trifft damit grundsätzlich die Pflicht, fremde Rechte, insbesondere fremdes Eigentum zu beachten, zu sichern und den Eigentümern zur Verfügung zu stellen.40) Die Insolvenzgerichte erstrecken diese, auch die Aussonderungsrechte erfassende Sicherungspflicht durch den Bestellungsbeschluss in der Regel schon auf den vorläufigen Insolvenzverwalter. In diesem Zusammenhang gilt weiter, dass der Verwalter jedenfalls immer dann, wenn er Kenntnis von der Existenz fremden Eigentums erlangt, die daran bestehenden Ansprüche auch beachten muss.41) Der Sonderrechtsgläubiger sollte deshalb seine Rechte gleich zu Beginn des Verfahrens 45 schriftlich beim vorläufigen Insolvenzverwalter anzeigen. Dessen Kenntnis verpflichtet ihn allerdings nicht zur Zustimmung zu dem Herausgabeverlangen. Im Interesse der Fortführung der Betriebstätigkeit als Grundvoraussetzung einer späteren Sanierung wird der vorläufige Insolvenzverwalter allein darauf abstellen, ob der Gegenstand zum Erhalt der Betriebstätigkeit notwendig ist (siehe Rz. 64 ff.). Um seine Rechte verfolgen zu können, muss der Sonderrechtsgläubiger selbst aber erst 46 einmal Kenntnis über den Verbleib und den Zustand seines Eigentums erhalten. Eigene Informationsmöglichkeiten bestehen nahezu nicht, da der Gläubiger kein Recht zum Betreten der Geschäftsräume des Schuldners hat oder gar im Wege der Selbsthilfe das Aussonderungsgut herausholen darf.42) Eine dahingehende Auskunftspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters ist gesetzlich nicht geregelt, wobei über den Bestand dieser Pflicht Einigkeit besteht.43) Art und Umfang der Auskunft richten sich nach den Umständen des Einzelfalls und finden ihre Grenzen in der Zumutbarkeit.44) Zur Ermöglichung einer späteren Abarbeitung von Aus- und Absonderungsrechten wird 47 der vorläufige Verwalter zu Beginn der Betriebsfortführung aber ohnehin eine umfassende, lieferantenbezogene Inventur veranlassen. Zur Beruhigung der Sonderechtsgläubiger und Sicherstellung des reibungslosen Ablaufs der Betriebsfortführung ist der Verwalter in der Praxis gut beraten, diese Informationen an den beteiligten Sonderrechtsgläubiger weiterzugeben und dem Sonderrechtsgläubiger so die gewünschten Informationen zu verschaffen. 1.2

Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO

Nach der Regelung des § 21 Abs. 2 InsO die Nr. 5 kann das Insolvenzgericht anordnen, 48 dass Gegenstände, die im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von § 166 InsO erfasst würden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte, vom Gläubiger bereits in der ___________ Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 98; Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 74. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 98; Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 74. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 99. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 98. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 103; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 100. 44) BGH, Urt. v. 7.12.1977 – VIII ZR 164/76, BGHZ 70, 86, 91; Gottwald-Gottwald, Hdb. InsR, § 40 Rz. 83. 39) 40) 41) 42) 43)

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Antragsphase nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen. Daneben ermöglicht die Norm Beschlüsse, wonach Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens eingesetzt werden dürfen, sofern sie hierfür von „erheblicher Bedeutung“ sind. 49 Im Zuge dessen werden die Wirkungen der §§ 166 ff. InsO teilweise in das Eröffnungsverfahren vorverlagert und bezüglich der Nutzungsbefugnis auf künftige Aussonderungsgüter erstreckt.45) Auf diese Art und Weise soll das Vermögen des Schuldners im Interesse der Erhaltung der Sanierungschancen und bestmöglichen Verwertung zusammengehalten sowie die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren erleichtert werden.46) 50 Diese Möglichkeit zur Anordnung eines Verwertungsstopps für künftige Aus- und Absonderungsgüter brachte für die Praxis nicht viel Neues. Schon vor Inkrafttreten des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO entsprach es der h. M. dass sich die Sicherungsmaßnahmen auch auf Vermögensgegenstände erstrecken, die nach Insolvenzeröffnung mit Aus- und Absonderungsrechten belastet sind.47) Der Grund dafür liegt auf der Hand, da nur durch ein Verwertungsverbot ein vorzeitiges Auseinanderreißen des schuldnerischen „Ist-Vermögens“ als Grundlage der Betriebsfortführung verhindert werden kann.48) 51 Ohne einen das Nutzungsrecht in der Betriebsfortführung bestätigenden Beschuss des Gerichts richtet sich die Nutzungsbefugnis des Schuldners bzw. vorläufigen Insolvenzverwalters nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften,49) also z. B. nach dem Inhalt des Leasingvertrages, des Kaufvertrages oder sonstigen Absprachen. Mittels des gerichtlichen Beschlusses kann damit selbst im Fall der Nutzungsuntersagung durch den Gläubiger erreicht werden, dass die für die Betriebsfortführung notwendigen Gegenstände weiterhin eingesetzt werden dürfen. An das damit verbundene Kriterium der Notwendigkeit dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden; es ist bereits zu bejahen, wenn der Betriebsablauf ohne die Nutzungsmöglichkeit nicht nur geringfügig gestört würde.50) 52 Im Fall der Anordnung der Nutzungsbefugnis gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO hat der vorläufige Insolvenzverwalter an den Gläubiger einen wirtschaftlichen Ausgleich zu entrichten. Der Sonderrechtsgläubiger kann neben einem nach Maßgabe des § 169 Satz 2 und Satz 3 InsO zu berechnenden Nutzungsentgelt51) zusätzlich Wertersatz für einen ggf. eingetretenen Wertverlust52) verlangen. 2.

Absonderungsrechte

53 Durch die Insolvenzantragsstellung verändert sich die Situation des Sonderrechtsgläubigers zunächst nicht. Er kann versuchen, den Schuldner zur freiwilligen Herausgabe des Sicherungsguts zu bewegen oder im Fall abgetretener Forderungen die Zession offenlegen.

___________ 45) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 47. 46) Begr. RegE, BT Drucks. 16/3227, S. 27. 47) BGH, Beschl. v. 14.12.2005 – IX ZB 256/04, BGHZ 165, 266, 269 = ZIP 2006, 621; BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165, 173 = ZIP 2001, 296. 48) Vgl. BGH, Beschl. v. 14.12.2005 – IX ZB 256/04, BGHZ 165, 266, 269 = ZIP 2006, 621. 49) BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165, 173 = ZIP 2001, 296; Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 48. 50) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 49; zur verbotenen Eigenmacht durch den Aus- oder Absonderungsgläubiger vgl. LG Leipzig, Beschl. v. 26.5.2006 – 05 HK O 1796/06, ZInsO 2006, 1003. 51) Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 29; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38j. 52) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38k; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 51.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung 2.1

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Geltendmachung und Auskunftsrecht

Mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht verändert 54 sich diese Situation. Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters ist es, das Vermögen des Schuldners zu sichern, um so das mit Verfahrenseröffnung entstehende Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters zu erhalten.53) Im Fall der Betriebsfortführung ist der vorläufige Verwalter zudem gehalten, den Betrieb des Schuldners fortzuführen. Die Durchsetzung von Absonderungsrechten in der Antragsphase verträgt sich damit nicht und würde die Betriebsfortführung als Voraussetzung späterer Sanierungsmaßnahmen erschweren oder sogar verhindern. Die InsO sieht die Geltendmachung von Absonderungsrechten daher erst im Verlauf des eröffneten Verfahrens vor. Etwas anderes kann gelten, wenn sich das Absonderungsrecht auf verderbliche Waren 55 bezieht. § 107 Abs. 2 InsO regelt dazu, dass der Verwalter zur Vermeidung einer Vernichtung bzw. Entwertung des Sicherungsguts eine Entscheidung direkt nach der Verfahrenseröffnung herbeiführen muss. Diese Situation kann auf die Antragsphase übertragen werden. Im Fall drohender Entwertungen obliegt es der Sicherungspflicht des vorl. Insolvenzverwalters, das Absonderungsrecht schon vor der Eröffnung des Verfahrens zu beachten. Von den Beschränkungen durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ausgeschlossen 56 sind zudem Absonderungsrechte an unbeweglichen Gegenständen. Diese können ungeachtet der Antragsstellung durch Zwangsverwaltung oder Zwangsvollstreckung geltend gemacht werden.54) Zu den Auskunftsansprüchen der Sonderrechtsgläubiger gilt das zuvor zum Bereich der 57 Aussonderungsrechte Gesagte (Rz. 41 ff.). Die InsO sieht für den vorläufigen Insolvenzverwalter keine Auskunftspflicht vor, weshalb der Gläubiger auf das, seinem Anspruch zugrunde liegende Vertragswerk beschränkt ist. Faktisch besteht für ihn daher in dieser Phase des Verfahrens nahezu keine Möglichkeit, aus eigener Kraft an die zur Geltendmachung seiner Rechte erforderlichen Informationen zu gelangen. 2.2

Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO

Bezogen auf die Absonderungsrechte erfasst der § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO bewegliche Sachen 58 und Forderungen. Gegenüber den Sonderrechtsgläubigern soll so erreicht werden, dass insbesondere die Nutzung lediglich als Sicherheit dienender Gegenstände gewährleistet wird. Zu dem damit für den Sicherungsnehmer verbundenen Anspruch auf eine wirtschaftliche Kompensation gelten die zum Aussonderungsrecht gemachten Ausführungen gleichermaßen (siehe Rz. 41 ff.). Das daneben vom Gesetz vorgesehene Verbot zur Einziehung sicherungsabgetretener 59 Forderungen durch den Gläubiger soll dem späteren Verwalter die Möglichkeit geben, die Wirksamkeit der Sicherungsabtretung zu prüfen, bevor der Gläubiger die Forderung einzieht.55) Eine besondere Bedeutung der Forderung i. R. der Betriebsfortführung ist damit als Voraussetzung für den entsprechenden gerichtlichen Beschluss nicht erforderlich. Damit ist auch klar, dass das so eingezogene Geld vom Verwalter nicht i. R. der Betriebs- 60 fortführung zu deren Finanzierung eingesetzt werden darf. Im Fall des Einzugs abgetretener Forderungen auf der Basis eines Beschlusses gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO hat der vor___________ 53) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 14. 54) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 30; dort auch zur Einstellung von Zwangsmaßnahmen gemäß § 30d Abs. 4 ZVG. 55) Begr. RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 28; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 53.

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läufige Insolvenzverwalter dieses Geld auf einem gesonderten Konto zu separieren, um in der Lage zu sein, dieses später ggf. an den Sicherungsnehmer auskehren zu können.56) 61 Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter die zur Sicherheit abgetreten Forderung i. R. der Antragshase auf der Grundlage eines Beschlusses gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ein, fallen die Kostenbeiträge nach §§ 170, 171 InsO an.57) Ohne den Beschluss hat der vorläufige Insolvenzverwalter auch bei Einzug der Forderung keinen Anspruch auf die Verfahrenspauschalen und hat später ohne jeden Abzug mit dem Sicherungsgläubiger abzurechnen. Letzterer ist im Fall der Abrechnung für den Zeitraum der Antragsphase gut beraten, wenn er den Bestand eines Beschlusses gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO aktiv hinterfragt. IV.

Stellung der Sonderrechtsgläubiger im eröffneten Verfahren

62 In Abgrenzung zur Insolvenzantragsphase wird nachfolgend auf die Stellung der Sonderrechtsgläubiger im eröffneten Verfahren in der Situation der Betriebsfortführung eingegangen. 1.

Aussonderungsrechte

63 Der Sonderrechtsgläubiger kann nach Verfahrenseröffnung die Aussonderung jederzeit verlangen, wobei er sein Begehren nunmehr direkt an den Insolvenzverwalte zu richten hat. Die Betroffenen Gegenstände gehören nicht zur sog. „Soll-Masse“ und unterliegen auch nicht dem Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters. Obwohl dies gesetzlich nicht gefordert ist, sollte der Insolvenzverwalter zur Ermöglichung einer reibungslosen Abwicklung das Aussonderungsgut in das Verzeichnis der Massegegenstände gemäß § 151 InsO aufnehmen.58) Denn nicht immer ist schon am Anfang des Verfahrens sicher, welche Gegenstände in fremdem Eigentum stehen. Mit der Aufnahme in das Verzeichnis nach § 151 InsO besteht die Möglichkeit, das Verzeichnis der Massegegenstände zu ergänzen, wenn nachträglich Aussonderungsrechte bekannt werden. 1.1

Geltendmachung und Auskunftsrecht

64 Der Insolvenzverwalter ist generell nicht verpflichtet, eigene Nachforschungen zum Bestand von Aussonderungsrechten anzustellen. Der Sonderrechtsgläubiger ist daher angehalten, seine Rechte selbst und möglichst frühzeitig anzuzeigen (vgl. Rz. 11 und 54 ff.). Eine Ausnahme von dieser Grundregel ist nur dann gegeben, wenn „typischerweise“ Aussonderungsansprüche bestehen, insbesondere, weil bestimmte Gegenstände regelmäßig nur unter einfachen Eigentumsvorbehalt geliefert werden. In diesen Fällen kann den Verwalter eine erhöhte Prüfungspflicht treffen.59) 65 Die Entscheidung darüber, ob der Verwalter dem Aussonderungsbegehren nachkommt oder nicht, wird der Verwalter innerhalb der Betriebsfortführung von der Frage der Notwendigkeit zur Vertragsfortführung abhängig machen. Entscheidet sich der Verwalter für die Herausgabe, hat er den Gegenstand auf Kosten der Masse dem Aussonderungsgläubiger zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht ist erfüllt, wenn der Gegenstand zur Abholung bereitgestellt wird. Die bei der anschließenden Abholung entstehenden Kosten kann der Sonderrechtsgläubiger zur Insolvenztabelle anmelden. ___________ 56) BGH, Urt. v. 21.2.2010 – IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 = ZIP 2010, 739; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38e. 57) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 54; Büchler in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69i. 58) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 99; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 97. 59) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 99; Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 65.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung

§ 25

Im Fall der Insolvenz des Vorbehaltskäufers wird der Herausgabeanspruch des Sonder- 66 rechtsgläubigers allerdings vom Wahlrecht des Verwalters gemäß § 103 InsO überlagert. Diese Regelung hat in der Betriebsfortführung eine wichtige Bedeutung und stellt ein zentrales Werkzeug im Sanierungsprozess dar.60) Entscheidet sich der Verwalter für die Erfüllungswahl, so hat er den (restlichen) Kaufpreis an den Sonderrechtsgläubiger zu bezahlen. Beim einfachen Eigentumsvorbehalt (vgl. Rz. 12 ff.) hat der Verwalter durch sein Wahl- 67 recht und die damit ggf. verbundenen Zahlung so also die Möglichkeit, das dingliche Recht des Verkäufers (Eigentum) zu vernichten. Zahlt der Verwalter den vollständigen Kaufpreis, geht das Eigentum auf den Schuldner über und das Aussonderungsrecht erlischt. Die InsO mutet dem Vorbehaltsverkäufer in dem Zusammenhang über § 107 Abs. 2 InsO 68 allerdings zu, dass er sich mit einer Entscheidungsfindung durch den Verwalter bis zum Berichtstermin gedulden muss. Lediglich für den Fall, dass bis dahin mit einer erheblichen Verminderung des Wertes der Sache zu rechnen ist, muss der Verwalter sein Wahlrecht unverzüglich ausüben.61) Wichtig dabei ist, dass der Verwalter über diesen Umstand Kenntnis haben muss, die er regelmäßig erst durch einen entsprechenden Hinweis des Sonderrechtsgläubigers erhält. Auch hier muss der Sonderrechtsgläubiger also aktiv werden. Voraussetzung für die Geltendmachung ist selbstverständlich eine entsprechende eigene 69 Kenntnis des Sonderrechtsgläubigers. Mit Verfahrenseröffnung gehört es zu den Pflichten des Insolvenzverwalters, dem Aussonderungsberechtigten Auskunft über den Verbleib, Zustand nach einer etwaigen Verarbeitung oder Belastung des Aussonderungsguts zu erteilen. Gesetzlich geregelt ist dieser Auskunftsanspruch allerdings auch für das eröffneten Verfahren nicht, wobei über seinen Bestand Einigkeit besteht.62) 1.2

Ersatzaussonderung

In der Praxis der Betriebsfortführung kommt es vor, dass der Schuldner vor der Insolvenz- 70 eröffnung – oder später der Insolvenzverwalter – einen Gegenstand unberechtigt veräußert. Mit § 48 InsO trifft das Gesetz für diesen Fall die Regelung, dass der Aussonderungsberechtigte die Abtretung des Rechts auf die Gegenleistung (Kaufpreis) verlangen kann. Dies gilt solange, wie die Gegenleistung in der Masse unterscheidbar vorhanden ist.63) 2.

Absonderungsrecht

Nach der Insolvenzeröffnung liegt das Verwertungsrecht für mit Absonderungsrechten 71 belastete, bewegliche Gegenstände gemäß § 166 Abs. 1 InsO allein beim Insolvenzverwalter, sofern dieser den Gegenstand in Besitz hat. Gleiches gilt gemäß § 166 Abs. 2 InsO für mit Sicherungsrechten belastete Forderungen, die allein vom Verwalter eingezogen werden dürfen. Im Fall der Betriebsfortführung ist der Verwalter damit berechtigt, das sonstige Absonderungsgut zu benutzen und es sogar mit anderen Sachen zu verbinden, vermischen und zu verarbeiten. Wirtschaftlich gehört das Sicherungsgut aber nach wie vor dem Sonderrechtsgläubiger, dessen Rechte und Möglichkeiten zur optimierten Durchsetzung in der Situation der Betriebsfortführung nachfolgend dargestellt werden. ___________ 60) Uhlenbruck-Wegener; InsO, § 103 Rz. 2; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Flöther/Wehner, FA InsR, § 103 Rz. 2. 61) Uhlenbruck-Wegener; InsO, § 107 Rz. 14; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Flöther/Wehner, FA InsR, § 107 Rz. 13. 62) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 100; Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 70. 63) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 48 Rz. 22; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 48 Rz. 20.

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§ 25 2.1

Teil V Einzelfragen Geltendmachung und Auskunftsrecht

72 Zur Verfahrenseröffnung werden die Sonderrechtsgläubiger gemäß § 28 Abs. 2 InsO aufgefordert, dem Insolvenzverwalter eine Mitteilung zu ihren Sicherungsrechten an beweglichen Sachen oder Rechten anzuzeigen. Der Verwalter ist seinerseits gemäß § 151 Abs. 2 InsO verpflichtet, ein Verzeichnis der einzelnen Gegenstände der Insolvenzmasse, zu denen ein Sicherungsrecht gehört, aufzustellen. Dieses Verzeichnis der Massegegenstände muss bei Gericht hinterlegt werden, und kann vom Sonderrechtsgläubiger als Informationsquelle dort eingesehen werden. 73 Zudem ist der Insolvenzverwalter gemäß § 167 Abs. 1 InsO verpflichtet, dem Sonderrechtsgläubiger Auskunft über den Zustand des Absonderungsguts zu erteilen oder ihm zu erlauben, das Sicherungsgut zu besichtigen. Ähnliches gilt für Forderungen, an denen der Sonderrechtsgläubiger gesichert ist. In diesem Fall kann der Verwalter gemäß § 167 Abs. 2 InsO anstelle einer Auskunft den Sonderrechtsgläubiger auf eine Einsichtnahme in die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners verweisen. Sowohl Besichtigungsrechte als auch die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Bücher werden in der Praxis durch die Sonderrechtsgläubiger allerding nur sehr selten wahrgenommen. 74 Der Verwalter ist i. Ü. selbst daran interesseiert, möglichst umgehend einen Überblick zu den zu berücksichtigenden Absonderungsrechten zu erhalten. Dies ist für die Erstellung des Gläubigerverzeichnisses gemäß 152 InsO wichtig sowie für die Erstellung der Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO. 2.2

Verwertung unbeweglicher Gegenstände

75 Mit § 165 InsO regelt das Gesetz als Regelfall, dass der Verwalter nicht zur freihändigen Verwertung unbeweglicher Gegenstände befugt ist. Der Verwalter kann allerdings seinerseits die Zwangsversteigerung/Zwangsverwaltung betreiben.64) Davon wird er i. R. einer Betriebsfortführung allerdings nur selten Gebrauch machen, und zwar nur dann, wenn eine mit dem Grundpfandgläubiger abgestimmte freihändige Verwertung nicht zustande kommt.65) 2.3

Verwertung beweglicher Gegenstände

76 Trotz des Verwertungsrechts des Verwalters66) trifft diesen keine grundsätzliche Verwertungspflicht. Dies lässt sich unmittelbar dem Wortlaut des § 166 InsO entnehmen, wonach der Insolvenzverwalter bewegliche Sachen verwerten bzw. Forderungen einziehen „darf“. Mit § 166 InsO ist für den Verwalter damit eine Veräußerungsermächtigung verbunden,67) die für ihn in der Situation er Betriebsfortführung nur problematisch wird, wenn er überhaupt keine Entscheidung trifft. Letzteres insofern, als die Masse in diesem Fall eine Zinszahlungsverpflichtung gemäß § 169 InsO treffen würde (siehe Rz. 79 f.). 77 Insbesondere im Fall des Verkaufs des Sicherungsguts ist der Sonderrechtsgläubiger aber über § 168 InsO unmittelbar in die Verwertungshandlung einzubeziehen. Bevor der Verwalter eine bewegliche Sache oder Forderung verwerten will, muss er den Sonderrechtsgläubiger nach dieser Norm Mitteilung von der beabsichtigten Veräußerung machen und diesem Gelegenheit geben, innerhalb einer Woche auf eine andere, für ihn ggf. bessere Verwertungsmöglichkeit hinzuweisen. ___________ 64) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 165 Rz. 1; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 165 Rz. 8. 65) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 165 Rz. 12; Büchler in: HambKomm-InsO, § 165 Rz. 19. 66) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rz. 1; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 166 Rz. 2. 67) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rz. 1.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung

§ 25

Ein solcher Hinweis des Sonderrechtsgläubigers bindet den Verwalter bei seiner Verwer- 78 tungsentscheidung allerdings nicht. Selbst wenn ihm eine „günstigere“ Verwertungsmöglichkeit angezeigt wird, ist er nicht verpflichtet, dem Folge zu leisten. Im Ergebnis muss er den Absonderungsgläubiger wirtschaftlich allerdings so behandeln, als ob er dem Hinweis gefolgt wäre.68) 2.4

Verzögerung der Verwertung

Mit der Zuordnung der Veräußerungs- und Einzugsermächtigung an den Insolvenzverwalter 79 verliert der Sonderrechtsgläubiger jeden Einfluss auf die Verwertungsgeschwindigkeit und damit die Frage, wann die Grundlage für die Auskehr des auf ihn entfallenden Verwertungserlöses erfolgt. Der gesetzliche Rahmen sieht für den Verwalter mit § 156 InsO vor, dass dieser die Verwertung erst unter Berücksichtigung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung einleiten soll. Im Anschluss soll die Verwertung im Einklang mit den Beschlüssen der Gläubiger unverzüglich durchgeführt werden. Zum Schutz des absonderungsberechtigten Gläubigers vor einer Verzögerung der Verwertung bestimmt § 169 InsO, dass ab dem Berichtstermin Zinsen an den Sonderrechtsgläubiger zu zahlen sind. Die Zinszahlungspflicht entsteht, wenn trotz einer konkreten Verwertungsmöglichkeit 80 kein entsprechender Verkauf stattfindet.69) Die Höhe der Zinsen richtete sich nach den vertraglichen Vereinbarungen, die zwischen Schuldner und dem Sonderrechtsgläubiger vereinbart wäre. Liegen solche Regelungen nicht vor, geltend die gesetzlichen Vorgaben für den Fall des Verzugs.70) Grundlage für die Zinsberechnung ist der Betrag der anlässlich der Verwertung voraussichtlich an den Absonderungsgläubiger fließen wird. Letzerer ist notfalls zu schätzen. 2.5

Schutz vor Wertverlust

Gerade im Fall der Fortführung der Betriebstätigkeit bringt die Einbeziehung der Abson- 81 derungsrechte eine ggf. dauerhafte „Entrechtung“ der Sonderrechtsgläubiger mit sich. Soweit durch die Benutzung des Absonderungsguts ein Wertverlust eintritt, ist die Insolvenzmasse gemäß § 172 InsO verpflichtet, in gleicher Höhe Zahlung an den Absonderungsgläubiger zu leisten. Dies gilt jedenfalls insoweit, als dieser aus der Verwertung Befriedigung erlangt hätte.71) Anders als die Zinszahlungspflicht nach § 169 InsO, besteht die Zahlungspflicht wegen 82 Wertverlusts ab der Verfahrenseröffnung und erstreckt sich bis zur endgültigen Verwertung des Sicherungsguts. Der Hinweis im Gesetz auf „laufende“ Zahlungen legt nahe, dass diese aus der Masse wohl monatlich zu leisten sind.72) 2.6

Ersatzabsonderung

In der Praxis der Betriebsfortführung kommt es daneben vor, dass ein Gegenstand, an dem 83 ein Absonderungsrecht besteht, vom Schuldner oder Verwalter unberechtigt veräußert wird. Für diese Fälle ist anerkannt, dass die Regelungen zur Ersatzaussonderung entsprechend ___________ 68) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 168 Rz. 9; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 168 Rz. 23. 69) Zum Streit Büchler in: HambKomm-InsO, § 169 Rz. 7; Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 169 Rz. 12 f. 70) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 169 Rz. 5 m. w. N. 71) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 172 Rz. 1b; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 172 Rz. 9. 72) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 172 Rz. 5; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 172 Rz. 14.

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§ 25

Teil V Einzelfragen

angewendet werden. Der Absonderungsgläubiger kann vom Insolvenzverwalter die Abtretung der Rechte auf Gegenleistung verlangen, soweit diese noch ausstehen. Ist die Gegenleistung schon eingegangen, d. h zur Masse gelangt, kann der Sonderrechtsgläubiger sie herausverlangen, soweit sie noch unterscheidbar vorhanden ist.73) V.

Konkurrenz von Sonderrechten

84 Eine besondere Schwierigkeit in der Praxis der Betriebsfortführung entsteht, wenn mehrere Gläubiger gleiche oder unterschiedliche Sonderrechte an ein und demselben Gegenstand bzw. Recht geltend machen. Dies betrifft gerade zu Beginn einer Fortführungssituation oftmals Sicherungsgut (Warenbestände, Halbfertige etc.), dem im Fall einer Betriebsschließung bestenfalls ein Schrottwert zugeordnet werden kann. Streitigkeiten müssen im Interesse einer erfolgreichen Betriebsfortführung und zur Erreichung eines optimalen Verwertungsergebnisses unbedingt vermieden werden. 85 Dies erreicht der Verwalter in der Regel durch eine direkte und umfassende Abstimmung mit den Sonderrechtsgläubigern. Auch in diesem Zusammenhang ist schon zu Beginn des Verfahrens eine offene Informationspolitik, ggf. durch Übersendung lieferantenbezogener Inventurlisten oder die Möglichkeit zur Inaugenscheinnahme durch den Gläubiger, unerlässlich. 1.

Kollisionslagen

86 Die Kollision von Sonderrechten ist in verschiedensten Weisen denkbar.74) Für die Praxis der Betriebsfortführung können allerdings zwei Hauptfälle unterschieden werden: 1.1

Verarbeitung von Ware

87 Wenn mehrere Lieferanten Ware unter Eigentumsvorbehalt und Verwendung einer Verarbeitungsklausel an den Schuldner geliefert haben und letzterer aus diesen Gegenständen eine neue Sache herstellt, erwachsen den Lieferanten Miteigentumsrechte an der in der Betriebsfortführung produzierten Ware.75) Die Lieferanten stehen bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche in diesem Fall nebeneinander. Im Fall der späteren Verwertung der neu hergestellten Ware sind diese Lieferanten anteilig, d. h. in der Höhe des Wertes der von ihnen gelieferten und in die Ware eingebrachten Teile, zu befriedigen.76) 88 Die damit quotal zu befriedigenden Ansprüche machen nicht nur bei der späteren Aufteilung Probleme. Schon die Erfassung und anschließende Bewertung stellt den Verwalter vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten, da er meist mit überzogenen Vorstellungen von der Wertigkeit der Waren auf Seiten der Lieferanten konfrontiert wird. Umso wichtiger ist die frühzeitige Einbeziehung dieser Lieferanten und die Offenlegung der Verwertungsaussichten, um so die Grundlage für die spätere Vereinbarung zur Aufteilung zu legen (siehe Rz. 92 f.). 1.2

Kollision verschiedener Absonderungsrechte

89 Häufig kommt es in der Situation der Fortführung der Betriebstätigkeit daneben zur Kollision „hintereinander geschalteter“ Absonderungsrechte. In dem Fall, in dem der Schuldner einen Gegenstand mehrfach sicherungsübereignet hat, muss der Verwalter prüfen, welches ___________ 73) 74) 75) 76)

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Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 48 Rz. 30; Büchler in: HambKomm-InsO, § 48 Rz. 31. Umfassende Übersicht: Mitlehner, Mobiliarsicherheiten, S. 241 ff. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 51 Rz. 12; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 50 Rz. 8 f. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 51 Rz. 18.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung

§ 25

Sicherungsrecht zeitlich zuerst begründet wurde. Denn die zeitlich frühere Verfügung bzw. das zeitlich früher entstandene Recht, geht der späteren Verfügung und dem jüngeren Recht vor (sog. Prioritätsprinzip).77) Ähnliches gilt auch im Fall der Kollision zwischen dem Vermieterpfandrecht mit Raum- 90 sicherungsübereignungsverträgen. Auch hier gilt grundsätzlich der Prioritätsgedanke, d. h. für die Frage, wessen Absonderungsrecht sich durchsetzt, ist die zeitliche Abfolge entscheidend. Hinterfragt werden muss also, welches Recht zeitlich früher begründet wurde.78) Die Rechtsprechung hat dem Vermieterpfandrecht allerdings im Verhältnis zu Raumsicherungsübereignungsverträgen einen Vorrang eingeräumt. Dies gilt für Fälle, in denen zum Zeitpunkt der Einbringung der Sache in die Mieträume oder auf das Mietgrundstück der Raumsicherungsübereignungsvertrag bereits bestand. Selbst dann wird die Sache in dem Moment vom Vermieterpfandrecht erfasst, indem es auf das Grundstück oder in die Räumlichkeit eingebracht wird.79) Nahezu in jeder Betriebsfortführung wird der Verwalter mit der Kollision von Eigentums- 91 vorbehaltsrechten der Lieferanten und Ansprüchen aus Raumsicherungsübereignungsverträgen der beteiligten Banken konfrontiert. Den Kreditinstituten werden in der Regel zur Deckung bestehender Finanzierungen sämtliche Waren im Warenlager sicherungsübereignet. An den Gegenständen machen die Lieferanten im weiteren Verlauf dann aber in der Regel erweiterte Eigentumsvorbehaltsrechte geltend, wobei auch die Bank auf die späteren Verwertungserlösen zugreifen will. In diesem Spannungsverhältnis ist den Eigentumsvorbehaltsrechten der Lieferanten der Vorrang einzuräumen, d. h. der Raumsicherungsübereignungsvertrag muss vorsehen, dass Eigentumsvorbehaltsware ausgeschlossen ist. 2.

Verwertungsgemeinschaften

Ein Sonderrechtsgläubiger, der seine Rechte zweifelsfrei gegenüber dem Insolvenzverwalter 92 nachweisen kann, wird keine Notwendigkeit sehen, seine Aus- und Absonderungsrechte i. R. einer Sicherheitenverwertungsgemeinschaft80) geltend zu machen. In den Fällen, in denen der Nachweis allerdings nicht gelingt, macht die gemeinschaftliche Verfolgung verstärkt Sinn und muss als notwendiger Baustein zur Ermöglichung einer erfolgreichen Betriebsfortführung angesehen werden. Das angesprochene Nachweisproblem ist immer dann gegeben, wenn der sog. Nämlich- 93 keitsnachweis nicht gelingt. Letzterer erfordert den Beweis, dass ein ganz bestimmter Gegenstand im Eigentum des Lieferanten steht. In der Praxis werden häufig gleichartige Waren mehrere Lieferanten in die Produktion einbezogen und diese können in der Regel nicht eindeutig zugeordnet werden. In dieser Situation ist die Gründung eines Lieferantenpools zur gemeinschaftlichen Durchsetzung nahezu unverzichtbar, da nur so eine Entschärfung des Konflikts zwischen den konkurrierenden Gläubigern einerseits und die Lösung des Nachweisproblems gegenüber dem Insolvenzverwalter andererseits erreicht werden kann.

___________ 77) BGH, Urt. v. 6.3.1997 – IX ZR 74/95, ZIP 1997, 632; vgl. auch §§ 879, 1209 BGB, § 804 Abs. 3 ZPO, § 10 ZVG. 78) BGH, Urt. v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 140 Rz. 7. 79) OLG Hamm, Urt. v. 11.12.1980 – 4 U 131/80, ZIP 1981, 165, 166; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 51 Rz. 14. 80) Ausführlich dazu: Mitlehner, Mobiliarsicherheiten, S. 225 ff.

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§ 26 Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen bei Betriebsfortführung Übersicht I. Einführung .................................................. 1 II. Problemstellung im Falle einer Betriebsfortführung ........................................ 3 1. Taktische Überlegungen.............................. 3 2. Auswirkung der Anfechtung....................... 6 III. Dogmatische Grundlagen........................ 13 1. Entstehung und Erlöschen des Anfechtungsanspruchs.................................... 13 2. Inhalt des Anfechtungsanspruchs ............. 15 IV. Durchsetzungspflicht und Aufgaben des Insolvenzverwalters............................ 18 1. Grundlagen ................................................. 18 2. Zulässigkeit des Vergleichs........................ 23 3. Der Anfechtungsanspruch als Vergleichsgegenstand....................................... 24 4. Ermessensspielraum des Insolvenzverwalters.................................................... 26 V. Die zivilrechtliche Haftung bei Verstoß gegen die Pflicht zur Anfechtung ..... 27

1. 2.

Vorbemerkung ........................................ 27 Die Pflichtverletzung ............................. 28 2.1 Allgemeines .................................. 28 2.2 Pflicht zur Anfechtung................ 30 2.3 Auswahl bei mehreren Haftungsschuldnern .................... 34 VI. Die strafrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters............................... 37 1. Unterlassene Vermögensmehrung ........ 37 2. Pflichtverletzung .................................... 43 3. Vermögensschaden................................. 47 VII. Vertrauenstatbestand, Verzicht und Erlassvertrag................................... 48 1. Anforderungen an Treu und Glauben und dem Ausschluss der Anfechtung....................................... 50 2. Zulässigkeit eines Verzichts................... 58 VIII. Zusammenfassung................................. 62

Literatur: Bork, Verfolgungspflichten – Muss der Insolvenzverwalter alle Forderungen einziehen, ZIP 2005, 1120; Bork, Die insolvenzrechtliche Anfechtung: Sanierungsmittel oder Sanierungshindernis, in: Festschrift für Hans Peter Runkel, 2009, S. 243; Bork, Kann der (vorläufige) Insolvenzverwalter auf das Anfechtungsrecht verzichten?, ZIP 2006, 589; Diversy/Weyand, Insolvenzverwalter und Untreuetatbestand, ZInsO 2009, 802; Gehrlein, Anfechtung versus Sanierung, WM 2011, 577; Huber, Zur Frage der ausschließlichen Geltendmachung des Quotenverringerungsschadens durch Konkursverwalter, NZI 2004, 497, Haarmeyer/Beck, Die Praxis der Abweisung mangels Masse oder der Verlust der Ordnungsaufgabe des Insolvenzrechts, ZInsO 2007, 1065; Kirstein, Ausführungen zu real existierenden Situationen bei Eröffnungs- und Befriedigungsquoten in Insolvenzverfahren, ZInsO 2006, 966; Kirstein, Das konkrete und das virtuelle Vermögen der Masse, ZInsO 2008, 830; Kreft, Vergleich über Anfechtungsansprüche, in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 965; Lüke, Der Sonderinsolvenzverwalter, ZIP 2004, 1693; Meyer-Löwy/Poertzgen/Sauer, Neue Rechtsprechung zur Insolvenzverwalterhaftung im Überblick, ZInsO 2005, 691; Schramm, Untreue durch Insolvenzverwalter, NStZ 2000, 398.

I.

Einführung

Es ist Zweck der Insolvenzanfechtung sachlich ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen, 1 die zu einer Verkürzung der Masse geführt haben, zugunsten aller Insolvenzgläubiger und zur Verwirklichung der „par condicio creditorum“ rückgängig zu machen. Anfechtung ist folglich Mittel zur Massemehrung und Gegenmittel für Massearmut.1) Obgleich darüber in der Theorie vollkommenes Einvernehmen herrscht, offenbart die Praxis immer noch erhebliche Defizite bei der Umsetzung der zentralen Ordnungsfunktion des Insolvenz-

___________ 1) Vgl. für alle Kreft in: HK-InsO, § 129 Rz. 1 ff.

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§ 26

Teil V Einzelfragen

anfechtungsrechts.2) Dem beschriebenen Anfechtungszweck steht gegenüber das Vertrauen des späteren Anfechtungsgegners auf die Rechtsbeständigkeit seines Erwerbs. In diesem Interessenkonflikt versucht das Gesetz einen gerechten Ausgleich dadurch herbeizuführen, dass es zwar den Begriff der Vermögensweggabe weit, die einzelnen Anfechtungstatbestände – diese in ihrem Ausmaß wiederum unterschiedlich je nach den konkreten Normzwecken – eng fasst. 2 Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen im Insolvenzverfahren kann einen der wichtigsten Beiträge zur Wiederherstellung der Haftungsmasse leisten, die den Gläubigern bei einer rechtzeitigen Antragstellung des insolventen Schuldners zur Verfügung gestanden hätte. Insoweit kommt dem Anfechtungsrecht zur Durchsetzung rechtmäßigen Verhaltens in der Krise auch eine bedeutende Ordnungsfunktion zu, führt es doch dazu, dass nicht nur die bewusste, gläubigerschädigende Verschiebung von Vermögen, sondern auch „normale“ Zahlungen des Schuldners in kritischer Zeit wie auch die Entgegennahme solcher Zahlungen mit dem Risiko der späteren anfechtbaren Rückzahlung belastet werden.3) II.

Problemstellung im Falle einer Betriebsfortführung

1.

Taktische Überlegungen

3 Neben allen grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Ausübung von Anfechtungs- und Haftungsansprüchen gegen Dritte sowie Gesellschafter und Geschäftsführer4) kommen unter den Bedingungen einer Betriebsfortführung auch taktische Aspekte hinzu. Mögliche Anfechtungsgegner sind in der Regel wesentliche Beteiligte des Insolvenzverfahrens. Auf ihre Unterstützung ist der fortführende Verwalter angewiesen, wenn es sich bei den Anfechtungsgegnern um Geld- oder Warenkreditgeber, Gesellschafter oder ihnen nahestehende Personen handelt, da letztere häufig an Auffang- oder Reorganisationslösungen beteiligt sind und das hierfür benötigte Kapital aufbringen. 4 Die Ausübung der Anfechtung beinhaltet zudem für die Anfechtungsgegner ein moralisches Werturteil, in dem bestimmten Gläubigern, Dritten oder Gesellschaftern vorgeworfen wird, dass sie die wirtschaftliche Notsituation des Schuldners zum eigenen Vorteil ausgenutzt haben. Auseinandersetzungen im Bereich der Anfechtung sind daher wechselseitig durch Polemik und Schärfe gekennzeichnet. Sie wirken sich nachteilig auf eine Betriebsfortführung aus, in der die Zahl der Nebenkriegsschauplätze zur Vermeidung von

___________ 2) Huber, NZI 2004, 497; Kirstein, ZInsO 2008, 830; Bei zur Stellung eines Insolvenzantrages nach deutschem Recht gesetzlich verpflichteten Schuldnern betrug die Eröffnungsquote im Jahr 2006 durchschnittlich 54,24 %. Dabei variieren die Eröffnungsquoten auf die Bundesländer bezogen zwischen 42,99 % in Berlin und 74,16 % in Hamburg. Bricht man diese Werte sodann auch auf die einzelnen Insolvenzgerichte herunter, so ergeben sich z. B. für das Jahr 2005 Spannbreiten von 12 % am AG Leer und 92,31 % am AG Niebüll und für das Jahr 2006 von 19,57 % beim AG Meppen und 92,31 % am AG Husum bzw. 100 % bei AG Nordenham. Vgl. die Darstellung bei Haarmeyer/Beck, ZInsO 2007, 1065. Ausdrücklich in diesem Sinne BGH, Beschl. v. 17.7.2008 – IX ZB 225/07, ZIP 2008, 1793; vgl. dazu auch Huber, ZInsO 2008, 929, der auf die Defizite systematischer Ermittlung z. B. von Anfechtungstatbeständen hinweist. Zu den Disproportionalitäten bei der Verfolgung und Durchsetzung vgl. die empirische Darstellung bei Kirstein, ZInsO 2006, 992. 3) BGH, Urt. v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, ZIP 2014, 1491; BGH, Urt. v. 12.2.2015 – IX ZR 180/12, ZIP 2015, 585; OLC Celle, Urt. v. 8.10.2015 – 16 U 17/15, ZInsO 2015, 2444. 4) Vgl. zu § 64 GmbHG und § 135 InsO: BGH, Urt. v. 9.10.2012 – IX ZR 298/11, ZIP 2012, 2391; BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557; BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174; zu § 135 InsO: BGH, Urt. v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, ZIP 2011, 2417; zuletzt: BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, ZIP 2013, 582; BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523.

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen bei Betriebsfortführung § 26 Risiken und Störungen begrenzt werden muss, da gerade die Normadressaten der Ansprüche eng an der Betriebsfortführung beteiligt sind.5) Mögliche Anfechtungstatbestände gehören daher zur Verhandlungsmasse bei Vereinba- 5 rungen zwischen Verwalter und Gläubigern oder sonstigen an einer Betriebsfortführung beteiligten Dritten, bei denen es um die Modalitäten zur Aufrechterhaltung der betrieblichen Strukturen, der Belieferung mit Ware, der Abnahme von Produkten oder der Bereitstellung von Liquiditätskrediten geht. Die sich mit der Verfolgung i. R. der Betriebsfortführung ergebenden tatsächlichen als auch rechtlichen Fragestellungen sollen daher näher untersucht werden. 2.

Auswirkung der Anfechtung

Zunächst können

6

x

vorinsolvenzrechtliche Sanierungsmaßnahmen einerseits und

x

sanierungsbegleitende Maßnahmen andererseits angefochten werden.

Im ersten Fall ist die Sanierung in der Krise des Unternehmens versucht worden, aber sie 7 ist gescheitert.6) Es kommt zum Insolvenzverfahren und der Insolvenzverwalter prüft die Anfechtbarkeit einzelner Sanierungshandlungen.7) Im zweiten Fall unternimmt der Insolvenzverwalter selbst die Sanierung und fragt sich, 8 inwieweit sich die Anfechtung sanierungsfördernd oder sanierungshemmend auswirken könnte.8) Der Insolvenzverwalter, der i. R. der Betriebsfortführung versucht, das insolvente Unter- 9 nehmen zu sanieren, muss der Frage nachgehen, ob dabei das Anfechtungsrecht hilfreich oder hinderlich ist. Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Vielmehr ist zu differenzieren. Jede Betriebsfortführung eines zahlungsunfähigen Unternehmens setzt zwingend die Be- 10 schaffung liquider Mittel voraus. Das ergibt sich schon daraus, dass ein Unternehmen nur dann als saniert gelten darf, wenn es nicht mehr insolvent, insbesondere nicht mehr zahlungsunfähig ist. Nun scheint die Insolvenzanfechtung zunächst einmal zur Verbesserung der Liquiditätslage beizutragen. Insbesondere kann so häufig die Erfüllung der Masseverbindlichkeiten gewährleistet werden, die im Zuge der Sanierung anfallen. Letztlich darf aber dieser Liquiditätseffekt unter dem Rechtsbegriff der Zahlungsunfähigkeit nicht überbewertet werden, weil ja dem Liquiditätsgewinn durch die Rückzahlung des Anfechtungsgegners eine Erhöhung der Schuldenmasse gegenüber steht, die darauf beruht, dass die anfechtbare befriedigte Forderung des Anfechtungsgegners in Folge der Rückzahlung gemäß § 144 Abs. 1 InsO wieder auflebt.9) Die Liquiditätsbilanz bleibt damit gleich. Ein tatsächlicher Liquiditätsgewinn ist mit der Insolvenzanfechtung erst dann verbunden, wenn sie mit erheblichen Forderungsverzichten einhergeht. Deutlich besser sieht es aus, wenn die Bestellung von Sicherheiten angefochten werden 11 kann.10) Denn dadurch wird zum einen freie Masse generiert. Der Insolvenzverwalter ___________ 5) Gehrlein, WM 2011, 577. 6) BGH, Urt. v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248; BGH, Beschl. v. 10.2.2011 – IX ZR 176/08, GWR 2011, 144; BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894; BGH, Urt. v. 3.4.2014 – IX ZR 201/13, ZIP 2014, 1032. 7) BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137. 8) Vgl. dazu: Bork in: FS Runkel, S. 241, 243 ff. 9) BGH, Urt. v. 22.11.2012 – IX ZR 22/12, ZIP 2013, 81. 10) BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137; OLG Celle, Urt. v. 23.10.2003 – 16 U 199/02, NJW 2003, 3638 = ZIP 2003, 2118.

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§ 26

Teil V Einzelfragen

kann die infolge der Anfechtung unbelasteten Vermögensgegenstände anderweitig einsetzen, etwa zur Absicherung eines Kredites für die Betriebsfortführung.11) 12 Eine nicht unbedeutende Rolle spielt für die Praxis der Betriebsfortführung, ob der Insolvenzverwalter auf bestehende Anfechtungs- und Haftungsansprüche verzichten kann, wenn er nur so einen Gläubiger dazu beibringen kann, einen notwendigen Sanierungsbeitrag zu leisten.12) III.

Dogmatische Grundlagen

1.

Entstehung und Erlöschen des Anfechtungsanspruchs

13 Der Anspruch auf Rückgewähr entsteht nach ständiger Rechtsprechung unmittelbar mit der Insolvenzeröffnung aufgrund eines gesetzlichen, auf Rückgewähr gerichteten Schuldverhältnisses13) und wird damit zugleich fällig.14) Einer besonderen Anfechtungserklärung oder -handlung bedarf es nicht.15) 14 Der BGH führt hierzu aus, dass der Anspruch auf Rückgewähr auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis beruht und voraussetzt, dass sich einer der Anfechtungstatbestände verwirklich hat; einer einseitigen Anfechtungserklärung bedarf es daher insoweit nicht. Der Anfechtungsanspruch entsteht schon mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nicht erst mit Erhebung der Anfechtungsklage, denn auch derjenige erfüllt den Anspruch, der dem außergerichtlichen Verlangen des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr des anfechtbar Erlangten Folge leistet“.16) 2.

Inhalt des Anfechtungsanspruchs

15 Entsprechend dem Zweck der Insolvenzanfechtung ist nach ganz h. M.17) Inhalt des Anfechtungsanspruchs die Pflicht zur Rückgewähr dessen, „was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist.“ Dieser Anspruch geht grundsätzlich auf Rückgewähr in Natur (Primäranspruch). Nur dann, wenn der Gegenstand selbst nicht mehr vorhanden ist, schuldet der Anfechtungsgegner Wertersatz (Sekundäranspruch); dieser Anspruch besteht also nicht etwa wahlweise, obgleich sich der Insolvenzverwalter i. R. seines wirtschaftlichen Ermessens mit einem Wertersatz begnügen kann.18) 16 Ein Verzicht auf das Anfechtungsrecht ist nicht möglich, wohl aber ein Vergleich des Insolvenzverwalters mit einem potenziellen Anfechtungsgegner über den Anfechtungsanspruch,19) wobei aber auch hier ein Haftungsrisiko des Insolvenzverwalters i. R. der Betriebsfortführung besteht. 17 Der Natur eines gesetzlichen Anspruchs folgend ist die Feststellung und Durchsetzung des Rückgewähranspruchs weder davon abhängig, dass die Gläubiger oder Gläubigergremien dies fordern, noch wird der Insolvenzverwalter durch eine anders gelagerte Beschlussfassung ___________ 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19)

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Bork in: FS Runkel, S. 241 ff. Gehrlein, WM 2011, 577. BGH, Urt. v. 13.12.2007 – IX ZR 116/06, ZIP 2008, 455. BGH, Urt. v. 1.2.2007– IX ZR 96/04, ZIP 2007, 488. Kirchhof in: Münch-Komm-InsO, § 129 Rz. 186; BGH, Urt. v. 24.9.2015 – IX ZR 55/15, ZIP 2016, 30; BGH, Urt. v. 14.2.2013 – IX ZR 94/12, ZIP 2013, 588. BGH, Urt. v. 9.7.1987 – IX ZR 167/86, ZIP 1987, 1132. Vgl. dazu BGH, Urt. v. 15.12.1994 – IX ZR 153/93, ZIP 1995, 134; Rogge/Leptien in: Hamb-KommInsO, vor § 129 Rz. 1 ff. BGH, Beschl. v. 24.5.2012 – IX ZR 142/11, NZI 2012, 713. Ausführlich Kreft in: FS Schmidt, S. 965 ff.; Bork, ZIP 2006, 589.

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen bei Betriebsfortführung § 26 der Gläubiger gebunden. Beschließt mithin die Gläubigerversammlung oder der Gläubigerausschuss die „Nichtverfolgung“ von Anfechtungsansprüchen, so exkulpiert dies den Insolvenzverwalter nicht von einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme, da das Anfechtungsrecht als gesetzlicher Anspruch nicht disponibel ist und zugleich der Durchsetzung der öffentlich- rechtlich konstruierten Ordnungsfunktion dient.20) Eine Ausnahme gilt nur, wenn einer entsprechenden Beschlussfassung konkrete Berechnungen und Nachweise zur Unwirtschaftlichkeit der Durchsetzung im Einzelfall zugrunde liegen. IV.

Durchsetzungspflicht und Aufgaben des Insolvenzverwalters

1.

Grundlagen

Aus der Qualität des Anfechtungsanspruchs als eines gesetzlichen Anspruchs zur Masse- 18 mehrung und zur Durchsetzung der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens folgt, dass dem Insolvenzverwalter i. R. von § 159 InsO als Treuhänder fremden Vermögens die Pflicht zur Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs obliegt.21) Ein Verzicht darauf ist weder rechtlich möglich noch zulässig, er wäre auch schlicht insolvenzzweckwidrig.22) Der Insolvenzverwalter ist daher schon aufgrund seiner Stellung und seines Amtes ver- 19 pflichtet, den gesetzlichen Anspruch im Interesse der Gesamtgläubigerschaft durchzusetzen und der Masse anfechtbar erlangte oder entzogene Vermögenswerte wieder zuzuführen. Diese Pflicht lässt sich insoweit aus der gesetzlichen Regelung des § 159 InsO unmittelbar, aber auch des § 208 Abs. 3 InsO mittelbar – selbst für den Fall der Masseunzulänglichkeit, nicht jedoch Massearmut23) – entnehmen. Die Mittel dazu stellt das in den §§ 129 ff. InsO geregelte Anfechtungsrecht bereit. Aus 20 dieser gesetzlichen Aufgabenzuweisung folgt denknotwendig die Verpflichtung zur Ermittlung aller möglichen anfechtungs- oder haftungsrechtlich relevanten Ansprüche, die sich wiederum zwingend mit der Ermittlung des Zeitpunktes des Eintritts der materiellen Insolvenz verbinden und zwar schon im Eröffnungsverfahren.24) Bei einem eindeutigen Sachverhalt kann sich der Verwalter daher auch nicht damit entlas- 21 ten, dass die Anfechtung auf Grund der „Kann-Formulierung“ des § 129 Abs. 1 InsO gänzlich in sein Ermessen gestellt sei,25) sondern sein Ermessen umfasst nur die konkrete wirtschaftliche Abwägung zur Durchsetzung im jeweiligen Einzelfall.

___________ 20) BGH, 1.2.2007 – IX ZR 96/04, ZIP 2007, 488. 21) Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rz. 452; s. a. Beck/Depré-v. Bismarck, Praxis der Insolvenz, § 33 Rz. 19 m. w. N. 22) Bork in: FS Runkel, S. 241, 243 ff. 23) Der BGH führt hierzu wie folgt aus: „Wie sich aus § 129 Abs. 1 InsO ergibt, nimmt der Insolvenzverwalter mit der Anfechtung von Rechtshandlungen nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO eine ihm mit seinem Amt übertragende Aufgabe wahr. Diese Aufgabe obliegt ihm sogar dann, wenn der aus einer Anfechtung zu erzielende Erlös wegen der vorweg zu befriedigende Verfahrenskosten (§ 54 InsO) nicht an die Insolvenzgläubiger verteilt werden kann (…). Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit hat Auswirkungen auf die Verteilung der vorhandenen Masse (§§ 208, 209 InsO), nicht jedoch auf den Aufgabenkreis des Insolvenzverwalters. Der Verwalter bleibt vielmehr verpflichtet, das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und zu verwerten(§ 208 Abs. 3 InsO). Dazu gehört es, Anfechtungsansprüche durchzusetzen. Anfechtungsansprüche sind Teil der Insolvenzmasse“; BGH, Beschl. v. 16.7.2009 – IX ZB 234/08, ZInsO 2012, 736; vgl. BGH, Beschl. v. 22.11.2012 – IX ZB 62/12, ZIP 2012, 2526: Die Massekostenarmut steht der Gewährung von Prozesskostenhilfe zugunsten des Insolvenzverwalters dann nicht entgegen, wenn durch die Verfolgung einer Forderung des Schuldners die Massearmut abgewendet wird. 24) Kirstein, ZInsO 2006, 992. 25) Beck/Depré-v. Bismarck, Praxis der Insolvenz, § 48 Rz. 20 m. w. N.

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§ 26

Teil V Einzelfragen

22 Da es sich um eine insolvenzspezifische Verpflichtung gegenüber den Insolvenzgläubigern handelt, haftet der Insolvenzverwalter für deren Erfüllung nach § 60 InsO persönlich.26) 2.

Zulässigkeit des Vergleichs

23 Diese möglichen Auswirkungen eines Vergleichs über Anfechtungsansprüche i. R. der Betriebsfortführung lassen es geboten erscheinen, Zulässigkeit und Grenzen eines solchen Vergleichs näher zu untersuchen, um insb. letztlich erfolglosen Angriffen gegen derartige Vergleiche vorzubeugen und die Verfahrensbeteiligten vor unnötigen Beeinträchtigungen zu bewahren. 3.

Der Anfechtungsanspruch als Vergleichsgegenstand

24 Dass der Insolvenzverwalter sich über Anfechtungsansprüche27) vergleichen kann, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt.28) Der Vergleich hat regelmäßig keine schuldumfassende Wirkung.29) 25 Es liegt nicht anders als bei sonstigen Ansprüchen der Masse, über die sich der Insolvenzverwalter unzweifelhaft vergleichen kann. Unwirksam ist ein solcher Vergleich – sofern es an Willensmängeln (§§ 116 ff. BGB), einem Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder einer Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) fehlt – nur unter den Voraussetzungen einer Insolvenzzweckwidrigkeit.30) Diese liegt vor, wenn der Widerspruch zum Insolvenzzweck (hier: der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger des insolventen Schuldners, § 1 Satz 1 InsO) unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten für jeden verständigen Beobachter ohne Weiteres ersichtlich ist und sich dem Geschäftspartner aufgrund der Umstände des Einzelfalls ohne Weiteres begründete Zweifel an der Vereinbarkeit der Handlung mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens aufdrängen mussten, ihm also zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.31) 4.

Ermessensspielraum des Insolvenzverwalters

26 Es ist anerkannt, dass dem Insolvenzverwalter wegen der mit seinem Amt verbundenen vielfältigen und schwierigen Aufgaben bei der Ausübung seiner Tätigkeit grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zusteht.32) Dies wirkt sich auf seine Haftung aus. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten (hier: Schuldner, Insolvenz- und Massegläubigern) zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er die Pflichten verletzt, die ihm nach der InsO obliegen. Nach § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO hat er (den Beteiligten) für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen.33)

___________ 26) BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, ZIP 1996, 420; Huber, NZI 2004, 497. 27) Genauer: anfechtungsrechtliche Rückgewähransprüche nach § 143 Abs. 1 InsO. 28) BGH, Urt. v. 24.6.2003 – IX ZR 228/02, ZIP 2003, 1554; BAG, Urt. v. 28.11.2007 – 6 AZR 377/07, ZIP 2008, 846. 29) Palandt-Sprau, BGB, § 779 Rz. 11; BGH, Urt. v. 24.6.2003 – IX ZR 228/02, ZIP 2003, 1554. 30) BGH, Beschl. v. 20.03.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884. 31) BGH, Urt. v. 25.10.2007 – IX ZR 217/06, ZIP 2007, 2273. 32) BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, ZIP 2003, 962. 33) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZIP 2010, 2356.

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen bei Betriebsfortführung § 26 V.

Die zivilrechtliche Haftung bei Verstoß gegen die Pflicht zur Anfechtung

1.

Vorbemerkung

Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters ist allgemein sehr haftungsgeneigt. Regelmäßig lösen 27 schwierige – wenn nicht gar völlig verfahrene und unübersichtliche – unternehmerische Situationen erst das Insolvenzverfahren aus. Andererseits ist der Verwalter gefordert, schnelle tatsächliche und prognostische Entscheidungen zu treffen, die sich optimal auf das weitere Verfahren und der Betriebsfortführung auswirken sollen. Ihm stehen dabei umfangreiche Kompetenzen zu, bei deren Wahrnehmung sich leicht Fehler einschleichen. Derartige Missgriffe können zu erheblichen Massebeeinträchtigungen führen, für die der Verwalter unter Umständen einstehen muss. 2.

Die Pflichtverletzung

2.1

Allgemeines

Nicht die Nichtbeachtung beliebiger Pflichten führt zu einer Haftung auf der Basis des 28 § 60 Abs. 1 InsO. Vielmehr muss der Verwalter eine insolvenzspezifische Obliegenheit verletzen, mithin eine Pflicht, die ihn unmittelbar nach den Bestimmungen der InsO trifft, und die besondere Risiken für die vom Handeln des Insolvenzverwalters betroffenen Personen birgt. Hierbei kann er die Masse insgesamt und damit die Gesamtheit von Schuldner und Gläubigern, aber auch einen einzelnen Beteiligten, demgegenüber die verletzte Pflicht bestand, schädigen; § 60 Abs. 1 InsO betrifft mithin sowohl Gesamt- wie auch Einzelschäden. Nicht insolvenzspezifisch sind die Pflichten, die einen Verwalter gegenüber Geschäfts- 29 partner treffen, etwa bei oder nach dem Abschluss von Verträgen. Bei Geschäften mit dem Verwalter sind die Vertragspartner über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens informiert; dementsprechend müssen sie ihre Risiken selbst abschätzen und berücksichtigen, es sei denn, es greift die spezielle Regelung des § 61 InsO ein. Vergleichbares gilt für etwaige Verletzungen von (allgemeinen) Verkehrssicherungspflichten; auch hier besteht keine enge Verknüpfung zu Verwalterpflichten, die aus der InsO resultieren.34) 2.2

Pflicht zur Anfechtung35)

Der Verwalter muss auch stets prüfen, ob etwas durch anfechtbare und gläubigerbenach- 30 teiligende Handlungen aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist.36) Mit den §§ 129 ff. InsO stehen ihm hierbei weitreichende Instrumente zur Verfügung. Anfechtungsansprüche sind Masseansprüche. Macht der Verwalter sie nicht geltend, haftet er in gleichem Maße wie bei der sorgfaltswidrigen Behandlung von Vermögensgegenständen oder fehlerhaftem Forderungseinzug. Er muss aus diesem Grund allen Hinweisen auf anfechtungsrelevante Handlungsweisen vollständig nachgehen. Indes gilt es vor der Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen zunächst, den zu- 31 grunde liegenden Sachverhalt sorgfältig zu ermitteln. An einer ausreichenden Dokumentation durch den Schuldner fehlt es regelmäßig,37) zumal die Ansprüche erst mit Insol___________ 34) Brandes in: Münch-Komm-InsO, § 61 Rz. 76. 35) S. Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rz. 450 ff. 36) S. etwa BGH, Urt. v. 22.4.2004 – IX ZR 128/03, ZIP 2004, 1218 m. Anm. Huber, NZI 2004, 496, dazu EWiR 2004, 817 (Gundlach/Schmidt); hierzu weiter Nasall, jurisPR-BGHZivilR 30/2004, Anm. 2; Lüke, ZIP 2004, 1693; Wagner, WuB VI B § 82 KO 2.04; Uhlenbruck, BGHReport 2004, 1197; Meyer-Löwy/ Poertzgen/Sauer, ZInsO 2005, 691, 694. 37) Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rz. 451.

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§ 26

Teil V Einzelfragen

venzeröffnung entstehen.38) Der Schuldner selbst ist überdies eine unzureichende Informationsquelle für den Verwalter: Vielfach ist er an erfolgreichen Anfechtungen nicht interessiert, sodass der Verwalter andere Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen muss. Häufig werden Anfechtungen daher an unzureichenden Informationen scheitern.39) Die sorgfältige Sachverhaltsermittlung ist aber Grundpflicht des Verwalters, wie sie auch zu den grundlegenden Aufgaben jedes Rechtsbeistandes bei Begründung eines Mandats gehört.40) 32 Dennoch: Bei einem eindeutigen Sachverhalt muss der Insolvenzverwalter seine Anfechtungsmöglichkeiten nutzen; es besteht eine diesbezügliche Durchsetzungspflicht. Denn sie ist Ausprägung der Gläubigergleichbehandlung,41) die auf die Zeit vor Antragstellung vorverlagert wird. 33 Der Verwalter darf daher auf eine Anfechtung nur verzichten, wenn entweder ihr Erfolg, etwa wegen eines unklaren und nicht weitere aufklärbaren Sachverhalts, mit erheblichen Zweifeln behaftet ist,42) oder aber sie durch andere Vorteile für die Gläubigergesamtheit aufgewogen wird, z. B. durch ersparte Prozesskosten bei einem nicht leistungsfähigen Anfechtungsgegner oder durch die Aufrechterhaltung einer Geschäftsverbindung, die für eine beabsichtigte Betriebsfortführung unverzichtbar ist.43) Abzuwägen hat er insbesondere, ob die Risiken, einen Titel zu erlangen und aus ihm mit Erfolg Vollstreckungsmaßnahmen zu betreiben, angesichts des finanziellen Aufwands im Einzelfall nicht zu groß sind.44) 2.3

Auswahl bei mehreren Haftungsschuldnern

34 Im Einzelfall können sich aufgrund desselben Sachverhalts Anfechtungsansprüche gegenüber mehreren Erstattungsschuldner ergeben, etwa durch die Zahlung an einen Gläubiger, durch die der Schuldner gleichzeitig einen Dritten von seiner Mithaftung befreit,45) oder durch die Anweisung des Schuldners an einen Gläubiger, unmittelbare Zahlung an einen weiteren Gläubiger zu leisten.46) In den genannten Fällen gibt es in der Regel mehrere Erstattungsschuldner, denen gegenüber die Anfechtung erklärt werden kann. 35 Gleiches gilt, wenn unterschiedliche Rechtsgrundlagen zu möglichen Erstattungsansprüchen führen können, etwa dann, wenn ein Geschäftsführer wegen einer Masse schmälernden Zahlung an einen Gläubiger nach § 64 Satz 1 GmbHG haftet, gegenüber dem Gläubiger aber wegen der erlangten Befriedigung eine Anfechtung möglich ist.47)

___________ 38) BGH, Urt. v. 1.2.2007 – IX ZR 96/04, ZIP 2007, 488. 39) Huber, NZI 2004, 497 spricht in diesem Zusammenhang von einer „Titanic-These“: Die Zahl der anfechtbaren Rechtshandlungen im Vergleich zu Anfechtungsprozessen verhält sich wie die Spitze eines Eisbergs zu dessen Masse unter Wasser. 40) St. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. v. 22.9.2005 – IX ZR 23/04, NJW 2006, 501 m. Anm. Henssler/Michel, WuB IV A § 675 BGB 2.06, sowie m. Anm. Weyand, INF 2005, 931. 41) Kind in: FK-InsO § 60 Rz. 10 m. w. N. 42) Beck/Depré-v. Bismarck, Praxis der Insolvenz, § 33 Rz. 19 m. w. N. 43) Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rz. 452. 44) Bork, ZIP 2005, 1120. 45) BGH, Urt. v. 20.7.2006 – IX ZR 44/05, ZIP 2006, 1591; hierzu Piepenbrock, NZI 2007, 384. 46) BGH, Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, ZIP 2008, 190; BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 74/11, ZIP 2012, 1038; BGH, Urt. v. 24.1.2013 – IX ZR 11/12, ZIP 2013, 371; BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523; BGH, Urt. v. 3.4.2014 – IX ZR 201/13, ZIP 2014, 1032; BGH, Urt. v. 10.9.2015 – IX ZR 215/13, ZIP 2015, 2083. 47) BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, ZIP 1996, 420.

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen bei Betriebsfortführung § 26 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob dem Insolvenzverwalter ein Auswahl- 36 ermessen zusteht, oder ob er auf die Belange eines Erstattungsschuldners Rücksicht nehmen muss. Hier ist zu differenzieren: x

Sofern die Haftung mehrerer potenzieller Erstattungsschuldner allein auf dem Anfechtungsrecht beruht, spielen deren Belange im Einzelfall keine Rolle.48) Die Anfechtungshaftung ist stets gesamtschuldnerisch.49) Unter den Betroffenen kann derjenige, der vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen wird, nach Maßgabe des § 426 BGB Ausgleich verlangen, unabhängig davon, ob der Anfechtungsanspruch gegen einen der Betroffenen zwischenzeitlich verjährt ist.50) Damit kann der Insolvenzverwalter hier nach Belieben vorgehen.

x

Bei verschiedenen Anspruchsgrundlagen verhält es sich nicht anders. So verjähren etwa Ansprüche gegen den Geschäftsführer wegen Masse schmälernder Auszahlungen nach fünf Jahren, §§ 64, 43 Abs. 4 GmbHG, während die Anfechtungsmöglichkeit gemäß §§ 129 ff. InsO gegenüber einem erstattungspflichtigen Empfänger schon nach der regelmäßigen dreijährigen Verjährung des BGB nicht mehr besteht. Macht der Insolvenzverwalter bei derartigen Konstellationen Ansprüche gegen den Geschäftsführer geltend, darf dieser diesem Ansinnen nicht entgegen halten, dass der Verwalter die Masseschmälerung beim Anfechtungsgegner hätte ausgleichen können.51)

VI.

Die strafrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters

1.

Unterlassene Vermögensmehrung

Angesichts der vorgenannten engen insolvenzrechtlichen Pflichtenbildung drängt sich 37 notwendig die ergänzende Frage auf, ob sich der Insolvenzverwalter i. R. der Betriebsfortführung für den Fall der Nichtermittlung und Nichtdurchsetzung wegen seiner besonderen Amtsstellung als Treuhänder fremden Vermögens ggf. auch wegen Untreue nach § 266 StGB strafbar machen kann – wodurch die Ermittlungs- und Durchsetzungspflicht noch einmal in besonderer Weise qualifiziert werden würde. Bei der Untreue handelt es sich um ein Vermögensdelikt, einen Tatbestand, der das Ver- 38 mögen „als Ganzes“ schützen soll. Untreue schützt weder das Vertrauen in die Pflichttreue des Täters noch die Redlichkeit des Rechtsverkehrs. Schutzgut ist auch nicht die Dispositionsfreiheit des Vermögensinhabers. Welcher Art die Vermögensbetreuungspflicht sein muss, lässt der Wortlaut des § 266 StGB nicht erkennen. Aus dem Wortlaut ergibt sich jedoch, dass die Pflicht sich aus „Gesetz, behördlichem Auftrag oder Rechtsgeschäft“ ergeben muss. Für den Bereich der Insolvenzverwaltung ist insoweit auch anerkannt, dass der Insolvenz- 39 verwalter aufgrund seiner Amtsstellung tauglicher Täter des Sonderdeliktes des § 266 StGB sein kann.52) Der Tatbestand hat zwei Alternativen:

40

x

Den Missbrauch der Verfügungsbefugnis über fremdes Vermögen und

x

den Treuebruch.

___________ 48) So zu Recht BGH, Urt. 18.12.1995 – II ZR 277/94, ZIP 1996, 420; a. A. nur Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rz. 457 ff. 49) BGH, Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, ZIP 2008, 190. 50) BGH, Urt. v. 30.10.1980 – III ZR 132/79, NJW 1981, 681. 51) BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, ZIP 1996, 420; BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523. 52) Vgl. zum Ganzen Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rz. 9 ff. m. w. N.

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§ 26

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41 Beide Varianten setzen die Verletzung einer besonderen Vermögensbetreuungspflicht voraus. 42 Nach einer im strafrechtlichen Schrifttum53) einheitlich verfolgten Auffassung, die auch durch die Rechtsprechung bestätigt worden ist, trifft den Insolvenzverwalter eine Vermögensfürsorgepflicht i. S. des Treubruchstraftatbestandes (§ 266 Abs. 2 Alt. 2 StGB). Die Pflicht bezieht sich auf das dem Insolvenzverwalter anvertraute Vermögen des insolventen Schuldners.54) Er ist demnach gegenüber dem Insolvenzschuldner als auch gegenüber den Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO), Massegläubigern (§ 58 InsO) und absonderungsberechtigten Gläubigern (§§ 49 ff. InsO) vermögensbetreuungspflichtig i. S. des § 266 StGB.55) 2.

Pflichtverletzung

43 Der Insolvenzverwalter müsste eine spezifische Treuepflicht durch die Nichtermittlung oder Nichtverfolgung verletzen. Hierfür kommt jedes Verhalten in Betracht, das innerhalb des durch das Treueverhältnis begründeten Pflichtenkreises liegt,56) hier also die durch gerichtlichen Auftrag erteilte Befugnis zur Verfügung über fremdes Vermögen. 44 Da die Tatbestände als Tathandlung nur eine Pflichtverletzung voraussetzen, können sie gleichermaßen durch Tun oder Unterlassen erfüllt werden, an die Stelle der allgemeinen Voraussetzungen eines unechten Unterlassungsdelikts (z. B. Garantenpflicht, Entsprechungsklausel) tritt die Treupflicht.57) Beispiel: Mögliche Pflichtverstöße durch Unterlassen stellen z. B. masseverkürzende Maßnahmen wie das Verjährenlassen eines der Masse zustehenden Anspruchs dar.58) Der Anfechtungsanspruch selbst stellt einen der Masse zustehenden Anspruch dar (siehe oben), sodass bei Untätigkeit zur Realisierung dieses Vermögensanspruchs die Pflichtverletzung im vorgenannten Sinne auf der Hand liegt. Wird dieser entweder gar nicht ermittelt oder, trotz vorliegender Ermittlungsergebnisse und der Erwartung, dass ein Prozess erfolgreich geführt wird, nicht geltend gemacht, stellt dies ein Verjährenlassen eines der Masse zustehenden Anspruchs dar und erfüllt daher auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 266 StGB. 45 So hat der BGH bereits 198259) zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsanwalt, der eine Forderung verjähren lässt, der Untreue schuldig ist, wie folgt ausgeführt: „Der BGH hat mehrfach eine Treuepflicht i. S. des § 266 StGB angenommen, wenn die Amtsstellung oder rechtsgeschäftliche Vereinbarung den Täter zur Einziehung oder Durchsetzung von Forderungen verpflichteten.“

46 Ein unterbliebener Vermögenszuwachs fällt jedoch nur dann in den Schutzbereich der Strafbestimmung, wenn eine gesicherte Aussicht auf den Vermögenszuwachs bestanden hat,60) was aber notwendig voraussetzt, dass zumindest die Ermittlungspflicht erfüllt wird. Wird mithin ein gesetzlich der Masse zustehender Anspruch weder ermittelt noch durchgesetzt, dann liegt die Tatbestandsverwirklichung bereits im Unterlassen der Ermittlung selbst. Dass im Übrigen eine statistisch gesicherte Aussicht auf Durchsetzung anfechtungsrechtlicher Ansprüche überhaupt besteht, ergibt sich schon aus den öffentlich ___________ 53) 54) 55) 56) 57) 58) 59) 60)

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Vgl. für alle Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rz. 9 ff. Bittmann-Joecks, Insolvenzstrafrecht, § 23 Rz. 14. Schramm, NStZ 2000, 398. Lackner/Kühl, StGB, § 266 Rz. 15. Lackner/Kühl, StGB, § 266 Rz. 2. Bittmann-Joecks, Insolvenzstrafrecht, § 23 Rz. 17; Schramm, NStZ 2000, 398, 399. BGH, Urt. v. 11.11.1982 – 4 StR 406/82, NJW 1983, 461. Diversy/Weyand, ZInsO 2009, 802.

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen bei Betriebsfortführung § 26 verfügbaren Erkenntnissen über Höhe und Werthaltigkeit dieser Ansprüche bei Kapitalgesellschaften, wie sie i. R. einer Langzeiterhebung erfasst worden sind.61) 3.

Vermögensschaden

Die Tathandlung (Pflichtverletzung durch Unterlassen) muss einen Nachteil für das 47 Vermögen des Betreuten verursachen. Zwischen Pflichtverstoß und Schaden muss mithin ein Unmittelbarkeitszusammenhang bestehen.62) Hier ist anzumerken, dass der Insolvenzverwalter das Anfechtungsrecht für die Insolvenzmasse ausübt. Die Rückgewähr des durch die anfechtbare Handlung Erlangten hat regelmäßig an die Insolvenzmasse zu erfolgen, so dass die anfechtbaren Gegenstände mit der „Rückholung“ durch den Verwalter wieder Massebestandteile, also Eigentum des Insolvenzschuldners werden, mit der haftungsrechtlichen Bestimmung, der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zu dienen.63) Die Nichtgeltendmachung und das Verjährenlassen eines insolvenzrechtlichen Anfechtungsanspruchs schädigt die Insolvenzmasse, somit den Schuldner und damit auch die gleichmäßige, bestmögliche Gläubigerbefriedigung. Ein Vermögensschaden liegt demnach in den unterschiedlichen Formen der Nichtermittlung oder Nichtgeltendmachung stets vor. VII. Vertrauenstatbestand, Verzicht und Erlassvertrag Oftmals wird der Insolvenzverwalter i. R. der Betriebsfortführung auf Druck von Liefe- 48 ranten zur existenziellen Fortführung des schuldnerischen Unternehmens gehalten bzw. gezwungen sein, auf die Anfechtung zu verzichten. Hier stellt sich die Frage der Zulässigkeit und einer möglichen späteren Anfechtung. Der Insolvenzverwalter benötigt für die einstweilige Fortführung des schuldnerischen Be- 49 triebes dringend Lieferungen und Leistungen bestimmter Vertragspartner. Diese standen schon vorher in geschäftlichen Beziehungen mit dem Schuldner und haben gegen ihn noch ungesicherte Forderungen, deren Realisierung nunmehr im höchsten Maße gefährdet ist. Sie versuchen deshalb häufig, die vom Insolvenzverwalter benötigte Fortsetzung der Geschäftsbeziehung von der Erfüllung dieser Altverbindlichkeiten abhängig zu machen, indem sie sich zu der für die Betriebsfortführung erforderlichen Leistung nur unter der Bedingung bereit erklären, dass neben der Neuverbindlichkeit auch die noch offenen Altrechnungen bezahlt werden. Stimmt der Insolvenzverwalter einer solchen Zahlung zu, so stellt sich anschließend die Frage nach der Anfechtbarkeit. 1.

Anforderungen an Treu und Glauben und dem Ausschluss der Anfechtung

Die Rechtsprechung auf die streitige Frage, ob eine Insolvenzanfechtung in Betracht 50 kommt, wenn Rechtshandlungen des Schuldners mit Zustimmung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters vorgenommen werden und dadurch ein grundsätzlicher Vertrauenstatbestand geschaffen wird, ist i. R. der Betriebsfortführung von erheblicher praktischer Bedeutung.64) Es geht um die Frage, ob der Insolvenzverwalter, der mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet ist, Verträge des Schuldners, über die Erfüllung von Altverbindlichkeiten vorbehaltlos zustimmen kann, die im Zusammenhang mit neu zu erbringenden Leistungen des Vertragspartners stehen und ob diesen grundsätzlich ein Vertrauenstatbestand begründet worden ist, den der Verwalter bei Vornahme der Erfüllungshandlung durch die Schuldnerin nicht mehr zerstören kann. Gerade bei Fortführung des schuldne___________ 61) 62) 63) 64)

Vgl. dazu Kirstein, ZInsO 2006, 966. Lackner/Kühl StGB, § 266 Rz. 16. Kirchhof in: Münch-Komm-InsO, § 129 Rz. 195. Vgl. dazu, BGH, Urt. v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, ZIP 2003, 810.

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rischen Unternehmens sollte der Insolvenzverwalter die Rechtslage kennen, angemessen anwenden, um auch Haftungsansprüche zu vermeiden. 51 Grundsätzlich hatte der BGH die Frage entschieden, dass der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Erfüllungshandlung nach den Regeln der Deckungsanfechtung anfechten kann, sofern nicht ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist, der nicht mehr zerstört werden kann. 52 An dieser Rechtsprechung hat der BGH65) festgehalten und nochmals bestätigt, dass der mit Zustimmungsvorbehalt ausgestattete (vorläufige) Insolvenzverwalter für den Gläubiger grundsätzlich einen anfechtungsfesten Vertrauenstatbestand schafft, wenn er der Erfüllung einer Altverbindlichkeit zustimmt, die auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht, welche dem Gläubiger zugleich verpflichtet, neue Leistungen an das Schuldnerunternehmen zu bringen. 53 Der Insolvenzverwalter ist grundsätzlich berechtigt, die Erfüllung von Altverbindlichkeiten nach den Regeln der Deckungsanfechtung auch dann anzufechten, wenn er einer Rechtshandlung des Schuldners zugestimmt hat, durch die gesetzliche Ansprüche oder Altverbindlichkeiten erfüllt werden, ohne dass dies mit einer künftig zu erbringenden eigenen Leistung des Schuldners im Zusammenhang steht.66) 54 Dies wird insbesondere damit begründet, dass § 55 Abs. 2 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ohne allgemeine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis keine entsprechende Anwendung findet. Dieser hat – ebenso wie der Sequester nach altem Recht – keine den Befugnissen des endgültigen Insolvenzverwalters derart angenäherte Rechtstellung, dass eine Anfechtung der Rechtshandlungen des Schuldners, denen er zugestimmt hat, von vornherein ausscheidet. 55 Die Anfechtung ist vielmehr nur dann ausgeschlossen, wenn der vorläufige Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt durch sein Handeln einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand gesetzt hat und der Empfänger der Leistung demzufolge nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) damit rechnen durfte, ein auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr entziehbares Recht erhalten zu dürfen. Dies trifft grundsätzlich auch für Rechtshandlungen zu, welche die Tilgung von Altverbindlichkeiten zum Gegenstand haben. An dieser Rechtsauffassung hat der BGH festgehalten. 56 Einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründet der vorläufige Verwalter in der Regel dann, wenn er Verträgen vorbehaltslos zustimmt, die der Schuldner mit dem Gläubiger nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen geschlossen und in denen er im Zusammenhang mit an das Schuldnerunternehmen zu erbringenden Leistungen des Gläubigers Erfüllungszusagen für Altverbindlichkeiten gegeben hat. Wegen der Einbindung des vorläufigen Verwalters in den Vertragsschluss darf der Gläubiger davon ausgehen, die als Erfüllung geleisteten Zahlungen endgültig behalten zu dürfen. Sie können ihm daher auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr im Wege der Anfechtung entzogen werden. 57 Der Insolvenzverwalter, der die Erfüllung von Altverbindlichkeiten anficht, die mit neuen Leistungen des Gläubigers an den Schuldner vertraglich verknüpft worden sind, handelt allerdings nicht treuwidrig, sofern der Gläubiger die Zustimmung des vorläufigen Verwalters nur aufgrund seiner wirtschaftlichen Marktstellung gegen dessen zunächst erklärten Widerstand durchsetzen konnte. ___________ 65) BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431. 66) BGH, Urt. v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314; BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431; BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 161/11, ZIP 2013, 528.

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen bei Betriebsfortführung § 26 2.

Zulässigkeit eines Verzichts

Fraglich ist, ob ein „Verzicht“ insolvenzrechtlich wirksam wäre. Es entspricht heute gesi- 58 cherter Rechtserkenntnis, dass für anfechtbare Rechtshandlungen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes ein schuldrechtlicher Rückgewährsanspruch besteht, den allein der Insolvenzverwalter geltend machen kann.67) Der Insolvenzverwalter handelt dabei weisungsfrei kraft seines Amtes im eigenen Namen. Der Insolvenzanfechtungsanspruch entsteht daher nicht in der Person des Insolvenzverwalters, sondern es handelt sich um ein der Insolvenzmasse zugewiesenen Anspruch des Schuldners, über den der Insolvenzverwalter gemäß § 80 InsO verfügungsbefugt ist,68) der nach neuerer Rechtsprechung abtretbar ist.69) Dieser Anspruch entsteht – wie die h. M. zutreffend annimmt – mit Verfahrenseröff- 59 nung70) und nicht schon mit Vollendung des Anfechtungstatbestandes. Daher ist Verpflichtungsobjekt allein der schuldrechtliche Rückgewährsanspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO. Darüber kann nach Verfahrenseröffnung nur durch einen Erlassvertrag i. S. des § 397 Abs. 1 BGB verfügt werden. Erklärt also der Insolvenzverwalter, auf das Anfechtungsrecht zu „verzichten“, so ist dieser 60 Verzicht kein einseitiges Rechtsgeschäft, sondern eine Willenserklärung, die auf den Abschluss eines Erlassvertrages71) gerichtet ist, der der korrespondierenden Erklärung des Vertragspartners, also des Gläubigers des potenziellen Anfechtungsgegners, bedarf. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Zivilrecht einen einseitigen Verzicht als Erlöschungstatbestand nicht kennt, sondern – wie bei § 516 BGB – einen Vertragsschluss unter Mitwirkung des begünstigten Dritten verlangt.72) Das schließt zwar nicht aus, einen Verzicht als erlassvertragliche Erklärung zu verstehen, jedenfalls ist es erforderlich, dass zwischen den Beteiligten ein Vertrag geschlossen wird, der sich in der Sache als Erlassvertrag über die insolvenzrechtlichen Rückgewährsansprüche einordnen lässt. Ein solcher bedarf keiner Forderung und kann daher stillschweigend geschlossen werden. Schließt der Insolvenzverwalter einen Erlassvertrag, so verfügt er somit über den Rück- 61 gewährsanspruch auf § 143 InsO, der in Folge des Erlasses erlischt mit der Folge, dass der Gläubiger die Anfechtbarkeit in der Leistung des Schuldners behalten darf. Die Verfügungsbefugnis ergibt sich unmittelbar aus § 80 InsO. Diese Vorschrift deckt auch Verfügungen über anfechtungsrechtliche Ansprüche. Es ist daher unbestritten, dass der Insolvenzverwalter entsprechende Erlassverträge schließen kann.73) VIII. Zusammenfassung Vielfach dient die Anfechtung der Generierung freier Masse, die für eine Betriebsfortführung 62 dringend benötigt wird. Insofern ist sie Sanierungsmittel. Ein wirkliches Fortführungshindernis ist sie – bei der gebotenen sanierungsfreundlichen Auslegung des Anfechtungsrechts – eigentlich erst dann, wenn ein Gläubiger einen dringend benötigten Fortführungsbeitrag im eröffneten Verfahren von dem Verzicht auf Anfechtungsrechte abhängig ___________ 67) BGH, Urt. v. 20.3.1997 – IX ZR 71/96, ZIP 1997, 737; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 223. 68) Kirchhof in: Münch-Komm-InsO, § 129 Rz. 87, 191. 69) BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 172/11, ZIP 2013, 531; BGH, Urt. v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1154. 70) BGH, Urt. v. 18.5.1995 – IX ZR 189/94, ZIP 1995, 1204. 71) BGH, Urt. v. 18.5.1995 – IX ZR 189/94, ZIP 1995, 1204. 72) Bork, ZIP 2006, 589. 73) BGH, Urt. v. 18.5.1995 – IX ZR 189/94, ZIP 1995, 1204.

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§ 26

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macht. Dann kann eine Betriebsfortführung scheitern. Dies ist jedoch hinzunehmen, da eine Garantie für die Befriedigung offener Insolvenzforderungen nicht versprochen werden kann. 63 Die zivilrechtlichen als auch strafrechtlichen Risiken der zunächst aus taktischen Erwägungen nicht geltend gemachter Anfechtung und mögliche Haftungsansprüche sind sorgfältig i. R. der Betriebsfortführung zu prüfen und abzuwägen.

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§ 27 Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz Übersicht I. II. 1. 2. 3. III.

Einführung .................................................. 1 Ermittlung der Massezulänglichkeit ........ 8 Insolvenzspezifische Pflicht ........................ 8 Drohende Masseunzulänglichkeit............. 10 Berechnung der Masseunzulänglichkeit ... 12 Masseunzulänglichkeit bei Verfahrenseröffnung ................................................... 24 IV. Wirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ....................................... 28 1. Allgemeine Auswirkungen ........................ 28 1.1 Fortbestand der Abwicklungspflichten........................................... 30 1.2 Richtungswechsel der Verfahrensziele................................ 31 1.3 Rangverschiebung nach § 209 InsO....................................... 39 1.4 Pflicht zur gesonderten Rechnungslegung ............................ 42 2. Auswirkungen auf relevante Sachverhalte i. R. einer Betriebsfortführung ......... 43 3. Auswirkungen auf gegenseitige Verträge und Dauerschuldverhältnisse..................... 49 3.1 Auswirkungen auf gegenseitige Verträge gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 1 InsO ...................................... 50

3.2 Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO abstellend auf den nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt ..................... 52 3.3 Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO bei Inanspruchnahme der Gegenleistung.... 56 4. Prozessuale Auswirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit............ 58 4.1 Vollstreckungsverbot gemäß § 210 InsO ...................................... 58 4.2 Prozessuale Geltendmachung durch Feststellungsklage ................ 60 5. Aufrechnung ........................................... 62 V. Haftung .................................................. 64 VI. Masseunzulänglichkeit in der Eigenverwaltung.................................... 72 VII. Masseunzulänglichkeit und Insolvenzplan......................................... 79 VIII. Beseitigung der Masseunzulänglichkeit.................................... 82 IX. Erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit ................................... 83

Literatur: Adam, Regeln für die Verwaltung unzulänglicher Massen, DZWIR 2011, 485; Bönner, Unternehmerisches Ermessen und die Haftung des Insolvenzverwalters im Vergleich mit anderen gesetzlich geregelten Vermögensverwaltern, Diss., 2009; Breitenbücher, Masseunzulänglichkeit, Diss., 2006; Buchalik, § 1 InsO – der Erhalt des Unternehmens als Ziel des Insolvenzverfahrens nach Inkrafttreten des ESUG, ZInsO 2015, 484; Büchler, Haftungsrisiken bei „faktischer Masseunzulänglichkeit“, ZInsO 2011, 1240; Dinstühler, Die Abwicklung massearmer Verfahren nach der Insolvenzordnung, ZIP 1998, 1697; Frind, Die Begründung von Masseverbindlichkeiten bei der Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren, Teil 1–3, InsbürO 2014, 217, 264, 323; Gundlach/Frenzel/Jahn, Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit und die Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO, DZWIR 2011, 177; Hees/Stange, Verzugszinsen auf Altmasseverbindlichkeiten trotz Masseunzulänglichkeit, ZIP 2013, 1206; Huhn, Die Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren, 2002; Klinck, Die Einzelermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten in den Eigenverwaltungs-Eröffnungsverfahren nach §§ 270a und 270b InsO, ZInsO 2014, 365; Kübler, Die Behandlung massearmer Insolvenzverfahren nach der Insolvenzordnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2009; Lambrecht/Michelsen, Die Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren nach § 270 InsO – Ruf nach dem Gesetzgeber, ZInsO 2015, 2520; Mönning/Hage, Die Regulierung von Fortführungsverbindlichkeiten mittels Treuhandkonto auch bei Masseunzulänglichkeit, ZInsO 2005, 1185; Pape, Mietverträge in der Insolvenz, Teil 4: Mietrechtliche Besonderheiten bei Masseunzulänglichkeit und im Verbraucherinsolvenzverfahren, InsBüro 2005, 169; Pape, Qualität durch Haftung? – Die Haftung des rechtanwaltlichen Insolvenzverwalters, ZInsO 2005, 953; Pape/Graeber, Handbuch der Insolvenzverwalterhaftung, 2009; Pape/Hauser, Massearme Verfahren nach der InsO, 2002; Runkel/ Schnurbusch, Rechtsfolgen der Masseunzulänglichkeit, NZI 2000, 49; Paul, Zulässigkeit eines Insolvenzplans im masseunzulänglichen Verfahren, ZInsO 2005, 1136; Schultz, Die Haftung des Insolvenzverwalters, ZInsO 2015, 529; Webel, Die Haftung des Insolvenzverwalters für Masseverbindlichkeiten i. R. des § 61 InsO, Diss., 2008; Weber/Hiller, Das Zusammenwirken von § 55 Abs. 4 InsO und § 13b Abs. 2 UStG bei der Verwertung von Sicherungsgut im vorläufigen Insolvenzverfahren, ZInsO 2014, 2555; Zimmer, Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit nach § 210a InsO (ESUG), ZInsO 2012, 390.

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§ 27 I.

Teil V Einzelfragen Einführung

1 Verfahrensziel der Insolvenzordnung ist die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung durch die Verwertung des schuldnerischen Vermögens und die Verteilung des Erlöses als Ausfluss der Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts. Diese Regelung des § 1 InsO ist bei jeder Art der Verfahrensabwicklung zu beachten. Auch alle Entscheidungen i. R. einer Betriebsfortführung haben sich daher an diesem Grundsatz zu orientieren.1) 2 Die Betriebsfortführung und damit der Unternehmenserhalt sind Ausfluss der Sanierungsfunktion der Insolvenzordnung. Bereits in § 1 Satz 2 InsO a. E. heißt es, dass abweichende Regelungen von der Verwertung des Schuldnervermögens zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger i. R. eines Insolvenzplans zum Erhalt des Unternehmens getroffen werden können.2) Eine Ausweitung des Sanierungs- und Restrukturierungsgedankens findet sich auch in den Ansätzen der Europäischen Kommission zur Gestaltung von außergerichtlichen Sanierungs- und Restrukturierungsverfahren.3) 3 Diese Funktion ist häufig in Einklang zu bringen mit der Ordnungsfunktion der bestmöglichen gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, da regelmäßig davon auszugehen ist, dass eine geordnete Veräußerung bzw. der Erhalt des Unternehmens im Ganzen höhere Beiträge für die Masse erwarten lässt als die Einzelveräußerung der Vermögensgegenstände im Zerschlagungsfall. Der Mehrwert, der im Gesamtunternehmen verkörpert ist, soll möglichst nicht vernichtet werden. Im Verlaufe der Abwicklung kann diese Annahme erhöhter Werthaltigkeit jedoch widerlegt werden. 4 Hieraus folgt eine vorrangige Fortführungspflicht für den Insolvenzverwalter. Diese wird bspw. in § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO (Fortführungspflicht des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters bis zur Eröffnung) postuliert und durch Instrumentarien wie die Insolvenzgeldvorfinanzierung oder die Nutzung betriebsnotwendiger Absonderungsgüter (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO) flankiert. Das insolvenzrechtliche Ziel der Fortführung findet sich auch dokumentiert in den Regelungen der Kündigungssperre nach § 112 InsO sowie der Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen nach § 119 InsO und der Weiterentwicklung in der Rechtsprechung zur Ausdehnung der Unwirksamkeit insolvenzbedingter Lösungsklausel zur Verhinderung einer faktischen Aushebelung des Wahlrechtes nach § 103 InsO.4) 5 Eine Betriebseinstellung im laufenden Verfahren ist mit weiteren Hürden verbunden. Hintergrund ist, dass nach der Intention des Gesetzgebers die Gläubigergemeinschaft in der Gläubigerversammlung gemäß § 157 InsO über die Art der Verwertung des schuldnerischen Vermögens entscheidet, nicht das Insolvenzgericht oder der Insolvenzverwalter. Dies setzt, um keine vollendeten Tatsachen zu schaffen, eine Betriebsfortführung bis zum Berichtstermin voraus. 6 Falls die Stilllegung vor dem ersten Berichtstermin erfolgen soll, muss ein etwa bestellter Gläubigerausschuss zustimmen. Außerdem ist zuvor der Schuldner zu unterrichten, der sich gegen die Stilllegung wenden kann (§ 158 InsO). Diese hat zu unterbleiben, wenn die Fortführung ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse zunächst erfolgen kann. Verluste werden dabei in Kauf genommen. Die diesen Regelungen innewohnende Wertung unterstreicht den Stellenwert der Fortführung.

___________ 1) Borchardt/Frind-Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 185. 2) S. dazu auch Buchalik, ZInsO 2015, 484. 3) Empfehlung der Kommission v. 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen – C (2014) 1500 final. 4) BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274 ff.

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Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 27

Nicht aus den Augen verloren werden darf dabei jedoch auch das Haftungsrisiko des In- 7 solvenzverwalters, wenn er zur Fortführung zunächst verpflichtet ist.5) (Zur Haftung allgemein siehe Rz. 64 ff.). II.

Ermittlung der Massezulänglichkeit

1.

Insolvenzspezifische Pflicht

Der Insolvenzverwalter ist gehalten, i. R. der Verfahrensabwicklung regelmäßig die Mas- 8 sezulänglichkeit zu prüfen. Dies stellt eine insolvenzspezifische Pflicht dar. Ersteres bedeutet, dass er zu verifizieren hat, dass die Masse nach Deckung der Verfahrenskosten gemäß § 54 InsO, deren Vorliegen Voraussetzung für die Verfahrensdurchführung ist und anderenfalls zu einer sofortigen Einstellung nach § 207 InsO führen würde, auch die sonstigen Masseverbindlichkeiten bei Fälligkeit erfüllen kann. Regelmäßig ist der Eintritt der Masseunzulänglichkeit erst gegeben, wenn diese sich mit Blick 9 auf die Prognoseungenauigkeit über einen gewissen Zeitraum verfestigt, und zwar bezogen auf die Schätzwerte, die bei der Berechnung heranzuziehen sind.6) Die Intervalle der Planungsüberprüfung haben im Falle der Betriebsfortführung zeitlich engmaschiger zu erfolgen als bei einer Ausproduktion. Gerade im ersten Stadium der Fortführung wird sich der Insolvenzverwalter auf die zu diesem Zeitpunkt zum Teil noch unverifizierten Daten aus dem Unternehmen verlassen müssen und dürfen.7) 2.

Drohende Masseunzulänglichkeit

Der Masseunzulänglichkeit wird im Gesetz die drohende Masseunzulänglichkeit gleich- 10 gestellt. Diese ist gegeben, wenn voraussichtlich im Zeitpunkt der Fälligkeit die zu erwartende Masse zur Deckung der Masseverbindlichkeiten nicht ausreichen wird.8)Aufgrund des Prognosecharakters wird dem Insolvenzverwalter ein gewisser Beurteilungsspielraum zuteil, den er jedoch selbstverständlich nicht missbräuchlich nutzen darf. Die Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit hat – vergleichbar der Wertung zur drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 Abs. 2 InsO – in der Regel dann zu erfolgen, wenn nach der vorzunehmenden Vorschau eine mehr als 50 %ige Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen spricht. Es handelt sich jedoch bei der prozentualen Bewertung nicht um eine starre Grenze. Die Entscheidung ist im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.9) Die Insolvenzmasse ist gleichsam mit Blick auf die Masseverbindlichkeiten zahlungsunfähig 11 oder droht nach überwiegender Wahrscheinlichkeit zahlungsunfähig zu werden. Da beide Fälle im Gesetz gleichbehandelt werden, hat dies zur Folge, dass im Falle der Anzeige bereits bei drohender Masseunzulänglichkeit eine erneute Anzeige im Fall des tatsächlichen Eintritts nicht erforderlich ist. Durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit kann der Insolvenzverwalter Gläubiger mit bereits bestehenden Ansprüchen in den Rang von Altmassegläubiger (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) setzen und sodann die aus seinen Handlungen entstehenden Zahlungsverpflichtungen als Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) vorrangig befriedigen. ___________ 5) Vgl. zu den hierzu diskutierten Haftungseinschränkungen Webel, Haftung des Insolvenzverwalters, S. 43 ff. 6) Borchardt/Frind-von Websky, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 2075. 7) Breitenbücher, Masseunzulänglichkeit, S. 112 f. 8) BAG, Urt. v. 31.3.2005 – 10 AZR 254/03, ZInsO 2005, 50, 52. 9) Borchardt/Frind-von Websky, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 2049; Uhlenbruck-Ries, InsO, § 208 Rz. 6.

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§ 27 3.

Teil V Einzelfragen Berechnung der Masseunzulänglichkeit

12 Die Masseunzulänglichkeitsberechnung kann aus der Gewinn- und Verlustrechnung sowie insbesondere der Liquiditätsplanung des Unternehmens entwickelt werden. Sie hat jedoch, neben der Prognose zum operativen Geschäft, Erlöse aus der Verwertung und Mittelzuflüsse kurzfristig zu realisierender insolvenzspezifischer Ansprüche zu berücksichtigen, ebenso wie alle Masseverbindlichkeiten. Insoweit ist eine Liquiditätsrechnung zu erstellen, die auf der aktuellen Liquiditätslage aufbaut.10) 13 Der tatsächliche Umfang der zu berücksichtigen Masseverbindlichkeiten ist jedoch häufig nicht präzise zu ermitteln, etwa wenn Ansprüche dem Grunde oder der Höhe nach streitig sind, oder nicht feststeht, wie lange Nutzungsentschädigung bei geplanter kurzfristiger Neuvermietung oder Personalkosten im Auslauf der Kündigungsfrist mit Blick auf einen möglichen neuen Arbeitsvertrag des ausgeschiedenen Mitarbeiters noch zu zahlen sein werden. 14 Die zu prognostizierenden Werte sind daher anhand nachvollziehbar dokumentierter Anknüpfungspunkte zu schätzen. Bei unsicheren Vermögenswerten oder streitigen Verbindlichkeiten hat die Schätzung unter Beachtung besonderer kaufmännischer Vorsicht konservativ zu erfolgen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Begründung der Masseverbindlichkeiten. Dies ist in der Regel der Zeitpunkt des Vertragsschlusses.11) 15 Hinsichtlich der Aufnahme von laufenden Prozessen für die Masse, aber auch das Anhängigmachen von Rechtsstreitigkeiten vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit, die ungeachtet der Masseunzulänglichkeit nach deren Anzeige fortgesetzt werden, sind verschiedene Entscheidungen ergangen zur Frage der Behandlung der Prozesskosten als einfache Insolvenzforderung oder als Neu- oder Altmasseverbindlichkeit. 16 Grundsätzlich hat der BGH klargestellt, dass keine Aufteilung der Kosten innerhalb einer Instanz erfolgt, auch wenn diese durch die Verfahrenseröffnung unterbrochen wurde.12) Es ergeht eine einheitliche Kostengrundentscheidung.13) Im Falle des sofortigen Anerkenntnisses kann sich der Insolvenzverwalter dabei auf die Privilegierung des § 86 Abs. 2 InsO stützen, der den Prozesskosten den Rang einfacher Insolvenzforderungen zuweist.14) Im Fall der Fortsetzung nach Unterbrechung eines bereits anhängigen Rechtsstreites gemäß § 240 ZPO hat der BGH im Übrigen entschieden, dass zumindest bei einer Entscheidung in der ersten Instanz die Kosten insgesamt als Masseverbindlichkeiten zu behandeln sind.15) 17 Das BAG16) hat dabei in einer jüngeren Entscheidung darauf abgestellt, dass die Frage der Qualifizierung als Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung in der Kostengrundentscheidung zu treffen sei. Werden darin dem Insolvenzverwalter die Kosten auferlegt, sei dies grundsätzlich als Einstufung als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren.17) ___________ 10) Breitenbücher, Masseunzulänglichkeit, S. 108. 11) BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZIP 2003, 914 = ZInsO 2003, 465. 12) Das Prinzip der einheitlichen Kostenentscheidung ist nicht unumstritten, zum Streitstand BGH, Beschl. v. 28.9.2006 – IX ZB 312/2014, ZIP 2006, 2132; LAG Köln, Beschl. v. 18.8.2014 – 5 TA 224/14, ZIP 2015, 890 = NZI 2014, 1010. 13) BGH, Beschl. v. 9.2.2006 – IX ZB 160/04, ZIP 2006, 576. 14) Zur Frage der Möglichkeit eines sofortigen Anerkenntnisses bei vorheriger Unterbrechung nach § 240 ZPO: BGH, Beschl. v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, ZIP 2006, 2132. 15) BGH, Beschl. v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, ZIP 2006, 2132. 16) BAG, Beschl. v. 11.3.2015 – 10 AZB 101/14, ZIP 2015, 1181. 17) Zur Abgrenzung der Masseverbindlichkeiten zu einfachen Insolvenzforderungen bei Aufnahme eines Rechtsstreites nach Unterbrechung gemäß § 240 ZPO: LAG Nürnberg, Beschl. v. 27.5.2015 – 4 Ta 45/15, ZIP 2015, 1899 = ZInsO 2015, 1701.

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Gutheil

Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 27

Zur Abgrenzung zwischen Alt- und Neumasseverbindlichkeiten bei Masseunzulänglich- 18 keitsanzeige im laufenden Prozessverfahren ist auf die Entstehung des prozessualen Kostenerstattungsanspruches mit Klageerhebung18) abzustellen, und zwar für den kompletten Instanzenzug19). Dies hat zur Folge, dass der Kostenerstattungsanspruch bei eintretender Masseunzulänglichkeit insgesamt als Altmasseverbindlichkeit zu qualifizieren ist.20) Grundsätzlich kann eine Berechnung etwa wie folgt vorgenommen werden:21)

19

Einnahmen

20

x

aktuell vorhandene Liquidität;

x

kurzfristig als liquide erwartete Einnahmen aus Unternehmensfortführung, Verwertungshandlungen, Klageverfahren, Darlehen, Erlöse aus Haftungs- und Anfechtungsansprüchen, Erlöse aus dem Forderungseinzug abzüglich berechtigter Aufrechnungspositionen,22) wobei es sich jedoch bei allen vorgenannten Positionen um zeitnahe Zuflüsse handeln muss.

Ausgaben x

21

Absolut bevorrechtigte Kosten des Verfahrens (§ 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO): Diese sind unabhängig von ihrer Fälligkeit in die Berechnung einzustellen. Bei den übrigen Verbindlichkeiten ist die Fälligkeit jedoch zu berücksichtigen.

x

x

x

Gerichtskosten (§ 54 Nr. 1 InsO);

x

Vergütung und Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters und des Insolvenzverwalters (§ 54 Nr. 2 InsO);

x

Vergütung und Auslagen der Gläubigerausschussmitglieder (§ 54 Nr. 2 i. V. m. § 73 Abs. 1 InsO).

Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO): x

Verbindlichkeiten durch Verwertungs-, Verwaltungs- und Verteilungshandlungen des Insolvenzverwalters (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO);23)

x

Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, die zur Masse in Anspruch genommen werden (gewillkürte Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO);

x

Verbindlichkeiten aus der laufenden Betriebsfortführung.

Oktroyierte Masseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) x

Verbindlichkeiten aus ungerechtfertigter Bereicherung der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO);

___________ 18) BGH, Urt. v. 22.5.1992 – V ZR 108/91, NJW 1992, 2575. 19) OLG Brandburg, Beschl. v. 2.2.2006 – 6 W 238/05, OLGR Brandenburg 2006, 642. 20) BGH, Beschl. v. 17.3.2005 – IX ZB 247/03, ZIP 2005, 817; LG Aachen, Beschl. v. 27.12.2013 – 6 T 89/13, n. v. 21) S. zur Berechnung der Masseunzulänglichkeit auch Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 208 Rz. 9; Borchardt/Frind-von Websky, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 2073 ff. 22) Dies können auch ansonsten als einfache Insolvenzforderungen zu qualifizierende Ansprüche sein, falls diese z. B. Altforderungen aufrechenbar gegenüberstehen. 23) So auch Einkommensteuer als Masseschuld massebezogenen Verwalterhandels bei Erlaubnis der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners im Interesse der Masse, BFH, Urt. v. 16.4.2015 – III R 21/11, ZIP 2015, 1935; anders bei bloßer Duldung LSG Niedersachen-Bremen, Urt. v. 22.10.2014 – L 2 R 65/13, ZInsO 2015, 577; zur Aufrechnung von Erstattungsansprüchen mit Steuerverbindlichkeiten vgl. BFH, Urt. v. 24.2.2015 – VII R 27/14, ZIP 2015, 986 = NZI 2015, 475; zu IHK-Beiträgen als Masseverbindlichkeiten VG Düsseldorf, Urt. v. 13.5.2015 – 20 K 4304/14, ZInsO 2015, 1405 = ZIP 2015, 1747 (LS).

Gutheil

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§ 27

Teil V Einzelfragen

x

Verbindlichkeiten, die durch den vorläufigen Insolvenzverwalter begründet wurden (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO);24)

x

Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die der vorläufigen Insolvenzverwalter in Anspruch genommen hat (§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO);

x

Oktroyierte Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen bis zum Zeitpunkt der Kündigung, die vom Insolvenzverwalter nicht für die Masse in Anspruch genommen werden (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO);25)

x

Verbindlichkeiten gegenüber Aus- und Absonderungsberechtigten;

x

Verbindlichkeiten aus Steuerverhältnissen, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit dessen Zustimmung begründet worden sind (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 InsO);26)

x

Unterhaltsverpflichtungen (§§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 InsO);

x

Ersatzansprüche aus der Fortsetzung von Aufträgen bei Gefahr des Aufschubs nach Eröffnung (§ 115 Abs. 2 Satz 3 InsO);

x

Eilbedürftige Geschäfte des geschäftsführenden Gesellschafters einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer KGaA i. R. der einstweiligen Fortführung bei Auflösung durch Eröffnung (§ 118 Abs. 1 Satz 1 InsO);

x

laufende Zinsen für die Verwendung beweglicher Sache in Rahmen der Fortführung, zu deren Verwertung der Insolvenzverwalter berechtigt ist (§ 172 Abs. 1 Satz 1 InsO);

x

Zinsen für diese Gegenstände, die der Insolvenzverwalter verwerten kann, und zwar vom Berichtstermin an (§ 169 Satz 1 InsO).

22 Bei den Masseverbindlichkeiten nach § 123 Abs. 2 InsO (Kosten des Sozialplans) handelt es sich hingegen um sog. „unechte Masseverbindlichkeiten“, die in der Prognose nicht zu berücksichtigen sind. Die Höhe der Mittel für einen Sozialplan wird gesetzlich auf ein Drittel der Masse beschränkt, die für die Insolvenzgläubiger ohne den Sozialplan zur Verfügung stehen würde. Tritt die Masseunzulänglichkeit ein, entfällt damit diese Zahlungsverpflichtung, da keine Mittel für die einfachen Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehen.27) 23 Schon um eine persönliche Haftungsinanspruchnahme zu vermeiden (siehe unten Rz. 64), kann dem Insolvenzverwalter nur angeraten werden, regelmäßig – dem Einzelfall und der Struktur des Betriebes entsprechend – in angemessenen Perioden zu prüfen, inwieweit die Masse weiterhin zulänglich ist. Die Berechnung muss kontinuierlich aktualisiert und an die sich entwickelnden Werte angepasst werden. Es empfiehlt sich, diese Kontrollinstrumente fortlaufend zu dokumentieren, um sich im Falle einer Haftungsinanspruchnahme exkulpieren zu können. Daher ist es ebenfalls ratsam, Planungsprämissen und Grundlagen für den Ansatz von Schätzwerten mit hinterlegten Daten zu archivieren.

___________ 24) Allein die Übertragung des Rechts zur Ausübung der Arbeitgeberfunktion für den vorläufigen Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt beinhaltet keine Ermächtigung analog § 55 Abs. 2 InsO (OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.5.2014 – 4 U 99/13, ZIP 2014, 1791 = ZInsO 2014, 1791. 25) Aktuelle Entscheidung zur Frage der Altmasseverbindlichkeiten im Auslauf von Kündigungsfristen von Arbeitsverhältnissen hinsichtlich von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.12.2014 – L 11 R 157/14, ZIP 2015, 396 = ZInsO 2015, 574, n. rkr. (Az. d. BSG B 12 R 2/15 R); BSG, Urt. v. 28.5.2015 – B 12 R 16/13 R, ZIP 2016, 128 = NZI 2016, 27. 26) Weber/Hiller, ZInsO 2014, 2555 ff. 27) S. a. Breitenbücher, Masseunzulänglichkeit, S. 74.

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Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz III.

§ 27

Masseunzulänglichkeit bei Verfahrenseröffnung

Gemäß § 26 Abs. 1 i. V. m. § 54 InsO ist das Insolvenzverfahren bereits durch das Gericht 24 zu eröffnen, wenn die Verfahrenskosten gedeckt sind. Daher hat der Insolvenzverwalter schon mit der Eröffnung zu prüfen, ob die vorhandene Masse ausreichen wird. Das gilt insbesondere für den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 1 InsO und nun auch für den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter mit Blick auf die Regelungen zur Qualifizierung von Steuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO. Die Betriebsfortführung im vorläufigen Verfahren birgt die Gefahr, dass bei einer Masse- 25 unzulänglichkeitsanzeige im nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Verfahrenseröffnung die aus der Vorzeit noch bestehenden Fortführungsverbindlichkeiten zu Altmasseschulden zurückgestuft werden, sofern sie noch nicht fakturiert oder zur Zahlung fällig sind. Der vorläufige Insolvenzverwalter, der zur Fortführung nach dem Willen des Gesetzgebers verpflichtet ist, steht vor dem Problem, sehenden Auges Masseverbindlichkeiten zu begründen, deren Befriedigung ihm im Falle der Eröffnung – etwa aufgrund des Hinzutretens weiterer Masseschulden – nicht möglich sein wird. Ist eine intakte Betriebsstruktur vorhanden, die es aufgrund gesicherter Auftragsbestände und Effekten aus der Insolvenzgeldzahlung ermöglicht, fortführungsbedingte Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu berichtigen, kann trotzdem die Masseunzulänglichkeit bereits drohen, da später entstehende Masseverbindlichkeiten nach Eröffnung zusätzlich nicht berichtigt werden können. Durch eine begrüßenswerte Entscheidung hat das OLG Düsseldorf28) klargestellt, dass im Falle der drohenden oder gar eingetretenen Masseunzulänglichkeit der Insolvenzverwalter berechtigt und gar verpflichtet ist, die weiterbeschäftigten Mitarbeiter vorrangig gegenüber den freigestellten Mitarbeitern zu befriedigen. Durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit wird der Insolvenzverwalter in die Lage 26 versetzt, ein Unternehmen unter Befreiung von anfänglich bestehenden Masseverbindlichkeiten später kostendeckend zu führen, obwohl im vorläufigen Verfahren bereits absehbar ist, dass Masseunzulänglichkeit eintreten wird. Beispiel Der bereits im Eröffnungsverfahren zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte I kann unter Ausnutzung der Insolvenzgeldzahlungen einen Betrieb mit 100 Mitarbeitern an zwei Standorten zunächst kostendeckend führen. Schon im vorläufigen Verfahren lässt sich ermitteln, dass eine Rentabilität sich dauerhaft nur erreichen lässt, wenn ein Werk geschlossen und 40 % der Arbeitsplätze abgebaut werden. Selbst unter Ausnutzung optimaler Kündigungsfristen – teils im Eröffnungsverfahren durch das Unternehmen selbst mit Zustimmung des I, teils nach Eröffnung – werden sich nach Eröffnung im Auslauf der Kündigungsfristen sog. oktroyierte Masseverbindlichkeiten aus Arbeits-29) und Mietverhältnissen ergeben. Diese Belastungen werden aus der vorhandenen und zu erwartenden Masse bei Betriebsfortführung nicht zu tragen sein. Zeigt in diesem Fall I unmittelbar nach Eröffnung und Kündigung dem Gericht gegenüber die anfängliche Masseunzulänglichkeit an, so wird er in die Lage versetzt, den Betrieb auf diese Weise fortführen zu können, ohne Gefahr zu laufen, für die nicht gedeckten weiteren Masseverbindlichkeiten persönlich in die Haftung genommen zu werden. Um dem Problem der Masseunzulänglichkeit durch oktroyierte Masseverbindlichkeiten zu 27 begegnen, sind verschiedene Ansätze diskutiert und Lösungswege beschritten worden mit dem Ziel, die Fortführungsverbindlichkeiten ungeachtet ihres eigentlichen Ranges berich___________ 28) OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2012 – I-22 U 49/11, ZIP 2012, 2115. 29) Aktuell zur Bewertung von arbeitsrechtlichen Ansprüchen als Masseverbindlichkeiten bei Sonderzuwendungen (Tantiemen) ArbG Weiden/Oberpfalz, Urt. v. 13.5.2015 – 3 Ca 1714/14, ZIP 2015, 2334 = ZInsO 2015, 1925.

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§ 27

Teil V Einzelfragen

tigen zu können. Hintergrund ist dabei auch, eine persönliche Haftung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters über §§ 60, 61 InsO zu verhindern.30) IV.

Wirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit

1.

Allgemeine Auswirkungen

28 Mit dem Eingang der Anzeige der Masseinsuffizienz beim Insolvenzgericht treten die Wirkungen der §§ 208 ff. InsO ein. Die vorzunehmende Veröffentlichung und Zustellung gemäß § 208 Abs. 2 InsO hat nur deklaratorische Bedeutung.31) Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit wird vom Insolvenzgericht nicht überprüft. Dies ergibt sich aus der Gesetzesentwicklung i. R. von § 318 Abs. 2 RegE,32) der zunächst einen Beschluss des Insolvenzgerichts auf Antrag des Insolvenzverwalters vorsah. Diese Regelungen sind jedoch nicht ins Gesetz aufgenommen worden. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist damit nicht justiziabel. 29 Durch die Masseunzulänglichkeitsanzeige verlieren Altmasseverbindlichkeiten ihr Vorwegbefriedigungsrecht und erhalten mit gleichrangigen Massegläubigern einen Anspruch auf quotale Befriedigung. 1.1

Fortbestand der Abwicklungspflichten

30 Bereits in § 208 Abs. 3 InsO findet sich die Regelung, dass die Pflicht zur Verwaltung und Verwertung der Masse auch nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit fortbesteht (anders als im Falle der Massearmut nach § 207 InsO, die eine sofortige Einstellung des Verfahrens zur Folge hat). 1.2

Richtungswechsel der Verfahrensziele

31 Die Zielrichtung der weiteren Verfahrensabwicklung ändert sich jedoch von der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger in die möglichst schnelle und gleichmäßige Befriedigung der Altmassegläubiger. Das bisherige Ziel des Verfahrens, die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger, kann nicht mehr erreicht werden, da keine Quotenzahlung an diese erfolgen wird. 32 Der Insolvenzverwalter hat daher i. R. der Betriebsfortführung bei angezeigter Masseunzulänglichkeit zu prüfen, ob diese noch mit dem geänderten Verfahrensziel, einer zeitnahen und möglichst vollständigen Befriedigung der Massegläubiger, zu vereinbaren ist.33) 33 In der Literatur werden die möglichen Handlungsalternativen des Insolvenzverwalters in diesem Fall sehr unterschiedlich bewertet. Sie reichen von x

der sofortigen Stilllegung als „Notbremse“34) über

x

die Ausproduktion35) bis zur

x

übertragenden Sanierung und Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens36) (Zulässigkeit des Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit siehe unten, Rz. 78 ff.).

___________ 30) Webel, Haftung des Insolvenzverwalters, S. 43 ff.; Abwicklung i. R. eines Treuhandkontenmodells: Mönning/Hage, ZInsO 2005, 1185 ff.; sich mit verschiedenen Modellen auseinandersetzend: Büchler, ZInsO 2011, 1240 ff. 31) Uhlenbruck-Ries, InsO, § 208 Rz. 33; Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49, 51. 32) Etwa abgedr. in Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 435 f. 33) Borchardt/Frind-von Websky, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 2055 f. 34) Kübler in: Kölner Schrift zur InsO, Rz. 32. 35) Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 208 Rz. 81. 36) Landfermann in: HK-InsO, § 208 Rz. 9.

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Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 27

Der Stilllegung nach Ausproduktion ist im Regelfall der Vorzug zu geben. Zwar sollten 34 die Massegläubiger nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit auf eine zügige Befriedigung ihrer als vorrangig angenommenen Verbindlichkeiten vertrauen dürfen. Jedoch ist auch der Aspekt der verbesserten Quote in Betracht zu ziehen, die im Falle einer geordneten Betriebseinstellung im Wege der Ausproduktion regelmäßig zu erreichen sein wird. Die ansonsten bei der sofortigen Stilllegung zwangsläufig entstehenden, weiteren Neumasseverbindlichkeiten (Schadensersatzansprüche der Kunden wegen Nichterfüllung, Sowieso-Kosten im Auslauf von Kündigungsfristen), denen keine Erlöse gegenüberstehen, lassen die zu erwartende Quote der Altmassegläubiger unweigerlich drastisch abschmelzen. Der Wunsch nach kurzfristiger quotaler Befriedigung sollte daher immer nochmals unter dem Aspekt der kurz- bis mittelfristigen Quotenerhöhung betrachtet werden. Im Einzelfall kann auch die unveränderte Betriebsfortführung ein sinnvoller Weg sein. Dies 35 gilt jedoch nur, wenn damit die Masse voraussichtlich besser gestellt wird, etwa weil ein aktuell stattfindender Bieterprozess eine kurzfristige übertragende Sanierung erwarten lässt. Andererseits darf sich die Betriebsfortführung nicht zum Selbstzweck entwickeln mit der Folge, dass das Interesse der Altmassegläubiger völlig außer Acht gelassen und nur die Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Verfahrenskosten und Neumasseschulden angestrebt wird. Der Insolvenzverwalter hat sich dabei auf solche Verwaltungs- und Verwertungsmaßnah- 36 men zu konzentrieren, die die Abwicklung fördern und möglichst wirtschaftlich vorteilhaft sind. Es ist daher immer darauf zu achten, dass die Masse eine mindestens gleichwertige Gegenleistung bei ihrem Verzehr erhält.37) Soll die Einstellung nach einem zunächst von der Gläubigerversammlung gefassten Gläu- 37 bigerbeschluss zur Fortführung erfolgen, so hat der Insolvenzverwalter, wenn kein Gläubigerausschuss bestellt ist, die Einberufung einer erneuten Gläubigerversammlung anzuregen (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO), in der er umfassend über den bisherigen Verlauf und die Risiken einer Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit informieren sollte, um auf dieser Basis eine Stilllegungsentscheidung herbeizuführen. Die sich aus dieser Änderung ergebende Neuausrichtung des Verfahrens hat auch Auswir- 38 kungen auf die sonstige Verfahrensabwicklung, etwa mit Blick auf die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen, die Gesamtschadensliquidation nach § 92 InsO und die Inanspruchnahme von Gesellschaftern i. R. der Regelungen des § 93 InsO, deren weitere Anwendbarkeit in diesen Fällen diskutiert wird. Hier sollen allerdings nur die Auswirkungen dargestellt werden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Betriebsfortführung stehen.38) 1.3

Rangverschiebung nach § 209 InsO

Mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit schreibt der Gesetzgeber vor, in welcher Reihen- 39 folge die bestehenden Zahlungsverpflichtungen nunmehr zu befriedigen sind. Dabei wird entsprechend der Vorgaben in §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 207 Abs. 1 Satz 1 InsO an dem Prinzip festgehalten, dass die vollständige Deckung der Verfahrenskosten ohne Differenzierung nach dem Entstehungszeitpunkt vorrangig zu erfolgen hat.39) Nach der Anzeige der Massezulänglichkeit werden die Masseverbindlichkeiten nach Alt- 40 und Neumassegläubigern abgegrenzt. Letztgenannte, deren Entstehung nach der Anzeige erfolgt, werden vorrangig vollständig berichtigt, während die Altmassegläubiger mit ihren ___________ 37) Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 208 Rz. 46. 38) Zu den weiter diskutierten Problemen vgl. etwa Adam, DZWIR 2011, 485 ff. 39) Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1703.

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§ 27

Teil V Einzelfragen

Ansprüchen auf eine quotale Befriedigung – vergleichbar mit den einfachen Insolvenzgläubigern in der Rangfolge des § 209 Abs. 1 InsO – verwiesen werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die nun als Altmasseverbindlichkeiten zu qualifizierenden Zahlungsverpflichtungen vor oder nach Eröffnung begründet wurden oder ob es sich um Fortführungsverbindlichkeiten handelt. Letztere genießen keine insolvenzrechtliche Sonderstellung40) (zur Abgrenzung von Alt- und Neumassegläubigern in speziellen Konstellationen vgl. Rz. 50 ff.). Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit hat für die Altmassegläubiger keinen Zinsverlust zur Folge, für die fälligen Ansprüche, deren Durchsetzung gehindert ist, fallen Verzugszinsen gemäß § 286 BGB an.41) 41 Nach der Rechtsprechung des BGH42) ist der Insolvenzverwalter allerdings immer verpflichtet, die Verteilungsreihenfolge einzuhalten, sobald Masseinsuffizienz eingetreten ist, und zwar unabhängig von deren Anzeige gegenüber dem Insolvenzgericht. Diese Anforderungen setzen zu ihrer Erfüllung voraus, dass der Insolvenzverwalter in jedem Zeitpunkt der Verfahrensabwicklung und damit auch der Betriebsfortführung in der Lage ist, die voraussichtliche Massekostendeckung zu evaluieren. 1.4

Pflicht zur gesonderten Rechnungslegung

42 Gemäß § 211 Abs. 2 InsO hat der Insolvenzverwalter für seine Tätigkeit nach dem Eintritt der Masseunzulänglichkeit gesondert Rechnung zu legen. 2.

Auswirkungen auf relevante Sachverhalte i. R. einer Betriebsfortführung

43 Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit bringt allein in der tatsächlichen Abwicklung des Betriebes erhebliche Probleme mit sich, sofern sie im laufenden eröffneten Verfahren vorzunehmen ist. Vertragspartner, mit denen zuvor über Wochen oder gar Monate zusammengearbeitet worden ist, werden durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit hinsichtlich ihrer Zahlungsansprüche auf den Status von Altmassegläubigern verwiesen. 44 Im Rahmen der weiteren Betriebsfortführung ist jedoch die geregelte Abwicklung etwa mittels einer Ausproduktion nötig, auch wenn sich die Verfahrensausrichtung hin zu einer zügigen Abwicklung wandelt. Das setzt aber in der Regel zumindest für einen gewissen Zeitraum voraus, dass mit denselben Partnern weiter zusammengearbeitet werden muss, die man soeben durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit „auf die Plätze verwiesen hat“. Das Vertrauen der Vertragspartner, die möglicherweise zuvor in der Zusammenarbeit mit dem schuldnerischen Unternehmen bereits Verluste erlitten haben, ist häufig erschüttert. Es erfordert nun Überzeugungskraft und gute Argumente, den Vertragspartner weiter an sich zu binden. 45 Ein Argument ist sicher, nämlich dass die geordnete Ausproduktion die Ansprüche der Altmassegläubiger werthaltig machen kann. Jedenfalls kann sie eher dazu beitragen, als wenn eine Störung im Betriebsablauf zu Lieferverzögerungen, Auftragsverlusten oder Schadensersatzansprüchen führt. Angebote wie Vorkasseleistungen oder die Bestellung von Sicherheiten können den Vertragspartner möglicherweise zu einer weiteren Zusammenarbeit bewegen, im erstgenannten Fall jedoch zu Lasten der Liquidität. Sollte sich dieses Vorgehen nicht realisieren lassen, so hat notfalls eine sofortige Einstellung zu erfolgen, um weitere persönliche Haftungsrisiken für den Insolvenzverwalter zu vermeiden. ___________ 40) Mönning/Hage, ZInsO 2005, 1185, 1186. 41) Hees/Stange, ZIP 2013, 1206 ff. 42) BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145; BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZInsO 2010, 2323, 2325 = ZIP 2010, 2356.

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Gutheil

Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 27

Steht der Einstellungszeitpunkt i. R. einer Ausproduktion bereits fest, muss der Insolvenz- 46 verwalter bei der weiteren Fortführung zur Sicherstellung der Kostendeckung darauf achten, dass Aufträge nur noch angenommen werden, die in der verbleibenden Zeit abgewickelt werden können. Auch die Laufzeit eingegangener Verpflichtungsgeschäfte ist an die Zeitspanne der Ausproduktion soweit wie möglich anzupassen, etwa durch zeitlich befristete Arbeitsverträge mit der sachlichen Begründung des Arbeitsanfalls bei der Ausproduktion. Nachlaufende Verpflichtungen nach der Einstellung sollten weitestgehend vermieden werden. In dem Fall, in dem neben oktroyierte Masseverbindlichkeiten auch solche treten, die durch 47 Handlungen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters entstanden sind – im Falle der „schwachen“ vorläufigen Verwaltung etwa durch eine Einzelermächtigung des Gerichts – mag der Insolvenzverwalter geneigt sein, letztere zur Vermeidung einer persönlichen Haftung nach § 61 InsO vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit noch zu berichtigen, wohl wissend um die Existenz weiterer Masseverbindlichkeiten und das Vorliegen der Masseunzulänglichkeit. Der BGH hat klargestellt, dass der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet ist, die Masseunzulänglichkeit unmittelbar mit deren Eintritt anzuzeigen. Tut er dies nicht, verletzt er also keine insolvenzspezifische Pflicht, die eine Haftung nach § 60 InsO auslösen würde.43) Wenn der Insolvenzverwalter jedoch einzelne dieser bereits faktisch als Altmasseverbindlichkeiten zu qualifizierenden Ansprüche bedient, andere hingegen nicht, so haftet er aus § 60 Abs. 1 InsO aufgrund eines Verteilungsfehlers wegen Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten. Er ist verpflichtet, diese fehlerhafte Zahlung an die Masse zu erstatten.44) Gleiches gilt auch für den Fall der faktischen drohenden Masseinsuffizienz, wenn fällig 48 Masseverbindlichkeiten berichtigt werden, obwohl der Insolvenzverwalter den baldigen Eintritt der Masseunzulänglichkeit beim Fälligkeitseintritt der bereits bekannten weiteren Zahlungsverpflichtungen kannte.45) 3.

Auswirkungen auf gegenseitige Verträge und Dauerschuldverhältnisse

Der Gesetzgeber hat durch die unter Rz. 50 ff. dargestellte Regelung erkannt, dass es zu- 49 mindest mit Blick auf Dauerschuldverhältnisse eine Unterscheidung in der Behandlung von oktroyierten Masseverbindlichkeiten und denen gegenüber sog. „Weiterbelieferern“ geben muss. 3.1

Auswirkungen auf gegenseitige Verträge gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 1 InsO

Die Regelung des § 209 Abs. 2 Nr. 1 InsO knüpft an die Systematik des § 103 i. V. m. § 55 50 Abs. 1 Nr. 2 InsO an, wonach Ansprüche aus gegenseitigen Verträgen, die von beiden Parteien nicht vollständig erfüllt wurden, nach der Wahl des Insolvenzverwalters bei Ablehnung der Erfüllung lediglich als Insolvenzforderung zu klassifizieren sind, wohingegen im Falle der Erfüllungswahl die Ansprüche den Rang einer Neumasseverbindlichkeit erhalten. Der Insolvenzverwalter erhält daher mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit neuerlich 51 ein Wahlrecht. Dieses ist mit der Erfüllungswahl in § 103 InsO hinsichtlich beidseitig nicht vollständig erfüllter gegenseitiger Verträge zu vergleichen. Im Rahmen der Betriebsfortführung hat der Insolvenzverwalter damit nochmals die Möglichkeit, die vorhandene Ver___________ 43) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZInsO 2010, 2323, 2324 = ZIP 2010, 2356. 44) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZInsO 2010, 2323, 2325 = ZIP 2010, 2356; s. dazu auch Büchler, ZInsO 2011, 1240 ff. 45) BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145, 146; zur Gleichbehandlung Jaeger-Gerhardt, InsO, § 60 Rz. 68.

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§ 27

Teil V Einzelfragen

tragssituation an inzwischen geänderte Rahmenbedingungen der Fortführung optimal anzupassen. 3.2

Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO abstellend auf den nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt

52 Den Rang von Neumasseverbindlichkeiten erhalten ebenfalls Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die nach dem nächstmöglichen Kündigungstermin entstehen, der auf die Masseunzulänglichkeitsanzeige folgt. Entscheidet sich der Insolvenzverwalter für die Fortführung und lässt die erste Kündigungsmöglichkeit verstreichen, so sind alle Ansprüche des Vertragspartners nach diesem Termin Neumasseverbindlichkeiten.46) Dies gilt unabhängig davon, ob der Insolvenzverwalter den Vertragsgegenstand nutzt oder ansonsten Vorteile aus ihm zieht.47) 53 Alle vor dem Eintritt der Masseunzulänglichkeit entstandenen Verbindlichkeiten, etwa laufende Mietzinsverpflichtungen, sind hingegen als Altmasseverbindlichkeiten zu klassifizieren.48) Insoweit geht der BGH von einer Teilbarkeit der Ansprüche aus der Zeit vor und nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit aus.49) 54 Zu beachten ist, dass auch bei Eintritt der Masseunzulänglichkeit dem Insolvenzverwalter weiterhin ein Sonderkündigungsrecht wie bei der Verfahrenseröffnung über § 109 Abs. 1 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO mit verkürzten Fristen zugebilligt wird. Die Kündigung kann nach diesen Normen während der gesamten Dauer des Verfahrens erfolgen, weil eine dem § 111 Satz 2 InsO entsprechende Regelung, die diese beschränkt, fehlt.50) Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit ermöglicht es so, sich etwa auch in einer laufenden Betriebsfortführung noch mit kurzen Kündigungsfristen von Mietverträgen zu lösen, die nicht mehr betriebsnotwendig sind. 55 Wählt der Insolvenzverwalter die Kündigungsoption, so sind alle Ansprüche aus dem Dauerschuldverhältnis als Altmasseverbindlichkeiten im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu befriedigen. 3.3

Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO bei Inanspruchnahme der Gegenleistung

56 Unabhängig von der Frage der Kündigung erlangen Ansprüche aus einem Dauerschuldverhältnis allerdings den Rang von Neumasseverbindlichkeiten, wenn der Insolvenzverwalter nach dem Eintritt der Masseunzulänglichkeit die Gegenleistung für die Masse in Anspruch nimmt. Eine „Inanspruchnahme“ der Gegenleistung wird vom BGH im Falle von Mietund Pachtverhältnissen bereits dann bejaht, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht alles tut, um eine weitere Entgegennahme der Gegenleistungen zu verhindern. Dies bedeutet, dass er parallel mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit etwa dem Vermieter den tatsächlichen Besitz zu verschaffen hat.51)

___________ 46) Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1703. 47) Pape, InsBüro 2005, 169, 171. 48) Vgl. insgesamt Ausführung zur Behandlung von Mietverhältnissen in masseunzulänglichen Verfahren Pape, InsBüro 2005, 169 ff. 49) BGH, Urt. v. 29.4.2004 – IX ZR 141/03, ZInsO 2004, 674, 674 = ZIP 2004, 1277 (LS). 50) Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 109 Rz. 8; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 109 Rz. 8; a. A. noch Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1703. 51) BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZIP 2003, 914, 917 = ZInsO 2003, 465.

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Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 27

Bei einem laufenden Geschäftsbetrieb, der einer geregelten Abwicklung zugeführt werden 57 muss, handelt es sich daher um eine ausschließlich theoretische Möglichkeit. Sie erlangt allerdings Bedeutung, wenn mit der Eröffnung eine sofortige Einstellung geplant ist. 4.

Prozessuale Auswirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit

4.1

Vollstreckungsverbot gemäß § 210 InsO

Gemäß § 210 InsO ist mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine Vollstreckung der 58 Altmassegläubiger i. S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO untersagt. Die Regelung schafft ein Instrument, um vorrangig die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstehenden Neumasseverbindlichkeiten zu berichtigen. Damit gewährleistet sie den ungestörten Ablauf der werbenden Tätigkeit bezogen auf die Liquidität. Rechtsbehelf gegen eine unzulässige Vollstreckung ist die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO.52) Davon zu unterscheiden ist das Vollstreckungsverbot des § 90 InsO für Massegläubiger, 59 deren Ansprüche nicht auf einer Rechtshandlung des Insolvenzverwalters beruhen, sondern oktroyiert sind. Ihnen ist für einen Zeitraum von sechs Monaten die Vollstreckung unabhängig von der Anzeige der Masseunzulänglichkeit untersagt, um der Insolvenzmasse zu Beginn des Verfahrens die notwendige Liquidität nicht zu entziehen.53) Es besteht jedoch Einigkeit, dass durch das Vollstreckungsverbot das Entstehen von Verzugszinsansprüchen berührt wird.54) 4.2

Prozessuale Geltendmachung durch Feststellungsklage

Mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit sind Altmassegläubiger an der Erhebung oder 60 weiteren Verfolgung der bereits entstandenen Zahlungsansprüche im Wege der Leistungsklage gehindert. Ansprüche können lediglich i. R. von Feststellungsrechtsstreiten verfolgt werden.55) Ein bereits anhängiger Klageantrag ist auf einen Feststellungsantrag umzustellen. Nur ausnahmsweise kann die Leistungsklage zulässig sein, wenn die Quote, die auf die 61 Altmasseverbindlichkeiten entfallen wird, bereits bekannt ist.56) Dies wird jedoch in der Praxis in den seltensten Fällen vorkommen. 5.

Aufrechnung

Wird die Masseunzulänglichkeit i. R. der laufenden Betriebsfortführung insbesondere nicht 62 unmittelbar mit der Eröffnung, sondern zu einem späteren Zeitpunkt angezeigt, kann die Rentabilität der weiteren Betriebsfortführung gefährdet werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn man die Zulässigkeit von Aufrechnungserklärungen bejaht. Wäre es dem Altmassegläubiger, der im weiteren Verfahrensverlauf auch Drittschuldner wird, gestattet, durch die Erklärung der Aufrechnung einen Ausgleich der durch die Masseunzulänglichkeitsanzeige auf die quotale Befriedigung verwiesenen Forderung zu erhalten, würde dies den Mechanismus der Masseunzulänglichkeit unterlaufen. Gleiches gilt, wenn durch den Ankauf von Gegenansprüchen eine Aufrechnungslage herbeigeführt werden könnte. Die Beschränkungen der Aufrechnungsmöglichkeiten über die Regelungen der §§ 94– 9 6 63 InsO, die auf den Insolvenzgläubiger abstellen, sind von ihrem Wortlaut her nicht unmittel___________ Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 210 Rz. 4. Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 267. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 90 Rz. 11. H. M.: BGH, Urt. v. 29.4.2004 – IX ZR 141/03, ZInsO 2004, 674, 676 = ZIP 2004, 1277 (LS); BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZIP 2003, 914 = ZInsO 2003, 465. 56) Pape, InsBüro 2005, 169, 170.

52) 53) 54) 55)

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Teil V Einzelfragen

bar auf Massegläubiger anwendbar. Die interessengerechte Betrachtung geht aber davon aus, dass diese Regelungen beschränkt auf Altmassegläubiger analog anwendbar sind.57) Damit wird die Wertung einer vergleichbaren Behandlung mit einfachen Insolvenzgläubigern bei Verfahrenseröffnung konsequent weiter verfolgt. Gleiches soll für den Rechtsgedanken des § 91 InsO zum Ausschluss sonstigen Rechtserwerbs gelten. V.

Haftung

64 Da die Kontrolle der Unzulänglichkeit der Masse zu den insolvenzspezifischen Pflichten des Insolvenzverwalters gehört, trägt dieser gegenüber den Massegläubigern über § 61 InsO das persönliche Haftungsrisiko im Falle einer pflichtwidrigen Begründung. Diese Haftung des Insolvenzverwalters ist keine Garantiehaftung für die Nichterfüllung der von ihm begründeten Masseverbindlichkeiten, sondern eine neben den Haftungsanspruch der Masse tretende Haftungsnorm mit eigenen Tatbestandsvoraussetzungen. 65 Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet wurde, aus der Insolvenzmasse bei Fälligkeit nicht berichtigt werden, so haftet der Insolvenzverwalter dem Massegläubiger gemäß § 61 Satz 1 InsO persönlich auf Schadensersatz. 66 Die Haftung tritt nicht ein, wenn x

der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen kann, dass er objektiv entweder von der voraussichtlichen Erfüllung der Verbindlichkeiten ausgehen konnte oder

x

dass für ihn nicht erkennbar war, dass diese Einschätzung nicht zutraf.

67 War jedoch die Nichterfüllbarkeit bei der Begründung wahrscheinlicher als deren Erfüllbarkeit, so haftet der Insolvenzverwalter persönlich (§ 61 Satz 2 InsO). Der Gesetzgeber hält insoweit Gläubiger gewillkürter, d. h. vom Insolvenzverwalter begründeter Masseverbindlichkeiten für besonders schutzwürdig.58) Eine Haftung nach § 61 InsO für oktroyierte Masseverbindlichkeiten scheidet aus, da der Insolvenzverwalter auf deren Entstehen und Höhe keinen Einfluss hat.59) 68 Um sich später erfolgreich exkulpieren zu können, hat der Insolvenzverwalter vor Begründung der Verbindlichkeiten eine Liquiditätsplanung aufzustellen und kontinuierlich fortzuschreiben. Die Planungsprämissen sind nachvollziehbar zu dokumentieren, um bei einer späteren Abweichung die unvorhersehbare Entwicklung darstellen zu können (etwa den Ausfall einer Forderung nennenswerter Größe).60) 69 Im Haftungsfall ist die Haftung auf das negative Interesse beschränkt.61) Damit ist bei gegenseitigen Verträgen der entgangene Gewinn des Vertragspartners nur ausnahmsweise vom Schadensersatz erfasst. Zu ersetzen sind alle Vermögensnachteile, die dem Gläubiger entstanden sind, weil er den Vertrag mit dem Insolvenzverwalter geschlossen bzw. fortgesetzt hat und sich bei seinem weiteren Verhalten danach gerichtet hat. Erfasst sind die Kosten des Vertragsschlusses, Aufwendungen im Zusammenhang mit der Durchführung (wie Transportkosten) sowie eingetretene Vermögensminderungen durch die Erbringung der Gegenleistung. Für entgangenen Gewinn haftet der Insolvenzverwalter nur ausnahmsweise, wenn ___________ 57) Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 208 Rz. 19; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 94 Rz. 72. 58) Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 267. 59) Einhellige Meinung: vgl. etwa Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 61 Rz. 16; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 61 Rz. 18; Schultz, ZInsO 2015, 529, 535. 60) Vgl. die grundlegenden Entscheidungen des BGH zur Insolvenzverwalterhaftung nach § 61 InsO: BGH, Urt. v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, ZIP 2005, 311 ff., dazu EWiR 2005, 679 f. (Pape); BGH, Urt. v. 22.04.2004 – IX ZR 128/03, ZIP 2004, 1218 ff., dazu EWiR 2004, 817 f. (Gundlach/Schmidt). 61) BGH, Urt. v. 6.5.2005 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107, 1111 f.; Pape, ZInsO 2005, 953, 957.

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Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 27

der Gläubiger darlegen und beweisen kann, dass er aufgrund des Vertragsschlusses andere Geschäfte unterlassen hat.62) Erst unlängst hat das BAG entschieden, dass den Insolvenzverwalter keine Verpflichtung 70 trifft, Arbeitnehmer zu einem bestimmten Termin von der Arbeitsleistung freizustellen, um ihnen den Bezug von Arbeitslosengeld zu ermöglichen. Haftungsansprüche können, da es sich nicht um eine insolvenzspezifische Pflicht handelt, nicht hergeleitet werden.63) Der Insolvenzverwalter ist ebenfalls nicht verpflichtet, die Masseunzulänglichkeit so frühzeitig anzuzeigen, dass der Masse aufgezwungene Verbindlichkeiten ab deren Eintritt bevorrechtigt mit dem Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO befriedigt werden. Denn dann müsste der Insolvenzverwalter auch für oktroyierte Masseverbindlichkeiten einstehen, ohne sie willentlich begründet zu haben.64) Die Verjährung richtet sich nach § 62 InsO.65) VI.

71

Masseunzulänglichkeit in der Eigenverwaltung

Wird das Verfahren als Eigenverwaltungsverfahren (§§ 270 ff. InsO) geführt, so hat der 72 Sachwalter nach § 274 InsO die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu prüfen und die Geschäftsführung zu überwachen. In diesen Fällen handelt es sich regelmäßig um laufende Geschäftsbetriebe. Abweichend von den Regeln der Eigenverwaltung ist gemäß § 285 InsO die Masseunzulänglichkeit durch den Sachwalter und nicht den eigenverwaltenden Schuldner gegenüber dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Dies knüpft an die Wertung des § 274 Abs. 3 InsO an, wonach der Sachwalter zur Anzeige verpflichtet ist, sollte die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen. Erschwerend kommt jedoch für den Sachwalter hinzu, dass er selber aufgrund der nur sehr 73 gering ausgeprägten eigenen Befugnisse – die Verwaltung- und Verfügungsbefugnis über die Masse steht ihm nicht zu – nur schwer Feststellungen zur Masseunzulänglichkeit und zur Begründung von Masseverbindlichkeiten treffen kann. Im Übrigen enthalten die gesetzlichen Regelungen über die Eigenverwaltung keine spe- 74 ziellen Vorschriften zur Masseunzulänglichkeit, so dass auf die Regelungen der §§ 207– 2 1 6 InsO zurückzugreifen ist. Jedoch hat die Anzeige wohl nicht zur Folge, dass die Verfahrensabwicklung nach Anzeige der Masseinsuffizienz nunmehr durch den Sachwalter zu erfolgen hat. Diese obliegt weiterhin dem eigenverwaltenden Schuldner.66) Eine Ausnahme gilt, wenn die Anordnung der Eigenverwaltung wegen drohender Verfahrensverzögerung oder sonstiger Nachteile für die Gläubiger aufgehoben wird. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass im Falle des Eintritts der Masseunzulänglichkeit eine Aufhebung der Eigenverwaltung angezeigt ist.67) Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes die Aufhebung der Eigenverwaltung bei den o. g. Gefährdungstatbeständen zu erfolgen hat. Da das Verfahren sich für die Insolvenzgläubiger nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit jedoch ausnahmslos als Totalausfall der Forderungen darstellt, ist eine wei-

___________ 62) Pape/Graeber-Laws, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Rz. 315 f. 63) BAG, Urt. v. 15.11.2011 – 6 AZR 321/11, ZIP 2013, 638, dazu EWiR 2013, 211 f. (Mückl/Hernstadt). 64) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZInsO 2010, 2323, 2324 = ZIP 2010, 2356; dazu Gundlach/ Frenzel/Jahn, DZWIR 2011, 177 ff. 65) Vgl. zur Verjährung Schultz, ZInsO 2015, 529, 537. 66) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 285 Rz. 4. 67) Landfermann in: HK-InsO, § 285 Rz. 4.

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Teil V Einzelfragen

tere darüber hinausgehende Gefährdung bei Fortsetzung der Eigenverwaltung regelmäßig nicht gegeben.68) 75 Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ist die Frage der Begründung von Masseverbindlichkeiten streitig, da eine entsprechende gesetzliche Regelung vergleichbar § 270b InsO fehlt.69) Die vertretenen Meinungen nehmen dabei eine Bandbreite ein von der Unmöglichkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den eigenverwaltenden Schuldner bis zur automatischen Entstehung von Masseverbindlichkeiten bei Schuldnerhandeln gleich einem vorläufigen starken Insolvenzverwalter. 76 In genau dieser Bandbreite agieren auch die beteiligten Gerichten, was im Einzelfall zu missbilligenden Ergebnissen der faktischen Verhinderung der Eigenverwaltung führt. Überwiegend wird von den Gerichten inzwischen die Variante der Begründung von Masseverbindlichkeiten durch Einzelermächtigungen vergleichbar der Vorgehensweise bei der Bestellung des vorläufigen schwachen Verwalters gewählt.70) Diese Entwicklung ist begrüßenswert. Dass allerdings auch diese Variante Risiken birgt, wenn die Einzelermächtigung zu allgemein gefasst ist, zeigt eine Entscheidung des LG Stendal.71) 77 Eine klarstellende Regelung des Gesetzgebers ist daher dringend erforderlich. Bis dahin kann den Beteiligten im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nur eindringlich geraten werden, im Vorfeld der Antragstellung mit dem Gericht die Problematik zu erörtern und Lösungen zu fixieren. Für die Gläubiger ist eine möglichst genaue Bezeichnung und Bezifferung in der Einzelermächtigung wünschenswert. Dies führt allerdings wiederum zu Schwierigkeiten in der praktischen Handhabung der Beantragung dieser Ermächtigung, wenn etwa der genaue Umfang der Leistung im Vorfeld nicht ausgemacht werden kann. 78 Im Schutzschirmverfahren ist die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch die Regelung des § 270b Abs. 3 InsO klar definiert. VII. Masseunzulänglichkeit und Insolvenzplan 79 Häufig werden Betriebsfortführungen über den Eröffnungszeitpunkt hinaus mit dem Ziel verfolgt, durch die spätere Vorlage eines Insolvenzplanes das Unternehmen aus sich heraus zu sanieren. Mit der Betriebsfortführung nach Planbestätigung zu erzielende Überschüsse oder Sanierungsbeiträge der (neuen) Anteilseigner werden dazu verwendet, den Insolvenzgläubigern eine Quote auf die zur Tabelle festgestellten Insolvenzforderungen zu zahlen. 80 Bisher war umstritten, ob im Falle der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Abwicklung des Verfahrens mittels eines Insolvenzplanes noch möglich ist. Anders als in der vom Gesetzgeber vorgesehenen Abwicklungsvariante bei Durchführung eines Insolvenzplans, in der die einfachen Insolvenzgläubiger der einzelnen Gruppen des Plans quotal befriedigt werden, wäre in diesem Falle die quotale Befriedigung der Massegläubiger Inhalt des Plans.72)

___________ 68) So auch Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 285 Rz. 16; vgl. insgesamt zu dem Thema Huhn, Die Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren, § 11. 69) Streitstand ausführlich dargestellt bei Lambrecht/Michelsen, ZInsO 2015, 2520 ff.; Klinck, ZInsO 2014, 365; Frind, InsBüro 2014, 323 ff. 70) So etwa LG Duisburg, Beschl. v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453 = ZInsO 2012, 2346; OLG Dresden, Urt. v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZInsO 2015, 2273 f. = ZIP 2015, 1937. 71) LG Stendal, Urt. v. 25.9.2013 – 23 O 12/13, ZInsO 2013, 2224, bestätigt durch OLG Naumburg, Urt. v. 29.1.2014 – 5 U 195/13, ZIP 2014, 1452 = ZInsO 2014, 558. 72) Vgl. zum Streitstand etwa Paul, ZInsO 2005, 1136 f.

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Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 27

Durch die Einführung von § 210a InsO durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der 81 Sanierung von Unternehmen (ESUG) hat der Gesetzgeber die Zulässigkeit der Vorlage eines Insolvenzplans auch im Falle der Masseunzulänglichkeit nun grundsätzlich bejaht.73) VIII. Beseitigung der Masseunzulänglichkeit Gesetzlich nicht geregelt ist die Frage, ob eine Rückkehr ins reguläre Verfahren möglich 82 ist, wenn i. R. der weiteren Verfahrensabwicklung die Masseunzulänglichkeit beseitigt wird, so dass alle Altmassegläubiger vollständig befriedigt werden können. Mit der h. M. ist als „actus contrarius“ zur Anzeige der Masseinsuffizienz eine Wiederaufnahme des regulären Verfahrens möglich.74) Der vertretenen Auffassung,75) eine stillschweigende Rückkehr durch Aufnahme der Verteilung sei abzulehnen, ist mit Blick auf die Rechtsklarheit zu folgen. Auch die Wiederherstellung der Massezulänglichkeit ist daher dem Insolvenzgericht anzuzeigen und öffentlich bekannt zu machen. IX.

Erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit

Es ist nicht ausgeschlossen, dass nach einer erfolgten Masseunzulänglichkeitsanzeige im Ver- 83 laufe der weiteren Verfahrensabwicklung auch mit Blick auf die Neumasseverbindlichkeiten erneut Masseunzulässigkeit eintritt. In diesem Fall wird zum Teil vertreten, dass eine erneute Anzeige gegenüber dem Insolvenzgericht möglich sei.76) Der BGH folgt dieser Auffassung nicht. Es genüge, im Prozess den Eintritt der Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Neumassegläubiger einzuwenden.77)

___________ 73) Mit dem Problem der Vorlage eines Insolvenzplanes im Falle der angezeigten Masseunzulänglichkeit setzt sich umfassend auseinander Zimmer, ZInsO 2012, 390 ff. 74) Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 208 Rz. 14; Uhlenbruck-Ries, InsO, § 208 Rz. 62. 75) Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 208 Rz. 55 Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 208 Rz. 26; a. A.: Uhlenbruck-Ries, InsO, § 208 Rz. 31. 76) Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1707; Landfermann in: HK-InsO, § 208 Rz. 23. 77) BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZIP 2003, 914 = ZInsO 2003, 465.

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§ 28 Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung Übersicht I. Vorbemerkung ............................................ 1 II. Antragsverfahren/Ziel: Sicherung des Grundstücks.......................................... 8 1. Vorbemerkung ............................................. 8 2. Das Grundstück im anfänglichen Eigentum des Schuldners........................... 13 2.1 Sicherung des Grundstücks/ Überwachungspflichten des vorläufigen Verwalters.................... 13 2.2 Aufrechterhaltung der Ver- und Entsorgung des Grundstücks/ Dauerschuldverhältnisse................. 16 2.3 Versicherung ................................... 18 2.4 Grundbuchauszug/Insolvenzvermerk im Grundbuch .................. 20 2.5 Der obstruktive Schuldner: Antrag auf Anordnung der starken vorläufigen Verwaltung?..... 32 2.6 Eigentumsübergang auf Dritte....... 35 2.6.1 Gefahr des Eigentumsverlustes am Grundstück durch Handlungen des Schuldners................................. 40 2.6.1.1 Rechtserwerb eines Dritten gemäß § 878 BGB)...................................... 42 2.6.1.2 Gutgläubiger Rechtserwerb eines Dritten gemäß § 81 InsO i. V. m. § 892 BGB .......................... 47 2.6.1.3 Schutz des vormerkungsgesicherten Käufers nach § 106 InsO ................ 52 2.6.1.4 Grenzen des Schutzes .................... 57 2.6.2 Gefahr des Eigentumsverlustes am Grundstück durch die von Dritten betriebene Zwangsversteigerung ................................... 58 2.6.2.1 Zuschlag gemäß § 90 ZVG während des Antragsverfahrens ..... 58 2.6.2.2 Abwehrmöglichkeiten.................... 60 2.7 Besitzübergang auf Dritte .............. 69 2.7.1 § 148 ZVG – Beschlagnahme während des Antragsverfahrens ..... 69 2.7.2 Räumungspflicht aus § 93 ZVG – Verbotene Eigenmacht ................... 83 2.7.3 Vermietung durch Schuldner im Antragsverfahren ............................ 88 2.7.4 Fehlende öffentlich-rechtliche Nutzungsberechtigungen ............... 89 3. Das vom Schuldner gemietete oder gepachtete Grundstück.............................. 92

3.1 3.2

Sicherung des Grundstücks............ 92 Kündigungssperre gemäß § 112 InsO/Aussonderungssperre nach Kündigung .............................. 95 III. Eröffnetes Verfahren .............................. 104 1. Die Nutzung des im Eigentum des Schuldners stehenden Grundstücks........ 104 1.1 Versicherung und Sicherung nach Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis...................... 104 1.2 Haftung des Grundstücks (auch für die Vergangenheit).................. 107 1.2.1 Wohnungseigentum (Teileigentum), § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG ....... 108 1.2.2 Öffentliche Lasten i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG ................. 109 1.2.2.1 Beiträge gemäß Satzung............... 110 1.2.2.2 Grundsteuer/maßgeblicher Zeitpunkt....................................... 114 1.2.3 Grundpfandrechte i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG ................. 117 1.3 Haftung der Insolvenzmasse (nur für die Zukunft).................... 119 1.3.1 Nach Eröffnung abgeschlossene Verträge; Erfüllungswahl.............. 119 1.3.2 Bei Vermietung des Betriebsgrundstücks: Vorsteuerberichtigung nach Wegfall der Umsatzsteueroption ..................... 121 2. Gefährdung der Betriebsfortführung durch Zwangsvollstreckungen des Grundpfandrechtsgläubigers ................... 122 2.1 Zwangsverwaltung ........................ 127 2.1.1 Antragsbefugnis ............................ 127 2.1.2 Abwehrmöglichkeiten des Insolvenzverwalters ...................... 128 2.1.3 Vereinbarung einer „kalten Zwangsverwaltung“ ...................... 137 2.1.4 Spannungsverhältnis zwischen § 100 InsO und § 149 ZVG (Unterhaltsgewährung an den Schuldner) ..................................... 141 2.2 Zwangsversteigerung .................... 145 2.2.1 Antragsbefugnis ............................ 145 2.2.2 Abwehrmöglichkeiten des Insolvenzverwalters ...................... 150 3. Das vom Schuldner gemietete oder gepachtete Grundstück............................ 153

Schorisch/Cornelius

903

§ 28

Teil V Einzelfragen

3.1

Fortbestehen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO........................ 153 3.1.1 Gebrauchsüberlassungspflicht des Vermieters .............................. 154 3.1.2 Mietzahlungspflicht des Verwalters insbesondere: Tilgungsbestimmungsrecht des Insolvenzverwalters) .................... 155 3.2 Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 InsO..................... 161 3.2.1 Kündigungsfrist max. drei Monate § 109 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO................................ 163 3.2.2 Schadensersatzanspruch des Vermieters (nur) Insolvenzforderung § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO.................................... 164 3.3 Nutzungsüberlassung durch den nicht unwesentlich beteiligten Gesellschafter des Schuldners (mit Sonderfall Betriebsaufspaltung), § 135 Abs. 3 InsO ....... 165 3.3.1 Keine Pflicht zur unentgeltlichen Nutzungsüberlassung................... 166 3.3.2 Fortbestehen des Nutzungsverhältnisses und Aussonderungssperre für ein Jahr ......................... 167 3.3.3 Entschädigung statt Pflicht zur unentgeltlichen Nutzungsüberlassung.................................... 168 3.3.4 Berechnung der Höhe der Entschädigung............................... 169 3.3.5 Nichtberücksichtigung anfechtbar erlangter Beträge .......................... 171 IV. Exit-Strategien des Insolvenzverwalters................................................. 177 1. Grundstück als Teil eines Asset Deals – Verwertung des (grundpfandrechtlich belasteten) Grundstücks durch den Insolvenzverwalter................................... 179 1.1 Verhandlungen mit Interessenten für den Geschäftsbetrieb .............. 179 1.2 Ermittlung des Kaufpreisanteils auf Grundlage des Verkehrswertes ............................................ 180 1.3 Abschluss einer Verwertungsvereinbarung mit dem/den Absonderungsberechtigten .......... 182

2.

3.

1.3.1 Einigung über Erlösanteil............. 186 1.3.2 Einigung über Massebeitrag (Vereinbarung erforderlich, da gesetzliche Regelung fehlt) .......... 187 1.3.3 Berücksichtigung von Umsatzsteuer und Ertragssteuern als potentielle Masseverbindlichkeiten) ..................................... 189 1.3.3.1 Umsatzsteuer ............................... 189 1.3.3.2 Ertragsteuern................................ 191 1.3.4 Beteiligung etwaiger Nachranggläubiger nur aus dem Erlösanteil der vorrangigen Gläubiger; nicht(!) aus dem der Masse, sog. Schornsteinhypothek ................... 194 Grundstück als Teil eines Share Deals (bei Insolvenzplan-Regelung im gestaltenden Teil)..................................... 200 2.1 Ablösung des Verkehrswertes durch einen Teil der Einlage des Investors........................................ 203 2.2 Alternativ: Ablösung der Grundpfandrechte aus künftigen Erträgen........................ 205 2.3 Debt-to-Equity-Swap nach § 225a InsO: Sacheinlage der Forderung gegen Anteile am Schuldner (ESUG) ....................... 206 Die Freigabe des Grundstücks ................ 209 3.1 Zweck und Wirkung der Freigabe ......................................... 209 3.2 Einkommen- bzw. Körperschaftssteuer sowie Umsatzsteuer als potentielle Masseverbindlichkeit .................... 212 3.3 Freigabeerklärung ......................... 215 3.3.1 Form der Freigabeerklärung ........ 216 3.3.1.1 Zwangsversteigerungsanordnung vor Freigabe ......................... 218 3.3.1.2 Freigabe vor Zwangsversteigerungsanordnung ............. 219 3.3.1.3 Ausreichen des Löschungsersuchens durch das Insolvenzgericht ................................... 223 3.4 Insbesondere: Altlasten................ 224 3.5 Spätestmöglicher Zeitpunkt der Freigabe ......................................... 230

Literatur: d’Avoine, Feststellung, Verwertung und Abrechnung von Sicherheitsgut als „einheitliches Geschäft“ des Insolvenzverwalters, ZIP 2012, 58; Bitter, Sanierung in der Insolvenz – Der Beitrag von Treue- und Aufopferungspflichten zum Sanierungserfolg, ZGR 2010, 147; Büchler, Befriedigung von Immobiliargläubigern – Anmerkung zu BGH, ZInsO 2010, 764 und ZInsO 2010, 914, ZInsO 2011, 718; Dahl/Schmitz, Eigenkapitalersatz nach dem MoMiG aus insolvenzrechtlicher Sicht, NZG 2009, 325; Eckardt, Grundpfandrechte im Insolvenzverfahren, RWS-Skript 35, 13. Aufl., 2013; Eickmann,

904

Schorisch/Cornelius

Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

Probleme des Zusammentreffens von Konkurs und Zwangsverwaltung, ZIP 1986, 1517; Frege/Keller, „Schornsteinhypothek“ und Lästigkeitsprämie bei Verwertung von Immobiliarvermögen in der Insolvenz, NZI 2009, 11; Ganter, Kündigungsrecht trotz angeordneter Verwertungssperre? – Zum Spannungsverhältnis zwischen § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 und § 112 InsO, ZIP 2015, 1767; Ganter, Sicherungsmaßnahmen gegenüber Aus- und Absonderungsberechtigten, NZI 2007, 549; Ganter/Brünink, Insolvenz und Umsatzsteuer aus zivilrechtlicher Sicht, NZI 2006, 257; Geißler, Die insolvenzrechtliche Qualität des Anspruchs des Vermieters auf Miete für unbewegliche Gegenstände oder Räume bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mieters im Laufe des Bemessungs- bzw. Nutzungszeitraums, ZInsO 2012, 1206; Gerhardt, Verfügungsbeschränkungen in der Eröffnungsphase und nach Verfahrenseröffnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 193; Haas, Das neue Kapitalersatzrecht nach dem RegE-MoMiG, ZInsO 2007, 617; Heyn, Zur Qualität von Mietzinsforderungen bei Verfahrenseröffnung am Monatsersten, InsbürO 2012, 485; Heyn, Sachbearbeitende Tätigkeiten in der Insolvenzverwaltung, ZInsO 2006, 980; Hirte, Neuregelung mit Bezug zum gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutz und im Insolvenzverfahren durch das MoMiG, ZInsO 2008, 689; Hölzle, Zur Suspendierung der Mietzahlungspflicht für gewerblich genutzte Immobilien im Insolvenzeröffnungsverfahren, ZIP 2014, 1155; Hölzle, Die Fortführung von Unternehmen im Insolvenzeröffnungsverfahren, ZIP 2011, 1889; Hölzle, Gibt es noch eine Finanzierungsfolgenverantwortung im MoMiG?, ZIP 2009, 1939; Kesseler, Der Schutzumfang der Vormerkung im Insolvenzverfahren, MittBayNotK 2005, 108; Kirchhof, Probleme bei der Einbeziehung von Absonderungsrechten in das Insolvenzeröffnungsverfahren, ZInsO 2007, 227; Klenk/Kronthaler, Die Rechtsprechung des V. (Umsatzsteuer-)Senats des Bundesfinanzhofs, NZI 2006, 369; Knees, Aus der Rechtsprechung zur Verwertung von Grundpfandrechten in der Insolvenz, ZInsO 2015, 2010; Knees, Die Bank als Grundpfandrechtsgläubiger in der Unternehmensinsolvenz, ZIP 2001, 1568; Krüger, Insolvenzsteuerrecht Update 2014, ZInsO 2014, 578; Lütcke, Leistungsbestimmungsrecht des Insolvenzverwalters nach Verwertung des Vermieterpfandrechts, NZI 2012, 262; Marotzke, Gesellschaftsinterne Nutzungsverhältnisse nach Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts, ZInsO 2008, 1281; Molitor, Verwaltung einer Immobilie in der Insolvenz des Eigentümers, ZInsO 2011, 1486; Mönning/Zimmermann, Die Einstellungsanträge des Insolvenzverwalters gem. §§ 30d I, 153b I ZVG im eröffneten Insolvenzverfahren, NZI 2008, 134; Obermüller, Die Verrechnung von Tilgungen im Insolvenzverfahren, NZI 2011, 663; Onusseit, Neues zum Insolvenzsteuerrecht vom Bundesfinanzhof, ZInsO 2014, 59; Onusseit, Die Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag – eine umsatzsteuerliche Unmöglichkeit?, ZIP 2002, 1344; Piegsa, Der Grundstückskaufvertrag in der Insolvenz, RNotZ 2010, 433; Piekenbrock, Das ESUG – fit für Europa?, NZI 2012, 905; Rokitta-Liedmann (Hrsg.), Jurion Online Kommentar, ZVG, (zit. JurionOK-ZVG); Rosenmüller, Zur Qualität von Mietzinsforderungen bei Verfahrenseröffnung am Monatsersten, ZInsO 2012, 1110; Schmerbach, Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, InsbürO 2007, 202; Scholtz, § 878 BGB in der Verkäuferinsolvenz, ZIP 1999, 1693; Schreinert, Erteilung der Vollstreckungsklausel durch den Notar gegen den Schuldner im Insolvenzverfahren, RNotZ 2013, 161; Schumm, Steuerlicher Veräußerungserlös bei mit Absonderungsrechten belasteten Wirtschaftsgütern, StuB 2013, 842; Schuschke, Die „Berliner Räumung“ bei der Vollstreckung aus einem Zuschlagsbeschluss gem. § 93 ZVG, NZM 2011, 685; Undritz, Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren – Die Quadratur des Kreises?, NZI 2007, 65; Wallner/Neuenhahn, Ein Zwischenbericht zur Haftung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, NZI 2004, 63; Zimmer, Das Tilgungsbestimmungsrecht des Insolvenzverwalters bei Erlösauskehr nach Verwertung von Absonderungsgut, ZInsO 2010, 1261.

I.

Vorbemerkung

Grundstücke sind der Natur der Sache nach ortsfest („immobil“), sämtliche Rechte an ihnen 1 sind im Grundbuch, einem öffentlichen Register, erfasst und für jedermann mit berechtigtem Interesse hieran einsehbar. Vertraglich begründete Änderungen der Rechtsverhältnisse an Grundstücken bedürfen, sieht man von der Ausnahme der partiellen Universalsukzession aufgrund von Vorgängen nach dem Umwandlungsgesetz ab, gemäß §§ 873, 875, 877 BGB zu ihrer rechtlichen Wirksamkeit einer Eintragung im Grundbuch. Dieses Grundbuchverfahren ist seinerseits in der Grundbuchordnung (GBO) bis ins Einzelne gehend geregelt und folgt strengen formalen Anforderungen. Grundstücke sind auch nicht von Menschenhand vermehrbar. In ihnen ruht nicht nur im wörtlichen Sinne das Fundament einer Unternehmung. Dies erklärt, warum Grundstücke im Vergleich zu anderen Anlageklassen als wertbeständige 2 Formen des Vermögens begehrt und demzufolge auch für die Besicherung von Darlehen besonders geeignet sind.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

3 Dies gilt bereits in der Zeit des reibungslosen und ertragreichen Verlaufs der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens. Zwar sind – soweit ersichtlich – empirische Untersuchungen über den relativen Anteil der Grundstücke am Gesamtwert der Insolvenzmassen noch nicht angestellt worden. Auch das, als Art. 7 des ESUG1) eingeführte und gemäß Art. 10 ESUG am 1.1.2013 in Kraft getretene, Insolvenzstatistikgesetz sieht Erhebungen in dieser Richtung nicht vor. Jeder Insolvenzpraktiker wird jedoch aus seiner Erfahrung bestätigen können, dass die Rechte an schuldnereigenen Grundstücken im Fall der Krise und einer sich etwa anschließenden Insolvenz noch an Bedeutung gewinnen und die Verwertung von Grundstücken eines der Hauptfelder der Auseinandersetzung ist. 4 Der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sei es durch den Schuldner selbst, sei es durch einen seiner Gläubiger, geht üblicherweise eine Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs des schuldnerischen Unternehmens voraus. Spätestens mit Bekanntwerden des Insolvenzantrages werden die Gläubiger danach trachten, ihre wirtschaftliche Position optimal zu wahren. Im Gegensatz dazu ist es die Pflicht des vorläufigen Verwalters, nicht nur das Vermögen des Schuldners zu sichern, sondern auch – im Falle einer Unternehmensinsolvenz – die Sanierung vorzubereiten. Hierfür wird es meist unverzichtbar sein, das Betriebsgrundstück weiter nutzen zu können. 5 Im eröffneten Verfahren wird sodann – insbesondere bei einer übertragenden Sanierung – die Verwertung des Grundstücks, als nicht hinweg zu denkender Bestandteil der für eine Fortführung des Unternehmens notwendigen Produktionsmittel, das besondere Augenmerk des Insolvenzverwalters erfordern. 6 Nachfolgend nicht behandelt werden demgemäß etwaige im Schuldnervermögen vorhandene Grundstücke, die für die Fortführung des vom Schuldner betriebenen Unternehmens nicht notwendig sind. 7 Der äußerste Grad an Betriebsnotwendigkeit eines Grundstücks besteht darin, dass die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren ohne es scheitern würde. Steht das Grundstück nicht mehr zur Verfügung, bleibt nur die Liquidation, mit der Folge, dass die Verluste aller anderen Gläubiger deutlich höher ausfallen.2) Dies entspräche logisch/denkgesetzlich dem Wortsinne. Bitter3) schränkt dies jedoch ein, wonach dieses Maximum an Intensität für die Anwendung der §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, 135 Abs. 3 InsO nicht erforderlich sein soll. Dies ist auch konsequent: So spricht der Gesetzestext in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO und in § 135 Abs. 3 InsO von der Voraussetzung, dass die betroffenen Massegegenstände für die Fortführung des Unternehmens des Schuldners von erheblicher Bedeutung sind. Insoweit wäre es zutreffender, von „in erheblicher Weise fortführungsbedeutsamen“ Gegenständen (hier: Grundstücken) zu sprechen. Nachdem sich jedoch die Bezeichnung als „betriebsnotwendig“ gleichwertig eingebürgert hat, soll der Begriff ebenfalls – mit der beschriebenen Einschränkung – verwendet werden. Festzuhalten bleibt, dass die Bestimmung der Fortführungserheblichkeit oder -notwendigkeit einer wertenden Entscheidung auf Grundlage der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zugänglich ist und eine solche erfordert.

___________ 1) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 2) Bitter, ZGR 2010, 147, 176. 3) Bitter, ZGR 2010, 147, 159.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung II.

Antragsverfahren/Ziel: Sicherung des Grundstücks

1.

Vorbemerkung

§ 28

Besonderes Augenmerk verdient bei jeder Betriebsfortführung die Phase des Eröffnungs- 8 verfahrens, da sich hier die Verhältnisse im Umbruch befinden. Hölzle4) beschreibt zutreffend und anschaulich die Komplexität der an einen vorläufigen Verwalter gestellten Aufgaben; der gesetzliche Auftrag eines jeden vorläufigen Insolvenzverwalters umfasse dreierlei: Aufsicht, Sicherung, Gestaltung. „Allein die Sicherung des schuldnerischen Vermögens in der risikobehafteten Zeit zwischen Insolvenzantragstellung und Entscheidung über den Antrag ist nicht die ausschließliche Aufgabe des Eröffnungsverfahrens im Kontext einer sozialen Marktwirtschaft. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der vorläufige Insolvenzverwalter nämlich nicht lediglich zurückhaltend sichernd tätig sein und damit eine passive Rolle im Eröffnungsverfahren einnehmen; er soll vielmehr aktiv das Insolvenzeröffnungsverfahren betreiben, ein noch am Markt befindliches Unternehmen fortführen, die Sanierungswürdigkeit prüfen und erhalten, die Insolvenzmasse nach Möglichkeit anreichern, Außenstände einziehen, übertragende Sanierungen oder andere Sanierungsmaßnahmen vorbereiten, Anfechtungs- und Haftungstatbestände ermitteln, mit potenziellen Investoren Vorverhandlungen führen, Insolvenzgeld vorfinanzieren, mit Absonderungsberechtigten verhandeln und vieles mehr.“5)

Gleichwohl steht bei Grundstücken in der Betriebsfortführung durch den vorläufigen 9 Verwalter die Sicherungsaufgabe im Vordergrund. Dies ergibt sich aus den Besonderheiten der vom Grundpfandrechtsgläubiger etwa bereits eingeleiteten Immobiliarzwangsvollstreckung, die vom Insolvenzverfahren unabhängig fortbetrieben werden kann. Daneben sind beim Grundstück eine Vielzahl von möglichen tatsächlichen und rechtlichen Gefährdungen zu betrachten und ggf. abzuwehren, weshalb auch hier die Sicherungsaufgabe des vorläufigen Verwalters großen Raum einnimmt. Normativer Ausgangspunkt für den starken vorläufigen Verwalter mit Verfügungsbefug- 10 nis ist § 22 Abs. 1 Satz 2 InsO, dort insbesondere Nr. 1, wonach der vorläufige Verwalter das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten hat. Wird hingegen ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne dass dem Schuldner ein 11 allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird, so bestimmt das Gericht gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters. Jedoch ist anerkannt, dass auch bei einem vorläufigen Verwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis es sich bei der Sicherungspflicht um eine generelle Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters handelt, die unabhängig von dem gesetzlich oder gerichtlich eingeräumten Grad der Befugnisse eingreift.6) Dessen ungeachtet sind die Befugnisse des „schwachen“ vorläufigen Verwalters weniger 12 weitreichend als die des mit Verfügungsbefugnis ausgestatteten. Sie dürfen gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht über die Pflichten eines verwaltungs- und verfügungsbefugten vorläufigen Verwalters hinausgehen. Insoweit sollen im Folgenden immer auch die schwierigeren Aufgaben des vorläufigen Verwalters ohne Verfügungsbefugnis im Blick behalten werden. 2.

Das Grundstück im anfänglichen Eigentum des Schuldners

2.1

Sicherung des Grundstücks/Überwachungspflichten des vorläufigen Verwalters

Den vorläufigen Verwalter – gleichgültig ob mit Verfügungsbefugnis oder nur mit Zu- 13 stimmungsvorbehalt ausgestattet – trifft durch die Verweisungsnorm des § 21 Abs. 2 Satz 1 ___________ 4) Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1890 f. 5) Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1890 f. 6) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 7.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

Nr. 1 InsO die Haftung für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten wie einen (endgültigen) Verwalter.7) 14 Findet der vorläufige Verwalter ein Grundstück vor, das im Eigentum des Schuldners steht, muss er für die Erhaltung des wirtschaftlichen Wertes des Grundstücks als Betriebsmittel sorgen. Dazu muss er die vom Schuldner abgeschlossenen Dauerschuldverhältnisse, insbesondere zur Ver- und Entsorgung des Grundstücks aufrechterhalten. Daneben hat der vorläufige Verwalter die Substanz des Gebäudes durch Abschluss entsprechender Versicherungen zu schützen. Gleichzeitig muss er sicherstellen, dass das schuldnerische Unternehmen gegen Schadensersatzansprüche, die von der Grundbesitzerhaftung gemäß § 836 BGB ausgehen, ausreichend geschützt ist. 15 Eine öffentlich rechtliche Pflicht besonderer Art ist die Verkehrssicherungspflicht gegen alle von dem Betriebsgrundstück ausgehenden möglichen Gefahren. Die Verkehrssicherungspflicht trifft den vorläufigen Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt nicht persönlich, doch kann die Verletzung der Pflicht durch das schuldnerische Unternehmen zu erheblichen nachteiligen Folgen für die Vermögenslage des Schuldners führen. Hierzu hat er die Befugnis zur Einsichtnahme in Bücher und Geschäftspapiere aus § 22 Abs. 3 Satz 2 InsO. 2.2

Aufrechterhaltung der Ver- und Entsorgung des Grundstücks/ Dauerschuldverhältnisse

16 In der Phase der vorläufigen Verwaltung vor Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens ist der vorläufige Verwalter gehalten, zur Gewährleistung der Betriebsfortführung die üblichen Verträge zur Ver- und Entsorgung des Grundstücks aufrechtzuerhalten. Er wird deshalb mit den Vertragspartnern in Verbindung treten, ihnen sein Interesse an der Fortsetzung der Belieferung (bspw. mit Strom) anzeigen und ihnen anbieten, die Zahlung zukünftiger Lieferungen bis zur Eröffnungsentscheidung sicherzustellen, sofern Leistungsverweigerung zu gewärtigen ist. In dieser Phase gilt allgemeines Vertragsrecht. Aus Sicht des Vertragspartners ist der sicherste Weg, um Zahlungen zu erhalten und – nach Eröffnung – anfechtungsfest behalten zu können, die Vereinbarung von Bargeschäften, die den Anforderungen des § 142 InsO entsprechen, also die eigene Leistung nur zu erbringen, wenn gleichzeitig vom Gemeinschuldner auch die Gegenleistung erbracht wird.8) 17 Zahlungen auf Altverbindlichkeiten des schuldnerischen Unternehmens darf der vorläufige Verwalter nicht zustimmen. Wird er von einem Anbieter mit starker Verhandlungsposition in dieser Richtung unter Druck gesetzt, wird er Zahlungen nur unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung im Wege der Insolvenzanfechtung seine Zustimmung geben können: Höchstrichterlich9) geklärt ist, dass der Insolvenzverwalter die Erfüllung von Altverbindlichkeiten anfechten kann. Undritz10) spricht in dieser Konstellation von „Erpressungsfällen“ und stellt die Frage, ob die Anführungszeichen um das Wort „Erpressung“ angebracht sind oder nicht. 2.3

Versicherung

18 Da die Erhaltung des schuldnerischen Vermögens zu den grundlegenden Pflichten eines jeden vorläufigen Verwalters gehört, wird er seine Aufmerksamkeit auf die Aufrechterhal___________ 7) Undritz, NZI 2007, 65, 69; Wallner/Neuenhahn, NZI 2004, 63. 8) Hierzu und zu den weiteren in Betracht kommenden Möglichkeiten vgl. Reul/Heckschen/WienbergWienberg, Kap. M. VII. Rz. 131 – 133. 9) BGH, Urt. v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314; BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431; BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 161/11, ZIP 2013, 528 = NZI 2013, 298. 10) Undritz, NZI 2007, 65, 67.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

tung oder den Neuabschluss von dem Substanzschutz dienenden Versicherungen richten. Hierfür wird üblicherweise ein Versicherungsmakler zur Ermittlung des Versicherungsbedarfs eingeschaltet. Auch hier ist es unerlässlich, dass sich der vorläufige Verwalter einen schnellen Überblick 19 darüber verschafft, ob das Unternehmen über eine geordnete Verwaltung und Buchhaltung verfügt. Aus ihr ergibt sich, welche der folgenden Versicherungen vom schuldnerischen Unternehmen abgeschlossen worden sind: x

Gebäudeversicherung (Substanzschutz); wenn erforderlich: Elementarschäden, z. B. Hochwasser. Dabei hat der vorläufige Verwalter keinen Ermessensspielraum, ob er eine Versicherung abschließen will oder nicht. Vielmehr treffen ihn nach der Rechtsprechung des BGH11) Sorgfalts- und Obhutspflichten auch für die von ihm verwalteten Gegenstände des Schuldnervermögens, die mit Absonderungsrechten belastet sind. Das gilt unabhängig davon, ob die Verwertung der belasteten Gegenstände einen Erlös für die Masse erbringen wird oder ob die Verwaltung sonst vorteilhaft für die Masse ist. Deshalb darf er aus dem von ihm verwalteten Schuldnervermögen die Kosten notwendiger Erhaltungs- und Verwaltungsmaßnahmen bestreiten, auch wenn dadurch die künftige Masse geschmälert wird. Zwar begründet nach dem BGH das Unterlassen der dem Grundstückseigentümer nach § 1134 Abs. 2 BGB obliegenden Schutzvorkehrungen (im entschiedenen Fall handelte es sich um eine Feuerversicherung) für sich noch keinen Schadensersatzanspruch des Grundpfandrechtsgläubigers gegen den Eigentümer. Schadensersatz kann erst gefordert werden, wenn durch eine schuldhafte Verletzung der Obliegenheiten aus den §§ 1133, 1134 BGB das Grundpfandrecht selbst entwertet worden ist. Das gilt auch für einen Schadensersatzanspruch gegen den das Grundstück verwaltenden vorläufigen Verwalter.

x

Grundbesitzer-Haftpflicht Daneben muss der vorläufige Verwalter überprüfen, ob die Grundbesitzerhaftpflichtversicherung besteht und ggf. neu abschließen. Sie deckt das Risiko ab, das dem zu sichernden Vermögen aus der Haftung gemäß § 836 BGB und den damit etwaig entstehenden neuen Verbindlichkeiten erwächst. Nur durch eine Bewertung aller tatsächlichen Umstände des Grundstücks, der auf ihm verkehrenden Personen und der aus der konkreten Situation möglicherweise erwachsenden Gefahren kann der Umfang der erforderlichen Versicherungsdeckungen ermittelt werden. So macht es einen großen Unterschied, ob sich auf dem Grundstück nur eine Lagerhalle befindet, in der einige wenige Logistik-Mitarbeiter beschäftigt sind, oder ob es sich bspw. um ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung handelt, auf dessen Gelände sich körperlich eingeschränkte Patienten oder Bewohner ständig aufhalten, die zudem regelmäßig von einer Vielzahl von Besuchern aufgesucht werden. In diesen Fällen kann bspw. die Beachtung der Brandschutzvorschriften besonderes Augenmerk verlangen.

x

Prämienzahlung: Gegebenenfalls Anzeige gegenüber dem Grundpfandrechtsgläubiger zur Erlangung von Mitteln für Prämienzahlung Der vorläufige Verwalter ist verpflichtet, für ausreichenden Versicherungsschutz zu sorgen. Er hat sich zudem kurzfristig durch Erkundigung bei den Versicherern ein Bild darüber zu verschaffen, ob hinsichtlich einzelner oder mehrerer der abgeschlossenen Versi-

___________ 11) BGH, Urt. v. 29.9.1998 – IX ZR 39/88, ZIP 1988, 1411, ergangen zu dem im Konkursverfahren bestellten Sequester; Reischl in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 1134 Fn. 5 und 7.

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Teil V Einzelfragen

cherungsdeckungen Prämienrückstände bestehen. In aller Regel wird sich der vorläufige Verwalter auch hierzu eines professionellen Versicherungsmaklers bedienen, der kostenneutral Bestand und Umfang sowie Bezahlung der einzelnen Versicherungen prüft. Ist er nicht in der Lage, Beiträge aus der von ihm verwalteten Masse zu erbringen, muss er zumindest dafür Sorge tragen, dass der wirtschaftlich Interessierte ausreichend informiert ist und seinerseits ggf. eine Versicherung abschließen kann.12) Es ist in dessen Interesse, dass der grundpfandrechtlich belastete Gegenstand in seinem Wert erhalten bleibt und insoweit versichert wird. Der Grundpfandrechtsgläubiger wird deshalb im Zweifel die Prämien vorschießen. 2.4

Grundbuchauszug/Insolvenzvermerk im Grundbuch

20 § 32 InsO ordnet an, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Grundbuch einzutragen. 21 Damit ist zunächst nach dem unmittelbaren Wortlaut der Vorschrift die Verfügungsbeschränkung des Schuldners über sein Vermögen eintragungsfähig, die sich aus Gesetz gemäß § 80 Abs. 1 InsO durch die Eröffnung des Verfahrens ergibt. 22 Über die Verweisung in § 23 Abs. 3 InsO gilt § 32 entsprechend auch für die durch Entscheidung des Insolvenzgerichts nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO (allgemeines Verfügungsverbot für den Schuldner) und Alt. 2 (Zustimmungsvorbehalt) im Antragsverfahren angeordneten Verfügungsverbote. 23 Mit Einführung der InsO wurde die unter der Geltung der KO umstrittene Frage geklärt, ob die genannten Verfügungsbeschränkungen bloß als relative oder auch als eine absolute Verfügungsbeschränkung wirken. Gemäß § 24 Abs. 1 InsO gelten §§ 81 und 82 InsO entsprechend für jede der nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO angeordneten Beschränkungen, so dass eine Verfügung, die gegen eine der genannten Verfügungsbeschränkungen im vorläufigen Verfahren verstößt, absolut, d. h. gegenüber jedermann unwirksam ist.13) Aufgrund des Wortlautes von § 24 Abs. 1 InsO abzulehnen ist daher die Ansicht von Vallender14), für den vom Gericht angeordneten Zustimmungsvorbehalt würden die gleichen Grundsätze wie für das besondere Verfügungsverbot gelten. 24 Streitig geblieben ist allein die Frage, ob vom Gericht angeordnete besondere Verfügungsverbote hinsichtlich einzelner besonders gefährdeter Vermögensgüter des Schuldners lediglich die Wirkung relativer Veräußerungsverbote i. S. von §§ 135, 136 BGB zugunsten der Gläubiger haben.15) Sie führen damit nicht zur Grundbuchsperre. Die Anordnung eines besonderen Verfügungsverbotes kommt insbesondere in Betracht, soweit der vorläufige Verwalter nur einen Teilbetrieb des schuldnerischen Unternehmens fortführen soll. 25 Die Verfügungsbeschränkungen werden im Zeitpunkt ihrer Anordnung durch das Insolvenzgericht wirksam.16) Sie entfalten damit unabhängig von der Eintragung des entsprechenden Vermerks im Grundbuch Wirkung. Jedoch bleiben gemäß §§ 24 Abs. 1, 81 Abs. 1 Satz 2 InsO die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb nach §§ 892, 893 BGB unberührt. Zweck von § 32 InsO ist es deshalb, die Insolvenzmasse gegen einen gutgläubigen Erwerb durch Dritte zu sichern.17) ___________ Heyn, ZInsO 2006, 980, 985. Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 8/1998, § 24 Rz. 1; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 32 Rz. 2. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 25. So Uhlenbruck-Vallender, InsO, Stand: 8/1998, § 24 Rz. 2; a. A. Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 24 Rz. 8 (absolutes Verfügungsverbot). 16) BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, ZIP 2012, 1256. 17) Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 2/2013, § 32 Rz. 1.

12) 13) 14) 15)

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

Während nach einhelliger Auffassung die Eintragung des Insolvenzvermerks einen gut- 26 gläubigen Erwerb im eröffneten Verfahren unmöglich macht, ist umstritten, ob die Eintragung der (aufgrund Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder eines Zustimmungsvorbehalts im Antragsverfahren eintretenden) Verfügungsbeschränkung im Grundbuch ebenfalls den gutgläubigen Erwerb ausschließt. Holzer18) spricht sich ohne nähere Begründung dafür aus, dass nur der Vermerk über die Eröffnung selbst, nicht aber ein nach §§ 22 Abs. 1, 23 Abs. 3 InsO eingetragenes allgemeines Verfügungsverbot die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs ausschließt. Dies müsste dann erst recht auch für den Zustimmungsvorbehalt gelten. Dem ist nicht zu folgen. Zum einen spricht das Gesetz in § 23 Abs. 1 Satz 1 InsO von der 27 Pflicht zur Bekanntmachung eines Beschlusses, mit dem eine der in § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO vorgesehenen Verfügungsbeschränkungen (Plural!) angeordnet wird. Von § 23 InsO erfasst ist also auch ein Zustimmungsvorbehalt. Zum anderen verweist § 24 Abs. 1 InsO in gleicher Weise für beide Arten der Verfügungsbeschränkungen auf die §§ 81, 82 InsO. Aufgrund dieses weitgehenden Gleichlaufs der im Antragsverfahren bei Bestellung eines vorläufigen Verwalters angeordneten Verfügungsbeschränkungen mit den Rechtswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gebietet der Sicherungszweck von § 32 InsO, der Eintragung der Verfügungsbeschränkung im Antragsverfahren gleichfalls die Wirkung des Ausschlusses gutgläubigen Erwerbs beizumessen. Die Eintragung des Sperrvermerks oder der Verfügungsbeschränkung bewirkt weiterhin, 28 dass das Grundbuchamt hinsichtlich Verfügungen über Rechte am Grundstück nur noch solche Eintragungen vornehmen darf, die von verfügungsberechtigten Personen, wie etwa vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters, beantragt worden sind.19) Umstritten und von der Rechtsprechung bisher nicht entschieden ist die Frage, ob ein An- 29 trag auf Eintragung des Insolvenzsperrvermerks oder einer der Verfügungsbeschränkungen des § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO gleichsam „auf der Überholspur“ entgegen dem Prioritätsprinzip des § 17 GBO an bereits beantragten, aber noch nicht erledigten Eintragungsanträgen vorbei sofort einzutragen sind.20) In einer Entscheidung, die in der Konstellation eines Antragsverfahrens mit Bestellung eines vorläufigen Verwalters und Anordnung (lediglich) eines Zustimmungsvorbehalts erging, hat der BGH21) jedenfalls klargestellt, dass i. R. des § 81 InsO die Verfügungshandlung des Schuldners und nicht der etwa erst später eintretende Verfügungserfolg maßgeblich ist. Der Insolvenzverwalter wie auch der vorläufige Verwalter sind nicht nur gemäß § 32 Abs. 2 30 Satz 2 InsO berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Eintragung des Insolvenzvermerks herbeizuführen. Dies gehört zu den insolvenzspezifischen Pflichten i. S. von § 60 InsO.22) Da die Verfügungsbeschränkung des Schuldners durch Gerichtsbeschluss außerhalb des Grundbuchs entstanden ist, beantragt der Verwalter die Berichtigung des Grundbuchs, sofern dies nicht durch das Insolvenzgericht selbst erfolgt.23) Für einen Antrag des Verwalters reicht Schriftform aus, doch muss er die Unrichtigkeit des Grundbuchs in öffentlicher Form gemäß § 29 GBO nachweisen, üblicherweise durch Vorlage einer Ausfertigung des Anordnungsbeschlusses. ___________ 18) Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 2/2013, § 32 Rz. 19. 19) Zu Recht differenzierend und gegen den unzutreffenden Begriff einer allgemeinen „Sperre“ des Grundbuchs: Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 2/2013, § 32 Rz. 20. 20) Ausführlich zum Streitstand: Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 32 Rz. 18 – 22. 21) BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, ZIP 2012, 1256. 22) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 32 Rz. 14. 23) BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, ZIP 2012, 1256.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

31 Aufgrund der dargelegten weitreichenden Folgen für den Ausschluss gutgläubigen Erwerbs ist besonderes Augenmerk gerade im Antragsverfahren erforderlich, da in aller Regel zu diesem Zeitpunkt die Verfügungsbeschränkung erstmals nach Eintritt der Krise des Schuldnerunternehmens eingetragen wird. 2.5

Der obstruktive Schuldner: Antrag auf Anordnung der starken vorläufigen Verwaltung?

32 Zwar hatte der Gesetzgeber die Ausstattung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vorgesehen, doch stellt die Anordnung lediglich eines Zustimmungsvorbehaltes oder einzelner, gegenständlich beschränkter Verfügungsverbote oftmals das mildere Mittel dar.24) Mit der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ist zwangsläufig die Bestellung eines Verwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbunden.25) Der Entzug der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bedarf jedoch wegen der weitreichenden Folgen und Eingriffe in die Grundrechte des Schuldners einer besonderen Rechtfertigung. Bestehen demnach Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner entgegen der Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes versuchen wird, Gegenstände des schuldnerischen Vermögens beiseite zu schaffen, oder dass er in anderer Form nicht ausreichend zusammenarbeitet, kann dies die nachträgliche Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes rechtfertigen. Sicherungsmaßnahmen dieser Art sind regelmäßig erforderlich, wenn gegen den Schuldner oder das Schuldnerunternehmen wegen eines Bankrottdeliktes nach §§ 283 ff. StGB ermittelt wird, der Verdacht auf sonstige Straftaten besteht oder wenn der Schuldner oder sein organschaftlicher Vertreter flüchtig ist. 33 Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsbefugnis hat in erster Linie Aufsichts- und Sicherungsfunktionen zu erfüllen.26) Dies sind originäre Pflichten, die nicht ausdrücklich im Beschluss festzulegen sind, wohl aber aufgeführt werden können. Die allgemeine Sicherungs- und Erhaltungspflicht erfordert es, dass der vorläufige Insolvenzverwalter bei Gericht Maßnahmen i. S. von § 21 InsO anregt.27) 34 Im Ergebnis ist der Gewinn an Sicherungsmöglichkeiten im besonderen Hinblick auf Grundstücke des Schuldners bzw. des Schuldnerunternehmens allerdings gering: x

Zum einen sind, wie im Kapitel über den Insolvenzvermerk und seine Wirkungen dargelegt, auch ohne Zustimmung des „schwachen“ vorläufigen Verwalters vorgenommene Verfügungen nach §§ 24, 81 Abs. 1 Satz 1 InsO absolut unwirksam.

x

Zum anderen ist gutgläubiger Erwerb gemäß § 24 Abs. 1 i. V. m. § 81 Abs. 1 InsO an Grundstücken und Grundstücksrechten bis zur Eintragung des Sperrvermerks möglich. Hat der Schuldner zudem die im folgenden Kapitel näher beschriebenen, für eine Eigentumsübertragung erforderlichen Übertragungstatbestände vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits vorgenommen, ist der Eigentumsverlust – sofern nicht anfechtbar – insolvenzfest. Dies ist unabhängig davon, ob der vorläufige Verwalter im Antragsverfahren lediglich mit Zustimmungsvorbehalt oder mit Verfügungsbefugnis ausgestattet wird.

___________ 24) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 24. 25) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 4. 26) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 12, mit Verweis auf Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 202. 27) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 12 a. E.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung 2.6

§ 28

Eigentumsübergang auf Dritte

Vorwegzuschicken ist, dass zwischen einer „ordnungsgemäßen Verwaltung“ einerseits und 35 einer „veräußernden Verfügung“ andererseits unterschieden wird, wenn es um die Frage der „Verwertung“ des Grundstückes geht. Danach betrifft die Verwaltung die notwendige Erhaltung und die ordnungsgemäße Pflege 36 des Vermögens in Erfüllung der Pflicht zur Sicherung und Erhaltung i. S. von § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO. Dabei ist es i. R. einer Fortführung des schuldnerischen Unternehmens anerkannt, dass die ordnungsgemäße Verwaltung auch dingliche Verfügungen über Bestandteile des Vermögens umfassen darf. Insoweit wird auch von einem Verwertungsrecht „innerhalb“ der erlaubten Verwaltungstätigkeit des vorläufigen Verwalters gesprochen.28) Trotz der vorstehend beschriebenen Sicherungsmöglichkeiten ist jedoch nicht ausgeschlos- 37 sen, dass bis zu deren Wirksamwerden das Eigentum durch Verfügung des Schuldners auch ohne Zustimmung des vorläufigen Verwalters oder durch Zwangsversteigerung auf Betreiben eines Dritten verlorengeht. Da die Vorschriften über einen Erwerb vom Nichtberechtigten gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 38 InsO für Grundstücke nicht ausgeschlossen sind, bewirkt erst die Eintragung des Eröffnungsvermerks im Grundbuch den Ausschluss der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs.29) Hinsichtlich der Eintragung eines Sperrvermerks aufgrund der Anordnung eines allgemeinen 39 Verfügungsverbotes im Antragsverfahren hat der BGH30) entschieden, dass dies bereits mit seinem Erlass wirksam wird und nicht erst mit der Zustellung. Gleichwohl ergibt sich hinsichtlich der Eintragung und des gutgläubigen Erwerbs von Grundstücken die gleiche Problematik wie bei der Eintragung des Eröffnungsbeschlusses.31) 2.6.1 Gefahr des Eigentumsverlustes am Grundstück durch Handlungen des Schuldners Zu einem Zeitpunkt, zu dem weder Insolvenzantrag gestellt ist noch eine vorläufige Ver- 40 waltung angeordnet wurde, kann es sich bei der Verwertung des Grundstückes nur um den vom Schuldner noch vorgenommenen Grundstücksverkauf handeln. Ungeachtet einer etwaigen Anfechtbarkeit der zur Veräußerung führenden Handlungen bestimmt sich das Schicksal des Grundstückskaufvertrages zunächst nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften.32) Vor Stellung eines Insolvenzantrages und Anordnung einer vorläufigen Verwaltung ist der 41 Schuldner frei, über sein Grundstück zu verfügen. Die Gefahr des Eigentumsverlusts aus Nachwirkungen des schuldnerischen Handelns vor Stellung des Insolvenzantrags besteht unter den folgenden drei Gesichtspunkten: 2.6.1.1

Rechtserwerb eines Dritten gemäß § 878 BGB33)

§ 878 BGB dient dem Schutz des Erwerbers in der Zeit zwischen Verfügungserklärung 42 und Grundbucheintragung der Rechtsänderung vor bestimmten nachteiligen Konsequenzen ___________ 28) 29) 30) 31) 32) 33)

Nerlich/Kreplin-Bornheimer, MAH Sanierung und Insolvenz, § 29 Kap. XVI Rz. 295, 296. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 32 Rz. 17. BGH, Urt. v. 9.9.1996 – IX ZR 277/95, ZIP 1996, 1909. BGH, Beschl. v. 13.3.2008 – IX ZB 39/05, ZIP 2008, 1028; Ganter, NZI 2007, 549. Zur Anfechtbarkeit s. Reul/Heckschen/Wienberg-Reul, Kap K VII. Rz. 128–F 25. Hierzu bereits grundlegend: Scholtz, ZIP 1999, 1693.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

aus dem Grundbuchzwang des Liegenschaftsrechts.34) Ist eine rechtsgeschäftliche Verfügungserklärung bindend abgegeben und der Grundbuchantrag gestellt worden, verliert sie nicht ihre Wirkung, wenn der Erklärende noch vor Eintragung seine Verfügungsbefugnis verliert. 43 § 878 gilt entsprechend für die materiell-rechtliche Vormerkungsbewilligung.35) Weil es ausreicht, dass die Vormerkung einseitig bewilligt wird, tritt Bindung der Bewilligung entweder gemäß §§ 873 Abs. 2 Fall 4, 875 Abs. 2 Fall 2 BGB mit Aushändigung einer beglaubigten Eintragungsbewilligung an den Gläubiger oder – in entsprechender Anwendung von § 875 Abs. 2 BGB – mit Zugang der Bewillligung beim Grundbuchamt ein.36) 44 Für unwiderrufliche Grundbucherklärungen, die eine verfahrensrechtliche Verfügung über ein Grundstücksrecht zum Gegenstand haben, also alle Arten von Bewilligungen i. S. von § 19 GBO, gilt § 878 BGB ebenfalls entsprechend. Das gilt für Eintragungs-, insbesondere Berichtigungsbewilligungen, ferner für den vom Verfügenden gestellten Eintragungsantrag.37) Der Eintragungsantrag muss beim zuständigen Grundbuchamt nach den Maßgaben von § 13 GBO eingegangen sein – ein Schutz gegen die unkalkulierbare Dauer des Eintragungsverfahrens ist nur angebracht, wenn dieses Verfahren überhaupt eingeleitet worden ist. 45 Für die Praxis ist deshalb vor allem die Frage relevant, welche Verfahrensschritte des Grundstückskaufvertrages noch nicht abgewickelt sein dürfen, damit der vorläufige Verwalter die Möglichkeit hat, eine bereits eingeleitete Grundstücksveräußerung noch aufzuhalten: x

Hat der Notar, den einschlägigen Empfehlungen in der Literatur folgend,38) den Eintragungsantrag auch namens des Verfügungsempfängers gestellt, kann der Verfügende den Antrag nicht mehr allein zurücknehmen.

x

Nach überwiegender Meinung39) ist jedoch für die Herbeiführung der Bindungswirkung und damit des Erwerbsschutzes aus § 878 BGB auch ein allein vom Verfügenden gestellter Antrag ausreichend. Ist der Antrag demzufolge allein vom Verfügenden bzw. für ihn gestellt worden, kann der Insolvenzverwalter den Antrag ohne weiteres zurücknehmen und damit den Schutz des § 878 BGB wieder zunichtemachen. Dem Insolvenzverwalter steht die Rücknahmebefugnis aufgrund des umfassenden Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse hinsichtlich des schuldnerischen Vermögens gemäß § 80 InsO zu.40) Gleiches muss für den vorläufigen Verwalter mit Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO gelten. Ein lediglich mit Zustimmungsvorbehalt ausgestatteter vorläufiger Verwalter hat hingegen keine Befugnis zur Antragsrücknahme.

46 Stellt sich bei den gutachterlichen Ermittlungen heraus, dass ein einseitig gestellter Eintragungsantrag beim Grundbuchamt noch nicht erledigt wurde, ist somit höchste Eile geboten, den Antrag zurückzunehmen oder – im Falle des vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt – beim Insolvenzgericht entweder die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes oder die Übertragung der Verfügungsbefugnis hinsichtlich des verkauften Grundstücks auf den vorläufigen Verwalter zu beantragen und sodann aufgrund der Anordnung den Vollzugsantrag zurückzunehmen. ___________ 34) Staudinger-Gursky, BGB, 2007, § 878 Rz. 1, 6; Kohler in: MünchKomm-BGB, § 878 Rz. 1. 35) Kohler in: MünchKomm-BGB, § 878 Rz. 24, dort Fn. 72 m. w. N.; Staudinger-Gursky, BGB, 2007, § 878 Rz. 9; Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 6/2014, § 106 Rz. 39. 36) Kohler in: MünchKomm-BGB, § 878 Rz. 24; Staudinger-Gursky, BGB, 2007, § 878 Rz. 35. 37) Kohler in: MünchKomm-BGB, § 878 Rz. 26; Staudinger-Gursky, BGB, 2007, § 878 Rz. 11. 38) Vgl. Piegsa, RNotZ 2010, 433, 434 f. 39) Piegsa, RNotZ 2010, 433, 434 m. w. N. 40) Piegsa, RNotZ 2010, 433, 434.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung 2.6.1.2

§ 28

Gutgläubiger Rechtserwerb eines Dritten gemäß § 81 InsO i. V. m. § 892 BGB

Liegen die Voraussetzungen von § 878 BGB nicht vor, ist ggf. ein Rechtserwerb nach den 47 Gutglaubensvorschriften möglich, denn gutgläubiger Erwerb wird durch die Insolvenzeröffnung nicht ausgeschlossen. Vielmehr erklären §§ 81 Abs. 1 Satz 2, 91 Abs. 2 InsO die Gutglaubensvorschriften ausdrücklich für anwendbar. Für das Antragsverfahren gilt allerdings nur § 81 entsprechend über die Verweisung in § 24 48 Abs. 1 InsO. Es fehlt in § 24 Abs. 1 InsO die Verweisung auf die Erwerbssperre des § 91 InsO, der demzufolge auch bei Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO mangels planwidriger Regelungslücke nicht entsprechend anwendbar ist.41) Ist die Bindungswirkung des § 878 BGB bereits eingetreten und ist der Eintragungs- 49 antrag wirksam vor Verfahrenseröffnung gestellt worden, kommt es nicht einmal auf den guten Glauben des Erwerbers an (vgl. § 91 Abs. 2 InsO, § 878 BGB). Trotz nachfolgender Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Veräußerers erwirbt der Käufer Eigentum. Ein vor Verfahrenseröffnung bindend bewilligtes und beantragtes Recht ist trotz der mit Insolvenzeröffnung eintretenden Grundbuchsperre noch einzutragen, selbst wenn der Insolvenzvermerk unter Verstoß gegen die §§ 17, 45 GBO früher eingetragen sein sollte.42) War die Bindungswirkung des § 878 BGB noch nicht eingetreten, aber der Eintragungs- 50 antrag beim Grundbuchamt gestellt, so kommt es auf den guten Glauben des Erwerbers zum Zeitpunkt der Eintragung an. Somit kann ein vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellter Eintragungsantrag noch zum gutgläubigen Erwerb führen. Der Grundbuchrechtspfleger muss, solange der Sperrvermerk nicht eingetragen ist, die Eintragung vollziehen, auch wenn er weiß, dass sie von einem nicht Verfügungsberechtigten beantragt ist. Ist der Insolvenzvermerk nicht rechtzeitig im Grundbuch eingetragen worden, hat das Grundbuchamt dem Eintragungsantrag eines im Zeitpunkt des § 892 Abs. 2 BGB hinsichtlich der Verfahrenseröffnung redlichen Erwerbers trotzdem zu entsprechen, damit dieser gutgläubig Eigentum erwirbt.43) § 892 BGB wird durch § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht ausgeschlossen. Die Vorschrift legitimiert gerade den Erwerb von einem Nichtberechtigten oder nicht mehr Verfügungsberechtigten. Im Ergebnis räumt das Gesetz demjenigen, der im Zeitpunkt der Antragstellung auf den Rechtsstand des Grundbuches vertraut, Vorrang vor den Interessen der Gläubiger ein, einen Rechtsverlust für die Masse zu verhindern.44) Damit ist ein gutgläubiger Erwerb möglich, wenn im Grundbuch kein Insolvenzvermerk 51 eingetragen ist und der Käufer von der Insolvenz des Verkäufers keine Kenntnis hat.45) 2.6.1.3

Schutz des vormerkungsgesicherten Käufers nach § 106 InsO

Wie ausgeführt, gilt § 878 BGB entsprechend für die materiell-rechtliche Vormerkungs- 52 bewilligung i. S. von § 883 BGB. § 106 führt i. V. m. § 878 BGB u. U. zu einer weitreichenden Nachwirkung der vom Schuldner vor Insolvenzantragstellung eingegangenen Verpflichtungen. Die Vormerkung schützt den vorgemerkten Anspruch auf Änderung der dinglichen Rechts- 53 lage – jedoch nicht der sonstigen Erfüllung kaufvertraglicher Verpflichtungen (siehe unten ___________ 41) 42) 43) 44) 45)

Nerlich/Römermann-Wittkowski/Kruth, InsO, § 91 Rz. 31. Zum Vorstehenden Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 32 Rz. 18. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 32 Rz. 20. Graf-Schlicker-Kexel, InsO, § 32 Rz. 22; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 32 Rz. 20. Piegsa, RNotZ 2010, 433, 435.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

Rz. 57). Der Schutz umfasst auch künftige und aufschiebend bedingte Ansprüche, wenn ein „sicherer Rechtsboden“ dadurch bereitet ist, dass die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des demnächst Berechtigten abhängt.46) 54 Die Vorschrift des § 106 InsO entzieht den vorgemerkten Anspruch der haftungsrechtlichen Zuordnung47) und wirkt einem Aussonderungsrecht ähnlich.48) Der Vormerkungsberechtigte ist nicht Insolvenzgläubiger nach § 38, sondern kann Erfüllung aus der Insolvenzmasse verlangen.49) Der Insolvenzverwalter muss ungeachtet des andernfalls anwendbaren § 103 InsO50) den Anspruch des Vormerkungsberechtigten im Umfang der Sicherungswirkung der Vormerkung so erfüllen, wie es der Schuldner außerhalb des Insolvenzverfahrens tun müsste.51) 55 Für die Praxis bedeutet dies: Der vorläufige Verwalter muss sich schnellstmöglich ein Bild über die Grundbuchsituation verschaffen. Insbesondere dann, wenn es ihm wegen der zugunsten des Käufers bestehenden Nachwirkung von § 878 BGB nicht mehr möglich sein sollte, eine Eintragung der Vormerkung zu verhindern (siehe oben Rz. 42 f.), kann diese Erkenntnis für die Entscheidung maßgeblich sein, ob eine Betriebsfortführung überhaupt noch möglich ist, wenn absehbar das Betriebsgrundstück in dinglicher Erfüllung des vom Schuldner geschlossenen Kaufvertrages übereignet werden muss. Selbst eine der Masse als Gegenleistung etwaig zufließende Kaufpreissumme wird in aller Regel keine kurzfristige Beschaffung gleichwertigen Ersatzes ermöglichen. 56 Die Vormerkung wie auch der gesicherte Anspruch nach § 106 InsO stehen zwar wegen ihrer beschriebenen weitreichenden Sicherungswirkung unter dem Vorbehalt der Anfechtbarkeit,52) die der endgültige Verwalter im eröffneten Verfahren dem Erfüllungsanspruch ggf. einredeweise entgegenhalten kann. Ob jedoch in der Kürze der für eine Entscheidung über die Betriebsfortführung zur Verfügung stehenden Zeit das Bestehen des Anfechtungsanspruchs mit der notwendigen Sicherheit geprüft werden kann, dürfte fraglich sein. 2.6.1.4

Grenzen des Schutzes

57 Hier offen mag die Frage bleiben, ob der Erwerber denn – z. B. vertraglich bedungene – Lastenfreiheit erhält.53) Soweit dies mit der wohl h. M. nicht der Fall ist, öffnet sich meist die Gelegenheit zur Beendigung des Vollzuges und der Sicherung des Grundstücks für die Betriebsfortführung, da der Käufer zwar Eigentum resultierend erwirbt, aber Schadensersatzansprüche aus Nichterfüllung sonstiger Zusagen des Verkäufers nur Tabellenforderungen darstellen. ___________ 46) BGH, Urt. v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, ZIP 2001, 2008; Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 6/2014, § 106 Rz. 15; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 106 Rz. 8. 47) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 6/2014, § 106 Rz. 7. 48) Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 106 Rz. 1. 49) Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 106 Rz. 27; Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 6/2014, § 106 Rz. 10. 50) BGH, Urt. v. 19.3.1998 – IX ZR 242/97, ZIP 1998, 836; dem folgend OLG Brandenburg, Urt. v. 1.2.2012 – 4 U 93/10, juris; OLG Bamberg, Urt. v. 19.3.2012 – 4 U 145/11, NZI 2012, 7 = ZWH 2012, 340. 51) Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 106 Rz. 28; Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 6/2014, § 106 Rz. 54 f. 52) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 6/2014, § 106 Rz. 18, 48; Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 127. 53) Verneinend die Rspr. des BGH zu § 24 KO (Vorgängervorschrift von § 106 InsO), zuletzt BGH, Beschl. v. 22.9.1994 – V ZR 236/93, NJW 1994, 3231 = ZIP 1994, 1705. Ebenso verneinend Reul/ Heckschen/Wienberg-Reul, Kap. B Rz. 76 f. (in Auseinandersetzung mit BGH, Urt. v. 9.3.2006 – IX ZR 55/04, WM 2006, 918 = ZIP 2006, 859) sowie schließlich Kesseler, MittBayNotK 2005, 108.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

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2.6.2 Gefahr des Eigentumsverlustes am Grundstück durch die von Dritten betriebene Zwangsversteigerung 2.6.2.1

Zuschlag gemäß § 90 ZVG während des Antragsverfahrens

Wird das Zwangsversteigerungsverfahren während des vorläufigen Insolvenzverfahrens durch 58 Zuschlag abgeschlossen, erwirbt der Ersteher das Eigentum originär durch konstitutiven staatlichen Hoheitsakt.54) Der Zuschlag hat weitreichende Rechtsfolgen. Der Eigentumserwerb vollzieht sich ohne 59 Rücksicht auf den Willen der Verfahrensbeteiligten und unabhängig davon, ob Verfahrensmängel vorliegen, die nur im Rechtsmittelwege nach den §§ 96 bis 104 ZVG geltend gemacht werden können. Anders als beim rechtsgeschäftlichen Erwerb (§ 873 Abs. 1 BGB) ist er unabhängig von der Grundbucheintragung, die erst nach der Erlösverteilung im Wege der Grundbuchberichtigung erfolgt. Die Wirkungen des Zuschlags treten bereits ohne Rücksicht auf die Rechtskraft des Beschlusses mit dessen Verkündung durch das Versteigerungsgericht oder mit seiner Zustellung an den Ersteher ein.55) Dies führt vor Augen, warum bei der Sachverhaltsermittlung durch den Gutachter und vorläufigen Insolvenzverwalter hinsichtlich eines etwaigen laufenden Zwangsversteigerungsverfahrens besondere Eile geboten ist, um ggf. dem Verfahren Einhalt zu gebieten. 2.6.2.2

Abwehrmöglichkeiten

§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO schafft grundsätzlich die Möglichkeit, Zwangsvollstreckungs- 60 maßnahmen auch im Insolvenzantragsverfahren wirksam zu unterbinden. Auch durch § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO, der durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.200756) eingefügt wurde, wurden bestimmte Wirkungen des eröffneten Verfahrens in das antragsverfahren vorverlagert. Die Sicherung der Masse vor Herausgabeverlangen und Verwertungshandlungen dinglich gesicherter Gläubiger im Antragsverfahren soll die Fortführung und spätere Veräußerung des weitgehend intakten schuldnerischen Betriebs ermöglichen.57) Beide Normen erfassen hingegen nicht unbewegliches Vermögen; für dies steht in der InsO 61 keine entsprechende Regelung zur Verfügung. Hier bleibt die Verwertungsbefugnis des Absonderungsberechtigten erhalten. Auch im Antragsverfahren bleibt die Anordnung der Zwangsversteigerung und Zulassung 62 des Beitritts für absonderungsberechtigte Gläubiger möglich. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der Möglichkeit, dass das vorläufige Insolvenzverfahren nicht zur Eröffnung gelangt, etwa weil der Antrag zurückgenommen wird oder aber das Verfahren mangels Masse abgewiesen wird. Damit wird dem Gläubiger, sogar dem eines persönlichen Anspruchs, ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG sowie Sicherung dieses Anspruches durch Beschlagnahme nach § 22 ZVG ermöglicht. Deshalb wird § 21 Abs. 2 InsO durch § 30d Abs. 4 ZVG ergänzt. Nach dieser Vorschrift 63 kann im Antragsverfahren die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung beantragt werden, insbesondere gemäß Nr. 2, wenn das Grundstück für eine Fortführung des Betriebs oder für die Vorbereitung der Veräußerung eines Betriebs benötigt wird.

___________ 54) Claßen-Kövel in: JurionOK-ZVG, § 90 Rz. 2; BGH, Urt. v. 4.7.1990 – IV ZR 174/89, ZIP 1990, 1202. 55) Claßen-Kövel in: JurionOK-ZVG, § 90 Rz. 2; BGH, Urt. v. 8.11.2013 – V ZR 155/12, NZI 2014, 93 = MDR 2014, 243. 56) Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens v. 13.4.2007, BGBl. I 2007, 509. 57) Ganter, NZI 2007, 549.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

64 Antragsberechtigt ist auch der vorläufige Verwalter.58) Dieses Antragsrecht erfordert nicht, dass er mit einem allgemeinen Verfügungsverbot die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erlangt hat, antragsberechtigt ist auch jeder sog. „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter. Er muss jedoch vortragen und glaubhaft machen, dass eine vorzeitige Versteigerung zu nachteiligen Veränderungen führen wird, etwa wenn absehbar eine Betriebsfortführung in Betracht kommt.59) 65 Entscheidungsbefugt ist hier nicht das Insolvenzgericht aus § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO, sondern das Vollstreckungsgericht.60) Hierfür sprechen nach Auffassung von Pape/Lüke61) Gründe der rationellen Verfahrensführung; seien doch die sachlichen Möglichkeiten zur vorläufigen Einstellung nicht wesentlich eingeschränkt.62) 66 Kritisch gegenüber der Entscheidungskompetenz der Vollstreckungsgerichte äußern sich vor allem Mönning/Zimmermann63) aus der hier maßgeblichen Sicht der Praxis der Betriebsfortführung mit dem Ziel der Sanierung: Nach deren Auffassung wirkt sie sich vor allem sanierungshemmend aus, da Vollstreckungsgerichte häufig den betriebswirtschaftlich begründeten Sanierungsansatz einer Betriebsfortführung, für die die weitere Nutzung belasteter Immobilien im Regelfall unverzichtbar ist, nicht nachvollziehen. Damit sei der Druck durch Verwertungshandlungen absonderungsberechtigter Gläubiger, die aus den zu ihren Gunsten eingetragenen Grundpfandrechten die Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung betreiben, trotz angeblich erleichterter Einstellungsvoraussetzungen erhalten geblieben. 67 Der Sicht von Mönning/Zimmermann ist zuzustimmen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer einstweiligen Einstellung haben ihre Grundlage durchweg in insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten. Die Insolvenzgerichte haben die größere Sachnähe, deren Vorliegen zu beurteilen. De lege ferenda sind deshalb die insolvenzbedingten Einstellungsgründe aus dem ZVG in die InsO zu verlegen. Dies dient auch der Gleichbehandlung der absonderungsberechtigten Sicherungsnehmer unabhängig von der Wahl des konkreten Sicherungsmittels. 68 Der vorläufige Verwalter muss mit den Mitteln des § 294 ZPO glaubhaft machen, dass die einstweilige Einstellung zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist. 2.7

Besitzübergang auf Dritte

2.7.1 § 148 ZVG – Beschlagnahme während des Antragsverfahrens 69 Hat der Grundpfandrechtsgläubiger einen vollstreckbaren Titel, kann er aus diesem – alternativ oder kumulativ zur Zwangsversteigerung – zur Zwangsvollstreckung in das belastete Grundstück gemäß § 866 Abs. 1 ZPO die Zwangsverwaltung des Grundstücks beantragen. 70 Durch den Beschluss des Vollstreckungsgerichts auf Anordnung der Zwangsverwaltung wird eine Beschlagnahme des Grundstücks bewirkt, §§ 20, 146 ZVG, durch die dem Schuldner die Verwaltung und Benutzung des Grundstücks entzogen und auf den Zwangsverwalter übertragen wird, §§ 148, 152 ZVG. ___________ 58) 59) 60) 61) 62)

Braun-Dithmar/Schneider, InsO, § 165 Rz. 11, dort Fn. 9. Rokitta-Liedmann in: JurionOK-ZVG, § 30d Rz. 11. Gerhardt in: Kölner Schrift zur InsO, S. 193 ff. Rz. 22. Kübler/Prütting/Bork-Pape/Lüke, InsO, Stand: 11/2015, § 21 Rz. 27. Kritisch zum gesamten Regelungskomplex Gerhardt in: Kölner Schrift zur InsO, S. 193 ff. Rz. 22, der wegen des hierdurch erforderlichen Antrags des vorläufigen Verwalters die Möglichkeit zur Untersagung von Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung durch ein Vollstreckungsverbot auch hinsichtlich unbeweglicher Gegenstände für vorzugswürdig hält, sowie zur „fatalen“ Wirkung dieser Zuständigkeitsentscheidung auf europäischer Ebene im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO vgl. den Beispielsfall 2 von Piekenbrock, NZI 2012, 905, 910. 63) Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

Die Beschlagnahme umfasst nicht nur das Grundstück und seine Bestandteile, sondern 71 erstreckt sich auch auf das im Eigentum des Grundstückseigentümers stehende Zubehör, das in den Haftungsverband des Grundpfandrechts nach § 1120 BGB fällt, sowie die laufenden und zukünftigen Miet- und Pachtforderungen. Der Zwangsverwalter zieht mithin ab Beschlagnahme die Miet- und Pachterlöse ein, wenn er auch gemäß § 156 ZVG die laufenden Beiträge der öffentlichen Lasten zu berichtigen hat. Darüber hinaus hat der Zwangsverwalter das Recht und die Pflicht, alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um das Grundstück in seinem wirtschaftlichen Bestand zu erhalten und ordnungsgemäß zu benutzen. Denn die Aufgaben des Zwangsverwalters bestimmen sich durch den Zweck der Zwangsverwaltung, die Ansprüche der Gläubiger aus den Nutzungen des beschlagnahmten Grundstücks zu befriedigen. Dabei soll die bei der Anordnung der Verwaltung bestehende Art der Grundstücksnutzung beibehalten werden (§ 5 Abs. 1 ZwVwV). Sind hierzu gewerbliche Tätigkeiten erforderlich, gehören auch sie zu den Aufgaben des Zwangsverwalters. Richtig ist zwar, dass der Zwangsverwalter nicht zur Fortführung des – nicht beschlagnahmten – Gewerbebetriebs des Schuldners berufen ist. Hierauf zielt seine im eigenen Namen und auf Rechnung der Masse ausgeübte Tätigkeit aber auch nicht ab, wenn er ein grundstücksbezogenes Unternehmen (siehe unten Rz. 77). fortsetzt. Dem Zwangsverwalter kommt es darauf an, das beschlagnahmte Grundstück seinem besonderen wirtschaftlichen Gepräge gemäß zu nutzen. Wenn er sich vor diesem Hintergrund entschließt, den Gewerbebetrieb des Schuldners aufrechtzuerhalten, insbesondere dessen Angestellte und die vorhandene Betriebsorganisation zu übernehmen, maßt er sich nicht die Stellung eines Insolvenzverwalters an.64) Wird die vorläufige Insolvenzverwaltung vor der Zwangsverwaltung angeordnet, muss das 72 Vollstreckungsgericht gleichwohl von Amts wegen dafür sorgen, dass der Zwangsverwalter Besitz am Grundstück erlangt. Dieser kann über § 150 ZVG i. V. m. §§ 885, 892 ZPO die Herausgabevollstreckung betreiben. Dies gilt auch gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter; das Besitzrecht des Zwangsverwalters verdrängt dasjenige des (vorläufigen) Insolvenzverwalters.65) Dementsprechend bleibt das Besitzrecht des Zwangsverwalters mit Vorrecht bestehen, wenn die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung oder eine andere diesbezügliche Sicherungsanordnung des Insolvenzgerichts erst nach dem Beginn eines Zwangsverwaltungsverfahrens ergeht. In Anbetracht des grundsätzlichen Vorrangs der Zwangsverwaltung als Maßnahme der 73 Einzelzwangsvollstreckung, verbunden mit der weitreichenden Zulässigkeit der Fortführung eines grundstücksbezogenen Betriebs (siehe oben Rz. 71), kann dies zu einer nicht unerheblichen Gefährdung des Gesamtvollstreckungsziels der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger führen. Eine Möglichkeit zur einstweiligen Einstellung der Zwangsverwaltung während des Antragsverfahrens sieht der Gesetzeswortlaut von § 153b ZVG gleichwohl nicht vor. Soweit dies problematisiert wird, schließt ein Teil der Literatur daraus, während des Antragsverfahrens bestehe keine Einstellungsmöglichkeit,66) insbesondere sei der vorläufige Insolvenzverwalter nicht antragsberechtigt.67) Die fehlende Einstellungsmöglichkeit wird jedoch von anderen als unbefriedigend68) emp- 74 funden und als problematisch angesehen, da es das erklärte Ziel der InsO sei, die Entscheidung über die Art und Weise der Verwertung des Schuldnervermögens bis zum Berichts___________ 64) 65) 66) 67) 68)

BGH, Beschl. v. 14.4.2005 – V ZB 16/05, ZIP 2005, 1195. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 364. Sievers in: JurionOK-ZVG, § 153b Rz. 2. Stöber-Stöber, ZVG, § 153b Rz. 3.1. Nerlich/Kreplin-Goebel, MAH Sanierung und Insolvenz, § 33 Kap. VI. Rz. 66.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

termin offenzuhalten.69) Dieses gesetzgeberische Ziel würde durch die fehlende Einstellungsmöglichkeit konterkariert. 75 Kirchhof70)weist hinsichtlich der Entstehungsgeschichte von § 30d Abs. 4 ZVG zutreffend auf den vom Regierungsentwurf ursprünglich beabsichtigten umfassenden Vollstreckungsschutz hin. 76 Der systematischen Argumentation von Eckardt71) ist zu folgen: Es handelt sich bei § 153b ZVG nicht um eine abschließende Sonderregelung nur für das eröffnete Insolvenzverfahren. Vielmehr sind im Hinblick auf den beschriebenen Gesetzeszweck der InsO und das Schutzbedürfnis der Gläubigergesamtheit § 30d Abs. 4 ZVG i. V. m. § 146 Abs. 1 ZVG analog anzuwenden, so dass auch eine Einstellung der Zwangsverwaltung im Antragsverfahren möglich ist, insbesondere wenn das Grundstück für eine Betriebsfortführung benötigt wird (Nr. 2). 77 Nur für den grundstücksbezogenen Gewerbebetrieb, d. h. einen Gewerbetrieb, dessen wirtschaftlicher Schwerpunkt unabtrennbar und erkennbar auf dem Grundstück liegt, hat der BGH72) entschieden, dass ein Zwangsverwalter befugt ist, den auf dem beschlagnahmten Grundstück geführten grundstücksbezogenen Gewerbebetrieb des Schuldners fortzuführen, wenn dies zur ordnungsgemäßen Nutzung des Grundstücks erforderlich ist und er dabei nicht in Rechte des Schuldners an Betriebsmitteln eingreift, die unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu dem Gewerbebetrieb absolut geschützt sind. 78 Es fehlt jedoch eine höchstrichterliche Entscheidung, wie die Rechtslage ist, wenn die Zwangsverwaltung mit einem Insolvenzverfahren kollidiert. In der Literatur werden unterschiedliche Meinungen vertreten: x

Eckardt73) betont, dass die haftungsrechtliche Zuweisung der Erträge aus dem Grundstück an die dinglich Befriedigungsberechtigten maßgeblich sei. Umfasse diese auch den grundstücksbezogenen Gewerbebetrieb, wie vom BGH entschieden, dürfe sie während eines Insolvenzverfahrens keinen geringeren Umfang haben als außerhalb.

x

Demgegenüber sollen nach der wohl überwiegenden Meinung in der Literatur strengere Maßstäbe angebracht sein als bei der „isolierten“ Zwangsverwaltung. Dabei wird vor allem auf die ratio legis von § 153b ZVG abgestellt, dass die weitergehenden Verwaltungsrechte des Insolvenzverwalters Vorrang vor den Rechten des Zwangsverwalters haben sollen, soweit diese seine Tätigkeit behindern.74)

79 Der h. M. ist zu folgen. Gerade in Betriebsfortführungsfällen ist die weitere Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks entscheidend für die Sanierungsaussichten des schuldnerischen Betriebs als Ganzem. Diese Aufgabe hat Vorrang vor der Einzelzwangsvollstreckung und verdrängt diese. Es gibt regelmäßig kein Aufeinandertreffen von gleichsam konkurrierenden Betriebsfortführungen. Eine Vermietung oder Verpachtung des Betriebsgrundstücks würde die Zerschlagung des Betriebs präjudizieren – eine Entscheidung, die selbst der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren vor dem Berichtstermin gemäß §§ 156, 157 InsO grundsätzlich nicht ohne Beschluss der Gläubigerversammlung entscheiden darf. Die Fortführung des Gewerbebetriebs unterscheidet sich grundsätzlich von der Konstellation der Fortführung von Vermietung und Verpachtung, für die auch die Möglichkeit einer sog. „kalten“ ___________ 69) 70) 71) 72) 73) 74)

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Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 407. Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 39. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 408 f. m. umfangr. Literaturnachweis in Fn. 346. BGH, Beschl. v. 14.4.2005 – V ZB 16/05, ZIP 2005, 1195. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 383. Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 252.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

Zwangsverwaltung (Verwaltung durch den Insolvenzverwalter aufgrund vertraglicher Abrede mit dem Grundpfandrechtsgläubiger „wie“ ein gerichtlich bestellter Zwangsverwalter, jedoch ohne gerichtliche Bestellung) besteht, da dort keine über die reine Verwaltung der Mietobjekte hinausgehenden Gesichtspunkte der Unternehmensverwertung von Bedeutung sind. Voraussetzung für die Einstellung der Zwangsverwaltung ist jedoch ein entsprechender 80 Antrag des (vorläufigen) Insolvenzverwalters nach § 153b ZVG. Dazu muss er die tatbestandlichen Voraussetzungen i. S. von § 294 ZPO glaubhaft machen. Folge eines stattgebenden Einstellungsbeschlusses des Vollstreckungsgerichts ist gemäß 81 § 153b Abs. 2 ZVG der von Amts wegen anzuordnende Anspruch des betreibenden Gläubigers auf Ausgleich der Nachteile durch laufende Zahlungen aus der Insolvenzmasse. Die Ausgleichspflicht setzt zudem, anders als bei der einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung, sofort und nicht erst nach dem Berichtstermin ein.75) Wirtschaftlich bringt die Beantragung einer Zwangsverwaltung den Grundpfandrechts- 82 gläubigern also etwas, weswegen eine frühzeitige und faire Kommunikation – wie stets – vorzugswürdig ist. 2.7.2 Räumungspflicht aus § 93 ZVG – Verbotene Eigenmacht Hat das Vollstreckungsgericht den Zuschlagsbeschluss gemäß § 90 ZVG während des An- 83 tragsverfahrens erteilt, dient dieser dem Ersteher als Vollstreckungstitel auf Räumung und Herausgabe der Immobilie.76) Vollstreckungsschuldner ist jeder Besitzer des Grundstücks, der sein Recht zum Besitz 84 infolge des Zuschlags verloren hat. Ist im Antragsverfahren ein „schwacher“ vorläufiger Verwalter bestellt worden, bleibt der Schuldner Besitzer der Insolvenzmasse sowie verfügungs- und prozessführungsbefugt.77) Zu beachten ist, dass – im Gegensatz zur sog. Berliner Räumung von Mietwohnungen78) – 85 bei nicht zu Wohnzwecken dienenden Grundstücken die Aufspaltung der nach dem Titel geschuldeten Leistung x

in die Außerbesitzsetzung des Schuldners sowie

x

die eigentliche Räumung des Grundstücks (Entfernung der auf dem Grundstück gelagerten Gegenstände)

und die Erteilung eines diesbezüglichen Teilauftrags an den Gerichtsvollzieher nach wie vor als unproblematisch angesehen wird.79) Mit dieser Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf eine Teilvollstreckung kann es der betreibende Zwangsvollstreckungsgläubiger vermeiden, den andernfalls nach § 885 Abs. 3 ZPO erforderlichen Kostenvorschuss für die Räumung und Einlagerung der zu entfernenden beweglichen Sachen erbringen zu müssen.80) Damit muss der vorläufige Verwalter befürchten, dass der Ersteher den schuldnerischen Betrieb kurzfristig außer Besitz setzen lässt, da die faktischen Hürden hierfür gering sind. Da der Schuldner im Antragsverfahren auch bei Anordnung einer der Verfügungsbeschrän- 86 kungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO die Rechtsmacht behalten hat, sich zu verpflichten, ___________ Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 257. Claßen-Kövel in: JurionOK-ZVG, § 93 Rz. 2. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 11. Näher hierzu Schuschke, NZM 2011, 685; BGH, Beschl. v. 17.11.2005 – I ZB 45/05, NZM 2006, 149 = NJW 2006, 848. 79) Zuletzt AG Forchheim, Beschl. v. 15.6.2010 – 1 M 684/10, BeckRS 2010, 27974. 80) Schuschke, NZM 2011, 685, dort Fn. 15. 75) 76) 77) 78)

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§ 28

Teil V Einzelfragen

ist er in der Lage, das ihm gehörende Betriebsgrundstück an einen Dritten zu vermieten oder zu verpachten. 87 Dem darauf gestützten Besitzverschaffungsanspruch kann der vorläufige Verwalter nicht mit Hilfe eines Antrags nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO entgegentreten, da sich ein solcher Antrag nur gegen Aus- und Absonderungsberechtigte richten kann. 2.7.3 Vermietung durch Schuldner im Antragsverfahren 88 Um die Betriebsfortführung nicht durch den Entzug des Grundstücks zu gefährden, bleibt dem vorläufigen Verwalter nur die Möglichkeit, die Herausgabe bis zur Eröffnung zu verweigern: Anders als in der Insolvenz des Mieters steht dem Verwalter kein Rücktrittsoder Kündigungsrecht zu. Allerdings besteht das Mietverhältnis nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO nur dann fort, wenn die Mietsache im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Mieter bereits überlassen war, da der BGH81) die Vorschrift teleologisch reduziert. Wurde die Mietsache dem Mieter noch nicht überlassen, steht dem Insolvenzverwalter das Wahlrecht nach § 103 InsO zu.82) War das Mietverhältnis zwar in Vollzug gesetzt, hatte der Mieter aber den Besitz bei Insolvenzeröffnung wieder aufgegeben, besteht es in der Insolvenz des Vermieters nicht mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort.83) 2.7.4 Fehlende öffentlich-rechtliche Nutzungsberechtigungen 89 Vor abschließender Entscheidung über die Betriebsfortführung ist i. R. der Sorgfalt zu untersuchen, ob für den schuldnerischen Betrieb die erforderlichen öffentlich-rechtlichen Erlaubnisse und Genehmigungen vorliegen. Erfahrungsgemäß bestehen bei vielen Unternehmen, gegen die ein Insolvenzantrag gestellt wird, nicht nur in der Buchhaltung Defizite. In Betracht kommen genehmigungspflichtige Eingriffe in den Wasserhaushalt, bauordnungsrechtliche, immissionsschutzrechtliche sowie alle anderen Genehmigungen nach der Gewerbeordnung. 90 Es mag einen Schuldner zu Beginn eines Antragsverfahrens und den dortigen Problemen irritieren, z. B. nach einer baurechtlichen Nutzungsgenehmigung im Antragsverfahren befragt zu werden. Die diesbezüglichen Defizite sind aber häufig. Sie belasten eine Betriebsfortführung im Antragsverfahren und werden später im eröffneten Verfahren jedweden Verwertungsprozess oder Investoreneintritt nachhaltig erschweren und Massenachteile bringen. Derlei Defizite konsequent und früh aufzuspüren und deren Behebung anzugehen, kann nur empfohlen werden. 91 Im Antragsverfahren als Störer in Anspruch genommen werden kann nur der „starke“ vorläufige Verwalter, da auf ihn gemäß §§ 22 Abs. 1, 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen übergeht. Führt der starke vorläufige Insolvenzverwalter etwa den Betrieb einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage des Schuldners fort, so rückt er auf diese Weise in die Betreiberstellung ein. Dementsprechend treffen ihn die Betreiberpflichten des § 5 BImSchG.84) Zur Freigabe von altlastenbehafteten Grundstücken siehe unten Rz. 224 ff.

___________ 81) BGH, Urt. v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, ZIP 2007, 2087. 82) Gottwald-Huber, InsR-Hdb., § 37 Rz. 24; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 108 Rz. 11; eingehend zur Problematik Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 1/2008, § 108 Rz. 19 – 20a. 83) Ergänzung durch: BGH, Urt. v. 11.12.2014 – IX ZR 87/14, BGHZ 204, 1 = ZIP 2015, 135. 84) Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 75.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung 3.

Das vom Schuldner gemietete oder gepachtete Grundstück

3.1

Sicherung des Grundstücks

§ 28

Hinsichtlich der Sicherung des Grundstücks, der Verkehrssicherungspflicht, der Aufrecht- 92 erhaltung der Ver- und Entsorgung des Grundstücks sowie hinsichtlich der vom Schuldner eingegangenen Dauerschuldverhältnisse, gilt für den Pflichtenkreis des vorläufigen Insolvenzverwalters das gleiche wie bei einem Betriebsgrundstück, das sich im Eigentum des Schuldners befindet. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen jedoch der Mietvertrag und seine Bestimmungen. 93 Üblicherweise wird im Mietvertrag dieVerkehrssicherungspflicht, die den Eigentümer trifft, auf den Mieter übertragen. Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten, jedoch können sich Verpflichtungen des schuldnerischen Unternehmens gegenüber dem Vermieter etwa zur Instandhaltung oder gar zur Instandsetzung der gemieteten Sache ergeben. Von dem Insolvenzantrag und ggf. der Anordnung der vorläufigen Verwaltung werden 94 solche Nebenpflichten aus dem Mietvertrag grundsätzlich nicht berührt. Der Vermieter kann sie üblicherweise nicht im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen, insbesondere wenn das Gericht eine entsprechende Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO angeordnet hat. Der Vermieter kann jedoch bei schuldhafter Verletzung der Nebenpflichten den Mieter in Verzug setzen. Ist die verletzte Nebenpflicht von solcher Bedeutung, dass es dem Vermieter unzumutbar wird, das Mietverhältnis fortzusetzen, kann er hierauf eine außerordentliche Kündigung stützen. 3.2

Kündigungssperre gemäß § 112 InsO/Aussonderungssperre nach Kündigung

Nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn der Mieter x für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder x in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete i. H. eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht. Ein Miet- oder Pachtverhältnis, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, kann der andere Teil nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst wegen eines Verzugs von Miete und Pacht, der vor dem Antrag eingetreten ist, gemäß § 112 Nr. 1 InsO nicht kündigen. Ebenso wenig ist eine Kündigung wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners möglich, § 112 Nr. 2 InsO. § 112 InsO enthält insofern eine Privilegierung des Schuldners ab dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Diese Privilegierung aus § 112 Nr. 1 InsO hinsichtlich Verzugs gilt aber nicht für die Zeit nach dem Eröffnungsantrag. Unbedingt zu beachten sind deshalb die „Fallstricke“, die sich aus § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB für die Zeit ab Eröffnungsantrag ergeben. Der Vermieter kann das Mietverhältnis also sehr wohl kündigen, wenn sich einer der Tatbestände des § 543 BGB in der Zeit nach Eröffnungsantrag verwirklicht. Beispiel: Fälligkeit der Miete üblicherweise am 3. Werktag eines Kalendermonats x Miete für Monat 01 rückständig Rückstand nach Antrag: 0 Monatsmieten x EÖ-Antrag gestellt am 30.1. Rückstand nach Antrag: 0 Monatsmieten x Miete für Monat 02 fällig am 3.2. Rückstand nach Antrag: 1 Monatsmiete x Miete für Monat 03 fällig am 3.3. Rückstand nach Antrag: 2 Monatsmieten Schorisch/Cornelius

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Teil V Einzelfragen

Damit steht dem Vermieter für den Fall, dass der Schuldner die Miete auch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens nicht zahlt, bereits am 4.3. ein außerordentliches fristloses Kündigungsrecht zu – nur knappe fünf Wochen nach Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. 99 Dieses Recht steht grundsätzlich auch dem Gesellschafter zu, der dem schuldnerischen Unternehmen ein Grundstück zur Nutzung überlassen hat.85) 100 Der vorläufige Verwalter muss demzufolge i. R. seiner Überwachungspflichten darauf achten, dass der Schuldner genügend Liquidität zur Verfügung hat, um die zweite, während des Antragsverfahrens fällig werdende Miete rechtzeitig zu überweisen, oder mit dem Vermieter anderweitige Vereinbarungen treffen lassen und zustimmen. 101 Allerdings kann der vorläufige Verwalter die Anordnung einer Herausgabeuntersagung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO zu erwirken versuchen. Nach überwiegender Literaturmeinung ist auch Grundvermögen, wie z. B. eine gemietete Immobilie, vom Wortlaut der Vorschrift erfasst. Somit kann eine Anordnung eine Herausgabe bzw. Räumung des Grundstücks bei wirksam gekündigtem Mietverhältnis verhindern.86) Eine vom Insolvenzgericht angeordnete Verwertungssperre gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO lässt die Pflicht des Mieters/Pächters zur Bezahlung des vertraglichen Nutzungsentgelts und somit auch die Kündigungsmöglichkeit des Vermieters/Verpächters unter den Voraussetzungen des § 543 BGB unberührt; allerdings kann die vermietete/verpachtete Sache nicht zurückverlangt werden, solange die Verwertungssperre gilt.87) 102 Dem Vermieter steht in den ersten drei Monaten nach der Anordnung kein Nutzungsentgelt („Zinsen“) i. S. von § 169 Satz 2 InsO zu.88) Dies entspricht weitgehend der Rechtslage bei Einstellung der Zwangsversteigerung einer pfandrechtsbelasteten Immobilie gemäß § 30d Abs. 4 ZVG. Die Verfassungsmäßigkeit des § 169 Satz 2 InsO, insbesondere die Vereinbarkeit mit Art. 12 und Art. 14 GG, hat das BVerfG89) bestätigt. 103 Der Vermieter ist jedoch nicht gehindert, einen Anspruch auf Ausgleich des während des Insolvenzantragsverfahrens durch die Nutzung entstandenen Wertverlusts geltend zu machen.90) III.

Eröffnetes Verfahren

1.

Die Nutzung des im Eigentum des Schuldners stehenden Grundstücks

1.1

Versicherung und Sicherung nach Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis

104 Hierfür gelten die zum Grundstück im Antragsverfahren gemachten Ausführungen entsprechend. Der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren muss somit die Dauerschuldverhältnisse zur Ver- und Entsorgung des Grundstücks aufrechterhalten.91) ___________ 85) Marotzke, ZInsO 2008, 1281, 1292. 86) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38; Ganter NZI 2007, 549, 555; Schmerbach, InsbürO 2007, 202, 207; grundsätzlich bejahend, wenn auch skeptisch hinsichtlich der Auswirkungen im Einzelfall Kirchhof, ZInsO 2007, 227, 229, 230. 87) Ganter, ZIP 2015, 1767, 1772. 88) KG Berlin, Urt. v. 11.12.2008 – 23 U 115/08, ZIP 2009, 137, rkr., dazu zust. Anm. von Köster, EWiR 2009, 311; BGH, Urt. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779; Hölzle, ZIP 2014, 1155 weist auf das Fehlen des für die Begründung des Verzugs erforderlichen Verschuldens hin. 89) BVerfG (2. Kammer), Beschl. v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1252. 90) BGH, Urt. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779. 91) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 11/2011, § 103 Rz. 106 f.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

In der Insolvenz des Versicherungsnehmers gilt für Versicherungsvertragsverhältnisse 105 grundsätzlich § 103 InsO. Der Vertrag ist beiderseits nicht vollständig erfüllt, wenn der Versicherungsnehmer noch künftige oder in der Vergangenheit fällig gewordene Prämien zu zahlen hat und der Versicherer auch nur bei künftigem Eintritt eines Versicherungsfalles Entschädigung schuldet.92) Der Insolvenzverwalter hat somit die Wahl, Erfüllung zu wählen. In diesem Fall muss er die Prämien ab Eröffnung aus der Masse zahlen, dafür hat im Gegenzug der Versicherer Versicherungsschutz zu gewähren.93) In der Praxis wird der Verwalter jedoch vor der Erfüllungswahl prüfen, ob der Versiche- 106 rungsschutz optimiert werden sollte und ob dies möglich ist. Findet er eine nach den Gesamtumständen bessere Versicherung, kann er neuen Versicherungsschutz abschließen und hinsichtlich der bestehenden Versicherungen die Nichterfüllung erklären. 1.2

Haftung des Grundstücks (auch für die Vergangenheit)

§ 10 Abs. 1 ZVG regelt die Rangfolge der Ansprüche, die im Zwangsversteigerungs- und 107 Zwangsverwaltungsverfahren zu berücksichtigen sind. Aus dem Gesichtspunkt der Haftung des Grundstücks für Ansprüche, die in der Vergangenheit begründet wurden, kommen insbesondere die Rangklasse Nr. 2 (Ansprüche der WE-Gemeinschaft bei Gewerbeeinheiten), Nr. 3 (öffentliche Lasten) und Nr. 4 (Ansprüche der dinglich Berechtigten) in Betracht. Daneben gilt für das laufende Insolvenzverfahren die Rangklasse Nr. 1a. Durch diese Vorschrift wird das Grundstück mit den Kosten belastet, die durch die Feststellung entstehen, dass Gegenstände, die in den Haftungsverband der Hypothek oder Grundschuld einbezogen sind, nicht zur Insolvenzmasse gehören.94) 1.2.1 Wohnungseigentum (Teileigentum), § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG Wird der Betrieb eines Unternehmens fortgeführt, das einen Teilbetrieb wie bspw. ein Au- 108 ßendienst-Büro oder eine Einzelhandelsfläche in einer rechtlich als Teileigentum gestalteten Fläche unterhält, gewinnt die Rangklasse 2 aus § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG Bedeutung. In diese Rangklasse fallen die fälligen Ansprüche auf Zahlung der Beiträge zu den Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums oder des Sondereigentums, die nach § 16 Abs. 2, § 28 Abs. 2 und 5 WEG geschuldet werden, einschließlich der Vorschüsse und Rückstellungen sowie der Rückgriffansprüche einzelner Wohnungseigentümer. Das Vorrecht erfasst auch die laufenden und die rückständigen Beträge aus dem Jahr der Beschlagnahme und den letzten zwei Jahren. Das Vorrecht ist der Höhe nach einschließlich aller Nebenleistungen begrenzt auf Beträge i. H. von nicht mehr als 5 % des nach § 74a Abs. 5 ZVG vom Vollstreckungsgericht festgesetzten Verkehrswertes. Prozessual ist zu beachten, dass die Anmeldung der Ansprüche wie auch etwaiger Rückgriffansprüche einzelner Wohnungseigentümer durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer erfolgt. 1.2.2 Öffentliche Lasten i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG haftet das Grundstück für die Entrichtung der öffentlichen 109 Lasten wegen der rückständigen Beträge aus den letzten vier Jahren; wiederkehrende Leistungen, insbesondere Grundsteuern, Zinsen, Zuschläge oder Rentenleistungen, sowie Beträge, die zur allmählichen Tilgung einer Schuld als Zuschlag zu den Zinsen zu entrichten sind, genießen dieses Vorrecht nur für die laufenden Beträge und für die Rückstände aus ___________ 92) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 11/2011, § 103 Rz. 106. 93) Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 103 Rz. 44. 94) Rokitta-Liedmann in: JurionOK-ZVG, § 10 Rz. 8.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

den letzten zwei Jahren. Untereinander stehen öffentliche Grundstückslasten, gleichviel, ob sie auf Bundes- oder Landesrecht beruhen, im Range gleich. 1.2.2.1

Beiträge gemäß Satzung

110 Für die Praxis von Bedeutung sind die Beiträge der Kommunen oder der Zweckverbände für Wasser- und Abwasseranschlüsse sowie für den Straßenausbau. 111 Mangels gesetzlicher Begriffsbestimmung im ZVG beurteilt sich die Frage, ob eine Abgabenverpflichtung diese Eigenschaft hat, nach der gesetzlichen Regelung, auf der die Verpflichtung beruht. Es muss sich um eine Abgabenverpflichtung handeln, welche auf öffentlichem Recht beruht, durch wiederkehrende oder einmalige Geldleistungen zu erfüllen ist und nicht nur die persönliche Haftung des Schuldners, sondern auch die dingliche Haftung des Grundstücks voraussetzt. Das für die Abgaben maßgebende öffentliche Bundes- oder Landesrecht entscheidet mithin darüber, ob die Abgabenverpflichtung zu den öffentlichen Grundstückslasten i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG gehört. Dabei muss die Verpflichtung in dem Abgabengesetz nicht unbedingt als öffentliche Last bezeichnet sein; es genügt vielmehr, wenn sich diese Eigenschaft aus der rechtlichen Ausgestaltung der Zahlungspflicht und aus ihrer Beziehung zum Grundstück ergibt. Im letzteren Fall muss jedoch aus Gründen der Klarheit und Rechtssicherheit aus der gesetzlichen Regelung eindeutig hervorgehen, dass die Abgabenverpflichtung auf dem Grundstück lastet und mithin nicht nur eine persönliche Haftung des Abgabenschuldners, sondern auch die dingliche Haftung des Grundstücks besteht. Zweifel in dieser Hinsicht schließen eine Berücksichtigung der Zahlungspflicht als öffentliche Last aus.95) 112 Die genannten Ansprüche der Klasse 3 werden bevorrechtigt berücksichtigt, ohne dass der Berechtigte hieraus das Verfahren betreiben muss. Sie müssen lediglich rechtzeitig (§ 37 Nr. 4 ZVG) zum Verfahren angemeldet werden, da sie, wie sich aus §§ 45 Abs. 1, 114 Abs. 1 ZVG ergibt, nicht aus dem Grundbuch ersichtlich sind.96) 113 Für die Praxis ebenfalls bedeutsam ist die Unterscheidung hinsichtlich der Möglichkeit, rückständige Beträge geltend zu machen. Bei wiederkehrenden Leistungen sind Beträge, die älter sind als der letzte, vor der Beschlagnahme fällig gewordene Betrag, Rückstände i. S. des Gesetzes, § 13 Abs. 1 ZVG. Nur Rückstände aus den letzten zwei Jahren fallen in die Rangklasse 3. Hingegen können einmalige Leistungen hinsichtlich der aus den letzten vier Jahren rückständigen Beträge mit der bevorrechtigten Rangklasse 3 geltend gemacht werden. 1.2.2.2

Grundsteuer/maßgeblicher Zeitpunkt

114 Die Grundsteuer ruht gemäß § 12 GrStG als öffentliche Last auf dem Grundstück. Grundsteuergläubiger können trotz des Vollstreckungsverbotes aus § 89 Abs. 1 InsO, wonach Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldner zulässig sind, dem Zwangsversteigerungsverfahren beitreten, weil sie auch hinsichtlich älterer Grundbesitzabgaben ein Recht auf abgesonderte Befriedigung haben. Die Rangklassenbestimmungen des § 10 ZVG beseitigen nicht die dingliche Haftung des Grundstücks und damit das Recht auf abgesonderte Befriedigung i. S. von § 49 InsO.97) ___________ 95) BGH, Urt. v. 30.6.1988 – IX ZR 141/87, NJW 1989, 107, 108; so auch OLG Zweibrücken, Urt. v. 27.11.2008 – 8 U 60/07, WM 2008, 179. 96) Rokitta-Liedmann in: JurionOK-ZVG § 10 Rz. 11. 97) BGH, Beschl. v. 6.10.2011 – V ZB 18/11, ZIP 2012, 147 Rz. 18.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

Dies hat Auswirkungen auch für die freihändige Veräußerung. Nach dem BGH98) kann 115 der Inhaber einer öffentlichen Last gemäß § 12 GrStG, wenn der Insolvenzverwalter das belastete Grundstück freihändig veräußert hat, zwar keine abgesonderte Befriedigung aus dem Veräußerungserlös verlangen; für eine dingliche Surrogation am Veräußerungserlös bestehe keine Notwendigkeit, da das Grundstück weiterhin hafte.99) Er kann aber weiter in das verkaufte Grundstück vollstrecken, und dies kollidiert mit dem Freistellungsinteresse des Käufers. Dem folgt auch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung: Die dingliche Haftung für rückständige Grundsteuern ist nicht durch § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG beschränkt.100) Eine Gefährdung für die Betriebsfortführung kann sich damit auch bei öffentlichen Grund- 116 stückslasten dadurch ergeben, dass der Inhaber des entsprechenden Anspruchs daraus die Zwangsversteigerung betreibt. 1.2.3 Grundpfandrechte i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG Zwar im Range nach den öffentlichen Lasten, von den Beträgen her aber in aller Regel 117 weitaus bedeutender ist die Haftung des Grundstücks für Grundpfandrechte nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG. In dieser Klasse gibt es für einmalige Leistungen, also insbesondere die auf Rückzahlung der gesicherten Darlehensforderungen gerichteten Hauptansprüche, keine zeitliche Begrenzung. Hingegen sind Zinsen nur zeitlich begrenzt berücksichtigungsfähig. Sind sie älter als die 118 nach § 13 ZVG errechneten zwei Jahre, so werden sie nur nach Rangklasse 8 bedient, es sei denn, der Gläubiger betreibt auch wegen der Zinsen das Verfahren; sie fallen dann in die Klasse 5.101) 1.3

Haftung der Insolvenzmasse (nur für die Zukunft)

1.3.1 Nach Eröffnung abgeschlossene Verträge; Erfüllungswahl Alle Ansprüche der Vertragspartner aus Schuldverhältnissen, die der Insolvenzverwalter 119 für und gegen die Masse abschließt, sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.102) Soweit der Insolvenzverwalter gegenseitige Verträge nach den §§ 103 ff. InsO durch Erfül- 120 lungswahl fortführt, werden die Ansprüche der Vertragspartner Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Bei teilbaren Leistungen, insbesondere Dauerschuldverhältnissen, bewirkt § 105 Satz 1 InsO, dass lediglich die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters entstehenden Ansprüche des Vertragspartners Masseverbindlichkeiten werden, während die Ansprüche aus der Zeit vor Eröffnung nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können.103) 1.3.2 Bei Vermietung des Betriebsgrundstücks: Vorsteuerberichtigung nach Wegfall der Umsatzsteueroption Hatte das schuldnerische Unternehmen das Betriebsgrundstück zumindest in Teilen un- 121 ter Option zur Umsatzsteuer an einen zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer ___________ 98) 99) 100) 101) 102) 103)

BGH, Urt. v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZIP 2010, 994. BGH, Urt. v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZIP 2010, 994 Rz. 11. Sächsisches OVG, Beschl. v. 8.1.2009 – 5 A 168/08, BeckRS 2009, 32731 = NJW-RR 2009, 950 (LS). Rokitta-Liedmann in: JurionOK-ZVG, § 10 Rz. 16, 17. Braun-Bäuerle/Schneider, InsO, § 55 Rz. 1. Braun-Bäuerle/Schneider, InsO, § 55 Rz. 48, 49.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

vermietet, vermietet der Insolvenzverwalter jedoch später an einen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Mieter (z. B. eine Arztpraxis), liegt eine Änderung der maßgeblichen Verhältnisse i. S. des § 15a UStG vor. Bei Grundstücken beträgt der Berichtigungszeitraum zehn Jahre seit erstmaliger Verwendung, § 15a Abs. 1 Satz 2 UStG. Führt der Insolvenzverwalter durch Vertragsabschluss mit einem neuen Mieter den Vorsteuerberichtigungstatbestand herbei, ist der Berichtigungsanspruch des Finanzamts Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 UStG (zu den Einzelheiten siehe unten § 36 Rz. 165 ff. [Schmittmann]). 2.

Gefährdung der Betriebsfortführung durch Zwangsvollstreckungen des Grundpfandrechtsgläubigers

122 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hindert den dinglich gesicherten Gläubiger nicht daran, die Zwangsvollstreckung aus dem dinglichen Titel in das Grundstück im Wege der Zwangsverwaltung oder der Zwangsversteigerung zu betreiben, § 49 InsO. Dies schließt nicht aus, dass der dinglich Berechtigte zugleich Inhaber einer persönlichen Forderung und damit Insolvenzgläubiger i. S. von § 38 InsO ist. 123 Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen, gehören haftungsrechtlich zur Insolvenzmasse, doch wird dies von dem privilegierten Zugriffsrecht des Absonderungsberechtigten überlagert.104) Wie Eckardt weiterhin zutreffend verdeutlicht, gehören die dinglichen Ansprüche aus Grundpfandrechten gewissermaßen zum Inhalt des jeweiligen Rechts. Ist dieses Recht wirksam vor Verfahrenseröffnung erworben und wird es weder durch eine Insolvenzanfechtung noch durch die Rückschlagsperre in seinem Bestand beeinträchtigt, so kann der Gläubiger die Zwangsvollstreckung in das Grundstück auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einleiten. Diese gesicherte Rechtsposition erlaube es ihm, in der Krise seines Schuldners „weitgehend gelassen abzuwarten“.105) 124 Auch wenn Grundpfandrechte ebenso wie Mobiliarsicherheiten im Insolvenzverfahren einbezogen sind, sich also Einschränkungen ihrer Rechtsposition im Vergleich zur Rechtslage außerhalb des Insolvenzverfahrens gefallen lassen müssen, sind die Konsequenzen der Einbeziehung bei Grundpfandrechten weit weniger tiefgreifend als bei den Mobiliarsicherheiten: dort hat der Absonderungsberechtigte keine Möglichkeit, seine Sicherheit auf eigene Initiative zu verwerten, sondern muss dies dem Insolvenzverwalter überlassen (vgl. § 166 InsO). Darüber hinaus steht dem Insolvenzverwalter ein pauschalierter Kostenbeitrag für die Kosten der Feststellung des beweglichen Gegenstandes und seiner Verwertung zu, § 171 InsO. Eckardt weist zur Gesetzgebungsgeschichte darauf hin, dass dem Gesetzgeber der InsO der langfristige Bodenkredit und die Sicherheit der Pfandbriefe so wichtig erschienen, dass er weitergehende Einschränkungen in das Verwertungsrecht des Grundpfandrechtsgläubigers nicht regeln wollte.106) Aus diesem Grunde wurde auch eine Möglichkeit zur Einschränkung der Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger im Insolvenzplan, wie sie gesetzlich nach § 223 InsO möglich ist, von der Insolvenzrechtsreformkommission nicht vorgesehen.107) Aus dieser nicht unerheblichen Privilegierung des Grundpfandrechtgläubigers ergeben sich konkurrierende Verwertungsrechte von Grundpfandrechtsgläubiger und Insolvenzverwalter. 125 Üblicherweise unterwirft sich der Darlehensnehmer bei der Bestellung eines Grundpfandrechtes als Sicherheit auch der sofortigen Zwangsvollstreckung hinsichtlich der persön___________ 104) 105) 106) 107)

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Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 13. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 17. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 24. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 399.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

lichen und der dinglichen Forderung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Dem Grundpfandrechtsgläubiger steht somit von Beginn ein Vollstreckungstitel zur Verfügung. Dabei nötigt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht generell zu einer Titelumschrei- 126 bung auf den Insolvenzverwalter. Nur wenn die Vollstreckung erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnen soll, bedarf es einer Vollstreckungsklausel gegen den Verwalter. Ist die Beschlagnahme hingegen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits wirksam geworden, wird sie von den Wirkungen der Insolvenz nicht mehr berührt (§ 80 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das bedeutet, dass eine auf den Schuldner lautende Vollstreckungsklausel nicht umgeschrieben werden muss. Der Insolvenzverwalter tritt zwar wegen der auf ihn übergegangenen Verwaltungs- und Verfügungsrechte an die Stelle des Schuldners. Gegen ihn müssen aber nicht die bereits gegenüber dem Schuldner erfüllten Vollstreckungsvoraussetzungen wiederholt werden. Die Notwendigkeit einer Umschreibung auf den Insolvenzverwalter besteht somit nur, wenn die Vollstreckung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingeleitet wird. Sie beruht dann aber nicht auf dem Gedanken der Rechtsnachfolge, auch wenn § 727 ZPO herangezogen wird, sondern sie beruht darauf, dass allein der Insolvenzverwalter wegen der auf ihn übergegangenen Verwaltungs- und Verfügungsrechte (§ 80 Abs. 1 InsO) Adressat von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sein kann.108) 2.1

Zwangsverwaltung

2.1.1 Antragsbefugnis Die Antragsbefugnis zur Einleitung eines Zwangsverwaltungsverfahrens steht neben dem 127 dinglich gesicherten Gläubiger gemäß § 165 InsO auch dem Insolvenzverwalter zu. Es ist der Praxis jedoch nur schwer eine Konstellation denkbar, in der der Insolvenzverwalter einen Antrag auf Zwangsverwaltung des von ihm i. R. der Betriebsfortführung weiter genutzten Betriebsgrundstückes stellen sollte, da die Zwangsverwaltung zur Folge hat, dass die Grundstückserträge auch im Fall des parallel stattfindenden Insolvenzverfahrens nicht zur Insolvenzmasse fließen, sondern eine Sondermasse bilden.109) 2.1.2 Abwehrmöglichkeiten des Insolvenzverwalters Häufiger ist deshalb die Konstellation anzutreffen, dass der Grundpfandrechtsgläubiger 128 die Zwangsverwaltung beantragt, § 49 InsO i. V. m. § 153 ZVG. Im eröffneten Insolvenzverfahren steht dem Insolvenzverwalter zur vollständigen oder 129 teilweisen Einstellung der Zwangsverwaltung die Abwehrmöglichkeit des § 153b ZVG zu Gebote. Er muss i. S. von § 294 ZPO glaubhaft machen, dass durch die Fortsetzung der Zwangsverwaltung eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Insolvenzmasse wesentlich erschwert wird. Eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Insolvenzmasse ist dann anzunehmen, wenn 130 die Masse dem Ziel der bestmöglichen Haftungsverwirklichung der Insolvenzgläubiger am nächsten kommt. Ein Anhaltspunkt ist dafür das im Berichtstermin von der Gläubigerversammlung beschlossene Verwertungskonzept des Verwalters oder ein Insolvenzplan.110) Die wirtschaftlich sinnvolle Nutzung ist nur dann i. S. der Vorschrift wesentlich erschwert, 131 wenn die Auswirkungen auf die Nutzung der Insolvenzmasse über das durch die Zwangsverwaltung übliche Ausmaß der Behinderung eines gleichzeitigen Insolvenzverfahrens hin___________ 108) BGH, Urt. v. 14.4.2005 – V ZB 25/05, DNotZ 2005, 840 = Rpfleger 2006, 423. 109) Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 338; s. zur Diskussion über die Sinnhaftigkeit weiter Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 346; Eickmann, ZIP 1986, 1517; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 165 Rz. 31. 110) Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134, 138; Kübler/Prütting/Bork-Flöther, InsO, Stand: 2/2015, § 165 Rz. 57.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

ausgehen. Wesentlich ist die Erschwerung dann, wenn wegen der Fortführung der Zwangsverwaltung ein zulässiges Verwertungskonzept zu scheitern droht, z. B. eine übertragende Sanierung des schuldnerischen Unternehmens nicht erfolgen kann oder die Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse nach § 228 InsO im Wege des Insolvenzplans misslingen würde.111) 132 Zwar wird vertreten, die Voraussetzungen einer einstweiligen Einstellung nach § 153b ZVG seien nicht mehr gegeben, wenn der Zwangsverwalter bereit sei, das zwangsverwaltete Betriebsgrundstück an den Insolvenzverwalter zu vermieten oder zu verpachten.112) Dies überzeugt jedoch nicht. § 153b ZVG muss nach seinem Schutzzweck bereits dann eingreifen, wenn der Insolvenzverwalteter des zwangsverwalteten Grundstücks Verhandlungen mit einem potentiellen Erwerber des schuldnerischen Betriebs aufnimmt,113) da dieser im Zweifel nur am Erwerb des Betriebs samt Grundstück interessiert ist. 133 Nicht beachtlich ist die Ankündigung des betreibenden Gläubigers, er werde an einer Veräußerung durch den Insolvenzverwalter mitwirken: Der Einwand ist zum einen gesetzlich nicht geregelt, zum anderen hat der Insolvenzverwalter keine Möglichkeit, seine daraus erwachsende potentielle Haftung abzuwenden.114) 134 In seinem Beschluss über die Einstellung der Zwangsverwaltung hat das Vollstreckungsgericht von Amts wegen einen Nachteilsausgleich zugunsten des betreibenden Grundpfandrechtsgläubigers festzusetzen, der durch laufende Zahlungen aus der Insolvenzmasse erfolgt, § 153b Abs. 2 ZVG.115) 135 Allerdings führt eine Entscheidung des Gerichtes nach § 153b ZVG lediglich zur Einstellung des Verfahrens, nicht jedoch zur Aufhebung. Damit bleibt auch die Beschlagnahme durch den Zwangsverwalter bestehen. Hauptauswirkung ist, dass der Zwangsverwalter keine Verfahrenshandlungen über das betreffende Grundstück mehr vornehmen kann.116) Hinsichtlich des Einstellungsantrags ist auch deshalb Eile geboten, da der Insolvenzverwalter einen von dem Zwangsverwalter zwischenzeitlich abgeschlossenen Mietvertrag nicht aufgrund der Einstellung des Zwangsverwaltungsverfahrens auflösen kann, sondern lediglich nach den Vorschriften des BGB kündigen.117) 136 Auf die sanierungshemmende Belassung der Entscheidungszuständigkeit bei den Vollstreckungsgerichten anstelle der Insolvenzgerichte wurde bereits eingegangen. 2.1.3 Vereinbarung einer „kalten Zwangsverwaltung“ 137 Auch um den etwaigen Schwierigkeiten bei der Auslegung der Einstellungsschutzvorschrift des § 153b ZVG aus dem Wege zu gehen, kommt die Vereinbarung einer „kalten Zwangsverwaltung“ zwischen dem vollstreckungsbereiten Gläubiger und dem zur Verwaltung bereiten Insolvenzverwalter in Betracht.118) 138 Die kalte Zwangsverwaltung ist gesetzlich nicht geregelt. Sie kann demzufolge nicht gerichtlich angeordnet werden, sondern bedarf einer Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Grundpfandrechtsgläubiger. Danach bewirtschaftet der Insolvenzverwalter ___________ 111) 112) 113) 114) 115) 116) 117) 118)

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Kübler/Prütting/Bork-Flöther, InsO, Stand: 2/2015, § 165 Rz. 58. So Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 397. Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134, 158. Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134, 139. Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134, 139. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 391. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 393 m. w. N. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 394.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

für den Grundpfandrechtsgläubiger wie ein gerichtlich bestellter Zwangsverwalter die vermieteten oder verpachteten Immobilien. Er zieht für diesen die Miet- oder Pachtzinsen ein und führt sie unter Anrechnung auf deren Forderungen gegen anteilige Vergütung ab.119) Die kalte Zwangsverwaltung kann für absonderungsberechtigte Gläubiger wie auch den 139 Insolvenzverwalter Vorteile bieten.120) Ihre Vereinbarung bietet sich insbesondere zur Entschärfung eines etwa aufkommenden Streits über die Zulässigkeit einer Fortführung des grundstücksgeprägten Gewerbebetriebs des Insolvenzschuldners an. Eine Vereinbarung zur kalten Zwangsverwaltung sollte nach den Empfehlungen von 140 Tetzlaff121) sowie Eckardt122) folgende Punkte berücksichtigen: x

Festlegung von Beginn und Dauer der kalten Zwangsverwaltung: Bestimmung eines fiktiven Beschlagnahmezeitpunktes, ggf. Abtretung der zukünftigen Mieten durch den Insolvenzverwalter an den Grundpfandrechtsgläubiger;

x

ggf. Regelung zu den rückständigen Mieten;

x

ggf. Regelung zur Aufteilung derjenigen Mieten, die vor dem Abschluss der Verwertungsvereinbarung bereits bei dem Insolvenzverwalter eingegangen sind;

x

Befriedigung von Kautionsansprüchen der Mieter/Pächter;

x

Regelung zur Abführung der Umsatzsteuer;

x

Regelung der Höhe der Beteiligung der Insolvenzmasse am Nettoertrag sowie Festlegung von Pauschalzahlungen;

x

Regelung zur Verrechnung der Mieterlöse mit den Forderungen des Grundpfandrechtsgläubigers (Hauptforderung und Zinsen);

x

Festlegungen hinsichtlich der Durchführung von Renovierungen, Werbeaktionen (für Neuvermietung) und Maßnahmen der Objektpflege, -verbesserung und -entwicklung, insbesondere Kostentragung für diese Maßnahmen;

x

Freistellung der Insolvenzmasse von den Kosten für die Unterhaltung der Immobilie (Grundsteuer, Bewachungskosten u. a.);

x

Regelungen über die Art und Weise der Verwaltung des Grundstücks: x Verwaltung durch Insolvenzverwalter und seine Mitarbeiter, x Verwaltung durch die Mitarbeiter des Schuldners (sog. „kalte Eigenverwaltung“), x Bestellung eines externen Verwalters (sog. „kalte Institutszwangsverwaltung“).

2.1.4 Spannungsverhältnis zwischen § 100 InsO und § 149 ZVG (Unterhaltsgewährung an den Schuldner) § 149 Abs. 1 ZVG gibt dem Schuldner, der zum Zeitpunkt der Beschlagnahme auf dem 141 Grundstück auch wohnt, einen Anspruch auf unentgeltliche Überlassung der für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume. Lange war umstritten, in welchem Verhältnis die Vorschrift zu § 100 InsO steht, wenn Zwangsverwaltungsverfahren und Insolvenzverwaltungsverfahren zusammentreffen.123) ___________ 119) Kübler/Prütting/Bork-Flöther, InsO, Stand:2/2015, § 165 Rz. 55a; Gottwald-Adolphsen, InsR-Hdb., § 42 Rz. 111. 120) Zu den Einzelheiten s. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 418, 419; Molitor, ZInsO 2011, 1486. 121) Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 189. 122) Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 423. 123) Vgl. die ausführliche Darstellung des Streitstandes in der 2. Aufl., 2014, dort § 13 [Schorisch/ Cornelius] Rz. 140 bis 147.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

142 Nach dem OLG München124) sollte die dem Schuldner günstige Regelung in § 149 Abs. 1 ZVG auf unentgeltliche Nutzungsüberlassung, jedenfalls bei einem nach Beginn des Zwangsverwaltungsverfahrens hinzutretenden Insolvenzverfahren, den Vorrang haben. 143 Dies würde jedoch dazu führen, dass das Ergebnis von der – zufälligen – Reihenfolge der jeweiligen Verfahrenseröffnung abhängt: Bei hinzutretender Zwangsverwaltung bliebe die Schlechterstellung aus dem Insolvenzverfahren erhalten (so die h. M.), während bei hinzutretender Insolvenzverwaltung die Besserstellung aus der Zwangsverwaltung fortgesetzt würde (so das OLG München). 144 Nunmehr hat der BGH125) in der Konstellation des zu einem bereits eröffneten Insolvenzverfahren hinzutretenden Zwangsverwaltungsverfahren entschieden und kommt zum Ergebnis, dass der vom BGH früher126) angenommene Vorrang des Insolvenzrechts bei gleichzeitiger Zwangsverwaltung nur in tatsächlicher, nicht jedoch in rechtlicher Hinsicht besteht. Vielmehr bestehen das Wohnrecht des ersten Titelschuldners gegenüber dem Zwangsverwalter und das Recht des (in der Regel personenidentischen) Insolvenzschuldners auf pflichtgemäße Ermessensausübung, ob ihm der Gebrauch der eigenen Wohnung weiterhin gestattet wird, nebeneinander. Die Folgerungen aus den beiden maßgeblichen Rz. 10 und 11 des Urteils hält der BGH in den Leitsätzen fest: „a) Vollstreckt ein absonderungsberechtigter Gläubiger im Wege der Zwangsverwaltung nach Titelumschreibung gegen den Insolvenzverwalter in weiterhin selbstgenutztes Wohneigentum eines Insolvenzschuldners, kann der Besitzergreifung des Zwangsverwalters das Recht des Schuldners entgegengehalten werden, ihm die für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume unentgeltlich zu belassen.“ [Rz. 10] „b) Ist der weitere Gebrauch des selbst genutzten Wohneigentums dem Insolvenzschuldner von der Gläubigerversammlung oder dem Insolvenzverwalter nicht gestattet worden, obliegt allein dem Insolvenzverwalter, die Inbesitznahme des Wohneigentums für die Insolvenzmasse gegenüber dem Insolvenzschuldner durchzusetzen. Der Insolvenzverwalter als Verfahrensschuldner hat dann dem Zwangsverwalter auf Verlangen den Besitz an dem Wohneigentum zu verschaffen.“ [Rz. 11]

2.2

Zwangsversteigerung

2.2.1 Antragsbefugnis 145 § 165 InsO i. V. m. §§ 172 ff. ZVG gibt dem Insolvenzverwalter das Recht, selbst die Zwangsversteigerung eines zur Masse gehörenden Grundstücks zu betreiben. Damit in Konkurrenz steht das trotz Insolvenzeröffnung gegebene Recht des Grundpfandrechtsgläubigers, die Zwangsversteigerung nach § 49 InsO zu betreiben. 146 Auch hier ist festzustellen, dass eine isolierte Zwangsversteigerung des Grundstücks durch den Insolvenzverwalter dann nicht sinnvoll, sondern kontraproduktiv ist, wenn er das Betriebsgrundstück für die Betriebsfortführung weiter benötigt. 147 Bei einer Zwangsvollstreckung in Altmassen droht die Aufdeckung stiller Reserven mit der Folge, dass die darauf entfallende Ertragsteuerschuld als Masseverbindlichkeit in voller Höhe aus der Insolvenzmasse zu berichtigen ist. Einzelheiten der einschlägigen BFH-Rechtsprechung werden unter Rz. 189 – 193 abgehandelt, da das maßgebliche Urteil des BFH127) zu einem Fall freihändigen Verkaufs erging. Die Qualifikation der aus der Aufdeckung stiller Reserven entstehenden Steuerschuld als Masseverbindlichkeit gilt jedoch in allen Fällen der Verwertung, auch bei Zwangsversteigerung durch den Insolvenzver___________ 124) 125) 126) 127)

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OLG München, Beschl. v. 16.6.2005 – 5 U 2553/05, juris. BGH, Urt. v. 25.4.2013 – IX ZR 30/11, ZIP 2013, 1189. BGH, Urt. v. 11.10.1984 – VII ZR 216/83, ZIP 1984, 1504. BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, ZIP 3013, 1481, dazu EWiR 2013, 621 (Schmittmann).

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

walter oder den Grundpfandrechtsgläubiger. Zu Ertragsteuern in der Insolvenz siehe unten § 36 Rz. 91 ff. [Schmittmann]. Hatte das schuldnerische Unternehmen seinerzeit beim Erwerb des Grundstücks zur Um- 148 satzsteuer optiert, besteht für den Insolvenzverwalter außerdem das bereits unter Rz. 121 angesprochene Haftungsrisiko, dass durch die Zwangsversteigerung ein Vorsteuerberichtigungstatbestand gemäß § 15a UStG ausgelöst wird, wenn er nicht spätestens im Versteigerungstermin eines solchen Grundstücks selbst zur Umsatzsteuer optiert. Der daraus resultierende Berichtigungsanspruch ist Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.128) Die vom Grundpfandrechtsgläubiger initiierte Zwangsversteigerung des Betriebsgrundstücks 149 entzieht somit nicht nur der Betriebsfortführung die tatsächliche Grundlage, sondern verringert zudem die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger durch zusätzliche Belastung der Masse mit Masseverbindlichkeiten. 2.2.2 Abwehrmöglichkeiten des Insolvenzverwalters Betreibt ein Grundpfandrechtsgläubiger die Zwangsversteigerung des Grundstücks, kann 150 der Verwalter im eröffneten Verfahren unter den Voraussetzungen von § 30d Abs. 1 ZVG die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens beantragen. Die Entscheidung des Gerichts erfolgt als gebundene Entscheidung („ist auf Antrag […] 151 einstweilen einzustellen, […]“). In der Frühphase nach Eröffnung gewährt zunächst Nr. 1 die Einstellungsmöglichkeit, solange die Gläubigerversammlung zum Berichtstermin nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO noch nicht stattgefunden hat. Aufgrund des Ergebnisses des Berichtstermins ist das Verfahren einstweilig einzustellen, wenn das Grundstück für eine Fortführung des Unternehmens oder die für die Vorbereitung der Veräußerung eines Betriebes oder einer anderen Gesamtheit von Gegenständen benötigt wird. Zum Nachweis muss der Insolvenzverwalter den Beschluss der Gläubigerversammlung im Berichtstermin mit dem entsprechenden Inhalt vorlegen.129) In formaler Hinsicht ist zu beachten, dass gemäß § 30d Abs. 3 ZVG die Voraussetzungen für die Einstellung i. S. von § 294 ZPO glaubhaft gemacht werden müssen. Nach zutreffender Auffassung von Mönning/Zimmermann130) ist dazu lediglich erforderlich, dass der Verwalter den Gläubigern im Berichtstermin ein Verwertungskonzept für das unter Zwangsverwaltung stehende Grundstück vorlegt. Für welche Dauer etwa eine Fortführung beschlossen wird, soll hingegen nicht entscheidend 152 sein, da § 157 Satz 1 InsO ohnedies von einer nicht unbegrenzten Fortführung ausgeht. Es gibt also keine Mindestdauer für die Fortführung. Andererseits fehlt es auch an einer Höchstdauer.131) Die Dauer der Einstellung stößt jedoch an die Grenze des § 30f ZVG, wonach der betreibende Gläubiger einen Aufhebungsantrag stellen kann, wenn er darlegt, dass die Voraussetzungen für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung weggefallen sind. ___________ 128) Gleichgültig, ob die Zwangsversteigerung vom Insolvenzverwalter selbst oder vom Grundpfandrechtsgläubiger betrieben wird, hat der Insolvenzverwalter – zudem anders als bei der freihändigen Veräußerung (s. u. Rz. 178 f.) – keinen Einfluss darauf, wem das Gericht den Zuschlag erteilt und ob damit ein Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne oder ein Nichtunternehmer das Grundstück erwirbt. Eine besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich dieser Eventualität und ggf. eine Absprache mit dem Grundpfandrechtsgläubiger ist für den Insolvenzverwalter zur Vermeidung von Haftungsrisiken unverzichtbar. 129) Nerlich/Kreplin-Goebel, MAH Sanierung und Insolvenz, § 33 VI. Rz. 59. 130) Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134, 135. 131) Nerlich/Kreplin-Goebel, MAH Sanierung und Insolvenz, § 33 VI. Rz. 59.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

3.

Das vom Schuldner gemietete oder gepachtete Grundstück

3.1

Fortbestehen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO

153 Während die Vorschrift des § 103 InsO, wie dargelegt, im Zusammenhang mit der Sicherung des Betriebsgrundstückes gegen Eigentumsverlust zulasten der Insolvenzmasse von Bedeutung ist, gelten für die mit der Nutzung des Betriebsgrundstückes üblicherweise verbundenen langfristigen Verträge (Miete, Pacht) entscheidende Modifikationen in den §§ 108 – 112 InsO. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. 3.1.1 Gebrauchsüberlassungspflicht des Vermieters 154 Rechtsfolge ist zunächst, dass der Vermieter zur Überlassung des Gebrauchs der Mietsache verpflichtet bleibt. 3.1.2 Mietzahlungspflicht des Verwalters insbesondere: Tilgungsbestimmungsrecht des Insolvenzverwalters132) 155 Setzt der Verwalter den Mietvertrag und die Nutzung des gemieteten Grundstücks nach Eröffnung fort, sind die Mietzinsansprüche des Vermieters Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO.133) 156 Aufgrund zweier amtsgerichtlicher Entscheidungen134) ist die Frage problematisiert worden, ob bei einer zu geschäftsüblicher Uhrzeit am Monatsersten erfolgenden Verfahrenseröffnung die gesamten Mietzinsen des Eröffnungsmonats nicht als Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich als Insolvenzforderungen einzuordnen sind, weil sie an demselben Tag bereits um 0.00 Uhr und damit vor Eröffnung entstanden sind.135) 157 Dem ist Geißler136) zunächst mit einer Rechtsfolgenüberlegung entgegengetreten: Der Ansatz laufe darauf hinaus, dass der Vermieter in der Insolvenz des Mieters für den gesamten im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung laufenden Bemessungszeitraum bloßer Insolvenzgläubiger sei. Richtig sei es daher, den Eröffnungszeitpunkt als die maßgebliche Zäsur anzusehen. Aus § 108 Abs. 3 InsO ergebe sich die Teilbarkeit der insolvenzrechtlichen Qualifikation des Gebrauchsüberlassungsverhältnisses und des korrespondierenden Entgeltanspruches. Deshalb seien nur die Ansprüche, die dem vor Eröffnung liegenden Anteil des Bemessungszeitraums zuzuordnen seien, als Insolvenzforderungen zu qualifizieren, die danach liegenden hingegen als Masseverbindlichkeiten.137) Obergerichtliche Rechtsprechung liegt zu dieser Frage noch nicht vor, so dass eine klare Positionierung derzeit nicht möglich ist. Insofern trifft der Hinweis von Rosenmüller138) zu, dass die Insolvenzverwalter gehalten sind, ihre gängige Praxis im Lichte seiner Auffassung zu überprüfen.139)

___________ 132) Dazu OLG Dresden, Urt. v. 19.10.2011 – 13 U 1179/10, ZIP 2012, 2266, dazu EWiR 2011, 819 (Mitlehner). 133) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 1/2008, § 108 Rz. 16. 134) AG Berlin-Spandau, Urt. v. 30.11.2011 – 13 C 376/11, JurionRS 2011, 36836; AG Berlin-Tempelhof, Urt. v. 2.2.2012 – 16 C 316/11, ZInsO 2012, 1137. 135) So auch Rosenmüller, ZInsO 2012, 1110, der nach Angaben in seinem Aufsatz die beiden amtsgerichtlichen Entscheidungen erstritten hat. 136) Geißler, ZInsO 2012, 1206. 137) Geißler, ZInsO 2012, 1206, 1208. 138) Rosenmüller, ZInsO 2012, 1110. 139) Heyn, InsbürO 2012, 485.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

Durch eine Entscheidung des OLG Dresden140), die vom BGH nicht überprüft werden 158 konnte, wurde eine „Komplikation“ bei der Abwicklung von Masseverbindlichkeiten bedeutsam. In dem entschiedenem Fall hatte der Insolvenzverwalter die als Masseverbindlichkeiten einzuordnende Miete zunächst nicht bezahlt. Nach Verwertung der mit dem Vermieterpfandrecht belasteten Gegenstände beglich er die Rückstände. Nach Auffassung des OLG Dresden war der Insolvenzverwalter berechtigt, bei Auskehr 159 des Verwertungserlöses für Gegenstände, die dem Vermieterpfandrecht unterliegen, nach § 366 Abs. 1 BGB zu bestimmen, dass zunächst diejenigen Mietzinsforderungen des Vermieters, die als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind, zuerst getilgt werden sollten, und dann erst offene Mietzinsen und Insolvenzforderungen. Neben mehreren kritischen Stimmen in der Literatur141) hat das OLG Karlsruhe142) (siehe auch die zustimmende Anmerkung von Weiß/Rußwurm)143) das Tilgungsbestimmungsrecht des Insolvenzverwalters bei der Verwertung von Sicherungsgut abgelehnt. Diese Entscheidung hat der BGH144) bestätigt. Danach bleibt es auch bei der Verwertung von Sicherungsgut bei der gesetzlichen Tilgungsreihenfolge des § 366 Abs. 2 BGB. In den Urteilsgründen stellt der BGH darauf ab, dass die Befugnis zur Tilgungsbestimmung eine Vergünstigung nur für freiwillig leistende Schuldner darstelle. Weder in der Einzelzwangsvollstreckung noch in der Gesamtvollstreckung, die der Insolvenzverwalter betreibt, sei dafür Raum.145) Das OLG Dresden hat den von ihm entschiedenen Fall von der Konstellation im Urteil 160 des OLG Hamburg146) abgegrenzt. Nach der letztgenannten Entscheidung bleibt der Vermieter, der vor Eröffnung eine vertragsgemäße Mietsicherheit erhalten hat, in der Insolvenz des Mieters berechtigt zu bestimmen, ob diese zur Tilgung von Schulden des Mieters eingesetzt werden soll und ggf. für welche Schuld. 3.2

Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 InsO

Will der Insolvenzverwalter das Mietverhältnis kündigen, weil er das Grundstück in einem 161 späteren Zeitpunkt nicht mehr für die Betriebsfortführung benötigt, etwa weil im Wege der Sanierung der Betrieb verlegt wird, hat er ein Sonderkündigungsrecht nach § 109 Abs. 1 Sätze 1, 3 InsO. Zu beachten ist, dass das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters dann nicht gegeben ist, 162 wenn der Vermieter bei Eröffnung des Verfahrens die vermieteten Räume dem Schuldner noch nicht überlassen hatte.147) Dies kann für die Fortführung und Sanierung des Schuldnerunternehmens ausnahmsweise dann von Bedeutung sein, wenn etwa der Schuldner bereits vor Eröffnung Mietverträge über Grundstücke, die für die Sanierung erforderlich sind, eingegangen war, von denen der Vermieter im Verfahren zurücktritt.148)

___________ 140) 141) 142) 143) 144) 145) 146) 147)

OLG Dresden, Urt. v. 19.10.2011 – 13 U 1179/10, ZIP 2012, 2266. Lütcke, NZI 2012, 262; Obermüller, NZI 2011, 663. OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.3.2014 – 14 U 180/12, ZIP 2014, 786, dazu EWiR 2014, 657 (Weiß). Weiß/Rußwurm, EWiR 2014, 657. BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 69/14, ZIP 2014, 2248, dazu EWiR 2014, 783 (Mordhorst). Zustimmend: Flatow in: jurisPR-MietR 2/2015 Anm. 6. OLG Hamburg, Urt. v. 24.4.2008 – 4 U 152/07, ZMR 2008, 714, dazu EWiR 2008, 567 (Schoppe). Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 11/2011, § 103 Rz. 60; BGH, Urt. v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, ZIP 2007, 2087. 148) Wegener in: FK-InsO, § 109 Rz. 23.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

3.2.1 Kündigungsfrist max. drei Monate § 109 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO 163 Der Regelungszweck des § 109 InsO liegt in der Begrenzung von Masseverbindlichkeiten ohne gleichwertigen Vorteil der Masse und dient damit dem Ziel, die Masse nicht mit Miet- oder Pachtansprüchen zu belasten, wenn eine wirtschaftliche Nutzung des Objektes nicht mehr möglich ist. Die Gestaltungsrechte, die § 109 InsO dem Verwalter an die Hand gibt, vermeiden, dass das Dauerschuldverhältnis die Masse über die Kündigungsfrist hinaus belastet, ohne dass sie den Vertragsgegenstand angemessen nutzen oder überhaupt einen Gegenwert erlangen kann.149) Da der Verwalter das Datum der Vertragsbeendigung bestimmt, kann er das Schuldnerunternehmen bis zur Veräußerung oder Stilllegung in gemieteten Räumen fortführen, ohne bei längerer Vertragslaufzeit für die Zukunft vor der Alles- oder Nichts-Entscheidung des § 103 InsO zu stehen.150) 3.2.2 Schadensersatzanspruch des Vermieters (nur) Insolvenzforderung § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO 164 Hat der Verwalter das Mietverhältnis nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO gekündigt, so kann der Vermieter wegen der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses lediglich als Insolvenzgläubiger Schadensersatz verlangen. Demzufolge ist eine Schadensersatzforderung ausgeschlossen, falls der Schuldner mit derselben Frist hätte kündigen können.151) Es handelt sich um eine bloße Differenzforderung, nicht um einen echten Anspruch auf Schadensersatz. Der Vermieter kann also im Höchstfalle die Insolvenzquote auf denjenigen Mietbetrag verlangen, den er außerinsolvenzlich vom Schuldner bis zu dessen erster Kündigungsmöglichkeit erhalten hätte.152) 3.3

Nutzungsüberlassung durch den nicht unwesentlich beteiligten Gesellschafter des Schuldners (mit Sonderfall Betriebsaufspaltung), § 135 Abs. 3 InsO

165 Bis zur Entscheidung des BGH vom 29.1.2015153) war fraglich, ob und inwieweit die Auslegung dieser Vorschrift durch das vormalige Eigenkapitalersatzrecht beeinflusst ist. Im Einzelnen sind folgende Punkte durch die BGH-Entscheidung nunmehr geklärt. 3.3.1 Keine Pflicht zur unentgeltlichen Nutzungsüberlassung 166 Der BGH hat das Bestehen einer „Finanzierungsfolgenverantwortung“ des Gesellschafters nach der Insolvenzrechtsreform durch das MoMiG verneint. Der Gesellschafter ist daher nicht mehr verpflichtet, der Gesellschaft sein Grundstück unentgeltlich zu überlassen. 3.3.2 Fortbestehen des Nutzungsverhältnisses und Aussonderungssperre für ein Jahr 167 Gemäß §§ 108 Abs. 1 Satz 1, 109 Abs. 1 Satz 1 InsO wird das Nutzungsverhältnis über das Betriebsgrundstück von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt. Allerdings kann der Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ordentlich kündigen. Ist Vermieter des Betriebsgrundstückes ein mit mehr als einer Kleinbeteiligung gemäß § 39 Abs. 5 InsO beteiligter Gesellschafter, darf dieser seinen nach Ende des Nutzungsverhältnisses fälligen Aussonderungsanspruch für ein Jahr nicht geltend machen. Voraussetzung dafür ist, dass das Grundstück – wie im Falle der Betriebsfortführung regelmäßig – für die Unterneh___________ 149) 150) 151) 152) 153)

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Kübler/Prütting/Bork–Tintelnot, InsO, Stand: 1/2008, § 109 Rz. 4. Kübler/Prütting/Bork–Tintelnot, InsO, Stand: 1/2008, § 109 Rz. 5. Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 1/2008, § 109 Rz. 48. Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 1/2008, § 109 Rz. 49. BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, ZIP 2015, 589, dazu EWiR 2015, 453 (Spliedt).

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

mensfortführung von erheblicher Bedeutung ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn des einjährigen Zeitraumes ist – entgegen dem Wortlaut – der Tag der Insolvenzantragstellung. Der BGH hat sich der überwiegenden Literaturmeinung angeschlossen, dass es sich bei dem vom Gesetz normierten Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens um ein redaktionelles Versehen handelt. Nach der Antragstellung wird im Falle der Betriebsfortführung ganz überwiegend ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden. Wie dieser seine Befugnisse oder seine Zustimmungsvorbehalte ausüben wird, entzieht sich dem Einfluss des Gesellschafters, der das Grundstück zur Nutzung überlassen hat. 3.3.3 Entschädigung statt Pflicht zur unentgeltlichen Nutzungsüberlassung Bis zur Beendigung des Mietvertrages aufgrund einer vom Insolvenzverwalter ggf. ausge- 168 sprochenen Kündigung besteht der Mietvertrag fort. Demzufolge kann der Vermieter vom Insolvenzverwalter die Begleichung der vereinbarten Miete als Masseverbindlichkeit verlangen. Auch nach Wegfall des Eigenkapitalersatzrechts wird dieser Grundsatz nicht durchbrochen, selbst wenn der Miet- oder Pachtvertrag zwischen der insolventen Gesellschaft und einem an ihr nicht unwesentlich beteiligten Gesellschafter abgeschlossen wurde.154) Kündigt der Insolvenzverwalter und wird die Kündigung vor Ablauf der einjährigen Aussonderungssperre wirksam, steht dem Gesellschafter nach § 135 Abs. 3 Satz 2 InsO ein Ausgleichsanspruch zu. Auch dieser Entschädigungsanspruch ist Masseverbindlichkeit.155) 3.3.4 Berechnung der Höhe der Entschädigung Der als Ausgleich für die Pflicht zur Nutzungsüberlassung an den Gesellschafter zu zah- 169 lende Betrag richtet sich im Ausgangspunkt nach den Konditionen des vorinsolvenzlich geschlossenen Vertrages. Bei der Durchschnittsberechnung kommt es jedoch allein auf die tatsächlich entrichtete 170 Vergütung an. Falls die Nutzungsdauer ein Jahr unterschreitet, ist der Durchschnitt der während dieses Zeitraumes erbrachten Zahlungen zu berücksichtigen.156) 3.3.5 Nichtberücksichtigung anfechtbar erlangter Beträge Nach Sinn und Zweck der Vorschrift können nur solche Zahlungen bei der Bemessung 171 des Anspruchs angerechnet werden, die der Gesellschafter trotz der Verfahrenseröffnung behalten darf. Deshalb haben anfechtbare Zahlungen außer Ansatz zu bleiben, weil sie dem Gesellschafter keine dauerhaft verbleibende Befriedigung gewähren.157) Zur Frage der Anfechtbarkeit ist zunächst festzuhalten, dass die Zahlung eines vertraglichen 172 Nutzungsentgeltes nicht als Befriedigung einer Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens, sondern nur als Befriedigung einer einem Darlehen gleichgestellten Forderung angefochten werden kann.158) Zwar werden Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens mit Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, insoweit rechtlich gleichbehandelt, als sie beide dem insolvenzrechtlichen Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unterworfen sind. Dies entspricht insoweit dem früheren Eigenkapitalersatzrecht.159) Bei der Anfechtbarkeit unterscheidet der BGH zwischen Kreditrückzahlungen (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO) und der Entrichtung von Nutzungsentgelten, für die ___________ 154) 155) 156) 157) 158) 159)

BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rz. 58, ZIP 2015, 589. BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rz. 60, ZIP 2015, 589. BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rz. 55, ZIP 2015, 589. BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rz. 55, ZIP 2015, 589. BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rz. 65, ZIP 2015, 589. BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rz. 66, ZIP 2015, 589.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO wegen der abweichenden Forderungsart nicht durchgreift. Insbesondere verwirft der BGH die Ansicht, schon die Nutzungsüberlassung entspreche einer Darlehensgewährung, und dieses Darlehen werde mit der Entrichtung der Nutzungsentgelte zurückgeführt.160) Vielmehr führt der BGH aus, dass nach dem gesetzgeberischen Konzept des MoMiG bei einer Nutzungsüberlassung die Kreditgewährung nur das Entgelt betreffen kann und sich nicht schon in der vorausgehenden Nutzungsüberlassung als solche äußert. Damit kann die Tilgung von Nutzungsentgelten nicht als Darlehensrückzahlung, sondern nur im Falle einer vorherigen Stundung oder eines Stehenlassens als Befriedigung einer darlehensgleichen Forderung der Anfechtung unterworfen werden.161) 173 Einem Darlehen entsprechen alle aus Austauschgeschäften herrührenden Forderungen, die der Gesellschaft rechtlich oder rein faktisch gestundet werden, weil jede Stundung bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung bewirkt. 174 Wird eine Leistung jedoch nach den Grundsätzen des Bargeschäfts abgewickelt, scheidet eine rechtliche oder rein faktische Stundung, die allein zu einer Umqualifizierung als Darlehen führt, aus.162) Dies bedeutet, dass Nutzungsentgelte, die innerhalb von 30 Tagen nach dem vertraglich vereinbarten Fälligkeitstermin gezahlt worden sind, nicht anfechtbar sind. 175 Im entschiedenen Fall hat sich der BGH nicht mit möglichen weiteren Anfechtungstatbeständen auseinandergesetzt. Beispielsweise kann bei einem deutlich überhöhten Nutzungsentgelt eine Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO in Betracht kommen.163) Zu Recht weist Bormann164) darauf hin, dass der Insolvenzverwalter auch in dieser Konstellation hilfsweise immer weitere Anfechtungstatbestände zu prüfen hat. 176 Weiterhin wird von Spliedt kritisch angemerkt, dass gerade im Falle der Betriebsfortführung der Insolvenzverwalter in eine Zwickmühle gebracht wird, weil die Masse das vorinsolvenzlich vereinbarte Nutzungsentgelt und nicht lediglich die möglicherweise aufgrund der Durchschnittsberechnung niedrigere Entschädigung zahlen muss, solange das Nutzungsverhältnis fortbesteht. Kündigt der Insolvenzverwalter nicht, weil er das Grundstück für die Betriebsfortführung braucht, zahlt er zu viel, kündigt er, gefährdet er die langfristige Unternehmenserhaltung.165) IV.

Exit-Strategien des Insolvenzverwalters

177 Die Sicherung und Erhaltung des Grundstücks ist kein Selbstzweck. Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 159 InsO eine Verwertungspflicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger. Dabei hat er neben der Verwertungsmöglichkeit durch Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, die in § 165 InsO vorgesehen sind, das sich aus §§ 159, 160 Abs. 2 Nr. 1, 164 InsO ergebende166) Recht, Grundvermögen zu veräußern, auch wenn es mit Absonderungsrechten belastet ist.167) 178 Im Falle der Zwangsversteigerung ermittelt das Vollstreckungsgericht die für das geringste Gebot maßgeblichen Ansprüche der absonderungsberechtigten Gläubiger und führt an___________ 160) So aber: Hölzle, ZIP 2009, 1939, 1947. 161) So bereits OLG Schleswig, Urt. v. 13.1.2012 – 4 U 57/11, ZIP 2012, 885; nunmehr auch BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rz. 69, ZIP 2015, 589. 162) BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rz. 70, ZIP 2015, 589 mit Verweis auf BGH, Urt. v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, ZIP 2014, 1491, dazu EWiR 2014, 561 (Ries). 163) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Gehrlein, FAKomm-InsR, § 135 Rz. 23. 164) Bormann, GmbHR 2015, 420, 430 (Urteilanm.). 165) Spliedt, EWiR 2015, 453, 454. 166) Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. M Rz. 9. 167) Büchler, ZInsO 2011, 718, 719; Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 177 ff.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

schließend die Erlösverteilung durch. Da hingegen bei der freihändigen Veräußerung alle eingetragenen dinglichen Rechte am Grundstück bestehen bleiben und hinsichtlich der nicht eingetragenen dinglichen Verbindlichkeiten des Grundstücks kein gutgläubig lastenfreier Erwerb möglich ist, muss der Insolvenzverwalter selbst die dinglich berechtigten Anspruchsinhaber ermitteln und dafür sorgen, dass sie auf ihre Rechte am Grundstück verzichten.168) 1.

Grundstück als Teil eines Asset Deals – Verwertung des (grundpfandrechtlich belasteten) Grundstücks durch den Insolvenzverwalter

1.1

Verhandlungen mit Interessenten für den Geschäftsbetrieb

Im Falle der erfolgreichen Betriebsfortführung steht die Planbestätigung oder Verwertung 179 des Geschäftsbetriebs als Ganzes im Vordergrund, für dessen Aufrechterhaltung der Schuldner oder der Erwerber in aller Regel das Grundstück ebenfalls benötigen wird. 1.2

Ermittlung des Kaufpreisanteils auf Grundlage des Verkehrswertes

Unterschiedliche Interessen ergeben sich vor allem, wenn das isoliert bewertete Grundstück 180 einen höheren Verkehrswert hat als es seinem Anteil i. R. des Geschäftsbetriebsverkaufs entspricht, weil dieser vornehmlich nach dem Ertragswert des Gesamtunternehmens berechnet wird, während sich der Verkehrswert des Grundstücks aus dessen Ertragsmöglichkeiten ergibt. Beispiel: Die gute Verkäuflichkeit des Geschäftsbetriebs als Ganzes kann sich daraus ergeben, dass das Unternehmen sein eigenes Grundstück nutzen kann: Da das Grundstück nicht abgeschrieben wird, fallen ergebniswirksame Abschreibungen nur hinsichtlich der aufstehenden Gebäude an. Je geringer Grundstück und Gebäude bewertet werden, desto geringer ist der Aufwand, was die Ertragsaussichten des Unternehmens verbessert und damit den Kaufpreis für die zu verkaufende Gesamtheit der Vermögensgegenstände erhöht. Ist dagegen bei Vermietung an ein anderes, solventeres Unternehmen eine höhere als die fiktive Miete zu erzielen, erhöht dies den Verkehrswert des Grundstücks. Der Grundpfandrechtsgläubiger kann dann versucht sein, seine Zustimmung zum Verkauf i. R. des Asset Deals zu verweigern und eine isolierte Verwertung des Grundstücks zu betreiben. Gegen einen etwaigen Zwangsversteigerungsantrag des Grundpfandrechtsgläubigers kann 181 der Insolvenzverwalter jedoch einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 30d Abs. 1 Nr. 2 ZVG stellen, wenn das Grundstück für die Fortführung des schuldnerischen Betriebs benötigt wird (siehe oben Rz. 150 ff.). 1.3

Abschluss einer Verwertungsvereinbarung mit dem/den Absonderungsberechtigten

Sind sich Insolvenzverwalter und Grundpfandrechtsgläubiger grundsätzlich darüber einig, 182 dass der Insolvenzverwalter das belastete Grundstück freihändig (mit-)veräußern soll, muss darüber eine Vereinbarung geschlossen werden, die im Wesentlichen folgende Punkte enthalten sollte:169) x

Angabe der Grundpfandrechte des gesicherten Gläubigers sowie der Höhe der gesicherten Forderungen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens;

x

Vereinbarung von Mindesterlösen und ggf. Regelung eines Zustimmungsvorbehalts zugunsten des Grundpfandrechtsgläubigers;

___________ 168) Büchler, ZInsO 2011, 718, 720. 169) Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 186.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

x

Regelung der Höhe der Beiträge zugunsten der Insolvenzmasse;

x

Regelungen bezüglich der Ablösung dritter (nachrangiger) Grundpfandrechtsgläubiger und etwaiger weiterer Absonderungsberechtigter, deren Rechte nicht im Grundbuch eingetragen sind (Höhe der „Lästigkeitsprämie“);

x

Regelung für den Fall einer Rückabwicklung des Kaufvertrages (Herausgabe des Geldes, Wiederbestellung des Grundpfandrechts) und für den Fall der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen;

x

Vereinbarung über die Kostentragung für zwischenzeitliche Unterhaltung der Immobilie (Grundsteuern, Bewachungskosten, für die Beseitigung von Umweltaltlasten entstehende Kosten u. a.);

x

Vereinbarung über die Tragung der bei der Veräußerung bzw. Lastenfreistellung anfallenden Kosten (Notar, Makler);

x

Regelung der Zahlung von Umsatzsteuer;170)

x

Regelung zur Tragung der bei Aufdeckung stiller Reserven anfallenden Ertragsteuern;171)

x

Abwicklung der Pfandfreigabe und der Verrechnung des Verwertungserlöses.

183 Büchler172) weist auf das Bedürfnis eines Vorbehalts zur Regulierung etwaig nicht berücksichtigter Absonderungsberechtigter in der Verwertungsvereinbarung hin. In einem der vom BGH entschiedenen Fälle hatte der Insolvenzverwalter bei der Veräußerung eines Grundstücks rückständige Grundsteuerforderungen der Gemeinde nicht berücksichtigt,173) in einem anderen Falle hatte er ein Erbbaurecht veräußert, für das noch offene Erbbauzinsen bestanden.174) 184 Beiden Belastungen ist gemeinsam, dass sie aus dem Grundbuch nicht ersichtlich sind, das Grundstück aber gleichwohl für sie haftet. Der BGH175) hat entschieden, dass der Befriedigungsfehler nicht durch eine dingliche Surrogation (Ersatzaussonderungsrecht) am Veräußerungserlös berichtigt wird, wie es die Kläger geltend gemacht hatten, da dies einen Rechtsverlust voraussetzt. Dieser ist aber nicht eingetreten, da die Grundstücke mit den Rechten der Gläubiger belastet bleiben. Die Absonderungsberechtigten können mithin weiterhin Befriedigung aus dem Grundstück suchen, weshalb in aller Regel der Grundstückserwerber zur Abwendung der Zwangsvollstreckung Zahlung auf die Rechte leisten wird. 185 Hat der Insolvenzverwalter – wie üblich – mit dem Versprechen der Lastenfreiheit verkauft, kann der Erwerber seine Regressforderung im Insolvenzverfahren als Masseverbindlichkeit geltend machen. Führt dies zwar nicht zu einer Schlechterstellung des Käufers, steht gleichwohl die Masse schlechter, da der Insolvenzverwalter die Zahlungen an den Erwerber nicht ohne weiteres als Verminderung des vereinnahmten Erlöses an die absonderungsberechtigten Gläubiger weiterbelasten kann. Hier ist die Aufnahme eines Vorbehalts in die Verwertungsvereinbarung angezeigt, was aber dem abschließenden Regelungsakt der Vereinbarung entgegensteht. ___________ 170) Klenk/Kronthaler: NZI 2006, 369. Zur grundsätzlichen Problematik der Besteuerung des Massebeitrages mit Umsatzsteuer durch den BFH s. u. Rz. 189. Diese Rspr. hat das FG Düsseldorf, Urt. v. 10.6.2009 – 5 K 3940/07, EFG 2009, 1882, auf die Anteile der Insolvenzmasse an den Erlösen aus der kalten Zwangsverwaltung ausgedehnt. Der BFH hat das FG Düsseldorf bestätigt durch BFH, Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09, Rz. 36 f., BFHE 235, 22 = BStBl. II 2014, 406 = ZIP 2011, 1923, dazu EWiR 2014, 673 (Mitlehner). Kritisch hierzu bereits Tetzlaff in: jurisPR-InsR 10/2010 Anm. 6. 171) Zur Entscheidung des BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, ZIP 2013, 1481 s. u. Rz. 192. 172) Büchler, ZInsO 2011, 718, 720. 173) BGH, Urt. v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZIP 2010, 994. 174) BGH, Urt. v. 11.3.2010 – IX ZR 34/09, ZIP 2010, 791. 175) BGH, Urt. v. 11.3.2010 – IX ZR 34/09, ZIP 2010, 791.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

1.3.1 Einigung über Erlösanteil Bei wertausschöpfender oder den Kaufpreisanteil übersteigender Belastung des Grundstücks 186 muss der Insolvenzverwalter eine Einigung der absonderungsberechtigten Gläubiger untereinander herbeiführen, da er andernfalls nicht lastenfrei verkaufen kann. 1.3.2 Einigung über Massebeitrag (Vereinbarung erforderlich, da gesetzliche Regelung fehlt) Daneben ist es erforderlich, dass sich der Insolvenzverwalter mit den Absonderungsbe- 187 rechtigten über den Erlösanteil zugunsten der Masse einigt. § 10 ZVG sieht – anders als § 171 InsO für die Verwertung beweglicher Gegenstände durch den Insolvenzverwalter – keinen gesetzlichen Anspruch der Masse auf einen Erlösanteil durch pauschalierte Feststellungs- und Verwertungskosten vor. Ist das Grundstück wertausschöpfend belastet, würde allein nach der gesetzlichen Regelung in § 49 InsO der gesamte Erlös an den bzw. die zur abgesonderten Befriedigung hieraus Berechtigten fließen; die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger hätte hiervon keinen Vorteil. Der Insolvenzverwalter muss deshalb bei der freihändigen Verwertung des Grundstücks dafür Sorge tragen, dass der absonderungsberechtigte Gläubiger der Insolvenzmasse einen Anteil am Erlös zugesteht. Die Höhe des Erlösanteils der Masse ist reine Verhandlungssache. Weder ist der Gläubiger 188 verpflichtet, der Masse einen Beitrag zu versprechen, noch ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, an einer freihändigen Verwertung mitzuwirken, die die Masse nicht erhöht.176) 1.3.3 Berücksichtigung von Umsatzsteuer und Ertragssteuern als potentielle Masseverbindlichkeiten177) 1.3.3.1

Umsatzsteuer

Der BFH178) ist der Ansicht, bei einer freihändigen Veräußerung eines mit einem Abson- 189 derungsrecht belasteten Grundstücks führe der Insolvenzverwalter neben der Grundstückslieferung an den Erwerber eine sonstige entgeltliche Leistung an den Grundpfandrechtsgläubiger auf Grundlage eines entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrages aus, weshalb der für die Masse einbehaltene Betrag als Entgelt für eine Leistung anzusehen sei. Er hat nunmehr in seinem Urteil vom 28.7.2011179) trotz der überzeugenden systematischen Gegenauffassung in der Literatur, wonach die Verwertungsleistung des Insolvenzverwalters nicht zugunsten des gesicherten Gläubigers, sondern zugunsten der Masse und damit der Gläubigergesamtheit erbracht wird,180) seine Auffassung auf die gesetzlich geregelte Verwertungskostenpauschale bei der Veräußerung beweglicher Gegenstände mit Absonderungsrechten auf den Masseanteil ausgedehnt und auch diesen der Umsatzsteuerpflicht unterworfen.181) ___________ 176) Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. M. Rz. 9; a. A. Knees, ZIP 2001, 1568, 1570, der sogar den vorläufigen Verwalter für verpflichtet hält, an einer vom Grundpfandrechtsgläubiger initiierten freihändigen Verwertung mitzuwirken, und in der Differenz zu einem etwaigen geringeren Erlös in der Zwangsversteigerung einen ersatzfähigen Schaden sieht, für den der (vorläufige) Insolvenzverwalter einzustehen habe. Dies Argument verfängt nicht, da jedenfalls im eröffneten Verfahren der Insolvenzverwalter als Veräußerer auftritt und damit die Masse für etwaige Gewährleistungsansprüche einzustehen hat. Vermittelnd argumentieren Tetzlaff (in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 183), dass eine garantiemäßig unterlegte Freistellungsverpflichtung durch den Grundpfandrechtsgläubiger dem Insolvenzverwalter das Recht nehme, die Mitwirkung zu verweigern. 177) Zu den Einzelheiten der Steuern in der Insolvenz s. u. § 36 [Schmittmann]. 178) BFH, Urt. v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119. 179) BFH, Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09, DStRE 2011, 1853 = ZIP 2011, 1923. 180) Vgl. Ganter/Brünink, NZI 2006, 257 m. umfangr. Nachw. in Fn. 21 ff. 181) Zu den sanierungsfeindlichen Auswirkungen dieser Rspr. vgl. Berliner Erklärung zu Sanierung und Insolvenz v. 5.10.2011, ZInsO 2011, 2077. Kritisch auch d’Avoine, ZIP 2012, 58.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

190 Hatte das schuldnerische Unternehmen seinerzeit beim Erwerb des Grundstücks zur Umsatzsteuer optiert, besteht für den Insolvenzverwalter außerdem das bereits unter Rz. 121 angesprochene Haftungsrisiko, durch die freihändige Veräußerung einen Vorsteuerberichtigungstatbestand gemäß § 15a UStG auszulösen, wenn er beim Verkauf eines solchen Grundstücks innerhalb des zehnjährigen Berichtigungszeitraums selbst nicht zur Umsatzsteuer optiert. Der daraus resultierende Berichtigungsanspruch ist Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 1.3.3.2

Ertragsteuern

191 Es entsprach der ständigen Rechtsprechung des BFH182), die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerschuld, die aus der Verwertung der zur Insolvenzmasse (und zum Betriebsvermögen) gehörenden Wirtschaftsgüter resultiert, als sonstige Masseverbindlichkeit i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren. Dabei war die Masseverbindlichkeit der Höhe nach auf den Betrag begrenzt, der tatsächlich zur Masse gelangte. 192 Nunmehr hat der BFH183) unter Aufgabe dieser Rechtsprechung entschieden, dass die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerschuld in voller Höhe Masseverbindlichkeit sein soll, selbst wenn das verwertete Wirtschaftsgut mit Absonderungsrechten belastet war und – nach Vorwegbefriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger aus dem Verwertungserlös – der (tatsächlich) zur Masse gelangte Erlös nicht ausreicht, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Ertragsteuerforderung zu befriedigen. 193 Die Bewertung dieser Entscheidung ist unterschiedlich. Sie reicht von der Feststellung, dies sei „ein weiterer Baustein in der ausufernden profiskalischen Rechtsprechung“184) des BFH, über dogmatisch begründete Ablehnung185) und eine differenzierende Betrachtung186) bis zur Bejahung von Ergebnis und Begründung.187) Einigkeit herrscht darüber, dass die Praxis die Entscheidung zu berücksichtigen hat bis ggf. die Streitfragen über eine gesetzliche Normierung geklärt werden188), und damit hoffentlich auch das Insolvenzsteuerrecht wieder in das tragende Prinzip der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger eingeordnet wird. 1.3.4 Beteiligung etwaiger Nachranggläubiger nur aus dem Erlösanteil der vorrangigen Gläubiger; nicht(!) aus dem der Masse, sog. Schornsteinhypothek 194 Die, auf den Insolvenzverwalter gemäß § 80 InsO übergegangene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in Bezug auf das zur Insolvenzmasse gehörende Schuldnervermögen wird bestimmt und ist begrenzt durch den Insolvenzzweck.189) Dies ist der tragende Grund für die Entscheidung des BGH190), in der dieser die Zahlung von Lästigkeitsprämien an nachrangige

___________ 182) 183) 184) 185) 186)

187) 188) 189) 190)

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BFH, Urt. v. 29.3.1984 – IV R 271/83, BFHE 141, 2 = ZIP 1984, 853. BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, ZIP 2013, 1481. So wörtlich Schmittmann, EWiR 2013, 621, dort Nr. 3. Kahlert, DStR 2013, 1587 (Urteilanm.): Die stillen Reserven seien bereits vor Insolvenzeröffnung steuerverstrickt. Onusseit, ZInsO 2014, 59, 65: Das Urteil sei im Ergebnis, aber nicht in der Begründung zutreffend, und auch nur, wenn man die Maßgeblichkeit der Realisierung des Veräußerungsgewinns für die zeitliche Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit akzeptiere. Schumm, StuB 2013, 842. Krüger, ZInsO 2014, 578, der ausdrücklich die fehlende gesetzgeberische Initiative rügt, die erforderlich sei, um Rechtssicherheit zu begründen. Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. M Rz. 2. BGH, Beschl. v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

Grundpfandrechtsgläubiger zwar nicht schlechthin als insolvenzzweckwidrig angesehen hat, dies jedoch für die Fälle bejaht, in denen das nachrangige Recht tatsächlich wertlos ist.191) Zulässig ist es hingegen, wenn i. R. der Verwertungsvereinbarung der vorrangige Grund- 195 pfandrechtsgläubiger es übernimmt, dem Nachrangigen eine Lästigkeitsprämie aus dem auf ihn entfallenden Erlösanteil zu bezahlen, da hierdurch nichts aus der Masse weggegeben wird. Allerdings sieht der BGH den durch eine Zwangssicherungshypothek nachrangig gesicherten 196 Gläubiger nicht als verpflichtet an, im Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Grundstückseigentümers zugunsten der vom Insolvenzverwalter beabsichtigten freihändigen lastenfreien Veräußerung des Grundstücks die Löschung seines Sicherungsrechts zu bewilligen, selbst wenn ihm wegen der wertausschöpfenden Belastung des Grundstücks erwartbar kein Erlös zufließen wird.192) Der BGH begründet dies zum einen damit, dass das in § 803 Abs. 2 ZPO für die Mobiliar- 197 zwangsvollstreckung statuierte Verbot einer zwecklosen Pfändung bei der Zwangsvollstreckung in Grundstücke in dieser Allgemeinheit nicht gelte. Während der BGH in anderem Zusammenhang (siehe oben die Entscheidung zu § 135 Abs. 3 InsO, Rz. 154) durchaus die Gemeinsamkeiten der Einzelzwangsvollstreckung und der Gesamtvollstreckung argumentativ heranzieht, gibt er im vorliegenden Fall keine weitere Begründung. Zu Recht werden von Raab193) die nicht genügend durchdachten praktischen Folgen be- 198 mängelt. Denn wird es dem nachrangigen Gläubiger erlaubt, auf seinem im Wege der Zwangsvollstreckung erworbenen Sicherungsrecht zu bestehen, auch wenn ein Vollstreckungserfolg völlig aussichtslos ist, kann dies dazu führen, dass ein Kaufinteressent abspringt und letztendlich doch nur noch eine Verwertung im Wege der Zwangsversteigerung übrig bleibt. Der Erlös ist hierbei in der Regel niedriger, sodass der nachrangige Grundpfandrechtsgläubiger dadurch nichts gewönne, die Insolvenzmasse jedoch verlieren würde. In dem vom BGH entschiedenen Fall handelte es sich jedoch um eine Zwangssicherungs- 199 hypothek, die sich die Gemeinde zur Sicherung ihrer Steuerforderungen hatte bestellen lassen. Damit fehlt es an der Möglichkeit, eine auf Treu und Glauben bestehende vertragliche Nebenpflicht zu begründen. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von den Fällen der Instanzrechtsprechung zu nachrangig bestellten Grundpfandrechten.194) 2.

Grundstück als Teil eines Share Deals (bei Insolvenzplan-Regelung im gestaltenden Teil)

Durch einen Insolvenzplan soll der Rechtsträger des schuldnerischen Unternehmens selbst 200 durch finanzielle und leistungswirtschaftliche Anpassungsmaßnahmen saniert werden. Zwar steht als gleichrangige Verwertungsart neben Liquidation oder Sanierung (durch In- 201 solvenzplan) auch die übertragende Sanierung auf Grundlage eines Insolvenzplanes.195) Allerdings wird diese meist i. R. eines Regelinsolvenzverfahrens durchgeführt, wie bereits dargestellt. ___________ 191) Kritisch zu den praktischen Auswirkungen Frege/Keller, NZI 2009, 11, die die Zahlung einer Lästigkeitsprämie aus der Insolvenzmasse als oftmals einzige Möglichkeit ansehen, überhaupt einen freihändigen Verkauf zeitnah zu bewerkstelligen, was unter dem Strich immer noch ein besseres Ergebnis für die Masse erbringe als die Durchführung der Zwangsversteigerung. 192) BGH, Urt. v. 20.4.2015 – IX ZR 301/13, ZIP 2015, 1131, dazu EWiR 2015, 383 (Eckardt). 193) Raab in: jurisRR-InsR 11/2015 Anm. 2. 194) Knees, ZInsO 2015, 2010, 2017 m. w. N. zur Rspr. 195) Nerlich/Kreplin-Nerlich, MAH Sanierung und Insolvenz, § 24 Kap. 2 Rz. 93.

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Teil V Einzelfragen

202 Im gestaltenden Teil gemäß § 221 InsO wird festgelegt, wie in die Rechte der Beteiligten gemäß § 222 Abs. 1 InsO (absonderungsberechtigte Gläubiger, Insolvenzgläubiger und Anteilsinhaber sowie der Schuldner) eingegriffen wird, um den Rechtsträger zu sanieren.196) Soweit der Plan keine anderweitige Regelung trifft, wird gemäß § 223 Abs. 1 Satz 1 InsO das Recht der absonderungsberechtigten Gläubiger zur Befriedigung aus den absonderungsverhafteten Gegenständen nicht berührt. In diesen Fällen sind die absonderungsberechtigten Gläubiger befugt, nach den gesetzlichen Regelungen Befriedigung aus den (absonderungsbehafteten) Gegenständen zu suchen.197) Der Immobiliarsicherungsgläubiger bleibt damit befugt, das Zwangsversteigerungs- und/oder Zwangsverwaltungsverfahren zu betreiben. Ist eine Immobilie betriebsnotwendig, kann das Fehlen einer abweichenden Regelung den Insolvenzplan insgesamt gefährden. Eingriffe in das Recht der Immobiliarsicherungsgläubiger können etwa sein: x x x x

der Verzicht (Kürzung), das Hinausschieben der Verwertung einer Sicherheit, der Austausch von Sicherheiten, der Zinsverzicht,

x x

der Verzicht auf Wertverlust oder aber die sogleich vollständige (siehe nachfolgend Rz. 203) oder sukzessive (siehe nachfolgend Rz. 205) Ablösung der Absonderungsrechte sowie eine Umwandlung der Sicherheiten in Eigenkapital gegen Gewährung von Anteilen am Schuldner (siehe nachfolgend Rz. 206 ff.).

2.1

Ablösung des Verkehrswertes durch einen Teil der Einlage des Investors

203 Wird in die Rechte der Absonderungsgläubiger eingegriffen, ist für diese (mindestens) eine eigene Gruppe zu bilden, § 223 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Diese Gruppe muss dem Insolvenzplan als Voraussetzung für dessen Annahme gemäß § 244 Abs. 1 InsO zustimmen, es sei denn, die Zustimmung gilt unter den Voraussetzungen des § 245 InsO als erteilt. Wesentlich für die Zustimmung des Absonderungsgläubigers zum Insolvenzplan ist die Bewertung seiner Sicherheit und damit auch der Immobilie. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Grundpfandrechte abgelöst werden sollen. 204 Eine Höchstgrenze des fiktiven Wertes für die Sicherheit dürfte im Fortführungswert des Grundstücks liegen. Sieht der Plan gleichwohl einen höheren Wert vor, um die Zustimmung des solchermaßen begünstigten Absonderungsberechtigten zu erlangen, stellt dies eine Zusage dar, die nicht in der Person oder der Rechtsposition des Gläubigers liegt.198) 2.2

Alternativ: Ablösung der Grundpfandrechte aus künftigen Erträgen

205 Alternativ zur sofortigen Einmalzahlung kann der Insolvenzplan auch die Ablösung der Grundpfandrechte aus künftigen Erträgen regeln. Dies setzt voraus, dass der Grundpfandrechtsgläubiger hinreichendes Vertrauen in das Fortführungskonzept des Unternehmens hat. Vorteilhaft ist für ihn, dass seine Sicherheit mit dem Fortführungswert bemessen wird und sich hieran die weitere Kreditierung orientiert.199) Bei übertragender Sanierung, Ein___________ 196) Nerlich/Kreplin-Nerlich, MAH Sanierung und Insolvenz, § 24 Kap. 2 Rz. 104. 197) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 223 Rz. 8. 198) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, FAKomm-InsR, § 223 Rz. 4 a. E. Ein Verstoß gegen § 226 Abs. 3 InsO, der als Verbotsgesetz i. S. von § 134 BGB ausgestaltet ist und damit zur Nichtigkeit führt, ist hingegen zweifelhaft, da § 226 Abs. 3 InsO eine im Insolvenzplan nicht offengelegte Abrede voraussetzt, vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 20. 199) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, FAKomm-InsR, § 223 Rz. 3.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

zelverwertung oder Zwangsversteigerung wird dieser Wert regelmäßig nicht erreicht. Zins und Tilgung müssen sich allerdings, um den Schuldner nicht zu überfordern, an der zukünftigen Leistungsfähigkeit des Schuldners des insolventen Unternehmens nach erfolgter Sanierung orientieren. 2.3

Debt-to-Equity-Swap nach § 225a InsO: Sacheinlage der Forderung gegen Anteile am Schuldner (ESUG)

Für Absonderungsrechtsgläubiger ist nunmehr das durch das ESUG in § 225a Abs. 2 InsO 206 ausdrücklich geregelte „debt-to-equity-swap“-Verfahren – auch gegen den Willen der Gesellschafter – denkbar, also die Umwandlung einer einzulegenden Gläubigerforderung in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Insolvenzschuldner.200) Der Gläubiger legt bei diesem Verfahren eine Forderung ein und überträgt das zu deren 207 Sicherung bestellte Grundpfandrecht auf den Schuldner, an dem er im Gegenzug gesellschaftsrechtlich beteiligt wird. Die Fremdgrundschuld wird damit zur Eigentümergrundschuld, §§ 1192, 1196 BGB. Etwaige Grundbucherklärungen können im gestaltenden Teil des Insolvenzplans abgegeben werden und erlangen Wirksamkeit mit gerichtlicher Bestätigung des Plans, wobei die Rechtsänderung erst mit Eintragung im Grundbuch eintritt.201) Unter der Voraussetzung, dass der dem Absonderungsrecht unterliegende Vermögens- 208 gegenstand sacheinlagefähig ist, besteht damit jedenfalls grundsätzlich die Möglichkeit, den Absonderungsberechtigten im Umfang des Werts des Absonderungsrechts am Kapital der Gesellschaft zu beteiligen. 3.

Die Freigabe des Grundstücks

3.1

Zweck und Wirkung der Freigabe

Schließlich ist in der Betriebsfortführung die Konstellation denkbar, dass ein einzelnes 209 Grundstück für die Fortführung nicht allein entbehrlich ist, sondern zudem das Risiko in sich trägt, die Masse mit zusätzlichen vermeidbaren Kosten zu belasten, etwa weil sich nachträglich ergibt, dass Altlasten vorliegen. Hier ist der Insolvenzverwalter zur Masseschonung verpflichtet,202) das Grundstück freizugeben: x

Erklärt der Insolvenzverwalter die Freigabe eines zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögenswertes, scheidet dieser aus dem Insolvenzbeschlag aus.203)

x

Die Freigabe hat konstitutive Wirkung, weil sie den unter Beschlag stehenden Vermögensgegenstand verfahrensrechtlich aus dem zugunsten der Gläubiger bestehenden Haftungsverband entlässt.204)

x

Zur Freigabe befugt ist nur der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren.205)

Zwar hat ein vorläufiger Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbe- 210 fugnis übergegangen ist, nach §§ 22 Abs. 1, 24 InsO im Außenverhältnis grundsätzlich dieselben Rechte wie ein endgültiger Insolvenzverwalter gemäß §§ 80 ff. InsO, dessen Rechtshandlungen im Außenverhältnis voll wirksam sind, weshalb eine Freigabe durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter gleichermaßen möglich erscheint. Allerdings gibt es im Insolvenzantragsverfahren noch keine Insolvenzmasse, so dass einer Überführung des Vermö___________ 200) 201) 202) 203) 204) 205)

Nerlich/Römermann-Braun, InsO, § 223 Rz. 21 f. Nerlich/Kreplin-Nerlich, MAH Sanierung und Insolvenz, § 24 Kap. IV. Rz. 108. Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. D. IV. Rz. 4. Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 6; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 82. Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 2/2014, § 35 Rz. 24. Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. D. IV. Rz. 18 m. w. N.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

gensgegenstandes in das „insolvenzfreie Vermögen“ des Schuldners zum einen rechtsdogmatische Erwägungen entgegenstehen, zum anderen der verfahrensrechtliche Aspekt, dass im Falle der späteren Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Vermögensgegenstand ohnehin vom Insolvenzverwalter wieder nach § 148 Abs. 1 InsO in Besitz zu nehmen wäre. 211 Nach ständiger Rechtsprechung des BGH206), des BVerwG207) und der h. M. in der Literatur208) ist die Freigabe auch gegenüber juristischen Person oder einer anderen insolvenzfähigen Personenvereinigung i. S. von § 11 InsO möglich.209) 3.2

Einkommen- bzw. Körperschaftssteuer sowie Umsatzsteuer als potentielle Masseverbindlichkeit

212 Durch die bereits erörterten Entscheidung des BFH210), nach der die Steuerschuld, die durch Aufdeckung stiller Reserven bei der Verwertung durch Veräußerung entsteht, in vollem Umfang als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren ist, hält es auch der BFH für möglich, dass es künftig vermehrt zu Freigaben durch den Insolvenzverwalter kommen wird, der dadurch den Anfall von Masseverbindlichkeiten zu verhindern sucht. Ob dieser Weg zielführend ist, hat der erkennende IV. Senat des BFH ausdrücklich offengelassen.211) Allerdings steht der beabsichtigten Entlastung durch eine Freigabe die Rechtsprechung des V. Senats des BFH212) zur Umsatzsteuer entgegen. Eine Möglichkeit zur Vermeidung von ___________ 206) BGH, Urt. v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, ZIP 2005, 1034; BGH, Urt. v. 2.2.2006 – IX ZR 46/05, ZIP 2006, 583. 207) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.3, ZIP 2004, 2145. 208) A. A. jedoch Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 2/2014, § 35 Rz. 21. 209) Obwohl die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft nach der Regel zu deren Vollabwicklung führt, kann sie trotzdem insolvenzfreies Vermögen haben. Diese Gesellschaften werden mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar aufgelöst. Daran schließt sich jedoch die Liquidation an. Erst nach Verteilung des gesamten Vermögens tritt die Vollbeendigung ein. Von daher kann Vermögen, das für das Insolvenzverfahren ohne Bedeutung ist, auch hier freigegeben werden (Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. D III. Rz. 16). Es ist zudem mit dem Zweck der Gläubigerbefriedigung nicht zu vereinbaren, wenn der Insolvenzverwalter gezwungen wäre, Gegenstände, die nur noch geeignet sind, die verteilungsfähige Masse zu schmälern, allein deshalb in der Masse zu behalten, um eine Vollbeendigung der Gesellschaft zu bewirken, (Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 305; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 104, 113 f.). Gegen die Möglichkeit insolvenzfreien Vermögens: Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 158 – 161. 210) BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, ZIP 2013, 1481, s. o. Rz. 192 Fn. 183. 211) BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, Rz. 36, 37, ZIP 2013, 1481. 212) BFH, Urt. v. 16.8.2001 – V R 59/99, ZIP 2002, 230 = ZfIR 2002, 156 . Hierzu ablehnend mit ebenso einfachen wie klaren Darlegungen zum Insolvenzrecht sowie zu dessen Verhältnis zum Steuerrecht bspw. Büterowe, EWiR 2002, 301, 302: „Der Entscheidung kann nicht zugestimmt werden. Sie […] behandelt Entscheidungen des Gemeinschuldners als solche des Verwalters. […] Durch die Freigabe erhält der Gemeinschuldner die Möglichkeit zurück, über den freigegebenen Gegenstand zu verfügen, erlangt jedoch nicht die Befugnis, […] die Masse zu verpflichten. Die Entscheidung führt dazu, dass das Finanzamt gegebenenfalls in voller Höhe die Umsatzsteuer erhält, während die übrigen Gläubiger nur quotal durch eine Reduzierung der angemeldeten Forderung zur Tabelle profitieren. Auch der Hinweis auf die Freigabeproblematik bei sonstigen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen (Stichwort: Altlasten) ist nicht überzeugend. Anknüpfungspunkt für eine Inanspruchnahme des Verwalters ist hier sein Verhalten nach Eröffnung des Verfahrens. Absonderungsrechte resultieren jedoch aus einem noch vom Gemeinschuldner vorgenommenen Rechtsgeschäft.“ Onusseit, ZIP 2002, 1344, 1347 f.: „Diese – wie schon die bisherige Rechtsprechung – nur mit dem Blick auf das gewünschte Ergebnis erklärbaren Ausführungen halten einer konkurs- und in gleicher Weise einer insolvenzrechtlichen Überprüfung nicht stand. Allein hierauf kommt es indessen an, denn die Frage, wie eine Steuerforderung in der Insolvenz geltend zu machen ist, richtet sich allein nach Insolvenzrecht. Das Steuerrecht regelt demgegenüber nur das Ob und den Zeitpunkt des Entstehens der Steuerforderung sowie deren Höhe. […], und deshalb kann es nur darum gehen, auf die durch das Konkurs-/Insolvenzrecht geschaffene Rechtslage die allgemeinen Normen des Umsatzsteuerrechts anzuwenden. Es verbleibt deshalb dabei, dass die Freigabe allein nach Konkurs/Insolvenzrecht zu beurteilen ist. Das Umsatzsteuerrecht kann an das von ihm vorgefundene insolvenzrechtliche Ergebnis nur anknüpfen.“

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

Masseverbindlichkeiten nach Freigabe bejahend, hat das Sächsische FG in ausdrücklicher Abgrenzung zum BFH-Fall aus 2013 entschieden.213) Insgesamt bleibt damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt bezüglich der zutreffenden ertragsteuerlichen Behandlung eine erhebliche Rechtsunsicherheit für den Insolvenzverwalter, ob er das Grundstück bei der Masse behalten oder freigeben soll.214) Als weitere Konsequenz der vom BFH215) bejahten Steuerschuldnerschaft der Masse für 213 Umsatzsteuer, die bei der Veräußerung des Grundstücks durch den Schuldner nach Freigabe entsteht, ergibt sich auch das zuvor mehrfach beschriebene Risiko der Vorsteuerberichtigung, wenn der Schuldner beim Erwerb des Grundstücks zur Umsatzsteuer optiert hatte und er innerhalb des zehnjährigen Berichtigungszeitraums an einen Nichtunternehmer veräußert. Der Berichtigungsanspruch ist Masseverbindlichkeit. Dies Risiko müsste folgerichtig auch für die Zwangsversteigerung gelten, die nach Freigabe vom Grundpfandrechtsgläubiger betrieben wird. Während die Rechtslage in ertragsteuerlicher Sicht also zumindest unsicher ist, steht fest, 214 dass eine Freigabe in umsatzsteuerlicher Sicht die Entstehung von weiteren Masseverbindlichkeiten nicht vermeiden kann. 3.3

Freigabeerklärung

Die Freigabeerklärung ist auf Änderung der haftungsrechtlichen Zuordnung des freizu- 215 gebenden Gegenstandes gerichtet.216) Sie ist deshalb eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ohne materiell-rechtlichen Gehalt.217) Als verfahrensrechtliche Erklärung ist die Freigabe aus Gründen der Rechtssicherheit unwiderruflich, wegen Irrtums nach § 119 BGB nicht anfechtbar und kann nicht unter einen Vorbehalt gestellt werden.218) Erklärungsempfänger ist der vormals Verfügungsbefugte.219)

___________ 213) Sächsisches FG, Urt. v. 18.10.2013 – 4 K 579/13, (Rev. nicht zugelassen, Rz. 17), juris: „Anders als im Fall des BFH-Urteils vom 16.5.2013 IV R 23/11 (BFH/NV 2013, 1503) – dort fand eine freihändige Verwertung eines mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücks durch den Insolvenzverwalter unter vorrangiger Befriedigung absonderungsberechtigter Grundpfandgläubiger statt – beruhte die Veräußerung der Grundstücke vorliegend gerade nicht auf einer freihändigen Verwertungshandlung des Insolvenzverwalters. Vielmehr hat im Streitfall der Insolvenzverwalter die streitbefangenen Grundstücke aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben mit der Folge, dass der steuerauslösende Besteuerungstatbestand – anders als in dem der BFH-Entscheidung vom 16.5.2013 zugrunde liegenden Sachverhalt, und entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht durch den Insolvenzverwalter verwirklicht wurde. Die Veräußerung war vielmehr eine Folge der von den dinglichen Gläubigern betriebenen Zwangsversteigerung, die gemäß § 49 InsO zur abgesonderten Befriedigung nach Maßgabe des ZVG berechtigt waren. Als Konsequenz hieraus richtete sich die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer nicht gegen die Insolvenzmasse, sondern gegen das insolvenzfreie Vermögen der Klägerin und konnte gegen sie geltend gemacht werden. Nichts anderes würde im Übrigen gelten, wenn die absonderungsberechtigten Gläubiger die vor Eröffnung des Verfahrens eingeleitete Zwangsvollstreckung ohne eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters betrieben hätten (vgl. BFH-Urteil vom 14.2.1978 VIII R 28/73, BStBl II 1978, 356). Deshalb kommt es auch nicht entscheidend an auf die von der Klägerin vorgenommene Differenzierung danach, ob der Insolvenzverwalter in zulässiger Weise die Freigabe erklärt hat oder nicht.“ 214) Umfassend hierzu: Onusseit, ZInsO 2014, 59, 66. 215) BFH, Urt. v. 16.8.2001 – V R 59/99, ZIP 2002, 230 = ZfIR 2002, 156. 216) Eickmann in: HK-InsO, § 35 Rz. 42. 217) Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 2/2014, § 35 Rz. 27. 218) Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 6. 219) Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 6.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

3.3.1 Form der Freigabeerklärung 216 Zwischenzeitlich gibt es divergierende instanzgerichtliche Entscheidungen220) zu der Frage, in welcher Form die Freigabe gegenüber dem Grundbuchamt zusätzlich zum Ersuchen auf Löschung des Insolvenzvermerks durch das Insolvenzgericht nachgewiesen werden muss. So hat das LG Köln221) impliziert, bei der Freigabe eines Vermögensgegenstandes aus der Insolvenzmasse sei es i. R. des § 727 ZPO notwendig, die Wirksamkeit der Freigabe durch den Insolvenzverwalter als „Rechtsnachfolger“ i. S. der Rückübertragung der Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzschuldner in der entsprechenden Form nachzuweisen. Der Nachweis der wirksamen Freigabe erfordere daher den Nachweis der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters sowie ihres Zugangs in öffentlich beglaubigter Form bzw. in öffentlicher Urkunde. 217 Zu den Umständen, unter denen eine Titelumschreibung notwendig ist, wird hier zunächst auf Rz. 126 verwiesen. Wird die Zwangsversteigerung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angeordnet, ist die Beschlagnahme bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam geworden und wird deshalb gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO von den Wirkungen der Insolvenz nicht mehr berührt. Deshalb muss eine auf den Schuldner lautende Vollstreckungsklausel nicht umgeschrieben werden.222) Ist hingegen das Insolvenzverfahren bereits eröffnet, wenn der Grundpfandrechtsgläubiger in ein zur Masse gehörendes grundpfandrechtlich belastetes Grundstück vollstrecken will, ist der Titel gegen den Insolvenzverwalter umzuschreiben und ihm zuzustellen. Im Hinblick auf die zeitliche Abfolge von Zwangsversteigerungsanordnung (Beschlagnahmewirkung aus § 20 ZVG) und Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters sind daher zwei Konstellationen zu unterscheiden: 3.3.1.1

Zwangsversteigerungsanordnung vor Freigabe

218 Erfolgt die Anordnung der Zwangsversteigerung zuerst und folgt danach die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters, ist eine erneute Titelumschreibung nicht erforderlich. Denn die Notwendigkeit der ursprünglichen Umschreibung auf den Insolvenzverwalter beruht nicht auf entsprechender Anwendung des § 727 ZPO (Rechtsnachfolge), sondern auf der Wirkung des § 80 Abs. 1 InsO: Adressat von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen kann nur der Insolvenzverwalter sein, weil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf ihn übergegangen ist. Eine im eröffneten Verfahren gegen den Insolvenzverwalter eingeleitete Zwangsvollstreckung besteht in ihrer Wirkung nach Freigabe fort. Aus dem Rechtsgedanken des § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO ergibt sich, dass ein Wechsel der Verfügungsbefugnis zwischen Verwalter und Schuldner, sei es durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sei es durch Freigabe von Gegenständen aus der Masse, unberührt bleibt.223) 3.3.1.2

Freigabe vor Zwangsversteigerungsanordnung

219 Problematisch ist die umgekehrte Reihenfolge, wenn zuerst der Insolvenzverwalter das Grundstück freigibt und danach ein Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung auf

___________ 220) OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.1.2012 – 5 Wx 114/11, NotBZ 2012, 383; Thüringer OLG, Beschl. v. 26.8.2013 – 9 W 323/13, BauR 2014, 1050; OLG Celle, Beschl. v. 16.4.2015 – 4 W 57/15, ZIP 2015, 887, m. abl. Anm. Kessler, DNotZ 2015, 773 (Urteilsanm.). 221) LG Köln, Beschl. v. 26.11.2012 – 11 T 90/12, ZInsO 2013, 198; zustimmend Schreinert, RNotZ 2013, 161. 222) BGH, Beschl. v. 14.4.2005 – V ZB 25/05, DNotZ 2005, 840 = RPfleger 2006, 423. 223) BGH, Beschl. v. 14.4.2005 – V ZB 25/05, Rz. 12, 13, DNotZ 2005, 840 = Rpfleger 2006, 423.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 28

Grundlage des gegen den Verwalter umgeschriebenen und zugestellten Titels erfolgt. Dies war der Sachverhalt in dem vom LG Köln224) entschiedenen Fall. Das LG Köln verlangt unter Verweis auf die zitierte Entscheidung des BGH eine erneute 220 Titelumschreibung zurück auf den Schuldner. Es begründet dies wiederum mit der Analogie zu § 727 ZPO, obwohl der BGH in seiner Entscheidung weder den Verlust noch die Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis für eine entsprechende Anwendung der Regeln über die Rechtsnachfolge als zutreffend angesehen hat.225) Das Ergebnis lässt sich aber wohl mit Rückgriff auf die allgemeine Regel des § 750 Abs. 1 221 ZPO begründen, wonach die Zwangsvollstreckung nur beginnen darf, wenn die Personen, für und gegen die sie stattfinden soll, in dem Titel oder in der Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind. Ist – wie in dieser Fallkonstellation – das weiterhin grundpfandrechtlich belastete Grundstück vom Insolvenzverwalter freigegeben worden und in die Verfügungsbefugnis des Schuldners zurückgefallen, muss der Grundpfandrechtsgläubiger die Zwangsvollstreckung gegen den nun wieder verfügungsbefugten Schuldner beginnen; eine Zwangsvollstreckung gegen den Insolvenzverwalter als Titelschuldner ist nicht mehr möglich.226) Es wird daher empfohlen, zur Beschleunigung des Verfahrens bei wertausschöpfender Be- 222 lastung des Grundstücks vor einer Umschreibung der Vollstreckungsklausel auf den Insolvenzverwalter zu klären, ob eine Grundstücksfreigabe durch den Verwalter in Betracht kommt. Zeigt sich der Insolvenzschuldner gegenüber dem Grundpfandrechtsgläubiger kooperativ, muss die Verwertung des vom Insolvenzverwalter freigegebenen Grundstücks nicht zwangsläufig im Wege der Zwangsversteigerung erfolgen, sondern es kommt auch hier eine freihändige Veräußerung in Betracht. Bei rechtzeitiger Abstimmung kann die doppelte Titelumschreibung vermieden werden.227) 3.3.1.3

Ausreichen des Löschungsersuchens durch das Insolvenzgericht

Entgegen dem vom LG Köln verlangten Nachweis von Freigabeerklärung und Zugang 223 mindestens in öffentlicher Form ist – mit dem OLG Hamm228) – die Löschung des Insolvenzvermerks auf Ersuchen des Insolvenzgerichts ausreichend. Denn danach hat das Grundbuchamt in tatsächlicher Hinsicht keinen Anlass mehr, an der unbeschränkten (wiedererlangten) Verfügungsbefugnis des eingetragenen Eigentümers über das eingetragene Recht zu zweifeln, weil der Insolvenzbeschlag aufgehoben ist. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass es aufgrund anderer Informationen als denen aus dem Insolvenzverfahren Zweifel haben kann. Anderenfalls ist zu befürchten, dass es zu erheblichen Verzögerungen bei der freihändigen Veräußerung von Grundstücken aus der Insolvenzmasse kommt.229) 3.4

Insbesondere: Altlasten

Von praktischer Bedeutung ist die Freigabe für den Insolvenzverwalter, wenn sich auf einem 224 Betriebsgrundstück gesundheits- oder umweltgefährdende Altlasten (Schadstoffanreicherungen in Boden oder Grundwasser) befinden, da die Inanspruchnahme der Masse für die Kosten der Ersatzvornahme der Beseitigung der Altlasten drohen kann. ___________ 224) 225) 226) 227) 228)

LG Köln, Beschl. v. 26.11.2012 – 11 T 90/12, ZInsO 2013, 198. BGH, Beschl. v. 14.4.2005 – V ZB 25/05, Rz. 10, 11, DNotZ 2005, 840 = Rpfleger 2006, 423. Knees, ZInsO 2015, 2010, 2011. Knees, ZInsO 2015, 2010, 2011; Schreinert, RNotZ 2013, 161. OLG Hamm, Beschl. v. 20.3.2014 – I-15 W 392/13, ZIP 2014, 1297, m. zust. Anm. Weber; NotBZ 2014, 419; Zimmer, ZfIR 2014, 434 (Urteilsanm.). 229) Knees, ZInsO 2015, 2010, 2011 f.

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§ 28

Teil V Einzelfragen

225 Zu unterscheiden ist zunächst, ob der Insolvenzverwalter aufgrund eigenen Handelns oder pflichtwidrigen Unterlassens nach vorangegangener konkretisierender Beseitigungsverfügung (Grundbescheid) der Ordnungsbehörde als Verhaltensstörer (i. S. des Ordnungsrechts) anzusehen ist, oder ob er Adressat einer Beseitigungspflicht lediglich aufgrund der – für ihn verpflichtenden – Inbesitznahme der Massegegenstände nach § 148 InsO ist. Während bspw. § 3 Abs. 5 KrW-/AbfG an ein Verhalten des Pflichtigen anknüpft, die eine Verantwortlichkeit nur des tatsächlich Handelnden begründen kann,230) setzt § 4 BBodSchG für eine Beseitigungspflicht aus Zustandsstörerhaftung lediglich das Innehaben der tatsächlichen Gewalt voraus. 226 Während der BGH231) die bloße Inbesitznahme als noch nicht haftungsbegründend angesehen hat, ist diese nach der Rechtsprechung des BVerwG232) ausreichend zur Begründung einer persönlichen Sanierungspflicht des Insolvenzverwalters. 227 Einigkeit besteht aber zwischen beiden Gerichtszweigen darüber, dass der Insolvenzverwalter die Entstehung von Masseverbindlichkeiten durch Freigabe des störenden Grundstücks vermeiden kann, auch wenn damit die Beseitigungskosten der Allgemeinheit „aufgebürdet“ werden.233) 228 Demzufolge kann der Verwalter umgekehrt die Insolvenzmasse nicht durch Freigabe des Grundstücks schonen, wenn er durch sein Verhalten (Fortführung des Betriebs) in die (fortbestehende) Beseitigungspflicht des Schuldners „eingetreten“ ist und dieser nicht nachkommt. Immerhin sehen einzelne Instanzgerichte234) bloße Wartungsarbeiten, Funktionsprüfungen und Probeläufe noch nicht als ausreichend für ein „Betreiben“ einer Anlage an. 229 Kritik: Letztlich führen beide Störer-Konstellationen zu einer Bevorrechtigung der öffentlichen Hand „durch die Hintertür“, denn aus insolvenzrechtlicher Sicht soll eine Pflicht erfüllt werden, die auch schon vor Verfahrenseröffnung bestanden hat und deshalb Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO ist.235) Lediglich im Falle der Inanspruchnahme als Zustandsstörer kann die insolvenzrechtlich zutreffende Rechtslage durch Freigabe des Grundstücks wiederhergestellt werden. 3.5

Spätestmöglicher Zeitpunkt der Freigabe

230 Eine latente Beseitigungspflicht führt nicht zur etwaigen Haftung. Vielmehr muss die Beseitigungspflicht durch Ordnungsverfügung konkretisiert worden sein. Eine Freigabe zur Vermeidung von „Masseverbindlichkeiten“ i. S. der Rechtsprechung des BVerwG ist möglich, solange der erlassene Ordnungsbescheid noch nicht bestandskräftig geworden ist.236) 231 Der Insolvenzverwalter kann jedenfalls keine Masseverbindlichkeiten aus Räumungskosten vermeiden, wenn er das Grundstück erst freigibt, nachdem er rechtskräftig zur Räumung verurteilt worden ist.237) ___________ 230) BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.3, ZIP 2004, 1766. 231) BGH, Urt. v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, NJW 2001, 2966 = ZIP 2001, 1469; BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, NJW-RR 2002, 1198 = ZIP 2002, 1043. 232) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145. 233) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145. 234) OVG Münster, Urt. v. 1.6.2006 – 8 A 4495/04, UPR 2006, 456. 235) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 55 Rz. 33 a. E.; AG Essen, Beschl. v. 4.4.2001 – 160 IN 49/00, ZIP 2001, 756: Ersatzvornahmekosten für die Beseitigung von bereits aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung herrührenden Altlasten sind keine Masseverbindlichkeiten, sondern einfache Insolvenzforderungen. Durch die Neuregelung der Masseverbindlichkeiten in § 55 InsO sollen lediglich diejenigen Kosten und Verbindlichkeiten privilegiert werden, die notwendigerweise entstehen, bevor der Verfahrenszweck der Verteilung des Schuldnervermögens an die Gläubiger erreicht werden kann. 236) Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 55 Rz. 106 m. w. N. 237) BGH, Urt. v. 2.2.2006 – IX ZR 46/05, ZIP 2006, 583.

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§ 29 M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung Übersicht I.

M&A-Prozess: Definition, Bedeutung und Bezug zur Betriebsfortführung ......... 1 1. Einführung.................................................... 1 2. Definition M&A-Prozess .......................... 19 3. Bedeutung des M&A-Prozesses................ 26 3.1 M&A-Prozess als „Marktplatz“ für in der Regel nicht liquide handelbare Unternehmensbeteiligungen/Geschäftsbetriebe ........... 26 3.2 Der M&A-Berater als Interessenvertreter seines Mandanten....... 30 3.3 Ermittlung des Marktpreises i. R. eines strukturierten M&AProzesses ......................................... 48 4. Bezug zur Betriebsfortführung ................. 76 II. Wesentliche Schritte eines strukturierten M&A-Prozesses (Praxisbericht) ....................................................... 81 1. Festlegung Transaktionsstrategie.............. 81 2. Vorbereitung der Ansprachedokumentation ......................................... 85 3. Identifikation und Interessenlage der im Transaktionsprozess anzusprechenden Investoren-Interessenten.................... 90 3.1 Finanzinvestoren............................. 91

3.2 Strategische Investoren .................. 95 3.3 Investorenansprache ..................... 100 4. Durchführung von individuellen Management-Präsentationen................... 101 5. Einholung indikativer Erwerbsangebote.................................................... 103 6. Organisation einer Due DiligencePrüfung ..................................................... 106 7. Einholung verbindlicher Erwerbsangebote.................................................... 111 8. Durchführung von Vertragsverhandlungen und Vertragsabschluss ................. 114 III. Auswirkungen und Besonderheiten der Betriebsfortführung auf den M&A-Prozess .......................................... 117 1. Außerhalb von Insolvenzverfahren......... 117 2. Im Eröffnungsverfahren .......................... 126 3. Im eröffneten Verfahren ......................... 138 3.1 Mit Insolvenzplan ......................... 138 3.2 Ohne Insolvenzplan ..................... 148 4. In der Eigenverwaltung............................ 152 5. Im Schutzschirmverfahren ...................... 155 IV. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Würdigung ................... 157

Literatur: Achleitner, Handbuch Investment Banking, 3. Aufl., 2002; Allert/Seagon, Unternehmensverkauf in der Krise, 2007; Bauer/von Düsterlho, Distressed Mergers & Acquisitions, 2013; Bitter/ Laspeyres, Rechtsträgerspezifische Berechtigungen als Hindernis übertragender Sanierung, ZIP 2010, 1157; Bork, Beauftragung von Dienstleistern durch den Insolvenzverwalter: Regelaufgabe oder besondere Aufgabe?, ZIP 2009, 1747; Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, 2. Aufl., 2003; Braunberger/Mussler, Verschärfte Kreditbedingungen im Euroraum, FAZ v. 2.2.2012; Brennecke/ Augustin/Jauch, Regelinsolvenz: Einführung in das Insolvenzrecht, Teil 4.4.1.: Bewertung der Vermögensgegenstände, abrufbar unter: http://www.brennecke.pro/180842/Regelinsolvenz-Einfuehrungins-Insolvenzrecht-Teil-4-4-1-Bewertung-der-Vermoegensgegenstaende (Stand: 5/2010); Brinkmann/ Zipperer, Die Eigenverwaltung nach dem ESUG aus Sicht von Wissenschaft und Praxis, ZIP 2011, 1337; Copeland/Weston, Financial Theory and Corporate Policy, 3rd. edition, Menlo Park (CA), 1988; Deloitte, Distressed M&A-Unternehmensverkauf als Sanierungsoption in Krise und Insolvenz, Präsentation bei International School of Management, 2013; Dodel, Besonderheiten der M&A-Prozesse im Mittelstand, Bilanzen im Mittelstand, 1/2011, S. 10; Ehlers/Meimberg, Fallstudie: Die Betriebsaufgabe und ihr Alternativen, ZInsO 2010, 1169; Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2012; Ettinger/ Jaques, Beck’sches Handbuch Unternehmenskauf im Mittelstand, 2012; Höffner, Fortführungswerte in der Vermögensübersicht nach § 153 InsO – Zur Problematik der durch die InsO eingeführten „zweigeteilten“ Rechnungslegung bei Verfahrenseröffnung, ZIP 1999, 2088; Hölzle, Gesellschaftsrechtliche Veränderungssperre im Schutzschirmverfahren, ZIP 2012, 2427; Hölzle, Die Fortführung von Unternehmen im Insolvenzverfahren – Zur Reichweite der Kompetenzen des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters, ZIP 2011, 1890; Hönig/Meyer-Löwy, Unternehmenskauf vom „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter – Zur Anwendbarkeit von § 103 InsO auf Masseverbindlichkeiten im Sinn von § 55 Abs. 2 InsO, ZIP 2002, 2162; Jansen, Mergers & Acquisitions, Unternehmensakquisitionen und -kooperationen, 5. Aufl., 2008; Kranzusch/Icks, Die Quoten der Gläubiger in Regel- und Insolvenzplanverfahren, IfM-Materialien, Nr. 186, 2009; Krüger/Kaufmann, Exklusivität und Deal Protection beim Unternehmenskauf vom Insolvenzverwalter, ZIP 2009, 1096; Mitlehner, „Fortführungswert“ der Vermögensgegenstände, ZIP 2000, 1825; Mönning, Der Zwang zur Kooperation: Kompetenzen in der Eigenverwaltung, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 641; Mönning: Der Schutz-

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§ 29

Teil V Einzelfragen

schirm: Strategische Insolvenz und Haftung, in: Festschrift für Bruno M. Kübler, 2015; Müller-Stewens/ Kunisch/Binder (Hrsg.), Mergers & Acquisitions – Analysen, Trends und Best Practices, 2010; Oppermann, Die Finanzierung des Insolvenzverfahrens aus Sicht des Insolvenzverwalters, Vortrag v. 20.9.2011; Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, 4. Aufl., 2013; Picot, Handbuch Mergers & Acquisitions, 5. Aufl., 2012; Pluta, Verwalter 2020: Verändern sich Markt, Beruf und Selbstverständnis?, INDat-Report 8/2014; Roland Berger Strategy Consultants/Noerr LLP/Noerr Consulting AG, ESUG-Studie 2012: Erste Praxiserfahrungen mit der neuen Insolvenzordnung, S. 1 ; Schelo, Der neue § 270b InsO – Wie stabil ist das Schutzschirmverfahren in der Praxis? Oder: Schutzschirmverfahren versus vorläufige Eigenverwaltung, ZIP 2012, 712; Schmalenbach, Die Beteiligungsfinanzierung, 1954; Schulz/Tauer, Wertorientierter Unternehmensverkauf aus der Insolvenz, KSI, Heft 3/2008, S. 101; Spies, Insolvenzplan und Eigenverwaltung, ZInsO 2005, 1254; The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG – höherer Aufwand lohnt sich; VID, Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung mit Prüfungsordnung und Erläuterungen (Stand: 5.5.2012); Wellensiek, Probleme der Betriebsfortführung in der Insolvenz, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 199.

I.

M&A-Prozess: Definition, Bedeutung und Bezug zur Betriebsfortführung

1.

Einführung „Der aus dem US-amerikanischen Investmentbanking stammende Begriff Mergers & Acquisitions (M&A) umschreibt den Handel (Kauf/Verkauf) mit Unternehmen, Unternehmensteilen und Unternehmensbeteiligungen und wird mit Fusionen und Unternehmensübernahmen übersetzt.“1)

1 Nach Copeland und Weston kann das Spektrum von M&A definiert werden: „The traditional subject of M&A’s has been expanded to include takeovers and related issues of corporate restructuring, corporate control, and changes in the ownership structures of firms.”2)

2 Nach Achleitner beschreibt der Begriff „Markt für Unternehmenskontrolle“ den Sachverhalt Mergers & Acquisitions am besten.3) Jansen führt aus, dass „M&A wie auch Kooperationen historisch betrachtet die entscheidenden strategischen Maßnahmen zur Restrukturierung von Unternehmen und von Wertschöpfungsketten, hin zu Wertschöpfungssystemen waren und in entscheidendem Maße sind.“4)

3 Picot ist der Auffassung, dass sich „[…] nur mit einem interdisziplinären und zugleich ganzheitlich-strategischen Denken und Handeln […] zukunftssichernde und werteschaffende Lösungen erarbeiten und umsetzen lassen“

werden.5) Der „Bereich der Mergers & Acquisitions“ müsse „als eigenständiges, auf internationalem Know-how basierendes Fachgebiet“ begriffen werden, „das einer ganzheitlichen Betrachtung und Handhabung bedarf.“6) 4 Nach Bauer und v. Düsterlho umfasst der Begriff Distressed M&A „[…] die Koordination und Integration aller Maßnahmen, die notwendig sind, um ein Unternehmen, welches sich in einer Finanzkrise (‚financial distress‘) befindet, in einem eng begrenzten Zeitrahmen zu rekapitalisieren, eine ökonomische Überschuldung zu beseitigen und/oder zugunsten der Gesellschafter (vorinsolvenzliche Transaktion) oder Gläubiger (Insolvenzverfahren) – unter Gestaltung einer situationsadäquaten Risikoallokation – den bestmöglichen Verkaufserlös zu erzielen.“7)

5 Bauer und v. Düsterlho führen aus: „[…] distressed M&A fängt insofern genau dort an, wo der übliche Kanon an Krisenerkennung, -analyse und –bewältigung endet: als eine, möglicherweise einzige Lösung für ein Un-

___________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

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Müller-Stewens/Kunisch/Binder-Müller-Stewens, M&A, S. 4. Copeland/Weston, Financial Theory and Corporate Policy, S. 676. Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 141. Jansen, M&A, S. 24. Picot, Hdb. M&A, S. 18. Picot, Hdb. M&A, S. 19. Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 22, 23.

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

ternehmen (ohne hinreichende Liquidität, mit ökonomischen Schwierigkeiten, welches bereits Schaden genommen hat) verbleibt eine Fusion mit einem stärkeren Partner (‚Merger‘) oder die Übernahme durch einen Dritten (‚Acquisition‘).“8)

Somit bildet die Veräußerung des sanierungsbedürftigen Unternehmens oder aber seines Ge- 6 schäftsbetriebs i. R. einer vorinsolvenzlichen Restrukturierung eine wesentliche Handlungsoption. Thierhoff/Liebscher bezeichnen die Strategie zur Aufgabe eines Engagements als Gesellschafter oder Finanzierer eines Unternehmens als „Exit-Strategie“.9) Muss dann doch der Insolvenzantrag gestellt werden, so steht die Durchführung eines Investorenprozesses unter veränderten Vorzeichen eines Insolvenz- oder Insolvenzantragsverfahrens erneut auf der Agenda der Optionen zur Unternehmenssanierung. Vor diesem Hintergrund wurden die Ausführungen i. R. der vorliegenden dritten Auflage auf M&A-Prozesse hinsichtlich krisenbehafteter Unternehmen außerhalb gerichtlicher Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren ausgedehnt. Sinhart beschreibt einen allgemeinen Trend zur professionellen Umsetzung von Unter- 7 nehmenstransaktion im Krisenumfeld.10) Picot weist darauf hin, dass Unternehmenstransaktionen i. R. von Unternehmenskrisen „[…] aus der Not heraus entstehen und unter höchstem Zeitdruck – und damit auch mit entsprechender Ungenauigkeit – durchzuführen sind. Große Risiken gehen mit großen Chancen – wegen der meist sehr niedrigen Preise – Hand in Hand.“11)

Das Thema Mergers & Acquisitions (M&A) nimmt i. R. der Bemühungen um eine Betriebs- 8 fortführung auch in der Praxis der Insolvenzverwalter eine große Bedeutung ein. So geben die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) vor: „Der Insolvenzverwalter sucht aktiv nach Kaufinteressenten. Vorhandene Interessenten kontaktiert er kurzfristig. Er schafft selbst oder über einen geeigneten Dienstleister die jeweiligen Voraussetzungen für einen strukturierten M&A-Prozess, in dem die im Einzelfall erforderliche Sachkunde und insbesondere etwa erforderliche Fremdsprachenkenntnisse zur Verfügung stehen. Zur optimalen Gestaltung des Veräußerungsprozesses nutzt der Insolvenzverwalter die Möglichkeiten der digitalen Informationstechnologie; z. B. Einrichtung eines virtuellen Datenraums.“12)

Die Zulässigkeit der Beauftragung eines M&A-Beraters als spezialisierter Dienstleister 9 durch den Insolvenzverwalter und die Vergütung dieses Dienstleisters zulasten der Insolvenzmasse ist im Einzelfall zu prüfen – „maßgebend ist der Gesichtspunkt der Angemessenheit im konkreten Verfahren.“13) Bork hält fest, dass Insolvenzverwalter bei anspruchsvollen Insolvenzverfahren insbeson- 10 dere berechtigt seien, einen M&A-Berater zur Strukturierung eines professionellen Investorenprozesses zu beauftragen.14) Die Europäische Kommission skizziert in ihrer Empfehlung vom 12.3.201415) Überlegungen 11 zu außergerichtlichen und bei Bedarf gerichtlichen Restrukturierungsplänen, die mit einer temporären Aussetzung der Verpflichtung zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens ver___________ 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15)

Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 19. Thierhoff/Müller-Thierhoff/Liebscher, Unternehmenssanierung, S. 267. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1283. Picot, Hdb. M&A, S. 66. VID, GOI, S. 43, abrufbar unter http://www.vid.de/de/qualitaet/goi.html (Abrufdatum: 12.2.2016). Bork, ZIP 2009, 1747, 1754. Bork, ZIP 2009, 1747, 1750. Europäische Kommission, Empfehlung v. 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, abrufbar unter http://ec.europa.eu/justice/civil/files/ c_2014_1500_de.pdf (Abrufdatum: 12.2.2016).

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bunden sein sollen.16) Der erarbeitete Restrukturierungsplan soll anschließend von den Gläubigern angenommen und zum Zwecke der Erlangung von Verbindlichkeit gerichtlich bestätigt werden.17) Die Empfehlung der Europäischen Kommission sieht für den Fall, dass es nicht zur Vermeidung der Einleitung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens kommt wie auch im Falle der Verabschiedung/Bestätigung eines Restrukturierungsplans zur Schuldenbegleichung einen vollständigen Erlass aller verbliebenen Restschulden nach Ablauf von drei Jahren nach Einleitung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens bzw. Bestätigung des Restrukturierungsplans zur Schuldenbegleichung vor. In bestimmten Ausnahmefällen (u. a. Fehlverhalten des Insolvenzschuldners) soll die Drei-Jahres-Frist nicht gelten. Weiterhin soll allerdings die Existenzgrundlage des Schuldners nicht gefährdet werden.18) Die Empfehlungen der Europäischen Kommission beziehen sich sämtlich auf das Krisenstadium der Liquiditätskrise. 12 Abb. 1: Wesentliche Stadien von Unternehmenskrisen

Handlungsbedarf

Handlungsspielraum

1. Strategische Krise

2. Ertragskrise

3. Liquiditätskrise

• Illiquidität

• Zahlungsverzug • Verschuldungsanstieg

• Fehlallokation

• Fehldisposition

Für Externe erkennbar

• Leistungsrückgang

• Ergebnisrückgang

Für Kunden erkennbar

Für Banken erkennbar

Für die Öffentlichkeit erkennbar

Quelle: Allert/Seagon, Unternehmensverkauf in der Krise, S. 16

13 M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung krisenbehafteter Unternehmen werden insoweit zukünftig noch verstärkt sowohl innerhalb als auch außerhalb gerichtlicher Insolvenzund Restrukturierungsverfahren zum Tragen kommen. Entsprechend sind die Besonderhei___________ 16) Europäische Kommission, Empfehlung v. 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, S. 8, abrufbar unter http://ec.europa.eu/justice/civil/ files/c_2014_1500_de.pdf (Abrufdatum: 12.2.2016). 17) Europäische Kommission, Empfehlung v. 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, S. 9, abrufbar unter http://ec.europa.eu/justice/civil/ files/c_2014_1500_de.pdf (Abrufdatum: 12.2.2016). 18) Europäische Kommission, Empfehlung v. 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, S. 11, abrufbar unter http://ec.europa.eu/justice/civil/ files/c_2014_1500_de.pdf (Abrufdatum: 12.2.2016).

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

ten insbesondere hinsichtlich der Dramaturgie des Transaktionsprozesses sowie in Bezug auf Transaktionsstrukturierung, Unternehmensbewertung und Wirkung für Gläubiger/Gesellschafter sowohl innerhalb als auch außerhalb gerichtlicher Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren darzustellen. Gegebenenfalls beginnt auch ein Transaktionsprozess im vorinsolvenzlichen Umfeld und wird dann i. R. eines gerichtlichen Insolvenz- und/oder Restrukturierungsverfahrens zum Abschluss gebracht. An Unternehmenserwerben interessierte Investoren prüfen sehr sorgfältig vor dem Hintergrund der Interessenlage der unterschiedlichen Stakeholder in der Unternehmenskrise, welcher Zeitpunkt i. R. der Unternehmenskrise für einen Investoreneintritt als besonders geeignet erscheint.19) M&AProzesse führen entweder zur Veräußerung des Geschäftsbetriebs durch das schuldnerische Unternehmen („Asset Deal“) oder aber zu einer in der Regel signifikanten Neustrukturierung seines Gesellschafterkreises verbunden mit einer Reduzierung vorhandener Verbindlichkeiten auf ein nachhaltig bedienbares Niveau. Die Empfehlung der Europäischen Kommission lässt erwarten, dass sich der in Deutschland 14 durch ESUG entstandene Trend zur vorinsolvenzlichen Sanierung, die ggf. nach Insolvenzantragstellung von den im Wesentlichen identischen handelnden Personen ergänzt durch (vorläufige) Sachwaltung oder Insolvenzverwaltung weitergeführt wird, fortsetzen wird. Buchalik/Brömmekamp betonen den durch ESUG auch bei Unternehmensberatern (neben 15 den Gläubigern) entstandenen Einfluss auf die Frage, welcher Insolvenzverwalter mit welchem Verfahren betraut wird.20) Rebholz führt aus, dass „[…] sich auch ein Insolvenzverwalter nunmehr bei den potentiellen Gläubigern bzw. auch den Koordinatoren im Vorfeld, insbesondere Sanierungsberatungen bzw. Sanierungsabteilungen größerer Dienstleistungseinheiten wie Wirtschaftsprüfern etc. präsentieren muss.“21)

Pluta spricht eine besorgniserregende Entwicklung an:

16

„Der unabhängige Verwalter stirbt aus: Die (wenigen) Verwalter, die sanieren und restrukturieren können, müssen sich beim kränkelnden Unternehmen bewerben oder wie die Sachwalter, sich auf die Gunst von anderen Beratern und deren Erwartungen einlassen, was beides nicht immer zum Nutzen der Gläubiger ist.“22)

Welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die Entscheidungsfindung bei der Vergabe von 17 Dienstleistungsaufträgen wie M&A-Beratungsmandaten i. R. von Insolvenzverfahren haben wird, bleibt abzuwarten. Bauer/v. Düsterlho beschreiben objektive Kriterien für die Auswahl des im jeweiligen Einzel- 18 fall geeigneten M&A-Beraters.23) 2.

Definition M&A-Prozess

Der Begriff „Auktion“ lässt sich vom lateinischen Wort „augere“ ableiten, welches für „erhö- 19 hen“ oder „erweitern“ steht. Schon in der Römerzeit war es das primäre Ziel einer Auktion, auf Basis des zugrunde liegenden Bieterwettbewerbs den maximal erzielbaren Preis für ein bestimmtes Gut zu ermitteln. Auktionen stellen einen verbreiteten Mechanismus für die Preisfindung beim Verkauf eines einzelnen, seltenen und nichtstandardisierten Gutes dar. In einer Auktion wird das Objekt in der Regel an den Bieter mit dem höchsten Preisangebot ___________ 19) Eilers/Koffka/Mackensen-Rhein, Private Equity, S. 227. 20) Buchalik/Brömmekamp, Newsletter 34, 6/2015, S. 2, abrufbar unter https://www.buchalik-broemmekamp.de/fileadmin/user_upload/Newsletter_PDFs/Buchalik_Broemmekamp_Newsletter_Juni2015.pd f (Abrufdatum: 12.2.2016). 21) S. oben § 4 Rz. 48 [Rebholz]. 22) Pluta, INDat-Report 8/2014, S. 5, abrufbar unter http://www.tiefenbacher.de/fileadmin/user_upload/ Veroeffentlichungen/Titel-Verwalter_2020-INDat-Report-08_2014.pdf (Abrufdatum: 12.2.2016). 23) Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 27 f.

Deichmann

955

§ 29

Teil V Einzelfragen

innerhalb eines klar definierten, kompetitiven Prozesses verkauft.24) Der typische M&AProzess kann damit in der Regel als Auktion bezeichnet werden, wobei er – wie in der nachstehenden Übersicht dargestellt – je nach Situation und Erfordernissen unterschiedlich ausgestaltet sein kann. 20 Abb. 2: Limitiertes Bietungsverfahren zur Filterung des Erwerbsinteresses aller Käuferkategorien Selektive Ansprache Kanidatenkreis

Limitiertes Bietungsverfahren

Auktion

1-2 potenzielle Investoren

Limitierter, ausgewählter Kreis potenzieller Investoren

Möglichst breite Ansprache potenzieller Investoren

+ Hohe Vetraulichkeit interner Informationen + Schneller Abschluss möglich + Auktion nach erfolglosem Verfahren möglich – Angebotsvergleich nur bedingt möglich – Oftmals nicht ausgereizte Konditionen – Wahrscheinlichkeit höher, dass Verfahren scheitert

+ Angebotsvergleich möglich + Weitestgehende Vertraulichkeit + Optimierung der Konditionen möglich – Höhere Transparenz interner Informationen – Gefahr einer „Publizität“ steigt – Längere Verfahrensdauer

+ Addressierung aller potenziellen Investoren + Signalisiert ernsthaftes Verkaufsinteresse + Kaufpreismaximierung – Hohe Anforderung an Prozessmanagment – Von Finanzinvestoren tendenziell eher abgelehnt – Lange Verfahrensdauer – Imageschaden, falls Verfahren scheitert

Vertraulichkeit Wettbewerb

Taktische Überlegungen

>> Parallele Ansprache ausgewählter Investoren empfohlen >> Strukturiertes (Bietungs-) Verfahren notwendig, um „Best Buyer“ zu filtern und Transaktionschance zu erhöhen

Quelle: Eigene Darstellung

21 Die einzelnen prozessualen Schritte eines M&A-Prozesses werden in der Praxis wie folgt beschrieben:25) x

Identifizierung der Ziele des Verkäufers (Mandanten);

x

Strukturierung des Auktionsprozesses;

x

Auswahl von potentiellen Käufern;

x

Vorbereitung der Auktion;

x

erste Runde: Der Weg zu einem unverbindlichen Angebot;

x

zweite Runde: Der Weg zu einem verbindlichen Angebot;

x

Vertragsunterzeichnung (Signing) und Vertragserfüllung (Closing).

22 Häufig werden die einzelnen Prozessschritte zu drei großen Blöcken zusammengefasst: x

Transaktionsvorbereitung und Marktansprache;

x

das eigentliche Bieterverfahren;

x

der Abschluss der Transaktion.

23 Bauer und v. Düsterlho beschreiben die durch den M&A-Prozess zu erfüllende Funktion als „[…] dem Veräußerer eines Unternehmens unter gegebenen Rahmenbedingungen die bestmögliche(n) Option(en) für den Verkauf zu verschaffen“.26)

___________ 24) Müller-Stewens/Kunisch/Binder-Rochat/Korp, M&A, S. 270. 25) Müller-Stewens/Kunisch/Binder-Rochat/Korp, M&A, S. 271. 26) Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 23.

956

Deichmann

§ 29

M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung Abb. 3: Dynamik und Prozessschritte eines limitierten Bieterwettbewerbs Ansprache

Bieterverfahren

• Auswahl potenzieller Investoren • Abschluss Vertraulichkeitsvereinbarung • Zur Verfügungstellung von Unternehmensinformationem zwecks Kaufpreisallokation • „Process Letter“ und Aufforderung zur Absage nicht-bindendes Angebot

• Auswahl Bieter für nächste Phase

und Einladung zur Due Diligence

24

Abschluss • Einholung überarbeitetes Angebot und

SPA-Kommentare

• Bereitstelllung detailierter

• Auswahl Bieter für Schlussverhandlungen

Unternehmensinformationen in einem Datenraum • Mangement-Präsentation und Frage-/Antwort Treffen • Abklärung strategischer Fit und kaufpreisrelevante Sachverhalte • Entwurf Geschäftsanteilskauf- und – übertragungsvertrag (SPA)

• Ggf. Bereitstellung sensibler

Unternehmensinformationen • Einholung Binding Offer/Signing

Investorenanzahl

Illustrativ: Dynamik eines limitierten und diskreten Bieterwettbewerbs

ca. 12

Interessensbekundung

ca. 10 Anfrage Info-Memo

ca. 6 Abgabe Indikation

ca. 5 Management Präsentation

ca. 4 ca. 3 EndverhandAbgabe verbessertes Angebot lung

1 Vertragsabschluss

>> Aufrechterhaltung Bieterwettbewerb als ganz wesentliche Komponente zur Optimierung der Rahmenbedingungen einer Transaktion für den Auftraggeber

Quelle: Eigene Darstellung

Entscheidend für den Erfolg des M&A-Prozesses ist es in der Regel, bis zum Abschluss 25 der Transaktion einen Bieterwettbewerb aufrechtzuerhalten. Hier geht es beim Verkauf nicht insolventer bzw. nicht insolvenzgefährdeter Unternehmen einerseits darum, aus vielfältigen Überlegungen heraus zu jeder Zeit im Prozess ein glaubwürdiges Alternativ-Szenario sowohl zu den Verhandlungen mit den einzelnen Bietern als auch zu dem geplanten Verkauf insgesamt gegenüber den Bietern aufzeigen zu können.27) Solange dies der Fall ist, werden ernsthaft interessierte Investoren ihre Positionierung im Bietungsverfahren in Bezug auf Gebotshöhe und vertragliche Regelungen nach Möglichkeit so gestalten, dass sie eine Umsetzung eines Alternativszenarios durch den Verkäufer vermeiden. Bei M&A-Prozessen im vorläufigen oder im eröffneten Insolvenzverfahren ist naturgemäß der Abbruch des Verkaufsprozesses keine valide Drohkulisse, weil diesem in der Regel die Liquidation folgen würde, so dass ab einem gewissen Zeitpunkt kein werthaltiges Unternehmen mehr zum Verkauf steht.28) Im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens oder aber eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens kann die Veräußererseite hingegen in der Regel auf glaubwürdige Alternativ-Szenarien verweisen. Insofern ist es gerade im vorläufigen oder im eröffneten Insolvenzverfahren Aufgabe des für die Prozesssteuerung verantwortlichen M&ABeraters, Alternativszenarien mittels Durchführung von parallelen Verhandlungen mit mehreren interessierten Investoren aufzubauen. Zudem liegt in diesen Fällen ein entscheidender Erfolgsfaktor im Aufbau einer Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens, um jede Irritation auf Investorenseite auszuschließen. Ausschlaggebend für die Aufrechterhaltung des Bieterwettbewerbs ist neben der Umsicht des M&A-Beraters naturgemäß auch die Attraktivität des den Interessenten angebotenen Unternehmens/Geschäftsbetriebes.

___________ 27) Müller-Stewens/Kunisch/Binder-Rochat/Korp, M&A, S. 284; Dodel, Bilanzen im Mittelstand, Heft 1/2011, S. 10, 12. 28) Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 23.

Deichmann

957

§ 29

Teil V Einzelfragen

3.

Bedeutung des M&A-Prozesses

3.1

M&A-Prozess als „Marktplatz“ für in der Regel nicht liquide handelbare Unternehmensbeteiligungen/Geschäftsbetriebe

26 Auktionen geben den institutionellen Rahmen vor, um Preis und Bedingungen beim Verkauf von nichtstandardisierten Gütern zu maximieren. Während Aktien und Aktienpakete an der Börse liquide gehandelt werden können, besteht für nichtstandardisierte Güter wie Unternehmen, deren Geschäftsbetriebe bzw. Unternehmensbeteiligungen, kein regelmäßig nutzbarer liquider Marktplatz. Jansen ist der Auffassung, dass „[…] eine eigene Markttheorie zur Beschreibung von ‚Corporate Control‘ notwendig wird […]“,

da u. a. „[…] eine auch für Entscheider schwierig zu beschreibende Güterqualität sowie eine systematische Marktintransparenz mit erheblichen, aber nicht kalkulierten Informationsasymmetrien […]“

auf dem Markt für Unternehmenskontrolle vorliege.29) 27 Firmenauktionen können öffentlich oder privat sein. Private Auktionen beziehen sich auf die Veräußerung eines privat geführten Unternehmens durch ein Ad-hoc-Verfahren. Private Auktionen fallen in der Regel nicht in den Anwendungsbereich des Übernahmerechts und anderer börsenbezogener Offenlegungsvorschriften. 28 Bei dem vertraulichen Prozess einer privaten Auktion bedarf es aus Sicht von Jansen mindestens zweier potentieller Käufer:30) „Unter der Annahme, dass ein natürlicher Wettbewerb um das zu veräußernde Asset besteht, stellt eine Auktion ein höchst wirksames Instrument dar, um die verschiedenen Ziele des Verkäufers bestmöglich parallel zu optimieren.“31) „Indem mehrere Käufer im Wettbewerb um das gleiche Asset in einem gut strukturierten Transaktionsfenster zusammentreffen, können die individuellen Präferenzen und Beschränkungen der einzelnen potentiellen Käufer in der Auktion so genutzt werden, dass das Ergebnis aus Sicht des Verkäufers in Hinblick auf die einzelnen Zielkriterien dem überlegen ist, was alternativ durch eine Reihe von sequentiellen, bilateralen Verhandlungen zu erwarten wäre.“32)

29 Abb. 4: Spannungsfeld der Zieldimensionen bei einer Auktion Preis

Minimierung von: • Vertraglichen Zugeständnissen und Verkäuferpflichten • Störung des Geschäftsganges

Transaktionssicherheit

Transaktionsgeschwindigkeit

Quelle: Jansen, M&A, S. 273

___________ 29) 30) 31) 32)

958

Jansen, M&A, S. 52. Müller-Stewens/Kunisch/Binder-Rochat/Korp, M&A, S. 270. Jansen, M&A, S. 273. Jansen, M&A, S. 273.

Deichmann

M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung 3.2

§ 29

Der M&A-Berater als Interessenvertreter seines Mandanten

Achleitner ergänzt die Definition für M&A:

30

„Die Abgrenzung M&A steht weiterhin als Geschäftsfeld für Beratungsleistungen, die für andere Unternehmen, die ihrerseits an M&A-Transaktionen beteiligt sind, erbracht werden.“33)

Nach Picot verfügen Finanzberater (Anm. des Verfassers: abweichende Bezeichnung für 31 M&A-Berater) bzw. Investmentbanken über „substantielle Markt- und Transaktionserfahrung“, auf die Verkäufer und Käufer zurückgreifen sollten.34) Zum Leistungsspektrum der M&A-Beratung zählt Achleitner:

32

x Optimierung der Prozess-Steuerung; x Einbringen spezieller Fachkompetenzen; x Identifizierungsfunktion; x Sparrings-Partner und Objektivierungsfunktion; x Ausgleich personeller Engpässe beim Klienten; x Blitzableiterfunktion. Innerhalb der Gruppe der M&A-Berater im engeren Sinne können die Marktteilnehmer 33 nach Achleitner wie folgt gegliedert werden: Abb. 5: Klassifizierung der Anbieter von M&A-Beratungsdienstleistungen

34

Investmentbanken

Investmentbanking -Abteilungen der Universalbanken

Internationalität/ Komplexität

Große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften

M&ABoutiquen

Kapitalmarktrelevanz Quelle: Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 159

Professionelle M&A-Berater werden von Ihren Mandanten exklusiv mandatiert35) und 35 nehmen als deren Erfüllungsgehilfen daher ausschließlich die Interessen ihrer Mandanten wahr. Diese exklusive Mandatierung und eindeutige Interessenvertretung führt dazu, dass der M&A-Berater sich individuell auf die Mandantenziele einrichtet und mit dem jeweiligen ___________ 33) Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 141, 151 ff. 34) Picot, Hdb. M&A, S. 193. 35) Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 158.

Deichmann

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§ 29

Teil V Einzelfragen

Mandanten gleichgerichtete Ziele verfolgt. Im Rahmen dessen obliegt es dem M&A-Berater ebenfalls, seinen Mandanten frühzeitig auf eine mögliche Inkompatibilität seines Zielsystems mit den am Markt realisierbaren Handlungsoptionen hinzuweisen. Picot empfiehlt, bereits im Vorfeld eines M&A-Prozesses zwischen M&A-Berater und Mandant die Erwartungshaltung hinsichtlich der Veräußerbarkeit des Unternehmens sowie der realistisch zu erwartenden Bewertung für Geschäftsanteile bzw. Geschäftsbetrieb abzugleichen.36) 36 Bauer und v. Düsterlho sprechen zudem von einer eine positiv vermittelnden Tätigkeit des M&A-Beraters, die es erlauben soll, die Veräußerung eines wirtschaftlich notleidenden Unternehmens bzw. seines Geschäftsbetriebs auch bei anfänglich abweichenden Bewertungsvorstellungen sicherzustellen. „Im Ergebnis ist sowohl Käufer und Verkäufer zudem nur dann gedient, wenn es zu einer Transaktion kommt, d. h. das strauchelnde Unternehmen in neue, kapitalkräftige Hände überführt und damit gerettet wird, zum anderen wenn der Käufer noch genau den Preis bezahlt, der seinem Grenznutzen entspricht.“37)

37 Diese Position bezieht sich nach Einschätzung des Verfassers ausschließlich auf M&AProzesse außerhalb von Insolvenzverfahren. 38 Sinhart hingegen führt nämlich aus, es sei Ziel des Insolvenzverwalters nach § 1 InsO, die Gläubiger in ihrer Gesamtheit durch bestmögliche Verwertung und anschließende Verteilung des Vermögens des schuldnerischen Unternehmens zu befriedigen. Er sieht hierbei die Liquidationswerte abzüglich von Teilen der „aufoktroyierten Massekosten“ (u. a. Kosten des Personalabbaus sowie sonstige mit der Unternehmensliquidation verbundene Kosten) als Kaufpreisuntergrenze an. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings insbesondere, dass die absonderungsberechtigten Insolvenzgläubiger dann nach § 168 InsO eine anderweitige Verwertung des Sicherungsgutes anzeigen können, wenn die Verwertung i. R. eines Unternehmensverkaufs einen Erlös verspricht, der die Erlöspotentiale alternativer Veräußerungsmöglichkeiten i. R. eines Einzel- oder Paketverkaufs unterschreitet.38) 39 Auf die Besonderheiten im Vorfeld eines möglichen Insolvenzverfahrens, im Eröffnungsverfahren, im eröffneten Verfahren (mit bzw. ohne Insolvenzplan), in der Eigenverwaltung sowie im Schutzschirmverfahren wird in späteren Kapiteln noch ausführlicher einzugehen sein. 40 Die wichtigsten üblichen Auftragsverhältnisse von M&A-Beratungsmandaten innerhalb und außerhalb von Insolvenzverfahren sind nachstehend dargestellt: 41 Abb. 6: Auftragsverhältnisse von M&A-Beratungsmandaten Außerhalb eines Insolvenzverfahrens

• Gesellschafter im Hinblick auf Unternehmensveräußerung bzw.

• Unternehmen im Hinblick auf Realisierung einer Kapitalzufuhr infolge Investoreneintritt

Im Eröffnungsverfahren

• Schuldnerisches

Im eröffneten Verfahren

• Insolvenzverwalter

Unternehmen mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters (Regelverfahren)

• Schuldnerisches Unternehmen mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters (Insolvenzplan in Eigenverwaltung)

(Regelverfahren)

• Schuldnerisches Unternehmen mit Zustimmung des Sachwalters (Insolvenzplan in Eigenverwaltung)

Quelle: Eigene Darstellung

___________ 36) Picot, Hdb. M&A, S. 194. 37) Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 20. 38) Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1311.

960

Deichmann

Im Schutzschirmverfahren

• Schuldnerisches Unternehmen mit Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters

M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

Der wiederkehrenden Leistungsinhalte der M&A-Beratung können hierbei wie folgt be- 42 schrieben werden:39) x

Projektmanagement und Prozesskontrolle;

x

Unternehmensbewertung;

x

Verhandlungsführung;

x

Strukturierung der Transaktion.

Bauer und v. Düsterlho sind der Auffassung, dass sich der M&A-Prozess mit seinen grund- 43 sätzlichen strukturellen Elementen innerhalb und außerhalb von Krisensituationen – abgesehen vom Zeitfaktor – nicht wesentlich unterscheidet.40) Der sog. kompetitive Auktionsprozess bilde auch häufig den zu präferierenden Ansatz; allerdings sei dieser jedoch immer unter Berücksichtigung der individuellen Situation im Einzelfall auf die besonderen Anforderungen hin auszurichten.41) Im Rahmen vorinsolvenzlicher M&A-Prozesse resultiert der Zeitdruck aus der ggf. gebotenen Insolvenzantragspflicht des Managements. Ist hingegen der Insolvenzfall bereits eingetreten, so resultiert ein unter zeitlichen Gesichtspunkten gegebener Handlungsdruck aus der häufig nur auf einen begrenzten Zeitraum limitierten Möglichkeit, ein defizitäres Unternehmen unter Insolvenzbedingungen fortzuführen.42) Nach Sinhart unterscheiden sich Unternehmenstransaktionen in der Insolvenz bzw. in der 44 Krise faktisch oder rechtlich deutlich von „normalen“ Unternehmenstransaktionen.43) x

Kann eine vorinsolvenzlich durchgeführte Transaktion im Nachhinein durch den Insolvenzverwalter angefochten werden?44)

x

Im eröffneten Insolvenzverfahren stellt der sog. Share Deal immer noch die „absolute Ausnahme“ dar – der als übertragende Sanierung ausgestaltete Asset Deal dominiert das Transaktionsgeschehen.45)

x

Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist die Durchführung eines Share Deal zwar grundsätzlich möglich, sie kommt aber in der Regel nicht vor.46) Die Durchführung eines Asset Deal i. R. des Insolvenzeröffnungsverfahrens wird hingegen als unzulässig angesehen.47)

Allert/Seagon argumentieren zu Recht, der M&A-Prozess in Krisensituationen habe die 45 Interessen einer Vielzahl sog. Stakeholder zu berücksichtigen (besicherte bzw. unbesicherte Gläubiger, Lieferanten, Arbeitnehmer inkl. Betriebsrat und Gewerkschaft, Öffentliche Hand, Gesellschafter, Kunden, Kaufinteressenten, Management sowie ggf. diejenigen des [vorl.] Insolvenzverwalters. Außerhalb von Unternehmenskrisen stehe hingegen lediglich der Ausgleich der Interessen von Kaufinteressenten und an einer Unternehmensveräußerung interessierten Gesellschaftern an, um den Transaktionsprozess zum Erfolg zu führen.48)

___________ 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48)

Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 165 – 191. Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 23. Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 23. Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 23. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1283. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1284. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1298. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1315. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1316. Allert/Seagon, Unternehmensverkauf in der Krise, S. 91.

Deichmann

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§ 29

Teil V Einzelfragen

46 Hinsichtlich der taktischen Vorgehensweise sind außerhalb des Insolvenzverfahrens insbesondere die folgenden Fragen von Bedeutung: x Liegt Überschuldung vor – welche Maßnahmen zu ihrer Beseitigung sind eingeleitet bzw. einzuleiten? Wie können die Kaufpreiserwartungen der Gesellschafter definiert werden und sind diese als realistisch anzusehen? x Zu welchem Zeitpunkt muss das Management zwingend Insolvenzantrag stellen? x Ist die Unternehmenskrise bereits öffentlich bekannt bzw. wann droht sie, bekannt zu werden? x Gibt es aus Sicht der Managements präferierte Gruppen potentieller Investoren und solche, bei denen Zurückhaltung zu üben ist?49) 47 Nach Insolvenzantragsstellung kommen ergänzend die folgenden Fragen hinzu, um den M&A-Prozess zielgerichtet durchführen zu können: x Zu welchem Zeitpunkt ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geplant? Besteht nach Eröffnung die Option einer Unternehmensfortführung und wenn ja, für welchen Zeitraum? x Liegen Vorüberlegungen hinsichtlich der geordneten Überleitung des Personals auf den Erwerber vor (Betriebsübergang nach § 613a BGB)? x Haben die Sicherungsgläubiger eine (vorläufige) Position hinsichtlich des zu erwartenden Abgeltungsbetrages auf mitzuveräußernde betriebsnotwendige Vermögensgegenstände geäußert50) bzw. liegen hier entsprechende Gutachten vor? 3.3

Ermittlung des Marktpreises i. R. eines strukturierten M&A-Prozesses

48 Ein besonderes Problemfeld in M&A-Transaktionen stellt die sowohl aus Sicht des Käufers als auch des Verkäufers annehmbare Bewertung des Unternehmens dar. Die Ermittlung des „wahren“ oder „tatsächlichen“ Unternehmenswertes ist jedoch aus Sicht sowohl der Verkäufer- als auch der Käuferseite nicht möglich.51) „Der Wert eines Objektes […] ergibt sich aus den Eigenschaften, insbesondere aus dem Nutzen, den jemand der Sache […] beimisst.“52)

49 Abb. 7: Wert und Preis bei einer M&A-Transaktion Für den Verkäufer annehmbare Preise

Bereich möglicher Preisvereinbarungen

Für den Käufer annehmbare Preise

0

Entscheidungswert des Verkäufers

Entscheidungswert Geldeinheiten des Käufers

Quelle: Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 167

___________ 49) 50) 51) 52)

962

Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 33. Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 33. Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 167. Born, Unternehmensanalyse, S. 5.

Deichmann

§ 29

M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

Der Nutzen, und damit der Wert eines Unternehmens, besteht aus dem Barwert der Netto- 50 Überschüsse, die mit dem Unternehmen im Planungszeitraum erwirtschaftet werden können.53) Born sieht für die Bewertung eines Unternehmens grundsätzlich drei Anhaltspunkte:54) x

Barwert der zukünftigen Nettoausschüttungen, auch Ertragswert oder Zukunftserfolgswert genannt;

x

Vergleich mit Kaufpreisen, die für vergleichbare Unternehmen gezahlt wurden (Marktwert);

x

Vergleich mit den Kosten für die Errichtung eines vergleichbaren Unternehmens (Substanzwert).

Die Ermittlung des Zukunftserfolgswertes wie auch die verschiedenen Ausprägungen der 51 Ermittlung eines Marktwertes finden sich in nachstehendem Schaubild wieder. 52

Abb. 8: Übersicht zu den gängigen Verfahren der Unternehmensbewertung Comparable Transactions Analysis (CTA)

Comparable Companies Analysis (CCA)

Discounted Cash Flow Analysis (DCF)

• Schätzung „fiktiver“ Kaufpreis

• Schätzung „fiktiver“ Kaufpreis

• Bezugnahme auf gezahlte Preise vergleichbarer Transaktionen

• Bezugnahme auf Börsenwert vergleichbarer Unternehmen

+ Reflektiert Angebot und Nachfrage zum Verkauf stehender Unternehmen + Übersichtliche und leichte Einschätzung mögliche

+ Effinenz des Marktes reflektiert Branchentrends Geschäftsrisiko, etc. im Bördenwert + Übersichtliche und leichte Einschätzung mögliche

+ Berücksichtigt das langfristige, zukünftige Ertragspotenzial + nicht durch kurzfristige Marktschwankungen beeinflusst + Szenarienrechnungen möglich

– Begrenzte Aussagefähigkeit durch: - bedingte Vergleichbarkeit der Transaktionen - erhebliche Marktschwankungen

– Begrenzte Aussagefähigkeit durch: - bedingte Vergleichbarkeit der Vergleichsgruppe - erhebliche Marktschwankungen

– Starke Sensitivität bezüglich der Annahmen über Diskontierungssatz und Wachstumsrate

Ableitung aus Vergleichstransaktionen, die oftmals Synergien/strategische Prämien beinhalten

Vergleich mit börsennotierten Unternehmen des gleichen Branchensegments

• Barwert zukünftiger Einzahlungsüberschüsse • Unterstellte Geschäftsentwicklung basiert auf Unternehmensplannung

Zukunftsorientiertes Bewertungsverfahren, welches insbesondere das Wertpotenzial aufzeigt

Quelle: Eigene Darstellung

In der Praxis der Unternehmensbewertung bei M&A-Transaktionen spielt der Substanz- 53 wert keine Rolle, da er nichts über den zukünftigen Nutzen des Unternehmens aussagt. Born geht noch weiter und formuliert: „Der Substanzwert eines Unternehmens ist eine vergangenheitsorientierte Größe und sagt nichts über den zukünftigen Nutzen des Unternehmens aus. Wegen der Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, immaterielle Vermögensgegenstände zu bewerten, gibt er noch nicht einmal Auskunft über die Kosten für die Errichtung eines vergleichbaren Unternehmens. Der Substanzwert ist deshalb für die Ermittlung eines Unternehmenswertes nicht brauchbar.“55)

In Ausnahmefällen dient der Substanzwert als Orientierungsgröße oder Hilfswert.

54

Die insolvenzrechtlich erforderliche Erstellung einer Vermögensübersicht des schuldne- 55 rischen Unternehmens sieht nach § 153 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 151 Abs. 2 InsO vor, dass die Einzelveräußerungs- oder Liquidationswerte der Gegenstände des Anlage- und Um___________ 53) Born, Unternehmensanalyse, S. 6. 54) Born, Unternehmensanalyse, S. 6. 55) Born, Unternehmensanalyse, S. 12.

Deichmann

963

§ 29

Teil V Einzelfragen

laufvermögens ihren Fortführungswerten gegenüberzustellen sind.56) Die Angabe der Fortführungswerte folgt der Überlegung des Gesetzgebers, die Erlöserwartung der Gläubiger im Falle der Unternehmensfortführung auf die einzelnen Vermögensgegenstände „herunterzubrechen“. Sinhart führt aus, dass das krisenbehaftete Unternehmen in der Regel keinen positiven Cash Flow erwirtschaftet, so dass zumindest in der stand alone-Betrachtung die Anwendung der DCF-Bewertungsmethode nicht zielführend sei.57) Aus Investorensicht steht eher die Frage im Vordergrund, welche zukünftigen Einnahmen-Überschüsse im Zuge des Erwerbs des fortgeführten Unternehmens oder aber seines Geschäftsbetriebes erwirtschaftet werden.58) 56 Höffner ist der Auffassung, dass der Insolvenzverwalter den erforderlichen finanziellen Aufwand zur Wiedererlangung einer nachhaltigen Ertragskraft des erworbenen Unternehmens/ Geschäftsbetriebs nicht einschätzen kann, so dass die Ermittlung eines Unternehmenswertes nicht möglich sei.59) 57 Die Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i. d. F. 2008) sehen im Gegensatz zu Höffner bei der Bewertung ertragsschwacher Unternehmen (Kapitalverzinsung liegt nachhaltig unterhalb des Kapitalisierungszinssatzes) i. R. der Betrachtung eines Fortführungskonzeptes Folgendes vor: bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes60) (stand-alone-Betrachtung, siehe unten Rz. 50) sind lediglich die bereits eingeleiteten Maßnahmen zur Überwindung der Ertragsschwäche zu berücksichtigen. Im Rahmen der Ermittlung eines subjektiven Entscheidungswertes61) (subjektiver Kaufpreis, siehe unten Rz. 66) können darüber hinaus geplante, von einem Erwerber durchzuführende Maßnahmen, Berücksichtigung finden. Hierbei wird der Barwert der zukünftig mit dem sanierten Unternehmen bzw. Geschäftsbetrieb zu erwirtschaftenden Zahlungsüberschüsse ermittelt.62) 58 Der IDW S 1 besagt auch, dass der insoweit ermittelte Unternehmenswert einem Zerschlagungswert bei Stilllegung des Geschäftsbetriebes und separater Veräußerung der Vermögensgegenstände gegenüberzustellen ist, sofern im jeweiligen Einzelfall die Unternehmenszerschlagung eine denkbare Alternative darstellt. Der Unterschied zur Bewertung gesunder Unternehmen ist nach Born lediglich, „[…] daß in den nächsten Jahren wegen der Umstrukturierung nur ein geringer oder sogar ein negativer Cash-flow anfällt.“63)

59 Die gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 151 Abs. 2 InsO i. R. der Erstellung einer Vermögensübersicht vorgeschriebene Einwertung der Aktiva des schuldnerischen Unternehmens nach Fortführungswerten, die regelmäßig im vorläufigen Insolvenzverfahren durchgeführt wird, ist von der Bewertung des Unternehmens bzw. seines Geschäftsbetriebes somit deutlich abzugrenzen. 60 Wesentliche Parameter zur Entscheidung zwischen Liquidation und Fortführung sind somit einerseits der Liquidationswert der Vermögensgegenstände sowie andererseits der ermittelte Unternehmenswert (Barwert der zukünftigen Einnahmenüberschüsse). Das IDW schlussfolgert: ___________ 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62) 63)

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Höffner, ZIP 1999, 2088. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1310. Born, Unternehmensanalyse, S. 12. Höffner, ZIP 1999, 2088, 2091. IDW S 1, S. 12. IDW S 1, S. 15. IDW S 1, S. 34. Born, Unternehmensanalyse, S. 173.

Deichmann

§ 29

M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

„Ist der Barwert der finanziellen Überschüsse aus der Zerschlagung (Liquidation) eines Unternehmens höher als der Barwert der finanziellen Überschüsse bei Fortführung des Unternehmens, bildet grundsätzlich der Liquidationswert die Wertungsuntergrenze der Unternehmensbewertung.“64)

Fortführungswerte folgen einer anderen Logik:

61

„Für die Bewertung der Vermögensgegenstände bei günstiger Fortführungsprognose soll der Wert als maßgeblich angesehen werden, für den ein (potenzieller) Käufer den Vermögensgegenstand beschaffen kann (= Wiederbeschaffungswert).“65)

Fortführungswerte weichen somit in der Regel deutlich vom Wert des Unternehmens bzw. des Geschäftsbetriebs ab. Bereits Eugen Schmalenbach hob die Maßgeblichkeit der, mit einem Unternehmen zu erzielenden, zukünftigen Erfolge hervor und relativierte die von anderer Seite betonte Bedeutung einer Substanzwertbetrachtung, die sich im Fortführungsszenario in den Fortführungswerten ausdrückt.66) Die Bezugnahme auf Fortführungswerte als dominierende Entscheidungsgrundlage für die Veräußerung eines Unternehmens bzw. eines Geschäftsbetriebes i. R. eines Insolvenzverfahrens kann sich daher als massives Transaktionshemmnis auswirken. Als Folge droht dann die Liquidation, die mit dem Verlust der Arbeitsplätze und einer unzureichenden Gläubigerbefriedigung verbunden ist. Mitlehner stellt klar, der Wert eines Geschäftsbetriebes sei unter Fortführungsgesichtspunkten nach dem Ertragswert- oder Discounted Cash-flow-Verfahren zu ermitteln – die nach § 151 Abs. 2 InsO vorgeschriebene Einzelsubstanzbewertung bilde hier jedoch gerade keine sachgerechte Betrachtungs- und Entscheidungsgrundlage.67) Sinhart weist darauf hin, dass die Unternehmensbewertung nach Ertragswert- oder Cash Flow-Modellen der Aufgabe und Entscheidungsmatrix eines Insolvenzverwalters nicht gerecht werde.68)

62

Abb. 9: Objektivierter Unternehmenswert in Abgrenzung zum subjektiven Kaufpreis

66

Ertragswert, DCF-Verfahren

Strategische Überlegungen

Objektivierter Wert

+

Bieterwettbewerb

Finanzierung

Marktpositionierung

Geschäftsmodell

Strategische Prämie

Kunden/ Know-how Vergleichswerte

>> >> >> >>

Steuerliche Optimierung

=

Unternehmerische Führung

Subjektiver Kaufpreis

Synergieeffekte

Durchführung einer indikativen Bewertung als Grundlage eines belastbaren Wertargumentariums Zugrunde gelegter Business Plan muss konsistent und belastbar sein Quantifizierung realisierbarer Kosten- und Vertriebssynergien sowie möglicher Einflussfaktoren auf strategische Prämie Entscheidung über angemessenen Kaufpreis durch den Käufer

Quelle: Eigene Darstellung

___________ 64) IDW S 1, S. 34. 65) Brennecke/Augustin/Jauch, Regelinsolvenz: Einführung in das Insolvenzrecht, abrufbar unter http://www.brennecke.pro/180842/Regelinsolvenz-Einfuehrung-ins-Insolvenzrecht-Teil-4-4-1-Bewertungder-Vermoegensgegenstaende (Abrufdatum: 12.2.2016). 66) Schmalenbach, Beteiligungsfinanzierung, S. 57. 67) Mitlehner, ZIP 2000, 1825, 1827. 68) Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1311.

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63

64

65

§ 29

Teil V Einzelfragen

67 Nach Born handelt es sich bei dem Marktwert eines Unternehmens bzw. eines Geschäftsbetriebes um einen „sich aus dem Spiel von Angebot und Nachfrage ergebenden Gleichgewichtspreis.“69) Picot ist der Meinung, dass der von einem Erwerber gezahlte Kaufpreis maximal der Summe aus Unternehmenswert und durch den Erwerber realisierbarer Synergien, abzüglich der Transaktionskosten ausmacht.70) 68 Zu berücksichtigen sind im Zusammenhang mit der Unternehmensbewertung auch die später noch zu charakterisierenden Investorengruppen. Während strategische Investoren in der Lage sind – sofern der Bieterwettbewerb im M&A-Prozess dieses von ihnen verlangt – einen Teil der nach Erwerb durch Integration des zu erwerbenden Betriebs(teils) zu realisierenden Synergie-Effekte i. R. der Dimensionierung des Kaufpreises zu vergüten (Abbildung eines strategischen Kaufpreiszuschlags im subjektiv angebotenen Kaufpreis), kalkulieren Finanzinvestoren ihren Kaufpreis i. R. einer stand-alone-Betrachtung der erwarteten Zahlungsüberschüsse des Zielunternehmens (sog. „objektivierter Unternehmenswert“).71) 69 Abb. 10: Entstehung von Synergiepotentialen durch Ergänzung Wertschöpfungskette

Bisherige Wertschöpfungskette des Kaufinteressenten Handlungsbedarf

Wertschöpfung bzw. Marge

Wertschöpfungskette des zu verkaufenden Unternehmens Kontakt zu Endkunden Wertschöpfung bzw. Marge

Wertschöpfungskette des kombinierten Unternehmens Kontakt zu Endkunden Wertschöpfung bzw. Marge (erhöht durch Verlängerung der Wertschöpfungskette sowie durch Nutzung von Synergien)

Quelle: Eigene Darstellung

___________ 69) Born, Unternehmensanalyse, S. 15. 70) Picot, Hdb. M&A, S. 151. 71) Born, Unternehmensanalyse, S. 21.

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Deichmann

Strategischer Vorteil des Endkundenkontakts erlangt

M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

Abb. 11: Kaufpreiskalkulation unter Berücksichtigung realisierbarer Synergie

Unternehmenswert (isoliert)

+ Wertsteigerung (Synergien)

+ Wertsteigerung (operativ)

70

./. Transaktionskosten Unternehmenswert (neu) Kaufpreispotenzial

./. Integrationskosten

= Antizipierte Wertsteigerungsmöglichkeit

Quelle: Eigene Darstellung

Während die rechnerische Ermittlung eines Unternehmenswertes i. R. des M&A-Prozesses 71 als objektivierter Unternehmenswert (stand-alone-Wert)72) somit eine Orientierungsgröße für Gesellschafter, Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung darstellen, bildet sich im wettbewerblichen Verkaufsprozess ein Marktpreis heraus, der anhand des zuvor ermittelten objektivierten Unternehmenswertes zu plausibilisieren ist. Die Durchführung eines strukturierten M&A-Prozesses dient daher der optimalen Entwicklung eines Bieterwettbewerbs unter den möglichen Interessenten. Ziel ist es hierbei, die Interessenten unter Zugzwang zu setzen, hinsichtlich des Kaufpreises und der Vertragsstruktur möglichst nahe an ihre individuelle Verhandlungsgrenze zu gehen, um den Zuschlag zu erhalten.73) Strukturierte M&A-Prozesse dienen somit der Optimierung des Transaktionserlöses und erleichtern zudem aufgrund der geschaffenen Transparenz über die Höhe und Qualität konkurrierender Gebote eine objektivierte Entscheidungsfindung auf Seiten des Verkäufers ([vorläufiger] Insolvenzverwalter oder aber Gesellschafter). Fundamental wichtig ist die Abgrenzung zwischen dem Gesamtwert des Unternehmens 72 und dem Wert des Eigenkapitals:74) x

Gesamtwert des Unternehmens: Barwert der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse, nicht bereinigt um den Marktwert des Fremdkapitals (Perspektive bei einer übertragenden Sa-

___________ 72) Born, Unternehmensanalyse, S. 21. 73) Schulz/Tauer, KSI, Heft 3/2008, S. 101, 102. 74) Born, Unternehmensanalyse, S. 131 – 132.

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§ 29

Teil V Einzelfragen

nierung, bei der die Passivseite wie auch der Kassenbestand und die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen an den Erwerber in der Regel nicht übertragen werden). x

Wert des Eigenkapitals: Barwert der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse – bereinigt um den Marktwert des Fremdkapitals am Transaktionsstichtag (Perspektive i. R. der Umsetzung eines Insolvenzplans, zu untergliedern nach „vor Verzicht“ und „nach Verzicht“).

73 Abb. 12: Transaktionsstruktur i. R. einer übertragenden Sanierung Schuldnerin

NewCo Anlagevermögen Imm. Vermögensgegenstände

Übertragende Sanierung (Asset Deal)

Sachanlage

Unternehmenswert

Finanzanlage Umlaufvermögen Vorräte Transaktionsgegenstand

Kundenstamm vorhandene Aufträge Branding (Markenname) Know-how (Belegschaft)

Keine Übertragung der • Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (optional) • Verbindlichkeiten • Kasse und Bankguthaben

>>

Goodwill Working Capital Anpassung

Aufgrund der individuellen Transaktionsstruktur im Rahmen einer übertragenden Sanierung (keine Übertragung der Forderungen und Verbindlichkeiten) und des damit verbundenen Working-Capital-Anpassungsbedarfs ergibt sich möglicherweise ein Effekt auf die Ableitung des Unternehmenswertes

Quelle: Eigene Darstellung

74 Eine Besonderheit ist i. R. der übertragenden Sanierung im Vergleich zu sonstigen Asset Deal-Transaktionen zu beachten: Üblicherweise behält der Insolvenzverwalter die Passiva75) und die Forderungen des schuldnerischen Unternehmens zurück und zieht die Forderungen selber ein. Grund für die Nicht-Veräußerung der Forderungen ist, dass Käufer und Verkäufer in der Regel unterschiedliche Einschätzungen zur Werthaltigkeit von Forderungen i. R. von Insolvenzverfahren haben. In der Regel wird sich ein krisenbehaftetes Unternehmen im Vorfeld des Insolvenzantrags bemühen, möglichst viel Liquidität zu generieren und die Forderungen nach Möglichkeit einzuziehen. Insoweit zweifeln Investoren in der Praxis häufig an der Werthaltigkeit der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, die daher in der Regel aus dem Paket des Unternehmensverkaufs herausgenommen werden, um eine Veräußerung unter Wert zu vermeiden. Somit wird an den Investor in der Regel nicht die Gesamtheit der Vermögensgegenstände veräußert. Der Asset Deal gibt somit die Möglichkeit, lediglich Teilbereiche des Unternehmens zu erwerben.76) Der Investor verfügt allerdings nach Erwerb des Geschäftsbetriebs nicht über unmittel___________ 75) Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1299. 76) Thierhoff/Müller-Thierhoff/Liebscher, Unternehmenssanierung, S. 270.

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

bare Zahlungsströme aus eingezogenen Forderungen und muss daher für die Anlaufphase nach Übernahme eine entsprechende Betriebsmittelfinanzierung arrangieren. Den hierfür erforderlichen Kapitalbetrag ziehen Investoren bei der Ermittlung des Kaufpreises für den Geschäftsbetrieb i. R. der übertragenden Sanierung vom ermittelten Gesamtwert des Unternehmens ab. Zusammenfassend ist zu differenzieren zwischen den verschiedenen Perspektiven der Un- 75 ternehmensbewertung und der Kaufpreisverhandlung i. R. eines vorinsolvenzlichen Unternehmensverkaufs oder aber einer Unternehmensveräußerung i. R. eines eröffneten Insolvenzverfahrens. Beide Konstellationen beinhalten die Möglichkeit zur Umsetzung eines Verkaufs von Geschäftsanteilen („Share Deal“) oder aber einer Veräußerung des Geschäftsbetriebes („Asset Deal“). Im Eröffnungsverfahren hingegen finden nur in sehr seltenen Ausnahmefällen Unternehmensverkäufe statt.77) 4.

Bezug zur Betriebsfortführung

Die Betriebsfortführung eines krisenbehafteten oder aber insolventen Unternehmens durch 76 Geschäftsführung/Gesellschafter bzw. im Insolvenzfall durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter bildet die entscheidende Grundvoraussetzung für einen Erfolg versprechenden M&A-Prozess in der Krise. Nach Wellensiek „[…] hat die Sanierung eines insolventen Unternehmens von vornherein nur dann Erfolgschancen, wenn es gelingt, ohne längere Unterbrechungen den Betrieb weiterzuführen.“78)

Nach Feser besteht die Funktion der Betriebsfortführung zum einen darin

77

„[…] die Eröffnungsvoraussetzungen des Insolvenzverfahrens zu schaffen und zum anderen die im Insolvenzverfahren bestehenden Verwertungsoptionen bis zum Berichtstermin für die Gläubiger zu erhalten“.79)

Auch außerhalb von Insolvenzverfahren kann ein stillgelegter Geschäftsbetrieb in der Regel 78 mangels Attraktivität aus Investorensicht nicht veräußert werden, so dass für Gesellschafter und Gläubiger kein nennenswerter Erlös generiert werden kann. Neben der Vermeidung eines Masseverzehrs i. R. der Betriebsfortführung kommt der Siche- 79 rung der Liquidität im Antragsverfahren wie auch im eröffneten Insolvenzverfahren eine maßgebliche Bedeutung zu. Hier stehen direkte und indirekte Finanzierungsmittel, u. a. das Massedarlehen, zur Verfügung.80) Im Rahmen eines Liquiditätskrise eines Unternehmens, dessen Geschäftsführung noch nicht unmittelbar zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet ist, kann häufig nur unter Rückgriff auf externe Finanzierungsmittel (Sanierungsdarlehen der involvierten Banken i. V. m. doppelnütziger Treuhand sowie Beiträge der Gesellschafter) der Zeitrahmen für Durchführung und Abschluss eines M&A-Prozesses sichergestellt werden, um während des Verkaufsprozesses eine Insolvenzantragspflicht zu vermeiden.81)

___________ 77) 78) 79) 80) 81)

Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1315. Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199. S. oben § 3 Rz. 64 [Feser]. Oppermann, Finanzierung des Insolvenzverfahrens, S. 2 – 3. Deloitte, Distressed M&A-Unternehmensverkauf als Sanierungsoption in Krise und Insolvenz, S. 7, abrufbar unter http://www.restrukturierungsforum.de/assets/file/Vortrag_Deloitte_Distressed%20MA_ 19032013.pdf (Abrufdatum: 12.2.2016).

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§ 29

Teil V Einzelfragen

80 Ziel des M&A-Prozesses i. R. der Betriebsfortführung ist es somit im Insolvenzverfahren für die Gläubiger durch Gewinnung eines Investors, i. R. einer übertragenden Sanierung oder aber der Umsetzung eines Insolvenzplans, eine Konzeption zu entwickeln, die eine maximale, das Liquidationsszenario übertreffende, Befriedigung der Gläubigerinteressen erlaubt. Somit dient der M&A-Prozess bei der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren– wie auch das Insolvenzverfahren selber – „der Verwirklichung der subjektiven Rechte der Insolvenzgläubiger.“82) Außerhalb des Insolvenzverfahrens dient der M&A-Prozess der Erzielung eines maximalen Kaufpreises für die Gesellschafter83) i. V. m. der Übernahme der Verbindlichkeiten durch den Erwerber. Zum Lösungspaket gehören häufig außergerichtliche Verständigungen über Gläubigerverzichte oder aber Käufer und Verkäufer verständigen sich (wirtschaftlich führen beiden Varianten für den Käufer zu einem vergleichbaren Ergebnis) auf einen symbolischen oder gar negativen Kaufpreis für die Geschäftsanteile.84) II.

Wesentliche Schritte eines strukturierten M&A-Prozesses (Praxisbericht)

1.

Festlegung Transaktionsstrategie

81 Zu Beginn legen Mandant und M&A-Berater die Zielsetzung des M&A-Prozesses fest und leiten hieraus die Transaktionsstrategie ab. 82 M&A-Prozesse i. R. von Restrukturierung und Insolvenz verfolgen als Zielsetzung in der Regel x

die Veräußerung der Geschäftsanteile in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit weitergehenden Maßnahmen des Erwerbers zur Beseitigung der Unternehmenskrise – z. B. i. R. einer Kapitalzufuhr,85)

x

die Veräußerung des Geschäftsbetriebes i. R. einer übertragenden Sanierung oder

x

den, in der Regel mehrheitlichen, Eintritt eines Investors zur Durchführung einer Kapitalerhöhung bei der insolventen Gesellschaft i. R. eines Insolvenzplans.86)

83 Alle drei Gestaltungsziele verfolgen eine wertoptimierende Transaktionsstrategie und tragen damit zu einer Befriedigung der Gläubiger- bzw. in Fall 1. auch ggf. Gesellschafterinteressen bei. Grundvoraussetzung für alle Gestaltungsvarianten ist eine Fortführung des Unternehmens. Kommt es zu einer Betriebsstilllegung, so ist in der Regel aus Investorensicht kein werthaltiger Kern vorhanden, so dass lediglich die Einzelverwertung der Vermögensgegenstände in Betracht kommt. 84 Die in Restrukturierung und Insolvenz zu verfolgende Transaktionsstrategie hängt somit von der Zielsetzung der Sanierung ab. x

In dem einen Fall wird der Geschäftsbetrieb des insolventen Rechtsträgers auf einen Erwerber übertragen und der insolvente Rechtsträger anschließend abgewickelt. In der Literatur wird insoweit die übertragende Sanierung auch als eine Untervariante der Liquidation beschrieben, da der schuldnerische Rechtsträger sein operatives Geschäft veräußert und anschließend liquidiert wird.87)

___________ 82) 83) 84) 85) 86) 87)

970

Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1338. Bauer/v. Düsterlho, Distressed M&A, S. 23. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1295. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1285. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1299. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1299.

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

x

Der Insolvenzplan mit Eintritt des neuen Mehrheitsgesellschafters verfolgt das Ziel der Reorganisation und des langfristigen Erhalts des insolventen Rechtsträgers. Im Rahmen der Reorganisation des insolventen Rechtsträgers können – sofern mit dem Gläubigerinteresse vereinbar – auch in bestimmtem Umfang Interessen der bisherigen Gesellschafter des insolventen Unternehmens verfolgt werden.

x

Die Veräußerung der Geschäftsanteile durch die Gesellschafter unter vollständiger oder weitgehender Übernahme der Schulden des krisenbehafteten Unternehmens verfolgt das Ziel einer vollständigen oder weitgehenden Gläubigerbefriedigung verbunden mit der Vermeidung der für die Altgesellschafter mit einer Insolvenz verbundenen Risiken, des negativen Effekts in der Öffentlichkeit und der Generierung eines ggf. noch symbolischen Kaufpreises zugunsten der Altgesellschafter.

2.

Vorbereitung der Ansprachedokumentation

Zur ausführlichen Erstinformation der anzusprechenden Investoren-Interessenten wird ein 85 Informationsmemorandum (Fließtext) oder aber ein Fact Book in Präsentationsform erstellt. Nachstehend ein Überblick über die wesentlichen Inhalte eines solchen Dokumentes: 86

Abb. 13: Aufbau und Inhalt Fact Book Aufbau und Inhalt Fact Book 1. Executive Summary

3.2 Beschreibung des Geschäftsgegenstandes

1.1 Überblick über die Geschäftstätigkeit

3.3 Produkt- und Dienstleistungsspektrum

1.2 Finanzielle Eckdaten

3.4 Organisation / Management Team / Personal

1.3 Investoren-Rationale

3.5 Prozesse und Ressourcen-Allokation

1.4 Ablauf Transaktionsprozess

3.6 Struktur des Kundenportfolios

2. Markt und Wettbewerb

3.7 Marketing / Vertrieb / Geschäftsanbahnung

2.1 Marktüberblick

3.8 Restrukturierungs- und Geschäftsstrategie

2.2 Marktentwicklung

4. Finanzdaten

2.3 Wettbewerbsumfeld

4.1 Historie / Laufendes Geschäftsjahr / Geschäftsplan

2.4 Marktpositionierung (SWOT-Profil)

4.2 Auftragsbestand und -vorlauf

3. Darstellung des Unternehmen im Einzelnen

4.3 Working Capital - Entwicklung

3.1 Historie und aktueller Status Quo

4.4 Bilanzauswerung / Vermögensbewertung

>> Das Exposé soll die angebotene Investitionsopportunität umfassend erläuterm und den potenziellen Investoren die Abgabe eines indikativen Angebotes ermöglichen >> Detaillierte Heraisarbeitung der Marktattraktivität sowie des Geschäftspotenzials >> Zurückhaltung von besonders sensiblen, u.U. wettbewerbsrelevanten Informationen für spätere Prozessphasen

Quelle: Eigene Darstellung

Das Fact Book sollte einen Investoren-Interessenten in die Lage versetzen, eine Entschei- 87 dung über die Weiterverfolgung des Investitionsvorhabens zu treffen und ein indikatives Erwerbsangebot abzugeben. Allerdings wird ein solches Dokument erst nach Unterzeichnung einer nach üblichen 88 Standards ausformulierten Vertraulichkeitsvereinbarung88) zur Verfügung gestellt.89) Die Erstansprache der Interessenten erfolgt in der Regel auch in Krisensituationen und Insolvenzverfahren über ein neutralisiertes Kurzprofil, um den möglichen Kollateralschaden der ___________ 88) Picot, Hdb. M&A, S. 194. 89) Picot, Hdb. M&A, S. 180.

Deichmann

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§ 29

Teil V Einzelfragen

Transaktion für das im Transaktionsprozess befindliche Unternehmen zu minimieren. Nachstehend ein Beispiel für ein neutralisiertes Kurzprofil: 89 Abb. 14: Aufbau und Inhalt Kurzprofil (Teaser wird auf anonymer Basis erstellt – „One-Pager“) Aufbau und Inhalt Kurzprofil 1. Projekthintergrund Kurzbeschreibung / Darstellung Unternehmen Zielsetzung und Rationale Transaktionsvorhaben Rolle des M&A-Beraters und Darstellung des Prozederes 2. Investment Highlights Kurzbeschreibung Investment Case / Rationale aus Erwerbersicht Darstellung der Stärken und der bestehenden Potenziale 3. Finanzkennzahlen Eckpunkte wesentlicher Schlüsselkennzahlen (z. B. Umsatz, Ergebnis, Mitarbeiter) 4. Weiteres Vorgehen Darstellung der weiteren Vorgehensweise Abbildung der Kommunikationskanäle

Quelle: Eigene Darstellung

3.

Identifikation und Interessenlage der im Transaktionsprozess anzusprechenden Investoren-Interessenten

90 Als Investoreninteressenten kommen in erster Linie sowohl Finanzinvestoren als auch mögliche strategische Käufer in Betracht.90) Darüber hinaus treten in Insolvenzverfahren als Käufer häufig auch Privatpersonen aus dem Unternehmen auf.91) 3.1

Finanzinvestoren

91 Finanzinvestoren verfolgen in der Regel das Ziel, innerhalb eines Zeitraums von drei bis sieben Jahren, das i. R. einer Unternehmenstransaktion eingesetzte Kapital durch Veräußerung des Unternehmens zu vervielfachen.92) Innerhalb dieses Zeitraums soll das investierte Eigenkapital eine hohe Rendite erwirtschaften, „die dann an die Investoren (= Anleger, die einem Private Equity Fonds ihr Kapital zur Verfügung gestellt haben [Anm. des Verfassers]) weitergereicht werden kann“.93) Konkret soll der Betrag der eingesetzten Eigenmittel während der Halteperiode in der Regel verdoppelt oder verdreifacht werden. Finanzinvestoren entnehmen dem Unternehmen üblicherweise keine Ausschüttungen. Allerdings refinanzieren sie häufig einen bedeutenden Teil des Kaufpreises über die Aufnahme von Krediten. In diesem Fall nehmen Sie nach der Akquisition eine Verschmelzung der eingeschalteten Erwerbsgesellschaft mit der Zielgesellschaft vor, so dass der Kapitaldienst der Erwerbsgesellschaft direkt die Überschüsse des operativen Geschäftes der Zielgesellschaft mindert.94)

___________ 90) 91) 92) 93) 94)

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Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 205. Ehlers/Meimberg, ZInsO 2010, 1169, 1172. Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 11. Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 7. Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 6.

Deichmann

M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

Finanzinvestoren führen nach Umsetzung einer Akquisition Optimierungsmaßnahmen zur 92 Steigerung und Verstetigung der Profitabilität der Zielgesellschaft durch.95) Strukturelle Veränderungen infolge der Nutzung unternehmerischer Synergien (Zusammenlegung betrieblicher Einheiten des Zielunternehmens mit vorhandenen Aktivitäten) erfolgen nur bei sog. Folge-Akquisitionen über bereits vorhandene Beteiligungen. Im Falle der Übernahme einer Zielgesellschaft als Erst-Investment steht die Nutzung unternehmerischer Synergien nicht im Vordergrund, so dass in der Regel alle betriebsnotwendigen Unternehmensfunktionen erhalten bleiben.96) Auf die Qualität, Kontinuität und Motivation des vorhandenen Managements des Zielunternehmens wie auch die gemeinsame Verabschiedung eines mittelfristigen Businessplans legen Finanzinvestoren großen Wert, da sie selber keine aktive Rolle in der Unternehmensführung übernehmen.97) Private Equity-Investoren stellen „durch eine Beteiligung des Managements den Interessengleichlauf zwischen Investor und Management“ her.98) Das Spektrum der am deutschen Markt tätigen Finanzinvestoren gliedert sich u. a. in solche, 93 die in profitable und wachsende Unternehmen investieren, und solche, die ihren Investitionsfokus auf Unternehmen in Umbruch- und Sondersituationen ausgerichtet haben; den besonderen Chancen auf Wertsteigerung stehen i. R. unternehmerischer Krisen auch entsprechende Risiken, das eingesetzte Kapital zu verlieren, gegenüber.99) Innerhalb der Gruppe der auf Unternehmen in Umbruch- und Sondersituationen ausgerichteten Finanzinvestoren ist zu unterscheiden zwischen Investoren, die am Erwerb von Unternehmen aus der Insolvenz interessiert sind und solchen, die sich in Insolvenzsituationen zurückhalten. Grund für die Zurückhaltung bei Insolvenzverfahren ist hier in der Regel, dass der i. R. eines Insolvenzverfahrens zum Erwerb stehende Betrieb/Betriebsteil durch den Insolvenzverwalter bereits weitgehend leistungswirtschaftlich und kostenseitig optimiert wird. Somit sind die nach Erwerb zu realisierenden Verbesserungspotentiale limitiert. Gerade aber die Hebung der Verbesserungspotentiale kann eine bedeutende Wertsteigerung herbeiführen. Finanzinvestoren limitieren ihren Kapitaleinsatz in der Regel auf einen Betrag, der, in Re- 94 lation zu den kurzfristig erwarteten Überschüssen, eine attraktive Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital verspricht. Daher sind Finanzinvestoren üblicherweise zurückhaltend, wenn nach Übernahme ein zusätzlicher Kapitalbedarf entsteht. Hieraus kann sich im Vergleich zur Übernahme durch einen strategischen Investor ein höheres Risiko für eine Folge-Insolvenz ergeben. 3.2

Strategische Investoren

Die Motive strategischer Investoren bei der Übernahme von Unternehmen/Unternehmens- 95 teilen können vielfältig sein; im Vordergrund stehen in der Regel: x Ausbau des Kundenportfolios; x Verbreiterung des Produktspektrums; x Erwerb einer zusätzlichen Marke; x Ausbau der Wertschöpfung in vor- oder nachgelagerte Bereiche; x Gewinnung zusätzlicher Produktionskapazitäten; x Realisierung von Economies of Scale; x Gewinnung gut ausgebildeter Fachkräfte.100) ___________ 95) 96) 97) 98) 99) 100)

Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 6. Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 11. Allert/Seagon, Unternehmensverkauf in der Krise, S. 14. Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 9 – 10. Eilerss/Koffka/Mackensen-Rhein, Private Equity, S. 223. Ehlers/Memberg, ZInsO 2010, 1169, 1172.

Deichmann

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§ 29

Teil V Einzelfragen

96 Aus diesen Akquisitionsüberlegungen heraus lässt sich ein Investorenprofil ableiten, dass es dem M&A-Berater erlaubt, im Zuge einer Internet- und Datenbank-Recherche eine hinreichende Grundgesamtheit von strategischen Investoren-Interessenten zu ermitteln (Longlist). Aus dieser Longlist wird im Dialog mit der Geschäftsleitung des insolventen bzw. krisenbehafteten Unternehmens/dem Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter der Kreis der tatsächlich anzusprechenden Investoren-Kandidaten abgeleitet (Shortlist). 97 Strategische Investoren streben an, im Zuge der Eingliederung des zu erwerbenden Unternehmens in den eigenen Verbund alle erzielbaren Effizienz-Reserven zu heben und sog. Synergie-Effekte zwischen der zu erwerbenden Einheit und dem vorhandenen eigenen Geschäft zu realisieren.101) 98 Hierdurch ergibt sich in der Regel ein Interesse des Erwerbers, einzelne Funktionen des zu erwerbenden Unternehmens anzupassen, zu verlagern oder mit bestehenden Aktivitäten zusammenzufassen. Nicht selten kommt es i. R. der Übernahme von Unternehmen durch strategische Investoren zu Anpassungen des Management-Teams, da in der Regel durch den Erwerber Know-how aus der entsprechenden Branche vorgehalten wird. 99 Häufig sind strategische Investoren – im Gegensatz zu reinen Finanzinvestoren – in der Lage, aufgrund des Interesses, die Produktionskapazitäten zu vergrößern bzw. Absatz oder Versorgung zu sichern,102) i. R. der Übernahme eines Unternehmens/Geschäftsbetriebes zusätzliche Aufträge beim übernommenen Betriebsteil zu platzieren. Hierdurch ist es möglich, die Auslastung des übernommenen Geschäftsbetriebes kurzfristig zu optimieren. Zudem steht eine kurzfristige Renditeoptimierung für strategische Investoren nicht im Vordergrund, so dass die Bereitstellung von Liquidität – über die Geschäftsplanung hinaus und in überschaubarer Höhe – kein grundsätzliches Problem bereitet. 3.3

Investorenansprache

100 Nach erfolgter Freigabe der Liste anzusprechender Interessenten erfolgt eine telefonische oder schriftliche Kontaktaufnahme mit den zuvor recherchierten Entscheidungsträgern. Trotz der Öffentlichkeit von Insolvenzverfahren und auch angesichts des Diskretionsbedarfs im Vorfeld von Insolvenzverfahren wird die Erstansprache mit Hilfe eines neutralen Kurzprofils durchgeführt, um die Identität des Unternehmens nicht unnötig preiszugeben. Nach Unterzeichnung der beigefügten Vertraulichkeitsvereinbarung103) erfolgt die Übersendung eines ausführlichen Informationsmemorandums (ggf. auch als Fact Book im Power Point-Format). Aufgrund der Erklärungsbedürftigkeit einer Investition in ein insolventes oder krisenbehaftetes Unternehmen empfiehlt es sich, jedem ernsthaft interessierten Investor die Möglichkeit einzuräumen, sich i. R. einer Management-Präsentation einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. 4.

Durchführung von individuellen Management-Präsentationen

101 Die individuellen Management-Präsentationen sollten – noch plastischer als in Form des Fact Books oder des Informationsmemorandums möglich – insbesondere Antworten auf die folgenden Fragen geben: x Welche Entwicklungen/Entscheidungen der Vergangenheit sind ursächlich für die eingetretene Unternehmenskrise/Insolvenz? x

Verfügt das Unternehmen über ein intaktes Geschäftsmodell, so dass ein „Neustart“ nach Abschluss des Verfahrens bzw. ohne Insolvenz nach Erwerb möglich ist?

___________ 101) Ettinger/Jaques, Beck’sches Hdb. Unternehmenskauf im Mittelstand, S. 33. 102) Thierhoff/Müller-Thierhoff/Liebscher, Unternehmenssanierung, S. 268. 103) Picot, Hdb. M&A, S. 180.

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

x

Kann das Unternehmen als Ganzes fortgeführt werden oder sind nur Teile des Unternehmens zukunftsfähig?

x

Können die Führungskräfte der ersten und zweiten Führungsebene einen „Neustart“ nach innen und nach außen glaubhaft verkörpern?

x

Besteht eine Chance auf Unterstützung des Unternehmens durch Kunden, Lieferanten und Finanzierer? Wie hoch sind hier jeweils die Abhängigkeiten?

x

Können die Schlüsselpersonen in der Belegschaft gehalten werden?

x

Welche Transaktionsstrukturen lassen sich mit welchen Chancen und Risiken umsetzen?

x

Welche Rolle kommt dem bisherigen Gesellschafterkreis zu und unterstützt der Gesellschafterkreis eine Unternehmensfortführung mit Eintritt eines neuen Mehrheitsgesellschafters?

x

Sind die Gläubiger bei einer Reorganisation außerhalb eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens zu Zugeständnissen bereit („Besserstellung im Vergleich zur Insolvenzquote“)?

x

Steht der je nach Transaktionsstruktur erforderliche Kapitalbedarf in einer gesunden Relation zu den zukünftigen Chancen?

x

Welcher Zeitraum steht auch unter Liquiditäts-Gesichtspunkten zum Abschluss der Transaktion zur Verfügung?

Im Anschluss an ein solches individuelles Management-Gespräch, an dem i. R. von Insol- 102 venzverfahren ggf. auch der Insolvenzverwalter oder Sachwalter teilnimmt, erfolgt die Aufforderung zur Abgabe eines indikativen Angebotes, zu einem nach Möglichkeit für alle Interessenten einheitlichen Termin. 5.

Einholung indikativer Erwerbsangebote

Um eine Vergleichbarkeit zwischen den Transaktionsalternativen Insolvenzplan und über- 103 tragende Sanierung unter dem Gesichtspunkt der Gläubigerbefriedigung sicherzustellen, empfiehlt es sich, die Investoren i. R. von Insolvenzverfahren um Abgabe eines Angebotes, sowohl i. R. einer übertragenden Sanierung als auch im Falle des Eintritts als neuer (Mehrheits-)Gesellschafter i. R. eines Insolvenzplans, aufzufordern. Das Kriterienraster kann natürlich in ähnlicher Form auch außerhalb von Insolvenzverfahren verwendet werden. Folgende Kriterien sollte die Angebotsaufforderung enthalten bzw. den Interessenten an die 104 Hand gegeben werden, um aussagekräftige und vergleichbare Angebots-Indikationen zu generieren: x

Identität und wirtschaftliche Verhältnisse des vorgesehenen Investors

x

Insolvenzplan x

Angabe eines nicht bindenden Betrages für die Barkapitalzufuhr, gegliedert nach vorgesehener Zufuhr von Eigen- und Fremdkapital.

x

Angabe der nach Durchführung der Barkapitalzufuhr beanspruchten Höhe der Beteiligung am Stamm- oder Grundkapital der Schuldnerin unter Berücksichtigung der Interessenlage der bisherigen Gesellschafter.

x

Angabe der vom Interessenten angestrebten – vor Eintritt als Gesellschafter i. R. des Insolvenzverfahrens ggf. vorzunehmenden – Veränderungen am Transaktionsobjekt (z. B. Belegschaft,104) zu übernehmende Verträge105)).

___________ 104) Thierhoff/Müller-Göpfert/Landauer, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 203 – 214. 105) Thierhoff/Müller-Undritz, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 5.

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§ 29 x

x

Teil V Einzelfragen

Übertragende Sanierung x

Angabe eines nicht bindenden Kaufpreises für die Übernahme sämtlicher in der Definition des Transaktionsobjektes enthaltenen Vermögensgegenstände.

x

Angabe der von vom Interessenten angestrebten – vor Eintritt als Gesellschafter i. R. des Insolvenzverfahrens ggf. vorzunehmenden – Veränderungen am Transaktionsobjekt (z. B. Belegschaft,106) zu übernehmende Verträge107)).

Transaktion außerhalb der Insolvenz x

x

Share Deal –

Angabe eines nicht bindenden Kaufpreises für die Übernahme sämtlicher zur Disposition stehender Geschäftsanteile und/oder



Angabe eines nicht bindenden Betrages für die Barkapitalzufuhr, gegliedert nach vorgesehener Zufuhr von Eigen- und Fremdkapital



verbunden mit Angabe der nach Durchführung der Barkapitalzufuhr beanspruchten Höhe der Beteiligung am Stamm- oder Grundkapital der Schuldnerin unter Berücksichtigung der Interessenlage der bisherigen Gesellschafter.

Asset Deal –

x

Angabe eines nicht bindenden Kaufpreises für die Übernahme sämtlicher Aktiva und Passiva des Unternehmens

Innerhalb und außerhalb des Insolvenzverfahrens x

Angaben zur vorgesehenen Strategie für die Betriebsfortführung am Standort.

x

Angabe zur vorgesehenen Finanzierung der Transaktion und des erforderlichen Zeitraums zur ihrer Sicherstellung.

x

Erläuterung aller bestehenden Vorbehalte auf Investorenseite, wie z. B. Vorbehalte der Zustimmung von Entscheidungsgremien oder aber der Zustimmung von Finanzierungspartnern.

x

Beifügung einer möglichst vollständigen Übersicht zu den Informationen, die der Interessent i. R. einer Due Diligence-Prüfung im virtuellen Datenraum einsehen möchte.

105 Sofern die Interessenten Ihre Angebote am zuvor beschriebenen Raster ausrichten, lassen sich im Insolvenzverfahren die Möglichkeiten der Gläubigerbefriedigung pro vorgelegtem indikativen Angebot ableiten, innerhalb und außerhalb von Insolvenzverfahren können bei Beachtung der Kriterien die Wirkung der einzelnen Angebote für Gläubiger und/oder Gesellschafter in einer Vergleichsrechnung transparent aufbereitet werden. Auf dieser Grundlage erfolgt die Auswahl der Kandidaten, die in die nächste Phase des Transaktionsprozesses (Due Diligence-Prüfung) eingeladen werden sollten. 6.

Organisation einer Due Diligence-Prüfung

106 Zu den Aufgaben des M&A-Beraters gehört es auch, parallel zur Erstellung der Ansprachedokumente einen Datenbestand aufzubauen, der es erlaubt, einen aussagekräftigen Datenraum einzurichten. Ursprünglich wurde der entsprechende Datenraum in Papierform aufbereitet und in einem abgeschlossenen, nur ausgewählten und individuell zugelassenen Mitarbeitern/Beratern der Erwerbsinteressenten zugänglich gemacht. In der Zwischenzeit haben sich, von entsprechenden Dienstleistern entwickelte Lösungen für internet-basierte ___________ 106) Thierhoff/Müller-Göpfert/Landauer, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 203 – 214. 107) Thierhoff/Müller-Undritz, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 5.

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

virtuelle Datenräume durchgesetzt, die es den Erwerbsinteressenten erlauben, auf den Datenbestand in elektronischer Form zuzugreifen. Aufgrund der getroffenen technischen Sicherheitsvorkehrungen kann von einer hohen Sicherheit des Datenbestandes ausgegangen werden.108) Nachstehend eine exemplarische Datenraumgliederung: Abb. 15: Grobgliederung eines virtuellen Datenraums 1

Gesellschaftsrechtliche Unterlagen

2

Vermögenswerte

3

Verbindlichkeiten / Forderungen

4

Verträge und Vereinbarungen

5

Informationstechnologie

6

Gewerbliche Schutzrechte (IP)

7

Steuerliche Verhältnisse

8

Arbeits- und dienstvertragsrechtliche Angelegenheiten

9

107

Öffentliches Recht/Umwelt

10

Rechtsstreitigkeiten

11

Verschiedenes

12

Organisatorische Verhältnisse

13

Wirtschaftliche Verhältnisse und strategische Planung

14

Markt und Wettbewerb

Quelle: Eigene Darstellung

Die Investoren haben die Möglichkeit den Datenbestand einzusehen – nach Anforderung 108 und Einzelfreigabe besteht auch die Möglichkeit zum Speichern bzw. Ausdrucken. Rückfragen erfolgen über ein spezielles Tool des virtuellen Datenraums, so dass alle Fragen und Antworten automatisch elektronisch dokumentiert werden. Zum unterzeichneten bzw. beurkundeten Transaktionsvertrag kann somit der gesamte Datenraum in Form einer CDROM als Anlage genommen werden. Regelmäßig kommt arbeitsrechtlichen Fragestellungen i. R. der Due Diligence-Prüfung 109 eine große Bedeutung zu, da im Insolvenzverfahren häufig entweder das bestehende Personal in geeigneter Weise reduziert werden muss und/oder die bestehenden Vergütungsstrukturen an die reduzierten Umsatz- und Ertragsaussichten angepasst werden müssen. Im Rahmen einer übertragenden Sanierung entwickelt der Käufer ein aus seiner Sicht vertretbares „Erwerberkonzept“.109) Im Rahmen der Umsetzung eines Insolvenzplans nutzt das schuldnerische Unternehmen die Möglichkeiten der InsO, um die Personal- und Vergütungsstrukturen an die Vorstellungen des neuen Mehrheitsgesellschafters anzupassen.110) Außerhalb von Insolvenzverfahren müssen ggf. erforderliche Anpassungen bei Umfang oder Vergütungsstruktur der Belegschaft ohne Rückgriff auf die Möglichkeiten der InsO umgesetzt werden. Ebenso werden den Interessenten in der Due Diligence-Phase Einzelgespräche mit dem Ma- 110 nagement-Team zu anderen Themen, wie z. B. Struktur des Kundenportfolios, Kalkulation der bestehenden Aufträge, Soll-Ist-Vergleiche der vergangenen Geschäftsjahre, Deckungs___________ 108) Picot, Hdb. M&A, S. 188. 109) Thierhoff/Müller-Göpfert/Landauer, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 208 – 210. 110) Thierhoff/Müller-Göpfert/Landauer, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 203 – 214.

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§ 29

Teil V Einzelfragen

beitrags- oder Profitcenter-Rechnung bzw. Bewertung des vorhandenen Anlage- und Umlaufvermögens, angeboten, die durch den M&A-Berater moderiert und dokumentiert werden. 7.

Einholung verbindlicher Erwerbsangebote

111 Nach Auswertung des Datenrauminhaltes werden die Interessenten nach Möglichkeit wiederum zu einem einheitlichen Termin zur Abgabe eines verbindlichen Erwerbsangebotes aufgefordert. Die Anforderungen an die Qualität eines verbindlichen Angebotes sind sehr hoch, da bei Annahme eines solchen Angebotes (nach Auswertung) die Möglichkeit der Weiterverfolgung alternativer Erwerbskonzepte aufgrund der Öffentlichkeitswirkung einer Angebotsannahme deutlich eingeschränkt wird. 112 Insbesondere die folgenden Konkretisierungen müssen hierbei im Vergleich zum indikativen Angebot erzielt werden: x

Die Transaktionsstruktur muss festgelegt sein.

x

Kaufpreis (übertragende Sanierung), Betrag der Kapitalzufuhr sowie Auswirkung auf die Gesellschafterstellung der Altgesellschafter (Insolvenzplan bzw. Neustrukturierung des Gesellschafterkreises außerhalb eines Insolvenzverfahrens) müssen fixiert sein.

x

Der Investor muss nachweislich über die erforderlichen Finanzierungsmittel verfügen.

x

Ein unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten umsetzbares personalwirtschaftliches Konzept muss vorliegen.

x

Die möglichen kartellrechtlichen Implikationen müssen geklärt sein.

x

Ein „mark-up“ zum Entwurf des Transaktionsvertrages und im Fall eines Insolvenzplanverfahrens zum aktuellen Stand des Insolvenzplanentwurfs müssen vorliegen.

113 Diese Konkretisierung wird benötigt, um die eingehenden Angebote aus Sicht der Auswirkungen auf die Gläubiger (Insolvenzverfahren) sowie auf die Gesellschafter (Insolvenzplan bzw. außerinsolvenzliche Transaktion) auszuwerten und abzugleichen. Die mit Veränderungen am Transaktionsobjekt verbundenen Kosten (wie z. B. Kosten für Personalabbau i. R. eines Erwerberkonzeptes – Insolvenzverfahren) reduzieren 1:1 den den Gläubigern zufließenden Abgeltungsbetrag. 8.

Durchführung von Vertragsverhandlungen und Vertragsabschluss

114 Typisch für die Gestaltung von Transaktionsverträgen i. R. unternehmerischer Krisensituationen ist der sehr limitierte Spielraum für Gewährleistungen im Kaufvertrag zugunsten des Erwerbers (übertragende Sanierung) bzw. zugunsten des neuen Mehrheitsgesellschafters, der aufgrund eines Insolvenzplans die unternehmerische Führung übernimmt oder auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens die Stellung eines Mehrheitsgesellschafters erlangt. Die Hintergründe hierfür liegen auf der Hand: x

Insolvenzverwalter veräußern Geschäftsbetriebe bei einer übertragenden Sanierung aus einer besonderen Rechtsstellung heraus, die es Ihnen nicht erlaubt, auf die Gläubiger, denen der Veräußerungserlös zukommt, ggf. zu übernehmende Gewährleistungsrisiken überzuwälzen.111)

x

Altgesellschafter, die aufgrund eines Insolvenzplanverfahrens oder auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens in einem Transaktionsvertrag ihre Geschäftsanteile an einen neuen Mehrheitsgesellschafter übertragen, erhalten in der Regel einen sehr limitierten Kauf-

___________ 111)

978

Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1312.

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

preis,112) der es ihnen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sehr schwer macht, bedeutende Risiken aus Gewährleistungsklauseln zu übernehmen.113) Zu den wichtigen Aufgaben des M&A-Beraters zählt es, in Insolvenz- und Krisentransaktio- 115 nen weniger erfahrenen Investoren diesen Umstand frühzeitig zu kommunizieren. Hierdurch kann erreicht werden, dass nachhaltig interessierte Investoren eine besonders gründliche Due Diligence-Prüfung vornehmen, die es ihnen erlaubt, den angeforderten Gewährleistungskatalog zu minimieren.114) Der Abschluss von Exklusivitäts- oder Kostenersatzvereinbarungen, der bei Mittelstands- 116 transaktionen gelegentlich von Investoren gefordert wird, um das Risiko abzufedern, gegenüber konkurrierenden Investoren im Bieterverfahren zu unterliegen,115) kommt i. R. von Insolvenzverfahren nur selten in Betracht. Hier kann der Insolvenzverwalter nur dann Zugeständnisse machen, wenn der Interessent sein ernsthaftes Investitionsinteresse nach einer ausreichend detaillierten Prüfung in einem fortgeschrittenen Stadium des M&A-Prozesses dokumentiert und zugleich zur finalen Umsetzung einer Transaktion die Einräumung von Exklusivität verlangt. Weitere Entscheidungskriterien sind hierbei die Bonität und Seriosität des Interessenten sowie ein in Relation zum Unternehmenswert angemessenes Kaufpreisangebot.116) III.

Auswirkungen und Besonderheiten der Betriebsfortführung auf den M&A-Prozess

1.

Außerhalb von Insolvenzverfahren

Im Vorfeld einer möglichen Insolvenzantragspflicht sind in der Regel alle wesentlichen 117 „Stakeholder“ eines Unternehmens daran interessiert, ein öffentlichkeitswirksames Insolvenzverfahren zu vermeiden. Die Gesellschafter streben an, einen Restbetrag ihrer Eigenkapitalbeteiligung zu realisieren, die Gläubiger streben nach einer Abfindung oberhalb einer häufig schmalen Insolvenzquote und die Belegschaft ist am Fortbestand ihrer Beschäftigungsverhältnisse interessiert. Insoweit besteht Bereitschaft, Szenarien zu prüfen, die die Stakeholder im Vergleich zu einem Insolvenzverfahren besserstellen. Der Verfasser hat zur Jahreswende 2005/2006 unter extremem Zeitdruck (Zeitfenster von 118 ca. zehn Wochen) für einen bedeutenden deutschen Hersteller von Textilmaschinen einen weltweiten Investorenprozess erfolgreich umgesetzt. Die Geschäftsanteile des Maschinenbauunternehmens wurden zu 51 % durch den Insolvenzverwalter des vorherigen Unternehmens und zu 49 % von der Kapitalbeteiligungsgesellschaft eines Bundeslandes gehalten. Das Unternehmen war mangels gemeinsamer Strategie der Gesellschafter chronisch unterfinanziert und konnte die zur Kostendeckung erforderlichen Plan-Umsätze nicht realisieren. Gegen Ende des Jahres 2005 zeichnete sich ab, dass eine erneute Nachfinanzierung nicht zustande kam. Zugleich war der noch verfügbare Zeitrahmen für eine Fortführung vor Eintreten der Insolvenzantragspflicht limitiert. Nach Beauftragung wurden die weltweit relevanten Textilmaschinenhersteller sowie eine Vielzahl von auf Sondersituationen spezialisierten Finanzinvestoren kontaktiert. Ein einziger Interessent, ein sehr bedeutender USamerikanischer Fonds, der heute keine corporate direct investments mehr tätigt, damals aber genau die Strategie verfolgte, ein solches Portfolio aufzubauen, zeigte sich nachhaltig interessiert. ___________ 112) 113) 114) 115) 116)

Eilers/Koffka/Mackensen-Rhein, Private Equity, S. 229. Sinhart in: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1295. Thierhoff/Müller-Undritz, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 310. Picot, Hdb. M&A, S. 184. Krüger/Kaufmann, ZIP 2009, 1096, 1097.

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§ 29

Teil V Einzelfragen

119 In einer Verhandlung mit Investor, bürgenden Bundesländern sowie finanzierenden Banken wurde die nachstehend beschriebene Transaktionsstruktur ausgehandelt: x

Vorfälliger Bürgenantritt der bürgenden Bundesländer,

x

hierdurch Limitierung des Schadens bei den Verzicht leistenden Banken,

x

Veräußerung des Geschäftsbetriebs an eine NewCo,

x

Nutzung des Kaufpreises für x

Zahlung eines Abgeltungsbetrages an die verzichtenden Banken,

x

Bedienung der Transaktionskosten,

x

Zahlung eines Teilbetrages auf die Gesellschafterdarlehen der Gesellschafter,

x

Sicherung der Liquidität des veräußernden Rechtsträgers zur Vermeidung einer späteren Transaktionsanfechtung.

120 Abb. 16: Transaktionsstruktur eines vorinsolvenzlich umgesetzten Asset Deals Landesbürgschaften Bundesländer I und II

deutl. Forderungsverzicht

Bankforderungen Ablösung Restsaldo

Textilmaschinen GmbH

Kaufpreis (i.H.v. Transaktionskosten + Restsaldo Banken)

NewCo

Geschäftsbetrieb incl. Forderungen aus LuL

(Asset Deal)

incl. Kasse incl. Verbindlichkeiten aus LuL

Quelle: Eigene Darstellung

121 Zielstellung war eine längerfristig solide Fortführung des Maschinenbauunternehmens nach Abschluss der Transaktion. Der Erwerber hat einen bedeutenden zweistelligen Mio.Euro-Betrag im Anschluss an die Transaktion zur Sicherung der Liquidität bereitgestellt. Dennoch konnte das Unternehmen nicht nachhaltig saniert werden, so dass es einige Zeit später in Einzelteilen weiter veräußert wurde. 122 In der Schlussphase der Transaktion bestand in der „Vor-ESUG-Ära“ ein hoher Zeitdruck, um die Stellung eines Insolvenzantrags zu vermeiden, der im Zweifel zu einer völligen Neudefinition des Transaktionskonzeptes geführt hätte. 123 Unter der heutigen durch ESUG begründeten Sanierungskultur hätte sich ein komfortables Szenario ergeben: x

Gelingt eine Übertragung im Vorfeld der Insolvenz nicht,

x

so erfolgt diese nach Insolvenzantrag im Anschluss an das Eröffnungsverfahren, welches infolge der Zahlung von Insolvenzausfallgeld in der Regel mit einer Entspannung der Liquiditätslage einhergeht.

124 Der Verfasser ist der Auffassung, dass die heutige Rechtslage die am Transaktionsprozess beteiligten Personen in die Lage versetzt, einen glaubwürdigen „Plan B“ aufzubauen – eine Veräußerung ohne Zeitdruck im Anschluss an die Einleitung des geordneten Insolvenzverfahrens. 125 Der Verfasser hat von Ende 2008 bis Ende 2009 in Zusammenarbeit mit dem Mit-Autor Jörg Spies und dem Herausgeber dieses Werkes den nachstehend beschriebenen Investorenprozess erfolgreich durchgeführt. Hier wurde mit den hinzugetretenen Insolvenzspezia980

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

listen das Szenario einer vorinsolvenzlichen Veräußerung in eine Sanierung i. R. von Insolvenzplan mit Investoreneintritt unter Anordnung der Eigenverwaltung transformiert. Beispiel 1: Überleitung von einem vorinsolvenzlichen M&A-Prozess in einen M&A-Prozess unter dem Schutz der InsO Die Geschäftsentwicklung der Unylon Polymers GmbH, Guben, (heute ATT Polymers GmbH), wurde im Laufe des Jahres 2008 durch die einsetzende Wirtschaftskrise beeinträchtigt. Hervorgegangen aus dem VEB Chemiefaserwerk „Herbert Warnke“ hatte das Unternehmen sich seit 1990 zum führenden konzernungebundenen Unternehmen der PA 6-Polymerisation in Deutschland entwickelt. Aus dem Vorprodukt Caprolactam entstehen unter Beimischung diverser chemischer Stoffe sowie Wasser und unter hohem Energieeinsatz PA 6-Chips, die zur Faserherstellung oder aber zur Herstellung von Kunststoff-Komponenten verwendet werden. Im Oktober 2008 wurde eine weltweite Investorenansprache gestartet, die aufgrund der Wirtschaftskrise bis zum Jahresende lediglich das indikative Angebot der polnischen Gesellschaft Zakłady Azotowe w Tarnowie-MoĞcicach hervorbrachte. Einleitung Insolvenz-planverfahren während des Transaktionsprozesses: Anfang 2009 musste die Produktion des Unternehmens aus Liquiditätsgründen vorübergehend eingestellt werden. Im weiteren Verlauf des ersten Quartals 2009 erhärtete sich die Einschätzung eines negativen Unternehmenswertes. Daher entstand die Idee der Entschuldung des Unternehmens über einen Insolvenzplan i. R. des laufenden M&A-Prozesses. Im April 2009 stellte die Unylon Polymers GmbH beim Amtsgericht Cottbus Insolvenzantrag und beantragte zugleich die Eigenverwaltung. Rechtsanwalt Jörg Spies, pkl Rechtsanwälte, wurde als Sanierungsgeschäftsführer berufen. Prof. Rolf-Dieter Mönning, Mönning & Partner, wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. In umfangreichen Verhandlungen konnten Stundungsvereinbarungen mit Lieferanten und Banken vereinbart werden. Zakłady Azotowe w Tarnowie-MoĞcicach (Azoty Tarnow) konnte von der Vorteilhaftigkeit eines Insolvenzplans überzeugt werden, so dass Azoty Tarnow im 2. und 3. Quartal 2009 eine umfangreiche Due Diligence-Prüfung durchführte. Dieser Prozess wurde durch Azoty Tarnow über die Beistellung von Caprolactam in ein Konsignationslager zur Umarbeitung durch das schuldnerische Unternehmen unterstützt. Parallel zur Entwicklung des Insolvenzplans mussten umfangreiche Verhandlungen mit Lieferanten, dem Banken-Pool, der Finanzverwaltung sowie der Investitionsbank des Landes Brandenburg geführt werden. Ende September wurde ein Letter of Intent und Mitte November 2009 ein aufschiebend bedingter Kaufvertrag unterzeichnet. Im Dezember 2009 bestätigte das Amtsgericht Cottbus den vorgelegten Insolvenzplan, der die Unylon Polymers GmbH im Zuge des Eintritts des neuen Mehrheitsgesellschafters entschuldete. Von anfangs 48 Arbeitsplätzen in der strukturschwachen Region Guben konnten 44 Arbeitsplätze erhalten werden. 2.

Im Eröffnungsverfahren

Hölzle stellt klar, auch ein sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter (ohne Verwaltungs- 126 und Verfügungsbefugnis; § 22 Abs. 2 InsO) habe die Aufgabe, das schuldnerische Unternehmen im Eröffnungsverfahren fortzuführen. Die Bestellung eines schwachen Insolvenzverwalters eröffne die Chance, dass das schuldnerische Unternehmen ein gerichtliches Sanierungsverfahren nutzt, um „rechtzeitig unter gerichtlicher Aufsicht durch einen Insolvenzplan oder auf sonstige Weise mit den Gläubigern eine einvernehmliche Schuldenregulierung herbeizuführen […].“117)

___________ 117) Hölzle, ZIP 2011, 1890.

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§ 29

Teil V Einzelfragen

127 Der schwache Insolvenzverwalter „tritt daher nicht an die Stelle, sondern an die Seite des Schuldners.“118) 128 In Bezug auf den M&A-Prozess im Eröffnungsverfahren ergibt sich somit, dass in der Regel das schuldnerische Unternehmen den für die längerfristige Unternehmens- oder Betriebsfortführung mit verändertem Gesellschafterhintergrund erforderlichen M&AProzess beauftragt. Unter Rz. 35 wurde ausgeführt, dass der M&A-Berater ausschließlich als Vertreter der Interessen seines Mandanten auftritt. Insbesondere dann, wenn das schuldnerische Unternehmen von einem Gesellschafter-Geschäftsführer geleitet wird, ist somit im Eröffnungsverfahren die folgende – komplexe – Interessenlage gegeben: x

Der Gesellschafter-Geschäftsführer wird nicht nur durch die Perspektive als Organ, sondern auch als Gesellschafter des schuldnerischen Unternehmens den anstehenden M&A-Prozess betrachten. Diese Perspektive wird sich dann noch verstärken, wenn von Gesellschafterseite den Gläubigern des schuldnerischen Unternehmens Sicherheiten gestellt wurden.

x

Der vorläufige Insolvenzverwalter (mit oder ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis) nimmt gemäß § 22 InsO primär die Interessen der Gläubiger des schuldnerischen Unternehmens war.

129 Die von Kranzusch/Icks für das Land Nordrhein-Westfalen im Zeitraum 2002 bis 2007 ermittelte, sehr geringe Befriedigungsquote der Gläubiger (in 75 % der ausgewerteten Verfahren erhielten die Gläubiger keinerlei Rückführung)119) legt nahe, dass die Gesellschafter des schuldnerischen Unternehmens in der Regel keinen nennenswerten Rückfluss erwarten können. Kranzusch/Icks stellen dar, dass die in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Untersuchung für die ganze Bundesrepublik als repräsentativ angesehen werden kann.120) 130 Dennoch zeigt die Beratungspraxis, dass die weiterhin im Amt befindliche Geschäftsleitung, insbesondere wenn sie auch Gesellschafterinteressen verfolgt, nicht nur nach einer optimalen Gläubigerbefriedigung strebt, sondern naturgemäß auch die eigene unternehmerische Zukunft im Auge hat. „Den Gesellschaftern droht der Verlust des von Ihnen eingesetzten Eigenkapitals, wenn die Sanierung des Unternehmens misslingt. Die von Ihnen gehaltenen Gesellschaftsanteile verlieren in der Krise regelmäßig an Wert oder werden unverkäuflich. Gesellschafterdarlehen oder wirtschaftlich vergleichbare Leistungen der Gesellschafter sind in der Insolvenz per se nachrangig gestellt (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Mit der Einsetzung eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters verlieren die Gesellschafter überdies die Kontrolle über die Gesellschaft, weil ihre Kompetenzen als Gesellschafter weitgehend durch die Befugnisse des Insolvenzverwalters verdrängt werden. Um einen Wert- und Kontrollverlust zu vermeiden, sind Sie daher in der Regel bemüht und daran interessiert, eine Sanierung des Unternehmens zu erreichen, solange sie dessen Geschicke (mit-)bestimmen und einen Gegenwert für ihr investiertes Kapital erhalten können.“121)

131 Von besonderem Vorteil ist es, wenn eine weiterhin im Amt befindliche Geschäftsleitung zusammen mit dem M&A-Berater und dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine Zukunftsvision für das durch die Insolvenz sanierte Unternehmen entwickelt und gegenüber Investoren glaubhaft vertritt. Hierzu gehört in der Regel auch eine auf drei Geschäftsjahre (nach Insolvenz) ausgelegte Bilanz-, GuV (Gewinn- und Verlustrechnung)- und Liquidi___________ 118) Hölzle, ZIP 2011, 1890. 119) Kranzusch/Icks, IfM-Materialien, Nr. 186, S. 36, abrufbar unter http://www.ifm-bonn.org/ publikationen/ifm-materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail[publication]= 283&cHash=efae2f2cc5ca6719aadf72535e17195e (Abrufdatum: 12.2.2016). 120) Kranzusch/Icks, IfM-Materialien, Nr. 186, S. 34, abrufbar unter http://www.ifm-bonn.org/ publikationen/ifm-materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail[publication]= 283&cHash=efae2f2cc5ca6719aadf72535e17195e (Abrufdatum: 12.2.2016). 121) Eilers/Koffka/Mackensen-Rhein, Private Equity, S. 226.

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

tätsplanung – unterlegt durch valide ermittelte Planungsprämissen. Die GuV-Planung ist hierbei bottom-up kunden- bzw. produktbezogen aufzubauen, damit Investoren der Planung Vertrauen entgegenbringen. Ebenso sollten eine Kostenträger- sowie Deckungsbeitragsrechnung verfügbar sein. Diese divergierenden Interessen122) lösen sich u. a. dadurch auf, dass die Geschäfts- 132 leitung nur mit Zustimmung des (schwachen) vorläufigen Insolvenzverwalters (sofern das AG angeordnet hat, dass Verfügungen nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters getroffen werden können)123) einen M&A-Berater beauftragen und einen entsprechenden Prozess initiieren kann. Somit kann sichergestellt werden, dass dieser Prozess auch im Eröffnungsverfahren im Gläubigerinteresse durchgeführt wird. Die Praxis zeigt jedoch in manchen Fällen, dass die bestehende Geschäftsleitung aus ver- 133 schiedenen Gründen häufig nicht mehr in der Lage ist, einen plausiblen mittelfristigen Geschäftsplan zu entwickeln und vor Investoren-Interessenten glaubwürdig zu vertreten. Hinderlich ist im Eröffnungsverfahren die Einsetzung eines (schwachen) Insolvenzver- 134 walters dann, wenn noch vor Verfahrenseröffnung der Geschäftsbetrieb vollständig oder in Teilen i. R. einer übertragenden Sanierung veräußert werden soll. Dies ist z. B dann der Fall, wenn die Liquidität für eine Fortführung bis zur Verfahrenseröffnung nicht aus dem operativen Cash-flow oder aber einem Massedarlehen gesichert werden kann. Im Eröffnungsverfahren bietet die Insolvenzgeldvorfinanzierung einen Hebel zu Unternehmensstabilisierung. Daher bietet es sich an, sofern frühzeitig ein nach Insolvenzeröffnung eintretender Liquiditätsmangel absehbar ist, das Zeitfenster des Eröffnungsverfahrens zu nutzen, um zügig zu einem Vertragsabschluss mit einem Investor zu gelangen.124) In diesem Fall haben vom Investor verlangte und durch den vorläufigen (schwachen) In- 135 solvenzverwalter im Kaufvertrag zugestandene Freistellungen (z. B. von nicht übernommenen Verbindlichkeiten) oder aber Gewährleistungen hinsichtlich eines bestimmten Zustandes des Transaktionsgegenstandes nicht den Charakter von Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich von Insolvenzforderungen.125) Als Lösungsmöglichkeit bietet sich hier an, vor Vertragsabschluss eine entsprechende Verfügungsbefugnis bei Gericht einzuholen. Hierdurch wird der (schwache) vorläufige Insolvenzverwalter partiell zum (starken) vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt – die insoweit begründeten Verbindlichkeiten sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen.126) Auch drohen erhebliche Anfechtungsrisiken.127) Rhein schlussfolgert daher, dass eine rechtssichere Transaktion die Zustimmung des Schuldners – sofern noch vertretungsbefugt – sowie des Insolvenzgerichts oder der Gläubiger voraussetze. Eine sich auch aus Investorensicht abzeichnende Begrenzung des Fortführungszeitraums 136 auf den Zeitraum bis zur Verfahrensöffnung erschwert die Verhandlungen extrem. Zusammen mit dem Mit-Autor Franc Zimmermann hat der Verfasser den nachstehen beschriebenen M&A-Prozess während des vorläufigen Insolvenzverfahrens innerhalb weniger Wochen zur Abschlussreife bringen müssen, um die Lebensfähigkeit des Geschäftsbetriebs trotz vielfältiger Hindernisse aufrechtzuerhalten. Die Transaktion wurde unmittelbar nach Verfahrenseröffnung vollzogen. ___________ 122) 123) 124) 125) 126) 127)

Eilers/Koffka/Mackensen-Rhein, Private Equity, S. 227. Hönig/Mayer-Löwy, ZIP 2002, 2162. Thierhoff/Müller-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 851. Hönig/Mayer-Löwy, ZIP 2002, 2162. Hönig/Mayer-Löwy, ZIP 2002, 2162. Eilers/Koffka/Mackensen-Rhein, Private Equity, S. 239.

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§ 29

Teil V Einzelfragen

Beispiel 2: Investorenprozess innerhalb des Eröffnungsverfahrens unter massivem Zeitdruck Die QSN24h GmbH & Co. KG ist ein auf Nacharbeit und Qualitätssicherung spezialisiertes Unternehmen aus der Automobilindustrie. Zu dem Kundenstamm des Unternehmens zählen viele renommierte Automobilhersteller und -zulieferer. In der Vergangenheit war das Unternehmen überregional – teilweise auch außereuropäisch – tätig und verfügte in Spitzenzeiten über bis zu 70 Arbeitnehmer. Aufgrund von Führungsmängeln geriet die QSN24h GmbH & Co. KG in eine wirtschaftliche Schieflage. Das Unternehmen verbuchte 2013 und 2014 erhebliche Umsatzrückgänge, so dass sich in Folge ein negatives Jahresergebnis einstellte. Mitte Oktober 2014 hatte der Geschäftsführer schließlich Insolvenzantrag gestellt. Am 21.10.2014 wurde Rechtsanwalt Dr. Franc Zimmermann, Mönning & Partner, zunächst zum sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter und am 27.10.2014 zum sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Zum Zeitpunkt des Projektbeginns befand sich der Geschäftsbetrieb in einem äußerst bedenklichen Zustand und drohte vollständig zum Erliegen zu kommen. Durch kontraproduktive Maßnahmen des Geschäftsführers der QSN24h GmbH & Co. KG, wie bspw. die Entwendung der firmeneigenen Server, spitze sich die Situation zu. Zur nachhaltigen Fortführung des Betriebs war somit die sofortige Entbindung des Geschäftsführers von allen Verantwortlichkeiten sowie eine sehr kurzfristige Gewinnung eines Investors erforderlich. Zügige übertragende Sanierung: SSC Consult wurde am 27.10.2014 beauftragt, kurzfristig eine übertragende Sanierung des Geschäftsbetriebs umzusetzen. Die Investitionsmöglichkeit stieß bei den angesprochenen Investoren auf reges Interesse. Eine wichtige Rolle spielten hierbei die positiven Signale der Schlüsselkunden zur weiteren Beauftragung des Unternehmens. Binnen drei Wochen wurden insgesamt sechs Managementgespräche geführt und drei bindende Kaufangebote eingeholt. Am 19.11.2014, keine vier Wochen nach Beginn des Investorenprozesses, konnte eine Kaufvertrag mit einem Brancheninvestor unterzeichnet werden, wodurch der operative Geschäftsbetrieb des renommierten Wolfsburger Qualitätssicherungs- und Nachbearbeitungsbetriebs QSN24h GmbH & Co. KG vollständig erhalten bleibt und sämtliche vorhandenen Arbeitsplätze gesichert werden konnten. 137 Der Fall QSN24 h zeigt eindeutig, dass Insolvenzverwaltung und M&A-Berater dann „mit dem Rücken zur Wand“ stehen, wenn die Liquiditäts- und Ergebnissituation eine Fortführung über das vorläufige Insolvenzverfahren hinaus nicht ermöglichen und kein Raum für einen „Plan B“ verbleibt. 3.

Im eröffneten Verfahren

3.1

Mit Insolvenzplan

138 Die InsO führt in § 218 Abs. 1 aus: „Zur Vorlage eines Insolvenzplans an das Insolvenzgericht sind der Insolvenzverwalter und der Schuldner berechtigt.“

139 Spies stellt fest, in § 1 InsO sei bestimmt, „[…] dass das Insolvenzplanverfahren als gleichberechtigte Alternative zur Regelabwicklung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger dient.“128)

140 Der Insolvenzplan dient der Umsetzung eines Sanierungskonzeptes durch einen redlichen Schuldner.129) Der bestehende Rechtsträger wird somit erhalten und seine rechtsträgerspezifischen Berechtigungen, die ein Hindernis für die Umsetzung einer übertragenden Sanierung darstellen können, bleiben erhalten.130) Der Investor, der i. R. eines Insolvenzplans als ___________ 128) Spies, ZInsO 2005, 1254, 1255. 129) Spies, ZInsO 2005, 1254, 1255. 130) Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157.

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

neuer (Mehrheits-)gesellschafter in den sanierten Rechtsträger eintritt, kann in der Regel durch Eintritt i. R. eines Insolvenzplans drei kommerzielle Vorteile realisieren: x

Rückgriff auf bestehende Finanzierungen und Forderungen: Innerhalb der Regelungen des Insolvenzplans kann auf bestehende Finanzierungen des schuldnerischen Unternehmens, u. a. durch Lieferanten und Kreditinstitute, zurückgegriffen werden. Ebenso zieht das sanierte schuldnerische Unternehmen die bestehenden Forderungen ein, so dass der durch den Investor initial aus eigenen Mittel (Guthaben/Kreditlinien) zu erbringende Liquiditätsbetrag in der Regel im Vergleich zur übertragenden Sanierung deutlich geringer ausfällt. Insbesondere in einer Phase der Zurückhaltung vieler Banken bei der Kreditvergabe131) ist dieser Aspekt von Bedeutung für die sichere Umsetzung einer M&A-Transaktion i. R. eines Insolvenzverfahrens.

x

Höherer Ansatz der Vermögensgegenstände in der Bilanz: In bislang durchgeführten Transaktionsverfahren konnte festgestellt werden, dass nach Abschluss eines Insolvenzverfahrens in der Regel die Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens in der Bilanz des sanierten Rechtsträgers mit höheren Werten zu Buche stehen als in der Eröffnungsbilanz des erwerbenden (neuen) Rechtsträgers i. R. einer übertragenden Sanierung. Hieraus ergibt sich für die Zukunft aus Sicht des fortführenden Investors ein steuerminderndes erhöhtes Abschreibungsvolumen.

x

Höhere Eigenmittelquote nach Abschluss der Transaktion: In der Praxis ist zu beobachten, dass aufgrund des üblicherweise bedeutenden, von der Ertragsbesteuerung freizustellenden Sanierungsgewinns, der sanierte Rechtsträger nach Abschluss eines Planinsolvenzverfahrens eine als attraktiv einzuschätzende Eigenmittelquote aufweist. Insbesondere weil bei übertragenden Sanierungen der bilanzielle Hebel des steuerfreien Sanierungsgewinns wegfällt, liegt die Eigenmittelquote eines neuen Rechtsträgers, der den Geschäftsbetrieb des identischen schuldnerischen Unternehmens i. R. einer übertragenden Sanierung erworben hat, deutlich niedriger. Diese Erfahrungen konnte der Verfasser i. R. von ergebnisoffenen Bieterverfahren machen, in denen den Interessenten die Wahl gelassen wurde zwischen dem Eintritt über einen Insolvenzplan und dem Erwerb des Geschäftsbetriebs i. R. einer übertragenden Sanierung.

Die Möglichkeit des Einstiegs des Investors durch einen Insolvenzplan als neuer Mehrheits- 141 gesellschafter in das sanierte schuldnerische Unternehmen, als Alternative zur übertragenden Sanierung, kann die Erfolgsaussichten des M&A-Prozesses erhöhen und somit die Perspektiven für eine optimale Gläubigerbefriedigung verbessern. Nach den bisher vorliegenden, noch nicht wirklich vollständig aussagekräftigen, Untersu- 142 chungen ergeben sich bei Insolvenzplanverfahren teils deutlich höhere Quoten zugunsten der Gläubiger als bei i. R. einer Regelabwicklung durchgeführten Insolvenzverfahren – allerdings ist zu beachten, dass die für die Gläubiger bei übertragenden Sanierungen erzielten Quotenergebnisse bislang nicht nachhaltig ausgewertet wurden.132) Planinsolvenzverfahren zeichnen sich zwar insgesamt durch eine kürzere Verfahrensdauer 143 aus als Regelinsolvenzverfahren (Phase der Abwicklung des Rechtsträgers nach Veräußerung

___________ 131) Braunberger/Mussler, FAZ v. 2.2.2012, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/finanzen/anleihenzinsen/schuldenkrise-verschaerfte-kreditbedingungen-im-euroraum-11634518.html (Abrufdatum: 12.2.2016). 132) Kranzusch/Icks, IfM-Materialien, Nr. 186, S. 36, abrufbar unter http://www.ifm-bonn.org/publikationen/ ifm-materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail[publication]=283&cHash= efae2f2cc5ca6719aadf72535e17195e (Abrufdatum: 12.2.2016).

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§ 29

Teil V Einzelfragen

des Geschäftsbetriebs entfällt),133) hingegen kann sich der M&A-Prozess i. R. eines Planinsolvenzverfahrens gegenüber demjenigen einer übertragenden Sanierung auf der Zeitschiene deutlich länger hinziehen. Alleine die Einhaltung der Frist zur Anberaumung eines Erörterungs- und Abstimmungstermins über den Insolvenzplan gemäß § 235 Abs. 1 InsO, die nicht mehr als einen Monat betragen soll, ist zu berücksichtigen. In der Regel vergehen sechs bis acht Monate zwischen Insolvenzantragsstellung und Planbestätigung. Eine übertragende Sanierung kann bereits unmittelbar bei Verfahrenseröffnung und somit ca. drei Monate nach Stellung des Insolvenzantrages erfolgen. 144 Für den erfolgreichen Abschluss eines Investorenprozesses i. R. eines Insolvenzplans kommt der operativen Entwicklung des fortgeführten Geschäftsbetriebs während des Insolvenzverfahrens eine Schlüsselrolle zu. Während im vorläufigen Insolvenzverfahren grundsätzlich von einer Verpflichtung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu Unternehmensfortführung auszugehen ist, muss dieser im eröffneten Verfahren fortlaufend prüfen, „ob die Fortführung des Unternehmens noch mit den Interessen der Gläubiger vereinbar ist.“134) Somit ist eine Situation denkbar, in der der Insolvenzverwalter entscheiden muss, die Unternehmensfortführung aufgrund sich verschlechternder wirtschaftlicher Verhältnisse des schuldnerischen Unternehmens während des Investorenprozesses zu beenden. Wenn es dann nicht gelingt, kurzfristig eine übertragende Sanierung umzusetzen, sind die Unternehmensfortführung und der M&A-Prozess gescheitert. Die Weiterverfolgung der Option eines Insolvenzplans mit Gesellschafterwechsel erübrigt sich aufgrund des reduzierten Zeithorizontes zur Umsetzung. 145 Als Risikofaktor ist hier auch eine Ablehnung des Insolvenzplans im Abstimmungstermin einzuschätzen. Gelingt es nicht, den, zusammen mit dem Investor entwickelten Plan im Abstimmungstermin durchzusetzen, so droht ein Scheitern des Investorenprozesses, da in der Regel vor Einreichung des Insolvenzplans bei Gericht eine Festlegung auf den präferierten Investor erfolgt. Alternative Investorenkandidaten sind in einer solchen Konstellation nicht zwingend nochmals zu motivieren, diese Beteiligungsmöglichkeit in Erwägung zu ziehen. 146 Die Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren mit Insolvenzplan eröffnet somit für Investoren und Gläubiger zugleich die Nutzung bedeutender ökonomischer Vorteile. Auf dem Weg hin zur Realisierung dieser Vorteile sind jedoch erhöhte Risiken im Transaktionsprozess in Kauf zu nehmen. 147 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass § 217 Satz 2 in Kombination mit § 225a InsO „[…] die Möglichkeit der Einbeziehung von Gesellschafterrechten in die Reorganisation der Insolvenzschuldnerin durch einen Insolvenzplan“

vorsieht.135) Diese Regelung erlaubt es z. B. Druck auf Altgesellschafter auszuüben, die i. R. der Übertragung der Mehrheit der Geschäftsanteile auf einen Investor eine unrealistische Erlöserwartung hinsichtlich der Veräußerung ihrer Geschäftsanteile formuliert haben. Der Investoreneintritt erfolgt i. R. von Insolvenzplänen in der Regel im Wege einer Barkapitalerhöhung, die eine massive Verwässerung der Altgesellschafter zur Folge hat. Investoren streben häufig die Kontrolle über 100 % der Geschäftsanteile an und haben daher das

___________ 133) Kranzusch/Icks, IfM-Materialien, Nr. 186, S. 36, abrufbar unter http://www.ifm-bonn.org/ publikationen/ifm-materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail[publication]= 283&cHash=efae2f2cc5ca6719aadf72535e17195e (Abrufdatum: 12.2.2016). 134) Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 211. 135) Hölzle, ZIP 2012, 2427, 2428.

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

Ziel, den Altgesellschaftern die nach Verwässerung verbleibende Restbeteiligung zu moderaten Bedingungen abzukaufen.136) 3.2

Ohne Insolvenzplan

Eine Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren ohne Insolvenzplan kann für den M&A- 148 Prozess bedeuten, dass die unter Rz. 130 ff. beschriebenen unterschiedlichen Interessenlagen zwischen Geschäftsleitung und Insolvenzverwaltung durch Verzicht auf die weitere Mitwirkung der bisherigen Geschäftsleitung aufgelöst wird.137) Der Verzicht auf die weitere Mitwirkung der bisherigen Geschäftsleitung hat insgesamt die folgenden Konsequenzen: x x

Keine Belastung des Investorenprozesses durch eine Geschäftsleitung mit abweichendem Zielsystem. Chance für die Investoren-Interessenten, die Geschäftsleitung nach Umsetzung der übertragenden Sanierung neu zu besetzen.

x

Chance für die zweite Führungsebene des schuldnerischen Unternehmens, sich im Investorenprozess zu profilieren.

x

In der Regel eingeschränkte Möglichkeit, eine fundierte mittelfristige Unternehmensplanung zu entwickeln.

x

Reduzierte Chance einen Finanzinvestor zu gewinnen.

Insgesamt bietet die Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren ohne Insolvenzplan die 149 Chance, einen Investorenprozess kurzfristig nach Verfahrenseröffnung mit hoher Transaktionssicherheit abzuschließen. Die unter Rz. 145 beschriebenen Risiken aus der möglichen Beendigung der Betriebsfortführung im Vorfeld des Abstimmungstermins, wie auch das Risiko einer Abweisung des Plans im Abstimmungstermin, entfallen. Ebenso entfallen jedoch auch die bei Rz. 140 beschriebenen Potentiale, die – durch den Investor genutzt – die Gläubigerbefriedigung optimieren können. Denkbar ist aber auch hier ein Scheitern des Investorenprozesses: der Autor hat in einem 150 jüngst erfolgreich abgeschlossenen Investorenprozess die Erfahrung gemacht, dass ohne Insolvenzplan (und Weiterfinanzierung des sanierten Unternehmens durch seine bisherigen Hausbanken) eine erfolgreiche Transaktion mangels einer alternativen, den Interessenten zur Verfügung stehenden Bankfinanzierung ausgeschlossen gewesen wäre. Die Vorlage eines mit den Hausbanken als Hauptgläubiger abgestimmten Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter bildete hier somit eine wesentliche Bedingung für den erfolgreichen Abschluss des Investorenprozesses und somit des Insolvenzverfahrens. Beispiel 3: Investorenprozess im eröffneten Verfahren ohne Insolvenzplan Die FFK-Unternehmensgruppe war ein mittelständisches Entsorgungsunternehmen am Standort Peitz bei Cottbus. Die Aufbereitung von Hausmüll sowie Baustellen- und anderen Abfällen zu Ersatzbrennstoffen erfolgte durch die Rohstofftiger Gesellschaft für Wertstoffaufbereitung und Rückgewinnung mbH. Deren Muttergesellschaft, die FFK Environment GmbH, war für das Stoffstrom-Management (Beschaffung der zu verarbeitenden Abfälle sowie Veräußerung des produzierten Ersatzbrennstoffes) der im Verarbeitungsprozess selektierten Wertstoffe, verantwortlich. Zugleich unterhielt sie einen umfangreichen Fuhrpark für Nah- und Fernlogistik. Eine weitere Tochtergesellschaft, die FFK Compositepellets Forst GmbH, war gegründet worden, mit dem Ziel, aus Kohlestaub und biogenen Reststoffen sog. Compositepellets herzustellen. Diese sollten es den Anwendern erlauben, den Verbrauch von CO2–Zertifikaten zu ___________ 136) Thierhoff/Müller-Undritz, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 136. 137) Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 659.

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Teil V Einzelfragen

reduzieren. Die Pellet-Produktion war aufgrund technischer Probleme mit der von einem namhaften Maschinenbauer hergestellten innovativen Pelletiermaschine nicht aufgenommen worden. Übertragung von Vermögensgegenständen und Personal i. R. zweier Einzeltransaktionen: Zur Refinanzierung vorgenommener Investitionen sowie zur Rückzahlung aufgenommenen Mezzanine-Kapitals hatte die FFK Environment GmbH einen Finanzinvestor am Kapital beteiligt und zudem eine Unternehmensanleihe emittiert. In 2012 hatte die FFK-Unternehmensgruppe mit 195 Beschäftigten bei Umsatzerlösen von 26,4 Mio. ¼ ein negatives EBIT von 7,1 Mio. ¼ erzielt. In 2013 waren Umsatz und Verlust rückläufig. Im Oktober 2013 stellten alle drei vorgenannten Gesellschaften der FFK-Unternehmensgruppe Insolvenzantrag beim Amtsgericht Cottbus. Professor Rolf-Dieter Mönning wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Nachdem sich die Gesellschafter über eine Reorganisation der drei schuldnerischen Unternehmen nicht verständigen konnten, wurde das Insolvenzverfahren zum 1.1.2014 eröffnet und Professor Rolf-Dieter Mönning zum Insolvenzverwalter bestellt. Anschließend wurde SSC Consult mit einem strukturoffenen Investorenprozess für alle drei schuldnerischen Unternehmen beauftragt. Ziel war es zunächst, die Geschäftsbetriebe aller drei schuldnerischen Unternehmen an einen Investor zu veräußern oder aber einen Investoreneintritt bei den drei Rechtsträgern i. R. einer Reorganisation zu strukturieren. Im Februar 2014 wurde deutlich, dass die technischen Probleme bei der Pelletieranlage gravierender als erwartet waren, so dass der Investorenprozess für die FFK Compositepellets Forst GmbH angehalten wurde und die Investorengespräche sich nun zunächst auf die Entsorgungssparte konzentrierten. Aufgrund mangelnder kontinuierlicher und vertraglich gebundener Input-Stoffströme, war das Erwerbsinteresse unter den zahlreichen kontaktierten Unternehmen der Entsorgungsindustrie, der Abnehmerbranchen (insbesondere Papier- und Zementindustrie) limitiert. Finanzinvestoren blieben aufgrund des sehr kompetitiven und staatlich regulierten Branchenumfeldes sowie der anhaltenden Verlustsituation zurückhaltend. Dennoch konnten fünf indikative Erwerbsangebote eingeholt und nach vertiefter Prüfung und Verhandlung im Juli 2014 mit der Eurologistik-Unternehmensgruppe, Senftenberg, zwei Verträge zur Übertragung des Rohstofftiger-Geschäftsbetriebs sowie zur Übertragung wesentlicher Teile des Geschäftsbetriebs der FFK Environment GmbH, abgeschlossen werden. Die Eurologistik-Unternehmensgruppe, ein regionaler Wettbewerber, war an dem Ausbau der eigenen Kapazitäten in den Bereichen EBS-Produktion und Logistik interessiert. Der Investorenprozess hatte sich allerdings aufgrund rechtlicher Probleme im Zusammenhang mit einem Erbbaurecht sowie infolge der Entdeckung einer Müll-Ablagerung auf dem zu veräußernden Gelände verzögert. Der weder in technischer, noch in kaufmännisch-strategischer Hinsicht ausgereifte Geschäftsbetrieb der FFK Compositepellets Forst GmbH, musste liquidiert werden. 151 Das Beispiel FFK zeigt sehr deutlich, dass nach Verfahrenseröffnung und Entstehen der Durchgriffskraft des Insolvenzverwalters Optimierungen am schuldnerischen Unternehmen mit dem Ziel einer Ergebnisverbesserung durchgeführt werden können. Sofern die Ergebnis- und Liquiditätslage auskömmlich sind, besteht der „Plan B“ in der (für den M&A-Berater in der Regel weniger erfreulichen) Perspektive eines Abbruchs der Verhandlungen und einer längerfristigen Fortführung durch den Insolvenzverwalter. 4.

In der Eigenverwaltung

152 Hier sind die bei Rz. 138 ff. bereits aufgeführten Vor- und Nachteile, die sich aus der Vorlage eines Insolvenzplans für die Umsetzung des Investorenprozesses und damit auch für die Erzielung eines aus Gläubigersicht akzeptablen Ergebnisses des Insolvenzverfahrens gleichlautend ergeben, zu berücksichtigen. 153 Hinzu kommen die folgenden Elemente: x

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Ergänzung der Geschäftsleitung: Im Rahmen der Eigenverwaltung kommt es in der Regel zu einer Neubesetzung in der Geschäftsleitung des schuldnerischen Unternehmens durch einen erfahrenen Insolvenzrechtsexperten. Ziel dieser Maßnahme ist es, Deichmann

M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

das Vertrauen der Arbeitnehmer, Lieferanten, Gläubiger und Mitarbeiter, wie auch der sonstigen Stakeholder des schuldnerischen Unternehmens, in die Geschäftsleitung wieder herzustellen.138) x

Anreiz für eine rechtzeitige Insolvenzantragsstellung mit einem ersten Sanierungskonzept: Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung bildet einen Anreiz für die Geschäftsleitung des schuldnerischen Unternehmens, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen und hierbei ein erstes Sanierungskonzept vorzulegen.139) „Die Kombination aus Eigenverwaltung und Insolvenzplan bietet sich geradezu an. Denn der Schuldner, der daran interessiert ist, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht zu verlieren, verbindet diese Absicht mit dem Ziel, eine Erhaltungslösung für sein Unternehmen zur verwirklichen.“140)

Die Gläubiger und sonstigen Stakeholder haben das Recht, i. R. des vorläufigen Gläubigerausschusses, zu dem vorgelegten Sanierungskonzept Stellung zu nehmen.141) Hieraus folgt in der Regel, dass die Gläubiger und die sonstigen Beteiligten den für das insolvente Unternehmen handelnden Personen sowie dem gesamten Restrukturierungsprozess das erforderliche Vertrauen entgegenbringen, das auch erforderlich ist, um bei den Verhandlungen mit interessierten Investoren eine Konzeption zu entwickeln, die aus Investorensicht tragfähig und aus Gläubigersicht akzeptabel ist. In der Regel optimale Möglichkeit, eine fundierte mittelfristige Unternehmensplanung zu entwickeln: Die Ergänzung der Geschäftsleitung durch einen Experten mit insolvenzrechtlichem Sachverstand erlaubt es, frühzeitig eine fundierte mittelfristige Unternehmensplanung zu entwickeln, die die bestehenden insolvenzrechtlichen Gestaltungsspielräume ausnutzt und aus Sicht interessierter Interessenten einen Anreiz schafft, als neuer (Mehrheits-)gesellschafter in den zu sanierenden Rechtsträger einzutreten. Der M&A-Prozess wird durch die Betriebsfortführung i. R. der Eigenverwaltung nochmals 154 gegenüber der Betriebsfortführung mit Insolvenzplan (Rz. 138 ff.) begünstigt. Die schnelle Transaktionsumsetzung, die eine Betriebsfortführung ohne Insolvenzplan ermöglicht (Rz. 148 ff.), kann allerdings nicht realisiert werden. Allerdings fokussiert sich in der Praxis zunehmend das Investoreninteresse bei größeren Transaktionen auf den Einstieg über einen Insolvenzplan.

x

5.

Im Schutzschirmverfahren

Mönning bezeichnet das Schutzschirmverfahren (im Gesetzestext bezeichnet als „Verfah- 155 ren zur Vorbereitung einer Sanierung“) als „Instrument gefährdeter Unternehmen, die das Insolvenzverfahren als Problemlösungshilfe nutzen wollen“.142) Dieses Verfahren begünstigt die Erfolgsaussichten eines M&A-Prozesses i. R. einer Betriebsfortführung aus folgenden Gründen gegenüber dem Planverfahren in Eigenverwaltung: x

x

Geringere Störung der Gläubiger-Beziehungen: Das am Markt zu platzierende Unternehmen ist bei Antragstellung noch nicht zahlungsunfähig; der Antrag wird bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt.143) Erleichterte Willensbildung: Der Antrag auf Eröffnung eines Schutzschirmverfahrens kann verbunden sein mit dem Vorschlag des Schuldners auf Bestellung eines bestimm-

___________ 138) 139) 140) 141) 142) 143)

Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 645. Spies, ZInsO 2005, 1254, 1259; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1340. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 649; Spies, ZInsO 2005, 1254, 1256. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 661. Mönning in: FS Kübler, S. 433. Schelo, ZIP 2012, 712; Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 661.

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Teil V Einzelfragen

ten Sachwalters.144) In der Regel muss das Gericht diesem Vorschlag folgen.145) Dieser quasi-verbindliche Vorschlag eines „mitgebrachten Sachwalters“146) vermeidet das ansonsten in der Eigenverwaltung angelegte Konfliktpotential zwischen Sachwalter und Geschäftsleitung.147) x Gesellschaftsrechtliche Veränderungssperre: Laut Hölzle sperrt bereits der Antrag auf Einleitung eines Schutzschirmverfahrens „die gesellschaftsrechtlich den Gesellschaftern vorbehaltenen Kompetenzen […].“148) Hierdurch können Einflüsse obstruierender Gesellschafter, die das Insolvenzverfahren insgesamt und insbesondere den Investorenprozess belasten könnten, verhindert werden. 156 Grundsätzlich birgt das Schutzschirmverfahren für den M&A-Prozess Vorteile, da die Gläubigerbeziehungen in der Regel in einem Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung nach § 270b InsO noch nicht vollständig zerrüttet sind, der Willlensbildungsprozess auf Seiten des schuldnerischen Unternehmens erleichtert wird und störende Einflüsse aus dem Gesellschafterkreis abgewehrt werden können. Wichtig ist aber auch aus Investorensicht, dass das Kontrollsystem in dieser Variante des Insolvenzverfahrens nicht ins Wanken gerät,149) da Investoren darauf achten, dass das von ihnen bereit gestellte Kapital nur in vertretbarem Rahmen auch Belangen der Altgesellschafter zugutekommt. IV.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Würdigung

157 Der M&A-Prozess i. R. einer vorinsolvenzlichen Krisensituation dient der vollständigen Rückführung oder Sicherstellung aller Gläubiger und nach Möglichkeit der Sicherung einer Restbeteiligung oder Restabfindung für die Gesellschafter. Er kann allerdings auch in außergerichtliche Verzichtsverhandlungen mit den Gläubigern münden, wenn aus Investorensicht der Enterprise Value des Unternehmens den Betrag der vorhandenen Finanzschulden unterschreitet. Der vorinsolvenzliche Investorenprozess beinhaltet zum einen den Vorzug, dass ein Erwerb außerhalb des Insolvenzverfahrens für auf Sondersituationen fokussierte Finanzinvestoren in der Regel attraktiver ist. Zum anderen gibt er den handelnden Personen die Chance, mit der Möglichkeit der Einleitung eines geordneten Insolvenzverfahrens unter Beibehaltung des Transaktionsteams die Verhandlungsposition gegenüber Investoren zu stärken. Diese Option zur Überleitung des Investorenprozesses in ein verändertes Rechtskleid stellt seit ESUG eine große Chance dar. 158 Der M&A-Prozess i. R. der Unternehmensfortführung i. R. von Insolvenzverfahren dient einer Gläubigerbefriedigung, die in der Regel höher ausfällt als bei der Unternehmensliquidation. Er ist angelegt als ein Bietungsverfahren, in dem eine ausreichend große Anzahl geeigneter strategischer Investoren und Finanzinvestoren auf die möglichst detailliert und zukunftsbezogen beschriebene Investitionsmöglichkeit angesprochen werden. 159 Als Messlatte für strategische Entscheidungen der Gesellschafter oder aber des Insolvenzverwalters i. R. von M&A-Prozessen steht der, aus den in der Zukunft erzielbaren Zahlungsströmen abzuleitende Zukunftserfolgswert des krisenbehafteten bzw. schuldnerischen Unternehmens zur Verfügung. Zur Bewertung von Unternehmen/Geschäftsbetrieben bilden die verschiedenen Methoden zur Abschätzung der zukünftig mit dem Unternehmen/ ___________ 144) 145) 146) 147) 148) 149)

990

Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 662. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 662; Schelo, ZIP 2012, 712, 713. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 662. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 657 – 660. Hölzle, ZIP 2012, 2427, 2428. Mönning in: FS Kübler, S. 447.

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M&A-Prozesse im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 29

Geschäftsbetrieb aus Sicht der verschiedenen Investorengruppen erzielbaren Zahlungsüberschüsse die geeignete Entscheidungsgrundlage. Im vorinsolvenzlichen M&A-Prozess haben die Gesellschafter die Möglichkeit, eine nach 160 Möglichkeit vollständige Gläubigerbefriedigung i. V. m. der Sicherung eines noch verbleibenden Teils des eigenen unternehmerischen Vermögens zu realisieren. Während im Eröffnungsverfahren in der Regel die Interessen von Geschäftsleitung, Ge- 161 sellschaftern und vorläufigem Insolvenzverwalter (Sachverwalter) parallel zur Entfaltung kommen, stehen die Gläubigerinteressen im eröffneten Verfahren im Fokus. Während der Insolvenzplan für einen Investor verschiedene wirtschaftliche Vorteile bein- 162 haltet, die mit der Unsicherheit eines länger andauernden Transaktionsprozesses erkauft werden müssen, bietet die klassische übertragende Sanierung in der Regel ein überschaubares Ergebnis für die Gläubiger, aber auch eine hohe Wahrscheinlichkeit für den erfolgreichen Abschluss des Transaktionsprozesses und damit des Insolvenzverfahrens – sofern den Investoren die erforderliche Liquidität zur Verfügung steht. Die Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren im Besonderen erleichtern eine frühzeitige Einleitung des Restrukturierungsverfahrens und zugleich die Ausarbeitung eines detaillierten mittelfristigen Wirtschaftsplan des zu restrukturierenden Unternehmens. Begibt sich ein Unternehmen unter den „Schutzschirm“ des § 270b InsO, so sind die Einflussmöglichkeiten von Gesellschaftern, die eine Sanierung behindern möchten, sehr begrenzt. Insolvenzplan, Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren setzen eine Mindestgröße 163 des Unternehmens voraus. Je nach Gegenstand des Unternehmens sowie der mittelfristig mit dem Unternehmen erzielbaren Ergebnismargen ist in etwa ab einer Umsatzgrößenordnung i. H. von 20 Mio. € pro Jahr davon auszugehen, dass diese Alternativen zur klassischen übertragenden Sanierung unter Kostengesichtspunkten ernsthaft in Erwägung gezogen werden können. Eine aktuelle von Boston Consulting Group in Zusammenhang mit dem INDat-Verlag er- 164 stellte Studie zeigt allerdings, dass lediglich 2,7 % der zwischen 2012 und 2014 eröffneten Insolvenzverfahren (ohne natürliche Personen) als Eigenverfahren angelegt waren. Diese Zahl ist nicht verwunderlich, wenn man berücksichtigt, dass viele kleinere und teilweise auch handwerklich geprägte Unternehmen ein Insolvenzverfahren durchlaufen. In diesen zahlreichen kleineren Fällen ist der mit einer Eigenverwaltung und häufig auch mit einem professionellen Investorenprozess verbundene Aufwand nicht zu rechtfertigen.150) Die durch das ESUG geschaffenen Möglichkeiten der Gestaltung von Investorenprozessen 165 in der Unternehmenskrise (beginnend im vorinsolvenzlichen Bereich und ggf. überleitend in ein geordnetes Insolvenzverfahren) senken das Risiko einer Liquidation des schuldnerischen Unternehmens – die Wahrscheinlichkeit einer langfristigen Fortführung des zu sanierenden Unternehmens steigt.151) Der Verfasser erwartet, dass die durch das ESUG geschaffenen Erleichterungen bei der 166 Unternehmenssanierung die Perspektiven für erfolgreiche M&A-Prozesse i. R. der Unternehmensfortführung weiter verbessern. Hierdurch kann erreicht werden, dass die Gläubiger schuldnerischer Unternehmen höhere Quoten auf ihre Forderungen zu realisieren vermögen und zugleich möglichst viele mittelständische Unternehmen und somit Arbeitsplätze erhalten werden können. ___________ 150) The Boston Consulting Group, Drei Jahre ESUG – höherer Aufwand lohnt sich, S. 3, abrufbar unter http://www.bcg.de/documents/file188855.pdf (Abrufdatum: 12.2.2016). 151) Roland Berger Strategy Consultants/Noerr LLP/Noerr Consulting AG, ESUG-Studie 2012, S. 29, abrufbar unter http://www.rolandberger.com/media/pdf/Roland_Berger_ESUG-Studie_20121106.pdf (Abrufdatum: 12.2.2016).

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§ 30 Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz Übersicht I. II. III. IV. 1.

2. 3.

Problemaufriss............................................. 1 Typen von Genehmigungen ..................... 2 Realkonzessionen in der Insolvenz .......... 4 Personalkonzessionen in der Insolvenz............................................................... 9 Gewerberechtliche Personalkonzessionen .................................................... 11 1.1 Widerruf der Erlaubnis .................. 14 1.1.1 Unzuverlässigkeit............................ 16 1.1.2 Geltung von § 12 GewO ............... 24 1.2 Fortführung in der Insolvenz......... 30 Personalkonzessionen außerhalb der Gewerbeordnung ....................................... 35 Sonderfall: Freiberufler.............................. 37 3.1 Widerruf der Berufszulassung........ 40

3.1.1 Gesundheitsberufe .......................... 42 3.1.2 Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer .............. 48 3.1.3 Architekten ..................................... 56 3.2 Möglichkeiten der Fortführung ..... 57 3.2.1 Gesundheitsberufe .......................... 59 3.2.2 Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer .............. 68 V. Alternativszenarien .................................. 75 1. Verwertung öffentlich-rechtlicher Befugnisse................................................... 76 2. Freigabe zur Fortführung durch den Schuldner .................................................... 81 VI. Fazit ............................................................ 86

Literatur: Arens, Steuerforderungen im Zusammenhang mit dem Neuerwerb nach Neuregelung des § 35 InsO, DStR 2010, 446; Berger, Die unternehmerische Tätigkeit des Insolvenzschuldners nach § 35 Abs. 2 InsO, ZInsO 2008, 1101; Braun/Gründel, Approbationsentzug wegen Unwürdigkeit und Anspruch auf Wiedererteilung der Approbation, MedR 2001, 396; Friauf, Kommentar zur Gewerbeordnung, Loseblatt, Stand: 10/2011; Graf/Wunsch, Eigenverwaltung und Insolvenzplan – gangbarer Weg in der Insolvenz von Freiberuflern und Handwerkern, ZIP 2001, 1029; Haarmeyer, Die Freigabe selbständiger Tätigkeit des Schuldners und die Erklärungspflichten des Insolvenzverwalters, ZInsO 2007, 696; Hahn, Einige Rechtsprobleme des § 12 GewO, GewA 2000, 361; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., 2007; Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., 2010; Hess/Röpke, Die Insolvenz der kammerabhängigen freien Berufsangehörigen, NZI 2003, 233; Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl., 2000; Jaeger, Konkursordnung, Kommentar, 9. Aufl., 1997; Janca, „Endlich Rechtsanwalt bleiben?“, ZInsO 2005, 242; Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, Kommentar, 11. Aufl., 2015; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 3. Aufl., 1997; Kluth, Die freiberufliche Praxis „als solche“ in der Insolvenz – Viel Lärm um nichts?, NJW 2002, 186; Kotulla, Bundes-Immissionsschutzgesetz, Kommentar, Loseblatt, Stand: 6/2011; Krumm, Die Auslegung des § 12GewO zwischen Sonderinteresse und gemeinwohlorientierter Gefahrenabwehr, GewA 2010, 465; Landmann/Rohmer (Hrsg.), Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften, Kommentar, Loseblatt, Stand: 6/2015; Leitherer, Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 77. Aufl., 2013, Stand: 3/2013; Mai, Die selbständig tätige natürliche Person im Insolvenzverfahren – Besonderheiten im Hinblick auf Pfändungsschutz und Unternehmensfortführung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2009, Kap. 19; Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, 67. Aufl., 2013; Piekenbrook, Das ESUG – fit für Europa?, NZI 2012, 905; Plagemann, Münchener Anwaltshandbuch zum Sozialrecht, 3. Aufl., 2009; Ruthig/ Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., 2011; Schick, Der Konkurs des Freiberuflers – Berufsrechtliche, konkursrechtliche und steuerrechtliche Aspekte, NJW 1990, 2359; Schaeffer, Der Begriff der Unzuverlässigkeit in § 35 Abs. 1 GewO, WiVerw 1982, 100; Schallen, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, Vertragszahnärzte, Medizinische Versorgungszentren, Psychotherapeuten, Kommentar, 8. Aufl., 2012; Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., 2008; Schmittmann, Freie Kammerberufe und Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2004, 725; Smid, Freigabe des Neuerwerbs in der Insolvenz selbstständig tätiger Schuldner, DZWIR 2008, 133; Spickhoff, Medizinrecht, 2011; Stober/Eisenmenger, Besonderes Wirtschaftsverwaltungsrecht, 15. Aufl., 2011; Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung, Kommentar, 8. Aufl., 2011; Tetztlaff, Rechtliche Probleme in der Insolvenz des Selbstständigen, ZInsO 2005, 393; Uhlenbruck, Die Verwertung einer freiberuflichen Praxis durch den Insolvenzverwalter, in: Festschrift für Wolfram Henckel, 1995, S. 877; Vallender, Gewerbeuntersagung während des Insolvenzverfahrens, VIA 2010, 55; Vallender, Die Arztpraxis in der Insolvenz, in: Festschrift für Friedrich Wilhelm Metzeler, 2003, S. 21; Vallender, Rechtliche und tatsächliche Probleme bei der Abwicklung der Arztpraxis in der Insolvenz, NZI 2003, 530; Voigt/Gerke, Die insolvenzfreie, selbständige Arbeit, ZInsO 2002, 1054; Wischemeyer, Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO – Praxisfragen und Lösungswege, ZInsO 2009, 2121.

Klöck/Gerdes

993

§ 30 I.

Teil V Einzelfragen Problemaufriss

1 Die Führung eines Gewerbes, Handwerks oder einer freiberuflichen Praxis ebenso wie der Betrieb einer Anlage ist in vielen Fällen von der Erteilung einer Genehmigung abhängig. Ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Begünstigten der Genehmigung hat unterschiedliche Auswirkungen – je nachdem, welche inhaltliche Ausgestaltung die Genehmigung hat. ) II.

Typen von Genehmigungen

2 Genehmigungen sind öffentlich-rechtliche Befugnisse zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten, zum Bau und Betrieb von Gebäuden und Anlagen oder zur Nutzung von Sachen, welche die öffentliche Verwaltung hoheitlich, also in der Form eines Verwaltungsakts, erteilt. Traditionell wird zwischen sog. Sach- oder Realkonzessionen einerseits und Personalkonzessionen andererseits unterschieden.1) x

Realkonzessionen werden einem Unternehmen als solchem erteilt, sie knüpfen an bestimmte dingliche oder sachliche Voraussetzungen, wie etwa bestimmte Erfordernisse einer Anlage, an (z. B. §§ 4 ff. BImschG).2)

x

Personalkonzessionen dagegen knüpfen an die Person des Unternehmers an, der bestimmte persönliche Voraussetzungen erfüllen muss (z. B. § 34c GewO).3)

x

Häufig finden sich zudem gemischte Konzessionen bzw. sachgebundene Personalerlaubnisse, die beide Arten der Voraussetzungen kombinieren.4) Ein typisches Beispiel für eine solche gemischte Konzession ist die Gaststättenerlaubnis als raumbezogene Personalkonzession.

3 Bedeutsam ist die Unterscheidung vor allem im Hinblick auf ihre Übertragbarkeit. Während eine Sachkonzession auf den Rechtsnachfolger übertragen werden kann, muss der Rechtsnachfolger in den Fällen der Personalkonzession in seiner Person die Voraussetzungen erfüllen. Er muss daher eine neue Genehmigung beantragen.5) Insbesondere die Personalkonzessionen bereiten vor diesem Hintergrund i. R. der Betriebsfortführung in der Insolvenz Probleme. Deshalb wird der Schwerpunkt der nachfolgenden Betrachtung auf den Personalkonzessionen liegen. III.

Realkonzessionen in der Insolvenz

4 Realkonzessionen sind auf die Sache (Anlage, Grundstück etc.) und nicht auf die Person des Inhabers bezogen.6) Es handelt sich um Rechte zur Ausübung eines bestimmten Gewerbes, die gleichsam dinglichen Charakter haben, nämlich veräußerlich und vererblich sind.7) Deshalb lässt ein Wechsel der Person, etwa des Betreibers einer Anlage, ihre Wirksamkeit unberührt.8)

___________ *) 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

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Dieser Beitrag wurde mit Unterstützung von Mareike Götte erstellt. Jarass-Tünnessen-Harmes, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 9 Rz. 12 ff. Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, § 8 Rz. 25. Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 4 Rz. 406. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 232; Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rz. 282. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 232. Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 516. Sydow in: BeckOK GewO, § 10 Abs. 12. Jarass, BImSchG, § 6 Rz. 80.

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Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz

§ 30

Die Sachbezogenheit eröffnet die Möglichkeit, den Vermögenswert der Konzession un- 5 mittelbar zu Gunsten der Insolvenzmasse zu realisieren: x

Setzt das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Verfügungsverbot und mit Zustimmungsvorbehalt (sog. „halbstarker“ Insolvenzverwalter) ein, kann eine (bspw. nach BImSchG) genehmigungsbedürftige Anlage durch den bisherigen Betreiber fortgeführt werden, sofern der vorläufige Insolvenzverwalter hierzu seine Zustimmung erteilt. Dies wird und muss der vorläufige Insolvenzverwalter jedenfalls dann tun, wenn es sich um eine grundsätzlich profitable Anlage handelt.9)

x

Im eröffneten Insolvenzverfahren stellen die Realkonzessionen einen Teil der Insolvenzmasse dar, da ihnen regelmäßig ein Vermögenswert zukommt.10) Der Insolvenzverwalter übernimmt spätestens jetzt, soweit nicht durch einen Insolvenzplan etwas anderes bestimmt wurde und auch keine Eigenverwaltung angeordnet wurde, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Unternehmen. Er übernimmt nicht lediglich die schuldnerische Betriebsstätte und dessen Anlagen, sondern rückt durch die Übernahme einer Anlage in die Betreiberstellung ein.

Dies folgt daraus, dass Betreiber einer Anlage derjenige ist, der unter Berücksichtigung 6 der rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Umstände einen bestimmenden Einfluss auf die Errichtung, Beschaffenheit und den Betrieb der Anlage hat.11) Einer förmlichen Übertragung bedarf es nicht. Als reine Sachkonzession geht die Genehmigung ohne Übertragungsgenehmigung oder Anzeige auf den neuen Betreiber über.12) Hieraus folgt, dass der Insolvenzverwalter sämtliche Rechte und Pflichten in Bezug auf den Betrieb der Anlage zu beachten hat, die bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beachten waren. Er hat insbesondere eine ordnungsgemäße Betriebsorganisation und die Einhaltung aller (v. a. öffentlich-rechtlicher) Pflichten eines Anlagenbetreibers sicherzustellen. Bedeutung hat der Eintritt des Insolvenzverwalters in die Betreiberposition u. a. für Alt- 7 lastenfälle. So trifft bspw. den Insolvenzverwalter als letzten Betreiber einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage die Nachsorgepflicht zur ordnungsgemäßen Beseitigung von Abfällen gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG, wenn er die Anlage des Insolvenzschuldners nach Insolvenzeröffnung kraft eigenen Rechts und im eigenen Namen fortbetrieben hat. Die dadurch begründete Pflicht des Insolvenzverwalters ist nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Masseschuld zu erfüllen13) – ein Umstand, den der Insolvenzverwalter bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen hat, ob er den Betrieb fortführt. Zu dem Themenkomplex „Altlasten/Immissionsschutz und Haftung“ siehe auch nachfolgend § 31 [Zimmermann]. Auf ein bereits eingeleitetes, aber noch nicht abgeschlossenes Genehmigungsverfahren 8 für einen zur Masse gehörigen Gegenstand hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 240 Satz 1 ZPO eine unterbrechende Wirkung. Der Grund für die Unterbrechung liegt darin, dass der Insolvenzschuldner gemäß § 80 InsO seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse verliert, sobald ein Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt ist. Die Unterbrechung soll dem Insolvenzverwalter die Gelegenheit geben, sich mit dem Prozessstoff vertraut zu ___________ 9) Braun-Böhm, InsO, § 22 Rz. 21. 10) Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 1 Rz. 82; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 516. 11) OVG Münster, Beschl. v. 27.11.2008 – 8 B 1476/08, UPR 2009, 238; Jarass, BImSchG, § 3 Rz. 81; Kotulla, BImschG, § 4 Rz. 77. 12) Jarass, BImSchG, § 6 Rz. 79. 13) VGH Mannheim, Beschl. v. 17.4.2012 – 10 S 3127/11, GewArch 2012, 272.

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§ 30

Teil V Einzelfragen

machen.14) Dies gilt auch für den Fall, dass das Insolvenzgericht eine Eigenverwaltung des Schuldners nach den §§ 270 ff. InsO anordnet hat.15) IV.

Personalkonzessionen in der Insolvenz

9 Aufgrund der Tatsache, dass Personalkonzessionen nicht ohne weiteres auf einen Rechtsnachfolger übertragen werden können, drängt sich die Frage geradezu auf, ob und in welchem Rahmen eine Fortführung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Praxis, welches bzw. welche einer Personalkonzession bedarf, in der Insolvenz möglich ist. Hier kollidiert das Insolvenzrecht mit dem jeweiligen Berufsrecht. Wegen ihres höchstpersönlichen Charakters gehen die berufsrechtlichen Verpflichtungen und Befugnisse nicht wie andere öffentlich-rechtliche Rechte und Verpflichtungen auf den Insolvenzverwalter über. Anders als bspw. in den Fällen einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage kann der Insolvenzverwalter nicht ohne weiteres an die Stelle des Schuldners treten.16) Dies gilt jedenfalls insoweit, als ihm die entsprechende Qualifikation für die betreffende Tätigkeit fehlt. 10 Allgemein ist zunächst zu beachten: Nach keiner der berufsrechtlichen Regelungen erlöschen Qualifikation oder Zulassung des Berufsangehörigen automatisch kraft Gesetzes.17) Immer sind ein besonderes Verfahren und ein Ausspruch der zuständigen Stelle erforderlich. Je nach Anknüpfungspunkt der Personalkonzessionen gilt sodann: 1.

Gewerberechtliche Personalkonzessionen

11 Unter den Personalkonzessionen dürfte die gewerberechtliche Personalkonzession vom Insolvenzverwalter in der Praxis am häufigsten anzutreffen sein. Als Gewerbe i. S. der Gewerbeordnung wird gemeinhin jede nicht sozial unwertige, erlaubte, auf Gewinnerzielung gerichtete, selbstständige Tätigkeit bezeichnet, die fortgesetzt und nicht nur gelegentlich ausgeübt wird. Ausgenommen von dem Gewerbebegriff sind die Urproduktion18), die freien Berufe und die Verwaltung bloßen Vermögens.19) 12 Grundsätzlich steht es jedem frei, ein Gewerbe zu eröffnen (§ 1 GewO). Allerdings besteht für zahlreiche Gewerbe ein Erlaubnisvorbehalt, um besonderen Schutzanforderungen in bestimmten Bereichen des Wirtschafts- und Arbeitslebens gerecht werden zu können.20) Unterschieden werden deshalb zulassungsfreie und zulassungspflichtige Gewerbe. Zur Ausübung eines zulassungspflichtigen Gewerbes bedarf der Betreiber einer Erlaubnis, i. d. R. einer Personalkonzession. Zu den zulassungspflichtigen Gewerben gehören bspw. der Betrieb von Schank- und Speisewirtschaften sowie Beherbergungsbetrieben, die Maklertätigkeit, die Erbringung von Finanzdienstleistungen, die Anlageberatung und –vermittlung, das Aufstellen von Automaten, die Altenpflege und die Kinderbetreuung sowie der Handel mit Waffen. 13 Die Zulassung eines Gewerbes ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft, die teils in der Gewerbeordnung, teils in Spezialgesetzen, etwa dem Gaststättengesetz, der Handwerksordnung, dem Heimgesetz oder dem Waffengesetz geregelt sind. Die meisten Vorschriften stellen dabei besondere Anforderungen an die Person des Gewerbetreibenden. ___________ 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20)

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OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.7.2003 – 14 U 207/01, DZWIR 2004, 123. Schumacher in: MünchKomm-InsO, § 85 Rz. 6. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1033. Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 110; Schick, NJW 1990, 2359. Hierzu zählen insb. Landwirtschaft, Garten- und Weinbau, Tierzucht, Jagd, Fischerei und Bergbau. BVerwG, Urt. v. 24.6.1976 – I C 56.74, NJW 1977, 772; Stober, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 10 f. Landmann/Rohmer-Kahl, GewO, Bd. I, § 1 Rz. 2, 6.

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§ 30

Dabei stehen je nach der Art des Gewerbes spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten oder auch allgemeinere Anforderungen, etwa die Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, im Vordergrund. 1.1

Widerruf der Erlaubnis

Ist ein vorläufiger Insolvenzverwalter oder Sachwalter durch das Gericht bestellt, sollte 14 dieser prüfen, ob erforderliche Personalkonzessionen für den Gewerbetreibenden fortbestehen oder bereits behördlich widerrufen wurden. Ist ein Widerruf erfolgt, ist dessen Rechtmäßigkeit zu prüfen und – soweit er noch nicht bestandskräftig ist – der Widerruf bei Rechtswidrigkeit anzufechten. Die Gewerbeordnung sowie die für einzelne Gewerbe bestehenden Spezialgesetze kennen 15 unterschiedliche Widerrufstatbestände. In keinem der Spezialgesetze ist aber die Beantragung oder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als konkreter Widerrufstatbestand genannt. In Betracht kommt insofern nur ein Widerruf wegen Unzuverlässigkeit. 1.1.1 Unzuverlässigkeit Nach § 35 GewO ist die Ausübung des Gewerbes bei Unzuverlässigkeit des Gewerbe- 16 treibenden zwingend zu untersagen, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Parallelvorschriften finden sich in einigen Spezialgesetzen, etwa § 15 i. V. m. § 4 GastG, § 19 i. V. m. § 11 Abs. 2 Nr. 1 HeimG sowie § 45 i. V. m. § 21 Abs. 1 WaffG. Der Begriff der Unzuverlässigkeit ist in der Gewerbeordnung nicht definiert. Es handelt 17 sich um einen sog. unbestimmten Rechtsbegriff. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG ist gewerberechtlich unzuverlässig, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft sein Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird.21) Die Behörde hat somit eine Prognoseentscheidung zu treffen, ob in Zukunft ein Fehl- 18 verhalten des Gewerbetreibenden wahrscheinlich ist.22) Dabei reichen bloße Zweifel an der Zuverlässigkeit oder Vermutungen für eine Untersagung nicht aus. Im Interesse eines umfassenden Schutzes der Allgemeinheit ist hingegen die Wahrscheinlichkeit eines späteren Schadenseintrittes, mithin eine abstrakte Gefahr für die Schutzgüter des § 35 Abs. 1 GewO ausreichend.23) Die Rechtsprechung hat mehrere Fallgruppen entwickelt, wann ein Gewerbe wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zu untersagen ist. Hierzu zählen etwa Straftaten, Ordnungswidrigkeiten, Steuerrückstände, Verstöße gegen sozialversicherungsrechtliche Pflichten, aber auch mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.24) Für sich genommen führt das Vorliegen solcher Umstände noch nicht zum Widerruf der Erlaubnis oder – bei nicht zulassungspflichtigen Gewerben – zur Gewerbeuntersagung. Im Rahmen der Prognoseentscheidung sind vielmehr alle Umstände, etwa ihre Bedeutung für das fragliche Gewerbe, die Häufigkeit und Intensität etwaiger Verstöße, aber auch durchgeführte oder intendierte Gegenmaßnahmen des Gewerbetreibenden in die Betrachtung einzustellen. So kann bspw. ein einmaliger Verstoß gegen ein Strafgesetz die Unzuverlässigkeit indizieren, wenn es sich um ein gravierendes Delikt handelt.25) Allerdings ist ein

___________ 21) 22) 23) 24) 25)

BVerwG, Urt. v. 2.2.1982 – 1 C 146.80, BVerwGE 65, 1 f. Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 35 Rz. 32. Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 31. Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 36 ff. VG Stuttgart, Urt. v. 22.10.1999 – 4 K 6116/98, GewArch 2000, 25, 26.

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§ 30

Teil V Einzelfragen

Bezug der Straftat zum ausgeübten Gewerbe erforderlich, der aber z. B. bei Eigentumsund Vermögensdelikten für alle Gewerbezweige zu bejahen ist.26) 19 Für die i. R. dieser Betrachtung maßgebliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Gewerbetreibender gilt: Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs wird vom Gewerbetreibenden erwartet, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt.27) Führt der Gewerbetreibende sein Gewerbe bei wirtschaftlicher Schieflage ohne ein tragfähiges, erfolgversprechendes Sanierungskonzept fort, so erweist er sich als unzuverlässig.28) Die Erlaubnis zur Ausübung des Gewerbes ist zu widerrufen. 20 Anknüpfungspunkt für die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ist folglich weniger die Vermögenslosigkeit als die unterlassene Betriebsaufgabe trotz mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.29) Wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn der Gewerbetreibende in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn er sich in einer ausweglosen wirtschaftlichen Krise befindet. Diese ist nicht erst dann festzustellen, wenn das Gewerbe nicht mehr sanierungsfähig ist, sondern schon dann, wenn der Gewerbetreibende bei Eintritt der Krise kein wirtschaftlich sinnvolles Sanierungskonzept vorlegt. Erforderlich für die Feststellung der Tragfähigkeit des Sanierungskonzepts ist es, dass der Gewerbetreibende sowohl das Konzept als auch seine laufenden Einnahmen und Ausgaben offenlegt.30) 21 Die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden wird von dem betroffenen Gewerbezweig beeinflusst. Vereinzelt wird sogar angenommen, in bestimmten Gewerbezweigen komme es für die Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden nicht darauf an, ob dieser wirtschaftlich noch leistungsfähig ist. Nach dieser Auffassung führt die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit nur für solche Gewerbetreibende zur Unzuverlässigkeit und damit zum Widerruf ihrer Erlaubnis, die ein Gewerbe führen, zu dessen Ausübung ausreichende finanzielle Mittel erforderlich sind oder bei denen mit Rücksicht auf die Eigenart des Geschäftsbetriebs, insbesondere die dazugehörige Verwaltung fremder Vermögensteile oder die treuhänderische Verwaltung von Geldern, eine besondere Vertrauenswürdigkeit verlangt werden muss.31) Diese Ansicht dürfte zu weit gehen: Ein Gewerbe, zu dessen Ausübung keine ausreichenden finanziellen Mittel erforderlich sind, erscheint kaum vorstellbar. Für einen in seiner Leistungsfähigkeit stark geschwächten Gewerbetreibenden – gleich welchen Gewerbes – besteht jedenfalls eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Notlage ausweitet. Prognostisch steigt damit auch das Risiko, dass der Gewerbetreibende aus diesem Anlass Handlungen vornimmt, welche die Annahme der Unzuverlässigkeit stützen.32) 22 Gleichwohl lässt sich die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden nicht für jeden Gewerbezweig in gleicher Weise beurteilen.33) In diesem Sinne stellt auch das BVerwG bei bestimmten Gewerben, namentlich den sog. Vertrauensgewerben, erhöhte Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Zu den Vertrauensgewerben zählen bspw. solche Gewerbe, bei denen ___________ 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33)

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Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 39. BVerwG, Urt. v. 2.2.1982 – 1 C 146.80, DVBl. 1982, 694 ff. BVerwG, Urt. v. 2.2.1982 – 1 C 146.80, DVBl. 1982, 694 ff. Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 63. OVG Münster, Beschl. v. 26.1.2004 – 4 B 2469/03, juris. Friauf-Heß, GewO, § 35 Rz. 61. Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 69. So aber: Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 35 Rz. 48.

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die Vorleistung der Kunden charakteristisch ist34) oder die sonst besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nehmen, wie es etwa bei Maklern35) oder Versicherungsmittlern36) der Fall ist. Bei diesen Gewerbezweigen soll die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit grundsätzlich zur Annahme der Unzuverlässigkeit führen. Aber auch bei den übrigen Gewerbezweigen muss nicht erst abgewartet werden, dass der Gewerbetreibende auf Grund seiner mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Handlungen vornimmt, die für sich genommen wiederum die Annahme seiner Unzuverlässigkeit begründen. Vielmehr kann auf Grundlage der vorzunehmenden Prognose jedenfalls dann bereits von dessen Unzuverlässigkeit ausgegangen werden, wenn die wirtschaftliche Krisensituation, in der er sich befindet, ausweglos erscheint. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist mithin ebenso wenig wie die förmliche Ein- 23 tragung in das Schuldnerverzeichnis Voraussetzung für den Entzug der Gewerbeerlaubnis. Die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, die beharrliche Weigerung, trotz gesetzlicher Verpflichtung seinen Gläubigern Einblick in die eigenen Vermögensverhältnisse zu gewähren37), sowie die Nichteinhaltung von Zahlungsverpflichtungen oder das Wirtschaften ohne sinnvolles Sanierungskonzept38) können für sich genommen bereits zur Begründung der Unzuverlässigkeit ausreichen – die insbesondere auch nicht dadurch beseitigt wird, dass der leistungsunfähige Gewerbetreibende einen auf Restschuldbefreiung gerichteten Insolvenzeröffnungsantrag stellt.39) 1.1.2 Geltung von § 12 GewO Der Widerruf wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden gestützt auf dessen wirt- 24 schaftliche Leistungsunfähigkeit findet seine Grenzen in § 12 GewO. Nach dieser Norm soll eine Untersagungsvorschrift, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse abstellt, während eines Insolvenzverfahrens bzw. der Überwachung der Insolvenzplanerfüllung keine Anwendung finden. Nach § 12 GewO ist die Gewerbeuntersagung damit im laufenden Insolvenzverfahren allein wegen ungeordneter Vermögensverhältnisse unzulässig. § 12 GewO sichert den Vorrang des Insolvenzverfahrens gegenüber den gewerberechtlichen Rücknahme- und Widerrufsverfahren.40) Sinn und Zweck der Norm ist es, Konflikte mit den Zielen des Insolvenzverfahrens zu vermeiden, indem er die Anwendung der Untersagungs-, Rücknahme- und Widerrufsvorschriften der Gewerbeordnung für bestimmte Zeitabschnitte aussetzt.41) Während dieser Zeitabschnitte ist zudem nach Nr. 5 des BMFErlasses vom 19.12.201342) die Anregung einer Gewerbeuntersagung durch das Finanzamt unzulässig und die Offenbarung entsprechender Daten nicht durch § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO gedeckt. § 12 GewO ist nicht auf den Anwendungsbereich der Gewerbeordnung beschränkt, sondern gilt auch für die Versagung und den Widerruf gewerberechtlicher Personalkonzessionen nach diversen Parallelvorschriften.43) ___________ 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43)

Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 68. BVerwG, Beschl. v. 27.4.1971 – I B 7/71, GewArch 1972, 150. Schaeffer, WiVerw 1982, 100, 109. VGH Mannheim, Beschl. v. 4.11.1993 – 14 S 2322/93, GewArch 1994, 30, 31; VGH Kassel, Urt. v. 28.9.1992 – 8 UE 2976/90, GewArch 1993, 159. VGH Mannheim, Beschl. v. 4.11.1993 – 14 S 2322/93, GewArch 1994, 30, 31. OVG Münster, Beschl. v. 2.6.2004 – 4 A 223/04, NVwZ-RR 2004, 746. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 272. Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 1. BMF-Schreiben v. 19.12.2013 – IV A 3 – S 0130/10/10019, BStBl. I 2014, 19. Teilweise über entsprechende Verweisungen in den Spezialgesetzen; so etwa § 31 GastG oder § 24 HeimG.

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§ 30

Teil V Einzelfragen

25 Nach § 12 GewO finden die entsprechenden Vorschriften „während eines Insolvenzverfahrens“ keine Anwendung. Zu den erfassten Zeitabschnitten gehören damit all jene, die mit der Durchführung des Insolvenzverfahrens zusammenhängen und deren Ziel durch § 1 InsO vorgeben ist, nämlich der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger durch die Verwertung des Vermögens des Schuldners, der Erlösverteilung oder der durch abweichende Regelung im Insolvenzplan vorgesehenen Maßnahmen.44) Hierzu gehören x

das Insolvenzeröffnungsverfahren,

x

der Zeitraum des Insolvenzverfahrens selbst sowie

x

die Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplanes.

26 Während des Insolvenzeröffnungsverfahrens hat das Insolvenzgericht solche Sicherungsmaßnahmen anzuordnen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag nachteilige Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern. Damit unterliegt der Insolvenzschuldner bereits in diesem Zeitraum der Überwachung durch das Insolvenzgericht. Angesichts dieser richterlichen Kontrolle soll eine Untersagung des Gewerbes aufgrund ungeordneter Vermögensverhältnisse nicht ergehen. Schließlich besteht auch während dieses Zeitraums bereits das Bedürfnis, eine Sanierung des insolventen Unternehmens nach Möglichkeit offenzuhalten.45) Gleichwohl führt die Beantragung eines Insolvenzverfahrens nicht dazu, dass der unzuverlässige Schuldner seinen Gewerbebetrieb weiterführen darf, wenn bereits vor Beantragung ein Verbotsverfahren durch die Gewerbeaufsicht eingeleitet wurde.46) Insofern behalten die von der Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit entwickelten Grundsätze, wann von einer den Widerruf begründenden Unzuverlässigkeit auszugehen ist, weiterhin Bedeutung. 27 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen (§§ 35, 80 InsO) Die Sicherstellung der Masse und die Befriedigung der Gläubiger obliegt fortan dem Insolvenzverwalter. Versagungsgründe, die an die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit des Schuldners anknüpfen, verlieren damit ihre Relevanz. Überdies obliegt die Entscheidung darüber, ob das insolvente Unternehmen fortgeführt werden soll, der Gläubigerversammlung, §§ 156, 157 InsO. Ein Widerruf der Erlaubnis gestützt auf die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit – andere Widerrufsgründe behalten ihre uneingeschränkte Geltung – würde diese Vorschriften unterlaufen. Mit Vollzug der Schlussverteilung und dem darauffolgenden Beschluss des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens können Untersagungs-, Rücknahme- und Widerrufsverfahren wieder unbeschränkt durchgeführt werden. 28 Das Insolvenzplanverfahren zielt insgesamt auf Erhaltung des insolventen Unternehmens. Nach Annahme eines Insolvenzplans durch die Gläubigerversammlung, Bestätigung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht und Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlangt der Insolvenzschuldner die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zurück. Der Insolvenzplan wird dabei regelmäßig vom Insolvenzschuldner nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gegenüber den Insolvenzgläubigern zu erfüllende Pflichten vorsehen. Auch hier liefe eine Untersagung durch die Gewerbeaufsicht gestützt auf die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit, deren Wiederherstellung die Durchführung des Insolvenzplanverfahrens dient, den Zielen des Insolvenzrechts zuwider. Überdies befreit ein erfolgreich durchgeführter Insolvenzplan den Insolvenzschuldner von den Verbindlichkeiten

___________ 44) Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 5. 45) Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 6. 46) OVG Münster, Beschl. v. 30.4.2001 – 4 A 5159/00, GewArch 2003, 335.

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Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz

§ 30

gegenüber dessen Gläubigern. Die Verhältnisse des Schuldners können also ab diesem Zeitpunkt nicht mehr als finanziell ungeordnet angesehen werden.47) Die Wohlverhaltensperiode bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO 29 dürfte nicht von § 12 GewO umfasst sein. Nach Erteilung der Restschuldbefreiung wird allerdings der Schuldner wie auch im Falle des Insolvenzplanes von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreit, weshalb ein Untersagungs-, Rücknahme- oder Widerrufsgrund i. S. ungeordneter Vermögensverhältnisse nicht mehr besteht.48) 1.2

Fortführung in der Insolvenz

Soweit ein Widerruf nicht bereits vor Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 30 erfolgt ist, besteht grundsätzlich die Möglichkeit der Fortführung des Gewerbes. Sie ist, wie § 12 GewO zeigt, mit Blick auf die Möglichkeiten der Masseanreicherung auch ausdrücklich erwünscht. Möglich ist zunächst eine Fortführung des Gewerbes durch den (vorläufigen) Insolvenz- 31 verwalter. Zu prüfen ist dabei, ob der Insolvenzverwalter die dazu jeweils durch das Gewerberecht geforderte Qualifikation besitzt. Soweit keine nennenswerten, über die Anforderungen der persönlichen Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden hinausgehenden Anforderungen an den Betreiber des Gewerbes gestellt werden, sollten der Fortführung des Gewerbes durch den Insolvenzverwalter Gründe nicht entgegenstehen. Er kann dabei entweder selbst als gewerberechtlicher Stellvertreter i. S. von § 45 GewO tätig werden oder einen gewerberechtlich geeigneten Betriebsleiter bestellen.49) Letzteres ist zwingend, wenn der Insolvenzverwalter nicht die erforderliche Qualifikation besitzt.50) Auch der gewerberechtliche Stellvertreter muss nämlich die materiellen Voraussetzungen der Befugnis zur Ausübung des jeweiligen Gewerbes in seiner Person erfüllen. Die Möglichkeiten, die Verantwortung über das Gewerbe als Stellvertreter zu übernehmen, 32 sind jedoch nicht unbegrenzt. So ist etwa umstritten, ob der Insolvenzverwalter für die Fortführung einer Gastwirtschaft des Schuldners eine spezielle Stellvertretererlaubnis nach § 9 GastG benötigt.51) Überwiegend wird allerdings vertreten, aus § 80 InsO folge, dass der Insolvenzverwalter grundsätzlich keiner neuen Erlaubnis bedarf, sondern er die dem Schuldner zustehenden öffentlichen Rechte und Befugnisse an dessen Stelle ausüben kann, solange sie nicht widerrufen worden sind.52) Ausnahmen gelten allerdings für solche Konzessionen, die an die Person des Schuldners 33 gebunden sind, etwa Genehmigungen nach § 3 GüKG bzw. § 2 Abs. 1 PersBefG. Für solche höchstpersönliche Genehmigungen kommt eine Fortführung allein dergestalt in Betracht, dass der Insolvenzverwalter den Schuldner selbst für Rechnung der Insolvenzmasse und unter seiner Führung und Kontrolle einsetzt (vgl. zu dieser Konstruktion Rz. 60). Soll die Genehmigung für die Zwecke der Durchführung des Insolvenzverfahrens erhalten 34 bleiben, bleibt stets der Rückgriff auf das Insolvenzplanverfahren bzw. die Eigenverwaltung. Voraussetzung hierfür ist freilich, dass nicht die Regelungen über das Verbraucherinsolvenzverfahren greifen (§ 312 Abs. 2 InsO). Nach der Neufassung von § 304 Abs. 1 InsO, der die aktuell wirtschaftlich Tätigen unabhängig vom Umfang der gewerblichen ___________ 47) Friauf-Heß, GewO, § 12 Rz. 12; Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 7. 48) Hahn, GewArch. 2000, 361, 365; Friauf-Heß, GewO, § 12 Rz. 12; Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 9. 49) Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 12 f. 50) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 271. 51) So für die KO Jaeger-Henckel, KO, § 1 Rz. 11. 52) Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 111.

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§ 30

Teil V Einzelfragen

Tätigkeit dem Regelinsolvenzverfahren zuweist, stehen die genannten Verfahren mittlerweile insoweit allen Gewerbetreibenden, gleich ob es sich um Kleingewerbetreibende handelt, zu.53) 2.

Personalkonzessionen außerhalb der Gewerbeordnung

35 Traditionell aus dem Gewerbebegriff ausgenommen sind die Urproduktion, die freiberufliche Tätigkeit und die bloße Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens.54) Für Personalkonzessionen i. R. der Urproduktion gelten im Hinblick auf den Widerruf der Genehmigung sowie die Fortführung einer entsprechenden Tätigkeit im Prinzip dieselben Grundsätze wie auch für die oben genannten Gewerbe. Insbesondere ist § 12 GewO nach ganz h. M.55) analog anwendbar. Die Interessenlage unterscheidet sich hier nicht von der § 12 GewO zugrundeliegenden. 36 Für die Verwaltung eigenen Vermögens, das in der Regel keiner Genehmigung bedarf, stellen sich die hinsichtlich des Betriebes eines Gewerbes dargestellten Schwierigkeiten nicht. 3.

Sonderfall: Freiberufler

37 Die Freiberufler bilden im Hinblick auf das Schicksal ihrer jeweiligen Berufszulassungen im Falle einer Insolvenz einen Sonderfall. 38 Der Begriff des Freiberuflers ist gesetzlich nicht abschließend normiert. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 EStG umfasst der steuerrechtliche Begriff des Freiberuflers die selbstständig ausgeübte, wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Berufstätigkeit der x

Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte,

x

Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte,

x

Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten,

x

Handelschemiker,

x

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, Steuerbevollmächtigten,

x

Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten,

x

Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer,

x

Lotsen und ähnlicher Berufe.

Gemeinhin wird unter den Begriff auch noch die Berufsgruppe der Apotheker56) gefasst. 39 Aus verfassungsrechtlicher Sicht liegt das spezifische Berufsethos des freien Berufs in der Nicht-Gewerblichkeit bzw. im Verzicht auf ein (vorrangiges) Gewinnstreben.57) Aufgrund dieser Nicht-Gewerblichkeit verbietet es sich, für die freien Berufe auf die Grundsätze der Gewerbeordnung zurückzugreifen. Vielmehr richtet sich das Recht der freien Berufe vornehmlich nach dem jeweiligen Berufsrecht, etwa der BRAO für Rechtsanwälte, der BNotO für Notare oder dem StBerG für Steuerberater. Die Besonderheit der freien Berufe besteht in deren höchstpersönlichem Einschlag. Zum Teil verrichten Freiberufler Dienste, ___________ 53) 54) 55) 56) 57)

Vgl. hierzu auch Braun-Buck, InsO, § 304 Rz. 1 ff.; Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 304 Rz. 18. BVerwG, Beschl. v. 16.2.1995 – 1 B 205.93, ZIP 1995, 563 = DöV 1995, 644. Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 12 Rz. 3. Vgl. nur: Landmann/Rohmer-Kahl, GewO, Bd. I, Einl. Rz. 66. Maunz/Düring-Scholz, GG, Art. 12 Rz. 268.

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die nur sie selbst verrichten können, wie etwa im Fall der Künstler. In den meisten Fällen ist eine aufwändige Ausbildung notwendig. Schließlich kommen viele Angehörige der freien Berufe mit sensiblen Daten ihrer Klienten, Mandanten oder Patienten in Berührung, die auch in der Insolvenz besonders schutzwürdig sind. Diese Besonderheiten machen den Umgang mit Freiberuflern in der Insolvenz besonders schwierig. Hauptproblem in der Insolvenz des Schuldners ist die Kollision insolvenzrechtlicher Bestimmungen mit den Vorgaben des jeweiligen Berufsrechts. Hier gilt es, einen interessengerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen herzustellen. 3.1

Widerruf der Berufszulassung

§ 12 GewO findet in der Insolvenz des Freiberuflers keine Anwendung, auch keine ent- 40 sprechende.58) Eine Fortführung der freiberuflichen Praxis kommt für den Freiberufler aber nur in Betracht, soweit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zum Wegfall der Erlaubnis zur Berufsausübung führt. Auch hier kommt es auf die Entziehung der Erlaubnis durch die zuständige Stelle, häufig die entsprechende Kammer, an. Das Recht der freien Berufe ist vor allem durch die verschiedenen Berufsordnungen ge- 41 prägt. Wie auch im Gewerberecht finden sich on den Berufsordnungen Regelungen zum Widerruf bzw. Entzug der Zulassung. 3.1.1 Gesundheitsberufe Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten erlangen mit dem Abschluss ihrer Ausbildung 42 ihre Approbation – also die staatliche Zulassung, ihren Beruf auszuüben und die Berufsbezeichnung zu führen. Der Entzug der Approbation erfolgt auf Grundlage des jeweiligen Berufsrechts, bei den Ärzten bspw. auf Grundlage von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO. Grund für den Entzug der Approbation ist hier, wie auch nach den übrigen Berufsordnungen des Gesundheitssektors, dass sich der Berufsträger eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich eine Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit ergibt. x

Unzuverlässig i. S. des § 31 Abs. 1 Nr. 2 BÄO ist, wer nach seiner Gesamtpersönlichkeit keine Gewähr für eine ordnungsgemäße Berufsausübung bietet. Es müssen Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, der Arzt werde in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten nicht beachten. Ausschlaggebend ist die Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Arztes und seiner Lebensumstände.59)

x

Unwürdig i. S. des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO ist, wer durch sein Verhalten das zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ansehen und Vertrauen bei der Bevölkerung nicht besitzt. Der Arzt muss also langanhaltend und in gravierender Weise gegen seine Berufspflichten verstoßen haben, so dass er nicht mehr das Vertrauen und Ansehen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar notwendig ist.60)

Die bloße Insolvenz eines Arztes, Zahnarztes oder Psychotherapeuten wird isoliert be- 43 trachtet niemals zum Entzug der Approbation führen. Gerade ein angestellter Arzt in einem Krankenhaus kommt wenig bis gar nicht mit Geldern seiner Patienten bzw. derer Versicherungen in Berührung. Aber auch bei einem niedergelassenen Arzt müssen weitere Gründe für einen Entzug der Approbation hinzutreten, zumal hier – auch in Hinblick auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG – der Entzug der Praxiszulassung ein milderes, aber ebenso effektives Mittel darstellen dürfte. Erst wenn sich ein Arzt bspw. auf Grund seiner ___________ 58) BVerwG, Beschl. v. 17.3.2008, 6 B 7/08, ZInsO 2009, 1811, 1812; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 290. 59) Spickhoff-Eichelberger, Medizinrecht, § 2 Rz. 12. 60) Eingehend zur Entziehung der Approbation wegen Unwürdigkeit: Braun/Gründel, MedR 2001, 396 ff.

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Vermögenslosigkeit dazu hinreißen ließe, die persönliche Notlage seiner Patienten auszunutzen und sie zu nicht erfolgversprechenden Therapien zu verleiten, käme ein Entzug der Approbation in Betracht. Grundlage des Entzugs wäre dann aber das ärztliche Fehlverhalten und nicht die Insolvenz. 44 Die Approbation des Arztes berechtigt den Arzt zwar, als angestellter Arzt in einem Krankenhaus tätig zu werden oder eine private Arztpraxis zu gründen. Für die Berechtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ist hingegen eine Zulassung erforderlich (§ 95 SGB V, §§ 19 ff. Ärzte-ZV). Die Entziehung der Zulassung richtet sich nach § 95 Abs. 6 SGB V i. V. m. § 27 Ärzte-ZV. Sie zielt darauf ab, Ärzte aus der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen, welche die vertragsärztliche Tätigkeit trotz Zulassung nicht ausüben oder wegen gröblicher Pflichtverletzung zur Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit ungeeignet sind. Auch hier gilt: Allein die Insolvenz eines Vertragsarztes beendet seinen Zulassungsstatus nicht und begründet auch für sich keinen Entziehungstatbestand.61) 45 Jedenfalls aber die Nicht- bzw. Nicht-mehr-Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit führt zum Entzug der Zulassung (§ 95 Abs. 6 SGB V i. V. m. § 27 Ärzte-ZV). Um diese zu vermeiden, ist es also Voraussetzung, dass der Schuldner die Praxis – unter Umständen gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter – fortführt. 46 Weiterhin ist die Zulassung zu entziehen, wenn der Vertragsarzt seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. In verfassungskonformer Auslegung reicht allerdings die bloße gröbliche Pflichtverletzung für sich noch nicht aus. Hinzukommen muss, dass der Arzt durch die gröbliche Pflichtverletzung nicht mehr zur Ausübung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit geeignet erscheint.62) Hierzu zählen etwa die fortgesetzte unrichtige Abrechnung von Leistungen63), fortgesetzte Verstöße gegen administrative Pflichten des Vertragsarztes, etwa das jahrelange Nichtbeantworten von Anfragen der Krankenkasse und verspätete Honorarabrechnungen trotz Ordnungs- und disziplinarer Maßnahmen64) sowie eine über Jahre fortgesetzte und trotz Disziplinarmaßnahmen im Ausmaß immer mehr gesteigerte Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebotes.65) Nur bei Hinzutreten weiterer Umstände kommt somit ein Zulassungsentzug aufgrund der durch die Insolvenzeröffnung offenbarten Vermögenslosigkeit in Betracht.66) Solange der Arzt seiner Verpflichtung zur lückenlosen Abrechnung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung nachkommt, seine Abrechnungen korrekt sind und er nicht nachhaltig und schwerwiegend gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat, scheidet ein Entzug der Vertragsarztzulassung aufgrund Insolvenz regelmäßig aus. 47 Ärzte, die eine reine Privatpraxis betreiben, bedürfen hierfür außer ihrer Approbation keiner weiteren Zulassung. Die entsprechenden Anforderungen für die Berufsausübung regeln die jeweiligen Landesgesetze (z. B. die Heilberufsgesetze), konkretisiert durch die von den Ärztekammern erlassenen Berufsordnungen. Bei Zuwiderhandlung gegen ihre ärztlichen Pflichten kommen Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Feststellung der Unwürdigkeit zur Ausübung des Berufs in Betracht. Insofern unterliegen auch Ärzte in privater Praxis kontinuierlicher Kontrolle. Auch hier gilt: Die Insolvenz kann, muss aber ___________ 61) 62) 63) 64) 65) 66)

Plagemann in: Münch-AHB SozR, § 20 Rz. 91; Schallen, Zulassungsverordnung, § 21 Rz. 11. Hess in: Kasseler Kommentar zum SozVersR, § 95 SGB V Rz. 96. LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.5.1971 – L 1 Ka 8/73, SozSich, 1974, 276. BSG, 2.7.1980 – 6 RKa 10/78, ArztR 1980, 325. BSG, Urt. v. 18.8.1972 – 6 RKa 4/72, BSGE 34, 253. In diesem Sinne auch BSG, Urt. v. 10.5.2000 – B 6 KA 67/98 R, NJW 2001, 2823.

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nicht zu Konsequenzen für den Arzt führen – und wird es i. d. R., wenn keine weiteren Umstände hinzutreten, auch nicht. 3.1.2 Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer Die Entziehungspraxis bei Angehörigen dieser Berufsgruppen ist strikter als bei den zu- 48 vor erwähnten Gesundheitsberufen. Grund dafür ist der erhebliche Umgang mit Fremdgeldern. Das Berufsrecht der Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater sieht einen Widerruf der Zulassung für den Fall vor, dass sie „in Vermögensverfall“ geraten sind (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, § 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO, § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG). Ein Vermögensverfall ist dann zu vermuten, wenn ein Insolvenzverfahren über das Ver- 49 mögen des Berufsträgers eröffnet worden ist oder der Berufsträger in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis nach § 26 Abs. 2 InsO bzw. § 915 ZPO eingetragen ist. Die Rechtsprechung geht zudem immer dann von Vermögensverfall aus, wenn der Schuldner in ungeordnete schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und er außerstande ist, seine finanziellen Verpflichtungen in absehbarer Zeit zu erfüllen.67) Die Vermögenslosigkeit ist dabei ebenso wenig Voraussetzung wie die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Freiberuflers.68) Hinreichend für das Vorliegen „ungeordneter, finanzieller Vermögensverhältnisse“ kann es vielmehr bereits sein, dass seine Gläubiger darauf angewiesen sind, ihre berechtigten Forderungen gegen ihn i. R. der Zwangsvollstreckung durchzusetzen.69) Die Rechtsprechung macht keinen Unterschied, ob es sich bei dem Freiberufler um einen Selbstständigen oder einen Angestellten handelt. So führt der BGH im Falle des Entzugs der Zulassung eines angestellten Anwalts aus, dass dieser ja auch weiterhin Mandantengelder in Empfang nehmen könne. Zudem habe er bei Fortbestand seiner Zulassung die Möglichkeit, selbstständig in eigener Praxis oder nebenher tätig zu werden.70) Bei Wirtschaftsprüfern wird gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPrO darauf abgestellt, ob sie in 50 „geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen“ leben, wobei nach der Rechtsprechung auch hier das entscheidende Kriterium das des Vermögensverfalls ist.71) Damit gleichen die Argumente, die für die Entziehung der Zulassung im Falle der Insolvenz des Wirtschaftsprüfers sprechen, den vorstehend genannten. Allerdings kann die Zulassung als Wirtschaftsprüfer nicht allein deshalb entzogen werden, weil der Wirtschaftsprüfer infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über sein Vermögen beschränkt ist. Der Insolvenzschuldner kann die gesetzliche Vermutung, dass er als Rechtsanwalt, Steuer- 51 berater oder Wirtschaftsprüfer in Vermögensverfall geraten ist, sofern das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet wurde, widerlegen. Er trägt hierfür die Beweislast.72) Für die Widerlegung der Vermutung reicht es nach der Rechtsprechung des BGH allerdings nicht aus, dass sich der Freiberufler mit seinen Hauptgläubigern geeinigt hat.73) Erforderlich ist vielmehr, dass der Insolvenzschuldner auch alle anderen Vollstreckungsgläubiger befriedigt hat. Andernfalls kann von geordneten Lebensverhältnissen nicht ge___________ 67) S. nur BGH, Beschl. v. 22.3.2004 – NotZ 23/03, ZIP 2004, 1006 = NJW 2004, 2018; BGH, Beschl. v. 13.3.2000 – AnwZ (B) 28/99, ZIP 2000, 1018 = NJW-RR 2000, 1228. 68) Schmittmann, ZInsO 2004, 725. 69) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 290. 70) BGH, Beschl. v. 25.6.1984 – AnwZ (B) 7/84, BRAK-Mitt. 1984, 194; BGH, Beschl. v. 23.2.1987 – AnwZ (B) 52/86, BRAK-Mitt. 1987, 206. 71) BVerwG, Urt. v. 17.8.2005 – 6 C 15.04, NJW 2005, 3795. 72) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 292. 73) BGH, Beschl. v. 16.6.2004 – AnwZ (B) 3/03, ZVI 2004, 598.

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sprochen werden.74) Ebenso hat allein die Tatsache, dass die wirtschaftliche Situation des insolventen Freiberuflers i. R. des Insolvenzverfahrens bereinigt werden könnte, noch nicht zur Folge, dass dessen wirtschaftliche Verhältnisse nunmehr als geordnet angesehen werden können.75) Zu geordneten Vermögensverhältnissen gehört vielmehr, dass die Schulden in absehbarer Zeit entfallen und der Freiberufler-Schuldner frei über sein Vermögen verfügen kann.76) 52 Überdies ist ein etwaiger Vermögensverfall nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG, § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO unschädlich, wenn durch ihn die Interessen der Auftraggeber, Rechtsuchenden oder anderer Personen nicht gefährdet sind. Dem Grunde nach gilt dies gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 5 BNotO auch für Notare. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt dem in Vermögensverfall geratenen Freiberufler.77) Erforderlich ist ein substantiierter Vortrag, auf dessen Grundlage die Gefährdung von Auftraggebern, Mandanten und Klienten mit hinreichender Gewissheit ausgeschlossen werden kann.78) Auch hierfür gelten strenge Maßstäbe. 53 Nicht ausreichend für den Ausschluss einer Gefährdung ist es etwa, dass der angestellte Freiberufler einer Gesellschaft keine umfassende Vertretungsmacht, sondern lediglich Prokura besitzt und ein erfolgsunabhängiges Gehalt bezieht. Dies würde nämlich bedeuten, dass der in Vermögensverfall geratende Freiberufler durch den Geschäftsführer der Gesellschaft dauerhaft kontrolliert und beaufsichtigt werden müsste, da nur auf diese Weise die Interessen der Auftraggeber gewahrt werden könnten.79) Eine derart ausgeprägte Beaufsichtigung wäre nachzuweisen, was erheblichen Schwierigkeiten begegnet. Ebenso wenig ist es ausreichend, dass der Freiberufler-Insolvenzschuldner keine Gelder seiner Mandanten oder Auftraggeber mehr über eigene Konten abwickelt. Hier besteht weiterhin die Möglichkeit von Barzahlungen.80) 54 Zwar hat das BVerfG entschieden, dass die Anforderungen an eine Widerlegung des gesetzlich vermuteten Vermögensverfalls mit Blick auf die Berufsfreiheit des Freiberuflers aus Art. 12 GG nicht zu hoch angesetzt werden dürfen.81) Gleichwohl gelingt die Widerlegung in der Praxis sehr selten. Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2004 dar.82) Unter Berücksichtigung des dem Freiberufler zustehenden Grundrechts auf Berufsfreiheit aus Art. 12 GG hatte der BGH hier einem angestellten Anwalt dessen Berufszulassung belassen. Der Anwalt hatte zuvor selbst einen Insolvenzantrag gestellt und es bestanden keine Forderungsanmeldungen von Insolvenzgläubigern, die aus Mandaten des Arbeitgebers herrührten. Allerdings hatte sich der Anwalt, der seinen Beruf bislang ohne jede Beanstandung ausgeübt hatte, beachtlichen Beschränkungen in seinem Arbeitsvertrag unterworfen. Er war weder auf dem Briefkopf noch auf dem Praxisschild genannt. Jegliche Mandate wurden im Auftrag und auf Rechnung der Sozietät geschlossen. Eigene Mandate bearbeitete der Rechtsanwalt somit nicht mehr. Schließlich überwies sein Arbeitgeber den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens an den Insolvenzverwalter. ___________ 74) BGH, Beschl. v. 16.6.2004 – AnwZ (B) 3/03, ZVI 2004, 598. 75) BFH, v. Beschl. v. 28.8.2003 – VII B 79/02, DStR 2004, 974; BFH, Beschl. v. 20.4.2006 – VII B 188/05, BFH/NV 2006, 1522. 76) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 291. 77) BFH, Beschl. v. 8.2.2000 – VII B 245/99, DStR 2000, 670; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 291, 292. 78) BFH, Beschl. v. 4.3.2004 – VII R 21/02, ZVI 2004, 302. 79) Henssler/Prütting, BRAO, § 14 Rz. 62 m. w. N. 80) BGH, Beschl. v. 25.3.1991 – AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102. 81) BVerfG, Beschl. v. 31.8.2005 – 1 BvR 912/04, NJW 2005, 3057. 82) BGH, Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ (B) 43/03, ZInsO 2005, 213.

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Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass nach der bisherigen Rechtsprechung im Falle 55 der Insolvenz von einem Widerruf der Zulassung nur in den seltensten Fällen abgesehen wird. Auch wenn hierdurch die Quotenerwartung verringert werden dürfte: Die besondere Vertrauensstellung, die Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer beanspruchen, rechtfertigt die Unterordnung der Interessen der am Insolvenzverfahren beteiligten Gläubiger. 3.1.3 Architekten Die Löschung eines Architekten aus der Architektenliste aufgrund von Vermögensverfall 56 ist gesetzlich nicht einheitlich geregelt. Vielmehr sind hier unterschiedliche landesrechtliche Bestimmungen zu beachten. Ausdrücklich genannt ist die Löschung wegen Vermögensverfalls bspw. in § 7 Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 1 ArchG Baden Württemberg. Die bislang zu dieser Frage vorliegende Rechtsprechung gleicht der Rechtsprechung, die auch zu Rechtsanwälten, Notaren und Steuerberatern ergangen ist, und nimmt teilweise sogar hierauf Bezug.83) Ein Architekt ist danach aus der Architektenliste zu löschen, wenn er in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, fremde Vermögensinteressen oder öffentliche Belange sind nicht gefährdet.84) Vor dem Hintergrund des Inkrafttretens des Rechtsdienstleistungsgesetzes, nach dem Architekten in gewissem Umfang auch rechtsberatend tätig werden dürfen (§ 5 Abs. 1 RDG), gilt dies umso mehr. 3.2

Möglichkeiten der Fortführung

Die Entscheidung, ob eine freiberufliche Praxis i. R. eines Insolvenzverfahrens fortge- 57 führt werden kann, wird maßgeblich beeinflusst von der Frage, ob dem Freiberufler die Zulassung zu entziehen ist. Die Wahl der Verfahrensart steht dabei in engem Zusammenhang mit der Frage des Zulassungsentzugs. Grundsätzlich wird die Fortführung einer freiberuflichen Praxis davon abhängig gemacht, 58 ob diese vom Insolvenzbeschlag umfasst ist. Dies ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Praxis eines Freiberuflers der Fall, da diese veräußerbar ist.85) Eine andere Frage ist indes, ob das Unternehmen in der Insolvenz grundsätzlich fortführbar ist. 3.2.1 Gesundheitsberufe Für die Fortführung einer Arzt-, Zahnarzt- oder Psychotherapeutenpraxis in der Insol- 59 venz kommen folgende Wege in Betracht: x

Eine einstweilige Praxisfortführung durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter (§ 157 Satz 1 InsO bzw. § 22 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 2 InsO),

x

die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens (§ 217 ff. InsO) sowie

x

die Eigenverwaltung durch den freiberuflich tätigen Insolvenzschuldner (§§ 270 ff. InsO).86)

___________ 83) OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.11.2006 – 8 ME 146/06, juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 17.5.2006 – 9 S 2538/05, DÖV 2006, 748. 84) Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 399. 85) BFH, Urt. v. 22.3.1994 – VII R 58/93, ZIP 1994, 1283, 1284; BGH, Urt. v. 18.12.1954 – II ZR 76/54, NJW 1955, 337; BGH, Urt. v. 11.4.1958 – VIII ZR 190/57, NJW 1958, 950; BGH, Urt. v. 20.1.1985 – VmZR 53/63, NJW 1985, 580. 86) So auch Kluth, NJW 2002, 186 ff.

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60 Die Fortführung einer ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Praxis kann in der Regel nicht durch den Insolvenzverwalter allein erfolgen, sondern setzt das Zusammenwirken von Insolvenzverwalter und Arzt voraus. Grundsätzlich ist ein solches Zusammenwirken aus insolvenzrechtlicher Sicht möglich: Der Insolvenzverwalter kann den Freiberufler-Schuldner selbst zur einstweiligen Fortführung der Praxis einsetzen.87) Der Freiberufler-Schuldner wird dann für Rechnung und unter der wirtschaftlichen Kontrolle und Verwaltung des Insolvenzverwalters tätig. Es entsteht eine Art „abgeschwächte Eigenverwaltung“, bei welcher der Insolvenzschuldner unter einer besonders strikten Aufsicht und Führung des Insolvenzverwalters steht.88) 61 Allerdings wird der Insolvenzverwalter den Freiberufler nicht zur Fortführung unter Aufsicht zwingen können: Eine Verpflichtung zur Bereitstellung der Arbeitskraft scheitert am Wortlaut von § 97 Abs. 2 InsO, der lediglich eine Unterstützungspflicht des Schuldners vorsieht. Ein solcher Zwang wird daher zu Recht abgelehnt.89) In der Praxis wird der Arzt jedoch an einem einvernehmlichen Zusammenwirken regelmäßig bereits deshalb interessiert sein, weil er im Falle der Beantragung einer Restschuldbefreiung andernfalls Gefahr liefe, dass ein Insolvenzgläubiger seinerseits erfolgreich einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO wegen eines Obliegenheitsverstoßes aufgrund der mangelnden Kooperationsbereitschaft stellt.90) 62 Auch wenn es zweifellos wünschenswert ist, dass im Zusammenwirken zwischen dem freiberuflichen Angehörigen eines Gesundheitsberufes und dem Insolvenzverwalter die Masse angereichert werden kann, konnten die damit verbundenen Probleme bislang nur zum Teil i. S. einer gemeinschaftlichen Fortführung durch Insolvenzverwalter und Arzt geklärt werden.91) Dies liegt weitgehend an der weiterhin mangelnden Abstimmung des Berufsrechts mit den Regeln des Insolvenzrechts. 63 Zunächst stellt sich die Frage, wie ein Zusammenwirken von Arzt, Zahnarzt oder Psychotherapeut mit dem Insolvenzverwalter generell ausgestaltet werden kann: Schick möchte eine Fortführung durch den Insolvenzverwalter dergestalt zulassen, dass Schuldner und Verwalter eine Art „Kondominium“ bilden, wobei der Insolvenzverwalter dem Schuldner das erforderliche sachliche und personelle Substrat zur Verfügung stellt, in fachlichen Fragen aber dem Schuldner freie Hand lässt.92) Ob dies aber mit dem Berufsrecht vereinbar ist, darf bezweifelt werden: Ein Arzt darf sich bei seiner Berufsausübung nicht den Weisungen eines Nichtarztes unterwerfen.93) Zwar kann ein Arzt unter der Voraussetzung, dass seine fachliche Unabhängigkeit gewahrt bleibt, in eine wirtschaftliche Abhängigkeit treten.94) Ob sich diese, vom Berufsrecht geforderte fachliche Unabhängigkeit bei wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Insolvenzverwalter aber begründen lässt, ist fraglich. Außerdem kommt es nicht allein auf eine faktische Unabhängigkeit an, sondern auch in ___________ 87) Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 14. 88) Kluth, NJW 2002, 186, 188. 89) Wendler in: HK-InsO, § 97 Rz. 17; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 97 Rz. 33; Vallender in: FS Metzeler, S. 21, 29 f.; Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1057. 90) Vallender, NZI 2003, 530. 91) Weiterführend Vallender in: FS Metzeler, S. 21 ff. m. w. N. 92) Schick, NJW 1990, 2369, 2361 f. 93) So auch Vallender in: FS Metzeler, S. 21, 29; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034 unter Hinweis auf § 2 Abs. 4 der MBO-Ä. 94) Dies ist z. B. gängige Praxis im Bereich der sog. Ärzte-GmbH, die der BGH als zulässig erachtet hat, BGH, Urt. v. 30.11.1977 – IV ZR 69/76, BGHZ 70, 158, 166 f., oder in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ).

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rechtlicher Hinsicht darf eine Abhängigkeit nicht bestehen. Da, von der der Eigenverwaltung abgesehen, der Schuldner mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis über sein Vermögen verliert, lässt sich eine rechtliche Unabhängigkeit des Insolvenzschuldners in der Insolvenz nicht verwirklichen. Überdies ist Ärzten eine berufliche Kooperation mit Angehörigen von Berufen außerhalb des Gesundheitssektors aus berufsrechtlichen Gründen nur in engen Grenzen möglich. Auch wenn damit zwar noch nicht von einer generellen Unzulässigkeit einer Fortführung durch den Insolvenzverwalter unter Mitwirkung durch den Schuldner ausgegangen werden kann, so zeigen schon diese Komplikationen im Zusammenspiel des Berufsrechts mit der Insolvenzordnung die Schwierigkeiten auf, die diese Form der Mitwirkung mit sich bringt. Daher verweist Kluth zu Recht auf die Gefahr eines Entzugs der Vertragsarztzulassung gerade aufgrund der Schwierigkeiten des Zusammenwirkens von Insolvenzverwalter und Arzt.95) Bei den Gesundheitsberufen stellt sich zudem in besonderer Weise die Frage, inwieweit 64 der Insolvenzverwalter auf sensible Daten, etwa die Patientendatei des Arztes, zugreifen darf. Will der Insolvenzverwalter Ansprüche des Arztes gegen den Patienten geltend machen, benötigt er nähere Angaben zur Person bzw. Einblick in die Patientendatei. Der Insolvenzschuldner ist grundsätzlich gemäß § 97 Abs. 1 und 2 InsO zur Auskunft und Mitwirkung verpflichtet. Die dort normierten Pflichten können ggf. mit den Mitteln des § 98 InsO erzwungen werden und dienen primär der Haftungsverwirklichung. Von ihnen umfasst sind alle rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können.96) Hierzu gehören dem Grunde nach auch diejenigen Patientendaten, die der Insolvenzverwalter benötigt, um die Ansprüche für die Insolvenzmasse vollumfänglich durchsetzen zu können. Auf der anderen Seite ist der Arzt aber zur Geheimhaltung verpflichtet und macht sich 65 ggf. gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB bei der Weitergabe von Patientendaten sogar strafbar. Diese Kollision des Berufsrechts mit den Befugnissen des Insolvenzverwalters wurde durch die Gerichte unter Hinweis auf den Vorrang überragender Interessen des Gemeinwohls oder vorrangige Belange Dritter bislang weitgehend zugunsten der Verwalterbefugnisse entschieden.97) Die Verletzung des Sozialgeheimnisses durch Preisgabe dieser Daten wird insofern den Drittinteressen untergeordnet, solange der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. Dies erscheint überzeugend, auch weil der Insolvenzverwalter einer dem Berufsträger entsprechenden Geheimhaltungspflicht unterliegt.98) Die früher höchst umstrittene Frage, wie die i. R. einer Praxisfortführung begründeten 66 Verbindlichkeiten zu qualifizieren sind, ist durch die Neufassung des § 35 InsO weitgehend geklärt. Schon seit Einführung der Insolvenzordnung steht fest, dass Einkünfte, die der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus selbstständiger Tätigkeit erwirbt, nunmehr in vollem Umfang und nicht nur i. H. des nach Abzug der Ausgaben verbleibenden Gewinns zur Insolvenzmasse zählen.99) Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens ist nunmehr auch über die i. R. der Fortführung begründeten Verbindlichkeiten entschieden: Soweit eine Freigabe des Insolvenzverwalters ___________ 95) Kluth, NJW 2002, 186, 188. 96) Stephan in: MünchKomm-InsO, § 97 Rz. 14a. 97) BVerfG, Beschl. v. 8.3.1972 – 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373; AG Köln, Beschl. v. 5.11.2003 – 71 IN 25/02, NZI 2004, 155, 156 und AG Köln, Beschl. v. 28.2.2005 – 71 IN 25/02, NZI 2005, 226 (für den Arzt); BGH, Beschl. v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915 = NJW 2004, 2015 (für den Rechtsanwalt). 98) BGH, Urt. v. 25.3.1999 – IX ZR 223/97, ZIP 1999, 621 = NZI 1999, 191. 99) BGH, Beschl. v. 5.4.2006 – IX ZB 169/04, ZVI 2007, 78 m. w. N.

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nicht erfolgt, gehören diese zu den Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da sie durch den Verwalter begründet worden sind. Dies gilt unproblematisch dann, wenn der Verwalter ausdrücklich die Beiziehung der freiberuflichen Praxis zur Masse erklärt hat. Aber auch, wenn der Verwalter die Beiziehung lediglich duldet, muss davon ausgegangen werden, dass die Verbindlichkeiten als durch den Verwalter begründet anzusehen sind, da dieser sich mit seiner Erklärung, ob er die Praxis zur Masse beizieht oder freigibt, in der Bringschuld befindet.100) Weiterhin nicht geklärt ist allerdings die Frage, wie mit solchen Verbindlichkeiten zu verfahren ist, die der Schuldner i. R. einer Fortführung ohne Wissen bzw. gegen den Willen des Insolvenzverwalters begründet.101) 67 Es zeigt sich, dass aufgrund unterschiedlicher Kollisionslagen zwischen Berufs- und Insolvenzrecht, die im Wesentlichen deshalb entstehen, weil Weisungsrechte und Verfügungsbefugnisse auf den Insolvenzverwalter übergehen, eine Art der Betriebsfortführung zu wählen ist, in der dieses Konfliktpotential minimiert werden kann. Dies ist in den Gesundheitsberufen bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen die Eigenverwaltung.102) 3.2.2 Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer 68 Die bei den Gesundheitsberufen dargestellten Grundsätze gelten in weiten Teilen auch für die rechts-, steuer- und wirtschaftsberatenden Berufe. Soweit es sich bei dem Freiberufler um einen angestellten Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer handelt, kommt für diesen eine Fortführung seiner Tätigkeit unter den bereits beschriebenen Vorgaben der Rechtsprechung für den angestellten Anwalt in Frage. 69 Für die Fortführung der Praxis eines insolventen Berufsträgers dieser Berufsgruppen bestehen prinzipiell ebenfalls die Möglichkeiten einer Fortführung durch den Insolvenzverwalter unter Mitwirkung des Insolvenzschuldners, der Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens sowie der Eigenverwaltung. 70 Die Fortführung durch den Insolvenzverwalter unter Mitwirkung des Insolvenzschuldners wird nach der derzeitigen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung aufgrund der Vermutung des Vermögensverfalls schon daran scheitern, dass die Zulassung des Schuldners zu widerrufen ist. Um einen solchen Widerruf zu verhindern, wäre nämlich der Nachweis zu führen, dass die Interessen der gegenwärtigen und künftigen Mandanten nicht beeinträchtigt werden.103) Hierzu müsste vordringlich sichergestellt werden können, dass ein Missbrauch von Fremdgeldern ausgeschlossen werden kann. Dies allerdings wird auch bei enger Überwachung durch den Insolvenzverwalter i. R. einer Betriebsfortführung kaum gewährleistet werden können, da die Möglichkeiten einer zweckwidrigen Verwendung aufgrund der besonderen Vertrauensstellung der Angehörigen dieser Berufsgruppen vielfältig sind. Organisatorische Maßnahmen, die eine derart enge Überwachung durch den Insolvenzverwalter ermöglichen, dass jeder Missbrauch ausgeschlossen ist, sind kaum vorstellbar. Dieserhalb erscheint eine Betriebsfortführung durch den Insolvenzverwalter schon deshalb nicht möglich, weil dem Schuldner die Zulassung zu entziehen ist. 71 Ist die Zulassung noch nicht widerrufen, könnte dem Widerruf durch die Wahl der Eigenverwaltung und der Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens zuvorgekommen werden. ___________ 100) Lüdke in: HK-InsO, § 35 Rz. 249; Berger, ZInsO 2008, 1101, 1103 ff.; Wischemeyer, ZInsO 2009, 2121, 2122; RegE BT-Drucks. 16/3227, S. 17; a. A. Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 55 Rz. 41; Mai in: Kölner Schrift, Kap. 19 Rz. 65. 101) Hierzu Arens, DStR 2010, 446, 447 ff.; Haarmeyer, ZInsO 2007, 696 ff.; Smid, DZWIR, 2008, 133 ff. 102) So auch: Vallender in: FS Metzeler, S. 21, 32. 103) Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 17.

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Es ist schnellstmöglich ein Insolvenzplan auszuarbeiten und dieser gemeinsam mit dem 72 Eigenantrag beim Insolvenzgericht einzureichen.104) Im Regelfall des Insolvenzplanverfahrens wird der Schuldner mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit. Insofern könnten die wirtschaftlichen Verhältnisse des Freiberufler-Schuldners nach Planbestätigung wieder als geordnet gelten, wodurch ein Widerruf der Zulassung obsolet werden könnte. Um die wirtschaftlichen Verhältnisse wieder zu ordnen – wodurch die Zulassung u. U. 73 „gerettet“ werden kann –, kommt auch die Beantragung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO in Betracht.105) Im Rahmen dieses Verfahrens soll dem Schuldner die Möglichkeit gegeben werden, bereits im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren einen Insolvenzplan auszuarbeiten. In den drei Monaten, die der Schuldner hierzu höchstens Zeit hat, erhält er eine dem starken vorläufigen Verwalter insofern vergleichbare Stellung, als er gemäß § 270b Abs. 3 InsO Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 2 InsO begründen kann.106) Überdies kann auf Antrag des Schuldners ein Vollstreckungsschutz gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO angeordnet werden, so dass der Schuldner für den Zeitraum seiner Sanierungsbemühungen durch ein Moratorium geschützt ist.107) Eben diese Mechanismen ermöglichen dem lediglich drohend zahlungsunfähigen bzw. überschuldeten Schuldner weitergehend als bisher, rechtzeitig seine wirtschaftlichen Verhältnisse außerhalb des eröffneten Verfahrens zu ordnen, was auf den Widerruf der Zulassung Einfluss hat. Ob hierdurch allerdings eine Abkehr von der restriktiven Entziehungspraxis der Kam- 74 mern zu erreichen ist, erscheint fraglich. Die über den Widerruf der Zulassung geschützten Rechtsgüter sind bei „nur“ drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung kaum weniger gefährdet als bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit. Diese Gefährdung dürfte durch die Wahl eines Eigenverwaltungs- bzw. Insolvenzplanverfahrens kaum beseitigt werden können. Vielmehr sind die Vermögensverhältnisse regelmäßig erst mit erfolgreicher Durchführung des Insolvenzverfahrens in einem Maße geordnet, wie es die zu schützenden Rechtsgüter verlangen. Deshalb sollte die Widerrufspraxis bei Rechtsanwälten, Notaren, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern trotz der durch das ESUG geschaffenen weitergehenden Sanierungsmöglichkeiten im Regelfall nicht aufgeweicht werden. V.

Alternativszenarien

Neben der Fortführung kommen nach Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzver- 75 fahrens auch Alternativszenarien in Betracht. Dies sind insbesondere die Verwertung sowie die Freigabe. 1.

Verwertung öffentlich-rechtlicher Befugnisse

Ob der Insolvenzverwalter die öffentlich-rechtlichen Befugnisse durch Veräußerung für 76 die Masse verwerten kann, hängt von ihrer Zugehörigkeit zur Masse und diese wiederum davon ab, ob ihnen ein Vermögenswert zukommt.108) Für die Sachkonzession ist die Frage leicht zu beantworten. Ihr kommt regelmäßig ein 77 Vermögenswert zu, so dass sie grundsätzlich auch übertragbar ist. Die Verwertung erfolgt gemeinsam mit der Sache, dem Grundstück oder der Anlage, deren Wert sie steigert. Mit ___________ 104) 105) 106) 107) 108)

Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 399; Janca, ZInsO 2005, 242 ff.; Schmittmann, ZInsO 2004, 725, 727. Dies gilt i. E. auch für die zuvor dargestellten Praxen der Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten. Braun-Riggert, InsO, § 270b Rz. 13. Piekenbrock, NZI 2012, 905, 907. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 13 ff., 270.

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Übertragung des Grundstücks oder der Anlage selbst geht die Sachkonzession automatisch auf den Rechtsnachfolger über.109) 78 Anders stellt sich die Rechtslage bei der Verwertung einer Personalkonzession dar. Nicht zur Insolvenzmasse gehören solche Genehmigungen, die ein höchstpersönliches Recht begründen.110) Aber auch soweit letzteres nicht der Fall ist, die Genehmigung also etwa durch einen Stellvertreter nach § 45 GewO oder § 9 GastG ausgeübt werden kann, ist die Zugehörigkeit zur Masse nicht ohne weiteres zu bejahen. Denn hierzu muss der Genehmigung zusätzlich auch ein Vermögenswert zukommen. Sofern die Genehmigung auf die Person des Insolvenzschuldners bezogen und damit eine Personalkonzession ist, ist sie zwar Grundlage der durch die Fortführung realisierbaren Vermögenswerte, aber nicht selbst Vermögenswert, da sie weder einzeln noch durch Verkauf des ganzen Unternehmens verwertet werden kann.111) Beispiel: Für die Verwertung eine Gaststätte bedeutet dies bspw., dass der Insolvenzverwalter zwar die Gaststätte an sich, also die Räumlichkeiten und ihr Inventar verwerten kann, der etwaige Nachfolger wiederum muss aber selbst über eine Erlaubnis verfügen, um diese fortführen zu können. Eine Übernahme der Gaststättenerlaubnis i. S. einer Rechtsnachfolge findet nicht statt. 79 Die Veräußerung einer freiberuflichen Praxis wirft weitere Fragen auf. Hierbei setzen sich die schon bei der Erörterung der Fortführung genannten Probleme fort. Wenngleich mittlerweile, anders als noch unter Geltung der KO,112) generell von einer Veräußerbarkeit der freiberuflichen Praxis auch in Bezug auf ihren „Goodwill“ ausgegangen wird, ist hier doch vieles im Einzelnen streitig. Streit besteht dabei insbesondere darüber, ob der Insolvenzverwalter einer Zustimmung durch den Insolvenzschuldner zur Verwertung der Praxis bedarf. Dies wird teilweise aufgrund der persönlichen Vertrauensbeziehung zu den Mandanten bzw. Patienten verlangt.113) Überwiegend wird aber zu Recht dem Interesse der Gläubiger Vorrang gegeben.114) Sowohl Praxis als auch die Patientendatei gehören gemäß § 35 Abs. 1 bzw. § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO zur Insolvenzmasse. Zu weitgehend ist zwar die Ansicht, dass der Freiberufler als Insolvenzschuldner in die Patientendatei auf Grund deren Massezugehörigkeit nur mit Zustimmung des Insolvenzverwalters Einblick nehmen darf.115) Andererseits hat aber auch der Insolvenzverwalter kein allgemeines Einsichtsrecht. Dennoch muss es ihm möglich sein, die Praxis wie bei einem regulären Ver___________ 109) Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 133 ff.; Vierhaus, NVwZ 2001, 743, 745. 110) BVerfG, Beschl. v. 22.3.2013 – 1 BvR 791/12, NZS 2013, 543 m. w. N. (für die vertragsärztliche Zulassung, selbst im Falle eines Medizinischen Versorgungszentrums in der Rechtsform einer GmbH); BSG, Urt. v. 10.5.2000 – B 6 KA 67/98 R, BSGE 86, 121, 123 (ebenfalls für die vertragsärztliche Zulassung); BVerwG, Urt. v. 27.6.1969 – VII C 46.68, MDR 1970, 80 (für die Güternahverkehrserlaubnis nach § 80 GüKG; entspr. heute § 3 Abs. 2 GüKG bzw. § 3 Abs. 1 PersBefG); OVG Münster, Beschl. v. 2.10.2003 – 13 A 3696/02, GewArch 2004, 73 (für Genehmigungen nach dem nordrhein-westfälischen Rettungsgesetz); Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 110 m. w. N. 111) Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 111; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 270. 112) Der Veräußerung des nicht materiellen Vermögenswertes stand nach der KO entgegen, dass er dem Geheimschuldner erhalten bleiben musste, um die Praxis außerhalb des Insolvenzverfahrens fortführen zu können und die Einnahmen als Neuerwerb für seinen Lebensunterhalt zu verwenden. Hierzu: Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 14. 113) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 9.09; Eickmann in: HK-InsO, 2. Aufl., 2001, § 35 Rz. 28; Nerlich/ Römermann-Andres, InsO, § 35 Rz. 73. 114) Lüdtke in: HK-InsO, § 35 Rz. 106; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 288 sowie § 159 Rz. 31; Peters in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 35 Rz. 158; Beck/Depré-Viniol, Praxis der Insolvenz, § 42 Rz. 29. 115) So aber: Schick, NJW 1990, 3359, 2361.

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kauf unter Zustimmung der Patienten zur Übernahme der Patientendatei durch den Nachfolger zu verwerten.116) Vor dem Hintergrund der nicht abschließend geklärten Rechtsfragen in diesem Themen- 80 komplex ist dem Insolvenzverwalter jedenfalls anzuraten, den Insolvenzschuldner in den Veräußerungsprozess intensiv einzubinden. Auf diese Weise kann möglichen Versuchen des Schuldners vorgebeugt werden, die Verwertung durch Einflussnahme auf Klienten, Patienten oder Mandanten zu verhindern.117) 2.

Freigabe zur Fortführung durch den Schuldner

Eine weitere Möglichkeit, die Fortführung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Pra- 81 xis durch den Schuldner zu ermöglichen, ist die Freigabe. Mit ihr endet der Insolvenzbeschlag. Der Gewerbetreibende oder Freiberufler erhält die Verwertungs- und Verfügungsbefugnis zurück. Da mit der Freigabe des Gewerbes oder der freiberuflichen Praxis eine Vielzahl von Gegenständen dem Zugriff der Masse entzogen wird und nicht nur, wie es dem Konzept der Freigabe an sich entspricht, einzelne Gegenstände, kann die Freigabe der gesamten Praxis bzw. des gesamten Gewerbebetriebes nur als Ausnahme in den Fällen gelten, in denen weder durch die Fortführung noch die Veräußerung eine Massemehrung zu erzielen ist. Aufgrund der weitreichenden Konsequenzen einer solchen Freigabe sollte der Insolvenzverwalter den gesamten Betrieb nur in Absprache mit den Gläubigern freigeben.118) Bei der Freigabe eines Gewerbes ist umstritten, wie sie sich auf eine zuvor eingeleitete 82 Gewerbeuntersagung auswirkt. Rechtsfolge einer solchen Freigabe ist, dass der Insolvenzverwalter den aus der selbstständigen Tätigkeit zu erwartenden Neuerwerb nicht zur Insolvenzmasse zieht und dass Verbindlichkeiten, die der Schuldner i. R. seiner selbstständigen Tätigkeit begründet, nicht im Range von Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO befriedigt werden.119) Der Insolvenzschuldner wird also aus Verträgen, die er i. R. seiner selbstständigen Tätigkeit neu begründet, selbst berechtigt und verpflichtet.120) Gegen eine Sperrwirkung des § 12 GewO spricht, dass die Vermögensgegenstände infolge der Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag ausscheiden und der Insolvenzverwalter deshalb nicht mehr auf den Schuldner und die Vermögensgegenstände einwirken kann. Die Nutzung der Vermögensgenstände kommt infolge der Freigabe nicht mehr der Masse zugute, auf die durch das freigebende Gewerbe erwirtschafteten Gewinne kann nicht zugegriffen werden, es werden keine Masseverbindlichkeiten begründet.121) Aus diesem Grunde erscheint es zunächst gerechtfertigt, dem schuldnerischen Gewerbe auch den Schutz des § 12 GewO zu entziehen. Das Gewerbe nimmt schließlich in vollem Umfang nicht mehr an dem Insolvenzverfahren teil, für das § 12 GewO seiner Konzeption nach entwickelt wurde.122)

___________ 116) 117) 118) 119) 120) 121) 122)

Uhlenbruck in: FS Henckel, S. 877, 886 ff. In diesem Sinne auch: Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 400. Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 497. Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 72. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 101. Krumme, GewArch 2010, 465, 471 ff. In diesem Sinne OVG Koblenz, Urt. v. 3.11.2010 – 6 A 10676/10, OVG, GewArch 2011, 37.

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83 Der größere Teil in Rechtsprechung und Literatur geht allerdings von einer Sperrwirkung des § 12 GewO aus.123) § 12 GewO verbietet nach seinem Wortlaut eine Anwendung der genannten Vorschriften für den gesamten Zeitraum eines laufenden Insolvenzverfahrens. Sinn und Zweck der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO ist, dass der Insolvenzschuldner auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine bereits vorher ausgeübte selbstständige Tätigkeit fortsetzen bzw. eine selbstständige Tätigkeit neu aufnehmen kann.124) Dieses Ziel würde vereitelt, wenn gleichwohl eine Untersagung bzw. der Widerruf des Gewerbes möglich wäre. Schließlich wird den Gläubigerinteressen durch die entsprechende Anwendung von § 295 InsO Genüge getan, nach dem der Insolvenzverwalter gegenüber dem Schuldner eine Ausgleichszahlung zu konkretisieren hat. 84 Schließlich steht den Neugläubigern nach erfolgter Freigabe der Neuerwerb als Haftungsmasse zur Verfügung. Insofern erscheint es sachgerecht, von einer Sperrwirkung des § 12 GewO auszugehen. 85 Sie kann aber nur solange gelten, wie im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch nicht über die Unzuverlässigkeit des Gewerbetriebenden entschieden worden ist und die Verbindlichkeiten, die nach Ansicht der Behörde die Unzuverlässigkeit des Schuldners begründen, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind.125) Soweit zum Zeitpunkt der Stellung des Insolvenzantrags bereits eine abschließende Entscheidung unter Anordnung des Sofortvollzugs i. S. einer Untersagung des betreffenden Gewerbes ergangen ist, kommt § 12 GewO nicht mehr zur Anwendung.126) Keine Anwendung findet § 12 GewO ferner in dem Fall, dass die Unzuverlässigkeit des gewerbetreibenden Schuldners mit Rückständen begründet wird, die aus der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit herrühren.127) VI.

Fazit

86 Die Auswirkungen, die ein Insolvenzverfahren auf Genehmigungen hat, sind vielfältig. Sie können positiv sein, etwa bei der Veräußerung übertragbarer Rechte zur Generierung von Liquidität, aber auch ein Hindernis, das einer erfolgreichen Betriebsfortführung entgegensteht. Die Prüfung der Rechtslage in Bezug auf bestehende Genehmigungen sollte angesichts ihrer weitreichenden Bedeutung einen festen Bestandteil in der Abfolge der Maßnahmen bilden, die in Vorbereitung und Durchführung eines Insolvenzverfahrens ergriffen werden.

___________ 123) VGH München, Urt. v. 5.5.2009 – 22 BV 07.2776, ZIP 2009, 2162 = NZI 2009, 527; VG Oldenburg, Beschl. v. 14.7.2008 – 12 B 1781/08, ZIP 2009, 334 = GewArch 2008, 413; OVG Münster, Beschl. v. 19.5.2011 – 4 B 1707/10, NVwZ-RR 2011, 813; VG Trier, Urt. v. 14.4.2010 – 5 K 11/10, VIA 2010, 55 m. Anm. Vallender; Friauf-Heß, GewO, § 12 Rz. 14; Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 7a. 124) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 90. 125) Vallender, NZI 2010, 55. 126) So i. E.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 8.12.2008 – 7 ME 144/08, GewArch 2009, 162. 127) VGH München, Urt. v. 5.5.2009 – 22 BV 07.2776, ZIP 2009, 2162 = NZI 2009, 527.

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§ 31 Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung Übersicht I. Allgemeines ................................................. 1 II. Strategische Sanierung und behördliche Inanspruchnahme............................ 12 1. Strategische Sanierung ............................... 12 2. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme .... 16 III. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme als Zustandsstörer in den verschiedenen Insolvenzverfahrensstadien und -konstellationen................... 31 1. Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) ..... 31 2. Sonstige vorläufige Eigenverwaltung (§ 270a InsO) ............................................. 35 3. „Schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO)............................................... 36 4. „Starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO)............................................... 42 5. Eröffnetes Verfahren ................................. 45 5.1 Allgemeines ..................................... 45 5.2 Formelle Fehler bei Inanspruchnahme ................................... 47 5.3 Materielle Fehler bei Inanspruchnahme ................................... 50 5.3.1 Allgemeine Argumentationslinien........................................ 50

5.3.2 Verstoß gegen Treu und Glauben ........................................... 52 5.3.3 Fehlerhafte Störerauswahl.............. 53 5.3.4 Nichtberücksichtigung der Opfergrenze .............................................. 57 5.3.5 Präventive (negative) Feststellungklage.................................... 61 5.3.6 Sonderkonstellation: Insolvenzverfahren und Zwangsverwaltungsverfahren........................... 62 5.4 Folgen der Inanspruchnahme wegen Alt-Kontaminationen.......... 65 5.4.1 Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit.................... 65 5.4.2 Regressansprüche............................ 69 5.5 Freigabe gemäß § 32 Abs. 3 InsO bei Inanspruchnahme ausschließlich als Zustandsstörer................................................ 71 IV. Besonderheiten bei Inanspruchnahme als Handlungsstörer oder Betreiber..................................................... 74 V. Reformbestrebungen, Empfehlung der Kommission vom 12.3.2014 .............. 78

Literatur: Bickel, BBodSchG, Kommentar, 3. Aufl., 2004; Bisle, Fiskusprivileg „light“: Der neue § 55 Abs. 4 InsO, GWR 2011, 352; Brühl, Verwaltungsrecht für die Fallbearbeitung, 7. Aufl., 2006; Drasdo, Anmerkung zur Entscheidung des BVerwG v. 23.9.2004, BVerwG 7 C 22.03, ZfIR 2005, 31; Eidenmüller, Die Restrukturierungsempfehlungen der EU-Kommission und das deutsche Restrukturierungsrecht, KTS 2014, 401; Erdmann, Praktische Konsequenzen der Behandlung des Konkursverwalters als Organ der Konkursmasse, KTS 1967, 87; Finger, Neues von den Altlasten, NVwZ 2011, 1288; Gravenbrucher Kreis, ESUG: Erfahrungen, Probleme, Änderungsnotwendigkeiten, ZIP 2015, 2159; Grunwaldt, Zivilrechtliche Ausgleichsansprüche unter mehreren polizeirechtlichen Störern, Diss., 1994; Gundlach/ Rautmann, Änderungen der Insolvenzordnung durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011, DStR 2011, 82; Heßler, Der Störerausgleich im Bodenschutzrecht, Diss., 2004; Jungclaus/Keller, Die Änderungen der InsO durch das Haushaltsbegleitgesetz, NZI 2010, 808; Kahlert, „Wiedereinführung“ des Fiskusvorrechts im Insolvenzverfahren?, ZInsO 2010, 1274; Knieper, Treu und Glauben im Verwaltungsrecht, Diss., 1932; Kothe, Die Verantwortlichkeit bei der Altlastensanierung, VerwArch (88) 1997, 456; Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Loseblatt-Kommentar, 67. Aufl., 2013, Stand: 11/2012; Lwowski/ Tetzlaff, Umweltaltlasten in der Insolvenz und gesicherte Gläubiger, WM 2005, 921; Lwowski/Tetzlaff, Altlasten in der Insolvenz – Freigabe, Insolvenzplan und parallele Zwangsverwaltungsverfahren, NZI 2004, 225; Meyer, Die Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters, in: Heinze/Stürner/Uhlenbruck, KTS-Schriften, Bd. 15, 2003, S. 196; Onusseit, Zur Neuregelung des § 55 Abs. 4 InsO, ZInsO 2011, 641; Oerder/Numberger/Schönfeldt, BBodSchG, 1999; Pape, Anmerkung zur Entscheidung des BVerwG vom 22.7.2004, BVerwG 7 C 17.03, ZIP 2004, 1768; Pöhlmann, Wer bezahlt die Beseitigung von Altlasten in der Insolvenz? NZI 2003, 486; Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998; Schäling, Zur Haftungsbegrenzung bei Inanspruchnahme des Inhabers der tatsächlichen Gewalt als Verantwortlicher im Sinne des Bundes-Bodenschutzgesetzes, NVwZ 2004, 543; Schmidt, K., Klage und Rechtshängigkeit bei der Konkurseröffnung vor Klageerhebung, NJW 1995, 911; Schmidt, K., Der Konkursverwalter als Gesellschaftsorgan und als Repräsentant des Gemein-

Zimmermann

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§ 31

Teil V Einzelfragen

schuldners, KTS 1984, 345; Sinz/Oppermann, § 55 Abs. 4 InsO und seine Anwendungsprobleme in der Praxis, DB 2011, 2185; Versteyl/Sondermann, BBodSchG, Kommentar, 2. Aufl., 2005; de Wall, Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, 1999, JusPubl. 46; Wittern/ Baßlsperger, Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht, 19. Aufl., 2007; Zeiß/Schreiber, Zivilprozessrecht, 10. Aufl., 2003; Zimmermann, F., Beschlussfassung des Gläubigerausschusses/der Gläubigerversammlung bezüglich besonders bedeutsamer Rechtshandlungen (§ 160 InsO), ZInsO 2012, 245; Zimmermann, F., Mobiliar- und Unternehmenshypotheken in Europa, 2005.

I.

Allgemeines

1 Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Verwalter Gesetz und Recht zu beachten hat. Dies gilt umso mehr, wenn der Insolvenzverwalter einen schuldnerischen Betrieb fortführt, nicht zuletzt, da der Insolvenzverwalter gerichtlich bestellt wird. Mindestens problematisch und enorm haftungsträchtig ist dies allerdings dann, wenn gesetzlich eindeutige Grundlagen, die für eine Fortführung von entscheidender Bedeutung sind, fehlen und die höchstrichterliche Rechtsprechung antipodisch ist. War man überwiegend der Auffassung, dass insbesondere in der Nachwendezeit die Altlastenproblematik relevant war1) und zwischenzeitlich weitgehend überholt sei, da in den meisten Fällen die als besonders problematisch zu beurteilenden Altlastenflächen mittlerweile saniert wurden, muss die Thematik von Umweltkontaminationen unter den Bedingungen eines Insolvenzverfahrens gleichwohl nach wie vor als akut bezeichnet werden. 2 Es geht nicht nur um – die in der Praxis nur noch selten vorkommenden – Altlasten i. S. des BBodSchG,2) das Altlasten definiert als stillgelegte Abfallbeseitigungsanlagen sowie sonstige Grundstücke, auf denen Abfälle behandelt, gelagert oder abgelagert worden sind (Altablagerungen), und Grundstücke stillgelegter Anlagen und sonstige Grundstücke, auf denen mit umweltgefährdenden Stoffen umgegangen worden ist, ausgenommen Anlagen, deren Stilllegung einer Genehmigung nach dem Atomgesetz bedarf (Altstandorte), durch die schädliche

___________ 1) Vgl. hierzu insbesondere die in dieser Zeit ergangene Rechtsprechung: BVerwG, Urt. v. 10.2.1999 – 11 C 9.97, ZIP 1999, 538 = NZI 1999, 246; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 19.6.2000 – 2 M 175/00, ZInsO 2000, 506; Hessischer VGH, Beschl. v. 22.10.1999 – 8 TE 4371/96, ZIP 1999, 2102; VG Hannover, Urt. v. 16.5.2001 – 12 A 1401/99, ZIP 2001, 1727 = NZI 2002, 171; OVG Sachsen, Urt. v. 16.8.1994 – 1 S 173/94, ZIP 1995, 852; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 12.4.1994 – 2 M 31/93, ZIP 1994, 1130; OVG Schleswig, Urt. v. 20.10.1994 – 4 L 73/92, ZIP 1993, 283, u. a. 2) Zu beachten ist, dass Grundvoraussetzung für eine Inanspruchnahme wegen Altlasten i. S. des BBodSchG die Anlage im Fall der § 2 Abs. 5 Nr. 1 Alt. 1 und § 2 Abs. 5 Nr. 2 Alt. 1 BBodSchG bereits vollständig stillgelegt sein muss (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.2010 – III ZR 295/09, NZM 2010, 403; BT-Drucks. 13/6701, S. 30; Versteyl/Sondermann-Sondermann/Hejma, BBodSchG, § 4 Rz. 77; Bickel, BBodSchG, § 2 Rz. 12) bzw. im Falle eines sonstigen Grundstückes, auf dem Abfälle behandelt, gelagert oder abgelagert worden sind i. S. der §§ 2 Abs. 5 Nr. 1 Alt. 2 und Abs. 5 Nr. 2 Alt. 2 BBodSchG die Anlage nicht mehr in Betrieb ist (vgl. BT-Drucks. 13/6701, S. 30; Bickel, BBodSchG, § 2 Rz. 29). Eine Stilllegung ist hierbei – wie der BGH festgestellt hat – ausschließlich dann anzunehmen, wenn sämtliche Stilllegungsmaßnahmen vollständig abgeschlossen sind (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.2010 – III ZR 295/09, NZM 2010, 403), wobei dem gleichzusetzen ist, wenn der Betrieb vollständig anders geführt wird, mithin ein aliud zu dem ursprünglichen Betrieb darstellt (BGH, Urt. v. 18.2.2010 – III ZR 295/09, NZM 2010, 403; vgl. hierzu auch Kothe, VerwArch (88) 1997, 456 ff.), wozu ein bloßer Inhaberwechsel oder eine Umfirmierung nicht ausreicht. Ist die Anlage nicht stillgelegt in diesem Sinne, kommt eine Inanspruchnahme für Sanierungsmaßnahmen nur wegen „schädlicher Bodenveränderungen“ i. S. des § 2 Abs. 3 BBodSchG in Betracht, wobei eine bloße Gefährdung für eine Inanspruchnahme nicht ausreicht. Vielmehr muss eine physikalische, chemische oder biologische Veränderung der Beschaffenheit des Bodens bereits eingetreten sein (vgl. BT-Drucks. 13/6701, S. 19; BGH, Urt. v. 18.2.2010 – III ZR 295/09, NZM 2010, 403; Versteyl/Sondermann-Sondermann/Hejma, BBodSchG, § 4 Rz. 77). Ist auch dies nicht der Fall, kann der Insolvenzverwalter bzw. die von ihm verwaltete Masse bereits nicht zu Sanierungsmaßnahmen, sondern allenfalls zu Vorsorgemaßnahmen gemäß § 7 BBodSchG i. V. m. §§ 9 ff. BBodSchVO herangezogen werden.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 31

Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren für den Einzelnen oder die Allgemeinheit hervorgerufen werden.3) Vielmehr geht es generell um die Frage der Behandlung von Kontaminationen der Um- 3 welt im Insolvenzverfahren, wobei in der Praxis am bedeutsamsten Kontaminationen des Grund und Bodens sind, deren Beseitigung in der Regel zu hohen Kostenbelastungen führen. Hierdurch kommt der Frage, ob die Beseitigungskosten vorrangig aus der Insolvenzmasse zu begleichen sind, überragende Bedeutung für den Verfahrensablauf und somit insbesondere auch für die Betriebsfortführung zukommt. Mit Insolvenzverfahrenseröffnung geht die allgemeine Vermögensverwaltungs- und -ver- 4 fügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Gemäß § 148 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter eine unverzügliche Inbesitznahmepflicht bezüglich der Massegegenstände. Zudem ist die – zumindest vorläufige – Betriebsfortführung gesetzliche Pflichtaufgabe und greift bereits bei angeordneter vorläufiger Insolvenzverwaltung ein.4) Dadurch ist der Verwalter grundsätzlich gezwungen, den schuldnerischen Betrieb auf den Betriebsflächen (mindestens) bis zum Berichtstermin fortzuführen, unabhängig davon, ob die Betriebsflächen im schuldnerischen Eigentum stehen oder i. R. eines Nutzungsverhältnisses genutzt werden. Bei Grundstücken, die im schuldnerischen Vermögen stehen oder durch den schuldnerischen 5 Betrieb genutzt werden, kennt der Verwalter die Bodenbeschaffenheit zumeist nicht. Ein Prüfungszeitraum zum Zwecke der Analyse des Bestehens von etwaigen Kontaminationen ist dem Verwalter nach Insolvenzverfahrenseröffnung nicht eingeräumt. Lediglich in den Fällen, in denen eine vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet war, hatte der Verwalter die Möglichkeit zu prüfen, ob es sich um ein kontaminiertes Grundstück handelt. Dabei hat der vorläufige Insolvenzverwalter jedoch zumeist keine Veranlassung zur Bodenuntersuchung oder -prüfung, es sei denn, dass sich aus den Umständen konkrete Hinweise auf schädliche Bodenveränderungen ergeben (z. B. beim Betrieb besonders kontaminierungsgeeigneter Anlagen, sichtbaren Kontaminationen o. Ä.). Haben sich während der vorläufigen Insolvenzverwaltung solche Hinweise ergeben, kann 6 der vorläufige Insolvenzverwalter bei Anordnung der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO) aufgrund der begrenzten Kompetenzzuweisung (Zustimmungsvorbehalt) in der Regel keine eingehenderen, kostenauslösenden und -intensiven Untersuchungen/Maßnahmen ergreifen, um Gewissheit zu erlangen. Hierzu müsste der Insolvenzverwalter von dem Insolvenzgericht eine Einzelermächtigung zur Begründung der entsprechenden Masseverbindlichkeit erhalten, für deren Beantragung seitens des vorläufigen Verwalters aus unterschiedlichen Gründen zumeist keine konkrete Veranlassung besteht. Zumeist fehlt es zudem auch an den erforderlichen Mitteln, sodass es sich daher bei einer Anfrage des vorläufigen Insolvenzverwalters beim Altlastenverzeichnis/ Bodenbelastungskataster bewenden wird, um eine Einschätzung zu erhalten, wie mit dem Grundstück im eröffneten Verfahren zu verfahren und mit welchen Kosten für eine Sanierung zu rechnen ist. In den meisten Fällen wird der Insolvenzverwalter erst nach Verfahrenseröffnung 7 Kenntnis von einer etwaigen Bodenkontamination oder einem entsprechenden Verdacht erlangen, regelmäßig durch die behördliche Inanspruchnahme in Form eines Erlasses einer gegen ihn gerichteten Untersuchungsanordnung oder aber eines Duldungs-/Haftungsbescheides. ___________ 3) Vgl. § 2 Abs. 5 BBodSchG. 4) Decker in: HambKomm-InsO, § 158 Rz. 1.

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Teil V Einzelfragen

8 Hierdurch gerät der Verwalter in ein Haftungsspannungsfeld, das nicht lediglich die durch den Verwalter verwaltete Masse, sondern auch ihn höchstpersönlich betrifft: x

Saniert der Verwalter aus Massemitteln das Grundstück oder bezahlt der Verwalter die Kosten einer etwaigen Ersatzvornahme aus den von ihm verwalteten Mitteln, obwohl der Verwalter bzw. die von ihm verwaltete Masse an sich nicht gehaftet hätte, war also der zugrunde liegende Bescheid unrichtig bzw. rechtswidrig, dann haftet der Verwalter gemäß § 60 InsO den Verfahrensbeteiligten persönlich, wenn bei ordentlicher und gewissenhafter Prüfung erkennbar war, dass die Maßnahme/Sanierung nicht hätte aus der Masse finanziert werden müssen.5)

x

Andererseits haftet der Verwalter gemäß § 61 InsO, wenn er berechtigte Masseverbindlichkeiten nicht begleicht.

x

Ebenso haftet der Verwalter nach § 61 InsO den übrigen Massegläubigern, wenn er in Anbetracht bekanntwerdender Altschäden des Betriebsgrundstückes vorschnell Masseunzulänglichkeit anzeigt, die Umweltbehörde jedoch erst danach die Ordnungsverfügung erlässt, die Behörde die Beseitigungskosten als Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO geltend macht und der Verwalter diese als solche begleichen muss.6)

9 Begründet wird dieses Haftungsspannungsfeld durch unterschiedliche Herangehensweisen, die rein ordnungs-/verwaltungsrechtliche (BVerwG), sog. „massefeindliche“, einerseits und die insolvenzrechtliche (BGH), sog. „massefreundliche“ andererseits. Nach der verwaltungsrechtlichen Herangehensweise haften – verallgemeinert – der Verwalter bzw. die von ihm verwaltete Insolvenzmasse auch für Umweltschäden, die in der Vergangenheit liegen, mithin bereits vor Insolvenzverfahrenseröffnung entstanden sind, da zwar auch das Verwaltungsrecht grundsätzlich das Verursacherprinzip zu berücksichtigen hat, jedoch harte zeitliche Zäsuren, wie durch die InsO in § 38 InsO vorgegeben, in dieser Form nicht kennt. Dies führt dazu, dass der Verwalter bzw. die von ihm verwaltete Insolvenzmasse nach verwaltungsrechtlicher Sichtweise aufgrund die Zustandsverantwortlichkeit regelnden umweltrechtlichen Normen, wie etwa § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG oder §§ 3 Abs. 9, 13, 22 KrWG7) i. V. m. §§ 22, 24 BImSchG8) auch für solche Schäden haften soll, die weit vor Verfahrenseröffnung entstanden sind.9) Solche Forderungen sollen nicht lediglich im

___________ 5) Selbstverständlich ist bei der Bezifferung eines solchen Haftungsanspruchs die durch die Sanierung zumeist eintretende Wertsteigerung des Grundstückes zu berücksichtigen, die den Haftungsumfang entsprechend reduzieren würde. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Grundbesitz nicht umfänglich mit (unanfechtbaren) Sicherungsrechten belastet ist und hierdurch vorrangig der absonderungsberechtigte Gläubiger durch die aufgrund der Sanierung eingetretene Wertsteigerung profitiert, jedoch keine oder nur eine geringe freie Spitze für die Gläubiger im Range des § 38 InsO verbleibt. 6) Lwowski/Tetzlaff, WM 2005, 921 ff., 923. 7) Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen – KrWG: Art. 1 des Gesetzes v. 24.2.2012, BGBl. I 2012, 212, in Kraft getreten am 1.3.2012 bzw. 1.6.2012, geändert durch Gesetz v. 8.4.2013, BGBl. I 2013, 734, m. W. v. 13.4.2013. 8) Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge – Bundes-Immissionsschutzgesetz, i. d. F. der Bekanntmachung v. 26.9.2002, BGBl. I 2002, 3830, zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.4.2013, BGBl. I 2013, 734, m. W. v. 13.4.2013. 9) Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 = NZI 2005, 51; BVerwG, Urt. v. 10.2.1999 – 11 C 9.97, ZIP 1999, 538 = NZI 1999, 246; BVerwG, Urt. v. 20.1.1984 – 4 C 37.80, NJW 1984, 2427; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 16.1.1997 – 3 L 94/96, ZIP 1997, 1798 = NJW 1998, 175; VGH Mannheim, Urt. v. 11.12.1990 – 10 S 7/90, ZIP 1991, 393 = NJW 1992, 64.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

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Rang des § 38 InsO, sondern ähnlich Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO),10) nach vereinzelter Ansicht gar Masseschulden (§ 54 InsO) sein. Lediglich in dem Fall, das Kontaminationen auf Handlungen des (vorläufigen) Insolvenz- 10 verwalters zurückzuführen sind, besteht Kongruenz zwischen Verwaltungsrecht und Insolvenzrecht: In solchen Fällen haftet der Verwalter bzw. die von ihm verwaltete Insolvenzmasse stets aufgrund bestehender Handlungsverantwortlichkeit oder als Anlagenbetreiber, wobei die damit einhergehenden Verbindlichkeiten im Rang des § 55 InsO stehen. Allerdings kann auch in solchen Konstellationen das Problem von Alt-Kontaminationen virulent werden, selbst wenn die relevanten Kontaminationen bereits vor Verfahrenseröffnung vorhanden waren und die Betriebsfortführung durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter entweder zu keinen weiteren Kontaminationen geführt hat oder aber die Betriebsfortführung (lediglich) zu weiteren Kontaminationen führte, die der (vorläufige) Insolvenzverwalter isoliert, also beschränkt auf die Neuschäden, ordnungsgemäß beseitigt hat. Im Kern führt die verwaltungsrechtliche Sichtweise dazu, dass der Verwalter seinen gesetz- 11 lichen Auftrag zur Betriebsfortführung – zumindest bis zum Berichtstermin11) – oft nicht ordnungsgemäß erfüllen könnte und gegen die ihn besonders bindende Rechtsordnung (InsO) verstoßen müsste, um Haftungsgefahren aus etwaigen Bodenkontaminationen, gleich aus welchem Zeitpunkt, zu vermeiden. Jede (vorläufige) Fortführung in der Insolvenz von Betrieben in den Bereichen Lackiererei, Färberei, Tierzucht, Bau, Tankstellen, Chemie, Biogaserzeugung und dergleichen wäre in wirtschaftlicher Hinsicht unwägbar bis hin zu unkalkulierbar und würden den Insolvenzverwalter regelmäßig dazu veranlassen, den Betrieb umgehend stillzulegen oder den Betrieb/das Betriebsgrundstück freizugeben. II.

Strategische Sanierung und behördliche Inanspruchnahme

1.

Strategische Sanierung

Allerdings kann die Sanierung eines Grundstückes durch den Insolvenzverwalter durch- 12 aus im Interesse der (Insolvenz-)Gläubiger liegen. Dies insbesondere dann, wenn das Grundstück im Eigentum des Schuldners steht und durch die Sanierung eine so erhebliche Wertsteigerung herbeigeführt wird, dass sie die Ausgaben aus der Masse rechtfertigt. Dies wird allerdings zumeist nur dann in Betracht kommen, wenn der Grundbesitz nicht oder nur in geringem Umfang mit Grundpfandrechten belastet ist. Entscheidet sich der Insolvenzverwalter von sich aus zu einer solchen Sanierung zu Lasten 13 der von ihm verwalteten Masse mit dem Ziel, den Grundstückswert im Interesse der Insolvenzgläubiger zu erhöhen, ist die Erstellung von Wertgutachten bezogen auf den kontaminierten Grundbesitz einerseits und bezogen auf den sanierten Zustand andererseits vor Auslösung der entsprechenden Maßnahmen zur eigenen Haftungsvermeidung unumgänglich. Denn für den Fall, dass der Grundbesitz im sanierten Zustand – wider Erwarten – nicht den durch die Durchführung der Sanierungsmaßnahme angestrebten Marktwert erreicht, sieht sich der Verwalter der Gefahr des Vorwurfs der Masseverschleuderung und damit einer Inanspruchnahme gemäß § 60 InsO ausgesetzt, wenn er nicht belastbar nachweisen kann, dass er zum Zeitpunkt der Auslösung der (freiwilligen, d. h. nicht behördlicherseits erzwungenen) Sanierungsmaßnahme bei einer Kosten-Nutzen-Analyse davon ausgehen durfte, dass die Sanierungsmaßnahme – trotz Aufwendung von Massemitteln – letztlich zu einer Erhöhung des Massebestandes führen würde. ___________ 10) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 = NZI 2005, 51; BVerwG, Urt. v. 10.2.1999 – 11 C 9.97, ZIP 1999, 538 = NZI 1999, 246. 11) Vgl. insbesondere §§ 1, 22 Abs. 1 Nr. 2, 112, 157, 158 InsO.

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Teil V Einzelfragen

14 Da Bodensanierungen in der Regel kostenintensiv sind, handelt es sich bei einer solchen (freiwilligen) Sanierung in der Regel um eine besonders bedeutsame Rechtshandlung i. S. des § 160 Abs. 1 InsO.12) Unabhängig davon empfiehlt es sich in solchen Fällen stets, eine besondere Gläubigerversammlung einzuberufen. Zwar verhindert die Zustimmung der Gläubigerversammlung zu einer solchen Maßnahme die Inanspruchnahme des Verwalters nach § 60 InsO nicht, wenn wider Erwarten die Sanierung mit Massemitteln nicht zu der angestrebten Wertsteigerung und Massemehrung führt. Denn die Zustimmung der Gläubigerversammlung bzw. deren Fiktion gemäß § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO hat keine exkulpierende Wirkung bezüglich der Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO. Vielmehr hat der Insolvenzverwalter ggf. sogar entgegen dem Abstimmungsergebnis der Gläubigerversammlung zu handeln, da er sein Amt grundsätzlich unabhängig auszuüben hat. Jedoch führt die erteilte Zustimmung der Gläubigerversammlung zu der beabsichtigen Sanierung und, damit einhergehend, zu den damit im Zusammenhang stehenden Kosten zum Zwecke einer letztendlich verfolgten Massemehrung zu erhöhten Anforderungen bezüglich des Nachweises einer Pflichtverletzung des Verwalters bei einer etwaigen Inanspruchnahme gemäß § 60 InsO durch die (Insolvenz-)Gläubiger, wenn der angestrebte Massemehrungszweck nicht erreicht werden konnte. 15 Zu beachten ist – insbesondere vor dem Hintergrund der regelmäßig hohen wirtschaftlichen Bedeutung von Sanierungsmaßnahmen –, dass die besondere Gläubigerversammlung ordnungsgemäß einberufen wird. Der BGH hat in seinen Entscheidungen vom 20.3.200813) und 21.7.201114) klargestellt, dass in der Ladung zur Gläubigerversammlung wenigstens schlagwortartig die Tagesordnungspunkte genannt sein müssen. Folge einer nicht ordnungsgemäß einberufenen Gläubigerversammlung ist, dass die gefassten Beschlüsse nichtig sind und auch die Zustimmungsfiktion gemäß § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO ins Leere ginge.15) Der Verwalter hat daher bereits in seinem Antrag auf Einberufung einer besonderen Gläubigerversammlung darauf zu achten, dass er konkretisiert, für welche Sanierungsmaßnahme, für welches Grundstück welche Mittel aufgewandt werden sollen. Zur Vorbereitung dessen bietet es sich an, dass der Insolvenzverwalter ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gibt, um die voraussichtlich entstehenden Sanierungskosten hinreichend präzise beziffern zu können. Darüber hinaus sollte der Verwalter – zumindest mündlich – in der Gläubigerversammlung erläutern, aus welchem Grunde mit einer für die Masse günstigen Wertsteigerung durch die Sanierungsmaßnahme zu rechnen ist. Auch dies sollte der Verwalter durch ein entsprechendes Gutachten unterlegen können. 2.

Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme

16 In der Praxis kommen jedoch zumeist nicht die Fälle vor, in denen der Verwalter zum Wohle aller Gläubiger aufgrund einer von sich aus erkannten Kontamination und einer wohlabgewogenen Kosten-Nutzen-Abwägung die Entscheidung trifft, dass das Grundstück zu sanieren ist, sondern weil eine Inanspruchnahme durch die zuständige Behörde erfolgt. 17 Das ESUG16) soll einen wesentlichen Schritt zu einer neuen Sanierungskultur darstellen. Erklärtes Ziel ist es,17) dass das Insolvenzrecht mehr denn je auf Sanierung statt auf Ab___________ 12) Vgl. zu dem Kriterium der besonders bedeutsamen Rechtshandlung i. S. des § 160 InsO: Zimmermann, ZInsO 2012, 245 ff. 13) BGH, Beschl. v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030 = WM 2008, 1036. 14) Vgl. BGH, Beschl. v. 21.7.2011 – IX ZB 128/10, ZIP 2011, 1626 = NZI 2011, 713. 15) Vgl. ergänzend Zimmermann, ZInsO 2012, 245 ff. 16) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 – ESUG, BGBl. I 2011, 2582. 17) Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 17/5712, S. 1 f.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

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wicklung von Unternehmen ausgerichtet ist.18) Zur Sanierung von Betrieben ist die Fortführung des Betriebes zwingend. Diese kann allerdings aus vorgenannten Gründen nach verwaltungsrechtlicher Herangehensweise nicht durchgeführt werden und somit Deutschland – entgegen der Zielsetzung des ESUG – kein Sanierungsstandort sein. Das BVerwG hat bereits mehrfach19) – tendenziell, tendenziös – entschieden, dass Forde- 18 rungen im Zusammenhang mit der Sanierung von Bodenkontaminationen ähnlich Masseverbindlichkeiten im Rang des § 55 InsO stehen würden und daher vorrangig aus der Masse zu regulieren seien, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt die Kontaminationen entstanden sind. Das BVerwG hat bei diesen Entscheidungen zwar die Regelungen der InsO zur Kenntnis genommen, jedoch rein formal verwaltungsrechtlich entschieden: Bestimmte ordnungsrechtliche Vorschriften stellten nicht auf den Verursacher oder den Zeitpunkt einer Verursachung ab, sondern ließen eine Inanspruchnahme des Inhabers der tatsächlichen Gewalt über das schädliche Objekt (Zustandsstörer) zu. Dies habe zur Folge, dass unabhängig von der Frage, wer zu welchem Zeitpunkt die Bodenverunreinigungen verursacht hat, der Inhaber der tatsächlichen Gewalt als Zustandsstörer in Anspruch genommen werden kann, wobei der Anspruch lediglich an die tatsächliche Sachherrschaft anknüpft, die der Verwalter gemäß § 148 InsO aufgrund gesetzlicher Anordnung und in Erfüllung seines gesetzlichen Auftrages erlangt. Diese Argumentation greift allerdings zu kurz und verkennt das wesentliche, für Insol- 19 venzrechtler geläufigste, in § 38 InsO geregelte Stichtagsprinzip, wonach alle Forderungen, die vor Insolvenzverfahrenseröffnung begründet wurden, lediglich zur Insolvenztabelle angemeldet werden können und zwar auch solche, die im Zusammenhang mit Bodenkontaminationen stehen.20) Zudem berücksichtigt das BVerwG in seinen vorgenannten Entscheidungen nicht, dass der durch den Verwalter in Übereinstimmung mit seiner gesetzlichen Verpflichtung ausgeübte Besitz (§ 148 InsO) nicht gleichzusetzen ist mit der Zustandsstörereigenschaft im ordnungsrechtlichen Sinne. Denn die in § 148 InsO geregelte Besitzergreifung dient – wie der BGH festgestellt hat – zunächst nur dem allseitigen Interesse der Sicherstellung.21) Eine vollständige Integration in die Insolvenzmasse erfolgt mit Inbesitznahme noch nicht,22) und ist daher nicht geeignet, die vom BVerwG angenommene Zustandsstörerhaftung auszulösen. Auch besteht in der Inbesitznahme des (kontaminierten) Grundstücks keine Verwaltung 20 des Massegegenstandes. Eine Begründung von Masseverbindlichkeiten durch Handlungen des Verwalters scheidet bei bloßer Inbesitznahme des Grundstücks im insolvenzrechtlichen Sinne daher aus. Auch sind solche Verbindlichkeiten nicht in anderer Weise i. S. der InsO begründet, da zu den in anderer Weise23) begründeten Masseverbindlichkeiten nur solche gehören, die durch den Verwalter ausgelöst wurden.24) Nicht einmal die Herstellung entsprechenden Versicherungsschutzes für das Grundstück stellt eine Verwaltung des Grundstückes dar.25) Eine Verwaltung liegt bei einer Immobilienbewirtschaftung und eine solche erst bei Vermietung, Sicherung und Erhalt der Immobilie oder Sicherstellung der Energie-/ Wasserversorgung vor. Erst wenn der Verwalter den Grundbesitz tatsächlich in die Masse ___________ 18) Erklärung Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am 27.10.2011 zum ESUG. 19) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 = NZI 2005, 51; BVerwG, Urt. v. 10.2.1999 – 11 C 9.97, ZIP 1999, 538 = NZI 1999, 246; BVerwG, Urt. v. 20.1.1984 – 4 C 37.80, NJW 1984, 2427. 20) Sofern nicht Ab- oder Aussonderung verlangt werden kann. 21) BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, BGHZ 130, 38 ff., 49 = ZIP 2002, 1043. 22) BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, BGHZ 130, 38 ff., 49 = ZIP 2002, 1043. 23) § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO. 24) Vgl. Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rz. 29; Jarchow in: HambKomm-InsO, § 55 Rz. 8. 25) Vgl. BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, BGHZ 130, 38 ff. = ZIP 2002, 1043.

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vollständig integriert, ergibt sich – entgegen der Auffassung des BVerwG – überhaupt erst die Möglichkeit, den Verwalter als Zustandsstörer haftbar machen zu können. 21 Sachlich unrichtig ist zudem, dass sich das BVerwG in seinen früheren26) Entscheidungen nicht vertieft mit dem verwaltungsrechtlichen Verursacherprinzip, das sowohl eine zeitliche, wie auch personelle Komponente beinhaltet, befasst hat. Bei hinreichender Berücksichtigung dieses Grundsatzes und der daraus folgenden Konsequenzen hätte das BVerwG zu anderen Ergebnissen gelangen müssen: Es kann als weitgehend unbestritten gelten, dass der Insolvenzverwalter gerade nicht Vertreter27), Vertretungsorgan28) oder gar Rechtsnachfolger29) des Schuldners ist und bereits hieran eine direkte zeitliche Zurechnung scheitern muss. Gleiches gilt auch für die personelle Komponente. Auch in dieser Hinsicht besteht zwischen dem Insolvenzverwalter bzw. der von ihm verwalteten Masse und dem Verursacher keine Personenidentität. Vielmehr ist der Verwalter kraft seiner Bestellung Abwickler mit den durch die InsO ausgestatten Befugnissen und handelt lediglich in eigenem Namen und aus eigenem Recht mit Wirkung für die Masse.30) Erschwerend kommt hinzu, dass das durch den Verwalter verwaltete Vermögen zwar durch ihn zu verwalten, jedoch der Umsetzung des Grundsatzes des par conditio creditorum dient, damit wirtschaftlich der Gläubigergesamtheit zugeordnet ist. Diese ist ebenfalls nicht personenidentisch mit dem Schuldner. 22 Im Kern verdichtet sich die Problematik auf die Frage der Rangordnung zwischen Insolvenzrecht und Ordnungsrecht, wenn das Ordnungsrecht die Verantwortlichkeit nicht an die Vornahme von Handlungen (Verhaltensstörer), sondern an einen Zustand (Zustandsstörer) knüpft. Das BVerwG vertritt diesbezüglich die Auffassung,31) dass allein die Regelungen des Ordnungsrechts maßgeblich sind, falls diese auf eine Haftung als Zustandsstörer abstellen, und dass insoweit das Ordnungsrecht mit dem Insolvenzrecht nicht konkurrieren würde, da allein das Ordnungsrecht regele, unter welchen Voraussetzungen eine Störung der öffentlichen Sicherheit vorliege, wie dieser Störung zu begegnen sei und wer dafür in Anspruch genommen werden könne.32) 23 Zwar ist dem BVerwG zuzugeben, dass das Insolvenzrecht nicht in erster Linie Ordnungsrecht, allenfalls Wirtschafts-Ordnungsrecht, jedoch nicht Ordnungsrecht i. S. des BBodSchG oder anderer verwaltungs-/ordnungsrechtlicher Gesetze ist. Jedoch wird verkannt, dass die Folgen der Anordnungen des Ordnungsrechts (Inanspruchnahme) wirtschaftliche Auswirkungen haben und die wirtschaftlichen Auswirkungen im Insolvenzfall abschließend und ausschließlich durch die InsO geregelt werden. § 55 InsO privilegiert gegenüber den Insolvenzgläubigern im Rang des § 38 InsO lediglich und ausschließlich die in der Vorschrift enumerativ aufgezählten Fälle. Durch die ordnungsrechtliche Inanspruchnahme des Verwalters als Zustandsstörer wird mittelbar ein Fiskalprivileg für Bodenkontaminationsforderungen geschaffen,33) das gesetzlich nicht vorgesehen und auch nicht inten___________ 26) In einer Entscheidung des BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766 ff. = NZI 2005, 55, wurde diese Frage zumindest am Rande erörtert. 27) Vgl. BGH, Urt. v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, ZIP 2005, 1034; a. A. K. Schmidt, KTS 1984, 345; K. Schmidt, NJW 1995, 911. 28) Kuleisa in: HambKomm-InsO, § 80 Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 9/2009, § 80 Rz. 35; a. A. Erdmann, KTS 1967, 87. 29) BAG, Beschl. v. 7.4.2003 – 5 AZB 2/03, NZA 2003, 630; BAG, Beschl. v. 9.7.2003 – 5 AZB 34/03, ZIP 2003, 1617 = NZA 2004, 400; LAG Berlin, Beschl. v. 6.12.2002 – 9 Ta 1726/02, NZA 2003, 630; LAG Nürnberg, Beschl. v. 29.3.2004 – 5 Ta 153/03, NZI 2004, 682. 30) Vgl. RG. Urt. v. 30.3.1892 – V 255/91, RGZ 29, 29 ff., 36; BFH, Urt. v. 22.1.1997 – I R 101/95, ZIP 1997, 797; Kuleisa in: HambKomm-InsO, § 80 Rz. 6; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 78. 31) Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 = NZI 2005, 51. 32) Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 = NZI 2005, 51. 33) Pöhlmann, NZI 2003, 486 ff., 487.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

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diert ist. Bereits das Ringen um das jüngst in die InsO eingefügte Fiskalprivileg gemäß § 55 Abs. 434) InsO und die daran geäußerte,35) berechtigte Kritik zeigt, wie begehrt zwar die Bevorrechtigung ist, wie schwer sich der Gesetzgeber jedoch mit einer solchen Regelung tut, wenn er die Insolvenzverfahrensziele nicht grundsätzlich in Frage stellen will. Insbesondere aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber nicht die seit Jahrzehnten bestehenden und bekannten Unsicherheiten dadurch aufgelöst hat, dass eine Regelung entsprechend § 55 Abs. 4 InsO für Bodenkontaminationen geschaffen wurde, ist zu schließen, dass der Gesetzgeber eine solche Privilegierung der Umweltbehörden bezüglich Alt-Kontamination nicht einmal in Betracht zieht. Gegen die Auffassung des BGH, dass die Verantwortlichkeit des Verwalters für Alt-Kon- 24 taminationen sich darauf beschränkt, dass die entsprechenden Forderungen der Behörde als Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet werden können, wird vereinzelt eingewandt, dass dies in Bezug auf die Adressierung der Inanspruchnahme problematisch wäre, da ein Adressat für die ordnungsrechtliche Verfügung bzgl. Alt-Kontaminationen fehlen würde,36) wenn dem Schuldner/schuldnerischen Unternehmen die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis aufgrund der Insolvenzverfahrenseröffnung entzogen ist. Dieses Argument geht jedoch in der Sache fehl, insbesondere dadurch, dass die formale Frage der Zustellbarkeit einer ordnungsrechtlichen Verfügung nicht zur Folge haben kann, dass die Masse mit vorrangig zu regulierenden Zahlungsverpflichtungen (§ 55 InsO) belastet wird. Zudem besteht auch die angenommene Problematik der Adressierung nicht. Die gleiche Frage stellt sich auch für Steuerforderungen aus Zeiträumen vor Insolvenzverfahrenseröffnung, für die noch keine Festsetzungen erfolgt sind. Diesbezüglich ist unbestritten und anerkannt, dass die Finanzverwaltung nach Insolvenzverfahrenseröffnung Bescheide nicht gegen den Schuldner oder den Verwalter erlassen,37) sondern lediglich Steuerberechnungen durchführen und zur Insolvenztabelle anmelden kann. Denn diese Forderungen sind vor Insolvenzverfahrenseröffnung entstanden und können somit gemäß § 87 InsO ausschließlich nach den Vorschriften der InsO angemeldet werden.38) Gleiches Vorgehen würde den vermeintlichen Konflikt um die Adressierung bezüglich ordnungsrechtlicher Verfügungen lösen. Unabhängig davon ist der Rechtsprechung des BVerwG entgegenzuhalten, dass bei konse- 25 quenter Anwendung der in den genannten Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Auffassung ein widersinniger Anreiz für die Umweltbehörden geschaffen würde, gegen relevante, bekannt gewordene Umweltverstöße nicht unmittelbar vorzugehen, sondern ggf. die Insolvenzverfahrenseröffnung abzuwarten, um sodann die Insolvenzmasse mit den Beseitigungskosten privilegiert belasten zu können. Der Anreiz zu einer solchen Vorgehensweise verstärkt sich umso mehr, als dass bei Einordnung der Forderung als Masseverbindlichkeit eine Beschränkung nicht stattfindet und die gesamte vorhandene Masse vorrangig haften würde. Es ist offensichtlich, dass ein strategisches oder anders motiviertes Zuwarten der Umweltbehörde nicht dahingehend privilegiert werden kann, dass die Verzögerung eine Aufwertung zu einer Masseverbindlichkeit zur Folge hat und die bei rechtzeitiger Inanspruchnahme entstandenen Forderungen lediglich im Rang des § 38 InsO gestanden hätten. Häufig wird dem Verwalter der Beweis eines solchen strate___________ 34) Eingefügt durch Art. 3 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes v. 9.12.2010, BGBl. I 2010, 188. 35) Vgl. etwa Jungclaus/Keller, NZI 2010, 808; Onusseit, ZInsO 2011, 641 ff.; Sinz/Oppermann, DB 2011, 2185 ff.; Bisle, GWR 2011, 352 ff; Gundlach/Rautmann, DStR 2011, 82, 84 f.; Kahlert, ZInsO 2010, 1274 ff. 36) Vgl. Drasdo, ZfIR 2005, 31; Jarchow in: HambKomm-InsO, § 55 Rz. 74. 37) Eine Ausnahme bildet der Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO. 38) Vgl. auch Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) § 122 Rz. 2.9.1.

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gischen oder anders motivierten Zuwartens durch die Behörde jedoch kaum möglich sein. Anhaltspunkte für ein solches beabsichtigtes Zuwarten ergeben sich in diesen Fällen regelmäßig daraus, dass die Behörde bereits vor Verfahrenseröffnung gegen den Schuldner einen Untersuchungs- und/oder eine Sanierungsanordnung erlassen hatte. 26 Andererseits führt allerdings auch die kompromisslose Anwendung des in § 38 InsO geregelten Stichtagsprinzips dann zu unbilligen Ergebnissen, wenn das Grundstück im schuldnerischen Eigentum steht und umfassend mit (valutierenden) Grundpfandrechten belastet ist. Denn die Ersatzvornahme auf Kosten der Allgemeinheit, die nur als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet werden kann, führt insofern zu einer Verteilungsungerechtigkeit, als dass das Grundpfandrecht und damit das Absonderungsrecht aufgewertet39) und auf der anderen Seite die Insolvenzgläubiger benachteiligt werden durch die Teilnahme der Inanspruchnahmeforderung als Forderung im Rang des § 38 InsO, wodurch wiederum die Befriedigungsquote belastet wird. Insbesondere in solchen Konstellationen ist einzelfallbezogen vorzugehen40) und eine eingehende Abstimmung sowohl mit der Umweltbehörde, wie auch mit den (Grundpfand-) Gläubigern für den Insolvenzverwalter unerlässlich. 27 Aus einer jüngeren, abfallrechtlichen Entscheidung41) des BVerwG ergeben sich erste Anhaltspunkte darauf, dass das BVerwG die ursprünglich verfolgte Linie nicht um jeden Preis beibehält und auch die insolvenzrechtlichen Vorschriften als maßgeblich in seine Entscheidung miteinbezieht. Das Gericht hat in seiner Entscheidung vom 22.7.2004 als Hilfsargument darauf abgestellt, dass die zu Grunde liegende Verantwortlichkeit und die daraus resultierenden Verbindlichkeiten vor Insolvenzverfahrenseröffnung entstanden und damit Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) wären.42) Zu Recht hat die Entscheidung in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden.43) Jedoch führt dies nicht dazu, dass der Insolvenzverwalter sich auf diese Rechtsprechung verlassen, die Forderung der Verwaltung mit einem Hinweis auf die Entscheidung des BVerwG und die Vorschrift des § 38 InsO abweisen und dem Haftungskonflikt entkommen könnte. Denn das BVerwG hat im Übrigen an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten und den entschiedenen Fall zu den bisherigen Fällen abgegrenzt.44) 28 Die längst überfällige Kehrtwende der Umweltbehörden und der Verwaltungsgerichte ist somit bislang nicht erfolgt. Auch der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß Art. 95 Abs. 3 GG wurde bisher nicht einberufen, gleichwohl bei den sich widersprechenden Entscheidungen des BGH einerseits und des BVerwG andererseits die Voraussetzungen nach dem RsprEinhG45) vorgelegen haben. 29 Daher ist nach wie vor von einem erheblichen Haftungspotential des Insolvenzverwalters auszugehen, insbesondere da § 185 InsO der Verwaltung die Möglichkeit eröffnet, ihre Forderungen auf dem Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen und festzusetzen. Erlässt die Behörde einen wirksamen Haftungsbescheid oder erwirkt sie eine unanfechtbare verwaltungsgerichtliche Entscheidung, ist der Verwalter hieran – trotz der zuvor dargelegten Inkon___________ 39) Vgl. hierzu auch Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Rz. 958a. 40) Vgl. auch Kübler/Prütting/Bork-Pape/Schaltke, InsO, Stand: 2/2011, § 55 Rz. 39; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Rz. 958a (ebenso). 41) BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766 ff. = NZI 2005, 55. 42) BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766 ff., 1768 = NZI 2005, 55. 43) Vgl. etwa Lwowski/Tetzlaff, WM 2005, 921 ff., 926; Pape, ZIP 2004, 1768; Uhlenbruck, EWiR 2004, 1025, 1026. 44) BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766 ff. = NZI 2005, 55; s. ergänzend auch Lwowski/ Tetzlaff, WM 2005, 921 ff., 926. 45) Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

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sistenz der Begründung des BVerwG für seine die Ordnungsbehörden bevorrechtigende Auffassung – gebunden. Trotzdem bzw. aus diesem Grund ist der Insolvenzverwalter jedoch nicht davon entbunden, 30 etwaige Inanspruchnahmen umfassend zu prüfen und zu versuchen abzuwehren; er kann sich somit nicht seiner eigenen Haftung dadurch entziehen, dass er die Inanspruchnahme der Masse unangefochten hinnimmt. III.

Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme als Zustandsstörer in den verschiedenen Insolvenzverfahrensstadien und -konstellationen

1.

Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO)

Wurde die vorläufige Eigenverwaltung gemäß § 270b InsO (Schutzschirmverfahren) ange- 31 ordnet, wird dem Schuldner/schuldnerischen Unternehmen ein vorläufiger Sachwalter zur Seite gestellt (§ 270b Abs. 2 InsO). Dieser verfügt gemäß § 270a Abs. 1 InsO nicht über die für die Annahme einer Zustandsstörereigenschaft erforderliche Vermögensverwaltungs- und -verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen, sodass eine Inanspruchnahme des vorläufigen Sachwalters selbst unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerwG – und ohnehin unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BGH – bereits von vornherein ausgeschlossen ist. Zwar dient die Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters auch der Sicherung der (zukünfti- 32 gen) Masse, indem dieser die Aufsicht über den vorläufig eigenverwaltenden Schuldner (§ 274 Abs. 2 Halbs. 2 InsO) hat und Interventionsrechte (vgl. insbesondere § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO) ausüben kann. Jedoch führen die Befugnisse des vorläufigen Sachwalters nicht dazu, dass er als Handlungs-, Zustandsstörer oder Betreiber, etwa i. S. des BImSchG, in Anspruch genommen werden kann. Ein etwaig gegen den vorläufigen Sachwalter erlassener Bescheid der Umweltbehörde ist daher rechtswidrig und zwar sowohl unter Zugrundelegung der bereits benannten Rechtsprechung des BGH, als auch der des BVerwG. Etwas anderes ergibt sich auch nicht in den Fällen, in denen der vorläufige Sachwalter die 33 Kassenführung an sich gezogen hat (§ 275 Abs. 1 Satz 2 InsO) und damit den Zahlungsverkehr des Schuldners kontrolliert. Denn die Übernahme der Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter ändert nichts an den Kompetenzen des Schuldners im Übrigen: Dieser kann gleichwohl durch seine Rechtshandlungen die Masse verpflichten mit der Folge, dass der vorläufige Sachwalter diese Masseverbindlichkeiten auch bei Kassenführung durch ihn zu begleichen hat.46) Zu beachten ist, dass durch die Inanspruchnahme, die ggf. äußerst kostenintensiv ausfallen 34 kann, die Voraussetzungen für die Eigenverwaltung entfallen können, da die Inanspruchnahme aufgrund der regelmäßig nicht einkalkulierten hohen Kostenbelastungen zu einer Aussichtslosigkeit der Sanierung des schuldnerischen Betriebes führen kann (§ 270b Abs. 4 InsO). Da die Inanspruchnahme somit erheblichen Einfluss auf den weiteren Verfahrensverlauf haben kann, ist der Sachwalter in diesen Fällen gemäß §§ 270a Abs. 1, 274 Abs. 3 InsO verpflichtet, den vorläufigen Gläubigerausschuss und das Insolvenzgericht hierüber zu unterrichten. Zugleich sollte der vorläufige Sachwalter in Abstimmung mit dem vorläufig eigenverwaltenden Schuldner die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme umfassend prüfen und auf die Einlegung von Rechtsmitteln zur Abwehr hinwirken. Zu den einzelnen Angriffspunkten und Argumenten wird auf die Ausführungen oben unter Rz. 19 ff. und unten unter Rz. 47 ff. verwiesen. ___________ 46) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 275 Rz. 5.

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§ 31 2.

Teil V Einzelfragen Sonstige vorläufige Eigenverwaltung (§ 270a InsO)

35 Vorige Ausführungen gelten in jeder Hinsicht auch für den Fall der sonstigen vorläufigen Eigenverwaltung i. S. des § 270a InsO, da die Rolle des vorläufigen Sachwalters und dessen Kompetenzen im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren bei den vorläufigen Eigenverwaltungen gemäß § 270b InsO einerseits und gemäß § 270a InsO andererseits strukturell gleich sind. 3.

„Schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO)

36 Auch im Fall der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) kann der vorläufige Insolvenzverwalter bzw. die von ihm vorläufig verwaltete Masse nicht durch die Umweltbehörde in Anspruch genommen werden. Dies weder als Handlungs- oder Zustandsstörer noch als Betreiber. Die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung verfolgt ausschließlich den Zweck, eine für die Gläubiger nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern. Zwar übt auch der vorläufige Insolvenzverwalter zu diesem Zweck und in dieser Eigenschaft ein privates Amt im eigenen Namen mit Wirkung für das von ihm verwaltete Vermögen aus, ist aber andererseits ebenso wenig wie der Verwalter im eröffneten Verfahren Vertreter des Schuldners.47) 37 In der Praxis wird zumeist lediglich ein Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) verbunden mit allenfalls begrenzten Verfügungsbeschränkungen oder Verfügungsbefugnissen angeordnet, wobei es nach der Rechtsprechung des BGH auch unzulässig wäre, bei Nichtanordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter umfassend zu ermächtigen, für den Schuldner zu handeln (Nichtigkeit).48) 38 Kernfunktion des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters ist die Überwachung des Schuldners.49) Zwar folgt daraus auch eine originäre Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens.50) Diese führt jedoch nicht bei Bestehen einer entsprechenden Notwendigkeit dazu, dass dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter im Bedarfsfall automatisch weitergehende Verfügungsbefugnisse zufallen würden. Vielmehr besteht in einem solchen Fall lediglich die Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters, das Gericht hierüber zu informieren, sodass dieses die Sicherungsmaßnahmen verstärken kann.51) Eine Inbesitznahmepflicht bzgl. des Schuldnervermögens trifft den „schwachen“ vorläufigen Verwalter jedoch nicht,52) es sei denn, dass eine solche angeordnet wurde, etwa gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO. Eine Anknüpfung an den Besitz als Zustandsstörer i. S. der eingangs genannten Rechtsprechung des BVerwG scheidet daher in Fällen, in denen lediglich eine „schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet ist, aus. 39 Dies ändert sich auch dann nicht, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter – wie in der Praxis üblich – mit der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens beauftragt wird. Denn bei der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung verbleibt gleichwohl die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bei dem Schuldner, sodass auch der Inhalt des ___________ 47) Schröder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 8. 48) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 = NJW 2002, 3326. 49) BGH, Urt. v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 = ZInsO 2011, 1463; Kübler/Prütting/BorkPape, InsO, Stand: 10/2007, § 22 Rz. 54; Schröder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 105a; Meyer in: Heinze/ Stürner/Uhlenbruck, KTS-Schriften, Bd. 15, S. 196 f. 50) BGH, Urt. v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 = ZInsO 2011, 1463; Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 29. 51) BGH, Urt. v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 = ZInsO 2011, 1463. 52) OLG Celle, Beschl. v. 11.12.2002 – 2 W 91/02, ZIP 2003, 87 = ZInsO 2003, 31.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

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Fortführungsauftrages bei angeordneter „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwaltung von dem Inhalt bei angeordneter starker vorläufiger Insolvenzverwaltung abweicht und lediglich zu einem Zusammenwirken des vorläufigen Insolvenzverwalters mit dem Schuldner führt,53) ohne dass jedoch der vorläufige Insolvenzverwalter hierdurch Verfügungskompetenzen erhielte. Bei angeordneter vorläufiger Insolvenzverwaltung ist in der Regel abzusehen, dass diese 40 in einem eröffneten Insolvenzverfahren münden wird. Da die aufgezeigte Rechtsprechung des BVerwG in vielen Fällen zu weitgehend unkalkulierbaren Risiken des Insolvenzverwalters im eröffneten Insolvenzverfahren führen kann, sollte der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter bereits in diesem Verfahrensstadium – sofern absehbar ist, dass die auf Masse zukommenden Belastungen wegen der Beseitigungskosten unverhältnismäßig hoch sein werden – auf eine Stilllegung des Betriebes hinwirken,54) um zumindest eine Verantwortlichkeit als Handlungsstörer im eröffneten Verfahren ebenso wie eine Betreiberhaftung, etwa nach dem BImSchG und sonstigen Gesetzen, die eine Betreiberhaftung regeln, auszuschließen. Soweit es das in diesem Verfahrensstadium absehbare Haftungsrisiko im eröffneten Verfah- 41 ren als Zustandsstörer anbelangt, sollte der vorläufige Insolvenzverwalter in den geeigneten Fällen ins Kalkül ziehen, noch während der vorläufigen Insolvenzverwaltung eine Veräußerung des Betriebes auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung vorzubereiten, um diese punktuell auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung umsetzen zu können. Gelingt dies, bestehen Haftungsrisiken des Verwalters bzw. der durch ihn verwalteten Insolvenzmasse im eröffneten Verfahren nicht. Weder ist der Verwalter in diesen Fällen Handlungsstörer noch Betreiber. Da selbst nach der Rechtsprechung des BVerwG eine nachlaufende Zustandsstörerhaftung des Verwalters nicht besteht,55) kommt somit auch eine Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters bzw. der von ihm verwalteten Masse als Zustandsstörer durch die Umweltbehörde in derartigen Konstellationen nicht in Betracht. Allerdings müssen dann i. R. des Kauf-/Übernahmevertrages Regelungen bezüglich der Kontaminationen getroffen werden. Ein Verschweigen des Mangels an dem Kaufgegenstand führt nicht zu entsprechenden Haftunsansprüchen, selbst wenn ein umfassender Haftungsausschluss vereinbart wurde (vgl. § 444 BGB), sondern damit einhergehend wiederum zu einer Belastung der Masse mit Masseverbindlichkeiten, dann in Gestalt von Haftungsansprüchen. Ohnehin verbietet sich ein solches Vorgehen bei ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung. Es ist daher zu empfehlen, die Kontamination und Art und Umfang – soweit bekannt – in dem Kauf-/Übernahmevertrag umfassend zu benennen und die Kontamination i. R. der Kaufpreisfindung „einzupreisen“. 4.

„Starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO)

Anders, als im vorigen Abschnitt beschrieben, ist die Sachlage bei angeordneter vorläufiger 42 Insolvenzverwaltung gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO („starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung). In diesem Fall geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Hierdurch ist es der Umweltbehörde grundsätzlich möglich, bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren den vorläufigen Insolvenzverwalter in Anspruch zu nehmen. Dies unter den Gesichtspunkten der Zustandsstörerhaftung für Altschäden, wie auch der Verhaltensstörerhaf___________ 53) Ausführlich Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, Rz. 230. 54) Lwowski/Tetzlaff, NZI 2004, 225 ff., 226. 55) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 = NZI 2005, 51.

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tung für Neuschäden i. R. der Betriebsfortführung und schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Betreiberhaftung, sofern die Umweltgesetze eine solche vorsehen, wie etwa nach den Vorschriften des BImSchG56) oder des WHG57). 43 Eine Inanspruchnahme des vorläufigen Insolvenzverwalters wird zwar in der Praxis aufgrund des typischerweise kurzen Zeitraums der vorläufigen Insolvenzverwaltung – zumeist maximal drei Monate – nicht erfolgen, jedoch kann eine solche Inanspruchnahme nicht generell ausgeschlossen werden. In diesem Verfahrensstadium sollte sich der vorläufige Insolvenzverwalter unbedingt mit der Umweltbehörde abstimmen. In der Praxis wird der Hinweis an die Behörde darüber, dass die vorläufige Insolvenzverwaltung lediglich ein Schwebezustand bis zu einer endgültigen Entscheidung über den Insolvenzantrag ist und somit die Inanspruchnahme während dieses Zeitraums der Behörde keine hinreichende Sicherheit verschafft, zumeist dazu führen, dass die Behörde mit dem Erlass eines entsprechenden Bescheides die Eröffnungsentscheidung abwartet. Hierdurch gewinnt der Verwalter wertvolle Zeit, um in die Zukunft planen zu können. Auch wenn die Behörde die Eröffnungsentscheidung nicht abwartet, sondern noch während der vorläufigen Insolvenzverwaltung einen entsprechenden Bescheid gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter erlässt, hat der Verwalter die Möglichkeit, durch Einlegung von Rechtsmitteln die Inanspruchnahme anzugreifen, ebenso wie im eröffneten Verfahren, sodass auf die nachstehenden Ausführungen verwiesen werden kann. 44 Unbedingt sollte der Insolvenzverwalter bereits in diesem Fall für eine ausreichende Deckung seiner Vermögensschadenshaftpflichtversicherung sorgen, wobei die hierdurch entstehenden Zusatzkosten („Aufsicherung“) im Verhältnis zu den Kosten der regulären Verwalterhaftpflichtversicherung, die grundsätzlich durch die Verwaltervergütung abgegolten sind, von ihm gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 InsVV als gesonderte Auslagen geltend gemacht und beansprucht werden können.58) 5.

Eröffnetes Verfahren

5.1

Allgemeines

45 Die Inanspruchnahme des Verwalters als Zustands- und/oder Verhaltensstörer bzw. Betreiber im eröffneten Verfahren ist in der Praxis der Regelfall. Ebenso wie im Fall der Inanspruchnahme im vorläufigen Insolvenzverfahren, bei dem die Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter übergegangen ist, sind Inanspruchnahmen in diesem Verfahrensstadium am haftungsträchtigsten, sodass der Verwalter umgehend für ausreichenden persönlichen Versicherungsschutz Sorge tragen sollte. 46 Zugleich ist zu empfehlen, dass sich der Verwalter umfassend mit der Umweltbehörde dahingehend abstimmt, wie diese die Betriebsfortführung bzw. den gesetzlich geregelten Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ordnungsrechtlich qualifiziert. Signalisiert die Behörde, dass sie die Betriebsfortführung als Bezugspunkt für eine Haftung auch für entstandene Altlasten nimmt, sollte der Insolvenzverwalter umgehend die Gläubiger hierüber informieren, dies dokumentieren und abwägen, ob eine Betriebsfortführung wirtschaftlich für die Insolvenzmasse sinnvoll ist. Ungeachtet dessen trifft den Verwalter, ___________ 56) Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge – Bundes-Immissionsschutzgesetz, i. d. F. der Bekanntmachung v. 26.9.2002, BGBl. I 2002, 3830, zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.4.2013, BGBl. I 2013, 734, m. W. v. 13.4.2013. 57) Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts – Wasserhaushaltsgesetz: Art. 1 des Gesetzes v. 31.7.2009, BGBl. I 2009, 2585, in Kraft getreten am 7.8.2009 bzw. 1.3.2010 zuletzt geändert durch Gesetz v. 21.1.2013, BGBl. I 2013, 95, m. W. v. 29.1.2013. 58) Wimmer/Kind in: FK-InsO, § 60 Rz. 37.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

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nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von gegen ihn gerichteten Haftungsansprüchen, sondern insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Masseschutzes, die Pflicht, die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme im Vorfeld in formeller und materieller Hinsicht umfassend zu prüfen. 5.2

Formelle Fehler bei Inanspruchnahme

Nicht selten sind bereits die Adressierungen in den entsprechenden Bescheiden fehlerhaft, 47 indem diese an den Schuldner als Bekanntgabe- und Inhaltsadressat gerichtet werden und der Insolvenzverwalter durch die Behörde lediglich („nachrichtlich“) in Kenntnis gesetzt wird. Dies hat zur Folge, dass der Verwaltungsakt dem Insolvenzverwalter gegenüber als nicht bekannt gegeben zu behandeln, nach den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen nichtig und damit unwirksam ist.59) Wurde vor Insolvenzverfahrenseröffnung ein Inanspruchnahmebescheid noch gegen den 48 Schuldner selbst erlassen und will die Behörde im eröffneten Verfahren den Verwalter bzw. die durch den Verwalter verwaltete Masse in Anspruch nehmen und ihre Forderungen nicht lediglich zur Insolvenztabelle anmelden, reicht ein Hinweis der Behörde auf den zuvor gegen den Schuldner erlassenen Bescheid nicht aus. Vielmehr ist die Behörde gehalten, wenn sie ihre Forderungen als Masseverbindlichkeiten geltend machen will, einen neuen Bescheid zu erlassen, da der Insolvenzverwalter weder Vertreter noch Rechtsnachfolger des Schuldners ist.60) Selbstverständlich sollte der Insolvenzverwalter – wie auch sonst im Hinblick auf verwal- 49 tungsrechtliche Inanspruchnahmen – insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Rechtmittelfristen prüfen, ob die nach dem einschlägigen Recht ggf. notwendige, im Bescheid enthaltene Rechtsmittelbelehrung vollständig und inhaltlich richtig ist. 5.3

Materielle Fehler bei Inanspruchnahme

5.3.1 Allgemeine Argumentationslinien Wird der Verwalter bzw. die von ihm verwaltete Masse in Anspruch genommen, obgleich 50 der Verwalter auf dem kontaminierten Grundstück weder zuvor als „starker“ vorläufiger, noch als endgültiger Verwalter einen Betrieb fortgeführt hat, steht also das kontaminierte Grundstück lediglich im Eigentum des Schuldners, kommt nur eine Inanspruchnahme als Zustandsstörer, nicht jedoch als Verhaltensstörer oder Betreiber in Betracht. In diesen Fällen sollte der Verwalter die eingangs61) genannten Kritikpunkte an der Auffassung des BVerwG, wonach bereits die Anordnung der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung bzw. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund des Übergangs der Vermögensverwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu einer Zustandsstörerhaftung führen soll, aufzeigen und i. R. des Rechtsmittels vortragen.

___________ 59) Vgl. hierzu insb. die Rechtsprechung zum Erlass von Steuerbescheiden gegen den Schuldner, die entsprechend anwendbar ist: BFH, Beschl. v. 26.3.2012 – VII B 191/11, BFH/NV 2012, 1410; BFH, Urt. v. 15.3.1994 – XI R 45/93, BStBl. II 1994, 600 = ZIP 1994, 1371; BFH, Urt. v. 17.3.1970 – II 65/63, BStBl. II 1970, 598; BFH, Beschl. v. 14.5.1968 – II B 41/67, BStBl. II 1968, 503; VG Darmstadt, Beschl. v. 14.3.2008 – 7 L 172/08.DA, openJur 2012, 29850. 60) Vgl. Kuleisa in: HambKomm-InsO, § 80 Rz. 4 ff. m. w. N.; BAG, Beschl. v. 7.4.2003 – 5 AZB 2/03, NZA 2003, 630; BAG, Beschl. v. 9.7.2003 – 5 AZB 34/03, ZIP 2003, 1617 = NZA 2004, 400; LAG Berlin, Beschl. v. 6.12.2002 – 9 Ta 1726/02, NZA 2003, 630; LAG Nürnberg, Beschl. v. 29.3.2004 – 5 Ta 153/03, NZI 2004, 682. 61) Vgl. die einzelnen Argumente oben unter Rz. 19 ff.

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Teil V Einzelfragen

51 Auch ist der Verwalter gehalten, unter Bezugnahme auf die zivilrechtliche Rechtsprechung, die Begrenzung der Zugriffsmöglichkeiten der Behörde auf die Teile der Masse vorzutragen, die objektbezogen zur Verfügung stehen.62) 5.3.2 Verstoß gegen Treu und Glauben 52 Da auch das Verwaltungsrecht von dem in § 242 BGB niedergelegten Grundsatz von Treu und Glauben geprägt ist,63) und aus einem Verstoß die Rechtswidrigkeit64) bzw. Verwirkung65) eines Bescheides folgen kann, ist die Behörde unter diesem Gesichtspunkt aufzufordern, nachzuweisen, dass sie ihren Handlungspflichten im Vorfeld der Inanspruchnahme nachgekommen ist, die Entstehung der Altschäden zu verhindern66) und dass ihr eine Inanspruchnahme des Schuldners vor etwaig angeordneter „starker“ vorläufiger Verwaltung bzw. vor Insolvenzverfahrenseröffnung nicht möglich war. Nicht selten waren den Behörden Alt-Kontaminationen bereits vor der Anordnung der starken vorläufigen Insolvenzverwaltung bzw. vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bekannt. Von einer umgehenden Inanspruchnahme des Schuldners wurde jedoch entweder unter strategischen Erwägungen abgesehen, etwa weil zu vermuten stand, dass der Schuldner/das schuldnerische Unternehmen wirtschaftlich nicht dazu in der Lage sein würde, die erforderliche Maßnahme durchzuführen, oder aber weil sich der Geschäftsführer des schuldnerischen Unternehmens erfolgreich dem Zugriff der Behörde entzogen hat.67) Das in Kenntnis der Alt-Schäden Abwarten der Behörde, dass eine „starker“ vorläufiger oder aber endgültiger Insolvenzverwalter eingesetzt wird, um diesen und die von ihm verwaltete Masse in Anspruch nehmen zu können, verstößt gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und führt dazu, dass die Inanspruchnahme bzw. entsprechende Forderungen durch die Behörde nicht als Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können. 5.3.3 Fehlerhafte Störerauswahl 53 In inhaltlicher Hinsicht ist in Abhängigkeit von der jeweiligen Konstellation auch die Ermessensausübung durch die Behörde kritisch zu überprüfen. Häufig steht das kontaminierte Grundstück zwar im Eigentum des Insolvenzschuldners, wird jedoch nicht durch diesen selbst genutzt, sondern durch einen Dritten, der auf diesem Grundstück einen Betrieb unterhält, durch den die Schäden verursacht wurden. Hierdurch bestehen unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerwG mehrere Sanierungsverantwortliche, der („starke“ vorläufige) Insolvenzverwalter als Zustandsstörer einerseits und der Nutzer des Grundstücks als Betreiber oder Handlungsstörer andererseits. In einem solchen Fall steht die Auswahl des Sanierungspflichtigen im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde.68)

___________ 62) Pöhlmann, NZI 2003, 486 ff., 489. 63) Vgl. etwa BVerfG, Urt. v. 26.3.2003 – 9 C 4.02, NVwZ 2003, 993; OVG Münster, Beschl. v. 26.10.1994 – 22 B 997/94, NVwZ 1995, 395; OVG Münster, Urt. v. 27.2.1992 – 13 A 1860/90, NJW 1992, 2245; de Wall, Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 274 ff.; Knieper, Treu und Glauben im Verwaltungsrecht; Brühl, Verwaltungsrecht, S. 32. 64) Wittern/Baßlsperger, Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht, S. 56. 65) BVerwG, Urt. v. 10.8.2000 – 4 A 11.99, BVerwGE 44, 343; OVG Münster, Urt. v. 12.4.1989 – 3 A 1637/88, NVwZ-RR 1990, 435. 66) Pöhlmann, NZI 2003, 486 ff., 489. 67) Vgl. Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Rz. 958. 68) Oerder/Numberger/Schönfeldt-Oerder, BBodSchG, § 4 Rz. 29 ff.; Landmann/Rohmer-Dombert, UmweltR, § 4 BBodSchG Rz. 17; Finger, NVwZ 2011, 1288 ff., 1289.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 31

Entsprechend den Grundsätzen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts hat sich die 54 Störerauswahl an der Effektivität der Störungsbeseitigung zu orientieren,69) wobei bei gleichwertiger Effektivität der Heranziehung i. R. des Anwendungsbereichs des BBodSchG die Aufzählungsreihenfolge in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG maßgeblich ist und die Behörde x

zunächst den Verursacher,

x

sodann den etwaigen Gesamtrechtsnachfolger,

x

danach den Grundstückseigentümer und

x

schließlich erst den Inhaber der tatsächlichen Gewalt

heranziehen darf.70) Daher ist in den entsprechenden Fällen die Ordnungsverfügung entsprechend und (auch) unter dem Gesichtspunkt der fehlerhaften Ermessensausübung bei der Störerauswahl anzugreifen und die Behörde durch den Insolvenzverwalter darauf hinzuweisen, dass vorrangig ein anderer Pflichtiger heranzuziehen ist. Besonderes Augenmerk hat der (vorläufige) Insolvenzverwalter aufgrund einer jüngeren 55 verwaltungsrechtlichen,71) durch das BVerwG bestätigten72) Entscheidung in den Fällen, in denen schuldnerische Flächen einem Dritten aufgrund eines Nutzungsvertrages (Miete, Pacht) zur Ausübung eines Betriebes überlassen wurden, auf den Nutzungsvertrag zu richten. Ergibt sich aus diesem, dass auf den überlassenen Flächen ein kontaminationsgeeigneter Betrieb geführt wird, kann eine Inanspruchnahme nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Zustandsstörung, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Verhaltensstörung in Betracht kommen. Nach durch das BVerwG bestätigter73) Auffassung des VGH Bayern74) ist darauf abzustellen, ob mit Abschluss des Nutzungsvertrages und in Kenntnis der Gefahrgeneigtheit bei wertender Gesamtschau die polizeirechtliche Gefahrenschwelle durch den Grundstückseigentümer (Schuldner) überschritten wurde, die es rechtfertigt, den Eigentümer/ Schuldner auch als Verhaltensstörer heranzuziehen. Die Verwaltungsgerichte haben ein solches Überschreiten der polizeirechtlichen Gefahrenschwelle etwa für den Fall bejaht, dass das Nutzungsverhältnis dem Nutzer auf dem Grundstück die Ablagerung von „Ölabfall“ und „übelriechenden Industrieabfällen“ in einer Sandgrube ohne abdichtende Erdschichten ermöglicht.75) Da der Verwalter sich in solchen Fällen – anders als in den Fällen der reinen Inanspruch- 56 nahme als Zustandsstörer, der er sich zumindest durch Entledigung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, etwa durch Freigabe – der Inanspruchnahme nicht entziehen kann, sind solche Nutzungsverhältnisse extrem risikoreich, insbesondere nachdem diese gemäß § 108 Abs. 1 InsO nach Insolvenzverfahrenseröffnung qua Gesetz zu Lasten der Insolvenzmasse fortbestehen. In diesen Fällen sollte der Verwalter umgehend nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – bei zuvor angeordneter „starker“ vorläufiger Insolvenzverwaltung bereits zu diesem Zeitpunkt – dem Nutzer schriftlich und nachweisbar untersagen, das Grundstück risikoreich zu nutzen, um sich auf diese Weise von der Duldung der risikoreichen Nutzung des Grundstückes zu distanzieren und dies gegenüber der Behörde nach___________ 69) Vgl. auch RegE BT-Drucks. 13/6701, S. 35; Landmann/Rohmer-Dombert, UmweltR, § 4 BBodSchG Rz. 15 ff.; Schäling, NVwZ 2004, 543 ff.; Finger, NVwZ 2011, 1288 ff., 1289. 70) Vgl. Begr. BT-Drucks. 13/6701, S. 35; OVG Berlin/Brandenburg, Urt. v. 8.11.2007 – OVG 11 B 14.05, NJ 2008, 281. 71) VGH Bayern, Urt. v. 28.11.2007 – 22 BV 02.1560, IWW 081031. 72) BVerwG, Beschl. v. 28.2.2008 – 7 B 12.08, NVwZ 2008, 684. 73) BVerwG, Beschl. v. 28.2.2008 – 7 B 12.08, NVwZ 2008, 684. 74) VGH Bayern, Urt. v. 28.11.2007 – 22 BV 02.1560, IWW 081031. 75) BVerwG, Beschl. v. 28.2.2008 – 7 B 12.08, NVwZ 2008, 684; VGH Bayern, Urt. v. 28.11.2007 – 22 BV 02.1560, IWW 081031.

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Teil V Einzelfragen

weisen zu können. Zugleich sollte der Verwalter – um eine Schadensvertiefung zu vermeiden – eine Kündigung des Nutzungsverhältnisses in Betracht ziehen. 5.3.4 Nichtberücksichtigung der Opfergrenze 57 Sofern der (vorläufige) Insolvenzverwalter bzw. die von ihm (vorläufig) verwaltete Masse lediglich als Zustandsstörer und nicht als Verhaltensstörer oder Betreiber in Anspruch genommen wird, etwa weil die kontaminierte Fläche zwar im schuldnerischen Eigentum steht, jedoch i. R. der Betriebsfortführung nicht genutzt wird, es sich mithin eindeutig um Altschäden handelt und Neukontaminationen ausgeschlossen sind, ist auf die Entscheidung des BVerfG vom 16.2.200076) hinzuweisen. Hiernach ist die Belastung eines Zustandsstörers mit Kosten einer Sanierungsmaßnahme nicht als gerechtfertigt anzusehen, soweit sie nicht zumutbar ist, gemessen am Verhältnis des finanziellen Aufwands zu dem Verkehrswert nach Durchführung der Sanierung. In der vorgenannten Entscheidung des BVerfG hat dieses dargelegt, dass das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt sein kann, wenn die kostenmäßigen Belastungen außer Verhältnis zum Wert des Grundbesitzes im sanierten Zustand stehen. 58 Das BVerfG führt hierzu aus, dass zur Bestimmung der Grenze dessen, was einem Eigentümer hierdurch an Belastungen zugemutet werden kann, als Anhaltspunkt das Verhältnis des finanziellen Aufwands zu dem Verkehrswert nach Durchführung der Sanierung dienen kann. Zwar weist das BVerfG darauf hin, dass es sich bei dieser Grenzziehung der Zulässigkeit lediglich um einen Anhaltspunkt handelt, jedoch wird diese Kosten-Nutzen-Abwägung zumeist bei Erlass von Sanierungsanordnungen durch die Umweltbehörden nicht beachtet. 59 Die vorgenannte Entscheidung des BVerfG ist zwar gegen einen Grundstückseigentümer ergangen, jedoch ist diese Rechtsprechung auch im Falle einer Inanspruchnahme des („starken“ vorläufigen) Insolvenzverwalters nutzbar zu machen. Führt eine etwaige Inanspruchnahme bei der Behandlung als Zustandsstörer zu einer so hohen Belastung, dass für die Insolvenzmasse kein Restwert verbleibt, mithin mindestens die durch die Sanierung eintretende Wertsteigerung nicht dazu ausreicht, die aufzuwendenden Mittel (Masseverbindlichkeiten) aufzufangen, so muss hierin, die Grenze der zumutbaren Inanspruchnahme und damit die Begrenzung der Haftung der Masse i. R. einer Masseverbindlichkeit gesehen werden. Die Interessenlage ist vergleichbar, sodass bei übergebührlichen, finanziellen Belastungen dieser Einwand des Verwalters Platz greifen kann. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass insoweit die Erwägungen des BVerfG nicht zu einer abschließenden Sicherheit des Verwalters – bei entsprechender Anwendung – führen, da oft die hypothetischen Verkehrswerte nach durchgeführter Sanierung auf dem Markt nicht erzielt werden können. Gleichwohl ist die Entscheidung des BVerfG i. R. des Erlasses von Verfügungen der Umweltbehörde bzgl. insolvenzbefangenen Grundbesitzes von erheblicher Bedeutung, da eine Kosten-Nutzen-Abwägung zumeist in den ordnungsrechtlichen Verfügungen fehlt, sodass diese bereits hierdurch angreifbar sind. 60 Dem („starken“ vorläufigen) Insolvenzverwalter ist daher zu empfehlen, das Rechtsmittel auch und insbesondere auf diesen Umstand zu stützen. Allerdings kann die vorgenannte Argumentation nur eingeschränkt zur Anwendung kommen, wenn der Schuldner das Grundstück in Kenntnis des Vorhandenseins der Altschäden erworben oder – wie zuvor erörtert – bewusst zugelassen hat, dass das Grundstück in risikoreicher Weise genutzt wurde.77) Zwar muss sich der Verwalter dieses Verhalten des Schuldners nicht zurechnen ___________ 76) BVerfG, Urt. v. 16.2.2000 – 1 BvR 242/91, BVerfGE 102, 1 = NJW 2000, 2573. 77) Vgl. hierzu auch allgemein VG Regensburg, Urt. v. 7.12.2009 – RO 8 K 09.01987, openJur 2012, 105265.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

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lassen, jedoch führte es zu unbilligen Ergebnissen, wenn etwa der bewusst durch den Schuldner kontaminiert erworbene Grundbesitz auf Kosten der Allgemeinheit saniert und nach Verwertung des sanierten Grundstücks der Erlös unter den Insolvenzgläubigern verteilt würde, die ohne die Sanierung zu Lasten der Allgemeinheit lediglich geringere Befriedigungsaussichten hätten. 5.3.5 Präventive (negative) Feststellungklage Handelt es sich ausschließlich um Altschäden, deretwegen die Umweltbehörde beabsichtigt, 61 den Verwalter bzw. die von ihm (vorläufig) verwaltete Insolvenzmasse in Anspruch zu nehmen und die Forderungen im Rang des § 55 InsO geltend zu machen, bestehen gute Erfolgsaussichten, diesen Anspruch durch Erhebung einer (negativen) Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO vor den Zivilgerichten abwehren zu können. Die Zivilgerichte werden in aller Regel der eingangs genannten, massefreundlichen Rechtsprechung des BGH folgen. Durch Erhebung einer (negativen) Feststellungsklage mit dem Ziel, festzustellen, dass etwaige Forderungen der Umweltbehörde wegen Altschäden weder im Rang des § 54 InsO noch im Rang des § 55 InsO stehen und damit nur im Rang des § 38 InsO im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können, kann aufgrund des rechtsgebietsübergreifenden Verbots der doppelten Rechtshängigkeit78) verhindert werden, dass die voraussichtlich tendenziell der massefeindlichen Rechtsprechung des BVerwG folgenden VG ihre Forderungen auf dem Verwaltungsrechtsweg mit dem Ziel der Klassifizierung als Masseverbindlichkeit durchsetzen können.79) 5.3.6 Sonderkonstellation: Insolvenzverfahren und Zwangsverwaltungsverfahren Häufig wird das Insolvenzverfahren eröffnet, wobei bzgl. des (kontaminierten) Grundstücks 62 bereits die Zwangsverwaltung angeordnet ist. In einem solchen Fall versagt selbst die eingangs dargestellte, für die Masse nachteilige, Argumentation des BVerwG, dass mit Insolvenzverfahrenseröffnung bzw. Anordnung einer „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß §§ 80, 148 InsO auf den (vorläufigen) Insolvenzverwalter übergeht und dieser hierdurch als Zustandsstörer auch für Alt-Kontaminationen in Anspruch genommen werden kann (vgl. hierzu oben Rz. 18 ff.). Denn bei Anordnung der Zwangsverwaltung vor Verfahrenseröffnung hat der Zwangsverwalter das Objekt bereits in Besitz und Verwaltung (§ 152 ZVG). Diese Wirkung der angeordneten Zwangsverwaltung wird gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO auch nicht mit der Insolvenzverfahrenseröffnungsentscheidung durchbrochen. Der Insolvenzverwalter übt in diesen Fällen keinen Besitz und keine Verwaltung bzgl. des Grundstückes aus, sodass es an dem Anknüpfungspunkt einer Zustandsstörerhaftung des Insolvenzverwalters fehlt. Vielmehr kann in diesen Fällen nur der Zwangsverwalter als Zustandsstörer für Alt-Kontaminationen in Anspruch genommen werden.80) Gleiches gilt aus genannten Gründen auch für den Zeitraum einer etwaigen vorangegangenen vorläufigen Insolvenzverwaltung gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO. Entsprechendes gilt ab dem Zeitpunkt einer nach Insolvenzverfahrenseröffnung angeordne- 63 ten Zwangsverwaltung, da selbst nach der „massefeindlichen“ Rechtsprechung des BVerwG bei einer Inanspruchnahme als Zustandsstörer keine nachlaufende Haftung besteht, mithin ___________ 78) Thomas/Putzo-Reichhold, ZPO, § 261 Rz. 10; Zeiß/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rz. 346; Zöller-Greger, ZPO, § 261 Rz. 8 ff. 79) Ähnlich auch Pöhlmann, NZI 2003, 486 ff., 489. 80) Vgl. auch VG Dresden, Urt. v. 19.6.2003 – 13 K 862/02, ZfIR 2003, 695 = ZIP 2004, 373; s. ergänzend auch Lwowski/Tetzlaff, NZI 2004, 225 ff., 229.

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die Haftung nach dieser Rechtsprechung ausschließlich an die andauernde Inhaberschaft der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gekoppelt ist.81) 64 Eine Enthaftung kann der Insolvenzverwalter in den Fällen, in denen Grund der Inanspruchnahme ausschließlich die Zustandsstörereigenschaft ist, entgegen dem ersten Anschein nicht dadurch herbeiführen, dass er selbst bezüglich des kontaminierten Grundstücks ein Zwangsverwaltungsverfahren einleitet. Zwar ist der Verwalter gemäß § 165 InsO berechtigt, die Zwangsverwaltung zu betreiben, selbst wenn der Grundbesitz mit Absonderungsrechten belastet ist. Jedoch führt die Einleitung des Zwangsverwaltungsverfahrens durch den Insolvenzverwalter nur zu einer Umschichtung der Problemlagen, da der eingesetzte Zwangsverwalter bei dessen Inanspruchnahme als Zustandsstörer bei dem die Zwangsverwaltung betreibenden Insolvenzverwalter entsprechende Vorschüsse abfordern wird. Diese Vorschussanforderungen hat der Verwalter als Masseverbindlichkeiten zu begleichen, da anderenfalls das Zwangsverwaltungsverfahren gemäß § 161 Abs. 3 ZVG eingestellt wird. Da insoweit mittelbar die Inanspruchnahmekosten wiederum die Insolvenzmasse als Masseverbindlichkeiten treffen, kann auf die beschriebene Weise keine für die Masse günstigere Lösung, namentlich eine Enthaftung, herbeigeführt werden. Insofern ist es für den Insolvenzverwalter und die von ihm verwaltete Masse sinnvoller, auf die Betreibung des Zwangsverwaltungsverfahrens durch den etwaigen Grundpfandgläubiger hinzuwirken. 5.4

Folgen der Inanspruchnahme wegen Alt-Kontaminationen

5.4.1 Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit 65 Konnte eine Inanspruchnahme des Verwalters bzw. der von ihm verwalteten Masse wegen Altschäden nicht abgewendet werden und wurde unanfechtbar festgestellt, dass die hieraus resultierenden Forderungen als Masseverbindlichkeiten zu regulieren sind, wird der Verwalter – in Abhängigkeit von der Höhe der Inanspruchnahme – in einer Vielzahl der Fälle die Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO anzeigen müssen. Diesbezüglich ist darauf zu achten, dass die Anzeige zum richtigen Zeitpunkt erfolgt, da eine vorschnelle Anzeige der Masseunzulänglichkeit – etwa unmittelbar nach Bekanntwerden der Altschäden und noch vor Erlass der Ordnungsverfügung – das Risiko birgt, dass die Umweltbehörde die Forderungen als Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO geltend machen kann, die als solche durch den Verwalter reguliert werden müssten.82) Dies wiederum kann gegen den Verwalter gerichtete Haftungsansprüche auslösen, wie eingangs genannt (vgl. oben Rz. 8 ff.). 66 Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit zum richtigen Zeitpunkt wird in der Regel dazu führen, dass die Behörde durch den Einsatz öffentlicher Mittel die Maßnahmen zur Erfüllung der Pflichten etwa nach § 4 BBodSchG umsetzt. Hierdurch erwirbt die Behörde für den Fall, dass das kontaminierte, zu sanierende Grundstück im Eigentum des Schuldners steht, einen entsprechenden Wertausgleichsanspruch, den die Behörde gemäß § 25 Abs. 6 BBodSchG durch eine öffentliche Grundstückslast absichern kann. Dies hat zur Folge, dass die Behörde in solchen Fällen einer etwaigen Versteigerung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG sogar den erstrangigen Grundpfandrechten (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG) vorgeht. 67 Hat die Behörde von der ihr eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und eine Grundstückslast gemäß § 25 Abs. 6 BBodSchG erworben, wird – in Abhängigkeit von der Höhe des gesicherten Wertausgleichs – auch eine freihändige Verwertung des Grundstückes allenfalls unter sehr erschwerten Bedingungen in Betracht kommen, da die Behörde vorran___________ 81) Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 = NZI 2005, 51. 82) Lwowski/Tetzlaff, WM 2005, 921 ff., 923.

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gig zu bedienen ist und eine Einigung mit den etwaigen weiteren Grundpfandgläubigern nur selten gelingen dürfte. In jedem Fall hat der Verwalter in gleichgelagerten Situationen auch zu prüfen, ob die Be- 68 hörde bei der Bemessung des Wertausgleichs gemäß § 25 Abs. 4 BBodSchG ordnungsgemäß die Aufwendungen abgezogen hat, die der Schuldner für eigene Maßnahmen der Sicherung oder Sanierung oder für den Erwerb des Grundstücks im berechtigten Vertrauen darauf verwendet hat, dass keine schädlichen Bodenveränderungen oder Altlasten vorhanden sind. 5.4.2 Regressansprüche Nach Regulierung der Kosten als Masseverbindlichkeit aus der Behandlung als Zustands- 69 störer kann ein Haftungsanspruch der Insolvenzmasse gegen den Verursacher der Kontaminierung insbesondere gemäß § 24 Abs. 2 BBodSchG entstehen,83) den der Insolvenzverwalter weiterzuverfolgen hat, wenn die Kontamination nicht durch den Schuldner bzw. schuldnerischen Betrieb selbst verursacht wurde und wenn nicht ein vertraglicher Ausschluss oder eine vertragliche Begrenzung des Schuldners/schuldnerischen Unternehmens mit dem Verursacher vereinbart wurde. Im letztgenannten Fall ist zu prüfen, ob dieser Vertrag anfechtbar ist. Weitere Haftungsansprüche gegen den Verursacher kommen aus Delikt (§§ 823 ff. BGB), 70 § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, aus § 89 WHG, aus §§ 1 ff. UmweltHG und aus §§ 280 ff. BGB wegen Pflichtverletzung bei Bestehen eines Miet-/Pacht- oder sonstigen Nutzungsvertrages84) sowie gemäß §§ 437 ff. BGB in Betracht, wenn etwa der Schuldner den Grundbesitz in Unkenntnis der Altschäden kontaminiert erworben hat. Auch solche Ansprüche hat der Verwalter (spätestens) nach Inanspruchnahme durch die Umweltbehörde geltend zu machen und weiterzuverfolgen. 5.5

Freigabe gemäß § 32 Abs. 3 InsO bei Inanspruchnahme ausschließlich als Zustandsstörer

Ins Kalkül zu ziehen ist durch den Insolvenzverwalter stets auch, ob eine Freigabe des sa- 71 nierungsbedürftigen Grundstücks in Betracht kommt, wozu eine Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen ist. Insbesondere bei umfangreich mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücken dürfte eine Freigabe des sanierungsbedürftigen Grundstückes zu erwägen sein, es sei denn, dass bei hypothetischer Betrachtung nach Durchführung der Sanierungsmaßnahme eine derart hohe freie Spitze erzielt werden kann, dass sämtliche als Masseverbindlichkeit für die Sanierung aufgewandten Beträge in die Insolvenzmasse zurückfließen und darüber hinaus ein Übererlös als freie Masse verbleibt. In der Praxis hat der Versuch des Verwalters, sich der Inanspruchnahme als Zustandsstörer 72 für Altschäden durch isolierte Freigabe der Alt-Kontaminationen unter Beibehaltung des kontaminierten Grundstücks im Übrigen zu entziehen, vor den VG nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur die Verwaltungsgerichte, sondern auch die Zivilgerichte ein solches „cherry picking“ auch zukünftig nicht zulassen (können), da die Freigabe sachenrechtlich eine Verfügung darstellt und die Freigabe von Massegegenständen daher den sachenrechtlichen Prinzipien, insbesondere dem Spezialitätsprinzip, zu folgen hat. Der freigegebene Gegenstand müsste daher konkret be___________ 83) Umfassend zum Anspruch gemäß § 24 Abs. 2 BBodSchG: Heßler, Der Störerausgleich im Bodenschutzrecht. 84) Vgl. auch Grunwaldt, Zivilrechtliche Ausgleichsansprüche unter mehreren polizeirechtlichen Störern, S. 57 ff.

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stimm-, individualisier- und unterscheidbar sein,85) was bei Bodenkontaminationen aufgrund der Vermischung der schädlichen Stoffe mit dem Boden nicht möglich ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die kontaminierten Flächen von den nicht-kontaminierten Flächen räumlich trennbar sind. In diesem Fall ist durch den Verwalter in Erwägung zu ziehen, gemäß § 19 BauGB das Grundstück entsprechend aufzuteilen – sofern dies sinnvoll möglich ist – und die kontaminierten Flächen hiernach freizugeben.86) 73 Weder der BGH noch das BVerwG beanstanden eine Freigabe des kontaminierten Grundbesitzes zur Vermeidung der Inanspruchnahme als Zustandsstörer, sodass die Freigabe als ultimo-ratio-Lösung dem Verwalter zur Verfügung steht, wenn die Inanspruchnahme durch die Behörde ausschließlich auf die Inhaberschaft der tatsächlichen Gewalt (Zustandsstörer) gestützt werden kann. IV.

Besonderheiten bei Inanspruchnahme als Handlungsstörer oder Betreiber

74 Soweit es Neu-Schäden anbelangt, also solche, die i. R. der Betriebsfortführung unter Aufsicht und Verantwortung des („starken“ vorläufigen) Verwalters in der Insolvenz entstehen, sind diese als Masseverbindlichkeiten zu regulieren, da sie direkt auf Verwalterhandeln zurückführbar sind.87) Daher hat der Verwalter i. R. der Betriebsfortführung besondere Sorgfalt darauf zu verwenden, dass im fortgeführten Betrieb ordnungsgemäß mit risikoreichen Stoffen umgegangen wird. Dies insbesondere nachdem der Verwalter – anders als im Fall der Verantwortlichkeit als reiner Zustandsstörer – sich bzw. die verwaltete Insolvenzmasse seiner/ihrer Verantwortung nicht durch eine Freigabe der Kontaminationen oder des Grundstückes entziehen kann,88) da die Verhaltensstörerhaftung nicht an einen Zustand, sondern an ein Verhalten anknüpft, welches dem Verwalter konkret zuzurechnen ist. 75 Als besonders problematisch sind die Fälle zu beurteilen, in denen der Verwalter den Betrieb entweder als „starker“ vorläufiger oder endgültiger Insolvenzverwalter auf einem Betriebsgrundstück fortführt, der Grundbesitz bereits mit Alt-Kontaminationen belastet ist und i. R. der Betriebsfortführung entweder keine Neu-Kontaminationen hinzukommen, oder aber solche durch den Verwalter beseitigt werden. Anknüpfungspunkt für eine Inanspruchnahme ist in diesen Fällen zumeist eine Anlagen-Betreiberhaftung, da es sich in einer Vielzahl der Fälle um eine Anlage i. S. der §§ 4 ff. BImschG bzw. des UmweltHG handeln wird89) und diese Art der Inanspruchnahme des Verwalters bzw. der von ihm verwalteten Masse durch die Umweltbehörde auch für Altschäden scheinbar erleichtert möglich ist: Für diese Fälle hatten die VG entschieden, dass der Verwalter durch die Betriebsfortführung in der Insolvenz unter seiner Aufsicht und Verantwortung als Betreiber der Anlage zu behandeln wäre und daher auch Alt-Kontaminationen durch diesen zu beseitigen sind bzw. die Ersatzvornahmekosten Masseverbindlichkeiten seien.90)

___________ 85) Vgl. ergänzend auch AG Waiblingen, Beschl. v. 4.3.2011 – M 955/11, DGVZ 2011, 94 f.; zum Spezialitätsprinzip/Bestimmtheitsgrundsatz s. a. Zimmermann, Mobiliar- und Unternehmenshypotheken in Europa, S. 206. 86) Vgl. auch Pöhlmann, NZI 2003, 486 ff., 489. 87) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, 24. Lfg., § 22 Rz. 163, 166; Nerlich/Römermann-Andres, InsO, 24. Lfg., § 55 Rz. 76. 88) Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 143. 89) Subsidiär kommen auch Inanspruchnahmen aufgrund des Umweltschadensgesetzes (Gesetz über die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden) Art. 1 des Gesetzes v. 10.5.2007, BGBl. I 2007, 666, in Kraft getreten am 14.11.2007, zuletzt geändert durch Gesetz v. 23.7.2013, BGBl. I, 2565, in Betracht. 90) BVerwG, Urt. v. 22.10.1998 – 7 C 38.97, ZIP 1998, 2167; OVG Lüneburg, Beschl. v. 7.1.1993 – 7 M 5684/92, ZIP 1993, 1174; OVG Lüneburg, Beschl. v. 9.9.1994 – 7 M 5048/93, NJW 1995, 413.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 31

Zutreffend ist hierbei zwar, dass der Insolvenzverwalter bei Weiterbetrieb der Anlage 76 zumindest wie der Anlagenbetreiber zu behandeln ist. Dies führt jedoch nicht dazu, dass über diesen, im Verhältnis zur Zustandsstörerhaftung anders gearteten Ansatz der Haftungsanknüpfung die Masse verpflichtet werden kann, Alt-Kontaminationen vorrangig zu Lasten der Masse zu begleichen. Auch hierbei wird durch die VG die in § 38 InsO abschließend geregelte Zäsur verkannt, die eine zwingende Unterscheidung auf den Zeitpunkt des Entstehens einer Forderung abstellt: Die Betriebsfortführung durch den „starken“ vorläufigen oder endgültigen Insolvenzverwalter verläuft unter gänzlich anderen Prämissen als durch den Schuldner bis zum Zeitpunkt der Anordnung der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung bzw. der Verfahrenseröffnung. Nach dem gesetzgeberischen Leitbild des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens wird die Betriebsfortführung aus wohlerwogenen Gründen gerade nicht mit einer Verantwortlichkeit für und Belastung durch die Vergangenheit vollzogen. Auch i. R. der Inanspruchnahme als Betreiber ist der (vorläufige) Insolvenzverwalter nicht Vertreter oder Rechtsnachfolger mit einer Wirkung, die einem Betriebsübergang gleichkäme, die es rechtfertigen könnte, dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter auch die Verantwortung für Alt-Schäden aufzuerlegen. Aus einer jüngeren Entscheidung des BVerwG91) ergibt sich, dass diese Grundsätze nun- 77 mehr auch von den VG zu berücksichtigen sind, sodass der Verwalter die Behörde auf diese Entscheidung – auch wenn es sich hierbei nicht um eine Grundsatzentscheidung handelt – bei einer Inanspruchnahme für Alt-Kontaminationen als Betreiber hinweisen sollte. V.

Reformbestrebungen, Empfehlung der Kommission vom 12.3.2014

Im Mittelpunkt des vorliegenden Werkes steht insbesondere die Betriebsfortführung so- 78 wie die Restrukturierung und Sanierung insolventer Unternehmen. Mit Empfehlung der Kommission vom 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen92) verfolgt die EU-Kommission einen neuen, erweiterten Sanierungsansatz. Durch Einführung des ESUG93) wurde der ursprünglich lediglich rudimentär ausgeprägte 79 Sanierungsansatz der Insolvenzordnung weiter ausgebaut. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass das ESUG unvollkommen ist und in vielen Fällen nicht zu den erwünschten Ergebnissen führt.94) Andererseits ist auch festzustellen, dass in einer Vielzahl der Fälle der Schuldner bzw. die Geschäftsführung des schuldnerischen Unternehmens der Fehlvorstellung unterliegt, dass seit Einführung des ESUG nahezu jegliches Unternehmen saniert bzw. restrukturiert werden kann, nicht zuletzt auch und insbesondere aufgrund Eigeninteressen des Schuldners bzw. der Geschäftsführung des schuldnerischen Unternehmens. Fehleingeschätzt wird insoweit nicht selten der Anwendungsbereich des ESUG. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass das ESUG zu einer Verbesserung der Sanierungs- 80 möglichkeiten von sanierungsfähigen und -würdigen Unternehmen geführt hat. Allerdings sind die (nationalen) Regelungen noch unzureichend. Hierauf setzt die Empfehlung der Kommission vom 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen auf. In den Fokus gerückt wird die kurzfristige Sanierung bzw. Restrukturierung erhaltungsfähiger und -würdiger Unternehmen. ___________ 91) BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766 ff., 1768 = NZI 2005, 55. 92) Empfehlung der EU-Kommission v. 12.3.2014 – C(2014) 1500 final, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/ justice/civil/files/c_2014_1500_de.pdf (Abrufdatum: 17.2.2016). 93) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 – ESUG, BGBl. I 2011, 2582. 94) Vgl. etwa Gravenbrucher Kreis, ZIP 2015, 2159, 2173 ff.; ESUG 2.0 – Deutschland als Sanierungsstandort weiter ausbauen, ZInsO 2015, 2523 ff.

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Teil V Einzelfragen

81 Unbestritten ist, dass die Sanierung bzw. Restrukturierung eines Unternehmens volkswirtschaftliche Zielgrößen zum Gegenstand hat, die insbesondere im Wert- und Arbeitsplatzerhalt sowie Erhalt der unternehmerischen Landschaft bestehen und damit einhergehend dem volkswirtschaftlichen Wohlergehen dienen.95) Allerdings ist die Sanierung bzw. Restrukturierung eines Unternehmens – wirtschaftlich gesehen – eine Gratwanderung. Es gilt insoweit sanierungswürdige von sanierungsunwürdigen Unternehmen auszugliedern. Sanierungsunwürdige Unternehmen haben aufgrund ihrer Schadensinhärenz in der Regel keine Daseinsberechtigung, sodass solche Unternehmen im Zweifelsfall zu schließen und stillzulegen sind. Sanierungsfähige bzw. -würdige Unternehmen wiederum führen zu einer stabilisierten Marktlage, sodass der Erhalt solcher Unternehmen generell wünschenswert ist. 82 Die Empfehlung der Kommission gibt im Wesentlichen lediglich in programmatischer Weise – teilweise verklärt wirkende – Hinweise bzw. Empfehlungen. Die Empfehlung geht – insoweit zutreffend – davon aus, dass eine Sanierung bzw. Restrukturierung umso erfolgsversprechender ist, desto früher die Sanierung bzw. Restrukturierung in Angriff genommen wird. Ein Unternehmen, das erst sehr spät – im schlimmsten Fall in der bereits eingetretenen wirtschaftlichen Krise – Sanierungs- bzw. Restrukturierungsmaßnahmen einleitet, hat nur eine begrenzte Aussicht darauf, dass diese Maßnahmen fruchten. Zumeist fehlt es in einem solchen Zustand an den erforderlichen liquiden Mitteln, um die Zeiträume zu überbrücken, die erforderlich sind, um Sanierungs- bzw. Restrukturierungsmaßnahmen umzusetzen. Aus diesem Grunde ist der Ansatz der Empfehlung der Kommission, dass ein Anreiz dafür geschaffen werden muss, dass möglichst frühzeitig mit Sanierungs- bzw. Restrukturierungsmaßnahmen begonnen wird, grundsätzlich als zutreffend zu beurteilen. 83 Erklärtes und weiteres Ziel der Empfehlung der Kommission ist eine Homogenisierung der Sanierungs- bzw. Restrukturierungsmaßnahmen innerhalb der EU, und insbesondere zu vermeiden, dass es zu Fragmentationen der einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf Sanierungen und Restrukturierungen bzw. Insolvenzen kommt. 84 Schließlich soll nach der Empfehlung der Kommission eine sehr frühzeitige bzw. schnelle Entschuldung stattfinden können. Nach der Empfehlung soll die Entschuldung (nach Möglichkeit) bereits nach drei Jahren eintreten. Dies führt jedoch zu unauflösbaren Konflikten: Die Abwicklung eines sanierungsbedürftigen Unternehmens wird in der Regel auch nach sich ziehen, dass Rechtstreite zu führen sind, sodass der zeitliche Horizont von drei Jahren bereits hierdurch stark gefährdet ist und kühn anmutet. Darüber hinaus gewinnt der angenommene zeitliche Horizont insbesondere im Hinblick auf die Frage von Umweltkontaminationen Bedeutung. Ist eine Entschuldung vorgesehen, die – nach der Vorstellung der EU-Kommission – bereits nach drei Jahren eintritt, ist fragwürdig, wie mit kontaminierten Grundstücken zu verfahren ist. Es wäre denkbar, dass insoweit (mittelbar) ein Missbrauch dieses Sanierungs- bzw. Restrukturierungsverfahrens erfolgt, um sich von Verbindlichkeiten aufgrund Umweltkontaminationen zu entledigen.96) 85 Sind zum Zeitpunkt der Einleitung des durch die Empfehlung der Kommission vom 12.3.2014 angedachten Sanierungs- bzw. Restrukturierungsverfahrens Umweltkontamina___________ 95) Eidenmüller, KTS 2014, 401 m. w. N. 96) Zwar sieht die Empfehlung der Kommission eine Einschränkung für unredliches bzw. bösgläubiges Verhalten des Schuldners bzw. des schuldnerischen Unternehmens vor, jedoch wäre etwa die Insolvenzantragstellung eines Schuldners bzw. schuldnerischen Unternehmens aufgrund dessen er über kontaminierte Flächen verfügt, nicht missbräuchlich im eigentlichen Sinne, wenn der Schuldner bzw. das schuldnerische Unternehmen das Sanierungs-/Restrukturierungsverfahren wegen ebenjener Kontaminationen anstrebt.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 31

tionen vorhanden, z. B. in Form von Bodenbelastungen, würde nach der Empfehlung eine Entschuldung nach drei Jahren eintreten können, selbst für den Fall, dass innerhalb des Zeitraums von drei Jahren die Bodenkontaminationen nicht beseitigt wurden bzw. werden konnten. Führt die Entschuldung dazu, dass der ursprüngliche Ist-Zustand ausgeschlossen ist, würde dies dazu führen, dass die Bodenkontaminationen nach Entschuldung fortwährend vorhanden wären, ohne dass hiergegen gemeindliche bzw. staatliche Maßnahmen ergriffen werden könnten, da diese „verbraucht“ wären durch das durchgeführte Sanierungsbzw. Restrukturierungsverfahren. Hierdurch würde eines der nach der deutschen Rechtsordnung entscheidenden Verfahrensziele, das neben der bestmöglichen, gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung insbesondere auch in der Ordnungsfunktion besteht, komplett ausgeschaltet werden. Die Kommission sieht zwar Regelungen vor, wonach eine schnelle Entschuldung nach 86 drei Jahren dann nicht angemessen ist, wenn ein unredliches/bösgläubiges Handeln des Unternehmers vorliegt, sich der Schuldner an die Plan-Verpflichtung nicht hält oder aber spezielle Kategorien von Schulden von der vollständigen Entschuldung ausgenommen werden sollten. In Bezug auf letztere benennt die EU-Kommission beispielhaft deliktische Forderungen. Da das Unternehmertuminteresse („zweite Chance“) deutlich hinter dem Allgemeinin- 87 teresse an einem nachhaltigen Umweltschutz zurücktritt, müssten entsprechende Regelungen für die Behandlung von Umweltkontaminationen aufgenommen werden. Um Missbrauch vollständig auszuschließen ist es daher erforderlich, dass von der Entschuldung Umweltkontaminationen gänzlich ausgenommen werden. Dies führt dazu, dass in den Fällen, in denen Umweltkontaminationen durch den Unternehmer bzw. das schuldnerische Unternehmen entweder verursacht wurden oder aber sich belastete Flächen oder Gegenstände im Besitz/Eigentum des Schuldners bzw. schuldnerischen Unternehmens befinden, das durch die Kommission angedachte Entschuldungsverfahren nicht zur Anwendung kommen kann. Denkbar wäre insoweit allenfalls, eine grundsätzliche Entschuldung zu regeln und in Bezug auf Umweltkontaminationen die Haftung des Schuldners bzw. schuldnerischen Unternehmens weiterhin aufrechtzuerhalten. Ob jedoch auf einer solchen Grundlage eine Sanierung bzw. Restrukturierung möglich ist, erscheint zweifelhaft. Eine Sanierung bzw. Restrukturierung setzt grundsätzlich eine Entschuldung nach Ablauf bestimmter Zeiträume voraus. Da die Zeiträume insbesondere in Bezug auf Umweltkontaminationen prinzipiell so lang zu bemessen sind, bis die Umweltkontaminationen beseitigt wurden, ist in den Fällen, in denen Umweltkontaminationen festzustellen sind, eine Sanierung bzw. Restrukturierung auch erst dann möglich, wenn die Kontaminationen beseitigt wurden. Ungeachtet etwaiger zu treffender Ausnahmeregelungen dürfte eine Entschuldung inner- 88 halb des kurzen Zeitraumes von drei Jahren allenfalls für die Inanspruchnahme als Handlungsstörer in Betracht kommen, was jedoch nicht zu einer dauerhaften Entschuldung des Schuldners bzw. schuldnerischen Unternehmens führt, wenn weiterhin Umweltkontaminationen vorhanden sind. Dies begründet sich darin, dass selbst nach durchgeführter Entschuldung von Verbindlichkeiten aufgrund Inanspruchnahme als Handlungsstörer eine Inanspruchnahme als Zustandsstörer nach wie vor für den Schuldner bzw. der schuldnerischen Unternehmen virulent sein wird. Hieraus resultierend ist davon auszugehen, dass Schuldner bzw. schuldnerische Unternehmen, die Umweltkontaminationsprobleme haben, generell keinen Vorteil aus den beabsichtigten Änderungen, die in der Empfehlung der Kommission vom 12.3.2014 formuliert werden, haben, mithin eine Sanierung bzw. Restrukturierung für diese nicht in Betracht kommt.

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§ 32 Wettbewerbsrecht und Lizenzen im Rahmen der Betriebsfortführung Übersicht I. 1. 2. 3.

4.

Wettbewerbsrecht........................................ 1 Rechtliche und tatsächliche Ausgangslage ................................................................ 1 Konflikt zwischen Insolvenz- und Wettbewerbsrecht ........................................ 5 Entwicklungen des UWG und Einfluss auf das Insolvenzverfahren .......................... 6 3.1 Rechtslage nach dem UWG bis 2004.................................................... 7 3.2 Rechtslage nach der Reform von 2004 und der Novellierung von 2008 .......................................... 10 Fallgruppen nach aktuellem Recht............ 12 4.1 Reklame mit Insolvenzwarenverkauf bei Betriebsfortführung – Irreführung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG?......................... 13 4.1.1 Schutzzweck des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG ..................................... 14 4.1.2 Irreführung durch Betriebsfortführung? .......................................... 16 4.1.3 Irreführung durch Preissenkungen ohne Ausverkauf? ........................... 23 4.1.4 Irreführung durch Zukauf von Waren beim Insolvenzwarenverkauf? ............................................... 27 4.1.5 Irreführung durch Rückkehr zu alten Preisen? ............................. 31 4.2 Irreführung durch Unterlassen bei Verschweigen der Insolvenz, § 5a Abs. 1 UWG? .......................... 35 4.3 Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 4 Nr. 4 UWG? ............................................. 39 4.3.1 Insolvenzwarenverkauf als Verkaufsförderungsmaßnahme?............................................. 40 4.3.2 Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG wegen fehlenden Hinweises auf Betriebsfortführung? ...................... 43

4.3.3 Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG wegen fehlenden Hinweises auf zeitlichen Rahmen des Insolvenzwarenverkaufs?................................ 44 4.3.4 Möglichkeit der Beschränkung des Insolvenzwarenverkaufs auf bestimmte Waren? .............................. 47 5. Zusammenfassung...................................... 50 II. Lizenzen und immaterielle Wirtschaftsgüter................................................ 53 1. Wirtschaftliche Bedeutung für die Betriebsfortführung ................................... 53 2. Rechtliche Ausgangslage ........................... 57 3. Betriebsfortführung und einzelne Immaterialgüterrechte ............................... 62 3.1 Urheberrechte ................................. 62 3.2 Patentrechte .................................... 66 3.3 Arbeitnehmererfindungen.............. 70 3.4 Gebrauchsmusterrechte.................. 72 3.5 Geschmacksmusterrechte............... 73 3.6 Markenrechte .................................. 74 3.7 Know-how....................................... 75 3.8 Firma................................................ 76 3.9 Unternehmensgeheimnisse ............ 77 3.10 Domains .......................................... 78 4. Betriebsfortführung und Lizenzen ........... 79 4.1 Lizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers ................................... 80 4.1.1 Voraussetzungen des Wahlrechts .. 81 4.1.2 Ausübung des Wahlrechts und dessen Folgen.................................. 83 4.1.2.1 Ausschließliche Lizenzen .............. 84 4.1.2.2 Einfache Lizenzen .......................... 85 4.2 Lizenzen in der Insolvenz des Lizenznehmers ................................ 90 4.3 Rückblick: Gesetzgebungsvorhaben................................................ 93 5. Sicherungsrechte an immateriellen Wirtschaftsgütern und Lizenzen – Einzelne Aspekte ....................................... 94

Literatur: Bausch, Patentlizenz und Insolvenz des Lizenzgebers, NZI 2005, 289; Benkard, PatG, 11. Aufl., 2015; Berger, Lizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers, GRUR 2013, 321; Berger, Immaterielle Wirtschaftsgüter in der Insolvenz, ZInsO 2013, 569; Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2. Aufl., 2015; Bork, Die Doppeltreuhand in der Insolvenz, NZI 1999, 337; Breithaupt/Ottersbach, Kompendium Gesellschaftsrecht, 2010; Brinkmann, Schiedsverfahren über Lizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers – eine Gleichung mit drei Unbekannten, NZI 2012, 735; Brinkmann, Wege aus der Insolvenz eines Unternehmens – oder: Die Gesellschafter als Sanierungshindernis, WM 2011, 97; Dahl/Schmitz, Das Schicksal der Lizenz in der Insolvenz des Lizenzgebers – der erneut gescheiterte Versuch einer gesetzlichen Regelung und deren Notwendigkeit, BB 2013, 1032; Dahl/Schmitz, Die

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§ 32

Teil V Einzelfragen

Insolvenzfestigkeit von Lizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers – Anm. zu OLG München, Urt. v. 25.7.2013 – 6 U 541/12, NZI 2013, 878; Dreier/Schulze, UrhG, Kommentar, 5. Aufl., 2015; Eichmann/ v. Falckenstein/Kühne, DesignG, Kommentar, 5. Aufl., 2015; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 10. Aufl., 2016; Enders, Know How Schutz als Teil des geistigen Eigentums, GRUR 2012, 25; Fezer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht, Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), Bd. 2, 3. Aufl., 2016; Fezer, Markenrecht, Kommentar, 4. Aufl., 2009; Fischer, Nicht ausschließliche Lizenzen an Immaterialgüterrechten in der Insolvenz des Lizenzgebers, WM 2013, 821; v. Frentz/Masch, Lizenzverträge in der Insolvenz des Lizenzgebers nach den Entscheidungen Reifen Progressiv, Vorschaubilder, M2Trade und Take Five des Bundesgerichtshofes – insolvenzfester Fortbestand der Lizenzen, ZUM 2012, 886; v. Frentz/Masch, Die Insolvenzfestigkeit von Nutzungsrechten an Schutzrechten, ZIP 2011, 1245; Ganter, Patentlizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers, NZI 2011, 833; Gloy/ Loschelder/Erdmann (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl., 2010; Götting/Nordemann (Hrsg.), UWG Handkommentar, 2. Aufl., 2013; Gundlach/Frenzel/N. Schmidt, Die Verwertungsbefugnis aus §§ 166 ff. InsO, NZI 2001, 119; Himmelmann/Leuze/Rother/Kaube/Trimborn, ArbEG, Kommentar, 8. Aufl., 2007; Hölder/Schmoll, Insolvenz des Lizenzgebers, GRUR 2004, 830; Kilian/ Heussen, Computerrechts-Handbuch, Loseblatt, 32. Lfg. 2013; Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 33. Aufl., 2015; Koehler/Ludwig, Die Behandlung von Lizenzen in der Insolvenz, NZI 2007, 79; Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl., 2010; Marotzke, Das M2Trade-Urteil des BGH v. 19.2.2012 (ZInsO 2012, 1611): Ein Stolperstein auf dem Weg zur gesetzlichen Regelung des Insolvenzfestigkeit von Lizenzen?, ZInsO 2012, 1737; Marotzke, Die dinglichen Sicherheiten im neuen Insolvenzrecht, ZZP 109 (1996), 429; McGuire, Nutzungsrechte an Computerprogrammen in der Insolvenz – Zugleich eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen, GRUR 2009, 13; Mes, PatG, GebrMG, Kommentar, 4. Aufl., 2015; Meyer-van Raay, Der Fortbestand von Unterlizenzen bei Erlöschen der Hauptlizenz, NJW 2012, 3691; Piper/Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb mit Preisgabenverordnung, Kommentar, 6. Aufl., 2014; Raeschke-Kessler/Christopeit, Sukzessionsschutz für Lizenzketten (UrhG), ZIP 2013, 345; Rüther, Anforderungen an beiderseitige Erfüllung eines Lizenzvertrags – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 21.10.2015, NZI 2016, 103; Schmid/Kampshoff, Lizenzen in der Insolvenz – (Wie) kann sich der Lizenznehmer in der Insolvenz des Lizenzgebers absichern?, GRUR-Prax 2009, 50; Scholz, Zum Fortbestand abgeleiteter Nutzungsrechte nach Wegfall der Hauptlizenz – Zugleich Anmerkung zu BGH „Reifen Progressiv“, GRUR 2009, 1107; Simon, Der Debt Equity Swap nach dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), CF Law 2010, 448; Steinbeck, Die Verwertbarkeit der Firma und der Marke in der Insolvenz, NZG 1999, 133; Tappmeier, Wettbewerbsrechtliche Probleme des Konkurswarenverkaufs, ZIP 1992, 679; Ullmann (Hrsg.), juris PraxisKommentar UWG, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 3. Aufl., 2014; Wallner, Sonstige Rechte in der Verwertung nach den §§ 166 ff. InsO, ZInsO 1999, 453.

I.

Wettbewerbsrecht

1.

Rechtliche und tatsächliche Ausgangslage

1 Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Unternehmens eröffnet, so haben die Gläubiger die Wahl, ob sie das Unternehmen zerschlagen und den Erlös verteilen wollen oder ob das Unternehmen mit dem Ziel der Sanierung fortgeführt werden soll, § 1 Satz 1 InsO.1) Der Liquidation wird regelmäßig eine temporäre Betriebsfortführung vorangehen, um die Waren i. R. des allgemeinen Geschäftsganges zu veräußern, womit häufig erhebliche Preissenkungen einhergehen. 2 Aber auch bei der Betriebsfortführung kommt es oft zu insolvenzbedingten Verkäufen. Jedenfalls dann, wenn sich das bisher verfolgte Konzept des Unternehmens gerade nicht als effektiv herausgestellt hat. Die Betriebsfortführung wird dann zu einer Neuausrichtung am Markt genutzt. Produkte, die im neuen Sortiment nicht mehr vorgesehen sind, werden möglichst zügig verkauft. Hierbei ist es für den Insolvenzverwalter besonders reizvoll mit der Insolvenz für den Verkauf der Waren zu werben, weil diese dem Kunden besonders günstige Preise verspricht. Der Erlös aus dem Warenverkauf, kann dann wieder in andere Marketingkonzepte investiert werden. 3 Fällt die Wahl auf die Betriebsfortführung, so hat der Insolvenzverwalter unverzüglich die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sanierung zu schaffen. Die Insolvenz kann dabei ___________ 1) Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, Stand: 4/2012, § 1 Rz. 16.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 32

durchaus auch positive Effekte auf den operativen Fortgang des Unternehmens haben. So sind Insolvenzen von Unternehmen, die zumindest regional bedeutsam sind immer mit einer Publizitätswirkung verbunden und finden in den lokalen Medien und ggf. auch überregionalen oder gar bundesweiten Medien Erwähnung. Nicht selten schafft dies einen Imagegewinn, etwa durch die Solidarisierung der Öffentlichkeit mit den nun von der Arbeitslosigkeit bedrohten Mitarbeitern. Das Bemühen des Insolvenzverwalters, den Betrieb fortzuführen wird zudem von einer 4 Reihe gesetzlicher Rechtsfolgen der Insolvenz unterstützt. So kann der Insolvenzverwalter unter Ausnutzung des Insolvenzgeldzeitraums zusätzliche Liquidität schöpfen. Zudem müssen Altverbindlichkeiten nicht mehr bedient werden, insbesondere entfällt der Kapitaldienst nebst Zinszahlungen.2) Schließlich kann sich der Insolvenzverwalter i. R. von § 103 InsO von unliebsamen Verträgen lösen und muss teilweise nur verkürzte Kündigungsfristen beachten. 2.

Konflikt zwischen Insolvenz- und Wettbewerbsrecht

Da das insolvente Unternehmen unter der Regie des Insolvenzverwalters weiterhin am Markt 5 teilnimmt, ist es auch dessen gesetzlichen Regeln unterworfen. Insbesondere muss das Unternehmen auch in der Insolvenz die Regelungen des UWG beachten.3) Gemäß § 1 UWG dient das Gesetz dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen.4) Zugleich schützt es das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb, § 1 Satz 2 UWG.5) Gerade das Ausnutzen der Insolvenz zu Werbezwecken birgt Konfliktpotential mit dem Lauterkeitsrecht.6) Das insolvente Unternehmen hat am Markt versagt. Die Konkurrenz hat sich mit besseren Strategien durchgesetzt und die Gunst der Kunden erworben. Mit Hilfe des Insolvenzverfahrens kann dieser Erfolg nun aber konterkariert werden. Durch den Werbeeffekt der Insolvenz und die gesetzlichen Erleichterungen wird das Unternehmen nun möglicherweise für sein schlechtes Abschneiden am Markt zulasten der anderen Marktteilnehmer auch noch belohnt. Es droht eine Verzerrung des Wettbewerbs. Auf der anderen Seite stehen die Interessen der Gläubiger, an einer möglichst hohen Befriedigung ihrer Forderungen. Auch diesen Interessen muss bei der Beantwortung der Frage, inwieweit die Ausnutzung der Insolvenz zu Werbezwecken zulässig ist, Rechnung getragen werden. 3.

Entwicklungen des UWG und Einfluss auf das Insolvenzverfahren

Das UWG unterlag in der Vergangenheit einigen Veränderungen, die auch Einfluss auf den 6 Schutzumfang hatten. Dies hatte auch Einfluss auf die Frage, inwieweit die Werbung mit der Insolvenz wettbewerbsrechtlich zulässig ist. 3.1

Rechtslage nach dem UWG bis 2004

Bis 2004 beinhaltete das UWG ein sehr restriktives Wettbewerbsrecht.7) Die Problematik 7 des Insolvenzwarenverkaufs war in § 6 UWG a. F. spezialgesetzlich geregelt, der einen abstrakten Gefährdungstatbestand darstellte.8) Danach war eine Reklame mit dem Hinweis, ___________ 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Tappmeier, ZIP 1992, 679; Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 116. Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, § 1 Rz. 9, 14. Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, § 1 Rz. 42. Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 116. Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rz. 16 ff. Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 1.88.

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§ 32

Teil V Einzelfragen

die Ware komme aus einer Insolvenzmasse nur zulässig, wenn diese tatsächlich aus einer solchen stammte und vom Insolvenzverwalter selbst verkauft wurde. Die Ware durfte nicht durch die Hände Dritter gegangen sein, weil man anderenfalls die Gefahr einer Täuschung der Kunden sah. Diese würden nicht davon ausgehen, dass eine Ware, die als Insolvenzware bezeichnet wurde noch durch die Hände weiterer Händler gegangen sei, die den Preis durch ihre Gewinnspanne erhöht hätten.9) 8 Des Weiteren durfte nach überwiegender Auffassung mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ nur geworben werden, wenn das Unternehmen später liquidiert werden sollte.10) Im Falle einer Sanierung bzw. übertragenden Sanierung war dies nicht zulässig, da der Verbraucher die Erwartung habe, gerade durch den Ausverkauf der Ware besonders günstige Preise erzielen zu können. Vor allem sollten auf diese Weise die Mitbewerber geschützt werden. Durch die Werbemaßnahme des Rivalen verlieren diese wiederum Marktanteile. Dies mögen sie noch toleriert haben, wenn der insolvente Konkurrent danach liquidiert wird und vom Markt verschwindet. Müssen sie allerdings zusehen, wie das insolvente Unternehmen wieder erstarkt, werden sie auf die Einhaltung der allgemeinen Regeln bestehen. Vor 2004 folgte das UWG diesem Interesse und erlaubte die Werbung nur im Falle der Liquidation. 9 Auch §§ 7, 8 UWG a. F. stellten Bedingungen auf, die einen Warenverkauf erschwerten. Unter gewissen Voraussetzungen wurde dieser als Sonderveranstaltung qualifiziert, woran wiederum erschwerte Anforderungen gestellt wurden. So musste für Sonderveranstaltungen ein genauer Zeitrahmen angegeben werden. Ware, die nicht innerhalb dieses Zeitfensters abgesetzt werden konnte, durfte nicht mehr im freien Verkauf angeboten werden. 3.2

Rechtslage nach der Reform von 2004 und der Novellierung von 2008

10 Im Jahre 2004 kam es zu einer grundlegenden Reform des UWG. Ziel war es das nationale Wettbewerbsrecht an das der anderen EU-Staaten anzupassen. Dabei wurden die Zwecke Modernisierung, Europäisierung, Kodifizierung und Intensivierung verfolgt.11) In diesem Zuge wurden die abstrakten Gefährdungstatbestände wie § 6 UWG a. F. und die Regeln für Sonderveranstaltungen gemäß § 8 UWG a. F. abgeschafft. Nun boten sich mehr Möglichkeiten für Werbeaktionen. Die Grenze bildete das Irreführungsverbot nach § 5 UWG.12) 2008 war dann eine erneute Überarbeitung des UWG notwendig, um dieses an die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vom 11.5.2005 (Richtlinie 2005/29/EG) anzupassen.13) Ziel war eine Vollharmonisierung der Wettbewerbsgesetze der Mitgliedstaaten im Binnenmarkt.14) 11 Die nun weitergehenden Werbemöglichkeiten hatten auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen dem Wettbewerbs- und dem Insolvenzrecht. Es war jetzt zumindest ein Hinweis auf die Herkunft aus einer Insolvenzmasse nicht mehr irreführend, wenn die Insolvenzware nicht vom Insolvenzverwalter selbst verkauft, sondern ein Zwischenhändler eingeschaltet war.15) Voraussetzung war nur, dass die Ware tatsächlich aus einer Insolvenzmasse stammte. Des Weiteren mussten die zu veräußernden Gegenstände auch zu reduzierten ___________ 9) Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.28. 10) Tappmeier, ZIP 1992, 679, 681. 11) Gloy/Loschelder/Erdmann-Erdmann, Hdb. Wettbewerbsrecht, § 1 Rz. 20; Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, Einl. Rz. 2.11. 12) Gloy/Loschelder/Erdmann-Erdmann, Hdb. Wettbewerbsrecht, § 1 Rz. 33. 13) Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, Einl. Rz. 2.22; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rz. 27, 28. 14) Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rz. 30. 15) Piper/Ohly/Sosnitza-Sosnitza, UWG, § 5 Rz. 426; Götting/Nordemann-Nordemann, UWG, § 5 Rz. 1.172.

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Preisen angeboten werden, weil andernfalls die Erwartung der Verbraucher, Ware zu besonders günstigen Preisen zu erzielen, enttäuscht werden würde.16) Auch hier tendierte die Rechtsprechung dazu, eine solche Werbung nur zuzulassen, wenn das insolvente Unternehmen später auch tatsächlich liquidiert werden sollte.17) 4.

Fallgruppen nach aktuellem Recht

Nach den grundlegenden Änderungen des UWG ist die Betriebsfortführung in der Insolvenz 12 i. R. der einschlägigen Fallgruppen i. E. zu beleuchten. 4.1

Reklame mit Insolvenzwarenverkauf bei Betriebsfortführung – Irreführung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG?

Die Werbung mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ hat eine hohe Anziehungskraft. 13 Die Adressaten der Reklame verbinden damit einen Verkauf von Produkten zu deutlich reduzierten Preisen.18) Es wird also ein erheblicher Kaufanreiz geschaffen. Im Sinne aller Marktteilnehmer ist deshalb darauf zu achten, dass dieser Begriff nicht missbräuchlich, also nicht unlauter verwendet wird. 4.1.1 Schutzzweck des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG Diesen Zweck verfolgt u. a. § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG. Danach ist eine geschäftliche 14 Handlung irreführend, wenn sie x

unwahre oder sonst zur Täuschung geeignete Angaben enthält

x

über den Anlass des Verkaufs,

x

wie das Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils, den Preis oder die Art und Weise, in der er berechnet wird, oder die

x

Bedingungen, unter denen die Ware geliefert oder die Dienstleistung erbracht wird.19)

Dem Kunden soll bei seiner Kaufentscheidung also klar vor Augen geführt werden, welchen 15 Hintergrund die Preisaktion hat. Gleichzeitig dient dies auch dem Schutz der Mitbewerber vor den wettbewerbsverzerrenden Folgen von irreführender Werbung.20) 4.1.2 Irreführung durch Betriebsfortführung? Die Kunden verbinden mit einem Insolvenzwarenverkauf eine erhebliche Preissenkung. 16 Grund dafür ist nicht zuletzt § 159 InsO. Danach hat der Insolvenzverwalter das zur Masse gehörende Vermögen unverzüglich zu verwerten. Unverzüglich meint dabei ohne schuldhaftes Zögern i. S. des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB.21) Der Insolvenzverwalter steht also unter einem gewissen Zeitdruck, das Vermögen des Schuldners möglichst zügig zu versilbern. Gerade hieraus ergibt sich auch die Erwartung der Kunden auf eine erhebliche Preissenkung. Dieser Druck, die Ware möglichst schnell zu Geld zu machen, ist bei einer Betriebsfort- 17 führung nicht immer im gleichen Maße gegeben.22) Dennoch kann die Reklame mit einem ___________ 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22)

Piper/Ohly/Sosnitza-Sosnitza, UWG, § 5 Rz. 426. Dahingehend: BGH, Urt. v. 11.5.2006 – I ZR 206/02, ZIP 2006, 1208, 1210. Fezer-Pfeifer, UWG, § 5 Rz. 340. Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 14 Rz. 1. Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 1.9. Görg in: MünchKomm-InsO, § 159 Rz. 5. Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 117.

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Insolvenzwarenverkauf in der Betriebsfortführung nicht schlechthin unzulässig sein.23) Zunächst stammen die angebotenen Waren tatsächlich aus einer Insolvenzmasse (§ 35 InsO). Es handelt sich dabei also nicht um eine unwahre Angabe i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG. 18 Des Weiteren ist die Angabe auch nicht grundsätzlich zur Täuschung geeignet. Eine solche wäre nur gegeben, wenn die mit dem Insolvenzwarenverkauf in Aussicht gestellten Preisnachlässe tatsächlich nicht gewährt würden24). In diesem Fall läge in der Tat eine Täuschung vor, weil dem Adressaten der Werbung suggeriert würde, aufgrund der Insolvenz sei eine besonders günstige Kaufgelegenheit entstanden. 19 Eine Betriebsfortführung wird aber oft einen Wechsel des Sortiments erforderlich machen. Insbesondere dann, wenn das Unternehmen am Markt mit seiner Produktpalette und seiner Verkaufsstrategie versagt hat. Eine Sanierung wird dann nur gelingen, wenn sich das Unternehmen am Markt neu orientiert. Auch die Betriebsfortführung wird daher häufig Räumungsverkäufe zur Folge haben. Der Insolvenzverwalter steht auch hier unter Zugzwang. Er ist gehalten, die alte Ware zeitnah zu verwerten, um den Ertrag in ein neues Verkaufskonzept zu investieren. Die Verwendung des Begriffs „Insolvenzwarenverkauf“ ist also nicht irreführend, weil die Erwartungen der Kunden in einer Preissenkung aufgrund des mit der Insolvenz verbundenen Zeitdrucks nicht enttäuscht werden. 20 Allerdings darf nicht verkannt werden, dass die Drucksituationen des Insolvenzverwalters in der Liquidation und der Betriebsfortführung durchaus von unterschiedlicher Intensität sein können.25) Soll das Unternehmen liquidiert werden, wird es häufig noch so lange fortgesetzt werden, bis alle Waren zu Geld gemacht wurden. Geschieht dies nicht besonders rasch, sind die Kosten, die die Masse für die Anmietung der Verkaufsfläche sowie für die Löhne der Verkäufer aufbringen muss, unter Umständen höher als die Einnahmen durch den Ausverkauf der Waren. Diese Dringlichkeit ist i. R. der Betriebsfortführung nicht zwingend gegeben. Denn oft sind diese Kosten ohnehin im Sanierungskonzept eingeplant. Auch wenn die Verkaufsfläche regelmäßig schnell für die neuen Waren frei gemacht werden soll, hat es der Insolvenzverwalter in der Betriebsfortführung im Einzelfall nicht ganz so eilig. Dies wird sich auch im Preis widerspiegeln. 21 Gleichwohl ist nicht von einer Irreführung i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG auszugehen. Dies hängt insbesondere mit dem geänderten Verständnis vom Begriff der Insolvenz beim angesprochenen Kundenkreis zusammen. Früher wurde die Insolvenz mit der Zerschlagung des Unternehmens gleichgesetzt. Heute ist die Öffentlichkeit über prominente Beispiele26) in den Medien aber dafür sensibilisiert, dass eine Insolvenz nicht zwingend das Ende eines Unternehmens sein muss. Dem durchschnittlichen Angehörigen des angesprochenen Kundenkreises ist also durchaus bewusst, dass eine Insolvenz auch zu einer Sanierung des Unternehmens führen kann. Folglich ist er nicht über das Zustandekommen des Preises getäuscht. Dem Kunden ist bewusst, dass die Preissenkung möglicherweise nicht die erhofften Ausmaße annehmen wird.27) 22 Dieses Bild von der Insolvenz in der Öffentlichkeit soll gerade auch durch das ESUG28) gefördert werden. Das ESUG will gerade die Chancen einer erfolgreichen Sanierung ___________ 23) 24) 25) 26) 27) 28)

A. A.: Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 159 Rz. 23a. Piper/Ohly/Sosnitza-Sosnitza, UWG, § 5 Rz. 426. Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 117. Z. B. „Ihr Platz“, „Sinn Leffers“, „Karstadt“. Kritisch hierzu: Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 117; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 159 Rz. 19. Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, Nr. 64, 2582.

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verbessern.29) Dazu muss die Öffentlichkeit auch damit vertraut gemacht werden, dass die Insolvenz insbesondere auch Möglichkeiten zur nachhaltigen Sanierung ermöglicht und das diese Möglichkeiten in einem Spannungsverhältnis zum Wettbewerbsrecht stehen. 4.1.3 Irreführung durch Preissenkungen ohne Ausverkauf? Wie bereits erörtert, ist eine Werbung mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ i. R. der 23 Betriebsfortführung jedenfalls dann zulässig, wenn es zu einem Räumungsverkauf einer bestimmten Filiale oder eines bestimmten Lagers kommt, weil die Situation sich in diesen Fällen nicht erheblich von der eines zu liquidierenden Unternehmens unterscheidet. Fraglich ist, ob mit diesem Begriff auch geworben werden kann, wenn ein Ausverkauf des 24 bestehenden Sortiments überhaupt nicht angestrebt wird, sondern nur neue Kunden durch die reduzierten Preise angelockt werden sollen. Die Adressaten könnten darüber irregeführt werden, dass es zu einem Ausverkauf der Insolvenzware kommen soll und die damit einhergehenden Preissenkungen verbunden sind. Der Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ suggeriert nach wie vor, dass ein bestimmtes Waren- 25 sortiment mit einem gewissen Zeitdruck ab verkauft werden muss. Insofern wären die Kunden getäuscht, wenn es hierzu gerade nicht käme, sondern nur eine Preissenkung zur Belebung des Geschäfts vorläge. Werden Produkte als Insolvenzware bezeichnet, so entsteht der Eindruck, dass das Unternehmen dieser Ware überdrüssig ist und sie daher schnell verkauft werden soll. Ein Räumungsverkauf zum Zwecke der Liquidierung und ein solcher zum Zwecke der Betriebsfortführung gleichen sich in dieser Hinsicht im Wesentlichen. Dass der Ausverkauf bei einer Betriebsfortführung unter Umständen nicht ganz so eilig ist wie bei der Liquidation, muss mit Blick auf die gesetzgeberische Intention einer nachhaltigen Sanierungsmöglichkeit hingenommen werden. Etwas anderes muss aber gelten, wenn ein Räumungsverkauf überhaupt nicht angestrebt wird. Rechtlich ist die Ware dann zwar Insolvenzware, faktisch hat dies aber keine Auswirkungen. Es ist daher irreführend, wenn mit der Insolvenz eine Dringlichkeit suggeriert wird, die tatsächlich nicht besteht. Soll es also zu keinem Leerverkauf kommen, ist der Insolvenzverwalter bei Werbemaß- 26 nahmen gehalten, dies durch Zusätze hinreichend deutlich zu machen oder den Verweis auf die Insolvenz ganz zu unterlassen. 4.1.4 Irreführung durch Zukauf von Waren beim Insolvenzwarenverkauf? Zur Masse des Schuldners gehört nicht nur dessen Vermögen im Zeitpunkt der Insolvenz- 27 eröffnung. Auch Vermögen, das er während des Insolvenzverfahrens erlangt, wird zur Masse gezogen, § 35 Abs. 1 InsO. Insofern ist es denkbar, dass der Insolvenzverwalter während eines Insolvenzwarenverkaufs weitere Gegenstände hinzukauft und diese dann als Insolvenzware weiterveräußert. Neben der praktischen Frage der Wirtschaftlichkeit eines solchen Vorgehens stellt sich auch 28 hier die der Vereinbarkeit mit dem Lauterkeitsrecht. Da auch der neu erworbene Gegenstand zur Insolvenzmasse gehört, wäre es keine unwahre Angabe, ihn als Insolvenzware zu veräußern. Allerdings wäre die Reklame mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ eine zur Täuschung über den Anlass des Verkaufs geeignete Angabe, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG. Der Adressatenkreis einer solchen Werbung glaubt, dass aufgrund der besonderen Not- 29 situation der Insolvenz ein mehr oder weniger zügiger Verkauf von Ware zu reduzierten Preisen von Nöten ist. Keinesfalls erwartet er jedoch, dass i. R. dieser Aktion noch ein ___________ 29) BT-Drucks. 17/5712, S. 17 ff.

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wirtschaftlich lohnendes Geschäft des Werbenden gemacht wird. Der Kunde wäre also über entscheidende Hintergründe der Preisgestaltung getäuscht. 30 Durch ein solches Verhalten wären auch die Interessen der anderen Marktteilnehmer erheblich beeinträchtigt. Die Möglichkeiten des Schuldners mit der Insolvenz zu werben, sind ohnehin starke Beeinträchtigungen des Wettbewerbs, die aber durch die Ziele der InsO gerechtfertigt sind. Versuche über die Überwindung der Notsituation hinaus noch ein Geschäft zu machen, müssen jedoch als unlauter angesehen werden.30) Ein insolventes Unternehmen darf Ware, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinzugekauft worden ist, nicht als Insolvenzware bewerben. 4.1.5 Irreführung durch Rückkehr zu alten Preisen? 31 Werden Produkte zu reduzierten Preisen angeboten, kann das Interesse an ihnen auch unabhängig von der günstigen Einkaufsgelegenheit neu entstehen. Fraglich ist, ob ein Warenbestand, der einmal als Insolvenzware beworben und deshalb im Preis reduziert wurde, wieder zu normalen Konditionen verkauft werden kann, wenn das Interesse daran wieder gestiegen ist. In einer solchen Preiserhöhung könnte ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG liegen. Die Kunden haben sich nämlich zunächst darauf eingerichtet, dass sie die vergünstigten Waren bis zum Ausverkauf erwerben können. Dieses Vertrauen wird nun nachträglich enttäuscht, indem schon vor diesem Zeitpunkt die günstige Verkaufsgelegenheit aufgehoben wird. 32 Die Rechtsprechung bejaht daher eine Irreführung, wenn ein Unternehmen nach einem angekündigten Räumungsverkauf wieder zu alten Preisen zurückkehrt.31) Dies gelte auch, wenn eine solche Rückkehr nicht von vornherein angestrebt, sondern erst nachträglich durch einen Sinneswandel verursacht worden sei. Die subjektive Einstellung des Unternehmers spiele keine Rolle; es komme auf die objektive Wirkung beim angesprochenen Kundenkreis an.32) Eine Rückkehr zu alten Preisen sei daher nicht möglich. 33 Dies gilt auch für den Insolvenzwarenverkauf. Wie bereits dargelegt, ist ein solcher grundsätzlich nur in Form eines Räumungsverkaufs möglich. Anders als bei einem „normalen“ Räumungsverkauf liegt beim Insolvenzwarenverkauf aber erkennbar keine völlig freiwillige kaufmännische Entscheidung zugrunde. Der Insolvenzverwalter ist hierzu vielmehr wegen der finanziellen Notlage gedrängt. Durch die Verwendung des Begriffs „Insolvenz“ wird dies auch den Kunden deutlich. Diese müssen daher ggf. damit rechnen, dass die Preise wieder steigen, wenn die Notlage aufgrund besserer Absatzchancen wieder beseitigt ist. 34 Allerdings wäre damit eine hohe Missbrauchsgefahr verbunden. Es ist kaum messbar, ab wann eine Übernahme der Insolvenzware in den regulären Warenbestand wieder wirtschaftlich lohnenswert ist. Dies wäre vom Gutdünken des Insolvenzverwalters abhängig, was zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen würde. Des Weiteren sind auch Räumungsverkäufe nur selten ganz freiwillig. Auch diese werden durch wirtschaftliche Zwänge veranlasst, so dass eine Differenzierung zwischen „normalen“ und insolvenzbedingten Räumungsverkäufen nicht gerechtfertigt erscheint. Die Gläubiger müssen sich also an ihrem einmal getroffenen Entschluss, einen Räumungsverkauf durchzuführen, festhalten lassen. Eine ___________ 30) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 159 Rz. 22; Gloy/Loschelder/Erdmann/HelmHelm, Hdb. Wettbewerbsrecht, § 59 Rz. 406; a. A.: Görg in: MünchKomm-InsO, § 159 Rz. 14; UllmannLink, UWG, § 5 Rz. 393. 31) OLG Köln, Urt. v. 18.9.2009 – 6 U 79/09, GRUR-RR 2010, 250, hier allerdings nicht in Bezug auf den Räumungsgrund, sondern auf die unrichtige Angabe der Geschäftsschließung in einer Woche; Köhler/ Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.8. 32) OLG Köln, Urt. v. 18.9.2009 – 6 U 79/09, GRUR-RR 2010, 250.

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Übernahme der einmal als Insolvenzware beworbenen Produkte in das reguläre Sortiment ist nicht mehr möglich.33) 4.2

Irreführung durch Unterlassen bei Verschweigen der Insolvenz, § 5a Abs. 1 UWG?

In vielen Fällen ist eine Werbung mit dem Schlagwort „Insolvenzwarenverkauf“ lohnens- 35 wert. Oft wird so ein besonderer Kaufanreiz geschaffen und der Warenabsatz kurzfristig erhöht. In manchen Fällen mag der Insolvenzverwalter jedoch doch lieber davon Abstand nehmen, mit diesem Begriff zu werben. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das insolvente Unternehmen einen besonders guten Ruf hat, der in der Betriebsfortführung erhalten bleiben soll und nicht mehr als unbedingt notwendig mit dem Makel einer Insolvenz in Verbindung gebracht werden soll. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob ein solches Vorgehen aus wettbewerbsrechtlicher 36 Sicht zulässig ist oder gegen § 5 a Abs. 1 UWG verstößt. Danach sind bei der Beurteilung, ob das Verschweigen einer Tatsache irreführend ist, insbesondere deren Bedeutung für die geschäftliche Entscheidung nach der Verkehrsauffassung sowie die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu berücksichtigen. In der Regel wird die Tatsache der Insolvenz die Kaufentscheidung eines Kunden aber nur 37 positiv beeinflussen. Dies kann im Einzelfall jedoch anders sein. Gerade bei Geschäften, mit denen ein längerer Kontakt mit dem Kunden verbunden ist, kann die Insolvenz die Entscheidung des Kunden maßgeblich beeinflussen. Dies kann der Fall sein, wenn die Leistungsfähigkeit des Unternehmens über das konkrete Geschäft hinaus von Bedeutung ist. So kann der Käufer eines Produkts gerade darauf angewiesen sein, dass ihm das insolvente Unternehmen auch in Zukunft für Wartungsarbeiten zur Verfügung steht. Oder es ist für den Kunden erkennbar von wirtschaftlicher Bedeutung, dass das Unternehmen bei Mängeln der Ware haften kann.34) Die Hinweispflicht ist also vom Einzelfall abhängig. In der Regel, insbesondere bei Barge- 38 schäften des täglichen Lebens, wird sie aber nicht notwendig sein.35) 4.3

Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 4 Nr. 4 UWG?

§ 3 UWG gilt als Generalklausel des UWG, die unlautere Geschäftspraktiken verbietet. 39 § 4 UWG konkretisiert die Unlauterkeit, indem dort geschäftliche Handlungen aufgelistet werden, die in jedem Fall als unlauter gelten sollen. § 4 Nr. 4 UWG enthält dabei das sog. Transparenzgebot.36) Unlauter handelt danach derjenige, der bei Verkaufsförderungsmaßnahmen, wie Preisnachlässen, Zugaben oder Geschenken, die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme nicht klar und eindeutig angibt. Der Begriff der Verkaufsförderungsmaßnahme entstammt dem Unionsrecht. Er ist daher richtlinienkonform i. S. von geldwerten Vergünstigungen auszulegen.37)

___________ 33) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 27.3.2008 – 6 U 66/07, ZIP 2008, 1092. 34) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, § 159 Rz. 21a; Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 116; Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5a Rz. 16. 35) BGH, Urt. v. 11.5.1989 – I ZR 141/87, GRUR 1989, 682, 683 = ZIP 1989, 937; Piper/Ohly/SosnitzaSosnitza, UWG, § 5 Rz. 427; Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.3. 36) Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, § 4 Rz. 4.1. 37) Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, § 4 Rz. 4.7.

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4.3.1 Insolvenzwarenverkauf als Verkaufsförderungsmaßnahme? 40 Differenziert ist zu betrachten, ob es sich bei einem Insolvenzwarenverkauf um eine Verkaufsförderungsmaßnahme handelt. Es käme eine solche in Form eines Preisnachlasses in Frage, weil der Insolvenzwarenverkauf mit Preissenkungen verbunden ist. 41 Bislang sieht die Rechtsprechung im Insolvenzwarenverkauf keine Verkaufsförderungsmaßnahme.38) Bei der Frage, ob es sich um einen Preisnachlass und damit um eine Verkaufsförderungsmaßnahme handelt, sei nämlich auf die konkrete Situation des Unternehmens in der Insolvenz abzustellen. In dieser Situation handele es sich aber nicht um ermäßigte, sondern um neue, von nun an dauerhaft geltende Preise.39) Ein Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG soll danach bereits aus diesem Grund ausscheiden. 42 Zu beachten ist jedoch, dass sich diese Rechtsprechung bisher nur auf Unternehmen bezog, die später liquidiert werden sollten. Unklar ist, ob die genannten Gedanken auch für die Betriebsfortführung in der Insolvenz fruchtbar gemacht werden können. Dagegen spricht, dass eben nicht dauerhaft reduzierte Preise gefordert werden sollen. Nach Abverkauf eines bestimmten Warensortiments soll das Unternehmen vielmehr neu aufgestellt werden und dann wieder am normalen Marktgeschehen teilnehmen. Die Situation ähnelt damit aber eher der eines Räumungsverkaufes. Preissenkungen i. R. eines Räumungsverkaufes werden von der Rechtsprechung aber als Preisnachlässe und damit als Verkaufs-förderungsmaßnahmen i. S. des § 4 Nr. 4 UWG angesehen.40) Es spricht deshalb viel dafür, einen Insolvenzwarenverkauf in der Betriebsfortführung als Verkaufsförderungsmaßnahme nach § 4 Nr. 4 UWG zu betrachten. 4.3.2 Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG wegen fehlenden Hinweises auf Betriebsfortführung? 43 Allein im fehlenden Hinweis auf die Betriebsfortführung kann kein Verstoß gegen das Transparenzgebot erblickt werden. Denn dem angesprochenen Kundenkreis ist bewusst, dass er i. R. der Insolvenz vergünstigte Waren in Anspruch nehmen kann. Ob das Unternehmen später liquidiert oder ob es saniert und fortgesetzt werden soll, hat keinen Einfluss auf die Bedingungen der Inanspruchnahme. Dem Adressaten der Werbung ist klar, dass er die vergünstigten Preise für die Dauer des Insolvenzverfahrens in Anspruch nehmen kann. Die Preise sind aber unabhängig vom Schicksal des Unternehmens reduziert. Die Frage, was mit dem Unternehmen später geschieht, hat für die Kaufentscheidung des Kunden also keine Relevanz. 4.3.3 Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG wegen fehlenden Hinweises auf zeitlichen Rahmen des Insolvenzwarenverkaufs? 44 Mag es für den Kunden irrelevant sein, ob das Unternehmen liquidiert oder saniert wird, so ist es für seine Kaufentscheidung doch von Wichtigkeit, in welchem Zeitrahmen er die im Preis reduzierte Ware in Anspruch nehmen kann. 45 Allerdings sollen Werbungen mit Preisnachlässen ohne Angabe eines zeitlichen Rahmens nur dann gegen das Transparenzgebot verstoßen, wenn ein solcher Rahmen bereits tatsächlich abgesteckt ist.41) Keinesfalls besteht die Pflicht des Werbenden eine solche Begrenzung ___________ 38) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 27.3.2008 – 6 U 66/07, ZIP 2008, 1092. 39) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 27.3.2008 – 6 U 66/07, ZIP 2008, 1092; in Bezug auf die Rechtlage vor 2004: BGH, Urt. v. 11.5.2006 – I ZR 206/02, ZIP 2006, 1208, 1210. 40) BGH, Urt. v. 30.4.2009 – I ZR 66/07, GRUR 2009, 1183, 1184. 41) BGH, Urt. v. 11.9.2008 – I ZR 120/06, GRUR 2008, 1114, 1115; BGH, Urt. v. 30.4.2009 – I ZR 66/07, GRUR 2009, 1183, 1184; Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.6.

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erst zu schaffen42). Denn eine solche Pflicht würde der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen.43) Mit der Reform des UWG im Jahre 2004 sollte gerade eine Liberalisierung der Werbemaßnahmen erreicht werden.44) Unter anderem sollten die engen Voraussetzungen der Sonderveranstaltungen nach § 8 UWG a. F. wegfallen. Fortan sollte es möglich sein, zu jeder Zeit Werbeaktionen durchzuführen.45) Würde man nun eine zeitliche Begrenzung fordern, so liefe dies doch wieder auf eine Sonderveranstaltung hinaus, weil diese Grenzen dann auch eingehalten werden müssten und die Preisnachlässe in der Folge gerade nicht beliebig gegeben werden könnten.46) Es muss also kein zeitlicher Rahmen für den Insolvenzwarenverkauf vorgegeben werden. Etwas anderes gilt aber für den Anfang der Maßnahme. Beginnt der Insolvenzwarenver- 46 kauf sofort, ist kein weiterer Hinweis notwendig, da ein durchschnittlich verständiger Kunde, die Reklame in diesem Sinne verstehen wird. Soll der Insolvenzwarenverkauf aber erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen, ist ein Hinweis auf diesen Zeitpunkt erforderlich, um die Bedingungen der Inanspruchnahme klar und eindeutig anzugeben und einen Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG zu vermeiden.47) 4.3.4 Möglichkeit der Beschränkung des Insolvenzwarenverkaufs auf bestimmte Waren? Nicht immer ist ein vollständiger Ausverkauf des alten Sortiments des insolventen Unter- 47 nehmens angezeigt. Der Insolvenzverwalter mag es für sinnvoll halten, bestimmte Produkte weiter am Markt anzubieten und nur einige schlecht laufende Artikel abzustoßen. Eine Werbung mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ wird in diesem Fall jedoch gegen das Transparenzgebot verstoßen, § 4 Nr. 4 UWG. Die Insolvenz erfasst das gesamte Vermögen des Unternehmens.48) Die Kunden erwarten daher auch, dass das Unternehmen als solches in Not geraten ist und dementsprechend alle seine Waren zu vergünstigten Preisen anbietet. Sind nur bestimmte Waren im Preis reduziert, bleibt dem Kunden verborgen, auf welche Produkte sich der Preisnachlass bezieht. Gleichzeitig wird in einem solchen Fall ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot des § 5 UWG vorliegen, weil die universale Wirkung des Wortes „Insolvenz“ suggeriert, dass alle Waren von der Preissenkung betroffen sind. Dies muss auch in solchen Fällen gelten, in denen die Werbung unter dem Schlagwort 48 „Insolvenzwarenverkauf“ in einem Zusatz die reduzierten Produkte genau bezeichnet. Denn auch in solchen Fällen entstünde ein widersprüchlicher Eindruck bei den Kunden. Insolvent kann gerade nur das Unternehmen als solches sein. Insofern wäre es irreführend, wenn dann nur bestimmte Artikel vergünstigt angeboten werden. § 5 und § 4 Nr. 4 UWG wären gleichermaßen verletzt. Der Insolvenzverwalter ist in solchen Situationen also gehalten, von der Werbung mit dem 49 Begriff „Insolvenz“ Abstand zu nehmen. Unbenommen bleibt ihm jedoch, mit Preisnachlässen für die konkreten Artikel zu werben.

___________ 42) OLG Köln, Beschl. v. 6.3.2006 – 6 W 27/06, GRUR 2006, 786; Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.6. 43) BGH, Urt. v. 11.9.2008 – I ZR 120/06, GRUR 2008, 1114, 1115. 44) Gloy/Loschelder/Erdmann-Erdmann, Hdb. Wettbewerbsrecht, § 1 Rz. 20; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rz. 20. 45) Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, Einl. Rz. 2.12. 46) BGH, Urt. v. 30.4.2009 – I ZR 66/07, GRUR 2009, 1183, 1184. 47) BGH, Urt. v. 30.4.2009 – I ZR 66/07, GRUR 2009, 1183, 1185. 48) Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 1.

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§ 32 5.

Teil V Einzelfragen Zusammenfassung

50 Auch i. R. einer Betriebsfortführung darf ein insolventes Unternehmen mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ werben. Da die Kunden damit einen Ausverkauf zu erheblich vergünstigten Preisen erwarten, ist eine solche Werbung nur im Zusammenhang eines Räumungsverkaufes einer Filiale oder eines bestimmten Warenlagers zulässig. Dass die Preissenkungen wegen des geringeren Zeitdrucks in der Betriebsfortführung unter Umständen nicht immer denen in der Liquidation entsprechen, muss mit Blick auf die Intention der InsO, eine nachhaltige Sanierung zu ermöglichen, hingenommen werden. 51 Unzulässig ist die Reklame mit „Insolvenzwarenverkauf“ hingegen, wenn der Preis nur gesenkt wird, ohne dass dabei ein Ausverkauf der Ware angestrebt wird. Die gilt erst recht, wenn der Preis überhaupt nicht reduziert wird. Weiterhin darf sich die Preissenkung beim Ausverkauf nicht nur auf bestimmte Produkte beziehen, während andere weiterhin zum regulären Preis angeboten werden. Ein einmal unter Insolvenzwarenverkauf angebotenes Produkt, darf nicht wieder zum alten Preis in das Sortiment aufgenommen werden. 52 Nicht erforderlich ist hingegen die Angabe eines Zeitrahmens für den Insolvenzwarenverkauf. Lediglich auf den Anfang muss in der Reklame aufmerksam gemacht werden, wenn der Insolvenzwarenverkauf nicht ab sofort, sondern erst später beginnen soll. II.

Lizenzen und immaterielle Wirtschaftsgüter

1.

Wirtschaftliche Bedeutung für die Betriebsfortführung

53 Die Zulässigkeit der Nutzung von immateriellen Wirtschaftsgütern kann je nach Geschäftsmodell für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens von erheblicher oder sogar entscheidender Bedeutung sein. Aber auch die Existenz von Unternehmen, die Rechte an immateriellen Wirtschaftsgütern von dem Insolvenzschuldner ableiten, ggf. als Lizenznehmer oder Unterlizenznehmer, kann von der Behandlung immaterieller Wirtschaftsgüter und Nutzungsrechten in der Insolvenz abhängig sein. 54 Diese Fragen der Nutzung und Verwertbarkeit immaterieller Wirtschaftsgüter und Lizenzen können den Insolvenzverwalter während des gesamten Insolvenzverfahrens begleiten. Die Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass im eröffneten Insolvenzverfahren sowohl insolvenz- als auch immaterialgüterrechtliche Regelungen beachtet und miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Zudem stellen sich regelmäßig Fragen der insolvenzfesten Bestellung von Sicherheiten an immateriellen Wirtschaftsgütern und Nutzungsrechten. 55 Aber auch schon bei der Erstellung einer Überschuldungsbilanz sind immaterielle Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen und einzustellen, soweit sie tatsächlich veräußerlich sind.49) 56 Bei der Bestimmung des Umfangs der Insolvenzmasse ist zu beachten, dass immaterielle Wirtschaftsgüter nicht an einen Ort gebunden, sondern weltweit belegen sein können. Nach dem immaterialgüterrechtlichen Territorialprinzip können daher in jedem Staat gesonderte Schutzrechte (z. B. Urheber-, Patenrechte) an einem Wirtschaftsgut bestehen, weshalb der Insolvenzverwalter in diesem Fall ein „Rechtebündel“ in der Insolvenzmasse vorfinden wird.50) In Europa ist mit der EuInsVO sichergestellt, dass sich die Sicherung, Verwaltung und Verwertung auch auf außerhalb des Eröffnungsstaats belegene, immaterielle Wirtschaftsgüter erstreckt.51) ___________ 49) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 19 Rz. 77; Breithaupt/Ottersbach-Ehrlichmann, Kompendium GesR, § 1 Rz. 14, die auf eine Veräußerbarkeit im Insolvenzverfahren abstellen; Gehde in: Münch-AHB PersonengesR, § 24 Rz. 48, stellt auf die tatsächliche Möglichkeit der Veräußerung ab. 50) Berger, ZInsO 2013, 569, 570; Reinhardt in: MünchKomm-InsO, Art. 12 EuInsVO Rz. 4. 51) Berger, ZInsO 2013, 569, 570.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen im Rahmen der Betriebsfortführung 2.

§ 32

Rechtliche Ausgangslage

Für die rechtliche Zuordnung zur Insolvenzmasse und somit für die Verwert- und Nutz- 57 barkeit bei der Betriebsfortführung ist zwischen dem Immaterialgüterrecht als solchem und den daraus ableitbaren Nutzungsrechten, insbesondere Lizenzen, zu differenzieren. Immaterielle Wirtschaftsgüter können vom Insolvenzverwalter zur Betriebsfortführung 58 genutzt werden, wenn sie zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) gehören und sich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters (§ 80 InsO) auf das jeweilige Immaterialgüterrecht erstreckt. Dies richtet sich primär nach spezialgesetzlichen Regelungen für das jeweilige Wirtschaftsgut. Sofern solche nicht existieren, ist zu prüfen, ob das jeweilige Immaterialgüterrecht der Zwangsvollstreckung unterliegt (vgl. §§ 35, 36 InsO). Dies ist bei freier Übertragbarkeit (§§ 851, 857 ZPO) des Rechts der Fall. Diese Übertragbarkeit von Immaterialgüterrechten richtet sich wiederum nach den spezialgesetzlichen Regelungen des jeweiligen Rechts.52) Vom Insolvenzbeschlag wird grundsätzlich auch der Lizenzvertrag erfasst.53) Inwieweit 59 schuldrechtliche Ansprüche aus einem bei Insolvenzeröffnung ungekündigten Lizenzvertrag für die Betriebsfortführung genutzt werden können – sei es als Lizenzgeber oder (Unter-)Lizenznehmer – hängt davon ab, ob dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht nach § 103 InsO zusteht und wie er dieses ausübt. Ob neben den schuldrechtlichen Ansprüchen aus dem Lizenzvertrag auch das dem Insol- 60 venzschuldner vor Insolvenzeröffnung erteilte Nutzungsrecht als solches in die Insolvenzmasse fällt, ist umstritten (Einzelheiten und Konsequenzen siehe Rz. 79 ff.).54) Ungeklärt ist bislang auch die Frage, ob dem Insolvenzverwalter ein Verwertungsrecht 61 (analog § 166 InsO) bei Immaterialgüterrechten zusteht, die mit einem Absonderungsrecht (so z. B. bei Sicherungsübertragung oder Verpfändung) belastet sind (Einzelheiten und Konsequenzen siehe Rz. 95 ff.). 3.

Betriebsfortführung und einzelne Immaterialgüterrechte

3.1

Urheberrechte

Gemäß § 29 Abs. 1 UrhG ist die rechtsgeschäftliche Übertragung von Urheberrechten 62 (vgl. zu den geschützten Werken § 2 UrhG) ausgeschlossen und die Zwangsvollstreckung in das Recht gemäß § 113 Abs. 1 UrhG nur mit Zustimmung des Rechtsinhabers zulässig. Im Ergebnis gehören Urheberrechte daher nur dann zur Insolvenzmasse, wenn der Schuldner hierzu seine Zustimmung erteilt hat.55) Die Verweigerung der Zustimmung soll in Einzelfällen als rechtsmissbräuchlich anzu- 63 sehen sein, so dass die Zustimmung als erteilt anzusehen ist.56) Rechtsmissbräuchlich kann die Zustimmungsverweigerung dann sein, wenn der Urheber mit anderen Vertragspartnern bereits die Verwertung in einer Weise eingeleitet hat, die seine persönlichen Interessen nicht berücksichtigt.57) ___________ 52) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 238. 53) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 311; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 2/2014, § 35 Rz. 104. 54) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 254; Brinkmann, NZI 2012, 735, 737; Marotzke, ZInsO 2012, 1737, 1744; Berger, ZInsO 2013, 569, 572 f. 55) Berger, ZInsO 2013, 569, 571; Berger/Wündisch-Abel, Urhebervertragsrecht, § 11 Rz. 94; LoewenheimKreuzer/Reber, Hdb. Urheberrecht, § 95 Rz. 52; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 340, 346; JaegerHenckel, InsO, § 35 Rz. 44; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 248. 56) Berger, ZInsO 2013, 569, 571; Berger/Wündisch-Abel, Urhebervertragsrecht, § 11 Rz. 95. 57) Berger/Wündisch-Abel, Urhebervertragsrecht, § 11 Rz. 95.

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§ 32

Teil V Einzelfragen

64 Inhaltlich kann das Urheberrecht für die Insolvenzmasse – bei Zustimmung des Schuldners – wegen der Unübertragbarkeit gemäß § 29 Abs. 1 UrhG nur durch die eigene Nutzung oder die Gewährung von Nutzungsrechten verwertet werden;58) eine Vollübertragung des Rechts ist ausgeschlossen.59) 65 Werkoriginale können hingegen mit Einwilligung des Schuldners veräußert werden.60) Vervielfältigungsstücke und Kopien gehören nur dann nicht ohne weiteres zur Insolvenzmasse, wenn der Schuldner sich die Veröffentlichung noch vorbehalten hatte.61) 3.2

Patentrechte

66 Das Recht auf das Patent, der Anspruch auf Erteilung des Patents und das Recht aus dem Patent können nach § 15 Abs. 1 Satz 2 PatG beschränkt oder unbeschränkt übertragen werden. Aufgrund der Übertragbarkeit und der daraus folgenden Pfändbarkeit (§§ 857 Abs. 1, 851 Abs. 1 ZPO)62), gehören diese Rechte grundsätzlich zur Insolvenzmasse.63) 67 Umstritten ist aber, ab welchem Zeitpunkt das vor der Anmeldung zum Deutschen Marken- und Patentamt bestehende Recht auf das Patent aufgrund seiner Doppelnatur – vermögens- und personenrechtlicher Charakter – pfändbar und damit Bestandteil der Insolvenzmasse ist.64) Nach h. M. entsteht das Recht auf das Patent, wenn der Erfinder seine Erfindung in der Weise verlautbart hat, dass Dritte die Möglichkeit haben von der Erfindung Kenntnis zu nehmen.65) Aufgrund des personenrechtlichen Charakters soll es jedoch erst dann pfändbar sein und damit in die Insolvenzmasse fallen, wenn der Erfinder seine Absicht kundgetan hat, seine Erfindung zu verwerten.66) Der Persönlichkeitsgehalt des Rechts führt dazu, dass dem Erfinder ein Wahlrecht zusteht, ob er seine Erfindung wirtschaftlich verwerten oder ungenutzt lassen möchte.67) 68 Geheimpatente (§ 50 PatG) fallen in die Insolvenzmasse des Schuldners, bei der Verwertung durch Lizenzvergabe oder Veräußerungen sind die Geheimhaltungsvorschriften weiterhin zu berücksichtigen.68)

___________ 58) Loewenheim-Kreuzer/Reber, Hdb. Urheberrecht, § 95 Rz. 52; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 43; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 248. 59) Berger, ZInsO 2013, 569, 571; Dreier/Schulze-Schulze, UrhG, § 29 Rz. 3. 60) Loewenheim-Kreuzer/Reber, Hdb. Urheberrecht, § 95 Rz. 53; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 45; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 248. 61) Loewenheim-Kreuzer/Reber, Hdb. Urheberrecht, § 95 Rz. 52; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 44; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 248. 62) BGH, Urt. v. 24.3.1994 – X ZR 108/91, NJW 1994, 3099 = BB 1994, 1246. 63) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 296; Nerlich/Römermann-Andres, InsO, § 35 Rz. 70. 64) Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 58; Kilian/Heussen-Kammel, Computerrechts-Hdb., Software in der Insolvenz Rz. 30; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 301. 65) Benkard-Melullis, PatG, § 6 Rz. 7. 66) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 305; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 58; Kilian/Heussen-Kammel, Computerrechts-Hdb., Software in der Insolvenz Rz. 30; Nerlich/Römermann-Andres, InsO, § 35 Rz. 70; Gottwald-Klopp/Kluth/Wimmer, Hdb. InsR, § 25 Rz. 56; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 2/2014, § 35 Rz. 98; a. A. auf die Kundgabe der Verwertungsabsicht kommt es nicht an, schon die Verlautbarung ist ausreichend Mes, PatG, GebrMG, § 15 PatG Rz. 8 unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 10.11.1970 – X ZR 54/67 (Wildbissverhinderung), GRUR 1971, 210, 213. 67) RG, Urt. v. 3.10.1902 – VII 204/02, RGZ 52, 227, 231; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 305. 68) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 306; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 61.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 32

Wurde ein Patent beim Europäischen Patentamt angemeldet (sog. europäisches Patent)69), 69 zerfällt es mit Erteilung in ein „Bündel“ einzelner nationaler Patente in den Staaten, die in der Anmeldung benannt worden sind.70) Die im Ausland belegenen Wirtschaftsgüter werden dann von dem deutschen Insolvenzverfahren erfasst und können zur Insolvenzmasse gehören, wenn x

die Insolvenzeröffnung von dem Staat, in dem die Wirtschaftsgüter belegen sind, anerkannt wird71) und

x

das Patent pfändbar ist.

3.3

Arbeitnehmererfindungen

Die Massezugehörigkeit von Arbeitnehmererfindungen richtet sich nach den insolvenz- 70 rechtlichen Sonderregeln des § 27 ArbnErfG. Die vermögensrechtlichen Werte der Arbeitnehmererfindung fallen in die Insolvenzmasse, wenn der Arbeitgeber die Erfindung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 7 Abs. 1 ArbnErfG in Anspruch genommen hat.72) Hinsichtlich der Verwertung von Arbeitnehmererfindungen ist zwischen den in § 27 ArbnErfG aufgeführten Konstellationen zu unterscheiden: x

Wird die Arbeitnehmererfindung vom Insolvenzverwalter mit dem Geschäftsbetrieb veräußert, so tritt der Erwerber für die Zeit ab Insolvenzeröffnung in die Vergütungspflicht der Arbeitgebers (§ 9 ArbnErfG) ein (§ 27 Nr. 1 ArbnErfG).73)

x

Wird die Erfindung durch Benutzung im insolventen Betrieb verwertet (§ 27 Nr. 2 ArbnErfG), hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung.

x

Will der Insolvenzverwalter die Diensterfindung ohne den Geschäftsbetrieb veräußern oder das Schutzrecht nicht aufrechterhalten, hat er die Erfindung dem Arbeitnehmer anzubieten (§ 27 Nr. 3 Satz 2 ArbnErfG).

Sofern es zu einer isolierten Veräußerung kommt, kann der Insolvenzverwalter mit dem 71 Erwerber eine angemessene Vergütung des Erfinders i. S. von (§ 9 ArbnErfG) vereinbaren. Ansonsten ist eine angemessen Vergütung aus dem Veräußerungserlös zu zahlen; die Literatur74) hält hier ca. 40 % des Bruttoverkaufspreises, abzüglich etwaiger, nach Fertigstellung erforderliche, anteilige Entwicklungskosten, für angemessen. 3.4

Gebrauchsmusterrechte

Das Recht auf das Gebrauchsmuster, der Anspruch auf seine Eintragung und das durch 72 die Eintragung begründete Recht sind aufgrund ihrer wahlweise beschränkten oder unbeschränkten Übertragbarkeit (§ 22 Abs. 1 Satz 2 GebrMG) pfändbar (§§ 857 Abs. 1, 851 Abs. 1 ZPO) und gehören somit zur Insolvenzmasse. Dies gilt auch für Geheimgebrauchsmuster (§ 9 GebrMG), soweit die Geheimhaltungsvorschriften weiterhin beachtet werden.75) ___________ 69) Abzugrenzen vom sog. Gemeinschaftspatent; das europäische Patent entfaltet nicht in der gesamten europäischen Gemeinschaft seine Wirkung, lediglich die Patentanmeldung und das Verfahren der Patenterteilung ist einheitlich; vgl. Reinhardt in: MünchKomm-InsO, Art. 12 EuInsVO Rz. 4. 70) Reinhardt in: MünchKomm-InsO, Art. 12 EuInsVO Rz. 4. 71) Berger, ZInsO 2013, 569, 570. Innerhalb der Europäischen Union wird die Insolvenzeröffnung unter Geltung der EuInsVO grundsätzlich anerkannt, vgl. Art. 16 Abs. 1 i. V. m. Art. 3, 2 lit. a, Anhang A EuInsVO. 72) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 331; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 240; Himmelmann/Leuze/ Rother/Kaube/Trimborn-Rother, ArbEG, § 27 Rz. 2. 73) Vgl. hierzu LG Düsseldorf, Urt. v. 10.8.2010 – 4 a O 132/09, NZI 2012, 627, 630. 74) Henn-Anschütz in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 34 Rz. 112. 75) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 295; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 57.

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§ 32 3.5

Teil V Einzelfragen Geschmacksmusterrechte

73 Das angemeldete Geschmacksmusterrecht ist übertragbar, pfändbar und unterliegt dem Insolvenzbeschlag (§§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 3 GeschmMG).76) Vor der Anmeldung des Geschmacksmusters beim Deutschen Patent- und Markenamt ist das geschmacksmusterrechtliche Anwartschaftsrecht nur dann Teil der Insolvenzmasse wenn der Gestalter des Musters das Recht zur Anmeldung dem Insolvenzschuldner eingeräumt hat77) oder das Geschmacksmuster vom Entwerfer erkennbar zur Verwertung bestimmt wurde.78) Unterfällt das Geschmacksmuster zugleich dem Urheberrechtsschutz (§ 2 UrhG; sog. Doppelschutz) sind die urheberrechtlichen Einschränkungen (§§ 112 ff. UrhG, siehe Rz. 62 ff.) bei der insolvenzrechtlichen Verwertung zu beachten. 3.6

Markenrechte

74 § 29 MarkenG bestimmt ausdrücklich, dass Marken der Zwangsvollstreckung unterliegen und setzt in Absatz 3 voraus, dass sie vom Insolvenzverfahren erfasst werden können. Ab Insolvenzeröffnung liegt das Verfügungs- und Verwertungsrecht beim Insolvenzverwalter, der die Marke unabhängig vom Geschäftsbetrieb – selbst wenn die Marke einen Personenamen enthält79) – verwerten kann.80) Ansprüche aus einer Markenrechtsverletzung (§§ 14 ff. MarkenG) sind ebenso Massebestandteil und können vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.81) 3.7

Know-how

75 Unter dem Begriff des „Know-how“ fällt kaufmännisches, betriebswirtschaftliches und technisches Wissen, das nicht allgemein zugänglich und durch ein Patent geschützt ist.82) Noch kein Bestandteil der Insolvenzmasse ist das Know-how, solange es sich noch im Kopf des Wissensträgers befindet und weder konkretisiert noch fassbar ist.83) Besteht bereits ein Know-how-Vertrag oder wurde ein Preis für den Know-how-Gegenstand vereinbart, so fallen die schuldrechtlichen Ansprüche aus dem Know-how-Lizenzvertrag in die Insolvenzmasse und in den Anwendungsbereich des § 103 InsO.84) Das Nutzungsrecht am Know-how ist ein unveräußerbares und unpfändbares Recht und soll daher nicht in die Insolvenzmasse des Know-how-Nehmers fallen.85) 3.8

Firma

76 Heute ist weitestgehend anerkannt, dass der Insolvenzverwalter die Firma, unabhängig davon, ob sie den persönlichen Namen eines Einzelkaufmanns oder Gesellschafters ent___________ 76) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 325; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 56; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 247; Eichmann/v. Falckenstein/Kühne-Eichmann, DesignG, § 30 Rz. 6. 77) Eichmann/v. Falckenstein/Kühne-Eichmann, DesignG, § 30 Rz. 6; BGH, Urt. v. 2.4.1998 – IX ZR 232/96, NJW-RR 1998, 1057, 1058 = ZIP 1998, 830 (die Notwendigkeit einer Zustimmung des Gestalters lässt der BGH mangels Relevanz im konkreten Fall offen). 78) Eichmann/v. Falckenstein/Kühne-Eichmann, DesignG, § 30 Rz. 6. 79) Berger, ZInsO 2013, 569, 570; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 37. 80) BGH, Urt. v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, NJW 2000, 2195, 2198. 81) Fezer, Markenrecht, § 29 MarkenG Rz. 34. 82) Enders, GRUR 2012, 25, 26; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 253; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 376. 83) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 253; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 377. 84) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 253; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 377, 380. 85) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 381.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 32

hält, auch ohne dessen Zustimmung vom Insolvenzverwalter veräußern werden kann.86) Entscheidet sich der Einzelkaufmann oder Gesellschafter zur kommerziellen Nutzung seines Namens, die nach § 18 HGB nicht zwingend ist, kann der in der Firma steckende Vermögenswert der Insolvenzmasse nicht entzogen werden.87) 3.9

Unternehmensgeheimnisse

Ungeklärt ist, ob Betriebs- und Unternehmensgeheimnisse in die Insolvenzmasse fallen, da 77 ihnen kein subjektives Vermögensrecht zugrunde liegt und es folglich an einem pfändbaren Recht fehlt.88) Der BGH hat Produktionsgeheimnissen im Geltungsbereich der KO einen Vermögenswert zugewiesen, weshalb sie vom Insolvenzbeschlag erfasst und veräußert werden können.89) 3.10 Domains Nach der Rechtsprechung des BGH90) kann eine „Internetdomain“, d. h. der Domain- 78 name selbst, nicht Gegenstand einer Pfändung sein, da sie als solche kein Vermögensrecht i. S. von § 857 Abs. 1 ZPO darstellt. Die Internetdomain sei lediglich eine technische Adresse, die dem Inhaber keinen Absolutheitsanspruch gewährt, der durch Parteivereinbarung geschaffen werden kann oder vom Gesetzgeber herrührt.91) Vielmehr sei die Gesamtheit der zwischen dem Schuldner und der Registrierungsbehörde abgeschlossenen schuldrechtlichen Verträge als andere Vermögensgegenstände i. S. von § 857 Abs. 1 ZPO Gegenstand der Pfändung in eine Domain.92) Im Einzelnen kann somit der Insolvenzmasse x

der Registrierungsanspruch,

x

der Anspruch auf Aufrechterhaltung der Eintragung,

x

der Anspruch auf Anpassung des Registers an die veränderten persönlichen Daten des Kunden sowie

x

das Nutzungsrecht

zugeordnet werden.93) 4.

Betriebsfortführung und Lizenzen

Lizenzen, d. h. Nutzungsrechte an geistigem Eigentum bzw. immateriellen Gütern, wie z. B. 79 an Patenten (§ 15 Abs. 2 PatG), Marken (§ 30 MarkenG), Gebrauchsmustern (§ 22 Abs. 2 GebrMG) und Geschmacksmustern (§ 31 GeschmMG) werden durch Vertrag erteilt.

___________ 86) Berger, ZInsO 2013, 569, 570; Steinbeck, NZG 1999, 133, 135 ff.; Bedenken äußert Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 23 ff. 87) Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 2/2014, § 35 Rz. 71a; Gehde in: Münch-AHB PersonengesR, § 24 Rz. 128 f. 88) Berger, ZInsO 2013, 569, 571. 89) BGH, Urt. v. 25.1.1955 – I ZR 15/53, NJW 1955, 628, 629. 90) BGH, Beschl. v. 5.7.2005 – VII ZB 5/05, GRUR 2005, 969, 970. 91) BGH, Beschl. v. 5.7.2005 – VII ZB 5/05, GRUR 2005, 969, 970. 92) BGH, Beschl. v. 5.7.2005 – VII ZB 5/05, GRUR 2005, 969, 970; Fezer, Markenrecht, G. Domainrecht – Kennzeichen im Internet, Rz. 108; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 382a; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 252. 93) BGH, Beschl. v. 5.7.2005 – VII ZB 5/05, GRUR 2005, 969, 970; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 252.

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§ 32 4.1

Teil V Einzelfragen Lizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers

80 Dem Insolvenzverwalter steht nach § 103 InsO ein Wahlrecht zu, ob er die Erfüllung eines noch nicht vollständig erfüllten Lizenzvertrages verlangt oder ablehnt, wobei die Voraussetzungen und Folgen einer – möglichen – Erfüllungsablehnung im Einzelfall genau zu betrachten sind. Der BGH ordnet Lizenzverträge zwar grundsätzlich entsprechend der Rechtspacht als Dauernutzungsvertrag i. S. der §§ 108, 112 InsO ein.94) Da aber kein unbewegliches Vermögen betroffen ist, eröffnen solche Nutzungsverträge auch nach Ansicht des BGH für den Insolvenzverwalter einer jeden Vertragspartei – vorbehaltlich der tatsächlichen Voraussetzungen – ein Wahlrecht nach § 103 InsO.95) 4.1.1 Voraussetzungen des Wahlrechts 81 Voraussetzung für das Wahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO ist neben der Anwendbarkeit von § 103 InsO auf Lizenzverträge (siehe dazu vorstehend Rz. 80), dass der Lizenzvertrag noch nicht beidseitig vollständig erfüllt ist. 82 Diese Frage ist jeweils einzelfallbezogen aufgrund der konkret in dem jeweiligen Lizenzvertrag vereinbarten Pflichten zu beantworten. Bei Verträgen, in denen die Lizenzgebühren ratierlich für die Nutzungseinräumung für bestimmte Zeiträume zu entrichten sind, wird man regelmäßig davon ausgehen können, dass beidseitig noch keine vollständige Vertragserfüllung vorliegt. Im Fall des Lizenzkaufs, bei dem gegen einmalige Zahlung eines „Kaufpreises“ die Lizenz erteilt wird, ist hingegen im Regelfall davon auszugehen, dass der Vertrag mit dem Austausch dieser beiden Hauptleistungen beidseitig vollständig erfüllt ist und damit ein Wahlrecht nach § 103 InsO ausscheidet;96) gleiches kann der Fall sein, wenn der Lizenzgeber die Lizenz unwiderruflich eingeräumt hat.97) Ein Wahlrecht kann aber z. B. auch dann ausscheiden, wenn sich die Lizenznehmerin auf Grundlage eines Austauschvertrag mit weiteren Konzerngesellschaften im Interesse eines gemeinsamen Markenauftritts zur Nutzung einer Marke und die (insolvente) Lizenzgeberin im Gegenzug zur unentgeltlichen Einräumung eines entsprechenden Nutzungsrechts für die Dauer des Bestehens des Konzerns verpflichten.98) Mit der Einräumung der Lizenz und deren vereinbarungsgemäßen Nutzung kann dann eine beidseitige vollständige Erfüllung vorliegen.99) Zu beachten ist jedoch, dass ggf. nichterfüllte Nebenleistungspflichten – sofern diese nicht bedeutungslos sind – ein Wahlrecht nach § 103 InsO eröffnen können.100) 4.1.2 Ausübung des Wahlrechts und dessen Folgen 83 Sofern eine Erfüllungsablehnung i. S. von § 103 InsO möglich und wirtschaftlich z. B. wegen einer besseren Verwertungsmöglichkeit des lizensierten Rechts aus Sicht der Insol___________ 94) BGH, Urt. v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, Rz. 43, NZI 2016, 97, 101; Gottwald-Huber, Hdb. InsR, § 37 Rz. 49 m. w. N. 95) BGH, Urt. v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, Rz. 43, NZI 2016, 97, 101. So. i. E. auch: KG Berlin, Beschl. v. 23.4.2012 – 20 SCHH 3/09, NZI 2012, 759, 761 = ZIP 2012, 990; Commandeur in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 36 Rz. 356; a. A. wendet § 108 InsO analog an; v. Frentz/Masch, ZIP 2011, 1245, 1249. 96) BGH, Urt. v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, Rz. 45, NZI 2016, 97, 101 m. w. N.; Brinkmann, NZI 2012, 735, 739 f.; vgl. auch LG München I, Urt. v. 9.2.2012 – 7 O 1906/11, ZIP 2012, 1770 = GRUR-RR 2012, 142 ff. 97) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 74 ff. 98) Vgl. BGH, Urt. v. 21.10.2015 – I ZR 143/14, Rz. 45, NZI 2016, 97, 101. 99) BGH, Urt. v. 21.10.2015 – I ZR 143/14, Rz. 45, NZI 2016, 97, 101. 100) BGH, Urt. v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, Rz. 45, NZI 2016, 97, 101 m. w. N.; Rüther, NZI 2016, 103, 104; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 74; Braun-Kroth, InsO, § 103 Rz. 20; Huber in: MünchKommInsO, § 103 Rz. 123.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 32

venzmasse zweckmäßig ist, kann die Insolvenz des Lizenzgebers für den Lizenznehmer gravierende Folgen haben, wenn er durch die Erfüllungsablehnung das Nutzungsrecht an dem immateriellen Gut verliert. Hinsichtlich der Folgen der Erfüllungsablehnung ist zu unterscheiden ob dem Lizenznehmer eine einfache oder eine ausschließliche Lizenz gewährt wurde. 4.1.2.1

Ausschließliche Lizenzen

Mit der ausschließlichen Lizenz wird dem Lizenznehmer die alleinige und ausschließliche 84 Nutzungsmöglichkeit an immateriellen Gütern eingeräumt. Sie begründet ein Abwehrrecht gegen Dritte sowie ggf. gegen den Lizenzgeber selber.101) Nach h. M. kann der Lizenznehmer eine ausschließliche Lizenz in der Insolvenz des Lizenzgebers – trotz Erfüllungsablehnung – aussondern, (§ 47 InsO) da die ausschließliche Lizenz dem Lizenznehmer eine quasi absolute, dingliche Rechtsposition zuweist.102) Dem Lizenznehmer wird somit ermöglicht die Lizenz für die im Lizenzvertrag vereinbarte Nutzungszeit zu nutzen. Der Inhalt und Umfang des Aussonderungsrechts bestimmen sich sowohl nach den Gesetzen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten (§ 47 Satz 2 InsO), als auch nach dem Lizenzvertrag.103) 4.1.2.2

Einfache Lizenzen

Eine einfache Lizenz gewährt dem Lizenznehmer zwar ein positives Nutzungsrecht, räumt 85 ihm jedoch kein Abwehrrecht gegen die Nutzung Dritter ein.104) Nach Entscheidungen des BGH105), wird in der Literatur106) diskutiert, ob auch einfache Lizenzen trotz Ablehnung der Erfüllung weiterhin vom Lizenznehmer genutzt werden können. Der BGH107) hat sich in diesen Entscheidungen mit der Frage beschäftigt, ob der Unter- 86 lizenznehmer das lizenzierte Recht unabhängig vom Bestand des Hauptlizenzvertrages – dieser war in den entschiedenen Fällen wegen Kündigung des Hauptlizenzgebers bzw. Rückruf der Hauptlizenz beendet – weiterhin nutzen kann und dies in den konkreten Fällen angenommen. Aus dieser Rechtsprechung wird von Teilen der Literatur gefolgert, dass auch die einfache Lizenz insolvenzfest sei und ihr ein „dinglicher Charakter“ zugesprochen werden könne.108) Dies führe dazu, dass der Lizenznehmer – auch im Zwei-Personen-Verhältnis – trotz Wahl der Nichterfüllung des Insolvenzverwalters über das Vermögen des Lizenzgebers berechtigt sein soll, die einfache Lizenz zu nutzen.109)

___________ 101) Commandeur in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 15 Rz. 13. 102) Gottwald-Huber, Hdb. InsR, § 37 Rz. 50 m. w. N. Ganter in: MünchKomm-InsO, § 47 Rz. 339, konkretisiert auf Patent- und Know-how-Lizenzen, falls sie (positiv und) exklusiv sind; Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79, 82; Bausch, NZI 2005, 289, 293 ff.; Raeschke-Kessler/Christopeit, ZIP 2013, 345, 349 f. 103) Bausch, NZI 2005, 289, 293 ff. 104) Commandeur in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 15 Rz. 14; Berger, ZInsO 2013, 569, 572. 105) BGH, Urt. v. 26.4.2009 – I ZR 153/06 (Reifen-Progressiv), NJW-RR 2010, 186; BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 69/08 (Vorschaubilder), ZIP 2010, 5 = NJW 2010, 2731; BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 70/10 (M2Trade), NJW 2012, 3301, 3303 = ZIP 2012, 1561; BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 24/11 (Take Five), ZIP 2012, 1671 = NJW-RR 2012, 1127. 106) Brinkmann, NZI 2012, 735, 737; Marotzke, ZInsO 2012, 1737, 1744; v. Frentz/Masch, ZUM 2012, 886; Meyer-van Raay, NJW 2012, 3691, 3693 f.; Raeschke-Kessler/Christopeit, ZIP 2013, 345, 349. 107) BGH, Urt. v. 26.4.2009 – I ZR 153/06 (Reifen-Progressiv), NJW-RR 2010, 186, 187; BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 70/10 (M2Trade), NJW 2012, 3301, 3303 = ZIP 2012, 1561. 108) v. Frentz/Masch, ZUM 2012, 886, 887; Scholz, GRUR 2009, 1107, 1111. 109) Scholz, GRUR 2009, 1107, 1111.

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§ 32

Teil V Einzelfragen

87 Diese Annahme wird zutreffend abgelehnt.110) Aus der Rechtsprechung des BGH – die nicht im Zusammenhang mit § 103 InsO oder der Frage des Bestehens eines Aussonderungsrechts erging – könne nicht auf den insolvenzrechtlichen Charakter von einfachen Lizenzen geschlossen werden. Auch der BGH hat in aktuelleren Entscheidungen die Behandlung der Unterlizenz bei Wegfall des Hauptlizenzvertrags nicht mehr an dem „dinglichen Charakter“111) der Lizenz, sondern vielmehr an dem sog. Sukzessionsschutz festgemacht.112) Das Institut des Sukzessionsschutzes führt zur Aufrechterhaltung eines abgeleiteten Rechts (z. B. Unterlizenz) auch wenn der Inhaber des Mutterrechts das Mutterrecht überträgt.113) Die Tatsache, dass ein Recht – außerhalb eines insolvenzrechtlichen Zusammenhangs – Sukzessionsschutz genießt, begründet aber weder dessen dinglichen Charakter noch dessen Insolvenzfestigkeit.114) Mithin beurteilt sich das Recht des Lizenznehmers zur Nutzung der nicht ausschließlichen Lizenz alleine nach den Regelungen des Lizenzvertrags.115) Grundsätzlich erlöschen solche Lizenzen, mit der Beendigung des Lizenzvertrags. Die Erfüllungsablehnung gemäß § 103 InsO führt zwar nicht zum Erlöschen der vertraglichen Pflichten,116) aber, wegen der daraus resultierenden dauerhaften Undurchsetzbarkeit des Überlassungsanspruchs aus dem Lizenzvertrag, dazu, dass der Lizenznehmer das Recht verliert, das immaterielle Gut zu nutzen.117) 88 Um den Lizenznehmer in der Insolvenz des Lizenzgebers gegen die Erfüllungsablehnung abzusichern werden unterschiedliche Möglichkeiten diskutiert. Als rechtlichen Gestaltungen werden u. a. x

die Einräumung eines Nießbrauchsrechts,

x

die treuhänderische Übertragung des Immaterialgüterrechts auf eine unabhängige Gesellschaft (Doppeltreuhand) oder

x

auch die Sicherungsübertragung bzw. -verpfändung des lizensierten Schutzrechts angeführt.118)

89 Solche Gestaltungen sind im Einzelfall auf ihre Insolvenzfestigkeit zu durchleuchten, z. B. unter dem Gesichtspunkt der Umgehung von § 103 InsO (vgl. § 119 InsO).119) Als ___________ 110) Ganter, NZI 2011, 833, 835; Brinkmann, NZI 2012, 735, 737; Berger, GRUR 2013, 321, 324; RaeschkeKessler/Christopeit, ZIP 2013, 345, 349; Fischer, WM 2013, 821, 828 f.; Rüther, NZI 2016, 103, 104; Dahl/Schmitz, NZI 2013, 878, 879. 111) Der BGH hat in den Entscheidungen „M2Trade“ und „Take Five“ nicht erneut auf einen dinglichen Charakter des durch die Lizenz begründeten Nutzungsrechts hingewiesen; so zuvor noch BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 69/08 (Vorschaubilder), ZIP 2010, 5 = NJW 2010, 2731, 2734; BGH, Urt. v. 26.3.2009 – I ZR 153/06 (Reifen-Progressiv), NJW-RR 2010, 186, 189. 112) Brinkmann, NZI 2012, 735, 737; Berger, GRUR 2013, 321, 324; Raeschke-Kessler/Christopeit, ZIP 2013, 345, 347; Rüther, NZI 2016, 103, 104 weist auch darauf hin, dass der BGH (BGH, Urt. v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, NZI 2016, 97) den (angeblich) „dinglichen“ Charakter der Lizenz nicht angesprochen habe. 113) Berger, GRUR 2013, 321, 323; der Sukzessionsschutz für Lizenzen lässt sich aus § 33 Satz 2 UrhG, § 30 Abs. 5 MarkenG, § 31 Abs. 5 GeschmMG, § 15 Abs. 3 Fall 1 PatG, § 22 Abs. 3 Fall 1 GebrMG herleiten. 114) Brinkmann, NZI 2012, 735, 738; Ganter, NZI 2011, 833, 836; McGuire, GRUR 2009, 13, 16; Dahl/ Schmitz, BB 2013, 1032, 1035; Fischer, WM 2013, 821, 829. 115) Die einfache Lizenz ist untrennbar mit dem schuldrechtlichen Vertrag verbunden, vgl. KG Berlin, Beschl. v. 23.4.2012 – 20 SCHH 3/09, NZI 2012, 759, 761 = ZIP 2012, 990. 116) Materiell-rechtlich lässt die Erfüllungsablehnung den Vertrag unberührt, vgl. Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 103 Rz. 157; Braun-Kroth, InsO, § 103 Rz. 51. 117) Ganter, NZI 2011, 833, 838; Brinkmann, NZI 2012, 735, 739. 118) Vgl. hierzu Schmid/Kampshoff, GRUR-Prax 2009, 50; Ganter, NZI 2011, 833, 837 f. unter Hinweis auf Berger, GRUR 2004, 20, 22; Bork, NZI 1999, 337, 339 ff.; Hölder/Schmoll, GRUR 2004, 830, 831 ff. 119) Ganter, NZI 2011, 833, 837 f. unter Hinweis auf Berger, GRUR 2004, 20, 22; Bork, NZI 1999, 337, 339 ff.; Hölder/Schmoll, GRUR 2004, 830, 831 ff.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 32

wirtschaftlicher Anreiz für die Insolvenzmasse wird zudem vorgeschlagen, in dem Lizenzvertrag entsprechende Regelungen aufzunehmen. So wird z. B. vorgeschlagen gestaffelte Lizenzgebühren über den gesamten, im Lizenzvertrag vorgesehenen, Nutzungszeitraum zu vereinbaren, so dass der Insolvenzverwalter aufgrund der weiteren erwarteten Zahlungseingänge geneigt ist Erfüllung zu wählen.120) Gleichwohl kann hierdurch nicht die Verwertung der Lizenz sichergestellt, sondern nur ein möglicher Schaden begrenzt werden.121) 4.2

Lizenzen in der Insolvenz des Lizenznehmers

Unabhängig davon, ob man der einfachen Lizenz – wie der ausschließlichen Lizenz – einen 90 dinglichen Charakter zuspricht122) – fallen die schuldrechtlichen Ansprüche aus dem Lizenzvertrag in die Insolvenzmasse des Lizenznehmers.123) Ob der Insolvenzverwalter die Lizenzen daher für die Masse weiterhin nutzen oder verwerten kann, hängt davon ab, ob er die Erfüllung des noch nicht vollständig erfüllten – und bislang ungekündigten124) – Lizenzvertrages verlangt oder ablehnt (§ 103 InsO).125) Wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrages kann er die Lizenz nach den im Vertrag vorgesehenen Bedingungen weiternutzen, der Anspruch des Lizenzgebers auf Lizenzgebühr des Lizenzgebers wird zur Masseforderung (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO).126) Trotz der Möglichkeit Lizenzen grundsätzlich mittels Erfüllungswahl nach der Insolvenz- 91 eröffnung weiter zu nutzen, besteht oftmals die Problematik, dass diese aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung des Lizenzvertrags unübertragbar und damit rechtsträgergebunden sind. Eine Verwertung i. R. einer übertragenden Sanierung ohne Mitwirkung des Lizenzgebers scheidet damit aus. Allerdings soll der Lizenzgeber diese Zustimmung zur Übertragung im Insolvenzfall nicht treuwidrig verweigern dürfen.127) Im Zusammenhang mit dem Urheberrecht unterliegenden Softwarelizenzen hat der BGH vor dem Hintergrund des einer fraglichen konkludenten Zustimmung angenommen, dass bei der Weiterübertragung im Zuge der Verwertung der Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter in der Regel für den Urheber keine vernünftigen Gründe vorlägen, darauf zu bestehen, dass nur der ursprüngliche Vertragspartner das Werk nutzt. Zudem sei der Rechtsinhaber gehalten, seine Zustimmung zur Weiterübertragung nicht wider Treu und Glauben zu verweigern (§ 34 Abs. 1 Satz 2 UrhG).128) Unter anderem vor dem Hintergrund dass die Übertragung rechtträgergebundener Vermö- 92 genswerte grundsätzlich der Zustimmung des Lizenzgebers bedarf, sind i. R. des ESUG die Vorschriften zur Sanierung des insolventen Rechtsträgers (Lizenznehmers) mittels Insolvenzplan ergänzt worden, um dieses Sanierungsinstrument handhabbarer und damit attraktiver zu machen;129) bei dieser Sanierungsvariante bedarf es keiner Übertragung der Lizenz. Um zu verhindern, dass die – durch §§ 217, 225a InsO möglichen – Änderungen der Gesellschafterstrukturen der insolventen Gesellschaften Lizenzgebern Kündigungsrechte ___________ 120) 121) 122) 123) 124) 125) 126) 127) 128) 129)

Commandeur in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 36 Rz. 399. Commandeur in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 36 Rz. 399. Vgl. zu der Diskussion eines dinglichen Charakters der Lizenz Rz. 85 ff. Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 322. Hier sind insbesondere die zwingenden Kündigungsbeschränkungen der §§ 112, 119 InsO zu berücksichtigen. Berger, ZInsO 2013, 569, 572. Heye/Lachmann in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 44 Rz. 71. Berger, ZInsO 2013, 569, 576 f. BGH, Urt. v. 3.3.2005 – I ZR 111/02 (Fash 2000), NJW-RR, 2005, 1403, 1405. Vgl. RegE v. 23.2.2011, BR-Drucks. 127/11, S. 42, der ausdrücklich Lizenzen als rechtsträgergebundene Positionen nennt.

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§ 32

Teil V Einzelfragen

geben („change-of-control-clauses“), wurde § 225a InsO im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens um Absatz 4 ergänzt.130) Danach berechtigen Änderungen in der Gesellschafterstruktur durch Insolvenzplan, nicht zum Rücktritt oder zur Kündigung von Verträgen und führen auch nicht zu einer anderweitigen Beendigung der Verträge. Auch entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen sind danach unwirksam. 4.3

Rückblick: Gesetzgebungsvorhaben

93 Der Gesetzgeber hat sich in der Vergangenheit in zwei Gesetzgebungsinitiativen mit der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen befasst. x

Der erste – letztlich nicht in Kraft getretene – Ansatz (§ 108a InsO-RegE 2007)131) sah die Einführung eines § 108a InsO vor, durch den § 103 InsO in Bezug auf Lizenzen ausgeschlossen werden sollte. Danach sollte der Lizenzvertrag für solche Haupt- und Nebenpflichten fortbestehen, die für die Nutzung des lizenzierten Rechts unerlässlich sind. § 108a Satz 3 und 4 InsO-RegE 2007 sah zudem eine Preisanpassungsregel für den Fall vor, dass die Lizenz nach Insolvenzeröffnung fortbesteht.

x

In der Fassung des RefE eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, zur Stärkung der Gläubigerrechte und zur Insolvenzfestigkeit von Lizenzen sah § 108a InsO-RefE 2012 nunmehr vor, dass das Insolvenzverwalterwahlrecht des § 103 InsO bei Lizenzverträgen unberührt bleibt. Die Auswirkungen dieses Wahlrechts wurden aber insoweit abgemildert, dass der Lizenznehmer für den Fall, dass der Insolvenzverwalter des Lizenzgebers die Erfüllung des Lizenzvertrages ablehnt, vom Insolvenzverwalter oder Rechtsnachfolger den Abschluss eines neues Lizenzvertrages binnen eines Monats nach Ablehnungszugang verlangen kann (vgl. § 108a Abs. 1 InsO-RefE 2012). Bis zum Abschluss des neuen Lizenzvertrages darf der Lizenznehmer das lizensierte Recht weiternutzen (vgl. § 108a Abs. 3 InsO-RefE 2012). § 108a Abs. 2 InsO-RefE 2012 lag die Vorstellung zu Grunde, dass bei Erlöschen des Hauptlizenzvertrages auch die Unterlizenz endet, so dass auch dem Unterlizenzgeber ein Anspruch auf Abschluss eines neuen Lizenzvertrages eingeräumt wurde. Im Ergebnis hat der Gesetzgeber § 108a InsO-RefE 2012 im RegE132) nicht mehr vorgesehen, so dass diese Regelung dann auch nicht Gesetz wurde.133)

5.

Sicherungsrechte an immateriellen Wirtschaftsgütern und Lizenzen – Einzelne Aspekte

94 An Immaterialgüterrechten bestehen häufig Absonderungsrechte (§§ 50 f. InsO) in Form von Sicherungsübertragungen oder Verpfändungen. Die Sicherungsübertragung führt dazu, dass dem Sicherungsgeber das Recht zur Nutzung des immateriellen Wirtschaftsguts nicht mehr zusteht.134) Soweit das Immaterialgüterrecht aber von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für den Produktionsprozess des Sicherungsgebers ist – was in diesen Fällen regelmäßig der Fall sein dürfte, da es ansonsten faktisch mangels Wert keinen wesentlichen Sicherungsvorteil für den Kreditgeber bringt – ist eine Rücklizensierung erforderlich. ___________ 130) Vgl. hierzu Stellungnahme des Bundesrats v. 15.4.2011, S. 13, BR-Drucks. 127/11 (Beschluss); vgl. zur Kritik an der ursprünglichem Entwurf Brinkmann, WM 2011, 97, 100; Simon, CF Law 2010, 448, 457. 131) RegE eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen v. 5.12.2007, BT-Drucks. 16/7416, S. 1. 132) RegE eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, zur Stärkung der Gläubigerrechte und zur Insolvenzfestigkeit von Lizenzen v. 10.8.2012, BR-Drucks. 467/12. 133) Gottwald-Huber, Hdb. InsR, § 37 Rz. 53. 134) Berger, ZInsO 2013, 569, 577.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen im Rahmen der Betriebsfortführung

§ 32

Besondere Relevanz kommt der Frage zu, wem die Verwertungsbefugnis bei absonderungs- 95 rechtsbelasteten Immaterialgüterrechten in der Insolvenz zusteht.135) Maßgeblich ist hierbei die Auslegung von § 166 Abs. 2 InsO, der dem Insolvenzverwalter das Recht zur Verwertung sicherungsabgetretener „Forderungen“ gibt. Hierbei ist in einem ersten Schritt zwischen der Verpfändung und der Sicherungsübertragung des Immaterialgüterrechts zu unterscheiden. In der Begründung zum RegE-InsO wird ausgeführt, dass eine verpfändete Forderung 96 des Schuldners nicht in den Anwendungsbereich des § 166 Abs. 2 InsO fallen soll, so dass die Verwertungsbefugnis beim Pfandgläubiger liegt.136) Dementsprechend steht dem Insolvenzverwalter bei einer Verpfändung von Immaterialgüterrechten kein Verwertungsrecht zu. Im Hinblick auf die Verwertungsbefugnis sicherungsabgetretener (Immaterialgü- 97 ter-)Rechte ist in der Rechtsprechung ungeklärt und in der Literatur umstritten, ob diese beim Sicherungsnehmer137) oder analog § 166 InsO beim Insolvenzverwalter liegt.138) Eine Analogiebildung wird mit der Rechtslage unter Geltung der KO – nach der dem Verwalter eine Verwertungsbefugnis zustand – gerechtfertigt, da nicht anzunehmen sei, dass an dem bisherigen Rechtszustand etwas geändert werden sollte.139) Liegt die Verwertungsbefugnis nicht beim Insolvenzverwalter könnte eine Unternehmensfortführung erschwert werden, da die wirtschaftliche Einheit (z. B. Maschine und Patent) zerrissen werden könnte.140) Gegen eine Analogie spricht indes der eindeutige Wortlaut des § 166 Abs. 2 InsO, nachdem nur „Forderungen“ und nicht auch „sonstige Rechte“ erfasst sind. Eine Analogiebildung würde mithin die deutliche Entscheidung des Gesetzgebers gegen ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters missachten.141)

___________ 135) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rz. 14; Braun-Dithmar, InsO, § 166 Rz. 18; Berger, ZInsO 2013, 569, 578. 136) BT-Drucks. 12/2443, S. 178 f.; so auch BGH, Urt. v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, Rz. 15, ZIP 2013, 987 = BeckRS 2013, 07710 m. w. N.; a. A. Marotzke, ZZP 109 (1996), 429, 447 f. 137) Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 166 Rz. 66 m. w. N.; Gundlach/Frenzel/N. Schmidt, NZI 2001, 119, 123; Landfermann in: HK-InsO, § 166 Rz. 19; Wallner, ZInsO 1999, 453, 454. 138) Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 166 Rz. 35; Braun-Dithmar, InsO, § 166 Rz. 18; Berger, ZInsO 2013, 569, 578. 139) Marotzke, ZZP 109 (1996), 429, 450; Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 166 Rz. 35. 140) Berger, ZInsO 2013, 569, 577. 141) Wallner, ZInsO 1999, 453, 454; Gundlach/Frenzel/N. Schmidt, NZI 2001, 119, 123.

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§ 33 Betriebsfortführung in Sonderfällen Übersicht I. Einführung .................................................. 1 II. Insolvenzrecht versus sonstige Rechtsgebiete (Berufs-/Verbandsrecht) .................................................. 8 III. Die Betriebsfortführung der freien Berufe ......................................................... 13 1. Ärzte und Ärztinnen/Zahnärzte und Zahnärztinnen ............................................ 14 1.1 Allgemeines ..................................... 14 1.2 Modelle der Fortführung einer Arztpraxis........................................ 19 1.3 Offenlegung der Honorarforderungen gegenüber dem Insolvenzverwalter .................................. 25 1.4 (Un-)Wirksamkeit von Vorausabtretungen der Forderungen gegen die kassenärztliche Vereinigung ........................................... 26 2. Apotheker/Apothekerinnen...................... 36 3. Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnen ........... 39 3.1 Allgemeines ..................................... 39 3.2 Keine Widerlegung der Vermutung durch bloße Eröffnung des Insolvenzverfahrens ................. 44 3.3 Widerlegung der Vermutung durch Ankündigung der Restschuldbefreiung............................... 45 3.4 Widerlegung der Vermutung durch Wechsel in ein Angestelltenverhältnis ............................. 50 3.5 Widerlegung der Vermutung durch einen Insolvenzplan ............. 53

3.6

Kompetenzkonflikt zwischen Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter .......................................... 58 4. Steuerberater/Steuerberaterinnen ............. 60 5. Wirtschaftsprüfer/Wirtschaftsprüferinnen ....................... 61 6. Architekten/Architektinnen ..................... 65 IV. Die Betriebsfortführung des Profifußballvereins ................................... 69 1. Rechtliche und tatsächliche Ausgangslage................................................... 70 2. Vorrang der InsO bzw. des staatlichen Rechts ......................................................... 81 2.1 Kein Vorrang der Vertragsautonomie........................................ 82 2.2 Wirksamkeit der Regelungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bzw. ihrem Wegfall ......... 86 2.2.1 Wegfall der Leistungsfähigkeit und Insolvenz eines Vereins in der Lizenzliga.............................. 94 2.2.2 Automatischer Entzug der Lizenz mit Verfahrenseröffnung................ 98 2.2.3 Wegfall der Leistungsfähigkeit und Insolvenz eines Vereins in der dritten Liga und Amateurligen........102 2.2.4 Regelungen zum Erlöschen von Lizenzen bzw. Zulassungen ......... 112 2.3 Anwendbarkeit und Vorrang der §§ 1, 103, 119 InsO ................ 114 3. Besonderheiten in der Kommunikation.....124 V. Zusammenfassung .................................. 127

Literatur: Adolphsen, Lizenz und Insolvenz von Sportvereinen, KTS 2005, 53; Akhamal/Jantos/Panthel/ Simon, Kommunikation in der Krise – eine Fallstudie am Beispiel der Insolvenz der Handballbundesligamannschaft TUSEM Essen, InsbürO 2009, 406; Dworak, Finanzierung für Fußballunternehmen – Erfolgreiche Wege der Kapitalbeschaffung, 2010; Ehlers, Vermeidung des Widerrufs der Zulassung als kammergebundener Freiberufler wegen Vermögensverfalls, NJW 2008, 1480 ; Fritzweiler/Pfister/ Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, 3. Aufl., 2014; Graf/Wunsch, Nochmals: Insolvenzplan und Eigenverwaltung – Ein gangbarer Weg auch in der Insolvenz von Rechtsanwälten, Notaren und Steuerberatern?, ZVI 2005, 105; Graf/Wunsch, Eigenverwaltung und Insolvenzplan – gangbarer Weg in der Insolvenz von Freiberuflern und Handwerkern?, ZIP 2001, 1029 ; Gutzeit, Die Vereinsinsolvenz unter besonderer Berücksichtigung des Sportvereins, 2003; Haas, Die Auswirkungen der Insolvenz auf die Teilnahmeberechtigung der Sportvereine am Spiel- und Wettkampfbetrieb, NZI 2003, 177 ; Heermann (Hrsg.), Lizenzentzug und Haftungsfragen im Sport, 2005; Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar, 4. Aufl., 2014; Kleine-Cosack, Verschärfte Voraussetzungen beim Widerruf freiberuflicher Zulassungen, NJW 2004, 2473 ; Kluth, Die freiberufliche Praxis „als solche“ in der Insolvenz – „viel Lärm um nichts“?, NJW 2002, 186 ; Koch, Die Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts, 2008; König/de Vries, Nach dem Spiel ist vor dem Spiel? – Auswirkungen der Insolvenz eines Fußballbundesligavereins auf die Spiellizenz, SpuRt 2006, 96 ; Korff, Der Fall Alemannia Aachen – Die Rechtswirksamkeit der Lösungs- und Insolvenzklauseln in den DFB-Regelwerken, ZInsO 2013, 1277; Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf die Rechtsverhältnisse von Proficlubs, Diss., 2007; Pfister, Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf Verbandsmitgliedschaft,

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§ 33

Teil V Einzelfragen

SpuRt 2002, 103 ; Reichert, Sportverbandslizenzen im Bereich des Profimannschaftssports – Teil 1, SpuRt 2003, 3; Ries, Die Praxis des Vertragsarztes in der Insolvenz; die Masse zahlt alle Betriebskosten und die Bank kassiert das Honorar?, ZInsO 2003, 1079; Schick, Der Konkurs des Freiberuflers – Berufsrechtliche, konkursrechtliche und steuerrechtliche Aspekte, NJW 1990, 2359; Schmittmann, Vermögensverfall und Widerruf der Bestellung bei freien kammergebundenen rechts- und steuerberatenden Berufen, NJW 2002, 182 ; Scholze, Grenze richterlicher Ermessensentscheidung: Die Ablehnung der Eigenverwaltung bei zwingender Einstellung des Geschäftsbetriebes im Falle der Bestellung eines Insolvenzverwalters?, NZI 2015, 923; Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2. Aufl., 2014; Uhlenbruck, Insolvenzrechtliche Probleme der vertragsärztlichen Praxis, ZVI 2002, 49 ; Vallender, Die Arztpraxis in der Insolvenz, in: Festschrift für Friedrich Wilhelm Metzeler, 2003, S. 21; Walker, Zur Zulässigkeit von Insolvenzklauseln in den Satzungen der Sportverbände, KTS 2003, 169 ; Zeuner/Nauen, Der Lizenzligaverein in der Krise – Auswirkungen und Lösungsansätze in sportlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, NZI 2009, 213 ; Ziegler, Aktuelle Rechtsfragen der Insolvenz von Ärzten, Medizinischen Versorgungszentren, Krankenhäusern und Pflegeheimen, ZInsO 2014, 1577.

I.

Einführung

1 Die Entscheidung zur Fortführung des Geschäftsbetriebes mit dem Ziel der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger und dem weiteren Verfahrensziel der Sanierung beruht zunächst auf betriebswirtschaftlichen sowie Potential- und Ursachenanalysen. In der Praxis werden die Entscheidung zur Fortführung und ihre Durchführung jedoch auch von Faktoren beeinflusst, die in der Eigenart der Unternehmung liegen und nicht allein durch betriebswirtschaftliche Mittel zu steuern sind. Um das Ziel einer wirtschaftlich sinnvollen Fortführung effektiv erreichen zu können, geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den (vorläufigen) Insolvenzverwalter über, § 80 Abs. 1 InsO. Zumindest erfolgt über die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO, oder Sachwalters, § 270c InsO, eine Überwachung und Steuerung der Betriebsfortführung. Der (vorläufige) Insolvenzverwalter übernimmt daher die wirtschaftliche (Mit-)Verantwortung für das Unternehmen. 2 Dies ist bei kaufmännisch betriebenen Unternehmen, die ihre Einkünfte über den Einsatz von Kapital erwirtschaften, unproblematisch, da der Insolvenzverwalter in der Regel die nötige Geschäftskundigkeit mit sich bringen wird, wie es § 56 Abs. 1 InsO verlangt. Darüber hinaus kann sich der Insolvenzverwalter fachkundigen Personals bedienen. 3 Anders liegt die Situation jedoch, wenn der Wert des Unternehmens gerade in den persönlichen Fähigkeiten des insolventen Schuldners liegt, wie es bei den freien Berufen der Fall ist. Auch freiberufliche Praxen stellen Unternehmen dar, die von der InsO erfasst werden.1) Dies wird durch § 35 Abs. 2 InsO klargestellt, der allgemein selbstständige Tätigkeit erfasst, zu der auch die freien Berufe zu rechnen sind. Die Übernahme der Verantwortung für diese Unternehmen durch den Insolvenzverwalter ist insbesondere unter zwei Gesichtspunkten problematisch: x

Zum einen wird es dem Insolvenzverwalter oftmals an der erforderlichen Qualifikation fehlen.2) So wird bspw. im Falle eines insolventen Arztes ein Insolvenzverwalter regelmäßig nicht über die zum Betrieb einer Praxis notwendige Approbation verfügen.

x

Zum anderen fußt der Wert des Unternehmens auf den persönlichen Bindungen der Kunden zum insolventen Schuldner. Den Kunden geht es also nicht bloß um die Inanspruchnahme irgendeiner Dienstleistung. Wesentlich ist oftmals, dass genau der bestimmte Arzt oder Rechtsanwalt diese vornimmt. Denn im Gegensatz zu anderen Dienstleistungen sind die freien Berufe durch das persönliche Vertrauensverhältnis

___________ 1) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 268, 276. 2) Kluth, NJW 2002, 186, 188; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1033.

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Betriebsfortführung in Sonderfällen

zum Kunden geprägt.3) Dieses kann naturgemäß nicht vom Insolvenzverwalter übernommen werden. Darüber hinaus müssen die Kunden in die Überlassung ihrer Unterlagen zur Einsicht und ggf. zur Weiterführung der Angelegenheiten durch den Insolvenzverwalter einwilligen.4) Auch dies erweist sich als Hürde für die Betriebsfortführung. Einen weiteren Sonderfall in der Betriebsfortführung stellen Insolvenzen von Vereinen, 4 insbesondere von Sportvereinen und die von ihnen gehaltenen Kapitalgesellschaften, dar. Durch ihre zunehmende wirtschaftliche Beteiligung gewinnen diese erheblich an Bedeutung. Die Vermögenswerte eines professionell am Markt teilnehmenden Sportvereins, z. B. in Form von Werbe-, und Sponsoringverträgen und Merchandising, stehen in der Regel in unmittelbarem Zusammenhang mit der Fortführung des Spielbetriebes. Eine bestmögliche Befriedigung der Gläubiger wird in diesen Fällen daher nur durch eine Fortführung des Spielbetriebes zu erreichen sein. Auch die Teilnahme des Vereins am Spielbetrieb ist von der InsO erfasst, unabhängig 5 davon, ob es sich um eine korporationsrechtliche oder durch Lizenzvertrag vermittelte Teilnahmeberechtigung handelt. Zwar ist umstritten, ob eine korporationsrechtliche Teilnahmeberechtigung, also eine Teilnahmeberechtigung aus der Mitgliedschaft in einem Verband i. S. des § 38 BGB selbst übertragbar und verwertbar ist; nach einhelliger Auffassung unterliegt sie aber in jedem Fall insoweit dem Insolvenzbeschlag, als dass der Insolvenzverwalter das Teilnahmerecht durch Teilnahme am vom Verband organisierten Spielund Wettkampfbetrieb ausüben kann.5) Für den Insolvenzbeschlag der vertraglich gewährten Lizenz gilt selbiges. Die Befugnis des Insolvenzverwalters zur Teilnahme ergibt sich hierbei nach der Maßgabe des § 857 Abs. 3 ZPO.6) Mit wirtschaftlicher Krise und Insolvenz der Sportvereine geht jedoch ein ausdifferenziertes 6 Sanktionensystem der den Profisport organisierenden Verbände einher, welches trotz der Teilnahmerechte eine Fortführung nachhaltig erschwert. Bei der Entscheidung ob und in welchem Umfang eine Fortführung des Geschäftsbetriebes 7 vorgenommen wird, sind daher auch die der Unternehmung immanenten Besonderheiten, hier anhand der freien Berufe und am Beispiel des Profifußballvereins, zu berücksichtigen. II.

Insolvenzrecht versus sonstige Rechtsgebiete (Berufs-/Verbandsrecht)

Stellt die Fortführung einer Unternehmung die Möglichkeit zur bestmöglichen Befriedi- 8 gung der Gläubiger, dar, steht die Erfüllung dieser gesetzlichen Pflicht des Insolvenzverwalters zur Fortführung gleichzeitig in einem Spannungsverhältnis mit Vorschriften anderer Rechtsgebiete. Im Rahmen der freien Berufe spielen hier besonders berufsrechtliche Regelungen, i. R. des Spielbetriebes von Sportvereinen das verbandsrechtliche Sanktionensystem eine Rolle. Diese haben andere Schutzrichtungen als die InsO. Die InsO dient in erster Linie der 9 gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger.7) Zielsetzung der Verbandsrechte ist es, insolvente Mitglieder möglichst aus dem Spielbetrieb zu entfernen, um den Ligabetrieb wirtschaftlich sicherzustellen.8) Die Berufsrechte dienen regelmäßig dem Schutz der All___________ Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1031; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 282. Kluth, NJW 2002, 186, 188. Adolphsen in: Heermann, S. 65, 74; Reichert, SpuRt 2003, 3, 6. Adolphsen in: Heermann, S. 65, 74; Reichert, SpuRt 2003, 3, 6; ausführlich zum Streitstand: Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 128 ff. 7) Braun-Kießner, InsO, § 1 Rz. 2. 8) Vgl. Präambel der Lizensierungsordnung (LO) des Ligaverbandes, Stand: 27.3.2015, abrufbar unter: http://s.bundesliga.de/assets/doc/660000/656428_original.pdf (Abrufdatum: 2.4.2016).

3) 4) 5) 6)

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§ 33

Teil V Einzelfragen

gemeinheit. So sollen z. B. §§ 5, 23 ApoG zum Schutz der Volksgesundheit verhindern, dass jemand anderes als ein approbierter Apotheker den Betrieb einer Apotheke leitet. Dies kann sich im Falle einer Insolvenz mit Blick auf § 80 Abs. 1 InsO auswirken, wonach dem Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Masse gehörende Vermögen des Schuldners zukommt. 10 Auch aus anderen Gründen können Berufsregeln mit dem Insolvenzrecht in Konflikt geraten. So sehen insbesondere die Berufsordnungen für rechts- und steuerberatende Berufe zum Schutze Dritter den Entzug der Zulassung bei Vermögensverfall vor. Zu nennen sind hier die Vorschriften § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG und § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO. Eine Insolvenz geht aber regelmäßig mit einem Vermögensverfall einher. Die strikte Anwendung der Berufsrechte hätte dann stets zur Folge, dass der Freiberufler seine Zulassung verlöre; die Möglichkeit einer Betriebsfortführung schiede aus. 11 Dieses Ergebnis kann in dieser Absolutheit keinen Bestand haben. § 1 Satz 1 InsO stellt gerade zwei Wege zur Gläubigerbefriedigung zur Auswahl.9) Mit Blick auf § 35 Abs. 2 InsO, der auch selbstständige Tätigkeit in den Anwendungsbereich der InsO miteinbezieht, zu der die freien Berufe zu zählen sind, ist es nicht hinnehmbar, dass den Gläubigern eine dieser Möglichkeiten, die darüber hinaus regelmäßig die lukrativere sein wird, von vornherein genommen wird. Dies muss umso mehr nach Einführung des ESUG gelten, das grundsätzlich eine Sanierung des Betriebes erleichtern will.10) Eine solche ist in der Regel nur mit einer Betriebsfortführung zu erreichen. 12 Gleiches muss für Sportvereine bzw. die von ihnen betriebenen Kapitalgesellschaften gelten. Der in vielen Verbandsregelungen vorgesehene Lizenzentzug als unmittelbare Folge der Insolvenzeröffnung dürfte regelmäßig zur Stilllegung der Unternehmung führen und damit in einem Spannungsverhältnis zu den Zielen der InsO stehen. III.

Die Betriebsfortführung der freien Berufe

13 Auf welche Weise der Betrieb eines Freiberuflers in der Insolvenz fortgesetzt werden kann, ist für den jeweiligen Einzelfall anhand Besonderheiten des jeweiligen Berufsbildes zu beantworten. 1.

Ärzte und Ärztinnen/Zahnärzte und Zahnärztinnen

1.1

Allgemeines

14 Im Fall der Insolvenz von Ärzten und Zahnärzten wird nach ganz überwiegender Ansicht der gesamte Praxisbetrieb vom Insolvenzbeschlag erfasst.11) Das bedeutet, dass über den reinen Sachwert der darin enthaltenen Gegenstände, der Betrieb als solcher in der Insolvenz verwertet werden kann.12) Dies umfasst gerade den immateriellen Wert der Praxis wie den Patientenstamm und den Ruf des Arztes in der Öffentlichkeit.13) 15 Dieser immaterielle Wert, der sog. goodwill der Praxis, macht regelmäßig den Vermögenskern aus.14) Zwar verfügen Arztpraxen häufig über eine im Anschaffungszeitpunkt hoch___________ 9) Schmittmann, NJW 2002, 182, 185. 10) RegE eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, BT-Drucks. 17/ 5712, S. 17. 11) Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 507; Uhlenbruck, ZVI 2002, 49. 12) Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 507; Vallender in: FS Metzeler, S. 26; UhlenbruckHirte, InsO, § 35 Rz. 282. 13) Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 507; Vallender in: FS Metzeler, S. 27; UhlenbruckHirte, InsO, § 35 Rz. 282. 14) Vallender in: FS Metzeler, S. 27.

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Betriebsfortführung in Sonderfällen

preisige medizinische Ausstattung. Allerdings schreitet die Medizintechnik schnell fort, so dass Geräte in Arztpraxen häufig nicht mehr auf dem aktuellen Stand sind und deshalb bei der Verwertung bei weitem nicht mehr ihren Einkaufspreis erzielen. Eine für die Gläubiger bessere Befriedigungsmöglichkeit ergibt sich in der Regel dadurch, sich den immateriellen Wert der Praxis für sich nutzbar zu machen. Dies ist faktisch nur durch eine Betriebsfortführung möglich.15) Es ist allgemein anerkannt, dass eine Veräußerung des gesamten Praxisbetriebes zulässig ist;16) der Patientenstamm, und damit der eigentliche Wert der Praxis, ist aber aufgrund der Höchstpersönlichkeit der ärztlichen Dienstleistung untrennbar mit dem Schuldner verbunden. Dies stellt i. R. der Verwertung grundsätzlich kein rechtliches Hindernis dar, wird sich aber negativ auf den Kaufpreis auswirken. Eine Betriebsfortführung wird daher in vielen Fällen die günstigere Verwertungsmöglichkeit darstellen, indem die Gläubiger an den Erlösen aus der Fortführung der Praxis partizipieren. Dies gilt umso mehr, als die Gründe für die Insolvenz nicht selten außerhalb des Praxisbetriebes liegen.17) Häufige Insolvenzursachen sind zu hohe Privatentnahmen oder Fehlinvestitionen in sog. „Steuersparmodelle“,18) bei einer im Übrigen ertragreichen Praxis. Die Betriebsfortführung einer Arztpraxis wirft aber spezifische Probleme auf, die es zu lösen 16 gilt. Dabei ist anerkannt und unproblematisch, dass ein Insolvenzverwalter die Praxis fortsetzen kann, wenn er die hierfür nach § 2 BÄO nötig Qualifikation aufweist,19) also ein approbierter Arzt ist. Dies ist bei der ganz überwiegenden Zahl der Insolvenzverwalter jedoch nicht der Fall. Der Insolvenzverwalter darf also den Praxisbetrieb nicht selbst fortführen, weil er andernfalls gegen § 2 BÄO verstoßen würde.20) Gleiches gilt für den vorläufigen Insolvenzverwalter, unabhängig, ob es sich um sog. „schwachen“ Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt oder den sog. „starken“ Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis handelt. Des Weiteren hängt der zu realisierende goodwill der Praxis auch an der Person des Schuldners, da die Patienten zu ihm ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben.21) Der Insolvenzverwalter kann den Schuldner daher nicht ersetzen; es kommt vielmehr auf 17 eine Zusammenarbeit mit dem Schuldner an, will man die Betriebsfortführung erfolgreich gestalten.22) Eine erfolgreiche Zusammenarbeit hängt aber von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich der Bereitschaft des Schuldners zur Fortführung seiner Praxis. Denn eine rechtliche Verpflichtung des Schuldners, den Praxisbetrieb fortzuführen besteht nicht.23) In der Regel wird es aber dem Interesse des Schuldners entsprechen, seinen Beruf weiter ausüben zu können.24) Außerdem besteht für den Schuldner die Aussicht, sich durch ein Insolvenzplanverfahren vor Ablauf der Wohlverhaltensphase zu entschulden und den Praxisbetrieb zu sanieren. Grundsätzlich wird daher die Fortführung des Praxisbetriebes der Zerschlagung vorzu- 18 ziehen sein.

___________ 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24)

Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1031; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 283. Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 507 – 509. Vallender in: FS Metzeler, S. 21; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 283. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1035. Vallender in: FS Metzeler, S. 25, 27. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1033. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 282. Schick, NJW 1990, 2359, 2361; Vallender in: FS Metzeler, S. 27; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 285. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 278. Vallender in: FS Metzeler, S. 24.

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§ 33 1.2

Teil V Einzelfragen Modelle der Fortführung einer Arztpraxis

19 Die Fortführung kann zunächst i. R. des Regelverfahrens durch ein Zusammenwirken des Schuldners mit dem Insolvenzverwalter erfolgen. Eine solche gemeinsame Praxisfortführung von Insolvenzverwalter und Arzt wird trotz § 2 BÄO für zulässig erachtet. Durch die Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens oder dessen Eröffnung wird die Berechtigung des Praxisbetriebes nicht berührt. Der Praxissitz ist nicht betroffen, der betroffene Arzt darf sogar unter den entsprechenden Voraussetzungen des § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV seinen Sitz verlegen.25) Der Insolvenzverwalter ordnet insofern den wirtschaftlichen Rahmen der Praxis, ein Eingriff in medizinische Fragen bleibt ihm aber verwehrt.26) Der Arzt muss in seiner Berufsausübung völlig frei bleiben, darf vor allem nicht Weisungen eines medizinischen Laien unterworfen sein.27) Hierbei kann es zu einer Kollision mit den Pflichten des Insolvenzverwalters kommen. Die Entscheidungen des Arztes über bestimmte medizinische Behandlungen können erhebliche finanzielle Folgen haben, die dann letztlich die Insolvenzmasse belasten.28) Der Verwalter dürfte den Arzt bspw. nicht daran hindern, einem gesetzlich versicherten Patienten ein Medikament zu verschreiben, das vom Budget des Arztes nicht gedeckt ist. Die Kosten hierfür würden die Masse belasten, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass hiermit gleichzeitig ein Verstoß gegen die Pflichten des Insolvenzverwalters vorliegt, mit der Folge der Haftungsgefahr des § 60 InsO.29) Der Insolvenzverwalter befindet sich somit stets in dem Spannungsverhältnis, sich nicht über das erlaubte Maß hinaus in die Tätigkeit des Arztes einmischen zu dürfen, aber gleichzeitig seiner Pflicht nachzukommen, das Beste für die Masse zu erzielen. 20 Eine Alternative hierzu stellt die Eigenverwaltung durch den Schuldner dar, §§ 270 ff. InsO. Diese hat den Vorteil, dass so eine Kollision mit dem Berufsrecht vermieden wird.30) Der Arzt bleibt unter Aufsicht eines Sachwalters handlungsbefugt. Auf diese Weise werden auch die Verfahrenskosten gesenkt, die sonst für den Insolvenzverwalter aufgewandt werden müssten. Die Eigenverwaltung im Falle einer Arztinsolvenz erscheint vor allem deshalb sinnvoll, da der Insolvenzverwalter aufgrund der berufsrechtlichen Regelungen ohnehin in seinem Wirkungskreis eingeschränkt ist. Darf er auf die medizinischen Entscheidungen, die gerade auch für die finanziellen Belange wichtig sind, keinen Einfluss nehmen, nähert sich seine Stellung der eines Sachwalters an. 21 Die Eigenverwaltung hängt letztlich aber von der Zustimmung des Insolvenzgerichts ab, § 270 Abs. 1 InsO. Von der Möglichkeit der Anordnung einer Eigenverwaltung haben in der Praxis die Gerichte nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht. Mit Einführung des ESUG haben die Regelungen der Eigenverwaltung eine erhebliche Neuerung erfahren, die den Zugang zur Eigenverwaltung erleichtern. Gemäß Absatz 2 Nr. 3 a. F. durfte die Anordnung der Eigenverwaltung nur erfolgen, wenn „nach den Umständen zu erwarten war, dass die Anordnung nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen wird”.

22 Nunmehr setzt § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO nur noch voraus, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Voraussetzung für die Ablehnung ist daher immer, dass das Gericht überhaupt Tatsa___________ 25) 26) 27) 28) 29) 30)

BSG, Urt. v. 10.5.2000 – B 6 KA 67/98 R, NZS 2001, 160, 162; Ziegler, ZInsO 2014, 1577, 1578. Schick, NJW 1990, 2359, 2362; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034. Vallender in: FS Metzeler, S. 29. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034; Vallender in: FS Metzeler, S. 29. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 287.

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§ 33

Betriebsfortführung in Sonderfällen

chen feststellt, die auf Nachteile für die Gläubiger schließen lassen. Ohne entsprechende Anknüpfungspunkte darf es die Eigenverwaltung nicht ablehnen.31) Dem Schuldner obliegt sodann die Verwaltung der Insolvenzmasse einschließlich des 23 Sicherungsgutes selbst, § 270 Abs. 1 Satz 1, § 282 InsO. Er führt die Verzeichnisse, §§ 151 ff. InsO und übt das Wahlrecht bei gegenseitigen Verträgen aus. Er erstattet darüber hinaus im Berichtstermin den Gläubigern Bericht, § 281 Abs. 2 Satz 1 InsO. Die ordnungsgemäße Verfahrensabwicklung wird hierbei durch die Befugnisse des Sachwalters gesichert, welchem die Prüfung der wirtschaftlichen Lage, § 274 Abs. 2 Halbs. 1 InsO, die Überwachung der Geschäftsführung und der Ausgaben für die Lebensführung, § 274 Abs. 2 Halbs. 2 InsO, bis hin zur Übernahme der Kassenführung (§ 275 Abs. 2 InsO) obliegen. Den Befürchtungen, dass dem Schuldner bereits im Eröffnungsverfahren die Verfügungs- 24 macht über das Unternehmensvermögen entzogen und ein „starker” vorläufiger Verwalter eingesetzt wird, wodurch das Vertrauen der Geschäftspartner in die Geschäftsleitung des Schuldners und deren Sanierungskonzept zerstört wird, ist das ESUG durch Einführung des § 270a InsO begegnet, wonach keine Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und keine Verfügungsbeschränkungen bei nicht offensichtlich aussichtlosem Antrag auf Eigenverwaltung erfolgen soll, § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO. Stattdessen erfolgt die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters, dem die Befugnisse gemäß §§ 274, 275 InsO zustehen. 1.3

Offenlegung der Honorarforderungen gegenüber dem Insolvenzverwalter

Umstritten war, inwieweit der insolvente Arzt befugt ist, dem Insolvenzverwalter Einblick 25 in offene Honorarforderungen gegen Patienten zu gewähren. Dieser Streit ist durch die Rechtsprechung mittlerweile zugunsten der Gläubigerinteressen entschieden worden.32) Der Arzt ist grundsätzlich nicht befugt, Geheimnisse, die ihm als Arzt bekannt geworden sind, zu offenbaren, § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Insofern wurde auch ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Patienten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG bejaht, dieser jedoch unter Abwägung mit dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Vollstreckungsinteresse der Gläubiger als verhältnismäßig qualifiziert.33) Die bloße Honorarforderung betreffe nur die Sozialsphäre der Patienten. Denn aus der bloßen Existenz einer Honorarforderung lasse sich nur ableiten, dass ein Arztbesuch stattgefunden habe. Dies allein sei jedoch ohnehin öffentlich wahrnehmbar gewesen.34) Die Offenbarung der Honorarforderung sei nicht geeignet, Rückschlüsse auf eine Krankheit des Patienten zu ziehen und damit dessen Intimsphäre zu verletzen.35) Der Arzt macht sich demnach nicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar, wenn er dem Insolvenzverwalter Einblick in die Honorarforderungen gegen Patienten gewährt.36) 1.4

(Un-)Wirksamkeit von Vorausabtretungen der Forderungen gegen die kassenärztliche Vereinigung

Ein weiterer Streit im Zusammenhang mit der Insolvenz einer Arztpraxis ist mittlerweile 26 ebenfalls von der Rechtsprechung entschieden worden. Die Haupteinnahmequelle eines ___________ 31) 32) 33) 34) 35)

Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 4/2012, § 270 Rz. 115. BGH, Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, ZIP 2005, 722, 723. BGH, Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, ZIP 2005, 722, 723; Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 74. BGH, Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, ZIP 2005, 722, 723. Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 386 mit dem Hinweis, dass ggf. anders zu entscheiden sei, wenn aus der Honorarforderung der Krankheitsbefund abgeleitet werden könne (z. B. Spezialist für HIV-Erkrankungen oder Schwangerschaftsabbruch); Umfassend hierzu: Ziegler, ZInsO 2014, 1577, 1578. 36) Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 74; BGH, Beschl. v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, NZI 2004, 312, 313 = ZIP 2004, 915.

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§ 33

Teil V Einzelfragen

Kassenarztes stellt regelmäßig der quartalsmäßige Anspruch gegen die kassenärztliche Vereinigung dar. Durch die Behandlung eines Kassenpatienten erlangt der Arzt grundsätzlich einen Vergütungsanspruch gegen die jeweils zuständige gesetzliche Krankenkasse.37) Aufgrund eines Gesamtvertrages gemäß § 83 SGB V zahlt die Krankenkasse nicht an den Arzt, sondern mit befreiender Wirkung an die kassenärztliche Vereinigung, § 85 Abs. 1 SGB V.38) Der Arzt hat dann wiederum einen Anspruch gegen die kassenärztliche Vereinigung auf Teilnahme an deren Honorarverteilung, §§ 87a Abs. 2, 87b Abs. 1 Satz 1 SGB V.39) Der Arzt erhält also pro Quartal eine Zahlung der kassenärztlichen Vereinigung für seine Leistungen. 27 Wurden diese Forderungen im Voraus zur Kreditsicherung an einen Sicherungsnehmer abgetreten, stellte sich die Frage, welche Auswirkungen eine zwischenzeitliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens hierauf hat. Eine Wirksamkeit der Vorausabtretungen unterstellt, hätte der Sicherungsnehmer ein Absonderungsrecht an den Forderungen, §§ 50, 51 Nr. 1 InsO. Eine Betriebsfortführung wäre damit quasi unmöglich, da die wesentliche Einnahmequelle nicht der Masse, sondern einem Absonderungsgläubiger zugutekommen würde. Die Aufgabe des Insolvenzverfahrens ist aber die gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger und nicht die eines einzelnen Absonderungsberechtigten.40) 28 Einer solchen Handhabung steht jedoch § 91 Abs. 1 InsO entgegen, der einen Rechtserwerb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließt. Nur wenn der Erwerber bereits vor der Eröffnung eine hinreichend gesicherte Rechtsposition erlangt hat, ist er im Insolvenzverfahren absonderungsberechtigt.41) Dies ist aber nur der Fall, wenn die abgetretene Forderung bereits entstanden ist.42) Dies ist bei der Forderung des Kassenarztes aber erst der Fall, wenn dieser seinen Vergütungsanspruch durch die Behandlung eines Patienten erwirbt. 29 In der Literatur43) wird dagegen teilweise vertreten, schon allein durch die Beteiligung am kassenärztlichen System erhalte der Kassenarzt einen Anspruch gegen die kassenärztliche Vereinigung, der lediglich bis zum Quartalsabschluss noch nicht fällig sei. Es handle sich quasi um einen „Arztlohn“.44) Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Der Vergütungsanspruch entsteht nämlich nicht allein durch die Beteiligung an diesem System, sondern nur für konkret geleistete Behandlungen.45) 30 Ein Absonderungsrecht besteht deshalb nur in der Höhe der Vergütung, auf die der Arzt durch Behandlungen schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Anspruch erworben hat. Alle zukünftigen Forderungen, insbesondere solche zukünftiger Quartale, können vom Sicherungsnehmer wegen § 91 Abs. 1 InsO nicht erworben werden. 31 Auch die inzwischen mit Wirkung zum 1.7.2014 aufgehobene Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO a. F. steht dem nicht entgegen.46) § 114 Abs. 1 a. F. InsO ist eine Ausnahmevorschrift zu § 91 Abs. 1 InsO47), nach der eine Verfügung nur wirksam ist, soweit sie sich ___________ 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45) 46)

BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1255. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1255. Sodan-Boecken/Bristle, Hdb. Krankenversicherungsrecht, § 17 Rz. 163. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1256; Braun-Kießner, InsO, § 1 Rz. 2. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1255. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1255. Uhlenbruck, ZVI 2002, 49, 52. Uhlenbruck, ZVI 2002, 49, 52. Ries, ZInsO 2003, 1079, 1081; BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1256. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1255; a. A.: Uhlenbruck, ZVI 2002, 49, 51; Vallender in: FS Metzeler, S. 27. 47) Löwisch/Caspers in: MünchKomm-InsO, § 114 Rz. 2.

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Mönig/Coordes

§ 33

Betriebsfortführung in Sonderfällen

auf die Bezüge für die Zeit vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende des zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonats bezieht, soweit der Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Forderung für die spätere Zeit auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge abgetreten oder verpfändet hat. Eine Vorausabtretung einer Forderung, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht, ist danach für Insolvenzverfahren, die vor dem 1.4.2014 eröffnet wurden, für die Dauer von zwei Jahren wirksam, wenn es sich bei der abgetretenen Forderung um Bezüge aus einem Dienstverhältnis handelt. Auf den Betrieb einer Arztpraxis ist § 114 Abs. 1 InsO a. F. aber nicht anwendbar. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift sind davon nur Forderungen erfasst, die durch den Einsatz der „nackten“ Arbeitskraft erwirtschaftet werden.48) Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Schuldner nämlich ohnehin nicht verpflichtet, seine Arbeitskraft der Masse zur Verfügung zu stellen.49) § 114 Abs. 1 InsO a. F. privilegiert deshalb Vorausabtretungen solcher Forderungen, deren Entstehen zugunsten der Masse sowieso nicht hätte erzwungen werden können;50) diese bleiben für den Zeitraum von zwei Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam. Eine Arztpraxis erfordert neben der Arbeitskraft des Arztes aber auch den Betrieb der 32 Praxis als solchen. Der Arzt ist bei der Durchführung seiner Tätigkeit auf Personal und medizinische Einrichtungsgegenstände angewiesen, für deren Unterhalt die Masse aufkommen müsste. Hierauf ist § 114 Abs. 1 InsO a. F. jedoch nicht anwendbar.51) Dieses Ergebnis wird auch von praktischen Erwägungen getragen. Wollte man dem Siche- 33 rungsnehmer ein Absonderungsrecht an allen zukünftig entstehenden Quartalsforderungen zusprechen, so müsste der Insolvenzverwalter dies bei seiner Entscheidung berücksichtigen, ob er den Betrieb fortführt oder einstellt. Ohne die Vergütung durch die kassenärztliche Vereinigung wird sich eine Betriebsfortführung aber kaum lohnen. Damit müsste der Betrieb zum Nachteil aller eingestellt werden. Denn auch der Sicherungsnehmer hätte davon schließlich keinen Nutzen, weil ohne die Betriebsfortführung die zur Sicherheit abgetretenen, zukünftigen Forderungen dann niemals entstehen werden.52) Vorausabtretungen von Forderungen gegen die kassenärztliche Vereinigung stehen der Betriebsfortführung aus diesem Grunde nicht im Wege. Entwickelt sich die Fortführung des Praxisbetriebes, unabhängig von der Fortführung durch 34 den (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder im Wege der Eigenverwaltung wirtschaftlich Erfolg versprechend, kann dies die idealtypische Ausgangssituation für einen Insolvenzplan darstellen, denn oft wird es naheliegen, dass die Fortführung für die Gläubiger günstiger ist als die Zerschlagung. Eine Finanzierung des Insolvenzplanes kann und wird in der Regel durch die Praxiseinnahmen erfolgen. Bei Ärzten mit Kassenzulassung wird eine Finanzierung in der Regel auch durch die Einnahmen aus Ansprüchen gegen die kassenärztlichen Vereinigungen erfolgen. Hierbei ist zu beachten, dass die Honorarbescheide der kassenärztlichen Vereinigungen (KV) in der Regel bis zum Ende des auf das Abrechnungsquartal folgenden Monats erlassen werden, wobei der Vertragsarzt monatliche Abschlagszahlungen erhalten kann. Das heißt, dass die bereits vereinnahmten Zahlungen der KV und bis dahin mit der KV noch abzurechnenden Leistungen bei Verfahrensaufhebung noch Massegegenstand sind und der Arzt frühestens über Zahlungseingänge zum folgenden Quartal verfügen kann. Es entsteht eine Unterbrechung des Liquiditätsflusses. ___________ 48) 49) 50) 51) 52)

Braun-Kroth, InsO, § 114 Rz. 3 InsO, § 35 Rz. 98. Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 98. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1256. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1256; Braun-Kroth, InsO, § 114 Rz. 3. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1256.

Mönig/Coordes

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§ 33

Teil V Einzelfragen

35 Ist bei Planerstellung die Unterbrechung des Liquiditätsflusses aufgrund der zeitlich verzögerten KV-Zahlungen zu berücksichtigen, sind auch etwaige Vorausabtretungen der kassenärztlichen Honorare insbesondere bei Freigabe der Unternehmung gemäß § 35 Abs. 2 InsO zu beachten. Nicht selten sieht die Planregelung vor, dass der Betrieb aus der Insolvenzmasse freigegeben wird. Auch wenn ein Insolvenzplan trotz positiver Fortführungsprognose nicht finanzierbar ist, kommt eine Freigabe in Betracht. Hat jedoch der Insolvenzverwalter die Freigabe eines insolventen Arztes erklärt, erfasst eine vor Verfahrenseröffnung durch den Schuldner vereinbarte Zession auch Forderungen, die nach Verfahrenseröffnung entstehen,53) die Zession lebt wieder auf.54) Führt der Vertragsarzt dann die Arztpraxis fort, so ist die KV im Falle einer Sicherungszession berechtigt die zu Gunsten des Gläubigers abgetretenen Forderungen zu bedienen.55) Der Praxis würde somit jede Liquidität mit der Folge der Betriebsstilllegung entzogen. Zum Erhalt der Praxis ist daher im Sicherungsfalle eine entsprechende Planregelung oder Vereinbarung mit dem Sicherungsgläubiger herbeizuführen. 2.

Apotheker/Apothekerinnen

36 Auch bei der Betriebsfortführung einer Apotheke sind berufsrechtliche Besonderheiten zu beachten. Anders als die rechts- und steuerberatenden Berufe ist nicht der Vermögensverfall des Apothekers von ausschlaggebender Bedeutung,56) sondern der Betrieb der Apotheke. Im Interesse der Volksgesundheit stellt das Apothekergesetz jedoch strenge Anforderungen an den Betrieb einer Apotheke.57) Gemäß § 5 ApoG ist dieser ausschließlich approbierten Apothekern vorbehalten.58) Nach § 23 ApoG ist ein Verstoß hiergegen sogar strafbewehrt. Sofern der Insolvenzverwalter daher nicht zufällig ebenfalls approbierter Apotheker ist, kann er die Leitung der Apotheke nicht nach § 80 Abs. 1 InsO übernehmen und fortsetzen. Dies soll auch für die mit dem Betrieb einer Apotheke verbundene, rein wirtschaftliche Aktivitäten gelten. Zum Wohle der Volksgesundheit soll es nicht genügen, dass der Apotheker den medizinisch-pharmazeutischen Bereich in eigener Verantwortung leitet. Vielmehr muss der Apotheker auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Apotheke selbst regeln.59) Nur so sei der Schutzzweck des ApoG gewahrt. Denn auch die wirtschaftliche Seite des Betriebes hängt unmittelbar mit der Volksgesundheit zusammen. Nur wer weiß, welche Medikamente der Gesundheit förderlich sind, kann bei Lieferanten entsprechend einkaufen. Nur wer seine finanzielle Situation selbst in der Hand hat, kann seine Produktpalette zum Wohle der Allgemeinheit gestalten. Eine Aufspaltung in den pharmazeutischen und den wirtschaftlichen Apothekenbetrieb ist nicht möglich. 37 Dem Insolvenzverwalter bleiben, sofern er nicht selbst eine Approbation besitzt, nur drei Optionen: x

Zunächst könnte er den Betrieb der Apotheke an einen anderen Apotheker verpachten, wie es § 9 ApoG vorsieht.60)

___________ 53) LG Hamburg, Urt. v. 29.6.2011 – 317 O 42/11, WM 2011, 1524; LSG Düsseldorf, Beschl. v. 12.10.2011 – L 11 KA 96/11 B ER, abrufbar unter www.justiz.nrw.de. 54) BGH, Urt. v. 18.4.2013 – IX ZR 165/12, ZIP 2013, 1181 = ZInsO 2013, 1146. 55) LSG Düsseldorf, Beschl. v. 12.10.2011 – L 11 KA 96/11 B ER, abrufbar unter www.justiz.nrw.de. 56) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 296. 57) OVG Berlin, Beschl. v. 18.6.2002 – 5 S 14.02, ZVI 2004, 620. 58) Braun-Bäuerle, InsO, § 36 Rz. 27. 59) VG Berlin, Beschl. v. 7.6.2002 – VG 14 A 51.02, ZVI 2004, 618, 619; Braun-Bäuerle, InsO, § 36 Rz. 27. 60) VG Berlin, Beschl. v. 7.6.2002 – VG 14 A 51.02, ZVI 2004, 618, 620.

1074

Mönig/Coordes

§ 33

Betriebsfortführung in Sonderfällen x

Oder er setzt einen approbierten Treuhänder ein, der den Betrieb an seiner Stelle übernimmt.

x

Schließlich bleibt noch die Möglichkeit, den insolventen Apotheker den Betrieb in Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO fortsetzen zu lassen.61)

Welche Möglichkeit ergriffen wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Ver- 38 pachtung und die Einsetzung eines Treuhänders haben den Nachteil, dass dadurch Kosten entstehen, die der Masse zur Last fallen. Die Option der Eigenverwaltung wird von der Frage abhängen, ob Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Die drohende Schließung einer Apotheke i. R. der gerichtlichen Ermessensentscheidung führt dabei dann nicht zu einer Anordnung der Eigenverwaltung, wenn schwerwiegende Umstände bekannt geworden sind, die eine zukünftige Benachteiligung der Gläubiger erwarten lassen. Dabei müssen die Anforderungen an die konkrete Gefahr der zu erwartenden Gläubigerbenachteiligung für den Fall, dass die Ablehnung der Eigenverwaltung zur Betriebseinstellung führt, sehr hoch angesetzt werden. Nach einer einzelnen Auffassung reicht es aus, dass der Apotheker, auch wenn er dies im Antrag selbst bekannt gegeben hat, sich nach § 266a StGB in der Vergangenheit strafbar gemacht habe und ein weiteres, noch nicht abgeschlossenes Ermittlungsverfahren anhängig sei, um die Ablehnung der Eigenverwaltung zu bejahen.62) Hierdurch sei die konkrete Gefahr gegeben, dass der Schuldner die geschädigten Gläubiger – hier die Sozialversicherungsträger – zur Erlangung strafmildernder Umstände befriedigen könnte.63) Diese Erwägungen tragen grundsätzlich nicht, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Schuldner die Sachverhalte offengelegt hat und tatsächlich – statt strafmildernde Umstände zu erwarten – den Tatbestand der Untreue erfüllen und damit eher die zu erwartende Gesamtstrafe erhöhen würde, soweit er die Gläubiger aus der Insolvenzmasse befriedigen würde. Darüber hinaus muss auch in Erwägung gezogen werden, dass der eingesetzte Sachwalter die Aufgabe hat, i. R. seiner Überwachung dafür Sorge zu tragen, dass dies nicht geschieht und dem AG nach § 274 Abs. 3 InsO auch unmittelbar drohende Nachteile anzuzeigen hätte.64) 3.

Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnen

3.1

Allgemeines

Auch im Falle der Insolvenz der Praxis eines Rechtsanwalts ist deren immaterieller Wert 39 regelmäßig höher als deren bloßer Sachwert. Die Gründe entsprechen im Wesentlichen denen anderer Freiberufler. Den Wert einer Kanzlei machen gerade der gute Ruf und der Mandantenstamm aus, die sich der Rechtsanwalt während seiner Tätigkeit aufgebaut hat.65) Um diesen Wert für die Gläubiger zu realisieren und damit den Verfahrenszielen der InsO nachzukommen, ist dem Rechtsanwalt eine Fortsetzung seiner Tätigkeit in der Insolvenz zu ermöglichen. Allerdings bringt das Berufsbild des Rechtsanwaltes in der Insolvenz besondere Schwierig- 40 keiten mit sich. An den Rechtsanwalt wird im Vergleich zu anderen Berufsgruppen ein erhöhter der Anspruch an seine wirtschaftliche Integrität gestellt. Aufgrund seiner Tätigkeit kommt der Rechtsanwalt typischerweise mit Fremdgeldern in Kontakt. Zu seinen ___________ 61) Dahingehend OVG Berlin, Beschl. v. 18.6.2002 – 5 S 14.02, ZVI 2004, 620; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 297. 62) AG Essen, Beschl. v. 1.9.2015 – 163 IN 14/15, ZInsO 2015, 1981 – 1982. 63) AG Essen, Beschl. v. 1.9.2015 – 163 IN 14/15, ZInsO 2015, 1981, 1982. 64) Scholze, NZI 2015, 923, 924. 65) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 282.

Mönig/Coordes

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§ 33

Teil V Einzelfragen

Pflichten gehört es, mit diesen Geldern vertrauensvoll umzugehen und sie gemäß den Vorgaben und Interessen seiner Mandanten zu verwalten. Befindet sich der Rechtsanwalt jedoch selbst in einer finanziellen Schieflage, ist das in ihn gesetzte Vertrauen regelmäßig gefährdet. Erfahrungsgemäß besteht hier die Gefahr, dass der Rechtsanwalt der Versuchung erliegt, auf anvertraute Fremdgelder zurückzugreifen, um eigene finanzielle Löcher zu stopfen und den persönlichen wirtschaftlichen Kollaps abzuwenden. Die Entnahme eines solchen „Überbrückungskredites“66) stellt regelmäßig eine erhebliche Gefahr für die Mandanten dar. Außerdem ist die Unabhängigkeit eines in wirtschaftliche Not geratenen Anwalts nicht mehr gewährleistet. Wer dringend auf Geld angewiesen ist, wird auch Mandate annehmen, denen er eigentlich nicht gewachsen ist67) oder zum Nachteil seiner Mandanten Prozesse führen, die rechtlich aussichtslos, aber für ihn finanziell lohnenswert sind. 41 Der Gesetzgeber hat diese Gefahr erkannt und begegnet ihr mit § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Danach ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtssuchenden nicht gefährdet sind.68) Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, geraten und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.69) Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbs. 2 BRAO wird ein Vermögensverfall gesetzlich vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet ist.70) Die vollständige Beweislast zur Widerlegung der Vermutung obliegt dem Rechtssuchenden.71) Die Zuständigkeit für die Überprüfung des Widerrufs liegt bei den Anwaltsgerichten und Anwaltsgerichtshöfen.72) 42 Das öffentliche Interesse am Schutz der Mandanten des Rechtsanwalts und der Schutz einer ordnungsgemäßen Rechtspflege als solcher konkurrieren nun mit dem Interesse der Insolvenzgläubiger, eine möglichst hohe Befriedigung ihrer Forderungen zu erzielen. Aus der Konzeption der InsO ergibt sich jedoch, dass § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO einer Betriebsfortführung in der Insolvenz nicht schlechthin entgegenstehen kann. § 1 Satz 1 InsO stellt nämlich die Verwertung und Verteilung des Erlöses und die Betriebsfortführung als zwei gangbare Wege zur Gläubigerbefriedigung gegenüber. § 35 Abs. 2 InsO bezieht dabei selbstständige Tätigkeiten, zu der gerade auch die freien Berufe zu zählen sind, in den Anwendungsbereich der InsO mit ein. Außerdem ist ein Widerruf der Zulassung ein erheblicher Eingriff in die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts nach Art. 12 Abs. 1 GG, der jedenfalls dann nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn es dem Anwalt gelingt, eine Gefährdung der Mandanten auszuschließen. Eine Betriebsfortführung ist also möglich, wenn gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO der Nachweis gelingt, dass trotz des Vermögensverfalls die Interessen der Rechtssuchenden nicht gefährdet sind. 43 Unlängst hat das BVerfG entschieden, dass mit Blick auf die Berufsfreiheit des Schuldners gemäß Art. 12 Abs. 1 GG und der von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Gläubiger auf eine möglichst umfangreiche Befriedigung ihrer Forderungen keine überspannten Anforderungen an diesen Nachweis gestellt werden dürfen.73) Auf der anderen Seite besteht kein Vorrang des Insolvenz- vor dem Berufsrecht. Die Rechtsanwaltskammer ist also nicht verpflichtet und auch nicht berechtigt, mit dem Widerruf zuzuwarten ___________ 66) 67) 68) 69) 70) 71) 72) 73)

Ehlers, NJW 2008, 1480, 1482. Schmittmann, NJW 2002, 182, 184. AGH NRW, Urt. v. 20.11.2015 – 1 AGH 32/15, JurionRS 2015, 34190. Henssler/Prütting-Henssler, BRAO, § 14 Rz. 29. Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 68. AGH NRW, Urt. v. 20.11.2015 – 1 AGH 32/15, JurionRS 2015, 34190. AGH NRW, Urt. v. 20.11.2015 – 1 AGH 32/15, JurionRS 2015, 34190. BVerfG, Beschl. v. 31.8.2005 – 1 BvR 912/04, NJW 2005, 3057, 3058.

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Mönig/Coordes

§ 33

Betriebsfortführung in Sonderfällen

bis Schuldner und Gläubiger Maßnahmen ergriffen haben, die eine Gefährdung der Mandanteninteressen nicht mehr vermuten lassen. Aus der Formulierung „es sei denn“ nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ergibt sich, dass der Schuldner darlegungs- und beweispflichtig ist, die gesetzliche Vermutung der Gefährdung zu widerlegen.74) 3.2

Keine Widerlegung der Vermutung durch bloße Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Keinesfalls genügt allein die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, um eine solche Gefähr- 44 dung auszuschließen. Zwar führt das Insolvenzverfahren zu einer Offenlegung der wirtschaftlichen Situation des Rechtsanwalts und zu einem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen auf den Insolvenzverwalter. Insofern könnte wieder von „geordneten Verhältnissen“ ausgegangen werden. Die Insolvenzeröffnung begründet aber gerade die Vermutung, dass ein Vermögensverfall vorliegt. Folglich kann dies nicht zugleich zu einer Widerlegung dieser Vermutung führen.75) Die wirtschaftlichen Verhältnisse sollen gerade durch das Insolvenzverfahren wieder geordnet werden. Die bloße Verfahrenseröffnung reicht hierzu nicht aus. Vielmehr muss der Schuldner nachweisen, dass er in absehbarer Zeit seine Schulden abbauen und wieder frei über sein Vermögen verfügen kann.76) 3.3

Widerlegung der Vermutung durch Ankündigung der Restschuldbefreiung

Eine solche Aussicht bietet grundsätzlich das Restschuldbefreiungsverfahren, §§ 286 ff. 45 InsO. Hält sich der Schuldner in der Wohlverhaltensperiode an die Obliegenheiten des § 295 Abs. 1 InsO, ist er nach Ablauf von sechs Jahren schuldenfrei. So lange er sich i. S. dieser Vorschrift redlich verhält, erlangt er die Restschuldbefreiung sogar unabhängig von einer eingetretenen Einkommensverschlechterung oder einer bestimmten Befriedigungsquote der Gläubiger. Darüber hinaus ist er während dieser Zeit gemäß § 294 Abs. 1 InsO vor Zwangsvollstreckungen einzelner Gläubiger geschützt. Der finanzielle Druck, der die Gefährdungssituation heraufbeschwört, vor der § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO schützen soll, ist nicht mehr gegeben. Daher wird während der Wohlverhaltensperiode davon ausgegangen, dass eine Gefährdung der Rechtssuchenden nicht vorliegt.77) Problematisch ist dabei, dass der Schuldner erst nach sechs Jahren in den Genuss der 46 Restschuldbefreiung gelangt und dies auch nur, wenn er seine Obliegenheiten nicht verletzt. Ob also tatsächlich eine Schuldenbefreiung und damit eine Behebung des Vermögensverfalls eintreten, hängt ganz wesentlich vom Verhalten des Schuldners ab.78) Wegen der Vorgabe des BVerfG,79) keine überspannten Anforderungen an eine Wider- 47 legung der Gefährdung der Rechtssuchenden zu stellen, dürfte aber die bloß abstrakte Vermutung, dass der Schuldner die Wohlverhaltensperiode nicht durchstehen werde, grundsätzlich nicht zum Widerruf ausreichen.80)

___________ 74) 75) 76) 77) 78) 79) 80)

Henssler/Prütting-Henssler, BRAO, § 14 Rz. 34; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 292. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 291. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 291. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 291, 292. Ehlers, NJW 2008, 1480, 1484. BVerfG, Beschl. v. 31.8.2005 – 1 BvR 912/04, NJW 2005, 3057, 3058. So bereits BGH, Beschl. v. 7.12.2004 – AnwZ (B) 40/04, NJW 2005, 1271.

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§ 33

Teil V Einzelfragen

48 Jedoch bestehen gegen das bloße Restschuldbefreiungsverfahren als Mittel der Widerlegung Bedenken: x

Zunächst steht in Ermangelung einer zugesicherten Befriedigungsquote nicht fest, dass die Gläubiger überhaupt etwas bekommen werden.

x

Darüber hinaus reicht die bloße Aussicht auf Restschuldbefreiung nicht aus, um die Gefährdung der Mandanten zu widerlegen.81) Vielmehr bedarf es der Ankündigung der Restschuldbefreiung gemäß § 291 InsO.82)

49 Die Rechtsanwaltskammer muss und wird in der Regel aber mit dem Widerruf nicht bis zur Ankündigung warten. Bei Ankündigung der Restschuldbefreiung wird die Zulassung daher oftmals bereits widerrufen sein. Der Rechtsanwalt hat dann zwar einen Anspruch auf erneute Zulassung.83) Die Reputation des Anwalts und der Mandantenstamm, welche den Hauptwert der Praxis ausmachen, sind dann aber möglicherweise bereits derart geschädigt, dass eine Fortsetzung der Tätigkeit entweder gar nicht mehr oder weit weniger wirtschaftlich lohnenswert ist. 3.4

Widerlegung der Vermutung durch Wechsel in ein Angestelltenverhältnis

50 Eine weitere Möglichkeit dem Widerruf der Zulassung zu begegnen, bietet der Wechsel des Anwalts in ein Angestelltenverhältnis. Allerdings werden an ein Absehen vom Widerruf in diesem Fall strenge Anforderungen gestellt.84) Es reicht nicht aus, dass der Zugriff auf Mandantengelder durch den Schuldner allein durch arbeitsrechtliche Vereinbarungen ausgeschlossen wird.85) Vielmehr muss tatsächlich sichergestellt werden, dass der Schuldner keine Möglichkeit hat, der Versuchung zu erliegen, seine finanziellen Probleme auf diese Art und Weise zu lösen.86) Dies erfordert zum einen eine Kontrolle durch andere Mitglieder der Sozietät auch während der Urlaubszeit. Eine kleinere Kanzlei ist also hierfür ungeeignet, weil sich mangels ausreichender Kontrollmöglichkeiten für den Schuldner die Gelegenheit bieten könnte, unbeobachtet Fremdgelder veruntreuen zu können.87) 51 Zum anderen muss nach außen hin eindeutig vermittelt werden, dass der Schuldner nicht berechtigt ist, selbstständig Mandate zu übernehmen und Forderungen einzutreiben. Dies kann dadurch geschehen, dass der Schuldner nicht auf Briefköpfen oder Kanzleischildern aufgeführt wird.88) In der Praxis wird dies jedoch eine deutliche Reduzierung des Mandantenstammes zur Folge haben. 52 Letztlich hängt die Durchführbarkeit dieses Modells ganz maßgeblich von der Person des Schuldners ab. Er muss zur Überzeugung der Kammer derart redlich sein, dass man ihm eine Fortführung des Berufes zutraut. Dafür ist auch erforderlich, dass die Insolvenz ihren Grund nicht in einem unsachgemäßen Betrieb der Praxis hatte und dem Schuldner auch sonst keinerlei Vorwürfe in Bezug auf seine Berufsführung gemacht werden können.89) ___________ Koch, Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts, S. 254. Koch, Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts, S. 262. Graf/Wunsch, ZVI 2005, 105, 109. BGH, Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 f. Schmittmann, NJW 2002, 182, 183; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 292. Ehlers, NJW 2008, 1480, 1481. Ehlers, NJW 2008, 1480, 1481. BGH, Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 f.; Koch, Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts, S. 246. 89) BGH, Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 f.; Henssler/Prütting-Henssler, BRAO, § 14 Rz. 35.

81) 82) 83) 84) 85) 86) 87) 88)

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§ 33

Betriebsfortführung in Sonderfällen

Die Weiterbeschäftigung im Angestelltenverhältnis wird die Kammer daher nur in Ausnahmefällen vom Widerruf der Zulassung abhalten. 3.5

Widerlegung der Vermutung durch einen Insolvenzplan

Probates Mittel i. S. der Vorgabe des BVerfG zur Widerlegung der Vermutung dürfte das 53 Insolvenzplanverfahren sein, §§ 217 ff. InsO. Ist der Insolvenzplan ausgearbeitet und wirtschaftlich realistisch, weist er dem Schuldner den Weg in die Schuldenfreiheit. Während des Insolvenzverfahrens ist der Schuldner darüber hinaus durch § 89 InsO vor Zwangsvollstreckungen einzelner Gläubiger geschützt. Hält er sich an die Planvorgaben, kann er sich in wesentlich kürzerer Zeit als im Restschuldverfahren wirtschaftlich konsolidieren. Kein Gläubiger kann ihn durch Zahlungsaufforderungen oder Androhungen von Vollstreckungsmaßnahmen in die Lage bringen, quasi als letzten Ausweg auf Fremdgelder zuzugreifen. Die Gefahr für die Mandanten ist damit gebannt,90) die Vermutung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO widerlegt. Bis ein Insolvenzplan ausgearbeitet ist, von den Gläubigern angenommen und vom Gericht 54 bestätigt wurde, wird die Kammer die Zulassung in der Regel jedoch längst widerrufen haben. In der Praxis kann die Durchführung eines Insolvenzplanes erheblich beschleunigt werden, wenn mit Antragstellung bereits ein ausgefertigter Entwurf eines Insolvenzplanes vorgelegt wird, der mit den Gläubigern bereits im Vorfeld der Antragstellung erörtert wurde. Wie gezeigt, dürfen nach dem BVerfG keine überspannten Anforderungen an eine Wider- 55 legung einer Mandantengefährdung gestellt werden. Zukünftige Entwicklungen müssen daher i. R. einer Gefahrenprognose mitberücksichtigt werden.91) Die Kammer darf zwar dem Schuldner nicht erst die Gelegenheit zur Ausarbeitung eines Planes geben, bevor Sie über einen Widerruf entscheidet,92) hat aber bereits ein Insolvenzverwalter zu erkennen gegeben, dass er die Durchführung eines Insolvenzplanes für möglich hält und haben die Gläubiger den Insolvenzverwalter daraufhin mit der Ausarbeitung eines solchen Planes beauftragt, so hat die Kammer von einem Widerruf abzusehen. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass der Plan angenommen und auch erfolgreich durchgeführt wird. Dies gilt insbesondere, wenn unter den Gläubigern auch solche mit Erfahrung im Insolvenzrecht der Erstellung eines Planes zugestimmt haben, wie dies z. B. bei Banken der Fall ist.93) Ist in diesem Fall vom Widerruf der Zulassung abzusehen, muss dies erst recht gelten, 56 wenn der Schuldner seinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit einem bereits zuvor ausgearbeiteten Insolvenzplan verbindet (sog. „prepackaged plan“). Auch in diesem Fall dürfte unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG von einem Widerruf der Zulassung so lange abzusehen sein, bis über die Annahme des Plans entschieden wird.94) Ob gleiches für den Fall der Anordnung der Eigenverwaltung gilt, erscheint insofern zweifelhaft, als dass nach aktueller Regelung des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO nur bestätigt wird, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Voraussetzung für die Ablehnung der Eigenverwaltung ist daher immer, dass das Gericht überhaupt Tatsachen feststellt, die auf Nachteile für die Gläubiger schließen lassen. Demgegenüber stellt § 14 Abs. 2 Nr. 7 ___________ 90) Koch, Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts, S. 256. 91) Kleine-Cosack, NJW 2004, 2473, 2477; Ehlers, NJW 2008, 1480, 1484. 92) BGH, Beschl. v. 20.11.2006 – NotZ 26/06, NJW 2007, 1287; Ehlers, NJW 2008, 1480, 1484; UhlenbruckHirte, InsO, § 35 Rz. 294. 93) BVerfG, Beschl. v. 31.8.2005 – 1 BvR 912/04, NJW 2005, 3057, 3058. 94) Ehlers, NJW 2008, 1480, 1484.

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§ 33

Teil V Einzelfragen

BRAO allein auf die Gefährdungslage ab. In der Regel wird mit der Eigenverwaltung jedoch auch die Durchführung eines Insolvenzplanes beabsichtigt und angekündigt sein, so dass davon auszugehen ist, dass auch im Falle der Eigenverwaltung die jeweils zuständige Kammer von einem Widerruf absehen wird. 57 Sollten die Voraussetzungen für die Widerlegung der Vermutung § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung nicht vorliegen, eine Sanierung jedoch erfolgversprechend sein, wird in der Praxis gegen einen Widerruf gemäß § 16 Abs. 5 BRAO Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei dem Anwaltsgerichtshof zu stellen sein. Der Antrag hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung, § 16 Abs. 6 Satz 1 BRAO. Sollte die sofortige Vollziehung angeordnet sein, kann auf Antrag die aufschiebende Wirkung durch den Anwaltsgerichtshof wieder hergestellt werden, § 16 Abs. 6 Satz 5 BRAO. Die Einlegung der Rechtsmittel verschafft insofern Gelegenheit, die Voraussetzungen für eine Widerlegung der Vermutung zu prüfen und zu schaffen. 3.6

Kompetenzkonflikt zwischen Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter

58 Der Insolvenzverwalter kann wie bei anderen Freiberuflern auch bei der Insolvenz von Rechtsanwälten nicht ohne weiteres an deren Stelle treten. Zwar ist der Insolvenzverwalter grundsätzlich in der Lage, die Praxis auch in eigener Regie weiterführen, wenn er die nötige Qualifikation dafür hat. In der Regel wird eine Betriebsfortführung aber nur zusammen mit dem Schuldner erfolgversprechend sein, weil nur auf diese Weise der durch das Vertrauensverhältnis zu den Mandanten geschaffene immaterielle Wert realisierbar ist.95) 59 Gemäß §§ 1, 2 BRAO und § 1 BORA ist der Rechtsanwalt in seiner Berufsausübung unabhängig bzw. frei, selbstbestimmt und unreglementiert. Auch hier stellt sich erneut ein Kompetenzkonflikt mit dem Insolvenzverwalter. Führen Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter die Praxis gemeinsam fort, so dürfte der Insolvenzverwalter nicht berechtigt sein, sich in die konkrete Berufsausführung des Anwalts einzumischen, sondern wäre auf die Regelung der finanziellen Belange beschränkt. Auch hier könnte der Konflikt durch die Anordnung der Eigenverwaltung vermieden werden, §§ 270 ff. InsO. 4.

Steuerberater/Steuerberaterinnen

60 Die Situation eines insolventen Steuerberaters gleicht der eines insolventen Rechtsanwaltes. Auch der Beruf des Steuerberaters erfordert eine hohe Vertrauenswürdigkeit gerade im Umgang mit Fremdgeldern. Wie beim Rechtsanwalt so ist auch die Vertrauenswürdigkeit des Steuerberaters erschüttert, wenn er in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Es besteht die abstrakte Gefahr, der Steuerberater werde der Versuchung erliegen, seine finanzielle Lage durch den Zugriff auf fremde Gelder zu entspannen. § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG ordnet deshalb an, dass die Zulassung des Steuerberaters zu widerrufen ist, wenn dieser in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet sind. Die Vorschrift entspricht dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Damit entspricht sowohl die tatsächliche als auch die rechtliche Situation des insolventen Steuerberaters der des insolventen Rechtsanwaltes. Die oben gemachten Ausführungen gelten daher entsprechend für den Steuerberater. Auch hier liegt die volle Darlegungs- und Beweislast beim rechtssuchenden Steuerberater, es obliegt nicht dem Finanzgericht, eine konkrete Gefährdung von Mandanteninteressen darzulegen.96)

___________ 95) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 285. 96) BFH, Beschl. v. 5.6.2015 – VII B 181/14, DStR 2015, 14.

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§ 33

Betriebsfortführung in Sonderfällen 5.

Wirtschaftsprüfer/Wirtschaftsprüferinnen

Auch der Wirtschaftsprüfer gerät in der Insolvenz in Konflikt mit seinem Berufsrecht. An 61 ihn werden in Bezug auf seine Vertrauenswürdigkeit hohe Anforderungen gestellt. Gemäß § 2 Abs. 1 WPO hat er die berufliche Aufgabe, betriebswirtschaftliche Prüfungen, insbesondere solche von Jahresabschlüssen wirtschaftlicher Unternehmen, durchzuführen und Bestätigungsvermerke über die Vornahme und das Ergebnis solcher Prüfungen zu erteilen. Diese Tätigkeit setzt voraus, dass der Wirtschaftsprüfer völlig unabhängig ist. Die Unabhängigkeit ist aber dann gefährdet, wenn der Wirtschaftsprüfer finanziell notleidend ist. Dies macht ihn bestechlich und beschwört die Gefahr herauf, er werde „geschönten“ Bilanzen seinen Segen geben.97) Aus diesem Grund sieht § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO vor, die Bestellung zum Wirtschaftsprüfer zu widerrufen, wenn dieser sich in nicht geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere in Vermögensverfall befindet. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 7 WPO wird ein Vermögensverfall vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Wirtschaftsprüfers eröffnet wurde. Auffällig ist, dass nach den §§ 16 Abs. 1 Nr. 7 und 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO der Vermögens- 62 verfall offenbar eine besondere Ausprägung der nicht geordneten wirtschaftlichen Verhältnisse darstellt, was die Formulierung „insbesondere“ nahelegt. Im Gegensatz dazu wird der Vermögensverfall nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO und § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG gerade mit ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnissen definiert.98) Danach ist der Vermögensverfall mit den ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnissen gleichbedeutend. Hieraus ist nicht der Schluss zu ziehen, dass die Anforderungen an einen Widerruf der 63 Bestellung eines Wirtschaftsprüfers geringer sind als die an einen Zulassungswiderruf eines Rechtsanwaltes oder Steuerberaters. Letztlich ist kaum bestimmbar, wann „nur“ von einfachen ungeordneten Vermögensverhältnissen ausgegangen werden kann und ab wann die Vermögensverhältnisse derart schlecht sind, dass ein Vermögensverfall vorliegt. Es ist daher anzunehmen, dass die unterschiedlichen Formulierungen aus der Entstehungsgeschichte der jeweiligen Berufsordnung herrühren, in der Sache aber dasselbe meinen.99) Gemäß § 20 Abs. 4 Satz 4 WPO kann von einem Widerruf abgesehen werden, wenn der 64 Wirtschaftsprüferkammer nachgewiesen wird, dass durch die nicht geordneten wirtschaftlichen Verhältnisse die Interessen Dritter nicht gefährdet sind. Auch hieran dürfen im Hinblick auf Art 12 Abs. 1 GG keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Die an diesen Nachweis zu stellenden Voraussetzungen entsprechen denen für Rechtsanwälte und Steuerberater zur Widerlegung der Gefährdung der Mandanteninteressen trotz des Vermögensverfalls. 6.

Architekten/Architektinnen

Auch im Falle der Insolvenz von Architekten kann es zu einem Konflikt zwischen deren 65 Berufsrecht und der InsO kommen. Das Berufsrecht der Architekten ist in Landesgesetzen geregelt. Um als Architekt arbeiten zu können, ist eine Eintragung in die Architektenliste notwendig. Neben anderen Merkmalen setzt diese Eintragung voraus, dass der Architekt die zur Wahrnehmung der Berufsaufgaben erforderliche Zuverlässigkeit mitbringt. Fällt diese später weg, ist der Architekt von der zuständigen Architektenkammer wieder aus der Liste zu löschen wie dies z. B. § 6 Satz 1 lit. d i. V. m. § 5 Abs. 1 BauKaG NRW anordnet. ___________ 97) Graf/Wunsch, ZVI 2005, 105, 108. 98) Henssler/Prütting-Henssler, BRAO, § 14 Rz. 29. 99) Dahingehend auch OVG Münster, Beschl. v. 9.2.2001 – 4 A 5645/99, NJW 2002, 234, das bzgl. § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO auf die „vom Wortlaut her ähnliche Regelung“ in § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG abstellt; BVerwG, Urt. v. 17.8.2005 – 6 C 15.04, NJW 2005, 3795; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 290.

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§ 33

Teil V Einzelfragen

Die Zuverlässigkeit eines überschuldeten Architekten wird grundsätzlich verneint.100) Da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig mit einer Überschuldung einhergeht, würde diese zu einer Löschung aus der Architektenliste führen. Eine Betriebsfortführung wäre damit ausgeschlossen. 66 Hintergrund dieser Regelungen ist auch hier die abstrakte Gefahr, dass sich der verschuldete Architekt nicht mehr allein von seiner fachlichen Einschätzung, sondern „sich von eigenen finanziellen Interessen aufgrund des Zahlungsdrucks seiner Gläubiger leiten lässt“.101) Zum Schutze der Auftraggeber soll der Architekt aus der Liste gelöscht werden, wobei der Architektenkammer kein Ermessensspielraum eingeräumt wird. 67 Auch hier besteht für den Architekten die Möglichkeit, im Einzelfall eine Unzuverlässigkeit zu widerlegen. Die Anforderungen hierfür entsprechen denen, die auch an Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zur Widerlegung des Vermögensverfalls gestellt werden.102) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens allein reicht demnach nicht aus, um seine Zuverlässigkeit wieder herzustellen.103) Diese deckt nämlich nur die ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnisse auf, ohne dass damit zugleich eine baldige Entschuldung absehbar wäre. Ist diese nicht absehbar, kann der Beschluss zur Löschung aus der Architektenliste auch sofort vollzogen werden, da das Interesse der Allgemeinheit an einem funktionierenden Architektenwesen überwiegt und ansonsten die Gefahr bestünde, dass der betroffene Architekt aufgrund seiner Vermögenslosigkeit seinen Beruf pflichtwidrig ausübe und Schädigungen von Bauherren verursache.104) 68 Wie auch bei Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern muss eine Restschuldbefreiung bereits angekündigt oder ein Insolvenzplan ausgearbeitet sein, um einer Löschung aus der Architektenliste zuvorzukommen und den Betrieb fortsetzen zu können. Auch die Eigenverwaltung dürfte ein geeignetes Instrument darstellen. Schließlich ist die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis denkbar. Wie schon beim Rechtsanwalt muss auch hier sichergestellt werden, dass der überschuldete Architekt arbeitsvertraglich und auch tatsächlich keine Gelegenheit hat, selbstständig Aufträge zu übernehmen und Zugriff auf Fremdgelder zu erhalten. IV.

Die Betriebsfortführung des Profifußballvereins

69 Die Vereine der ersten und zweiten Bundesliga sind noch heute als nicht wirtschaftliche Idealvereine in den Vereinsregistern eingetragen. Mag dies zum Zeitpunkt der Eintragung noch gerechtfertigt gewesen sein, so sind die Profifußballvereine heute Wirtschaftsbetriebe und damit Unternehmen i. S. der InsO.105) Die Beibehaltung des Status als nicht wirtschaftlicher Verein wird dabei als geduldete Rechtsformverfehlung bezeichnet.106) Die gestiegene wirtschaftliche Bedeutung wirft aber auch neue Fragen im Bereich des Insolvenzrechts auf, die im Folgenden am Beispiel des Profifußballvereins erörtert werden, im Übrigen aber auf alle anderen Vereine anderer Sparten und den von ihnen gehaltenen Kapitalgesellschaften Anwendung finden.

___________ 100) 101) 102) 103) 104) 105) 106)

Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 295. OVG NRW, Beschl. v. 18.12.2009 – 4 B 995/09, ZInsO 2010, 481, 482; Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 67. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 295. OVG NRW, Beschl. v. 18.12.2009 – 4 B 995/09, ZInsO 2010, 481, 482; Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 67. OVG NRW, Beschl v. 16.09.2015 – 4 B 333/15, ZVI 2016, 11 – 12. Zeuner/Nauen, NZI 2009, 213. Reuter in: MünchKomm-BGB, § 42 Rz. 7.

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§ 33

Betriebsfortführung in Sonderfällen 1.

Rechtliche und tatsächliche Ausgangslage

Keine Sportart hat in den vergangenen Jahrzehnten eine derartige Kommerzialisierung er- 70 fahren wie der Fußball. Dies hängt eng mit dem stetig gestiegenen Interesse der Bevölkerung für diesen Sport zusammen. Gerade die WM 2006 hat eine zusätzliche Begeisterungswelle ausgelöst und die Popularität des Fußballs in Deutschland noch erhöht. Fernsehgelder, Sponsorenverträge, Trikotwerbung und Merchandising stellen für die Vereine beträchtliche Einnahmen dar. In der Saison 2011/12 erzielten allein die 18 Bundesligavereine der ersten Bundesliga Erlöse von insgesamt 1,94 Mrd. €.107) Im Durchschnitt erwirtschaftete jeder Club damit rund 108 Mio. €. Der FC Bayern München konnte als umsatzstärkster Verein in der Saison 2011/12 sogar über 350 Mio. € erwirtschaften.108) Obwohl ursprünglich der rein ideelle Zweck der Sportförderung angestrebt wurde, so führt dieser bei den Profivereinen nunmehr eine untergeordnete Rolle. Angesichts dieser Zahlen wird die wirtschaftliche Bedeutung des Profifußballs offensichtlich. Diese wirtschaftliche Zugkraft geht aber über die erste Bundesliga hinaus. Auch die zweite 71 und dritte Liga erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Über die zweite Liga wird schon seit längerer Zeit im gleichen Umfang wie über die erste berichtet, einschließlich der LiveÜbertragung von Spielen. Und auch die dritte Liga hat Einzug in die regelmäßige Berichterstattung der Sportschau gefunden. Dies führt wiederum zu höheren Fernsehgeldern und neuen Möglichkeiten in Bezug auf Sponsorenverträge. Mit der steigenden wirtschaftlichen Bedeutung steigt aber auch das wirtschaftliche Risiko. 72 So hängt der wirtschaftliche maßgeblich vom sportlichen Erfolg ab, der nur bedingt vorhergesagt werden kann.109) Außerdem führt die Notwendigkeit von Kapitaleinsatz zum Spielbetrieb gerade bei kleineren Vereinen häufig zur Abhängigkeit von einzelnen Sponsoren. Sind diese aus welchen Gründen auch immer nicht bereit, weiterhin Geld für den Spielbetrieb zu Verfügung zu stellen und gelingt es dem Verein nicht, zeitnah einen neuen Sponsor zu finden, so entstehen oftmals finanzielle Engpässe. Auch falsches Management in der Vereinsführung kann dazu führen, dass der Verein in Geldnot gerät.110) Aus diesen und anderen Gründen kam es in den letzten Jahren auch zunehmend zu Insolvenzen von Fußballvereinen. Als Beispiele seien hier nur die ehemaligen Bundesligisten VfB Leipzig111), SSV Ulm112) und Rot-Weiss Essen113) angeführt. Stehen die Gläubiger nun vor der Wahl, ob ein insolventer Fußballverein fortgesetzt oder 73 stillgelegt werden soll, so werden sie regelmäßig zu einer Betriebsfortführung tendieren. Vereine der Bundesliga sind europaweit, manche sogar weltweit bekannt. Sie locken tausende Zuschauer in die Stadien und vor die Bildschirme der Fernseher und werden so auch als Werbeträger für Wirtschaftsunternehmen interessant. Nur durch den Spielbetrieb erhalten sie Fernsehgelder und behalten die Möglichkeit, durch die Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb ihre Bekanntheit noch zu erhöhen. Durch die steigende Bekanntheit ___________ 107) Bundesliga-Report 2012, abrufbar unter: http://s.bundesliga.de/assets/doc/40000/38316_original.pdf (Abrufdatum: 1.4.2016). 108) Abrufbar unter: http://www.augsburger-allgemeine.de/sport/fc-bayern/Umsatz-wieder-ueber-der350-Millionen-Euro-Marke-id20090556.html (Abrufdatum: 2.3.2016). 109) Dworak, Finanzierung für Fußballunternehmen, S. 8. 110) Fritzweiler/Pfister/Summerer-Pfister/Summerer, Sportrecht, S. 140. 111) Abrufbar unter: ttp://www.faz.net/aktuell/sport/fussball-der-vfb-leipzig-ist-schon-wieder-pleite1128740.html (Abrufdatum: 2.3.2016). 112) Vgl. http://www.swp.de/ulm/sport/fussball/regional/ssv_ulm-Insolvenzplan-Glaeubiger-Spatz-SponsorZuspruch-Huerde-Fussball-Verein-Vizepraesident-SSV-Ulm-1846-Insolvenzplan-der-Spatzen-abgesegnet; art4280, 1004842 (Abrufdatum: 2.3.2016). 113) Vgl. http://www.derwesten.de/sport/fussball/rwe/rot-weiss-essen-meldet-insolvenz-an-id3319624.html (Abrufdatum: 2.3.2016).

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§ 33

Teil V Einzelfragen

steigt auch der Zuspruch der Sportbegeisterten für diesen Verein, was sich wiederum im Absatz von Merchandising-Artikeln und einem höheren Werbewert bemerkbar macht.114) Dies gilt im Wesentlichen auch für die unterklassigen Vereine. Auch sie leben vom Zuschauerzuspruch, der aus dem Interesse am sportlichen Wettkampf hervorgeht. 74 Bei vielen Vereinen kommt außerdem ein rein ideeller Wert hinzu. Viele Menschen und damit auch spätere Gläubiger fühlen sich unabhängig vom sportlichen Erfolg mit „ihrem“ Verein verbunden. Dieser Sympathiewert führt dazu, dass unterklassige Vereine teilweise mehr Zuschauer verbuchen können als Erstligisten. Auch dies wirkt sich neben den Einnahmen durch Kartenverkäufe letztlich wieder auf den Werbewert des Vereins aus. 75 Legt man den Verein nun still, findet eine Vernichtung dieser Werte statt. Dem Verein wird die Möglichkeit genommen, sich Fernsehgelder zu erspielen und neue Sponsoren auf sich aufmerksam zu machen. Die mit dem Verein verbundenen Sympathisanten haben keine Gelegenheit mehr durch Stadionbesuche am Vereinsleben zu partizipieren; sie scheiden damit auch als Käufer von Fanartikeln und als Zielgruppe von Trikotwerbung aus. Hinzu kommt, dass es oftmals keine verwertbaren Sachwerte mehr gibt. Stadien oder Trainingsgelände sind, sofern sie nicht ohnehin nur von einem öffentlichen Träger angemietet waren, häufig schon vor Eintritt der Insolvenzreife verpfändet worden, stehen den Insolvenzgläubigern mithin nicht mehr zur Verfügung. Mit Wegfall des Spielbetriebes wird auch der Wert der Stadionimmobilie sinken. Alternative Nutzungsmöglichkeiten werden aufgrund der in der Regel hohen Unterhaltskosten nur sehr eingeschränkt möglich sein. Eine Betriebsfortführung verspricht daher eine wesentlich höhere Befriedigung der Forderungen. 76 An dieser Stelle geraten die Interessen der Gläubiger an einer Betriebsfortführung mit denen der Fußballverbände an einer ordnungsgemäßen Durchführung des sportlichen Wettbewerbs in Konflikt. 77 Der Fußball in Deutschland wird in Verbänden organisiert. Dachverband ist der Deutsche Fußballbund (DFB).115) Dazu existieren Verbände der Länder, die den Fußball der unteren Ligen organisieren. Die Verbände haben die Rechtsform eines eingetragenen nicht wirtschaftlichen Vereins, dessen Mitglieder wiederum die Fußballvereine sind.116) Die von dem jeweiligen Verband zur Verfügung gestellten Ligen sind die Vereinseinrichtungen, die von den Fußballclubs als Vereinsmitgliedern genutzt werden. Welcher Verein an welcher Liga teilnehmen darf, wird von den Verbänden in ihren Satzungen bestimmt.117) 78 Die Organisation, Durchführung und Vermarktung der ersten und zweiten Bundesliga ist vom DFB auf den Ligaverband e. V. übertragen worden.118) Die dritte Liga wird vom DFB selbst betrieben. Die Teilnahme am Spielbetrieb der ersten und zweiten Bundesliga ist vom Erwerb einer Lizenz abhängig. Die beiden obersten Spielklassen werden deshalb auch als Lizenzligen bezeichnet. Die Lizenz kann Vereinen oder Kapitalgesellschaften erteilt werden; die Vereine der ersten und zweiten Liga haben ihre Profiabteilung regelmäßig auf eine von ihnen beherrschte Kapitalgesellschaft übertragen. Der Erwerb einer Lizenz berechtigt zur Teilnahme am Spielbetrieb und ist gleichzeitig Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Ligaverband, weshalb die Mitgliedschaft und die Spielberechtigung untrennbar miteinander zusammenhängen. Die tatsächliche Lizenzerteilung erfolgt für jeweils ein ___________ Dworak, Finanzierung für Fußballunternehmen, S. 44. Dworak, Finanzierung für Fußballunternehmen, S. 9. Gutzeit, Vereinsinsolvenz, S. 155. Regelungen des DFB und des Ligaverbandes abrufbar unter: http://www.dfb.de/index.php?id=11003 (Abrufdatum: 2.3.2016). 118) Gutzeit, Vereinsinsolvenz, S. 155; Fritzweiler/Pfister/Summerer-Summerer, Sportrecht, S. 126, 127.

114) 115) 116) 117)

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§ 33

Betriebsfortführung in Sonderfällen

Spieljahr durch die vom Ligaverband geschaffene Ligaverbands-GmbH (DFL), die mit der Ausführung der satzungsgemäßen Aufgaben betraut ist.119) Um am Spielbetrieb der dritten Liga teilnehmen zu können, muss ein Verein bzw. eine 79 Kapitalgesellschaft zugelassen werden. Dies geschieht durch den Abschluss eines sog. Zulassungsvertrages. Welche Voraussetzungen die Vereine erfüllen müssen, um am Spielbetrieb der jeweiligen 80 Liga teilnehmen zu können regelt für die Lizenzligen im Wesentlichen die Lizenzierungsordnung (LO) und für die dritte Liga das Statut-3. Liga. Ziel der gestellten Anforderungen ist die Gewährleistung eines attraktiven, sportlichen und ausgeglichenen Wettkampfs. Neben sportlichen, rechtlichen und anderen Voraussetzungen muss ein Verein zum Erwerb einer Lizenz bzw. Zulassung auch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nachweisen. Fällt diese Leistungsfähigkeit später weg, kann die Lizenz bzw. die Zulassung auch wieder entzogen werden. Andere Klauseln beziehen sich explizit auf die Insolvenz eines Vereins und sehen einen Punktabzug oder gar einen Zwangsabstieg vor. Wieder andere Klauseln sehen für den Fall der Vereinsauflösung ein automatisches Erlöschen der Lizenz bzw. der Zulassung vor. 2.

Vorrang der InsO bzw. des staatlichen Rechts

Sowohl die korporativen Regelungen der Sportverbände als auch die Regelungen in Lizenz- 81 verträgen stehen im Spannungsverhältnis zum Zivilrecht und der InsO. Die Grenzen der Vertragsautonomie werden an den Maßstäben der §§ 134, 138, 242 BGB gemessen.120) Darüber hinaus sind Vereinbarungen unwirksam, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, § 119 InsO. Schließlich tangieren die Verbandsregelungen das in § 1 InsO definierte Ziel der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger mit dem weiteren Verfahrensziel der Sanierung 2.1

Kein Vorrang der Vertragsautonomie

Die Satzungen der Sportverbände sind an § 242 BGB zu messen.121) Grundsätzlich sind 82 Vereine bezüglich des Inhalts ihrer Satzungen frei. Diese Satzungsautonomie findet ihre Stütze in Art. 9 Abs. 1 GG, genießt somit Verfassungsrang.122) Vereinssatzungen sind der Kontrolle durch staatliches Recht daher normalerweise entzogen. Die Rechtsprechung macht hiervon aber bei Vereinen, die eine Monopolstellung innehaben, eine Ausnahme.123) Die Satzungsautonomie soll die Vereinsmitglieder in die Lage versetzen, unabhängig vom 83 Gutdünken Außenstehender eigene Regeln für ihr Vereinsleben aufzustellen. Ist jemand mit den beschlossenen Regelungen nicht einverstanden, steht es ihm frei, zu gehen, einen anderen Verein zu gründen, sich einem anderen Verein anzuschließen oder Vereinen gänzlich fern zu bleiben. Genau diese Freiheit besteht aber nicht, wenn der Verein eine Monopolstellung innehat, die auch nicht ohne weiteres durch die Gründung eines neuen Vereins gebrochen werden kann. Hier ist der Einzelne auf eine Mitgliedschaft angewiesen. Deshalb gewährt ihm die Rechtsprechung insoweit Schutz, als sie die Satzung einer Kon-

___________ 119) 120) 121) 122) 123)

Fritzweiler/Pfister/Summerer-Summerer, Sportrecht, S. 132. BGH, Urt. v. 28.11.1994 – II ZR 11/94, ZIP 1995, 752 – 753. BGH, Urt. v. 28.11.1994 – II ZR 11/94, ZIP 1995, 752 – 753. Palandt-Ellenberger, BGB, § 25 Rz. 7. BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 311/87, ZIP 1989, 14, 16; Haas, NZI 2003, 177, 178; Palandt-Ellenberger, BGB, § 25 Rz. 9; Reuter in: MünchKomm-BGB, Vor § 21 Rz. 115, 116.

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§ 33

Teil V Einzelfragen

trolle nach Treu und Glauben unterzieht, § 242 BGB.124) Neben den Vereinsinteressen sind dabei auch die Wertungen der InsO und damit die Vermögensinteressen der Insolvenzgläubiger zu berücksichtigen.125) Sowohl die Verbände als auch die Vereine sind daran interessiert, dass ihr Sport durch Geldgeber aus der Wirtschaft gefördert wird. Es ist deshalb gerechtfertigt und auch geboten, deren Belange i. R. einer Interessensabwägung angemessen zu berücksichtigen.126) 84 Der DFB und der Ligaverband e. V. besitzen für den Profifußball in Deutschland eine Monopolstellung.127) Will ein Fußballclub seinen Sport professionell betreiben, führt kein Weg an ihnen vorbei. Die Klauseln sind deshalb an § 242 BGB zu messen.128) Sie können nur Wirksamkeit beanspruchen, wenn sie ein berechtigtes Interesse der Verbände verfolgen, dass nicht ausnahmsweise hinter überwiegenden Interessen der Vereine und der Insolvenzgläubiger zurückstehen muss. Bei dieser Kontrolle kann die Satzung nicht als Ganzes betrachtet werden. Jede Klausel ist im Einzelnen einer Wirksamkeitskontrolle zu unterwerfen. 85 Der Nachweis und der Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Vereins werden nahezu von allen Fußballverbänden in Deutschland als Voraussetzung zur Teilnahme am jeweiligen Ligabetrieb gefordert. Dies dient vorrangig dem Schutz eines sportlich attraktiven und ausgeglichenen Wettbewerbs.129) Es soll vermieden werden, dass ein Verein aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten genötigt ist, den Spielbetrieb einzustellen und den Wettbewerb auf diese Weise zu verfälschen.130) Dabei unterscheiden sich die Klauseln in der Art und Weise, wie dieses Ziel erreicht werden soll. 2.2

Wirksamkeit der Regelungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bzw. ihrem Wegfall

86 Klauseln, die den Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit voraussetzen, sind § 2 Nr. 1 lit. g i. V. m. § 8 LO für die Lizenzligen und § 6 Nr. 3 Statut-3. Liga (i. V. m. den Richtlinien für das Zulassungsverfahren – Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit 3. Liga) für die dritte Liga. Entsprechende Regelungen finden sich auch in den Satzungen der untergeordneten Verbände.131) Diese Klauseln müssen auch unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben als rechtmäßig angesehen werden, § 242 BGB.132) 87 Sie sollen gewährleisten, dass die Vereine die finanziellen Voraussetzungen mitbringen, die Saison vollständig zu absolvieren.133) Es soll verhindert werden, dass ein Verein während des laufenden Wettbewerbs aus Geldmangel aus dem Spielbetrieb ausscheiden muss.134) Dies würde zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung führen und dem Ansehen des ___________ 124) BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 311/87, ZIP 1989, 14, 16; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.7.2000 – 11 U (Kart) 36/00, SpuRt 2001, 28, 29. 125) Fritzweiler/Pfister/Summerer-Pfister/Summerer, Sportrecht, S. 150; dahingehend auch Palandt-Ellenberger, BGB, § 25 Rz. 9; a. A.: Adolphsen, KTS 2005, 53, 65. 126) Hierfür spricht insbesondere auch das in der Präambel zur LO ausgedrückte Ziel des Lizenzierungsverfahrens, „das öffentliche Image und die Vermarktung […] der Lizenznehmer zu fördern und zu sichern, dass sie … zuverlässige Partner … der Wirtschaft sind“. 127) LG Frankfurt/M., Urt. v. 26.7.1982 – 2/8 0 180/82, NJW 1983, 761, 763. 128) Haas, NZI 2003, 177, 178. 129) Fritzweiler/Pfister/Summerer-Summerer, Sportrecht, S. 132. 130) Haas, NZI 2003, 177, 178; Adolphsen, KTS 2005, 53, 54. 131) So z. B. § 6 Nr. 4 des Statuts für die Regionalliga West (RLSt) des Westdeutschen Fußball- und Leichtathletikverbands. 132) Walker, KTS 2003, 169, 182; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.7.2000 – 11 U (Kart) 36/00, SpuRt 2001, 28, 29, i. S. eines Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 i. V. m. Abs. 6 GWB und Art. 3 Abs. 1 GG. 133) König/de Vries, SpuRt 2006, 96, 97. 134) Gutzeit, Vereinsinsolvenz, S. 157; Zeuner/Nauen, NZI 2009, 213.

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gesamten Ligabetriebs schaden.135) Einige Vereine hätten möglicherweise schon gegen den nun ausscheidenden Verein gespielt, andere noch nicht. Man wäre genötigt, die Spiele gegen den ausscheidenden Verein zu annullieren. Eine vermeintlich sicher geglaubte Tabellensituation könnte sich dann völlig verschieben.136) Aber auch wenn es dem Verein gelingt, trotz erheblicher Geldnot den Spielbetrieb noch aufrechtzuerhalten, so schwebt über ihm das Damoklesschwert des endgültigen Bankrotts. Diese Situation kann sich nur demotivierend auf alle Spieler auswirken. Sowohl der notleidende Verein als auch seine Gegner müssen damit rechnen, dass der Spielbetrieb nicht bis zum Saisonende durchgehalten werden kann und die Spiele aus der Wertung genommen werden müssten. Dies würde auch zu einer erheblichen Attraktivitätseinbuße für die Zuschauer führen. Diesem gewichtigen Interesse der Verbände können die Fußballvereine und deren Gläubi- 88 ger kein überwiegendes Interesse entgegenhalten. Insbesondere steht die ungesicherte Aussicht, sich möglicherweise sanieren zu können, hinter der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ligabetriebs zurück.137) Anders läge der Fall freilich, wenn bereits ein Insolvenzplan vorläge, der schon ein Sanierungskonzept enthält. Zu beachten ist aber, dass ein Insolvenzverfahren einer Zulassungs- bzw. Lizenzerteilung nach § 6 Nr. 3 Statut-3. Liga und § 2 Nr. 1 lit. g i. V. m. § 8 LO nicht per se entgegensteht. Nach diesen Regelungen wäre eine Zulassungs- bzw. Lizenzerteilung also auch möglich, wenn ein Insolvenzplan die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für das Spieljahr sicherstellen könnte.138) Die Klauseln sind daher grundsätzlich rechtmäßig. Mit dem Erhalt der Zulassung zum Spielbetrieb ist die Verantwortung eines Vereins zum 89 wirtschaftlichen Haushalten aber noch nicht beendet. So stellt § 8 Nr. 1 LO Anforderungen an die Lizenzvereine für den Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit während der Spielzeit und nach Nr. 6 der Richtlinien für das Zulassungsverfahren – Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – 3. Liga obliegt der DFB-Zentralverwaltung die laufende Prüfung, Beobachtung und Beratung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Vereine. Einige Klauseln sehen nun Konsequenzen vor, falls die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit 90 nicht mehr gegeben sein sollte. So eröffnen § 10 Nr. 2 lit. a LO und § 3 Nr. 2 Statut3. Liga den Verbänden in diesem Fall die Möglichkeit, die Lizenz bzw. die Zulassung wieder zu entziehen. Andere Klauseln knüpfen unmittelbar an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an. § 11 Nr. 5 LO sieht einen Abzug von neun Gewinnpunkten vor, wenn ein Insolvenzgericht die Verfahrenseröffnung über das Vermögen eines lizenzierten Vereins beschließt. § 6 Nr. 1 Spielordnung des DFB (SpO) ordnet im Falle der Insolvenz einen Zwangsabstieg an. Die SpO gilt zwar ausweislich § 6 Nr. 5 SpO nicht für die Lizenzligen; zu beachten ist jedoch, dass ein Entzug der Zulassung nach § 10 Nr. 2 lit. a LO ebenfalls einen Zwangsabstieg in die dritte Liga zur Folge hätte, da gemäß § 10 Nr. 2 LO a. E. eine erneuter Antrag auf Lizenzerteilung nicht möglich ist.139) Das heißt, die Vereine sind zwar weiterhin berechtigt bis zum Saisonende am Spielbetrieb 91 teilzunehmen. Nach der Spielzeit steigen sie jedoch unabhängig von ihrem sportlichen Erfolg ab. Dies ist hinsichtlich der Prüfung nach § 242 BGB nicht unproblematisch. Wie bereits dargelegt, soll die Lizenzerteilung sicherstellen, dass der Spielbetrieb über die gesamte Saison aufrechterhalten werden kann. Der sportliche Wettkampf soll nicht durch ___________ 135) 136) 137) 138) 139)

Walker, KTS 2003, 169, 182. Adolphsen, KTS 2005, 53, 54. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.7.2000 – 11 U (Kart) 36/00, SpuRt 2001, 28, 31; Haas, NZI 2003, 177, 179. Walker, KTS 2003, 169, 172. Walker, KTS 2003, 169, 173; König/de Vries, SpuRt 2006, 96, 99; vgl. § 54 Nr. 3 SpO und § 55a Nr. 3 SpO bzgl. des Lizenzentzuges eines Zweit- und Drittligisten.

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äußere Faktoren beeinflusst werden. Dies wäre aber bei einem Lizenz- bzw. Zulassungsentzug oder einer Insolvenz während der Saison der Fall. Eine Mannschaft, die wüsste, dass sie am Saisonende unabhängig von ihrer sportlichen Leistung absteigt, verlöre die Motivation.140) Ab diesem Zeitpunkt hätten es die Gegner wesentlich leichter gegen dieses Team zu gewinnen. Einerseits wären die noch durchzuführenden Spiele für die Zuschauer unattraktiv und andererseits wäre es unfair gegenüber Mannschaften, die noch vor dem Lizenz- bzw. Zulassungsentzug oder der Insolvenz gegen eine voll motivierte Elf antreten mussten. Das mit der Lizenz- bzw. Zulassungserteilung verfolgte Ziel eines ausgeglichenen Wettkampfeswird verfehlt.141) 92 Gleichzeitig dienen diese Regelungen der Aufrechterhaltung des Ligabetriebes und dem Schutz des fairen sportlichen Wettkampfs. Die Regelungen verfolgen zwei Ziele. Zunächst sollen die Vereine vor einem ruinösen „Wettrüsten“ bewahrt werden. Die Fußballclubs stehen auch außerhalb des Platzes in Konkurrenz zueinander, wenn es bspw. um die Verpflichtung neuer Spieler geht. Ein maßgebliches Kriterium für den Spieler bei der Vereinswahl ist die Verdienstmöglichkeit. Durch einen drohenden Lizenzentzug bei Wegfall der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sollen die Vereine vor sich selbst geschützt werden. Kein Verein soll sich genötigt fühlen, über seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinauszugehen, um einen anderen Verein zu überbieten. Mit der Androhung des Zwangsabstiegs soll diesem Verbandsinteresse Nachdruck verliehen werden. Darüber hinaus sollen unlauter erlangte Vorteile abgeschöpft werden. Hat ein Verein über seinen finanziellen Verhältnissen gelebt, hat er sich gegenüber anderen Vereinen einen Vorteil verschafft, die sich an die wirtschaftlichen Regeln gehalten haben. Außerdem eröffnet das Insolvenzverfahren dem betroffenen Verein eine Reihe von Möglichkeiten, die anderen Vereinen nicht zu Verfügung stehen. Aufgrund der insolvenzrechtlichen Vorschriften ist es ihm z. B. möglich, zeitlich befristete Arbeitsverträge mit überteuerten Spielern oder Trainern zu kündigen, § 113 InsO. Diese Vorteile sollen ihm am Saisonende wieder genommen, der Anreiz zu unsolidem Wirtschaften im Keime erstickt werden.142) 93 Die Verbände haben also grundsätzlich ein Interesse zum Schutze des Wettbewerbs, Vereine durch Zulassungsentzug und Zwangsabstieg zu disziplinieren. Zur Wirksamkeit dieser Reglungen im Einzelnen: 2.2.1 Wegfall der Leistungsfähigkeit und Insolvenz eines Vereins in der Lizenzliga 94 § 10 Nr. 2 lit. a LO ermöglicht dem Verband den Entzug der Lizenz, wenn die Voraussetzungen für deren Erteilung wieder weggefallen sind. Insbesondere soll dies für den Wegfall der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gelten. § 10 Nr. 2 lit. a LO räumt dem Ligaverband dabei ein Ermessen ein, wann von einem Lizenzentzug Gebrauch gemacht werden soll. § 11 Nr. 5 LO sieht speziell für den Fall der Insolvenz eines Lizenznehmers einen Abzug von neun Gewinnpunkten vor. Hiervon kann abgesehen werden, wenn auch der Hauptsponsor oder ein ähnlicher Finanzgeber des Vereins insolvent ist. 95 § 11 Nr. 5 LO ist mit § 242 BGB vereinbar. Zwar wird die Betriebsfortführung des Vereins in der Spielklasse durch den Punktabzug erschwert. Der Ligaverband hat aber ein Interesse daran, dass die Vorteile des unsoliden Wirtschaftens wieder entzogen werden. Andernfalls läge eine Benachteiligung der Konkurrenten vor, die sich an die wirtschaftlichen Auflagen gehalten haben und deshalb bei der Zusammenstellung ihres Kaders Abstriche machen ___________ 140) Walker, KTS 2003, 169, 182, 183; Fritzweiler/Pfister/Summerer-Pfister/Summerer, Sportrecht, S. 149; Zeuner/Nauen, NZI 2009, 213, 214. 141) Dahingehend Pfister, SpuRt 2002, 103, 104. 142) Walker, KTS 2003, 169, 183; Zeuner/Nauen, NZI 2009, 213, 214.

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mussten. Auch der pauschale Abzug von neun Punkten ist gerechtfertigt. Ein sportlicher Vorteil durch einen teureren Kader ist zwar kaum messbar. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die finanzielle Möglichkeit, talentierte Spieler zu verpflichten, langfristig auch zu sportlichem Erfolg führt. Deshalb ist es vertretbar, den so erlangten Vorteil pauschal mit dem Aberkennen von praktisch drei Siegen zu sanktionieren. Die Strafe ist ausreichend, um Vereine vor unsolidem Wirtschaften abzuschrecken. Gleichzeitig ist sie aber niedrig genug, um eine Betriebsfortführung zu ermöglichen und den Verbleib in der Liga sportlich zu erreichen. Auf diese Weise haben die noch auszutragenden Spiele auch noch eine sportliche Bedeutung. Des Weiteren ermöglicht § 11 Nr. 5 LO ein Absehen vom Punktabzug, wenn auch ein 96 wichtiger Finanzgeber des Vereins insolvent ist. Ist der Verein also ohne eigenes Verschulden in den Sog der Insolvenz geraten, soll ihm dies sportlich nicht zum Nachteil gereichen. § 11 Nr. 5 LO ist demnach ein fairer Kompromiss zwischen Verbands- und Insolvenzrecht. Fraglich ist jedoch, welcher Raum noch für § 10 Nr. 2 lit. a LO bleibt. Die Klausel räumt 97 dem Verband Ermessen ein, wann er von einem Lizenzentzug Gebrauch macht. Aufgrund der speziellen Regelung in § 11 Nr. 5 LO ist davon auszugehen, dass ein Lizenzentzug nicht im Falle einer Betriebsfortführung zum Zwecke der Sanierung in Frage kommt, weil § 11 Nr. 5 LO bereits eine konkrete Konsequenz dafür vorsieht. Der Verband könnte hiervon aber Gebrauch machen, wenn der Verein liquidiert werden soll. Dies gilt vor allem für die Phase zwischen der Lizenzerteilung und dem Saisonbeginn. Das Interesse der Gläubiger muss dann hinter dem Interesse des Verbandes an der Ausrichtung eines ausgeglichenen, sportlichen Wettkampfs zurückstehen. Auch § 10 Nr. 2 lit. a LO verstößt damit nicht gegen § 242 BGB. 2.2.2 Automatischer Entzug der Lizenz mit Verfahrenseröffnung Sofern Verbandsregelungen das automatische Erlöschen vorsehen, verstoßen diese gegen 98 §§ 138, 242 BGB und sind somit rechtwidrig.143) Sinn und Zweck der vorgenannten Klausel ist es, die am Sportbetrieb teilnehmenden Vereine, 99 die zwar nicht das organisatorische, wohl aber das finanzielle Risiko des Spiel- und Wettkampfbetriebes tragen, davor zu schützen, dass ein Verein infolge der Insolvenz seinen Pflichten aus der gemeinsamen Zweckverfolgung nicht mehr nachkommen kann.144) In Entsprechung des § 1 InsO ist vorgesehen und wird auch umgesetzt, dass insolvente 100 Unternehmen nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens am Wirtschaftsleben teilnehmen. Dadurch, dass der insolvente Club als erster Absteiger feststeht, wird den Spielern des Clubs ab Insolvenzeröffnung bis Saisonende auch jeder sportliche Reiz genommen. Es fehlt auch jeglicher Anreiz für die Zuschauer des gegnerischen Clubs. Die Regelung führt mithin zu keinerlei Verbesserung der finanziellen Situation des Clubs, die gegen den Club sportlich wertlose Spiele bestreiten müssten. Darüber hinaus steht mit dem wirtschaftlichen Lizenzprüfungsverfahren dem DFB ein 101 ebenso geeignetes Mittel zur Überprüfung und Sicherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Einzelfall zur Verfügung. Ergibt sich bei Anwendungen der Lizensierungsregeln i. R. der Wirtschaftlichkeitsprüfung, dass der insolvente Club oder durch Insolvenzplan sanierte Club die Kriterien in wirtschaftlicher Hinsicht nicht erfüllt, so ergibt ___________ 143) Korff, ZInsO 2013, 1277 – 1284; Walker, KTS 2003, 169, 171; Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 61; Pfister, SpuRt 2002, 103, 104; a. A. Haas, NZI 2003, 177, 179. 144) Walker, KTS 2003, 169, 171.

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sich für den prüfenden Verband die Möglichkeit der Verweigerung der Lizenzvergabe. Es bedarf also keiner weiteren satzungsrechtlichen Abstiegsklausel.145) 2.2.3 Wegfall der Leistungsfähigkeit und Insolvenz eines Vereins in der dritten Liga und Amateurligen 102 Für den Bereich der dritten Liga und der Amateurligen ist § 6 SpO die zentrale Insolvenzregelung. Als DFB-Satzung gilt § 6 SpO unmittelbar für die vom DFB selbst betriebene dritte Liga. Da auch die Regionalverbände ihre Satzungen an den Regelungen des DFB ausrichten müssen, gilt § 6 SpO mittelbar auch für die Mitgliedsverbände und deren Ligen.146) Ausgenommen sind nur die Lizenzligen, § 6 Nr. 5 SpO. 103 § 6 Nr. 1 SpO sieht einen Zwangsabstieg der klassenhöchsten Herrenmannschaft zum Saisonende vor, wenn über einen Verein das Insolvenzverfahren eröffnet oder dies mangels Masse abgelehnt wurde. Nach § 6 Nr. 2 SpO werden die ausgetragenen oder noch auszutragenden Spiele dieser Mannschaft nicht gewertet. Dies gelte nur dann nicht, wenn die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dem letzten Spieltag, aber vor dem 30.6., stattgefunden habe. Gemäß § 6 Nr. 3 SpO kann ein Mitgliedsverband abweichende Regelungen schaffen, wenn ein Verein vor oder während der Saison aus dem Spielbetrieb ausscheidet. Dabei ist davon auszugehen, dass sich § 6 Nr. 3 SpO nur auf § 6 Nr. 2 SpO bezieht, § 6 Nr. 1 SpO aber unberührt lässt. 104 Aus der Systematik des § 6 Nr. 1 i. V. m. Nr. 2 der Spielordnung des DFB kann der Schluss gezogen werden, dass auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur dann der Zwangsabstieg der klassenhöchsten Mannschaft folgt, sofern die Entscheidung über die Insolvenzeröffnung oder deren Ablehnung mangels Masse vor dem letzten Spieltag getroffen wurde. Mit Verfahrenseröffnung nach dem letzten Spieltag könnten somit – z. B. durch Durchführung eines Insolvenzplanes vor Beginn der folgenden Saison – die Voraussetzungen geschaffen werden, das Lizenzprüfungsverfahren für die nachfolgende Spielzeit erfolgreich zu durchlaufen und die entsprechende Lizenz auch zu erhalten. 105 Vertritt man die Auffassung, dass der Zwangsabstieg auch dann erfolgt, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Ablehnung mangels Masse im Laufe des Spieljahres erfolgt, unabhängig ob vor oder nach dem letzten Spieltag, so kommt § 6 Nr. 1 der Spielordnung des DFB in seiner Wirkung einem Lizenzentzug für die dritte Bundesliga für das nachfolgende Spieljahr gleich, wenn die übrigen Voraussetzungen für die Erteilung der jeweils begehrten Lizenz (z. B. sportlicher Erhalt der dritten Bundesliga, sonstige wirtschaftlichen Voraussetzungen) gegeben sind. 106 § 6 SpO verstößt dann in jedem Falle gegen § 242 BGB. Insbesondere handelt es sich bei § 6 SpO nicht um eine bloße Spielregel, die der Kontrolle durch staatliches Recht entzogen ist.147) Denn die Insolvenz und damit die wirtschaftliche Situation des Vereins sind Faktoren, die außerhalb des Sports liegen. An einem automatischen Zwangsabstieg, ohne dass eine Berücksichtigung des Einzelfalls möglich wäre, hat der Verband kein Interesse. Zwar soll auch hier der insolvente Verein für seine schlechte Wirtschaftsführung bestraft werden. Es ist aber nicht ersichtlich, warum dies nur durch einen Zwangsabstieg geschehen soll. Vor allem läuft dies auch dem eigenen Interesse der Verbände an einem geordneten, sportlichen Wettbewerb entgegen, wenn ein insolventer Verein unabhängig von seinem sportlichen Abschneiden am Saisonende absteigen müsste und dessen Spiele nicht gewertet würden. Mildere Mittel wie z. B. einen Punktabzug sieht § 6 SpO grundsätzlich nicht ___________ 145) Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 61. 146) Walker, KTS 2003, 169, 171. 147) A. A.: Walker, KTS 2003, 169, 182; Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 55.

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vor. Eine Strafe für unsolides Wirtschaften, die der Zwangsabstieg darstellt, ist darüber hinaus nur gerechtfertigt, wenn dem insolventen Verein ein Verschulden zur Last gelegt werden kann und die Insolvenz nicht durch äußere, vom Verein nicht zu beeinflussende Umstände hervorgerufen wurde. § 6 SpO eröffnet dem Verband aber keine Möglichkeit, solche Gegebenheiten in die Entscheidung einzubeziehen. Auf der anderen Seite wird dem Insolvenzverwalter die Betriebsfortführung erheblich er- 107 schwert.148) Die Sanierungschancen werden durch den Zwangsabstieg stark beeinträchtigt.149) Dies läuft auch der mit dem ESUG verfolgten gesetzgeberischen Intention zuwider, die Sanierungschancen für ein Unternehmen zu erleichtern.150) Mit dem automatischen Verlust der Ligazugehörigkeit wird den Gläubigern nicht nur eine 108 aussichtsreiche Option zur Befriedigung der Insolvenzforderungen genommen. Die Sanierung ist auch einer erheblichen Unwägbarkeit ausgesetzt. Sponsoren- und Spielerverträge sind nämlich häufig an den Verbleib in der Liga geknüpft. Bei einem Abstieg müssten also in vielen Fällen erst neue Sponsoren gewonnen und neue Spieler unter Vertrag genommen werden. Kann dies nicht kurzfristig bewerkstelligt werden, wirkt sich dies negativ auf die Prognose aus, ob eine Betriebsfortführung überhaupt erstrebenswert ist. Insbesondere müssen nun die Schulden, die sich durch die Teilnahme an einer höheren Spielklasse angehäuft haben, mit Mitteln der niedrigeren Klasse zurückgezahlt werden. Der Zwangsabstieg beeinträchtigt damit massiv die Interessen der Vereine und der Gläubiger. Die Wahlmöglichkeit nach § 1 Satz 1 InsO wird faktisch eingeschränkt. Auf der Gegenseite kann auch kein berechtigtes Interesse des DFB, an dieser Klausel 109 festzuhalten, bestehen. Steht mit Antragstellung für einen vorläufigen Insolvenzverwalter oder eine vorläufige Eigenverwaltung bereits während der Spielzeit fest, dass mit Verfahrenseröffnung unabhängig der sportlichen Leistungen der Zwangsabstieg erfolgen wird, dürfte für den vorläufigen Insolvenzverwalter auch kein wirtschaftliches Interesse bestehen, den Spielbetrieb mit der bestehenden Kostenstruktur bis zum Ende der Spielzeit aufrechtzuerhalten, nur um den verbleibenden Teilnehmern die Punktebewertung zu ermöglichen. Er wird vielmehr erwägen, schnellstmöglich die Verfahrenseröffnung zu betreiben, um sodann mit den Privilegien des Insolvenzverfahren, insbesondere der verkürzten Kündigungsfristen gemäß §§ 113 ff. InsO und der Wahl des Eintritts in bestehende Verträge, das Unternehmen zu restrukturieren und mittels Insolvenzplan in der nächsten Spielklasse zu sanieren. Durch die Nichtwertung der bereits ausgetragenen Spiele wird der vom Verband verfolgte Zweck, nämlich der Schutz des fairen sportlichen Wettkampfs, nicht erreicht. § 6 SpO ist nach § 242 BGB unwirksam. Dieser Rechtsauffassung ist der DFB nunmehr gefolgt und hat mit Wirkung zum 1.7.2015 § 6 Nr. 6 SpO eingeführt, wonach für die Vereine und Kapitalgesellschaften der 3. Liga, Frauen-Bundesliga, 2. Frauen-Bundesliga oder der Regionalliga statt des Zwangsabstieges ein Punktabzug i. H. von 9 bzw. 6 Punkten für die Frauenbundesliga erfolgt. Für den Bereich der dritten Liga kommt darüber hinaus ein Entzug der Zulassung in Frage, 110 wenn die Voraussetzungen für deren Erteilung nachträglich weggefallen sind, § 3 Nr. 2 Statut-3. Liga. Hierzu zählt nach § 6 Nr. 3 Statut-3. Liga auch der Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Wie bei § 10 Nr. 2 lit. a LO handelt es sich auch hier um eine Ermessensvorschrift. Es sind durchaus Situationen denkbar, in denen ein Entzug der Zulassung durch den Verband rechtmäßig ist. Dies ist bspw. anzunehmen, wenn der Verein ___________ 148) Fritzweiler/Pfister/Summerer-Pfister/Summerer, Sportrecht, S. 150. 149) A. A.: Adolphsen, KTS 2005, 53, 72. 150) RegE eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, BTDrucks. 17/5712, S. 18 f.

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noch vor Saisonbeginn in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und eine Liquidation bereits abzusehen ist. Soll der Betrieb jedoch zum Zwecke der Sanierung fortgesetzt werden, wäre ein Zulassungsentzug treuwidrig. Nach § 3 Nr. 4 Statut-3. Liga schiede der Verein nämlich am Ende der Saison aus dem Ligabetrieb aus, müsste also auch absteigen. Auch dies wäre eine Benachteiligung der Gläubiger, die nicht durch ein berechtigtes Interesse des DFB gedeckt wäre. Vor allem steht dem Verband ein milderes Mittel zur Verfügung. Nach § 3 Nr. 3 Statut-3. Liga können dem insolventen Verein anstatt eines Zulassungsentzuges nachträglich Auflagen erteilt werden. Auf diese Weise kann der Verband berechtigte Interessen zum Schutze des sportlichen Wettbewerbs festlegen, ohne dass den Gläubigern eine Betriebsfortführung versperrt würde. § 3 Nr. 2 Statut-3. Liga verstößt nicht gegen § 242 BGB. Eine konkrete Entscheidung eines Zulassungsentzuges kann aber mit diesem Einwand angegriffen werden. 111 Die Verbände halten nach wie vor an solchen Zwangsabstiegsklauseln fest. Für die Betriebsfortführung bedeutet dies bis zur Klärung der Rechtslage, dass die zuständigen Verbände voraussichtlich unter Berufung auf die Zwangsabstiegsklausel eine beantragte Zulassung bzw. Lizenz verweigern werden und diese im Rechtswege geltend gemacht werden müsste, was mit einem erheblichen Zeitverlust verbunden wäre. Da Sponsoren- und Spielerverträge häufig an den Verbleib in der Liga geknüpft sind, dürfte dies die Sanierungsmöglichkeiten erheblich erschweren. In Fällen, in denen für den Mutterverein eine Kapitalgesellschaft am Spielbetrieb zugelassen ist besteht zur Vermeidung des Zwangsabstieges lediglich die Möglichkeit, dass Mutterverein und Tochtergesellschaft die Berechtigung zur Beantragung einer Zulassung für die folgende Spielzeit einvernehmlich auf den Mutterverein zurückübertragen können, wenn die Tochtergesellschaft für diese Spielzeit sportlich qualifiziert ist und der DFB-Spielausschuss zustimmt, § 10 Nr. 4 Statut-3. Liga Voraussetzung hierfür ist selbstverständlich, dass der Mutterverein sodann die weiteren Voraussetzungen zur Erteilung der begehrten Lizenz erfüllt. 2.2.4 Regelungen zum Erlöschen von Lizenzen bzw. Zulassungen 112 Neben Klauseln, die einen Entzug der Lizenz bzw. der Zulassung vorsehen, existieren solche, die unter bestimmten Umständen ein Erlöschen anordnen. Die Lizenz bzw. Zulassung ginge damit ohne eine weitere Anordnung unter. Für die Lizenzligen stellt § 10 Nr. 1 lit. c LO und für die dritte Liga § 10 Nr. 3 Statut-3. Liga eine solche Regelung dar. Beide Klauseln sehen ein Erlöschen der Lizenz bzw. Zulassung der Kapitalgesellschaft vor, wenn sich der Mutterverein auflöst oder seine Rechtsfähigkeit verliert. 113 Umstritten ist, ob mit dem Begriff „Auflösung“ eine tatsächliche oder bloß eine rechtliche i. S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 BGB für den Verein bzw. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG für die Kapitalgesellschaft, gemeint ist. Danach löst sich ein Verein bzw. die Kapitalgesellschaft auf, wenn über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Sofern vertreten wird, dass unter § 10 Nr. 1 lit. c LO und für die dritte Liga § 10 Nr. 3 Statut-3. Liga nur die endgültige Beendigung und nicht rechtliche Auflösung erfasst wird, bleiben die Institutionen des Vereins auch nach der Auflösung i. S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 BGB erhalten und dieser kann als rechtsfähiger oder nicht rechtsfähiger Verein fortgesetzt werden.151) Folgte man dieser Auffassung nicht, würde es sich bei den vorgenannten Regelungen um verkappte Insolvenzklauseln handeln, weil dann mit der Insolvenzeröffnung automatisch auch die Lizenz erlöschen würde. Die Klauseln verstießen dann gegen § 242 BGB.152) ___________ 151) Palandt-Ellenberger, BGB, § 42 Rz. 2, 3. 152) König/de Vries, SpuRt 2006, 96, 98.

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Betriebsfortführung in Sonderfällen 2.3

Anwendbarkeit und Vorrang der §§ 1, 103, 119 InsO

Nach § 119 sind Vereinbarungen unwirksam, durch die im Voraus die Anwendung der 114 §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird. Sowohl für den Bereich der ersten und zweiten Bundesliga als auch für den der dritten Liga wird die Teilnahme durch den Abschluss eines Vertrages des jeweiligen Fußballclubs mit dem Verband bewirkt. Für die dritte Liga wird dieser Vertrag als Zulassungsvertrag und für die Lizenzligen als Lizenzvertrag bezeichnet. Vor allem die Klauseln § 10 Nr. 1 lit. c LO, § 10 Nr. 2 lit. a LO und § 3 Nr. 2, § 10 Nr. 3 115 Statut-3. Liga, die ein Erlöschen bzw. einen Entzug der Lizenz vorsehen, schränken § 103 InsO ein. Die h. M. in Literatur und Rechtsprechung geht zunächst davon aus, dass Gesellschaftsverträge nicht in den Anwendungsbereich des § 119 InsO fallen.153) Danach dienen vereinsrechtliche Mitgliedschaftspflichten zwar der Verfolgung eines gemeinsamen Zweckes, stehen jedoch nicht in einem synallagmatischen Austauschverhältnis.154) Die Bestimmungen der Verbände enthielten zwar Verpflichtungsregelungen der Vereine, sie seien jedoch nicht als Gegenleistung i. S. des § 320 BGB zu qualifizieren.155) Die Verpflichtungen dienten ausnahmslos dem ordnungsgemäßen Betrieb der Lizenzligen. Die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Spielbetriebs sei aber in beiderseitigem Interesse,156) denn der Lizenznehmer wolle an einem Wettbewerb teilnehmen, der gerade aufgrund seines ausgeglichenen sportlichen Wettkampfs attraktiv ist. Die zu erbringende Leistung diene auf diese Weise der Förderung eines gemeinsamen Zwecks und nähere sich damit dem Gesellschaftsvertrag an.157) Dieser sei jedoch gerade aus dem Anwendungsbereich des § 103 InsO ausgenommen.158) Die Verpflichtungen, die ein Fußballverein mit dem Lizenzerwerb eingeht, stellen danach also keine Gegenleistungen i. S. des § 320 BGB dar, sondern erweiterte Auf- bzw. Teilnahmebedingungen.159) Entsprechendes gelte für den Zulassungsvertrag i. R. des Spielbetriebs der dritten Liga. § 103 InsO findet danach keine Anwendung. Nach neuer Ansicht wird unterschieden zwischen der Anwendung der §§ 103 ff. InsO auf 116 den Gesellschaftsvertrag selbst und der Anwendung der §§ 103 ff. InsO auf das aus dem Gesellschaftsverhältnis hergeleitete Teilnahmerecht. Danach sind die §§ 103 ff. InsO zumindest auf das Teilnahmerecht anwendbar.160) Das Hauptinteresse der Verbandsmitglieder ist jedoch nicht auf die Mitgliedschaft im Ver- 117 band gerichtet, sondern auf die Möglichkeit der Teilnahme am Liga-Betrieb. Hierfür schließen die Parteien einen Lizenzvertrag ab und werden zusätzlich Mitglied im Verband. Insofern ist der Auffassung zu folgen, dass Gesellschaftsvertag und Lizenzvertrag eine Einheit bilden, die die Anwendung des § 119 InsO allein auf den Gesellschafts- oder den Lizenzvertrag als nicht dem Willen der Vertragspartner des gesamten Regelwerkes Rechnung tragend ausgeschlossen erscheinen ließe.161) Um dem Willen der Parteien daher ge___________ 153) LG Köln, Urt. v. 26.2.2003 – 91 O 116/02, SpuRt 2003, 162. 154) Walker, KTS 2003, 169, 176. 155) OLG Köln, Urt. v. 8.1.2004 – 18 U 59/03, SpuRt 2004, 110, 112; Walker, KTS 2003, 169, 176; Haas, NZI 2003, 177, 179; König/de Vries, SpuRt 2006, 96, 98. 156) Walker, KTS 2003, 169, 176. 157) Haas, NZI 2003, 177, 179; Walker, KTS 2003, 169, 176; OLG Köln, Urt. v. 8.1.2004 – 18 U 59/03, SpuRt 2004, 110, 112. 158) Marotzke in: HK-InsO, § 103 Rz. 21; Braun-Kroth, InsO § 103 Rz. 16; Huber in: MünchKomm-InsO, § 103 Rz. 114. 159) König/de Vries, SpuRt 2006, 96, 98. 160) Adolphsen in: Heermann, Lizenzentzug, S. 65, 74 161) LG Köln, Urt. v. 26.2.2003 – 91 O 116/02, SpuRt 2003, 162; OLG Köln, Urt. v. 8.1.2004 – 18 U 59/03, SpuRt 2004, 110, 112.

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§ 33

Teil V Einzelfragen

recht zu werden und zu einem einheitlichen Ergebnis zu kommen, sind Satzungsklauseln und Bestimmungen im Lizenzvertrag als Einheit anzusehen, die den Bestimmungen der §§ 103 ff. InsO unterliegen.162) 118 Die Regelungen der einzelnen Lizenzverträge sowie die korporativen Regelungen sind somit, auch hinsichtlich der bisherigen Ausführungen, einheitlich zu beurteilen. 119 Folgt man der Auffassung, dass eine Anwendbarkeit der §§ 103 ff. InsO gegeben ist, ist umstritten, ob gemäß § 119 InsO Lösungsklauseln generell rechtmäßig sind. In Literatur und Rechtsprechung wird diesbezüglich vertreten, Lösungsklauseln für den Fall der Insolvenzeröffnung bei gegenseitigen Vertragsverhältnissen i. S. der §§ 103 ff. InsO, §§ 320 ff. BGB grundsätzlich als rechtmäßig anzusehen.163) Die Gegenauffassung sieht schon aufgrund des Wortlautes des § 119 InsO Lösungsklauseln grundsätzlich als unwirksam an.164) Der BGH dürfte diesem Rechtsstreit ein Ende gesetzt haben, nachdem er für vertragliche AGB festgestellt hat, dass der Anwendbarkeit des § 119 InsO nicht entgegen steht, dass die streitgegenständliche Klausel die Vertragsauflösung bereits für den Fall eines Eigenantrags oder eines zulässigen Gläubigerantrags vorsieht.165) Soll die Vorschrift des § 119 InsO in der Praxis nicht leer laufen, so müsse ihr eine Vorwirkung jedenfalls ab dem Zeitpunkt zuerkannt werden, in dem wegen eines zulässigen Insolvenzantrags mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ernsthaft zu rechnen ist.166) 120 Im Übrigen unterliegen die Lösungsklauseln § 112 InsO, wonach Kündigungen und damit auch Lösungsklauseln grundsätzlich unwirksam sind.167) Der Wortlaut des § 112 InsO beschränkt sich zwar auf Miet- und Pachtverhältnisse, aufgrund der Vergleichbarkeit mit Lizenzverträgen ist aber von einer entsprechenden Anwendung auszugehen, da wesentliches Merkmal von Lizenzverträgen die Überlassung eines Nutzungsrechts auf Zeit ist.168) 121 Schließlich kann eine Unwirksamkeit der Klauseln wegen unbilligen Eingriffs in die Gläubigerinteressen (§ 134 BGB) unterstellt werden. Die InsO stellt grundsätzlich über ihre allgemeine Wirkung hinaus ein Verbotsgesetz i. S. von § 134 BGB dar.169) 122 Nach § 1 InsO ist das Ziel eines Insolvenzverfahrens die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger durch bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens oder durch Sanierung des Unternehmens. Ferner wurde mit Einführung der InsO faktisch eine Pflicht des Insolvenzverwalters zur Fortführung eines Unternehmens bis zum Berichtstermin geschaffen. Der Spielbetrieb eines Profisportclubs stellt ein Unternehmen gemäß § 157 InsO dar. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung ist die verfassungsrechtlich geschützte Gläubigerautonomie nicht durch Insolvenzklauseln wie die vorgenannte tangiert. Der Lizenzentzug oder der Zwangsabstieg wirke sich nicht auf den Ablauf des Insolvenzverfahrens aus, sondern wirke lediglich auf die Chancen ein, die das insolvente Unternehmen im Falle seiner Fortführung auf dem Markt habe.170) 123 Der Verlust der Lizenz bzw. der Verlust der Lizenz nach Zwangsabstieg hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Chancen des insolventen Clubs auf dem Markt, sondern auch ___________ Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 71. OLG Karlsruhe, Urt. v. 30.3.2000 – 19 U 232/98, ZInsO 2001, 714. Marotzke in: HK InsO, § 119 Rz. 2. BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274, 276. BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274, 276. Adolphsen in: Heermann, Lizenzentzug, S. 65, 74; a. A. OLG Köln, Urt. v. 8.1.2004 – 18 U 59/03, SpuRt 2004, 110, 112. 168) Adolphsen in: Heermann, Lizenzentzug, S. 65, 74. 169) Walker, KTS 2003, 169, 177. 170) Walker, KTS 2003, 169, 177.

162) 163) 164) 165) 166) 167)

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§ 33

Betriebsfortführung in Sonderfällen

die gesamte Verfahrensabwicklung des Insolvenzverfahrens und vor allem die zu erwartende Quote für ungesicherte Gläubiger i. S. des § 38 InsO. Im Übrigen führt ein Lizenzentzug, wie dargelegt dazu, dass eine Sanierung mittels Insolvenzplan unmöglich bzw. bei Zwangsabstieg zumindest erschwert würde. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den in § 1 InsO genannten Zielen der InsO.171) Dieses Ergebnis wird auch durch Art. 71 EGInsO gestützt, aufgrund dessen Regelungsgehaltes u. a. § 12 GewO dahingehend geändert wurde, dass Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, während eines Insolvenzverfahrens keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe finden. 3.

Besonderheiten in der Kommunikation

Keine Sportart hat eine Popularität wie der Fußball, umso mehr stehen Profifußballvereine, 124 wie auch andere Profisportvereine im Fokus der Öffentlichkeit. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird durch Krise und Insolvenz noch verstärkt. Löst diese Krise eine negative Medienberichterstattung aus, kann der Sportverein an Image, Vertrauen und Glaubwürdigkeit verlieren. Geschieht dies, sind auch unmittelbar wirtschaftliche Faktoren betroffen. Die Anbahnung neuer Sponsorenverträge wird erschwert, bestehende Verträge möglicherweise gekündigt. Der Vertrieb von Fanartikeln kann leiden. Ein Schaden, der nachhaltig die Betriebsfortführung beeinträchtigen kann, entsteht somit nicht nur durch Krise und Insolvenz selbst, sondern auch durch ihre Darstellung in der Öffentlichkeit.172) Ein für eine Betriebsfortführung entscheidender Faktor ist daher die positive Begleitung 125 des Insolvenzverfahrens durch die Medien. Hierzu gehört es, die wichtigen Zielgruppen schnellstmöglich, präzise und ausführlich über den jeweiligen Entwicklungsstand der Lage des Vereins aufzuklären. Um Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten zu vermeiden, empfiehlt sich die Bestimmung eines Presseverantwortlichen (siehe dazu und insgesamt § 15 [Voskuhl]). Die wichtigsten Zielgruppen eines Sportvereins sind Fans, Sponsoren und Spieler. Auf- 126 grund der Insolvenz ist es notwendig, die Verunsicherung der Fans zu reduzieren und Maßnahmen vorzunehmen, damit die Fans nicht die Freude am Spiel verlieren. Hierzu gehören Maßnahmen wie z. B. Solidaritätskampagnen, Fan-Talks, aber auch wirtschaftliche relevante Maßnahmen, wie vorhandene Dauerkarten nicht für ungültig zu erklären und ihre Inhaber auf die Insolvenztabelle zu verweisen.173) Zum Erhalt der Motivation der Spieler als weitere Zielgruppe erweisen sich regelmäßige Gespräche zwischen Trainer und Spieler, sowie zwischen Geschäftsführung und Spieler als zielführend, nicht jedoch unnötiger Leistungsdruck. Auch bei den Sponsoren als weitere Zielgruppe sollte ein frühzeitiger, uneingeschränkter und offener Informationsaustausch stattfinden, verbunden mit der Zusicherung eines vorrangigen Informationsrechtes von Vereinsseite, um durch möglichst transparente Kommunikation das Vertrauen wieder herzustellen bzw. zu erhalten.174)

___________ 171) Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 77; Adolphsen in: Heermann, Lizenzentzug, S. 65, 74; a. A. Walker, KTS 2003, 169, 177, wonach sich der Zwangsabstieg nicht auf den Ablauf des Insolvenzverfahrens auswirke, sondern lediglich auf die Chancen, die das insolvente Unternehmen im Falle seiner Fortführung auf dem Markt habe. 172) Akhamal/Jantos/Panthel/Simon, InsbürO 2009, 406, 407. 173) Akhamal/Jantos/Panthel/Simon, InsbürO 2009, 406, 411. 174) Akhamal/Jantos/Panthel/Simon, InsbürO 2009, 406, 407.

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§ 33 V.

Teil V Einzelfragen Zusammenfassung

127 Sowohl die Insolvenz eines Freiberuflers als auch die eines Bundesligafußballvereins werfen spezifische Probleme auf. In beiden Fällen verspricht eine Betriebsfortführung den Gläubigern oftmals eine höhere Tilgung ihrer Forderungen. Doch gerade bei insolventen Freiberuflern und Profifußballvereinen bestehen Hindernisse, denen nicht mit wirtschaftswissenschaftlichen Mitteln begegnet werden kann. Die InsO steht hier in besonderer Weise im Spannungsverhältnis zu den Interessen Dritter bzw. der Öffentlichkeit, die durch Verbandssatzungen oder Berufsrechte zum Ausdruck kommen. Keiner Rechtsmaterie kann dabei ein prinzipieller Vorrang eingeräumt werden. Es muss daher im Einzelfall ein gerechter Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen gefunden werden, der nach Möglichkeit allen Belangen zu einer weitgehenden Verwirklichung verhelfen soll. Schützen also die Berufsrechte die Öffentlichkeit vor den Gefahren eines zahlungsunfähigen Freiberuflers, hat eine Betriebsfortführung nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie Instrumente bereithält, die geeignet sind, eine vollständige Sanierung des Schuldners herbeizuführen, wie z. B. die durch das ESUG gestärkte Eigenverwaltung mit dem Ziel der Verfahrensabwicklung durch ein Insolvenzplanverfahren. Gleichzeitig dürfen im Interesse der Gläubiger keine derart überspannten Anforderungen an einen Ausschluss der Gefahr gestellt werden, dass eine Betriebsfortführung quasi niemals in Betracht kommt. 128 Für die Entscheidung zu einer Fortführung im Falle eines insolventen Freiberuflers sind darüber hinaus die Person des Schuldners und seine Bereitschaft, mit den Gläubigern zu kooperieren, entscheidend. 129 Im Profifußball steht einer uneingeschränkten Betriebsfortführung ein ausdifferenziertes Sanktionensystem der den Profisport organisierenden Verbände entgegen, das, soweit es sich um Lösungsklauseln oder die Anordnung des Zwangsabstieges, handelt, im Widerspruch zur InsO befindet und ihr gegenüber keinen Vorrang genießt. Bis zur abschließenden Klärung der hier aufgeworfenen Rechtsfragen, wird eine Fortführung von Profisportvereinen mit dem Ziel der Sanierung entweder nur dann möglich sein, wenn trotz Hinnahme der Sanktionen eine Sanierung möglich ist oder eine Einigung mit den Verbänden im Einzelfall erfolgt bzw. die Verbände ihre Vorschriften angepasst haben.

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§ 34 Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Besonderheiten im Verhältnis Automobilhersteller – Zulieferer....................... 6 1. Allgemeines .................................................. 6 2. Besonderheiten im Insolvenzverfahren .... 11 III. Einzelne Maßnahmen............................... 17 1. Sofortmaßnahmen...................................... 18 1.1 Kommunikation .............................. 19 1.2 Vormaterialbelieferung ................... 22 1.3 Umstellung der Zahlungsbedingungen, Vorauszahlungen .............. 24 1.4 Bildung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses...................... 29 2. Fortführungsvereinbarung ........................ 33 2.1 Allgemeines – Betriebsfortführung und Nichterfüllungswahl....... 36 2.1.1 Insolvenzantragsverfahren ............. 36 2.1.2 Eröffnetes Verfahren ...................... 38 2.1.3 Fortführungsvereinbarung als Alternative....................................... 45 2.2 Form ................................................ 46

I.

2.3 2.4 2.5 2.5.1 2.5.2

Zeitpunkt des Abschlusses............. 49 Zustimmungsvorbehalt................... 50 Einzelne Regelungen ...................... 51 Neue Lieferverpflichtung ............... 52 Abnahme- und Zahlungsverpflichtung ................................... 54 2.5.3 Preise ............................................... 56 2.5.4 Verlustausgleich .............................. 59 2.5.5 Vorschusszahlungen auf Lieferungen und Leistungen................... 64 2.5.6 Gewährleistung und Leistungsstörung............................................. 65 2.5.7 Versicherung und Haftungsbegrenzung ...................................... 67 2.5.8 Vertragsdauer und Kündigung ....... 69 2.5.9 Ausproduktion................................ 72 2.5.10 Restrukturierungsmaßnahmen ...... 74 2.5.11 M&A-Prozess ................................. 77 2.5.12 Endabrechnung ............................... 80 3. M&A-Prozess – sog. Tradeagreement...... 82 IV. Fazit ............................................................ 87

Einleitung

Die deutsche Automobilindustrie ist mit über 785 000 Beschäftigten in Deutschland und 1 einem Jahresumsatz von über 367 Mrd. €1) der größte deutsche Industriezweig. Auf die Zulieferindustrie entfällt dabei etwa die Hälfte der Mitarbeiter bei einem Umsatz von über 73 Mrd. €. Es ist daher nicht verwunderlich, dass einige der größten und bekanntesten Insolvenz- 2 verfahren der vergangenen Jahre Unternehmen der Zulieferbranche aus dem Automotivebereich betreffen. Es handelt sich um meist umsatzstarke Unternehmen mit einer großen Anzahl von Arbeitnehmern und oft bekannten, klangvollen Namen. Nachfolgend einige Beispiele: Unternehmen/Gruppe Edscha Neumayer Tekfor Scherer & Trier Meteor Gummiwerke Whitesell Germany DGH Group Heidenau

Jahr 2009 2012 2014 2012 2015 2012

Umsatz (in Euro) 1 080 Mio. 500 Mio. 270 Mio. 221 Mio. 195 Mio. 120 Mio.

Mitarbeiter 6 500 3 300 2 359 2 300 1 200 1 000

Land D D D D D D

Quelle: Oliver Wyman, abrufbar unter www.oliverwyman.com

___________ 1) Quelle: Verband der Automobilindustrie, VDA Jahresbericht 2015, Zahlen 2014.

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§ 34

Teil V Einzelfragen

3 Insolvenzen von Zulieferbetrieben von Automobilherstellern stellen bei der Betriebsfortführung eine besondere Herausforderung an den bestellten Insolvenzverwalter dar. Sie bedürfen besonderer Kenntnisse des Marktes und der Funktionsweise der sensiblen Lieferketten im Automotivebereich. Ein rasches und entschlossenes Handeln insbesondere in der Anfangsphase ist erforderlich, um die Produktion der Automobilhersteller (= Kunden) nicht zu gefährden. Neben der besonderen Beachtung in der Öffentlichkeit, können gerade Produktionsunterbrechungen beim Hersteller schnell erhebliche Schäden, die leicht im 2stelligen Millionenbereich liegen können, nach sich ziehen. 4 Ausdrücklich nicht Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen sind Insolvenzen und Betriebsfortführungen von insolventen Händlerbetrieben. Auch wenn es sich dabei durchaus um komplexe Verfahren handeln kann, so sind diese doch in der Regel mit den bekannten Instrumentarien einer Händlerinsolvenz aus anderen Branchen vergleichbar. 5 Mit dem „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)“,2) das am 1.3.2012 in Kraft getreten ist, soll eine frühzeitige Sanierung von Unternehmen ermöglicht und die Spielräume für eine außergerichtliche Sanierung erhöht werden. Gleichzeitig soll der Weg durch die Insolvenz für den Insolvenzschuldner berechenbar werden. Mit der (vorläufigen) Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren (Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung) hat der Gesetzgeber Instrumente geschaffen, die auch bei einer Insolvenz im Bereich der Automobilzulieferindustrie gute Sanierungschancen bieten können. Bei den oben aufgeführten Großverfahren konnten diese Instrumente bisher aber noch nicht greifen. Insgesamt liefen im Jahr 2015 nur vier der TOP-50-Insolvenzen unter dem Schutzschirmverfahren.3) II.

Besonderheiten im Verhältnis Automobilhersteller – Zulieferer

1.

Allgemeines

6 Das Verhältnis der Automobilhersteller zu den Zuliefereren ist geprägt durch starke und durch die technische Komplexität weiter zunehmende Abhängigkeiten. Es bestehen komplexe Lieferketten zwischen x

den OEMs (= Original Equipment Manufacturer = Erstausrüster;4) im Automotivebereich ist dies der Fahrzeughersteller) und

x

ihren Erstlieferanten (sog. TIER 1)5),

x

ihren Unter-Lieferanten (sog. TIER 2) und

x

Unter-Unter-Lieferanten (sog. TIER 3).

7 Häufig vorkommende Lieferprozesse sind just-in-time Lieferung (sog. JIT)6) und just-insequence Lieferung (sog. JIS)7). ___________ 2) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 3) JUVE 1/2016, 23. 4) Kirchgeorg in: Gabler Wirtschaftslexikon, abrufbar unter: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/ original-equipment-manufacturer-oem.html (Abrufdatum: 9.1.2016). 5) Tier = engl. Rang; wird in Kombination mit einer Ziffer (Tier-1, Tier-2 bzw. Tier I, Tier II usw.) genutzt, um eine Menge in Vorrangige und Nachrangige zu teilen (wobei Tier-1 den Höchstpriorisierten beschreibt). 6) JIT = bedarfssynchrone Produktion; bezeichnet ein Organisationsprinzip, bei dem nur das Material in der Stückzahl und zu dem Zeitpunkt produziert und geliefert wird, wie es auch tatsächlich zur Erfüllung der Kundenaufträge benötigt wird. 7) JIS = reihenfolgesynchrone Produktion; bezeichnet ein Konzept bei dem der Zulieferer dafür sorgt, dass die benötigten Module rechtzeitig in der notwendigen Menge und Reihenfolge der benötigten Module angeliefert werden.

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 34 Die teilweise extrem hohen technischen Anforderungen verstärken zudem die gegen- 8 seitigen Abhängigkeiten: Lieferanten unterliegen einer strengen Auswahl, vorgegeben durch sicherheitstechnische Freigabeprozesse, bevor sie überhaupt Lieferanten eines OEM werden können. Ein OEM kann daher nicht ohne weiteres und insbesondere nicht kurzfristig im Falle einer Insolvenz einen Lieferanten durch einen anderen ersetzen. Ebenso wenig kann sich ein Lieferant kurzfristig einen anderen Kunden (OEM) für die gleichen Produkte suchen, da diese in der Regel speziell jeweils für einen OEM entwickelt und nur für diesen einsetzbar sind. Die Entwicklungsdauern und -zyklen im Automotivebereich betragen mehrere Jahre und sind so speziell, dass ein kurzfristiger und einfacher Austausch – in beiden Richtungen – fast nicht möglich ist. Fällt ein Glied in der Kette aus – bspw. durch unvorhersehbare Naturereignisse wie das 9 Erdbeben von Fukushima – wird die gesamte Lieferkette empfindlich gestört oder gar ganz unterbrochen. Das Erdbeben an der Ostküste Japans im März 2011 hatte zum Beispiel noch weit über ein Jahr Auswirkungen insbesondere auf die asiatische, aber auch auf die deutsche Automobilproduktion, obwohl nur wenige Direktlieferanten (TIER 1) deutscher OEM in Japan betroffen waren. Solche Störungen der Lieferkette mit Auswirkungen auf den OEM können daher auch In- 10 solvenzverfahren auslösen und zwar auch solche nachrangiger Zulieferer auf Stufe TIER 2, TIER 3 oder auch darunter. Dies gilt nicht nur für Insolenzen von Zulieferbetrieben, sondern auch für solche von Logistikdienstleistern. 2.

Besonderheiten im Insolvenzverfahren

In einem Insolvenzverfahren eines Zulieferers in der Automotivebranche bestehen daher 11 einige Besonderheiten für den Insolvenzverwalter, die aus der Besonderheit des Marktes und der Lieferbeziehung resultieren. So haben viele Zulieferbetriebe oftmals nicht nur einen OEM als Kunden, sondern be- 12 liefern mehrere oder gar alle der namhaften OEM-Konzerne. Auch dies kann in der Insolvenz zu besonderen Herausforderungen führen, sind die Interessen unter den OEM in der Insolvenz ihres Zulieferers nicht immer gleichgelagert. Bei möglichen Kapazitätsengpässen besteht für jeden OEM der Druck, in erster Linie die eigene Versorgungslage bestmöglich zu sichern. Es können aber auch unterschiedliche Grade der Abhängigkeit verschiedener OEM vom gleichen Lieferanten bestehen: ist für einen OEM der Lieferant ein maßgeblicher TIER 1, kann ein anderer OEM bereits die Ausproduktion oder einen Lieferantenwechsel vorbereitet haben. Ist für den einen OEM dann die Fortführung des Geschäftsbetriebes also maßgeblich, kann ein anderer Kunde des gleichen Zulieferers nur ein untergeordnetes weiteres Interesse an einer Betriebsfortführung haben. Fällt dieser OEM in der Insolvenz dann als Kunde aus, fehlen natürlich dessen Deckungsbeiträge und müssen ggf. von den verbleibenden Kunden i. R. einer Fortführungsvereinbarung übernommen werden (siehe hierzu Rz. 33 ff.). Hinzu kommen teilweise gegenläufige Interessen auch der übrigen beteiligten Stake- 13 holder im Verfahren, die es zu managen gilt: die OEM als Kunden sind in der Regel auf eine sofortige Weiterführung des Geschäftsbetriebes des insolventen Zulieferers angewiesen, für finanzierende Banken muss eine Betriebsfortführung nicht immer zur bestmöglichen Befriedigung führen, die Arbeitnehmer sind häufig gewerkschaftlich organisiert und die Gesellschafter sind häufig Beteiligungsgesellschaften und nicht mehr Inhaber oder familiengeführt. Damit unterliegt auch der M&A-Prozess einigen Besonderheiten, die sich sowohl aus den starken Abhängigkeitsverhältnissen als auch aus den dargestellten unterschiedlichen Interessen ergeben.

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§ 34

Teil V Einzelfragen

14 Auch internationale Verflechtungen und Abhängigkeiten sind im Bereich entsprechend aufgestellter internationaler Zulieferkonzerne, die eine Produktionsstätte im – bspw. osteuropäischen – Ausland haben, häufiger anzutreffen als bei vergleichbaren Insolvenzverfahren aus anderen Branchen. Ein Insolvenzverwalter kann sich daher auch mit primär und sekundär Insolvenzverfahren und den Regelungen der EuInsVO konfrontiert sehen. 15 Die Anforderungen an den Insolvenzverwalter i. R. einer Betriebsfortführung eines Zulieferers sind daher sehr hoch. Er sieht sich nicht nur vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt, sondern auch einer hohen Erwartungshaltung der Kunden und übrigen Stakeholder, verbunden mit einem immensen wirtschaftlichen und zeitlichen Druck und dies in einem internationalen Umfeld. 16 Das wichtigste für die Kunden ist deren Versorgungssicherheit. Die Erwartung ist, dass deren Bänder nicht stillstehen und keine Produktionsausfälle entstehen. Dies alles erfordert von dem Insolvenzverwalter, der in einem Insolvenzverfahren eines Zulieferers der Automotivbranche bestellt wird, Erfahrung und ein schnelles, professionelles und entschlossenes Handeln. III.

Einzelne Maßnahmen

17 Im nachfolgenden sollen beispielhaft – und nicht abschließend – einzelne Maßnahmen, die während der Betriebsfortführung eines insolventen Zulieferers anfallen können, erörtert werden. Natürlich handelt es sich dabei überwiegend um Maßnahmen und Grundsätze, die Insolvenzverwalter auch bei der Betriebsfortführung insolventer Unternehmen aus anderen Branchen beherrschen müssen. Allerdings bestehen branchenbedingt und aus den oben genannten Gründen einige Besonderheiten. 1.

Sofortmaßnahmen

18 Die aus Kundensicht entscheidende Phase eines Insolvenzverfahrens ist die Phase des Eröffnungsverfahrens und dort bereits der Zeitpunkt unmittelbar nach Insolvenzantragstellung bzw. Bestellung zum vorläufigen Verwalter. Bereits hier kann sich der Erfolg bzw. das Scheitern eines Verwalters jedenfalls aus Kunden-/OEM-Sicht ergeben. Das gleiche gilt für das Schutzschirmverfahren. 1.1

Kommunikation

19 Die Kommunikation gehört grundsätzlich zu den wichtigsten Maßnahmen einer erfolgreichen Betriebsfortführung. Dies gilt in besonderem Maße bei der Insolenz eines Zulieferers und dort insbesondere gegenüber den Kunden. Aufgrund der oben beschriebenen Abhängigkeiten innerhalb der Lieferkette herrscht mit Antragstellung – auch wenn sich eine solche vorab schon abgezeichnet hat oder gar zuvor angekündigt wurde – eine große Nervosität auf der Kundenseite. Die Lieferkette darf nicht unterbrochen werden. Die Kunden sind daher extrem an einer schnellen Kontaktaufnahme durch den vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter interessiert und suchen ihrerseits auch oft selbst sofort den Kontakt. 20 Sie werden zudem jede erforderliche Information zur kurzfristigen Planung der weiteren Produktion liefern. Die kurzfristige Produktionsplanung kann nur in ständiger gegenseitiger Abstimmung zwischen Insolvenzverwalter und allen betroffenen OEM erfolgen. Aber auch die Kommunikation und Koordination mit den Vormateriallieferanten ist ein wesentlicher Bestandteil zur Aufrechterhaltung der Lieferkette im Antragsverfahren. 21 Der hierfür in der Anfangsphase notwendige Aufwand sollte nicht unterschätzt werden. Es empfiehlt sich, sofort ein entsprechendes Team als Taskforce zu bilden und die Kon-

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 34 taktdaten an die jeweiligen Player weiterzugeben. Aufgrund der bei JIS- und JIT-Lieferungen prozessbedingten Kurzfristigkeit der Belieferung ist eine enge Abstimmung und in der Anfangsphase jederzeitige Erreichbarkeit notwendig und zu gewährleisten. Nur so kann auf sich abzeichnende Lieferengpässe gemeinsam mit den Kunden und den Vormateriallieferanten sofort reagiert und z. B. Sonderfahrten zur Belieferung organisiert werden. 1.2

Vormaterialbelieferung

In der Regel ging der Antragstellung eine Phase der Krise voraus, in der der Geschäfts- 22 betrieb des Zulieferers bereits „holprig“ lief und teils massiven Störungen ausgesetzt war. Das hat oft zur Folge, dass die Vormateriallieferungen von Unterlieferanten des insolventen Zulieferers mangels Bezahlung ausgeblieben sind, dass die Pipeline der notwendigen Vormaterialien nahezu leer ist. Vormateriallieferanten sind häufig nur noch gegen Vorkasse oder – ab Antragstellung – nach Übernahme einer Zahlungszusage durch den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Weiterbelieferung bereit. Aufgrund der oben dargestellten Lieferströme und den bestehenden Abhängigkeiten kann 23 dies recht schnell dazu führen, dass der insolvente Zulieferer nicht mehr lieferfähig ist, weil ihm schlicht das Material für seine eigene Fertigung auszugehen droht. Als Sofortmaßnahmen sind daher erforderlich: x

Sofortige Kontaktaufnahme zu den Vormateriallieferanten.

x

Sofortige Bestandsaufnahme der vorhandenen Vormaterialien.

x

Sicherstellung der weiteren Belieferung durch Übernahme von Zahlungszusagen gegenüber den Vormateriallieferanten.

x

Regelung hinsichtlich möglicher Aus- und Absonderungsrechte, z. B. bei vereinbartem (verlängertem) Eigentumsvorbehalt.

x

Gegebenenfalls Änderung der Zahlungsbedingungen gegenüber Lieferanten und Kunden.

1.3

Umstellung der Zahlungsbedingungen, Vorauszahlungen

Liquiditätssicherung auf der einen Seite und Aufrechterhaltung der Vormaterialbelieferung 24 auf der anderen Seite, werden in der Regel eine Umstellung der Zahlungsbedingungen in beide Richtungen – die der (Unter-)Lieferanten und die der Kunden – erforderlich machen. Die Unterlieferanten werden – wie oben dargestellt – häufig Vorauskasse fordern, um ihre 25 Lieferungen aufrechtzuerhalten. Mit den Kunden bestehen üblicherweise Vereinbarungen (über AGB), wonach Zahlungen 26 einmal monatlich erfolgen oder Zahlungsziele von bis zu sechs oder mehr Wochen vereinbart sind. Dies dürfte i. R. des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens/Schutzschirmverfahrens praktisch nicht länger umsetzbar sein, da die Liquidität zur Betriebsfortführung im laufenden Geschäftsbetrieb benötigt wird. Gegenüber den Kunden wird daher in der Regel die Umstellung auf Sofortzahlung erfolgen. Dies ist für die Kunden in der Insolvenzsituation, in der ein vorläufiger Insolvenzverwalter/Sachwalter für einen ordnungsgemäßen Geschäftsablauf sorgt, auch hinnehmbar. Zur kurzfristigen Sicherstellung der Liquidität im Eröffnungsverfahren ist auch die Ver- 27 einbarung von Vorauszahlungen auf zu liefernde Teileumfänge möglich. Im Rahmen einer Vereinbarung muss aber sichergestellt werden, dass die Vorauszahlungen sofort mit den Lieferungen verrechnet werden können um sicherzustellen, dass bei Insolvenzeröffnung keine „Restguthaben“ zugunsten der Kunden mehr bestehen. Die hieraus resultierenden Rückforderungsansprüche wären andernfalls nur Insolvenzforderungen und damit für die

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§ 34

Teil V Einzelfragen

Kunden verloren. Die Höhe der Vorauszahlungen ist daher anhand einer Vorausschau der zu liefernden Umfänge für den vorgesehenen Zeitraum möglichst genau zu ermitteln. 28 Vorauszahlungen innerhalb des eröffneten Verfahrens sind unproblematisch, da etwaige Rückforderungsansprüche Masseverbindlichkeiten darstellen. 1.4

Bildung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses

29 Bis zur Einführung des ESUG (siehe Fn. 2) war die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses im Antragsverfahren gesetzlich nicht vorgesehen, in der Praxis aber durchaus nicht unüblich. Mit der Änderung der §§ 21, 22 InsO und der Einführung des § 22a InsO ist dies jetzt auch gesetzlich für Verfahren vorgesehen, bei denen der Schuldner die in § 22a InsO vorgesehenen Kenngrößen erfüllt – was bei der Mehrzahl der wesentlichen Zulieferunternehmen der Fall sein dürfte. Hintergrund für den Gesetzgeber zur frühzeitigen Einbindung der Gläubiger in das Verfahren durch Konstitutionalisierung eines vorläufigen Gläubigerausschuss ist explizit, dass die Gläubiger ihr vielfach vorhandenes Wissen in das Verfahren einbringen können und zudem ein wirtschaftliches Interesse an einer erfolgreichen Sanierung haben.8) 30 Wichtig ist daher auch hier die geeignete Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses. Neben den Haupt-Stakeholdern Banken, Arbeitnehmervertretern, Lieferanten und Kleingläubigern sollte bei der Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses auch ein Vertreter der Kunden – also der OEM – einen Sitz im (vorläufigen) Gläubigerausschuss erhalten. Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO können zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses auch Personen bestellt werden, die erst mit Eröffnung des Verfahrens Gläubiger werden. 31 Jedenfalls bei bis zur Insolvenzantragstellung in normalem Umfang weiterlaufendem Geschäftsbetrieb gilt dies auch für die OEM als Kunden – Forderungen der Kunden gegen den Lieferanten entstehen in der Regel erst im Laufe des Insolvenzverfahrens, bspw. durch die Übernahme von Verlustbeiträgen. 32 Die Einbeziehung der Kunden in den Gläubigerausschuss ist für den Erfolg der Betriebsfortführung für die Gesamtheit der Gläubiger maßgeblich und erforderlich – es sind in der Regel die stabilen Beziehungen zu den Kunden, die den Wert des schuldnerischen Unternehmens maßgeblich beeinflussen oder gar ausmachen. Zudem sind oft Vereinbarungen über die Betriebsfortführung mit den Kunden notwendig, so dass deren Vertretung im (vorläufigen) Gläubigerausschuss sinnvoll erscheint (siehe hierzu unten Rz. 33 ff.). 2.

Fortführungsvereinbarung

33 Der Erhalt des Unternehmens ist eines der gesetzlich vorgegebenen Ziele eines Insolvenzverfahrens, § 1 InsO.9) Daher enden Rechtsbeziehungen zwischen Schuldner und Dritten nicht mit Insolvenzantragstellung oder -eröffnung automatisch. Der Insolvenzverwalter hat vielmehr ab Verfahrenseröffnung bei beidseitig nicht vollständig erfüllten Verträgen gemäß § 103 InsO ein Wahlrecht. 34 Eine für alle Seiten praktikable Alternative zu den beiden (ab Eröffnung) gesetzlich vorgesehenen Alternativen – unveränderte Fortsetzung des Lieferverhältnisses oder Nichterfüllungswahl – ist die einvernehmliche Gestaltung der bestehenden Vertragsverhältnisse im Wege einer sog. Fortführungsvereinbarung (nachfolgend: „FVB“) zwischen Insolvenzverwalter und – allen oder einzelnen – Kunden. Für den Insolvenzverwalter besteht damit die Möglichkeit, die Kunden an etwaigen betriebswirtschaftlichen Risiken aus der Fort___________ 8) Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 11/2015, § 22a Rz. 4a. 9) Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, Stand: 4/2012, § 1 Rz. 36.

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 34 führung des schuldnerischen Geschäftsbetriebes zu beteiligen. Die Kunden erhalten umgekehrt die so dringend notwendige Versorgungssicherheit über einen planbaren Zeitraum ohne fürchten zu müssen, dass der Verwalter die Nichterfüllung wählt oder zu einem späteren Zeitpunkt die Masseunzulänglichkeit anzeigt. Ziel der Fortführung des Geschäftsbetriebs ist daher regelmäßig, das Unternehmen der Ge- 35 sellschaft bis zu seiner angestrebten Veräußerung als organisatorische Einheit zu erhalten, um dadurch die Versorgung der Kunden mit Produkten sicherzustellen und gleichzeitig eine für die Gläubiger und die Mitarbeiter möglichst vorteilhafte übertragende Sanierung des Unternehmens im Insolvenzverfahren durch Verkauf eines aktiven Geschäftsbetriebs an einen Investor zu ermöglichen. 2.1 Allgemeines – Betriebsfortführung und Nichterfüllungswahl 2.1.1 Insolvenzantragsverfahren Der vorläufige (schwache) Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis nicht über- 36 gangen ist, ist zunächst an die bestehenden vertraglichen Vereinbarungen zu den Kunden des Schuldners gebunden. Er unterliegt damit einer Lieferverpflichtung zu den zwischen dem Kunden und dem schuldnerischen Unternehmen vereinbarten Bedingungen. Ein gesetzliches Sonderkündigungsrecht besteht – für beide Seiten – in diesem Verfahrensstadium nicht. Vorläufiger Insolvenzverwalter und Kunde bleiben daher zunächst gegenseitig vertraglich aneinander gebunden, mit genau den gleichen gegenseitigen Verpflichtungen wie vor der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Eine einseitige – nur durch den vorläufigen Verwalter vorzunehmende – „Nachkalkulation“ der bereits erteilten Aufträge sieht das Gesetz ebenso wenig vor, wie die einseitige vollständige Beendigung der Vertragsbeziehung. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der schwache vorläufige Verwalter beim Insolvenz- 37 gericht per Beschluss die Genehmigung zur sofortigen Betriebseinstellung einholt. 2.1.2 Eröffnetes Verfahren Ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann sich der Insolvenzverwalter einseitig durch 38 Ablehnung der Erfüllung gemäß § 103 InsO von den Leistungspflichten aus dem Vertragsverhältnis lossagen. Da in der Regel für jeden zu liefernden Umfang einzelne Vertragsverhältnisse in Form von Einzelbeauftragungen oder sog. Nominierungen bestehen, muss der Insolvenzverwalter für jeden einzelnen Umfang überlegen, ob er die Nichterfüllung wählt. Ob man dabei die bestehenden Lieferverhältnisse als Kaufvertrag, Werkvertrag oder eine Mischform ansieht, spielt für die Ausübung des Wahlrechts gemäß § 103 InsO zunächst keine Rolle.10) Der Verwalter ist aber nach wie vor an den Grundsatz der bestmöglichen Gläubiger- 39 befriedigung gemäß § 1 InsO gebunden und muss diesen auch bei der Entscheidung, ob er die Nichterfüllung erklären will, berücksichtigen. Der Insolvenzverwalter steht in einem solchen Falle vor der Herausforderung, die Kalku- 40 lation der einzelnen Preise pro Teil zu ermitteln, und zu prüfen und zu entscheiden, in welchem Umfang eine Weiterproduktion und -belieferung erfolgen kann. Im Rahmen seines generellen Auftrages gemäß § 1 InsO wird der Insolvenzverwalter x einerseits die Produktion und Belieferung von Teilen mit hohem Deckungsbeitrag aufrechterhalten müssen; x auf der anderen Seite muss ein Verlust aus der Weiterproduktion zu Lasten der Gläubiger vermieden werden. ___________ 10) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 11/2011, § 103 Rz. 48, 49, 91 ff.

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§ 34

Teil V Einzelfragen

41 Bei der betriebswirtschaftlichen Beurteilung ist allerdings mithilfe einer Planungsrechnung das Gesamtergebnis der Betriebsfortführung zu beurteilen. Davon geht auch der Regelungszweck des § 103 InsO aus. Bei der Beurteilung, ob der Verwalter die Erfüllung wählt oder ablehnt, muss er berücksichtigen, dass für die Masse ein Vertrag auch dann werthaltig ist, wenn die weitere Erfüllung für die Masse sonst, etwa als Deckungsbeitrag oder zur Marktpräsenz vorteilhaft ist. Ob der Verwalter Erfüllung verlangt, hängt daher nicht allein vom Marktwert der auszutauschenden Leistungen ab.11) Daher kann die Weiterproduktion eines einzelnen Teils mit schlechtem oder gar negativem Deckungsbeitrag jedenfalls dann in Kauf genommen werden, wenn das geplante Gesamtergebnis am Ende für die Gläubiger zu einer höheren Befriedigung führt oder – was regelmäßig der Fall sein dürfte – zu einer besseren Verwertbarkeit des Gesamtunternehmens, bspw. i. R. eines Asset Deals. 42 Der Verwalter hat also bei seinen Überlegungen zur Erfüllungswahl für jede einzelne Liefervereinbarung den Wert für die Gesamtheit der Gläubiger zu prüfen und seine Entscheidung daran auszurichten. 43 Er muss andererseits aber natürlich auch dafür sorgen, dass er neu begründete Verbindlichkeiten bedienen kann, um seiner Haftung nach § 61 InsO zu entgehen. 44 Die Nichterfüllungswahl führt zu Ansprüchen der jeweiligen Kunden auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gemäß § 103 InsO und erhöht den Bestand an Insolvenzforderungen. Führt die Nichterfüllungswahl zu einem Produktionsausfall beim Kunden wird der dadurch verursachte und als Insolvenzforderung anzumeldende Schaden immens. 2.1.3 Fortführungsvereinbarung als Alternative 45 Eine für alle Seiten praktikable Alternative zur Nichterfüllungswahl oder zur unveränderten Fortsetzung des Lieferverhältnisses ist der Abschluss einer sog. Fortführungsvereinbarung zwischen Insolvenzverwalter und allen – oder einzelnen – Kunden, mit der die Fortsetzung der Lieferverhältnisse einvernehmlich gestaltet werden kann. 2.2

Form

46 Die FVB ist grundsätzlich formfrei. Einen vorgeschriebenen Regelungsinhalt gibt es nicht. In der Regel werden überwiegend werk- und kaufvertragliche Elemente enthalten sein. Aus den Besonderheiten der bisher bestehenden Lieferbeziehung kann sich auch die Notwendigkeit der Aufnahme von Regelungen aus Miet- oder Leasingrecht, dem Auftragsrecht oder zu anderen schuldrechtlichen Regelungsinhalten ergeben. 47 Sinnvollerweise sollte die FVB zwischen allen Kunden und dem Insolvenzverwalter in einer mehrseitigen Vereinbarung geschlossen werden. Bei einem jeweils bilateralen Abschluss zwischen Verwalter und einzelnem Kunden besteht die Gefahr, dass nicht mit allen Kunden gleiche Verhandlungsergebnisse erzielt werden können und dies im Ergebnis zu einer Ungleichbehandlung führen kann. Dies wird dem Verwalter insbesondere am Ende des Verfahrens Probleme im Hinblick auf die Abrechnung gegenüber den Kunden bereiten oder zu Schwierigkeiten bei einer Verwertung des schuldnerischen Unternehmens führen können. 48 Zu beachten ist beim Abschluss einer mehrseitigen Vereinbarung aber die grundsätzliche Einhaltung der Vertraulichkeit der Kundendaten im Verhältnis zu den jeweils anderen Kunden. So dürfen keinesfalls einzelne Kalkulationsgrundlagen und Preise für produzierte und gelieferte Teile für alle Parteien der Vereinbarung offengelegt werden. Dies kann nur ___________ 11) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 11/2011, § 103 Rz. 7.

1104

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 34 durch individuelle Anlagen zu dem Vertrag gegenüber der jeweils betroffenen Partei erfolgen, es sei denn die Parteien haben auf eine entsprechende Geheimhaltung verzichtet. 2.3

Zeitpunkt des Abschlusses

Sinnvollerweise sollte über eine FVB zwischen Verwalter und allen betroffenen bzw. zu- 49 stimmenden Kunden so früh wie möglich verhandelt werden und eine solche jedenfalls zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens rechtsgültig abgeschlossen sein. Dies gibt zum einen dem Verwalter die Sicherheit, den Geschäftsbetrieb weiterführen zu können ohne ab dem Tag der Eröffnung eine Haftung hieraus nach § 61 InsO zu riskieren. Auf der anderen Seite erhalten die Kunden die benötigte Kontinuität und Versorgungssicherheit. 2.4

Zustimmungsvorbehalt

Der Abschluss der FVB bedarf der Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubi- 50 gerversammlung. Sie sollte daher unter die aufschiebende Bedingung der entsprechenden Zustimmung gestellt werden. 2.5

Einzelne Regelungen

Nachfolgend sollen beispielhaft und nicht abschließend einige notwendige und sinnvolle 51 Regelungen einer FVB dargestellt werden. 2.5.1 Neue Lieferverpflichtung In der Regel wird der Insolvenzverwalter unter Berücksichtigung der oben dargestellten 52 Grundsätze die Erfüllung der einzelnen Lieferverträge gemäß § 103 InsO prüfen und ablehnen. Für eine Fortführung des Geschäftsbetriebs ist daher der Abschluss neuer Lieferverpflichtungen erforderlich. Insolvenzverwalter und Kunden müssen daher bestätigen, dass die – sinnvollerweise in einer Anlage aufgeführten – Aufträge/Verträge mit Wirkung ab Insolvenzeröffnung neu abgeschlossen werden. Darüber hinaus sollte grundsätzlich die Beibehaltung der ursprünglichen Vertragsbedingungen vereinbart werden, die i. E. (z. B. hinsichtlich einzelner Preise, Zahlungsmodalitäten o. Ä.) in der FVB modifiziert werden können. Der Verwalter verpflichtet sich bei Einhaltung der vereinbarten Bedingungen zur Produk- 53 tion und Belieferung. Die Parteien sollten zudem die Teile, deren Produktion und Belieferung Gegenstand der FVB sein sollen, so genau wie möglich benennen, und zwar unter Nennung der jeweiligen Teile- und Indexnummer. Am besten geschieht dies in einer Anlage. 2.5.2 Abnahme- und Zahlungsverpflichtung Der Produktions- und Lieferverpflichtung des Insolvenzverwalters steht die Abnahmever- 54 pflichtung der Kunden gegenüber. Beide Parteien – Insolvenzverwalter und Kunden – benötigen eine entsprechende Planungssicherheit. Es ist daher sinnvoll, Regelungen aufzunehmen, wonach sich die Kunden verpflichten, x

den definierten Auftragsbestand in der schuldnerischen Gesellschaft bis zum Ende der Laufzeit der Vereinbarung zu belassen und diesen nicht abzuziehen,

x

die in ihrem Eigentum stehenden Produktionswerkzeuge nicht vor Beendigung der Laufzeit der Vereinbarung abzuziehen.

Neben der Abnahmepflicht besteht natürlich eine entsprechende Zahlungspflicht der Kun- 55 den zu den vereinbarten Zahlungsbedingungen. Die Kontoverbindung, auf die die Kunden schuldbefreiend leisten können – in der Regel das Insolvenzverwalter-Anderkonto – sollte in der Vereinbarung ebenfalls angegeben werden. Bauch

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§ 34

Teil V Einzelfragen

2.5.3 Preise 56 Soweit die Parteien eine Übernahme etwaiger Verluste aus der Betriebsfortführung (vgl. nachfolgend unter Rz. 59 ff.) vereinbaren, besteht keine Notwendigkeit, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltenden Preise in Frage zu stellen oder zu erhöhen. Der Insolvenzverwalter ist zugunsten der Gläubiger hier ausreichend abgesichert. 57 Allerdings sehen die bisher bestehenden Lieferbedingungen häufig sog. savings, die über eine definierte Laufzeit die prozentuale Verringerung der jeweiligen Teilepreise wegen Optimierung der Produktionsbedingungen regeln, vor. Derartige Bedingungen sind i. R. des Insolvenzverfahrens nicht sinnvoll, da sie sich unmittelbar auf die Liquidität des schuldnerischen Unternehmens auswirken und über mögliche Verlustübernahmen letztendlich wieder zum Ausgleich beim Kunden landen. Das gleiche gilt für Skontovereinbarungen. 58 In jedem Fall ist eine gemeinsame Preisbasis zwischen dem jeweiligem Kunden und dem Insolvenzverwalter festzulegen. 2.5.4 Verlustausgleich 59 Nachdem die Betriebsfortführung auch im maßgeblichen Interesse der Kunden liegt und in der Regel kein anderer Stakeholder bereit sein wird, Verlustausgleichszahlungen zu leisten, wird der Insolvenzverwalter versuchen, eventuell aus der Betriebsfortführung anfallende Verluste auf die Kunden abzuwälzen. Hierzu ist zunächst eine umfassende und bei Abschluss der FVB vorliegende Ertrags- und Liquiditätsplanung erforderlich. 60 Die Verpflichtung zum Verlustausgleich sollte zudem folgende Punkte umfassen und regeln: x

Verpflichtung der Kunden zum Ausgleich der Verluste, gedeckelt auf eine sich aus der Planungsrechnung ergebende Höchstsumme;

x

Nachschusspflicht bei Überschreiten der Höchstsumme mit dem Recht der Plausibilisierung durch die Kunden;

x

bei mehreren Kunden, Festlegung eines Verteilungsschlüssels unter den Kunden und unter Ausschluss einer gesamtschuldnerischen Haftung;

x

Abrechnung der tatsächlichen Verluste am Ende der Fortführungsperiode und Prüfungsrecht der Kunden durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer;

x

Rückzahlungspflicht, wenn sich am Ende der Fortführungsperiode und nach Abrechnung der tatsächlichen Verluste ein zu viel geleisteter Betrag zugunsten der Kunden ergibt; Rückzahlung dann mit gleichem Verteilungsschlüssel unter den Kunden wie bei der Einzahlung; Rückzahlungsanspruch als Masseverbindlichkeit.

61 Um die Liquidität im laufenden Geschäftsbetrieb sicherzustellen, sollten auf die sich ja nur anhand von Planzahlen ermittelten, voraussichtlichen Verluste Vorauszahlungen vereinbart werden. Hierfür ist ein Zahlungsplan analog der Ertrags- und Liquiditätsplanung als Anlage zu der FVB zu erstellen. 62 Es ist zudem sicherzustellen, dass die Verlustausgleichsfinanzierung zweckgebunden ist und ausschließlich für den Ausgleich der tatsächlich am Ende der Fortführungsperiode aus der Betriebsfortführung entstandenen Verluste verwendet wird. Verlustausgleichszahlungen (und Vorauszahlungen hierauf) sind bestimmungsgemäß keine Insolvenzmasse, die massemehrend der Befriedigung aller Gläubiger dient. Der Verwalter ist nur berechtigt, liquiditätswirksame Verpflichtungen der Insolvenzmasse, die in den Verlustausgleich einbezogen werden, aus der Vorauszahlung zu begleichen. Er hat die (Voraus-)Zahlungen

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 34 im Übrigen getrennt von der Masse zu vereinnahmen und zu verwalten. Hierzu muss er ein Sonderkonto bereithalten. Um spätere Diskussionen bei der Abrechnung der Verlustausgleichszahlung zu ver- 63 hindern, sollte eine genaue betriebswirtschaftliche Definition des Begriffes „Verlust“ vorgenommen werden. Hierunter ist allgemein der durch die Betriebsfortführung bedingte massemindernde und liquiditätswirksame Verlust gemäß §§ 238 ff., 264 ff. HGB zu verstehen. 2.5.5 Vorschusszahlungen auf Lieferungen und Leistungen Soweit sich aus der Ertrags- und Liquiditätsplanung ergibt, dass zur Aufrechterhaltung 64 der Liquidität auch auf die zukünftigen i. R. der Betriebsfortführung zu erbringenden Lieferungen und Leistungen Vorauszahlungen zu erbringen sind – bspw. zur Vorfinanzierung von Vormateriallieferanten – sind diese in die FVB aufzunehmen. Dabei ist auch die Aufrechnungsmöglichkeit der Kunden mit den aus den tatsächlichen Lieferungen entstehenden Forderungen gegen die Rückzahlungsverpflichtung aus der Vorauszahlung vorzusehen. Je nach Liquiditätsvorschau ist der Zeitraum des „Stehenlassens“ der Rückforderungsansprüche zu definieren. 2.5.6 Gewährleistung und Leistungsstörung Auch während der Betriebsfortführung können an Lieferungen und Leistungen der 65 Schulderin Mängel auftreten. Um die benötigte Liquidität nicht durch Zurückbehaltungsrechte oder Zahlungsansprüche bei mangelhaften Lieferungen zu mindern (und diese Liquiditätslücke durch höherer Vorauszahlungen durch die Kunden schließen zu lassen), sollten die Gewährleistungsrechte der Kunden für Lieferungen ab dem Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung auf Nachlieferung, Nachbearbeitung oder Nachbesserrung beschränkt werden. Schadensersatzansprüche der Kunden aus Nichterfüllung und Leistungsstörungen, insbesondere Verzug und Unmöglichkeit gegen den Insolvenzverwalter und die Insolvenzmasse werden in der Regel ausgeschlossen, es sei denn sie beruhen auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Andererseits müssen die Kunden bei gravierenden Leistungsstörungen, die z. B. zu Band- 66 stillständen geführt haben, eine Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung der FVB haben, jedenfalls soweit dies zur Absicherung der Produktion und eventuellen Verlagerung des von der Leistungsstörung betroffenen Produktumfanges erforderlich ist. 2.5.7 Versicherung und Haftungsbegrenzung Der Insolvenzverwalter hat – wie bei jeder anderen Betriebsfortführung auch – für einen 67 ausreichenden Versicherungsschutz des schuldnerischen Unternehmens zu sorgen. Im Hinblick auf die oben dargestellten nicht unerheblichen Schadenssummen, bspw. bei 68 einem Bandstillstand, sollte zudem eine ausreichende Vermögensschadenshaftpflichtversicherung abgeschlossen werden und die persönliche Haftung des Verwalters gemäß §§ 60, 61 InsO auf die Versicherungssumme begrenzt werden. 2.5.8 Vertragsdauer und Kündigung Da eine Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren auf unbegrenzte Dauer nicht sinnvoll 69 und nicht möglich ist, muss die Dauer der FVB und damit des Fortführungszeitraumes befristet werden. Eine Verlängerungsoption sollte vorgesehen werden. Andererseits ist die automatische Beendigung der FVB vorzusehen bei Verkauf des Geschäftsbetriebes. Am

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§ 34

Teil V Einzelfragen

Ende der Fortführungsperiode wird in der Regel die Übertragung des Geschäftsbetriebes stehen oder eine Betriebseinstellung nach erfolgter Ausproduktion. 70 Für den Fall der Nichteinhaltung der gegenseitigen Pflichten aus der FVB kann ein beidseitiges außerordentliches Kündigungsrecht geregelt werden. Schwierig wird die Fortsetzung der FVB, wenn mehrerer Kunden Vertragspartner sind. Scheidet nur ein Kunde durch eigene Kündigung oder Kündigung durch den Insolvenzverwalter aus, haben aber die übrigen Kunden ein Interesse an der weiteren Fortführung des Geschäftsbetriebs, sollten entsprechende Regelungen vorsehen, dass die übrigen Kunden die Verlustbeiträge, Liquiditätshilfen und Vorauszahlungen des ausscheidenden Kunden mit übernehmen – denn in der Regel werden sich die möglichen Verluste bei Wegfall der Deckungsbeiträge eines Kunden insgesamt (und damit anteilig für die verbleibenden Kunden) erhöhen. Andererseits muss entsprechend den obigen Ausführungen zur Zweckgebundenheit dafür gesorgt werden, dass die Zahlungen der verbleibenden Kunden auch nur für deren Produktion und deren Belieferung verwendet werden. 71 Vor Ende der vertraglich vorgesehenen Fortführungsperiode ist den Kunden die Möglichkeit einzuräumen, die Verlagerung der in ihrem Eigentum stehenden Werkzeuge vorzubereiten und auch die noch bestehenden Aufträge auf andere Lieferanten zu verlagern. Mit Ende der Fortführungsperiode werden dann in der Regel auch die Lieferverpflichtungen enden und der Geschäftsbetrieb im schuldnerischen Unternehmen eingestellt, sowie fremdes Eigentum (also z. B. die Kundenwerkzeuge) herausgegeben. 2.5.9 Ausproduktion 72 Ein mögliches Szenario als Ziel einer Betriebsfortführung – neben der Übertragung des Geschäftsbetriebes – ist auch die sog. Ausproduktion, z. B. im Wege einer geordneten Verlagerung der Umfänge durch die Kunden auf andere Lieferanten oder durch Einstellung der Produktion mangels Bedarf. Für diesen Fall verpflichtet sich der Insolvenzverwalter, die Kunden bei einem geordneten Abzug der Umfänge zu unterstützen. Bei einer Verlagerung auf andere Lieferanten wird in der Regel ein Herauffahren der Produktion notwendig sein, um für den Zeitpunkt der tatsächlichen Verlagerung (z. B. Umzug der Werkzeuge) einen entsprechenden Lagerbestand aufbauen zu können. Dies führt zu höheren Umsätzen. Bei der Produktion von Teilen mit einem negativen Deckungsbeitrag führt dies aber umgekehrt auch zu einer Vergrößerung des Verlustes. Entsprechende Regelungen zur Verlustübernahme, wie sie oben beschrieben wurden, sind daher auch hierfür vorzusehen. 73 Im Übrigen gelten auch für den Fall einer Ausproduktion als Ziel einer Betriebsfortführung die oben genannten Grundsätze im Hinblick auf eine FVB. 2.5.10 Restrukturierungsmaßnahmen 74 Insbesondere im Hinblick auf eine angestrebte Übertragung des Geschäftsbetriebs ist es häufig sinnvoll, vorab im Insolvenzverfahren oft bereits lange notwendige Restrukturierungsmaßnahmen durchzuführen oder zumindest zu beginnen. Die Ermittlung und Festlegung dieser Maßnahmen erfolgt gemeinsam zwischen Insolvenzverwalter und Kunden, ggf. unter Einschaltung einer Beratungsgesellschaft. 75 Restrukturierungsmaßnahmen sorgen x

zum einen für einen optimierten Geschäftsbetrieb; sie kommen daher unmittelbar zunächst den Kunden zugute;

x

zum anderen wirken sich erfolgreich durchgeführte Restrukturierungsmaßnahmen aber in der Regel auch werterhöhend bei einer Veräußerung des Geschäftsbetriebes aus, was dann über eine höhere Teilungsmasse auch allen anderen Gläubigern zugutekommt.

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 34 Die Finanzierung von Restrukturierungsmaßnahmen kann daher entweder über die Kunden 76 erfolgen oder im Zusammenspiel mit weiteren beteiligten Stakeholdern, z. B. Banken, die daran partizipieren. Umfassen die Restrukturierungsmaßnahmen auch die (oft schon überfälligen) Investitionen in neue Maschinen und Anlagen ist eine Beteiligung an den späteren Verkaufserlösen für die Finanzierungsgeber vorzusehen. 2.5.11 M&A-Prozess Soweit das Ziel des Insolvenzverfahrens – wie häufig – eine übertragende Sanierung mithilfe 77 eines Asset Deals auf einen Erwerber bzw. neuen Rechtsträger sein soll, können entsprechende Verpflichtungen auch hier bereits in die FVB aufgenommen werden. Ein erfolgreicher M&A-Prozess setzt das weitere Vertrauen der Kunden in den neuen Lieferanten und in dessen Stabilität und Lieferfähigkeit voraus. Die Einbindung der Kunden in die Entscheidungsprozesse im laufenden Insolvenzverfahren und in den M&A-Prozess ist daher notwendig (siehe auch Rz. 82 ff.). Mögliche Regelungen in einer FVB sind z. B.:

78

x

Der Insolvenzverwalter verpflichtet sich, für den Geschäftsbetrieb so schnell wie möglich einen Investor zu finden und den operativen Geschäftsbetrieb auf diesen zu übertragen.

x

Er verpflichtet sich, die Kunden über den Fortgang des M&A-Prozesses regelmäßig zu informieren.

x

Die Kunden verpflichten sich, den Insolvenzverwalter bei der Suche nach Kaufinteressenten zu unterstützen und die Übertragung aktiv zu begleiten.

x

Die Entscheidung über die Verwertung bleibt den gesetzlich vorgesehenen Einrichtungen (Gläubigerversammlung, Gläubigerausschuss) vorbehalten.

Die Verwertung der Insolvenzmasse – und damit auch die Durchführung eines Asset 79 Deals – ist Aufgabe des Insolvenzverwalters, §§ 159, 166 InsO. Soweit er sich zur Erfüllung dieser Aufgaben Dritter, bspw. eines Beratungsunternehmens, bedient, hat die hieraus anfallenden Kosten die Insolvenzmasse zu tragen. Die Kosten sind nicht als Verluste über die FVB an die Kunden weiterzugeben. 2.5.12 Endabrechnung Für die finale Abrechnung aller geleisteten Zahlungen und den zu leistenden Rückzahlungen 80 sollte ein Zeitpunkt definiert werden, der in nicht allzu ferner Zukunft nach Beendigung der Fortführungsperiode liegt. Da in der Regel mit dem Ende der Fortführungsperiode auch die Verwertung der betriebs- 81 bedingten Assets erfolgt (Ausnahme: Ausproduktion und anschließende Betriebseinstellung), können auch die hieraus erzielten Erlöse berücksichtig und gegengerechnet werden, soweit sie zu einer Beteiligung der finanzierenden Stakeholder vorgesehen sind. 3.

M&A-Prozess – sog. Tradeagreement

Ist eine übertragende Sanierung oder eine sonstige Verwertung des schuldnerischen Ge- 82 schäftsbetriebs (auch i. R. eines Insolvenzplanes) das Ziel der Betriebsfortführung, geht dem ein M&A-Prozess voraus. Aufgrund der mehrfach dargestellten Abhängigkeiten ist eine solche Übertragung – anders als bei Übertragungen in anderen Branchen – nur im gemeinsamen Zusammenwirken mit den Kunden möglich. Zum einen verfügen die Kunden über die beste Markttransparenz und können gezielt in- 83 teressierte Übernehmer für den Insolvenzverwalter identifizieren.

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§ 34

Teil V Einzelfragen

84 Ein wesentliches Asset bei einem möglichen M&A Prozess sind zudem die Vertragsbeziehungen zu den Kunden. Ein Übernehmer wird in der Regel den Wert des von ihm zu übernehmenden Unternehmens nicht im Wert des Maschinenparks und der fertigen und halbfertigen Erzeugnisse sehen, sondern in der zukünftigen Möglichkeit, mit den von ihm erworbenen Assets weiter Kunden beliefern zu können. Er produziert keine Massenprodukte für einen relevanten Markt, sondern speziell entwickelte Einzelprodukte für einzelne Kunden. Ohne Zusage der Kunden, die Teile auch weiterhin bei dem Käufer/Investor produzieren zu lassen, macht der Erwerb für diesen meist keinen Sinn. 85 Ein Interessent mit Branchenkenntnissen wird daher von sich aus bereits während des M&A-Prozesses auf eine frühzeitige Einbindung der Kunden bestehen. Nur so kann er seinen eigenen, für die Kaufentscheidung relevanten Business Case auflegen. 86 Absprachen hinsichtlich einer zukünftigen Geschäftsbeziehung zwischen Kunden und Kaufinteressent sollten daher schon innerhalb des M&A-Prozesses getroffen werden. Dies geschieht in der Regel durch sog. „Tradeagreements“ (nachfolgend: „TA“). Parteien der Vereinbarung sind üblicherweise nur die Kunden und der Übernehmer, da Gegenstand die Regelungen der zukünftigen Geschäftsbeziehungen in deren Verhältnis ist. Der Insolvenzverwalter ist hier also sowohl in der Rolle des agierenden Verkäufers, als auch in einer nur vermittelnden Rolle tätig. Vereinbarungen oder Zusagen hinsichtlich der Verwertung als solcher betreffen auch den Insolvenzverwalter, dann als weitere Partei eines TA. IV.

Fazit

87 Die Betriebsfortführung eines insolventen Zulieferers erfordert neben dem für jede Betriebsfortführung üblichen und notwendigen Handwerkszeug spezielle Kenntnisse des Automotive-Marktes, seiner Funktionsweisen und Mechanismen. Es besteht ein hoher Zeitdruck, verbunden mit einem erhöhten Leistungsdruck, in einem komplexen und internationalen Umfeld. Dies erfordert ein erfahrenes und gut strukturiertes Team. Eine erfolgreiche Betriebsfortführung setzt zudem ein enges Zusammenwirken mit den betroffenen Kunden voraus.

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§ 35 Betriebsfortführung und Versicherungsschutz Übersicht I. II. 1. 2. 3. 4.

5.

6.

7. 8. 9.

Einführung .................................................. 1 Der Verwalter – Das Verfahren................. 5 Vorläufiges Verfahren ................................. 5 Kosten für Versicherungsgutachten ........... 7 Eigenverwaltung/Schutzschirmverfahren nach ESUG ............................... 10 Auswahl von Versicherungspartnern ....... 13 4.1 Weiterbeschäftigung des bisherigen Versicherungsvermittlers ..... 14 4.2 Beschäftigung eines gebundenen Versicherungsvertreters, § 34d Abs. 4 GewO) ................................ 15 4.3 Beauftragung eines Versicherungsberaters, § 34e GewO) ......... 16 4.4 Einschaltung eines Versicherungsmaklers, § 34d Abs. 1 GewO) ......... 18 Verfahrensbezogene Haftpflichtversicherung................................................ 21 5.1 Für das Verfahren – den Verwalter .............................................. 21 5.1.1 Bestehender Versicherungsschutz............................................... 22 5.1.2 Aufstockung durch Anschlussdeckung ........................................... 24 5.1.3 Verfahrensbezogene Einzeldeckung ........................................... 25 5.1.4 Konzernstrukturen ......................... 26 5.2 Für den Gläubigerausschuss und Arbeitnehmervertreter ............ 27 5.2.1 Im „Normalverfahren“ ................... 27 5.2.2 Bei „Verfahren nach ESUG“ .......... 28 Haftung des Insolvenzverwalters – Versicherungsschutz ................................. 31 6.1 Beispielhafte Fallstricke in den Versicherungsbedingungen ........... 33 6.2 Wichtige Zusatzklauseln im Versicherungsvertrag des Verwalters ............................................. 34 6.3 Mitversicherung von Richtern und Rechtspflegern......................... 35 6.4 Haftungsfälle des Insolvenzverwalters......................................... 37 6.5 Ergänzender HaftpflichtVersicherungsschutz....................... 38 Vorwurf strafbarer Handlungen................ 43 Vermögensverlust durch die Verwaltung ....................................................... 44 Risikomanagement/Unternehmensabläufe und Versicherungsschutz.............. 47 9.1 Masserisiken .................................... 48

9.2

10. 11. 12. 13.

14. III. 1.

Kostenerstattung Versicherungsprüfung und-verträge (Versicherungsgutachten) .............. 49 Prüfung des Versicherungsschutzes der Insolvenzschuldnerin .......................... 52 Übersicht der auszuführenden Tätigkeiten .......................................................... 54 Versicherungsvermittler der Schuldnerin................................................. 55 Allgemeine Rechtsgrundlagen für den Versicherungsvertrag ................................. 58 13.1 Vorvertragliche Anzeigepflicht, § 19 VVG......................................... 59 13.2 Gefahrerhöhung, § 23 VVG ........... 61 13.3 Kündigung bzw. Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung, §§ 24, 25 VVG .................. 62 13.4 Obliegenheitsverletzung, §§ 28, 58 VVG............................................ 64 13.5 Zahlungsverzug bzgl. Folgeprämie, § 38 VVG: „qualifizierte Mahnung“........................................ 67 13.6 Vorzeitige Vertragsbeendigung, § 39 VVG......................................... 69 13.7 Vorläufiger Versicherungsschutz/Deckung, §§ 49 ff. VVG .... 71 13.8 Unterversicherung, § 75 VVG ....... 73 13.9 Herbeiführung des Versicherungsfalles, § 81 Abs. 2 VVG ......... 74 13.10 Der Versicherungswert, § 88 VVG, § 5 AFB................................. 75 13.11 Insolvenz des Versicherungsnehmers, § 110 VVG....................... 79 Gläubigerrechte .......................................... 80 Versicherungsschutz der Schuldnerin.... 83 Betriebliche Versicherungen des Anlage- und Umlaufvermögens ................ 83 1.1 Unbebaute Grundstücke ................ 84 1.2 Bebaute Grundstücke ..................... 85 1.3 Gebäude........................................... 87 1.3.1 Wohngebäude.................................. 88 1.3.2 Gewerblich genutzte Gebäude....... 89 1.3.3 Terrorschäden ................................. 90 1.4 Betriebseinrichtung und Vorräte (Geschäfts- oder Inhaltsversicherung)................................... 91 1.5 Transport......................................... 93 1.6 Kraftfahrzeuge ................................ 97 1.6.1 Zulassungspflichtige, aber nicht zugelassene Fahrzeuge ................... 98

Langenmayer

1111

§ 35

2.

Teil V Einzelfragen

1.6.2 Zugelassene Fahrzeuge................... 99 1.7 Maschinen ..................................... 102 1.8 Elektronik ..................................... 105 1.9 Glas ............................................... 108 1.10 Montage......................................... 109 1.11 Bauleistung.................................... 110 1.12 Multi-Risk-Policen ....................... 111 Betriebliche Versicherung von Kostenrisiken ....................................................... 112 2.1 Haftung – Betriebshaftpflicht...... 112 2.1.1 Haftungsrisiken der Schuldnerin ....114 2.1.2 Ergänzender/eigenständiger Versicherungsschutz..................... 117 2.1.3 Optionaler Haftpflichtschutz für den Verwalter (Umbrella-Cover) ........................ 120 2.1.4 Unterschiedliche Schadensfalldefinitionen in der Haftpflichtversicherung .................................. 121 2.1.4.1 Schadenereignistheorie (z. B. Betriebshaftpflichtversicherung) .... 121 2.1.4.2 Verstoßtheorie (z. B. Produkthaftpflichtversicherung) .............. 123 2.1.4.3 Anspruchserhebungstheorie/ Claims-Maide ............................... 127 2.1.5 Reine Vermögensschadenhaftpflicht ..................................... 128

I.

2.1.6 Geschäftsführer-/Organhaftpflicht, „D&O“ ......................................... 129 2.2 Persönliche D&OVersicherung ................................. 136 2.3 Betriebsunterbrechung ................ 137 2.4 Rechtsschutz ................................ 140 2.5 Vertrauensschaden und Computermissbrauch, sog. „CyberRisiken“ ........................................ 146 2.6 Forderungsausfall/Warenkreditversicherung ................................. 151 2.7 Bürgschaftsversicherung ............. 154 2.8 Versicherungslösungen für Bautätigkeit ......................................... 155 2.9 Prozessfinanzierung ..................... 158 3. Absicherung von Mitarbeitern ................ 160 3.1 Reisekrankenversicherung ........... 160 3.2 Krankenversicherung – Rahmenverträge.......................................... 161 3.3 Unfallversicherung ....................... 163 3.4 Reiseversicherungen ..................... 164 3.5 Dienstreisekasko........................... 165 4. Verstöße aus Compliance-Richtlinien, Regress beim Angestellten ...................... 166 IV. Fazit: Eintritt in bestehende Verträge oder Neuabschluss? ................................ 167

Einführung

1 Das komplexe Themenfeld mit seiner unüberschaubaren Vielfalt spielt nach bisherigen Erfahrungen noch keine angemessene Rolle im gewerblichen Insolvenzverfahren. Dabei geht der Insolvenzverwalter mit gerichtlicher Bestellung eine Vielzahl von Risiken ein, die entsprechend abgesichert werden können. Die nachfolgenden Ausführungen sollen einen Eindruck vermitteln und Lösungen i. S. der Aufgabe x

zum einen für den Insolvenzverwalter und das Verfahren,

x

zum anderen für die Insolvenzschuldnerin aufzeigen.

2 Zu den verschiedenen Bereichen, die im gewerblichen Insolvenzverfahren (insb. bei Betriebsfortführung) u. U. eine Rolle spielen, können nur allgemeine Hinweise und grundsätzliche Regelungen angesprochen werden. Durch individuelle Vereinbarungen kann im Versicherungsbereich sehr vieles abweichend geregelt werden. Zusammenfassend lassen sich die Aufgaben beschreiben mit: „Masse stärken, Haftung minimieren, Zeit sparen“, und zwar durch die Auswahl der richtigen Partner und des passenden Versicherungsschutzes. 3 Auch soll aufgezeigt werden, warum es für den Verwalter und die Massegenerierung lohnt, geradezu eine Pflicht darstellt, dem Bereich Versicherungsschutz mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Neben dem Ziel, das persönliche Haftungsrisiko des (vorläufigen) Insolvenzverwalters zu minimieren (§ 60 InsO) trägt der richtige Versicherungsschutz dazu bei, die Pflicht zur Sicherung und Mehrung der Insolvenzmasse zu erfüllen (§ 35 InsO). Darüber hinaus wirkt sich die Mehrung der Masse auch auf die Vergütung des Insolvenzverwalters aus (§ 1 InsVV). 4 Im Folgenden sind zur sprachlichen Vereinfachung immer Personen beiden Geschlechts gemeint.

1112

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz II.

Der Verwalter – Das Verfahren

1.

Vorläufiges Verfahren

§ 35

Die originären Aufgaben des durch das Gericht mit seinen unterschiedlichen Befugnissen 5 ausgestatteten vorläufigen Insolvenzverwalters beruhen u. a. auf den Grundlagen des § 22 InsO. Es gilt das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten. Der Verwalter verschafft sich einen Überblick über die Unternehmenssituation, die vor- 6 gefundenen Haftungsrisiken sowie die bestehenden Versicherungsverträge. Die Ablagesysteme bei Schuldnern sind sehr unterschiedlich strukturiert. So können sich z. B. KFZVersicherungen bei den Unterlagen des Fahrzeuges oder im Versicherungsordner befinden. Erfahrungsgemäß ist es für den Verwalter schwierig, die umfangreichen Unterlagen zu sichten, Risiken zu beurteilen, Zahlungsstände festzustellen und weder Obliegenheitsverletzungen zu übersehen, noch Ausschlusstatbestände oder Versicherungsklauseln mit ggf. negativer Wirkung zu erkennen. Darüber hinaus sind die Angemessenheit und der Umfang des Versicherungsschutzes und Beitrages zu prüfen. Hierbei handelt es sich um komplexe Aufgaben, die an externe Fachleute, wie es Versicherungsberater oder -makler sein können, übertragen werden sollten. 2.

Kosten für Versicherungsgutachten

Im vorläufigen sowie im eigentlichen Verfahren stellt sich regelmäßig die Frage, über welche 7 Befugnisse der Verwalter verfügt und ob Mittel vorhanden sind bzw. verwendet werden dürfen, um ggf. externe Berater für Versicherungsgutachten zu beschäftigen. Grundsätzlich kann der Verwalter externe Dienstleistung in Anspruch nehmen und auch den Bereich Versicherungen auslagern. Liegt ein durch Insolvenzgutachten „schwieriger und umfangreicher Fall“ vor, so kann 8 § 12 JVEG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV sowie § 54 Nr. 2 InsO angewandt werden. In diesem Fall handelt es sich um Massekosten, die dem Verwalter erstattet werden. Die Insolvenzgerichte handhaben diesen Bereich sehr unterschiedlich, so dass es angeraten 9 ist, im Einzelfall eine Klärung herbeizuführen. 3.

Eigenverwaltung/Schutzschirmverfahren nach ESUG

Die Ziele dieses Verfahrensweges nach den Regelungen des Gesetzes zur weiteren Er- 10 leichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) sind die sanierungs- und fortführungsorientierte Insolvenzkultur. Liquidationen sollen verhindert oder zumindest deren Anzahl verringert werden. Der Versicherungsschutz spielt in der Regel eine untergeordnete Rolle, obgleich dieser 11 Bereich erhebliche Kosten verursachen kann und bei fehlender Erstattung nach einem Schaden durch Vernichtung von Vermögensteilen eine Weiterführung des Unternehmens nicht mehr möglich sein könnte. Die Prüfung des Schutzes und der Verträge sollte das eingesetzte Management in seine Aufgaben miteinbeziehen. Auch hier stellt sich die Frage, ob neue und unabhängige Partner für Vergleiche und Risikomanagement bemüht werden sollen, was sinnvoll erscheint. Insbesondere der (vorläufige) Gläubigerausschuss sollte über entsprechenden Haftungs- 12 schutz verfügen (siehe unten Rz. 27 ff.). 4.

Auswahl von Versicherungspartnern

In der Regel wird der Insolvenzverwalter den bestehenden oder neu zu gestaltenden Ver- 13 sicherungsschutz der Schuldnerin über einen nach § 34d GewO registrierten Versiche-

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1113

§ 35

Teil V Einzelfragen

rungsvermittler regeln. In der Praxis stellt sich die Vorgehensweise der Insolvenzverwalter sehr unterschiedlich dar: 4.1

Weiterbeschäftigung des bisherigen Versicherungsvermittlers

14 Diese Vorgehensweise scheint unangebracht, weil keine neutrale Beratung gegeben ist und keine echte Prüfung (Vergleich) des bisherigen Schutzes bzw. der Beiträge durchgeführt wird. Darüber hinaus können monetäre Interessen des Vermittlers betroffen sein (Rückzahlungen, Nichteintritt etc.). Regelmäßig pflegt der bisherige Vermittler gute Kontakte zu den maßgeblich handelnden Personen der Schuldnerin, was zu Interessenskonflikten führen und für den Verwalter nachteilig sein kann. 4.2

Beschäftigung eines gebundenen Versicherungsvertreters, § 34d Abs. 4 GewO)

15 Per Definition ist der sog. Ausschließlichkeitsvertreter oder Ein-Firmen-Agent gezwungen, Produkte des Versicherungsunternehmens zu vermitteln, das er vertritt. Er hat keine Marktübersicht und kann daher nicht vollständig im Interesse des Verfahrens tätig werden. Viele Banken, die ebenfalls Versicherungen vertreiben, zählen zu den gebundenen Vermittlern. 4.3

Beauftragung eines Versicherungsberaters, § 34e GewO)

16 Versicherungsberater sind gewerbsmäßig auf Honorarbasis tätige Berater, die den Verwalter bei Vereinbarungen, Änderungen oder Prüfung von Versicherungsverträgen und im Schadensfall sowie der außergerichtlichen rechtlichen Wahrnehmung gegenüber Versicherungsunternehmen vertreten können. In der Regel sind Versicherungsberater für Privatpersonen tätig und darüber hinaus können nur Versicherungsverträge vermittelt werden, die ohne jeglichen Vergütungsanspruch für den Berater kalkuliert sind, da der Versicherungsberater per Verordnung keinerlei wirtschaftliche Vorteile von Versicherungsunternehmen erhalten darf. Überwiegend vermitteln Versicherungsberater keine Produkte, sondern beurteilen Versicherungsschutz. Daher muss sich der Verwalter trotz Einschaltung eines Versicherungsberaters nach § 34e GewO trotzdem an einen Vermittler wenden und zahlt neben Honorar noch Courtagen, die in den Versicherungsprämien eingerechnet sind. 17 Im gewerblichen und industriellen Bereich ist der Versicherungsberater aktuell selten anzutreffen. 4.4

Einschaltung eines Versicherungsmaklers, § 34d Abs. 1 GewO)

18 Wer gewerbsmäßig für seinen Auftraggeber (Versicherungsnehmer) die Vermittlung von Versicherungen übernimmt, ohne von einem Versicherungsunternehmen oder von einem Versicherungsvertreter damit betraut worden zu sein, gilt als Versicherungsmakler. 19 Der Versicherungsmakler ist Sachwalter des Kunden und externer Dienstleister. Er handelt ausschließlich im Auftrag und Interesse des Mandanten. Bereits im „Sachwalterurteil“1) hat der Bundesgerichtshof diese Grundsätze vorgegeben, die seit 2007 im Gesetz zur Neuregelung des Vermittlerrechts und der Gewerbeordnung verankert sind.2) Der Expertenstatus (analog den verkammerten Berufen) ist zwischenzeitlich bestätigte Rechtsmeinung. 20 Der Versicherungsmakler übernimmt nach einzelvertraglicher Regelung Risikomanagement, Dokumentation, Auswahl und Prüfung des Versicherungsschutzes und hat seinen Kunden auf Risiken hinzuweisen sowie seinen Rat zu begründen. Darüber hinaus haftet der Makler umfangreich gegenüber der Schuldnerin und dem Verwalter. ___________ 1) BGH, Urt. v. 22.5.1985 – IVa ZR 190/83, BGHZ 94, 356 = NJW 1985, 2595. 2) Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts v. 9.12.2006, BGBl. I 2006, 3232.

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz 5.

Verfahrensbezogene Haftpflichtversicherung

5.1

Für das Verfahren – den Verwalter

§ 35

Zunächst verschafft sich der Verwalter einen Überblick über die Situation der Schuldnerin. 21 (Geschäftszweck, Mitarbeiter, Vermögenswerte, Schuldverhältnisse etc.) Daraus ergibt sich, ob ergänzend zur regelmäßig bestehenden Berufshaftpflicht des Anwaltes bzw. Vermögensschadenhaftpflicht des Insolvenzverwalters ergänzender Versicherungsschutz gewünscht ist bzw. benötigt wird. Wie hoch schätzt der Insolvenzverwalter die Risiken der übernommenen Aufgabe ein? Eine persönliche Inanspruchnahme ist insbesondere bei Betriebsfortführung und den damit verbundenen Risiken nicht auszuschließen. Welche Absicherung wird gewünscht? 5.1.1 Bestehender Versicherungsschutz Die Haftpflichtversicherung beinhaltet zwei Leistungsbausteine: die Befriedigung be- 22 rechtigter, sowie die Abwehr unberechtigter Ansprüche. Somit hat sie eine passive Rechtsschutzfunktion. Zu prüfen ist die Höhe der Deckungssumme (gesetzlich vorgeschrieben für den Anwalt: 23 4 x 250.000 €) und auch, wie hoch die Anzahl der versicherten Verfahren bedingungsgemäß sein darf. Darüber hinaus spielt der Umfang des Versicherungsschutzes eine große Rolle. So reicht eine „normale“ Anwaltshaftpflichtversicherung mit Zusatzbaustein „Insolvenzverwaltung“ für private Insolvenzverfahren und kleine gewerbliche Verfahren möglicherweise aus, für größere und umfangreiche Verfahren in der Regel nicht. 5.1.2 Aufstockung durch Anschlussdeckung Der Verwalter kann ergänzend zum bestehenden Vertrag eine „Anschlussdeckung“ wäh- 24 len und so seinen Versicherungsschutz aufstocken. Sinnvoll erscheint dies häufig nicht, weil es zu unterschiedlichen Vertragsgrundlagen kommen kann und darüber hinaus die Berufshaftpflicht im Schadensfall belastet wird. Kostenvorteile gegenüber einem eigenen Vertrag ergeben sich in der Regel nicht. 5.1.3 Verfahrensbezogene Einzeldeckung Bei umfangreichen und schwierigen Verfahren, räumt § 4 Abs. 3 Satz 2 InsVV dem Ver- 25 walter die Kostenübernahme der Haftpflichtversicherung durch die Masse ein. Von dieser Möglichkeit sollte Gebrauch gemacht und möglichst umfangreicher Versicherungsschutz vereinbart werden. 5.1.4 Konzernstrukturen Sind mehrere Unternehmen in verbundenen Strukturen von der Insolvenz betroffen, gilt 26 es unbedingt vorausschauend zu klären, ob der Versicherungsschutz über einen Versicherungsvertrag ausreichend ist, oder ob es ggf. zu gegenläufigen Interessen kommen kann. Sind alle Beteiligten in einer Police versichert, kann es vorkommen, dass künftige Prozessgegner in einem Vertrag zusammengefasst sind, was zwangsläufig zu Problemen führt. Insbesondere wenn Ansprüche untereinander auftreten. Hier gilt es den Schutz entsprechend zu regeln. 5.2

Für den Gläubigerausschuss und Arbeitnehmervertreter

5.2.1 Im „Normalverfahren“ Hier kann es zu Interessenskonflikten zwischen den am Verfahren beteiligten Personen oder 27 Organisationen kommen. Daher ist ein eigener Versicherungsschutz für den Gläubigerausschuss zu empfehlen. Verauslagte Kosten können nach § 73 Abs. 1 InsO erstattet werden. Langenmayer

1115

§ 35

Teil V Einzelfragen

5.2.2 Bei „Verfahren nach ESUG“ 28 Durch die Einbeziehung und Stärkung der Gläubiger soll schon sehr früh im Verfahren ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden, um nachteilige Veränderungen der Vermögenslage der Schuldnerin zu vermeiden. 29 Zu beachten ist, dass bei Abschluss einer entsprechenden Haftpflichtversicherung für den vorläufigen Gläubigerausschuss eine sog. Rückwärtsdeckung ab Beginn der Tätigkeit mitversichert sein muss, um nicht unversichert mit dem persönlichen Vermögen zu haften. In der Praxis wird der vorläufige Gläubigerausschuss eingesetzt und trifft Entscheidungen bzw. spricht Handlungsempfehlungen aus, während erst in der Folge entsprechender Versicherungsschutz eingekauft wird. Um Lücken zu vermeiden muss rückwirkend Schutz gegeben sein. 30 Eine explizite Regelung zum Kostenersatz ist derzeit nicht gegeben. Denkbar ist, dass die Regelungen des § 73 Abs. 1 InsO analog angewandt werden können. 6.

Haftung des Insolvenzverwalters – Versicherungsschutz

31 Durch Übernahme der originären Aufgabe findet, neben unzähligen Rechtsvorschriften, auch § 60 InsO mit seiner weitreichenden Formulierung Anwendung. Der Verwalter haftet allen Beteiligten gegenüber bei schuldhafter Verletzung von Pflichten. 32 Meist wähnt sich der Verwalter gut geschützt, weil er eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat. Nachfolgend einige Beispiele, warum dieses Sicherheitsgefühl häufig nicht angebracht ist und worauf der Verwalter achten sollte: 6.1

Beispielhafte Fallstricke in den Versicherungsbedingungen

33 Nachfolgend einige Beispiele zu für den Verwalter negativen Klauseln in Versicherungsverträgen, wie sie von namhaften und marktführenden Versicherungen verwendet werden und in den meisten Verträgen zu finden sind. x

Kündigung bestehender Versicherungsverträge der Schuldnerin: Es kommt zu einem Versicherungsschaden, der nicht versichert ist, weil der Verwalter den bestehenden Versicherungsschutz der Schuldnerin gekündigt hat. In der Praxis geschieht dies häufig, weil der Verwalter der irrigen Meinung ist, nach Einstellung des Betriebes oder Betriebsteilen, würden keine Risiken mehr bestehen und wenn doch, tritt die Berufshaftpflichtversicherung ein (siehe hierzu auch die Ausführungen zu „Versicherungsfalldefinitionen“ unter Rz. 121 ff.). Hierzu heißt es in § II der AVB (Allgemeine Versicherungsbedingungen) für Insolvenzverwalter, Abs. 3.b: „Mitversichert sind u. a. Schäden, die darauf beruhen, dass Versicherungsverträge nicht oder nicht ordnungsgemäß abgeschlossen, erfüllt oder fortgeführt werden, es sei denn, dies wurde bewusst unterlassen.“

Der Versicherungsschutz des Insolvenzverwalters greift also regelmäßig nicht, wenn Sie eine solche Klausel vereinbart haben. x

Vollumfängliche Betriebsfortführung: Nicht versichert sind hier, die Herstellung oder der Vertrieb von Produkten. § II Abs. 1 AVB – Versicherungsumfang lautet: „Im Rahmen der versicherten Tätigkeit sind, auch bei Fortführung eines Betriebes, Haftpflichtansprüche aus einer Kalkulations-, Organisations- oder Investitionstätigkeit mitversichert.“

1116

Langenmayer

Betriebsfortführung und Versicherungsschutz 6.2

§ 35

Wichtige Zusatzklauseln im Versicherungsvertrag des Verwalters

Es ist darauf zu achten, dass der Versicherungsschutz möglichst umfangreich ausgestaltet 34 ist. Empfohlen wird der Rat eines Fachmannes, der über viel Praxiserfahrung verfügt. Mitversichert sollten u. a. sein: x

Bestellung als vorläufiger Verwalter bzw. Gutachter,

x

Sachwalterstellung bei Eigenverwaltung,

x

Insolvenzgeld-Vorfinanzierung und Abrechnung,

x

Betriebsfortführung (hier wird es immer Einschränkungen geben, die nur über die Betriebshaftpflichtversicherung der Schuldnerin abgedeckt werden können),

x

öffentlich-rechtliche Ansprüche aus Abgabenrecht,

x

Sozien, Angestellte, freie Mitarbeiter ohne Regressmöglichkeit durch den Versicherer,

x

Kündigung bzw. Nichtabschluss von Versicherungsverträgen.

6.3

Mitversicherung von Richtern und Rechtspflegern

Zwischenzeitlich wird die Erweiterung des Versicherungsschutzes „Berufshaftpflicht des 35 Insolvenzverwalters“ (Jahrespolice oder Einzelverfahren) durch Mitversicherung von Richtern bzw. Rechtspflegern äußerst kritisch betrachtet. So teilt bspw. der Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e. V. (BAKinso) im Newsletter September 2015 mit, dass man solche Regelungen ablehnt. Ein entsprechender Aufsatz von Rechtsanwalt Dr. Philip von der Meden3) bekräftigt diese Meinung. Man möchte den Anschein einer für sachfremde Erwägungen anfälligen Justiz nicht erwe- 36 cken und jegliche Auslegung in diese Richtung vermeiden. Vermögenswerte Vorteile sollen keinesfalls gewährt werden. Prüfen Sie Ihren Versicherungsschutz dahingehend! 6.4

Haftungsfälle des Insolvenzverwalters

Mögliche Haftungsrisiken ergeben sich z. B. aus:

37

x

Nichtbeachtung von Anfechtungsmöglichkeiten, Abtretungen und Pfändungen,

x

unterlassener Widerspruch gegen unbegründete Forderungen,

x

unrichtige Bewertung von Massegegenständen bei Veräußerung,

x

Nichtaufnahme festgestellter Forderungen ins Schlussverzeichnis,

x

Begründung vermeidbarer Masseschulden,

x

eingegangene Masseverbindlichkeiten können aus verbliebener Masse nicht bedient werden,

x

Verletzung der Rechte von Ab- und Aussonderungsberechtigten,

x

falsche bzw. unzweckmäßige Prozessführung,

x

Veruntreuung durch Mitarbeiter (siehe dazu auch „Vertrauensschadenversicherung“ unter Rz. 146).

6.5

Ergänzender Haftpflicht-Versicherungsschutz

Die Haftpflichtversicherung des Insolvenzverwalters ist i. d. R. als Vermögensschaden- 38 haftpflicht ausgestaltet. Es sind also grundsätzlich keine Personen oder Sachschäden, ___________ 3) Dr. v. d. Meden, Mitversicherung von Richtern: Gefahr der Korruption in der Insolvenzverwaltung, FCH Blog – FP 07-08/2015 S. 164.

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1117

§ 35

Teil V Einzelfragen

sondern Schäden an Vermögen abgedeckt. Führt der Insolvenzverwalter den Betrieb der Schuldnerin i. R. der Insolvenz fort, so ergeben sich sämtliche Haftungsrisiken, die aus dem Betrieb erwachsen und denen jede Geschäftsleitung unterliegt. 39 Diese Haftungsrisiken werden über die Betriebshaftpflichtversicherung der Insolvenzschuldnerin abgedeckt. Was aber, wenn dieser Versicherungsschutz nicht ausreicht, lückenhaft oder die Prämie unbezahlt ist? Was, wenn Obliegenheiten verletzt wurden und der Versicherer so von der Leistung frei ist? Ist es die Aufgabe des Verwalters, den Status des Vertrages genau zu prüfen und solche Hemmnisse zu erkennen? Grundsätzlich wird diese Frage bejaht, zumal sich der Verwalter externer Fachleute bedienen kann. 40 Trotz sorgfältiger Beurteilung kann es zu Schadensfällen kommen, die massebelastend sind und nicht von einer bestehenden Versicherung der Schuldnerin übernommen werden. Hier stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Verwalter zum Schadensersatz verpflichtet ist. In der Regel wird die bestehende Berufshaftpflichtversicherung des Verwalters in die Schadenabwehr eintreten, aber nur dann, wenn es sich grundsätzlich um einen versicherten Schaden handelt. 41 Werden aber z. B. Ansprüche aus mangelhaften Produkten i. R. der erweiterten Produkthaftung oder der Herstellung von KFZ-Teilen oder Ansprüche aus Umweltschäden an den Verwalter herangetragen, so greift die Haftpflichtversicherung des Insolvenzverwalters regelmäßig nicht, weil diese Bereiche über eine „normale“ Police des Insolvenzverwalters nicht versicherbar sind. 42 Um sich gegen diese unüberschaubaren Unwägbarkeiten abzusichern, gibt es ergänzenden Versicherungsschutz, der als Einzelfallpolice oder als Jahresvertrag gestaltet werden kann, und alle Verfahren des Verwalters umfasst. Hier sind bspw. auch Streitigkeiten aus Werkverträgen versicherbar. 7.

Vorwurf strafbarer Handlungen

43 Der Verwalter übernimmt die volle Verantwortung für das Verfahren und die damit einhergehenden notwendigen Abwicklungen. Nicht selten kommt es z. B. zu „Racheakten“ beteiligter Personen, die in Strafverfahren münden können. Regelmäßig ist dies bei Personen- oder Umweltschäden der Fall. Bei schwerwiegenden Vorwürfen wird sich der Verwalter nicht selbst oder durch Kollegen der „eigenen“ Kanzlei, sondern durch externe Spezialisten vertreten lassen. Hier können hohe Kosten entstehen, die über eine Versicherungslösung abgedeckt werden können. Aus langjähriger Erfahrung ist es für jeden Verwalter ratsam einen solchen kostengünstigen, aber im Ernstfall sehr wertvollen Versicherungsschutz abzuschließen. 8.

Vermögensverlust durch die Verwaltung

44 Die weit überwiegende Mehrzahl der Verwalter und der am Verfahren beteiligten Personen sind integer und handeln ausschließlich i. S. des Verfahrens. Es ist dennoch in der Vergangenheit zu zahlreichen nennenswerten Fällen gekommen, bei denen Masse veruntreut wurde. Es muss nicht der Verwalter selbst die Schäden verursachen; vielmehr können dies auch Personen oder Organisationen aus seinem Umfeld und Netzwerk sein. Letztlich bleibt die Haftung beim Verwalter oder der Schaden bei den Gläubigern. Insofern sehen es Insolvenzgerichte gerne, wenn der Verwalter für das Verfahren eine „Vertrauensschadenversicherung“ abgeschlossen hat. Dies reduziert die Möglichkeit von Masseverlusten durch unerlaubte Handlungen weitgehend. 45 In guten Konzepten sind neben den Angestellten auch freie Mitarbeiter versichert; darüber hinaus auch die Dienstleister des Verwalters, wie Buchhalter, Steuerberater oder ex-

1118

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 35

terne Verwertungsgesellschaften etc. In einigen Versicherungsbedingungswerken ist die Masse auch gegen Vermögensverluste durch den Verwalter selbst geschützt, was eine zusätzliche Sicherheit darstellt und insbesondere Insolvenzgerichte und Gläubiger beruhigt. Mitversichert sollten Schäden an Eigen- sowie Fremdvermögen sein und eine unbegrenz- 46 te Rückwärtsdeckung (Versicherungsschutz für Handlungen der Vergangenheit) bestehen; ebenso Vertragsstrafen, Raub, Diebstahl, Fälschung, Phishing, Pharming und Spyware sowie der Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Sinnvoll ist auch ein Kostenersatz zur Minderung des Reputationsschadens, um den Ruf wiederherzustellen. 9.

Risikomanagement/Unternehmensabläufe und Versicherungsschutz

Die Beurteilung des Versicherungsschutzes ist nur möglich, wenn genaue Kenntnisse zur 47 Tätigkeit und Betriebsart der Insolvenzschuldnerin vorliegen und die (bisher durchgeführten) Prozessabläufe bekannt sind. Diese Risikoanalyse ist zwingend notwendig um beurteilen zu können, welcher Versicherungsschutz sinnvoll und angemessen erscheint. Im zweiten Schritt muss eine Detailprüfung der vorhandenen Verträge bzw. des neu abzuschließenden Schutzes durchgeführt werden. Der Verwalter hat abzuwägen, ob er Schutz einkaufen oder Prämie sparen möchte. Was muss, soll oder kann in welchem Umfang und in welcher Höhe versichert werden? Bei der Risikoanalyse sind z. B. die Prüfung der „Ausschlüsse“ in den Versicherungsbedingungen und der „vereinbarten Obliegenheiten“ zu empfehlen. 9.1

Masserisiken

Beispielhafte Auflistung zu möglichem Versicherungsschutz, deren Entfaltungswirkung 48 und Eintrittswahrscheinlichkeit häufig unterschätzt wird: Bilanzrisiken

Produktionsausfall, Forderungsausfall, Missbrauch etc.

Sachwerte

Maschinen, Gebäude, KFZ, Inventar, EDV, Vorräte

Haftung

aus Betrieb, Produkt, Umwelt

Rechtliches

Strafrecht, Schuldrecht, Sozialrecht etc.

Unternehmenszweck

Produktion/Dienstleistung

Transportwesen

Bezüge und Versendungen

9.2

Kostenerstattung Versicherungsprüfung und-verträge (Versicherungsgutachten)

Nach gängiger Meinung handelt es sich bei Versicherungsverträgen, insbesondere i. R. einer 49 Betriebsfortführung, um sonstige Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 InsO. Gleiches gilt, wenn sich Gebäude, Grundstücke, Warenlager oder sonstige Vermögensgegenstände in der Insolvenzmasse befinden. Ebenso kann der Verwalter (empfohlen wird die vorherige Abstimmung mit dem Insolvenz- 50 gericht) externe Partner mit der Prüfung und Ausarbeitung des Versicherungsschutzes beauftragen und ggf. Honorar entrichten. Liegt ein durch ein Insolvenzgutachten bestätigter „schwieriger und umfangreicher Fall“ 51 vor, so kann § 12 JVEG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV sowie § 54 Nr. 2 InsO angewandt werden. In diesem Fall handelt es sich um Massekosten, die dem Verwalter erstattet werden. 10.

Prüfung des Versicherungsschutzes der Insolvenzschuldnerin

Bestehende (und kürzlich aufgelöste) Versicherungsverträge müssen systematisch gesichtet, 52 erfasst und geprüft werden. Diese Aufgabe kann, wie oben, beschrieben mit Vollmacht ausgelagert werden, was häufig sinnvoll erscheint, weil es Ressourcen beim Verwalter Langenmayer

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§ 35

Teil V Einzelfragen

schont, weiterer Sachverstand hinzukommt und gleichzeitig die Haftung des Verwalters minimiert wird. 53 Im Sinne der „Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung“ und den damit verbundenen Qualitätsrichtlinien scheint es angemessen, einheitliche und strukturierte Abarbeitungsprozesse zu installieren sowie hierfür jeweils verantwortliche Personen zu benennen. 11.

Übersicht der auszuführenden Tätigkeiten

54

Checkliste 1

Auflistung aller bestehenden Versicherungsverträge (Gesellschaft, Versicherungsnummer, versichertes Interesse, Versicherungsumfang, Beitrag, Fälligkeit, Dauer) – evtl. über externe Dienstleister

2

Zahlungsstand zu jedem Vertrag (Mahnverfahren, Leistungsfreiheit?)

3

Liegen vollständige und aktuelle Unterlagen, Policen, Bedingungen etc. vor?

4

Sind Versicherungsumfang und Prämie angemessen? Stimmt die Risikobeschreibung? Sind alle Betriebsstandorte aufgeführt? Besteht Über- oder Unterversicherung?

5

Sind massestärkende Elemente vereinbart? Rückvergütungen, Gewinnbeteiligungen, Beitragshöhe nach Kennziffern wie Umsatz, Mitarbeiterzahl etc. Können Rückerstattungen von Vorausprämien gefordert werden, z. B. wegen Wegfall von Risikoorten?

6

Zu welchen Risiken besteht kein Versicherungsschutz? Wird „vorläufige Deckung“ benötigt?

7

Zu welchem Vertrag soll Nichteintritt nach § 103 InsO erklärt werden? Versicherungen sind in der Regel Dauerschuldverhältnisse. (Besonderheiten zu Haftpflichtversicherung, D&O etc. werden später erläutert, siehe Rz. 112 ff., 129 ff.)

8

Sind Verletzungen von Vertragspflichten/Obliegenheiten erkennbar, die zur Versagung des Versicherungsschutzes führen können?

9

Gibt es Optimierungsmöglichkeiten durch Risikomanagement?

10

Laufende Anpassung des Versicherungsschutzes

11

Einarbeitung des Versicherungsschutzes in das Berichtswesen

12.

Versicherungsvermittler der Schuldnerin

55 Es gehört zu den Aufgaben des bisherigen Versicherungsvermittlers, dem Verwalter verbindliche Übersichten (siehe oben Rz. 52 f.) zu den bestehenden Verträgen mit den oben genannten Angaben auszuhändigen. 56 Erfragt werden sollte auch: x

Bestehen weitere Verträge zur Schuldnerin?

x

Wurden Verträge kürzlich aufgelöst?

x

Wann wurden zuletzt Prüfungen/Anpassungen zu den einzelnen Verträgen vorgenommen?

x

Sind Umstände bekannt (Obliegenheitsverletzungen), die zur Versagung des Versicherungsschutzes führen können? (z. B. die vorgeschriebene Prüfung der elektrischen Anlagen in Betriebsgebäuden)

x

Besteht zu einzelnen Verträgen Nachhaftung, also Versicherungsschutz trotz Aufhebung oder kann eine solche hinzugekauft werden?

57 Es gilt diese Dienstleistung zu nutzen (ggf. inkl. Bestätigung des Versicherers) und abzuwägen, ob mit dem bisherigen Vermittler zusammengearbeitet werden soll. Mögliche Argumente wurden oben genannt.

1120

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz 13.

§ 35

Allgemeine Rechtsgrundlagen für den Versicherungsvertrag

Grundsätzlich gelten die Vorschriften der InsO, z. B. § 103 InsO. Neben BGB und HGB 58 finden sich die anzuwendenden Rechtsvorschriften im VVG, wovon nachfolgend wenige, aber bedeutende erläutert werden. Darüber hinaus gelten die jeweiligen allgemeinen oder besonderen Versicherungsbedingungen sowie vereinbarte Klauseln. 13.1 Vorvertragliche Anzeigepflicht, § 19 VVG Hat die Schuldnerin gegen Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verstoßen, wirken 59 mögliche negative Folgen (Rücktrittsrecht, Leistungsfreiheit) fort, wenn der Verwalter in den Vertrag eintritt. Daher ist zu prüfen, ob „Risikoangaben, Fragebögen, Anträge etc.“ in den Versicherungs- 60 unterlagen zu finden sind und welche Angaben gemacht wurden. Alles wonach der Versicherer in Textform fragt, ist Vertragsgrundlage und bindend. 13.2 Gefahrerhöhung, § 23 VVG Ohne Zustimmung des Versicherers darf der Versicherungsnehmer (VN) die Gefahr nicht 61 erhöhen oder eine solche Erhöhung zulassen. Erkennt der VN eine solche Gefahrerhöhung, ist er zur Meldung verpflichtet. Beispiel: Kündigt der Verwalter z. B. den Vertrag mit dem Bewachungsdienst für das Betriebsgelände, obwohl dies im Versicherungsvertrag als zwingende Auflage vereinbart war, so findet eine Gefahrerhöhung statt, die negative Folgen auf den Versicherungsschutz haben kann. (u. a. § 24 VVG) 13.3 Kündigung bzw. Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung, §§ 24, 25 VVG Verletzt der VN seine Pflicht nach § 23 VVG vorsätzlich (Leistungsfreiheit nach § 26 62 Abs. 1 VVG) oder grob fahrlässig (anteilige Leistung nach Schwere des Verschuldens § 26 Abs. 1 VVG), so kann der Versicherer fristlos kündigen. Bei einfacher Fahrlässigkeit steht dem Versicherer ein Kündigungsrecht unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu. Kündigt der Versicherer nicht, kann er eine höhere Prämie verlangen.

63

13.4 Obliegenheitsverletzung, §§ 28, 58 VVG In den allgemeinen oder besonderen Versicherungsbedingungen sowie Klauseln und Ne- 64 benabreden können zahlreiche Vereinbarungen getroffen sein, die den Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer zur Erfüllung unterschiedlichster Aufgaben verpflichten. In der Regel handelt es sich um vorbeugende Maßnahmen, um den Eintritt des Versicherungsfalles zu vermeiden. Beispiel: So schreiben bspw. die AFB (Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Feuerversicherung) vor, dass in regelmäßigen Abständen ein Prüfzeugnis der elektrischen Anlagen für die Feuerversicherung erstellt und vorgelegt werden muss. Diese Regelung kann sowohl für die Gebäude- als auch Inhalts- oder Maschinenversicherung gelten. Um eine Verletzung der vertraglichen Obliegenheit zu vermeiden, sollte die letzte Vorlage des Prüfzeugnisses abgefragt werden. Tritt der Verwalter in bestehende Verträge ein, so muss er frühere Obliegenheitsverlet- 65 zungen gegen sich gelten lassen.

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§ 35

Teil V Einzelfragen

66 Neuere Bedingungswerke versprechen den vollen Versicherungsschutz auch bei grober Fahrlässigkeit. Diese werbewirksame Aussage wird oft durch Einschränkungen aufgehoben. Zum Beispiel, wenn die Anrechnung von Fahrlässigkeit bei Verletzung von Sicherheitsvorkehrungen oder Obliegenheitsverletzungen doch greift. Immer häufiger finden sich Spezialklauseln in den Versicherungsverträgen, die eine Anrechnung von Obliegenheitsverletzungen oder grober Fahrlässigkeit auf z. B. 20 % des Schadens begrenzen. 13.5 Zahlungsverzug bzgl. Folgeprämie, § 38 VVG: „qualifizierte Mahnung“ 67 Wird eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt, kann der Versicherer dem VN auf dessen Kosten in Textform eine Zahlungsfrist bestimmen, die mindestens zwei Wochen betragen muss. Die Bestimmung ist nur wirksam, wenn sie die rückständigen Beträge der Prämie, Zinsen und Kosten im Einzelnen beziffert und die Rechtsfolgen angibt, die nach den Absätzen 2 und 3 des § 38 VVG (Leistungsfreiheit und Kündigung) mit dem Fristablauf verbunden sind; bei zusammengefassten Verträgen sind die Beträge jeweils getrennt anzugeben. 68 Zumeist sendet der Versicherer eine Erinnerung, wenn Folgeprämien nicht rechtzeitig bezahlt werden. Das stellt häufig keine qualifizierte Mahnung dar, so dass die Schuldnerin weiterhin Versicherungsschutz genießt und auf die entsprechende Mahnung warten kann. 13.6 Vorzeitige Vertragsbeendigung, § 39 VVG 69 Wird ein Versicherungsvertrag vor Ablauf der Versicherungsperiode beendet, steht dem Versicherer nur derjenige Teil der Prämie zu, für den Versicherungsschutz bestanden hat; ggf. kann eine Geschäftsgebühr verlangt werden. 70 Ist die Prämie des Versicherungsvertrages durch die Schuldnerin im Voraus bezahlt worden und der Vertrag wird durch die Versicherung vorzeitig beendet, so entstehen Masseansprüche. 13.7 Vorläufiger Versicherungsschutz/Deckung, §§ 49 ff. VVG 71 Findet der Verwalter keinen Versicherungsvertrag zu einem zu versichernden Risiko vor, wendet er sich an seinen Versicherungsvermittler oder ein Versicherungsunternehmen und beantragt entsprechenden Versicherungsschutz. Dies kann im Wege der „vorläufigen Deckung“ erfolgen, bis der Verwalter genauen Einblick in die Verhältnisse der Schuldnerin gewonnen hat. Kommt kein Hauptvertrag zustande (§ 50 VVG), so steht dem Versicherer zeitanteilig Prämie zu. 72 In der Praxis gibt es mannigfaltige Ausgestaltungen zu diesem Thema. Häufig wird der Versicherungsvermittler kostenfreie oder günstige Lösungen finden, um die Haftung des Verwalters zu minimieren und keine „unnötigen“ Masseverbindlichkeiten zu begründen. 13.8 Unterversicherung, § 75 VVG 73 Nach § 75 VVG leistet der Versicherer nur anteilig im Verhältnis, wenn die Versicherungssumme zum Zeitpunkt des Schadensfalles erheblich niedriger ist als der Versicherungswert. Daher sind Versicherungsverträge mit „Unterversicherungsverzichtsklausel“ als vorteilhaft einzustufen. 13.9 Herbeiführung des Versicherungsfalles, § 81 Abs. 2 VVG 74 Grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles berechtigt den Versicherer seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu

1122

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 35

kürzen. Damit ist das „Alles oder Nichts-Prinzip“ aufgehoben. In modernen Konzepten ist der maximale Abzug auf z. B. 20 % begrenzt. 13.10 Der Versicherungswert, § 88 VVG, § 5 AFB In den jeweiligen Versicherungsbedingungen (unterschiedlich nach Versicherungssparte) 75 bzw. dem VVG werden unterschiedliche Werte verwandt, nach denen Entschädigungen im Schadensfall geleistet werden. Insofern ist es wichtig, – soweit möglich – eine Neuwertversicherung abzuschließen. Die Definition nach § 88 VVG lautet: Versicherungswert ist der Wiederbeschaffungs- bzw. 76 Wiederherstellungswert zum Schadenszeitpunkt im neuwertigen Zustand unter Abzug des sich aus dem Unterschied alt und neu ergebenden Minderwertes. Das bedeutet Abzüge bei der Entschädigung für gebrauchte Gegenstände. Gemäß § 5 AFB (Allgemeine Bedingungen für die Feuerversicherung) wird im Schadens- 77 fall der Neuwert (ortsüblicher Neubauwert) ersetzt, während bei einem Zeitwert von weniger als 40 %, nur dieser geringere Ansatz verwandt wird (Gebäude, Maschinen, Geschäftsversicherung etc.). Für Hypothekengläubiger gelten ggf. abweichende Regelungen, nach §§ 142 ff. VVG. In den einzelnen Versicherungssparten werden unterschiedliche Begrifflichkeiten und Ba- 78 sisdaten verwendet, um eine klare Ausgangsbasis und Hochrechnungsmöglichkeit zum aktuellen Neuwert zu schaffen. Man spricht dann von gleitendem Neuwert. So passt sich der Versicherungswert den Kostensteigerungen automatisch an. In der Gebäudeversicherung findet man den „Wert 1914“. Bei gewerblichen Gebäuden den „Wert 2000“. In der Maschinenversicherung „Wert 1972“ etc. 13.11 Insolvenz des Versicherungsnehmers, § 110 VVG Ist über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet, kann 79 der Dritte, wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs, abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen. 14.

Gläubigerrechte

Sind z. B. Gebäude oder Maschinen mit Gläubigerrechten belastet, so empfiehlt es sich 80 dringend, mit den Gläubigern über den aktuellen Stand des Versicherungsschutzes zu kommunizieren. Die bloße Annahme, der Gläubiger wird aus Eigeninteresse für Versicherungsschutz sorgen, birgt ein erhebliches Haftungsrisiko. Hat der Gläubiger keine Kenntnis von fehlendem oder mangelndem Versicherungsschutz, so könnte er ggf. auf den Verwalter zurückgreifen. In der Praxis dienen häufig z. B. Firmengebäude oder Maschinen, Banken, Kapitalgebern 81 oder Leasinggesellschaften etc. als Sicherheiten. Es ist zu klären, ob 100 % des geschätzten Veräußerungswertes dem Rechteinhaber zustehen, also eine wertausschöpfende Belastung vorliegt, oder ob noch Masse generiert werden kann. Dient das Objekt höchstwahrscheinlich nicht dazu, Masse zu generieren, so verlagert der Verwalter das Besorgen von Versicherungsschutz auf den entsprechenden Gläubiger. Er hat ein entsprechendes Versicherungsinteresse. Gleichzeitig empfiehlt es sich, den Nichteintritt in evtl. bestehende Verträge zu prüfen, 82 um Prämien zurückzuerhalten.

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1123

§ 35

Teil V Einzelfragen

III.

Versicherungsschutz der Schuldnerin

1.

Betriebliche Versicherungen des Anlage- und Umlaufvermögens

83 Befinden sich im Vermögen der Schuldnerin Sachwerte (eigene oder fremde, für welche die Schuldnerin die Gefahr trägt, weil bspw. externes Rohmaterial gelagert wird), so ist zu prüfen, in welchem Umfang Versicherungsschutz notwendig, angemessen und sinnvoll ist. Nach § 55 InsO handelt es sich um sonstige Masseverbindlichkeiten. 1.1

Unbebaute Grundstücke

84 Auf Grund der Verkehrssicherungspflichten für Eigentümer, Pächter/Nutznießer, wird Haftpflichtversicherungsschutz dringend empfohlen, auch für land- und forstwirtschaftliche Flächen. Dieser Schutz kann zumeist in die Betriebshaftpflichtversicherung eingeschlossen werden. In der Police müssen alle Adressen/Flurstücknummern etc. aufgeführt sein. 1.2

Bebaute Grundstücke

85 Ohne aktive Nutzung der Gebäude reicht evtl. Haftpflichtschutz aus. Baufällig oder sehr alte Gebäude können ggf. zum gemeinen Wert versichert werden. 86 Stellen die Gebäude einen Massewert dar, weil diese veräußerbar oder Eigennutzung oder Fremdvermietung zugänglich sind, sollte Versicherungsschutz bestehen. Siehe auch Rz. 87 ff. 1.3

Gebäude

87 Auf den Punkt Gläubigerrechte wird verwiesen (siehe Rz. 80 f.). Sorgt der Verwalter für Versicherungsschutz, sollte er auf folgende Punkte achten: x

Sämtliche „Risikoorte“ (Adresse, Flurstück, Gebäude etc.) müssen in den Policen genannt sein.

x

Selbstbeteiligungen und Sublimits prüfen (z. B. Einschluss von Aufräumkosten, Mehrkosten durch behördliche Auflagen, Neben- und Hilfsgebäude, Antennenanlagen, fest mit dem Gebäude verbundene Gegenstände etc.).

x

Auf (gleitende) Neuwertversicherung mit Unterversicherungsverzicht achten.

x

Änderungen, Umbauten, Leerstand etc. muss gemeldet werden.

x

Kürzung der Schadensersatzleistung bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung.

x

Neuwerterstattung auch ohne Wiederaufbau (zumeist wird eine Neuwerterstattung nur geleistet, wenn diese zur Wiederherstellung des Gebäudes verwendet wird).

1.3.1 Wohngebäude 88 Diese zeichnen sich durch überwiegend wohnwirtschaftliche Nutzung aus. x

Versicherbare Gefahren: Jeweils einzeln oder gemeinsam wählbar ist Versicherungsschutz nach Schäden durch Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel, Elementargefahren (Überschwemmung, Erdbeben, Lawinen, Erdsenkung, Erdrutsch, Schneedruck, Rückstau). In einigen Bundesländern wird auch eine Versicherung wegen „Hausschwamm“ empfohlen.

x

Mietausfall: Der nach einem versicherten Ereignis entstehende Mietausfall ist in der Regel mitversichert.

1124

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 35

1.3.2 Gewerblich genutzte Gebäude Sobald eine gewerbliche Nutzung vorliegt ist zu klären, ob noch die Bedingungen der 89 Wohngebäudeversicherung greifen können oder ob eine gewerbliche Gebäudeversicherung vereinbart werden muss. Die Versicherer definieren hier sehr unterschiedlich. x

Versicherbare Gefahren: Grundsätzlich wie bei Wohngebäuden, zusätzlich sind gesondert wählbar EC-Gefahren (innere Unruhen, Streik, Aussperrung, mut- und böswillige Beschädigung, Graffiti, Fahrzeuganprall, Rauch, Überschallknall, SprinklerLeckage). Allgefahrendeckungen inkl. unbenannter Gefahren (alles was nicht explizit ausgeschlossen ist, gilt als versichert).

x

Mietausfall: Im gewerblichen Bereich bedarf es einer gesonderten Regelung zum Ausfall der Miet- und/oder Pachteinnahmen.

x

Notwendige Betriebsausstattung ist ohne gesonderte Vereinbarung nicht versichert, z. B. Deckenkran, Lastenaufzüge, Rolltreppen, Versorgungsleitungen für Maschinen, Sprinkleranlagen etc. Dies gehört in den Bereich der Geschäftsversicherung. Der Verwalter wird häufig, wie oben beschrieben, den Versicherungsschutz dem Hypothekengläubiger überlassen. Zu achten ist darauf, dass die Betriebsausstattung gesondert versichert werden soll und ggf. muss.

1.3.3 Terrorschäden An Gebäuden mit einem Wert von über 25 Mio. € greift bedingungsgemäß in der Regel 90 ein Ausschluss des Bereiches „Schäden durch Terror“, der über die nach den Terroranschlägen von 2001 in den USA gegründete „Extremus“ abgesichert werden kann. 1.4

Betriebseinrichtung und Vorräte (Geschäfts- oder Inhaltsversicherung)

Versichert sind die beweglichen Sachen des Betriebsvermögens, also Waren und Vorräte 91 sowie die kaufmännische und technische Einrichtung, Maschinen und Ausstattung. Auch vom Mieter/Pächter fest in das Gebäude eingefügte Sachen gelten als versichert. Fremdes Eigentum in den Räumen der Schuldnerin kann ebenfalls abgesichert werden. Alle Betriebsstandorte müssen ausdrücklich in der Police genannt werden.

92

x

Versicherbare Gefahren der „Geschäfts-/Inhaltsversicherung“: Folgende Bestandteile sind einzeln versicherbar: Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel, Elementargefahren (Überschwemmung, Erdbeben, Lawinen, Erdsenkung, Erdrutsch, Schneedruck, Rückstau), EC-Gefahren (Innere Unruhen, Streik, Aussperrung, mut- und böswillige Beschädigung, Graffiti, Fahrzeuganprall, Rauch, Überschallknall, Sprinkler-Leckage). Allgefahrendeckungen incl. unbenannter Gefahren (alles was nicht explizit ausgeschlossen ist, gilt als versichert).

x

Versicherungssumme: Zu achten ist auf eine (gleitende) Neuwertversicherung, um Abzüge Alt für Neu zu vermeiden, und auf Unterversicherungsverzicht. Bemessungsgrundlage sind die Neuwerte, nicht die tatsächlichen Anschaffungskosten.

x

Obliegenheiten: Auch in diesem Bereich können zahlreiche vertragliche Obliegenheiten zu beachten sein, deren Verletzung der Verwalter gegen sich gelten lassen muss, bspw. Bewachungsauflagen oder Brandschutzvorschriften. Regelmäßig finden sich auch Vorgaben zu den Ladestationen der elektrischen Gabelstapler. Beachten Sie auch die gesetzlichen Auflagen zu Rauchmeldern in Wohngebäuden.

x

Begrenzungen des Versicherungsschutzes: Zumeist finden sich Begrenzungen für Bargeld, Beraubung, Urkunden, Akten, Pläne, Muster, Modelle etc. Abhängig von der Tätigkeit der Schuldnerin können erweiternde Einschlüsse sinnvoll sein.

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1125

§ 35 1.5

Teil V Einzelfragen Transport

93 Versendet oder bezieht (mit eigenen oder fremden Transportmitteln) die Schuldnerin Güter oder werden diese gelagert, wird eine „eigene“ Transportversicherung empfohlen. 94 Der Frachtführer haftet nach Gewicht der Ware. Erstattet werden in der Regel. „8,33 Sonderziehungsrechte (SZR)“ pro kg Rohgewicht. Der Wert eines „SZR“ wird täglich durch den „International Monetary Fund“ festgelegt. Am 8.3.2013 betrug ein „SZR“ bspw. 0,868 €. Ein Kilogramm ist über den Frachtführer also mit 8,33 x 0,868 € = 7,23 € abgedeckt. Das reicht regelmäßig nicht aus. 95 Versichert sind zum gemeinen Handelswert, neben z. B. Ermittlungs- oder Umladekosten, alle Gefahren, denen beförderte Güter ausgesetzt sind. Auch imaginärer Gewinn, Zollkosten etc. können versichert werden. 96 Viele Paketdienste haben eigene Haftungsregelungen aufgestellt. Neben den bedingungsgemäß festgelegten Haftungsgrenzen wird angeboten, ergänzenden Versicherungsschutz hinzuzukaufen. Diese Regelungen sind regelmäßig deutlich teurer als eigener Schutz. Darüber hinaus ist nicht der Verwalter Vertragspartner der Versicherung, sondern mögliche Schadensersatzansprüche müssen über den Paketdienst geleitet werden, was sich in der Praxis als mühsam erweisen kann. 1.6

Kraftfahrzeuge

97 Befinden sich zulassungspflichtige Fahrzeuge im Vermögen der Schuldnerin, so ergeben sich mehrere Fragestellungen. 1.6.1 Zulassungspflichtige, aber nicht zugelassene Fahrzeuge 98 Diese dürfen nur auf umfriedeten Grundstücken (nicht öffentlich zugänglich) abgestellt werden. Möglicherweise wird Versicherungsschutz bei Diebstahl oder Sturm (TeilkaskoRuheversicherung) gewünscht. 1.6.2 Zugelassene Fahrzeuge 99 Haftpflicht: Es besteht Pflichtversicherung. Bei Auslandsfahrten ist die „grüne Versicherungskarte“ mitzuführen. Zur Zulassung/Ummeldung wird eine „eVB“ – elektronische Versicherungsbestätigung benötigt. x

Die Prämienfindung ist an zahlreiche Faktoren geknüpft. Das Nutzungsverhalten bestimmt den Beitrag. Grundsätzlich werden Ansprüche Dritte befriedigt bzw. abgewehrt. Es sind aber auch Schäden an eigenen Fahrzeugen untereinander versicherbar.

x

Jeder Vertrag wird mit einem Schadenfreiheitsrabatt (SFR) geführt. Möglicherweise ist eine natürliche Person (früherer Mitarbeiter der Schuldnerin) berechtigt, diesen erfahrenen Rabatt mitzunehmen. Das liegt an den einzelvertraglichen Regelungen. Sollten für die Schuldnerin keine „Schadenfreiheitsrabatte“ (SFR) vorhanden sein, können über sog. Stückkostenmodelle kostengünstige Lösungen gefunden werden.

100 Teilkasko: Umfasst Reparatur oder Ersatz nach Schäden am Fahrzeug durch Brand, Explosion, Entwendung, Raub, Sturm, Hagel, Haarwild, Marderbiss bis zum Versicherungswert. Auch Glasschäden sind mitversichert. 101 Vollkasko: Nach Eigenschäden oder mut- oder böswilliger Beschädigung kommt es zur Erstattung von Reparatur- oder Ersatzkosten bis zum Versicherungswert.

1126

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz 1.7

§ 35

Maschinen

Stationäre oder fahrbare Maschinen, maschinelle oder elektrische Anlagen unterliegen be- 102 sonderen Risiken, die ergänzend oder separat zur Geschäftsversicherung abgesichert werden können. Bedienungsfehler, Ungeschicklichkeit, Konstruktions-, Material- oder Ausführungsfehler sowie technische Störungen (Zerreißen, Kurzschluss, Überlastung, Fremdkörper etc.) führen zu Schäden, die hohe Kosten zur Folge haben können. Zu beachten ist, dass Feuer in der Maschinenversicherung grundsätzlich nicht versichert ist. Versichert ist der gültige Listenpreis im Neuzustand zzgl. Bezugskosten bezogen auf ein 103 Basisjahr mit Wertzuschlag. Bei Totalschäden wird der Zeitwert vor Schadensfall erstattet. Ein Abzug „alt für neu“ gilt für Verschleißteile. Auch der Maschinenstillstand birgt Gefahren. Neben dem eigenen Ertragsausfall durch 104 Betriebsunterbrechung ergeben sich möglicherweise Folgeschäden bei den Abnehmern, die versicherbar sind. 1.8

Elektronik

Als Ergänzung zur Geschäftsversicherung oder gesondert versicherbar sind elektronische 105 Geräte, die besonderen Gefahren unterliegen, z. B. Daten- und Kommunikationstechnik, Mess- und Prüfanlagen, Medizintechnik etc. Versichert sind alle Sachschäden, die nicht rechtzeitig vorhersehbar waren. (Bedienungsfehler, Fahrlässigkeit, Konstruktions-, Material-, Ausführungsfehler, Überspannung etc.). Zu berücksichtigen ist, dass es zu keiner Doppelversicherung mit der Geschäftsversicherung kommt. Ergänzend könnte von Bedeutung sein und muss gesondert vereinbart werden: Wieder- 106 herstellung, Wiederbeschaffung, Wiedereingabe von Daten, Programmen und Datenträgern. Auch Umprogrammierungskosten, externe Lohnkosten etc. können versichert werden. Diese Bereiche können den ursächlichen Sachschaden um ein Vielfaches übersteigen. Auch die „Betriebsunterbrechung“ nach Schäden/Ausfall der Elektronik kann abge- 107 sichert werden. Muss bspw. die Produktion auf Grund eines Bedienfehlers angehalten werden, kann es zu erheblichen finanziellen Aufwendungen kommen. 1.9

Glas

Grundsätzlich ist Glasbruch nicht über die Gebäude- oder Geschäftsversicherung abge- 108 deckt. Es ist ein eigener Vertrag erforderlich, wenn dieses Risiko als versicherungswürdig angesehen wird. 1.10 Montage Führt die Schuldnerin i. R. der geschäftlichen Tätigkeiten auch Montagen aus oder zeich- 109 net für die Durchführung verantwortlich, so kann eine Montageversicherung (deckt unvorhergesehene und plötzlich eintretende Schäden an versicherten Sachen durch Konstruktions-, Material-, Montagefehler, höhere Gewalt oder Diebstahl ab) sinnvoll sein. Ergänzend bietet sich die Betriebsunterbrechungsabsicherung nach einem Sachschaden an. 1.11 Bauleistung Werden Neu- oder Umbauten durchgeführt, empfiehlt es sich das Vorhaben abzusichern. 110 Es besteht Versicherungsschutz während der Bauphase gegen „unvorhersehbare Beschädigung oder Zerstörung“ am Bauobjekt, z. B. höhere Gewalt, ungewöhnliche Witterungseinflüsse, Vandalismus, Diebstahl von Gebäudebestandteilen. Mitversichert werden kann

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1127

§ 35

Teil V Einzelfragen

auch Glasbruch oder die Beschädigung von Altbausubstanz. Für den Bereich Feuer ist regelmäßig ein eigener Versicherungsschutz notwendig. 1.12 Multi-Risk-Policen 111 Es handelt sich um die Bündelung verschiedener Sparten in einem Versicherungspaket. Die meisten hier genannten Versicherungsarten und Gefahren können eingeschlossen werden. Durch einfache Umsatznennung oder z. B. anhand der Mitarbeiteranzahl wird umfangreicher Versicherungsschutz für alle Betriebsbereiche und deutsche Standorte gewährleistet (z. B. Haftung, Gebäude, Transport, Inhalt, Maschinen etc.). Die Prämien sind durchaus günstig und die Handhabung sehr einfach. 2.

Betriebliche Versicherung von Kostenrisiken

2.1

Haftung – Betriebshaftpflicht

112 Die Schuldnerin unterliegt aus vergangener und laufender Tätigkeit umfangreichen Haftungsrisiken, die durch rechtswidriges und schuldhaftes Handeln oder Unterlassen entstehen und versichert werden können. Erweiternd greifen evtl. verschuldensunabhängige Garantiehaftungen oder die Regelungen nach Gefährdungshaftung. 113 Der Insolvenzverwalter tritt an die Stelle der Organe der Schuldnerin und begründet dadurch weitreichende eigene Haftungsthematiken, die oben behandelt wurden (Rz. 6). 2.1.1 Haftungsrisiken der Schuldnerin 114 Aus welchen Bereichen können Haftungsrisiken bei der Schuldnerin entstehen? x

aus der Tätigkeit und/oder Betriebsart,

x

aus Produktion/Handel mit eigenen und fremden Produkten,

x

Umweltrisiken aus Anlagenbetrieb,

x

Umweltschäden an Luft, Gewässern, Boden.

115 Der Versicherungsschutz soll möglichst umfangreich ausgestattet sein und die Handlungen sowie das Unterlassen der Tätigkeiten, Eigenschaften und Rechtsverhältnisse abdecken. Es kommt folglich auf die genaue Beschreibung des Geschäftszweckes und der Tätigkeiten an. 116 Versichert ist der Ersatz bei Personen-, Sach- und den daraus folgenden Vermögensschäden, sowie Schäden durch Produkte (Achtung: ggf. Erweiterung auf Produkthaftung notwendig). Ebenso enthalten ist die passive Rechtsschutzfunktion zur Abwehr unbegründeter Ansprüche. 2.1.2 Ergänzender/eigenständiger Versicherungsschutz 117 Es gibt zahlreiche Bereiche, die besonderen Versicherungsschutz notwendig machen. Einige Beispiele: x

Haftung des Frachtführers,

x

Lagerung von gewässergefährdenden Stoffen (Öltank),

x

erweiterte Umwelthaftung bei Anlagenrisiko,

x

Tierhaltung,

x

Herstellung/Handel von Teilen die für den KFZ-Einbau vorgesehen sind,

x

Luftfahrthaftpflicht,

1128

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz x

§ 35

Betriebsschließungsversicherung wegen Seuchengefahr insb. für Nahrungsmittelhersteller, Hotels, Gaststätten usw.

Durch besondere Vereinbarung können z. B. nachfolgende Bereiche versichert werden: x

Mietsachschäden (Regressmöglichkeit des Gebäudeversicherers beachten),

x

Allmählichkeitsschäden,

x

Erweiterte Produkthaftung ggf. inkl. Rückrufkosten: x

118

Fehlen zugesicherter Eigenschaften infolge Mangelhaftigkeit von Sachen, die erst durch Verbinden, Vermischen oder Verarbeitung der gelieferten Erzeugnisse mit anderen Produkten entsteht. Beispiel: Die Schuldnerin lackiert Bauteile, die mit anderen Teilen beim Kunden zu einem Endprodukt zusammengefügt werden. Durch fehlerhaftes Auftragen des Lackes blättert die Farbe ab und das Endprodukt muss zurückgerufen, zerlegt und neu zusammengesetzt werden.

x

Wichtig: Unbedingt Rückwärtsdeckung und/oder Nachhaftung vereinbaren. Siehe „Schadensfalldefinition“ unter Rz. 121 ff.

Ausland: Liefert die Schuldnerin Ware in angelsächsische Länder und insbesondere nach 119 USA/Kanada, aber auch nach Frankreich, so ist explizit zu prüfen, ob Haftpflichtversicherungsschutz über die deutsche Police auch in diesen Ländern besteht, was häufig, sogar überwiegend, nicht der Fall sein wird. 2.1.3 Optionaler Haftpflichtschutz für den Verwalter (Umbrella-Cover) Um die Haftungsrisiken des Insolvenzverwalters auf eigene Inanspruchnahme zu reduzie- 120 ren gibt es die Möglichkeit, einen „Umbrella-Cover“ als ergänzenden Schutz zu wählen. Nach Kenntnis des Autors wird dieser sinnvolle Schutz ausschließlich über Mitglieder des „adiutus e. V.“ angeboten. Hier werden Deckungslücken in der Betriebshaftpflicht der Schuldnerin bzw. Berufshaftpflicht des Verwalters, wie bspw. x

unzureichendes Bedingungswerk z. B. Rückrufkosten,

x

fehlende Prämienzahlung zum Altvertrag,

x

Obliegenheitsverletzung zum Altvertrag,

x

unzureichende Betriebsbeschreibung oder

x

neue Risiken

abgesichert. 2.1.4 Unterschiedliche Schadensfalldefinitionen in der Haftpflichtversicherung 2.1.4.1

Schadenereignistheorie (z. B. Betriebshaftpflichtversicherung)

Ein Beispiel hierfür stellt die Regelung in § 1.1 Allgemeine Haftpflichtversicherungsbe- 121 dingungen (AHB) dar. Zu prüfen ist, ob der Schaden während der Wirksamkeit des Vertrages eintritt. Der eigentliche Verstoß, die Schadensursache, kann auch vor dem Schadenseintritt liegen, so dass dies hier keine Rolle spielt. Führt der Verwalter die Betriebshaftpflicht der Schuldnerin nicht weiter, so besteht kein 122 Schutz, wenn in der Zukunft ein Schaden eintritt, der aus früherer Geschäftstätigkeit der Schuldnerin herrührt. Möglicherweise fallen diese Ansprüche in die Tabellenforderungen, bei Betriebsfortführung können aber auch Masseverbindlichkeiten und damit eine Haf-

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1129

§ 35

Teil V Einzelfragen

tung des Insolvenzverwalters entstehen. Zu lösen ist die Aufgabenstellung durch die Vereinbarung einer „Nachhaftung“ zur Betriebshaftpflichtversicherung. 2.1.4.2

Verstoßtheorie (z. B. Produkthaftpflichtversicherung)

123 Ein Beispiel hierfür stellt die Regelung in § 7.2 AHB dar. 124 Bestand zum Zeitpunkt des ursächlichen Verstoßes Versicherungsschutz? Abzustellen ist also nicht auf den Zeitpunkt des Bekanntwerdens eines Schadens, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem die Ursache für den Schaden gesetzt wurde. Zu beachten ist die Nachmeldefrist für Schäden, die in der Regel zwischen ein bis drei Jahre beträgt, aber abgeändert werden kann. 125 Hier bietet sich zur Problemlösung die sog. „Rückwärtsdeckung“ an, die Umsätze vor Versicherungsbeginn absichert und gleichzeitig ggf. die Verlängerung der Nachmeldefrist. 126 Sollten sie selbst geschädigt werden und einen Haftpflichtanspruch Dritten gegenüber erlangen, ist zunächst zu prüfen, ob eigener Versicherungsschutz gegeben ist, der möglicherweise zum Neuwert entschädigt, während Haftpflichtansprüche regelmäßig nur den Zeitwert bedienen. 2.1.4.3

Anspruchserhebungstheorie/Claims-Maide

127 Hier kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Regelverstoßes oder den Schadenseintritt an, sondern ob Versicherungsschutz zum Zeitpunkt der „Anspruchserhebung“ besteht. Dieses Prinzip findet bei der Managerhaftung D&O Anwendung. (siehe unten Rz. 129 ff.). 2.1.5 Reine Vermögensschadenhaftpflicht 128 Einige Berufsbilder, wie beratende Ingenieure, Architekten, Steuerberater, Anwälte aber auch Vermögensverwalter oder Immobilienmakler stehen besonders in der Gefahr, reine Vermögensschäden zu verursachen, die nicht Folge von Personen- oder Sachschäden sind. Hierfür ist eigener Versicherungsschutz angeraten, der nicht automatisch Bestandteil einer Betriebshaftpflichtversicherung ist. 2.1.6 Geschäftsführer-/Organhaftpflicht, „D&O“ 129 Wesen der D&O-Versicherung ist es, Versicherungsschutz zu gewähren, berechtigte Forderungen zu bedienen und unberechtigte abzuwehren, wenn versicherte Personen wegen einer, bei Ausübung der versicherten Tätigkeit, begangenen Pflichtverletzung bzgl. eines Vermögensschadens in Anspruch genommen werden. 130 Die komplexen Problemstellungen der ständig steigenden Haftung und Inanspruchnahme der Geschäftsführer und Aufsichtsorgane von Kapitalgesellschaften, aber auch von Privatunternehmen, Vereinen und Stiftungen etc. und der Schutz des Privatvermögens der Organe, lassen diesen Schutz sinnvoll erscheinen. 131 Nachdem häufig die vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren handelnden Personen/Organe der Schuldnerin vom Verwalter angegriffen werden, um durch persönliche Haftungsvorwürfe die Masse zu erhöhen, empfiehlt es sich dringend, bestehenden D&O Schutz über die Eröffnung des Verfahrens hinaus aufrechtzuerhalten. Dies geschieht durch Weiterzahlung der Prämie oder Verlängerung der Nachmeldefristen, innerhalb derer ein vermeintlicher Anspruch geltend gemacht werden muss. 132 Zumeist wird der D&O-Versicherer mit Kenntnis der Insolvenz die Aufforderung nach § 103 Abs. 2 InsO an den Verwalter richten, unverzüglich den Eintritt in den Vertrag zu erklären. Es liegt im Interesse des Versicherers, den Vertrag schnellstmöglich aufzulösen.

1130

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 35

Der Verwalter sollte nach bisherigen Erfahrungen den Vertrag zumindest so lange weiterführen, bis er Gewissheit über Anspruchsmöglichkeiten gegenüber den bisherigen Organen hat. Häufig hat durch wirtschaftliche Schieflage der Schuldnerin auch das Privatvermögen der 133 bisherigen Organe gelitten und möglicherweise können Ansprüche nicht eingezogen werden. Hier soll der D&O-Versicherungsschutz eintreten. Es kann zu Masseerhöhungen kommen, die ohne einen solchen Versicherungsschutz nicht möglich wären. Abweichend zur Schadensdefinition in der Haftpflichtversicherung, siehe oben Rz. 121 ff., 134 ist hier in den Versicherungsbedingungen auf Grund der angelsächsischen Herkunft dieses Versicherungsschutzes die sog. „Claims-made“-Regelung anzuwenden. Es ist zu klären, ob zum Zeitpunkt der „Anspruchserhebung“ Versicherungsschutz besteht. Die Schadensursache und auch der Schadenseintritt sind unbeachtlich. Unbedingt beachtet werden, sollten die Fristen, innerhalb derer Schadensersatzansprüche 135 auch nach Beendigung des Vertrages geltend gemacht werden müssen. Diese Fristen sind aus den Versicherungsbedingungen oder gesonderten Vereinbarungen erkennbar und in der Regel nicht identisch mit den gesetzlichen Verjährungsregeln. 2.2

Persönliche D&O-Versicherung

Es gibt zwei unterschiedliche Formen der „D&O-Versicherung“:

136

x

Den Vertrag über das Unternehmen, die Insolvenzschuldnerin. Hier werden alle Organe und evtl. leitende Mitarbeiter abgesichert. (Beschreibung siehe oben Rz. 129).

x

Die persönliche „D&O“. Das Organ sichert sich höchstpersönlich ab. Dieser Vertrag ist ggf. nicht mit Einschränkungen der Firmen-D&O (z. B. kein Versicherungsschutz bei Insolvenz) versehen und fällt nicht in die Entscheidungsgewalt des Insolvenzverwalters. Er schützt das Organ gegen Vorwürfe des Verwalters oder sonstiger Dritter, unabhängig vom Bestehen eines Firmenvertrages und der Fortführung durch den Verwalter. Die Bedingungswerke werden laufend verbessert und dürfen heute als sehr umfangreich bezeichnet werden.

2.3

Betriebsunterbrechung

Kommt es durch einen Sach- oder Vermögensschaden (z. B. Feuer, Datenverlust, Maschi- 137 nenbruch, Transportschaden, Veruntreuung etc.) zur Unterbrechung des Geschäftsbetriebs, kann dies zu weitreichenden monetären Einbußen führen. Die laufenden Kosten des Unternehmens müssen weiter bedient werden (Löhne, Mieten, Leasing etc.). Der Verwalter ist ggf. Masseverbindlichkeiten eingegangen, die er über die Erträge des 138 Geschäftsbetriebs der Schuldnerin bedienen wollte. Fallen diese Einnahmen durch einen Schaden aus, kann es zu Finanzierungsproblemen kommen. Im Falle einer Betriebsfortführung wird empfohlen, die Risiken und die Versicherbarkeit zu prüfen, um die Masse und letztlich den Verwalter zu schützen. Der Versicherungsschutz und die Versicherungsprämie sind abhängig von z. B. Umsätzen, 139 Wareneinsatz, Zeitdauer der Wiederbeschaffung bzw. Wechselwirkungen unter verschiedenen Betriebsstätten der Schuldnerin oder bei Folgen von Sachschäden bei fremden Dritten, sog. „Rückwirkungsschäden“. 2.4

Rechtsschutz

In der Rechtsschutzversicherung für Unternehmen sind diverse Bausteine einzeln oder 140 gemeinsam wählbar. Grundsätzlich ist das Unternehmen mit seiner originären Tätigkeit

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1131

§ 35

Teil V Einzelfragen

versichert. Ausgeschlossen ist in der Regel (Ausnahme z. B. Medizinberufe) der Vertragsrechtsschutz, also die Vereinbarungen zwischen der Schuldnerin und ihren Lieferanten oder Kunden. 141 Wählbar ist z. B. Rechtsschutz für/als: x

Arbeitgeber (Streitigkeiten mit Mitarbeitern),

x

Immobilien (Miete ist regelmäßig bis 100 000 € Bruttojahresmiete mitversichert),

x

Verkehr (Kfz, LKW, Werk- und Fernverkehr etc.),

x

Vertragsrechtsschutz für Hilfsgeschäfte rund um Büro, Praxis, Werkstatt etc.,

x

Forderungsmanagement,

x

Versicherungs-Vertragsrechtsschutz,

x

Straf-Rechtsschutz sowie erweiterter Spezial-Straf-Rechtsschutz,

x

Online-Rechtsschutz.

142 Für einzelne Betriebsarten wie Kfz-Handel/Handwerk, Entsorgungsbetriebe oder auch Personalleasing etc. gibt es besondere Bedingungen. 143 Sollte der Verwalter eine Rechtsschutzversicherung weiterführen? Gemäß § 3 Abs. 3 Nr. c der Allgemeinen Bedingungen für Rechtsschutzversicherungen (ARB) sind Rechtsstreitigkeiten ausgeschlossen, die in ursächlichem Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren, das über das Vermögen des Versicherungsnehmers eröffnet wurde oder eröffnet werden soll. Insofern greift der Schutz vielfach nicht. 144 Streitigkeiten mit Arbeitnehmern, weil z. B. Aufhebungsverträge vereinbart werden sollen, sind nach gängiger Meinung weiterhin mitversichert. 145 Ist der private Rechtsschutz des Inhabers der Schuldnerin mitversichert, tritt der Verwalter in diesen Bereich regelmäßig nicht ein und fordert den Prämienanteil zurück. Gleiches gilt, wenn ein „Spezial-Straf-Rechtsschutz“ mitversichert ist. Für diese Bausteine besteht ein originäres Interesse der bisher Versicherten. Insofern erscheint es fair, diesen Personen die Möglichkeit einzuräumen, solchen Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten. 2.5

Vertrauensschaden und Computermissbrauch, sog. „Cyber-Risiken“

146 Die polizeiliche Kriminalstatistik geht davon aus, dass jährlich mehr als 1 Mio. Schadensfälle mit einem Schadenvolumen von mehreren Milliarden Euro durch unerlaubte Handlungen (Betrug, Unterschlagung, Sachbeschädigung, Sabotage etc.) von Betriebsangehörigen oder sonstigen Vertrauenspersonen begangen werden. Der Versicherungsschutz umfasst neben der Erstattung des entstandenen Schadens auch die internen und externen Schadensermittlungskosten bis zur vereinbarten Höhe. 147 Gerade vor einer Insolvenz können diese strafbaren Handlungen zunehmen. Zeigen sich Anzeichen für Nachteile, die der Schuldnerin durch „Vertrauensschäden“ entstanden sein können, scheint es durchaus angeraten, diesen Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten, um einerseits die Rechtsverfolgung erstattet zu bekommen und andererseits ggf. die Masse zu erhöhen, falls die Schädiger keinen Schadensersatz leisten können. 148 Versichert sind beispielsweise: x

Datenverlust;

x

Datenschutzrechtsverletzungen;

x

Hackerangriffe incl. Erpressung;

x

Betriebsunterbrechung (immer größere Bedeutung durch EDV-Einsatz);

x

Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

1132

Langenmayer

Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 35

Versichert sind sowohl Fremd- als auch Eigenschäden.

149

Die Telekom bietet Frühwarnsysteme zum Download an. Über www.sicherheitstacho.de 150 können Sie über die aktuelle Gefährdungslage durch Cyberangriffe informieren. 2.6

Forderungsausfall/Warenkreditversicherung

Verkauft die Schuldnerin Waren an Abnehmer gegen Rechnung mit Zahlungsziel (Waren- 151 oder Lieferantenkredit), so besteht ein Ausfallrisiko, das die Liquiditätsplanung des Verwalters (insbesondere bei Betriebsfortführung) für die Schuldnerin durchkreuzen kann, speziell bei Warenlieferungen mit Forderungen in bedeutender Höhe oder an Großkunden. Abhängig von der enthaltenen Gewinnspanne ist errechenbar, wie viel Alternativumsatz 152 erzielt werden muss, um Forderungsausfälle zu kompensieren. Das Risiko des Forderungsausfalls kann nebst Inkasso- und Auskunftsservice über eine „Kreditversicherung“ abgedeckt werden. Zahlt der Schuldner nicht, soll die Warenkreditversicherung eintreten. Ist die Schuldnerin selbst versichert, also ihre Lieferungen an dritte Abnehmer, so wird 153 der Kreditversicherer den Vertrag nach Kenntnis der Insolvenz aufkündigen. Durch besondere Vereinbarungen besteht die Möglichkeit eine Abspaltung vorzunehmen und den Altteil vor Insolvenzeröffnung aufzukündigen, die Betriebsfortführung aber weiter zu versichern. 2.7

Bürgschaftsversicherung

Hat die Schuldnerin eigene Verpflichtungen Dritten gegenüber durch Bürgschaftsversi- 154 cherungen abgesichert, so werden diese häufig „eingefroren“. Die Vorgehensweise richtet sich nach der Bürgschaftsvereinbarung. Neue Bürgschaften werden durch die Schuldnerin über Versicherungslösungen nicht mehr möglich sein. 2.8

Versicherungslösungen für Bautätigkeit

Sollte der Insolvenzverwalter das Unternehmen fortführen und Bautätigkeiten veranlassen 155 oder ausüben, so kann er die sich daraus ergebenden Risiken über Spezialpolicen versichern. Denkbar sind Lösungen für „Bauunternehmen, Bauträger, Generalüber- und -unternehmer“. Darüber hinaus gibt es „Baugewährleistungsversicherungen“, bei denen die Mangelbesei- 156 tigung bzw. Gewährleistung abgesichert werden kann. Umgekehrt ist es auch möglich die Baufertigstellung zu versichern, also die finanziellen 157 Risiken des Ausfalles von Baupartnern auszulagern. 2.9

Prozessfinanzierung

Gerichtsprozesse können eine kostspielige Angelegenheit sein und der Verwalter steht 158 zudem vor der Herausforderung, möglicherweise wenig Masse zur Verfügung zu haben. Eine Lösung kann die Auslagerung der Prozessfinanzierung an einen externen Partner 159 sein, der im Vorfeld die Übernahme des Prozessrisikos prüft. Tritt der Prozesskostenfinanzierer in das Risiko ein und trägt die Kosten für z. B. Gericht, Rechtsanwalt, Sachverständige etc., bekommt er bei Obsiegen in der Regel 20 – 30 % des Erlöses aus dem Prozess als Gegenleistung.

Langenmayer

1133

§ 35

Teil V Einzelfragen

3.

Absicherung von Mitarbeitern

3.1

Reisekrankenversicherung

160 Zu unterscheiden sind zwei Bereiche. x

Die Schuldnerin entsendet Mitarbeiter ins Ausland: Hier sind zahlreiche Regelungen (auch EU-Verordnungen) zu beachten. Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Bereich des Krankenschutzes so stellen muss, als sei dieser in Deutschland. Nachdem die deutsche gesetzliche Krankenversicherung (wenn überhaupt) nur rudimentären Schutz im Ausland bietet, ist eine ergänzende Auslandskrankenversicherung für Dienstreisen unbedingt zu empfehlen, damit die Schuldnerin das Kostenrisiko nicht tragen muss. Es bieten sich günstige Rahmenverträge an.

x

Ausländische Geschäftspartner beim Aufenthalt in Deutschland (Incoming): Erstattung von ambulanten und stationären Heilbehandlungen in Deutschland bei Krankheit oder Unfall, ggf. inkl. Zahnbehandlungskosten.

3.2

Krankenversicherung – Rahmenverträge

161 Im Rahmen der Mitarbeiterbindung und -förderung schließen Unternehmen Rahmenverträge mit privaten Krankenversicherungen ab, um ergänzend zur gesetzlichen Krankenversicherung Zusatzversicherungen mit besonderen Preisvorteilen zu bieten. Häufig können sich Mitarbeiter ohne Gesundheitsprüfung versichern, was als Einzelvertrag ggf. nicht mehr möglich wäre. Überwiegend trägt der Mitarbeiter die Beitragszahlung alleine, so dass die Schuldnerin davon nicht belastet ist. 162 Zumeist gibt es Regelungen zur Weiterführungsmöglichkeit bei Ausscheiden des Mitarbeiters. Eine Information an die Mitarbeiter durch den Verwalter oder die Versicherung ist wünschenswert, damit diese keine Nachteile erleiden. 3.3

Unfallversicherung

163 Neben der Pflichtabsicherung über die Berufsgenossenschaft haben viele Unternehmen Rahmenverträge einer ergänzenden privaten Unfallversicherung. Meist sind auch die bisher handelnden Organe der Schuldnerin mitversichert. Es handelt sich um einen rein freiwilligen Vertrag, so dass häufig Nichteintritt nach § 103 InsO erklärt wird. 3.4

Reiseversicherungen

164 Gegenstände, die Mitarbeiter der Schuldnerin auf Geschäftsreisen mitführen, können z. B. gegen Diebstahl oder Bruch versichert werden. 3.5

Dienstreisekasko

165 Führen Mitarbeiter mit ihrem eigenen Fahrzeug für die Schuldnerin Fahrten durch, so kann das Risiko eines Unfallschadens oder von Beschädigung über eine Dienstreisekasko, die der Arbeitgeber für das Fahrzeug des Arbeitnehmers abschließt, abgedeckt werden. 4.

Verstöße aus Compliance-Richtlinien, Regress beim Angestellten

166 Neben der Organhaftung, die gesetzlich verankert und seit vielen Jahren gängige Rechtsprechung ist, weitet sich die Haftung nun auch auf leitende und normale Angestellte aus. Das Urteil des LAG Rheinland Pfalz vom 14.8.2013 bestätigt diese Tendenz.4) Arbeitgeber (und somit der Verwalter) können Arbeitnehmer bei weisungswidrigem Verhalten in ___________ 4) LAG Rheinland Pfalz, Urt. v. 14.8.2013 – 8 Sa 136/13, JurionRS 2013, 52194.

1134

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 35

Regress nehmen. Die Unternehmen können entsprechenden Versicherungsschutz einkaufen und damit die Vermögens-Schäden durch Mitarbeiter absichern. IV.

Fazit: Eintritt in bestehende Verträge oder Neuabschluss?

Notwendiger und gewünschter Versicherungsschutz hängt immer von den vorherrschen- 167 den Gegebenheiten ab. Erst nach einer Aufnahme der Risiken, insbesondere bei Betriebsfortführung, kann eine Beurteilung vorgenommen werden. Anschließend sind die weiteren Maßnahmen zu beschließen. Vorstehende Ausführungen können zu Themen, die im Insolvenzverfahren häufig eine Rolle spielen, nur allgemeine Grundsätze und Handlungsempfehlungen wiedergeben, die im Einzelfall aber abweichend zu beurteilen sein können. Tritt der Verwalter nach § 103 InsO nicht in bestehende Verträge ein oder kündigt re- 168 gulär, so empfiehlt sich im Bereich der Haftpflichtversicherungen immer zu prüfen, welche Schadensersatzansprüche auf die Schuldnerin zukommen können und welche Schadenstheorie gilt (siehe oben Rz. 121 ff.) Es ist auf Nachhaftungsfristen und -möglichkeiten zu achten. Wird neuer Versicherungsschutz abgeschlossen, sollte eine „Rückwärtsdeckung“ für be- 169 reits zurückliegende Geschäftstätigkeit enthalten sein. Grundsätzlich sollte der Verwalter im eigenen aber auch im Interesse aller am Verfahren Beteiligter immer auf bestmöglichen Versicherungsschutz im Bereich der „Haftung“ bedacht sein. In der Regel übernimmt die Masse diese Kosten. Bei der Absicherung von Anlage- und Umlaufvermögen sowie Vermögensverlust emp- 170 fiehlt es sich in der Regel den Nichteintritt zu erklären, um Masse zu generieren und neuen, zeitgemäßen und richtigen Versicherungsschutz abzuschließen. Der Verwalter entgeht so auch der Gefahr, für vergangene Obliegenheitsverletzungen zu haften. Wie es in verschiedenen Bereichen der Insolvenzverwaltung längst gängige Praxis ist, sollten 171 auch für den Versicherungsschutz spezialisierte Partner eingeschaltet werden. Um Sachverstand zu bündeln, einheitliche Qualitätsstandards zu schaffen und auch gegenüber den Produktanbietern „Marktmacht“ i. S. der Aufgabe, optimalen Versicherungsschutz im Insolvenzverfahren zu erreichen, wurde der „adiutus – Deutscher Insolvenz AssekuranzVerband e. V.“ gegründet, dem Partner mit Kompetenz und Erfahrung angeschlossen sind.

Langenmayer

1135

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

§ 36 Interne und externe Rechnungslegung, Steuern Übersicht I. II. 1. 2. 3. III. IV. V. VI. 1.

2.

3.

Einleitung .................................................... 1 Handelsrechtliche Rechnungslegung....... 5 Gegenstand der Rechnungslegung .............. 6 Zeiträume der Rechnungslegung............... 19 Übergang auf den Insolvenzverwalter ...... 24 Offenlegung von Jahresabschlüssen ....... 31 Prüfungspflicht im Insolvenzverfahren ... 37 Steuerrechtliche Buchführungspflicht .... 46 Steuern ....................................................... 58 Stellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, des (vorläufigen) Sachwalters und des Treuhänders ..................... 58 1.1 Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters................................. 58 1.2 Stellung des vorläufigen Sachwalters.............................................. 62 1.3 Stellung des Insolvenzverwalters.............................................. 64 1.4 Stellung des Sachwalters ................. 65 1.5 Stellung des Treuhänders................ 68 Steuerliche Nebenleistungen, Haftung und Auskunft ............................................. 70 2.1 Zinsen .............................................. 70 2.2 Säumnis- und Verspätungszuschläge ......................................... 72 2.3 Vollstreckungskosten ..................... 75 2.4 Zwangs- und Ordnungsgelder ....... 76 2.5 Geldbußen und Geldstrafen........... 78 2.6 Haftung des Insolvenzverwalters.............................................. 80 2.7 Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters................................. 85 Ertragsteuern (Einkommen- und Körperschaftsteuer) ................................... 91 3.1 Abgrenzung Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten und insolvenzfreie Verbindlichkeiten ............................................... 92

3.2

4.

5.

6.

Zinsabschlag und Kapitalertragsteuer.................................... 106 3.3 Besonderheiten bei der Besteuerung von Sanierungsgewinnen ..... 114 3.4 Bauabzugsteuer ............................. 123 Umsatzsteuer ........................................... 129 4.1 Unternehmen und Unternehmer........................................... 130 4.2 Steuerbefreiungen und Verzicht auf Steuerbefreiungen ................... 145 4.3 Steuer ............................................. 149 4.4 Vorsteuer und Vorsteuerberichtigung .................................. 153 4.4.1 Vorsteuer ....................................... 153 4.4.2 Vorsteuerberichtigung.................. 165 4.5 Besteuerung................................... 177 Gewerbesteuer.......................................... 185 5.1 Grundlagen.................................... 185 5.2 Abgrenzung Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten und insolvenzfreie Verbindlichkeiten ............................................. 190 5.3 Gewerbeertrag in der Insolvenz .... 193 5.4 Erlass von Gewerbesteuerverbindlichkeiten................................ 198 5.5 Aufrechnung durch die Gemeinde ........................................... 202 Kraftfahrzeugsteuer ................................. 203 6.1 Grundlagen.................................... 203 6.2 Nutzung oder Neuanmeldung des Fahrzeugs durch den Insolvenzverwalter ................................ 206 6.3 Veräußerung eines Fahrzeugs durch den Insolvenzverwalter ...... 208 6.4 Behandlung insolvenzfreier Fahrzeuge ...................................... 211

Literatur: Breidert, Einkommensteuer – Zur Entrichtungspflicht des Zwangsverwalters, IGZInfo 2015, 48; Busch/Büker, Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 4 InsO – quo vadis? – Teil 1, InsbürO 2015, 124, – Teil 2, InsbürO 2015, 333; Busch/Büker/Heyn, Übersicht über Zuordnung der Umsatzsteuerverpflichtung im Rahmen des Forderungseinzugs, InsbürO 2015, 507; Casse, Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit? – Klarheit durch den BFH, ZInsO 2011, 2309; Dobler, Masseverbindlichkeit aus Forderungseinzug – Sorgt das BMF-Schreiben vom 9.12.2011 für Klarheit?, ZInsO 2012, 208; Engels, Zwangsverwaltung und Einkommensteuer, Rpfleger 2015, 525; Erkis/Schneider, Anfechtbarkeit von Lohnsteuerzahlungen in der Insolvenz des Arbeitgebers, DStZ 2015, 167; Fischer, Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, DB 2012, 885; Gerbers, Sanierungsgewinn versus Realisierung stiller Reserven im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, ZInsO 2006, 633; Groß/Amen, Going-Concern-Prognosen im Insolvenz- und im Bilanzrecht, DB 2005, 1861; Gundlach/Rautmann, Änderungen der Insolvenzordnung durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011, DStR 2011, 82; Hölzle, Umsatzsteuerliche Organschaft

Schmittmann

1139

§ 36

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

und Insolvenz der Organgesellschaft, DStR 2006, 1210; Jungclaus/Keller, Die Änderungen der InsO durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011, NZI 2010, 808; Kahlert, Steuerbilanzielle Behandlung des Rangrücktritts nach dem Konzept des IX. Senats des BGH, DStR 2015, 734; Kahlert, Ein neuer Schöpfungsakt des V. BFH-Senats zur Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren und seine Entschlüsselung, ZIP 2015, 11; Kahlert, Insolvenzrecht und Steuerrecht – Gemeinsam für ein wettbewerbsfähiges Insolvenzrecht, ZIP 2014, 1101; Kahlert, Umsatzsteuerliche Behandlung der Einschaltung eines Kassenprüfers im Insolvenzverfahren, DStR 2011, 2439; Kahlert, Zur Dogmatik der Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren, DStR 2011, 1973; Kahlert, Die Neugeburt eines Fiskusprivilegs im Insolvenzverfahren nach Art. 3 Nr. 2 und Nr. 3 des Haushaltsbegleitgesetzes-Entwurfs 2011, ZIP 2010, 1887; Kahlert, „Wiedereinführung“ des Fiskusvorrechts im Insolvenzverfahren? – Die Fiskusvorrechte sind schon lange da!, ZIP 2010, 1274; Kahlert/Schmidt, Neues zu den steuerlichen Pflichten von Vermögensverwaltern, FR 2015, 596; Klasmeyer/Kübler, Buchführungspflichten, Bilanzierungspflichten und Steuererklärungspflichten des Konkursverwalters sowie Sanktionen im Fall ihrer Verletzung, BB 1978, 369; Klink/Wüllrich, Die umsatzsteuerliche Organschaft – Gesellschaftsrechtliche Fallstricke bei der organisatorischen Eingliederung, BB 2014, 1757; Klusmeier, Ist die Umsatzsteuer in der vorläufigen Eigenverwaltung keine Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO?, ZInsO 2014, 488; Kunz/ Mundt, Rechnungslegung in der Insolvenz, Teil I, DStR 1997, 620, Teil II, DStR 1997, 664; Lechleitner, Zum Vorsteuerabzug der Insolvenzmasse aus der Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, ZInsO 2015, 1382; Lemken, Folgen der Beendigung einer umsatzsteuerlichen Organschaft durch Insolvenz, InsbürO 2012, 417; Loose/Stehling, Rechtsänderung in § 184 AO, ZInsO 2015, 439; Marchal/ Nobereit, Berichtigung von Rechnungen mit unrichtigem oder unberechtigtem Umsatzsteuerausweis durch den Insolvenzverwalter – ein Mittel zur Mehrung der Insolvenzmasse, ZInsO 2014, 2308; Marotzke, Sinn und Unsinn einer insolvenzrechtlichen Privilegierung des Fiskus, ZInsO 2010, 2163; Misoch/Schmittmann, Das Auskunftsverfahren nach dem. Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, VR 2012, 181; Nawroth, Der neue § 55 Abs. 4 InsO – Die Gedanken sind frei …, ZInsO 2011, 107; Olbing, Gewerblichkeit des Anwalts und Einkommensteuerpflicht bei Zwangsverwaltung, AnwBl. 2016, 33; Onusseit, Umsatzsteuerrechtliche Folgen der Verwertung von Sicherungsgut, ZInsO 2014, 1461; Onnuseit, Neues zum Insolvenzsteuerrecht vom Bundesfinanzhof, ZInsO 2014, 59; Onusseit, Zur Neuregelung des § 55 Abs. 4 InsO, ZInsO 2011, 641; Pape, Zum Fortgang der Arbeiten auf der Dauerbaustelle InsO, ZInsO 2011, 1; Rennert-Bergenthal/Dähling, Die Handhabung des § 55 Abs. 4 InsO in der Praxis, ZInsO 2011, 1922; Roth, Anfechtbarkeit von Umsatzsteuerforderungen gem. § 55 Abs. 4 InsO, ZInsO 2011, 1779; Sämisch/Adam, Fiskalische Begehrlichkeiten: Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit?, ZInsO 2010, 934; Schacht, Erneute Stärkung der Fiskusvorrechte im Insolvenzverfahren durch den BFH?, ZInsO 2011, 1787; Schacht, Vorrechte öffentlicher und fiskalischer Forderungen im Insolvenzverfahren, ZInsO 2011, 1048; Schlauß, Ein Jahr Erfahrungen mit den neuen Jahresabschlusspublizitätspflichten, DB 2008, 2831; Schlauß, Das neue Ordnungsgeldverfahren bei Verletzung der Publizitätspflicht, DB 2007, 2191; Schmidt, K., Rangrücktritt insolvenzrechtlich/Rangrücktritt steuerrechtlich – Aktueller Hinweis auf eine „Bringschuld“ von Gesetzgebung und Rechtsprechung, DB 2015, 600; Schmidtberger, FG Greifswald – oder das Ende der Zwangsverwaltung?, ZfIR 2011, 786; Schmittmann, Die Zeit ist überreif für ein deutsches Sanierungssteuerrecht, INDat-Report 3/2016, 27; Schmittmann, Die 12 wichtigsten Entscheidungen des BFH an der Schnittstelle zwischen Insolvenzund Steuerrecht, StuB 2016, 73; Schmittmann, Steuerliche Behandlung nicht insolvenzbefangener Einkünfte und Umsätze des Schuldners, StuB 2015, 76; Schmittmann, Besteuerung von Sanierungsgewinnen: Der BFH lässt neuerlich die Wirksamkeit des BMF-Schreibens vom 27. März 2003 offen, StuB 2015, 389; Schmittmann, Auskunftsansprüche des Insolvenzverwalters gegen die Finanzverwaltung auf Grundlage der Landesinformationsfreiheitsgesetze, NZI 2015, 594; Schmittmann, Des einen Freud, des anderen Leid: BFH erweitert die steuerlichen Pflichten des Zwangsverwalters, StuB 2015, 550; Schmittmann, Einnahmen in der Zwangsverwaltung und Einkommensteuer, ZfIR 2015, 545; Schmittmann, BMF modifiziert sein Schreiben zu § 55 Abs. 4 InsO, StuB 2015, 748; Schmittmann, Verjährungsunterbrechung, Aufrechnungsverbot, Energiesteuer und Investitionszulage an der Schnittstelle von Insolvenz- und Steuerrecht, StuB 2015, 879; Schmittmann, Steuerrechtliche Folgen einer Insolvenzanfechtung, NZI 2014, 638; Schmittmann, Besteuerung von Sanierungsgewinnen: Der BFH lässt Wirksamkeit des BMFSchreibens vom 27. März 2003 offen, StuB 2014, 227; Schmittmann, Handels- und steuerrechtliche Pflichten in der Insolvenz und ihre Durchsetzung, StuB 2013, 67; Schmittmann, Umsatzsteuer, Aufrechnung und Insolvenz in der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, StuB 2012, 874; Schmittmann, Einkommensteuerliche Problemstellungen in und nach der Insolvenz des Steuerpflichtigen, StuB 2012, 404; Schmittmann, Das Bundesfinanzministerium, der V. Senat des BFH und die Umsatzsteuer in der Insolvenz, ZIP 2012, 249; Schmittmann, Praktische Auswirkungen der aktuellen Rechtsprechung zum Informationsfreiheitsrecht, InsbürO 2012, 246; Schmittmann, Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren zwischen BMF und BFH, StuB 2012, 237; Schmittmann, Umsatzsteuer aus Einzug von Altforderungen nach Insolvenzeröffnung. Zugleich Besprechung BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782, ZIP 2011, 1125; Schmittmann, Vorsteuer aus Verwaltervergütung, InsbürO 2011, 224; Schmittmann, § 1 InsO n. F.: Das Insolvenzverfahren dient der Befriedigung des Finanzamtes, INDat-Report 3/2011, 26; Schmittmann, Das Haushaltsbegleitgesetz 2011 aus insolvenzsteuerlicher Sicht, StuB 2010, 877; Schmittmann, Turn-

1140

Schmittmann

Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

around durch steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten und Besteuerung von Sanierungsgewinnen, in: Krisen im Aufschwung, hrsg. v. Heinrich, 2009, S. 83; Schmittmann, EHUG und Offenlegung in der Insolvenz, StuB 2008, 289; Schmittmann, Organschaft in der Insolvenz und Umsatzsteuer, InsbürO 2007, 265; Schmittmann, Gefahren für die Organschaft in der Insolvenz, ZSteu 2007, 191; Schmittmann, Rechnungsanforderungen im Insolvenzverfahren, InsbürO 2006, 383; Schmittmann, Steuerberatungskosten im Insolvenzverfahren, InsbürO 2005, 288; Schmittmann, Offenlegungspflichten einer GmbH & Co. KG, StuB 2004, 1063; Schmittmann, Steuerpflichtiger Sanierungsgewinn bei Restschuldbefreiung und Insolvenzplan?, ZInsO 2003, 505; Schmittmann/Böing, Die Auskunft, der Rechtsweg und das Geheimnis – neue Erkenntnisse zu Auskunftsansprüchen gegenüber Sozialversicherungsträgern und Finanzverwaltung, InsbürO 2010, 15; Schmittmann/Brandau/Stroh, Umsatzsteuerliche Haftungsrisiken des Zwangsverwalters, IGZInfo 2012, 3; Schmittmann/Duda, Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz, Köln, 2016; Schmittmann/Kupka, Auskunftsansprüche des Insolvenzverwalters gegen potentielle Anfechtungsgegner unter besonderer Berücksichtigung von Auskunftsansprüchen nach dem Informationsfreiheitsgesetz gegen Sozialversicherungsträger, InsbürO 2009, 83; Sinz/Oppermann, § 55 Abs. 4 InsO und seine Anwendungsprobleme in der Praxis, DB 2011, 2185; Thole, Der Konflikt zwischen Steuerpflicht und Massesicherung in der vorläufigen Eigenverwaltung, DB 2015, 662; Trinks, Die Eingliederung der umsatzsteuerlichen Organgesellschaft und ihr Bestand im Insolvenzfall, UVR 2010, 12; Trottner, Anwendungsfragen zu § 55 Abs. 4 InsO, NWB 2012, 920; Uhländer, Aktuelle Besteuerungsprobleme in der Insolvenz – Anmerkungen zum BMF-Schreiben vom 20.05.2015 (DB 2015 S. 1317) und weitere Sonderfragen, DB 2015, 1620; Uhländer, Erlass der Einkommensteuer auf den Sanierungsgewinn, ZInsO 2005, 76; Vogel/Schlüter, GewSt auf den Sanierungsgewinn, DB 2015, 344; Wagner, Das Schicksal der umsatzsteuerlichen Organschaft bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen von Konzerngesellschaften, BB 2014, 2583; de Weerth, EuG zur „Sanierungsklausel“ des § 8c KStG: Die Rückausnahme zur Ausnahme ist eine staatliche Beihilfe i. S. des EU-Beihilferechts!, DStR 2016, 682; de Weerth, Praxisfragen zur Einkommensteuererklärung bei Zwangsversteigerung und -verwaltung, NZI 2015, 643; Wehner, Der Sanierungserlass des BMF vom 27.3.2003 – Ein Verstoß gegen EU-Beihilferecht?, NZI 2012, 537; Weiland, Wi(e)der die Privilegierung der öffentlich-rechtlichen Gläubiger, DZWIR 2011, 224; Weiß, Zulässigkeit der Verwendung des offengelegten Jahresabschlusses einer GmbH im Strafverfahren gegen ihre Geschäftsführer?, DB 2010, 1744; Welte/ Friedrich-Vache, Masseverbindlichkeit bei Entgeltvereinnahmung für vorinsolvenzlich ausgeführte Leistungen: Chancen und Risiken der geänderten Rechtsprechung des BFH, ZIP 2011, 1595; Weyand, Sanktionen bei Verletzung der Publizitätspflicht nach dem EHUG, StuB 2007, 935; Wipperfürth/ Busch/Schmittmann, Einkommensteuer und die Erklärungspflicht des Treuhänders bei abhängiger Beschäftigung, InsbürO 2013, 478; Wipperfürth/Schmittmann, Insolvenzrechtliche Konsequenzen der Umwandlung einer gem. § 35 Abs. 2 InsO freigegebenen Selbständigkeit in ein Nebengewerbe, ZInsO 2015, 2560; Wipperfürth/Schmittmann, Die Gewerbesteuer in der Insolvenz, InsbürO 2014, 471; Wipperfürth/Schmittmann, Vergnügungsteuer und § 55 Abs. 4 InsO: Ein (weiteres) privilegiertes Fiskal-Vergnügen?, InsbürO 2014, 22; Zimmer, Haushaltsbegleitgesetz 2011 (§ 55 Abs. 4 InsO n. F.) – Erste Anwendungsprobleme, ZInsO 2010, 2299.

I.

Einleitung

Die Regelung des § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht vor, dass die handels- und steuerrecht- 1 lichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung unberührt bleiben. In Bezug auf die Insolvenzmasse hat der Insolvenzverwalter diese Pflichten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO zu erfüllen. Die insolvenzrechtliche, handelsrechtliche und steuerrechtliche Rechnungslegung ist streng 2 zu differenzieren.1) Schon der Konkursverwalter war verpflichtet, unter Beachtung der Grundsätze ordnungs- 3 gemäßer Buchführung Bücher zu führen und Jahresabschlüsse zu erstellen,2) obgleich die KO keine der Regelung des § 155 InsO vergleichbare Norm kannte.3) Der Insolvenzverwalter ist sowohl zur internen Rechnungslegung nach der InsO verpflichtet als auch zur Erfüllung der allgemeinen Rechnungslegungspflichten des Schuldners nach außen.4) ___________ 1) So auch Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 921; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 1. 2) So RFH, Urt. v. 22.6.1938 – VI 687/37, RStBl. 1938, 669. 3) So Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 1. 4) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 11/2013, § 155 Rz. 4; Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 3.

Schmittmann

1141

§ 36

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

4 Da die Rechnungslegung der Aggregation und Bereitstellung von zweckorientiertem Wissen dient,5) gibt die Buchführung dem Insolvenzverwalter wichtige Informationen für die Fortführung des schuldnerischen Betriebs.6) II.

Handelsrechtliche Rechnungslegung

5 Im Fall der Betriebsfortführung hat der Insolvenzverwalter x

den Gegenstand der Rechnungslegung zu bestimmen sowie

x

die Zeiträume der Rechnungslegung zu definieren.

1.

Gegenstand der Rechnungslegung

6 Die Regelung des § 155 Abs. 1 InsO begründet keine eigenständige Verpflichtung zur Rechnungslegung, sondern setzt eine solche voraus. Es ist also zu prüfen, ob der Schuldner bereits vor Verfahrenseröffnung zur handelsrechtlichen Rechnungslegung verpflichtet war. Gemäß §§ 238 ff. HGB unterliegen der handelsrechtlichen Buchführungspflicht nur Kaufleute nach §§ 1 und 6 HGB. 7 Der Kaufmannsbegriff umfasst auch Dienstleistungsunternehmen, nicht aber Freiberufler, also insbesondere Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Architekten. Diese betreiben ungeachtet der Größe ihres Unternehmens kein Handelsgewerbe.7) 8 Bei Kapitalgesellschaften ergibt sich die Kaufmannseigenschaft aus § 6 Abs. 2 HGB sowie den Einzelgesetzen. Die Auflösung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) beendet die Kaufmannseigenschaft nicht. Sie endet erst durch Vermögenslosigkeit und Löschung im Handelsregister.8) Genossenschaften gelten gemäß § 17 Abs. 2 GenG als Kaufleute i. S. des HGB. 9 Die handelsrechtlichen Buchführungspflichten resultieren beim Einzelkaufmann aus der Kaufmannseigenschaft.9) 10 Nach Einstellung des Geschäftsbetriebs besteht die Buchführungspflicht nicht fort.10) Die Masseverwertung durch den Insolvenzverwalter ist Vermögensverwaltung und kein Handelsgewerbe.11) 11 Im Falle der Betriebsfortführung besteht das Handelsgewerbe weiter, so dass auch die Verpflichtung zur handelsrechtlichen Rechnungslegung fortbesteht. 12 Bei Personenhandelsgesellschaften ist der Betrieb eines Handelsgewerbes nicht erforderlich. Für die Kaufmannseigenschaft reicht die Eintragung in das Handelsregister aus (§ 105 Abs. 2 Satz 1 HGB). 13 Die handelsrechtliche Rechnungslegung umfasst x

die Führung der Handelsbücher (§ 239 HGB) und

x

die Erstellung einer Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres (§ 242 HGB).

___________ 5) So Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 155 Rz. 6; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 2. 6) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 9. 7) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 14 f.; Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 11; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 4. 8) So Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 11; Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 14; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 4. 9) So Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 11; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 7. 10) So OLG Celle, Beschl. v. 31.7.1968 – 1 Ws 37/68, NJW 1968, 2119, 2120. 11) So Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 9; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 7.

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Kapitalgesellschaften und haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaften i. S. von 14 § 264a HGB haben daneben den Jahresabschluss grundsätzlich um einen Anhang zu erweitern sowie einen Lagebericht zu erstellen (§ 264 HGB). Gemäß § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB brauchen kleine Kapitalgesellschaften den Lagebericht nicht aufzustellen.12) Der Jahresabschluss muss gemäß § 243 Abs. 2 HGB klar und übersichtlich sein. Grund- 15 sätzlich ist gemäß § 243 Abs. 3 HGB der Jahresabschluss innerhalb der, einem ordnungsmäßigen Geschäftsgang entsprechenden Zeit aufzustellen. Kapitalgesellschaften und haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaften sind gemäß § 264 Abs. 1 Satz 2 HGB verpflichtet, den Jahresabschluss und den Lagebericht in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres für das vergangene Geschäftsjahr aufzustellen. Lediglich kleine Kapitalgesellschaften dürfen den Jahresabschluss später aufstellen, wenn dies einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entspricht, jedoch innerhalb der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres (§ 264 Abs. 1 Satz 3 HGB). Die Sechs-Monats-Frist, die grundsätzlich auch für Einzelkaufleute und Personenhandels- 16 gesellschaften gilt,13) ist weder durch das Bundesamt für Justiz noch die Finanzverwaltung verlängerbar.14) Die Bilanzierung erfolgt nach Verfahrenseröffnung nach den allgemeinen Grundsätzen, 17 sofern sich nicht aus insolvenzrechtlichen Erwägungen Abweichungen ergeben. Im Falle der Betriebsfortführung ist grundsätzlich von Fortführungswerten auszugehen. Es gilt das GoingConcern-Prinzip aus § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB.15) Bei einer Fortführung des schuldnerischen Unternehmens ist die Schlussbilanz nach den 18 Gliederungs-, Ansatz- und Bewertungsvorschriften des HGB zu erstellen.16) Auch in der Insolvenz bestimmen sich diese Pflichten nach den Vorschriften der §§ 242 ff. HGB. Es ist zwischen den für alle Kaufleute geltenden Vorschriften der §§ 242 bis 263 HGB sowie den ergänzenden Sondervorschriften in §§ 264 ff. HGB für Kapitalgesellschaften und gemäß §§ 336 ff. HGB für eingetragene Genossenschaften zu unterscheiden.17) 2.

Zeiträume der Rechnungslegung

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO ein 19 neues Geschäftsjahr. Sofern der Schuldner seinen Rechnungslegungspflichten bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht nachgekommen ist, so hat der Insolvenzverwalter die rückständigen Jahresabschlüsse aufzustellen.18) Ungeachtet der Einstellung des Geschäftsbetriebs oder der Fortführung des Unternehmens 20 entsteht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rumpfgeschäftsjahr. Dieses umfasst wiederum einen Zeitraum von zwölf Monaten, § 240 Abs. 2 Satz 2 HGB. Das Geschäftsjahr ist auf Stunde und Minute genau zu bestimmen, da § 27 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 InsO auf die Stunde der Eröffnung abstellt. Das Schuldnervermögen kann sich durch Handlungen des Schuldners oder eines mit Verfügungsbefugnis ausgestatteten vorläufigen Insolvenz___________ 12) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 942; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 9; Schmittmann, StuB 2013, 67. 13) So Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 243 Rz. 10. 14) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 11. 15) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 60; Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 25. 16) So Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 6; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 28. 17) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 38; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 28. 18) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 14; Schmittmann, StuB 2013, 67.

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verwalters bis unmittelbar vor Verfahrenseröffnung ändern, so dass besondere Sorgfalt bei der Aufstellung der Eröffnungsbilanz geboten ist.19) 21 Gerade in Fällen der Fortführung nach Verfahrenseröffnung ist die Bildung eines Geschäftsjahres, das sich am Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens orientiert, vielfach unpraktisch. Beispiel: Ist das Insolvenzverfahren z. B. am 18.5.2016, 10.00 Uhr, eröffnet, so erstreckt sich das auf die Insolvenzeröffnung folgende Geschäftsjahr bis zum 18.5.2017, 9.59 Uhr. Es liegt auf der Hand, dass dies für die Praxis mit unnötigem weiteren Arbeits- und Kostenaufwand verbunden ist, so dass der Insolvenzverwalter regelmäßig aus pragmatischen Gründen wieder zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr zurückkehren will.20) 22 Der Insolvenzverwalter hat die Möglichkeit, das aus § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO folgende „Insolvenzgeschäftsjahr“ zu ändern und zum ursprünglichen, also satzungsmäßigen, Geschäftsjahr zurückzukehren. Der Insolvenzverwalter wird zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr z. B. deshalb zurückkehren, um unnötige, mit der dauerhaften Umstellung des Geschäftsjahres zusammenhängende Kosten zu vermeiden. Nach der Rechtsprechung des BGH ergibt sich diese Entscheidungsbefugnis des Insolvenzverwalters aus seinem Verwaltungsrecht nach § 80 InsO i. V. m. § 155 Abs. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter hat in Bezug auf die Insolvenzmasse die sich aus den handelsrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungsvorschriften ergebenden Pflichten des Insolvenzverwalters zu erfüllen, so dass auch die Entscheidung über die Umstellung eines Geschäftsjahres zu seinen eingeräumten Befugnissen gehört. Es handelt sich insbesondere auch nicht um eine Satzungsänderung, die der Zustimmung der Gesellschafter bedarf, sondern lediglich um die Rückkehr zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr. Allerdings muss die Entscheidung des Insolvenzverwalters, das Geschäftsjahr zu ändern, nach außen erkennbar werden. Die Erkennbarkeit muss jedenfalls noch während des ersten laufenden Geschäftsjahres nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintreten, was durch die Anmeldung zur Eintragung ins Handelsregister geschehen kann, aber auch durch eine sonstige Mitteilung an das Registergericht.21) 23 Es empfiehlt sich, gerade in den Fällen der Fortführung des Unternehmens sobald als möglich zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr zurückzukehren, um unnötigen Aufwand zu vermeiden. 3.

Übergang auf den Insolvenzverwalter

24 Die Regelung des § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO sieht vor, dass der Insolvenzverwalter die handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners in Bezug auf die Insolvenzmasse zu erfüllen hat. 25 Auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung hat der Insolvenzverwalter eine umfassende Inventur vorzunehmen.22) Der Insolvenzverwalter hat die Grundstücke, die Forderungen und Schulden, den Betrag des baren Geldes sowie die sonstigen Vermögensgegenstände genau zu verzeichnen und dabei den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände und ___________ 19) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 27; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 19. 20) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 32b; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 20. 21) So BGH, Beschl. v. 14.10.2014 – II ZB 20/13, ZIP 2015, 88 ff. = NZI 2015, 168 ff. = DB 2015, 239 f. m. Anm. Schmittmann; Vorinstanz: OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 21.5.2012 – 20 W 65/12, Rz. 29 ff., ZIP 2012, 1617 ff., dazu EWiR 2012, 675 f. (Schmittmann). 22) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 40.

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Schulden anzugeben, § 240 Abs. 1 InsO. Bei körperlichen Gegenständen, Sachen, Urkunden wird ebenfalls eine Aufstellung verlangt.23) Bei einer Fortführung des schuldnerischen Unternehmens über den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung hinaus (§ 157 Satz 1 InsO) ist die Schlussbilanz nach den Gliederungs-, Ansatz- und Bewertungsvorschriften des HGB zu erstellen.24) Da mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO ein neues Geschäftsjahr beginnt, ist gemäß § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB eine handelsrechtliche (Insolvenz)-Eröffnungsbilanz aufzustellen.25) Dies gilt unabhängig davon, dass der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, gemäß § 151 InsO ein Verzeichnis der Massegegenstände sowie gemäß § 153 InsO eine Vermögensübersicht aufzustellen. Führt der Insolvenzverwalter das schuldnerische Unternehmen, wenn auch nur zeitweise, fort, so behält der Einzelunternehmer seine Qualifikation als Kaufmann. Personenhandelsgesellschaften und Kapitalgesellschaften sind ohnehin Kaufleute kraft Rechtsform. Die Rechnungslegungspflichten folgen aus §§ 238 ff. HGB und werden durch § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO auf den Insolvenzverwalter übergeleitet.26) Der Gesetzgeber sieht eine Erleichterung bei der Aufstellungsfrist dahin vor, dass die Zeit bis zum Berichtstermin in gesetzliche Fristen für die Aufstellung oder die Offenlegung eines Jahresabschlusses nicht eingerechnet wird (§ 155 Abs. 2 Satz 2 InsO). In der Regel wird das Insolvenzverfahren nicht innerhalb eines Jahres ab Eröffnung beendet, so dass während des Insolvenzverfahrens fortlaufend Jahresabschlüsse aufzustellen sind.27) Die Jahresabschlüsse für die Zeiträume nach Verfahrenseröffnung haben eine Informationsfunktion für den Verwalter selbst sowie die Beteiligten, also insbesondere die Insolvenzund Massegläubiger, aber auch sonstige Beteiligte. Die jährliche Aufstellung von Jahresabschlüssen soll einen Überblick über die zum Stichtag bestehende Vermögenslage des Schuldners geben. Aus der Bilanz ist insbesondere zu ersehen, welche Vermögensgegenstände bereits verwertet worden sind und welche noch der Verwertung bedürfen.28) Aus der Gewinn- und Verlustrechnung ist zu ersehen, ob die Fortführung des Unternehmens zu Gewinnen geführt hat. Im Anhang und im Lagebericht ist sowohl zu den Verwertungshandlungen als auch zum wirtschaftlichen Ergebnis der Fortführung detailliert Stellung zu nehmen.29) III.

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Offenlegung von Jahresabschlüssen

Die Pflicht zur Offenlegung von Jahresabschlüssen folgt aus § 325 HGB. Zur Offenlegung 31 verpflichtet sind die gesetzlichen Vertreter (§ 325 Abs. 1 Satz 1 HGB). Die Verpflichtung zur Offenlegung von Jahresabschlüssen ist sowohl mit Europäischem Gemeinschaftsrecht30) als auch mit dem GG vereinbar.31) ___________ 23) Vgl. zu den Einzelheiten der Bestandsaufnahme: Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 240 Rz. 2; K. SchmidtSchmittmann, InsO, § 155 Rz. 22. 24) So Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, InsO, § 155 Rz. 6; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 28. 25) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 28. 26) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 32. 27) So IDW RH HFA 1.012 Rz. 26. 28) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 64. 29) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 64. 30) So EuGH, Beschl. v. 23.9.2004 – Rs. C-435/02 und Rs. C-103/03, Slg. 2004, I-8663 ff. = ZIP 2004, 2134 ff., dazu EWiR 2004, 1229 f. (Volmer); vgl. Schmittmann, StuB 2004, 1063 ff. 31) So BVerfG, Beschl. v. 11.2.2009 – 1 BvR 3582/08, NZG 2009, 515 f. = BB 2009, 1122 f.; LG Bonn, Beschl. v. 7.10.2008 – 30 T 122/08, GmbHR 2009, 95 f. = StuB 2009, 158; LG Köln, Urt. v. 8.10.2008 – 28 O 302/08, BB 2009, 211 f.

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32 Die Offenlegung der Jahresabschlüsse erfolgt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowohl für die Jahresabschlüsse vor Verfahrenseröffnung als auch für die Jahresabschlüsse nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter.32) 33 Obgleich der organschaftliche Vertreter der Schuldnerin Adressat der Verpflichtung zur Offenlegung des Jahresabschlusses bleibt,33) hat die Offenlegung – insbesondere im Falle der Unternehmensfortführung – durch den Insolvenzverwalter zu erfolgen.34) 34 Die Verpflichtung zur Offenlegung wird durch Ordnungsgeldverfahren (§ 335 HGB) durchgesetzt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt ein Ordnungsgeldverfahren gegen den Insolvenzverwalter nicht in Betracht.35) Ordnungsgelder können daher auch nicht Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 InsO sein.36) 35 Eine Befreiung von der Offenlegungspflicht kommt – auch nicht aufgrund einer doppelt analogen Anwendung der § 270 Abs. 3 AktG, § 71 Abs. 3 GmbHG – aus Gründen des Gläubigerschutzes nicht in Betracht.37) 36 Im Strafverfahren gegen organschaftliche Vertreter der Schuldnerin dürfen die aus offengelegten Jahresabschlüssen gewonnenen Erkenntnisse, z. B. im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen Betruges, Insolvenzverschleppung oder Verletzung der Buchführungspflicht ohne Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 6 Abs. 1 EMRK verwendet werden.38) IV.

Prüfungspflicht im Insolvenzverfahren

37 Die Prüfungspflichten ergeben sich grundsätzlich aus §§ 316 ff. HGB.39) 38 Die Bestellung des Abschlussprüfers erfolgt außerhalb des Insolvenzverfahrens gemäß § 318 Abs. 1 Satz 1 HGB durch die Gesellschafter. Aufgrund der Sonderregelung in § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO erfolgt die Bestellung des Abschlussprüfers im Insolvenzverfahren ausschließlich durch das Registergericht auf Antrag des Verwalters, da die Wahl durch die Gesellschafter wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Prüferbestellung im Insolvenzverfahren nicht mehr angemessen ist.40) 39 Ist für das Geschäftsjahr vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits ein Abschlussprüfer bestellt, so wird die Wirksamkeit dieser Bestellung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt (§ 155 Abs. 3 Satz 2 InsO). Eine gerichtliche Ersetzung des bereits bestellten Abschlussprüfers kommt dann nicht mehr in Betracht.41) Dies führt zu der schwerlich nachvollziehbaren Konsequenz, dass ein Wirtschaftsprüfer, der vor Verfahrenseröffnung durch die Gesellschafter bestellt worden ist, aber nicht das Vertrauen ___________ 32) Vgl. Weyand, StuB 2007, 935, 938; Schlauß, DB 2007, 2191, 2194; Schlauß, DB 2008, 2831; Schmittmann, StuB 2008, 289. 33) So LG Bonn, Beschl. v. 16.5.2008 – 11 T 52/07, NZI 2008, 503 ff. 34) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 47. 35) So Schmittmann, StuB 2008, 289, 292. 36) So LG Bonn, Beschl. v. 13.11.2008 – 30 T 275/08, ZIP 2009, 332 f., dazu EWiR 2009, 319 f. (Holzer); entgegen LG Bonn, Beschl. v. 6.3.2008 – 11 T 53/07, ZIP 2008, 1082 m. Anm. Weitzmann; Weyand, StuB 2007, 935, 938; Schlauß, DB 2007, 2191, 2194. 37) So Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, InsO, § 155 Rz. 22; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 52. 38) So Weiß, DB 2010, 1744, 1749; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 53. 39) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 54 f.; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 971. 40) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 68; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 56. 41) So OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 4.12.2003 – 20 W 232/03, ZIP 2004, 1114 ff. = NZG 2004, 285 ff.; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 71.

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des Verwalters genießt, im Amt bleibt. Zumindest in den Fällen, in denen nicht ausgeschlossen ist, dass der Wirtschaftsprüfer an Unredlichkeiten der Unternehmensleitung beteiligt ist oder von diesen zumindest gewusst hat, muss dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit offenstehen, die Bestellung aus wichtigem Grund durch das Registergericht widerrufen zu lassen.42) In der Abwicklung (Liquidation) sehen die Vorschriften der § 270 Abs. 3 AktG bzw. 40 § 71 Abs. 3 GmbHG die Möglichkeit vor, dass das Gericht von der Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts durch einen Abschlussprüfer befreien kann, wenn die Verhältnisse der Gesellschaft so überschaubar sind, dass eine Prüfung im Interesse der Gläubiger und Gesellschafter nicht geboten erscheint.43) Eine entsprechende Anwendung dieser Regelungen auf Jahresabschlüsse, die Zeiträume vor 41 Auflösung der Gesellschaft oder vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen, scheidet mangels Regelungslücke aus.44) Bei der Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter ist die Möglichkeit eines 42 Dispenses für Zeiträume nach Insolvenzeröffnung möglich. Gerade in umfangreicheren Insolvenzverfahren wird es aber kaum möglich sein, dem Gericht gegenüber darzustellen, dass die Verhältnisse der Gesellschaft so überschaubar sind, dass eine Prüfung im Interesse der Gläubiger und Aktionäre nicht geboten erscheint. Wenn in der Abwicklung noch wesentliche Geschäftstätigkeit zu erwarten ist, fehlt es an überschaubaren Gesellschaftsverhältnissen.45) Die Unternehmensgröße allein steht einer Befreiung nicht entgegen.46) Gerade i. R. einer Unternehmensfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren kann die Prüfung des Jahresabschlusses durch einen Abschlussprüfer für den Insolvenzverwalter durchaus zweckmäßig sein, insbesondere um sich gegen allfällige Vorwürfe von Gläubigern substantiiert zur Wehr setzen zu können. Die Regelungen der § 270 Abs. 3 AktG und § 71 Abs. 3 GmbHG sind auf haftungsbe- 43 schränkte Personenhandelsgesellschaften analog anwendbar.47) Bei Genossenschaften ist zu differenzieren. Das Recht und die Pflicht des genossenschaft- 44 lichen Prüfungsverbandes, nach §§ 53, 54 GenG die gesetzlichen Pflichtprüfungen durchzuführen, besteht nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedenfalls dann nicht mehr, wenn der Geschäftsbetrieb der Genossenschaft eingestellt worden ist. Bestehen die Voraussetzungen für die Prüfung des Jahresabschlusses nach § 53 Abs. 2 GenG, ist gemäß § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO auf Antrag des Insolvenzverwalters durch das Registergericht ein Abschlussprüfer zu bestellen, wobei es sich auch um einen Prüfungsverband handeln kann.48) Die Regelungen der § 270 Abs. 3 AktG und § 71 Abs. 3 GmbHG betreffen ausschließlich 45 die Prüfungs-, nicht aber die Offenlegungspflicht, von der ein Dispens nicht erteilt werden kann.49) ___________ 42) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 57. 43) Vgl. Scholz-K. Schmidt, GmbHG, § 71 Rz. 25; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 974; Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 66; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 59. 44) So OLG München, Beschl. v. 10.8.2005 – 31 Wx 61/05, ZIP 2005, 2068 f., dazu EWiR 2006, 115 f. (Luttermann). 45) Amtliche Begründung zu § 211 AktG 1937, RAnz 1937 Nr. 28, 2. Beilage. 46) So Hüffer, AktG, § 270 Rz. 12. 47) So OLG München, Beschl. v. 9.1.2008 – 31 Wx 66/07, ZIP 2008, 219 f. = NZI 2008, 263 f. 48) So BGH, Beschl. v. 21.6.2011 – II ZB 12/10, BGHZ 190, 110 ff. = ZIP 2011, 1673 ff., dazu EWiR 2011, 595 f. (Haas/Hoßfeld). 49) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 62; a. A. Kunz/Mundt, DStR 1997, 664, 668.

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Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung Steuerrechtliche Buchführungspflicht

46 Die steuerrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten bleiben im Insolvenzverfahren unberührt und sind nach § 34 Abs. 3 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO vom Insolvenzverwalter zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht. Der Insolvenzverwalter hat alle Pflichten zu erfüllen, die dem Schuldner oblägen, wenn über sein Vermögen nicht das Insolvenzverfahren eröffnet worden wäre. Dies gilt sowohl für Steuerabschnitte vor als auch nach Insolvenzeröffnung.50) 47 Die steuerrechtliche Pflicht des Insolvenzverwalters zur Buchführung besteht sowohl gegenüber dem Fiskus als auch gegenüber dem Schuldner. Der Insolvenzverwalter hat nicht nur während des eröffneten Insolvenzverfahrens die steuerlichen Buchführungspflichten des Schuldners zu erfüllen, sondern muss auch i. R. des Zumutbaren eine bei Insolvenzeröffnung mangelhafte Buchführung nacharbeiten.51) 48 Die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeldern gegenüber dem Insolvenzverwalter einer Kapitalgesellschaft zur Einforderung von Steuererklärungen ist nach Auffassung des FG Thüringen verfehlt, wenn die Finanzbehörde die finanziellen Verhältnisse der GmbH durch das Gutachten aus dem Insolvenzeröffnungsverfahren kennt, die GmbH nach der Insolvenz keine Geschäftstätigkeit mehr entfaltete und der Finanzbehörde bekannt ist, dass sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine steuerlichen Auswirkungen durch die Abgabe der Steuererklärungen ergeben.52) Der BFH hat diese Entscheidung aufgehoben und entschieden, dass ein Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln (Zwangsgeld, Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang) durchgesetzt werden kann. Das Finanzamt kann daher gegen einen Insolvenzverwalter, der trotz Masseunzulänglichkeit keine Steuererklärungen abgibt, Zwangsmittel festsetzen, ohne gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verstoßen.53) Das Insolvenzgeld ist gegen den Insolvenzverwalter persönlich und nicht gegen die Insolvenzmasse festzusetzen.54) 49 Bei der Fortführung des Unternehmens im eröffneten Insolvenzverfahren ist die Erfüllung der steuerrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten durch den Insolvenzverwalter selbstverständlich. Die Erfüllung der steuerrechtlichen Buchführungsund Rechnungslegungspflichten ist Voraussetzung dafür, dass der Insolvenzverwalter die ihm obliegenden Voranmeldungs- und Steuererklärungspflichten erfüllen kann. 50 Gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO beginnt auch für die steuerrechtliche Rechnungslegung ein neues Geschäftsjahr. Grundsätzlich ist bei Gewerbetreibenden, deren Firma im Handelsregister eingetragen ist, der Zeitraum, für den sie regelmäßig Abschlüsse machen, das Wirtschaftsjahr (§ 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG). Bei anderen Gewerbetreibenden ist Wirtschaftsjahr das Kalenderjahr (§ 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStG). Bei Gewerbetreibenden ist die Umstellung des Wirtschaftsjahres auf einen vom Kalenderjahr abweichenden Zeit___________ 50) So BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 ff. = ZIP 1994, 1969 ff., dazu EWiR 1995, 165 f. (Braun); BFH, Beschl. v. 19.11.2007 – VII B 104/07, BFH/NV 2008, 334 f.; BGH, Urt. v. 16.9.2010 – IX ZR 121/09, ZIP 2010, 2164 ff., dazu EWiR 2010, 827 f. (Müller). 51) So BGH, Urt. v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, BGHZ 74, 416 ff. = ZIP 1980, 25 f.; BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 ff. = ZIP 1994, 1969 ff., dazu EWiR 1995, 165 f. (Braun); Schmittmann, StuB 2013, 67, 68; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 60 Rz. 63; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 2/2009, § 60 Rz. 24; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 65. 52) So Thüringer FG, Urt. v. 1.9.2011 – 1 K 355/10, ZIP 2011, 2021 ff. = EFG 2012, 388 ff.; aufgehoben durch: BFH, Urt. v. 6.11.2012 – VII R 72/11, BStBl. II 2013, 141 f. = ZIP 2013, 83 f.; kritisch: Schmittmann, StuB 2013, 67 f. 53) So BFH, Urt. v. 6.11.2012 – VII R 72/11, BStBl. II 2013, 141 f. = ZIP 2013, 83 f.; kritisch: Schmittmann, StuB 2013, 67, 68. 54) So FG Hessen, Beschl. v. 18.4.2013 – 4 V 1796/12, EFG 2013, 994.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

raum steuerlich gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 EStG nur wirksam, wenn sie im Einvernehmen mit dem Finanzamt vorgenommen wird. Aufgrund der Regelung des § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO entsteht handelsrechtlich zwingend ein neues Geschäftsjahr. Die Finanzverwaltung handelt daher ermessensfehlerhaft, wenn sie das durch die Verfahrenseröffnung entstehende abweichende Wirtschaftsjahr nicht anerkennt.55) Die Buchführungspflicht besteht auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Die 51 Buchführungspflichten des Insolvenzverwalters bestehen unabhängig davon, ob die dafür erforderlichen Kosten (bei Beauftragung eines Steuerberaters) durch die Insolvenzmasse gedeckt sind.56) Die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflichten, die durch die Steuergesetze begründet werden, liegt im übergeordneten öffentlichen Interesse. Es kann daher nicht darauf abgestellt werden, ob die Erfüllung der Buchführungspflichten für die Insolvenzmasse günstig ist, also eine höhere Teilungsmasse zu erwirtschaften ist.57) Durch das ESUG58) wurde mit § 210a InsO eine gesetzliche Möglichkeit geschaffen, einen 52 Insolvenzplan auch bei Masseunzulänglichkeit umzusetzen.59) Auch in diesen Fällen hat der Insolvenzverwalter dafür zu sorgen, dass die Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten erfüllt werden. In diesen Fällen ist eine zeitnahe Erledigung dieser Arbeiten, ggf. mit Hilfe eines externen Steuerberaters, dringend zu empfehlen, um zu verhindern, dass die Steuerberatungskosten nicht mehr gezahlt werden können und ein Zurückbehaltungsrecht des Steuerberaters wegen der nicht gezahlten Honorare ausgeübt wird.60) Der Insolvenzverwalter ist im Übrigen als Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO) des 53 Schuldners nach § 149 Abs. 1 AO i. V. m. den Einzelsteuergesetzen verpflichtet, die Steuererklärungen für den Schuldner abzugeben.61) Die Steuererklärungspflicht umfasst insbesondere die Einkommen- und Körperschaftsteuererklärungen sowie die Umsatz- und Gewerbesteuererklärungen.62) Eine Verpflichtung des Insolvenzverwalters einer Personengesellschaft, Erklärungen für 54 die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung nach §§ 179 ff. AO abzugeben, besteht nicht, da die Folgen der Gewinnfeststellung nicht den Vermögensbereich der Personengesellschaft betreffen, sondern die Gesellschafter persönlich.63) Die Steuererklärungspflicht des Insolvenzverwalters erstreckt sich auf Zeiträume vor und 55 nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.64) Ebenso wie die Buchführungs- und Rechnungslegungspflicht (vgl. oben Rz. 46) besteht 56 die Steuererklärungspflicht auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit und kann bei ___________ 55) Ebenso Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 82; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 67. 56) So BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 ff. = ZIP 1994, 1969 ff., dazu EWiR 1995, 165 f. (Braun); Klasmeyer/Kübler, BB 1978, 369, 372; Schmittmann, InsbürO 2005, 288, 289. 57) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 70. 58) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 59) Vgl. dazu kritisch Pape/Uhländer-Schmittmann, InsO, § 210a Rz. 1. 60) Vgl. dazu Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 3025 ff. 61) So Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 38; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 496. 62) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 498 f. 63) So BFH, Beschl. v. 12.11.1992 – IV B 83/91, BStBl. II 1993, 265 ff. = ZIP 1993, 374 f.; BFH, Beschl. v. 23.11.1994 – VIII R 51/94, BFH/NV 1995, 663 ff.; Schmittmann, StuB 2013, 67; a. A. Klasmeyer/ Kübler, BB 1978, 369, 372. 64) Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 38; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 501; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 75 ff.

Schmittmann

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§ 36

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Nichterfüllung durch den Verwalter grundsätzlich Zwangsgeldfestsetzungen nach § 328 AO auslösen.65) 57 Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, mit der Erledigung steuerlicher Tätigkeiten, die besondere Kenntnisse erfordern oder dem Umfang nach über das hinausgehen, was mit der Erstellung einer Steuererklärung allgemein verbunden ist, einen Steuerberater zu beauftragen. Besteht Masseunzulänglichkeit und hat der Insolvenzverwalter die Finanzverwaltung auf die Masseunzulänglichkeit hingewiesen und hält diese gleichwohl an der Aufforderung fest, Steuererklärungen einzureichen, so steht dem Insolvenzverwalter bei Kostenstundung ein Anspruch auf Erstattung der den Umständen nach angemessenen Kosten für die Beauftragung eines Steuerberaters als Auslagen aus der Staatskasse zu.66) VI.

Steuern

1.

Stellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, des (vorläufigen) Sachwalters und des Treuhänders

1.1

Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters

58 Grundsätzlich ist zwischen dem sog. starken und dem sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter zu unterscheiden, wobei diese Differenzierung im Hinblick auf die Regelung von § 55 Abs. 4 InsO in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 201167) erheblich an Bedeutung verloren hat. 59 Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren.68) Verbindlichkeiten, die von einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, gelten gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO nach Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter ist Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO. 60 Wird lediglich ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, so liegt kein Fall von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO vor, so dass der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter weder berechtigt noch verpflichtet ist, die steuerlichen Angelegenheiten des Schuldners zu regeln.69) 61 Durch das Haushaltsbegleitgesetz 201170) wurde geregelt, dass Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten ___________ 65) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 508; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 78. 66) So BGH, Beschl. v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176 ff. = ZIP 2004, 1717 ff., dazu EWiR 2004, 1037 f. (Schäferhoff); Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 510; Schmittmann, InsbürO 2005, 288, 290. 67) Vgl. Fischer, DB 2012, 885; Gundlach/Rautmann, DStR 2011, 82; Jungclaus/Keller, NZI 2010, 808; Kahlert, ZIP 2010, 1274; Kahlert, ZIP 2010, 1887; Marotzke, ZInsO 2010, 2163; Nawroth, ZInsO 2011, 107; Onusseit, ZInsO 2011, 641; Pape, ZInsO 2011, 1; Rennert-Bergenthal/Dähling, ZInsO 2011, 1922; Roth, ZInsO 2011, 1779; Sämisch/Adam, ZInsO 2010, 934; Schacht, ZInsO 2011, 1048; Schacht, ZInsO 2011, 1787; Schmittmann, StuB 2010, 877; Schmittmann, INDat-Report 3/2011, 26; Schmittmann, StuB 2012, 237; Schmittmann, StuB 2012, 404; Sinz/Oppermann, DB 2011, 2185; Trottner, NWB 2012, 920; Weiland, DZWIR 2011, 224; Zimmer, ZInsO 2010, 2299. 68) So BFH, Beschl. v. 16.10.2009 – VIII B 346/04, Rz. 7, BFH/NV 2010, 56 f.; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 463; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 4. 69) So Tipke/Kruse-Loose, AO, § 251 Rz. 28; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 484; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 5; Schmittmann, StuB 2012, 237. 70) So BGBl. I 2010, 1885.

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Schmittmann

Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

gelten (§ 55 Abs. 4 InsO). Gleichwohl ist der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO.71) 1.2

Stellung des vorläufigen Sachwalters

Das Gericht kann gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO im Eröffnungsverfahren einen vor- 62 läufigen Sachwalter bestellen, auf den die § 274 und § 275 InsO Anwendung finden. Im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO hat das Insolvenzgericht gemäß § 270b Abs. 2 Satz 2 grundsätzlich die vom Schuldner vorgeschlagene Person zum vorläufigen Sachwalter zu bestellen, wenn sie nicht offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Der vorläufige Sachwalter ist nicht Vermögensverwalter i. S. des § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO. 63 Gegenüber dem vorläufigen Sachwalter ist das Steuergeheimnis gemäß § 30 AO zu wahren, sofern der Schuldner die Finanzverwaltung nicht durch ausdrückliche Erklärung von der Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber dem vorläufigen Sachwalter befreit hat. 1.3

Stellung des Insolvenzverwalters

Mit Verfahrenseröffnung ernennt das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter, der ver- 64 fahrensrechtlich Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO ist und daher gemäß § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners im Insolvenzverfahren zu erfüllen hat.72) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bestellung des Insolvenzverwalters lässt gleichwohl die Steuerrechtsfähigkeit des Schuldners unberührt, so dass Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters den Schuldner persönlich berechtigen und verpflichten.73) Der Insolvenzschuldner bleibt verfahrensrechtlich Beteiligter i. S. von § 78 AO. Der Insolvenzverwalter hat die sich aus §§ 90, 93 ff., 137 ff., 140 ff. und 149 ff. AO ergebenden Pflichten zu erfüllen.74) 1.4

Stellung des Sachwalters

Das Gericht kann im eröffneten Verfahren anordnen, dass der Schuldner gemäß § 270 65 Abs. 1 Satz 1 InsO berechtigt ist, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über diese zu verfügen. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis geht nicht wie bei § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über, da ein solcher nicht bestellt wird. Der Sachwalter ist nicht Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO75) und hat daher 66 nicht die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen.76) In der Eigenverwaltung hat daher grundsätzlich der Schuldner, ggf. durch seine Organe, 67 die steuerlichen Pflichten zu erfüllen. Ob im Falle der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) ___________ 71) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 481; FG Düsseldorf, Beschl. v. 21.3.2012 – 1 V 152/12 A (U), ZIP 2012, 688, dazu EWiR 2012, 323 (Schmittmann/Gorris). 72) So BFH, Beschl. v. 15.9.2010 – II B 4/10, Rz. 6, BFH/NV 2011, 2 f.; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 12. 73) So Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 21; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 482. 74) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 514; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 13. 75) Vgl. BFH, Urt. v. 27.2.2014 – V R 21/11, ZIP 2014, 894; BFH, Urt. v. 18.5.1988 – X R 27/80, BFHE 153, 299 ff. = BStBl. I 1988, 716 zu § 92 VerglO; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 484; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 16. 76) So Roth, Insolvenzsteuerrecht, Rz. 3.24; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 16.

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§ 36

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

die Rechtsprechung des BFH, bei Uneinbringlichkeit von Forderungen,77) Anwendung findet, wird im Bereich der Umsatzsteuer erörtert. 1.5

Stellung des Treuhänders

68 In Verbraucherinsolvenzverfahren wurden früher die Aufgaben des Insolvenzverwalters gemäß § 313 Abs. 1 Satz 1 InsO vom Treuhänder wahrgenommen. Der Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren war ebenso wie der Insolvenzverwalter Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO. Mit Wirkung ab dem 1.7.2014 sind §§ 312 bis 314 InsO weggefallen, so dass es lediglich noch einen einheitlichen Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren gibt.78) 69 In der Wohlverhaltensphase ist der vom Gericht bestimmte Treuhänder dafür zuständig, die pfändbaren Bezüge des Schuldners nach Maßgabe der Abtretungserklärung (§ 287 Abs. 2 InsO) einzuziehen. Der Treuhänder in der Wohlverhaltensphase ist nicht Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO.79) 2.

Steuerliche Nebenleistungen, Haftung und Auskunft

2.1

Zinsen

70 Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 Satz 1 AO). Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) und die entsprechenden Erstattungsansprüche werden nicht verzinst (§ 233 Satz 2 AO). 71 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallende Zinsen sind Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sofern die zugrunde liegende Steuer ebenfalls Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 InsO ist. 2.2

Säumnis- und Verspätungszuschläge

72 Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO fällt ein Säumniszuschlag für jeden angefangenen Monat der Säumnis i. H. von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrages an, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird. Durch diese Regelung hat der Gesetzgeber für die Finanzverwaltung ein Druckmittel eigener Art geschaffen, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung der Steuer anhalten soll.80) Weiterhin soll der Säumniszuschlag den wirtschaftlichen Vorteil abschöpfen, der beim Steuerpflichtigen durch die verspätete Zahlung fälliger Steuern entsteht.81) Der Säumniszuschlag dient letztlich auch der Abgeltung des Verwaltungsaufwandes, der der steuerverwaltenden Behörde durch die Tilgung der Schuld erst nach Fälligkeit entsteht.82) 73 Nach Verfahrenseröffnung fallen Säumniszuschläge an, wenn der Insolvenzverwalter fällige Steuern verspätet zahlt. Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist allerdings sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck ___________ 77) Vgl. BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner). 78) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 18. 79) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 19; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1143; Wipperfürth/Busch/Schmittmann, InsbürO 2013, 478, 481. 80) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2571. 81) So BFH, Urt. v. 21.9.1973 – III R 154/72, BStBl. II 1974, 17 ff.; BFH, Urt. v. 9.7.2003 – V R 57/02, BStBl. II 2003, 901 ff. = ZIP 2003, 2036 ff. 82) So BFH, Urt. v. 29.8.1991 – V R 78/86, BStBl. II 1991, 906 ff. = HFR 1992, 44 ff.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

zur Zahlung ihren Sinn verliert.83) Hat der Insolvenzverwalter gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO die Masseunzulänglichkeit angezeigt und zahlt der Insolvenzverwalter aufgrund der gesetzlichen Befriedigungsreihenfolge aus § 209 Abs. 1 InsO fällige Steuern nicht, so ist der hälftige Erlass der Säumniszuschläge zu gewähren. Ein vollständiger Erlass scheidet aus, weil ein Säumiger grundsätzlich nicht besser stehen soll als ein Steuerpflichtiger, dem Aussetzung der Vollziehung oder Stundung gewährt wurde.84) Für Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV gelten die gleichen Grundsätze. Es handelt sich für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens um Altmasseverbindlichkeiten i. S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO, wenn der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht Masseunzulänglichkeit angezeigt und die Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt hat. Nach der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit sind die Säumniszuschläge vollständig zu erlassen.85) Es ist sachgerecht, dies grundsätzlich auch auf Säumniszuschläge nach der AO anzuwenden. Verspätungszuschläge nach § 152 AO sind kein Zwangsmittel, sondern dienen dazu, den 74 rechtzeitigen Eingang der Steuererklärung und damit auch die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuer sicherzustellen. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für Verspätungszuschläge.86) Der Verspätungszuschlag ist ein Druckmittel eigener Art mit sowohl repressivem als auch präventivem Charakter.87) 2.3

Vollstreckungskosten

Im Vollstreckungsverfahren werden Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben (§ 337 75 Abs. 1 Satz 1 AO). Schuldner dieser Kosten ist der Vollstreckungsschuldner (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO).88) Die nach Verfahrenseröffnung entstandenen Vollstreckungskosten sind Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 AO, sofern die zu vollstreckende Steuerforderung Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 InsO ist. 2.4

Zwangs- und Ordnungsgelder

Ein Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung 76 gerichtet ist, kann mit Zwangsmitteln (Zwangsgeld, Ersatzvornahme oder unmittelbarer Zwang) durchgesetzt werden (§ 328 Abs. 1 Satz 1 AO). Auch gegen den Insolvenzverwalter können Zwangsmittel festgesetzt werden, sofern er 77 Verpflichtungen nach der AO nicht erfüllt. Die Festsetzung von Zwangsmitteln hat aber zu unterbleiben, wenn der Insolvenzverwalter aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht verpflichtet ist, eine ihm nach der AO obliegende Handlung vorzunehmen (siehe oben Rz. 48). 2.5

Geldbußen und Geldstrafen

Steuerstraftaten (§§ 369 ff. InsO) können mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft 78 werden. Steuer- und Zollordnungswidrigkeiten (§§ 377 ff. AO) können mit Geldbuße geahndet werden. ___________ 83) So BFH, Urt. v. 30.3.2006 – V R 2/04, BStBl. II 2006, 612 ff. = ZIP 2006, 1266 ff.; BFH, Urt. v. 9.7.2003 – V R 57/02, BStBl. II 2003, 901 ff. = ZIP 2003, 2036 ff. 84) So BFH, Beschl. v. 21.4.1999 – VII B 347/98, BFH/NV 1999, 1440; BFH, Urt. v. 18.6.1998 – V R 13/98, BFH/NV 1999, 10 f. = StuB 1999, 332; BFH, Urt. v. 30.3.2003 – V R 2/04, BStBl. II 2006, 612 ff. = ZIP 2006, 1266 ff. 85) So SG Düsseldorf, Urt. v. 10.3.2015 – S 44 R 1270/13, ZIP 2015, 2139 f. 86) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2572. 87) So BFH, Urt. v. 19.1.2005 – VII B 286/04, BFH/NV 2005, 1001 f. = ZVI 2005, 375 f. 88) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2601.

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§ 36

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

79 Der Insolvenzverwalter kann tauglicher Täter einer Steuerstraftat bzw. Steuer- und Zollordnungswidrigkeit sein, wenn nach Verfahrenseröffnung Sachverhalte vorliegen, die den gesetzlichen Tatbestand erfüllen. Dies betrifft in besonderem Maße Sachverhalte im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer. Ebenso können lohnsteuerliche Sachverhalte betroffen sein. Der Insolvenzverwalter wird daher besondere Sorgfalt auf die Ordnungsmäßigkeit der Umsatzsteuer- und Lohnsteuervoranmeldungen sowie der Jahreserklärungen legen, da hier erhebliches Haftungsrisiko droht.89) 2.6

Haftung des Insolvenzverwalters

80 Der Insolvenzverwalter ist Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO (siehe oben Rz. 46). Die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) x

infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder

x

nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder

x

soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden (§ 69 Satz 1 AO);

x

die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge (§ 69 Satz 2 AO).90)

81 Der Insolvenzverwalter unterliegt persönlich und unbeschränkt sowohl der abgabenrechtlichen Haftung gemäß §§ 34, 69 AO als auch der insolvenzrechtlichen Haftung nach §§ 60, 61 AO.91) Die Haftung setzt eine abgabenrechtliche Pflichtverletzung voraus, die z. B. darin besteht, dass der Insolvenzverwalter Mitwirkungs- und Leistungspflichten im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren verletzt hat oder entstandene Steuern aus der Fortführung des Betriebs nicht entrichtet.92) 82 Reicht die Insolvenzmasse nicht aus, die anfallenden Steuern zu zahlen, und hat der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 InsO) angezeigt, so gilt die insolvenzrechtliche Befriedigungsreihenfolge gemäß § 209 Abs. 1 InsO. Eine Haftung des Insolvenzverwalters scheidet bei Einhaltung dieser Verteilungsreihenfolge aus. Verstößt er allerdings gegen diese Verteilungsreihenfolge und erhält die Finanzverwaltung dadurch eine geringere Zahlung, so haftet der Insolvenzverwalter nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung.93) 83 Der Insolvenzverwalter haftet selbst dann nicht, wenn er ein Geschäft abschließt und dabei bereits absehbar ist, dass die entstehende Umsatzsteuerschuld aufgrund der von der InsO vorgesehenen Befriedigungsreihenfolge nicht gezahlt werden kann. Der Insolvenzverwalter ist nicht verpflichtet, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese Umsatzsteuer auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen werden kann, so dass eine Haftung gemäß §§ 191, 69, 34 AO ausscheidet.94) ___________ Vgl. umfassend: Schmittmann/Duda, Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz. Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 82. Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 84. Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1252; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 84. 93) Vgl. BFH, Urt. v. 26.8.1992 – VII R 50/91, BFHE 169, 13 ff. = BStBl. II 1993, 8 ff.; BFH, Urt. v. 21.6.1994 – VII R 34/92, BStBl. II 1995, 230 = ZIP 1995, 229 ff. 94) So BGH, Beschl. v. 14.10.2010 – IX ZB 224/08, ZIP 2010, 2252 ff. = NZI 2011, 60 f., dazu EWiR 2011, 59 f. (Ries).

89) 90) 91) 92)

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

Grundsätzlich kommt gegen den Insolvenzverwalter auch ein insolvenzrechtlicher Haf- 84 tungsanspruch nach §§ 60, 61 InsO in Betracht, der allerdings nicht eingreift, wenn der Verwalter durch den Abschluss von Rechtsgeschäften Steuern auslöst. Es handelt sich nicht um eine insolvenzspezifische Pflichtverletzung gegenüber dem Fiskus. Darüber hinaus scheidet eine Haftung des Verwalters nach § 61 InsO für Steuern aus, weil die Umsatzsteuerschuld zwar Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, die Regelung des § 61 InsO jedoch nur dem Schutz von Gläubigern dient, die für oder im Zusammenhang mit ihrem Anspruch gegen die Masse eine Gegenleistung erbringen, was bei der Finanzverwaltung nicht der Fall ist.95) 2.7

Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters

Im steuerlichen Verfahrensrecht ist ein allgemeines Akteneinsichtsrecht der Beteiligten 85 anders als im finanzgerichtlichen Verfahren gemäß § 78 FGO nicht vorgesehen. Der Steuerpflichtige hat lediglich einen Anspruch darauf, dass über seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden wird.96) Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung,97) dass jedenfalls dann eine Akteneinsicht 86 ausscheidet, wenn Amtshaftungsansprüche98) oder Insolvenzanfechtungsansprüche nach erfolgter Akteneinsicht geltend gemacht werden sollen. Da über Anträge auf Bewilligung von Akteneinsicht nach der AO der Finanzrechtsweg einschlägig ist, scheitert die Geltendmachung der Ansprüche regelmäßig.99) Nach § 1 Abs. 1 IFG Bund hat ab 1.1.2006 jeder nach Maßgabe des Gesetzes gegenüber 87 den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.100) Außer in Bayern, Niedersachsen, Hessen und Sachsen bestehen zudem Transparenz- oder Landesinformationsfreiheitsgesetze.101) Ein gegenüber der Finanzverwaltung geltend gemachter Informationsanspruch des Insolvenzverwalters, der anschließend einen Anfechtungsanspruch durchsetzen will, wird vom Regelungsbereich der AO nicht umfasst, fällt in die Zuständigkeit der VG und ist auch nicht anderweitig ausgeschlossen.102) Das Steuergeheimnis steht der Auskunftserteilung nicht entgegen.103) Der Insolvenzverwalter braucht sich auch nicht darauf verweisen zu lassen, sich die erforderlichen Informationen aus anderweitigen Quellen zu erschließen oder unkooperative Schuldner vor das Gericht laden zu lassen. Vielmehr gehört es zu den Amtspflichten des Insolvenzverwalters, alle Infor___________ 95) So BGH, Beschl. v. 14.10.2010 – IX ZB 224/08, ZIP 2010, 2252 ff. = NZI 2011, 60 f., dazu EWiR 2011, 59 f. (Ries). 96) So BFH, Beschl. v. 4.6.2003 – VII B 138/01, BFHE 202, 331 ff. = BStBl. II 2003, 790 ff.; Waza/ Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2302; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 80. 97) So BMF, Schreiben v. 17.12.2008 – IV A 3 – S 0030/08/10001, BStBl. I 2009, 6. 98) A. A. OVG Schleswig, Urt. v. 6.12.2012 – 4 LB 11/12, AO-StB 2013, 44 f. 99) Vgl. zuletzt: BFH, Urt. v. 19.3.2013 – II R 17/11, NZI 2013, 706 ff. m. Anm. Schmittmann = ZIP 2013, 1133, dazu EWiR 2013, 487 f. (von Spiessen). 100) Vgl. Misoch/Schmittmann, VR 2012, 181 ff.; Schmittmann, InsbürO 2012, 246 ff.; Schmittmann, NZI 2015, 594 ff. 101) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 83; Haarmeyer/Huber/Schmittmann, Praxis der Insolvenzanfechtung, Teil IV, Rz. 208. 102) So BVerwG, Beschl. v. 14.5.2012 – 7 B 53/11, ZIP 2012, 1258 f. = ZVI 2012, 297 f., dazu EWiR 2012, 527 (Priebe); Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 15.6.2011 – 8 A 1150/10, NZI 2011, 915 ff. m. Anm. Schmittmann. 103) So OVG Münster, Urt. v. 24.11.2015 – 8 A 1032/14; OVG Münster, Urt. v. 24.11.2015 – 8 A 1073/14, NZI 2016, 182 ff. m. Anm. Schmittmann; OVG Münster, Urt. v. 24.11.2015 – 8 A 1074/14, ZIP 2016, 535 ff.; OVG Münster, Urt. v. 24.11.2015 – 8 A 1126/14; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 InsO Rz. 84.

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mationsquellen, einschließlich der Auskunftserteilung durch Körperschaften des öffentlichen Rechts, auszunutzen.104) 88 Das IFG schafft somit einen eigenständigen Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters gegen die Finanzverwaltung, der ihm die Möglichkeit gibt, auf dem Verwaltungsgerichtsweg Auskunft über Steuervorgänge aus dem schuldnerischen Unternehmen zu erhalten.105) 89 Für einen auf § 4 Hamburger IFG gestützten Anspruch des Insolvenzverwalters gegen das Finanzamt auf Einsicht in Vollstreckungsakten ist eine Sonderzuweisung zu den FG nicht gegeben, so dass der Rechtsweg zu den VG eröffnet ist.106) 90 Zudem kann das Insolvenzgericht einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter ermächtigen, Steuerakten und deren Anlagen beim zuständigen Finanzamt des Schuldners i. R. von Ermittlungen gemäß § 5 InsO einzusehen sowie die Rechte des Schuldners aus dem Steuerschuldverhältnis geltend zu machen.107) In einigen Bundesländern ist explizit die Anwendung des IFG auf Steuersachverhalte ausgeschlossen. So sieht z. B. § 3 Abs. 1 Nr. 11 IZG Sachsen-Anhalt vor, dass der Anspruch auf Informationszugang gegenüber Finanzbehörden i. S. des § 2 FVG nicht besteht, soweit sie in Verfahren in Steuersachen tätig werden.108) Das Land Baden-Württemberg hat ein Informationsfreiheitsgesetz eingeführt, in dem in § 4 Abs. 1 Nr. 3 IFG der Anspruch auf Informationszugang ausgeschlossen wird, soweit und solange das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen auf die Kontroll-, Vollzugs- oder Aufsichtsaufgaben der Finanz-, Regulierungs-, Sparkassen-, Versicherungs- oder Wettbewerbsaufsichtsbehörden haben kann. In RheinlandPfalz, das bislang ein sehr insolvenzverwalterfreundliches Informationsfreiheitsgesetz hat,109) wurde das Informationsfreiheitsgesetz durch ein Transparenzgesetz ersetzt, in dem in § 3 Abs. 8 Transparenzgesetz Rheinland-Pfalz ausdrücklich geregelt ist, dass das Gesetz nicht für steuerrechtliche Verfahren nach der AO gilt.110) 3.

Ertragsteuern (Einkommen- und Körperschaftsteuer)

91 Der Einkommensteuer unterliegt das Einkommen (§§ 2 ff. EStG), das im Inland steuerpflichtige Personen (§§ 1 f. EStG) erzielen. Der Körperschaftsteuer unterliegen unbeschränkt (§ 1 KStG) und beschränkt (§ 2 KStG) Steuerpflichtige, also Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Versicherungs- und Pensionsfondsvereine auf Gegenseitigkeit sowie sonstige juristische Personen des privaten Rechts und nicht rechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen etc. 3.1

Abgrenzung Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten und insolvenzfreie Verbindlichkeiten

92 Da Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 InsO vorrangig zu befriedigen sind, hat der Insolvenzverwalter sorgfältig zwischen Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten und ___________ 104) So VG Minden, Gerichtsbescheid v. 12.8.2010 – 7 K 23/10, ZInsO 2010, 1839, 1840 m. Anm. Birkemeyer, ZInsO 2010, 1842; Schmittmann/Kupka, InsbürO 2009, 83, 86; Schmittmann/Böing, InsbürO 2010, 15, 16. 105) So VG Trier, Beschl. v. 26.6.2012 – 5 K 504/12, ZIP 2012, 1862; VG Berlin, Urt. v. 30.8.2012 – VG 2 K 147/11, ZInsO 2012, 1843; FG Münster, Beschl. v. 25.6.2012 – 15 K 874/10, ZD 2012, 443 ff. = ZVI 2012, 315 f. 106) So BVerwG, Beschl. v. 15.10.2012 – 7 B 2/12, ZIP 2012, 2417 ff. 107) So LG Hamburg, Beschl. v. 9.12.2014 – 326 T 149/14, ZInsO 2015, 45 f. 108) Vgl. OVG Magdeburg, Urt. v. 23.4.2014 – 3 L 319/13, ZD 2015, 606 (LS) = NZI 2014, 873 ff. m. Anm. Schmittmann. 109) Vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 23.4.2010 – 10 A 1091/10, ZIP 2010, 1091 ff.; VG Trier, Beschl. v. 26.6.2012 – 5 K 504/12, ZIP 2012, 1862. 110) Transparenzgesetz v. 27.11.2015, GVBl. Rheinland-Pfalz 2015, 383 ff.

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insolvenzfreien Verbindlichkeiten zu differenzieren, was insbesondere bei der Betriebsfortführung rechtliche Fragen aufwirft. Nach dem Wortlaut der Bestimmung des § 38 InsO knüpft das Insolvenzrecht an den eigen- 93 ständigen insolvenzrechtlichen Begriff der „Begründetheit“ eines Anspruchs an, der weder mit dem Begriff der Entstehung noch dem Begriff der Fälligkeit verwechselt werden darf.111) Für die insolvenzrechtliche Einordnung ist der sog. „Schuldrechtsorganismus“ maßgebend, 94 so dass darauf abzustellen ist, ob die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist: x

War im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt, handelt es sich um eine Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO.112)

x

Bei später begründeten Steuerforderungen handelt es sich um Masseverbindlichkeiten, die vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind,113) sofern es sich nicht um Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners handelt.114) Um Masseverbindlichkeiten handelt es sich auch bei Steuerforderungen, die aus einer Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale der Berichtigungsvorschrift des § 17 Abs. 2 UStG resultieren115) oder aus dem Einzug von Forderungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (in Altfällen) bzw. vor Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (in Neufällen).116)

Da es sich bei der Einkommensteuer um eine Jahressteuer handelt, die nach Ablauf des 95 Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt wird, ist die Einkommensteuerschuld des Schuldners im Jahre der Verfahrenseröffnung ggf. aufzuteilen.117) Gegebenenfalls ist eine weitere Differenzierung aufgrund von § 55 Abs. 4 InsO bei Verfahren geboten, die nach dem 31.12.2010 beantragt worden sind.118) Die Einkünfte des Schuldners, die er in einem Veranlagungszeitraum erzielt hat, sind ggf. 96 in drei unterschiedliche Zeiträume aufzuteilen.119) Die Aufteilung erfolgt nach dem Maßstab des Verhältnisses der jeweiligen Teileinkünfte, damit die progressive Einkommensteuerbelastung abgebildet werden kann.120) Die aus der Fortführung des Unternehmens oder die Verwertung der Insolvenzmasse 97 resultierende Einkommensteuerschuld ist Masseverbindlichkeit und für den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung durch Steuerbescheid gegen den Insolvenzverwalter festzusetzen.121) ___________ 111) So zuletzt BFH, Urt. v. 24.8.2011 – V R 53/09, BStBl. II 2012, 256 ff. = ZIP 2011, 2421 ff.; Waza/ Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 703. 112) So BFH, Beschl. v. 1.4.2008 – X B 201/07, BFH/NV 2008, 925 ff. = ZIP 2008, 1780 ff.; BFH, Beschl. v. 6.10.2005 – VII B 309/04, BFH/NV 2006, 369; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 106. 113) So BFH, Urt. v. 29.3.1984 – IV R 271/83, BFHE 141, 2 ff. = BStBl. II 1984, 602 ff. 114) So BFH, Urt. v. 18.9.2012 – VIII R 47/09, BFH/NV 2013, 411 ff.; BFH, Urt. v. 14.12.1978 – VIII R 28/73, BFHE 124, 411 ff. = BStBl. II 1978, 356 ff.; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 110. 115) Vgl. BFH, Urt. v. 25.7.2012 – VII R 56/09, BFH/NV 2013, 413 ff. 116) Vgl. FG Gotha, Urt. v. 30.11.2011 – 3 K 581/09, ZIP 2013, 790 ff. (Revision anhängig, Az. d. BFH: X R 12/12). 117) So BFH, Urt. v. 7.11.1963 – IV 210/62 S, BStBl. III 1964, 70. 118) Vgl. i. E. BMF, Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05, BStBl. I 2012, 120 ff.; vgl. dazu Trottner, NWB 2012, 920; Schmittmann, ZIP 2012, 249. 119) So BFH, Urt. v. 11.11.1993 – IX R 73/92, BFH/NV 1994, 477 ff. = ZIP 1994, 1286 ff.; K. SchmidtSchmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 116. 120) So BFH, Urt. v. 11.11.1993 – XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477 ff. = ZIP 1994, 1286 ff.; BFH, Urt. v. 29.3.1984 – IV R 271/83, BFHE 141, 2 ff. = BStBl. II 1984, 602 ff. Vgl. Nr. 9.1.4 zu § 251 AEAO. 121) Vgl. BFH, Urt. v. 5.3.2008 – X R 60/04, BStBl. II 2008, 787 ff. = ZIP 2008, 1643 ff.; BFH, Urt. v. 25.7.1995 – VIII R 61/94, BFH/NV 1996, 117 ff.; BFH, Urt. v. 11.11.1993 – VI R 73/92, BFH/NV 1994, 477 ff. = ZIP 1994, 1286 ff.; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 120.

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98 Geht der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Duldung des Insolvenzverwalters einer Geschäftsführertätigkeit nach, so entsteht keine Masseverbindlichkeit, wenn der Schuldner sich Schadensersatz- oder Haftungsansprüchen aussetzt.122) 99 Bei Personengesellschaften erfolgt die Gewinnermittlung auf der Ebene der Gesellschaft. Die Gewinne werden dann aber im Wege der einheitlichen und gesonderten Feststellung den einzelnen Gesellschaftern zugerechnet und i. R. ihrer Einkommensteuererklärung verarbeitet. Wird auf der Ebene der Personengesellschaft z. B. eine Rückstellung aufgelöst und erfolgt diese Auflösung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des insolventen Gesellschafters, entsteht eine Masseverbindlichkeit, ohne dass der Insolvenzverwalter dies beeinflussen kann.123) 100 Werden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens stille Reserven aufgedeckt, stellt die daraus resultierende Einkommensteuer grundsätzlich eine Masseverbindlichkeit dar.124) 101 Der BFH hat früher die Auffassung vertreten, dass bei der Verwertung von Vermögensgegenständen mit Absonderungsrechten eine Masseverbindlichkeit nur insoweit entsteht, wie trotz der dinglichen Belastung ein Mehrerlös zur Insolvenzmasse gelangt.125) Nunmehr vertritt der BFH die Auffassung, dass Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht deshalb ausscheiden, weil die Einkommensteuerschuld aus der Verwertung der zur Insolvenzmasse (und zum Betriebsvermögen) gehörenden Wirtschaftsgüter resultiert. Diese Einkommensteuerschuld ist auch dann in voller Höhe Masseverbindlichkeit, wenn das verwertete Wirtschaftsgut mit Absonderungsrechten belastet war und – nach Vorwegbefriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger aus dem Verwertungserlös – der (tatsächlich) zur Masse gelangte Erlös nicht ausreicht, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Einkommensteuerforderung zu befriedigen.126) 102 Gleiches gilt, wenn die Einkünfte aus einer Beteiligung an einer Personengesellschaft nicht in die Insolvenzmasse geflossen sind, da der Insolvenzverwalter den Schuldner nicht persönlich mit seinem insolvenzfreien Vermögen verpflichten kann, so kann die Einkommensteuer auf Handlung des Insolvenzverwalters nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Masseverbindlichkeit sein. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sind u. a. die Gewinnanteile den Mitunternehmern zuzurechnen, da die Personengesellschaft selbst nicht einkommensteuerpflichtig ist. Die Ergebnisse der gemeinschaftlichen Tätigkeit sind anteilig nach den vertraglichen oder gesetzlichen Gewinnverteilungsschlüsseln als originäre eigene Einkünfte zuzurechnen.127) 103 Ist der Schuldner Eigentümer eines unter Zwangsverwaltung stehenden Grundstücks, so gelten Besonderheiten, wenn zugleich das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Nach früherer Rechtsprechung bestand für den Zwangsverwalter keine Zuständigkeit, die Einkommensteuer für den Grundstückseigentümer einzubehalten und abzuführen, unabhängig da___________ 122) So BFH, Urt. v. 21.7.2009 – VII R 49/08, BStBl. II 2010, 13 ff. = ZIP 2009, 2208 ff. 123) So BFH, Urt. v. 18.5.2010 – X R 60/08, BFHE 2009, 62 ff. = ZIP 2010, 1612; kritisch: K. SchmidtSchmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 122. 124) Vgl. BFH, Urt. v. 11.11.1993 – XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477 ff. = ZIP 1994, 1286 ff.; BFH, Urt. v. 23.3.1984 – IV R 271/83, BFHE 141, 2 ff. = BStBl. II 1984, 602 ff.; BFH, Urt. v. 7.11.1963 – IV 210/62 S, BFHE 78, 172 ff. = BStBl. III 1964, 70; kritisch: Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1469; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 124. 125) So BFH, Urt. v. 14.2.1978 – VIII R 28/73, BFHE 124, 411 ff. = BStBl. II 1978, 356 ff.; K. SchmidtSchmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 126. 126) So BFH, Urt. v. 26.5.2013 – IV R 23/14, ZIP 2013, 1481 ff. = NZI 2013, 709 ff., dazu Schmittmann, EWiR 2013, 621 f. (Vorinstanz: FG Düsseldorf, Urt. v. 2.2.2011 – 2 K 3953/10, EFG 2011, 1920 f. = DStRE 2012, 274 f.). 127) So BFH, Beschl. v. 18.12.2014 – X B 89/14, ZIP 2015, 389 ff. = InsbürO 2015, 357 ff. m. Anm. Schmittmann = NZI 2015, 427 ff. m. Anm. Riewe, dazu EWiR 2015, 157 f. (de Weerth).

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von, ob das Grundstück im Eigentum des Schuldners stand oder im Eigentum einer Erbengemeinschaft, an der der Schuldner beteiligt war.128) Nunmehr vertritt der BFH die Auffassung, dass der Zwangsverwalter auch die Einkommensteuer des Vollstreckungsschuldners zu entrichten hat, soweit sie aus der Vermietung der im Zwangsverwaltungsverfahren beschlagnahmten Grundstücke herrührt, und zwar unabhängig davon, ob das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist.129) Der BFH begründet dies damit, dass Insolvenz- und Zwangsverwalter gemäß § 34 Abs. 3 letzter Halbsatz AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen haben, soweit ihre Verwaltung jeweils reicht. Eine Zwangsverwaltung hat vor der Insolvenzverwaltung den Vorrang. Im Übrigen entspricht die Entrichtungspflicht des Insolvenzverwalters auch dem Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung und vermeidet Verzerrungen, die ansonsten entstehen, wenn die Insolvenzmasse mit Steuern belastet wird, die im Zusammenhang mit Einnahmen stehen, welche nicht der Insolvenzmasse, sondern dem Zwangsverwalter zuzurechnen sind. Nach zutreffender Auffassung des BFH ist kein Grund ersichtlich, weshalb die absonderungsberechtigten Gläubiger aus der Zwangsverwaltung die Bruttomieten vereinnahmen und die anderen Insolvenzgläubiger die darauf entfallende Einkommensteuer tragen sollten. Die Entscheidung ist bislang im Bundessteuerblatt noch nicht veröffentlicht, so dass unklar ist, ab wann und in welchem Umfang sie Anwendung finden soll. Der Neuerwerb eines Schuldners führt nicht zu einer Belastung der Insolvenzmasse mit 104 Masseverbindlichkeiten. Dies gilt sowohl für eine insolvenzfreie Tätigkeit eines Schuldners im Regelinsolvenzverfahren130) als auch bei Schuldnern im Verbraucherinsolvenzverfahren, die Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit erzielen.131) Ergibt sich allerdings eine Erstattung, so ist diese dem Schuldner auszuzahlen. Bei der Kalkulation einer Betriebsfortführung hat der Insolvenzverwalter die sich ergeben- 105 den steuerlichen Effekte zu berücksichtigen, insbesondere aber auch die bestehenden Verlustvorträge i. R. der gesetzlichen Möglichkeiten zu nutzen, um Zahllasten zu vermeiden. 3.2

Zinsabschlag und Kapitalertragsteuer

Für Kapitalerträge, die nach dem 31.12.2008 zufließen, gilt, dass auf der Ebene des Privat- 106 vermögens grundsätzlich eine Abgeltungssteuer i. H. von 25 % und auf der Ebene des Betriebsvermögens sowie im Anwendungsbereich des § 17 EStG das sog. „Teil- bzw. Halbeinkünfteverfahren“ Anwendung finden.132) Die Zinsabschlag- und Kapitalertragsteuer (Abgeltungssteuer) sind keine eigenen Steuer- 107 arten, sondern stellen eine besondere Erhebungsform der auf bestimmte inländische Kapitalerträge erhobenen Einkommen- oder Körperschaftsteuer dar. Treuhandkonten sind i. R. der Abgeltungssteuer nach den für die Einkünfte aus Kapital- 108 vermögen geltenden Regeln, d. h. grundsätzlich wie Privatkonten, zu behandeln. ___________ 128) So BFH, Urt. v. 9.12.2014 – X R 12/12, BFH/NV 2015, 988 ff. = ZIP 2015, 1035 ff., dazu EWiR 2015, 357 f. (Schmittmann). 129) So BFH, Urt. v. 10.2.2015 – IX R 23/14, BFH/NV 2015, 1018 ff. = ZfIR 2015, 573 ff. m. Anm. Onusseit = ZIP 2015, 1503 ff., dazu EWiR 2015, 581 f. (Cranshaw) = BB 2015, 1764 (Hilbert) = NJW 2015, 2524 ff. m. Anm. Drasdo = StuB 2015, 555 m. Anm. jh; vgl. Breidert, IGZInfo 2015, 48 ff.; Engels, Rpfleger 2015, 525 ff.; Kahlert/Schmidt, FR 2015, 596 ff.; Olbing, AnwBl. 2016, 33 f.; Schmittmann, StuB 2015, 550 f.; Schmittmann, ZfIR 2015, 545 ff.; de Weerth, NZI 2015, 643 ff. 130) So BFH, Urt. v. 14.2.1978 – VIII R 28/73, BFHE 124, 411 ff. = BStBl. II 1978, 356 ff.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1455. 131) So BFH, Urt. v. 14.2.2011 – VI R 21/10, BStBl. II 2011, 520 = ZIP 2011, 873 ff.; vgl. Casse, ZInsO 2011, 2309 ff.; Schmittmann, StuB 2012, 404 f. 132) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1551; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 135.

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109 Die Verlustverrechnung und die Anrechnung ausländischer Quellensteuer hat nach § 43a Abs. 3 EStG zu erfolgen.133) Bei Treuhandkonten scheidet eine Abstandnahme vom Steuerabzug aufgrund eines Freistellungsauftrages oder einer NV-Bescheinigung aus, da nach § 44a Abs. 6 EStG Voraussetzung für die Abstandnahme ist, dass Kontoinhaber und Gläubiger der Kapitalerträge identisch sind.134) 110 Die von einem Insolvenzverwalter verwalteten betrieblichen Konten und Depots fallen nicht unter die Regelungen der Tz. 152 und Tz. 154 des BMF-Schreibens vom 22.12.2009. Zum Nachweis, dass es sich um ein betriebliches Konto handelt, reicht eine Bestätigung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Kreditinstitut aus.135) 111 In Verfahren, in denen Masseunzulänglichkeit angezeigt ist, führt das Abgeltungsverfahren zu Schwierigkeiten. Aufgrund des Steuerabzugsverfahrens (§ 43 EStG) verschafft sich die Finanzverwaltung gegenüber allen anderen Gläubigern einen Vorteil dahin, dass die Schuldner der Kapitalerträge bei Meidung der eigenen Haftung (§ 44 Abs. 5 EStG) verpflichtet sind, die Steuern einzubehalten und abzuführen. Die Befriedigungsreihenfolge des § 209 InsO wird in masseunzulänglichen Insolvenzverfahren (§ 208 InsO) von der Finanzverwaltung dadurch unterlaufen, dass die Steuerzahlung, die Masseverbindlichkeit i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, von dem Kreditinstitut zu Lasten der Masse an die Finanzverwaltung abgeführt wird, ohne dass der Insolvenzverwalter darauf Einfluss nehmen kann. Auch eine Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO scheidet aus, da es sich um eine Zahlung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt. Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, der auszahlenden Stelle sowie der Finanzverwaltung die Masseunzulänglichkeit mitzuteilen und diese aufzufordern, den Einbehalt und die Abführung zu unterlassen (Anweisung gegenüber der auszahlenden Stelle) bzw. die Abgeltungssteuer zurückzufordern (Finanzamt). Der Insolvenzverwalter hat diesen Anspruch für die Insolvenzmasse zur Meidung der eigenen Haftung geltend zu machen.136) 112 In der Insolvenz von Personengesellschaften wird zu Lasten der Insolvenzmasse Abgeltungssteuer einbehalten, die auf die Einkommensteuer der Gesellschafter angerechnet wird (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG; § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO). Der Gesellschafter mindert somit auf Kosten der Insolvenzgläubiger seine Verbindlichkeiten gegenüber der Finanzverwaltung.137) Die Fehlleitung der Kapitalertragsteuer ist nicht auf öffentlich-rechtlicher (fiskalischer), sondern auf gesellschafts- und insolvenzrechtlicher Ebene zu beseitigen, indem der Insolvenzmasse ein Anspruch gegen den Gesellschafter auf Herausgabe des ihm zugeflossenen Vorteils zusteht.138) Der Insolvenzverwalter hat ggf. gegen den Gesellschafter einen Zahlungsanspruch aus Gesellschaftsrecht.139) Er braucht sich insbesondere nicht darauf verweisen zu lassen, dass der Gesellschafter ihm seinen Steuererstattungsanspruch gegen die Finanzverwaltung abtritt.140) ___________ 133) 134) 135) 136) 137) 138) 139) 140)

So BMF, Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 1 – S 2252/08/10004, Rz. 152, BStBl. I 2010, 94 ff. So BMF, Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 1 – S 2252/08/10004, Rz. 153, BStBl. I 2010, 94 ff. So BMF, Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 1 – S 2252/08/10004, Rz. 155, BStBl. I 2010, 94 ff. Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rz. 402; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 139. Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1553; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 142. So OLG Dresden, Beschl. v. 29.11.2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 238 = StuB 2005, 516; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 143. So BGH, Urt. v. 16.4.2013 – II ZR 118/11, ZIP 2013, 1174 ff. = NZI 2013, 661 ff., dazu EWiR 2013, 409 f. (Kahlert). So OLG Dresden, Beschl. v. 29.11.2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 238 ff. = StuB 2005, 516; LG Freiburg, Urt. v. 3.8.1999 – 12 O 39/99, ZIP 1999, 2063 ff. = NZI 2000, 87 f.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

In der Insolvenz von Kapitalgesellschaften erfolgt die Erstattung der Abzugssteuer i. R. 113 der Erstellung der Steuererklärungen und Veranlagung.141) 3.3

Besonderheiten bei der Besteuerung von Sanierungsgewinnen

Bis zum 31.12.1997 waren Sanierungsgewinne gemäß § 3 Nr. 66 EStG, § 8 Abs. 1 KStG 114 und § 7 GewStG steuerfrei.142) Nach Abschaffung dieser Norm unterlagen Sanierungsgewinne zunächst keinen steuerlichen Besonderheiten, bevor sich das BMF veranlasst sah, einen Erlass auf Steuern der Sanierungsgewinne nach Maßgabe der §§ 163, 227 ff. AO anzuordnen.143) Die Anweisung des BMF vom 20.3.2003 unterliegt unter verschiedenen Gesichtspunkten Bedenken. Zunächst hat das FG München das Schreiben als Verstoß gegen eine Entscheidung des Gesetzgebers (Abschaffung von § 3 Nr. 66 EStG) und damit als rechtswidrig angesehen.144) Über die Revision gegen die Entscheidung des FG München wurde durch den BFH nicht mehr entschieden, nachdem die Parteien nach Erteilung der Restschuldbefreiung zugunsten des Klägers den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt haben und die Kosten des Rechtsstreits den Parteien jeweils hälftig auferlegt worden sind.145) In einem Rechtsstreit um die Haftung eines Steuerberaters im Zusammenhang mit dem 115 „Sanierungserlass“ von 2003 hat der BGH offengelassen, ob dieser einen Verstoß gegen beihilferechtlichen Vorschriften der EU darstellen könnte.146) Art. 107 Abs. 1 AEUV verbietet grundsätzlich Beihilfen, die „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ begünstigen (selektive Beihilfen). In Bezug auf die Sanierungsklausel des § 8c KStG hat das EuG inzwischen entschieden, dass die Einstufung einer nationalen Steuermaßnahme als „selektiv“ erstens voraussetzt, dass im Vorfeld die im betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder „normale“ Steuerregelung ermittelt und geprüft wird, zweitens anhand dieser allgemeinen oder „normalen“ Steuerregelung zu beurteilen und festzustellen ist, ob der mit der fraglichen Steuermaßnahme gewährte Vorteil selektiv ist, indem diese Maßnahme vom allgemeinen System insofern abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, und nach Abschluss dieser ersten beiden Prüfungsabschnitte drittens eine Maßnahme dem ersten Anschein nach als selektiv eingestuft werden kann. Die Voraussetzung der Selektivität ist nicht gegeben, wenn eine Maßnahme zwar einen Vorteil für die Begünstigte darstellt, aber durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau des Systems, in das sich die Maßnahme einfügt, gerechtfertigt ist. Im Ergebnis hält das Gericht den Beschluss 2011/527/EU der

___________ 141) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 146. 142) Vgl. Schmittmann, Turnaround durch steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten, S. 83, 104; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1681 ff. 143) So BMF, Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240 ff.; vgl. dazu Schmittmann, ZInsO 2003, 505 ff.; Uhländer, ZInsO 2005, 76 f. 144) So FG München, Urt. v. 12.12.2007 – 1 K 4487/06, EFG 2008, 615 ff. = BB 2008, 2656 ff. m. Anm. Kroninger = ZIP 2008, 1784 ff., dazu EWiR 2008, 231 f. (Jungbluth/Lohmann); ebenso FG Sachsen, Urt. v. 14.3.2013 – 5 K 1113/12, DStR 2014, 190 ff.; FG Sachsen, Urt. v. 24.4.2013 – 1 K 759/12, EFG 2013, 1898 ff. = ZIP 2013, 2274 ff. 145) So BFH, Beschl. v. 28.2.2012 – VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135 ff. = ZIP 2012, 989 ff.= DStR 2012, 943 ff. m. krit. Anm. Kahlert. 146) So BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZR 23/10, ZIP 2014, 882 ff. = DStR 2014, 895 ff.; dazu EWiR 2014, 823 f. (Anzinger).

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Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Kommission vom 26.1.2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10147), mit dem die deutsche Regelung beanstandet worden ist, für rechtmäßig.148) 116 Die Auswirkungen dieser Entscheidung sind, sofern sie vom EuGH bestätigt wird, schwerwiegend. Ist die Entscheidung auch auf den Erlass der Einkommen- oder Körperschaftsteuer aufgrund des Schreibens 2003 anwendbar, drohen den betroffenen Unternehmen Steuernachforderungen, die gesetzlich zu verzinsen sind. Die bisherige deutsche Argumentation, die sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientiert hat, wurde vom EuG nicht anerkannt. 117 Auch die Rechtsprechung des LG Düsseldorf, wonach Neugläubiger ausnahmsweise am Insolvenzplan beteiligt werden können, wenn sie den Regelungen im Insolvenzplan ausdrücklich zustimmen, § 230 Abs. 2 InsO analog, und die Aufnahme eines Verzichts der Finanzverwaltung bezüglich der Besteuerung eines etwaigen Sanierungsgewinns deshalb kein Mangel des Insolvenzplans, der zur Zurückweisung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO berechtigt, darstellt, bietet vor dem Hintergrund des Auffassung des EuG keinen rechtssicheren Ausweg.149) Es drohen daher sowohl für Berater als auch für organschaftliche Vertreter und Insolvenzverwalter, die einen Insolvenzplan erarbeitet haben, erhebliche Haftungsrisiken. Es ist daher umso mehr geboten, dass der deutsche Gesetzgeber ein europarechtskonformes Sanierungssteuerrecht schafft. 118 Nachdem der BFH zunächst die Wirksamkeit des BMF-Schreibens offengelassen hat,150) liegt nunmehr dem Großen Senat des BFH die Frage vor, ob das BMF-Schreiben vom 27.3.2003 gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt.151) Die Vorlage durch den X. Senat hat sowohl bei der Finanzverwaltung als auch bei Beratern zur Verunsicherung geführt. Da der X. Senat allerdings das BMF-Schreiben vom 27.3.2003 für wirksam erachtet, sind nach wie vor verbindliche Auskünfte durch die Finanzverwaltung noch möglich.152) 119 Das BMF stellt auf eine unternehmensbezogene Sanierung ab. Eine unternehmensbezogene Sanierung liegt vor, wenn ein Unternehmer oder ein Unternehmensträger vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren ist und wieder ertragfähig gemacht werden soll. Wird das Unternehmen nicht fortgeführt oder trotz der Sanierungsmaßnahmen eingestellt, liegt eine Sanierung i. S. der Anweisung des BMF vom 27.3.2003 nur dann vor, wenn Schulden aus betrieblichen Gründen erlassen werden. Keine begünstigte Sanierung ist gegeben, soweit die Schulden erlassen werden, um dem Steuerpflichtigen oder einem Beteiligten einen schuldenfreien Übergang in sein Privatleben oder den Aufbau einer anderen Existenzgrundlage (unternehmerbezogene Sanierung) zu ermöglichen.153) 120 Eine Sanierungsbedürftigkeit eines Einzelunternehmers liegt nicht vor, wenn durch Heranziehen des Privatvermögens die Verpflichtungen erfüllt werden können. Die Sanie___________ 147) Ex CP 250/09 und NN 5/10, ABl. L 235/26. 148) So EuG, Urt. v. 4.3.2016 – Rs. T-287/11 (Heitkamp Bauholding GmbH), ECLI:EU:T:2016:60; ebenso: EuG, Urt. v. 4.2.2016 – Rs. T-620/11 (GFKL Services AG), ECLI:EU:T:2016:59; vgl. dazu: de Weerth, DB 2016, 682 ff.; Schmittmann, INDat Report 3/2016, 27. 149) So LG Düsseldorf, Beschl. v. 21.9.2015 – 25 T 404/15, ZIP 2015, 2182 f. = NZI 2015, 978 ff. m. Anm. Freitag, dazu EWiR 2016, 119 f. (Leib/Rendels). 150) So BFH, Beschl. v. 24.3.2015 – X B 127/14, BFH/NV 2015, 809 f.; BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 39/10, ZIP 2014, 638 ff., dazu EWiR 2014, 255 f. (Schmittmann). 151) So BFH, Beschl. v. 25.3.2015 – IX R 23/13, BFHE 249, 299 ff. = ZIP 2015, 1352 ff. = ZInsO 2015, 1331 ff. m. Anm. Rekers, dazu EWiR 2015, 521 f. (de Weerth); vgl. Schmittmann, StuB 2016, 73, 74. 152) Vgl. Finanzministerium Schleswig-Holstein, Verfügung v. 9.10.2015 – VI 304 – S 2140 – 017/05, NZI 22/2015, S. VII. 153) So BMF, Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, Rz. 1, BStBl. II 2003, 240 ff.; K. SchmidtSchmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 151.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

rungseignung des Schuldenerlasses erfordert, dass dieser allein oder zusammen mit anderen Maßnahmen geeignet ist, das Überleben des Betriebes herbeizuführen. Ein steuerfreier Sanierungsgewinn liegt nicht vor, wenn der Schulderlass das sanierungsbedürftige Unternehmen zwar vor dem Zusammenbruch bewahrt, hierdurch aber die Ertragsfähigkeit nicht wiederhergestellt wird.154) Der Insolvenzverwalter wird i. R. der Aufstellung eines Insolvenzplanes prüfen, welche 121 steuerlichen Auswirkungen sich ergeben. Dabei ist es zweckmäßig, bei der Finanzverwaltung in Erfahrung zu bringen, ob auf einen entsprechenden Antrag des Steuerpflichtigen die Steuer zunächst nach § 163 AO abweichend festgesetzt und nach § 222 AO mit dem Ziel des späteren Erlasses ab Fälligkeit gestundet wird. Der Insolvenzverwalter wird insbesondere auch zu prüfen haben, welche Auswirkungen 122 sich hinsichtlich von Aufrechnungslagen ergeben. Ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehendes Aufrechnungsrecht bleibt auch dann erhalten, wenn die aufgerechnete Gegenforderung nach einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan als erlassen gilt.155) 3.4

Bauabzugsteuer

Die sog. „Bauabzugsteuer“ ist keine eigene Steuerart, sondern lediglich eine besondere 123 Erhebungsform der Einkommen- und Körperschaftsteuer, aufgrund derer nach §§ 48 ff., § 52 Abs. 56 EStG unternehmerisch tätige Auftraggeber von Bauleistungen (Leistungsempfänger) im Inland für Gegenleistungen, die nach dem 31.12.2001 erbracht werden, einen Steuerabzug für Rechnung des die Bauleistung erbringenden Unternehmers (Leistender) vorzunehmen haben, wenn bestimmte Freigrenzen nicht überschritten werden, oder eine gültige, vom zuständigen Finanzamt des Leistenden ausgestellte Freistellungsbescheinigung nicht vorliegt.156) Die deutsche Regelung zur Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen ist grundsätzlich 124 mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar, allerdings ist Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 2004/290/EG des Rates vom 30.3.2004 zur Ermächtigung Deutschlands zur Anwendung einer von Art. 21 6. EG-Richtlinie abweichenden Regelung dahin auszulegen, dass Deutschland berechtigt ist, die ihr mit dieser Entscheidung erteilte Ermächtigung nur teilweise für bestimmte Untergruppen wie einzelne Arten von Bauleistungen oder für Leistungen an bestimmte Leistungsempfänger auszuüben. Bei der Bildung dieser Untergruppen hat der Mitgliedstaat den Grundsatz der steuerlichen Neutralität sowie die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit zu beachten, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.157) Legt der Leistende dem Leistungsempfänger eine gültige Freistellungsbescheinigung vor, 125 so muss der Steuerabzug gemäß §§ 48 Abs. 2, 48b EStG nicht vorgenommen werden. Verfügt das schuldnerische Unternehmen vorinsolvenzlich über eine Freistellungsbescheinigung, so wird die Finanzverwaltung diese grundsätzlich wegen Gefährdung des Steuer___________ 154) So BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 39/10, ZIP 2014, 638 ff. = NZI 2014, 470 ff., dazu EWiR 2014, 255 f. (Schmittmann). 155) So BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/09, ZIP 2011, 1271 ff. = NZI 2011, 538 ff. 156) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1594; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 9 Rz. 91; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 157; L. Schmidt-Loschelder, EStG, § 48 Rz. 1 ff.; BMF, Schreiben v. 1.11.2001 – IV A 5 – S 1900 – 292/01, BStBl. I 2001, 804 ff.; OFD Kiel, Schreiben v. 11.12.2001 – S 2274a A – St 236, DB 2002, 70 ff.; BMF, Schreiben v. 27.12.2002 – IV A 5 – S 2272 – 1/02, BStBl. I 2002, 1399 ff. 157) So EuGH, Urt. v. 13.12.2012 – Rs. C-395/11 (BLV Wohn- und Gewerbebau GmbH), DB 2012, 2911, 2913; vgl. zur Bauabzugsteuer in Belgien: EuGH, Urt. v. 9.11.2006 – Rs. C-433/04, DStR 2007, 655 ff.; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 9 Rz. 91.

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§ 36

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

anspruchs widerrufen.158) Wurde die Freistellungsbescheinigung bereits widerrufen, so sollte der vorläufige Insolvenzverwalter unverzüglich eine neue Freistellungsbescheinigung beantragen, um den Steuerabzug zu vermeiden.159) Dem Insolvenzverwalter ist grundsätzlich eine Freistellungsbescheinigung auf Antrag auszustellen, da davon auszugehen ist, dass er die steuerlichen Pflichten erfüllt. Die Bescheinigung wird nicht auftragsbezogen, sondern unternehmerbezogen erteilt.160) 126 Verweigert die Finanzverwaltung die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung, so kann der Anspruch auch im Wege der Regelungsanordnung i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO geltend gemacht werden, ohne dass dem der Gesichtspunkt einer Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache entgegensteht.161) 127 Solange der Insolvenzverwalter, was insbesondere bei einer Fortführung des Unternehmens von Bedeutung ist, nicht über eine Freistellungsbescheinigung verfügt, z. B. weil deren Erteilung zunächst noch gerichtlich geltend gemacht werden muss, wird der Leistungsempfänger die Bauabzugsteuer an das Finanzamt abführen. Nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen darf die Finanzverwaltung den abgeführten Betrag aber nicht außerhalb des Insolvenzverfahrens vereinnahmen, so dass dem Insolvenzverwalter gegen die Finanzverwaltung – nicht gegen den Vertragspartner des schuldnerischen Unternehmens – ein Anspruch auf die Zahlung des Einbehalts zusteht.162) 128 Ist bei einer Unternehmensfortführung das schuldnerische Unternehmen nicht Leistungserbringer, sondern Leistungsempfänger, hat der Insolvenzverwalter darauf zu achten, dass er entweder eine gültige Freistellungsbescheinigung des Leistungserbringers vorlegen lässt oder aber den Steuerabzug i. H. von 15 % vornimmt, um die Haftung des Leistungsempfängers gemäß § 48a Abs. 3 EStG zu vermeiden.163) 4.

Umsatzsteuer

129 Die Umsatzsteuer spielt im Insolvenzverfahren eine erhebliche Rolle, zum einen deshalb, weil das jährliche Umsatzsteueraufkommen z. B. mit rd. 209.000.000.000 € im Jahr 2015 die wichtigste Einzelsteuerart darstellt, und zum anderen weil bei der Umsatzsteuer zu berücksichtigen ist, dass – anders als bei der Ertragsteuer – ausschließlich auf die Durchführung von Lieferungen und sonstigen Leistungen abzustellen ist und nicht auf ggf. durch Verlustvorträge zu kompensierende Gewinne.

___________ 158) Vgl. OFD Hannover, Verfügung v. 22.4.2003 – S 2272 b – 9 – StO 223/S 2272 b – 2 – StH 216, DB 2003, 1250. 159) Soweit die OFD Hannover, Verfügung v. 22.4.2003 – S 2272 b – 9 – StO 223/S 2272 b – 2 – StH 216, DB 2003, 1250, noch davon ausgeht, dass nur dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter eine Freistellungsbescheinigung erteilt werden kann, da davon auszugehen ist, dass er die steuerlichen Pflichten erfüllt, ist daran im Hinblick auf § 55 Abs. 4 InsO nicht mehr festzuhalten. Allenfalls, wenn nicht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu rechnen ist, kann von einer Ausstellung der Freistellungsbescheinigung abgesehen werden; vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1596. 160) So OFD Hannover, Verfügung v. 22.4.2003 – S 2272 b – 9 – StO 223/S 2272 b – 2 – StH 216, DB 2003, 1250; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 9 Rz. 95. 161) So BFH, Beschl. v. 13.11.2002 – I B 147/02, BStBl. II 2003, 716 ff. = ZIP 2003, 173 ff.; der Streitwert für den Rechtsstreit um die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung beträgt 10 % des Betrages, der als Steuerabzug in Betracht kommt; vgl. Sächsisches FG, Beschl. v. 6.10.2003 – 7 K 1693/02, EFG 2004, 61. Nach Auffassung des Saarländischen FG, Beschl. v. 10.6.2005 – 2 V 429/04, EFG 2005, 1803 f. ist der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG i. H. von 5 000 € zugrunde zu legen. 162) Vgl. auch BFH, Beschl. v. 13.11.2002 – I B 147/02, BStBl. II 2003, 716 ff. = ZIP 2003, 173 ff. 163) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 165.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern 4.1

§ 36

Unternehmen und Unternehmer

Der Umsatzsteuer unterliegen im Wesentlichen die Lieferungen und sonstigen Leistungen, 130 die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt i. R. seines Unternehmens ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG), die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg (Einfuhrumsatzsteuer; § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG) und der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG). Nicht steuerbar sind gemäß § 1 Abs. 1a Satz 1 UStG die Umsätze i. R. einer Geschäfts- 131 veräußerung im Ganzen an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen. Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche 132 Tätigkeit selbständig ausübt. Dabei ist nicht auf die Verhältnisse des Insolvenzverwalters abzustellen, sondern auf die Verhältnisse des schuldnerischen Unternehmens. Nach Verfahrenseröffnung besteht dem Grundsatz nach die Unternehmenseinheit fort.164) Allerdings besteht das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Es handelt sich um den x

vorinsolvenzlichen Unternehmensteil,

x

den insolvenzlichen Unternehmensteil und

x

das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen.165)

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt der Insolvenzverwalter – unabhängig von 133 einer etwaigen Fortführung des Unternehmens – in die Stellung des Schuldners als Unternehmer ein. Der Insolvenzverwalter wird damit Verwalter fremden Vermögens i. S. von § 34 Abs. 3 AO.166) Die Unternehmereigenschaft fehlt, wenn eine juristische Person gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 134 UStG nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).167) Die Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters168) wie die Abweisung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse169) führte nach bisheriger Auffassung nicht zur Beendigung der organisatorischen Eingliederung und damit auch nicht zur Beendigung der Organschaft.170) Nunmehr nimmt der BFH bereits bei der Bestellung eines sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters die Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft an.171) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist zu differenzieren: x

135

Wird Eigenverwaltung angeordnet, verliert der Schuldner nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, so dass sich Auswirkungen auf den Fortbestand der Organschaft

___________ 164) So BFH, Beschl. v. 1.9.2010 – VII R 35/08, ZIP 2010, 2359 ff. = ZVI 2011, 59 ff. 165) So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner); vgl. Kahlert, DStR 2011, 1973 ff.; Schacht, ZInsO 2011, 1787 ff.; Schmittmann, ZIP 2012, 249 ff.; Schmittmann, ZIP 2011, 1125 ff.; Welte/Friedrich-Vache, ZIP 2011, 1595 ff. 166) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 206. 167) Vgl. Lemken, InsbürO 2012, 417 ff.; Schmittmann, InsbürO 2007, 265 ff.; Hölzle, DStR 2006, 1210 ff. 168) Vgl. BFH, Urt. v. 22.10.2009 – V R 14/08, BStBl. II 2011, 988 = ZIP 2010, 383 ff., dazu EWiR 2010, 227 f. (Kahlert); BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 67/07, BStBl. II 2009, 1029 ff.; BFH, Beschl. v. 10.3.2009 – XI B 66/08, BFH/NV 2009, 977 ff. = DZWIR 2009, 288 f. 169) So BFH, Beschl. v. 28.9.2007 – V B 213/06, juris. 170) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh, Steuerrecht Rz. 208 ff. 171) So BFH, Urt. v. 8.8.2013, V R 18/13, ZIP 2013, 1773 ff. = DStR 2013, 1883 ff.

Schmittmann

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§ 36

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

nicht ergeben.172) Werden dem Sachwalter ausnahmsweise weitreichende Befugnisse eingeräumt, kommt eine Beendigung der Organschaft in Betracht, wenn der Organträger seinen Willen bei der Organgesellschaft nicht mehr durchsetzen kann.173) x

Wird über das Vermögen der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt, so endet die umsatzsteuerliche Organschaft.

x

Wird über das Vermögen des Organträgers das Insolvenzverfahren eröffnet, so wird dadurch die Organschaft grundsätzlich nicht beendet.174)

x

Im Falle der Liquidation des Organträgers endet die Organschaft mit dem Beginn der Liquidation, da durch die Einstellung der aktiven unternehmerischen Tätigkeit beim Organträger die wirtschaftliche Eingliederung der Organgesellschaft nicht mehr gegeben ist.175)

136 Wird über das Vermögen des Organträgers und der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, so differenziert die Finanzverwaltung danach, ob für den Organträger und die Organgesellschaft derselbe Insolvenzverwalter bestellt wird. Die organisatorische Eingliederung besteht nach Auffassung der Finanzverwaltung fort, wenn die gleiche Person bestellt wird.176) Dieser Auffassung ist nicht zu folgen, da der Insolvenzverwalter in jedem einzelnen Insolvenzverfahren den Interessen der Gläubiger dieses Verfahrens zu dienen hat. Daher kommt es nicht darauf an, ob für den Organträger und die Organgesellschaft derselbe Insolvenzverwalter bestellt wird.177) 137 Mit der Beendigung der Organschaft sind sowohl Organträger als auch Organgesellschaft wieder zwei selbständige Rechtsobjekte. Umsätze, die von der Organgesellschaft noch vor Beendigung der Organschaft ausgeführt worden sind, sind dem Organträger zuzurechnen und von diesem zu versteuern. Umsätze, die nach Beendigung der Organschaft von der Organgesellschaft ausgeführt werden, sind grundsätzlich von der Organgesellschaft als leistendem Unternehmer zu versteuern.178) Der BFH sieht es als ernstlich zweifelhaft an, ob die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Unternehmen durch die umsatzsteuerliche Organschaft nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortbesteht. Dies gilt gleichermaßen für die Insolvenzeröffnung beim Organträger wie auch bei der Organgesellschaft.179) 138 Ein Organträger ist verpflichtet, einen Erstattungsanspruch, der aus der Organschaft resultiert, an die Organgesellschaft weiterzuleiten. Der Organträger ist daher nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert, einen Erstattungsanspruch gegen die Finanzverwaltung geltend zu machen, wenn der Organträger eine Zahlung erbracht hat, die vom Insolvenzverwalter der Organgesellschaft bereits erfolgreich angefochten worden ist, da ___________ 172) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1935; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 215. 173) Vgl. OFD Hannover, Verfügung vom 11.10.2004 – S 7105 – 49 – StO 171; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1935. 174) So BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BStBl. I 2004, 905 ff. = ZIP 2004, 1269 ff., dazu EWiR 2004, 1095 f. (Blank); Hölzle, DStR 2006, 1210 ff. 175) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1938. 176) So OFD Hannover, Schreiben v. 6.8.2007 – S 7105 – 49 – StO 172, Rz. 1.3.2; OFD Frankfurt/M., Schreiben v. 20.7.2009 – S 7105 A – 21 – St 110, Rz. 2.3. 177) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 218. 178) Vgl. BFH, Urt. v. 21.6.2001 – V R 68/00, BStBl. II 2002, 255 ff. = NZI 2002, 334 ff.; Waza/ Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1943. 179) So BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, ZIP 2014, 889 ff. = NZI 2014, 421 ff., dazu EWiR 2014, 329 f. (Debus/Elpers); ebenso bereits: Schmittmann, ZSteu 2007, 191 ff.

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ohne diese Anfechtung der Organträger keinen Anspruch gegen die Finanzverwaltung hätte.180) Beim Vorsteuerabzug ist nach den vorstehenden Grundsätzen zu verfahren, so dass der Vor- 139 steuerabzug noch dem Organträger zusteht, sofern die Lieferungen und sonstigen Leistungen vor Beendigung der Organschaft erfolgt sind.181) Der Insolvenzverwalter hat mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu prüfen, ob mög- 140 licherweise eine „unerkannte Organschaft“ vorliegt, da kein Wahlrecht besteht, von den Regeln der umsatzsteuerlichen Organschaft Gebrauch zu machen.182) Entdeckt der Insolvenzverwalter eine unerkannte Organschaft, so hat er unabhängig davon, ob die Finanzverwaltung eine Korrektur wünscht, die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen.183) Der Insolvenzverwalter wird daher ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft die erteilten Rechnungen korrigieren, die Umsatzsteuererklärungen berichtigen und die möglichen Zahlungsansprüche gegen die Finanzverwaltung geltend machen. Im Falle einer Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO entsteht ein insolvenzfreier Vermögens- 141 bereich des Schuldners, der durch die Finanzverwaltung i. R. der Erteilung einer „dritten Steuernummer“ organisiert wird.184) Gleichwohl bleibt der Grundsatz der Einheit des Unternehmens bestehen, so dass z. B. für die Anwendung der Regelungen über Kleinunternehmer (§ 19 UStG)185) der insolvenzfreie Bereich und die Insolvenzmasse zusammenzurechnen sind. Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entstehen durch Handlungen des Insolvenzverwalters, aber nicht durch eine Tätigkeit des Schuldners hinter dem Rücken des Insolvenzverwalters, selbst wenn eine Freigabe durch den Insolvenzverwalter nicht erfolgt ist.186) Ergibt sich aus der i. S. von § 35 Abs. 2 InsO freigegebenen Tätigkeit ein Vorsteuerver- 142 gütungsanspruch zugunsten des Schuldners, so fällt dieser nicht in die Insolvenzmasse und kann vom Finanzamt mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden.187) Der Vorsteuererstattungsanspruch kann in unbegrenzter Höhe aufgerechnet werden, da die Pfändungsschutzvorschriften für Arbeitseinkommen nicht anwendbar sind.188) Die Umsatzsteuer ist weiterhin nicht Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wenn der Schuldner – unabhängig von einer Freigabe i. S. von § 35 Abs. 2 InsO – mit nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringt.189) Das Finanzamt ist durch das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot (§ 96 Abs. 1 InsO) 143 nicht daran gehindert, rückständige Steuerforderungen gegen einen Erstattungsanspruch des ___________ 180) So BFH, Urt. v. 26.8.2014 – VII R 16/13, ZIP 2014, 2404 ff. m. Anm. Kahlert. 181) So OFD Hannover, Schreiben v. 6.8.2007 – S 7105 – 49 – StO 172, Rz. 2.4; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 222. 182) So BFH, Urt. v. 17.1.2002 – V R 37/00, BStBl. II 2002, 373 ff. = ZIP 2002, 1813 ff.; Schmittmann, StuB 2009, 71. 183) Vgl. Schmittmann, ZSteu 2007, 191 ff.; Schmittmann, InsbürO 2007, 265 ff. 184) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1999. 185) Das Recht zum Verzicht auf die Kleinunternehmer-Regelung („Option zur Umsatzsteuer“) kann nur einheitlich und durch den Insolvenzverwalter ausgeübt werden, so BFH, Urt. v. 20.12.2012 – V R 23/11, ZIP 2013, 469 f., dazu EWiR 2013, 285 f. (Paul). 186) So BFH, Urt. v. 18.5.2010 – X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114 ff. = ZIP 2010, 214 ff., dazu EWiR 2010, 751 f. (Kahlert); Vorinstanz: FG Nürnberg, Urt. v. 11.12.2008 – 4 K 1394/07, ZInsO 2009, 488 ff. m. Anm. Schmittmann = EFG 2009, 867 ff. m. Anm. Loose. 187) So BFH, Beschl. v. 1.9.2010 – VII R 35/08, ZIP 2010, 2359 ff. = ZVI 2011, 59 ff. 188) So FG Nürnberg, Urt. v. 11.9.2012 – 2 K 1153/10, juris. 189) So BFH, Urt. v. 7.4.2005 – V R 5/04, ZIP 2005, 1376 f. = ZVI 2006, 253 f., s. a. Anm. Schmittmann, ZInsO 2005, 774 ff.

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Schuldners aufzurechnen, wenn diese Forderung „ihrem Kern nach“ bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden war, d. h. sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung erfüllt waren und nur noch die Geltendmachung fehlte.190) 144 Die insolvenzrechtliche strukturelle Unterscheidung der Vermögensmassen steht einer Aufrechnung des Finanzamtes mit vorinsolvenzlichen Forderungen gegen Umsatzsteuererstattungsansprüche des insolvenzfreien Vermögens i. S. des § 35 Abs. 2 InsO nicht entgegen.191) 4.2

Steuerbefreiungen und Verzicht auf Steuerbefreiungen

145 Gemäß § 1 Nr. 1 bis Nr. 28 UStG sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen bestimmte steuerfrei, wobei sich insolvenzspezifische Besonderheiten nicht ergeben. 146 Im Falle einer Unternehmensfortführung ist der Insolvenzverwalter dafür verantwortlich, dass bei umsatzsteuerbefreiten Lieferungen und sonstigen Leistungen nicht unberechtigt Umsatzsteuer in Rechnung gestellt wird, da dies zu einer Haftung gemäß § 14c UStG führt. Darüber hinaus ist der Insolvenzverwalter auch dafür verantwortlich, dass die Rechnungen gemäß § 14b UStG aufbewahrt werden. 147 Bei bestimmten Umsätzen kann der Unternehmer einen nach § 14 UStG steuerfreien Umsatz als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird (Option), § 9 Abs. 1 UStG; bei dem Verzicht auf die Steuerbefreiung im Zusammenhang mit der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken ist dies nur möglich, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG. Der Unternehmer hat gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 UStG die Voraussetzungen nachzuweisen. 148 Die Möglichkeit der Umsatzsteueroption hat im Wesentlichen Auswirkungen auf den Vorsteuerberichtigungsanspruch gemäß § 15a UStG. Die Einzelheiten werden dort erläutert, siehe Rz. 161 ff. 4.3

Steuer

149 Die Steuer entsteht für Lieferungen und Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG – „Soll-Versteuerung“) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG). Bei der Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG – „Ist-Versteuerung“) entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind. Besondere Regelungen für die Entstehung der Steuer ergeben sich aus § 13 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 9 UStG. 150 Der BFH hat sich inzwischen vom Grundsatz des Schuldrechtsorganismus gelöst, wonach darauf abzustellen war, wann die zivilrechtliche Leistungsbeziehung, die der Umsatzsteuer zugrunde liegt, vollzogen worden ist: x

Die bis zur Insolvenzeröffnung ausgeführten Umsätze führten hinsichtlich der Umsatzsteuer nach bisheriger Auffassung stets zu einfachen Insolvenzforderungen.192)

Vereinnahmt der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i. R. der Ist-Besteuerung Entgelte für Leistungen, die bereits vor Verfahrenseröffnung erbracht ___________ x

190) So BFH, Urt. v. 18.8.2015 – VII R 29/14, ZIP 2015, 2237 f. = ZVI 2016, 17 ff., dazu EWiR 2016, 81 f. (Ries); vgl. Schmittmann, StuB 2016, 73 f. 191) So FG Stuttgart, Urt. v. 15.7.2015 – 1 K 732/14, ZIP 2015, 1894 f., rkr. 192) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1978.

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worden sind, handelt es sich bei der für die Leistung entstehenden Umsatzsteuer nach der Rechtsprechung des BFH um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.193) Diese Rechtsprechung hat der BFH inzwischen auch auf die Soll-Besteuerung erstreckt,194) so dass der Insolvenzverwalter unabhängig vom Vorliegen einer Ist- oder SollBesteuerung beim Schuldner die auf den Forderungseinzug nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallende Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit zu berücksichtigen hat. x

Vereinnahmt ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug Forderungen des Schuldners, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug für die Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verwalterbestellung erbracht oder bezogen hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen. Gleiches gilt für den Steuerbetrag und den Vorsteuerabzug aus Leistungen, die das Unternehmen danach bis zum Abschluss des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbringt oder bezieht.195)

Im Falle der Unternehmensfortführung hat der Insolvenzverwalter nach den vorstehenden 151 Grundsätzen vorzugehen. Bei der Anwendung sind folgende Regelungen maßgebend: x

Die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO, die durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 eingeführt worden ist, gilt gemäß Art. 103e EGInsO für Insolvenzverfahren, die nach dem 31.12.2010 beantragt worden sind.196)

x

Die Rechtsprechung des BFH zum Forderungseinzug durch den Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens197) ist auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 31.12.2011 eröffnet worden sind.198)

x

Die Rechtsprechung des BFH zum Forderungseinzug durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit dem Recht zum Forderungseinzug199) ist auf Insolvenzverfahren anwendbar, in denen die Sicherungsmaßnahmen nach dem 31.12.2014 angeordnet worden sind.200)

x

Hinsichtlich aller Lieferungen und sonstigen Leistungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht werden, ist die Umsatzsteuer in allen Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Besonderheiten ergeben sich bei der Vereinnahmung von Entgelten vor Ausführung 152 der Leistung. Die Steuer entsteht gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1a Satz 4 UStG bei Vereinnahmung des Entgelts oder eines Teils des Entgelts, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist. Diese Vorschrift enthält einen selbständigen und ___________ 193) So BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, BStBl. II 2009, 682 ff. = ZIP 2009, 977 ff., dazu EWiR 2009, 315 f. (Berger). 194) So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner); vgl. dazu Schmittmann, ZIP 2011, 1125 ff.; Welte/Friedrich-Vache, ZIP 2011, 1595 ff. 195) So BFH, Urt. v. 24.9.2014 – V R 48/13, BStBl. II 2015, 506 ff. = ZIP 2014, 2451 ff., dazu EWiR 2015, 19 f. (Schmittmann). 196) Vgl. dazu BMF, Schreiben v. 20.5.2015 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05 DOK 2015/0416027, BStBl. I 2015, 476 ff. = ZIP 2015, 1093 ff. 197) S. BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 = ZIP 2011, 782, dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner); BFH, Urt. v. 24.11.2011 – V R 13/11, BStBl. II 2012, 298 ff. = NZI 2012, 96. 198) So BMF, Schreiben v. 9.12.2011 – IV D 2 – S 7330/09/10000:001 DOK 2011/0992053, BStBl. I 2011, 1273 ff. 199) So BFH, Urt. v. 24.9.2014 – V R 48/13, BStBl. II 2015, 506 ff. = ZIP 2014, 2451 ff., dazu EWiR 2015, 19 f. (Schmittmann). 200) So BMF, Schreiben v. 18.11.2015 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05, DOK 2015/1037464, BStBl. II 2015, 886 = DStR 2015, 2669.

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abschließenden Steuerentstehungstatbestand, so dass die auf An- und Vorauszahlung entfallende Umsatzsteuer Insolvenzforderung ist, wenn die Vereinnahmung vor Verfahrenseröffnung erfolgt ist.201) 4.4

Vorsteuer und Vorsteuerberichtigung

4.4.1 Vorsteuer 153 Der Unternehmer kann gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen, was voraussetzt, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Im Falle der Fortführung des Unternehmens wird der Insolvenzverwalter veranlassen, dass aus Eingangsrechnungen die Vorsteuerbeträge geltend gemacht werden, was voraussetzt, dass die Rechnungen an die Insolvenzmasse ausgestellt sind und den Schuldner erkennen lassen.202) 154 Der Vorsteuerabzug kommt im Übrigen nur dann in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter mit der Insolvenzmasse keine vorsteuerschädlichen Umsätze getätigt hat.203) Die Einhaltung der Erfordernisse gemäß § 14 UStG ist durch den Insolvenzverwalter zu prüfen.204) 155 Der Besitz an der Rechnung ist für das materielle Entstehen des Vorsteueranspruchs nicht maßgeblich. Auch auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung kommt es nicht an.205) 156 Ist der Vorsteuervergütungsanspruch zum Teil vor und zum Teil nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, erfolgt eine Aufteilung. Das Finanzamt hat sicherzustellen, dass zwischen den vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vorsteuerabzugsbeträgen differenziert wird und eine Aufrechnung nur insoweit erfolgt, als sich diese auf Vorsteuerbeträge bezieht, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind. Im Rahmen der Saldierung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG ist die für den Besteuerungszeitraum berechnete Umsatzsteuer vorrangig mit vor Insolvenzeröffnung begründeten Vorsteuerabzugsbeträgen zu verrechnen.206) 157 Der Insolvenzmasse steht auch die Vorsteuer aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu. Eine Verrechnung mit Insolvenzforderungen des Finanzamtes scheidet regelmäßig aufgrund der Anfechtbarkeit gemäß §§ 130, 131 InsO aus.207) Ein Vorsteuerabzug kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn es sich beim Schuldner um einen Unternehmer handelt, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Der Vorsteuererstattungsanspruch erstreckt sich allerdings lediglich auf den Teil der Vergütung des Insolvenzverwalters, der dem

___________ 201) So BFH, Urt. v. 21.6.2001 – V R 68/00, BStBl. II 2002, 255 = NZI 2002, 334 ff.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1981; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 251. 202) So Schmittmann, InsbürO 2006, 383 f. 203) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2091. 204) So Dobler, ZInsO 2012, 208, 211; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 268. 205) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2094; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 271. 206) So BFH, Urt. v. 16.1.2007 – VII R 7/06, BStBl. II 2007, 745 ff. = ZIP 2007, 490 ff., dazu EWiR 2007, 311 f. (Beck); BFH, Urt. v. 16.11.2004 – VII R 75/03, BStBl. II 2006, 193 ff. = ZIP 2005, 628 ff. 207) So BFH, Urt. v. 2.11.2010 – VII R 6/10, BStBl. II 2011, 493 ff. = ZIP 2011, 181 ff., dazu EWiR 2011, 87 f. (de Weerth); K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 274.

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unternehmerischen Bereich des Schuldners zuzurechnen ist.208) Der Aufteilungsmaßstab und die Einzelheiten sind umstritten.209) Sowohl der BGH als auch der BFH haben inzwischen – in unterschiedlichen Konstella- 158 tionen – zur Bestimmung der Vorsteuer aus der Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters Stellung genommen. In einer Vergütungsentscheidung hat der BGH festgestellt, dass eine im Hinblick auf die Insolvenzverwaltervergütung erforderliche Aufteilung der Vorsteuern für Leistungsbezüge, die einer wirtschaftlichen und einer nicht wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners dienen, sich nach der Quote der betrieblichen Insolvenzforderungen an den Gesamtverbindlichkeiten richtet.210) Dient ein Insolvenzverfahren sowohl der Befriedigung von Verbindlichkeiten des – zum Vorsteuerabzug berechtigten – Unternehmens wie auch der Befriedigung von Privatverbindlichkeiten des Unternehmers, ist nach Auffassung des BFH der Unternehmer aus der Leistung des Insolvenzverwalters grundsätzlich im Verhältnis der unternehmerischen zu den privaten Verbindlichkeiten, die im Insolvenzverfahren jeweils als Insolvenzforderung geltend gemacht werden, zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt.211) Die Referenzierung sowohl von BGH als auch BFH auf die Verbindlichkeiten des Schuld- 159 ners ist fragwürdig. Zwar dient das Insolvenzverfahren gemäß § 1 Satz 1 InsO der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger. Maßstab für die Berechnung der Insolvenzverwaltervergütung ist allerdings gemäß § 1 Abs. 1 InsVV der Wert der Insolvenzmasse, auf die sich die Schlussrechnung bezieht. Die Insolvenzverwaltervergütung knüpft also gerade nicht an die Passiva, sondern an die Aktiva an. Gleichwohl hält der BFH an seiner Rechtsprechung fest und hat diese für Nachlassinsolvenzverfahren sowie für Insolvenzverfahren über das Vermögen von Personenhandelsgesellschaften bestätigt. Dient ein Insolvenzverfahren über einen Nachlass sowohl der Befriedigung von Verbind- 160 lichkeiten des vormals als Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigten Erblassers wie auch der Befriedigung von dessen Privatverbindlichkeiten, ist der Gesamtrechtsnachfolger aus den Leistungen des Insolvenzverwalters grundsätzlich im Verhältnis der unternehmerischen zu den privaten Verbindlichkeiten, die im Nachlassinsolvenzverfahren jeweils als Insolvenzforderung geltend gemacht werden, zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt.212) Im Insolvenzverfahren einer KG, die ihre Tätigkeit bereits vor Insolvenzeröffnung eingestellt hatte, ist über den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Insolvenzverwalters nach der früheren Unternehmenstätigkeit der KG zu entscheiden.213) Zudem – und dies ist das eigentlich brisante an der Entscheidung – weist der BFH214) zu Recht darauf hin, dass der Insolvenzverwalter seine Leistung erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfah___________ 208) So OFD Münster, Kurzinformation Umsatzsteuer Nr. 9/2011 v. 15.6.2011, DB 2011, 1005. 209) Vgl. FG Nürnberg, Urt. v. 11.5.2010 – 2 K 1513/08, EFG 2010, 1843 ff. m. Anm. Loose; im Revisionsverfahren gegen diese Entscheidung blieb eine Klärung aus, da der BFH (Urt. v. 26.9.2012 – V R 9/11, BFH/NV 2013, 489 f. = ZIP 2013, 325 f., dazu EWiR 2013, 213 [Schmittmann]) den Vorsteuerabzug in vollem Umfang ablehnte, da keine Rechnung, sondern nur der Vergütungsbeschluss des Gerichts vorlag; s. a. FG München, Urt. v. 21.4.2010 – 3 K 3736/07, DStRE 2011, 1411, 1412; Schmittmann, InsbürO 2011, 224 ff. 210) So BGH, Beschl. v. 26.2.2015 – IX ZB 9/13, ZIP 2015, 996 f. = NZI 2015, 388 f. m. Anm. Graeber, dazu EWiR 2015, 353 f. (Zimmer). 211) So BFH, Urt. v. 15.4.2015 – V R 44/14, BStBl. II 2015, 679 ff. = ZIP 2015, 1237 ff. m. Anm. Kahlert = NZI 2015, 625 ff. m. Anm. de Weerth, dazu EWiR 2015, 489 f. (Schmittmann). 212) So BFH, Urt. v. 21.10.2015 – XI R 28/14, ZIP 2016, 731 ff. = NZI 2016, 370 ff.; Vorinstanz: FG Köln, Urt. v. 9.5.2014 – IV K 2584/13, EFG 2014, 1726 ff. = ZIP 2014, 1796 ff. 213) So BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/15, ZIP 2016, 631 ff. = NZI 2016, 372 ff., dazu EWiR 2016, 245 f. (Schmittmann); Vorinstanz: FG Köln, Urt. v. 29.1.2015 – 7 K 25/13, EFG 2015, 1397 ff. = ZIP 2015, 1241 ff., dazu EWiR 2015, 491 f. (Onusseit). 214) BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/15, ZIP 2016, 631 = NZI 2016, 372 ff.

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rens erbracht hat. Daher kommt ein Vorsteuerabzug bereits im Insolvenzverfahren nur nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 UStG in Betracht. Dort heißt es: „Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist.“ 161 In der Praxis wird es daher erforderlich sein, zunächst eine Vorschussrechnung nach Maßgabe des Vergütungsantrages zu stellen. Es ist allerdings darauf zu achten, dass die Entnahme des Betrages aus der Insolvenzmasse und somit die Zahlung erst erfolgen darf, wenn der Vergütungsbeschluss des Insolvenzgerichts rechtskräftig geworden ist. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens führt dann dazu, dass die Leistung des Insolvenzverwalters vollständig erbracht ist. Erst dann kann die Abschlussrechnung erteilt werden, so dass der Vorgang endgültig buchhalterisch abgeschlossen werden kann. Es ergeben sich zwar hinsichtlich der Vorsteuerbeträge keine Auswirkungen, allerdings ist der administrative Aufwand ungleich höher als bisher.215) 162 Wird der Vorsteuervergütungsanspruch nicht vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens eingezogen, so besteht die Gefahr, dass die Finanzverwaltung mit Insolvenzforderungen aufrechnet. Der Insolvenzverwalter wird daher dafür zu sorgen haben, dass eine Nachtragsverteilung angeordnet wird.216) 163 Streitig ist, ob aus der Vergütung des Kassenprüfers, der vom Gläubigerausschuss eingesetzt worden ist, der Vorsteuerbetrag geltend gemacht werden kann.217) 164 Auf die Vorsteuer aus der Vergütung des Schlussrechnungsprüfers wird unten in § 37 Rz. 22 [Schmittmann] eingegangen. 4.4.2 Vorsteuerberichtigung 165 Von besonderer Bedeutung ist die Vorsteuerberichtigung wegen x

Änderung der maßgeblichen Verhältnisse (§ 15a UStG) und

x

die Vorsteuerberichtigung wegen Änderung der Bemessungsgrundlage (§ 17 UStG).

166 Gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG ist eine Berichtigung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs erforderlich, wenn sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet wird, innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die maßgeblichen Verhältnisse ändern. Der Berichtigungszeitraum verlängert sich gemäß § 15a Abs. 1 Satz 2 UStG bei Grundstücken einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile auf zehn Jahre. 167 Die Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a UStG ist haftungsträchtig, da sowohl ein Insolvenzverwalter218) als auch ein Zwangsverwalter219) den Berichtigungstatbestand dadurch auslösen können, dass eine bisher unter Option zur Umsatzsteuer an einen anderen Unternehmer vermietete Immobilie nunmehr an einen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Mieter vermietet wird.

___________ Vgl. dazu Schmittmann, EWiR 2016, 245, 246. So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 277. Vgl. Kahlert, DStR 2011, 2439, 2440; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 278. So BFH, Urt. v. 9.2.2011 – XI R 35/09, BStBl. II 2011, 1000 ff. = ZIP 2011, 1122 ff., dazu EWiR 2011, 471 f. (de Weerth); K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 282. 219) So BFH, Beschl. v. 28.6.2011 – XI B 18/11, ZIP 2011, 2018 f. = ZfIR 2011, 667 f., s. a. Anm. Wedekind, ZfIR 2011, 648 ff.; vgl. Schmidtberger, ZfIR 2011, 786 ff.; Schmittmann/Brandau/Stroh, IGZInfo 2012, 3, 7 f.

215) 216) 217) 218)

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

Beispiel: Findet z. B. zunächst eine Vermietung an ein Ingenieurbüro statt und wird nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Auszug des Ingenieurbüros ein Mietvertrag mit einem Arzt abgeschlossen, liegt eine Änderung der maßgeblichen Verhältnisse vor. Der Berichtigungstatbestand des § 15a UStG wird darüber hinaus ausgelöst, wenn der Insolvenzverwalter ein Grundstück durch freihändigen Verkauf veräußert und nicht zur Umsatzsteuer optiert, obwohl beim Erwerb seitens des schuldnerischen Unternehmers zur Umsatzsteuer optiert worden war.220) Beruht die Berichtigung nach § 15a UStG auf einer Maßnahme des Insolvenzverwalters 168 i. R. der Verwaltung und Verwertung der Masse, ist unabhängig von der Rechtsprechung des BFH221) der Berichtigungsanspruch Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da es sich bei der Vorsteuerberichtigung materiell-rechtlich um einen gegenüber dem Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG eigenständigen Tatbestand handelt.222) Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG ist bei dem leistenden Unternehmer die geschuldete 169 Umsatzsteuer zu berichtigen, wenn sich die Bemessungsgrundlage geändert hat. Beim Leistungsempfänger ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG der Vorsteuerabzug zu berichtigen. Dies gilt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut 170 zu berichtigen. Uneinbringlichkeit ist gegeben, wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann.223) Uneinbringlichkeit liegt nicht erst bei Zahlungsunfähigkeit vor, sondern bereits dann, wenn der Leistungsempfänger das Bestehen der Forderung substantiiert bestreitet.224) Für den Insolvenzverwalter ist zu unterscheiden, ob es sich um Forderungen handelt, 171 die vorinsolvenzlich entstanden sind, oder ob es sich um Forderungen handelt, die i. R. einer Fortführung des Geschäftsbetriebes des schuldnerischen Unternehmens entstanden sind. Da der BFH annimmt, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich der Forderungen, die vorinsolvenzlich entstanden sind, Uneinbringlichkeit eintritt, ist mit Insolvenzeröffnung eine Berichtigung vorzunehmen und im Falle des erfolgreichen Einziehens der Forderung eine erneute Berichtigung erforderlich, die dann freilich zum Entstehen einer Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO führt.225) Der Insolvenzverwalter hat allerdings zu prüfen, ob nicht ggf. bereits vorher Uneinbringlichkeit eingetreten ist, z. B. weil auf Seiten des Leistungsempfängers Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist oder dieser er substantiiert Mängel gerügt hat. Entscheidend ist, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht worden ist.226) ___________ 220) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2146; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 281. 221) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner). 222) So BFH, Urt. v. 8.3.2012 – V R 24/11, BStBl. II 2012, 466 ff. = ZIP 2012, 684 ff., dazu EWiR 2012, 289 f. (Schmittmann). 223) So BFH, Urt. v. 20.7.2006 – V R 13/04, BStBl. II 2007, 22 ff. = DStR 2006, 1699 f. 224) So BFH, Urt. v. 8.3.2012 – V R 49/10, BFH/NV 2012, 1665 ff. = StuB 2012, 723. 225) So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner). 226) So BFH, Urt. v. 25.7.2012 – VII R 29/11, BStBl. II 2013, 36 f. = ZIP 2012, 2217 = UR 2012, 927 ff. m. Anm. Marchal.

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172 In Insolvenzverfahren, in denen die Rechtsprechung des BFH227) nicht anwendbar ist, also die ab dem 1.1.2012 eröffnet worden sind, ergibt sich für den Insolvenzverwalter konkreter Handlungsbedarf. Es reicht nicht aus, bei einem gescheiterten Forderungseinzug die Forderung auszubuchen. Es ist vielmehr erforderlich, den genauen Zeitpunkt festzustellen, an dem rechtlich der Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht worden ist. Da nach der neueren Rechtsprechung des BFH der Zeitpunkt der Anmeldung unbeachtlich ist, sondern es auf die materiell-rechtliche Uneinbringlichkeit ankommt,228) ist bei einem „Uneinbringlichwerden“ nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners der Berichtigungsanspruch gemäß § 17 Abs. 2 UStG erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden, so dass er von der Finanzverwaltung nicht mit Steuerforderungen i. S. von § 38 InsO aufgerechnet werden darf.229) 173 Für Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2012 eröffnet worden sind, hat diese Rechtsprechung keine Bedeutung, da ohnehin mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Berichtigung gemäß § 17 UStG zu erfolgen hat.230) Hinsichtlich der Berichtigung der Vorsteuer gemäß § 17 UStG bei Forderungen, die i. R. der Fortführung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter entstanden sind, ergeben sich Besonderheiten nicht. 174 In Insolvenzverfahren, in denen ab dem 1.1.2015 Sicherungsmaßnahmen angeordnet worden sind, ist nach der Rechtsprechung des BFH231) zu verfahren (siehe dazu oben Rz. 149). 175 Die Quotenzahlung im Insolvenzverfahren führt zu einer neuerlichen Berichtigung.232) Die Quotenzahlung ist auf Seiten des Leistungserbringers und des Leistungsempfängers zu berücksichtigen, so dass im Falle der Quotenzahlung im Insolvenzverfahren auf der Ebene der Insolvenzmasse ein Vorsteuererstattungsanspruch entsteht.233) 176 Hinsichtlich der Berichtigung i. R. von Organschaften wird auf Rechtsprechung und Literatur verwiesen.234) 4.5

Besteuerung

177 Besteuerungszeitraum ist gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 UStG das Kalenderjahr. Der Besteuerungszeitraum wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht unterbrochen.235) 178 Gemäß § 46 Satz 1 UStDV hat das Finanzamt dem Unternehmer auf Antrag für die Abgabe der Voranmeldungen und für die Entrichtung der Vorauszahlungen eine sog. Dauerfristverlängerung um einen Monat zu gewähren. Der Antrag wird abgelehnt oder eine gewährte Fristverlängerung widerrufen, wenn der Steueranspruch gefährdet ist, § 46 Satz 2 UStDV. ___________ 227) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782, dazu EWiR 2011, 323 (Mitlehner). 228) So BFH, Urt. v. 25.7.2012 – VII R 29/11, BStBl. II 2013, 36 f. = ZIP 2012, 2217 ff. 229) So Schmittmann, StuB 2012, 874 f. 230) So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner). 231) BFH, Urt. v. 24.9.2014 – V R 48/13, BStBl. II 2015, 506 ff. = ZIP 2014, 2451 ff., dazu EWiR 2015, 19 f. (Schmittmann). 232) So BFH, Urt. v. 22.10.2009 – V R 14/08, BStBl. II 2011, 988 ff. = ZIP 2010, 383 ff., dazu EWiR 2010, 227 f. (Kahlert), s. a. NZI 2010, 272 ff. m. Anm. de Weerth. 233) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2124; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 286. 234) Vgl. BFH, Beschl. v. 5.12.2008 – V B 101/07, BFH/NV 2009, 432 f.; Niedersächsisches FG, Urt. v. 4.3.2010 – 16 K 305/08, EFG 2010, 1259 ff.; Hölzle, DStR 2006, 1210 ff.; Lemken, InsbürO 2012, 417 ff.; Schmittmann, ZSteu 2007, 191 ff.; Trinks, UVR 2010, 12 ff. 235) So BFH, Urt. v. 16.12.2008 – VII R 17/08, BStBl. II 2010, 91 ff. = ZIP 2009, 1290 f.; BFH, Urt. v. 6.11.2002 – V R 21/02, BStBl. II 2003, 39 ff. = ZIP 2003, 83 f.; BFH, Urt. v. 18.7.2002 – V R 56/01, BStBl. II 2002, 705 ff. = ZIP 2003, 85 ff.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

Die Bewilligung der Dauerfristverlängerung hängt davon ab, dass der Unternehmer eine Sondervorauszahlung gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 UStG leistet. Das weitere Verfahren ergibt sich aus § 48 UStDV. Spätestens mit Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Steuer- 179 anspruch gefährdet, so dass die Finanzverwaltung die Dauerfristverlängerung widerruft. Die Sondervorauszahlung wird für den letzten Voranmeldungszeitraum, für den die 180 Fristverlängerung gilt, angerechnet. Soweit ein nicht verbrauchter Betrag verbleibt, so wird dieser nicht erstattet, sondern mit der Jahressteuer verrechnet. Ein Erstattungsanspruch entsteht nur dann, wenn die Sondervorauszahlung auch durch die Verrechnung mit der Jahressteuer nicht verbraucht ist.236) Die Umsatzsteuer gehört zu den sog. Selbstberechnungssteuern, so dass der Unternehmer 181 bis zum zehnten Tag nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraums eine Voranmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung nach Maßgabe der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung zu übermitteln hat, in der er die Steuer für den Voranmeldungszeitraum (Vorauszahlung) selbst zu berechnen hat (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG). Das Kalendervierteljahr ist grundsätzlich Voranmeldungszeitraum (§ 18 Abs. 2 Satz 1 182 UStG). Nimmt der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf, ist im laufenden und folgenden Kalenderjahr Voranmeldungszeitraum der Kalendermonat (§ 18 Abs. 2 Satz 4 UStG). Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Finanzamt den Unternehmer von der Verpflichtung zur Abgabe der Voranmeldungen befreien, so dass er lediglich noch die Jahreserklärung abzugeben hat (§ 18 Abs. 2 UStG). Unternehmer, deren Umsatz im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 € nicht überstiegen 183 hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 € voraussichtlich nicht übersteigen wird, werden als Kleinunternehmer i. S. von § 19 Abs. 1 UStG angesehen, so dass für deren Umsätze Umsatzsteuer nicht erhoben wird. Der Kleinunternehmer ist weder berechtigt, Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen noch Vorsteueransprüche aus den Rechnungen anderer Unternehmer geltend zu machen. Der Kleinunternehmer hat ein Optionsrecht gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 UStG. Er kann bis 184 zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung erklären, dass er auf die Anwendung von § 19 Abs. 1 UStG verzichtet. Daran ist der Unternehmer für mindestens fünf Kalenderjahre gebunden, § 19 Abs. 2 Satz 2 UStG. Nach Verfahrenseröffnung ist der Insolvenzverwalter befugt, über den Verzicht auf die Steuerbefreiung zu entscheiden.237) Ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und einer ggf. erfolgten Freigabe des Schuldners nach Verfahrenseröffnung besteht die Unternehmenseinheit im umsatzsteuerlichen Sinne fort, so dass die Option gemäß § 19 Abs. 1 UStG nur einheitlich ausgeübt werden kann.238) In der Regel ist ein Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung i. R. der Fortführung des Unternehmens zweckmäßig, da sodann die Möglichkeit besteht, den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen anderer Unternehmen in Anspruch zu nehmen. 5.

Gewerbesteuer

5.1

Grundlagen

Der Status des Schuldners als Gewerbetreibender geht nicht durch die Eröffnung des In- 185 solvenzverfahrens verloren. Bei Einzelgewerbetreibenden und Personenhandelsgesellschaften bleibt die Eigenschaft als Gewerbetreibender und damit die Gewerbesteuerpflicht bis zur ___________ 236) So BFH, Urt. v. 16.12.2008 – VII R 17/08, BStBl. II 2010, 91 ff. = ZIP 2009, 1290 f. 237) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 307. 238) So BFH, Urt. v. 20.12.2012 – V R 23/11, ZIP 2013, 469 f. (Vorinstanz: Sächsisches FG, Urt. v. 11.5.2011 – 2 K 535/10, EFG 2012, 1204 ff. m. Anm. Büchter/Hole).

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Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

vollständigen Beendigung der werbenden Tätigkeit des Betriebes bestehen.239) Wird über das Vermögen eines Einzelgewerbetreibenden oder einer Personenhandelsgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und führt der Insolvenzverwalter den Betrieb fort, so ändert sich an der Gewerbesteuerpflicht nichts. 186 Wird der Geschäftsbetrieb eingestellt, bleibt die Gewerbesteuerpflicht bis zur Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlagen bestehen, wobei die Veräußerung des Anlagevermögens und die damit einhergehende Aufdeckung stiller Reserven nicht mehr der Gewerbesteuerpflicht unterliegt.240) 187 Kapitalgesellschaften, Genossenschaften sowie Versicherungs- und Pensionsfondvereine auf Gegenseitigkeit sind gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG für die gesamte Dauer ihrer Existenz rechtsformabhängig gewerbesteuerpflichtig. Die Gewerbesteuerpflicht endet erst dann, wenn das gesamte Vermögen der Gesellschaft verteilt worden ist.241) 188 Gemäß § 18 GewStG entsteht die Gewerbesteuer, soweit es sich nicht um Vorauszahlungen (§ 21 GewStG) handelt, mit Ablauf des Erhebungszeitraums, für den die Festsetzung vorgenommen wird. Die Vorauszahlungen sind gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG am 15.2., 15.5., 15.8. und 15.11. zu entrichten. 189 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbricht den Veranlagungszeitraum nicht, so dass auch für das Jahr der Insolvenzeröffnung ein einheitlicher Messbescheid ermittelt wird. Für die Zeit vor und nach der Insolvenzeröffnung wird eine gemeinsame Veranlagung durchgeführt, allerdings ist eine Aufteilung erforderlich.242) 5.2

Abgrenzung Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten und insolvenzfreie Verbindlichkeiten

190 Für das Jahr der Insolvenzeröffnung ist eine Aufteilung nach § 38 InsO und § 55 InsO erforderlich. Für die Aufteilung sind die allgemeinen insolvenzrechtlichen Grundsätze anwendbar:243) x

Soweit die Abschlusszahlung des Jahres der Insolvenzeröffnung vor der Insolvenzeröffnung begründet war, handelt es sich um eine Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO.

x

Eine Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO) liegt vor, wenn die Abschlusszahlung danach begründet war.244)

x

Für einen bei Insolvenzeröffnung bereits beendeten Veranlagungszeitraum ist die Abschlusszahlung gemäß § 41 InsO abgezinst als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden.245)

191 Die Gewerbesteuervorauszahlungen gemäß § 19 GewStG sind nach vorstehenden Grundsätzen zu behandeln. Es handelt sich bei den Vorauszahlungen um Insolvenzforderungen, soweit das Insolvenzverfahren nach dem Beginn des Voranmeldungszeitraums eröffnet ___________ 239) Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 190; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1856. 240) So BFH, Urt. v. 20.4.1980 – IV R 68/77, BStBl. II 1980, 658 ff. = ZIP 1980, 795 f.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1857. 241) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1859; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 190; Roth, Insolvenzsteuerrecht, Rz. 4.556. 242) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 318. 243) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1852. 244) Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 193; Roth, Insolvenzsteuerrecht, Rz. 4.549; K. SchmidtSchmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 319. 245) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1885; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 194; Wipperfürth/Schmittmann, InsbürO 2014, 471 ff.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

worden ist. Im laufenden Insolvenzverfahren sind die Vorauszahlungen gemäß § 19 Abs. 3 GewStG anzupassen.246) Die Finanzverwaltung darf der hebeberechtigten Gemeinde nach Eröffnung des Insol- 192 venzverfahrens nur noch eine formlose Mitteilung über den Gewerbesteuermessbetrag zur Verfügung stellen. Ein Gewerbesteuermessbescheid darf nicht mehr ergehen. Ergeht er trotzdem, so ist er unwirksam.247) 5.3

Gewerbeertrag in der Insolvenz

Gewerbeertrag ist der nach den Vorschriften des EStG oder des KStG zu ermittelnde 193 Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum (§ 14 GewStG) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge (§ 7 Satz 1 GewStG). Hinsichtlich der Hinzurechnungen (§ 8 GewStG) und der Kürzungen (§ 9 GewStG) ist auf das Gesetz und weiterführendes Schrifttum zu verweisen. Der Gewerbeertrag, der bei einem in der Abwicklung befindlichen Gewerbebetrieb i. S. des 194 § 2 Abs. 2 GewStG im Zeitraum der Abwicklung entstanden ist, ist gemäß § 16 Abs. 1 GewStDV auf die Jahre des Abwicklungszeitraums zu verteilen. Dies gilt gemäß § 16 Abs. 2 GewStDV entsprechend, wenn über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Die Regelung des § 16 Abs. 4 EStG (Besteuerung des Veräußerungsgewinns) ist auf Li- 195 quidationsgewinne einer Kapitalgesellschaft sowohl bei der Ermittlung des körperschaftssteuerpflichtigen Einkommens als auch bei der Ermittlung des Gewerbeertrags i. S. von § 7 GewStG anzuwenden.248) Der Ertrag des Liquidationszeitraums ist zeitanteilig auf die einzelnen Jahre des Abwick- 196 lungszeitraums zu verteilen. Die Anzahl der Kalendermonate, für die in dem jeweiligen Jahr die Gewerbesteuerpflicht bestand, ist mit der Gesamtzahl der Kalendermonate des Zeitraums, in dem die Steuerpflicht während des Insolvenzverfahrens bestand, mit der Gesamtzahl der Kalendermonate des Zeitraums, in dem die Steuerpflicht während des Insolvenzverfahrens bestand, ins Verhältnis zu setzen.249) Hinsichtlich der gewerbesteuerlichen Organschaft in der Insolvenz ist auf Spezialliteratur 197 zurückzugreifen.250) 5.4

Erlass von Gewerbesteuerverbindlichkeiten

Sanierungsgewinne waren bis zum 31.12.1997 gemäß § 3 Nr. 66 EStG a. F., § 8 Abs. 1 198 KStG und § 7 GewStG steuerfrei. Die durch den Wegfall dieser Bestimmungen ausgelöste Unsicherheit wurde vom BMF im Verwaltungswege versucht zu beseitigen.251) Das BMF ordnet an, dass die Gemeinden unter Berücksichtigung einer „Ermessensreduzierung auf

___________ 246) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1886. 247) So BFH, Urt. v. 2.7.1997 – I R 11/97, BStBl. II 1998, 428 ff. = ZIP 1997, 2160 ff.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1893. 248) So BFH, Urt. v. 8.5.1991 – I R 33/90, BStBl. II 1992, 437 ff. = BB 1991, 2358 ff. 249) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1867; Roth, Insolvenzsteuerrecht, Rz. 4.552; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 325. 250) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1870. 251) So BMF, Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240 ff.; vgl. Schmittmann, ZInsO 2003, 505 ff.; Uhländer, ZInsO 2005, 76 f.; Gerbers, ZInsO 2006, 633 ff.

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null“ Gewerbesteuer auf Sanierungsgewinne zu erlassen haben. Tatsächlich steht dem BMF allerdings keinerlei Anordnungskompetenz gegenüber Gemeinden zu.252) 199 Zutreffend ist daher bei jeder einzelnen Gemeinde ein Stundungs- und Erlassantrag zu stellen, was freilich gerade in Insolvenzplanverfahren von größeren Unternehmen zu praktischen Schwierigkeiten führt, da eine Vielzahl von Gemeinden beteiligt werden muss. Jede Gemeinde muss in eigener Zuständigkeit prüfen, ob ein Sanierungsgewinn vorliegt und Erlassgründe bestehen.253) 200 Durch das Zollkodex-Anpassungsgesetz254) wurde § 184 Abs. 2 AO geändert. Nunmehr schließt die Befugnis, Realsteuermessbeträge festzusetzen, auch die Befugnis zu Maßnahmen nach § 163 Satz 1 AO ein, soweit für solche Maßnahmen in einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, der Obersten Bundesfinanzbehörde oder einer Obersten Landesfinanzbehörde Richtlinien aufgestellt worden sind. Eine Maßnahme nach § 163 Satz 2 AO wirkt, soweit sie die gewerblichen Einkünfte als Grundlage für die Festsetzung der Steuer vom Einkommen beeinflusst, auch für den Gewerbeertrag als Grundlage für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages. Der Gesetzgeber hatte mit dieser Regelung beabsichtigt, auch BMF-Schreiben wie z. B. den „Sanierungserlass“ zur Grundlage von Billigkeitsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gewerbesteuer zu machen. Nach Auffassung einiger Bundesländer normiert allerdings der „Sanierungserlass“ keine Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Abs. 1 AO, so dass die Änderung des § 184 Abs. 2 Satz 1 AO zu keiner Änderung der Zuständigkeit der Gemeinden für Billigkeitsmaßnahmen zur Gewerbesteuer bei Sanierungsgewinnen geführt hat.255) 201 Eine Kommune kann einen auf sachliche Unbilligkeit nach § 227 AO gestützten Antrag auf Erlass der auf einem Sanierungsgewinn beruhenden Gewerbesteuer ermessenfehlerhaft mit der Begründung ablehnen, dass der Gesetzgeber mit der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a. F. eine Härte für den Steuerpflichtigen bewusst in Kauf genommen habe. Eine Bindung an den „Sanierungserlass“ besteht für die Gemeinden nicht.256) 5.5

Aufrechnung durch die Gemeinde

202 Sofern der Schuldner aufgrund von Vorauszahlungsbescheiden zu viel Gewerbesteuer geleistet hat, hat der Insolvenzverwalter gegen die Gemeinde einen Anspruch auf vollständige oder teilweise Rückerstattung. Sofern die Gemeinde eine Aufrechnung erklärt, ist insbesondere unter Berücksichtigung von § 96 Abs. 1 InsO zu prüfen, ob die Aufrechnung insolvenzrechtlich zulässig ist.257) 6.

Kraftfahrzeugsteuer

6.1

Grundlagen

203 Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG unterliegt u. a. das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen der vom Hauptzollamt verwalteten Kraftfahrzeug___________ 252) So BFH, Urt. v. 25.4.2012 – I R 24/11, BFHE 237, 403 ff. = ZIP 2012, 1571 f.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1871; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 327. 253) So OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.2.2008 – 9 S 38/07, Rz. 7, juris; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 328. 254) Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften – Zollkodex-Anpassungsgesetz, v. 22.9.2014, BGBl. I 2014, 2417 ff. 255) So OFD Nordrhein-Westfalen, Kurzinformation v. 6.2.2015 – Gewerbesteuer Nr. 02/2015, DB 2015, 345 = ZInsO 2015, 675; dazu Vogel/Schlüter, DB 2015, 344 f. 256) So VG Münster, Urt. v. 21.5.2014 – 9 K 1251/11, ZInsO 2014, 1817. 257) Vgl. Roth, Insolvenzsteuerrecht Rz. 4.558; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 329.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 36

steuer. Die Steuer ist gemäß § 11 Abs. 1 KraftStG für die Dauer eines Jahres im Voraus zu entrichten. Die Steuer wird, wenn der Zeitpunkt der Beendigung der Steuerpflicht nicht feststeht, unbefristet, in allen anderen Fällen für einen bestimmten Zeitraum oder tageweise, festgesetzt, § 12 Abs. 1 Satz 1 KraftStG. Da die Kraftfahrzeugsteuer taggenau berechnet und festgesetzt werden kann, stellt die 204 Aufteilung in Insolvenzforderungen i. S. von § 38 InsO und Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 InsO vergleichsweise wenig Probleme.258) Die Finanzverwaltung teilt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Kraftfahrzeugsteuer- 205 schuld in einen vor- und nachinsolvenzlichen Teil auf. Sofern der Schuldner die Kraftfahrzeugsteuer vorausgezahlt hat, entsteht für die Tage nach Verfahrenseröffnung ein Erstattungsanspruch, gegen den das Finanzamt mit Insolvenzforderungen aufrechnen kann.259) 6.2

Nutzung oder Neuanmeldung des Fahrzeugs durch den Insolvenzverwalter

Ist ein Fahrzeug Teil der Insolvenzmasse, so ist die nach Insolvenzeröffnung entstehende 206 Kraftfahrzeugsteuer Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.260) x

Eine Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse und damit eine Kraftfahrzeugsteuerschuld als Masseverbindlichkeit ist gegeben, wenn der Insolvenzverwalter das Fahrzeug für die Insolvenzmasse weiter nutzt oder ggf. i. R. der Fortführung des Geschäftsbetriebs neue Fahrzeuge anschafft.261)

x

Keine Masseverbindlichkeit liegt vor, wenn das Fahrzeug Zubehör eines unter Zwangsverwaltung stehenden Grundstücks ist. In diesem Falle ist die Kraftfahrzeugsteuer gegenüber dem Zwangsverwalter festzusetzen.262)

x

Keine Massezugehörigkeit liegt originär vor, wenn der Gegenstand bereits im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung unpfändbar ist, z. B. weil der Schuldner des Gegenstandes bedarf, um seine Erwerbstätigkeit i. S. des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO fortsetzen zu können. Dies ist dann der Fall, wenn der Schuldner als Arbeitnehmer keine andere zumutbare Möglichkeit hat, zu seiner Arbeits- oder Ausbildungsstätte zu gelangen.263)

Die Freigabe einer selbständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO hat auf den Rechts- 207 status der vom Schuldner zur Fortsetzung oder Aufnahme der Tätigkeit verwendeten Gegenstände keinen Einfluss.264) In der Regel wird der Insolvenzverwalter allerdings eine selbständige Tätigkeit des Schuldners nur dann freigeben, wenn der Schuldner diese Tätigkeit mit Gegenständen ausüben kann, die ohnehin nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegen, sondern gemäß § 36 Abs. 1 InsO i. V. m. § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbar sind. 6.3

Veräußerung eines Fahrzeugs durch den Insolvenzverwalter

Veräußert der Insolvenzverwalter ein Fahrzeug, das zur Insolvenzmasse gehört, so endet 208 die Steuerpflicht für die Insolvenzmasse gemäß § 5 Abs. 5 KraftStG in dem Zeitpunkt, in ___________ 258) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 350. 259) So BFH, Urt. v. 16.11.2004 – VII R 62/03, BStBl. II 2005, 309 ff. = ZVI 2005, 134 ff. = NZI 2005, 279 m. Anm. Gundlach/Frenzel; vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2536; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 352. 260) So BFH, Urt. v. 8.9.2011 – II R 54/10, BStBl. II 2012, 149 ff. = ZIP 2012, 42 f.; BFH, Urt. v. 13.4.2011 – II R 49/09, ZIP 2011, 1728 ff. = ZVI 2011, 420 ff. 261) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2533; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 351. 262) So BFH, Urt. v. 1.8.2012 – II R 28/11, ZIP 2012, 2306 ff. 263) So BFH, Urt. v. 13.4.2011 – II R 49/09, ZIP 2011, 1728 ff. = ZVI 2011, 420 ff. 264) So BFH, Urt. v. 8.9.2011 – II R 54/10, BStBl. II 2012, 149 ff. = ZIP 2012, 42 f.

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§ 36

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

dem die verkehrsrechtlich vorgeschriebene Veräußerungsanzeige bei der Zulassungsbehörde eingeht, spätestens mit der Aushändigung des neuen Fahrzeugscheins an den Erwerber. Um diese Unsicherheiten zu vermeiden erscheint es zweckmäßig, dass der Insolvenzverwalter bereits vor der Veräußerung des Fahrzeugs eine Außerbetriebsetzung vornimmt, womit ebenfalls die Kraftfahrzeugsteuerpflicht für die Insolvenzmasse gemäß § 5 Abs. 4 KraftStG endet. 209 Allein die Mitteilung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders an das Straßenverkehrsamt, dass ein Fahrzeug nicht zur Insolvenzmasse gezogen werde, beendet nach Auffassung des BFH die Steuerschuldnerschaft der Insolvenzmasse nicht. Erst die Mitteilung nach §§ 13, 14 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) beendet die unwiderlegliche Haltervermutung nach dem KraftStG.265) 210 Besonderheiten ergeben sich bei der Verwertung des Fahrzeugs gemäß § 314 InsO im vereinfachten Insolvenzverfahren.266) 6.4

Behandlung insolvenzfreier Fahrzeuge

211 Zutreffender Weise ist hier zu differenzieren: x

Handelt es sich um insolvenzfreie Fahrzeuge, weil Unpfändbarkeit gemäß § 36 Abs. 1 InsO i. V. m. § 811 Abs. 1 ZPO vorliegt, besteht von Anfang an keine Massezugehörigkeit, so dass zu keinem Zeitpunkt eine Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entstehen kann. Die Finanzverwaltung hat daher Bescheide ausschließlich an den Schuldner zu richten. Auf eine eventuelle Mitteilung an die Straßenverkehrsbehörde kommt es ebenso wenig an wie eine Mitteilung an das Finanzamt.

x

Hat der Insolvenzverwalter festgestellt, dass ein Überschuss bei der Verwertung über die Kosten der Zwangsvollstreckung nicht zu erwarten ist (§ 803 Abs. 2 ZPO) besteht ebenfalls keine Massezugehörigkeit, allerdings erst ab dem Zeitpunkt der Feststellung durch den Insolvenzverwalter, die dem Finanzamt und der Straßenverkehrsbehörde mitzuteilen ist. Die Feststellung des Insolvenzverwalters wirkt nur für die Zukunft.

___________ 265) So BFH, Beschl. v. 10.3.2010 – II B 172/09, ZIP 2010, 1302 f. = ZVI 2010, 307 ff. 266) Vgl. dazu Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2553; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 358 f.

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§ 37 Externe Schlussrechnungsprüfung Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Anordnung der externen Schlussrechnungsprüfung ...................................... 4 III. Auswahl des Schlussrechnungsprüfers...... 15

IV. Ort der Durchführung der Schlussrechnungsprüfung .................................... 21 V. Kosten der Schlussrechnungsprüfung ... 24

Literatur: Bähner, Die Prüfung der Schlußrechnung des Konkursverwalters, KTS 1991, 347; Bähner/ Berger/Braun, Die Schlußrechnung des Konkursverwalters, ZIP 1993, 1283; Braun/Heinrich, Auf dem Weg zu einer (neuen) Insolvenzplankultur in Deutschland – Ein Beitrag zu dem Regierungsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, NZI 2011, 505; Eisner, Vergabe an Dritte hat gewisse Präventivwirkung, INDat-Report 06/2015, 20; Graeber, Th./Graeber, A., Zur Zulässigkeit der Beauftragung externer Schlussrechnungsprüfer durch Insolvenzgerichte, NZI 2014, 298; Hebenstreit, Prüfung der Schlussrechnungen durch das Insolvenzgericht, ZInsO 2013, 276; Heyrath, Die Prüfung der Schlussrechnung (Teil 1), ZInsO 2005, 1092; Jakob, Standardisiertes Outsourcing ist rechts- und verfassungswidrig, INDat-Report 06/2015, 13; Kahlert, Umsatzsteuerliche Behandlung der Einschaltung eines externen Kassenprüfers im Insolvenzverfahren, DStR 2011, 2439; Lissner, Die Übertragung der Schlussrechnungsprüfung auf Sachverständige, ZInsO 2015, 1184; Lissner, Nur aus besonderem Anlass im Einzelfall, INDat-Report 06/2015, 19; Madaus, Grundlage und Grenzender Bestellung von Sachverständigen in der gerichtlichen Schlussrechnungsprüfung, NZI 2012, 119; Reuter, Handlungsreisender in Sachen Insolvenz, INDat-Report 09/2012, 34; Schirmer, Kosten für einen externen Kassenprüfer im Insolvenzverfahren – Auslagen oder Masseverbindlichkeit nach § 55 InsO?, DStR 2012, 733; Schmittmann, Vergabe muss absolute Ausnahme bleiben, INDat-Report 06/2015, 16; Schmittmann, Grenzen der Auslagerung der Schlussrechnungsprüfung auf Dritte, in: Festschrift für Bruno M. Kübler, 2015, S. 645; Schreiber, Die Prüfung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters durch Sachverständige, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 337; Vierhaus, Zur Verfassungswidrigkeit der Übertragung von Rechtspflegeraufgaben auf Private, ZInsO 2008, 521; Weber, Der risikoorientierte Prüfungsansatz bei Schlussrechnungsprüfungen, RPfleger 2007, 523; Weitzmann, Rechnungslegung und Schlussrechnungsprüfung, ZInsO 2007, 449.

I.

Einleitung

Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 InsO bei der Beendigung seines Amtes 1 einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen. Die als Tätigkeitsbericht anzusehende Schlussrechnung besteht aus x

einer Einnahme-Überschussrechnung,

x

ggf. einer Insolvenzschlussbilanz,

x

dem Schlussverzeichnis und

x

dem Schlussbericht, der ein vollständiges Bild der gesamten Tätigkeit des Verwalters geben muss.1)

Das Insolvenzgericht prüft vor der abschließenden Gläubigerversammlung gemäß § 66 Abs. 2 2 Satz 1 InsO die Schlussrechnung des Verwalters. Schon aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass es grundsätzlich die Aufgabe des Gerichts ist, die Schlussrechnung des Verwalters zu prüfen, bevor sie zur Einsicht der Beteiligten gemäß § 66 Abs. 2 Satz 2 InsO ausgelegt wird. Im Insolvenzplanverfahren kann seit Inkrafttreten des ESUG gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 3 InsO eine abweichende Regelung getroffen werden. Das Erfordernis einer Schlussrechnungslegung wird zur Disposition der Beteiligten gestellt.2) ___________ 1) Vgl. im Einzelnen Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 5. 2) Vgl. Thies in: HambKomm-InsO, § 258 Rz. 8; K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 32; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 513.

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§ 37 II.

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung Anordnung der externen Schlussrechnungsprüfung

4 Aus dem Gesetz ergibt sich ohne weiteres, dass die Prüfungspflicht dem Gericht obliegt. Zuständig ist gemäß §§ 3 Nr. 2 lit. e, 18 RPflG im eröffneten Verfahren der Rechtspfleger, während für die Prüfung der Rechnungslegung des vorläufigen Verwalters gemäß § 6 RPflG der Richter zuständig ist.3) 5 Obwohl die Prüfung der Schlussrechnungslegung originäre Aufgabe des Gerichts („Kernbereich“) ist,4) kann ein Sachverständiger zur Prüfung der Schlussrechnungslegung bestellt werden, wenn dem Gericht die Sachkunde fehlt.5) Dies enthebt den Rechtspfleger allerdings nicht von seiner eigenen Prüfungspflicht.6) 6 Dem Sachverständigen darf allerdings lediglich die rechnerische Prüfung der Schlussrechnung übertragen werden.7) Soweit zum Teil vertreten wird, dass auch die rechtliche Prüfung dem Sachverständigen aufgegeben werden darf,8) so ist dieser Auffassung nicht zu folgen, da ein Sachverständiger durch das Gericht nur dann bestellt werden kann, wenn dem Gericht die eigene Fachkunde fehlt, was bei Rechtsfragen, sofern es sich nicht um ausländisches Recht handelt, nicht gegeben sein kann. Im Übrigen darf das Gericht auch Wertentscheidungen nicht aus der Hand geben.9) Es ist daher richtig, wenn bei einigen Gerichten grundsätzlich Schlussrechnungsprüfungen nicht extern vergeben werden.10) 7 Die externe Schlussrechnungsprüfung kann auch auf bestimmte Bereiche beschränkt werden.11) Die Beschränkung kann sich sowohl auf bestimmte Zeiträume als auch bestimmte Sachfragen beziehen. 8 Die Anordnung einer externen Schlussrechnungsprüfung darf keinesfalls standardisiert erfolgen.12) Sie kommt nur in Betracht, wenn das Gericht nicht in der Lage ist, die Schlussrechnungsprüfung vorzunehmen, was in der Regel nur dann der Fall ist, wenn die Schlussrechnung einen Umfang hat, der die Arbeitskraft des Rechtspflegers in einem solchen Umfang bindet, dass andere Vorgänge nicht mehr sachgerecht erledigt werden können. In diesen Fällen sollte aber zugleich erwogen werden, ob das Gericht sich auf Stichproben beschränkt. Sofern sich bei den Stichproben weder Unregelmäßigkeiten noch sonstige Beanstandungen ergeben, kann auf eine lückenlose Prüfung verzichtet werden.13) Im Übrigen ist es Sache der Gläubiger, in die ausgelegte Schlussrechnung mit den Belegen Einsicht zu nehmen. 9 Das Gericht darf den Sachverständigen zur Überprüfung der Einhaltung der formellen Voraussetzungen der Rechnungslegung, insbesondere der vollständigen und geordneten Erfassung aller Geschäftsvorfälle, der rechnerischen Richtigkeit und der Übereinstimmung ___________ 3) So Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 18; Nowak in: MünchKomm-InsO, § 66 Rz. 37; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 66 Rz. 89. 4) So ausdrücklich: Hebenstreit, ZInsO 2013, 276; Schmittmann in: FS Kübler, S. 645, 647. 5) So Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13; K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 23; Kübler/Prütting/ Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23; Heyrath, ZInsO 2005, 1092, 1096; a. A. Vierhaus, ZInsO 2008, 521 ff. 6) So auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.10.2009 – 8 W 265/09, ZIP 2010, 4981 f. = NZI 2010, 191 f.; Vorinstanz: LG Heilbronn, Beschl. v. 4.2.2009 – 1 T 30/09, ZIP 2009, 1437 f. = NZI 2009, 606 f. 7) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 66 Rz. 92. 8) So Nowak in: MünchKomm-InsO, § 66 Rz. 20; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., 2010, § 66 Rz. 33. 9) S. Hebenstreit, ZInsO 2013, 276, 277. 10) So z. B. beim AG Hof; vgl. Reuter, INDat-Report 09/2012, 34. 11) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23, Bähner/Berger/Braun, ZIP 1993, 1283, 1289. 12) So Weitzmann, ZInsO 2007, 449, 453; Hebenstreit, ZInsO 2013, 276, 277. 13) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 19.

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§ 37

Externe Schlussrechnungsprüfung

der Buchungsvorgänge mit den beigefügten Belegen14) sowie der rechnerischen Prüfung der Schlussrechnung beauftragen.15) Die materielle Prüfung der Schlussrechnung kann nach Auffassung von Nowak Gegen- 10 stand einer Überprüfung durch den Sachverständigen sein, wenn das von ihm erstattete Rechtsgutachten vom Gericht nicht lediglich übernommen, sondern einer freien Beweiswürdigung unterzogen wird.16) Auch Uhlenbruck geht davon aus, dass die Prüfungspflicht des Sachverständigen identisch mit dem Prüfungsauftrag des Gerichts ist.17) Dieser Auffassung ist nicht zu folgen, da ein Sachverständiger durch das Gericht nur be- 11 stellt werden darf, wenn dem Gericht die eigene Fachkunde fehlt. Dies ist bei Rechtsfragen, sofern es sich nicht ausnahmsweise um ausländisches Recht handelt, nicht gegeben.18) Rechtliche Beurteilungen sind nicht delegierbar, sondern vom Gericht stets selbst durchzuführen.19) Insbesondere kommt auch eine pauschale Beauftragung des Sachverständigen nicht in Betracht, weil der Prüfungsauftrag an den Sachverständigen nicht über das hinausgehen kann, was der Rechtspfleger i. R. seiner Ermessensausübung von Gesetzes wegen zu prüfen gehalten ist.20) Da das Ermessen ausschließlich vom Gericht, nicht aber von seinem Gehilfen, dem Sachverständigen,21) festgelegt wird, ist eine Ermessensausübung durch den Sachverständigen ausgeschlossen. Der Sachverständige kann somit lediglich zu Tatsachenfragen, nicht aber zu einer rechtlichen Beurteilung herangezogen werden.22) Das Gericht darf Sachentscheidungen nicht delegieren.23) Die Anordnung der Schlussrechnungsprüfung durch das Gericht begegnet insoweit Beden- 12 ken, weil mangelnde personelle und sachliche Ausstattung der Insolvenzgerichte auf die Gläubiger abgewälzt werden, indem die Kosten der externen Schlussrechnungsprüfung aus der Masse gezahlt werden.24) Zu Recht wird darin ein Verstoß gegen den Justizgewährungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG gesehen.25) Das BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde des früher hauptsächlich für das AG Ludwigsburg tätigen Rechtsanwalts Dr. Oliver Jakob, die sich mit der „verfassungswidrigen Teilprivatisierung der Justiz durch Übertragung richterlicher Aufgaben auf einen privaten Dienstleister“ befasst, nicht zur Entscheidung angenommen.26) Die Hinzuziehung eines Sachverständigen wird als unzulässig angesehen, wenn ein Gläu- 13 bigerausschuss vorhanden ist. In diesen Fällen ist die Wahrnehmung der gläubigerseitigen

___________ 14) So K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 19. 15) So Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23; Nowak in: MünchKomm-InsO, § 66 Rz. 20. 16) So Nowak in: MünchKomm-InsO, § 66 Rz. 20. 17) So Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., 2010, § 66 Rz. 59, unter Hinweis auf Bähner, KTS 1991, 347, 354. 18) So Schmittmann in: FS Kübler, S. 645, 652; Braun-Blümle, InsO, § 66 Rz. 20. 19) So Pape/Uhländer-Fliegner, InsO, § 66 Rz. 25. 20) So Schreiber in: FS Wellensiek, S. 337, 338. 21) Vgl. BGH, Beschl. v. 27.7.2006 – VII ZB 16/06, BGHZ 168, 380, 382 = ZIP 2006, 1923; Prütting/ Gehrlein-Katzenmaier, ZPO, Vorb. §§ 402 ff. Rz. 1. 22) So Graeber/Graeber, NZI 2014, 298, 303. 23) So Graeber/Graeber, NZI 2014, 298, 303. 24) So Hebenstreit, ZInsO 2013, 276, 277. 25) Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13; Schmittmann in: FS Kübler, S. 645, 647. 26) BVerfG, Beschl. v. 10.2.2016 – 2 BvR 212/15. Vgl. zur Vorgeschichte: Jakob, INDat-Report 06/2015, 13 ff.; Schmittmann, INDat-Report 06/2015, 16 ff.; Lissner, INDat-Report 06/2015, 19 ff.; Eisner, INDatReport 06/2015, 20 ff.

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§ 37

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Rechnungsprüfung über die Pflicht zur Kassenprüfung, § 69 Satz 2 InsO, gewährleistet. Der Gläubigerausschuss kann einen sachverständigen Prüfer beauftragen.27) 14 Die Anordnung der Schlussrechnungsprüfung durch einen Sachverständigen ist nicht anfechtbar.28) III.

Auswahl des Schlussrechnungsprüfers

15 Das Gericht ist in der Auswahl des Sachverständigen frei.29) Dem steht insbesondere § 404 Abs. 2 ZPO nicht entgegen, da es keine öffentliche Bestellung für die Durchführung einer externen Schlussrechnungsprüfung gibt. Es liegt allerdings nahe, mit der externen Prüfung der Schlussrechnung Rechtsanwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zu beauftragen. Auch die Praxis einiger Insolvenzgerichte, pensionierte Finanzbeamte oder erfahrene Betriebswirte zu beauftragen, ist nicht zu beanstanden. Die Auswahl des Sachverständigen ist von der Schwierigkeit und Größe des Verfahrens abhängig. 16 Das Gericht hat von der Beauftragung eines Sachverständigen zur Prüfung der Schlussrechnung abzusehen, der im selben Gerichtsbezirk wie der Insolvenzverwalter, der die Schlussrechnung erstellt hat, tätig ist. In diesem Falle steht dem Insolvenzverwalter ein Ablehnungsrecht wegen Besorgnis der Befangenheit zu.30) Im Hinblick darauf, dass eine Vielzahl von Insolvenzverwalterkanzleien inzwischen bundesweit tätig ist, dürfte in vielen Fällen ein Ablehnungsantrag des Insolvenzverwalters begründet sein.31) Es liegt nahe, dass ein Schlussrechnungsprüfer, der mit dem Insolvenzverwalter in einem beruflichen Konkurrenzverhältnis um die Erteilung von Aufträgen desselben Insolvenzgerichts steht, die Schlussrechnungsprüfung zum Anlass nimmt, sich selbst zu profilieren. Dies ist allerdings zunehmend auch bei einer Vielzahl anderer Schlussrechnungsprüfer zu beobachten. 17 Grundsätzlich ist allerdings die Beauftragung eines (ggf. früheren) Insolvenzverwalters mit der Durchführung von Schlussrechnungsprüfungen sinnvoll, da dieser in aller Regel die Besonderheiten der insolvenzrechtlichen Rechnungslegung kennt und dadurch Rückfragen vermieden werden.32) 18 Bei der Auswahl des Schlussrechnungsprüfers sollte neben seiner nachgewiesenen Fachkunde auch seine insolvenzrechtliche Erfahrung berücksichtigt werden. 19 Da der Schlussrechnungsprüfer als Sachverständiger anzusehen ist, sind auf ihn die Vorschriften der ZPO hinsichtlich der Bestellung eines Sachverständigen, die derzeit einem Reformprozess unterliegen, anzuwenden. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat die Bundesrechtsanwaltskammer eine standardisierte Übertragung der dem Insolvenzgericht originär obliegenden Kompetenz zur Schlussrechnungsprüfung als Verstoß gegen § 66 Abs. 2 Satz 1 InsO angesehen. Ebenso wird ein Verstoß gegen den Justizgewährungsanspruch gemäß Art. 19 Abs. 4 GG bei einer Abwälzung der Kosten für die Prüfung ___________ 27) So Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13; K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 25. Pape/UhländerFliegner, InsO, § 66 Rz. 23. 28) So OLG Hamm, Beschl. v. 9.12.1985 – 15 W 441/85, ZIP 1986, 724 f., dazu EWiR 1986, 399 f. (Eickmann); Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13; Uhlenbruck-Mock, § 66 Rz. 93; Pape/Uhländer-Fliegner, InsO, § 66 Rz. 26; Schmittmann in: FS Kübler, S. 645, 647. 29) Vgl. Schmittmann in: FS Kübler, S. 645, 650. 30) So OLG Köln, Beschl. v. 6.12.1989 – 2 W 173/89, ZIP 1990, 58 ff., dazu EWiR 1991, 381 f. (Reimer) K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 24. 31) S. Schmittmann in: FS Kübler, S. 645, 650. 32) Vgl. Pape/Uhländer-Fliegner, InsO, § 66 Rz. 26; Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23.

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§ 37

Externe Schlussrechnungsprüfung

auf die Gläubiger gesehen. Es wurde daher der Vorschlag unterbreitet, als § 404 Abs. 2 ZPO einzufügen: „Vor der Ernennung sollen die Parteien zur Person des Sachverständigen gehört werden“. Zudem schlägt die Bundesrechtsanwaltskammer eine Ergänzung von § 66 Abs. 2 InsO dahin 20 vor, dass die Übertragung der Rechnungsprüfungspflicht (gemeint ist offenbar die Rechnungsprüfung) auf einen Sachverständigen nur dann erfolgen kann, wenn die Gläubigerversammlung bzw. der Gläubigerausschuss, soweit ein solcher bestellt ist, der Übertragung zustimmt oder der Umfang des Verfahrens eine Schlussrechnungsprüfung durch das Insolvenzgericht ausschließt.33) IV.

Ort der Durchführung der Schlussrechnungsprüfung

Der Insolvenzverwalter reicht seine Schlussrechnung beim Insolvenzgericht ein. Sie wird 21 an Gerichtsstelle geprüft, wenn die Prüfung durch den Rechtspfleger erfolgt. Erfolgt die Schlussrechnungsprüfung durch einen externen Schlussrechnungsprüfer, ent- 22 spricht es der Praxis, dass die Schlussrechnung mit allen Unterlagen, in der Regel auch einschließlich der Gerichtsakte, dem Schlussrechnungsprüfer übersandt wird, da ihm beim Insolvenzgericht in der Regel keine Räume zur Verfügung gestellt werden können, in denen er seine Arbeiten sachgerecht erledigen kann. In Großinsolvenzverfahren werden der Schlussrechnung hunderte von Aktenordnern 23 mit Unterlagen zugrunde liegen. Im Rahmen der Überprüfung einer Teilschlussrechnungslegung gab das Insolvenzgericht einem Insolvenzverwalter auf, etwa 500 Aktenordner mit notwendigen Unterlagen dem Insolvenzgericht vorzulegen.34) In Verfahren dieser Größenordnung kann es allerdings zweckmäßig sein, die Schlussrechnungsprüfung in den Räumen des Insolvenzverwalters, in ggf. ausgelagerten Lagerstätten oder im schuldnerischen Unternehmen durchzuführen, sofern die Schlussrechnungsunterlagen dort vorliegen. In diesen Fällen sollte das Gericht sachgemäß abwägen, welche Anordnung es trifft und nicht schematisch darauf beharren, dass die Schlussrechnungsunterlagen beim Gericht vorgelegt werden. V.

Kosten der Schlussrechnungsprüfung

Die externe Prüfung der Schlussrechnung löst nicht unerhebliche Kosten aus. Eine feste 24 Gebühr ist nicht vorgesehen. Vielmehr rechnen externe Schlussrechnungsprüfer ihre Tätigkeit nach Anzahl der aufgewendeten Stunden ab, was teilweise zu Gebühren führt, die in die Nähe der Insolvenzverwaltervergütung reichen. Fraglich ist die rechtliche Einordnung dieser Kosten. Grundsätzlich obliegt die Prüfung der Schlussrechnung dem Insolvenzgericht, so dass die Kosten der Schlussrechnungsprüfung mit den Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren abgegolten sind. Die Kosten der Schlussrechnungsprüfung durch einen externen Sachverständigen sind 25 Kosten des Insolvenzverfahrens gemäß § 54 Nr. 1 InsO, die von der Insolvenzmasse zu tragen sind.35) ___________ 33) So BRAK, Stellungnahme Nr. 42/2015 zum RegE eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, abrufbar unter www.brak.de; ebenso bereits Schmittmann in: FS Kübler, S. 645 ff. 34) So BGH, Beschl. v. 7.4.2011 – IX ZB 170/10, ZIP 2011, 1123 f. = NZI 2011, 442 f. 35) So OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.10.2009 – 8 W 265/09, ZIP 2010, 491 f. = NZI 2010, 191 f.; LG Heilbronn, Beschl. v. 4.2.2009 – 1 T 30/09, ZIP 2009, 1437 f. = NZI 2009, 606 f.; Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23; K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 23; Pape/Uhländer-Fliegner, InsO, § 66 Rz. 23.

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§ 37

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

26 Diese Praxis begegnet Bedenken, da die Justiz einerseits, ohne dass sich die Gerichtskosten ermäßigen, weniger Leistung erbringt und andererseits die Insolvenzmasse mit den Kosten der externen Rechnungsprüfung belastet werden, was im Ergebnis zu einer Quotenverschlechterung für die Gläubiger führt. Darüber hinaus begegnet diese Praxis auch unter dem Gesichtspunkt der Übertragung hoheitlicher Tätigkeit auf Private Bedenken.36) 27 Es handelt sich nicht um Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da die Auftragserteilung nicht durch den Insolvenzverwalter für das schuldnerische Unternehmen erfolgt, sondern durch das Gericht. Dies hat zur Folge, dass die vom externen Schlussrechnungsprüfer in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden kann, da es sich bei dem Gericht nicht um einen Unternehmer handelt, der gemäß § 15 Abs. 1 UStG i. V. m. § 14 UStG Vorsteuer geltend machen kann. Die Vorsteuer kann auch nicht vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, da keine Leistung gegenüber dem insolventen Unternehmen erbracht wird, sondern gegenüber dem Gericht. 28 Hier zeigt sich umso deutlicher, dass es für den Staat unter mehreren Gesichtspunkten erstrebenswert ist, in möglichst vielen Insolvenzverfahren eine externe Schlussrechnungsprüfung vorzunehmen. Die externe Vergabe der Prüfung spart bei der Justiz personelle Ressourcen. Dabei ist nicht zu verkennen, dass die Gerichtskosten zumindest in großen Unternehmensinsolvenzverfahren für die Justiz eine nicht unerhebliche Einnahmequelle darstellen, denen nicht immer eine adäquate Gegenleistung gegenübersteht. Darüber hinaus hat der Schlussrechnungsprüfer die von ihm in Rechnung gestellte und von der Insolvenzmasse über die Gerichtskosten gezahlte Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt, ohne dass dem ein Vorsteueranspruch eines anderen Unternehmers gegenübersteht, so dass hier ein weiterer finanzieller Vorteil für den Fiskus entsteht. 29 Eine ähnliche Problematik stellt sich bei der Überwachung des Insolvenzverwalters durch den Gläubigerausschuss gemäß § 69 Satz 1 InsO. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einzusehen und Geldverkehr/-bestand prüfen zu lassen. Dabei kann die Prüfung einem sachverständigen Dritten übertragen werden.37) Da Auftraggeber die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind, entstehen ebenfalls keine Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sondern erst Massekosten nach § 54 Nr. 2 InsO, wenn diese im Wege des Auslagenersatzes gemäß § 18 Abs. 1 InsVV geltend gemacht und vom Insolvenzgericht festgesetzt worden sind.38) 30 Kahlert vertritt die Auffassung, dass es sich bei den Kosten der externen Kassenprüfung um Masseverbindlichkeiten handelt, da der Gläubigerausschuss mangels Vertretungsmacht nicht befugt ist, die Masse zu binden. Der Prüfungsauftrag ist daher zwischen dem insolventen Unternehmen und dem sachverständigen Dritten nach entsprechender Beschlussfassung des Gläubigerausschusses zu schließen.39) Daraus zieht Kahlert den aus seiner Sicht zutreffenden Schluss, dass das schuldnerische Unternehmen berechtigt ist, die vom externen Sachverständigen in Rechnung gestellte und gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend zu machen.40) 31 Dem wird entgegengehalten, dass der Insolvenzverwalter keinesfalls im eigenen Namen den Auftrag gegenüber dem externen Kassenprüfer erteile, da die Prüfung des Geldver___________ 36) Vgl. Madaus, NZI 2012, 119, 124 ff. 37) Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 2/2015, § 69 Rz. 27; Pape/Uhländer-Pape, InsO, § 69 Rz. 15; Frind in: HambKomm-InsO, § 69 Rz. 4. 38) So Frind in: HambKomm-InsO, § 69 Rz. 4. 39) So Kahlert, DStR 2011, 2439, 2441. 40) So Kahlert, DStR 2011, 2439, 2441.

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§ 37

Externe Schlussrechnungsprüfung

kehrs und des Geldbestandes eine höchst persönliche Verpflichtung eines jeden Mitglieds des Gläubigerausschusses sei, die auch nicht auf Umwegen delegiert werden könne.41) Daher sind die Kosten des externen Kassenprüfers auch keine Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sondern Auslagen gemäß § 54 InsO.42) Sofern die Mitglieder des Gläubigerausschusses ihrerseits Unternehmer sind, steht diesen der Vorsteuerabzug zu. Belasten diese die Kosten dem insolventen Unternehmen weiter, besteht bei diesem die Berechtigung zum Vorsteuerabzug, wenn die Voraussetzungen im Übrigen gegeben sind.43) Die formale Auffassung wird auch von der Finanzverwaltung geteilt, so dass auch hier 32 der Vorsteuerabzug scheitert, sofern nicht ausnahmsweise sämtliche Mitglieder des Gläubigerausschusses ihrerseits originär Unternehmer sind und die ihnen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer i. R. eines weiteren Leistungsaustauschs der Insolvenzmasse in Rechnung stellen können.

___________ 41) So Schirmer, DStR 2012, 733, 735. 42) So Schirmer, DStR 2012, 733, 736. 43) So Schirmer, DStR 2012, 733, 738.

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§ 38 Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters, des Sachwalters und der Organe der Insolvenzschuldnerin Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Überblick über Haftungstatbestände ....... 2 1. Insolvenzspezifische Haftung gemäß §§ 60, 61 InsO .............................................. 3 2. Allgemeines Haftungsrecht......................... 7 3. Sonstige Haftungstatbestände aus dem öffentlichen Recht, dem Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht .............................. 8 III. Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters ................................................... 13 1. Abgrenzung ................................................ 13 2. Insolvenzspezifische Haftung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren........... 17 2.1 Haftung gemäß § 60 InsO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO....................................... 18 2.2 Haftung gemäß § 61 InsO.............. 19 3. Insolvenzspezifische Haftung des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren................ 24 3.1 Haftung gemäß § 60 InsO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO....................................... 25 3.2 Haftung gemäß § 61 InsO.............. 26 4. Allgemeine zivilrechtliche Haftung .......... 28 4.1 Überblick......................................... 28 4.2 Persönliche Haftungsübernahme und Garantie........................ 30 4.3 Deliktische Haftung ....................... 31 5. Haftung aus steuerrechtlichen Vorschriften ...................................................... 34 6. Sonstige Haftungsvorschriften ................. 35 IV. Haftung des Insolvenzverwalters............ 36 1. Insolvenzspezifische Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO...... 36 1.1 Tatbestand von § 60 InsO .............. 36 1.2 Gesamtschaden ............................... 37 1.3 Fallgruppen ..................................... 40 1.3.1 Fehlerhafte Entscheidung über die Fortführung des Unternehmens........................................... 40 1.3.2 Strategische Verwertungsentscheidung ................................... 45 1.3.3 Treffen unternehmerischer Entscheidungen............................... 50 1.3.4 Prüfung und Anzeige der Masseunzulänglichkeit.............................. 62

1.4

Bedeutung der Genehmigung durch den Gläubigerausschuss ....... 69 1.5 Beteiligung der Gläubigerversammlung ................................... 74 2. Insolvenzspezifische Haftung gemäß § 61 InsO .................................................... 82 2.1 Gesetzeszweck der persönlichen Haftung gemäß § 61 Satz 1 InsO.............................. 83 2.2 Ersatzberechtigte ............................ 84 2.3 Schadensumfang.............................. 85 2.4 Abgrenzung Einzelschaden/ Gesamtschaden ............................... 86 2.5 Abgrenzung zu § 60 InsO.............. 87 2.6 Entlastungsbeweis........................... 90 V. Haftung des Sachwalters in der Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO.......... 94 1. Haftung des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren für die schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten gemäß § 60 Abs. 1 InsO ............ 94 1.1 Überblick......................................... 94 1.2 Haftung gegenüber den Beteiligten des Insolvenzverfahrens....... 97 1.3 Verschulden des Sachwalters........ 100 1.4 Verletzung eigener Pflichten des Sachwalters im Hinblick auf die Verwaltung und Verwertung des Vermögens der Insolvenzschuldnerin .................................... 101 1.5 Verletzung eigener Pflichten des Sachwalters im Hinblick auf die Prüfung, Überwachung und Kontrolle des Handelns der Insolvenzschuldnerin ....................... 104 2. Haftung des Sachwalters i. R. des § 61 InsO............................................ 108 3. Haftung des Sachwalters im Eröffnungsverfahren gemäß § 270a InsO ....... 110 4. Haftung des Sachwalters im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO...... 114 VI. Haftung der Insolvenzschuldnerin und ihrer Organe in der Eigenverwaltung ............................................... 115 1. Haftung der Insolvenzschuldnerin analog §§ 60, 61 InsO .............................. 120 2. Haftung der Insolvenzschuldnerin nach allgemeinen Grundsätzen ............... 122

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§ 38 3.

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Haftung der Gesellschaftsorgane der Insolvenzschuldnerin............................... 123 3.1 Innenhaftung der Gesellschaftsorgane gegenüber der Insolvenzschuldnerin ....................... 123

3.2

3.3

Keine analoge Anwendung von §§ 60, 61 InsO auf die Gesellschaftsorgane ................................ 127 Haftung der Gesellschaftsorgane nach allgemeinen Vorschriften ........128

Literatur: Adam, Die Haftung des Insolvenzverwalters, VersR 2012, 1226; Adam, Die Haftung des Insolvenzverwalters aus § 61 InsO, DZWIR 2008, 14; Antoni, Die Haftung des Insolvenzverwalters für unterlassene Sanierungsmaßnahmen und gescheiterte Sanierungspläne, NZI 2013, 236; Bachmann, Reformbedarf bei der Business Judgment Rule?, ZHR 177 (2013), 1; Bachmann, Organhaftung in der Eigenverwaltung, ZIP 2015, 101; Berger/Frege, Business Judgment Rule bei Unternehmensfortführung in der Insolvenz – Haftungsprivileg für den Verwalter?, ZIP 2008, 204; Berger/Frege/Nicht, Unternehmerische Ermessensentscheidungen im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Bosch/Lange, Unternehmerischer Handlungsspielraum des Vorstandes zwischen zivilrechtlicher Verantwortung und strafrechtlicher Sanktion, JZ 2009, 225; Büchler, Haftungsrisiken bei „faktischer Masseunzulänglichkeit“, ZInsO 2011, 1240; Deimel, Schadensersatzpflicht des Insolvenzverwalters gegenüber Massegläubigern, ZInsO 2004, 783; Eckardt, Umwelthaftung im Insolvenzverfahren, AbfallR 2008, 197; Ehlers, Haftungsprävention – ein Gebot für Insolvenzverwalter, ZInsO 2011, 458; Erker, Die Business Judgment Rule im Haftungsstatut des Insolvenzverwalters, ZInsO 2012, 199; Falkenhausen, Die Haftung außerhalb der Business Judgment Rule, NZG 2012, 644; Fest, Darlegungs- und Beweislast bei Prognoseentscheidungen im Rahmen der Business Judgment Rule, NZG 2011, 540; Fleischer, Das unternehmerische Ermessen des GmbHGeschäftsführers und seine GmbH-spezifischen Grenzen, NZG 2011, 521; Frege/Nicht, Informationserteilung und Informationsverwendung im Insolvenzverfahren, InsVZ 2010, 407 = ZInsO 2012, 2217; Frege/Nicht, Die Anwendung der Business Judgment Rule auf unternehmerische Ermessensentscheidungen des Insolvenzverwalters, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 291; Gehrlein, Abberufung und Haftung von Insolvenzverwaltern, ZInsO 2011, 1713; Gundlach/Frenzel/Jahn, Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit und die Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO, DZWIR 2011, 177; Gundlach/Frenzel/Jahn, Die Haftungsfreistellung des Insolvenzverwalters durch eine Beschlussfassung des Gläubigerausschusses, ZInsO 2007, 363; Heidland, Die Rechtsstellung und Aufgaben des Gläubigerausschusses als Organ der Gläubigerselbstverwaltung in der Insolvenzordnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 711; Jarass, BImSchG, Kommentar, 9. Aufl., 2012; Jungmann, Die Business Judgment Rule im Gesellschaftsinsolvenzrecht – Wider eine Haftungsprivilegierung im Regelinsolvenzverfahren und in der Eigenverantwortung, NZI 2009, 80; Kirchhof, Rechtsprobleme bei der vorläufigen Insolvenzverwaltung – Zur Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters bei Unternehmensfortführung und zu Fragen der Masseschulden und Masseunzulänglichkeit, ZInsO 1999, 365; Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Kommentar, Loseblatt, 67. Aufl., 2013; Laws, Die Haftung des Insolvenzverwalters im Zusammenhang mit – gescheiterten – Anträgen auf Gewährung von Insolvenzgeld, ZInsO 2009, 57; Laws, Haftung des Insolvenzverwalters, MDR 2004, 1149; Lüke, Die persönliche Haftung des Verwalters in der Insolvenz, 3. Aufl., 2009; Meyer/ Schulteis, Die Haftung des Insolvenzverwalters gemäß §§ 60, 61 InsO bei der Fortführung von Unternehmen, DZWiR 2004, 319; Meyer-Löwy/Poertzgen, Schranken und Beschränkbarkeit der Insolvenzverwalterhaftung aus §§ 60, 61 InsO, ZInsO 2004, 363; Meyer-Löwy/Poertzgen/Sauer, Neue Rechtsprechung zur Insolvenzverwalterhaftung im Überblick, ZInsO 2005, 691; Möhlmann, Die Berichtspflichten des Insolvenzverwalters zum Berichtstermin – eine betriebswirtschaftliche Perspektive, NZI 1999, 433; Mönning, Unternehmensfortführung in der Insolvenz, in: Prütting, Insolvenzrecht 1996, RWS-Forum 9, 1997, S. 43; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, 2011; Pape, Das Risiko der persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters aus § 61 InsO, ZInsO 2003, 1013; Pape, Gläubigerbeteiligung im Insolvenzverfahren, 2000; Picot/Aleth, Unternehmenskauf und Restrukturierung, 3. Aufl., 2004; Redeke, Zu den Voraussetzungen unternehmerischer Ermessensentscheidungen, NZG 2009, 496; Richter/Völksen, Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters wegen unterbliebener Freistellung von Arbeitnehmern bei späterer Anzeige der Masseunzulänglichkeit, ZIP 2011, 1800; Runkel/Schnurbusch, Rechtsfolgen der Masseunzulänglichkeit, NZI 2000, 49; Schmidt, K., Die Konkursverwalterhaftung aus unzulässiger Unternehmensfortführung und ihre Grenzen, NJW 1987, 812; Schultz, Die Haftung des Insolvenzverwalters, ZInsO 2015, 529; Skauradszun/Schmidt, Detailfragen zur steuerlichen Haftung des Insolvenzverwalters, ZInsO 2014, 1784; Thole/Brünkmans, Die Haftung des Eigenverwalters und seiner Organe, ZIP 2013, 1097; Uhlenbruck, Corporate Governance, Compliance and [sic] Insolvency Judgment Rule als Problem der Insolvenzverwalterhaftung, in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 1603; Weisemann/Nisters, Die Haftungsrisiken der Insolvenzverwalter und die Möglichkeiten einer versicherungsmäßigen Lösung, DZWiR 1999, 138; Wellensiek, Probleme der Betriebsfortführung in der Insolvenz, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 199; Zugehör, Anwaltlicher Insolvenzverwalter: Haftungsrisiken aus Insolvenzrecht und allgemeiner Anwaltshaftung, ZInsO 2006, 857.

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Frege/Berger/Nicht

Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe I.

§ 38

Einleitung

Im Insolvenzverfahren hat der Insolvenzverwalter die Insolvenzmasse zu verwalten und 1 zu verwerten (§§ 80, 148, 159 InsO). Hierbei arbeitet er nach Maßgabe der §§ 69, 160 ff. InsO mit dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss zusammen.1) Die einstweilige Fortführung eines laufenden Geschäftsbetriebs entweder mit dem Zweck der Ausproduktion oder vor dem Hintergrund des Unternehmenserhalts zur anschließenden Veräußerung oder Reorganisation i. R. eines Insolvenzplans ist eine solche Verwaltungstätigkeit. Im Rahmen dieser Betriebsfortführung ist die Ausübung der Verwaltungs- und Verwertungskompetenz regelmäßig damit verbunden, dass durch die Organe der Insolvenzverwaltung unternehmerische Ermessensentscheidungen im Hinblick auf das verwaltete Vermögen zu treffen sind,2) denn der Insolvenzverwalter ist insbesondere für die kaufmännischen Entschlüsse zuständig, die vom Gläubigerausschuss entsprechend überwacht werden müssen.3) Insoweit beurteilen Insolvenzverwalter und Gläubigerausschuss nicht nur die Rechtmäßigkeit von verfahrensnotwendigen Handlungen i. R. der Betriebsfortführung, sondern auch deren unternehmerische Zweckmäßigkeit. Der BGH hat anerkannt, dass der Insolvenzverwalter ohne lange Einarbeitungszeit und oftmals auf lückenhafter Informationsgrundlage wirtschaftliche Ermessensentscheidungen treffen muss,4) welche die Gefahr einer persönlichen Verantwortlichkeit in sich tragen. Bleiben bei einer einstweiligen Betriebsfortführung die angestrebten wirtschaftlichen Erfolge am Ende aus, wird aber nicht selten aus dem Kreise der Insolvenzgläubiger die persönliche Haftung von Insolvenzverwalter und Gläubigerausschuss aufgrund eines (vermeintlichen) Quotenschadens geltend gemacht („interne Verantwortlichkeit“, §§ 60 Abs. 1, 92 Satz 1 InsO).5) Darüber hinaus besteht die Gefahr der persönlichen Haftung für Masseverbindlichkeiten, soweit diese nicht aus der Insolvenzmasse bedient werden können (§ 61 InsO). Nicht selten geben (vorläufige) Insolvenzverwalter Erklärungen gegenüber Lieferanten und Kunden des insolventen Unternehmens ab, um die Weiterbelieferung und die Warenabnahme zu unterstützen.6) Diese Erklärungen an den Rechtsverkehr können potenzielle Haftungsgefahren in sich tragen,7) wenn der Insolvenzverwalter besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch nimmt8) oder eine Garantieerklärung gegenüber den Beteiligten abgibt9) („externe Verantwortlichkeit“). Schließlich bewegt sich der (vorläufige) Insolvenzverwalter bei seiner Tätigkeit i. R. des Arbeits-, Sozial-, Steuer- und Ordnungsrechts10) und kann insoweit Adressat einer persönlichen Haftung sein.11) Insoweit bewegt sich der (vorläufige) Insolvenzverwalter i. R.

___________ 1) Zu den haftungsrechtlichen Folgen vgl. Gundlach/Frenzel/Jahn, ZInsO 2007, 363 ff. 2) Zur Definition des Merkmals „unternehmerische Ermessensentscheidungen“ vgl. Bachmann, ZHR 177, 1 ff.; Bosch/Lange, JZ 2009, 225 ff.; Falkenhausen, NZG 2012, 644 ff.; Fest, NZG 2011, 540 ff.; Fleischer, NZG 2011, 521 ff.; Redeke, NZG 2009, 496 ff. 3) S. Berger/Frege, ZIP 2008, 204 ff.; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff. 4) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, Rz. 44 f., BGHZ 159, 104 = ZIP 2004, 1107. 5) Vgl. Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 1 f. m. w. N.; Meyer/Schulteis, DZWIR 2004, 319 ff. 6) Vgl. K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 47 m. w. N. 7) K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 44 ff. 8) BGH, Urt. v. 12.10.1989 – IX ZR 245/88, ZIP 1989, 1584 ff.; BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 114/01, NZI 2005, 500 ff. = ZIP 2005, 1327 ff. 9) OLG Rostock, Urt. v. 4.10.2004 – 3 U 158/03, ZIP 2005, 220 ff. 10) Zur Umwelthaftung vgl. Eckardt, AbfallR 2008, 197 ff.; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 141 ff., 238 ff., 247 ff. 11) Vgl. K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 48.

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§ 38

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

der Unternehmensfortführung in einem haftungsträchtigen Terrain,12) in dem besondere Sorgfalt erforderlich ist. II.

Überblick über Haftungstatbestände

2 Für den Insolvenzverwalter sind i. R. der Betriebsfortführung unterschiedliche Haftungssituationen von Bedeutung: 1.

Insolvenzspezifische Haftung gemäß §§ 60, 61 InsO13)

3 Zunächst kommt die schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten durch den Verwalter in Betracht, die zu einer persönlichen Haftung gegenüber den Beteiligten gemäß § 60 Abs. 1 InsO führen kann. Die Haftung gemäß § 60 Abs. 1 InsO ist gegeben, wenn der Insolvenzverwalter eine ihm nach der InsO obliegende Rechtspflicht verletzt hat, die gerade gegenüber einem Beteiligten des Insolvenzverfahrens bestand,14) und dies zu einem Schaden bei dem Beteiligten geführt hat. Hier muss der Insolvenzverwalter für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einstehen (§ 60 Abs. 1 Satz 2 InsO). 4 Bei Betriebsfortführungen besonders relevant ist daneben § 61 Satz 1 InsO, wonach bei Masseunzulänglichkeit die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters gegenüber einem Massegläubiger i. S. von §§ 53 ff. InsO gegeben ist, wenn eine Masseverbindlichkeit nicht oder nicht voll erfüllt werden kann, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet wurde. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn der Insolvenzverwalter bereits bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Insolvenzmasse zur Erfüllung der Verbindlichkeit voraussichtlich nicht ausreichen wird.15) 5 § 61 InsO regelt demnach eine insolvenzspezifische Pflicht gegenüber den Massegläubigern, Masseverbindlichkeiten nicht einzugehen, wenn nicht deren Erfüllung aus der Insolvenzmasse gesichert erscheint.16) Die Vorschrift wurde zum Schutz von Massegläubigern in die InsO aufgenommen, die aufgrund einer Unternehmensfortführung mit der Insolvenzmasse in wirtschaftliche Beziehung treten und deren Vermögen gemehrt oder ihr einen sonstigen Vorteil verschafft haben.17) Der Gesetzgeber möchte hiermit Unternehmensfortführungen erleichtern: Der Verwalter findet eher Geschäftspartner, die der Masse Kredit gewähren, wenn die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters das Ausfallrisiko vermindert.18) Hierin liegen zugleich Grund und Grenze für diese Haftung, die deshalb nicht eingreift, wenn der Insolvenzverwalter die Entstehung der Masseverbindlichkeiten nicht veranlasst hat oder bei ihrer Begründung nicht erkennen konnte, dass die Insolvenzmasse zur Bedienung nicht ausreichen wird.19)

___________ 12) Laws, MDR 2004, 1149 ff.; Meyer/Schulteis, DZWIR 2004, 319 ff.; Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 363 ff.; K. Schmidt, NJW 1987, 812; Schultz, ZInsO 2015, 529; zur Haftungsprävention vgl. Ehlers, ZInsO 2011, 458 ff.; zur Versicherbarkeit vgl. Weisemann/Nisters, DZWIR 1999, 138 ff. 13) Vgl. Adam, VersR 2012, 1226 ff.; Gehrlein, ZInsO 2011, 1713 ff.; Zugehör, ZInsO 2006, 857 ff. 14) Zum Beteiligtenbegriff s. Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 5; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 33; K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 6. 15) Vgl. K. Schmidt-Thole, InsO, § 61 Rz. 6. 16) K. Schmidt-Thole, InsO, § 61 Rz. 1. 17) BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236 f. = ZIP 2005, 131; BT-Drucks. 12/2443, S. 129 f.; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 16 ff. 18) BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236 f. = ZIP 2005, 131; BT-Drucks. 12/2443, S. 129 f. 19) BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236 f. = ZIP 2005, 131; K. Schmidt-Thole, InsO, § 61 Rz. 1.

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Frege/Berger/Nicht

Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe

§ 38

Die häufigsten Anwendungsfälle für § 61 InsO sind Vertragsabschlüsse durch den Insol- 6 venzverwalter, die Erfüllungswahl gemäß § 103 f. InsO und die unterlassene Kündigung von Dauerschuldverhältnissen zum frühestmöglichen Termin.20) Bei dem Anspruch aus § 61 InsO handelt es sich um einen Individualanspruch des jeweiligen Massegläubigers, der während des Insolvenzverfahrens von den jeweils geschädigten Massegläubigern gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann.21) 2.

Allgemeines Haftungsrecht

Daneben sind gerade im Verhältnis zu den Vertragspartnern des fortzuführenden Unter- 7 nehmens, d. h. zu den Massegläubigern, die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsnormen zu berücksichtigen. Nicht selten wird der (vorläufige) Insolvenzverwalter im Rechtsverkehr mit Kunden und Lieferanten bestimmte Erklärungen gegenüber den Vertragspartnern des Unternehmens abgeben, die potenziell Haftungsgefahren in sich tragen können. Hieraus können grundsätzlich vertragliche22), quasivertragliche (§ 311 Abs. 2 und 3 BGB)23) oder deliktische Ansprüche24) gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter erwachsen.25) Rechtsgrund hierfür ist entweder eine vertragliche Mitverpflichtung des Insolvenzverwalters, eine Garantieerklärung,26) ein Verschulden beim Vertragsschluss als Sachwalter oder ein deliktisches Verschulden gemäß §§ 823, 826 BGB. Aus diesen Rechtsbeziehungen können Pflichten des Insolvenzverwalters i. R. der Betriebsfortführung resultieren, die nicht insolvenzspezifisch sind, sondern allgemeine Rechtspflichten begründen, die der Insolvenzverwalter als Verhandlungs- oder Vertragspartner zu erfüllen hat.27) 3.

Sonstige Haftungstatbestände aus dem öffentlichen Recht, dem Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht

Neben die spezifische insolvenzrechtliche und die allgemeine zivilrechtliche Haftung des 8 Insolvenzverwalters tritt schließlich die persönliche Verantwortlichkeit und Haftung nach den Vorschriften des x

Polizei- und Umweltrechts,28)

x

des Steuerrechts29) und

x

des Arbeits- und Sozialrechts.30)

___________ 20) BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236 f. = ZIP 2005, 131; BT-Drucks. 12/2443, S. 129 f.; vgl. auch Adam, DZWIR 2008, 14 ff.; Richter/Völksen, ZIP 2011, 1800 ff. 21) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 22) S. BGH, Urt. v. 12.11.1987 – IX ZR 259/86, ZIP 1987, 1586 ff.; dazu Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 10 f. Rz. 51 f. 23) Zur Haftung wegen culpa in contrahendo vgl. BGH, Urt. v. 12.10.1989 – IX ZR 245/88, ZIP 1989, 1584 ff.; BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 114/01, NZI 2005, 500 ff. = ZIP 2005, 1327 ff. 24) Vgl. zu § 826 BGB im Zusammenhang mit der Entstehung von Masseverbindlichkeiten BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236 ff. = ZIP 2005, 131; K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 48. 25) Übersicht bei Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 41 ff. 26) S. OLG Rostock, Urt. v. 4.10.2004 – 3 U 158/03, ZIP 2005, 220 ff. 27) BGH, Urt. v. 25.1.2007 – IX ZR 216/05, ZIP 2007, 539 ff. 28) S. dazu Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 125 ff.; zu den öffentlich-rechtlichen Pflichten des Insolvenzverwalters vgl. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 247 ff. 29) S. dazu Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 115 ff.; zu den steuerrechtlichen Pflichten des Insolvenzverwalters vgl. auch Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 238 ff. 30) S. dazu Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 105 ff.; Laws, ZInsO 2009, 57 ff.; zu den arbeitsrechtlichen Pflichten des Insolvenzverwalters vgl. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 141 ff.

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§ 38

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

9 Insbesondere aus der Perspektive des öffentlichen Rechts kann die Betriebsfortführung dazu führen, dass der Insolvenzverwalter als verantwortlicher Handlungsstörer angesehen wird, z. B. als Anlagenbetreiber, und so in die persönliche Haftung als polizeirechtlicher Störer gerät.31) 10 Maßgeblich für die Beurteilung der Betreibereigenschaft hinsichtlich solcher Anlagen, die in die Sphäre eines insolventen Unternehmens fallen, ist bis heute eine Entscheidung des BVerwG.32) Hinsichtlich der Rechtsstellung eines Insolvenzverwalters ist zudem eine Entscheidung des VGH Kassel relevant, in der die Betreiberstellung eines Insolvenzverwalters für den Fall abgelehnt wurde, dass der Insolvenzverwalter lediglich Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vornimmt.33) 11 Das BVerwG hatte ausgeführt, dass die Betreiberstellung zumindest dann gegeben ist, wenn der Konkursverwalter die in Rede stehende Anlage nach Eröffnung des Verfahrens „kraft eigenen Rechts und im eigenen Namen“ fortführt (Übergang der Betreiberstellung). Es hat allerdings ausdrücklich offengelassen, ob dies auch dann gilt, „wenn er die Anlage sofort stilllegt“.34) 12 Der VGH Kassel hatte die ordnungsrechtliche Betreiberstellung eines Insolvenzverwalters im Hinblick auf ein Tanklager verneint, wenn der Insolvenzverwalter dieses Tanklager nicht fortführt, d. h. nicht wirtschaftlich für die Insolvenzmasse nutzt.35) Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, dass in dem entschiedenen Fall eine Einstellung der Nutzung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt war. Der Insolvenzverwalter hatte diese Nutzung des Tanklagers nicht wieder aufgenommen. Er hatte in der Zeitspanne zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Freigabe des nicht mehr genutzten Tanklagers lediglich sichergestellt, dass die Dichtigkeit und die Funktionsfähigkeit der Sicherungseinrichtungen gewahrt sind. Er hatte damit lediglich i. R. der bestehenden Zustandsverantwortlichkeit36) Sorge dafür getragen, dass keine Gefahr für Gewässer etc. von der Sache ausgeht. Der VGH Kassel schlussfolgert, dass die Gefahrenabwehr i. R. der Zustandsverantwortlichkeit keine Betreiberstellung des Insolvenzverwalters begründet.37) III.

Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters

1.

Abgrenzung

13 Im Hinblick auf die Haftungssituation bei der vorläufigen Insolvenzverwaltung ist zu unterscheiden zwischen der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit gerichtlicher Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO (sog. „starke“ vorläufige Verwaltung) und der vorläufigen Insolvenzverwaltung ohne ein allgemeines ___________ 31) Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.1998 – 7 C 38.97, BVerwGE 107, 299 = ZIP 1998, 2167. 32) BVerwG, Urt. v. 22.10.1998 – 7 C 38.97, BVerwGE 107, 299 = ZIP 1998, 2167; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, BVerwGE 122, 75 = ZIP 2004, 2145. 33) VGH Kassel, Beschl. v. 20.4.2009 – 7 B 838/09, NZI 2009, 695 ff.; vgl. auch OVG Berlin, Beschl. v. 10.11.2009 – 11 N 30.07, NVwZ 2010, 594; OVG Lüneburg, Beschl. v. 3.12.2009 – 7 ME 55/09, ZIP 2010, 999 = NZI 2010, 235 ff.; VG Würzburg, Beschl. v. 3.2.2010 – W 4 S 09.1275, juris. 34) S. a. die Rezeption der Entscheidung bei Jarass, BImSchG, § 5 Rz. 73; Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 5 BImSchG Rz. 33. 35) VGH Kassel, Beschl. v. 20.4.2009 – 7 B 838/09, NZI 2009, 695, 698. 36) Die Zustandsverantwortlichkeit des Schuldners endet mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens; an ihre Stelle tritt die Zustandsverantwortlichkeit des Insolvenzverwalters, vgl. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 249. 37) VGH Kassel, Beschl. v. 20.4.2009 – 7 B 838/09, NZI 2009, 695, 698.

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Frege/Berger/Nicht

Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe

§ 38

Verfügungsverbot (§ 22 Abs. 2 InsO), bei der lediglich ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet wurde (sog. „schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung).38) Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter muss gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO das 14 schuldnerische Unternehmen bis zur Eröffnungsentscheidung fortführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung vorher zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden. Hierbei entspricht seine Rechtsstellung weitestgehend derjenigen des endgültigen Insolvenzverwalters, was sich auch darin ausdrückt, dass die von ihm begründeten Verbindlichkeiten im eröffneten Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 2 InsO sind. Dagegen kann der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeiten regel- 15 mäßig erst begründen, wenn er durch eine besondere Einzelermächtigung des Insolvenzgerichts hierzu ermächtigt wurde. Auch steuerrechtlich macht sich die Unterscheidung bemerkbar: der „starke“ vorläufige In- 16 solvenzverwalter ist bereits als ein Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO einzuordnen und damit potenziell von der Haftung gemäß § 69 AO bedroht. Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter hingegen ist aufgrund seiner eingeschränkten Kompetenzen kein Vermögensverwalter i. S. von des § 34 Abs. 3 AO und daher nicht Adressat von § 69 AO. 2.

Insolvenzspezifische Haftung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren

Der vorläufige Insolvenzverwalter ohne allgemeines Verfügungsverbot ist in seiner Rechts- 17 stellung davon abhängig, welche gerichtlichen Anordnungen seinen Wirkungsbereich definieren. Gemäß § 22 Abs. 2 InsO kann das Insolvenzgericht nach seinem Ermessen die Befugnisse des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters festlegen, wobei die gesetzlichen Befugnisse des vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalters die Grenze bilden. Im Regelfall wird ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet.39) Die Pflicht zur einstweiligen Fortführung des Unternehmens kann ebenfalls im Beschluss angeordnet werden. Von dem Umfang der gerichtlichen Aufgabenzuweisung hängt auch die Reichweite der persönlichen Verantwortlichkeit ab. 2.1

Haftung gemäß § 60 InsO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO

Die Haftung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO wegen der schuldhaften Verletzung von in- 18 solvenzspezifischen Pflichten trifft gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO auch den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter. Denn das Gesetz trifft hier keine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Typen der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Dennoch ist aufgrund der unterschiedlichen Reichweite der Befugnisse und Pflichten des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters auch ein eingeschränkter Bereich insolvenzspezifischer Pflichten gegeben, für deren Verletzung die Haftung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO eingreift.40) 2.2

Haftung gemäß § 61 InsO

Grundsätzlich ist der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter nicht berechtigt, durch 19 seine Handlungen Masseverbindlichkeiten zu begründen. § 55 Abs. 2 InsO ist hier nicht ___________ 38) Zur Zulässigkeit einer „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung ohne Zustimmungsvorbehalt s. AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.2.2011 – 503 IN 20/11, ZIP 2011, 443. 39) Vgl. aber AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.2.2011 – 503 IN 20/11, ZIP 2011, 443. 40) S. Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 81 f.

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§ 38

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

anwendbar.41) Deshalb kommt die persönliche Haftung gemäß § 61 InsO grundsätzlich nicht in Betracht, weil diese die pflichtwidrige Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Insolvenzverwalter voraussetzt.42) 20 Allerdings kann der „schwache“ vorläufige Verwalter die Insolvenzmasse schuldrechtlich verpflichten, wenn eine besondere gerichtliche Ermächtigung gegeben ist. In BGHZ 151, 365 ff. weist der BGH darauf hin, dass es zwar nicht die Aufgabe des vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt ist, von sich aus für die Erfüllung von Verbindlichkeiten zu sorgen, die im vorläufigen Insolvenzverfahren dadurch entstehen, dass die Gläubiger Leistungen an die Insolvenzschuldnerin erbringen. Hierfür müssen die Gläubiger grundsätzlich selbst sorgen, indem sie sich Sicherheiten bestellen lassen. Der BGH lässt es aber zu, dass das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter bis zur Grenze von § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO zur Eingehung bestimmter Masseverbindlichkeiten ausdrücklich ermächtigen kann.43) Eine solche Ermächtigung muss nach Ansicht von Rechtsprechung und Literatur soweit konkretisiert sein, dass daraus die Belastung der späteren Insolvenzmasse im Wesentlichen zu erkennen ist.44) Der BGH führt aus, dass der Umfang der Ermächtigung aus Gründen der Rechtsklarheit und des gebotenen Schutzes von Vertragspartnern für diese jeweils aus der gerichtlichen Anordnung selbst unmissverständlich zu erkennen sein muss; es muss deutlich werden, mit welchen Einzelbefugnissen – nach Art und Umfang – der vorläufige Insolvenzverwalter ausgestattet ist. Der BGH stellt ferner klar, dass das Insolvenzgericht nicht pauschal Verfügungs- und Verpflichtungsermächtigungen in das Ermessen des Insolvenzverwalters stellen darf, sondern in jedem Fall selbst die einzelnen Maßnahmen bestimmt bezeichnen muss, zu denen der vorläufige Insolvenzverwalter berechtigt sein soll. Hiernach muss das Insolvenzgericht, welches den Ablauf des Eröffnungsverfahrens bestimmt, die Pflichten des Insolvenzverwalters exakt bestimmen. 21 Ferner muss das Insolvenzgericht: „… im Einzelnen die Rechte festlegen, die dem vorläufigen Insolvenzverwalter eingeräumt werden, damit er seine Pflichten zu erfüllen vermag“.

22 Eine dementsprechende Ermächtigung kann auch für bestimmte abgrenzbare Arten von Maßnahmen erfolgen.45) 23 Teilweise wird hieraus der Schluss gezogen, dass § 61 InsO für den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter analog angewendet werden muss, soweit dessen Befugnis reicht, auf der Grundlage einer insolvenzgerichtlichen Einzelermächtigung spätere Masseverbindlichkeiten zu begründen.46) Die ratio legis von § 61 InsO und die gesetzgeberische Zielvorstellung sprechen dafür, § 61 InsO im Fall der Einzelermächtigung analog anzuwenden. Auch der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter, der Masseverbindlichkeiten begründen darf, muss bei Eingehung der Masseverbindlichkeit – z. B. auf der Grundlage eines Vertragsschlusses – prüfen, ob die aus dem Geschäft resultierende Verbindlichkeit bei Fälligkeit bedient werden kann. Diese Prüfung sollte ihm grundsätzlich möglich sein, da ihm die gleichen Informationsrechte gegenüber dem Unternehmen zustehen wie dem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter und insoweit ein Liquiditätsplan erstellt werden kann. ___________ 41) 42) 43) 44)

BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625. Vgl. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625; Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 56 m. w. N. 45) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625. 46) Vgl. Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 83 f.; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 2, Rz. 58 ff.

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Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe 3.

§ 38

Insolvenzspezifische Haftung des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren

Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter ist aufgrund der gesetzlichen Übertragung der 24 Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in seiner Rechtsstellung dem endgültigen Insolvenzverwalter bereits so weit angenähert, dass die insolvenzspezifischen Haftungsvorschriften nach §§ 60, 61 InsO grundsätzlich auf ihn anzuwenden sind.47) In der Praxis hat dieser Umstand die Tendenz mit verstärkt, eine „starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung überhaupt nicht anzuordnen, sondern auf den „schwachen“ vorläufigen Verwalter auszuweichen.48) 3.1

Haftung gemäß § 60 InsO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO

Die Haftung gemäß § 60 InsO wegen der schuldhaften Verletzung von insolvenzspezifischen 25 Pflichten trifft gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter, denn das Gesetz trifft hier keine Differenzierung zwischen den beiden Typen der vorläufigen Insolvenzverwaltung und der „starke“ vorläufige Verwalter ist hinsichtlich seiner Kompetenzen, Befugnisse und Pflichten dem endgültigen Verwalter weitgehend angenähert, so dass die haftungsrechtliche Gleichbehandlung gerechtfertigt ist. 3.2

Haftung gemäß § 61 InsO

Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO entstehen Masseverbindlichkeiten, wenn die Verbindlich- 26 keiten durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter begründet wurden, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin übergegangen ist. Die Norm stellt auf den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter ab, der in wesentlichen Teilen dem endgültigen Insolvenzverwalter entspricht.49) In der Kommentierung wird darauf hingewiesen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter in der Regel nur dann wirklich handlungsfähig sei, wenn dessen Vertragspartner darauf vertrauen dürften, dass die vom Verwalter begründeten Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten seien.50) Beim „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter führen dessen Rechtshandlungen ohne weiteres zur Begründung von Masseverbindlichkeiten und damit zur Anwendung von § 61 InsO. Insoweit ist bei der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung besonders sorgfältig zu prüfen, ob die entstehenden Masseverbindlichkeiten aus der späteren Insolvenzmasse bedient werden können. Eine analoge Anwendung von § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO auf den „schwachen“ vorläufigen 27 Insolvenzverwalter wird hingegen in der Rechtsprechung abgelehnt.51) Soweit Einzelermächtigungen des Insolvenzgerichts vorliegen, führt auch dies nicht zur Anwendung von § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO.52) 4.

Allgemeine zivilrechtliche Haftung

4.1

Überblick

Neben der insolvenzspezifischen Haftung kann die Verletzung allgemeiner Pflichten in 28 Betracht kommen, die den (vorläufigen) Insolvenzverwalter als Verhandlungs- oder Vertragspartner von Dritten treffen.53) Dies kann zu Ersatzpflichten führen. ___________ Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 81. Sehr weitgehend in diese Richtung AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.2.2011 – 503 IN 20/11, ZIP 2011, 443. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FAKomm-InsR, § 55 Rz. 20. Vgl. nochmals Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FAKomm-InsR, § 55 Rz. 20. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625; BGH, Urt. v. 24.1.2008 – IX ZR 201/06, NZI 2008, 295 ff. = ZIP 2008, 608. 52) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625. 53) BGH, Urt. v. 25.1.2007 – IX ZR 216/05, ZIP 2007, 539 ff. 47) 48) 49) 50) 51)

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§ 38

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

29 Eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters auf quasivertraglicher Grundlage – z. B. aus culpa in contrahendo i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB – kommt nur in Betracht, wenn der (vorläufige) Insolvenzverwalter persönliche Pflichten ausdrücklich übernommen oder einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, an dem er sich festhalten lassen muss.54) Mit Blick auf die persönliche Haftung des Verwalters für eingegangene Verpflichtungen führt der BGH hierzu aus, dass die Geschäftspartner des Insolvenzverwalters durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewarnt sind und sich bewusst sein müssen, dass sie bei Geschäften mit der Insolvenzmasse Risiken eingehen, insbesondere das Risiko der Masseunzulänglichkeit.55) Deshalb werde vom Insolvenzverwalter nicht verlangt, dass er auf die „regelmäßig vorhandenen, im allgemeinen auch bekannten Gefahren“ hinweist, die Geschäfte mit der Insolvenzmasse, insbesondere an diese erbrachte Vorleistungen, zwangsläufig mit sich bringen. Der Insolvenzverwalter sei nur Interessenvertreter der Insolvenzmasse als Interessenträgerin und stünde insoweit nicht anders als Vorstände und Geschäftsführer juristischer Personen oder ein Testamentsvollstrecker, die bei Vertragsschluss für den Interessenträger ebenfalls grundsätzlich nicht aus culpa in contrahendo haften. Deshalb werde eine persönliche Verantwortlichkeit erst unter besonderen Voraussetzungen begründet, wenn eine eigene Pflicht ausdrücklich übernommen, ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder eine unerlaubte Handlung gegeben ist (§§ 823 ff. BGB). Nach Ansicht von Rechtsprechung und Literatur reichen allgemeine Aussagen gegenüber Gläubigern, z. B. die Zahlungen aller Lieferungen und Leistungen seien gesichert, für die Entstehung eines besonderen Vertrauenstatbestandes noch nicht aus.56) 4.2

Persönliche Haftungsübernahme und Garantie

30 Die Haftungsübernahme durch den Insolvenzverwalter bei Vertragsschlüssen für die Insolvenzmasse setzt voraus, dass der Insolvenzverwalter klar und eindeutig zum Ausdruck bringt, er wolle eine über die gesetzliche Haftung hinausgehende persönliche Einstandspflicht übernehmen. Der BGH geht davon aus, dass eine allgemein gegenüber Lieferanten und Gläubigern gemachte Aussage, die Zahlung aller Lieferungen und Leistungen sei gesichert, wohl nicht zur Begründung einer persönlichen Einstandspflicht genügen dürfte.57) 4.3

Deliktische Haftung

31 Eine deliktische Haftung des Insolvenzverwalters gemäß §§ 823 ff. BGB kann neben der insolvenzspezifischen Haftung gemäß § 60 InsO bestehen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der (vorläufige) Insolvenzverwalter mit einer Handlung Pflichten aus der InsO und allgemeine zivilrechtliche Pflichten zugleich schuldhaft verletzt, z. B. die Rechte von Aus- oder Absonderungsberechtigten vereitelt, indem deren Eigentum zerstört wird. In solchen Situationen haftet neben dem Insolvenzverwalter zudem auch die Insolvenzmasse analog § 31 InsO.58) 32 Der vorläufige „starke“ Insolvenzverwalter ist wie der endgültig bestellte Insolvenzverwalter für die Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten verantwortlich.59) ___________ 54) BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 261/80, BGHZ 85, 75 ff. = ZIP 1982, 1458; BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346 ff. = ZIP 1987, 650; vgl. auch K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 47. 55) BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346 ff. = ZIP 1987, 650. 56) S. Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 42; BGH. Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 57) BGH. Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; vgl. auch OLG Rostock, Urt. v. 4.10.2004 – 3 U 158/03, ZIP 2005, 220 ff. 58) S. Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 10, 11. 59) BGH, Urt. v. 17.9.1987 – IX ZR 156/86, ZIP 1987, 1398 ff.; Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 14.

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Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe

§ 38

Eine Haftung gemäß § 826 BGB wegen Masseunzulänglichkeit kommt nur in Betracht, 33 wenn der Insolvenzverwalter den Geschäftspartner über die Risiken des abzuschließenden Geschäfts täuscht, insbesondere die Zulänglichkeit der Masse vorspiegelt und dadurch den Geschäftsverkehr zum Vertragsschluss verleitet und einen Schaden bewusst in Kauf nimmt. 5.

Haftung aus steuerrechtlichen Vorschriften60)

Soweit ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit allgemeinem Verfügungsverbot bestellt 34 wurde, ist dieser als Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO zu behandeln. Er muss gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners erfüllen und gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 AO dafür sorgen, dass die Steuern aus der von ihm verwalteten Insolvenzmasse abgeführt werden. Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter haftet gemäß § 69 Satz 1 AO persönlich, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Das Gleiche gilt, wenn Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. 6.

Sonstige Haftungsvorschriften

Die Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters kann sich ferner aus sonstigen Vor- 35 schriften, z. B. aus solchen des öffentlichen Rechts, ergeben. Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter kann Betreiber einer Anlage sein und nach polizeirechtlichen Vorschriften haften (siehe oben Rz. 9 – 11). IV.

Haftung des Insolvenzverwalters

1.

Insolvenzspezifische Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO

1.1

Tatbestand von § 60 InsO

Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten61) zum Scha- 36 denersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft62) diejenigen verfahrensspezifischen Pflichten verletzt, die ihm nach der InsO gegenüber den Beteiligten obliegen. Der Insolvenzverwalter muss für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einstehen (§ 60 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Haftungstatbestand weist nach der Rechtsprechung des BGH Ähnlichkeiten zu den organschaftlichen Haftungsnormen für Vorstände und Geschäftsführer auf, wenngleich zu beachten ist, dass der Insolvenzverwalter regelmäßig u. a. Voraussetzungen die Verantwortung für ein Unternehmen übernimmt.63) Er hat oftmals eine sehr geringe Einarbeitungszeit, handelt zwangsläufig unter erheblichem Zeitdruck und häufig auf der Basis unzureichender Informationen.64) Insoweit ist das Haftungsstatut der Vorstände und Geschäftsführer auf den Insolvenzverwalter nicht pauschal übertragbar. Gleichwohl sind verschiedene Parallelen erkennbar, die gerade bei der Betriebs-

___________ 60) Vertiefend Skauradszun/Schmidt, ZInsO 2014, 1784 ff. 61) Vgl. zum Begriff der Beteiligten Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 5: Beteiligter ist, wessen Interessen durch eine Verletzung der dem Insolvenzverwalter obliegenden insolvenzspezifischen Pflichten unmittelbar beeinträchtigt werden können. 62) Vgl. zum Verschuldensmaßstab Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 28 ff.; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 38 ff. 63) S. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, Rz. 44 f., BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 64) Vgl. auch K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 14.

Frege/Berger/Nicht

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§ 38

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

fortführung den Rückgriff auf gesellschaftsrechtliche Grundlagen und Wertungen, insbesondere auf die Rechtsprechung des BGH erlauben.65) 1.2

Gesamtschaden

37 Gemäß § 92 Satz 1 InsO können Schäden, die die Gläubiger gemeinschaftlich66) durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (sog. Gesamtschäden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur durch einen Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. § 92 InsO bildet keine Anspruchsgrundlage für derartige Schadensersatzansprüche. Vielmehr regelt § 92 InsO die Art und Weise der Geltendmachung eines gemeinschaftlich erlittenen Schadens. Die Norm errichtet zulasten der einzelnen Gläubiger eine Rechtsverfolgungssperre. Gesamtschadensansprüche sollen gebündelt durch eine Person verfolgt werden. Diese Beschränkung dient der Gleichbehandlung der Gläubiger, der Praktikabilität und der Prozessökonomie, da nicht eine Vielzahl von Prozessen wegen Quotenschäden geführt werden müssen.67) 38 Soweit eine Betriebsfortführung schuldhaft zu einer Verminderung der Insolvenzmasse führt, weil infolge unsachgemäßer Verwaltungs- und Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters68) das Vermögen in seinem bei Eröffnung vorhandenen Wert nicht realisiert werden kann, ist der hieraus resultierende Schaden ein Gesamtschaden der Insolvenzgläubiger. Er kann nicht von den Insolvenzgläubigern individuell durchgesetzt werden. Ein solcher Anspruch auf Ersatz des Gesamtschadens würde sich gegen den Insolvenzverwalter (§ 60 Abs. 1 InsO) und ggf. gegen die Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 71 Satz 1 InsO) richten. 39 Richten sich diese Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter, sind sie grundsätzlich von einem neu bestellten Insolvenzverwalter zu verfolgen (§ 92 Satz 2 InsO). Als milderes Mittel in Relation zur Bestellung eines neuen Insolvenzverwalters hat die Rechtsprechung und Literatur die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters anerkannt.69) Haben die Gläubiger einen Einzelschaden erlitten, können sie den entsprechenden Schadensersatzanspruch schon während des Insolvenzverfahrens eigenständig verfolgen.70) 1.3

Fallgruppen

1.3.1 Fehlerhafte Entscheidung über die Fortführung des Unternehmens 40 Der Insolvenzverwalter ist unmittelbar im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verpflichtet, das Unternehmen der Schuldnerin fortzuführen, um der Gläubigerversammlung im Berichtstermin die Entscheidung über den Verfahrensfortgang zu er___________ 65) S. dazu Berger/Frege, ZIP 2008, 204 ff.; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: FS Wellensiek, S. 291 ff.; Uhlenbruck in: FS K. Schmidt, S. 1603 ff.; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, S. 114 ff., 135 ff. 66) Zur Abgrenzung zum Einzelschaden s. K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 52. 67) Kayser in: HK-InsO, § 92 Rz. 1; Blersch/Goetsch/Haas-Blersch/v. Olshausen, BK-InsO, § 92 Rz. 1; Pohlmann in: HambKomm-InsO, § 92 Rz. 1. 68) S. K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 11, 12. 69) OLG Köln, Beschl. v. 1.6.2006 – 2 U 50/06, ZInsO 2007, 218; BGH, Beschl. v. 25.1.2007 – IX ZB 240/05, ZIP 2007, 548 = NZI 2007, 284; BGH, Beschl. v. 1.2.2007 – IX ZB 45/05, ZIP 2007, 547 = NZI 2007, 237; BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 303/05, ZIP 2008, 1294 = NZI 2008, 485; BGH, Beschl. v. 5.2.2008 – IX ZB 187/08, ZIP 2009, 529 = NZI 2009, 238; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 28. 70) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104, 111 = ZIP 2004, 1107; OLG Köln, Beschl. v. 1.6.2006 – 2 U 50/06, ZInsO 2007, 218.

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möglichen (vgl. § 157 Satz 1 InsO).71) Die Fortführungspflicht untermauert die Gläubigerautonomie. Die Möglichkeit der Gläubigerversammlung, über den Fortgang des Verfahrens einschließlich einer Fortführungsmöglichkeit zu beschließen, gewinnt lediglich an Bedeutung, wenn bis dahin das Unternehmen fortzuführen ist und fortgeführt wird. Insofern ist der Insolvenzverwalter in seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit beschränkt. Er hat das Unternehmen fortzuführen, es sei denn, es drohen erhebliche Verluste.72) Auch muss die Erfüllbarkeit der neu entstehenden Masseverbindlichkeiten sichergestellt werden.73) Insofern hat der Insolvenzverwalter in dieser Phase zu prüfen, ob das Unternehmen ohne erhebliche Verminderung des Vermögens (i. S. von § 22 InsO) bis zum Berichtstermin fortgeführt werden kann. Der Insolvenzverwalter hat Chancen und Risiken der Betriebsfortführung sorgfältig gegeneinander abzuwägen und eine sachgerechte Prognoseentscheidung herzuleiten.74) Dies drückt sich auch in § 158 Abs. 1 InsO aus, wonach der Insolvenzverwalter im Falle 41 einer beabsichtigten Stilllegung des Geschäftsbetriebs vor dem Berichtstermin die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen hat. Gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 InsO muss vor der Einstellung der Geschäftstätigkeit der Schuldner angehört werden. Schließlich kann das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners die Stilllegung untersagen, wenn diese ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse bis zum Berichtstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 156 InsO) aufgeschoben werden kann. Die Entscheidung des Insolvenzverwalters, diesem grundsätzlichen Fortführungsgebot 42 nachzukommen, kann zu einer persönlichen Verantwortlichkeit führen. Bereits in der Entscheidung BGHZ 100, 346 ff., die noch zur KO und vor Geltung von § 61 InsO ergangen war, hatte der BGH ausgeführt, dass eine persönliche Haftung gegenüber Massegläubigern entstehen kann, zu deren Befriedigung die Insolvenzmasse nicht ausreicht, wenn der Insolvenzverwalter ein defizitäres Unternehmen fortführt. In der Entscheidung heißt es, der Verwalter hafte persönlich, „… wenn er das Unternehmen, obwohl feststand, dass es nicht wenigstens seinen Aufwand erwirtschaften wird, nicht sofort liquidiert, sondern weitergeführt hat und bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters hätte erkennen können und müssen, dass er die mit der Fortführung notwendig erwachsenden Verbindlichkeiten nicht aus der Masse werde tilgen können.“75)

Demnach hat der Insolvenzverwalter zumindest in der Phase bis zum Berichtstermin zu 43 prognostizieren, welches Ergebnis die Fortführung haben wird. Die strategische Entscheidungsbefugnis der Gläubiger gemäß § 157 InsO soll faktisch nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Insolvenzverwalter das Unternehmen bereits vor dem Berichtstermin stilllegt. Die Maßgabe für die vorläufige Fortführung liefert § 158 Abs. 2 InsO: Danach ist das Unternehmen zumindest bis zum Berichtstermin fortzuführen, soweit dies ohne erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse möglich ist. Lediglich bei erheblichen Verlusten ist der Betrieb stillzulegen. Dies muss der Insolvenzverwalter entsprechend überwachen. Hierzu hat er die voraus- 44 sichtliche Zeit der Betriebsfortführung zu planen und Finanz- und Ergebnispläne (Liquiditätsplan, Plan-, Gewinn- und Verlustrechnung) zu erstellen und diese fortlaufend den tat___________ 71) Vgl. zum Spannungsfeld zwischen Verwalterermessen und Gläubigermitbestimmung K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 12. 72) Vgl. zum Merkmal der „erheblichen Verluste“ und zur dahingehenden Prognose Görg/Janssen in: MünchKomm-InsO, § 158 Rz. 16. 73) K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 12. 74) Vgl. Görg/Janssen in: MünchKomm-InsO, § 158 Rz. 16, 17. 75) BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346 ff. = ZIP 1987, 650.

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sächlichen Entwicklungen anzupassen.76) Decken die laufenden Einnahmen nicht mehr die Ausgaben, ist eine weitere Betriebsfortführung lediglich dann gerechtfertigt, wenn der Insolvenzverwalter davon ausgehen kann, dass das Unternehmen später zu einem Preis veräußert werden kann, der abzüglich der aufgelaufenen Verluste den Zerschlagungswert des Unternehmens übersteigt.77) 1.3.2 Strategische Verwertungsentscheidung 45 Zu Beginn des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter i. R. der Inbesitznahme (§ 148 Abs. 1 InsO), den Verwaltungs- und Verwertungspflichten (§§ 80 Abs. 1, 148 Abs. 1, 159 InsO) sowie der Pflicht zur vorläufigen Fortführung des Unternehmens (§ 158 Abs. 1 InsO) strategische Entscheidungen für das gesamte Verfahren zu treffen. Der Insolvenzverwalter hat insbesondere zu beurteilen, mit welcher Verfahrensart die bestmöglichen wirtschaftlichen Ergebnisse erreicht werden können.78) Er hat zu beurteilen, ob die Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit des Unternehmens gegeben sind und ob ggf. das Planvorlagerecht in Anspruch genommen werden soll (vgl. § 218 InsO).79) 46 Bei dieser Entscheidung hat sich der Insolvenzverwalter an den Zielen des Insolvenzverfahrens zu orientieren. Gemäß § 1 InsO dient das Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird. Demnach ist die bestmögliche gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger anzustreben. Der Insolvenzverwalter hat folglich die Verfahrensvariante auszuwählen, die die bestmögliche Masseverwertung verspricht.80) Hierbei wäre eine überstürzte Verfahrensabwicklung zu Zerschlagungswerten oder eine übereilte Unternehmensveräußerung81) in gleicher Weise pflichtwidrig wie das Erleiden von erheblichen Verlusten durch fehlerhafte Fortführung eines Betriebes.82) 47 Hat sich der Insolvenzverwalter zur Betriebsfortführung entschlossen, ist er zu allen Maßnahmen berechtigt und verpflichtet, die der Fortführung des Schuldnerbetriebes dienen und eine vorzeitige Stilllegung verhindern. Hierbei hat er fortlaufend zu überprüfen, ob die Fortführung des Unternehmens die Insolvenzmasse nicht ungünstig beeinflusst, also zu erheblichen Verlusten führt.83) 48 Erkennt der Insolvenzverwalter, dass die Betriebsfortführung weitere und erhebliche Verluste verursacht, so ist er grundsätzlich verpflichtet, den Betrieb stillzulegen bzw. entsprechende Beschlüsse der Gläubigerversammlung herbeizuführen.84) 49 Aus diesem Grunde hat der Insolvenzverwalter für die Zwecke der Betriebsfortführung Finanz- und Liquiditätspläne, Plan-, Gewinn- und Verlustrechnungen zu erstellen und

___________ 76) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 148 Rz. 40; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 211. 77) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 148 Rz. 42; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 212. 78) Vgl. BGH, Urt. v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151 = ZIP 1987, 115; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 60 Rz. 16. 79) S. auch Antoni, NZI 2013, 236 ff. 80) BGH, Urt. v. 7.12.1977 – VIII ZR 164/76, BGHZ 70, 87 ff.; BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 ff. 81) Vgl. OLG Rostock, Urt. v. 8.4.2011 – 5 U 31/08, NZI 2011, 488 ff., wonach im Zweifel die vorübergehende Verpachtung an den potenziellen Erwerber vorzugswürdig ist, um dem Risiko der Veräußerung unter Wert zu begegnen. 82) BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 60 Rz. 14, 16. 83) Vgl. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 100 f. 84) BGH, Urt. v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151, 156 = ZIP 1987, 115.

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fortlaufend den tatsächlichen Entwicklungen im Unternehmen anzupassen.85) Demnach ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, ständig, z. B. durch Zwischenbilanzen und Zwischenrechnungen und ggf. monatliche Erfolgsrechnungen, die Rentabilität des von ihm fortgeführten Unternehmens zu kontrollieren.86) Der Verwalter hat zu prüfen, dass die finanziellen Voraussetzungen einer Betriebsfortführung gegeben sind oder geschaffen werden können. Hierzu sind die Beziehungen des Unternehmens zu Lieferanten und Kunden zu analysieren. Die Marktlage ist zu prüfen. Diese Pflichten sind zunächst Rechtspflichten. Denn der Verwalter handelt rechtlich fehlerhaft, wenn er die Lage des Unternehmens und die Sachverhalte im Einzelnen unsorgfältig aufklärt und deshalb zu falschen rechtlichen Entschlüssen gelangt.87) Bei der Fortführung des Unternehmens ist die Grundlage seiner Entscheidung eine Prognose der aktuellen Liquiditätslage sowie eine realistische Einschätzung der zukünftigen Geschäftsentwicklung für die Dauer der Fortführung.88) Der Insolvenzverwalter hat hierbei alle Erkenntnismittel auszuschöpfen und handelt fahrlässig, wenn er die Sachlage unzureichend aufklärt und infolgedessen die Fortführungsfähigkeit falsch beurteilt.89) 1.3.3 Treffen unternehmerischer Entscheidungen Bei den unternehmerischen Entscheidungen eines Insolvenzverwalters sind gleiche oder 50 ähnliche Anforderungen zu stellen, wie an jeden sonstigen Unternehmensleiter bzw. organschaftlichen Vertreter eines Unternehmens.90) Auch der BGH erkennt an, dass hinsichtlich der Haftungsnormen im Grundsatz eine Vergleichbarkeit besteht.91) Es sind deshalb nach einer Ansicht in der Literatur die Rechtsgrundsätze der business judgment rule zu ordnungsgemäßen unternehmerischen Entscheidungen eines GmbH-Geschäftsführers und eines Vorstandes einer AG entsprechend anzuwenden.92) In der Literatur wird die Anwendung der business judgment rule teilweise abgelehnt, weil die Situation mit derjenigen einer Aktiengesellschaft nicht vergleichbar sei aufgrund der vermeintlich weitergehenden Interessen der Beteiligten im Insolvenzverfahren.93) Hiergegen ist einzuwenden, dass die business judgment rule der Vermeidung von Rückschaufehlern dient, soweit unternehmerische Entscheidungen auf unsicherer Tatsachengrundlage zu treffen waren;94) zudem ist sie nicht auf das Aktienrecht zu begrenzen, sondern als allgemeines Institut des Unternehmensrechts gesetzesübergreifend einzusetzen, wenn Ermessensentscheidungen eines Kompetenzträgers nachträglich zu bewerten sind, die im Entscheidungszeitpunkt auf unsicherer Grundlage und – wie in der Insolvenz – regelmäßig unter hohem Zeitdruck ___________ 85) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 100 mit Verweis auf Mönning, 1. Aufl., 1997, Rz. 777, 785; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 211. 86) OLG Koblenz, Urt. v. 16.2.1956 – 5 U 606/54, KTS 1956, 60; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 80 Rz. 100. 87) RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 97, 98; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 60 Rz. 14, 16 f. 88) Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 26. 89) BGH, Urt. v. 9.5.1996 – IX 244/95, ZIP 1996, 1183; Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 31. 90) Vgl. zu dieser Ansicht Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 212; Mönning, 1. Aufl., 1997, Rz. 777 ff. 91) S. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, Rz. 44 f., BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 92) So Berger/Frege, ZIP 2008, 204 ff.; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: FS Wellensiek, S. 291 ff.; Uhlenbruck in: FS K. Schmidt, S. 1603 ff.; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, S. 114 ff., 135 ff.; Erker, ZInsO 2012, 199 ff.; a. A. Jungmann, NZI 2009, 80 ff.; Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 48 f.; differenzierend K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 14. 93) So Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 48, 49. 94) Zum Merkmal der „unternehmerischen Entscheidung“ vgl. Bachmann, ZHR 177, 1 ff.; Bosch/Lange, JZ 2009, 225 ff.; Falkenhausen, NZG 2012, 644 ff.; Fest, NZG 2011, 540 ff.; Fleischer, NZG 2011, 521 ff.; Redeke, NZG 2009, 496 ff.

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getroffen werden müssen.95) Insoweit braucht es keine „flexible Anwendung des Verschuldensmaßstabes“,96) weil die business judgment rule als Kombination aus Pflicht- und Verschuldenselementen zu einer Objektivierung führt und den Handlungsrahmen kalkulierbarer gestaltet. Dies schafft zusätzliche Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Selbstverständlich steht die Anwendung der business judgment rule unter dem Vorbehalt der Einhaltung des Insolvenzzwecks gemäß § 1 InsO,97) insolvenzzweckwidrige Handlungen des Verwalters können durch die Analogie zu § 93 Abs. 1 AktG ebenso wenig legitimiert werden wie Satzungs- oder Gesetzesverstöße eines Vorstands.98) 51 Analog § 93 Abs. 1 AktG ist aus der Sicht eines objektiven Drittbeobachters darauf abzustellen, ob der Insolvenzverwalter bei angemessener Prüfung und Information „vernünftigerweise annehmen durfte“, bei seiner wirtschaftlichen Ermessensentscheidung im Interesse der Insolvenzmasse zu handeln. Es kommt darauf an, dass eine zumindest nicht wirtschaftlich unvertretbare unternehmerische Ermessensentscheidung getroffen wurde und dass der Insolvenzverwalter auf einer gehörigen Entscheidungsgrundlage den Entschluss getroffen hat.99) 52 Entschließt sich ein Insolvenzverwalter, den Geschäftsbetrieb des Schuldnerunternehmens fortzuführen, so hat er die folgenden Maßgaben zu berücksichtigen: x

Richtet sich die Betriebsfortführung an den gesetzlichen Verfahrenszielen der Insolvenzordnung aus?100)

x

Sind die mit der Betriebsfortführung verbundenen Verbindlichkeiten gedeckt?101)

x

Verspricht die Fortführung im Vergleich zur sofortigen Liquidation ein besseres oder zumindest gleiches Verfahrensergebnis?102)

x

Sind die notwendigen rechtlichen, wirtschaftlichen und administrativen Rahmenbedingungen abgesichert?

53 Demnach hat der Insolvenzverwalter bei seiner Entscheidung zu prüfen, ob x

die Entscheidung über die Fortführung des Unternehmens allein nach insolvenzrechtlichen und unternehmerischen Gesichtspunkten erfolgt,

x

die Entscheidung nicht von Sonderinteressen oder sachfremden Erwägungen beeinflusst wird,

x

auf angemessener Tatsachenbasis entschieden wird,

x

bei der Entscheidung alle maßgeblichen Umstände zum Wohle der Gläubigergemeinschaft abgewogen werden und

x

die Entscheidung im Hinblick auf die Angemessenheit und Zweckdienlichkeit im guten Glauben erfolgt ist.103)

___________ 95) Zur Begründung der Anwendbarkeit ausführlich Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: FS Wellensiek, S. 291 ff. 96) Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 48. 97) S. dazu Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 48; Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 483. 98) So bereits Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: FS Wellensiek, S. 291 ff. 99) Vgl. hinsichtlich der Informationsgrundlage Frege/Nicht in: FS Wellensiek, S. 291 ff. 100) BGH, Urt. v. 10.4.1979 – VI ZR 77/77, NJW 1980, 55; Mönning in: Prütting, Insolvenzrecht 1996, S. 43, 48. 101) BGH, Urt. v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151 = ZIP 1987, 115; Mönning in: Prütting, Insolvenzrecht 1996, S. 43, 48. 102) Mönning in: Prütting, Insolvenzrecht 1996, S. 43, 49. 103) In Anlehnung an die Grundsätze zur Business Judgment Rule Berger/Frege, ZIP 2008, 204.

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Im Falle eines Schadens, den die Insolvenzmasse durch eine unternehmerische Entschei- 54 dung des Verwalters erlitten hat, können Insolvenzgläubiger bestreiten, dass die unternehmerische Entscheidung auf einer genügenden Entscheidungsgrundlage basiert. Lediglich wenn die Entscheidungsgrundlagen sorgfältig erhoben und verarbeitet worden sind, ist die unternehmerische Entscheidung grundsätzlich vertretbar und ein in ihr sich verwirklichendes wirtschaftliches Risiko führt nicht zur Haftung. Bei der Herstellung einer genügenden Entscheidungsgrundlage hat sich der Insolvenzver- 55 walter betriebswirtschaftlicher Analysemethoden zu bedienen. Er soll eine strategische und operative Unternehmensplanung erarbeiten. Der Insolvenzverwalter muss zunächst Krisensymptome und Insolvenzursachen sorg- 56 fältig analysieren. Es müssen betriebswirtschaftliche Auswertungen erstellt werden, die als Grundlage einer langfristig strategischen und einer kurzfristig operativen Planung dienen können. Der Insolvenzverwalter muss eine in die Zukunft gerichtete Sanierungskonzeption und das „Leitbild des sanierten Unternehmens“ erstellen.104) Hierzu gehört, dass die strategische Ausgangsposition des Unternehmens erfasst und bewertet wird. Wichtige Analysepunkte sind: x

das Produkt- und Leistungsprogramm,

x

Kundengruppen- und Kundenprobleme,

x

Produktions- und Absatztechnologien.105)

Auf der Grundlage einer langfristigen strategischen Planung ist die operative Unternehmens- 57 planung für die einzelnen Teilbereiche des Unternehmens vorzunehmen. Die eher grob definierten Strategien müssen in konkrete Maßnahmen übersetzt werden.106) Die operative Planung ist auf kürzere Zeithorizonte bezogen. Sie muss vom Insolvenzverwalter fortlaufend aktualisiert werden. Im Schrifttum wird vertreten, dass die strategische Ausgangsposition des sanierungsbedürftigen Unternehmens durch den Einsatz von Instrumenten der Umweltanalyse, der empirischen Planungsforschung und der internen Unternehmensanalyse bestimmt werden soll.107) Untersucht werden muss das Wettbewerbsumfeld des Unternehmens: x

Marktsituation,

x

Branchensituation,

x

Aufstellung und erkennbare Perspektiven der Wettbewerber.

58

Ferner sollen strategische Erfolgsfaktoren beleuchtet werden: x

relativer Marktanteil,

x

relative Produktqualität,

x

Kapitalintensität.108)

59

Hierzu sind finanzwirtschaftliche Methoden und Kennzahlen zu verarbeiten. Die unter- 60 nehmensinterne Analyse muss die Gründe für eventuell vorliegende Leistungsdifferenzen benennen. Sie muss auf die Struktur des sanierungsbedürftigen Unternehmens und seine ___________ 104) Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, Kap. 27 Rz. 19; Nerlich/ Römermann-Kießling, InsO, § 148 Rz. 68 ff. 105) Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, Kap. 27 Rz. 22 f. 106) Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, Kap. 27 Rz. 19. 107) Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, Kap. 27 Rz. 19. 108) Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, Kap. 27 Rz. 19.

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Stärken und Schwächen (z. B. in Produktion, Forschung und Entwicklung, Marketing, Personal, Finanzen) eingehen.109) 61 Ausgehend von der Analyse der strategischen Ausgangsposition sind die zur Fortführung des Unternehmens maßgebenden strategischen operativen Maßnahmen abzuleiten. Mit ihnen soll das Unternehmen neu ausgerichtet werden: x

Schwächen in den Bereichen Produkt, Qualität und Marketing sind abzustellen.

x

Die richtige Organisationsform und Organisationsstruktur ist zu wählen.

x

Unternehmensinterne Prozesse und Zuständigkeiten sollen nachvollziehbar definiert und für alle Beteiligten durchsichtig sein.

x

Informations- und Kommunikationswege sollen reibungs- und verlustfrei gestaltet werden.

x

Bei Konzernunternehmen müssen Barrieren zwischen den einzelnen Gesellschaften abgebaut werden.

x

Die Führungsebenen sollen adäquat gestaltet, besetzt und überwacht werden.

x

Die Situation des gesamten Personals ist kritisch zu überprüfen.

x

Ein geeignetes Controllingsystem ist zu installieren.110)

1.3.4 Prüfung und Anzeige der Masseunzulänglichkeit111) 62 Gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO muss der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit anzeigen, wenn zwar die Kosten des Verfahrens (§ 54 InsO) aus der Insolvenzmasse bestritten werden können, nicht aber die bereits fälligen sonstigen Verbindlichkeiten (§ 55 InsO), zu denen auch die oktroyierten Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO gehören (sog. Altmasseverbindlichkeiten). Dies gilt gemäß § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO auch dann, wenn die Insolvenzmasse im Zeitpunkt der Fälligkeit der sonstigen Masseverbindlichkeiten zu deren Bedienung nicht ausreichen wird. Die Pflicht zur Anzeige ist dem Gesetz zu entnehmen, denn der Wortlaut von § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO lautet: „[…] so hat der Insolvenzverwalter […] anzuzeigen.“

63 Allerdings enthält das Gesetz keine eindeutige Aussage dazu, zu welchem Zeitpunkt die Masseunzulänglichkeit angezeigt werden muss.112) Nach h. M. hat der Insolvenzverwalter einen Entscheidungsspielraum im Hinblick auf den Zeitpunkt der Masseunzulänglichkeit.113) Der BGH spricht von einem „weiten Handlungsspielraum“, da die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht zu begründen ist und vom Insolvenzgericht nicht nachgeprüft wird. Insoweit existiert nach Ansicht des BGH auch keine insolvenzspezifische Pflicht, die Masseunzulänglichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erklären, um die Einzelinteressen bestimmter Gläubiger zu schützen. Allerdings folgt hieraus nicht, dass der Insolvenzverwalter völlig frei in seiner Entscheidung ist. Denn wie der BGH in der Entscheidung IX ZB 261/08 gezeigt hat, muss der Insolvenzverwalter die Masse nach dem Verteilungsschlüssel des § 209 Abs. 1 InsO verteilen, soweit die Voraussetzungen des § 208 Abs. 1 InsO vorliegen, d. h. bei voraussichtlicher oder tatsächlicher Masseunzu-

___________ 109) 110) 111) 112) 113)

Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, Kap. 27 Rz. 22. Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, Kap. 27 Rz. 22, 41 ff., 102 ff. Vgl. auch Kirchhof, ZInsO 1999, 365 ff. BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/98, ZIP 2010, 2356 ff. BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/98, ZIP 2010, 2356 ff. m. w. N. des Schrifttums.

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§ 38

länglichkeit.114) Hiernach kann die Einhaltung der Befriedigungsreihenfolge des § 209 Abs. 1 InsO nicht dadurch vom Verwalter umgangen werden, „[…] dass er die gebotene Anzeige einfach unterlässt.“115)

In der Literatur ist umstritten, ob ein Insolvenzverwalter nach bereits erfolgter Anzeige 64 der Masseunzulänglichkeit nochmals die Masseunzulänglichkeit anzeigen darf.116) Man mag sich hier Fälle vorstellen, in denen die prognostizierte Insolvenzmasse aufgrund nicht vorhersehbarer Ereignisse auch nicht ausreicht, um die Neumasseverbindlichkeiten zu bezahlen, so dass es zu einer Rückstufung auch von Neumassegläubigern kommt. Die Folge wäre bei mehrmaliger Anzeige der Masseunzulänglichkeit, dass verschiedene Rangklassen nachrangiger Altmassegläubiger gebildet würden, was zu einem unübersichtlichen Verfahren führt. Deshalb sind der wohl überwiegende Teil der Literatur und der BGH der Ansicht, dass nach einmaliger Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht nochmals die Masseunzulänglichkeit angezeigt werden darf.117) Dies gilt auch dann, wenn zunächst nur die drohende Masseunzulänglichkeit angezeigt wurde, später die Masseunzulänglichkeit tatsächlich eintritt.118) Vielmehr ist gemäß BGH119) so zu verfahren, dass bei nicht zureichender Insolvenzmasse 65 nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit auch die danach noch hinzutretenden Neumassegläubiger nur zusammen mit den Altmassegläubigern quotal befriedigt werden dürfen (analog § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Insoweit soll bei einer Leistungsklage eines Neumassegläubigers kein entsprechendes Leistungsurteil ergehen dürfen, sondern allenfalls ein Feststellungsurteil, mit dem festgelegt wird, dass der Neumassegläubiger quotal im Anschluss an die Bezahlung der Verfahrenskosten zu bedienen ist.120) Gemäß § 209 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzu- 66 länglichkeit die Verbindlichkeiten wie folgt zu befriedigen: x

zunächst die Kosten des Verfahrens (§ 54 InsO),

x

hiernach die Verbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören (sog Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO),

x

hiernach die sonstigen Masseverbindlichkeiten (sog. Altmasseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO).

Eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 Abs. 1 InsO wegen ver- 67 späteter Anzeige der Masseunzulänglichkeit wird vom BGH nicht angenommen. Vielmehr richte sich die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters für Masseverbindlichkeiten, die bei ihrer Fälligkeit nicht bedient werden können, ausschließlich nach § 61 InsO.121) Danach dürfe die Regelung in § 61 InsO nicht dadurch unterlaufen werden, dass eine in___________ 114) 115) 116) 117)

118) 119) 120) 121)

BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145 ff. BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145 ff. Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 208 Rz. 11. BGH, Urt. v. 13.4.2006 – IX ZR 22/05, ZIP 2006, 1004 = NJW 2006, 2997, 2999; BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZIP 2003, 914 = NJW 2003, 2454; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 25.11.2003 – 25 W 60/03, NZI 2005, 40; Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 208 Rz. 60; Landfermann in: HKInsO, § 208 Rz. 6; Mohrbutter/Ringstmeier-Pape, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 12 Rz. 100; Blersch/ Goetsch/Haas-Breutigam, BK-InsO, § 208 Rz. 4; Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49, 55. Landfermann in: HK-InsO, § 208 Rz. 6. BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 ff. = ZIP 2003, 914. BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 ff. = ZIP 2003, 914. BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/98, ZIP 2010, 2356 ff.; vgl. Büchler, ZInsO 2011, 1240 ff.; Gundlach/Frenzel/Jahn, DZWIR 2011, 177 ff.

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§ 38

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

solvenzspezifische Pflicht kreiert werde, die Masseunzulänglichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt anzuzeigen.122) 68 Eine persönliche Haftung nach § 60 Abs. 1 InsO kann allenfalls in Betracht kommen, wenn der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die fälligen Masseverbindlichkeiten falsch bedient, indem er z. B. auf Altmasseverbindlichkeiten zahlt und Neumassegläubiger hierdurch ausfallen. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BGH auch, wenn der Insolvenzverwalter fehlerhaft auszahlt, weil er nach tatsächlicher Masseunzulänglichkeit nicht entsprechend § 209 Abs. 1 InsO auszahlt, ohne die Masseunzulänglichkeit angezeigt zu haben. Der BGH hat entschieden, dass auch dann § 209 Abs. 1 InsO anzuwenden ist, wenn eine verspätete oder gar keine Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfolgt.123) 1.4

Bedeutung der Genehmigung durch den Gläubigerausschuss

69 Der Gläubigerausschuss und der Insolvenzverwalter sollen als gleichberechtigte, voneinander jedoch unabhängige Organe der Insolvenzverwaltung zusammenarbeiten. Der Gläubigerausschuss ist nicht Hilfsorgan des Insolvenzverwalters; umgekehrt steht dem Gläubigerausschuss gegenüber dem Insolvenzverwalter kein Weisungsrecht zu.124) Der Gläubigerausschuss ist verpflichtet, den Insolvenzverwalter zu überwachen und mit diesem zusammenzuarbeiten (§ 69 InsO). 70 Aus diesen gesetzlichen Maßgaben zur Zusammenarbeit ist herzuleiten, dass der Gläubigerausschuss gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter alle wesentlichen Entscheidungen innerhalb des Insolvenzverfahrens trifft. Demnach hat er sich umfassend zu informieren. Dies ist lediglich möglich, wenn der Insolvenzverwalter dem Gläubigerausschuss gegenüber vollständig berichtet und den Gläubigerausschuss mit den für die maßgeblichen Entscheidungen erforderlichen Informationen ausstattet. Art und Umfang dieser Informationen müssen so ausgestaltet sein, dass der Gläubigerausschuss seiner Mitwirkungspflicht und seiner Kontrollaufgabe genügen kann. Denn der Gläubigerausschuss hat neben der Mitwirkung die Rechtmäßigkeit, die Zweckmäßigkeit und die wirtschaftliche Angemessenheit des Handelns des Insolvenzverwalters zu überwachen.125) 71 Hierzu gehört u. a. die Prüfung, ob die Weiterführung des Schuldnerunternehmens sinnvoll erscheint oder die Voraussetzungen für eine sofortige Stilllegung gegeben sind.126) Diese Kontrolle kann ein Gläubigerausschussmitglied lediglich dann ausüben, wenn sich das Mitglied über die relevanten wirtschaftlichen Vorgänge hinreichend informiert hat. Der inhaltlichen Prüfung geht demnach die Pflicht der Gläubigerausschussmitglieder voraus, sich über die relevanten wirtschaftlichen Vorgänge zu informieren.127) Hierzu besteht ein Recht und eine Pflicht der Mitglieder des Gläubigerausschusses, vom Insolvenzverwalter einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand und die genaue Geschäftsführung zu verlangen.128) Informationsmaß und Informationsdichte richten sich nach den Besonderheiten des Schuldnerunternehmens und nach der bisherigen Geschäftsführung des Insolvenzverwalters. Bei einer Betriebsfortführung sind insbesondere die Rechte und ___________ 122) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/98, ZIP 2010, 2356 ff. 123) BGH, Urt. v. 13.4.2006 – IX ZR 22/05, ZIP 2006, 1004 = NJW 2006, 2997; BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145 ff. 124) Riedel in: HK-InsO, § 69 Rz. 7; Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, InsO, § 69 Rz. 5; Pape, Gläubigerbeteiligung, Rz. 334; Heidland in: Kölner Schrift, S. 711, 723, Rz. 25; Frege/Keller/Riedel, InsR, Rz. 1246 ff. 125) OLG Rostock, Beschl. v. 28.5.2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814. 126) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 69 Rz. 20 ff. 127) Vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 28.5.2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814. 128) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 69 Rz. 25, 26.

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Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe

§ 38

Pflichten zu berücksichtigen, die bei der Insolvenzverwaltung eines noch bestehenden Handels- oder Industrieunternehmens zu berücksichtigen sind. In besonderen Einzelfällen ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, einen Beschluss des 72 Gläubigerausschusses einzuholen (dazu §§ 158 Abs. 1, 160 Abs. 1 InsO). Unterlässt der Insolvenzverwalter die gesetzlich gebotene Beteiligung des Gläubigerausschusses, macht dies die vorzulegende Rechtshandlung im Außenverhältnis zwar nicht unwirksam (§ 164 InsO), es kann aber hieraus der Schluss gezogen werden, dass eine schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten gegeben ist, die zu einem Schadensersatzanspruch führen kann.129) Umgekehrt enthält eine zustimmende Entscheidung des Gläubigerausschusses noch 73 nicht die Festlegung, dass aufgrund des Votums des Ausschusses eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters in jedem Falle ausscheidet.130) Allerdings kann von der Zustimmung des zuständigen Verfahrensorgans eine erhebliche Indizwirkung für rechtmäßiges und nicht schuldhaftes Verhalten des Verwalters ausgehen, wenn eine gesetzliche Zustimmungsbedürftigkeit gegeben war (Vorlagepflicht) und wenn der Insolvenzverwalter das zuständige Verfahrensorgan zutreffend – d. h. zeitlich und sachlich angemessen, inhaltlich richtig und vollständig – informiert hat.131) 1.5

Beteiligung der Gläubigerversammlung

Eine zustimmende Entscheidung der Gläubigerversammlung kann von Bedeutung hinsicht- 74 lich der Haftung des Verwalters gemäß § 60 InsO sein, wenn eine gesetzliche Pflicht zur Einholung der Zustimmung der Versammlung gegeben war und die Information der Versammlung sachlich zutreffend und inhaltlich ausreichend gewesen ist. Insoweit ist zu prüfen, ob die Gläubigerversammlung ordnungsgemäß informiert wurde. 75 Die Berichtspflicht gegenüber der Gläubigerversammlung ergibt sich aus §§ 79, 156, 160 ff. InsO.132) Das Berichtswesen des Verwalters dient der sachgerechten Vorbereitung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung. Die Gläubigerversammlung ist gemäß § 157 Satz 1 InsO dafür zuständig zu entscheiden, 76 ob das Unternehmen stillgelegt oder vorläufig fortgeführt wird. Vor der Betriebsveräußerung an besonders Interessierte (§ 162 InsO) oder der Betriebsveräußerung unter Wert (§ 163 InsO) ist die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen. Das Gesetz enthält in § 156 Abs. 1 InsO inhaltliche Anforderungen an den Bericht des 77 Insolvenzverwalters. Er muss über die Fortführungsfähigkeit berichten und Alternativszenarien beschreiben. Darüber hinausgehend sind im Gesetz keine formalen und inhaltlichen Vorgaben für den Bericht des Insolvenzverwalters enthalten. Die Insolvenzordnung schreibt den Inhalt und die Art und Weise der Präsentation des Berichtes nicht im Einzelnen vor. Die erforderliche Informationstiefe richtet sich nach den Maßgaben des Einzelfalls. Der Bericht soll die Entscheidung der Gläubigerversammlung über den weiteren Verfahrensverlauf vorbereiten. Der Bericht des Insolvenzverwalters muss deshalb so umfangreich

___________ 129) S. Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 50 m. Hinweis auf OLG Rostock, Urt. v. 8.4.2011 – 5 U 31/08, NZI 2011, 488. 130) BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 ff.; Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 50, 51. 131) Vgl. BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 ff.; Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 51. 132) Vgl. zur Informationserteilung Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff.

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§ 38

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

und detailliert sein, dass er gemeinsam mit den eingereichten Unterlagen eine Grundlage für die Entscheidung der Gläubiger bilden kann:133) x

Der Bericht muss zu den Erhaltungs- und Sanierungsaussichten Auskunft geben.

x

Der Insolvenzverwalter muss anhand der leistungswirtschaftlichen Daten des Unternehmens die Zweckmäßigkeit der Unternehmensfortführung belegen.134)

x

Der Insolvenzverwalter muss dabei Fortführungsrisiken und ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten möglichst genau abbilden und Entscheidungsalternativen für die Gläubigerversammlung offenlegen.135)

x

Die Krisenursachen müssen zutreffend erfasst werden.136)

x

Nach Analyse der Ursachen muss der Insolvenzverwalter überprüfen, ob die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens gegeben ist. Die Sanierungsfähigkeit ist gegeben, wenn das Unternehmen nach Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen nachhaltig einen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben erzielen kann.137) Soweit eine Überschussprognose nicht anzustellen ist, soll das Unternehmen liquidiert werden.

78 Der Bericht des Insolvenzverwalters zu den Erhaltungs- und Sanierungsaussichten des Unternehmens enthält neben einer Darstellung der Fakten auch Prognosen und unternehmerische Werturteile. Er kann nicht in der gleichen Weise exakt sein, wie die Erfassung der zurückliegenden Entwicklung des Unternehmens. Gleichwohl darf ein sorgfältiger Insolvenzverwalter nicht spekulativ vorgehen.138) Die angestellten Prognosen und Werturteile müssen vielmehr kaufmännisch vertretbar und ausreichend durch Tatsachen gestützt sein.139) Der Insolvenzverwalter soll planvoll anhand eines Liquiditätsplans, der auf den Annahmen zu den leistungswirtschaftlichen Daten des Unternehmens beruht und die Zweckmäßigkeit der Fortführung belegt, vorgehen.140) 79 Darüber hinaus sind folgende Maßgaben einzuhalten: x

Die denkbaren Effekte einer Unternehmenszerschlagung sollen dargestellt werden.141)

x

Der Zerschlagung soll der alternative Verfahrensverlauf bei einer Sanierung des Unternehmens gegenübergestellt werden.

x

Es soll vom Insolvenzverwalter sorgfältig prognostiziert werden, „welche Dividende die Gläubiger bei welcher Entscheidung zu erwarten haben“.142)

x

Der Insolvenzverwalter soll insoweit die verschiedenen Verfahrenswege im Hinblick auf die Gläubigerbefriedigung gegenüberstellen und miteinander vergleichen.143)

___________ 133) 134) 135) 136) 137) 138) 139) 140) 141)

Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 156 Rz. 8. Görg/Janssen in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 19 ff. Görg/Janssen in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 30, 31. Vgl. Picot/Aleth-Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1168 Rz. 54. Nochmals Picot/Aleth-Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1169 Rz. 55. Görg/Janssen in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 36. Zur Prospekthaftung vgl. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 15.10.2008 – 23 U 348/05, juris. Görg/Janssen in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 31, 32, 34. Vgl. zum Berichtswesen Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus/Pape, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 21 Rz. 186 ff. 142) Vgl. Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus/Pape, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 21 Rz. 186 ff.; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 156 Rz. 5 ff. 143) Möhlmann, NZI 1999, 433.

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Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe

§ 38

Soweit die Gläubigerversammlung aufgrund der unvollständigen oder inhaltlich falschen 80 Information durch den Bericht des Insolvenzverwalters eine objektiv fehlerhafte Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens durch Unternehmensfortführung trifft und dies zu einem Schaden führt, haftet der Insolvenzverwalter wegen Verletzung einer insolvenzspezifischen (Berichts-)Pflicht gemäß §§ 60 Abs. 1, 92 Abs. 1 InsO, wenn er das Unternehmen pflichtwidrig fortführt. Der Insolvenzverwalter kann sich zu seiner Rechtfertigung nicht auf einen Beschluss der Gläubigerversammlung berufen, wenn diese durch ihn mangelhaft informiert worden ist.144) Ungeachtet dessen führt eine zustimmende Entscheidung der Gläubigerversammlung 81 auch bei vollständiger und richtiger Information nicht automatisch zur Enthaftung des Insolvenzverwalters. Wenn eine gesetzliche Vorlagepflicht bestanden hat (§§ 157, 162, 163 InsO), kann jedoch die Indizwirkung derart gewichtig sein, dass ein Verschulden des Verwalters ausscheidet.145) In vorsichtiger Anlehnung an § 253 Abs. 2 InsO n. F. könnte man allenfalls erwägen, den Gläubigern die Berufung auf einen Schadensersatzanspruch zu versagen, die in der Gläubigerversammlung dem Handlungsvorschlag des Insolvenzverwalters zugestimmt haben oder nicht anwesend waren. 2.

Insolvenzspezifische Haftung gemäß § 61 InsO

Gemäß § 61 Satz 1 InsO haftet der Insolvenzverwalter einem Massegläubiger auf Scha- 82 densersatz, wenn eine Masseverbindlichkeit aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet wurde.146) Die persönliche Haftung ist gemäß § 61 Satz 2 InsO ausgeschlossen, wenn der Insolvenzverwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Insolvenzmasse voraussichtlich zur Erfüllung der Masseverbindlichkeit nicht ausreichen wird. 2.1

Gesetzeszweck der persönlichen Haftung gemäß § 61 Satz 1 InsO

Nach der Rechtslage unter der KO, die keine dem § 61 InsO vergleichbare Haftungsnorm 83 kannte, oblag es dem Vertragspartner des Verwalters, sich selbst einen Eindruck von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Masse zu machen. Das erschwerte dem Verwalter das Auffinden von Geschäftspartnern. Der Gesetzgeber erkennt mit § 61 InsO nun an, dass im Falle eines Vertragsschlusses mit einem insolventen Unternehmen ein erhöhtes Ausfallrisiko für den Gläubiger besteht, welches durch § 61 InsO abgemildert werden soll.147) Gleichzeitig soll hierdurch die Bereitschaft der potenziellen Vertragspartner gefördert werden, Rechtsgeschäfte mit dem Insolvenzverwalter einzugehen, was bei Betriebsfortführungen besonders wichtig sein kann.148) Deshalb wird der Insolvenzverwalter verpflichtet, vor der Begründung von Masseschulden „besonders sorgfältig“ zu prüfen, ob er die neu begründeten Masseverbindlichkeiten im Fälligkeitszeitpunkt wird erfüllen können. 2.2

Ersatzberechtigte

Zum Schadensersatz berechtigt sind Massegläubiger gemäß §§ 53 bis 55 InsO. Im Regel- 84 fall sind Vertragsgläubiger betroffen, mit denen der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung ___________ 144) Vgl. Jaeger-Gerhardt, InsO, § 60 Rz. 142; BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 ff.; BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262 ff. = ZIP 191, 324 ff. 145) BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 ff.; Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 50, 51. 146) Vgl. Deimel, ZInsO 2004, 783 ff.; Pape, ZInsO 2003, 1013 ff. 147) BT-Drucks. 12/2443, S. 129; Nerlich/Römermann-Rein, InsO, § 61 Rz. 2. 148) BT-Drucks. 12/2443, S. 129.

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§ 38

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

des Insolvenzverfahrens kontrahiert hat oder als „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter kontrahiert hatte (vgl. auch § 55 Abs. 2 InsO). In den Anwendungsbereich von § 61 InsO fallen ferner Gläubiger aus vor Verfahrenseröffnung begründeten Dauerschuldverhältnissen, die gemäß §§ 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt., 108 InsO aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind, wenn der Zeitpunkt der frühestmöglichen Kündigung überschritten ist.149) 2.3

Schadensumfang

85 Die Haftung gemäß § 61 InsO ist auf das negative Interesse begrenzt, d. h. der geschädigte Vertragspartner ist so zu stellen wie er stünde, wenn die Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters nicht vorgelegen hätte (vgl. auch § 249 Abs. 1 BGB).150) Es liegt ein Fall der Vertrauenshaftung vor.151) Die Pflichtverletzung durch den Insolvenzverwalter liegt in dem Abschluss des Vertrages, obgleich im Abschlusszeitpunkt ernstliche Zweifel an der Erfüllbarkeit bestanden, nicht allein in der Unfähigkeit der Insolvenzmasse zur Befriedigung des Vertragspartners.152) Der BGH sieht hier eine Parallele zum Umfang der Haftung von Geschäftsführern und Vorständen, die entgegen der Pflicht zur Insolvenzantragstellung gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG a. F., § 92 Abs. 2 AktG a. F., § 15a Abs. 1 InsO neue Verbindlichkeiten begründen und den Geschäftspartnern auf das negative Interesse haften. Die im Grundsatz vergleichbare Haftung des Insolvenzverwalters könne nicht strenger ausfallen, obwohl der Insolvenzverwalter „[…] bei seinen Entscheidungen häufig unter großem, nicht selbst verschuldetem Zeitdruck steht und es daher viel schwerer hat, sich ein hinreichend sicheres Bild von der finanziellen Situation des Schuldners zu machen.“153)

2.4

Abgrenzung Einzelschaden/Gesamtschaden

86 Der Schadenersatzanspruch gemäß § 61 Satz 1 InsO ist ein Individualanspruch des nicht befriedigten Massegläubigers, der auch während des Insolvenzverfahrens vom Geschädigten gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann.154) Die Geltendmachung dieses Anspruchs gegen den Insolvenzverwalter ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Insolvenzmasse noch Ansprüche gegen Dritte hat, die in der Summe den gemäß § 61 Satz 1 InsO geltend gemachten Betrag übersteigen. Zumindest wenn der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat und keine ohne weiteres durchsetzbaren Ansprüche der Insolvenzmasse gegen Dritte bestehen, aus denen die Massegläubiger befriedigt werden können, ist ein Schaden gemäß § 61 Satz 1 InsO gegeben, der individuell klageweise gegen den Insolvenzverwalter durchgesetzt werden kann.155) § 92 InsO ist im Bereich von § 61 InsO grundsätzlich nicht anzuwenden. Im Schrifttum wird hingegen teilweise die Ansicht vertreten, dass ein Gesamtschaden i. S. von § 92 InsO vorliege, wenn eine Schmälerung der Insolvenzmasse nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfolgt.156) Dann sei § 92 InsO analog anzuwenden. ___________ 149) S. BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 ff. = ZIP 2003, 914. 150) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Nerlich/RömermannRein, InsO, § 61 Rz. 9, 23. 151) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 152) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 153) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 154) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Nerlich/RömermannRein, InsO, § 61 Rz. 26. 155) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 156) Hess, InsO, § 60 Rz. 152; Meyer-Löwy/Poertzgen/Sauer, ZInsO 2005, 691, 694.

1212

Frege/Berger/Nicht

Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe 2.5

§ 38

Abgrenzung zu § 60 InsO

Die Abgrenzung zu § 60 InsO erfolgt anhand des Zeitpunktes der pflichtwidrigen Hand- 87 lung des Insolvenzverwalters. Ausgangspunkt ist die Überlegung des BGH, dass § 61 InsO eine Entscheidung im Interessenkonflikt zwischen Massegläubiger und Insolvenzverwalter bewirken möchte, wen das Risiko der zukünftigen Masseunzulänglichkeit treffen soll. Hierbei soll der Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen und des Vertragsabschlusses von entscheidender Bedeutung sein.157) Dem Insolvenzverwalter wird durch § 61 Satz 1 InsO die gesetzliche Pflicht auferlegt, vor 88 der Eingehung von neuen Verbindlichkeiten besonders sorgfältig zu prüfen, ob er diese neuen Verbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse erfüllen kann. Er muss sich nach Ansicht des BGH vergewissern, ob er die neuen Verbindlichkeiten bei Zugrundelegung des normalen Geschäftsgangs rechtzeitig und vollständig mit Mitteln der Insolvenzmasse wird erfüllen können.158) Der Zeitpunkt der für § 61 Satz 1 InsO maßgeblichen Pflichtverletzung ist mithin der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Spätere fehlerhafte Handlungen des Insolvenzverwalters, z. B. die unzutreffende Bedie- 89 nung von Masseverbindlichkeiten im Fall der Masseunzulänglichkeit (§§ 208, 209 InsO), können nicht zur Haftung gemäß § 61 Satz 1 InsO führen, sondern allenfalls zur Haftung gemäß § 60 InsO, soweit eine schuldhafte Pflichtverletzung gegeben ist. Hiernach besteht ein insolvenzspezifischer Schutz für die Massegläubiger für den Zeitraum der Vertragsabwicklung. In diesem Zeitabschnitt nach dem Vertragsschluss sind diese Massegläubiger dagegen geschützt, dass der Insolvenzverwalter z. B. das Gebot nicht beachtet, Massegläubiger vorab aus der Insolvenzmasse zu befriedigen oder im Falle der unzureichenden Masse nur quotal.159) Nach Ansicht des BGH ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, Massegläubiger nur anteilig zu befriedigen, wenn er vorübergehend nicht in der der Lage ist, die Masseverbindlichkeiten vollständig zu bedienen.160) 2.6

Entlastungsbeweis

Nach Ansicht des BGH kann sich der Insolvenzverwalter mit zwei verschiedenen Be- 90 gründungen entlasten. Er kann entweder x

darlegen und beweisen, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses objektiv von einer zur Erfüllung der streitgegenständlichen Verbindlichkeit voraussichtlich ausreichenden Insolvenzmasse auszugehen war oder

x

dass die tatsächlich unzureichende Insolvenzmasse für ihn nicht erkennbar gewesen ist.161)

Der Beweis der objektiv zureichenden Insolvenzmasse bzw. der Nichterkennbarkeit des 91 zukünftigen Nichtausreichens kann nach der Rechtsprechung des BGH „im allgemeinen“ nur geführt werden, indem der Insolvenzverwalter „plausible Liquiditätsrechnungen“ erstellt und diese „bis zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit ständig überprüft

___________ 157) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Nerlich/RömermannRein, InsO, § 61 Rz. 7. 158) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 19 ff. 159) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 160) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 161) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Nerlich/RömermannRein, InsO, § 61 Rz. 19.

Frege/Berger/Nicht

1213

§ 38

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

und aktualisiert“.162) Die Grundlage hierfür soll eine Prognose aufgrund verschiedener Faktoren bilden: x

der aktuellen Liquiditätslage der Insolvenzmasse,

x

der realistischen Einschätzung noch ausstehender offener Forderungen und

x

der künftigen Geschäftsentwicklung des insolventen Unternehmens für die Dauer der Betriebsfortführung.163)

92 Besondere Bedeutung kommt hierbei der Bewertung der Außenstände zu. Der BGH meint, dass Forderungen der Insolvenzmasse gegenüber Dritten aus den Prognosebetrachtungen herauszunehmen sind, wenn ernsthafte Zweifel bestehen, ob diese Rechte in angemessener Zeit realisiert werden können.164) 93 Der BGH hat im Hinblick auf den möglichen Einwand des Insolvenzverwalters, er habe die Forderungen der Massegläubiger im Einzelfall nicht gekannt, darauf hingewiesen, dass in einem solchen Fall der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen muss, dass er hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen hatte, um eine vollständige und rechtzeitige Buchung aller Masseverbindlichkeiten sicherzustellen. Hierzu muss der Insolvenzverwalter Erfüllungsgehilfen anleiten und überwachen. V.

Haftung des Sachwalters in der Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO

1.

Haftung des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren für die schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten gemäß § 60 Abs. 1 InsO

1.1

Überblick

94 Gemäß § 274 Abs. 1 InsO sind hinsichtlich der insolvenzspezifischen Haftung des Sachwalters die §§ 60 und 62 InsO entsprechend anzuwenden. Auf § 61 InsO verweist die Vorschrift dagegen nicht. Insoweit ist der Sachwalter gemäß §§ 274 Abs. 1, 60 Abs. 1 Satz 1 InsO den Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er die ihm nach dem Gesetz obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt. Diese Pflichten ergeben sich aus den §§ 270 ff. InsO. 95 Es bestehen Parallelen zur persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 Abs. 1 InsO, soweit sich die Pflichtenkreise decken (z. B. im Rahmen von § 280 InsO). 96 Aufgrund der anders gelagerten Funktion des Sachwalteramtes, welches vorrangig auf Kontrolle, Unterstützung und Überwachung der sich selbst verwaltenden Insolvenzschuldnerin ausgelegt ist, bestehen i. R. der §§ 270 ff. InsO jedoch zahlreiche originäre Sachwalterpflichten, für die es im Regelinsolvenzverfahren keine Entsprechung gibt.165) Insofern ist zu unterscheiden zwischen den Handlungen des Sachwalters, die sich als echte formelle und materielle Verwaltungshandlungen einordnen lassen (und die im Regelinsolvenzverfahren dem Insolvenzverwalter zugeordnet sind) und den speziellen Prüfungs-, Überwachungs- und Anzeigepflichten des Sachwalters in der Eigenverwaltung, die an Handlungen der Insolvenzschuldnerin anknüpfen.166)

___________ 162) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Nerlich/RömermannRein, InsO, § 61 Rz. 20. 163) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 164) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 165) Vgl. auch Landfermann in: HK-InsO, § 274 Rz. 9. 166) Vgl. K. Schmidt-Undritz, InsO, § 274 Rz. 5; Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 165 ff. Rz. 548 ff.

1214

Frege/Berger/Nicht

Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe 1.2

§ 38

Haftung gegenüber den Beteiligten des Insolvenzverfahrens

Infolge des Verweises von § 274 Abs. 1 InsO auf § 60 InsO gelten die dort geregelten 97 Haftungsvoraussetzungen. Danach ist der Sachwalter allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der InsO obliegen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die persönliche Haftung ist demzufolge nur gegenüber Beteiligten gegeben, wenn dem 98 Sachwalter insolvenzspezifische Pflichten gerade gegenüber diesen konkreten Personen bestehen.167) Es gilt der materiell-rechtliche Beteiligtenbegriff.168) Es ist darauf abzustellen, wem gegenüber der Sachwalter eine konkrete Amtspflicht nach der InsO zu erfüllen hat. Dies sind zunächst x

die Insolvenzschuldnerin,

x

die Insolvenzgläubiger,

x

Aus- und Absonderungsberechtigte.169)

In der Literatur werden darüber hinaus benannt: x

die Mitglieder von Geschäftsführung oder Vorstand der Insolvenzschuldnerin,

x

die in der Haftung betroffenen Genossen einer insolventen Genossenschaft,

x

Massegläubiger,

x

die als Hinterlegungsstelle bestimmte Bank,

x

der Fiskus in Justizangelegenheiten,

x

die Bundesagentur für Arbeit,

x

Mitglieder des Gläubigerausschusses.170)

1.3

99

Verschulden des Sachwalters

Die persönliche Haftung des Sachwalters setzt ein Verschulden in Bezug auf die festzu- 100 stellende Pflichtverletzung voraus (§ 60 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 InsO). Der Sachwalter haftet nur, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig die in der InsO normierten Pflichten verletzt hat (§ 276 BGB). Insbesondere im Hinblick auf die Bestimmung der im Rechtsverkehr erforderlichen Sorgfalt als Bezugspunkt der Fahrlässigkeit sind die besonderen Umstände der Insolvenz zu beachten. Nach der Literatur ist als Maßstab die Sorgfalt eines Durchschnitts-Sachwalters zu wählen.171) Es gilt die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sachwalters (§ 60 Abs. 1 Satz 2 InsO). 1.4

Verletzung eigener Pflichten des Sachwalters im Hinblick auf die Verwaltung und Verwertung des Vermögens der Insolvenzschuldnerin

Hinsichtlich der gesetzlichen Pflichten des Sachwalters ist zu unterscheiden zwischen den 101 Befugnissen und Pflichten, die unmittelbar auf die Verwaltung und Verwertung des Vermögens bezogen sind und den Pflichten des Sachwalters, die mit der Kontrolle und Überwachung des Handelns des Insolvenzschuldners zusammenhängen. Während diese originär ___________ So auch Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 162 Rz. 541. K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 6. K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 6. S. Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 162, 163 Rz. 541 unter Bezugnahme auf Kübler/Prütting/BorkPape, InsO, § 274 Rz. 50; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 11; Foltis in: FK-InsO, § 274 Rz. 19. 171) Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 163 Rz. 543 m. w. N. 167) 168) 169) 170)

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§ 38

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

in die Hände des Sachwalters gelegt sind und nicht zwingend eine Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin verlangen, setzen jene ein Handeln der Insolvenzschuldnerin voraus, auf das sich die Kontrolltätigkeit beziehen kann. 102 Die unmittelbaren Befugnisse betreffen Verfahrenshandlungen, die im Regelinsolvenzverfahren dem Insolvenzverwalter vorbehalten gewesen wären, insbesondere x

die Führung der Insolvenztabelle einschließlich des Anmeldeverfahrens, Prüfungsund Feststellungsverfahrens,

x

die Erstellung eines Insolvenzplans im Auftrag der Gläubigerversammlung (§ 284 Abs. 1 InsO),

x

die Ermittlung und Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen (§ 280 InsO),

x

die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gemäß §§ 92 ff. InsO.

103 Verletzt der Sachwalter schuldhaft die gesetzlichen Pflichten zur Durchführung dieser insolvenzspezifischen Tätigkeiten, kommt eine persönliche Haftung in Betracht. 1.5

Verletzung eigener Pflichten des Sachwalters im Hinblick auf die Prüfung, Überwachung und Kontrolle des Handelns der Insolvenzschuldnerin

104 Im Hinblick auf die gesetzliche Pflicht des Sachwalters zur Prüfung, Überwachung und Kontrolle des Insolvenzschuldners können insolvenzspezifische Pflichten verletzt werden. Hierbei ist führend die Pflicht zur fortlaufenden (begleitenden und vorausschauenden) Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Insolvenzschuldners einschließlich der Verwaltung der Insolvenzmasse und der sonstigen laufenden Geschäftsführung.172) Ergeben sich hier Unregelmäßigkeiten, die sich auf den Verlauf und die Ergebnisse des Insolvenzverfahrens mehr als nur unbeachtlich auswirken, muss der Sachwalter gegenüber dem Insolvenzgericht anzeigen, dass Nachteile für die Insolvenzgläubiger entstehen könnten (vgl. § 274 Abs. 3 InsO). 105 Dem Sachwalter obliegt die Prüfung der vom Insolvenzschuldner erstellten Verzeichnisse nach §§ 151 ff. InsO, des Verteilungsverzeichnisses gemäß § 188 InsO und der Schlussrechnung gemäß § 66 InsO. 106 Soweit der Sachwalter Inhaber von Zustimmungs- oder Widerspruchsrechten ist (§§ 275 Abs. 1, 279 Satz 3 InsO), muss er diese Rechte fortwährend beachten und ggf. im Interesse der Insolvenzgläubiger proaktiv ausüben. Der Sachwalter darf nicht zuwarten, bis er vom Schuldner mit einer Situation konfrontiert wird, in der die Verweigerung der Zustimmung bzw. die Erhebung des Widerspruchs zweckmäßig erscheint. Er muss von sich aus die Geschäftstätigkeit des Insolvenzschuldners dahingehend prüfen, ob solche Zustimmungsund Widerspruchsrechte bestehen und diese ggf. einsetzen. 107 Der Sachwalter hat ein Zustimmungsrecht nach § 276a Satz 2 InsO im Hinblick auf die Neubesetzung der Gesellschaftsorgane. Auch diese gesetzliche Befugnis muss im Interesse der Verfahrensbeteiligten ausgeübt werden, andernfalls der Sachwalter persönlich haftet, falls sich Schäden adäquat kausal aus einer Fehlsteuerung ergeben. 2.

Haftung des Sachwalters i. R. des § 61 InsO

108 Grundsätzlich gilt, dass der Sachwalter in seiner Eigenschaft als Kontroll- und Aufsichtsorgan nicht dafür verantwortlich ist, ob die von der Insolvenzschuldnerin begründeten Masseverbindlichkeiten im weiteren Verlauf erfüllt werden können.173) § 274 Abs. 1 InsO ___________ 172) Landfermann in: HK-InsO, § 274 Rz. 11; Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 167 Rz. 553. 173) Landfermann in: HK-InsO, § 274 Rz. 9.

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Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe

§ 38

verweist auf die §§ 56 bis 60, 62 bis 65 InsO. Auf § 61 InsO verweist das Gesetz ganz ausdrücklich nicht. Im Grundsatz ist deshalb keine insolvenzspezifische Pflicht des Sachwalters gegeben, vor der Begründung von Masseverbindlichkeiten durch die Insolvenzschuldnerin zu prüfen, ob diese tatsächlich erfüllt werden können.174) Auch besteht keine Warnpflicht gegenüber potenziellen Geschäftspartnern der Insolvenzschuldnerin. § 61 InsO ist auf den Sachwalter anzuwenden, soweit das Insolvenzgericht die Begrün- 109 dung von Masseverbindlichkeiten durch die Insolvenzschuldnerin nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 270 InsO) von der Zustimmung durch den Sachwalter abhängig gemacht hat (§ 277 Abs. 1 Satz 3 InsO). Hierbei wird die Vorschrift auf den Sachwalter nicht in gleicher Weise anzuwenden sein, wie sie im Regelinsolvenzverfahren auf den Insolvenzverwalter anzuwenden ist.175) Denn der Sachwalter erstellt im eröffneten Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung keine eigene Liquiditätsrechnung, auf deren Grundlage er sich exculpieren könnte (vgl. § 61 Satz 2 InsO). Folglich ist der Verweis in § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO so zu lesen, dass der Sachwalter sich auf der Grundlage der schuldnerischen Liquiditätsplanung exculpieren kann, soweit er diese auf ihre Schlüssigkeit hin geprüft hat und dabei zu der Ansicht kommen durfte, dass die Masseverbindlichkeiten gedeckt sein werden.176) 3.

Haftung des Sachwalters im Eröffnungsverfahren gemäß § 270a InsO

Im Eröffnungsverfahren in vorläufiger Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO kann das In- 110 solvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO Zustimmungsvorbehalte zugunsten des vorläufigen Sachwalters anordnen.177) Seine Rechtsstellung weist insoweit Ähnlichkeiten mit der eines vorläufigen Insolvenzverwalters auf, der mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet ist. In einem solchen Fall trifft den vorläufigen Sachwalter (wie auch den vorläufigen Insolvenzverwalter) die insolvenzspezifische Pflicht, die Zustimmung zu einer Rechtshandlung der Insolvenzschuldnerin (z. B. Begründung von neuen Verbindlichkeiten) nach pflichtgemäßem Ermessen nur zu erteilen, wenn dies mit dem Sicherungszweck des Eröffnungsverfahrens vereinbar ist, mithin wenn die Begründung der Verbindlichkeit unter Beachtung der Interessen der späteren Insolvenzgläubiger erforderlich und geboten ist. Bei unsachgemäßer Prüfung der Rechtshandlungen der Insolvenzschuldnerin durch den vorläufigen Sachwalter kann eine Haftung gegenüber den späteren Insolvenzgläubigern gemäß § 60 Abs. 1 InsO gegeben sein, wenn die Insolvenzmasse durch evident unzweckmäßige Handlungen der Insolvenzschuldnerin aufgezehrt wurde. Der gleiche Maßstab gilt, soweit die Insolvenzschuldnerin im Eröffnungsverfahren nach 111 § 270a InsO außerordentliche Verbindlichkeiten gemäß § 275 InsO mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters eingehen will. Auch hier hat der vorläufige Sachwalter das Verfahrensziel des Eröffnungsverfahrens, die Sicherung der Insolvenzmasse, als Maßstab für seine Zustimmungsentscheidung heranzuziehen.178) Im Eröffnungsverfahren gemäß § 270a InsO besteht die wichtige Aufgabe des vorläufigen 112 Sachwalters darin, die wirtschaftliche Lage und die Geschäftstätigkeit der Insolvenzschuldnerin zu prüfen und zu überwachen (vgl. §§ 270a Abs. 1 Satz 2, 274 Abs. 2 InsO). Hierbei wird er den Sorgfaltsmaßstab eines vorläufigen Insolvenzverwalters anlegen.179) ___________ 174) 175) 176) 177) 178) 179)

Landfermann in: HK-InsO, § 274 Rz. 9. Zutreffend Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 171 Rz. 559. Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 172 Rz. 560. Vgl. Hofmann, Eigenverwaltung, S. 111 ff. Hofmann, Eigenverwaltung, S. 108 Rz. 358. Hofmann, Eigenverwaltung, S. 107 Rz. 355.

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Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Der Gesichtspunkt der Masseerhaltung bildet einen Schwerpunkt der Prüfungs- und Kontrollbefugnisse. Insbesondere ist durchzusetzen, dass grundsätzlich nicht auf Altforderungen gezahlt werden darf, um so die Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger sicherzustellen.180) 113 Soweit der vorläufige Sachwalter i. R. der Prüfung und Kontrolle der Geschäftstätigkeit der Insolvenzschuldnerin Unregelmäßigkeiten feststellt, hat er gegenüber dem Insolvenzgericht Bericht zu erstatten und etwaige Nachteile der vorläufigen Eigenverwaltung anzuzeigen. Damit wird dem Insolvenzgericht die Möglichkeit eingeräumt, weitere Sicherungsmaßnahmen anzuordnen und ggf. in ein Regel(eröffnungs)verfahren überzugehen. Die Pflicht zur Offenbarung von Fehlern und Missständen ist insoweit eine insolvenzspezifische Pflicht, deren Verletzung zur persönlichen Haftung führen kann.181) 4.

Haftung des Sachwalters im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO

114 Die unter Rz. 110 gezeigten Maßgaben gelten auch für die vorläufige Eigenverwaltung in ihrer Gestalt als Schutzschirmverfahren. Als Besonderheit kommt hier hinzu, dass das Schutzschirmverfahren von Gesetzes wegen auf die Ausarbeitung und Vorlage eines Insolvenzplans ausgerichtet ist (§ 270b Abs. 1 Satz 1 InsO). Insoweit wird der vorläufige Sachwalter (§ 270b Abs. 2 Satz 1 InsO) im Schutzschirmverfahren die Befugnis zur Prüfung der wirtschaftlichen Lage und Geschäftsführung der Insolvenzschuldnerin im Hinblick auf den zu erwartenden Insolvenzplan ausüben müssen. Zudem ist nach § 270b Abs. 4 Satz 2 InsO besonders auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu achten, der vom vorläufigen Sachwalter unverzüglich dem Insolvenzgericht angezeigt werden muss. VI.

Haftung der Insolvenzschuldnerin und ihrer Organe in der Eigenverwaltung

115 Im Hinblick auf die mögliche Haftung der Insolvenzschuldnerin und ihrer Organe im Verfahren der (vorläufigen) Eigenverwaltung enthält das Gesetz keine unmittelbar anwendbaren Vorschriften. 116 § 274 Abs. 1 InsO mit dem Verweis auf § 60 InsO ist lediglich auf den Sachwalter anzuwenden, nicht jedoch auf die sich selbst verwaltende Insolvenzschuldnerin und deren Organe. 117 § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO mit dem Verweis auf § 61 InsO betrifft ebenfalls den Sachwalter, soweit dieser der Begründung von Masseverbindlichkeiten zustimmt. Die Insolvenzschuldnerin und deren Organe werden nicht direkt angesprochen. 118 Über den Verweis in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO können die §§ 60, 61 InsO nicht als allgemeine Vorschriften berufen werden, da §§ 274, 277 InsO ausdrücklich besondere Regelungen enthalten und insoweit ein Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze ausscheidet.182) 119 Es liegt hinsichtlich der Haftungsverantwortung von Insolvenzschuldnerin und ihren Organen eine Regelungslücke vor, die durch entsprechende Rechtsauslegung zu schließen ist.183) Unterstellt man, dass die Insolvenzschuldnerin in der (vorläufigen) Eigenverwaltung die Funktion des Insolvenzverwalters ausfüllt, erscheint es vom Ansatz her zutreffend, die insolvenzspezifischen Haftungsvorschriften der §§ 60, 61 InsO heranzuziehen, auch wenn kein zusätzliches Haftungsvermögen der Insolvenzschuldnerin zur Verfügung ___________ 180) 181) 182) 183)

Hofmann, Eigenverwaltung, S. 107 Rz. 355. Vgl. Hofmann, Eigenverwaltung, S. 167 Rz. 526. Anders Huhn, Die Eigenverwaltung im Insolvenzrecht, Rz. 609, 625, Jungmann, NZI 2009, 80, 85. Vgl. eingehend König, Die Haftung bei der Eigenverwaltung, S. 65 ff.

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Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe

§ 38

steht,184) welches jenseits der in Beschlag genommenen Insolvenzmasse (§ 35 InsO) zur Befriedigung von Ersatzansprüchen aus §§ 60, 61 InsO herangezogen werden kann.185) Ergänzt wird die spezifisch insolvenzrechtliche Haftung der Insolvenzschuldnerin durch das allgemeine Bürgerliche Recht, insbesondere durch deliktische Vorschriften der §§ 823 ff. BGB.186) 1.

Haftung der Insolvenzschuldnerin analog §§ 60, 61 InsO

Nach zutreffender (nicht herrschender) Ansicht haftet die Insolvenzschuldnerin analog 120 §§ 60, 61 InsO im Verfahren der (vorläufigen) Eigenverwaltung.187) Zwar ist das gesamte Vermögen der Insolvenzschuldnerin als Insolvenzmasse ohnehin zur Befriedigung der Ansprüche der Insolvenzgläubiger beschlagnahmt und es wird außerhalb dieser Vermögensmasse praktisch kein weiteres materielles Haftungssubstrat zur Verfügung stehen. Gleichwohl ist die Anwendung der insolvenzspezifischen Haftungsnormen aus den folgenden Gründen erforderlich: x

Die Insolvenzschuldnerin unterliegt auch im Verfahren der Eigenverwaltung einer umfassenden gesetzlichen Pflichtenbindung im Hinblick auf das Verfahrensziel und den Verfahrenszweck.

x

Sie ist fremdnützig im Interesse der Verfahrensbeteiligten tätig und hat die gesetzlichen Bindungen zu achten und zu befolgen.

x

Um diese Pflichtenbindung rechtlich abzusichern, muss eine entsprechende insolvenzspezifische Verantwortlichkeitsregelung eingreifen.

Soweit die Insolvenzschuldnerin gegen ihre insolvenzspezifischen Pflichten verstößt und 121 analog §§ 60, 61 InsO zur Verantwortung gezogen wird, kann sie gegenüber ihren Gesellschaftsorganen Regress nehmen und insoweit die Insolvenzmasse anreichern.188) 2.

Haftung der Insolvenzschuldnerin nach allgemeinen Grundsätzen

Die Insolvenzschuldnerin haftet Vertragsgläubigern nach den allgemeinen zivilrechtlichen 122 Grundsätzen und gemäß §§ 823 ff. BGB im Falle deliktischer Handlungen.189) Dies können insbesondere Rechtsverstöße gegen die Eigentumszuordnung sein, z. B. die Nichtbeachtung bestehender Aus- und Absonderungsrechte bei Eigentumsvorbehaltskäufen und Sicherungsübereignungen. 3.

Haftung der Gesellschaftsorgane der Insolvenzschuldnerin

3.1

Innenhaftung der Gesellschaftsorgane gegenüber der Insolvenzschuldnerin

Im Verfahren der Eigenverwaltung sind die Gesellschaftsorgane einer Innenhaftung ge- 123 genüber der Insolvenzschuldnerin ausgesetzt: Diese ergibt sich zunächst aus den § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG,190) wonach die Geschäftsleiter und Vorstände zur ___________ 184) So Hofmann, Eigenverwaltung, S. 163 Rz. 516; Bachmann, ZIP 2015, 101 ff. 185) Vgl. auch Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 131 Rz. 436. 186) Vgl. König, Die Haftung bei der Eigenverwaltung, S. 290 f.; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 132 Rz. 442; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1099. 187) Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 132 Rz. 440; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097 ff.; a. A. Hofmann, Eigenverwaltung, S. 163 Rz. 516; Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 156 Rz. 513. 188) Zutreffend Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 132 Rz. 441; Thole/ Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1103. 189) König, Die Haftung bei der Eigenverwaltung, S. 290, 322 f., 339 f. 190) Umfassend hierzu König, Die Haftung bei der Eigenverwaltung, S. 143 ff.

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Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Einhaltung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes verpflichtet sind. Ihr Pflichtenkreis ergibt sich mittelbar aus den §§ 270 ff. InsO. Zwar ist die Insolvenzschuldnerin selbst zur Eigenverwaltung berechtigt, d. h. sie ist als juristische Person Adressatin der Rechte und Pflichten aus den §§ 270 ff. InsO. Jedoch trifft die Geschäftsleiter und Vorstände aufgrund ihrer Organverantwortung eine allgemeine Legalitätspflicht, d. h. die Mitglieder der Geschäftsführungsorgane haben dafür zu sorgen, dass die Schuldnerin die insolvenzrechtlichen Vorgaben und Bindungen aufgrund der §§ 270 ff. InsO einhält.191) Verstöße hiergegen sind zugleich Verstöße gegen die § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG und führen zur persönlichen Haftung, soweit in vorwerfbar kausaler Weise ein Schaden verursacht wurde. 124 Im Schrifttum192) werden insbesondere im Hinblick auf die beiden Verfahren gemäß §§ 270a, 270b InsO beispielhaft Geschäftsleiter- und Vorstandspflichten aufgeführt, deren Verletzung reflexartig zu einer persönlichen Haftung wegen des Verstoßes gegen die Legalitätspflicht führen kann: x

die Pflicht zur Sicherung der Insolvenzmasse,

x

die Pflicht zur Ausführung der Zahlungen, die für die Unternehmensfortführung erforderlich sind,

x

die Pflicht zur ordnungsgemäßen Abwicklung des Zahlungsverkehrs,

x

die Pflicht zur Berücksichtigung bestehender Aus- und Absonderungsrechte und

x

die Pflicht zur Vorlage eines Insolvenzplans etc.

125 Wichtig ist hierbei, dass nicht die Gläubigerinteressen den Orientierungsmaßstab für die Handlungen der Gesellschaftsorgane bilden. Diese sind und bleiben weiterhin dem Gesellschafts- oder Unternehmensinteresse verpflichtet. Gleichwohl wird die Insolvenzschuldnerin mit der Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung einem speziellen gesetzlichen Korsett aus §§ 270 ff., 270a, 270b InsO unterstellt und insoweit wandelt sich die Leitvorstellung, da das originäre (aus Satzung und Gesellschaftsvertrag sich ergebende) Gesellschafts- oder Unternehmensinteresse nur noch so weit frei verfolgt werden darf, wie die InsO dies zulässt. 126 Ferner kann sich eine Innenhaftung gegenüber der Insolvenzschuldnerin aus den § 64 GmbHG, §§ 93 Abs. 3 Nr. 6 und 92 Abs. 2 AktG ergeben, wenn nach Eintritt der Insolvenzreife Zahlungen geleistet werden, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind.193) Es handelt sich hierbei um eine insolvenzrechtliche Haftung, die ihren Sinn und Zweck in der Sicherung der zukünftigen Insolvenzmasse findet.194) Die Verantwortlichkeit besteht gegenüber der Insolvenzschuldnerin und nicht gegenüber Dritten. Der Anspruch aus § 64 GmbHG, §§ 93 Abs. 3 Nr. 6 und 92 Abs. 2 AktG ist auf die Wiederauffüllung der geschälerten Insolvenzmasse gerichtet. Haftungsbegründend ist die Ausführung von Auszahlungen an Gläubiger im Zeitpunkt der Insolvenzreife, obgleich ein ordentlicher Geschäftsmann in dieser Situation die streitgegenständlichen Zahlungen nicht geleistet hätte. Hierbei ist es unbeachtlich, ob die Zahlungen vor Antragstel-

___________ 191) Vgl. Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 157 Rz. 521; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 124 Rz. 419; Thole, ZHR 173 (2009), 504; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1099. 192) Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 125 Rz. 422. 193) Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 158 Rz. 523; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 129 Rz. 429 ff. 194) Zutreffend Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 129 Rz. 429.

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Haftung des Insolvenzverwalters, Sachwalters und der Organe

§ 38

lung, nach Anordnung des Eröffnungsverfahrens oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet wurden.195) 3.2

Keine analoge Anwendung von §§ 60, 61 InsO auf die Gesellschaftsorgane

Nach richtiger Auffassung besteht keine Außenhaftung der Gesellschaftsorgane der In- 127 solvenzschuldnerin analog §§ 60, 61 InsO gegenüber den Verfahrensbeteiligten des Insolvenzverfahrens. Denn die gesetzliche Organhaftung ist vom Grundsatz her als Innenhaftung der Organe gegenüber ihrer Körperschaft ausgestaltet und dieser Grundsatz sollte im Verfahren der Eigenverwaltung nicht durchbrochen werden. Gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO werden nicht die Gesellschaftsorgane der Insolvenzschuldnerin zur Eigenverwaltung ermächtigt, sondern die Insolvenzschuldnerin selbst. Folglich ist diese selbst Adressatin einer insolvenzspezifischen Haftungsregel und nicht die Geschäftsführung oder der Vorstand. Gleichwohl ist zu beachten, dass die Insolvenzschuldnerin selbst gemäß §§ 60, 61 InsO in die Haftung genommen werden kann. Soweit dies auf ein pflichtwidriges Handeln von Geschäftsführung oder Vorstand zurückgeführt werden kann, ist eine Innenhaftung gegenüber der Insolvenzschuldnerin nach § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG gegeben.196) Diese ist begründet, weil die Gesellschaftsorgane dafür zuständig sind, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften durch die Insolvenzschuldnerin sicherzustellen. Hierzu gehören auch die insolvenzrechtlichen Vorgaben in den §§ 270 ff. InsO. 3.3

Haftung der Gesellschaftsorgane nach allgemeinen Vorschriften

Eine Außenhaftung der Mitglieder der Gesellschaftsorgane gegenüber einzelnen Beteilig- 128 ten des Insolvenzverfahrens ist nach §§ 823 ff. BGB denkbar, wenn und soweit die Geschäftsführer und Vorstände schuldhaft in absolut geschützte Rechtsgüter eingreifen (§ 823 Abs. 1 BGB), Schutzgesetze verletzen (§ 823 Abs. 2 BGB) oder in vorwerfbar sittenwidriger Weise Rechte der Verfahrensbeteiligten stören (§ 826 BGB). Insbesondere sind hier Situationen betroffen, in denen Eigentumsrechte, Aus- und Absonderungsrechte der Beteiligten missachtet werden.197)

___________ 195) Zutreffend insoweit Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 129, 130 Rz. 431 ff. 196) Vgl. Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 157 Rz. 521. 197) Rattunde/Stark, Der Sachwalter, S. 161 Rz. 535 f.; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 132 Rz. 442 mit Verweis auf BGH, Urt. v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, BGHZ 100, 19 ff. = ZIP 1987, 509 und BGH, Urt. v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297 ff. sowie BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, ZIP 2012, 1552 ff.

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§ 39 Vergütungsfragen Übersicht I. 1.

2.

3.

4.

Die Vergütung des Insolvenzverwalters bei Betriebsfortführung ................ 1 Grundsätze zur Vergütung in Insolvenzverfahren....................................... 1 1.1 Die Vergütung des Insolvenzverwalters nach § 63 Abs. 1 InsO ....................................... 1 1.1.1 Grundsätze der Vergütungsbestimmung....................................... 1 1.1.2 Die Angemessenheit der Vergütung im Einzelfall.................... 5 1.1.3 Verwaltervergütung und Gläubigerbefriedigung ...................................... 9 1.1.4 Der Anspruch des Insolvenzverwalters auf Vorschuss ................ 12 1.1.5 Die Grundzüge der Vergütungsbestimmung..................................... 13 1.2 Grundsätze zur Vergütungsfestsetzung ...................................... 16 1.2.1 Zuständigkeit des Insolvenzgerichts ............................................ 16 1.2.2 Vergütungsantrag nach § 8 InsVV......................................... 17 1.2.3 Gewährung rechtlichen Gehörs ..... 18 1.2.4 Die Unzulässigkeit von Vergütungsvereinbarungen auch durch Insolvenzplan ....................... 19 1.3 Die Vergütung der weiteren Organe des Insolvenzverfahrens............ 22 Allgemeine Fragestellungen zur Vergütung bei Betriebsfortführung ................ 24 2.1 Die mangelnde Umsetzung des Sanierungsgedankens in der InsVV............................................... 24 2.2 Vergütungsrechtliche Besonderheiten bei der Betriebsfortführung ............................................ 27 Die Bestimmung der Berechnungsgrundlage nach § 1 InsVV.......................... 30 3.1 Die Insolvenzmasse bei Beendigung des Insolvenzverfahrens ........ 30 3.2 Der Abzug von Verbindlichkeiten aus Betriebsfortführung ...... 31 3.2.1 Die Zielsetzung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV ................. 31 3.2.2 Die konkrete Anwendung der Norm ............................................... 33 Die Zuschlagsgewährung wegen Betriebsfortführung nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV................................ 36

Die Größe des Unternehmens und die Dauer der Fortführung ..... 36 4.2 Die fehlende Massemehrung als Tatbestandsvoraussetzung ............. 39 4.3 Der sog. „ausgleichende“ Zuschlag bei Gewinn aus Unternehmensfortführung ............ 41 4.4 Konkurrenz von echtem und ausgleichendem Zuschlag ............... 45 5. Zuschlagsgewährung für Sanierungsbemühungen ............................................... 47 6. Weitere typische Erhöhungstatbestände im Zusammenhang mit Betriebsfortführung................................................. 49 7. Die Gewährung eines Vorschusses auf die Vergütung ............................................. 53 II. Die Vergütung der weiteren Organe des Insolvenzverfahrens ........................... 56 1. Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ................................... 56 2. Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters ................................................. 61 3. Die Vergütung des Sachwalters im Eigenverwaltungsverfahren ....................... 70 4. Die Vergütung der Mitglieder eines Gläubigerausschusses................................. 72 III. Die Beschäftigung von Hilfskräften bei Betriebsfortführung ........................... 75 1. Die Beauftragung externer Dienstleister ............................................... 75 1.1 Grundsätze zur zulässigen Beauftragung ................................... 75 1.2 Folgen für die Vergütung ............... 81 2. Einzelfragen................................................ 85 IV. Das Prüfungsrecht des Insolvenzgerichts bei Betriebsfortführung ...................................................... 90 1. Die Schlussrechnungslegungspflicht nach § 66 InsO ........................................... 90 2. Die Beauftragung eines Sachverständigen zur Schlussrechnungsprüfung ............ 93 2.1 Die Zulässigkeit einer Beauftragung ................................... 93 2.2 Der Inhalt der Beauftragung zur Schlussrechnungsprüfung............... 94 2.3 Der Inhalt des Sachverständigenauftrags ...................................... 96 3. Die Bewertung des Sachverständigengutachtens................................................... 99

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4.1

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§ 39

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Literatur: Berger/Frege, Business Judgment Rule bei Unternehmensfortführung in der Insolvenz – Haftungsprivileg für den Verwalter?, ZIP 2008, 204; Berger/Frege/Nicht, Unternehmerische Ermessensentscheidungen im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Bork, Beauftragung von Dienstleistern durch den Insolvenzverwalter: Regelaufgabe oder besondere Aufgabe?, ZIP 2009, 1747; Eickmann, VergVO – Kommentar zur Verordnung im Insolvenzverfahren, 2. Aufl., 1997; Franke/Goth/Firmenich, Die (gerichtliche?!) Schlussrechnungsprüfung im Insolvenzverfahren – zwischen Legalitäts- und Legitimitätskontrolle, ZInsO 2009, 123; Frege/ Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, 2. Aufl., 2008; Graeber, Zum Umgang mit Aus- und Absonderungsgegenständen in der Berechnungsgrundlage eines vorläufigen Insolvenzverwalters in Verfahren vor dem 19.7.2013, NZI 2013, 836; Graeber, Vergütungsbestimmung durch Vereinbarungen zwischen einem Insolvenzverwalter und den weiteren Beteiligten eines Insolvenzverfahrens, ZIP 2013, 916; Graeber, Die Einbeziehung von Forderungen und Betriebsausgaben des Insolvenzschuldners in die Berechnungsgrundlage des vorläufigen Insolvenzverwalters, NZI 2007, 492; Graeber/Graeber, Die Beauftragung von Dienstleistern und deren Auswirkungen auf die Vergütung des Insolvenzverwalters, ZInsO 2013, 1284; Graeber/Graeber, Möglichkeiten und Grenzen der Beauftragung von Dienstleistern durch Insolvenzverwalter, ZInsO 2013, 1056; Haarmeyer/Mock, Zur Struktur der Vergütung des Sachwalters, ZInsO 2016, 1; Hebenstreit, Prüfung der Schlussrechnungen durch das Insolvenzgericht, ZInsO 2013, 276; Hingerl, Notwendigkeit einer Vergütungsbestimmung im Insolvenzplan, ZIP 2015, 159; Jaeger, Konkursordnung, 6. u. 7. Aufl., 1931; Keller, U., Berechnungsformeln zur Vergütung des Insolvenzverwalters, NZI 2005, 23; Keller, U., Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters in den vor dem 19.7.2013 beantragten Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2014, 833; Keller, Der Degressionsausgleich bei der Vergütung des Insolvenzverwalters, NZI 2013, 19; Keller, U., Voraussetzungen und Umfang der Sachverständigenbeauftragung zur Schlussrechnungsprüfung im Insolvenzverfahren, Rpfleger 2011, 66; Keller, U., Die Bestimmung des vergütungsrechtlichen Normalfalls nach § 2 InsVV, in: Festschrift für Klaus Hubert Görg, 2010, S. 247; Keller, U., Die Vergütung des Insolvenzverwalters bei Unternehmensfortführung, DZWIR 2009, 231; Keller, U., Vorschussentnahme auf die Vergütung des Insolvenzverwalters, DZWIR 2003, 101; Keller, U., Die Zulässigkeit der Beauftragung mit dem Insolvenzverwalter gesellschaftsrechtlich verbundener Unternehmen und der Anrechnungstatbestand nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 lit. a InsVV, DZWIR 2000, 265; Lièvre/Stahl/Ems, Die Anforderungen an die Aufstellung und Prüfung der Schlussrechnung im Insolvenzverfahren, KTS 1999, 1; Madaus/ Heßel, Die Verwaltervergütung in Reorganisationsfällen – Unzulänglichkeiten und Reformansätze, ZIP 2013, 2088; Mock, Gläubigerautonomie und Vergütung des Insolvenzverwalters, KTS 2012, 59; Nicht/Schildt, Der Vorschussanspruch des Insolvenzverwalters – Rechtsgrundlage, Festsetzung und Rechtsmittel des Insolvenzverwalters, NZI 2010, 466; Onusseit, Umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Insolvenzverwalterleistung, ZInsO 2008, 1337; Reinhardt, Zur Zulässigkeit von Vergütungsvereinbarungen im Insolvenzplan, ZInsO 2015, 943; Schmittmann, Steuererklärungspflicht des Insolvenzverwalters bzw. Treuhänders, NZI 2014, 596; Schöttler, Gerichtliche Bindung an Vergütungsvereinbarungen im Insolvenzplan?, NZI 2014, 852; Schur, Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters – Regelvergütung, Berechnungsgrundlage, Zuschläge, ZIP 2014, 757; Uhlenbruck, Die Prüfung der Rechnungslegung des Konkursverwalters, ZIP 1982, 125; Vierhaus, Zur Verfassungswidrigkeit der Übertragung von Rechtspflegeraufgaben auf Private, ZInsO 2008, 521; Weitzmann, Rechnungslegung und Schlussrechnungsprüfung, ZInsO 2007, 449; Wellensiek, Probleme der Betriebsfortführung in der Insolvenz, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 199; Zimmer, Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses, ZIP 2013, 1309; Zimmer, Probleme des Vergütungsrechts (bei Nicht-Eröffnung des Insolvenzverfahrens) vor und nach ESUG – Plädoyer für das Eröffnungsverfahren als notwendige Vorstufe eines Insolvenzverfahrens im Sinne einer Vorgesellschaft, ZInsO 2012, 1658.

I.

Die Vergütung des Insolvenzverwalters bei Betriebsfortführung

1.

Grundsätze zur Vergütung in Insolvenzverfahren

1.1

Die Vergütung des Insolvenzverwalters nach § 63 Abs. 1 InsO

1.1.1 Grundsätze der Vergütungsbestimmung 1 Der Insolvenzverwalter hat nach § 63 Abs. 1 Satz 1 InsO Anspruch auf angemessene Vergütung und Ersatz seiner Auslagen nebst jeweiliger Umsatzsteuer. Die Vergütung stellt primär ein Tätigkeitshonorar für die Insolvenzabwicklung dar, sie hat durch die an der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage orientierte Regelvergütung sowie durch einzelfallbezogene Erhöhungen einen Erfolgscharakter. Die Höhe der Vergütung ist daher auch vom wirtschaftlichen Erfolg der Insolvenz abhängig. Erhöhungen nach § 3 InsVV beziehen sich aber allein auf die Arbeitstätigkeit, eine Erfolgsanteil fließt hier nur mittel-

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Vergütungsfragen

bar ein.1) Die Vergütung ist gerade in Fällen der Betriebsfortführung auch als eine solche für unternehmerische Tätigkeit und Leistung zu begreifen.2) Gerade bei Betriebsfortführung ist auch eine hohe Haftungsgefahr des Insolvenzverwalters bei einzelnen Entscheidungen zu berücksichtigen. Die Berechnung und damit die Höhe der Vergütung ist gesetzlich durch § 63 Abs. 1 Satz 2 2 InsO mit §§ 1, 2 und 3 InsVV vorbestimmt. Die Vergütung orientiert sich am Umfang der vom Insolvenzverwalter verwalteten und verwerteten Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage, wobei mit höherer Insolvenzmasse die Vergütung abflachend (degressiv) steigt. Dem liegt die zutreffende Annahme zugrunde, dass bei hoher Insolvenzmasse der Insolvenzverwalter höheren Arbeitsaufwand als bei geringer Insolvenzmasse hat und zugleich der Arbeitsaufwand nicht direkt proportional zur Insolvenzmasse steigt.3) Den Aspekt der Tätigkeitsvergütung als auch den Erfolgscharakter macht § 63 Abs. 1 Satz 3 InsO deutlich, wonach insbesondere Schwierigkeiten der Geschäftsführung ein Abweichen von der Regelvergütung gebieten. Zu rechnerischen Schwierigkeiten wie auch zu Akzeptanzproblemen in der Praxis führt der 3 grundsätzliche Nichtabzug von Masseverbindlichkeiten nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV, da damit die Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage nicht identisch ist mit der tatsächlich vorhandenen Masse, die den Gläubigern zur Verteilung zur Verfügung steht. Ein Abzug von Masseverbindlichkeiten soll aber bei Betriebsfortführung erfolgen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV). Dies führt auch zu Widersprüchen, weil nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV eine Erhöhung wegen Betriebsfortführung nur dann zu gewähren ist, wenn keine Massemehrung stattgefunden hat. Dadurch erhält der Insolvenzverwalter gerade bei erfolgloser Fortführung eine Vergütungserhöhung (eingehend siehe nachfolgend Rz. 35). Im Versuch, die Höhe der Vergütung den Verfahrensbeteiligten plausibel darzustellen, 4 erfolgt oft auch eine vergleichsweise Vergütungsbestimmung nach Stundensätzen. Dies ist abzulehnen.4) Die Insolvenzverwaltung ist gerade bei Betriebsfortführung vielfältig und nicht wertunabhängig, sie besteht nicht in der wertunabhängigen Betrachtung einzelner Rechtssachverhalte, wie sie für Stundenvergütung typisch sein mag. Unternehmerische Entscheidungen und auch Risikobereitschaft müssen durch die Vergütung abgegolten werden, dem eine abstrakte Vergütung nach Stundensätzen nicht gerecht wird. Auch wenn mit Verweis auf ausländische Rechtsordnungen eine Stundenvergütung diskutiert wird,5) ist sie dem Tätigkeitsbild des Insolvenzverwalters nach der InsO fremd. Daher ist auch eine vergleichende „Verprobung“ der Vergütung mit dem Stundenaufwand untauglich. 1.1.2 Die Angemessenheit der Vergütung im Einzelfall Die Vergütung des Insolvenzverwalters ist Umsatz des Verwalters i. R. seiner beruflichen 5 Tätigkeit. Sie hat daher seine eigenen Betriebsausgaben zu decken (§ 4 Abs. 1 InsVV) und unterliegt als Umsatz aus selbständiger Tätigkeit dem Abzug eigener Betriebsausgaben sowie der persönlichen Steuerpflicht. Angemessen ist die Vergütung, wenn sie die eigenen Kosten des Insolvenzverwalters deckt und ihm selbst einen Überschuss belässt. Als Partner einer Sozietät oder Gesellschaft oder auch als Angestellter ist der Insolvenzverwalter ___________ 1) Nowak in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. 2007, § 63 Rz. 6; Büttner in: HambKomm-InsO, § 63 Rz. 8 ff.; Keller, Vergütung, Rz. 45 m. w. N. 2) Berger/Frege, ZIP 2008, 204; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321. 3) Büttner in: HambKomm-InsO, § 63 Rz. 8 ff. 4) BGH, Beschl. v. 25.6.2009 – IX ZB 118/08, ZInsO 2009, 1511. 5) So insbesondere Mock, KTS 2012, 59.

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regelmäßig vertraglich verpflichtet, seine Vergütung ganz oder teilweise an die Sozietät oder Gesellschaft abzuführen.6) 6 Die Tätigkeit als Insolvenzverwalter ist Berufsausübung i. S. des Art. 12 Abs. 1 GG.7) Die Bestimmungen der Vergütung nach § 63 InsO sowie nach der InsVV müssen daher eine angemessene Vergütung gewähren, andernfalls wäre die Berufsausübungsfreiheit des Insolvenzverwalters bei zu geringer Vergütung unangemessen beeinträchtigt. Das System der Vergütungsregelungen ist insoweit ein offenes System, das sowohl in seiner Höhe nicht gedeckelt sein darf als auch die Besonderheiten des Einzelfalles offen zu berücksichtigen hat. 7 Sowohl bei großen Insolvenzmassen, bei welchen trotz der degressiven Steigerung des § 2 Abs. 1 InsVV die Regelvergütung hoch ist, als auch kleinen und im Einzelfall nicht kostendeckenden Verfahren ist die Frage, ob die Angemessenheit der Vergütung für den Einzelfall zu bestimmen ist oder aus der Gesamtheit der dem Insolvenzverwalter übertragenen Verfahren, relevant.8) Bei Verfahren mit geringer Insolvenzmasse wird mit dem Argument der Mischkalkulation dem Insolvenzverwalter eine höhere Vergütung oft verwehrt, bei großen Insolvenzverfahren werden ihm unter Verweis auf die Insolvenzmasse oft Erhöhungen verweigert. Diese leider oft anzutreffende ambivalente und widersprüchliche Argumentation und Verfahrensweise ist abzulehnen. Nähme man das Postulat der Querfinanzierung oder Mischkalkulation ernst, würde dies bedeuten, der Insolvenzverwalter erhielte in einem Verfahren eine für dieses konkrete Verfahren unangemessen hohe Vergütung, um damit andere Verfahren, bei welchen der Arbeitsaufwand durch die Vergütung nicht gedeckt ist, mit abzugelten.9) Das kann aber schon deshalb nicht funktionieren, weil der Insolvenzverwalter Verfahren nicht frei akquirieren kann; er ist darauf angewiesen, im Einzelfall durch das Insolvenzgericht bestellt zu werden, wobei kein Gericht garantieren kann, dass ein Insolvenzverwalter angemessen oft bestellt wird.10) 8 Zum auch rechtshistorisch vergleichbaren Fall der Vergütung des als Berufsvormundes oder Berufsbetreuers tätigen Rechtsanwalts urteilte das BVerfG bereits im Grundsatzurteil vom 1.7.1980, dass eine Mitfinanzierung mittelloser Mündel durch werthaltige Vormundschaften nicht in Betracht komme.11) Es lehnte damit auch unter Verweis auf Eigentumsrechte der Betroffenen eine Mischkalkulation ab. Der BGH, der ansonsten das Argument der Mischkalkulation gerne aufgreift, schränkt den Grundsatz zumindest dahin-

___________ 6) FG Hessen, Beschl. v. 4.1.2007 – 6 V 1450/06, EFG 2007, 548; dazu Onusseit, ZInsO 2008, 1337; BMF-Schreiben v 28.7.2009 – S 7100/08/10003, ZIP 2009, 1544. 7) Zur Vorauswahl des Insolvenzverwalters BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00, 1086/01, NJW 2004, 2725 = ZIP 2004, 1649; zur Vergütung des Berufsbetreuers BVerfG, Urt. v. 1.7.1980 – 1 BvR 349/75, 378/76, BVerfGE 54, 251 = NJW 1980, 2179; zur Vergütung eines Sequesters nach § 938 ZPO BVerfG, Beschl. v. 14.10.2003 – 1 BvR 538/02, NJW 2004, 437; zur Konkursverwaltervergütung BVerfG, Beschl. v. 9.2.1989 – 1 BvR 1165/87, ZIP 1989, 382 m. Anm. Eickmann, dazu EWiR 1989, 391 (Onusseit); zur Unzulässigkeit der Bestellung jur. Personen BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, ZIP 2016, 321 = NZI 2016, 163; BGH, Urt. v. 5.12.1991 – IX ZR 275/90, BGHZ 116, 233 = ZIP 1992, 120; dazu EWiR 1992, 173 (Uhlenbruck); zur Vorschussgewährung BGH, Beschl. v. 1.10.2002 – IX ZB 53/02, ZIP 2002, 2223; dazu Keller, DZWIR 2003, 101; allgemein Kübler/Prütting/BorkPrasser/Stoffler, InsO, Stand: 4/2015, Vor § 1 InsVV Rz. 1; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 63 Rz. 3; Nowak in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl. 2007, § 63 Rz. 1; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 63 Rz. 13 ff.; Keller, Vergütung, Rz. 27 ff. 8) Beispielhaft m. w. N. BGH, Beschl. v. 12.1.2012 – IX ZB 97/12, ZInsO 2012, 300; eingehend Keller, Vergütung, Rz. 30. 9) Zutreffend Zimmer, ZIP 2013, 1309. 10) Dazu auch Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 4. 11) BVerfG, Urt. v. 1.7.1980 – 1 BvR 349/75, 378/76, Rz. 43, BVerfGE 54, 251 = NJW 1980, 2179.

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Vergütungsfragen

gehend ein, dass er nicht mehr gelte, wenn eine ausreichende Zahl von Insolvenzverfahren mit höherer Insolvenzmasse nicht mehr gewährleistet werden könne.12) 1.1.3 Verwaltervergütung und Gläubigerbefriedigung Insbesondere nach Inkrafttreten der Änderungen der InsO durch das Gesetz zur weiteren 9 Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) zum 1.3.201213) wird die Konkurrenz von Verwaltervergütung und Gläubigerbefriedigung kontrovers diskutiert. Es wird insbesondere argumentiert, durch die Vergütung dürfe die Gläubigerbefriedigung nicht zu sehr beeinträchtigt werden.14) Dies ist nicht zutreffend. Es gilt vielmehr: Die Angemessenheit bestimmt sich nicht durch die Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung. Die Verwaltervergütung als Teil der Verfahrenskosten ist nach § 54 InsO vorrangig vor der Gläubigerbefriedigung; vorrangig sind aber auch Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO. Dass durch die Insolvenz die Gläubigerbefriedigung beeinträchtigt ist, liegt oft an den sonstigen Kosten der Insolvenz. Diese Kosten, insbesondere die Masseverbindlichkeiten, sind nicht selten höher als die Vergütung des Insolvenzverwalters. Auch und gerade bei den sog. ESUG-Verfahren mit Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO und Eigenverwaltung sind vorinsolvenzliche Beratungskosten oft sehr hoch, wenn sie nicht von dritter Seite – etwa von den Gesellschaftern – übernommen werden. Durch den Vorrang der Vergütung als Teil der Kosten des Verfahrens ist gesetzlich fest- 10 gestellt, dass die Vergütung nicht in einer Korrespondenz oder Konkurrenz zur Gläubigerbefriedigung steht. Es ist bereits im Ansatz falsch, die Angemessenheit der Vergütung unter dieser Prämisse zu beurteilen. Der Gesetzgeber nimmt mit Masselosigkeit oder Masseunzulänglichkeit ausdrücklich hin, dass ein Insolvenzverfahren ohne Befriedigung der Insolvenzgläubiger beendet wird.15) Beispielsweise verbietet auch der BGH eine Kürzung der Vergütung mit dem Argument, ansonsten würde Masseunzulänglichkeit eintreten.16) In der verfassungsrechtlichen Konkurrenz von Verwaltervergütung und Gläubigerbefrie- 11 digung stehen sich die Grundrechte aus Art 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG gegenüber. Beide Grundrechte werden durch allgemeine Gesetze beschränkt. Dabei sind die Regelungen der InsO zum Vorrang der Verwaltervergütung als beschränkende Regelungen zu Art. 14 Abs. 1 GG zu betrachten. Die Beschränkung ist unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Durchführung eines Insolvenzverfahrens geeignet, erforderlich und angemessen. Zu beachten ist auch, dass die Entwertung der Gläubigerforderung bereits durch die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners selbst eingetreten ist. Die Forderungen der Insolvenzgläubiger stehen daher gar nicht mehr vollwertig dem Vergütungsanspruch des Insolvenzverwalters gegenüber. Schließlich ermöglicht das Insolvenzverfahren nicht selten erst eine – wenn auch geringe – Befriedigung, die bei Nichteröffnung des Verfahrens und Abweisung mangels Masse komplett ausgeschlossen ist. 1.1.4 Der Anspruch des Insolvenzverwalters auf Vorschuss Die Angemessenheit des Vergütungsanspruchs beinhaltet auch den Anspruch auf zeitnahe 12 Vergütung, mithin den Anspruch auf Vorschuss.17) Zweck der Vorschussgewährung ist es, ___________ 12) BGH, Beschl. v. 13.3.2008 – IX ZB 63/05, Rz. 12, ZIP 2008, 976 = NZI 2008, 361. 13) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 – ESUG, BGBl. I, 2582. 14) Nicht zutreffend und ohne ausreichende Begründung insbesondere Uhlenbruck-Mock, InsO, § 63 Rz. 43, wonach die Vergütung nicht mehr als 50 % der Insolvenzmasse betragen dürfe. 15) BGH, Urt. v. 5.12.1991 – IX ZR 275/90, BGHZ 116, 233 = ZIP 1992, 120, dazu EWiR 1992, 173 (Uhlenbruck); BGH, Beschl. v. 1.10.2002 – IX ZB 53/02, ZIP 2002, 2223; dazu Keller, DZWIR 2003, 101. 16) BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = NZI 2004, 251. 17) Nicht/Schildt, NZI 2010, 466.

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Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

den Insolvenzverwalter hinsichtlich seiner eigenen Kosten (§ 4 Abs. 1 Satz 1 InsVV) sowie hinsichtlich der Auslagen nicht vorleistungspflichtig werden zu lassen. Die Vorschussgewährung mindert auch ein Ausfallrisiko im Falle der Masselosigkeit nach § 207 InsO.18) Die Vorschussgewährung sichert auch die Planbarkeit des Insolvenzverfahrens hinsichtlich der Quotenerwartungen der Gläubiger. Zuletzt dient sie auch der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters gegenüber möglichen Drohpotentialen einzelner Verfahrensbeteiligter. 1.1.5 Die Grundzüge der Vergütungsbestimmung 13 Nach § 63 Abs. 1 InsO berechnet sich die Vergütung aus der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage durch Ermittlung einer sog. Regelvergütung. Dem Umfang und den Schwierigkeiten der Geschäftsführung soll durch Abweichungen vom Regelsatz Rechnung getragen werden. Die Regelvergütung des § 2 InsVV berechnet sich mathematisch.19) 14 Die Erhöhung oder Kürzung der Vergütung nach § 3 InsVV erfolgt im Einzelfall nach dem jeweiligen Arbeitsaufwand des Insolvenzverwalters. Zu- und Abschläge der Vergütung werden durch Prozentsätze der Regelvergütung ausgedrückt. Hierbei ist jeder Tatbestand einzeln zu beurteilen und zu bewerten. Eine Erhöhung der Insolvenzmasse und damit Erhöhung der Regelvergütung durch einen Tatbestand ist zu berücksichtigen,20) gleiches gilt für Überschneidungen des Arbeitsaufwandes zwischen den Tatbeständen. 15 Entscheidende Schwierigkeit bei der Zuerkennung von Erhöhungen oder auch Kürzungen ist die Definition des sog. Normalfalls der Insolvenz, der allein durch die Regelvergütung abgegolten sein soll. Nach richtiger Ansicht ist der Normalfall bezogen auf den Stand des Jahres 1989 individuell nach der Art und der Größe des insolventen Unternehmens als Typus zu bestimmen.21) Insbesondere sog. quantitative Aspekte der Arbeitsbelastung sind danach individuell zu beurteilen. Tatbestände, die in § 3 Abs. 1 InsVV ausdrücklich als Erhöhungstatbestände genannt sind, sind dagegen in keinem Fall Bestandteil eines Normalverfahrens. Gerade bei Betriebsfortführung und unter dem Sanierungsgedanken ergeben sich hierbei Diskrepanzen zwischen dem vergütungsrechtlichen Normalfall und der Insolvenzpraxis (Rz. 24 ff.). 1.2

Grundsätze zur Vergütungsfestsetzung

1.2.1 Zuständigkeit des Insolvenzgerichts 16 Sachlich ist für die Vergütungsfestsetzung allein das Insolvenzgericht zuständig (§ 64 Abs. 1 InsO). Die funktionelle Zuständigkeit (Richter, Rechtspfleger) bestimmt sich nach der Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren selbst.22) Die Zuständigkeitszuweisung an das Insolvenzgericht ist Teil der Aufsicht des Gerichts über die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrensablaufs. Hierdurch wird auch die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters gewahrt, seine Vergütung darf nicht von Wünschen oder dem Drängen einzelner Beteiligter abhängig gemacht werden.

___________ 18) BGH, Urt. v. 5.12.1991 – IX ZR 275/90, BGHZ 116, 233 = ZIP 1992, 120, dazu EWiR 1992, 173 (Uhlenbruck); BGH, Beschl. v. 1.10.2002 – IX ZB 53/02, ZIP 2002, 2223. 19) Zu den Berechnungsformeln Keller, NZI 2005, 23, 25. 20) BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZB 162/11, ZIP 2012, 682 = NZI 2012, 372 = DZWIR 2012, 260 m. Anm. Keller. 21) Eingehend Keller in: FS Görg, S. 247 ff. 22) Eingehend Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 204, 220, 221, 2529.

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Vergütungsfragen 1.2.2 Vergütungsantrag nach § 8 InsVV

Die Vergütung wird auf Antrag des Insolvenzverwalters festgesetzt (§ 8 Abs. 1 InsVV).23) 17 Der Antrag hat detailliert die Berechnungsgrundlage (§ 1 InsVV) darzustellen, ebenso beantragte Zuschläge und berücksichtigte Kürzungen nach § 3 InsVV.24) Anzugeben ist auch, welche Tätigkeiten an Dienstleister delegiert und welche Honorare gezahlt wurden (§ 8 Abs. 2 InsVV),25) gleiches gilt für eigene Erledigungen nach § 5 InsVV (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 lit. a InsVV). 1.2.3 Gewährung rechtlichen Gehörs Die Gewährung rechtlichen Gehörs insbesondere der Insolvenzgläubiger nach Art. 103 18 Abs. 1 GG oder Art. 3 GG (fair trial) wird in der Rechtspraxis unterschiedlich gehandhabt; wegen der verschiedenartig gelagerten Interessen der Verfahrensbeteiligten kann sie auch mit Schwierigkeiten verbunden sein.26) Daher wird aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung eine Gläubigeranhörung für nicht erforderlich gehalten.27) Dem ist nicht zu folgen: Eine Anhörung der Gläubiger vor Festsetzung kann durch öffentliche Bekanntmachung des Antrags in Zusammenfassung und Hinweis, dass der Antrag bei Gericht eingesehen werden kann, erfolgen. Im Regelfall des Schlusstermins (§ 197 InsO) ist ebenfalls eine Gläubigeranhörung möglich. Dies setzt eine entsprechende Bekanntmachung bei der Einberufung voraus (§ 74 Abs. 2 InsO), auch wenn unmittelbar keine Beschlussfassung erfolgt. In jedem Fall ist dem Schuldner rechtliches Gehör zu gewähren.28) Eine Anhörung der Mitglieder des Gläubigerausschusses ist sinnvoll.29) 1.2.4 Die Unzulässigkeit von Vergütungsvereinbarungen auch durch Insolvenzplan Vergütungsvereinbarungen zwischen dem Insolvenzverwalter und einzelnen Beteiligten sind 19 wegen Verstoßes gegen §§ 63, 64 InsO als zwingendes Recht nach § 134 BGB nichtig.30) Gerade auch mit Blick auf die Änderungen der InsO durch das ESUG wird angenommen, die Vergütung könne i. R. von Vergütungsvereinbarungen oder durch Insolvenzplan bestimmt werden.31) Das ist abzulehnen. Vergütungsvereinbarungen oder auch Beschlüsse der Gläubigerversammlungen entspre- 20 chen nicht dem gesetzlich geregelten Verfahren nach § 64 InsO. Sie gefährden insbesondere auch die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters. Einzelne Beteiligte können gezielt eine Beschlussfassung lenken und so sachfremde Ziele verfolgen. Mit einer Vergütungsbestimmung durch Beschluss der Gläubigerversammlung wäre auch das individuelle Beschwerderecht eines jeden Insolvenzgläubigers aus § 64 Abs. 3 InsO beeinträchtigt. ___________ 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31)

Kübler/Prütting/Bork-Stoffler, InsO, Stand: 4/2015, § 64 Rz. 3. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 64 Rz. 4 m. w. N. Kübler/Prütting/Bork-Stoffler, InsO, Stand: 9/2012, § 4 InsVV Rz. 107. K. Schmidt-Vuia, InsO, § 64 Rz. 11 ff. LG Gießen, Beschl. v. 23.6.2009 – 7 T 34/09, ZIP 2009, 2398 = NZI 2009, 728, dazu EWiR 2009, 783 (U. Keller). Zum vorläufigen Insolvenzverwalter BGH, Beschl. v. 12.7.2012 – IX ZB 42/10, ZIP 2012, 1779. Kübler/Prütting/Bork-Stoffler, InsO, Stand: 4/2015, § 64 Rz. 7, 8, Kübler/Prütting/Bork-Prasser, InsO, Stand: 9/2015, § 8 InsVV Rz. 7; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 64 Rz. 7. Eingehend Keller, Vergütung, Rz. 77 m. w. N. LG München, Beschl. v. 2.8.2013 – 14 T 16050/13, NZI 2013, 972, dazu Schöttler, NZI 2014, 852; AG Wolfratshausen, Beschl. v. 26.11.2007 – 2 IN 116/05, n. v.; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 63 Rz. 52; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 63 Rz. 7; Stephan/Riedel, InsVV, Einl. Rz. 32; Mock, KTS 2012, 59; Graeber, ZIP 2013, 916; Madaus/Heßel, ZIP 2013, 2088, 2090; Hingerl, ZIP 2015, 159; Reinhardt, ZInsO 2015, 943.

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21 Eine konstitutive Festlegung der Vergütung innerhalb eines Insolvenzplans widerspricht ebenso § 64 Abs. 1 InsO. Insbesondere enthalten auch die Vorschriften zum Planverfahren hierzu keine Regelung. § 210a InsO ermöglicht zwar bei Masseunzulänglichkeit die Einbeziehung offener Masseverbindlichkeiten, die Regelung der Verfahrenskosten des § 54 InsO (neben Verwaltervergütung auch Gerichtskosten) ist aber durch den Insolvenzplan nicht denkbar. Auch enthalten die Vorschriften zur Abstimmung und zum Obstruktionsverbot keine Regelung für den Fall, dass ein Gläubiger gegen die Vergütungsbestimmung stimmen möchte. Es ist durch §§ 222, 244, 245 InsO nicht geregelt, unter welchen Voraussetzungen das Gericht dann eine Zustimmung nach § 245 InsO annehmen kann. Darüber hinaus kann eine Vergütungsbestimmung als unzulässige Bedingung i. S. des § 249 InsO angesehen werden.32) Eine Festsetzung im Insolvenzplan beeinträchtigt auch jeden einzelnen Insolvenzgläubiger, da dessen Beschwerderecht aus § 64 Abs. 3 InsO beeinträchtigt wird. Im Planverfahren kann er nur nach §§ 251, 253 InsO gegen den Plan vorgehen. Die Vergütungsfestsetzung selbst wäre dann nicht mehr beschwerdefähig. Gleiches gilt für den Schuldner, der gegen die Vergütungsfestsetzung beschwerdebefugt ist, aber nur begrenzt gegen den Insolvenzplan vorgehen kann. Zuletzt gefährdet die Vergütungsbestimmung im Insolvenzplan wiederum die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters. Er wäre darauf angewiesen, dass die Gläubiger dem Plan zustimmen. Seine Unabhängigkeit wäre beeinträchtigt, wenn er dann einzelne Gläubiger so berücksichtigen muss, dass ihm seine Vergütung nicht verwehrt wird.33) Selbstverständlich hat der Insolvenzverwalter in den Planliquiditätsrechnungen auch die Kosten des Verfahrens und dabei seine Vergütung zu berücksichtigen, er hat auch ausreichende Rückstellungen zu bilden. Dies kann aber auch mit dem Insolvenzgericht kommuniziert werden, so dass ein praktisches und sachlich nachvollziehbares Bedürfnis für die Vergütungsfestsetzung im Insolvenzplan nicht besteht. 1.3

Die Vergütung der weiteren Organe des Insolvenzverfahrens

22 Neben dem Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren sind als weitere Organe eines Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen der vorläufige Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Nr. 1, § 22 InsO), der Sachwalter bei Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter (§§ 270, 270b InsO). Die vorgenannten Grundtatbestände zur Vergütung gelten auch für diese Organe. 23 Zu nennen sind ferner die Mitglieder eines Gläubigerausschusses, insbesondere auch bereits im Eröffnungsverfahren (§ 22a InsO); auch sie haben Anspruch auf Vergütung nach § 73 Abs. 1 InsO. Ihre Vergütung bestimmt sich nach § 17 InsVV als Stundensatzvergütung. 2.

Allgemeine Fragestellungen zur Vergütung bei Betriebsfortführung

2.1

Die mangelnde Umsetzung des Sanierungsgedankens in der InsVV

24 § 1 InsO nennt als Leitvorschrift der InsO die Ziele des Insolvenzverfahrens.34) Das wesentliche Ziel der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger kann erreicht werden durch Liquidation des schuldnerischen Vermögens und Verteilung des Erlöses nach Abzug der Kosten und sonstigen Verbindlichkeiten des Verfahrens. Es kann auch erreicht werden durch

___________ 32) LG Mainz, Beschl. v. 2.11.2015 – 8 T 182/15, ZIP 2016, 587 = NZI 2016, 255. 33) So auch Schöttler, NZI 2014, 852, 854. 34) Allg. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 108 ff., abgedr. in: Kübler/Prütting, RWS-Dok. 18, S. 149 ff.; Jaeger-Henckel, InsO, § 1 Rz. 3 ff.; Ganter/Lohmann in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 20 ff.; Uhlenbruck-I. Pape, InsO, § 1 Rz. 5 ff.; Kirchhof in: HK-InsO, § 1 Rz. 4 ff.; Häsemeyer, Rz. 2.17 ff.; für das Konkursrecht Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 3 Rz. 1 ff.

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Vergütungsfragen

Sanierung eines schuldnerischen Unternehmens.35) Im insolvenzrechtlichen Vergütungsrecht ist dagegen insbesondere der Sanierungsgedanke nicht ausreichend berücksichtigt worden, die InsVV ist zwar zusammen mit der InsO am 1.1.1999 in Kraft getreten,36) sie basiert jedoch von wenigen Anpassungen abgesehen auf der früheren Vergütungsverordnung zum Konkursrecht. Daher sind sowohl die Betriebsfortführung als auch und gerade die Sanierung eines insolventen Unternehmens nur unvollkommen vergütungsrechtlich berücksichtigt. So stellt die Betriebsfortführung während eines Insolvenzverfahrens nach den vergütungs- 25 rechtlichen Vorschriften des Insolvenzrechts keinen Regelfall der Insolvenzverwaltung dar.37) Dies wird bereits daran deutlich, dass § 3 Abs. 1 lit. b InsVV für die Unternehmensfortführung einen Zuschlag zur Regelvergütung des Insolvenzverwalters vorsieht. Auch wenn § 1 InsO die Sanierung eines Unternehmens als Ziel des Insolvenzverfahrens vorsieht und für das Insolvenzeröffnungsverfahren durch § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO bezogen auf die Aufgaben des sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters die Unternehmensfortführung als Regelfall normiert ist, ist vergütungsrechtlich die Betriebsfortführung in keinem Fall eines Insolvenzverfahrens Normalfall, der durch die Regelvergütung des § 2 InsVV abgedeckt wäre. Diese Diskrepanz zwischen den Zielen der InsO und der vergütungsrechtlichen Umsetzung 26 hat ihren Ursprung in der Historie des Vergütungsrechts. Die InsVV vom 19.12.1998 ist der früheren Vergütungsverordnung von 1970 nachgebildet, die Sanierung als Ziel des Insolvenzverfahrens ist dabei weitgehend unberücksichtigt geblieben.38) Dieser Missstand gilt bis heute. Auch die Änderungen der InsO durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 (ESUG)39) mit den Organen des vorläufigen Sachwalters, des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren oder dem sog. Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO sind vergütungsrechtlich nicht adäquat umgesetzt. 2.2

Vergütungsrechtliche Besonderheiten bei der Betriebsfortführung

In der insolvenzrechtlichen Vergütung bei Unternehmensfortführung besteht die erste Be- 27 sonderheit in der Bestimmung der Berechnungsgrundlage, da nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV die Verbindlichkeiten aus der Unternehmensfortführung von der Insolvenzmasse abzuziehen sind. Mit dem Erhöhungstatbestand des § 3 Abs. 1 lit. b InsVV für Unternehmensfortführung 28 sind regelmäßig weitere Erhöhungstatbestände verbunden, die üblicherweise bei Betriebsfortführung gegeben sind. Zu nennen sind die hohe Zahl an Arbeitnehmern, Vorbereitung und Durchführung einer übertragenden Sanierung oder Erstellung eines Insolvenzplans. Zwischen diesen Tatbeständen sind Überschneidungen und Synergien in der Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters zu beachten. Zuletzt sind gerade auch i. R. der Vergütungsfestsetzung wegen § 8 Abs. 2 InsVV oder 29 § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 lit. a, § 5 InsVV die Beschäftigung von externen Dienstleistern ___________ 35) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 90, 194 ff.; Rechtsausschuss zum RegE InsO, BTDrucks. 12/7302, S. 181; beides abgedr. in: Kübler/Prütting, RWS-Dok. 18, S. 110, 449 ff.; ferner Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, vor §§ 217 bis 269 Rz. 2 ff.; Nerlich/Römermann-Braun, InsO, Vor § 217 Rz. 69 ff.; grundlegend Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 423 ff. 36) Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung v. 19.8.1998 – InsVV, BGBl. I, 2205. 37) BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49 m. Anm. Prasser, dazu EWiR 2008, 761 (Schröder); dazu Keller, DZWIR 2009, 231. 38) Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 1, 2. 39) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 – ESUG, BGBl. I, 2582.

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oder die eigene Erledigung delegationsfähiger Tätigkeiten problematisch. Zur Vorbereitung einer übertragenden Sanierung werden nicht selten spezialisierte M&A-Berater oder Kanzleien beauftragt, für die Betriebsfortführung werden mitunter auch sog. InterimsManager beschäftigt. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten für derlei Beauftragungen ist nicht selten Gegenstand kontroverser Diskussionen zwischen Insolvenzverwalter und Insolvenzgericht. 3.

Die Bestimmung der Berechnungsgrundlage nach § 1 InsVV

3.1

Die Insolvenzmasse bei Beendigung des Insolvenzverfahrens

30 Die Vergütung des Insolvenzverwalters berechnet sich nach der Insolvenzmasse bei Beendigung des Insolvenzverfahrens (§§ 63, 65 InsO, § 1 Abs. 1 InsO). Sie ergibt sich regelmäßig aus der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters nach § 66 InsO, wird aber um die Tatbestände des § 1 Abs. 2 InsVV modifiziert.40) Zur Insolvenzmasse gehören aber auch Vermögenswerte (Anlagevermögen), die im Insolvenzverfahren nicht verwertet worden sind.41) Dies ist bspw. dann der Fall, wenn das Verfahren durch Insolvenzplan beendet wird.42) Bei Veräußerung des Unternehmens durch übertragende Sanierung mit Asset Deal oder auch durch Übertragung von Anteilen an Gesellschaften (Share Deal) stellt die Gesamtheit der von einem Erwerber übernommenen Leistungen einschließlich möglicher Übernahme von Verbindlichkeiten die Insolvenzmasse dar.43) 3.2

Der Abzug von Verbindlichkeiten aus Betriebsfortführung

3.2.1 Die Zielsetzung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV 31 Masseverbindlichkeiten des Insolvenzverfahrens werden grundsätzlich nicht von der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage abgezogen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV). Bei Unternehmensfortführung gilt dies nicht. Hier ist § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV zu beachten, der für diesen Fall den Abzug von Masseverbindlichkeiten von der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage der Vergütung vorschreibt. Die Regelung ist insoweit bemerkenswert, als sie zunächst zu einer geringeren Berechnungsgrundlage und damit zu einer geringen Regelvergütung gerade in dem Fall führt, bei welchem der Insolvenzverwalter durch Geschäftsfortführung und Sanierung das schuldnerische Unternehmen erhalten und so dem Ziel der InsO entsprochen hat. Sie soll verhindern, dass der Insolvenzverwalter doppelte Vergütung erhält, einmal durch eine hohe Insolvenzmasse, weil mit der Betriebsfortführung Gewinn erzielt wurde, und ein zweites Mal durch Gewährung eines Zuschlags auf die bereits erhöhte Regelvergütung. 32 Dabei ist aber zu bedenken, dass die Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter in erster Linie nicht der Erwirtschaftung von Gewinn dient, sondern der Erhaltung des Fortführungswerts des Unternehmens als Insolvenzmasse einschließlich des good will.44) Die Unternehmensfortführung führt nicht selten zu hohen Betriebsausgaben, die als Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind. Ihnen steht oft kein ausreichender Umsatz gegenüber, so dass oft tatsächlich kein Gewinn erzielt wird. Mit der Betriebsfortführung riskiert der Insolvenzverwalter Verluste, die durch eine anschließende erfolgreiche Veräußerung des ___________ 40) Eingehend Keller, Vergütung, Rz. 147 ff. 41) BGH, Beschl. v. 16.11.2006 – IX ZB 302/05, ZIP 2007, 284 = ZVI 2007, 215; BGH, Beschl. v. 26.4.2007 – IX ZB 160/06, ZIP 2007, 1330 = ZVI 2008, 317. 42) BGH, Beschl. v. 17.3.2011 – IX ZB 145/10, NZI 2011, 445; BGH, Beschl. v. 26.4.2007 – IX ZB 160/06, ZIP 2007, 1330 = ZVI 2008, 317; dazu Graeber, NZI 2007, 492. 43) LG München I, Beschl. v. 19.6.2013 – 14 T 12868/13, NZI 2013, 696 m. Anm. Keller. 44) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 239 ff.

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Vergütungsfragen

Unternehmens wettgemacht werden.45) Das ist bereits im Eröffnungsverfahren so, bei welchem der („starke“) vorläufige Insolvenzverwalter den Geschäftsbetriebs ausdrücklich auch unter Hinnahme von Verlusten aufrechterhalten soll (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). 3.2.2 Die konkrete Anwendung der Norm Der Abzug der Verbindlichkeiten nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV ist ab dem Zeit- 33 punkt der tatsächlichen Unternehmensfortführung zu berechnen.46) Die Beschlussfassung der Gläubigerversammlung nach § 157 Satz 1 InsO ist nicht maßgebend.47) Für die Zeit der Unternehmensfortführung hat der Insolvenzverwalter in seinem Vergütungsantrag eine gesonderte Einnahmen-/Ausgabenrechnung vorzulegen, aus der sich die Masseverbindlichkeiten für diese Zeit ergeben. Wegen des Ausnahmecharakters der Norm ist es richtig, sie zurückhaltend auszulegen und 34 auf solche Verbindlichkeiten zu beschränken, die unmittelbar durch die Unternehmensfortführung begründet worden sind.48) Sog. „Sowieso-Kosten“ blieben dann unberücksichtigt. Der BGH49) fordert dagegen eine Einbeziehung aller Masseverbindlichkeiten, die für die Zeit 35 einer Unternehmensfortführung entstanden sind. Für die Nichtberücksichtigung sog. oktroyierter Masseverbindlichkeiten, insbesondere aus Arbeitsverhältnissen sowie Miet- und Pachtverträgen für die Zeit von der Kündigung bis zum Ablauf der regelmäßig dreimonatigen Kündigungsfrist (§ 109 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, § 113 Abs. 2, § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO), sieht der BGH im Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV keinen Anhaltspunkt und verlangt den Abzug auch oktroyierter Masseverbindlichkeiten oder von Sowieso-Kosten bei der Ermittlung des Überschusses aus Unternehmensfortführung. Eine Ausnahme bei Arbeitsverhältnissen könne nur für den Fall angenommen werden, dass der Insolvenzverwalter die betreffenden Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freistellt.50) Der BGH argumentiert mit dem Verbot der Doppelberücksichtigung: Würden die oktroyierten Masseverbindlichkeiten bei der Überschussberechnung nicht abgezogen, würden sie in der Berechnungsgrundlage weiter berücksichtigt bleiben; andererseits hätte der Insolvenzverwalter durch die Inanspruchnahme der Gegenleistung, insbesondere der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer, gerade den Gewinn erzielt, der auch Teil der Berechnungsgrundlage ist.51) Dies ist nur in dem Fall richtig, bei welchem der Gewinn aus der Unternehmensfortführung so hoch ist, dass auch bei Abzug der oktroyierten Masseverbindlichkeiten noch ein solcher übrigbleibt. Es ist aber zu bedenken, dass der Insolvenzverwalter regelmäßig das Unternehmen nicht zur Gewinnerzielung fortführt, sondern zum Zweck des Erhalts des Unternehmenswertes auch unter Inkaufnahme von Verlusten.52) Gegenüber der Insolvenz ohne Unternehmensfortführung, mindert sich die Berechnungsgrundlage durch Abzug der Masseverbindlichkeiten aber in jedem Fall. Erzielt der Insolvenzverwalter mit der Betriebsfortführung keinen Gewinn, mindert sich seine Berechnungsgrundlage daher noch mehr. Der Insolvenzverwalter hat dann durch die Unternehmensfortführung in Wirklichkeit eine ge___________ 45) 46) 47) 48) 49)

50) 51) 52)

Sehr praxisnah Beck/Depré-Beck, Praxis der Insolvenz, § 10 Rz. 73 ff. Görg/Janssen in: MünchKomm-InsO, § 158 Rz. 1; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 209 ff. BGH, Beschl. v. 24.5.2005 – IX ZB 6/03, ZVI 2005, 388 = DZWIR 2005, 463 m. Anm. Keller. Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 4/2015, § 1 InsVV Rz. 68 ff.; Keller in: HK-InsO, § 1 InsVV Rz. 13; anders Stephan/Riedel-Riedel, InsVV, § 1 Rz. 52. BGH, Beschl. v. 24.5.2005 – IX ZB 6/03, ZVI 2005, 388 = DZWIR 2005, 463 m. Anm. Keller; BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49 m. Anm. Prasser, dazu EWiR 2008, 761 (Schröder); dazu Keller, DZWIR 2009, 231. BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, Rz. 22, 24, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49. BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, Rz. 19, 20, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49. BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, Rz. 12, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49.

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Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

ringere Vergütung als ohne Fortführung.53) Damit besteht allein aus vergütungsrechtlichen Erwägungen kein Anreiz für den Insolvenzverwalter zu einer Unternehmensfortführung. Wollte man dem Verbot der Doppelberücksichtigung und der doppelten Vergütung allgemeine Geltung verschaffen, müsste man entweder den Grundsatz des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV abschaffen oder bei jeder einzelnen Masseverbindlichkeit prüfen, ob nicht eine gleichwertige Gegenleistung zur Insolvenzmasse geflossen ist. 4.

Die Zuschlagsgewährung wegen Betriebsfortführung nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV

4.1

Die Größe des Unternehmens und die Dauer der Fortführung

36 Eine Unternehmensfortführung ist in jedem Fall Erhöhungstatbestand für die Vergütung, sie gehört in keinem Fall zum sog. Normalverfahren, das von der Regelvergütung des § 2 InsVV abgedeckt ist.54) Bei der Bestimmung des Zuschlags ist nach der Größe des fortgeführten Unternehmens und der Dauer der Fortführung zu unterscheiden. Für die Größe des Unternehmens kann der Umsatz ein maßgebliches Kriterium sein.55) Es empfiehlt sich, in Anlehnung an § 267 HGB zu unterscheiden. Die Literatur empfiehlt dabei Zuschläge von 25 bis über 100 % der Regelvergütung bei Fortführung bis zu einem Jahr:56) x

Fortführung eines kleinen Unternehmens mit den Merkmalen des § 267 Abs. 1 HGB: 25 bis 50 %.

x

Fortführung eines mittleren Unternehmens mit den Merkmalen des § 267 Abs. 2 HGB: 50 bis 100 %.

x

Fortführung eines großen Unternehmens mit den Merkmalen des § 267 Abs. 3 HGB: 75 bis über 100 %.

37 Im Einzelfall ist auf die tatsächliche Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters abzustellen. Es darf aber nicht argumentiert werden, dass bei kleinen Unternehmen oder geringer Berechnungsgrundlage die Arbeitsbelastung grundsätzlich gering sei. Sie muss vielmehr auch bezogen auf das konkrete Unternehmen bewertet werden. Denn gerade bei geringer Berechnungsgrundlage und geringer Regelvergütung, ist der tatsächliche Erhöhungsbetrag entsprechend gering und die Erhöhung gilt u. U. den tatsächlichen Arbeitsaufwand nur eingeschränkt ab. Es wäre mithin falsch, bei kleinen Unternehmen pauschal einen geringeren Zuschlag zu gewähren oder diesen sogar mit dem Argument zu kürzen, die Arbeitsleistung sei gering gewesen, weil das fortgeführte Unternehmen nur von geringer Größe war. 38 Bei einer Betriebsfortführung von längerer Dauer sind die vorgeschlagenen Prozentsätze nicht ohne weiteres zu addieren; bei zweijähriger Fortführung eines mittleren Unternehmens erhält der Insolvenzverwalter also nicht einfach 100 bis 200 %. Es ist auch hier zu prüfen, inwieweit sich bei längerer Fortführung eine Verringerung des Arbeitsaufwandes, bspw. durch Installierung von Managementprozessen, ergeben hat. Beim Arbeitsaufwand ist auch zu prüfen, ob der Insolvenzverwalter auf intakte Verwaltungsstrukturen des Unternehmens zurückgreifen konnte. Der Prozentsatz der Erhöhung ist dann entsprechend geringer anzusetzen.

___________ 53) So bereits Eickmann, VergVO, § 2 Rz. 22. 54) BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, Rz. 13, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49; BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 158/05, ZIP 2006, 1008 = ZVI 2006, 261; BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203. 55) BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203. 56) Keller, Vergütung, Rz. 324 m. w. N.

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§ 39

Vergütungsfragen 4.2

Die fehlende Massemehrung als Tatbestandsvoraussetzung

Nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV ist ein Zuschlag nur dann zu gewähren, wenn durch die Un- 39 ternehmensfortführung keine Massemehrung erfolgt ist, wenn also nach der Berechnung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV kein entsprechender Gewinn erwirtschaftet worden ist. Diese enge wörtliche Auslegung der Norm durch den BGH57) ist nicht zwingend notwendig, da die Tatbestände des § 3 Abs. 1 InsVV nach allgemeiner Ansicht nur Regelbeispiele darstellen. Daher kann grundsätzlich, auch trotz entsprechender Massemehrung, die tatsächliche Arbeitsbelastung für den Insolvenzverwalter so groß sein, dass sich allein durch die Erhöhung der Berechnungsgrundlage keine angemessene Regelvergütung ergibt und eine Zuschlagsgewährung im Einzelfall notwendig ist. Mit dem Wortlaut der Norm und der Rechtsprechung des BGH ist aber zunächst bei der 40 Berechnungsgrundlage unter Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV (Abzug der Masseverbindlichkeiten) zu prüfen, ob die Berechnungsgrundlage und damit die Regelvergütung durch die Fortführung erhöht worden ist. Da der BGH den Abzug von Masseverbindlichkeiten umfänglich fordert, ergibt sich in den meisten Fällen der Betriebsfortführung, dass durch sie keine Erhöhung der Berechnungsgrundlage und damit der Regelvergütung erfolgt. Der Zuschlag des § 3 Abs. 1 lit. b InsVV kann dann als „echter“ Zuschlag gewährt werden. 4.3

Der sog. „ausgleichende“ Zuschlag bei Gewinn aus Unternehmensfortführung

Soweit durch die Betriebsfortführung eine Massemehrung stattgefunden hat, ist ein Ver- 41 gleich zwischen den Vergütungen bei fehlender Mehrung mit „echtem“ Zuschlag und mit Erhöhung der Regelvergütung auf Grund der Massemehrung ohne Zuschlag vorzunehmen. In Höhe des Differenzbetrages ist dem Verwalter ein „ausgleichender“ Zuschlag zu gewähren.58) Entscheidend ist zu bedenken, dass sich die Erhöhung der Berechnungsgrundlage durch den Gewinn wegen der Degression des § 2 Abs. 1 InsVV auf den Vergütungsbetrag weniger stark auswirkt als unmittelbar die Erhöhung der Vergütung durch Zuschlagsgewährung, auch wenn die Berechnungsgrundlage mangels Gewinn niedriger war. Es darf aber der Insolvenzverwalter bei erfolgreicher Fortführung und Gewinn hieraus nicht schlechter gestellt werden als bei erfolgloser Fortführung ohne Gewinn mit unmittelbarer Anwendung des § 3 Abs. 1 lit. b InsVV. Die Vergütung ist rechnerisch höher, wenn sie aus geringerer Berechnungsgrundlage nach § 3 Abs. 1 InsVV erhöht wird, als wenn sie bei höherer Berechnungsgrundlage nicht erhöht wird. Letzteres führt lediglich zu einer Erhöhung im Staffelsatz des § 2 Abs. 1 InsVV, ersteres zu einer unmittelbaren Erhöhung der Vergütung. Die Gewährung des ausgleichenden Zuschlags muss allein aus rechnerischen Gründen er- 42 folgen. Voraussetzung ist, dass der Insolvenzverwalter durch die Unternehmensfortführung ohne Massemehrung einen Zuschlag zu seiner Vergütung bekommen hätte. Die Gewährung des ausgleichenden Zuschlags kann nicht mit der Begründung verweigert werden, der Insolvenzverwalter habe durch die Unternehmensfortführung bereits einen Gewinn erwirtschaftet. Die Vergütung des Insolvenzverwalters muss mindestens so hoch sein, wie für den Fall, dass er keinen Gewinn erzielt hat, aber einen Zuschlag nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV erhält.

___________ 57) BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203. 58) BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – IX ZB 106/06, ZIP 2007, 784 = NZI 2007, 341; BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – IX ZB 120/06, ZIP 2007, 826 = ZVI 2007, 332.

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§ 39

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

43 Der sog. ausgleichende Zuschlag berechnet sich wie folgt:59) 1. Berechnung der Regelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV bei Insolvenzmasse ohne Massemehrung; 2. Zuschlagsberechnung nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV hierauf = Gesamtvergütung; 3. Berechnung der Regelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV bei Insolvenzmasse mit Massemehrung; 4. Berechnung der Differenz der Vergütungsbeträge; 5. Differenzbetrag aus Nr. 4 abzüglich der Regelvergütung aus Nr. 3 = Prozentsatz des ausgleichenden Zuschlags. 44 Im Ergebnis kommt es nicht entscheidend darauf an, ob und wie hoch der Überschuss aus einer Unternehmensfortführung nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV ist. Es ist dann lediglich der Zuschlag nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV entweder ein „echter“ oder ein „ausgleichender“. Das Problem des Abzugs von Masseverbindlichkeiten ist damit gemildert. Erzielt nämlich der Insolvenzverwalter aus der Fortführung keinen Gewinn (Verlust wegen hohen Abzugs von Masseverbindlichkeiten), erhält er den „echten“ Zuschlag nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV. Erzielt er trotz des Abzugs von Masseverbindlichkeiten Gewinn, erhält er nach der dargestellten Vergleichsrechnung den „ausgleichenden“ Zuschlag. Beispiel:60) Fortführung eines kleinen Unternehmens für drei Monate mit Erzielung eines Überschusses auch bei Einbeziehung der oktroyierten Masseverbindlichkeiten; mögliche Zuschlagsgewährung für die Betriebsfortführung im Umfang von 25 %, wenn keine Massemehrung stattgefunden hätte. Angenommene Insolvenzmasse: 3 000 000,00 € Masseverbindlichkeiten der Fortführung: 1 200 000,00 € oktroyierte Masseverbindlichkeiten: 600 000,00 € Einnahmen aus Fortführung: 2 000 000,00 € Berechnungsgrundlage ohne Massemehrung: 3 000 000,00 € Berechnungsgrundlage mit Massemehrung und unter Einbeziehung oktroyierter Masseverbindlichkeiten: 3 200 000,00 € Regelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV: 91 750,00 € Berechnung des ausgleichenden Zuschlags: 1. Regelvergütung ohne Massemehrung: 87 750,00 € 2. „Echter“ Zuschlag von 25 Prozent: 109 687,50 € 3. Regelvergütung mit Massemehrung: 91 750,00 € 4. Differenzbetrag: 17 937,50 € 5. Prozentsatz des „ausgleichenden“ Zuschlags: 19,55 % Lässt man die oktroyierten Masseverbindlichkeiten bei der Berechnung des Fortführungsüberschusses außer Betracht, beträgt dieser 800 000,00 €. Die Berechnungsgrundlage der Vergütung beträgt dann 3 800 000,00 €. Die vergleichsweise Berechnungsgrundlage ohne Massemehrung bleibt gleich, ebenso die um den Zuschlag nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV erhöhte Vergütung. Im Ergebnis reduziert sich dann lediglich der ausgleichende Zuschlag zur Vergütung aus der höheren Berechnungsgrundlage.

___________ 59) Keller, DZWIR 2009, 231. 60) Keller, DZWIR 2009, 231.

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§ 39

Vergütungsfragen 4.4

Konkurrenz von echtem und ausgleichendem Zuschlag

Im Zusammenspiel oder auch im Gegeneinander von echtem und ausgleichendem Zuschlag 45 ist auch zu bedenken, dass auch eine erfolgreiche Fortführung, nach Abzug der Masseverbindlichkeiten mit Überschuss, eine besondere Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters beinhalten kann, die durch den ausgleichenden Zuschlag nicht ausreichend abgebildet wird. Das kann insbesondere hinsichtlich des Haftungsrisikos des Insolvenzverwalters aber auch hinsichtlich des wirtschaftlichen Erfolges der Fortführung der Fall sein. Hier muss geprüft werden, ob der ausgleichende Zuschlag nochmals zu erhöhen ist. Der BGH hatte sich im Beschluss vom 12.5.2011 hierzu mit folgenden Worten eher vage geäußert:61) „Allerdings hat der Senat in diesem Zusammenhang ausgeführt, der Zuschlag dürfe auch nicht höher sein, als es die bestehende Differenz erfordere. Hieran wird jedoch nicht uneingeschränkt festgehalten. Der Verwalter darf zwar für eine Tätigkeit nicht doppelt honoriert werden. Das schließt es aber nicht aus, den Erfolg des Verwalters bei der Fortführung des Unternehmens in angemessenem Umfang auch bei der Festlegung des Zuschlags zu berücksichtigen, vorausgesetzt, der erzielte Überschuss ist gerade auf den besonderen Einsatz des Verwalters zurückzuführen. Auch dann darf die Höhe aber nicht den tätigkeitsbezogenen Zuschlag überschreiten, der ohne eingetretene Erhöhung der Berechnungsgrundlage zuzubilligen wäre.“

Der BGH lässt danach eine Erhöhung des ausgleichenden Zuschlags bei besonderem Ar- 46 beitsaufwand zu, nimmt dies aber gleich wieder zurück. Dies ist nicht verständlich. Die Aussage kann nur so verstanden werden, dass ein ausgleichender Zuschlag zu vergleichen ist mit dem „echten“ Zuschlag bei der Berechnungsgrundlage einschließlich des Überschusses aus der Unternehmensfortführung. 5.

Zuschlagsgewährung für Sanierungsbemühungen

Wie auch bei der Betriebsfortführung besteht bei Sanierungsbemühungen und Sanie- 47 rungsmaßnahmen eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch der InsO und der Wirklichkeit der insolvenzrechtlichen Vergütung. Ähnlich wie bei der Unternehmensfortführung als Tatbestand ist festzustellen, dass Sanierungsbemühungen und insbesondere die erfolgreiche Sanierung nicht Teil des für das Vergütungsrecht maßgeblichen Normalfalls sind. Sie sind stets i. R. des § 3 InsVV als Erhöhungstatbestand zu würdigen. Der BGH erkennt dies ausnahmslos an und sieht auch für den sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter einen Erhöhungstatbestand.62) In den Tatbestand „Sanierungsbemühungen“ fließen einige Einzelaspekte ein: x

Durchführung eines M&A-Prozesses; gerade für einen M&A-Prozess ist zu beachten, dass es notwendig ist, spezielle Dienstleister zu beauftragen, welche die betriebswirtschaftlich relevanten Daten aufarbeiten und vor allem für die jeweilige Branche geeignete Investoren werben. Die Durchführung eines M&A-Prozesses kann von dem Insolvenzverwalter ebenso wenig geleistet werden wie von dem Inhaber oder einem Geschäftsführer des Unternehmens selbst.

x

Durchführung der Due-Dilligence, deren technische Aufbereitung ebenfalls durch spezialisierte Dienstleister erbracht werden muss.

x

Durchführung der Sanierungsmaßnahmen; hier sind die konkreten Maßnahmen und deren Arbeitsbelastung zu berücksichtigen, etwa Verhandlungen zur übertragenden

___________ 61) BGH, Beschl. v. 12.5.2011 – IX ZB 143/08, Rz. 15, ZIP 2011, 1373 = NZI 2011, 630. 62) BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 127/04, NZI 2006, 236 = ZIP 2006, 672 m. Anm. Prasser = ZVI 2006, 165; BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 122/08, ZIP 2010, 1909 m. Anm. Prasser. AG BergischGladbach, Beschl. v. 11.1.2000 – 33 N 68/98, ZIP 2000, 283; AG Bielefeld, Beschl. v. 18.5.2000 – 43 IN 466/99, ZInsO 2000, 350. Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 11/2014, § 3 InsVV Rz. 79, Stand: 11/2013, § 11 InsVV Rz. 71 ff.

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§ 39

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Sanierung, Durchführung gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen, bspw. zur Kapitalerhöhung, mögliche Rechtsstreitigkeiten oder auch Schiedsverfahren mit dem Erwerber. Bei diesem Aspekt sind Überschneidungen mit anderen Tatbeständen zu berücksichtigen, insbesondere zu Personalanpassungsmaßnahmen oder Erstellung eines Insolvenzplans. 48 Bei Bestimmung der Berechnungsgrundlage ist je nach Art der Sanierung die von einem Investor erbrachte Gegenleistung Bestandteil der Berechnungsgrundlage. Wurden i. R. eines Share Deals Beteiligungen des schuldnerischen Unternehmens an anderen Gesellschaften veräußert, kann auch eine Verpflichtung des Erwerbers, diese Gesellschaften mit neuem Eigenkapital auszustatten, in die Berechnungsgrundlage einbezogen werden. Erhöht sich hierdurch die Berechnungsgrundlage stark, ist dies bei der Bestimmung des Prozentsatzes der Erhöhung zu berücksichtigen. Es darf aber nicht mit dem Argument der Erhöhung der Berechnungsgrundlage oder mit dem Argument der Arbeitsersparnis bei Delegation der wirtschaftliche Erfolg einer Sanierung kleingeredet werden. 6.

Weitere typische Erhöhungstatbestände im Zusammenhang mit Betriebsfortführung

49 Bei einer Betriebsfortführung durch den Insolvenzverwalter bleibt es regelmäßig nicht allein beim Erhöhungstatbestand des § 3 Abs. 1 lit. b InsVV, es kommen in der Regel weitere Zuschlagstatbestände in Betracht. Zu nennen sind beispielhaft x

die Prüfung konzernrechtlicher Verhältnisse,

x

die Führung mehrerer Betriebsstätten,

x

die Arbeitsbelastung bei hoher Zahl von Arbeitnehmern, oder

x

die Erstellung und Prüfung eines Insolvenzplanes.63)

50 Treffen mehrere Erhöhungstatbestände zusammen, ist bei der Ermittlung des angemessenen Prozentsatzes der Vergütungserhöhung zu prüfen, inwieweit die Tatbestände sich überschneiden und die Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters sich auf mehrere Tatbestände auswirkt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, welche konkrete Erschwernis durch welchen Tatbestand abgegolten werden soll. Es kann nämlich auch der Fall sein, dass ein Tatbestand – übergreifend – die besondere Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters betrifft und deshalb mit anderen Tatbeständen, die konkrete Tätigkeiten betreffen, nicht „kombiniert“ werden kann. Bei der Ermittlung des Prozentsatzes der Erhöhung ist es deshalb falsch, die Prozentsätze der Erhöhungstatbestände einfach zu addieren, es ist aber auch falsch, alle Tatbestände unterschiedslos gegeneinander abzuwägen und so den Prozentsatz insgesamt zu kürzen. 51 Gerade in diesem Zusammenhang ist die vielfach bekräftigte Rechtsprechung des BGH von der sog. Gesamtbetrachtung der Erhöhungstatbestand abzulehnen.64) Die Gesamtbetrachtung ohne differenzierende Bewertung der einzelnen Erhöhungstatbestände, mit jeweiliger Zuordnung eines Prozentsatzes und Abwägung untereinander nach Zielrichtung und Abgeltung von Arbeitsaufwand, führt zu einer nicht sachgemäßen Vergütungsgewährung. Dies gilt ___________ 63) Allgemein dazu Keller, Vergütung, Rz. 290 ff. 64) Grundlegend BGH, Beschl. v. 11.5.2006 – IX ZB 249/04, ZIP 2006, 1204 = NZI 2006, 464 m. Anm. Nowak = DZWIR 2006, 471 m. Anm. Heinze, dazu EWiR 2010, 65 (Prasser); in der weiteren Rspr. stets bekräftigt, BGH, Beschl. v. 12.5.2011 – IX ZB 143/08; ZIP 2011, 1373 = NZI 2011, 630; BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – IX ZB 11/07, ZIP 2010. 1403 = NZI 2010, 643; zum Degressionsausgleich nach § 3 Abs. 1 lit. c InsVV BGH, Beschl. v. 8.11.2012 – IX ZB 139/10, ZIP 2012, 2407 = NZI 2012, 981, dazu EWiR 2012, 804 (Blersch), dazu auch Keller, NZI 2013, 19; BGH, Beschl. v. 17.4.2013 – IX ZB 141/11, ZInsO 2013, 1104; Riedel in: MünchKomm-InsO, § 3 InsVV Rz 4.

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§ 39

Vergütungsfragen

exemplarisch für den Erhöhungstatbestand der Betriebsfortführung selbst, der an sich schon deshalb greift, weil die Betriebsfortführung vergütungsrechtlich in keinem Fall Bestandteil eines Normalverfahrens der Insolvenz ist. Die Betriebsfortführung als übergreifenden Tatbestand mit anderen Tatbeständen, durch welche eine konkrete Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters quantitativ abgegolten werden soll, in Relation zu setzen ist deshalb schwierig. Denn die Erschwernisse, bspw. bei besonders hoher Anzahl von Arbeitnehmern, hat der Insolvenzverwalter auch dann, wenn keine Betriebsfortführung erfolgt. Die Tatbestände überschneiden sich daher nicht automatisch. Eine sachgerechte und differenzierte Vergütungsbestimmung kann deshalb nur erfolgen, wenn jeder Tatbestand für sich mit einem angemessenen Prozentsatz versehen wird und danach geprüft wird, ob sich die Tatbestände ihrem Zweck nach überschneiden und bei der Abgeltung konkrete Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters sich Synergien ergeben. Die Gesamtbetrachtung als solche ist abzulehnen. Zu berücksichtigen ist bei Betriebsfortführung auch der sog. Degressionsausgleich nach § 3 52 Abs. 1 lit. c InsVV.65) Er ist unabhängig von den sonstigen Tatbeständen ab einer Insolvenzmasse von mehr als 250 000 € zu bestimmen. Der Degressionsausgleich ist mit den sonstigen Erhöhungstatbeständen nicht vergleichbar, er stellt eine Korrektur der abflachenden Degression des § 2 Abs. 1 InsVV bei besonderer Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters dar.66) Durch ihn wird keine konkrete Arbeitsbelastung abgegolten. Er nimmt deshalb erst recht nicht an der vom BGH, auch für diesen Tatbestand, geforderten Gesamtbetrachtung teil.67) 7.

Die Gewährung eines Vorschusses auf die Vergütung

Der Insolvenzverwalter kann nach § 9 InsVV einen Vorschuss auf seine Vergütung verlangen. 53 Das Insolvenzgericht soll bei der Gewährung des Vorschusses nicht zögerlich sein. Zu bedenken ist, dass der Insolvenzverwalter mit seiner Arbeitsleistung und der seiner Mitarbeiter in Vorleistung geht und nicht auf Dauer genötigt werden darf, das Insolvenzverfahren damit vorzufinanzieren. Der Vorschuss berechnet sich aus der voraussichtlichen Insolvenzmasse des gesamten 54 Insolvenzverfahrens, nicht lediglich aus der bei Vorschussgewährung erwirtschafteten Insolvenzmasse. Er bezieht sich nicht lediglich auf die Regelvergütung, bereits verwirklichte oder mit Sicherheit sich verwirklichende Erhöhungstatbestände sind zu berücksichtigen.68) Bei einer Betriebsfortführung muss der Insolvenzverwalter jedoch beachten, dass die Ent- 55 nahme eines zu hohen Vorschusses in einem bestimmten Zeitpunkt des Insolvenzverfahrens der Insolvenzmasse Liquidität entzieht, die für die weitere Betriebsfortführung erforderlich sein könnte. In einem solchen Fall sollte auf die Entnahme eines Vorschusses zunächst verzichtet werden, denn die Gefahr einer dadurch – im Extremfall – herbeigerufenen Masseunzulänglichkeit oder gar Masselosigkeit schadet auch dem Insolvenzverwalter im Hinblick auf seine endgültige Vergütung.

___________ 65) Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 276 ff. 66) Eingehend Keller in: HK-InsO, § 2 InsVV Rz. 18 ff. 67) So aber BGH, Beschl. v. 8.11.2012 – IX ZB 139/10, ZIP 2012, 2407 = NZI 2012, 981; dagegen mit Recht krit. Blersch, EWiR 2012, 804; dazu auch Keller, NZI 2013, 19. 68) Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 528 ff.

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§ 39

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

II.

Die Vergütung der weiteren Organe des Insolvenzverfahrens

1.

Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters

56 Die Unternehmensfortführung ist auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter in jedem Fall Erhöhungstatbestand für die Vergütung.69) Im Beschluss vom 13.4.200670) betonte der BGH, dass der Zuschlag wegen Unternehmensfortführung auch für den sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter gilt. Die Begleitung und Überwachung der Unternehmensfortführung durch den Schuldner und die Zustimmung zu einzelnen Verfügungen wegen des Zustimmungsvorbehalts nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO stellt keine geringere Arbeitsleistung dar als die Unternehmensfortführung selbst. Der Zuschlagstatbestand darf von der Rechtsmacht des vorläufigen Verwalters abhängig gemacht werden. 57 Mit Beschluss vom 18.12.200371) stellte der BGH auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter fest, dass der Umsatz des schuldnerischen Unternehmens ein maßgebliches Kriterium für die Anwendung des § 3 Abs. 1 lit. b InsVV und die Bemessung des Prozentsatzes der Erhöhung sein kann. 58 Berechnungsgrundlage der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist nach § 63 Abs. 3 Satz 2 InsO mit § 11 Abs. 1 InsVV das Vermögen des schuldnerischen Unternehmens, das der vorläufigen Verwaltung unterlag. Vermögenswerte mit Aus- und Absonderungsrechten sind zu berücksichtigen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter sich erheblich mit ihnen befasst hat.72) Bei der Bestimmung der Berechnungsgrundlage ist zudem die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV auch auf die Unternehmensfortführung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter anzuwenden.73) Die Verbindlichkeiten aus der Betriebsfortführung sind von dem der vorläufigen Insolvenzverwaltung unterliegenden Vermögen i. S. des § 11 Abs. 1 InsVV abzuziehen. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 2 oder 4 InsO handelt. 59 Bei der Bestimmung des Erhöhungstatbestandes ist für den vorläufigen Insolvenzverwalter ebenso vorzugehen wie beim Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren. Der vorläufige Insolvenzverwalter erhält den vollen Prozentsatz der Erhöhung der Vergütung, der zu dem Anteil von 25 % der Regelvergütung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV zu addieren ist.74) 60 Die Betriebsfortführung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter kann für den Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren eine Arbeitsersparnis und damit eine Minderung seines Zuschlags wegen Betriebsfortführung nach § 3 Abs. 2 lit. a InsVV zur Folge haben. ___________ 69) 70) 71) 72)

BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49. BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 158/05, ZIP 2006, 1008 = ZVI 2006, 261. BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203. § 63 Abs. 3 InsO und § 11 InsVV zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.7.2013, BGBl. I, 2379, m. W. v. 19.7.2013; zur Rechtsentwicklung insbesondere auch gegenüber der Rspr. des BGH Beschlussempfehlung Rechtsausschuss BT-Drucks. 17/13535, S. 43, 44; BGH, Beschl. v. 15.11.2012 – IX ZB 88/09, BGHZ 195, 322 = ZIP 2012, 2515 = NZI 2013, 29 m. Anm. Graeber, dazu EWiR 2013, 61 (U. Keller); BGH, Beschl. v. 15.11.2012 – IX ZB 130/10, BGHZ 195, 336 = ZIP 2013, 30 = NZI 2013, 183; dazu EWiR 2013, 125 (Kalkmann), dazu auch Keller, NZI 2013, 240; Stoffler, NZI 2013, 394; bekräftigt durch BGH, Beschl. v. 14.2.2013 – IX ZB 260/11, ZInsO 2013, 630, eingehend auch zur verunglückten Übergangsregelung Kübler/Prütting/Bork-Stoffler, InsO, Stand: 11/2013, § 65 Rz. 37; Graeber, NZI 2013, 836; Keller, NZI 2014, 833. 73) BGH, Beschl. v. 26.4.2007 – IX ZB 160/06, ZIP 2007, 1330 = ZVI 2008, 317; dazu Graeber, NZI 2007, 492; allgemein zur Unternehmensfortführung im Eröffnungsverfahren Jaeger-Gerhardt, InsO, § 22 Rz. 77 ff. 74) BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203; BGH, Beschl. v. 4.11.2004 – IX ZB 52/04, ZIP 2004, 2448 = NZI 2005, 106 m. Anm. Nowak; BGH, Beschl. v. 27.9.2012 – IX ZB 243/11, ZInsO 2013, 840; eingehend Keller, Vergütung Rz. 632 ff.

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§ 39

Vergütungsfragen 2.

Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters

Das Amt des vorläufigen Sachwalters im Insolvenzeröffnungsverfahren zur Eigenverwal- 61 tung nach §§ 270 ff. InsO hat erst durch die Änderungen des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 (ESUG)75) mit der Vorschrift des § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO Eingang in das Gesetz gefunden.76) Der vorläufige Sachwalter hat Anspruch auf angemessene Vergütung für seine Tätigkeit nach § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 65 InsO. Die ausführende InsVV enthält für den vorläufigen Sachwalter keine Regelung zur Bestimmung seiner Vergütung. Zur Bestimmung der Vergütung kann entweder

62

x

die Vorschrift betreffend die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 11 InsVV unmittelbar herangezogen werden, oder

x

in entsprechender Anwendung, die Vorschrift des § 12 InsVV zur Vergütung des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren herangezogen werden, oder

x

auch in entsprechender Anwendung des § 11 InsVV die Vergütung des vorläufigen Sachwalters i. H. von 25 % der Vergütung des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren bestimmt werden.77)

Bei unmittelbarer Anwendung des § 11 InsVV beträgt die Regelvergütung des vorläufigen 63 Sachwalters 25 %,78) bei unmittelbarer Anwendung des § 12 InsVV beträgt sie 60 %, bei Kombination mit § 12 InsVV beträgt sie 15 % (ein Viertel von 60 %) der Regelvergütung des § 2 Abs. 1 InsVV.79) Maßgebend für die Beantwortung dieser Fragestellung ist die Vergleichbarkeit der Rechts- 64 stellung und der Aufgabenzuweisungen an den vorläufigen Sachwalter mit den geregelten Ämtern.80) Das AG Göttingen81) und ihm folgend die AG Hamburg82) und Potsdam83) vertreten mit 65 überzeugenden Argumenten die Ansicht, dass die Vergütung des vorläufigen Sachwalters in unmittelbarer Anwendung des § 12 InsVV – ebenso wie die des Sachwalters im eröffneten Verfahren – regelmäßig 60 % der Regelvergütung nach § 2 InsVV betrage. Sie argumentieren wesentlich mit den Aufgaben und Pflichten des vorläufigen Sachwalters im Vergleich zum Sachwalter im eröffneten Verfahren und sehen keine Unterschiede in den qualitativen Anforderungen. Durch die Regelung des § 270a InsO sei der vorläufige Sachwalter vergleichbar mit dem Sachwalter. Die Verweisung auf §§ 274, 275 InsO sei sinngemäß auf Sachverhalte des Insolvenzeröffnungsverfahrens anzuwenden. Das ist zunächst zutreffend: Soweit nämlich § 12 InsVV implizit voraussetzt, dass der Arbeitsaufwand des Sachwalters ___________ 75) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I, 2582. 76) Allgemein Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270a Rz. 4 ff.; K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270a Rz. 4. 77) LG Freiburg, Beschl. v. 30.10.2016 – 3 T 194/15, ZInsO 2016, 185; LG Bonn, Beschl. v. 11.10.2013 – 6 T 184/13, ZIP 2014, 694 = NZI 2014, 123 m. Anm. Plathner; AG Köln, Beschl. v. 13.11.2012 – 71 IN 109/12, ZIP 2013, 426 = NZI 2013, 97; AG Wuppertal, Beschl. v. 26.5.2014 – 145 IN 751/13, ZIP 2015, 541; AG Essen, Beschl. v. 27.3.2015 – 163 IN 170/14, ZIP 2015, 1041 = NZI 2015, 574; AG Essen, Beschl. v. 9.7.2015 – 163 IN 170/14, ZIP 2015, 1796 = ZInsO 2015, 1582; AG Ludwigshafen, Beschl. v. 22.7.2015 – 3b IN 414/14, ZInsO 2015, 1639; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ringstmeier, FAKomm-InsR, § 270a Rz. 9; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 11. 78) Hofmann in: Kübler, HRI, § 6 Rz. 82; K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270a Rz. 4; Kübler/Prütting/BorkPape, InsO, Stand: 5/2013, § 270a Rz. 26; Zimmer, ZInsO 2012, 1658, 1662. 79) Vorschnell bereits als h. M. bezeichnet von Haarmeyer/Mock, ZInsO 2016, 1. 80) Eingehend Schur, ZIP 2014, 757. 81) AG Göttingen, Beschl. v. 28.11.2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2013, 36. 82) AG Hamburg, Beschl. v. 20.12.2013 – 67g IN 419/12, ZIP 2014, 237, dazu EWiR 2014, 155 (Hofmann). 83) AG Potsdam, Beschl. v. 18.2.2015 – 35 IN 748/12, NZI 2015, 247.

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§ 39

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

geringer sei als der eines Insolvenzverwalters, ist dies für den vorläufigen Sachwalter im Insolvenzeröffnungsverfahrens nicht zutreffend. Er hat noch mehr als der Sachwalter im eröffneten Insolvenzverfahren, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und gerade im Hinblick auf § 270a InsO die Sanierungsfähigkeit zu prüfen und geeignete Maßnahmen hierzu zu unterstützen. Es wäre daher zutreffend, die Vergütung des vorläufigen Sachwalters in unmittelbarer Anwendung des § 12 InsVV zu bestimmen. Allerdings gehört es zur Systematik der vergütungsrechtlichen Regelungen, im Eröffnungsverfahren eine Regelvergütung insbesondere wegen der Kürze des Verfahrens geringer anzusetzen.84) Daher ist es sachgerecht, die Vergütung des vorläufigen Sachwalters – ebenso diejenige des vorläufigen Insolvenzverwalters – mit 25 % der Vergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV anzusetzen. 66 § 3 InsVV ist in der Weise entsprechend anzuwenden, dass Erhöhungen oder Kürzungen der Vergütung unmittelbar und in vollem Umfang dem Prozentsatz der Vergütung des Insolvenzverwalters erhöhen oder kürzen.85) Fraglich ist dabei, was als Normalverfahren der vorläufigen Sachwaltung anzusehen ist. Der Gesetzgeber hat nämlich mit den §§ 270a, 270b InsO Tatbestände aufgestellt, ohne diese vergütungsrechtlich umzusetzen. Es ist daher auf den allgemeinen Normalfall eines Insolvenzverfahrens unter Berücksichtigung der Aufgaben des Sachwalters abzustellen. Danach ist die Unternehmensfortführung zwar Normalfall des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO, sie ist aber vergütungsrechtlich kein Normalfall. Auch weitere Tatbestände der Aufgaben des vorläufigen Sachwalters können nur aus Analogie zum vorläufigen Insolvenzverwalter oder zum Sachwalter des eröffneten Verfahrens deduziert werden. Methodisch falsch ist es, alle Aufgaben eines vorläufigen Sachwalters nach der InsO zu Tatbeständen des Normalfalls zu erklären.86) Man muss vielmehr auch prüfen, ob die Änderungen in der InsO in der InsVV umgesetzt worden sind. 67 Erhöhungen oder Kürzungen der Vergütung des vorläufigen Sachwalters erfolgen unter Berücksichtigung seiner gesetzlichen Aufgabenzuweisung und der Feststellung des sog. Normalfalls einer vorläufigen Sachwaltung nach § 270a InsO. Die Problematik der Feststellung eines Erhöhungstatbestandes bei der Vergütung des vorläufigen Sachwalters besteht zunächst in der Definition des sog. Normalfalls einer vorläufigen Sachwalterschaft bezogen auf ein schuldnerisches Unternehmen der konkreten Art.87) Unter Heranziehung der Kriterien der Rechtsprechung zu einer Vergütungserhöhung können beispielhaft als nicht zum Normalfall und damit vergütungserhöhend genannt werden: x Prüfung und Befassung mit konzernrechtlichen Verflechtungen;88) x Fortführung des schuldnerischen Unternehmens;89) x Arbeitsaufwand bei Führung mehrerer Standorte;90) x Arbeitsbelastung bei Auslandsberührung;91) x Vorbereitung einer Sanierung durch Insolvenzplan;92) ___________ 84) 85) 86) 87) 88) 89)

90) 91) 92)

Schur, ZIP 2014, 757. Eingehend Keller, Vergütung, Rz. 632 ff. So aber LG Bonn, Beschl. v. 11.10.2013 – 6 T 184/13, ZIP 2014, 694 = NZI 2014, 123 m. Anm. Plathner. Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 234 ff.; Keller in: FS Görg, S. 247 ff. Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 11/2014, § 3 InsVV Rz. 100, 101; Keller, Vergütung, Rz. 300. BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203; BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 158/05, ZIP 2006, 1008 = ZVI 2006, 261; BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 122/08, ZIP 2010, 1909; Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 11/2014, § 3 InsVV Rz. 79; Keller, Vergütung, Rz. 326 ff., 335. Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 11/2014, § 3 InsVV Rz. 102; Keller, Vergütung, Rz. 303. Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 11/2014, § 3 InsVV Rz. 75; Keller, Vergütung, Rz. 294. BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 127/04, ZIP 2006, 672 m. Anm. Prasser = ZVI 2006, 165; Kübler/ Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 11/2014, § 3 InsVV Rz. 99; Keller, Vergütung, Rz. 307.

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§ 39

Vergütungsfragen x

Arbeitsbelastung bei Befassung mit Aus- und Absonderungsrechten (§ 3 Abs. 1 lit. a InsVV);

x

Arbeitsbelastung bei Vorfinanzierung von Insolvenzgeld.93)

Der vorläufige Sachwalter erhält wie der vorläufige Insolvenzverwalter Ersatz seiner Ausla- 68 gen entsprechend § 4 InsVV. Er kann auch den Pauschbetrag des § 8 Abs. 3 InsVV in voller Höhe geltend machen. Hierbei ist aber § 12 Abs. 3 InsVV zu beachten, der den monatlichen Pauschbetrag auf 125 € reduziert.94) Berechnungsgrundlage des Pauschbetrages ist die Vergütung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV als Regelvergütung.95) Höchstens sind als Auslagenersatz 125 € je angefangenen Monat der (vorläufigen) Verwaltung anzusetzen (§ 12 Abs. 3 InsVV).96) Der vorläufige Sachwalter erhält in Anwendung des § 7 InsVV die volle Erstattung der von 69 ihm zu zahlenden Umsatzsteuer auf Vergütung und Auslagen. 3.

Die Vergütung des Sachwalters im Eigenverwaltungsverfahren

Der Sachwalter im Insolvenzverfahren unter Eigenverwaltung hat Anspruch auf angemes- 70 sene Vergütung nach § 274 Abs. 1, § 63 InsO. Die Vergütung besteht nach § 12 InsVV in einer Regelvergütung i. H. von 60 % der Vergütung des Insolvenzverwalters, über § 10 InsVV gelten die allgemeinen Vorschriften zur Bestimmung der Berechnungsgrundlage, zur Berechnung der Regelvergütung, aber auch zu möglichen Erhöhungen oder Kürzungen der Vergütung nach § 3 InsVV entsprechend.97) In der systematischen Anwendung der Vorschriften ist die Bestimmung des Umfangs der 71 Tätigkeit eines Sachwalters im sog. Normalverfahren, das durch die Regelvergütung abgedeckt wird, problematisch. Mit Bezugnahme auf die Vorschriften der InsO zu den regelmäßigen Aufgaben eines Sachwalters ist bspw. festzustellen, dass die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts nach § 277 InsO nicht Bestandteil eines Normalverfahrens ist. Im Übrigen ergeben sich die regelmäßigen Aufgaben des Sachwalters aus §§ 274 Abs. 2, 275, 279 Satz 3, 280, 281 Abs. 1 Satz 2, 282 Abs. 2, 283, 285 InsO.98) Bei Anwendung des § 3 InsVV wird man in gleicher Weise, wie bei der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 11 InsVV, Erhöhungen oder Kürzungen so berechnen, dass sie unmittelbar den Bruchteil der Vergütung des Sachwalters beeinflussen.99) 4.

Die Vergütung der Mitglieder eines Gläubigerausschusses

Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben Anspruch auf Vergütung für ihre Tätigkeit 72 nach § 73 Abs. 1 InsO. Die InsVV regelt die Vergütung in §§ 17, 18 InsVV. Die Vergütung soll den Zeitaufwand der Mitglieder des Gläubigerausschusses für ihre Tätigkeit abgelten, ___________ 93) BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 127/04, ZIP 2006, 672 m. Anm. Prasser = ZVI 2006, 165; BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – IX ZB 120/06, ZIP 2007, 826 = ZVI 2007, 332; Zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld und zu Sozialplanverhandlungen BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203; BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – IX ZB 120/06, ZIP 2007, 826 = ZVI 2007, 332; LG Traunstein, Beschl. v. 13.4.2004 – 4 T 3690/03, ZIP 2004, 1657; Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 11/2014, § 3 InsVV Rz. 69; Keller, Vergütung, Rz. 307. 94) BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 104/05, ZIP 2006, 1403 = NZI 2006, 464 m. Anm. Nowak; LG Chemnitz, Beschl. v. 16.3.2000 – 11 T 5381/99, ZIP 2000, 710. 95) BGH, Beschl. v. 6.4.2006 – IX ZB 109/05, ZIP 2006, 2228. 96) BGH, Beschl. v. 24.6.2003 – IX ZB 600/02, ZIP 2003, 1458 = NZI 2003, 608; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 7.3.2001 – 3 W 269/00, NZI 2001, 312. 97) Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 666 ff. 98) Keller, Vergütung, Rz. 671. 99) Keller, Vergütung, Rz. 670; anders aber Foltis in: FK-InsO, § 274 Rz. 30.

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§ 39

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

aber auch angemessen sein.100) Zu Recht wird der Stundensatzrahmen kritisiert.101) Ein höherer Stundensatz wird vor allem dann als angemessen betrachtet, wenn das Mitglied aufgrund seiner Sachkunde und beruflichen Qualifikation berufen wurde und nicht als Insolvenzgläubiger des Verfahrens. 73 Die Vergütung nach § 17 Satz 1 InsVV umfasst den gesamten Zeitaufwand des jeweiligen Mitglieds des Gläubigerausschusses, dazu gehören Sitzungen des Gläubigerausschusses, Aktenstudium, Prüfung der Rechnungen und Bilanzführung des Verwalters oder Reisen. 74 Sieht man § 17 Satz 1 InsVV als eine Art Rahmengebühr, ist regelmäßig eine Vergütung von 65 € je Stunde für das Gläubigerausschussmitglied anzusetzen. Nach § 17 Satz 2 InsVV ist bei der Festsetzung der Vergütung Art und Umfang der Tätigkeit zu berücksichtigen, so dass im Einzelfall ein höherer oder niedrigerer Stundensatz gewährt werden kann und muss.102) § 3 Abs. 1 InsVV ist entsprechend anzuwenden.103) Kriterien für eine Erhöhung können eine besondere Qualifikation des Mitglieds, besonderer persönlicher Einsatz, besonders viele, zu prüfende und zu genehmigende Rechtsgeschäfte des Verwalters oder eine besonders umfangreiche Prüfung der Schlussrechnung sein. III.

Die Beschäftigung von Hilfskräften bei Betriebsfortführung

1.

Die Beauftragung externer Dienstleister

1.1

Grundsätze zur zulässigen Beauftragung

75 Durch die Vergütung des Insolvenzverwalters sind die allgemeinen Kosten des Büros einschließlich der Gehälter seiner Angestellten abgegolten (§ 4 Abs. 1 Satz 2 InsVV). Der Insolvenzverwalter kann zur Erledigung einzelner Aufgaben Hilfskräfte heranziehen und deren Vergütung aus der Insolvenzmasse entnehmen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV), die Vergütungen sind Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.104) 76 Angemessen ist die Übertragung auf einen Dritten, wenn ein sonst vernünftig Handelnder, der über keine berufsspezifischen Spezialkenntnisse verfügt, die Tätigkeit einem Dritten übertragen würde.105) Welche Tätigkeiten im Einzelnen delegierbar sind, ist im Einzelfall schwierig zu beurteilen. Die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung des Verbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V.106) nennen als delegationsfähige Tätigkeiten insbesondere: x Inventarisierung sowie die Be- und Verwertung von Wirtschaftsgütern; x

Unterstützung bei der Suche nach Investoren zur Vorbereitung der übertragenden Sanierung eines insolventen Unternehmens durch M&A-Berater;

x

Erstellung der Buchführung sowie von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen;

x

Rechtsberatung und Steuerberatung, soweit es sich um „besondere Aufgaben“ i. S. der InsVV handelt;

___________ 100) Eingehend Keller, Vergütung, Rz. 640 ff. 101) Statt aller Nowak in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2007, § 17 InsVV Rz. 2; Keller in: HK-InsO, § 17 InsVV Rz. 5 ff. 102) Nowak in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2007, § 17 InsVV Rz. 5, 6. 103) So insbesondere AG Braunschweig, Beschl. v. 21.6.2005 – 273 IN 211/99, ZInsO 2005, 870; Keller in: HK-InsO, § 17 InsVV Rz. 4. 104) Kübler/Prütting/Bork-Stoffler, InsO, Stand: 9/2012, § 4 InsVV Rz. 105. 105) BGH, Urt. v. 17.9.1998 – IX ZR 237/97, BGHZ 139, 309 = ZIP 1998, 1793, dazu EWiR 1998, 1125 (Henssler); BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 2005, 36, dazu EWiR 2005, 833 (Henssler/ Deckenbrock). 106) Grundsatz 7; Grundsätze ordnungsmäßiger Insolvenzverwaltung des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (GOI), Stand: 3.5.2013.

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§ 39

Vergütungsfragen x

Be- und Verwertung von Immobilien;

x

Einschaltung von branchen- und insolvenzerfahrenen Zeitmanagern, sofern das vorhandene Management entweder nicht vertrauenswürdig genug oder nicht qualifiziert genug erscheint oder wenn es aus anderen Gründen nicht zur Verfügung steht;

x

Bauinsolvenzen, die Beauftragung von Fachingenieuren, die zur Sicherung der Bautenstände und zur Sicherung der entsprechenden Werklohnansprüche erforderlich sind.

Die Beauftragung eines Steuerberaters mit der Aufarbeitung der Buchführung ist sachge- 77 recht, wenn die Buchhaltung schon vor Insolvenzeröffnung außerhalb des Schuldnerunternehmens erledigt wurde.107) Besonders einfach gelagerte Steuererklärungen soll der Insolvenzverwalter aber auch selbst fertigen.108) Die Beauftragung eines Verwerters mit der Verwertung von Mobiliarvermögen ist nur dann 78 sachgerecht, wenn besondere Gründe hierfür vorliegen, etwa wenn der betreffende Gegenstand an Spezialmärkten veräußert werden muss.109) Soweit der Insolvenzverwalter über besondere berufliche Qualifikationen verfügt, ist ihm 79 eine besondere Vergütung für den Fall zuzubilligen, dass er als Rechtsanwalt, Steuerberater oder in sonstiger Weise beruflich besonders qualifiziert tätig wird (§ 5 InsVV).110) Die Delegation einzelner Aufgaben ist auch an Personen oder Unternehmen zulässig, mit 80 denen der Insolvenzverwalter gesellschaftsrechtlich verbunden ist.111) Der Insolvenzverwalter hat in diesen Fällen dem Gericht rechtzeitig den Sachverhalt unmissverständlich aufzuzeigen und um Genehmigung der beabsichtigten Beauftragung nachzusuchen. Der Verwalter hat alles zu vermeiden, was den Anschein einer parteilichen oder eigennützigen Geschäftsführung erwecken könnte.112) Daher ist er verpflichtet, von sich aus dem Gericht rechtzeitig einen Sachverhalt anzuzeigen, der bei unvoreingenommener, lebensnaher Betrachtungsweise die ernstliche Besorgnis rechtfertigen könnte, dass der Verwalter an seiner Amtsführung verhindert sei.113) 1.2

Folgen für die Vergütung

Im Vergütungsantrag hat der Insolvenzverwalter nach § 8 Abs. 2 InsVV darzulegen, welche 81 Dienst- oder Werkverträge er für die Insolvenzmasse abgeschlossen hat und welche Vergütungen er hierfür aus der Insolvenzmasse gezahlt hat.114) Die Dokumentationspflicht gilt erst recht bei der Beauftragung von Personen, mit denen der Insolvenzverwalter gesellschaftlich verbunden ist, oder von Unternehmen, an denen er wirtschaftlich beteiligt ist. ___________ 107) BGH, Beschl. v. 3.3.2005 – IX ZB 261/03, ZVI 2005, 143; in gleicher Argumentation zur Beauftragung eines Steuerberaters im masselosen Insolvenzverfahren mit Kostenstundung BGH, Beschl. v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176 = ZIP 2004, 1717, dazu EWiR 2004, 1037 (Schäferhoff) und EWiR 2004, 1045 (Voß); LG Kassel, Beschl. v. 25.9.2002 – 3 T 360/02, ZVI 2002, 387, dazu EWiR 2002, 957 (Keller); AG Dresden, Beschl. v. 17.7.2002 – 531 IN 981/02, ZVI 2002, 340. 108) BGH, Beschl. v. 14.11.2013 – IX ZB 161/11, ZIP 2013, 2413 = NZI 2014, 21, dazu EWiR 2014, 87 (Ries), dazu auch Schmittmann, NZI 2014, 596; LG Bochum, Beschl. v. 9.5.2011 – 7 T 16/11, n. v. 109) Hess, InsO, § 4 InsVV Rz. 10. 110) So bereits Jaeger, KO, § 85 Anm. 3; ferner Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 85 Rz. 11; Eickmann, VergVO, Vor § 1 Rz. 21. 111) BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262 = ZIP 1991, 324, dazu EWiR 1991, 275 (Gottwald). 112) BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262, 275 = ZIP 1991, 324, mit Hinweis auf die Richtlinien für Berliner Konkursverwalter, KuT 1929, 69; ebenso Verhaltensrichtlinien für als Insolvenzverwalter tätige Rechtsanwälte des Arbeitskreises für Insolvenzrecht im Deutschen Anwaltverein, AnwBl. 1992, 118. 113) BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262, 276 = ZIP 1991, 324. 114) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 1991, 324 = NZI 2005, 103.

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§ 39

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

82 Das Insolvenzgericht ist verpflichtet und berechtigt zu überprüfen, ob die Beauftragung gerechtfertigt war. Das Prüfungsrecht erstreckt sich insbesondere auf die Frage, ob der Insolvenzverwalter die konkrete Tätigkeit auch selbst hätte ausführen können und müssen.115) 83 Delegiert der Insolvenzverwalter eine Regeltätigkeit, führt dies zu einer Kürzung der Regelvergütung um die Arbeitsersparnis auf Grund der Delegation.116) Bei einer Delegation an Dritte kann er für diese keinen besonderen Erhöhungstatbestand nach § 3 Abs. 1 InsVV geltend machen. Dies gilt auch für die Entnahme der besonderen Vergütung nach § 5 InsVV. Der Insolvenzverwalter muss § 5 InsVV aber nicht in Anspruch nehmen. Er kann statt dessen eine Erhöhung seiner Vergütung nach § 3 Abs. 1 InsVV verlangen.117) Erhält der Insolvenzverwalter nach § 5 InsVV eine besondere Vergütung, ist diese i. H. des Nettobetrages von der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. a InsVV abzuziehen.118) Ob der Anrechnungstatbestand auch bei der Beauftragung eines Sozius oder eines Unternehmens, an dem der Insolvenzverwalter als Gesellschafter selbst beteiligt ist, greift, ist streitig.119) Überwiegend wird dies verneint.120) Nach richtiger Ansicht muss ein Abzug von der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage der Vergütung auch bei Beauftragung einer Sozietät oder eines Unternehmens in analoger Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. a InsVV erfolgen.121) 84 Ergibt sich i. R. der Prüfung des Vergütungsantrags mit Darlegung der einzelnen Auftragsverhältnisse nach § 8 Abs. 2 InsVV oder der Entnahme eigener Gebühren nach § 5 InsVV, dass die Beauftragung eines Dritten nicht hätte erfolgen dürfen, ist das Insolvenzgericht berechtigt, das an den Dritten gezahlte Honorar oder die vom Insolvenzverwalter entnommenen Gebühren unmittelbar von der Vergütung abzuziehen.122) 2.

Einzelfragen

85 Im Zusammenhang mit einer Betriebsfortführung ist die Delegation einzelner Tätigkeiten von besonderer Bedeutung, weil nach dem Anforderungsprofil des § 56 InsO sowie nach der Unternehmensfortführung als vergütungsrechtlichem Sonderfall eines Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht zugemutet werden kann, sämtliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit einer Unternehmensfortführung selbst erledigen zu können. Zu nennen sind typische Tätigkeiten, die insbesondere bei einer Betriebsfortführung im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Sanierung des schuldnerischen Unternehmens delegiert werden können. Allgemein ist festzustellen, dass der Insolvenzverwalter gerade bei Be___________ 115) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 1991, 324 = NZI 2005, 103; ebenso AG Bochum, Beschl. v. 17.8.2001 – 80 IN 249/99, ZInsO = 2001, 900; einschränkend LG Stendal, Beschl. v. 10.2.1999 – 25 T 294/97, ZInsO 1999, 232; LG Stendal, Beschl. v. 26.2.1999 – 25 T 250/98, ZIP 2000, 982. 116) Kübler/Prütting/Bork-Stoffler, InsO, Stand: 9/2012, § 4 InsVV Rz. 108. 117) Kübler/Prütting/Bork-Stoffler, InsO, Stand: 9/2012, § 4 InsVV Rz. 108. 118) Umsatzsteuer, die an den Verwalter gezahlt wurde, ist nicht abzuziehen, wenn die Insolvenzmasse selbst vorsteuerabzugsberechtigt ist; LG Dresden, Beschl. v. 10.4.1995 – 2 T 0850/94, ZIP 1995, 1035; zum Vorsteuerabzug des Sequesters BFH, Urt. v. 14.5.1998 – V R 74/97, ZIP 1998, 2012 = NZI 1998, 48; Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 4/2015, § 1 InsVV Rz. 63. 119) Keller, DZWIR 2000, 265. 120) BGH, Beschl. v. 5.7.2007 – IX ZB 305/04, ZIP 2007, 1958 = ZVI 2008, 37; dazu Keller, DZWIR 2008, 31; LG Frankfurt/O., Beschl. v. 27.7.1998 – 16 T 162/98, ZInsO 1998, 236; LG Leipzig, Beschl. v. 7.2.2000 – 14 T 7832/99, DZWIR 2001, 170; LG Leipzig, Beschl. v. 17.7.2002 – 16 T 6240/01, ZIP 2003, 176 = NZI 2002, 665; Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 4/2015, § 1 InsVV Rz. 64; Nowak in: MünchKomm-InsO, § 1 InsVV Rz. 18. 121) LG Frankfurt/O., Beschl. v. 27.10.2000 – 6 T 49/00, DZWIR 2001, 168; AG Leipzig, Beschl. v. 30.8.1999 – 91 IN 433/95, DZWIR 2001, 171; Stephan/Riedel-Riedel, InsVV, § 1 Rz. 43 ff.; Hess, InsO, § 1 InsVV Rz. 37; Keller in: HK-InsO, § 1 InsVV Rz. 12. 122) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 2005, 36 = NZI 2005, 103.

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§ 39

Vergütungsfragen

triebsfortführung unternehmerisch tätig wird und nach den Haftungsgrundsätzen der sog. Business Judgement Rules dann ordnungsgemäß handelt, wenn er bei einzelnen, rechtlich oder wirtschaftlich schwierigen Entscheidungen externen Rat einholt.123) Beauftragt der Insolvenzverwalter zur Investorensuche spezialisierte M&A-Berater, ist dies 86 angemessen; die Beraterkosten sind Masseverbindlichkeiten, die Delegation führt zu keiner Kürzung der Vergütung des Insolvenzverwalters wegen vermeintlicher Arbeitsersparnis. Die Beauftragung spezialisierter Berater für die Branche des insolventen Unternehmens ist regelmäßig nicht nur angemessen sondern erforderlich, um eine gezielte Investorensuche durchführen zu können. Im Zusammenhang mit einer Sanierung des Unternehmens, insbesondere durch Insolvenz- 87 plan, ist auch die Erstellung besonderer Liquiditätsplanungen erforderlich. Die Beauftragung von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern ist hierbei angemessen und sinnvoll. Der BGH hatte hierzu ausgeführt:124) „Es entspricht sachgerechter Amtsführung, für steuerliche Tätigkeiten, die besondere Kenntnisse erfordern oder über den allgemein mit jeder Steuererklärung verbundenen Arbeitsaufwand hinausgehen, einen Steuerberater einzusetzen. Dies trifft insbesondere für die Ausführung von Buchhaltungsarbeiten zu.“

Für die Dauer der Betriebsfortführung hat der Insolvenzverwalter schon wegen § 1 Abs. 2 88 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV eine eigene Rechnungslegung zu führen. Bei größeren Unternehmen ist es angemessen, diese Rechnungslegung auf einen Steuerberater zu delegieren und kontinuierlich durch einen eigenen Rechnungsprüfer überprüfen zu lassen. Hierdurch wird die Rechnungslegung gegenüber dem Gläubigerausschuss, der Gläubigerversammlung und dem Insolvenzgericht nicht erspart, aber durch Hinzuziehung eines Dritten objektiviert. Die Kosten eines externen Rechnungsprüfers sind ohne weiteres Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Beauftragung durch den Insolvenzverwalter ist auch dann zu empfehlen, wenn der Rechnungsprüfer auf Betreiben der Mitglieder des Gläubigerausschusses beauftragt werden soll, da zum einen der Gläubigerausschuss nicht aus eigener Rechtspersönlichkeit eine Beauftragung aussprechen kann und zum anderen die an den Rechnungsprüfer zu zahlende Umsatzsteuer als Vorsteuererstattung zur Insolvenzmasse fließen kann. In der Insolvenzpraxis ist die Einstellung eines sog. Interims-Managers zur Betriebsfort- 89 führung umstritten. Ein solcher wird vom Insolvenzverwalter als „Quasi-Geschäftsführer“ des schuldnerischen Unternehmens eingesetzt, um statt seiner die operative Unternehmensleitung zu übernehmen. Die Angemessenheit der Einstellung eines solchen InterimsManagers hängt von der Größe des schuldnerischen Unternehmens und den Gegebenheiten des konkreten Falles ab.125) Bei kleineren Unternehmen wird sie regelmäßig untunlich sein, da es hier zu den Kernaufgaben des Insolvenzverwalters gehört, die Betriebsfortführung zu übernehmen. Bei größeren Unternehmen ist zu unterscheiden, ob und in welcher Art und Weise die bisherige Geschäftsführung des Unternehmens an der Betriebsfortführung weiter mitwirken kann. Kann bspw. der Insolvenzverwalter auf eine weitgehend intakte Verwaltungsstruktur und auf kooperative Geschäftsführer des Unternehmens zurückgreifen, ist die Einsetzung eines besonderen Managers nicht angezeigt.

___________ 123) Berger/Frege, ZIP 2008, 204; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321. 124) BGH, Beschl. v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176, 183 = ZIP 2004, 1717. 125) BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 122/08, ZIP 2010, 1909 m. Anm. Prasser.

U. Keller

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§ 39

Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

IV.

Das Prüfungsrecht des Insolvenzgerichts bei Betriebsfortführung

1.

Die Schlussrechnungslegungspflicht nach § 66 InsO

90 Der Insolvenzverwalter hat nach § 66 InsO gegenüber der Gläubigerversammlung Schlussrechnung zu legen. Nach Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift hat das Insolvenzgericht vorher die Schlussrechnung zu prüfen. Ferner unterliegt die Vornahme der Schlussverteilung zu Beendigung des Insolvenzverfahrens nach § 196 Abs. 2 InsO der Genehmigung des Insolvenzgerichts.126) Die Schlussrechnungsprüfung durch das Insolvenzgericht ist auch Teil der Aufsicht über den Insolvenzverwalter nach § 58 InsO. Daher hat er gegenüber dem Insolvenzgericht auch dann Rechnung zu legen, wenn die Gläubigerversammlung auf eine Rechnungslegung nach § 66 InsO verzichtet. 91 Das Insolvenzgericht hat die Schlussrechnung und den Schlussbericht sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht zu prüfen.127) Zur formellen Prüfung gehören Aspekte der rechnerischen Richtigkeit und Vollständigkeit der Schlussrechnung. Diese Prüfungspflicht erfasst auch auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Delegation einzelner Tätigkeiten oder der eigenen Erledigung i. S. des § 5 InsVV.128) Zur materiellen Prüfungspflicht gehört die Prüfung, ob die Insolvenzmasse vollständig verwertet ist. Hierbei hat das Insolvenzgericht aber lediglich eine rechtliche Prüfungskompetenz dahingehend, dass es das Verwalterhandeln beanstanden muss, wenn dieses aus Rechtsgründen falsch war,129) wirtschaftliche Erwägungen oder Ermessensentscheidungen des Insolvenzverwalters darf das Insolvenzgericht nicht beanstanden. Die Zweckmäßigkeit des Verwalterhandelns hat es nicht zu prüfen.130) 92 Das Insolvenzgericht sollte nach einem festen Prüfungsschema vorgehen, um zum einen keinen Aspekt der Prüfung zu vergessen, und zum anderen die Prüfung objektiv und transparent zu gestalten.131) Prüfungspunkte einer Checkliste sollten sein:132) 1. Durchsehen der Verfahrensakte x

Sind alle Beschlüsse ordnungsgemäß zugestellt und öffentlich bekannt gemacht?

x

Ist die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters festgesetzt, die Vergütung des Sachverständigen ausgezahlt?

x

Sind die Gläubigerversammlungen ordnungsgemäß durchgeführt und protokolliert?

x

Sind alle Anträge von Beteiligten bearbeitet und entschieden (z. B. auch Vorschussanträge des Insolvenzverwalters)?

x

Sind Forderungen nachträglich angemeldet, hat ein besonderer Prüfungstermin bereits stattgefunden, ist er noch durchzuführen?

x

Sind die Kosten des Insolvenzverfahrens ausreichend durch Vorschuss gedeckt?

___________ 126) Jaeger-Eckardt, InsO, § 66 Rz. 39; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1682 ff.; umfassend Frege/ Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 274 ff., 285, 346. 127) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 66 Rz. 82; Nerlich/Römermann-Delhaes, InsO, § 66 Rz. 17 ff.; Metoja in: HK-InsO, § 66 Rz. 59 ff.; Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 341 ff.; Uhlenbruck, ZIP 1982, 125; Lièvre/Stahl/Ems, KTS 1999, 1, Abschn. III. 128) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 2005, 36 = NZI 2005, 103. 129) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 66 Rz. 87; Nerlich/Römermann-Delhaes, InsO, § 66 Rz. 19; Eickmann in Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb., § 65 Rz. 17; Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 373 ff. 130) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 66 Rz. 87 m. w. N. 131) Umfassend Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 299 ff., insbesondere Rz. 310, 363 ff. 132) Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1684.

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§ 39

Vergütungsfragen

2. Sachliche Prüfung des Schlussberichts x Liegen das Masseverzeichnis, Gläubigerverzeichnis und Vermögensübersicht mit Eröffnungsbilanz vor? x

x

x

x

x

Prüfung der Tätigkeit des Insolvenzverwalters hinsichtlich der Insolvenzmasse an Hand der Darstellung im Schlussbericht; Vergleich mit den vorliegenden Verzeichnissen (ggf. auch mit dem Gutachten zur Insolvenzeröffnung). Darstellung des Ablaufs des Insolvenzverfahrens insbesondere hinsichtlich Prozessführung, Forderungseinzug, Geltendmachung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche, Unternehmensfortführung, Rechtsverhältnisse der Arbeitnehmer, Abwicklung gegenseitiger Verträge. Bei Immobiliarvermögen insbesondere Prüfung der Belastung mit Absonderungsrechten; Freigabe von Grundstücken an den Schuldner; Prüfung anhängiger Zwangsversteigerungs- oder Zwangsverwaltungsverfahren. Bei Beauftragung von Personen, die mit dem Insolvenzverwalter gesellschaftlich verbunden sind, oder Unternehmen, an denen der Insolvenzverwalter beteiligt ist (Steuerberatungsgesellschaften), Prüfung der Anzeigepflicht des Insolvenzverwalters. Bei sonstiger Tätigkeit des Insolvenzverwalters Prüfung genehmigungspflichtiger Geschäfte nach § 160 InsO; sind die erforderlichen Genehmigungen durch Gläubigerausschuss oder Gläubigerversammlung erteilt?

3. Rechnerische Prüfung der Schlussrechnung x Liegen das Masseverzeichnis, Gläubigerverzeichnis und Vermögensübersicht mit Eröffnungsbilanz vor? x Prüfung der Buchführung des Insolvenzverwalters mit allen Konten und Belegen (bei größeren Verfahren genügt regelmäßig stichprobenartige Prüfung); ergeben sich Unstimmigkeiten? 4. Ermittlung der Insolvenzmasse x Ermittlung der Insolvenzmasse aus der Abschlussbilanz des Insolvenzverwalters verglichen mit dem tatsächlich vorhandenen Geldbestand. x Angabe des Werts der Gegenstände, die mit Absonderungsrechten behaftet vom Insolvenzverwalter verwertet worden sind; Angabe des Feststellungskostenbeitrages (§ 171 Abs. 1 InsO). x Angabe des Werts der Gegenstände, die mit Absonderungsrechten behaftet vom Insolvenzverwalter gegenüber dem Gläubiger abgelöst und anschließend für die Insolvenzmasse worden sind; Angabe des an den Gläubiger gezahlten Ablösebetrages. x Angabe und genaue Darlegung der Beträge, die i. R. des § 5 InsVV an den Insolvenzverwalter oder mit ihm gesellschaftlich verbundene Personen oder Unternehmen geflossen sind. x Angabe der Masseverbindlichkeiten, die aus Anlass der Unternehmensfortführung entstanden sind; Angabe des hieraus erzielten Überschusses. 2.

Die Beauftragung eines Sachverständigen zur Schlussrechnungsprüfung

2.1

Die Zulässigkeit einer Beauftragung

Zur Prüfung der Schlussrechnung bedienen sich die Insolvenzgerichte zunehmen speziali- 93 sierter Sachverständiger in Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO.133) Die Zulässigkeit ___________ 133) Allgemein je meist zum Sachverständigen im Eröffnungsverfahren Jaeger-Gerhardt, InsO, § 5 Rz. 14 ff.; Ganter/Lohmann in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 34 ff.; Uhlenbruck-I. Pape, InsO, § 5 Rz. 10 ff.

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Teil VI Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

einer Sachverständigenbeauftragung zur Schlussrechnungsprüfung ist umstritten. Ihre Zulässigkeit wird auch generell mit dem Argument verneint, Art. 33 Abs. 4 GG stehe entgegen, oder mit dem Argument, die InsO betrachte die Schlussrechnungsprüfung als nicht delegierbare Aufgabe des Insolvenzgerichts.134) Dem ist nicht zuzustimmen: Die Sachverständigenbeauftragung zur Schlussrechnungsprüfung ist allgemein zulässig.135) Auch die Prüfung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters beinhaltet Umstände, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind (§ 5 Abs. 1 Satz 2 InsO). Eine enge Auslegung der Definition der Schlussrechnungsprüfung als „retrospektive“ Tätigkeit, verengt Wortlaut und Systematik des § 5 InsO.136) Es ist auch nicht stichhaltig, die Zulässigkeit einer Sachverständigenbeauftragung mit dem Kostenargument zu verneinen.137) Die Kosten des gerichtlichen Sachverständigen belasten als Auslagen des Gerichts nach KV GKG 9005 die Insolvenzmasse als Kostenschuldnerin. Dies ist wie bei allen anderen gerichtlichen Verfahren systemimmanent. Kostenrecht ist stets Folgerecht und kann systematisch nicht als Argument für oder gegen Verfahrenshandeln benutzt werden.138) 2.2

Der Inhalt der Beauftragung zur Schlussrechnungsprüfung

94 Das Insolvenzgericht kann den Sachverständigen i. R. der Schlussrechnungsprüfung und der Genehmigung der Schlussverteilung nur in dem Umfang beauftragen, wie das Gericht selbst die Schlussrechnung des Insolvenzverwalters prüfen darf und prüfen muss. Prüfungsrecht und Prüfungspflicht sind sowohl formell als auch materiell ausgestaltet: x

Formell ist zu prüfen, ob die Schlussrechnung des Insolvenzverwalters rechnerisch richtig ist.

x

Materiell ist zu prüfen, ob die Insolvenzmasse vollständig und rechtlich zutreffend verwertet ist.

95 Hinsichtlich des Verwalterhandelns hat ein Sachverständiger ebenso wie das Insolvenzgericht eine rechtliche Prüfungskompetenz nur dahingehend, ob Handlungen des Insolvenzverwalters aus Rechtsgründen falsch waren.139) Wirtschaftliche Erwägungen oder Ermessensentscheidungen des Insolvenzverwalters können weder das Insolvenzgericht noch der Sachverständige beanstanden.140) 2.3

Der Inhalt des Sachverständigenauftrags

96 Das Gericht sollte bei der Auswahl des Sachverständigen umsichtig verfahren. Auf keinen Fall ist als Sachverständiger ein Mitbewerber des Insolvenzverwalters innerhalb des Gerichtsbezirks zu bestellen. Zur Vermeidung einer Besorgnis der Befangenheit nach § 406 ZPO sollte auch der Insolvenzverwalter vor der Beauftragung zur Person des Sachverständigen wie ___________ 134) Vierhaus, ZInsO 2008, 521; Weitzmann, ZInsO 2007, 449; eingehend Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13. 135) OLG Hamm, Beschl. v. 9.12.1985 – 15 W 441/85, ZIP 1986, 724; LG Heilbronn, Beschl. v. 4.2.2009 – 1 T 30/09, NZI 2009, 606; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 66 Rz. 90; K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 22; Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23; Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 285, 346; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1685 ff.; Keller, Rpfleger 2011, 66; zur rechtspolitischen Diskussion INDat-Report Heft 6/2015, S. 10 ff. 136) Zu verengend und in weiten Teilen nicht stichhaltig Franke/Goth/Firmenich, ZInsO 2009, 123; Hebenstreit, ZInsO 2013, 276. 137) So Franke/Goth/Firmenich, ZInsO 2009, 123. 138) Unzutreffend mit Hinweis auf Art. 19 Abs. 4 GG Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13. 139) Umfassend Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 373 ff. 140) Eingehend Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 275.

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Vergütungsfragen

auch zum Umfang des Auftrags gehört werden.141) Der Sachverständige im Insolvenzverfahren unterliegt über § 4 InsO den Bestimmungen der § 144 und §§ 402 ff. ZPO.142) Der Sachverständige ist hinsichtlich des Auftrags weisungsgebunden (§§ 403, 404a Abs. 1 ZPO). Das Gericht bestimmt nach § 404a Abs. 4 ZPO, in welchem Umfang der Sachverständige den Parteien gegenüber auskunftsberechtigt ist. Die Beteiligten des Insolvenzverfahrens sind in diesem Umfang dem Sachverständigen gegenüber zur Auskunft verpflichtet. Der Sachverständige der Schlussrechnungsprüfung darf die Schlussrechnung mit allen Belegen und Anlagen einsehen und prüfen. Gegenüber dem Insolvenzverwalter hat er aber keinen Anspruch auf Auskunft oder auf Aushändigung weitergehender Unterlagen. Eine Herausgabe oder Auskunftserteilung kann nur durch das Insolvenzgericht nach § 58 InsO erwirkt werden. In der gerichtlichen Praxis wird der Sachverständige auch gerne zur Prüfung der Berech- 97 nungsgrundlage der Vergütung nach § 1 InsVV oder gar zur Prüfung des Vergütungsantrags des Insolvenzverwalters beauftragt. Dies ist problematisch.143) Die Bestimmung der Vergütung ist Aufgabe des Insolvenzgerichts, sie ist Teil der rechtspflegenden Tätigkeit und nicht Tatsachenfeststellung, mit der ein Sachverständiger beauftragt werden könnte. Auch bei der Bestimmung der Berechnungsgrundlage nach § 1 InsVV können sich rechtliche Fragestellungen ergeben, die das Insolvenzgericht selbst zu beurteilen hat. Erst recht ist die Feststellung von Erhöhungs- oder Kürzungstatbeständen nach Vorliegen und Prozentsatz tatrichterliche Würdigung und nicht als Tatsachenfeststellung delegierbar.144) Sollte das Insolvenzgericht ihn unzulässigerweise trotzdem mit der Prüfung der Angemessenheit des Vergütungsantrags beauftragen, sollte er auf die Problematik hinweisen und sich einer Stellungnahme enthalten. Die Beauftragung des Sachverständigen ist möglichst genau zu formulieren. Vorgeschlagen 98 wird folgende Formulierung:145) „Der Sachverständige hat insbesondere zu prüfen, x

ob die Schlussrechnung des Insolvenzverwalters nach den Regeln kaufmännischer Buchführung vollständig und ordnungsgemäß erstellt ist,

x

ob die vom Insolvenzverwalter befriedigten Ansprüche als Masseverbindlichkeiten i. S. der §§ 54, 55 Abs. 1 und 2, § 100 oder § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO anzusehen sind,

x

ob die vom Insolvenzverwalter an absonderungsberechtigte Gläubiger ausgekehrten Beträge nebst Feststellung der Kostenbeiträge der Insolvenzmasse nach § 171 InsO rechnerisch richtig ermittelt worden sind,

x

in welchem Umfang Beträge der Insolvenzmasse dem Insolvenzverwalter selbst oder mit ihm gesellschaftlich verbundene Personen oder Unternehmen zugeflossen sind,

x

die Insolvenzmasse rechtlich richtig verwertet worden ist.“

3.

Die Bewertung des Sachverständigengutachtens

Das Sachverständigengutachten unterliegt der freien Beweiswürdigung des Gerichts nach 99 § 286 ZPO.146) Das Insolvenzgericht ist nicht an das Ergebnis der Gutachtenfeststellungen ___________ Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1685c. Jaeger-Gerhardt, InsO, § 5 Rz. 15; Uhlenbruck-I. Pape, InsO, § 5 Rz. 13. Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1686a, Keller, Rpfleger 2011, 66. BGH, Beschl. v. 24.7.2003 – IX ZB 607/02, ZIP 2003, 1757 = NZI 2003, 603, dazu EWiR 2003, 1043 (Rendels); BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = NZI 2004, 251; BGH, Beschl. v. 11.5.2006 – IX ZB 249/04, ZIP 2006, 1204. 145) Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1691. 146) Allgemein Zöller-Greger, ZPO, § 286 Rz. 13; § 402 Rz. 7a. 141) 142) 143) 144)

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gebunden, es hat dieses frei zu würdigen und bspw. Widersprüche oder Hinweise auf Unklarheiten der Tatsachenermittlung oder einer rechtlichen Bewertung zu beachten. Gerade wenn aber eine Sachverständigenbeauftragung erfolgt, weil das Gericht die notwendige Fachkenntnis nicht besitzt, wird das Gericht das Ergebnis der gutachterlichen Prüfung nicht ohne konkrete Anhaltspunkte ignorieren.147) 100 Bei der Sachverständigenbeauftragung zur Schlussrechnungsprüfung wird sich hinsichtlich der formellen Schlussrechnungsprüfung ebenfalls regelmäßig das Gericht dem Ergebnis des Gutachtens anschließen. Hinsichtlich der Prüfung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters nach § 66 Abs. 2 Satz 1 InsO ergeht seitens des Insolvenzgerichts keine Entscheidung. Das Gericht hat lediglich einen Vermerk über die Prüfung zu fertigen.148) 101 Hat das Insolvenzgericht bei der Prüfung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters sich auf Feststellungen des Sachverständigengutachtens berufen und hält der Insolvenzverwalter diese für unzutreffend, kann er durch Gegenvorstellung gegenüber dem Insolvenzgericht diesen entgegentreten. Da über die Schlussrechnung bei Verfahrensbeendigung nach § 197 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Gläubigerversammlung entscheidet, kann diese an Hand des Prüfvermerks des Gerichts und der Gegenvorstellung des Insolvenzverwalters entscheiden, ob die Schlussrechnung genehmigt wird oder nicht.149)

___________ 147) Zöller-Greger, ZPO, § 402 Rz. 7a. 148) Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 322 ff.; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1694. 149) Allgemein Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 197 Rz. 5; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 197 Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 7/2015, § 197 Rz. 6; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1702 ff.; über materielle Einwendungen gegen die Schlussrechnung entscheidet das Insolvenzgericht nicht; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 197 Rz. 7; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 7/2015, § 197 Rz. 11; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1703.

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Stichwortverzeichnis ABC-Analyse § 7, 25 Abfindungen § 22, 219 ff. – Abschlagszahlungen § 22, 244 – absolute Obergrenze § 22, 220 ff. – absolute Obergrenze, Überschreiten § 22, 225 f. – anteilige Kürzung § 22, 229 – Aufwandsentschädigungen § 22, 221 – Ausschluss § 22, 242 – bei Entlassungen § 22, 219 – bei Veranlassung zur Eigenkündigung § 22, 219 – Berechnung § 22, 220 – Fälligkeit § 22, 231 – Folgen der Kürzung § 22, 229 – Gesamtbetrag § 22, 220 – in sonstiger Weise wirtschaftliche Nachteile § 22, 224 – Kurzarbeit § 22, 222 – Monatsverdienst § 22, 223 – nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages § 22, 219 – nicht entlassene Arbeitnehmer § 22, 224 – PSVaG § 23, 47 – relative Obergrenze § 22, 228 ff. – unregelmäßig geleistete Überstunden § 22, 222 – Verjährung § 22, 257 ff. Absatzkrise – Begriff § 7, 16 Abschlagsverteilung – GOI § 5, 33 Absonderungsrecht § 25, 71 ff. – Auskunftsanspruch § 25, 73 – Auskunftsanspruch, im Antragsverfahren § 25, 57 – Debt Equity Swap § 28, 206 ff. – Ersatzabsonderung § 25, 83 – Geltendmachung § 25, 72 – Geltendmachung, im Antragsverfahren § 25, 54 – Nämlichkeitsnachweis § 25, 26 – Nutzung § 9, 430 ff. – Nutzungsbefugnis, im Antragsverfahren § 25, 58 ff. – Pfandrecht § 25, 31 ff. – Rechtsgrundlage § 25, 17 ff.

Sicherungsabtretung § 25, 22 Sicherungseigentum § 25, 21 Sicherungsübereignung § 25, 20 Spediteurpfandrecht § 25, 35 ff. verl. Eigentumsvorbehalt § 25, 24 ff. Vermieterpfandrecht § 25, 32 ff. Verwertung beweglicher Gegenstände § 25, 75 – Verwertung unbeweglicher Gegenstände § 25, 76 ff. – Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis § 9, 75 ff.; s. a. dort – Verwertungsvereinbarung § 28, 182 ff. – Verzögerung § 25, 79 ff. – Werkunternehmerpfandrecht § 25, 38 ff. – Wertverlust § 25, 81 – wirtschaftl. Ausgleich, im Antragsverfahren § 25, 61 Abtretung – Honorarforderungen, Ärzte § 33, 26 ff. Agentur für Arbeit – Durchführungsanweisungen Insolvenzgeld § 21, 17, 20 – Insolvenzgeld § 21, 12 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 21, 16 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung im Schutzschirmverfahren § 21, 19 ff. – Massenentlassung § 21, 122 ff. Akteneinsicht – Insolvenzverwalter, ggü. Finanzbehörden § 36, 85 f. Altlasten § 9, 444; s. a. Bodensanierung; Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme; Umweltkontamination – Freigabe eines Grundstücks § 28, 224 ff. – Haftung § 31, 1 ff. Altmassegläubiger § 27, 11, 32, 34 f., 40 Änderungskündigung – Direktionsrecht § 21, 43 ff. – Formerfordernis § 21, 42 f. – Verfahren § 21, 42 ff. – Verhältnismäßigkeit § 21, 40 ff. – – – – – – –

1253

Stichwortverzeichnis Anhörung – Gläubigerausschuss § 10, 44, 52 Anlagevermögen – Versicherungsschutz § 35, 76 ff. Anzahlungskredit – als Finanzierungsinstrument § 8, 78 Apotheker – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 33, 36 ff. Arbeitgeber – bei allgemeinem Verfügungsverbot § 21, 9 – bei allgemeinem Zustimmungsvorbehalt § 21, 5 ff. – bei Eigenverwaltung § 21, 10 – nach Insolvenzeröffnung § 21, 46, 69 Arbeitgeberposition – Insolvenzverwalter § 4, 16 Arbeitnehmer s. a. Personalmaßnahmen – Aufhebungsvertrag § 21, 68, 125; s. a. dort – befristete § 21, 58 – Betriebsübergang § 9, 453 – Betriebsübergang (§ 613a BGB) § 21, 98 ff. – Betriebsversammlungen § 9, 448 – Einbeziehung § 21, 4 – Freistellung § 9, 452; § 12, 168; § 21, 25 ff. – Führung in d. Krise § 9, 377 – Gewerkschaftsvertreter § 9, 449 – Gläubigerausschuss § 22, 7 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 40 ff. – Insolvenzgeld § 9, 451; § 21, 12 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 21, 16 ff. – Kommunikation § 9, 447 ff. – Kommunikationspflichten, GOI § 5, 23, 53 – LEAN-Management § 17, 1 ff. – Lohn- u. Gehaltsrückstände § 9, 451 – Lohnverzicht § 9, 446 – Motivation § 21, 26 ff. – Nachteilsausgleich § 21, 39 – Schlüsselpersonen § 9, 448 – Sozialversicherungsbeiträge, Eigenverwaltung § 6, 44 ff. – Verfrühungsschaden § 21, 67 f. – Versicherungsschutz § 35, 160 ff.

1254

– Vertrauen § 9, 447 – Vorschuss auf Insolvenzgeld § 21, 16 – Widerspruch bei Betriebsübergang § 21, 119 f. Arbeitnehmer – Kündigung § 21, 40 ff.; § 22, 198 ff.; s. a. Kündigungsschutz – Änderungskündigung § 21, 42 ff. – Auftragsmangel § 21, 75 – Beendigungskündigung § 21, 46 ff. – Berufsausbildungsverhältnisse § 21, 56 f. – betriebsbedingte Beendigungskündigung § 21, 69 ff. – Beurteilungszeitpunkt § 21, 95 ff. – Darlegungs- und Beweislast § 21, 96 – dringende betriebliche Erfordernisse § 21, 70 ff. – Eigenkündigungen § 22, 198 – Eröffnungsverfahren § 9, 450 – Erwerberkonzept § 21, 108 f. – Formvorschriften § 21, 48 f. – inner- und außerbetriebliche Umstände § 21, 71 – Kündigungsschutz § 21, 51 ff. – Massenentlassung § 21, 122 ff. – Nachkündigung § 21, 64 ff. – Prüfungsmaßstab § 21, 77 – Rücknahme § 22, 199 – Schwerbehinderte § 21, 51, 53 – Sonderkündigungsschutz § 21, 51 ff. – Sozialauswahl § 21, 79 ff. – Stilllegungsabsicht § 21, 96 – unternehmerische Entscheidung § 21, 72 f., 95 ff. – unternehmerisches Konzept § 21, 78 – Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch § 21, 97 – Willkürkontrolle § 21, 72 f. Arbeitnehmer – Kündigungsfrist § 21, 61 ff. – Günstigkeitsprinzip § 21, 61, 63 – Kündigung gem. § 113 InsO durch den Insolvenzverwalter § 21, 61 ff. – Nachkündigung durch den Insolvenzverwalter § 21, 64 ff. – Sonderkündigungsfristen besonderer Personengruppen § 21, 62 – vertragliche Vereinbarungen § 21, 63

Stichwortverzeichnis Arbeitnehmererfindung – Insolvenzmasse § 32, 70 – isolierte Veräußerung § 32, 71 – Veräußerung mit Geschäftsbetrieb § 32, 70 Arbeitnehmervertreter – Haftpflichtversicherung § 35, 27 ff. Arbeitsgericht – Zustimmungsbeschluss § 22, 118 f. Arbeitsgericht – Beschlussverfahren nach § 126 InsO – Ablauf der Drei-Wochen-Frist § 22, 170 – Aussetzen d. Kündigungsschutzverfahrens § 22, 179 – beabsichtigte Kündigungen § 22, 167 – bei Betriebsübergang § 22, 178 – bei Interessenausgleich ohne Namensliste § 22, 168 – bereits ausgesprochene Kündigung § 22, 167 – Beteiligte § 22, 161 – Bindungswirkung nach § 127 InsO § 22, 174 ff. – individueller Kündigungsschutzprozess § 22, 175 – Kündigungsberechtigung § 22, 166 – Leistungsträgerklausel § 22, 162 – nach fehlgeschlagener Interessenausgleichsverhandlung § 22, 168 – nach Verfahrenseröffnung § 22, 166 – rechtskräftige Entscheidung bindend § 22, 164 – sonstige Unwirksamkeitsgründe § 22, 175 – Untersuchungsgrundsatz § 22, 161 – vorläufiger Insolvenzverwalter § 22, 166 – Wegfall der Bindungswirkung § 22, 177 – weniger als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer § 22, 165 – wenn der Insolvenzverwalter in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat eintritt § 22, 170 – zeitliche Reihenfolge der Verfahren nach §§ 122, 126 InsO § 22, 171 f. Architekten – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 33, 65 ff. – Zulassung, Widerruf § 30, 56

Ärzte – Betriebsfortführung § 30, 59 ff. – Betriebsfortführung, Modelle § 33, 19 ff. – Eigenverwaltung § 33, 20 ff. – goodwill § 33, 15 – Honorarforderungen § 33, 25 – Honorarforderungen, Vorausabtretung § 33, 26 ff. – Insolvenzbeschlag § 33, 14 – Insolvenzplan § 33, 34 f. – Insolvenzverwalter, Zusammenarbeit § 33, 16 f. – Patientenstamm § 33, 15 – Zulassung, Widerruf § 30, 42 ff. Asset Deal § 29, 119 f. – Bemessung des Kaufpreisanteils für Grundstücke § 28, 179 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 116 ff. Auffanggesellschaft § 24, 1 ff. – Bargründung § 24, 3 – Begriff § 24, 5 ff. – Debt-Equity-Swap § 24, 5 ff., 35 ff. – Haftungsrisiken § 24, 19 ff. – Handelndenhaftung § 24, 24 – Hin- und Herzahlen § 24, 3 – Insolvenzmasse § 24, 47 ff. – Kapitalaufbringung § 24, 27 ff. – Rechtsformüberlegungen § 24, 8 – Sachgründung § 24, 3 – Sanierungsprivileg § 24, 33 ff. – übertragende Sanierung § 24, 62 ff. – Unterbilanzhaftung § 24, 19 – verdeckte Sacheinlage § 24, 33 f. – Verlustdeckungshaftung § 24, 21 – Vorratsgesellschaft § 24, 3, 22 – wirtschaftliche Neugründung § 24, 11 ff., 19 ff. Aufhebungsvertrag § 22, 198 – Betriebsübergang § 21, 107 – Transfermaßnahme § 21, 107 – Umgehung Kündigungsverbot § 613a Abs. 4 BGB § 21, 107 – Verfrühungsschaden § 21, 68 Aufsicht – Gläubigerausschuss § 10, 62, 67 – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 10, 54 ff.

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Stichwortverzeichnis – Insolvenzgericht s. Insolvenzgericht – Aufsicht Auslandsberührung – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren s. dort; s. EuInsVO – kulturelle Besonderheiten § 9, 426 Ausproduktion § 9, 13; § 34, 72 ff. – GOI § 5, 62 ff. – Masseunzulänglichkeit § 27, 9, 37, 45 f. Außenfinanzierung § 8, 4 Aussonderungsrecht – Auskunftsanspruch § 25, 68 – Auskunftsanspruch, im Antragsverfahren § 25, 46 – Eigentum § 25, 11 – einfacher Eigentumsvorbehalt § 25, 12 ff. – Ersatzaussondeurng § 25, 70 – Factoring § 25, 15 – Geltendmachung § 25, 54 – Geltendmachung, im Antragsverfahren § 25, 43 – Massebegriff § 25, 6 – Nutzung § 9, 428 – Nutzungsbefugnis, im Antragsverfahren § 25, 49 – Rechtsgrundlage § 25, 5 ff. – Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis § 9, 75 ff.; s. a. dort – wirtschaftl. Ausgleich, im Antragsverfahren § 25, 52 Aussonderungssperre – gemietetes oder gepachtetes Grundstück § 28, 95 ff., 167 – Nutzungsüberlassung eines Grundstücks § 28, 167 Automobilhersteller – Zulieferer, Besonderheiten § 34, 1 ff.; s. a. dort; s. a. Fortführungsvereinbarung

Bankguthaben – Verwendung § 12, 89 ff. Bauunternehmen – Versicherungsschutz § 35, 155 ff. Beitragskalkulation – PSVaG § 23, 40 Berater – Betriebsfortführung § 30, 68 ff.

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– Gläubigerausschuss, Zusammensetzung § 10, 37 – GOI § 5, 15 – Haftung, Bescheinigung nach § 270b InsO § 6, 47 – Vergütung § 39, 75 ff. – Zulassung, Widerruf § 30, 48 ff. Berichtstermin – Gläubigerversammlung § 10, 60, 64 Berufshaftpflichtversicherung § 5, 17 Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft – Personalmaßnahmen § 13, 132 f. Beschlagnahme – nach § 148 ZVG während Antragsverfahren § 28, 69 ff. Betreiberhaftung § 31, 74 ff. Betrieb – Betreiberhaftung § 31, 74 ff. Betriebliche Altersversorgung – Abfindung § 23, 3, 13 – Aufteilung § 23, 73 – Besitzstände § 23, 67 – Betriebsrat § 23, 67 – Deckungsmittel § 23, 68 – Einfrieren § 23, 67 – Eingriff § 23, 67 – Einzelzusagen § 23, 78 – Erstattung § 23, 74 – Fortführung § 23, 69, 72, 82 f. – Gesellschaftergeschäftsführer § 23, 2 – gesetzlicher Übergang § 23, 26 f., 76 – Insolvenzforderungen § 23, 25 – Kapitalisierung § 23, 69 – Pfandrechte § 23, 27 – Schließung § 23, 67 – übergehende Rechte § 23, 69 – Unverfallbarkeit § 23, 2, 10 f. Betriebsänderung – Beschleunigung § 22, 107 – einstweiliges Verfügungsverfahren § 22, 113 – Fristende § 22, 111 – Herstellung einer einvernehmlichen Regelung § 22, 115 – nach §§ 121, 122 InsO § 22, 105 ff. – ohne Interessenausgleich § 22, 180 f. – Sozialplan § 22, 217

Stichwortverzeichnis – Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache § 22, 113 – Verfahren vor dem ArbG § 22, 112 – Weiterverhandlung mit dem Betriebsrat § 22, 117 – Zustimmung des ArbG § 22, 114 Betriebsaufspaltung – Nutzungsüberlassung gem. § 135 Abs. 3 InsO § 28, 165 ff. Betriebsfortführung – Abbruch § 9, 307 ff. – Architekten § 33, 65 ff. – Arten § 9, 289 – Aussichtlosigkeit § 9, 308 ff. – Beendigung, Abwägung § 12, 174 ff. – Beendigung, Pflicht/Berechtigung § 12, 187 ff. – bei Masseunzulänglichkeit § 27, 1 ff. – betriebswirtschaftliche Analyse § 12, 12 ff., 71 f. – Debt-Equity-Swap § 7, 37 – Diskriminanzanalyse § 9, 275 – Eigenverwaltung § 12, 193 ff.; § 13, 1 ff., 84 ff. – Eigenverwaltung/Schutzschirmverfahren § 29, 152 ff. – Einzelermächtigungen § 9, 130 ff. – Entscheidung, Zuständigkeit § 1, 18 f. – Entscheidungen, fehlerhafte § 38, 40 ff. – Entscheidungsfindung § 10, 64 ff. – Entscheidungsgrundlagen § 1, 11 ff.; § 7, 1 ff. – eröffnetes Verfahren § 29, 138 ff. – Erscheinungsformen § 9, 35 ff. – Ertragsplanung § 12, 40 ff. – ESUG § 1, 37 ff. – ESUG, Reformen § 3, 51 ff. – Ethik § 2, 40 ff. – Fortbestehensprognose § 1, 27 ff. – Fortführungsvereinbarungen § 34, 33 ff.; s. a. dort – Fortführungsvereinbarungen, Finanzierungszweck § 8, 91 ff. – Freiberufler § 33, 1 ff.; s. a. dort – Funktion § 3, 43 ff.; § 9, 1 ff., 35; § 13, 1 ff. – Gestaltungsmöglichkeiten, Eigenverwaltung § 13, 86 ff.

– Globalzession § 12, 111 – GOI § 5, 41 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren s. dort; s. EuInsVO – im vorläufigen Verfahren § 12, 65 ff. – Insolvenzanfechtung § 26, 3 ff. – Insolvenzeröffnungsverfahren § 3, 43 ff.; § 29, 126 ff. – Insolvenzgericht, Aufsicht § 11, 223 ff. – Insolvenzplanverfahren § 13, 1 ff. – Insolvenzverfahren § 3, 47 ff. – Insolvenzverwalter, Haftung § 38, 1 ff. – Insolvenzverwalter, Pflichten § 4, 10 ff.; s. a. dort – Insolvenzverwalter, Vergütung § 39, 1 ff., 27 ff. – Insolvenzwarenverkauf § 32, 12 ff.; s. a. dort – integrierte Planung § 12, 34 ff. – Kleinbetriebe § 9, 407 f. – Konzern § 18, 12 ff.; s. a. Konzerninsolvenzrecht – Konzern, Interessenlagen § 18, 8 f. – Konzernunternehmen § 9, 401 ff.; § 19, 23 ff., 36 ff., 64 ff. – Korrekturmaßnahmen § 9, 305 ff. – Krisenanalyse § 7, 7 ff. – Krisenanalyse, Methoden § 7, 20 ff. – Krisenursachen § 9, 291 – kulturelle Besonderheiten § 9, 426 – Kunden, Absicherung § 12, 136 ff. – Kundenkontakte § 12, 74 – Liquiditätsplanung § 12, 43 ff. – M&A-Prozess § 29, 1 ff., 117 ff.; s. a. Mergers & Acquisitions – Masseunzulänglichkeit, Auswirkungen § 27, 43 ff. – Motivationsstrategie § 16, 13 ff. – öffentlich-rechtliche Genehmigungen s. dort – Planrechnungen § 9, 296 ff. – Planung § 9, 285 ff. – Potentialanalyse § 9, 295 ff. – Prognose § 12, 175 ff. – Prognoserisiko § 12, 179 f. – PSVaG § 23, 1 ff. – Rechtsentwicklung § 1, 1 ff.; § 3, 22 ff.

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Stichwortverzeichnis – Reportingstruktur, Anpassung § 12, 12 ff., 27 ff., 55 ff. – Risiken § 2, 43 ff. – Risiken, Masseunzulänglichkeit § 12, 147 ff. – Sachwalter, Haftung § 38, 94 ff. – Sanierungsfähigkeitsbescheinigung § 1, 30 – Sanierungskonzept § 7, 26 ff., 62 ff., 67 ff.; § 9, 287 – Sanierungsmaßnahmen s. a. dort; s. a. Sanierung; Sanierungsinstrumente – Sanierungsmaßnahmen, Controlling § 7, 71 ff.; § 12, 12 ff. – Sanierungsmaßnahmen, Ermittlung § 7, 26 ff. – Sanierungsmaßnahmen, Planung § 7, 61; s. a. Sanierungsplanung – Sanierungsmaßnahmen, Umsetzung § 7, 67 ff. – Schuldner, Rechtsstellung § 14, 22 ff.; s. a. dort – Schutzschirmverfahren § 13, 1 ff. – Soll-/Ist-Vergleich § 9, 302 ff.; § 12, 53 f. – Sportvereine § 33, 4 ff., 69 ff.; s. a. Fußballvereine – Steuerberater § 33, 60 – Steuern, Liquiditätsplanung § 12, 107 ff. – Steuerung § 9, 287 – Störpotentiale § 9, 420 ff.; s. a. dort – Störpotentiale, Abwehrmaßnahmen § 9, 420 ff. – Unternehmensanalyse § 9, 285 ff. – Unternehmensführung § 9, 341 ff.; s. a. dort – Unternehmenskrise, Pflichten § 13, 95 f. – Unternehmensleitung außerhalb Krise § 13, 93 f. – Unternehmensleitung, nach Antragstellung § 13, 99 f. – unternehmerische Entscheidungen § 38, 50 ff. – Ursachenanalyse § 9, 291 ff. – Verfahrensgrundsätze § 2, 29 ff. – Verhältnis z. Gläubigerbefriedigung § 12, 175 ff.

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– Verhältnis z. Insolvenzverfahren § 12, 6 ff., 147 ff. – Verhältnis z. Liquidation § 3, 25 ff. – Versicherungsgutachten § 35, 7 ff. – Versicherungsschutz § 35, 1 ff. – Verträge, Lösungsklauseln § 12, 116 ff. – Verwalter, Entscheidungskompetenz § 10, 64 ff. – Vier-Stufen-Modell § 9, 289 – Voraussetzungen § 9, 37 ff. – Vorbereitung, vor Antrag § 9, 289 – vorinsolvenzliche Sanierung § 29, 117 ff. – vorl. Gläubigerausschuss, Kompetenzen § 9, 145 ff. – Weichenstellung § 9, 47 – Wirtschaftsprüfer § 33, 61 ff. – Zwangsvollstreckung, Grundpfandrechtsgläubiger § 28, 122 ff. – Zweck § 12, 3 ff. Betriebsfortführung – Finanzierung § 1, 46 ff.; § 8, 1 ff.; s. a. Finanzierung – Abbau Warenlager § 9, 334 – Anfangsliquidität § 12, 68 ff. – Anfechtung, Schadensersatz § 9, 339 – Bankguthaben § 12, 89 ff. – betriebswirtschaftliche Analyse § 12, 12 ff.; s. a. dort – Debitorenmanagement § 9, 337 f. – Factoring § 12, 108 ff. – Finanzhilfen § 9, 320 ff. – Forderungseinzug § 9, 329 ff. – Insolvenzgeld s. dort – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 9, 325 ff. – Lastschriftwiderruf § 9, 336; § 12, 97 ff. – Liquidationsszenario § 12, 178, 185 f. – Liquiditätsplanung § 12, 185 f. – Massekredite § 9, 313 ff. – Mergers & Acquisitions § 29, 76 ff. – Planrechnungen § 9, 296 ff. – Umlaufvermögen, Veräußerung § 12, 75 ff. – Verwertung § 9, 333 ff. – Zahlungszuflüsse § 12, 89 ff. Betriebsgeheimnis – Insolvenzmasse § 32, 77 – Produktionsgeheimnis § 32, 77

Stichwortverzeichnis Betriebsgrundstück § 28, 1 ff.; s. a. Grundstück – Altlasten § 28, 224 ff. – Betreiberhaftung § 31, 74 ff. – Betriebsnotwendigkeit § 28, 7 – Eigentumsverlust, durch Schuldner § 28, 40 ff. – Freigabe und Zwangsversteigerungsanordnung § 28, 218 ff. – Freigabe, Erklärung § 28, 215 – Freigabe, Form § 28, 216 f. – Freigabe, steuerliche Aspekte § 28, 212 ff. – Freigabe, Zeitpunkt § 28, 230 f. – Freigabe, Zweck und Wirkung § 28, 209 ff. – freihändiger Verkauf, steuerliche Rechtsfolgen § 28, 189 ff. – gemietetes oder gepachtetes Grundstück § 28, 95 ff. – gemietetes/gepachtetes Grundstück § 28, 153 ff. – Haftung für Lasten nach § 10 ZVG § 28, 107 ff. – im Eigentum d. Schuldners § 28, 13 ff., 104 ff. – Nutzungsüberlassung, durch Gesellschafter § 28, 165 ff. – Räumungspflicht § 28, 83 ff. – risikoreiche Nutzung § 31, 56 – Share Deal, Insolvenzplan § 28, 200 ff. – Sicherung, im eröffneten Verfahren § 28, 104 ff. – Sicherung, Insolvenzantragsverfahren § 28, 8 ff. – Ver- und Entsorgung § 28, 16 f. – Verfügungsverbot § 28, 32 – Verkehrswert § 28, 180 f. – Versicherung § 28, 18 – Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters § 28, 177 ff. – Vorsteuerberichtigung § 28, 121 – Weiternutzung durch den Insolvenzverwalter § 28, 88 – Zwangsversteigerung im Antragsverfahren § 28, 58 ff. – Zwangsvollstreckung, Grundpfandrechtsgläubiger § 28, 122 ff. Betriebshaftpflichtversicherung § 35, 112 ff.

Betriebsrat – Amtszeit § 22, 1 ff. – Anhörung nach § 102 BetrVG § 21, 93 ff. – Arbeitnehmer, Gläubigerausschuss § 22, 7 ff. – Aufwendungen, Kostentragung § 22, 17 ff. – Auskunftsrechte § 22, 14 – bei Betriebsfortführung § 22, 20 ff. – Betriebsänderung § 22, 20 ff. – Betriebsänderung, Unterrichtungpflicht § 22, 25 ff. – Haftung d. Mitglieder § 22, 18 – Konsultation bei Massenentlassung § 21, 122 ff. – Konsultationspflicht § 21, 4, 47, 122 ff. – Kooperation § 21, 38 f., 47 – Mitwirkung und Mitbestimmung § 22, 15 – Mitwirkungsrecht, eingeschränktes § 22, 27 – Rechte § 22, 4 ff. – Rechte, Beachtung durch Insolvenzverwalter § 4, 20 – Rechte, Missachtung durch Insolvenzverwalter § 22, 16 – Sonderkündigungsschutz § 21, 51 – subjektive Determination § 21, 93 – Unterlassungsanspruch § 22, 31 ff. Betriebsstilllegung – Absicht, Arbeitnehmerkündigungen § 21, 96 – Eröffnungsverfahren § 9, 118 ff. – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 10, 58 – Gläubigerentscheidung § 27, 5, 37 – Gläubigermitwirkung § 10, 64, 68 f. – Masseunzulänglichkeit § 27, 5 f., 37 – ordnungsrechtliche Inanspruchnahme § 31, 40 – Schuldner, Rechtsstellung § 14, 48 ff. Betriebsübergang – Anwendbarkeit § 613a BGB in der Insolvenz § 21, 100 f. – Aufhebungsvertrag § 21, 107 – Auftrags- oder Funktionsnachfolge § 21, 104 – Berteilungszeitpunkt § 21, 106 – Betriebsbegriff § 21, 103

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Stichwortverzeichnis Erwerber, Haftung § 21, 110 ff. Erwerberkonzept § 21, 108 f. Europarecht § 21, 100 f. Haftung, Übernehmer § 9, 453 Informationspflichten nach § 613a Abs. 5 BGB § 21, 114 ff. – keine Betriebsänderung § 22, 58 – Kriterien § 21, 102 ff. – Kündigungsverbot gem. § 613a Abs. 4 BGB § 21, 106 ff. – Rechtsfolgen § 21, 106 ff. – Sanierungshindernis § 21, 99 – Sanierungstarifvertrag § 22, 304 ff. – Teilbetriebsübergang § 22, 59 – Transfermaßnahmen gem. § 110 SGB III § 21, 107 ff. – übertragende Sanierung § 22, 58 ff. – Voraussetzungen § 21, 102 ff. – Widerspruchsrecht d. Arbeitnehmer § 21, 119 f. Betriebsunterbrechungsversicherung § 35, 107, 109, 137 ff. Betriebsveräußerung – Eigenverwaltung § 22, 210 – Gläubigermitwirkung § 10, 68 ff. – GOI § 5, 31 – nach § 128 InsO § 22, 207 ff. – ordnungsrechtliche Inanspruchnahme § 31, 41 – Vermutungswirkung des § 125 InsO § 22, 207 – Vermutungswirkung, Voraussetzung § 22, 209 – vorläufige Insolvenzverwalter § 22, 211 Betriebsvereinbarungen – Anfechtung § 22, 95 – bei übertragender Sanierung § 22, 69 – belastende freiwillige u. erzwingbare § 22, 71 – Belastung der Insolvenzmasse § 22, 71 – Beratungsgebot § 22, 69 ff. – Form § 22, 67 – Fortgeltung § 22, 69 – in der Betriebsfortführung § 22, 66 ff. – Nachwirkung § 22, 91 ff. – Nachwirkung, freiwillige Betriebsvereinbarungen § 22, 92 – Nachwirkung, gewillkürte Nachwirkungsvereinbarungen § 22, 93 – – – – –

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– Nachwirkung, Regelungsabreden § 22, 94 – Regelungsabreden mit belastenden Leistungen § 22, 72 ff – Sonderleistungen § 22, 69 – Spruch der Einigungsstelle § 22, 67 – Wegfall der Geschäftsgrundlage § 22, 90 Betriebsvereinbarungen – Kündigung § 22, 75 ff. – Anfechtung § 22, 95 – außerordentliche Kündigung § 22, 75, 86 ff. – Form § 22, 82 – Frist § 22, 75, 78 – Fristbeginn/-ende § 22, 80 – kein Beratungsanspruch des Betriebsrats § 22, 83 f. – Kündigungserklärung § 22, 82 – Maximalkündigungsfrist § 22, 77 – ordentliche Kündigung § 22, 76 – Teilkündigung § 22, 79, 81 – ultima-ratio-Grundsatz § 22, 83, 89 – unmittelbare Belastung der Insolvenzmasse § 22, 76 – Zeitpunkt § 22, 85 Betriebsverfassungsrechtliches Übergangsmandat § 22, 61 – Höchstdauer § 22, 63 f. – Rechte und Befugnisse des BR § 22, 65 Betriebsvermögen s. Anlagevermögen; Betriebsgrundstück; Umlaufvermögen Betriebsversammlung § 9, 448 Betriebswirtschaftliche Analyse s. a. Controlling; Krisenanalyse; Planrechnungen; Sanierungskonzept – Adressaten § 12, 18 ff. – Anfangsliquidität § 12, 68 ff. – Anpassung bei Betriebsfortfortführung § 12, 12 ff., 27 ff., 55 ff. – Beispiel § 12, 46 – Betriebsfortführung § 12, 12 ff. – Eröffnungsverfahren § 9, 285 ff. – Ertragslage § 12, 26 – finanzwirtschaftliche § 7, 28 ff. – Frühwarnfunktion § 12, 63 f. – integrierte Planung § 12, 34 ff. – Kennzahlen § 7, 21 f. – Krisenanalyse § 7, 7 ff. – leistungswirtschaftliche § 7, 39 ff.

Stichwortverzeichnis – leistungswirtschaftliche Bereiche § 12, 25 – Methoden § 7, 20 ff. – Planrechnungen § 7, 8; § 9, 296 ff. – Potentialanalyse § 9, 295 ff. – Sanierungskonzept, Potenzialanalyse § 7, 26 ff. – Sanierungsmaßnahmen, Ermittlung § 7, 26 ff. – Soll-/Ist-Vergleich § 12, 53 f. – Überwachungsfunktion § 12, 32 ff. – Ursachenanalyse § 9, 291 ff. – Zielsetzung § 12, 17 ff. Bilanz s. a. Buchhaltung; Jahresabschluss; Rechnungslegung – Insolvenzplan, Muster § 13, 186 – Überschuldungsbilanz § 32, 55 Bilanzplanung § 12, 39, 52; § 13, 52 ff. – Beispiel § 12, 46 Blogs – Social Media § 15, 70 Bodensanierung – besonders bedeutsame Rechtshandlung § 31, 14 f. – Gläubigerinformation § 31, 46 – ordnungsrechtliche Inanspruchnahme § 31, 16 ff. – strategische Sanierung § 31, 12 ff. – Wertgutachten § 31, 13 Buchführungspflicht – Insolvenzverwalter § 36, 46 ff. Buchhaltung – GOI § 5, 28, 57 f. Bürgschaften – Konzerninsolvenz § 18, 17 ff. Bürgschaftsversicherung § 35, 154 Büroausstattung – GOI § 5, 16 Büroräume – Nutzung § 9, 387 f. Business Judgment Rule – Gläubigerausschuss § 10, 29

Cashpooling – Konzerninsolvenz § 18, 25 ff. Chief Restructuring Officer § 13, 68 – Schutzschirmverfahren § 14, 31 Coaching § 16, 1 ff. – LEAN-Management § 17, 1 ff.

COMI – Begriff § 20, 12 – forum shopping § 20, 22 ff. – Konzerne § 20, 27 ff. – Satzungssitz § 20, 13 – Verwaltungssitz § 20, 14 ff. Compliance § 5, 19, 51; § 9, 400 Contractual Trust Arrangements § 23, 32, 79 Controlling s. a. Betriebswirtschaftliche Analyse; Krisenanalyse – Betriebsfortführung § 12, 12 ff. – Erfolgskontrolle § 7, 72 ff. – Frühwarnfunktion § 12, 63 f. – Insolvenzverwalter, Pflichten § 4, 12 Corporate Communications – Allgemeines § 15, 6 Corporate Identy – Selbstverständnis Unternehmen § 15, 7

D&O-Versicherung § 35, 129 ff. Datensicherung § 9, 423 Dauerschuldverhältnisse – Fortbestehen nach Eröffnung gemäß § 108 InsO § 28, 153 – gemietetes oder gepachtetes Grundstück § 28, 92 ff. – gemietetes/gepachtetes Grundstück § 28, 153 ff. – Insolvenzmasse, Haftung § 28, 119 ff. – Lösungsklauseln § 12, 116 ff. – Masseunzulänglichkeit § 27, 49 ff. – Ver- und Entsorgung, Betriebsgrundstück § 28, 16 f. Debitorenmanagement § 9, 337 f. Debt-Equity-Swap § 23, 49 – als Finanzierungsinstrument § 8, 48 ff. – Auffanggesellschaft, Unterschiede § 24, 5 ff. – Beteiligungshöhe im Wert des Absonderungsrechts § 28, 206 ff. – Forderungseinbringung, Bewertung § 24, 39 ff. – Gesellschafter, rechtzeitige Einbeziehung § 1, 53 f. – Haftungsrisiken § 24, 35 ff.

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Stichwortverzeichnis – Sanierungsmaßnahmen, Ermittlung § 7, 37 Deferred Compensation § 23, 7 Diebstahl § 9, 422 ff. Dienstleister – Einschaltung d. Insolvenzverwalter § 9, 265 ff. – GOI § 5, 15 – Vergütung § 39, 75 ff. – Verwertungshandlungen § 5, 34 Diskriminanzanalyse § 9, 295 Domain – Anspruch auf Anpassung des Registers § 32, 78 – Anspruch auf Aufrechterhaltung der Eintragung § 32, 78 – Domainname § 32, 78 – Insolvenzmasse § 32, 78 – Nutzungsrecht § 32, 78 – Registrierungsanspruch § 32, 78 Due Diligence – Prüfung, M&A-Prozess § 29, 106 ff.

Eigenfinanzierung

§ 8, 5 f. – Charakteristika § 8, 6 Eigentumsvorbehalt § 25, 12 ff. – Absonderungsrechte § 25, 24 ff. Eigenverwaltung § 1, 39 f.; § 12, 193 ff. – Anordnung, nachträgliche § 10, 63 – Anordnungsvoraussetzungen § 10, 44, 52 – Antragstellung § 6, 25 ff. – Apotheker § 33, 37 f. – Arztpraxen § 33, 20 ff. – Aufhebung § 6, 34; § 10, 63 – Bescheinigung nach § 270b InsO § 6, 47; § 11, 169 ff. – Betriebsänderung § 22, 106 – Betriebsfortführung § 13, 1 ff. – Betriebsfortführung, Entscheidungsgrundlagen § 1, 11 ff. – Betriebsveräußerung § 22, 210 – Eröffnungsverfahren § 12, 205 ff. – Gläubigerausschuss, Anhörung § 10, 44, 52 – Gläubigerausschuss, vorl. § 11, 92 ff. – Gläubigerbefriedigung, gleichmäßige § 12, 194 – GOI § 5, 36, 60 f.

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– grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 94 ff. – Haftungsrisiken § 1, 42 – Insolvenzgeld, Vorfinanzierung § 12, 196 f. – Insolvenzgericht, Aufsicht § 11, 298 ff. – Insolvenzplan, Initiative § 14, 53 ff. – Interessenausgleich § 22, 99 – Kommunikation § 15, 13 ff. – Kompetenzverteilung § 9, 361 ff. – Konzerninsolvenz § 18, 108; § 19, 119 ff. – M&A-Prozess § 29, 152 ff. – Masseverbindlichkeiten § 9, 132 ff., 315 ff.; § 11, 156 ff.; § 12, 199 ff. – Organhaftung § 6, 41 ff. – Postsperre § 9, 71, 137 ff. – Rechtsentwicklung § 6, 6 ff. – Reformvorschläge § 6, 23 ff. – Reorganisation § 9, 27 ff. – Sachwalter, Aufgaben § 12, 202 ff. – Sachwalter, Haftung § 38, 110 ff. – Schuldner, Eignung § 6, 25 ff. – Schuldner, Gestaltungsmöglichkeiten § 13, 86 ff. – Schuldner, Mitarbeit § 9, 410 ff. – Schuldner, Rechtsstellung § 14, 51 ff. – Schuldner/Organe, Haftung § 38, 115 ff. – Schutzschirmverfahren § 9, 32 ff. – Statistik § 6, 15 ff. – Umsatzsteuer § 6, 43 – Unternehmensführung § 9, 361 ff. – Verfahren nach § 270 a InsO § 13, 84 f. – Vergütung, Sachwalter § 39, 70 f. – Verträge § 12, 195 – Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis § 9, 79 – Vollstreckungsverbot, allgemeines § 9, 67, 136 – vorl. Maßnahmen § 9, 84, 132 – vorläufige § 13, 84 f. – Zustimmungsvorbehalt § 11, 156 ff. Eigenverwaltung, vorläufige – Abbruch § 9, 307 ff. – Arbeinehmeranteile zur Sozialversicherung § 6, 44 ff.

Stichwortverzeichnis – Aussichtlosigkeit § 9, 308 ff. – Masseunzulänglichkeit § 27, 72 ff. – Masseverbindlichkeiten § 6, 38 ff. – Organhaftung § 6, 41 ff. Einkauf – Sanierungsinstrumente § 7, 41 ff. Einkommensteuer – Insolvenzforderungen § 36, 92 ff. – Masseverbindlichkeiten § 36, 92 ff. Einziehungsermächtigung – Ermächtigung § 11, 280 – Widerruf § 8, 28 f. Elektronikversicherung § 35, 105 ff. Elternzeit § 21, 51 Entgeltumwandlung – Anspruch § 23, 11, 81 f. Erfolgskrise – Begriff § 7, 17 Ersatzaussonderung § 25, 70 Ertragsanalyse § 13, 27 f. – Betriebsfortführung § 12, 26 Ertragsplanung § 9, 296 ff.; § 12, 40 ff. – Beispiel § 12, 46 Ertragsteuern – Grundstück, Freigabe § 28, 214 – Grundstück, freihändiger Verkauf § 28, 191 ff. – Konzerninsolvenz, Haftung § 18, 42 ff. – Rangrücktrittserklärung § 18, 38 ff. Ertragswert – M&A-Prozess § 29, 64 Erwerberkonzept – Haftung für Masseschulden § 21, 112 f. – offene Fragen § 21, 109 – Sanierungskonzept § 21, 108 – Voraussetzungen § 21, 108 ff. ESUG – Arbeitnehmer, Gläubigerausschuss § 22, 7 ff. – Bestimmung d. Insolvenzverwalters § 4, 47 ff. – Debt-Equity-Swap/Auffanggesellschaften § 24, 5 ff. – Empfehlungen der EU-Kommission v. 12.3.2014 § 1, 56 ff.; § 9, 460 f.; § 19, 128 ff.; § 31, 78 ff. – EU-Kommission, Mitteilung zur Kapitalmarktunion § 19, 17 ff., 127 ff.

– Gesellschafter, rechtzeitige Einbeziehung § 1, 53 f. – Insolvenzgericht, Aufsicht § 11, 56 ff. – Rechtsentwicklung § 6, 1 ff. – Reformen § 3, 51 ff. – Reformvorschläge § 6, 23 ff. – Sanierungsverfahren, vorinsolvenzliches § 9, 460 ff. – Stakeholder, Kommunikation § 15, 13 ff. – vorl. Maßnahmen § 9, 80 – Ziele, Planungssicherheit § 9, 157 ff. – Zielsetzung § 1, 38 ff.; § 6, 12 EuInsVO s. a. Europäisches Insolvenzrecht; Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren – Arbeitsverhältnisse § 20, 40 ff. – COMI § 20, 4, 12 ff. – Eigenverwaltung, Sekundärinsolvenzverfahren § 20, 94 ff. – Erfüllungswahlrechte, Ausübung § 20, 101 f. – Fortführungsvereinbarung § 20, 115 – Grundsatz der modifizierten Universalität § 20, 5 ff. – Hauptinsolvenzverwalter § 20, 78 ff. – Hauptinsolvenzverwalter, Möglichkeiten § 20, 87 ff. – Hauptverfahren § 20, 48 ff. – inländisches Beschäftigungsverhältnis § 20, 44 f. – Insolvenzantrag § 9, 150 f. – Insolvenzgerichte, Kooperation § 20, 97 ff. – Insolvenzverwalter, Befugnisse § 20, 78 ff. – Insolvenzverwalter, Kooperation § 20, 83 ff. – Insolvenzverwalterverträge § 20, 64 ff., 118 f. – Kollissionsnorm, einheitliche § 20, 9 ff. – Konzerne § 20, 27 ff., 63 ff., 67 ff. – Kooperations-/Kommunikationspflicht § 20, 68 ff. – Leistungsbeziehungen, Beteiligte § 20, 103 – lex fori concursus § 20, 9 ff. – Masseverbindlichkeiten § 20, 104 ff.

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Stichwortverzeichnis – Neufassung § 20, 11, 18 ff., 23, 28 ff., 53, 67 ff., 120 – Sachnormen § 20, 36 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren § 20, 32 ff., 48 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Eröffnung § 20, 54 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Insolvenzverwalter § 20, 81 f., 87 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Wirkung § 20, 60 ff. – Sonderkollisionsnormen § 20, 36 ff. – übertragende Sanierung § 20, 116 ff. – Verfahrenkosten, Deckung § 20, 113 f. – Verfahrenseröffnung, Anerkennung § 20, 7 – Verfahrenseröffnung, Bekanntmachung § 20, 75 ff. – Verfahrenseröffnung, Wirkungserstreckung § 20, 7 Europäisches Insolvenzrecht – Anwendungsbereich § 18, 149 ff. – Begriffsbestimmungen § 19, 6 f. – Betriebsübergang § 21, 100 f. – COMI § 18, 155 – Empfehlungen der EU-Kommission v. 12.3.2014 § 1, 56 ff.; § 9, 460 f.; § 19, 128 ff.; § 31, 78 ff. – EuInsVO, Bedeutung für inländische Konzerne § 18, 154 ff. – EU-Kommission, Mitteilung zur Kapitalmarktunion § 19, 17 ff., 127 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 1 ff.; s. a. dort; s. a. EuInsVO – Insolvenzverwalter, Auswirkungen § 4, 63 f. – Insolvenzverwalter, Kooperation § 19, 102 ff. – kollisionsrechtliche Aspekte § 18, 156 ff. – Konzern, Begriff § 18, 2 ff. – Konzerninsolvenz § 19, 41 ff. – Konzerninsolvenz, Reformvorhaben § 19, 1 ff., 127 ff. – Reformvorhaben, Konzerninsolvenz § 18, 193 ff. – Verfahrenkoordination § 18, 161 ff.

Facebook – Social Media § 15, 69

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Factoring § 12, 108 ff. – als Finanzierungsinstrument § 8, 82 ff. – Aussonderungsrechte § 25, 15 Feststellungsklage – Masseunzulänglichkeit § 27, 60 – Nachteilsausgleich § 22, 206 Finanzanalyse § 13, 27 f. Finanzierung § 1, 46 ff.; s. a. Betriebsfortführung – Finanzierung – Anzahlungskredit § 8, 78 – Außenfinanzierung § 8, 4 – Betriebsfortführung § 8, 1 ff. – betriebswirtschaftliche Grundlagen § 8, 1 ff. – Debt-Equity-Swap § 8, 48 ff. – Eigenfinanzierung § 8, 5 f. – Eigenkapital § 8, 31 ff. – Einziehungsermächtigung, Widerruf § 8, 28 f. – Factoring § 8, 82 ff. – Forderungseinzug § 8, 25 ff. – Fortführungsvereinbarungen § 8, 91 ff. – Fremdfinanzierung § 8, 5 f. – Fremdkapital § 8, 59 ff. – Gesellschafterdarlehen § 8, 76 f. – Innenfinanzierung § 8, 4 – Kapitalerhöhung § 8, 33 ff. – Kapitalschnitt § 8, 42 ff. – Kontokorrentkredit § 8, 79 f. – Kreditrahmen § 8, 75 – Leasing § 8, 88 ff. – Lieferantenkredit § 8, 78 – Massedarlehen § 8, 60 ff. – Mezzaninfinanzierung § 8, 31 – Nachschusspflichten § 8, 33 ff. – öffentliche Hand § 8, 95 ff. – Rettungsbeihilfe § 8, 65 – Systematisierung § 8, 4 – Verwertung § 8, 13 ff. – Verwertung, belasteter Gegenstände § 8, 22 ff. Finanzinvestoren – M&A-Prozess § 29, 91 ff. Finanzplanung – Außenfinanzierung § 7, 34 ff. – Betriebsfortführung § 12, 12 ff. – Debt-Equity-Swap § 7, 37 – Innenfinanzierung § 7, 29 ff. – Insolvenzverwalter, Pflichten § 4, 11

Stichwortverzeichnis Firma – Insolvenzmasse § 32, 76 – Umfirmierung § 14, 61 – Verkauf § 14, 61 Forderungen – Debitorenmanagement § 9, 337 f. – Einzug § 9, 329 ff. Forderungsanmeldung – Abzinsung § 23, 36 – PSVaG § 23, 33 ff. – Schätzung des Wertes § 23, 36 – Stichtagsbetrachtung § 23, 37 – Zinsfuß § 23, 37 Forderungsausfall – Kreditversicherung § 35, 151 f. Forderungseinzug – als Finanzierungsinstrument § 8, 25 ff. Fortführungsvereinbarung – Abnahmeverpflichtung § 34, 54 f. – Allgemeines § 34, 33 ff. – Ausproduktion § 34, 72 ff. – Betriebsfortführung § 34, 36 – Endabrechnung § 34, 80 ff. – eröffnetes Verfahren § 34, 38 ff. – Form § 34, 46 ff. – Gewährleistung § 34, 65 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 115 – Haftungsbegrenzung § 34, 67 ff. – Insolvenzantragsverfahren § 34, 36 – Kündigung § 34, 69 ff. – Leistungsstörung § 34, 65 ff. – Lieferverpflichtung § 34, 52 ff. – M&A-Prozess § 34, 77 ff. – Preise § 34, 56 ff. – Restrukturierungsmaßnahmen § 34, 74 ff. – Verlustausgleich § 34, 59 ff. – Versicherung § 34, 67 ff. – Vertragsdauer § 34, 69 ff. – Vorschusszahlungen § 34, 64 – Zahlungsverpflichtung § 34, 54 ff. – Zeitpunkt § 34, 49 – Zustimmungsvorbehalt § 34, 50 Fortführungswert – M&A-Prozess § 29, 55 ff. Freiberufler – Apotheker § 33, 36 ff. – Architekten § 33, 65 ff. – Ärzte § 33, 14 ff.

– Aufnahme eines Angestelltenverhältnisses § 33, 50 ff. – Berufsrecht § 33, 8 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 33, 1 ff. – Betriebsfortführung, Modelle § 33, 19 ff. – Eigenverwaltung § 33, 20 ff. – goodwill § 33, 15 – Honorarforderungen § 33, 25 ff. – Insolvenzplan § 33, 34 f., 53 ff. – Insolvenzverwalter, Zusammenarbeit § 33, 16 f., 58 f. – Rechtsanwaltskanzleien § 33, 39 ff. – Restschuldbefreiung § 33, 45 ff. – Steuerberater § 33, 60 – Wirtschaftsprüfer § 33, 61 ff. – Zulassung, Widerruf § 30, 37 ff.; § 33, 41 ff. Freigabe – gem. § 32 Abs. 3 InsO § 31, 71 ff. – Gläubigermitwirkung § 10, 74 – öffentlich-rechtliche Genehmigungen § 30, 81 ff. Freistellung – allgemeiner Beschäftigungsanspruch § 21, 29, 33 – Auftragsmangel § 21, 31 – Betriebsänderung § 21, 39 – Mitbestimmung nach BetrVG § 21, 37 ff. – Nachteilsausgleich § 21, 39 – Rechtsschutz § 21, 34 – Resturlaub § 21, 26 ff. – Sozialversicherungsrecht § 21, 35 f. – Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG § 21, 33 – Zuässigkeit im eröffneten Verfahren § 21, 31 ff. – Zulässigkeit im Eröffnungsverfahren § 21, 30 Fremdfinanzierung § 8, 5 f. – Charakteristika § 8, 6 – Fortführungsvereinbarungen § 8, 91 ff. – Instrumente § 8, 59 ff. Fußballvereine – Amateurliga § 33, 102 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 33, 69 ff.

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Stichwortverzeichnis – Insolvenz, Kommunikation § 33, 124 ff. – Kommerzialisierung § 33, 70 ff. – Lizenzen/Zulassungen, Entzug § 33, 90 f., 98 – Lizenzen/Zulassungen, Erlöschen § 33, 110 ff. – Profisport § 33, 69 – Spielbetrieb, Wegfall § 33, 75 – Verbandsrecht § 33, 8 ff., 77 ff. – Verbandsrecht, Verhältnis z. Insolvenzrecht § 33, 81 ff. – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit § 33, 80 ff., 86 ff.

Gebäude – Versicherungsschutz § 35, 84 ff. Gebäudeversicherung § 35, 87 ff. Gebrauchsmusterrechte – Anspruch auf Eintragung § 32, 72 – Geheimgebrauchsmuster § 32, 72 – Insolvenzmasse § 32, 72 – Recht auf das Gebrauchsmuster § 32, 72 Gebrauchsüberlassung – Verpflichtung d. Vermieters § 28, 154 Gehaltsforderungen s. Lohnforderungen Geheimhaltung s. Betriebsgeheimnis Gesamtvollstreckungsordnung – Rechtsentwicklung § 3, 25 ff. Geschäfts-/Inhaltsversicherung § 35, 91 ff. Geschäftsessen § 9, 398 Geschäftsführer – Abberufung § 1, 55 – D&O-Versicherung § 35, 129 ff. – Eigenverwaltung, Haftung § 1, 42 – Fortführungsentscheidung § 1, 18 f. – Führungswechsel § 9, 356 ff. – Haftung, Eigenverwaltung § 6, 41 ff. – Sanierungsmaßnahmen § 1, 20 ff. – Sanierungsmaßnahmen, Fehlschlagen § 1, 34 ff. Geschäftsführung – Haftung § 38, 123 ff. Geschenke § 9, 399 Geschmacksmusterrechte – angemeldetes Geschmacksmusterrecht § 32, 73 – Anwartschaftsrecht § 32, 73 – Insolvenzmasse § 32, 73

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– Urheberrechtsschutz § 32, 73 Gesellschafter – Einbeziehung, rechtzeitige § 1, 53 ff. – Fortführungsentscheidung § 1, 18 – Fortführungspflicht § 1, 16 f. – Sanierungsmaßnahmen, Zuständigkeit § 1, 20 ff. Gesellschafterdarlehen – als Finanzierungsinstrument § 8, 76 f. – Nutzungsüberlassung eines Grundstücks gem. § 135 Abs. 3 InsO § 28, 165 ff. Gewerberecht – Personalkonzessionen § 30, 11 ff. Gewerbesteuer – Aufrechnung § 36, 202 – Erlass § 36, 198 ff. – Insolvenzforderungen § 36, 190 ff. – Masseverbindlichkeiten § 36, 190 ff. Gewerbezulassung § 9, 443 Gewerblicher Rechtsschutz § 32, 53 ff.; s. a. Domain; Geschmacksmuster; Immaterialgüterrechte; Know-how; Lizenzen; Markenrechte; Patente; Urheberrechte Gewerkschaft s. a. Tarifverträge – Arbeitnehmer, Gläubigerausschuss § 22, 11 f. – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 10, 38 – Gläubigerausschuss, Zusammensetzung § 10, 19 Gewinn- und Verlustrechnung – Insolvenzplan, Muster § 13, 184 – Planrechnungen § 9, 296 ff.; § 12, 46 – Sanierungspotenzial § 7, 8 Glasversicherung § 35, 108 Gläubiger – Aus-/Absonderungsberechtigte s. dort – Eröffnungsverfahren, Beteiligung § 10, 44 ff. – Insolvenzantrag § 11, 232 – Organe § 10, 5 ff.; s. a. Gläubigerausschuss; Gläubigerversammlung – Rechtsstellung § 10, 1 ff. Gläubigerausschuss – Abstimmungen § 10, 25, 27 – Arbeitnehmer, Gläubigereigenschaft § 22, 7 ff. – Arten § 11, 72 ff.

Stichwortverzeichnis – Bedeutung § 10, 15 – Beteiligung im Regelverfahren § 10, 67 ff. – Betriebsveräußerung § 10, 68 ff. – Einsetzung § 10, 16 f., 63 – Geschäftsordnung § 10, 23, 26 – Gewerkschaftsvertreter § 10, 19, 38 – GOI § 5, 24 – Größe § 10, 18 – Haftpflichtversicherung § 35, 27 ff. – Haftung § 10, 29 f., 84 – Insolvenverwalter, Kontrolle § 11, 67 ff., 193 – Insolvenzverwalter, Aufsicht § 10, 62 – Insolvenzverwalter, Zusammenarbeit § 38, 69 ff. – Kompetenzübertragung § 10, 84 – Sitzungen § 10, 23 f., 27 – Stilllegung § 10, 68 f. – Vergütung § 10, 30; § 39, 23, 72 ff. – Verhältnis zur Gläubigerversammlung § 10, 78 ff. – Versicherung § 10, 30 – Vertraulichkeit § 10, 28 – Vertretung § 10, 23, 28 – Verwalteraufsicht § 10, 67 – vorläufiger s. Gläubigerausschuss, vorläufiger – Vorratsbeschlüsse § 10, 83 – Zusammensetzung § 10, 18 ff. – Zustimmung zu Verwalterhandeln § 10, 66, 68 ff., 85 Gläubigerausschuss, vorläufiger – Abstimmungen § 10, 40 – Anhörung zur Eigenverwaltung § 10, 44, 52 – Antrag § 10, 37 – Anzeigepflichten b. Eigenverwaltung § 9, 207 – Ausschlussgründe § 10, 32 ff. – bedeutsame Rechtshandlungen § 9, 206 ff. – Bedeutung § 10, 15 – Berichterstatung, Planung § 9, 203 ff. – Besetzung § 9, 59 f., 63, 85 f.; § 10, 37 ff. – Besetzungsvorschlag § 10, 37, 39 – Bestellung § 11, 82 ff. – Betriebsfortführung, Mitwirkung § 9, 203 ff.

– Eigenverwaltung § 11, 92 ff. – Eigenverwaltung, Votum § 13, 69 – Eigenverwaltung, Zustimmung § 9, 200 ff. – Einfluss, vorl. Maßnahmen § 9, 80 ff. – Einsetzung § 9, 52 ff.; § 10, 31 ff. – Entlassung § 11, 104 – Ermessen § 10, 31, 35 – Ermessensbindung d. Gerichts § 9, 53 ff., 154 ff. – fakultativer § 9, 64 – Geldverkehr § 9, 208 ff. – Größenmerkmale § 9, 53 – Haftung § 10, 41; § 11, 102 ff. – Haftungsrisiken § 9, 62 – Insolvenverwalter, Kontrolle § 11, 194 ff. – Insolvenzverwalter, Aufsicht § 10, 54 ff. – Insolvenzverwalter, Auswahl § 9, 190 ff.; § 10, 44 ff.; § 11, 85 ff. – Insolvenzverwalter, Bestellung § 11, 208 ff. – Kassenprüfung § 10, 57 – Kompetenzen bei Betriebsforführung § 9, 145 ff. – Kosten/Nutzen § 9, 55 – Mitwirkung bei Personalentscheidungen § 10, 44 ff. – Pflichtausschuss § 9, 53 – PSVaG § 23, 48 ff. – Sachwalter § 11, 92 ff. – Schutzschirmverfahren § 11, 95 ff. – Schwellenwerte § 10, 36 – Sitzungen § 10, 40 – Stilllegung § 10, 58 – Unterstützung u. Überwachung § 9, 203 ff. – Unverhältnismäßigkeit § 10, 33 – Vergütung § 10, 42 – Versicherung § 10, 41 – Verzögerung § 9, 57 – vorl. Maßnahmen § 9, 145 ff. – vorläufiger Insolvenzverwalter, Auswahl § 9, 161 ff. – Vorratsbeschlüsse § 10, 83 – Vorschlagsrecht § 13, 70 – Zusammensetzung § 9, 59 ff., 212 ff. – Zustimmung zu Verwalterhandeln § 10, 58 f.

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Stichwortverzeichnis Gläubigerautonomie § 10, 1 ff. Gläubigerbefriedigung – Eigenverwaltung § 12, 194 – Verhältnis z. Betriebsfortführung § 12, 175 ff. Gläubigerbeirat § 10, 43 – PSVaG § 23, 48 ff. Gläubigerbeteiligung § 9, 161 ff. – Eröffnungsverfahren § 10, 44 ff. – Insolvenverwalter, Kontrolle § 11, 63 ff. – Insolvenzplanverfahren § 10, 85 f. – Insolvenzverwalter, Auswahl § 9, 169 ff. – Regelverfahren § 10, 60 ff. – vorl. Maßnahmen § 9, 84 ff. Gläubigergleichbehandlung – PSVaG § 23, 71 Gläubigerinformation – GOI § 5, 27, 54 Gläubigerversammlung – Abstimmungen § 10, 13 f. – Bedeutung § 10, 7 f., 60 ff. – Berichtstermin § 10, 9, 60, 64 – Betriebsfortführung, Grundentscheidung § 10, 64 ff., 70 – Einberufung § 10, 9 f., 63 – Entscheidungskompetenz § 3, 36 ff. – Insolvenverwalter, Kontrolle § 11, 65 f. – Insolvenzplan, Erstellung § 10, 86 – Kompetenzübertragung § 10, 66, 70, 84 – Management-Buy-out § 10, 77 – Mitwirkung, Verwaltung § 10, 76 f. – Stilllegung § 10, 64 – Verhältnis zum Gläubigerausschuss § 10, 78 ff. – Vorratsbeschlüsse § 10, 83 – Zusammensetzung § 10, 11 f. – Zustimmung zu Verwalterhandeln § 10, 76 f., 85 Gläubigerverzeichnis § 13, 142 – Insolvenzplan, Muster § 13, 182 Globalzession – Umsatzsteuer § 12, 111 GOI s. Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI)

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Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren s. a. EuInsVO – Arbeitsverhältnisse § 20, 40 ff. – Betriebsfortführung, Koordination § 20, 46 ff. – COMI § 20, 12 ff. – Eigenverwaltung, Sekundärinsolvenzverfahren § 20, 94 ff. – Erfüllungswahlrechte, Ausübung § 20, 101 f. – Fallgruppen § 20, 2 – Fortführungsvereinbarung § 20, 115 – forum shopping § 20, 22 ff. – Grundsatz der modifizierten Universalität § 20, 5 ff. – Hauptinsolvenzverfahren, mehrere § 20, 63 ff. – Hauptinsolvenzverwalter § 20, 78 ff. – Hauptinsolvenzverwalter, Möglichkeiten § 20, 87 ff. – Hauptverfahren § 20, 48 ff. – Insolvenzgerichte, Kooperation § 20, 97 ff. – Insolvenzverwalter, Befugnisse § 20, 78 ff. – Insolvenzverwalter, Kooperation § 20, 83 ff. – Insolvenzverwalterverträge § 20, 64 ff., 118 f. – Kollissionsnorm, einheitliche § 20, 9 ff. – Konzerne § 20, 70 ff. – Konzerninsolvenzrecht, euopäisches § 20, 63 ff. – Leistungsbeziehungen, Beteiligte § 20, 103 – Masseverbindlichkeiten § 20, 104 ff. – Sachnormen § 20, 36 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren § 20, 32 ff., 48 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Eröffnung § 20, 54 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Insolvenzverwalter § 20, 81 f., 87 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Wirkung § 20, 60 ff. – Sonderkollisionsnormen § 20, 36 ff. – übertragende Sanierung § 20, 116 ff.

Stichwortverzeichnis – Verfahrenkosten, Deckung § 20, 113 f. – Verfahrenseröffnung, Bekanntmachung § 20, 75 ff. Grundbuch – Löschung Insolvenzvermerk § 28, 223 Grundpfandrechte – Ansprüche der dinglich Berechtigten aus § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG § 28, 117 f. – Insolvenzplan, Ablösung § 28, 203 ff. – Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters § 28, 177 ff. – Zwangsvollstreckung in Betriebsgrundstück § 28, 122 ff. Grundrechte – Anwendungsfälle § 9, 68 ff. – Beschränkungen § 9, 70 – Eingriff, Bedeutung für Betriebsfortführung § 9, 73 – Eingriff, Verhältnismäßigkeit § 9, 70 ff. – Postgeheimnis § 9, 70 – vorl. Postsperre § 9, 69 Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) § 9, 262 f.; § 11, 244 ff. – Abschlagsverteilung § 5, 33 – Amtsannahme § 5, 52 – Arbeitnehmer § 5, 23, 53 – Aus- und Absonderungsrechte § 5, 29 – Auslandsbezug § 5, 38 – Auslaufproduktion § 5, 40 – Ausproduktion § 5, 62 ff. – Berufshaftpflichtversicherung § 5, 17 – Betriebsfortführung § 5, 41 ff. – Buchhaltung § 5, 28, 57 f. – Büroausstattung § 5, 16 – Compliance § 5, 19, 51; § 9, 400 – Dienstleister, externe § 5, 15, 49 f. – Eigenverwaltung § 5, 36, 60 f. – Erfolgskontrolle § 5, 20 – Fortbildung § 5, 18 – Gläubigerausschuss § 5, 24 – Gläubigerinformation § 5, 27, 54 – Gutachten § 5, 25 – Höchstpersönlichkeit § 5, 13 f., 46 ff. – Insolvenzplan § 5, 37, 60 f. – Jahresabschlüsse § 5, 59 – Kontaktaufnahme § 5, 52

– Masseverbindlichkeiten § 5, 29, 56 – Qualitätsstandard § 5, 7 ff. – Rechtsentwicklung § 5, 1 ff. – Schlussrechnung § 5, 35 – Sicherungsmaßnahmen § 5, 22 – Tabellenführung § 5, 32 – Treuhandkonten § 5, 26 – Überblick § 5, 11 – Unternehmensveräußerung § 5, 31 – Verfahrensabschluss § 5, 34 – Verwertungshandlungen § 5, 30 – Zertifizierung § 5, 9, 14 Grundschuld – Haftungsverband gem. §§ 1120, 1192 BGB § 28, 107 Grundsteuer – maßgeblicher Zeitpunkt § 28, 114 ff. Grundstück s. a. Betriebsgrundstück – Betriebsgrundstück s. dort – risikoreiche Nutzung § 31, 56 – Versicherungsschutz § 35, 84 ff. Grundstücksherausgabe – Sicherungsanordnung nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO § 28, 101 Gruppenunterstützungskassen § 23, 30 Gutachter s. Sachverständige Gutgläubiger Erwerb – Betriebsgrundstück, nach § 81 InsO i. V. m. § 892 BGB § 28, 47 ff.

Haftpflichtversicherung – Arbeitnehmervertreter § 35, 27 ff. – Betriebshaftpflichtversicherung § 35, 112 ff. – Gläubigerausschuss § 35, 27 ff. – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 10, 41 – Gläubigerausschussmitglieder § 10, 30 – Insolvenzrichter/Rechtspfleger § 35, 35 f. – Insolvenzverwalter § 35, 21 ff., 31 ff. – Insolvenzverwalter, „Umbrella-Cover“ § 35, 120 – Kraftfahrzeuge § 35, 99 – Produkthaftpflichtversicherung § 35, 112 ff. – strafbare Handlungen § 35, 43 – Vermögensschadenshaftpflichtversicherung § 35, 128

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Stichwortverzeichnis Haftung – Gläubigerausschuss § 10, 29 f. – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 10, 41 – Insolvenzverwalter s. Insolvenzverwalter – Haftung – Organe § 38, 123 ff. – Sachwalter § 38, 94 ff. Handlungsstörer § 31, 74 ff.

Immaterialgüterrechte Absonderungsrecht § 32, 94 Arbeitnehmererfindung § 32, 70 f. Domains § 32, 78 Firma § 32, 76 Gebrauchsmusterrrechte § 32, 72 Geschmacksmusterrechte § 32, 73 Insolvenzmasse § 32, 59 Insolvenzverwalter, Pflichten § 4, 21 Know-how § 32, 75 Markenrechte § 32, 74 Nutzung s. Lizenz Patentrechte § 32, 66 ff. Sicherungsrechte § 32, 94 ff. Sicherungsübertragung § 32, 95 ff. Territorialprinzip § 32, 56 Überschuldungsbilanz § 32, 55 Unternehmensgeheimnisse § 32, 77 Urheberrechte § 32, 62 ff. Verpfändung § 32, 95 ff. Verwertbarkeit § 32, 58 Verwertungsrecht, bei Absonderungsbelastung § 32, 60 ff., 95 ff. Informationsbeschaffung § 9, 384 Informationsfreiheitsgesetze – Auskunftsanspruch, ggü. Finanzbehörden § 36, 87 ff. Innenfinanzierung § 8, 4 Insolvenzanfechtung – Anspruchsentstehung § 26, 13 f. – Anspruchsinhalt § 26, 15 ff. – Ausgleichsanspruch des Gesellschafters gem. § 135 Abs. 3 Satz 1 InsO § 28, 171 ff. – Auswirkungen § 26, 6 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 26, 3 ff. – Disponibilität § 10, 3 f. – Durchsetzungspflicht § 26, 18 ff., 30 ff. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

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– Finanzierungsfunktion § 9, 339 – Haftungsschuldner, Auswahl § 26, 34 ff. – Insolvenzverwalter, Haftung § 26, 22, 27 ff., 37 ff. – Krisenvereinbarungen § 1, 45 – Liquiditätseffekt § 26, 10 – Sicherheitenbestellung § 26, 11 – taktische Überlegungen § 26, 3 ff. – Vergleich § 26, 16 f., 23 ff. – Verzicht § 26, 16 f. – Verzicht durch Insolvenzverwalter § 26, 48 ff. – Zweck § 26, 1 f. Insolvenzantrag – D&O-Versicherung § 35, 129 ff. – drohende Zahlungsunfähigkeit § 1, 25 – Eigenantrag § 11, 225 ff. – fakultative Angaben § 9, 38 ff. – Fremdantrag § 9, 46; § 11, 232 – Gestaltungsmöglichkeiten, Schuldner § 14, 18 ff. – Inhalt § 10, 36 – Reformvorschläge § 6, 29 ff. – Steuerungsfunktion § 9, 37 ff. – Verfahrensart § 9, 42 – verpflichtende Angaben § 9, 38 ff. – Vorbereitung § 9, 40 Insolvenzantragsrecht – Fortführungsprognose § 23, 54 – PSVaG § 23, 53, 57 f. – rechnerische Überschuldung § 23, 53 Insolvenzarbeitsrecht – Begriff, Anwendbarkeit § 21, 3, 5 Insolvenzeröffnungsverfahren – Betriebsänderung § 22, 105 – Betriebsfortführung § 3, 43 ff. – Betriebsgrundstück § 28, 1 ff. – Eigenverwaltung § 12, 205 ff. – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 10, 31 ff., 44 ff. – Gläubigerbeteiligung § 10, 44 ff. – Gutachten, Beauftragung § 11, 234 ff. – Interessenausgleich § 22, 97 – M&A-Prozess § 29, 126 ff. – Masseunzulänglichkeit § 27, 24 ff. – Schuldner, Rechtsstellung § 14, 22 ff. – schwacher Insolvenzverwalter, Vorteil/Nachteil § 12, 140 ff.

Stichwortverzeichnis – Steuern, Liquiditätsbelastung § 12, 107 ff. – Übergang z. Insolvenzverfahren § 9, 458 f. – Verhältnis z. Betriebsfortführung § 12, 6 f. – Vorbereitung d. Eröffnung § 12, 145 f. Insolvenzforderungen – Einkommensteuer § 36, 92 ff. – Gewerbesteuer § 36, 190 ff. – Kraftfahrzeugsteuer § 36, 203 ff. – Schadensersatzansprüche § 13, 125 – Vermieter, Schadensersatzanspruch § 28, 164 Insolvenzgeld § 12, 78 ff.; § 23, 17 f. – Durchführungsanweisungen Agentur für Arbeit § 21, 17, 20 – Europarecht § 21, 14 f. – Finanzierungshilfe § 21, 2 – Insolvenzereignis § 21, 13 – Missbrauchsvermeidung § 12, 82 ff. – Voraussetzungen § 21, 12 ff. – Vorschuss § 21, 16 Insolvenzgeldvorfinanzierung § 1, 47 f.; § 12, 80 ff.; § 21, 11 ff. – Eigenverwaltung § 12, 196 f. – Ermächtigung § 11, 162 – im Regelverfahren § 21, 16 ff. – im Schutzschirmverfahren § 21, 19 ff. – im vorl. Verfahren § 9, 325 ff. Insolvenzgericht – Anzeige, Beauftragung externer Dienstleister § 5, 50 – Ermessen, Einschränkung § 9, 80 ff. Insolvenzgericht – Aufgaben – bei Betriebsforführung § 11, 233 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 97 ff. – Gutachten, Beauftragung § 11, 233 ff. – Insolvenzplanzustimmung, Ersetzung § 13, 173 ff. – Insolvenzverwalter, Auswahl § 9, 88 ff. – Sachverständige, Beauftragung § 39, 93 ff. – Schlussrechnung, Prüfung § 39, 90 ff. – Schlussrechnungsprüfung § 37, 8 ff. – Schutzschirmverfahren § 11, 95 ff. – Sicherungsmaßnahmen s. dort

– vorl. Maßnahmen § 9, 47 ff.; s. a. dort – vorläufiger Insolvenzverwalter, Bestellung § 11, 258 ff. Insolvenzgericht – Aufsicht § 11, 105 ff. – Amtsermittlungsgrundsatz § 11, 16 ff. – Amtsermittlungsgrundsatz, Beschränkung durch Insolvenzverwalter/ Gläubiger § 11, 17 ff. – Beginn/Ende § 11, 200 ff. – Begriff § 11, 6 ff. – Berichtsanforderung § 9, 221 ff. – Betriebsfortführung § 11, 223 ff. – Eigenverwaltung § 11, 298 ff. – Einsicht in Konten § 9, 222 ff. – ESUG § 11, 56 ff. – im eröffneten Verfahren § 11, 291 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 11, 162 – Insolvenzplanverfahren § 11, 307 ff. – Insolvenzverwalter § 11, 117 ff., 182 ff. – Insolvenzverwalter, Bestellung § 11, 202 ff. – Intensität § 11, 218 ff. – Listenführung § 11, 51 ff. – Masseverbindlichkeiten § 11, 156 ff. – Masseverbindlichkeiten, Eigenverwaltung § 12, 199 ff. – Rechtsaufsicht § 9, 217 ff. – Rechtsentwicklung § 11, 35 ff. – Schlussrechnung § 11, 284 ff. – Schlussrechnung, Prüfung § 39, 90 ff. – Schutzschirmverfahren § 11, 169 ff. – Überblick § 11, 60 ff. – Zuständigkeit § 11, 24 ff., 215 ff. – Zustimmung b. Stillegung § 9, 226 ff. – Zweck § 11, 134 ff. Insolvenzgericht – Einzelermächtigungen § 11, 262 ff. – § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO § 11, 283 – Altverbindlichkeiten § 11, 281 f. – Einziehungsermächtigung § 11, 280 – Treuhandkonto § 11, 274 ff. Insolvenzgründe – Bericht § 13, 145 – Fixkostenbelastung § 21, 2 – Insolvenzursachen § 13, 22 – Konzerninsolvenz § 18, 14 ff.; § 19, 53 ff. – Personalkostenbelastung § 21, 2

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Stichwortverzeichnis Insolvenzgutachten s. a. Sachverständige – GOI § 5, 25 Insolvenzmasse s. a. Masse – Auffanggesellschaft § 24, 47 ff. Insolvenzordnung – KIG-E § 18, 193 ff.; § 19, 13 – Konzerninsolvenz, Reformvorhaben § 19, 1 ff. – Rechtsentwicklung § 1, 1 ff.; § 3, 32 ff. – Rechtsentwicklung, zukünftige § 1, 56 ff. – Reformvorhaben, Konzerninsolvenz § 18, 193 ff. – Verfahrensgrundsätze § 2, 1 ff., 20 ff.; s. a. dort – Verfahrenszwecke § 3, 32 ff. Insolvenzplan s. a. Sanierungsplan – Annahme § 13, 168 – Ärzte § 33, 34 f. – Auftrag § 10, 64 – betriebliche Altersversorgung § 23, 61 ff., 70 – Bilanzplanung § 13, 64 – Darstellender Teil § 13, 157 ff. – Erstellungsauftrag § 10, 86 – Gestaltender Teil § 13, 164 ff. – GOI § 5, 37, 60 f. – Grundpfandrechte, Ablösung § 28, 203 ff. – Gruppenbildung § 13, 169 ff. – Insolvenzplan, Inhalt/Aufbau § 13, 156 ff. – Insolvenzverfahren, Aufhebung § 13, 178 – Insolvenzverwalter, Pflichten § 4, 13 – M&A-Prozess § 29, 140 ff. – Masseunzulänglichkeit § 27, 79 f. – Mehrheitsentscheidung, Ersetzungskompetenz d. Gerichts § 13, 173 ff. – Musterplan § 13, 180 ff. – Musterplan, Gläubigerverzeichnis § 13, 182 – Musterplan, Gliederung § 13, 180 – Musterplan, GuV § 13, 184 – Musterplan, Liquiditätsrechnung § 13, 185 – Musterplan, Plan-Bilanz § 13, 186 – Musterplan, Vermögensübersicht § 13, 183

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– Musterplan, Verzeichnis d. Massegegenstände § 13, 181 – Musterplan, Verzeichnisse § 13, 181 f. – Plananlagen § 13, 167 – Planinitiativrecht § 13, 155 f. – Rechtsanwälte § 33, 53 ff. – Regelungen § 13, 153 ff. – Reorganisation § 9, 22 ff. – Sanierungsplanung, integrierte § 13, 184 ff. – Schuldner, Initiative § 14, 53 ff. – Teilplanverfahren § 1, 74 ff. – übertragende Sanierung § 9, 18 – Vergütungsvereinbarung § 39, 19 ff. Insolvenzplanverfahren – Abstimmungstermin § 23, 62 f. – Betriebsfortführung § 13, 1 ff. – Gläubigerbeteiligung § 10, 85 f. – Insolvenzgericht, Aufsicht § 11, 307 ff. – Konzerninsolvenz § 18, 103 f.; § 19, 116 ff. – Konzerninsolvenzrecht § 18, 222 ff. – M&A-Prozess § 29, 138 ff. – Planüberwachung § 13, 179 – Rechtsentwicklung § 6, 6 ff. – Schlussrechnung § 37, 3 – zeitlicher Rahmen § 13, 177 Insolvenzreife – Begriff § 7, 19 Insolvenzrichter – Haftpflichtversicherung § 35, 35 f. Insolvenzschuldner s. a. Schuldner – betriebliche Altersversorgung, Wiedereintritt § 23, 80 – D&O-Versicherung § 35, 129 ff. – öffentlich-rechtliche Genehmigungen s. dort – Rechtsschutzversicherung § 35, 140 ff. – Versicherungsschutz, Prüfung § 35, 52 ff., 83 ff. Insolvenzschutz – Höchtsgrenzen § 23, 2 – Rückwirkung § 23, 18 – Voraussetzungen § 23, 4 – Zwei-Jahres-Frist § 23, 2 Insolvenzverfahren – Abschluss, Förderung § 5, 34 – Aufhebung § 13, 178

Stichwortverzeichnis – Aufsicht, gerichtliche § 11, 1 ff., 60 ff., 105 ff. – Betriebsänderung § 22, 106 – Betriebsfortführung § 3, 47 ff. – Betriebsgrundstück § 28, 1 ff. – Betriebsgrundstück, Sicherung § 28, 104 ff. – Einheit des Verfahrens § 2, 27 – Einstellung, Gläubigermitwirkung § 10, 63 – Entschuldung § 2, 28 – Eröffnung, Vorbereitung § 12, 145 f. – Formalisierung § 2, 25 – Geldliquidation § 2, 24 – Gläubigerautonomie § 2, 26 – Gläubigerbefriedigung, gleichmäßige § 2, 20 – Gläubigerbeteiligung § 10, 60 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren s. dort; s. EuInsVO – Insolvenzgericht, Aufsicht § 11, 291 ff. – Interessenausgleich § 22, 98 – Kleinbetriebe § 9, 407 f. – Konzernunternehmen § 9, 401 ff. – Lizenzgeber § 32, 80 ff. – Lizenznehmer § 32, 90 ff. – M&A-Prozess § 29, 140 ff. – Nachforderung § 2, 28 – öffentlich-rechtliche Genehmigungen § 30, 1 ff. – PSVaG § 23, 69 – Rechtsenwicklung § 1, 1 ff. – Schuldner, Rechtsstellung § 14, 41 ff. – Universalität § 2, 21 ff. – Verfahrensgrundsätze § 2, 1 ff., 20 ff.; s. a. dort – Verfahrensziele § 27, 1 ff., 12, 35 – Verhältnis z. Betriebsfortführung § 12, 8 ff., 147 ff. – Versicherungsnehmer § 35, 79 – Verwaltungs-/Verfügungsbefugnis, Übergang § 14, 41 ff. Insolvenzverfahren, vorläufiges s. Insolvenzeröffnungsverfahren Insolvenzvermerk – Grundbuch § 28, 20 ff. Insolvenzverwalter s. a. Vorläufiger Insolvenzverwalter – Abwahl § 10, 50, 63

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Abwicklungsmannschaft § 23, 43 Akteneinsichtsrecht § 36, 85 f. Arbeitgeberposition § 4, 16 Arbeitnehmer, Freistellung § 12, 168 Arbeitnehmer, Kündigung gem. § 113 InsO § 21, 61 ff. Arbeitnehmer, Nachkündigung § 21, 64 ff. Aufsicht § 10, 54 ff., 62, 65, 67, 68; s. a. Insolvenzgericht – Aufsicht Aufsicht, gerichtliche § 11, 117 ff. Auskunftsanspruch, ggü. Finanzbehörden § 36, 87 ff. Ausstattung § 9, 272 ff. Beruf § 4, 1 f. Berufshaftpflichtversicherung § 5, 17 Bestimmung durch Gläubiger § 4, 47 Betriebsfortführung, Beendigung § 12, 174 ff. Betriebsfortführung, Entscheidungsgrundlagen § 1, 11 ff. Betriebsgrundstück, Verwertungsbefugnis § 28, 177 ff. Büroausstattung § 5, 16 Dienstleister, externe § 5, 49 f.; s. a. dort Dienstleister-/Beratereinsatz, Vergütung § 39, 75 ff. Entlassung § 10, 63 Entlastung § 38, 90 ff. Erfüllungswahlrecht § 27, 50 Freiberufler, Betriebsfortführung § 33, 16 f., 58 f. GOI § 9, 262 f. grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 64 ff., 78 ff., 87 ff.; s. a. dort Kommunikation § 15, 1 ff. Kommunikation mit d. Schuldner § 16, 1 ff. Kontrolle durch Gläubiger § 11, 63 ff., 192 ff. Masseunzulänglichkeit § 12, 147 ff. Masseverbindlichkeiten, Begründung § 12, 147 ff. Mitarbeiter § 9, 273 Organisation § 9, 272 ff. PSVaG § 23, 41, 46, 66 psychologische Aspekte § 16, 1 ff.

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Stichwortverzeichnis – Qualitätsmangagement/Zertifizierung § 9, 259 ff. – Sonderinsolvenzverwalter § 11, 323 ff. – Sonderkonten § 23, 47 – Tilgungsbestimmungsrecht § 28, 158 ff. – Unternehmerfunktion § 4, 34 ff. – Verwaltungs-/Verfügungsbefugnis, Übergang § 14, 41 ff. – vorläufiger s. Vorläufiger Insolvenzverwalter – Wirksamkeit v. Handlungen § 4, 40 – Zusammenarbeit, m. Pressesprecher § 15, 27 ff. Insolvenzverwalter – Auswahl/Bestellung § 11, 202 ff. – Amtsannahme § 5, 52 – Anforderungsprofil § 10, 49 – Bestimmung durch Gläubiger § 4, 47 ff. – diplomatisches Geschick § 4, 37 – ESUG § 4, 47 ff. – Geeignetheit § 4, 3 f. – Geschäftskundigkeit § 4, 3 f. – Gläubigerausschuss, vorl. § 10, 44 ff.; § 11, 85 ff. – GOI § 9, 262 f. – juristische Personen § 4, 62; § 9, 171 – Kommunikationsfähigkeit § 4, 36 f. – persönliche Integrität § 4, 4 – PSVaG § 23, 48, 50 – Qualitätsmangagement/Zertifizierung § 9, 259 ff. – Softskills § 4, 32 – Unabhängigkeit § 4, 3; § 10, 48 – Verhaltenskodex § 4, 42 ff. – Vorauswahlliste § 9, 169 ff.; § 11, 51 ff. Insolvenzverwalter – Haftung § 10, 68 – § 60 InsO § 27, 46 ff. – § 61 InsO § 27, 64 ff. – Arbeitnehmer, Freistellung § 12, 168 – Berichtspflicht, Gläubigerversammlung § 38, 74 ff. – Bescheinigung nach § 270b InsO § 6, 47 – Betriebsfortführung, fehlerhafte Entscheidung § 38, 40 ff. – Betriebsfortführung, Risiken § 2, 43 ff. – entgangener Gewinn § 27, 69

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– Entlastung § 38, 90 ff. – Entscheidungskompetenz § 10, 65 f., 84 – Ersatzansprüche § 4, 41 – Exkulpation § 27, 66 ff. – Gläubigerausschuss, Zusammenarbeit § 38, 69 ff. – Grundsätze § 38, 1 ff. – Haftpflichtversicherung § 35, 21 ff., 31 ff. – Haftpflichtversicherung, „UmbrellaCover“ § 35, 120 – Handeln, gegen Gläubigerentscheidung § 10, 65 – Insolvenzanfechtung § 26, 22, 27 ff., 37 ff. – Insolvenzanfechtung, Verzicht § 26, 48 ff. – insolvenzrechtliche § 38, 36 ff., 82 ff. – Konzerninsolvenz § 18, 107 – Masseunzulänglichkeit § 12, 147 ff. – Masseunzulänglichkeit, Anzeige § 38, 62 ff. – negatives Interesse § 27, 69 – Obliegenheitsverletzungen § 35, 170 – persönliche § 27, 64 f. – Risiko, Zustimmungseinholung § 10, 59 – Schadensersatzanspruch d. Gläubiger § 38, 83 ff. – Steuern § 36, 80 ff. – strafbare Handlungen § 35, 43 – Tatbestände, Abgrenzung § 38, 87 ff. – Tatbestände, allgemeine § 38, 7 ff. – Tatbestände, insolvenzrechtliche § 38, 2 ff. – Treuebruch § 26, 39 ff. – unternehmerische Entscheidungen § 38, 50 ff. – Vermeidung, Gläubigerzustimmungseinholung § 10, 75 ff. – Vermögensschaden § 26, 47 – Verschuldensmaßstab § 12, 169 ff. – Verträge, Beendigung § 12, 167 – Vertrauensschadensversicherung § 35, 41 ff. – verwertungsbezogene Entscheidungen § 38, 45 ff. – Wirksamkeit v. Handlungen § 4, 40

Stichwortverzeichnis Insolvenzverwalter – Pflichten § 11, 123 ff. – Außendarstellung § 4, 49 – Berichte § 10, 55 f., 60 ff. – Betriebs, Rechte § 4, 20 – Betriebsfortführung, fehlerhafte Entscheidungen § 38, 40 ff. – Compliance § 5, 19, 51 – Controlling § 4, 12 – Dienstleister, externe § 5, 15 – Erfolgskontrolle § 5, 20 – Finanzplanung § 4, 11 – Fortbildung § 5, 18 – Fortführungspflicht § 27, 4 – Gläubigerausschuss, Zusammenarbeit § 38, 69 ff. – Gläubigerinformation § 5, 27, 54; § 10, 13 – Gläubigerversammlung, Berichtspflicht § 38, 74 ff. – Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung § 11, 55, 244 ff.; s. a. dort – Höchstpersönlichkeit § 5, 13 f., 46 ff. – Insolvenzanfechtung § 26, 18 ff. – Insolvenzgericht, Aufsicht § 11, 182 ff. – Insolvenzgutachten § 5, 25 – Insolvenzplan § 4, 13 – insolvenzspezifische § 27, 8 – Jahresabschlüsse § 5, 59 – Kassenführung § 10, 57 – Kommunikation, Arbeitnehmer § 5, 23, 53 – Liquiditätsplanung § 4, 11 – M&A-Prozess § 4, 13 – Masseunzulänglichkeit, Anzeige § 38, 62 ff. – Mitteilungspflicht § 23, 44 – Mitwirkungspflicht § 23, 43 – Öffentlich-rechtliche Pflichten § 4, 22 f. – Rechnungslegung § 10, 63; § 36, 1 ff., 24 ff.; s. a. Buchführungspflicht; Jahresabschluss; Steuern – Rechtsschutzversicherung, Schutzbereich § 35, 143 ff. – Schlussrechnungslegung § 39, 88 – Sozialversicherungsrechtl. Pflichten § 4, 18

– Steuerpflicht § 4, 24 f. – Überblick § 4, 10 ff. – unternehmerische Entscheidungen § 38, 50 ff. – Verfahrensabschluss, Beschleunigung § 5, 34 – Versicherungen, Vertragspflichten § 35, 60 ff. – Versicherungsschutz, Prüfung § 35, 52 ff., 83 ff., 167 – Versicherungsvertrag, Beendigung § 35, 168 – Versicherungsvertrag, Neuabschluss § 35, 169 – verwertungsbezogene Entscheidungen § 38, 45 ff. Insolvenzverwalter – Vergütung – Angemessenheit § 39, 5 ff. – Antrag § 39, 17, 81 ff. – Berechnungsgrundlage, Bestimmung § 39, 30 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 39, 27 ff. – Dauer d. Fortführung § 39, 38 – Erhöhungstatbestände § 39, 36 ff., 49 ff. – Grundsätze § 39, 1 ff., 24 ff. – Konzerninsolvenzrecht § 18, 184 ff., 233 ff. – Massemehrung, fehlende § 39, 39 f. – Masseverbindlichkeiten, Abzug § 39, 31 ff. – rechtliches Gehör § 39, 18 – Sachverständige, Beauftragung § 39, 93 ff. – Unternehmensgröße § 39, 36 f. – Vereinbarung, Insolvenzplan § 39, 19 ff. – Vergütungsbestimmung § 39, 1 ff., 13 ff. – Vergütungsfestsetzung § 39, 16 – vorl. Verwalter § 39, 56 ff. – Vorschuss § 39, 12 – Vorschusszahlungen § 39, 53 ff. – Zuschlagsgewährung § 39, 36 ff. – Zuschlagsgewährung f. Fortführungsgewinn § 39, 41 ff. – Zuschlagsgewährung f. Sanierungsbemühungen § 39, 47 ff.

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Stichwortverzeichnis Insolvenzverwalter, schwacher – Vorteil/Nachteil § 12, 140 ff. Insolvenzverwalter, starker – Vorteil/Nachteil § 12, 140 ff. Insolvenzverwalter, vorläufiger s. Vorläufiger Insolvenzverwalter Insolvenzwarenverkauf – Betriebsfortführung § 32, 16 ff. – Fallgruppen nach aktuellem Recht § 32, 12 ff. – Irreführung § 32, 13 ff. – Preissenkungen ohne Ausverkauf § 32, 23 ff. – Rechtslage nach UWG bis 2004 § 32, 7 f. – Rechtslage nach UWG nach 2004 § 32, 10 ff. – Rückkehr zu alten Preisen § 32, 31 ff. – Sonderveranstaltung § 32, 9 f. – Tranzparenzgebot, Beschränkung auf bestimmte Waren § 32, 47 ff. – Tranzparenzgebot, Betriebsfortführung § 32, 43 – Tranzparenzgebot, dauerhaft geltende Preise § 32, 41 – Tranzparenzgebot, fehlender zeitlicher Rahmen § 32, 44 ff. – Tranzparenzgebot, Preisnachlässe § 32, 42 – Tranzparenzgebot, unlauteres Handeln § 32, 39 – Verkaufsförderungsmaßnahme § 32, 39 ff. – Verschweigen der Insolvenz § 32, 35 ff. – Zukauf von Waren § 32, 27 ff. – Zwischenhändler § 32, 11 Interessenausgleich § 22, 96 ff. – Abweichung § 22, 183 ff. – Betriebsrat, Beteiligung § 22, 127 – betriebsratslose Betriebe § 22, 129 – Darlegungs- u. Beweislast § 22, 184 – dreiwöchige ergebnislose Verhandlungen § 22, 188 – Eigenverwaltung § 22, 99 – Einigungsstelle § 22, 191 – Erfordernis einer Betriebsänderung § 22, 131 – erneute Verhandlung mit dem Betriebsrat § 22, 186

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eröffnetes Verfahren § 22, 98 Eröffnungsverfahren § 22, 97 freiwilliger § 22, 132 Gegenstand § 22, 122 Gemeinschaftsbetrieb § 22, 104 Gesamtbetriebsrat § 22, 127 im Eröffnungsverfahren § 22, 137 keine Betriebsvereinbarung § 22, 123 nach § 125 InsO § 22, 121 nach Verfahrenseröffnung § 22, 136 nach Zustimmungsbeschluss § 22, 119 – Nachteilsausgleich § 22, 100, 118, 182, 192 ff.; s. a. dort – nachträglich entstandene oder erkennbar gewordene Umstände § 22, 183 – unterbliebener Versuch § 22, 187 ff. – Verbindung mit Sozialplan § 22, 134, 137 – Vermittlungsversuch des Präsidenten des Landesarbeitsamtes § 22, 106 – vor Ausspruch der Kündigung § 22, 133 – Voraussetzungen § 22, 126 – wesentliche Änderung der Sachlage § 22, 157 – Zeitpunkt § 22, 133 – Zusammenlegung von Betrieben § 22, 127 – Zustandekommen § 22, 126 ff. – zuständiges Betriebsverfassungsorgan § 22, 102 – Zustimmung des ArbG zur Betriebsänderung § 22, 188 – Zustimmung des ArbG zur Kündigung § 22, 189 – Zweifelsfälle § 22, 130 Interessenausgleich mit Namensliste § 22, 123 ff. – Abteilungen § 22, 138 – Aufstellung der Namensliste § 22, 128 – Beschäftigungsmöglichkeit zu veränderten Bedingungen § 22, 142 – Beschlussverfahren nach § 126 InsO § 22, 158 ff.; s. a. Arbeitsgericht – Beschlussverfahren nach § 126 InsO – Beweislast § 22, 143 – Darlegungslast des Insolvenzverwalters § 22, 125 – – – – – – – – – – –

Stichwortverzeichnis – die zu entlassenden Arbeitnehmer § 22, 140 – Entlassungsliste § 22, 141 – Fehlen von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten § 22, 142 – Geburtsdatum § 22, 138 – Kündigungsschutzverfahren § 22, 123 – Namensliste als Anlage § 22, 139 – Namensliste, Anforderungen § 22, 138 ff. – Prozessrisiken § 22, 124 – schriftlich § 22, 139 – Vermutung dringender betrieblicher Erfordernisse § 22, 142 – Verteilungsliste des Sozialplanes § 22, 141 – Vor- und Nachnamen § 22, 138 – widerlegbare Vermutung § 22, 143 – Wirkung § 22, 142 ff. Internationales Insolvenzrecht s. a. Europäisches Insolvenzrecht; Konzerninsolvenzrecht – Konzerninsolvenz § 18, 172 ff. – Regelungen der InsO § 19, 51 f. Interview – Fangfragen § 15, 56 – für Hörfunk und Fernsehen § 15, 57 ff. – für Print-Produkte § 15, 56 Investoren – Interessenten, M&A-Prozess § 29, 90 ff.

Jahresabschluss – GOI § 5, 59 – Offenlegung § 36, 31 ff. – Prüfungspflicht § 36, 37 ff. Journalisten – Arbeitsweisen § 15, 92 ff. Juristische Personen – Insolvenzverwalter, Eignung § 9, 171

Kapitalaufbringung – – – – – – –

Auffanggesellschaft § 24, 27 ff. Aufgeld § 24, 31 Bewertung der Sacheinlage § 24, 30 Debt-Equity-Swap § 24, 35 ff. Differenzhaftung § 24, 29 Ertragswert § 24, 30 Forderungseinbringung, Bewertung § 24, 39 ff.

– Kapitalrücklage § 24, 31 – Liquidationswert § 24, 30 Kapitalerhöhung – als Finanzierungsinstrument § 8, 33 ff. – Debt-Equity-Swap § 24, 35 ff. Kapitalertragsteuer § 36, 106 ff. Kapitalmaßnahmen – Gesellschafterversammlung, Kosten § 14, 67 – Schuldner § 14, 66 f. Kapitalschnitt – als Finanzierungsinstrument § 8, 42 ff. Kapitalzahlungen – PSVaG § 23, 47 Kassenführung – Sachwalter § 6, 36 Kassenprüfung § 10, 57 Kennzahlen – Krisenanalyse § 7, 21 f. Kleinbetriebe § 9, 407 f. Know-how – Insolvenzmasse § 32, 75 – Know-how-Lizenzvertrag § 32, 75 – Nutzungsrecht § 32, 75 – schuldrechtlicher Anspruch § 32, 75 Kommunikation § 9, 341 – Ablauf/Inhalte § 15, 73 ff. – Allgemeines § 15, 1 ff. – Arbeitnehmer § 9, 377 – Coaching § 9, 457 – Deutungshoheit § 15, 10 – ESUG § 15, 13 ff. – Insolvenzverwalter § 5, 23, 53 – LEAN-Management § 17, 1 ff. – One Voice Policy § 15, 27 – schuldnerbezogene § 16, 1 ff. – Sonderfall Insolvenz § 15, 9 ff. – Stakeholder § 9, 246 – Störfaktoren, Handlungsoptionen § 15, 83 – Teambesprechungen § 9, 397 – wichtigste Regeln § 15, 85 Kommunikation, externe § 9, 454 ff. – Allgemeines § 15, 44 – Fußballvereine, insolvente § 33, 124 ff. – Hintergrundgespräch § 15, 55 – Journalisten, Arbeitsweisen § 15, 92 ff.

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Stichwortverzeichnis – mit Gläubigern § 10, 2 f., 28, 60 ff. – Öffentlichkeit § 9, 344 – Pressekonferenz § 15, 52 ff. – Pressekonferenzen § 9, 454 ff. – Pressemitteilung § 15, 47 ff. – Presseverteiler § 15, 45 ff. Kommunikation, interne – Abteilung, Organisation § 15, 21 ff. – Allgemein § 15, 34 ff. – Arbeitnehmer § 9, 447 ff. – Intranet/Mitarbeiterportal § 15, 37 ff. – Mitarbeiterinformationsschreiben § 15, 36 – Mitarbeiterversammlung § 15, 41 – Mitarbeiterzeitschrift/Newsletter § 15, 42 Kommunikationsfähigkeit – Insolvenzverwalter § 4, 36 f. Kommunikationsverantwortliche – Bindeglied, Unternehmen/Zielgruppen § 15, 20 ff. – Pressesprecher § 15, 24 ff. Konkursordnung – Rechtsentwicklung § 3, 1 ff. Kontoführung – Gläubigermitwirkung § 10, 67 Kontokorrentkredit – als Finanzierungsinstrument § 8, 79 f. Konzern – Begriff § 18, 2 ff.; § 19, 1 – Bürgschaften § 18, 17 ff. – Cashpooling § 18, 25 ff.; § 19, 56 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 27 ff., 63 ff.; s. a. dort; s. a. EuInsVO – Patronatserklärung § 18, 21 ff. – Rangrücktrittserklärung § 18, 34 ff. – Überschuldung § 19, 61 – Unternehmensverträge § 18, 31 ff., 41 – Zahlungsunfähigkeit § 19, 56 ff. – Zahlungsunfähigkeit, drohende § 19, 62 Konzerninsolvenzrecht s. a. Europäisches Insolvenzrecht; Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren – Anwendungsbereich § 18, 10 ff. – ausländische Insolvenz, Drittstaaten § 18, 172 ff. – Begriff § 19, 8

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– Begriffsbestimmungen § 19, 6 ff. – Beteiligte, Interessenlagen § 18, 8 f.; § 19, 23 ff. – Beteiligungsveräußerung § 18, 69 ff. – Betriebsfortführung § 18, 12 ff.; § 19, 23 ff., 36 ff. – Betriebsfortführung, Planungsparameter § 19, 66 ff. – Betriebsfortführung, steuerliche Aspekte § 19, 94 ff. – Betriebsfortführung, Voraussetzungen § 19, 63 ff. – bilanzielle Bereinigung § 18, 57 ff. – COMI § 18, 155; § 20, 27 ff. – Eigenverwaltung § 18, 80 ff., 108; § 19, 119 ff. – EuInsVO § 19, 41 ff.; s. a. dort – EuInsVO, Anwendungsbereich § 18, 149 ff. – EuInsVO, Bedeutung für inländische Konzerne § 18, 154 ff. – europäisches § 20, 63 ff. – Fortführungsmöglichkeit § 19, 63 ff. – Gesetzgebungsansätze § 18, 1 ff. – Gläubigerbeteiligung § 18, 89, 98 ff., 148 – Gläubigerbeteiligung, Vergütung § 18, 192 – Gruppen-Koordinationsverfahren § 20, 71 ff. – inländisches Verfahren, Drittstaatenbezug § 18, 181 ff. – Insolvenzgerichte, Zuständigkeit § 18, 137 f. – Insolvenzgründe § 18, 14 ff.; § 19, 53 ff. – Insolvenzplanverfahren § 18, 73 f., 103 f.; § 19, 116 ff. – Insolvenzverwalter, einheitlicher bei mehreren Verfahren § 18, 139 ff., 190 f. – Insolvenzverwalter, Haftung § 18, 78 f., 107 – Insolvenzverwalter, Mitwirkungspflichten § 18, 93 ff. – Intercompany Loans § 19, 81 – Kernprobleme § 19, 33 ff. – kollisionsrechtliche Aspekte § 18, 156 ff.

Stichwortverzeichnis – Konzern, Aufrechterhaltung § 19, 64 ff. – Konzern, Begriff § 18, 2 ff.; § 19, 1 – Konzernleitungsmacht § 18, 52 ff., 84 ff., 91 – Konzernmutter, Insolvenz § 18, 48 ff. – Konzernumlagen § 19, 84 ff. – Kooperations-/Kommunikationspflicht § 20, 63, 67 ff. – Koordination § 20, 46 ff., 70 ff. – Leistungsbeziehungen, Anpassung § 19, 80 ff. – Lenkung/Steuerung § 18, 46 ff. – Liquiditätsplanung § 18, 60 ff., 101 f. – Muttergesellschaft, Insolvenz § 19, 114 – Rechtsentwicklung § 1, 89 – Reformvorhaben § 19, 1 ff., 127 ff. – Reformvorhaben, Gruppenbegriff § 18, 196 ff. – Reformvorhaben, Gruppengerichtsstand § 18, 206 ff. – Reformvorhaben, Insolvenzplanverfahren § 18, 222 ff. – Reformvorhaben, Insolvenzverwalter § 19, 102 ff., 106 ff. – Reformvorhaben, Konsolidierung § 18, 199 f.; § 19, 135 ff. – Reformvorhaben, Konzerninsolvenz § 18, 193 ff. – Reformvorhaben, Konzernisolvenzverwalter § 18, 204 f. – Reformvorhaben, Kooperation § 18, 206 ff. – Reformvorhaben, Synopse § 18, 194 f. – Reformvorhaben, Verfahrenkoordination § 18, 213 ff. – Regelinsolvenzverfahren § 19, 53 ff. – Tochtergesellschaft, Insolvenz § 18, 90 ff.; § 19, 115 – Unternehmensverträge § 19, 70 ff. – verbundene Unternehmen, Einzelbetrachtung § 18, 13 ff. – verbundene Unternehmen, Insolvenz mehrerer § 18, 111 ff. – Verfahrenkoordination § 18, 117 ff., 161 ff. – Verflechtung § 19, 84 ff.

– vergütungsrechtliche Aspekte § 18, 184 ff., 233 ff. – vorl. Insolvenzverfahren § 18, 75 ff., 105 f. Konzernunternehmen – Betriebsfortführung § 9, 401 ff. Konzession § 9, 442; § 30, 4 ff.; s. a. Öffentlich-rechtliche Genehmigung Korruption § 9, 425 f. Kraftfahrzeugsteuer – Fahrzeugveräußerung § 36, 208 ff. – Insolvenzforderungen § 36, 203 ff. – insolvenzfreie Fahrzeuge § 36, 211 – Masseverbindlichkeiten § 36, 206 ff. Kraftfahrzeugversicherung – Haftpflichtversicherung § 35, 99 – Kasko § 35, 100 f. Kreditrahmen § 8, 75 Kreditversicherung § 35, 151 f. Krisenanalyse s. a. Betriebswirtschaftliche Analyse – ABC-Analyse § 7, 25 – Erfolgskrise § 7, 17 – Insolvenzreife § 7, 19 – Kennzahlen § 7, 21 f. – Liquiditätskrise § 7, 18 – Methoden § 7, 20 ff. – Produkt- und Absatzkrise § 7, 16 – Stakeholderkrise § 7, 14 – Strategiekrise § 7, 15 – SWOT-Analyse § 7, 23 Krisenstadium – Analyse § 7, 1 ff.; s. a. Betriebswirtschaftliche Analyse – Arbeitnehmer § 9, 377 – Arten § 7, 9 ff. – Fortführungsentscheidung § 7, 7 ff. – LEAN-Management § 17, 1 ff. – M&A-Prozess § 29, 117 ff. – psychologische Aspekte § 16, 1 ff.; § 17, 1 ff. – Sanierungsfähigkeitsbescheinigung § 13, 13 – Sanierungskonzept § 13, 13 ff. – Sanierungskonzept, Vorarbeiten § 13, 12 ff. – Unternehmensführung § 9, 341 ff. – Unternehmenskrise § 13, 17 Krisenursachen – Analyse § 9, 291 ff.; § 13, 22 ff.

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Stichwortverzeichnis externe Faktoren § 13, 23 ff. Insolvenzursachen § 13, 22 interne Faktoren § 13, 23 ff. Kennzahlen § 13, 27 Krisenverlauf § 13, 20 Stärken- und Schwächenanalyse § 13, 27 Kunden – Absicherung, im vorl. Verfahren § 12, 136 ff. – Einbeziehung § 12, 74 – Verträge, Fortführungsvereinbarung § 34, 33 ff.; s. a. Fortführungsvereinbarung Kündigungsschutz – befristete Arbeitsverhältnisse § 21, 58 – Berufsausbildungsverhältnisse § 21, 56 f. – Betriebsrat § 21, 52 – Elternzeit § 21, 51 – gesetzlicher Kündigungsschutz § 21, 51 ff. – Mutterschutz § 21, 51, 53 – Schwerbehinderte § 21, 51 – tariflicher Ausschluss d. Kündigungsrechts § 21, 60 – vertraglicher Ausschluss d. Kündigungsrechts § 21, 59 Kündigungssperre – gemietetes oder gepachtetes Grundstück § 28, 95 ff. – – – – – –

Lastschriften – Widerruf § 9, 336; § 12, 97 ff. LEAN-Management § 17, 1 ff. Leasing – als Finanzierungsinstrument § 8, 88 ff. Leistungsklage – Masseunzulänglichkeit § 27, 61 – Nachteilsausgleich § 22, 206 Leistungsträger – Sozialauswahl § 21, 92 Leistungswirtschaftliche Analyse – Betriebsfortführung § 12, 25 Lieferantenkredit – als Finanzierungsinstrument § 8, 78 Lieferverträge – Eigenverwaltung § 12, 195 – Lösungsklauseln § 12, 117 ff.

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– Verträge, Fortführungsvereinbarung § 34, 33 ff.; s. a. Fortführungsvereinbarung – Zulieferer, Automotivebereich § 34, 1 ff.; s. a. Fortführungsvereinbarung Liquidation – Auslaufproduktion § 9, 13 – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 9, 13 – Verfahrensziel § 9, 11 – Verhältnis z. Betriebsfortführung § 3, 25 ff. Liquidationsszenario § 12, 178, 185 f. Liquidationswert – M&A-Prozess § 29, 55 ff. Liquidität – Anfangsliquidität § 12, 68 ff. Liquiditätskrise – Begriff § 7, 18 Liquiditätsplanung § 8, 9 ff.; § 9, 296 ff.; § 12, 43 ff.; § 13, 64 – Beispiel § 12, 46 – Betriebsfortführung, Beendigung § 12, 185 f. – Insolvenzplan, Muster § 13, 185 – Insolvenzverwalter, Haftung § 27, 68 – Insolvenzverwalter, Pflichten § 4, 11 Lizenzen – ausschließliche § 32, 84 – Aussonderung (ausschließliche) § 32, 84 – dinglicher Charakter § 32, 84, 86 f. – Doppeltreuhand § 32, 88 – einfache § 32, 85 ff. – Erfüllungswahlrecht § 32, 80 ff. – Gesetzgebungsvorhaben § 32, 93 – Insolvenz Lizenzgeber § 32, 80 ff. – Insolvenz Lizenznehmer § 32, 90 ff. – Insolvenzplan § 32, 92 – Lizenzgebühr § 32, 90 – Nießbrauchrecht § 32, 88 – Sicherungsübertragung § 32, 88 – Sicherungsverpfändung § 32, 88 – Sukzessionsschutz § 32, 87 – Übertragbarkeit § 32, 58 – Wahlrecht § 32, 80 ff. – Zustimmung zur Übertragung § 32, 91 Lizenzvertrag – Erfüllungswahlrecht § 32, 80 ff.

Stichwortverzeichnis – Insolvenzbeschlag § 32, 59 – Lizenzgebühr § 32, 90 – schuldrechtlicher Anspruch § 32, 59 Lohn – Rückstände § 9, 451 – Verzicht § 9, 446 ff. Lohnforderungen – Finanzierung § 21, 1, 69 – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 41 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 21, 11 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung im Schutzschirmverfahren § 21, 19 ff. – Verfrühungsschaden § 21, 67 f. Lokaljournalisten – Sonderfall § 15, 43 Lösungsklauseln § 12, 116 ff.

M&A-Prozess

s. Mergers & Acquisitions Management – Analyse § 13, 27 f. Management-Buy-out – Zustimmung der Gläubigerversammlung § 10, 77 Markenrechte – Ansprüche aus Markenrechtsverletzung § 32, 74 – Insolvenzmasse § 32, 74 Maschinen – Versicherungsschutz § 35, 102 Masse – Begriff § 25, 6 – Betriebsgeheimnis § 32, 77 – Domain § 32, 78 – Firma § 32, 76 – Markenrechte § 32, 74 – Patentrechte § 32, 66 – Urheberrechte § 32, 62 ff. – Verteilungsreihenfolge § 27, 41 Massedarlehen – als Finanzierungsinstrument § 8, 60 ff. – Besicherung § 8, 62 ff. – Genehmigung des Gläubigerausschusses § 8, 74 – Gläubigermitwirkung § 10, 73 – im Schutzschirmverfahren § 8, 67 – Kündigung § 8, 73 – Laufzeit § 8, 73

– und Einzelermächtigung § 8, 64 – und Insolvenzanfechtung § 8, 69 Massegegenstände – Insolvenzplan, Muster § 13, 182 – Verzeichnis § 13, 140 f. Massegläubiger – Altmassegläubiger § 27, 11, 32, 34 f., 40 – Leistungsklage § 27, 61 – Neu-/Altmassegläubiger § 27, 18 – Neumassegläubiger § 27, 11, 34, 40 – oktroyierte § 27, 21, 27, 47 Massenentlassung – Anzeige § 21, 122 ff. – Aufhebungsvertrag § 21, 125 – Betriebsratsstellungsnahme § 22, 45 ff. – Betriebsratsstellungsnahme, bestandskräftiger Verwaltungsakt § 22, 55 – Betriebsratsstellungsnahme, Entbehrlichkeit § 22, 48 ff. – Betriebsratsstellungsnahme, Glaubhaftmachung § 22, 51 – Betriebsratsstellungsnahme, Heilung von Fehlern § 22, 54 ff. – Betriebsratsstellungsnahme, Inhalt § 22, 52 f. – Betriebsratsstellungsnahme, Wirksamkeitsvoraussetzung f. Massenentl. § 22, 47 – Entlassungssperre § 21, 135 f. – fehlerhafte, Rechtsfolgen § 21, 137 f. – Form/Inhalt § 21, 131 ff. – Konsultationspflicht § 21, 122 ff. – Konsultationsverfahren § 22, 39 ff. – Konsultationsverfahren, Entwurf des Interessenausgleiches § 22, 43 – Konsultationsverfahren, Form § 22, 41 ff. – Konsultationsverfahren, Zeitpunkt § 22, 44 – Massenentlassungsanzeige § 22, 37 ff. – Verfahren § 21, 122 ff. Masseschädigung – Vertrauensschadensversicherung § 35, 44 ff. Masseunzulänglichkeit – Abwicklungspflicht § 27, 30 – Anzeige § 27, 11, 26 f., 41 – Anzeige, erneute § 27, 83

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Stichwortverzeichnis Anzeige, Wirkungen § 27, 28 ff. Anzeigepflicht § 38, 62 ff. Aufrechnungserklärung § 27, 62 Auswirkungen auf Betriebsfortführung § 27, 43 ff. – Berechnung § 27, 12, 25 – Beseitigung § 27, 82 – Betriebsfortführung, Beendigung § 12, 181 ff. – drohende § 27, 10 f., 45 – Ermittlung § 27, 8 ff. – Feststellungsklage § 27, 60 – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 113 f. – Insolvenzeröffnungsverfahren § 27, 24 ff. – Insolvenzplan § 27, 79 f. – Insolvenzverwalter, Haftung § 12, 147 ff. – Leistungsklage § 27, 61 – prozessuale Auswirkungen § 27, 58 ff. – Veröffentlichung § 27, 31 – Verträge, gegenseitige § 27, 49 ff. – Wirkungen § 27, 28 ff. Masseverbindlichkeiten – Absicherung § 12, 123 ff. – Begründung, im vorl. Insolvenzverfahren § 12, 123 ff. – Dauerschuldverhältnisse § 27, 49 ff.; § 28, 119 ff. – Eigenverwaltung § 9, 315 ff.; § 12, 199 ff., 209 ff. – Eigenverwaltung, vorläufige § 6, 38 ff.; § 27, 75 ff. – Eigenverwaltungsverfahren § 11, 156 ff. – Einkommensteuer § 36, 92 ff. – Einzelermächtigungen § 9, 130 ff. – Entstehungszeitpunkt § 27, 14 – Ermächtigung d. Schuldners § 14, 32 ff. – Gewerbesteuer § 36, 190 ff. – GOI § 5, 29, 56 – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 104 ff. – Grundstück, Freigabe § 28, 212 ff. – Grundstück, freihändiger Verkauf § 28, 189 ff. – Kraftfahrzeugsteuer § 36, 206 f. – Nachteilsausgleich § 22, 206 – – – –

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– oktroyierte § 12, 166 ff.; § 27, 21, 27, 47 – Risiken, Masseunzulänglichkeit § 12, 147 ff. – Sachwalter, Haftung § 38, 108 f. – Sanierungsplan § 13, 113 f. – Schuldner, Ermächtigung § 1, 49 ff. – Schutzschirmverfahren § 9, 315 ff.; § 27, 78 – schwacher Insolvenzverwalter, Vorteil/Nachteil § 9, 167 f.; § 12, 140 ff. – Treuhandmodelle § 12, 131 ff. – Umsatzsteuer § 12, 112 – unechte § 27, 22 – Versicherungsverträge § 35, 49 ff. – Verträge, gegenseitige § 27, 49 ff. – vorl. Insolvenzverwaltung § 9, 237 ff. Material – Sanierungsinstrumente § 7, 41 ff. Medien s. a. Interview; Kommunikation – Allgemeines § 15, 86 ff. – Internet § 9, 454 ff. – Journalisten, Arbeitsweisen § 15, 92 ff. – Pressesprecher § 15, 30 ff.; s. a. dort – Printmedien § 9, 454 ff. – Rundfunk, Fernsehen § 9, 454 ff. – Social Media § 15, 61 ff.; s. a. dort – unfaire Berichterstattung § 15, 84 Mergers & Acquisitions – Ablauf § 29, 21 ff. – Ansprachedokumentation § 29, 85 ff. – Asset Deal § 29, 119 f. – Auktion § 29, 19 ff., 26 ff. – Bedeutung § 29, 11 ff. – Begriff § 29, 1 ff. – Berater, Beauftragung § 29, 9 f. – Betriebsfortführung § 29, 76 ff. – Bieterwettbewerb § 29, 19 ff. – Due Diligence-Prüfung § 29, 106 ff. – Eigenverwaltung § 29, 152 ff. – eröffnetes Verfahren § 29, 138 ff. – Eröffnungsverfahren/Betriebsfortführung § 29, 126 ff. – Ertragswert § 29, 64 – Erwerbsangebote § 29, 103 ff., 111 ff. – Finanzinvestoren § 29, 91 ff. – Fortführungsvereinbarung § 34, 77 ff. – Fortführungswert § 29, 55 ff.

Stichwortverzeichnis – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 117 ff. – Insolvenzplan § 29, 138 ff. – Insolvenzverwalter, Pflichten § 4, 13 – Investoren-Interessenten § 29, 90 ff. – Krisenstadium § 29, 117 ff. – Liquidationswert § 29, 55 ff. – M&A-Beratung § 29, 30 ff. – M&A-Prozess § 29, 1 ff. – Management-Präsentationen § 29, 101 f. – Marktpreis, Ermittlung § 29, 48 ff. – Schutzschirmverfahren § 9, 315 ff.; § 29, 155 f. – strategische Investoren § 29, 95 ff. – Tradeagreement § 34, 82 ff. – Transaktionsstrategie § 29, 81 ff. – Transaktionsstruktur § 29, 73 – übertragende Sanierung § 29, 74 – Unternehmensbewertung § 29, 48 ff. – Vertragsverhandlungen § 29, 114 ff. Mietverhältnis – Vermieter, Schadensersatzanspruch § 28, 164 Mietverhältnis – Kündigung – Frist, Insolvenzverwalter als Mieter/ Pächter gem. § 109 InsO § 28, 163 – Insolvenzverwalter als Mieter/Pächter gem. § 109 InsO § 28, 161 ff. – Sonderkündigungsrecht § 13, 124 f. Mietzahlungen – Verpflichtung d. Insolvenzverwalters § 28, 155 ff. Mitbestimmungsrechte s. a. Betriebsrat – Versorgungszusage § 23, 67 Mutterschutz § 21, 51, 53

Nachschüsse – als Finanzierungsinstrument § 8, 33 ff. Nachteilsausgleich § 22, 100, 118, 182 – andere wirtschaftliche Nachteile § 22, 200 – Anrechnung des Sozialplanes § 22, 204 f. – Anspruchsentstehung § 22, 192 ff. – befristete unwiderrufliche Freistellung § 22, 193, 197 – Beginn der Durchführung der Betriebsänderung § 22, 192

Feststellungsklage § 22, 206 Höhe § 22, 201 ff. Leistungsklage § 22, 206 nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige § 22, 206 – unumkehrbare Maßnahmen § 22, 193 – unwiderrufliche Freistellung § 22, 193 – vor einer Masseunzulänglichkeitsanzeige § 22, 206 – widerrufliche Freistellung § 22, 193, 196 f. – Zustimmung des Betriebsrates zur Freistellung oder einstw. Verfügung § 22, 195 Neumassegläubiger § 27, 11, 34, 40 – Abgrenzung § 27, 18 Notare s. a. Berater – Betriebsfortführung § 30, 68 ff. – Zulassung, Widerruf § 30, 48 ff. Nutzungsberechtigung s. a. Lizenz – bei Absonderungsrecht § 25, 49, 58 ff. – Domain § 32, 78 – öffentlich-rechtliche § 28, 89 ff. Nutzungsüberlassung – Ausgleichsanspruch des Gesellschafters gem. § 135 Abs. 3 Satz 1 InsO § 28, 168 ff. – Grundstück, gem. § 135 Abs. 3 InsO § 28, 165 ff. – – – –

OEM – Definition § 34, 6 Öffentliche Lasten – i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG § 28, 109 ff. Öffentliches Recht s. a. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme – Altlasten s. dort – Umweltkontamination s. dort Öffentlichkeitsarbeit s. Kommunikation; Medien Öffentlich-rechtliche Genehmigung – Architekten § 30, 56 – Berater § 30, 48 ff., 68 ff. – Betriebsfortführung § 30, 30 ff., 57 ff. – Freiberufler § 30, 37 ff.

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Stichwortverzeichnis – Gesundheitsberufe § 30, 42 ff., 59 ff. – Gewerberecht § 30, 11 ff. – Personalkonzessionen § 30, 9 ff. – Realkonzessionen § 30, 4 ff. – Typen § 30, 2 f. – Unzuverlässigkeit § 30, 16 ff. – Verwertung § 30, 76 ff. – Widerruf § 30, 14 f. Öffentlich-rechtliche Vorschriften – Insolvenzverwalter, Pflichten § 4, 22 f. One Voice Policy § 15, 27 Opfergrenze – Nichtberücksichtigung § 31, 57 ff. Ordnungsrecht s. a. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme – Verhältnis zu Insolvenzrecht § 31, 22 ff. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme – Adressat § 31, 24 ff. – Betriebsstilllegung § 31, 40 – Betriebsveräußerung § 31, 41 – Effektivität der Störungsbeseitigung § 31, 54 – Handlungsstörer § 31, 74 ff. – öffentliche Grundstückslast § 31, 66 ff. – Opfergrenze § 31, 57 ff. – Regressansprüche § 31, 69 f. – Verfahrensstadien § 31, 31 ff. – Vermögensschadenshaftpflichtversicherung § 31, 44 – Zustandsstörer § 31, 9 ff., 71 ff. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme – Abwehr – Anzeige d. Masseunzulänglichkeit § 31, 65 ff. – formelle Fehler § 31, 47 ff. – materielle Fehler § 31, 50 ff. – präventive negative Feststellungsklage § 31, 61 ff. – Rechtsmittelfrist § 31, 49 – Störerauswahl, fehlerhafte § 31, 53 ff. – Unverhältnismäßigkeit § 31, 57 ff. – Verstoß gg. Treu und Glauben § 31, 52 – Zwangsverwaltung § 31, 62 ff. Organe – Haftung § 38, 123 ff.

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Organhaftung – D&O-Versicherung § 35, 129 ff. – Eigenverwaltung § 6, 41 ff.

Pachtverhältnisse – Sonderkündigungsrecht § 13, 124 f. Patentrechte – Anspruch auf Erteilung des Patents § 32, 66 – europäisches Patent § 32, 69 – Geheimpatent § 32, 68 – Insolvenzmasse § 32, 66 – Recht auf das Patent, Doppelnatur § 32, 66 f. – Recht aus dem Patent § 32, 66 Patronatserklärung – Konzerninsolvenz § 18, 21 ff. Pensionsfonds § 23, 31, 68, 76 Pensionskassen § 23, 68 Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) § 23, 1 ff.; s. a. Betriebliche Altersversorgung – Rechtsübergang § 23, 26 ff. – Sicherungsfall § 23, 15 ff. – Verfahren § 23, 25 ff. Personalmaßnahmen s. a. Arbeitnehmer – Betriebsratsbeteiligung § 9, 446 – Betriebsvereinbarung, Beendigung § 13, 124 f. – Freistellung § 9, 452 – Gläubigerausschuss, Mitwirkung § 10, 44 ff. – Kostenstruktur, Anpassung § 13, 126 f. – Lohnverzicht § 9, 446 – Personalabbau § 9, 445 ff. – Personalabbau, in der Insolvenz § 13, 127 f. – Personalabbau, Sozialpläne – Besonderheiten § 13, 130 f. – Transfergesellschaften (BQG), Einbindung § 13, 132 f. Pfandrecht – Absonderungsrechte § 25, 31 ff. – Lizenzen § 32, 88 Planrechnungen § 9, 296 ff. – Anpassung bei Betriebsfortfortführung § 12, 12 ff., 27 ff., 55 ff.

Stichwortverzeichnis – integrierte § 7, 8 – integrierte Planung § 12, 34 ff. – Sanierungskonzept § 7, 62 ff. Postkontrolle § 9, 69 ff. Postsperre – bei Eigenverwaltung § 9, 71, 137 ff. – vorläufige § 9, 69 ff. Potentialanalyse § 9, 295 ff. Pressekonferenz § 9, 454 ff.; § 15, 52 ff. Pressemitteilung § 15, 47 ff. Pressesprecher s. a. Interview; Kommunikation – Allgemeines § 15, 24 ff. – Funktion § 15, 24 ff. – Handwerkszeug § 15, 30 ff. – Zusammenarbeit, Insolvenzverwalter § 15, 27 ff. Presseverteiler § 15, 45 ff. Produkthaftpflichtversicherung § 35, 112 ff. Produktionsplanung – Sanierungsinstrumente § 7, 46 ff. Produktkrise – Begriff § 7, 16 Prozessfinanzierung § 35, 158 f. Prozessführung s. a. Verfahrensgrundsätze – Gläubigermitwirkung § 10, 73 f. Psychologische Aspekte – Auswirkungen einer Insolvenz § 16, 7 ff. – Kommunikation § 15, 1 ff. – Kommunikation mit d. Schuldner § 16, 1 ff. – LEAN-Management § 17, 1 ff. – Motivation für d. Betriebsfortführung § 16, 13 ff.

Qualitätsstandard – GOI § 5, 7 ff.

Rangrücktrittserklärung – Konzerninsolvenz § 18, 34 ff. – steuerliche Risiken § 18, 38 ff. Räumungspflicht – nach § 93 ZVG während Antragsverfahren § 28, 83 ff. Rechnungslegung s. a. Buchhaltung; Schlussrechnung – Geschäftsjahr § 36, 19 ff.

– Gläubigermitwirkung § 10, 63 – Handelsrecht § 36, 5 ff. – Insolvenzverwalter § 36, 24 ff., 46 ff. – Masseunzulänglichkeit § 27, 42 – Schuldner, Pflichten § 13, 146 Rechtsanwälte s. a. Berater – Aufnahme eines Angestelltenverhältnisses § 33, 50 ff. – Betriebsfortführung § 30, 68 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 33, 39 ff. – Eingriff in die Berufsfreiheit § 33, 42 ff. – Insolvenzplan § 33, 53 ff. – Insolvenzverwalter, Zusammenarbeit § 33, 58 f. – Restschuldbefreiungsverfahren § 33, 45 ff. – Unabhängigkeit, Gefährdung § 33, 40 ff. – Zulassung, Widerruf § 30, 48 ff. – Zulassungswiderruf § 33, 41 Rechtsentwicklung § 1, 1 ff. Rechtspfleger – Haftpflichtversicherung § 35, 35 f. Rechtsschutzversicherung § 35, 140 ff. Restrukturierung – Eigenverwaltung § 9, 27 ff. – Empfehlungen der EU-Kommission v. 12.3.2014 § 1, 56 ff.; § 9, 460 f.; § 19, 128 ff.; § 31, 78 ff. – EU-Kommission, Mitteilung zur Kapitalmarktunion § 19, 17 ff., 127 ff. – Insolvenzplan § 9, 22 ff. – Regelverfahren § 9, 25 – Verfahrensziel § 9, 22 ff. Restrukturierungsmaßnahmen § 9, 22 ff. – Verträge, Fortführungsvereinbarung § 34, 74 ff. Restschuldbefreiungsverfahren – Rechtsanwälte § 33, 45 ff. Rettungsbeihilfe – als Finanzierungsinstrument § 8, 96 ff. Rückdeckungsversicherung § 23, 27, 79 Rückstellungen – Steuerforderungen § 12, 113

Sabotage

§ 9, 422 ff. Sachverständige – Beauftragung § 11, 235 ff.; § 39, 93 ff.

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Stichwortverzeichnis – Prüfungsumfang § 37, 6 ff. – Schlussrechnung § 37, 5 ff. – Schlussrechnung, Prüfung § 39, 93 ff. Sachwalter – Aufgaben § 12, 202 ff. – Aufsicht, gerichtliche § 11, 151 ff. – Haftung § 12, 203 – Kassenführung § 6, 36 – Kosten, Sanierungsplanung § 13, 50 – Masseverbindlichkeiten § 12, 209 ff. – Rechtsstellung § 6, 33 – Schuldner, Zusammenarbeit § 13, 147 f. – Steuern § 36, 65 ff. – Vergütung § 39, 22 – Zustimmungsvorbehalt § 6, 35 Sachwalter – Auswahl/Bestellung § 10, 44 ff.; § 11, 92 ff. – Bestimmung durch Schuldner § 6, 32 – Eignung § 6, 32 – Unabhängigkeit § 6, 32 Sachwalter – Haftung – Eigenverwaltung § 38, 110 ff. – Masseverbindlichkeiten § 38, 108 f. – Schutzschirmverfahren § 38, 114 – Tatbestände, insolvenzrechtliche § 38, 94 ff. – Überwachungspflichten § 38, 104 ff. – Vermögensverwaltung/-verwertung § 38, 101 ff. – Verschulden § 38, 100 Sachwalter, vorläufiger s. Vorläufiger Sachwalter Sanierung – außergerichtliche, Fehlschlagen § 1, 34 ff. – Aussichtlosigkeit § 9, 308 ff. – Bescheinigung § 13, 13 – Entscheidung, Zuständigkeit § 1, 18 f. – Entscheidungsgrundlagen § 1, 11 ff. – ESUG § 1, 38 ff. – Finanzierung § 1, 46 ff. – Konzernunternehmen § 19, 23 ff. – LEAN-Management § 17, 1 ff. – Planrechnungen § 7, 8 – Rechtsentwicklung § 6, 6 ff. – Teilplanverfahren § 1, 74 ff. – Verfahrensgrundsätze § 2, 29 ff.

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Sanierung, vorinsolvenzliche – Empfehlungen der EU-Kommission v. 12.3.2014 § 1, 56 ff.; § 9, 460 f.; § 19, 128 ff.; § 31, 78 ff. – Insolvenzverwalter, Auswirkungen § 4, 63 f. – Kostenvorteil § 1, 70 – M&A-Prozess § 29, 117 ff. – Mergers & Acquisitions § 29, 11 ff. – Teilplanverfahren § 1, 74 ff. – Umweltkontaminationen, Probleme § 31, 84 ff. – Vorteile/Risiken § 1, 65 ff. Sanierungsberater – betriebliche Altersversorgung § 23, 66 Sanierungscontrolling – Maßnahmenkontrolle § 7, 71 f. Sanierungsfähigkeit § 1, 31 ff.; § 7, 62 – Bescheinigung § 1, 30 – Prüfung § 2, 30 f. Sanierungsfähigkeitsbescheinigung § 1, 30; § 13, 13, 75 ff. Sanierungsgewinn – Besteuerung § 36, 114 ff. Sanierungsinstrumente § 2, 32 ff.; s. a. Sanierungsmaßnahmen – Außenfinanzierung § 7, 34 ff. – Debt-Equity-Swap § 7, 37 – Einkauf/Beschaffung § 7, 41 ff. – finanzwirtschaftliche § 7, 28 ff. – Innenfinanzierung § 7, 29 ff. – leistungswirtschaftliche § 7, 39 ff. – Maßnahmen, Planung § 7, 61 – Planrechnungen § 7, 62 ff. – Produktionsplanung § 7, 46 ff. – Vertriebsstrategie § 7, 51 ff. Sanierungskonzept § 9, 287 – Anforderungen § 1, 26 ff. – Inhalt § 7, 62 ff. – Potenzialanalyse § 7, 26 ff. – Umsetzung § 7, 67 ff. Sanierungsmaßnahmen s. a. Erwerberkonzept; Sanierungsinstrumente – außergerichtliche, Fehlschlagen § 1, 34 ff. – Beseitigung d. Insolvenzgründe § 13, 30 – Controlling § 7, 71 ff.; s. a. Controlling

Stichwortverzeichnis – Entscheidung, Zuständigkeit § 1, 20 ff. – Eröffnungsverfahren § 34, 17 ff. – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 34, 29 ff. – Kommunikation § 34, 19 ff. – Leitbild § 13, 32 ff. – Sanierungskonzept, Erstellung § 13, 16 ff. – Soll-/Ist-Vergleich § 12, 53 f. – Strategie § 13, 30 ff. – Verträge, Fortführungsvereinbarung § 34, 33 ff.; s. a. Fortführungsvereinbarung – Vorarbeiten § 13, 12 ff. – Vorauszahlungen § 34, 24 ff. – Vormaterialbelieferung § 34, 22 ff. – Zahlungsbedingungen § 34, 24 ff. Sanierungsplan s. a. Insolvenzplan Sanierungsplanung – Beschreibung der Maßnahmen § 13, 34 – Masseverbindlichkeiten, Eingehung § 13, 113 f. – Maßnahmen, Umsetzung nach Eröffnung § 13, 121 f. – Schadensersatzanspruch, einfache Insolvenzford. § 13, 125 – Sonderkündigungsrecht, Miet-/Pachtverträge § 13, 124 f. – Umsetzung § 13, 34 ff., 108 ff. – Verträge-Abwicklung, Sonderrechte § 13, 122 f. – Vorfinanzierungseffekte, Nutzung § 13, 109 f. Sanierungsplanung, integrierte § 13, 35 ff. – Auswirkung auf Aus- und Absonderungsrechte § 13, 37 – Auswirkungen des Insolvenzverfahrens § 13, 42 – Befriedigung der Massekosten/-verbindlichkeiten § 13, 37 – Besserungsklausel § 13, 49 – Bilanzplanung § 13, 52 ff. – Darstellender Teil § 13, 41 – Ergebnisplanung § 13, 40 ff. – geplante Sanierungsmaßnahmen § 13, 37 – Insolvenzplan, Auswirkungen § 13, 63

Kosten des Sachwalters § 13, 50 Liquiditätsplanung § 13, 64 Massekosten § 13, 50 Muster § 13, 184 ff. Personalaufwendungen § 13, 46 Planung von Materialaufwendungen § 13, 45 – Planungsrechnung und Nebenrechnung § 13, 64 – Überblick über wirtschaftliche Verhältnisse § 13, 41 – Verwalterpflichten, insolvenzspezifische § 13, 39 – zahlenmäßiger Sanierungsablauf § 13, 35 Sanierungsprivileg – Auffanggesellschaft § 24, 48 ff. – Entwicklung § 24, 49 f. – Sanierungszweck § 24, 72 – Voraussetzungen § 24, 51 ff. – Zeitpunkt der Darlehensgewährung § 24, 68 ff. – Zeitpunkt des Anteilserwerbs § 24, 53 ff. – Ziele des Insolvenzverfahrens § 24, 58 ff. Sanierungstarifvertrag § 22, 298, 299 ff. – Betriebsübergang § 22, 304 ff. Schadensersatz – des Vermieters nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO § 28, 164 Schlussrechnung – externe § 37, 4 ff. – GOI § 5, 35 – Insolvenzgericht § 37, 2 – Insolvenzplanverfahren § 37, 3 – Prüfung § 39, 90 ff. Schlussrechnungsprüfer – Ablehnung § 37, 16 – Auswahl § 37, 15 Schlussrechnungsprüfung § 37, 1 ff. – gerichtliche § 11, 284 ff.; § 37, 8 ff.; § 39, 90 ff. – Kosten § 37, 12 ff., 24 ff. – Ort § 37, 21 ff. – Sachverständiger § 37, 5 ff. – Umsatzsteuer § 37, 27 ff. Schornsteinhypothek § 28, 194 ff. Schuldbeitritt – Betriebsrenten § 23, 46 – – – – – –

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Stichwortverzeichnis Schuldner s. a. Insolvenzschuldner – als Autoritätsperson § 14, 6 ff. – als destabilisierender Faktor § 14, 9 ff. – als Know how-Träger § 14, 3 ff. – Betriebsfortführung, Entscheidungsgrundlagen § 1, 11 ff. – Betriebsstilllegung § 14, 48 ff. – Eigenverwaltung § 12, 193 ff. – Eigenverwaltung, Eignung § 6, 25 ff. – Eigenverwaltungsbefugnis § 14, 51 ff. – Einfluss, vorl. Maßnahmen § 9, 80 ff. – Einsichtsrecht § 14, 47 – Firma, Verkauf § 14, 61 – Führungswechsel § 9, 356 ff. – Gestaltungsmöglichkeiten, Eigenverwaltung § 13, 86 ff. – Gläubigerausschuss, Besetzung § 9, 89 – Haftung § 14, 33 ff. – Insolvenzantrag, Gestaltungsmöglichkeiten § 14, 18 ff. – insolvenzfreier Geschäftsbereich § 14, 58 ff. – Kapitalmaßnahmen § 14, 66 f. – Masseverbindlichkeiten § 9, 132 ff. – Masseverbindlichkeiten, Ermächtigung § 14, 32 ff. – Obstruktionsverhalten § 28, 32 – öffentlich-rechtliche Genehmigungen § 30, 1 ff. – organschaftlicher Bereich § 14, 62 ff. – Personenkreis § 14, 16 f. – Privaträume § 9, 414 – psychologische Aspekte § 16, 1 ff.; § 17, 1 ff. – Rechtsstellung, Insolvenzverfahren § 14, 41 ff. – Rechtsstellung, vorl. Insolvenzverfahren § 14, 22 ff. – Sachwalter, Auswahl § 9, 84, 179 ff. – Schutzschirmverfahren § 14, 26 ff. – Unterhaltsgewährung, Wohnraum § 28, 141 ff. – Unternehmensleitung, nach Antragstellung § 13, 99 f. – Verfügungsverbot § 9, 107 ff.; s. a. dort – Vergütung § 9, 410 ff. – Versicherungsschutz, Prüfung § 35, 52 ff., 83 ff.

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– Verwaltungs-/Verfügungsbefugnis, Übergang § 14, 41 ff. – Widerstand § 9, 73 – Zustimmungsvorbehalt § 9, 123 ff.; s. a. dort – Zwangsmaßnahmen § 9, 419 Schuldner – Haftung – deliktische § 38, 122 – Grundsätze § 38, 115 ff. – Organhaftung § 38, 123 ff. – Tatbestände, insolvenzrechtliche § 38, 120 ff. Schuldner – Pflichten – Auskunftspflichten § 9, 418; § 14, 22 f., 44 ff. – Bericht – Insolvenzursachen, Maßnahmen Insolvenzabwicklung § 13, 145 – Gläubigerausschuss, Abstimmung § 13, 152 f. – Gläubigerverzeichnis, § 152 InsO § 13, 142 – insolvenzspezifische § 13, 137 ff. – Krisenstadium § 13, 95 ff. – Mitwirkungspflichten § 9, 409 ff.; § 14, 24 f. – Rechnungslegung, handels-/steuerrechtlich § 13, 146 – Rechnungslegung, insolvenzrechtliche § 13, 137 ff. – Sachwalter, Aufgabenteilung § 13, 147 f. – Vermögensübersicht, § 153 InsO § 13, 143 f. – Verzeichnis d. Massegegenstände, § 151 InsO § 13, 140 f. Schutzschirmverfahren § 1, 40; § 13, 72 ff. – Antragsschrift § 13, 74 f. – Antragsschrift, Inhalt § 13, 78 ff. – Anwendbarkeit § 55 Abs. 3 InsO § 21, 22 ff. – Aufhebung § 10, 53 – Bescheinigung nach § 270b InsO § 11, 169 ff. – Betriebsfortführung § 13, 1 ff. – Chief Restructuring Officer § 14, 31 – Eigenverwaltung § 9, 32 ff.

Stichwortverzeichnis – EU-Kommission, Empfehlung zu Unternehmensinsolvenzen § 1, 57 ff.; § 9, 40 f.; § 19, 128 ff.; § 31, 78 ff. – Funktion § 9, 32 – Geschäftsleitung, Rechtsstellung § 14, 26 ff. – Gläubigerausschuss, vorl. § 11, 92 ff. – Insolvenzereignis § 21, 20 ff. – Insolvenzgeld § 21, 19 ff. – Insolvenzgericht, Aufsicht § 11, 169 ff. – Kommunikation § 15, 13 ff. – M&A-Prozess § 29, 155 f. – Masseverbindlichkeiten § 27, 78 – Masseverbindlichkeiten, Begründung § 9, 313 ff.; § 14, 32 ff. – Organhaftung § 6, 41 ff. – Planrechnungen/Anforderungen b. Antragstellung § 13, 81 ff. – Postsperre § 9, 71 – PSVaG § 23, 56 – Sachwalter, Auswahl § 9, 179 ff. – Sachwalter, Haftung § 38, 114 – Sanierungsfähigkeitsbescheinigung § 13, 75 ff. – Statistik § 6, 19 – Unternehmensführung § 9, 370 ff. – vorl. Sachwalter § 9, 33 Schwerbehinderte § 21, 51, 53 Selbstveranlagungsprinzip – PSVaG § 23, 34 Share Deal – grundstücksbezogene Regelungen im Insolvenzplan § 28, 200 ff. Shopfloor-Management § 17, 58 ff. Sicherheiten – Insolvenzanfechtung § 26, 11 Sicherung – Betriebsgrundstück, Antragsverfahren § 28, 8 ff. – Grundstück, im eröffneten Verfahren § 28, 104 ff. Sicherungsabtretung – Absonderungsrechte § 25, 22 Sicherungseigentum – Absonderungsrechte § 25, 21 Sicherungsfall – Abweisung mangels Masse § 23, 19 – Außergerichtlicher Vergleich § 23, 22 f. – Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens § 23, 16 f.

– Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit § 23, 20 f., 59 Sicherungsgut – Einziehung § 9, 431 – Nutzung § 9, 430 – Verwertung § 9, 430 ff. Sicherungsmaßnahmen – Umsetzung § 5, 22 Sicherungsübereignung – Absonderungsrechte § 25, 20 – Lizenzen § 32, 88 Sicherungszession – Ablösung § 9, 429 – Waren, Nutzung/Verwertung § 9, 428 ff. Social Media § 9, 454 ff. – Allgemeines § 15, 61 ff. – Monitoring § 15, 65 ff. – Richtlinien für Mitarbeiter § 15, 64 Sofortige Beschwerde § 23, 29 Sonderinsolvenzverwalter § 11, 323 ff. Sonderkündigungsrecht – Masseunzulänglichkeit § 27, 54 Sonderkündigungsschutz – Behördenzustimmung § 21, 52 ff. – Berufsausbildungsverhältnisse § 21, 56 f. – Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit § 21, 51 – Betriebsratsmitglieder § 21, 52 – Datenschutzbeauftragte § 21, 51 – Elternzeit § 21, 51 – Immissionsschutz- und Störfallbeauftragte § 21, 51 – Mutterschutz § 21, 51 – pflegende Angehörige § 21, 51 – Schwerbehinderte § 21, 51, 53 – Schwerbehindertenvertretung § 21, 51 Sonderrechte – Kollisionslagen § 25, 86 ff. – Prioritätsprinzip § 25, 89 – Raumsicherungsübereignungsvertrag § 25, 90 – Verarbeitung § 25, 87 ff. – Vermieterpfandrecht § 25, 90 Sonderveranstaltungen § 9, 441 Sozialauswahl § 22, 144 ff. – allgemeine Grundsätze § 21, 79 ff. – Altersgruppenbildung § 21, 90 f.

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Stichwortverzeichnis – ausgewogene Personalstruktur § 22, 145 – Austauschbarkeit § 21, 83 – Auswahlkriterien § 21, 80, 86 – Beschaffung von Informationen § 22, 153 – Betriebsbezogenheit § 21, 80 – Bewertungsspielraum § 21, 87 – Bildung von Altersgruppen § 22, 149 – Dominotheorie § 21, 88 – Fehlerhaftigkeit § 21, 87 – Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft § 22, 155 – Fragebogen zu den Sozialdaten § 22, 154 – Gewichtung der sozialen Gesichtspunkte § 22, 151 – Grob fehlerhaft § 22, 145 ff. – Leistungsträger § 21, 92; § 22, 149 – Punkteschema § 22, 156 – Punktesysteme § 21, 91 – Reichweite bei Erwerberkonzept § 21, 109 – Schwerbehinderung § 22, 152 – Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur § 21, 89 ff. – Teilzeitbeschäftigte § 21, 84 f. – unzulässige Rechtsausübung § 22, 155 – Vergleichbarkeit, austauschbare AN § 22, 147 – Vergleichsgruppenbildung § 21, 81 ff. Sozialplan – Abfindung, Verjährung § 22, 257 ff. – Abfindungen § 22, 219 ff.; s. a. dort – Abfindungsausschluss § 22, 242 – Abschlagszahlungen § 22, 244 – Abschlusszeitpunkt § 22, 243 ff. – Anfechtung § 22, 95 – Berechnung des Gesamtvolumens § 22, 224 – Eigenverwaltung § 22, 99 – einzelne Betriebe § 22, 215 – eröffnetes Verfahren § 22, 98 – Eröffnungsverfahren § 22, 97 – erzwingbarer § 22, 213 – erzwingbarer, bei Betriebsänderung § 22, 217 – Existenz eines Betriebsrates § 22, 214 – Gemeinschaftsbetrieb § 22, 104 – Gesamtbetriebsrat § 22, 214

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– Masseunzulänglichkeit § 27, 22 – nach §§ 123, 124 InsO § 22, 212 ff. – nach Durchführung d. Betriebsänderung § 22, 243, 246 – rentennahe Jahrgänge § 22, 238 – Schriftform § 22, 216 – Schwerbehinderung § 22, 241 – Stichtagsregelung § 22, 236 – stufenweiser Personalabbau § 22, 217 – Teilzeit- u. Vollzeitbeschäftigung § 22, 240 – Transfersozialplan s. dort – unterhaltsberechtigte Kinder § 22, 239 – Verbindung mit Interessenausgleich § 22, 134, 137 – verbleibende Sozialplandifferenzen § 22, 246 – Verteilung des Sozialplanvolumens § 22, 231 ff. – Widerruf § 22, 247 ff. – Widerruf, Ausübung § 22, 248 – Zahlung des gekürzten Teilbetrages § 22, 246 – zumutbarer anderer Arbeitsplatz § 22, 237 – zuständiges Betriebsverfassungsorgan § 22, 102 – Zwangsvollstreckung § 22, 244 Sozialschutz – PSVaG § 23, 72 Sozialversicherungsbeiträge – Eigenverwaltung, vorläufige § 6, 44 ff. – Insolvenzverwalter, Pflichten § 4, 18 Sozialversicherungsrecht – Freistellung v. Arbeitnehmern § 21, 35 f. Sportvereine – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 33, 4 ff.; s. a. Fußballvereine Stakeholder – Kommunikation § 9, 246; § 15, 13 ff. Stakeholderkrise – Begriff § 7, 14 Standortsicherung – Miet-und Pachtverträge § 9, 439 – Zwangsversteigerung § 9, 440 – Zwangsverwaltung § 9, 440 Steuerberater s. a. Berater – Betriebsfortführung § 30, 68 ff.

Stichwortverzeichnis – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 33, 60 – Zulassung, Widerruf § 30, 48 ff. Steuern § 36, 58 ff.; s. a. Ertragsteuern; Umsatzsteuer – Akteneinsichtsrecht § 36, 85 f. – Auskunftsanspruch, ggü. Finanzbehörden § 36, 87 ff. – Bauabzugsteuer § 36, 123 ff. – Einkommensteuer § 36, 91 ff. – Gewerbesteuer § 36, 185 ff. – Haftung § 36, 80 ff. – Insolvenzverwalter § 36, 58 ff. – Insolvenzverwalter, Pflichten § 4, 24 f. – Kapitalertragsteuer § 36, 106 ff. – Konzerninsolvenz § 19, 94 ff. – Konzerninsolvenz, Haftung § 18, 42 ff. – Körperschaftsteuer § 36, 91 ff. – Kraftfahrzeugsteuer § 36, 203 ff. – Liquiditätsbelastung, im vorl. Verfahren § 12, 107 ff. – Nebenleistungen § 36, 70 ff. – Sachwalter § 36, 65 ff. – Sanierungsgewinn § 36, 114 ff. – Sanierungsprivileg § 24, 48 ff. – Treuhänder § 36, 68 f. – Umsatzsteuer § 36, 129 ff. – Verfahrensrecht § 36, 58 ff. – Zinsabschlag § 36, 107 ff. Stilllegung s. Betriebsstilllegung Störerauswahl – fehlerhafte § 31, 53 ff. Strafbarkeit – Insolvenzanfechtung, Pflichtverletzung § 26, 37 ff. Strategiekrise – Begriff § 7, 15 Strategische Investoren – M&A-Prozess § 29, 95 ff. SWOT-Analyse § 7, 23

Tabellenführung – GOI § 5, 32 Tarifverträge § 22, 279 ff., 283 – allgemeinverbindlicher § 22, 286 – Beendigung der Mitgliedschaft per Gesetz § 22, 287 ff.

– Beendigung der Mitgliedschaft, Auswirkungen auf Tarifgebundenheit § 22, 291 ff. – Beginn und Ende der Mitgliedschaft in der Tarifvertragspartei § 22, 283 – Begriff der Tarifgebundenheit § 22, 280 – Bindungswirkung § 4, 20 – im Nachwirkungszeitraum begründetes Arbeitsverhältnis § 22, 297 – Mitglieder der Tarifvertragsparteien § 22, 281 – Mitgliedschaft des schuldnerischen Unternehmens § 22, 281 – Mitgliedschaft in Gewerkschaft § 22, 282 – Nachwirkung § 22, 295 ff. – Sanierungstarifvertrag § 22, 298 ff., 299 ff. – Tarifgebundenheit des Insolvenzverwalters § 22, 279 – Übertragbarkeit der Mitgliedschaft § 22, 285 – Zweck eines Arbeitgeberverbandes § 22, 289 Teileigentum – i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 ZVG § 28, 108 Terrorschäden § 35, 90 TIER – Definition § 34, 6 Tilgungsbestimmungsrecht – Insolvenzverwalter, bei Mietrückständen § 28, 158 ff. Tradeagreement – M&A-Prozess § 34, 82 ff. Transfergesellschaft – Personalmaßnahmen § 13, 132 f. Transfermaßnahmen § 22, 269 ff. – Beratung durch die Agenturen für Arbeit § 22, 270 – Betriebsratsverhandlungen § 22, 269 – Finanzierungshilfe § 21, 2 – Transfersozialplan § 22, 272 – Vorteile § 22, 273 Transfersozialplan § 22, 272 – Anrechnung der Kosten für Transfergesellschaft § 22, 275

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Stichwortverzeichnis – betriebliche Voraussetzungen § 22, 276 – Erstreikung eines Tarifsozialplanes § 22, 274 – Erzwingbarkeit durch Gewerkschaft § 22, 274 Transportversicherung § 35, 93 ff. Treuhänder – Steuern § 36, 68 f. Treuhandkonten – Ermächtigung § 11, 274 ff. – GOI § 5, 26 Treuhandmodelle § 12, 131 ff., 165 Tweets – Social Media § 15, 69

Überschuldung – Bilanz § 32, 55 – Konzerninsolvenz § 19, 61 – rechnerische § 23, 53 Übertragende Sanierung § 23, 61, 64 – Auffanggesellschaft § 24, 62 ff. – Betriebsübergang § 22, 58 ff. – Dauer § 9, 17 – Gesellschafterbeschluss § 1, 20 – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 20, 116 ff. – Insolvenzplan § 9, 18 – M&A-Prozess § 29, 74 – Übernehmer, Leitungsfunktion § 9, 453 – Verfahrensziel § 9, 18 Überwachungspflichten – vorl. Insolvenzverwalter § 28, 8 ff. Umlaufvermögen – Veräußerung § 12, 75 ff. – Versicherungsschutz § 35, 80 ff. Umsatzsteuer – Besteuerungsverfahren § 36, 178 ff. – Besteuerungszeitraum § 36, 177 – Betriebsgrundstück, Vorsteuerberichtigung § 28, 121 – Eigenverwaltung § 6, 43 – Factoring § 12, 109 f. – Forderungseinzug § 8, 30 – Globalzession § 12, 111 – Grundstück, Freigabe § 28, 212 f. – Grundstück, freihändiger Verkauf § 28, 189 f.

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– Konzerninsolvenz, Haftung § 18, 42 ff. – Schlussrechnungsprüfung § 37, 27 ff. – Steuerentstehung § 36, 149 ff. – Unternehmer § 36, 129 ff. – Vorsteuer § 36, 139 ff., 161 ff. – Vorsteuerberichtigung § 36, 165 ff. Umweltkontamination – Abwehr Inanspruchnahme § 31, 45 ff. – Beseitigungskosten § 31, 3 ff. – Bodenanalysen § 31, 5 – Inanspruchnahme s. a. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme – Neuschäden § 31, 74 f. – persönliche Haftung d. Verwalters § 31, 8 – Sanierungsverfahren, vorinsolvenzliches § 31, 84 ff. – Verursacherprinzip § 31, 9 ff. – Zeitpunkt der Feststellung § 31, 5 ff. Unlauterer Wettbewerb – Insolvenzwarenverkauf § 32, 12 ff.; s. a. dort Unterbilanzhaftung – Auffanggesellschaft § 24, 19 Unternehmen – öffentlich-rechtliche Genehmigungen s. dort Unternehmensanalyse s. a. Betriebswirtschaftliche Analyse – Finanz- und Ertragslage § 13, 27 f. – juristische Verhältnisse § 13, 27 f. – Management § 13, 27 f. – strategische Lage § 13, 27 f. Unternehmensbewertung – M&A-Prozess § 29, 48 ff. Unternehmensführung – Anforderung § 9, 341 ff. – Arbeitnehmerführung § 9, 377 – Aufgaben-/Kompetenzverteilung § 9, 346 – Aufsichtsorgane, Weisungen § 9, 378 ff. – äußere Einflüsse § 9, 375 f. – Eigenverwaltung § 9, 361 ff. – Führungsstil § 9, 349 ff. – Führungswechsel § 9, 356 ff. – Kommunikation § 9, 341; § 15, 1 ff. – LEAN-Management § 17, 1 ff.

Stichwortverzeichnis – Lenkungsauschüsse § 9, 347 ff. – Öffentlichkeit § 9, 344 – psychologische Aspekte § 16, 1 ff. – Schutzschirmverfahren § 9, 370 ff. Unternehmenskommunikation s. Kommunikation Unternehmenskrise s. Betriebswirtschaftliche Analyse; Krisenanalyse; Krisenstadium – EU-Kommission, Empfehlung zu Unternehmensinsolvenzen § 1, 56 ff.; § 9, 460 f.; § 19, 128 ff.; § 31, 78 ff. – Teilplanverfahren § 1, 74 ff. Unternehmensveräußerung s. Betriebsveräußerung; Mergers & Acquisitions Unternehmensverträge – Konzerninsolvenz § 18, 31 ff., 41 Unternehmerfunktion – Insolvenzverwalter § 4, 34 ff. Unterstützungskassen § 23, 28 ff., 68, 76 – Vermögensübergang § 23, 30 Untreue – Insolvenzanfechtung, Pflichtverletzung § 26, 39 ff. Urheberrechte – Insolvenzmasse § 32, 62 ff. – Kopien § 32, 65 – Vervielfältigungsstücke § 32, 65 – Werkoriginale § 32, 65 – Zustimmung des Schuldners § 32, 62 f. Urlaub – Freistellung v. Arbeitnehmern § 21, 26 ff. Ursachenanalyse § 9, 291 ff.

Verbotene Eigenmacht – verbotene Eigenmacht § 9, 420 Verbundene Unternehmen s. Konzerninsolvenzrecht Verdeckte Sacheinlage – Auffanggesellschaft § 24, 33 f. Vereine – Fußballvereine s. dort Verfahrensgrundsätze – Amtsbetrieb § 2, 14 – Betriebsfortführung § 2, 29 ff. – Dispositionsmaxime § 2, 12 – Einheit des Verfahrens § 2, 27 – Entschuldung § 2, 28 – Formalisierung § 2, 25

Geldliquidation § 2, 24 gesetzlicher Richter § 2, 6 Gläubigerautonomie § 2, 26 Gläubigerbefriedigung, gleichmäßige § 2, 20 – Grundrechtsschutz § 2, 10 – gütliche Einigung § 2, 19 – informationelle Selbstbestimmung § 2, 11 – Justizgewährung § 2, 8 – Konzentrationsmaxime § 2, 18 – Mündlichkeit § 2, 15 – Nachforderung § 2, 28 – Öffentlichkeit § 2, 17 – rechtliches Gehör § 2, 7 – Rechtsstaatsprinzip § 2, 3 ff. – Universalität § 2, 21 ff. – Unmittelbarkeit § 2, 16 – Untersuchungsgrundsatz § 2, 13 – Willkürverbot § 2, 9 Verfahrenskosten – Masseunzulänglichkeit § 27, 39 Verfassungsrecht s. a. Grundrechte – gesetzlicher Richter § 2, 6 – Grundrechtsschutz § 2, 10 – informationelle Selbstbestimmung § 2, 11 – Justizgewährung § 2, 8 – rechtliches Gehör § 2, 7 – Rechtsstaatsprinzip § 2, 3 ff. – Willkürverbot § 2, 9 Verfrühungsschaden – Aufhebungsvertrag § 21, 68 – Berechnung § 21, 68 Verfügungsverbot – Arbeitgeberstellung § 21, 9 – Betriebsgrundstück § 28, 32 – Fortführungspflicht § 9, 115 ff. – gesetzl. Kompetenzzuweisung § 9, 107 ff. – Masseverbindlichkeiten § 9, 117, 236 – Prüfungspflichten § 9, 122 – Vermögenssicherung § 9, 112 ff. Verkaufsförderungsmaßnahme s. Insolvenzwarenverkauf Verkehrssicherungspflicht – vorl. Insolvenzverwalter, Betriebsgrundstück § 28, 15, 92 ff. Verkehrswert – Grundstücke § 28, 180 f. – – – –

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Stichwortverzeichnis Vermieterpfandrecht – Absonderungsrechte § 25, 32 ff. – Sonderrechte, Kollision § 25, 90 Vermögensschadenshaftpflichtversicherung § 31, 44; § 35, 128 Vermögensübersicht § 13, 143 f. – Insolvenzplan, Muster § 13, 183 Veröffentlichungspflichten – Investor Relations § 15, 21 Versicherungsgutachten – Kosten § 35, 7 ff., 49 ff. Versicherungsmathematisches Gutachten § 23, 44 Versicherungsschutz – Anlage-/Umlaufvermögen § 35, 83 ff. – Anlage-/Umlaufvermögen, besicherte § 35, 80 ff. – Arbeitnehmer § 35, 160 ff. – Bauleistungen § 35, 110 – Bauunternehmen § 35, 155 ff. – Betriebseinrichtung/Vorräte § 35, 91 ff. – Betriebsfortführung § 35, 1 ff. – Betriebsgrundstück, Antragsverfahren § 28, 18 – Betriebshaftpflichtversicherung § 35, 112 ff. – Betriebsunterbrechungsversicherung § 35, 107, 109, 137 ff. – Bürgschaftsversicherung § 35, 154 – Elektronik § 35, 105 ff. – Glas § 35, 108 – Grundstücke/Gebäude § 28, 104 ff.; § 35, 84 ff. – Haftpflicht, verfahrensbezogene § 35, 21 ff. – Insolvenzschuldner, Prüfung § 35, 52 ff., 83 ff. – Kraftfahrzeuge § 35, 97 ff. – Kreditversicherung § 35, 151 f. – Maschinen § 35, 102 – Muti-Risk-Versicherung § 35, 111 – Neuabschluss § 35, 169 – Produkthaftpflichtversicherung § 35, 112 ff. – Prozessfinanzierung § 35, 158 f. – Prüfung § 35, 167 – Prüfung, Kosten § 35, 49 ff. – Rechtsschutzversicherung § 35, 140 ff.

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Risikoanalyse § 35, 47 f. Terrorschäden § 35, 90 Transportversicherung § 35, 93 ff. Vermögensschadenshaftpflichtversicherung § 35, 128 – Versicherungberater, Auswahl § 35, 13 ff., 55 ff. – Vertrauensschadensversicherung § 35, 44 ff., 146 ff. Versicherungsvertrag – Anzeigepflicht § 35, 59 f. – Beendigung § 35, 69 f., 168 – Gefahrerhöhung § 35, 61 ff. – Grundlagen § 35, 58 ff. – Insolvenz d. Versicherungsnehmers § 35, 79 – Neuabschluss § 35, 169 – Neuwertversicherung § 35, 75 ff. – Obliegenheitsverletzung § 35, 64 f. – Obliegenheitsverletzungen § 35, 170 – Unterversicherung § 35, 73 – Versicherungsfall § 35, 74 – vorläufige Deckung § 35, 71 f. – Wiederbeschaffungswert § 35, 76 – Zahlungsverzug § 35, 67 f. Versorgungsverpflichtungen s. a. Betriebliche Altersversorgung – Insolvenzschuldner § 23, 1 ff. Verteilung – Gläubigermitwirkung § 10, 63 Verträge s. a. Dauerschuldverhältnisse – Abwicklung § 13, 122 f. – Beschaffung § 9, 433 ff. – Beteiligung des Gläubigerausschusses § 10, 74 – Eigenverwaltung § 12, 195 – Erfüllung § 9, 432 – Kündigung § 9, 432 ff. – Lösungsklauseln § 9, 432; § 12, 116 ff. – Verträge, Fortführungsvereinbarung § 34, 33 ff.; s. a. Fortführungsvereinbarung Vertrauensschadensversicherung § 35, 146 ff. – Masseschädigung § 35, 44 ff. Vertrauensverlust – nach Insolvenzantrag § 15, 12 Vertriebsstrategie – Sanierungsinstrumente § 7, 51 ff. – – – –

Stichwortverzeichnis Verwertung – Anfangsmasse § 12, 75 ff. – belastete Gegenstände § 8, 22 ff. – Betriebsgrundstück § 28, 177 ff. – Dienstleister, externe § 5, 30 – Einkommensteuer § 36, 97, 101 – Entscheidung, fehlerhafte § 38, 45 ff. – Fahrzeug, Kraftfahrzeugsteuer § 36, 208 ff. – Finanzierung d. Betriebsfortführung § 8, 13 ff. – Finanzierungsfunktion § 9, 333 ff. – freihändiger Verkauf, steuerliche Rechtsfolgen § 28, 189 ff. – öffentlich-rechtliche Genehmigungen § 30, 76 ff. – Sachwalter, Haftung § 38, 101 ff. – Umsatzsteuer § 36, 168 Verwertungsgemeinschaften § 25, 92 Verwertungsstopp – Anordnung § 9, 102 – Guthaben/Zahlungszuflüsse, Verwendung § 12, 92 ff. Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis – Anwendungsfälle § 9, 75 – Ausgleichszahlung § 9, 142 – bei Eigenverwaltung § 9, 79 – Immobilien § 9, 143 – kein Recht zur Verwertung § 9, 79 – notwendige Angaben § 9, 76 ff. – Nutzungsbefugnis § 9, 140 – Verarbeitung § 9, 140 – Voraussetzungen § 9, 76 ff. Verwertungsvereinbarung – Absonderungsberechtigte, bei Grundstücken § 28, 182 ff. Vollstreckungsverbot – Anordnung § 9, 66 – Eigenverwaltung § 9, 67, 136 – Immobilien § 9, 67 – Mobilien § 9, 66 – Wirkung § 9, 66, 135 f. Vorläufige Maßnahmen – Anordnung § 9, 93 ff. – Art und Weise § 9, 93 ff. – Auswahlermessen § 9, 88 ff. – Bedeutung § 9, 47 – bei Eigenverwaltung § 9, 84, 132 – Bestellung, vorl. Insolvenzverwalter § 9, 48 ff.

– Einsetzung, vorl. Gläubigerausschuss § 9, 52 ff. – Ermessensbeschränkung § 9, 82 ff. – Gläubigerbeteiligung § 9, 90 ff. – Korrekturentscheidung § 9, 91 – Rechtsbehelfe § 9, 104 ff. – Verfahrensziele, Bindung § 9, 154 ff. – Zeitpunkt und Reihenfolge § 9, 99 ff. – Zweck/Mittel-Relation § 9, 80 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter s. a. Insolvenzverwalter – Abwahl § 9, 196 ff. – Anfangsliquidität § 12, 68 ff. – Antragsrecht, Auslandsberührung § 9, 140 f. – Aufsichtsorgane, Weisungen § 9, 378 ff. – Betriebsrundgang § 9, 389 – Betriebsstilllegung § 9, 118 ff. – betriebswirtschaftliche Analyse § 12, 71 f. – Delegation v. Aufgaben § 9, 265 ff. – Dienstleister § 9, 265 ff. – Ermächtigung § 9, 130 ff. – Ermächtigung, Verwendung v. Guthaben/Zahlungszuflüssen § 12, 92 ff. – Geschäftsessen § 9, 398 – Geschenke § 9, 399 – Guthaben/Zahlungszuflüsse, Verwendung § 12, 92 ff. – Informationsbeschaffung § 9, 384 – Insolvenzgeld § 12, 78 ff.; s. a. dort – Interessenkonflikt § 9, 275 ff. – Kunden, Absicherung § 12, 136 ff. – Kundenkontakte § 12, 74 – Masseverbindlichkeiten § 9, 167 f.; § 12, 140 ff. – Masseverbindlichkeiten, Begründung § 12, 123 ff. – Mitarbeiter/Team § 9, 396 – Netzwerke § 9, 265 ff. – Nutzung von Einrichtungen § 9, 387 f., 390 f. – Präsenz i. Unternehmen § 9, 267, 392 ff. – Rechtsstellung § 9, 235 ff.; s. a. Vorläufiger Insolvenzverwalter – Pflichten – Schuldner, Mitarbeit § 9, 410 ff., 413 – Tätigkeitsverbote § 9, 275 ff.

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Stichwortverzeichnis – Transparenz § 9, 275 ff. – Treuhandmodelle § 12, 131 ff. – Umlaufvermögen, Veräußerung § 12, 75 ff. – Vergütung § 39, 22, 56 ff. – Verhaltensregeln § 9, 384 ff. – Verträge, Lösungsklauseln § 12, 116 ff. – Vorbereitung d. Verfahrenseröffnung § 12, 145 f. – Zutrittsrecht, Zugang § 9, 385 f., 414 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter – Auswahl/ Bestellung § 9, 88 ff.; § 10, 44 ff. – Anforderungsprofil § 9, 187 ff., 248 ff. – Branchenkenntnisse § 9, 188 – Gläubigerausschuss, Beschluss § 9, 190 ff.; § 11, 91 – Gläubigerbeteiligung § 9, 161 ff., 169 ff. – Insolvenzgericht § 9, 48 ff.; § 11, 257 ff. – juristische Personen § 9, 171 – Praxiserfahrung § 9, 195 – Qualitätsnachweise § 9, 257 ff. – soft skills § 9, 251 – Sprachkenntnisse § 9, 188 – Unabhängigkeit § 9, 194 – Vorauswahlliste § 9, 169 ff. – Vorschläge § 9, 184 ff. – Vorschläge, Bindung § 9, 161 ff. – Zertifikate § 9, 188 Vorläufiger Insolvenzverwalter – Haftung – Grundsätze § 38, 1 ff. – Insolvenzanfechtung, Risiko § 26, 48 ff. – Insolvenzanfechtungsrisiko § 1, 45; § 26, 22, 27 ff., 37 ff. – insolvenzrechtliche § 38, 13 ff. – Masseverbindlichkeiten, Begründung § 12, 123 ff. – schwacher § 38, 17 ff. – schwacher, Anfechtungsrisiko § 26, 48 ff. – starker § 38, 24 ff. – Steuerforderungen § 12, 112 ff. – steuerrechtliche § 38, 34 – Tatbestände, allgemeine § 38, 7 ff. – Tatbestände, insolvenzrechtliche § 38, 2 ff. – Treuebruch § 26, 39 ff. – Vermögensschaden § 26, 47

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– zivilrechtliche § 38, 28 ff. – Zustimmungsvorbehalt § 26, 48 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter – Pflichten – Finanzierung d. Fortführung § 1, 46 ff. – Fortführungspflicht § 1, 41 – Lastschriftwiderruf § 12, 97 ff. – Liquiditätsbeschaffung § 1, 46, 52 – Sicherungsaufgabe bzgl. Grundstücken § 28, 9 ff. – Steuerforderungen § 12, 112 ff. – Verkehrssicherungspflicht § 28, 92 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter, schwacher – Aufsicht, gerichtliche § 11, 140 ff. – Bestellung § 11, 262 ff. – schwacher Insolvenzverwalter, Vorteil/Nachteil § 9, 166 ff. – Sicherungspflicht § 28, 12 – Steuern, Liquiditätsplanung § 12, 107 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter, starker – Aufsicht, gerichtliche § 11, 135 ff. – Bestellung § 11, 258 ff. – Schuldner, Obstruktion § 28, 32 – schwacher Insolvenzverwalter, Vorteil/Nachteil § 9, 166 ff. – Verwaltungs-/Verfügungsbefugnis § 28, 10 Vorläufiger Sachwalter – Anforderungsprofil § 9, 252 ff. – Aufsicht, gerichtliche § 11, 154 f. – Aussichtlosigkeit der Eigenverwaltung/Sanierung § 9, 308 ff. – Auswahl § 9, 84; § 10, 44 ff. – Befugnisse § 9, 166 – Doppelspitze § 9, 253 – Kassenführung § 9, 243, 247 – Kooperation mit d. Schuldner § 9, 245 f. – mitgebrachter Sachwalter § 9, 280 ff. – Mitwirkungsrechte § 9, 244 – Rechtsstellung § 9, 242 ff. – Schuldnervorschlag § 9, 179 ff. – Schutzschirmverfahren § 9, 33 – Überwachung, Aufsicht § 9, 242, 255 – Unabhängigkeit § 9, 280 ff. – Unternehmensführung § 9, 255 – Verbindlichkeiten § 9, 243, 246 – Vergütung § 39, 22, 61 ff. – Vergütung, bei Eigenverwaltung § 39, 70 f.

Stichwortverzeichnis – Zustimmungsvorbehalt § 11, 156 ff. Vormerkung – Schutz des Grundstückskäufers nach § 106 InsO § 28, 52 ff. Vorratsbeschlüsse – Gläubigerorgane § 10, 83 Vorratsgesellschaft – Auffanggesellschaft § 24, 3, 22 Vorstand – Haftung § 38, 123 ff.

Warenlager – Abbau § 9, 334 Wegfall der Geschäftsgrundlage – Anpassung der Regelung § 22, 90 Werkunternehmerpfandrecht – Absonderungsrechte § 25, 38 ff. Wettbewerbsrecht § 32, 1 ff.; s. a. Insolvenzwarenverkauf; Lizenz Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch – Voraussetzungen § 21, 97 Wirtschaftliche Neugründung – Auffanggesellschaft § 24, 11 ff. – Geschäftsführerhaftung § 24, 24 – Gesellschafterhaftung § 24, 19 ff. – Haftungsrisiken § 24, 19 ff. – Handelndenhaftung § 24, 24 – Handelsregisteranmeldung § 24, 25 f. – Kriterien § 24, 15 ff – Unterbilanzhaftung § 24, 19 – Verlustdeckungshaftung § 24, 21 Wirtschaftsgüter, nicht betriebsnotwendige – Veräußerung § 12, 75 ff. Wirtschaftsprüfer s. a. Berater – Betriebsfortführung § 30, 68 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 33, 61 ff. – Zulassung, Widerruf § 30, 48 ff. Wohngebäudeversicherung § 35, 88 Wohnungseigentum – i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 ZVG § 28, 108

Zahlungsunfähigkeit – Konzerninsolvenz § 19, 56 ff. Zahlungsunfähigkeit, drohende – Gesellschafterbeschluss § 1, 25 – Konzerninsolvenz § 19, 62 – Sanierungsentscheidung § 1, 25

Zahlungsverkehr – Kassenprüfung s. dort – Überwachung § 9, 208 ff. – Zuflüsse, Verwendung § 12, 89 ff. Zahlungszusage § 8, 65 Zahnärzte s. Ärzte; Freiberufler Zertifizierung – Dienstleister, externe § 5, 34 – GOI § 5, 9, 14 Zivilprozessordnung – Amtsbetrieb § 2, 14 – Dispositionsmaxime § 2, 12 – gütliche Einigung § 2, 19 – Konzentrationsmaxime § 2, 18 – Mündlichkeit § 2, 15 – Öffentlichkeit § 2, 17 – Unmittelbarkeit § 2, 16 – Untersuchungsgrundsatz § 2, 13 – Verfahrensgrundsätze § 2, 1 ff.; s. a. dort Zulassung – Freiberufler § 30, 37 ff. Zulieferer – Automotivebereich, Besonderheiten § 34, 1 ff. – Fortführungsvereinbarung § 34, 33 ff.; s. a. dort – M&A-Prozess § 34, 82 ff. – Sanierungsmaßnahmen § 34, 17 ff. Zurückbehaltungsrecht – PSVaG § 23, 39 Zuschlag – Zwangsversteigerung im Antragsverfahren § 28, 58 ff. Zustandsstörer § 31, 9 ff., 71 ff. Zustimmungsvorbehalt – Eigenverwaltung § 11, 156 ff. – Einzelermächtigung § 9, 130 ff.; § 11, 157 ff. – Gruppenermächtigung § 9, 240 – Kompetenzzuweisung § 9, 123 – Masseverbindlichkeiten § 9, 237 ff. – Projektermächtigung § 9, 240 – Sachwalter § 6, 35 – Treuhandkontenmodell § 9, 240 ff. Zutrittsrecht § 9, 385 f., 414 ff. Zwangsversteigerung – Abwehrmöglichkeiten des Insolvenzverwalters § 28, 150 ff.

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Stichwortverzeichnis – Antragsbefugnis bei Grundstücken im eröffneten Verfahren § 28, 145 ff. – Betriebsgrundstück, Antragsverfahren § 28, 58 ff. – Grundstück § 28, 145 ff. – Grundstücksfreigabe, Verhältnis § 28, 218 ff. Zwangsverwaltung – Abwehrmöglichkeiten d. Insolvenzverwalters § 28, 128 ff. – Antragsbefugnis § 28, 127 – Einstellung im Antragsverfahren trotz fehlender gesetzlicher Regelung § 28, 73 ff.

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– Grundpfandrechtsgläubiger § 28, 127 ff. – kalte Zwangsverwaltung § 28, 137 ff. – ordnungsrechtliche Inanspruchnahme § 31, 62 ff. – Unterhaltsgewährung für den Schuldner § 28, 141 ff. Zwangsvollstreckung – Grundpfandrechtsgläubiger § 28, 122 ff. Zwangsvollstreckungsverbot s. Vollstreckungsverbot