Kapitalgesellschaftsrecht [8., neu bearb. Aufl. 2016] 9783814557632

Das ganze Recht der AG, SE und GmbH einschließlich des Umwandlungs- und Konzernrechts und der insolvenzrechtlichen Bezüg

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Kapitalgesellschaftsrecht [8., neu bearb. Aufl. 2016]
 9783814557632

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Heribert Hirte Kapitalgesellschaftsrecht

Kapitalgesellschaftsrecht 8., neu bearbeitete Auflage 2016

von Dr. Heribert Hirte, LL.M. (Berkeley), Universitätsprofessor, Geschäftsführender Direktor des Seminars für Handels-, Schifffahrts- und Wirtschaftsrecht der Universität Hamburg

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Vorwort Mit inzwischen über einer Million Gesellschaften stellen die Kapitalgesellschaften seit langem die wichtigste wirtschaftliche Betätigungsform in Deutschland dar. Die gesellschaftsrechtliche Ausbildung trägt dieser wirtschaftlichen Bedeutung der Kapitalgesellschaften aber nur in bescheidenem Maße Rechnung. So steht in vielen Bundesländern – immer noch – die Personengesellschaft im Mittelpunkt der Prüfungskataloge, während im Bereich des Kapitalgesellschaftsrechts nur „Grundzüge“ gelehrt werden müssen und geprüft werden dürfen. Dieser „Wettbewerbsnachteil“ der deutschen Juristenausbildung im Vergleich zum Ausland soll durch dieses Praxislehrbuch beseitigt werden, das das Kapitalgesellschaftsrecht in seinen Mittelpunkt stellt. Konkreter Anlass für die Erstellung der 1. Auflage dieses Werkes (ursprünglich erschienen in der RWS-GrundkursReihe) war ein im April 1997 erstmalig durchgeführtes RWS-Seminar zum gleichen Thema; das Buch sucht daher vor allen Dingen auch den Dialog mit der Praxis, indem es die auf den inzwischen mehreren Folgeseminaren geführten Diskussionen umfassend berücksichtigt. Daher sei den Teilnehmern dieser Seminare für zahlreiche Hinweise und Anregungen und den Mitreferenten, den Rechtsanwälten Dr. Christian Decher, Frankfurt am Main, Dr. Klaus Heinemann, LL.M., Brüssel, Prof. Dr. Frank A. Schäfer, LL.M., Düsseldorf, Prof. Dr. Christoph H. Seibt und Dr. Peter Versteegen, Hamburg, an dieser Stelle ausdrücklich für den Dialog gedankt. Die Darstellungsweise in diesem Lehrbuch orientiert sich am Kapitalgesellschaftsrecht als einer einheitlichen Materie. Im Gegensatz zu einer an den verschiedenen Rechtsformen ausgerichteten Darstellung werden daher Sachfragen für Aktiengesellschaft, Europäische Aktiengesellschaft und GmbH an ein und derselben Stelle behandelt. Sachlich findet dieser Aufbau seine Begründung darin, dass sich auf der einen Seite das Recht der GmbH und der geschlossenen Aktiengesellschaft immer weiter annähern. Diese Entwicklung wird vom Gesetzgeber, wie das „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“ vom 2. August 1994 zeigt, bewusst gefördert. Auf der anderen Seite ist im Aktienrecht eine zunehmende Zahl von Sonderregeln für „börsennotierte Gesellschaften“ zu verzeichnen und damit eine stärkere Trennung von korporationsrechtlichen und (auch) kapitalmarktrechtlichen Regelungen; auch hier hat der Gesetzgeber mit der Einführung von § 3 Abs. 2 AktG durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27. April 1998 ein deutliches Zeichen gesetzt. Die gewählte Form der Darstellung erlaubt zugleich eine deutliche Straffung in der Darstellung. Schließlich können so aber auch Gemeinsamkeiten der beiden Rechtsformen und Unterschiede zwischen ihnen besser herausgearbeitet werden.

V

Vorwort

Ziel dieses Buches ist eine Einführung in die Grundlagen des Kapitalgesellschaftsrechts. Nur am Rande vorgestellt werden daher die mit der Rechnungslegung zusammenhängenden Probleme des allgemeinen Unternehmensrechts. Nicht erfasst sind unverändert die allgemeinen Fragen der „Typenvermischung“, soweit sie die GmbH & Co. KG betreffen. Für die 8. Auflage wurden vor allem zahlreiche gesetzliche Änderungen berücksichtigt, nämlich 

das Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz (MicroBilG) vom 20. Dezember 2012,



das Ehrenamtsstärkungsgesetz vom 21. März 2013,



das AIFM-Umsetzungsgesetz vom 4. Juli 2013 (BGBl. I, 1981),



das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23. Juli 2013 (BGBl. I, 2586),



das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vom 24. April 2015 (BGBl. I, 642) und



die Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex aus den Jahren 2012 bis 2014.



Die Aktienrechtsnovelle 2014 (in Fortschreibung der gescheiterten Aktienrechtsnovelle 2012) ist in ihren wichtigsten Punkten i. d. F. des RegE vom 23. Januar 2015 eingearbeitet.

Die Rechtsprechung wurde bis Anfang 2015 nachgetragen. Schon für die 7. Auflage wurde das Werk um eine systematische Übersicht über alle gesellschaftsrechtlichen Anspruchsgrundlagen des Aktien- und GmbHGesetzes (und teilweise darüber hinaus) erweitert (wiedergegeben im Anhang). Die federführend von meinem Mitarbeiter Philipp Grünewald vorbereitete Übersicht soll vor allem dem studentischen Nutzer den Zugang zum Kapitalgesellschaftsrecht weiter erleichtern. Weitere Informationen und Ergänzungen zu diesem Buch finden Sie im Internet auf der Homepage des Verfassers http://www.uni-hamburg.de/fachbereicheeinrichtungen/handelsrecht/hirte.html. Dort finden Sie auch die noch für Altfälle bedeutsamen Ausführungen zum Recht der (früher: kapitalersetzenden) Gesellschafterdarlehen aus der 5. Auflage dieses Werkes, die noch teilweise aktualisiert wurden. Hinweise an den Autor werden unter [email protected] erbeten. Herrn Rechtsanwalt Dr. Jörg Mimberg, Düsseldorf, danke ich für die Überlassung und Aktualisierung der Vertragsmuster in Rz. 2.53 und 3.66, Herrn Stefan Martens, Hamburg, für die Überlassung des Musters eines Vorstandsvertrages nebst Schiedsvereinbarung in Rz. 3.66. Dank schulde ich weiter meinem Assistenten, Herrn Rechtsanwalt Mathias Schallnus, für seine Unterstützung bei der

VI

Vorwort

Drucklegung; Herr Rechtsanwalt Cornelius Wilk, Frankfurt am Main, hat die Ausführungen zur Europäischen Aktiengesellschaft kritisch durchgesehen. Herr Mathias Schallnus hat zudem die Überarbeitung des Sachregisters und der statistischen Daten übernommen. Hamburg, im September 2015

Heribert Hirte

VII

Inhaltsübersicht Rz.

Seite

Vorwort ............................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis ............................................................................ XXVII Verzeichnis des abgekürzt zitierten Schrifttums ............................... XXXVII § 1 Grundlagen ................................................................................ 1.1 ............ 1 I.

Begriff ...................................................................................... 1.1 ............ 1

II.

Historische Entwicklung und Rechtsquellen ...................... 1.42 .......... 19

III.

Bedeutung .............................................................................. 1.83 .......... 43

IV.

Aktiengesellschaft oder GmbH? .......................................... 1.89 .......... 47

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft .......................................... 2.1 .......... 49 I.

Entstehung ............................................................................... 2.1 .......... 49

II.

Umfang der Gestaltungsfreiheit ........................................... 2.48 .......... 72

III.

Inhalt der Satzung ................................................................. 2.53 .......... 73

IV.

Auslegung der Satzung ......................................................... 2.75 .......... 95

§ 3 Organisationsverfassung .......................................................... 3.1 .......... 97 I.

Überblick ................................................................................. 3.1 .......... 97

II.

Geschäftsführer und Vorstand ............................................... 3.5 .......... 99

III.

Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss ...................... 3.154 ........ 198

IX

Inhaltsübersicht

IV.

Verwaltungsrat der Europäischen Aktiengesellschaft im monistischen System ..................................................... 3.208 ........ 227

V.

Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung ...... 3.217 ........ 234

VI.

Zurechnung des Verhaltens und Wissens von Organen zur Gesellschaft ................................................................... 3.308 ........ 278

§ 4 Mitgliedschaft ........................................................................... 4.1 ........ 283 I.

Rechte ...................................................................................... 4.3 ........ 283

II.

Pflichten ................................................................................ 4.40 ........ 304

III.

Erwerb und Übertragbarkeit ................................................ 4.48 ........ 306

IV.

Verlust ................................................................................... 4.82 ........ 321

§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals ........... 5.1 ........ 333 I.

Eigen- und Fremdkapital ........................................................ 5.1 ........ 333

II.

Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung ........................... 5.17 ........ 338

III.

Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft ................................................................... 5.161 ........ 410

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen ....................................... 6.1 ........ 421 I.

Satzungsänderung ................................................................... 6.1 ........ 421

II.

Kapitalmaßnahmen ............................................................... 6.11 ........ 427

III.

Anpassung der Satzung an den Euro ................................... 6.72 ........ 451

IV.

Umwandlung ......................................................................... 6.89 ........ 457

§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft ............. 7.1 ........ 509 I.

Auflösung ................................................................................ 7.1 ........ 509

II.

Insolvenzrechtliche Auflösung ............................................ 7.44 ........ 525

III.

Nichtigkeit ............................................................................ 7.53 ........ 527

X

Inhaltsübersicht

§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht) ...... 8.1 ........ 529 I.

Allgemeines ............................................................................. 8.1 ........ 529

II.

Konzernbildung ..................................................................... 8.44 ........ 546

III.

Vertragskonzern .................................................................... 8.63 ........ 553

IV.

Faktischer Konzern ............................................................. 8.128 ........ 585

V.

Qualifizierter faktischer Konzern ...................................... 8.152 ........ 594

VI.

Eingliederung ....................................................................... 8.157 ........ 596

VII. Ausschluss von Minderheitsaktionären ............................. 8.169 ........ 599 VIII. Mitbestimmung im Konzern .............................................. 8.170 ........ 599 § 9 Typenvermischte Rechtsformen ............................................. 9.1 ........ 601 I.

Kommanditgesellschaft auf Aktien ........................................ 9.2 ........ 601

II.

Kapitalgesellschaft & Co. ..................................................... 9.22 ........ 608

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften ................................. 10.1 ........ 609 I.

Verein ..................................................................................... 10.1 ........ 610

II.

Genossenschaft ...................................................................... 10.2 ........ 610

III.

Europäische Genossenschaft (SCE) .................................. 10.69 ........ 633

IV.

Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) ............ 10.89 ........ 639

Anhang: Anspruchsgrundlagen im Aktien- und GmbH-Recht ............. 647 Sachregister ..................................................................................................... 659

XI

Inhaltsverzeichnis Rz.

Seite

Vorwort ................................................................................................................ V Abkürzungsverzeichnis ............................................................................. XXVII Verzeichnis des abgekürzt zitierten Schrifttums ................................ XXXVII § 1 Grundlagen ................................................................................ 1.1 ............ 1 I.

II.

Begriff ...................................................................................... 1.1 1. Kapitalgesellschaft als Sammelbecken für Eigenkapital ....................................................................... 1.1 2. Kapitalgesellschaft als Körperschaft ................................ 1.3 3. Kapitalgesellschaft als juristische Person ......................... 1.7 4. Kapitalgesellschaft als Außengesellschaft ...................... 1.13 5. Unterschied zu den Personengesellschaften ................. 1.15 6. Realtypen der Gesellschaften ......................................... 1.18 a) Mitunternehmergemeinschaft versus Publikumsgesellschaft .............................................. 1.18 b) Kapitalmarktorientierung ......................................... 1.19 c) Struktur des Gesellschafterkreises ........................... 1.21 7. Kapitalgesellschaft und unternehmerische Mitbestimmung ............................................................... 1.22 8. Ökonomische Grundlagen des Kapitalgesellschaftsrechts .................................................................... 1.23 a) Grundlagen der ökonomischen Analyse des Rechts .................................................................. 1.23 b) Ökonomische Grundlagen der Unternehmung ...... 1.25 c) Principal-agent-Probleme in der Kapitalgesellschaft ................................................................ 1.29 d) Beschränkte Haftung in der Kapitalgesellschaft ..... 1.34 e) Marktkontrolle als Substitut für zwingendes Gesellschaftsrecht ..................................................... 1.37 Historische Entwicklung und Rechtsquellen ...................... 1.42 1. Deutsches Recht ............................................................. 1.42 a) Historische Entwicklung .......................................... 1.42 b) Rechtsquellen ............................................................ 1.46

............ 1 ............ 1 ............ 2 ............ 3 ............ 5 ............ 6 ............ 7 ............ 7 ............ 8 ............ 9 ............ 9 ............ 9 ............ 9 .......... 11 .......... 12 .......... 15 .......... 16 .......... 19 .......... 19 .......... 19 .......... 21

XIII

Inhaltsverzeichnis

2. Europäisches Recht ........................................................ a) Europäische Aktiengesellschaft ............................... aa) Historische Entwicklung ................................ bb) Rechtsquellenhierarchie .................................. b) Grundfreiheiten und Schein-Auslandsgesellschaften ............................................................ c) Sonstiger geltender Normenbestand ....................... d) Künftige Angleichungs- und Rechtsetzungsmaßnahmen .............................................................. 3. Selbstregulierung ............................................................

1.51 1.51 1.51 1.52

.......... .......... .......... ..........

23 23 23 24

1.58 .......... 27 1.61 .......... 31 1.75 .......... 38 1.80 .......... 40

III.

Bedeutung ............................................................................. 1.83 .......... 43

IV.

Aktiengesellschaft oder GmbH? ......................................... 1.89 .......... 47

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft .......................................... 2.1 .......... 49 I.

XIV

Entstehung .............................................................................. 2.1 1. Überblick .......................................................................... 2.1 2. Einpersonengesellschaft ................................................... 2.4 3. Gründungsverfahren von Aktiengesellschaft und GmbH ........................................................................ 2.5 a) Vorgründungsgesellschaft .......................................... 2.5 b) Vorgesellschaft ........................................................... 2.7 c) Eintragung ................................................................ 2.12 d) Rechtsverhältnisse der Vorgesellschaft ................... 2.16 aa) Binnenorganisation .......................................... 2.18 bb) Außenverhältnis ............................................... 2.22 cc) Gründerhaftung ............................................... 2.24 dd) Verhältnis der Vorgesellschaft zur späteren GmbH ............................................... 2.28 ee) Handelndenhaftung ......................................... 2.32 ff) Unechte Vorgesellschaft ................................. 2.34 4. Gründungsverfahren der Europäischen Aktiengesellschaft .......................................................... 2.35 a) Verschmelzung ......................................................... 2.36 b) Gründung einer Holding-SE ................................... 2.38 c) Gründung einer Tochter-SE durch Zeichnung ihrer Aktien .............................................................. 2.39 d) Gründung durch formwechselnde Umwandlung ............................................................ 2.40 e) Beteiligung von Nicht-EU-Gesellschaften an der Gründung ........................................................... 2.41

.......... 49 .......... 49 .......... 50 .......... .......... .......... .......... .......... .......... .......... ..........

51 51 52 54 57 58 59 60

.......... 62 .......... 64 .......... 65 .......... 65 .......... 65 .......... 66 .......... 67 .......... 67 .......... 67

Inhaltsverzeichnis

f) Gemeinsamkeiten der primären Gründungsformen ....................................................................... 2.42 g) Gründung einer Tochter-SE durch eine SE ............. 2.44 h) Rechtshandlungen vor Eintragung .......................... 2.45 5. Vorratsgründung und Mantelkauf ................................. 2.46

.......... 68 .......... 69 .......... 69 .......... 70

II.

Umfang der Gestaltungsfreiheit ........................................... 2.48 .......... 72 1. Aktienrecht ...................................................................... 2.48 .......... 72 2. GmbH-Recht .................................................................. 2.51 .......... 73

III.

Inhalt der Satzung ................................................................. 2.53 .......... 73 1. Mindestinhalt und nichtkorporative Bestandteile ......... 2.53 .......... 73 2. Einzelheiten ..................................................................... 2.56 .......... 86

IV.

Auslegung der Satzung ......................................................... 2.75 .......... 95

§ 3 Organisationsverfassung .......................................................... 3.1 .......... 97 I.

Überblick ................................................................................. 3.1 .......... 97

II.

Geschäftsführer und Vorstand ............................................... 3.5 1. Zahl, Zusammensetzung und Organisation .................... 3.5 a) Aktienrecht ................................................................. 3.5 b) GmbH-Recht .............................................................. 3.9 2. Bestellung und Anstellung ............................................. 3.10 a) Bestellung .................................................................. 3.11 aa) Bestellung ......................................................... 3.11 bb) Widerruf der Bestellung ................................... 3.16 cc) Niederlegung des Amtes und Vertreterlosigkeit der Gesellschaft ..................................3.18 dd) Eintragung in das Handelsregister .................. 3.20 b) Anstellung ................................................................. 3.21 aa) Kein Arbeitsvertrag .......................................... 3.22 bb) Zuständigkeit für Abschluss ............................ 3.26 cc) Beendigung ....................................................... 3.27 3. Aufgaben und Pflichten .................................................. 3.37 a) Pflichten gegenüber der Gesellschaft ...................... 3.38 aa) Organstellung ................................................... 3.38 bb) Anstellungsvertrag ........................................... 3.66 b) Pflichten gegenüber Geschäftspartnern und Allgemeinheit ............................................................ 3.76 4. Haftung des Vorstandsmitglieds/Geschäftsführers ...... 3.78 a) Haftung gegenüber der Gesellschaft ....................... 3.79

.......... 99 .......... 99 .......... 99 ........ 101 ........ 101 ........ 101 ........ 101 ........ 106 ........ 107 ........ 112 ........ 112 ........ 113 ........ 117 ........ 118 ........ 121 ........ 122 ........ 122 ........ 136 ........ 155 ........ 155 ........ 156

XV

Inhaltsverzeichnis

aa) § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG ....................................... 3.79 bb) § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, § 64 (früher Abs. 2) GmbHG ......................................................... 3.100 cc) §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2, 826 BGB ............. 3.106 dd) Haftung gegenüber Gesellschaftern ............. 3.107 b) Haftung gegenüber Geschäftspartnern und Allgemeinheit ......................................................... 3.108 aa) Rechtsschein .................................................. 3.108 bb) Culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB) ............................................ 3.109 cc) § 823 Abs. 2 BGB .......................................... 3.113 dd) § 823 Abs. 1 BGB .......................................... 3.133 ee) Europäische Aktiengesellschaft .................... 3.144 c) Öffentliches Recht ................................................. 3.145 5. Strafbarkeit .................................................................... 3.147 6. Versicherung und Haftungsfreistellung ...................... 3.152 III.

IV.

XVI

Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss ..................... 1. Zahl, Zusammensetzung und Organisation ................ a) Allgemeines Aktienrecht ....................................... b) Mitbestimmungsrecht ............................................ aa) Aktiengesellschaft ......................................... bb) Europäische Aktiengesellschaft .................... c) Organisation ........................................................... aa) Leitung und Beschlussfassung ...................... bb) Organklagen des Aufsichtsrats ..................... cc) Aufsichtsratsausschüsse ................................ 2. Bestellung ...................................................................... 3. Aufgaben und Pflichten ............................................... a) Pflichten gegenüber der Gesellschaft .................... aa) Kontrollorgan ................................................ bb) Verwaltungsorgan .......................................... cc) Verschwiegenheitspflicht .............................. b) Pflichten gegenüber Geschäftspartnern und Allgemeinheit ......................................................... 4. Haftung des Aufsichtsratsmitglieds ............................ Verwaltungsrat der Europäischen Aktiengesellschaft im monistischen System ..................................................... 1. Zahl, Zusammensetzung und Organisation ................ a) Verwaltungsrat ....................................................... b) Geschäftsführende Direktoren ..............................

3.154 3.155 3.156 3.159 3.159 3.168 3.174 3.174 3.182 3.184 3.189 3.192 3.193 3.194 3.199 3.203

........ 156 ........ 165 ........ 173 ........ 173 ........ 173 ........ 173 ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

174 176 190 193 193 194 196

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

198 198 199 203 203 206 212 212 215 216 218 221 221 221 223 225

3.205 ........ 226 3.206 ........ 227

3.208 3.209 3.209 3.211

........ ........ ........ ........

227 228 228 229

Inhaltsverzeichnis

V.

VI.

2. Bestellung ...................................................................... 3.213 3. Aufgaben und Pflichten ................................................ 3.214 a) Verwaltungsrat ........................................................ 3.214 b) Geschäftsführende Direktoren ............................ 3.214d

........ 231 ........ 231 ........ 231 ........ 233

Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung ...... 3.217 1. Zuständigkeit ................................................................. 3.218 a) Aktienrecht ............................................................. 3.218 b) Europäische Aktiengesellschaft ............................. 3.227 c) GmbH-Recht .......................................................... 3.228 2. Einberufung, Teilnahme, Leitung und Beurkundung .... 3.233 a) Aktienrecht ............................................................. 3.233 aa) Einberufung .................................................... 3.233 bb) Teilnahme und Vertretung ............................ 3.238 cc) Leitung und Beurkundung ............................. 3.245 b) Europäische Aktiengesellschaft ............................. 3.249 c) GmbH-Recht .......................................................... 3.251 3. Beschlussfassung und Stimmrecht ............................... 3.257 4. Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen .......... 3.269 5. Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Beschlüssen der Haupt- oder Gesellschafterversammlung .............. 3.279 a) Aktienrecht ............................................................. 3.280 aa) Nichtigkeit ..................................................... 3.281 bb) Anfechtbarkeit ............................................... 3.283 cc) Rechtsfolgen ................................................... 3.298 b) Europäische Aktiengesellschaft ............................. 3.299 c) GmbH-Recht .......................................................... 3.300 6. Stimmpflicht .................................................................. 3.305

........ 234 ........ 234 ........ 234 ........ 238 ........ 239 ........ 241 ........ 241 ........ 241 ........ 245 ........ 249 ........ 250 ........ 251 ........ 253 ........ 258

Zurechnung des Verhaltens und Wissens von Organen zur Gesellschaft ................................................................... 3.308 1. Grundsatz ...................................................................... 3.308 2. Anwendungsbereich von § 31 BGB ............................. 3.312 3. Erfasste Organe ............................................................. 3.314 4. Wissenszurechnung ...................................................... 3.316 5. Europäische Aktiengesellschaft ................................... 3.319

........ 262 ........ 262 ........ 262 ........ 264 ........ 273 ........ 274 ........ 274 ........ 276 ........ 278 ........ 278 ........ 280 ........ 280 ........ 281 ........ 282

§ 4 Mitgliedschaft ............................................................................ 4.1 ........ 283 I.

Rechte ...................................................................................... 4.3 1. Allgemeine Rechte ............................................................ 4.5 2. Vermögensrechte .............................................................. 4.7 a) Gewinnanspruch ......................................................... 4.8 aa) Grundlage: geprüfter Jahresabschluss ............... 4.9

........ 283 ........ 284 ........ 285 ........ 285 ........ 286 XVII

Inhaltsverzeichnis

bb) GmbH-Recht ................................................... cc) Aktienrecht ...................................................... dd) Rechtsschutz gegen unangemessene Rücklagenbildung ............................................ b) Weitere Vermögensrechte ........................................ 3. Verwaltungsrechte .......................................................... a) Mitwirkungsrechte ................................................... b) Informationsrechte .................................................. aa) Aktienrecht ...................................................... bb) GmbH-Recht ...................................................

4.12 ........ 290 4.13 ........ 290 4.17 4.19 4.21 4.21 4.24 4.25 4.37

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

294 294 295 295 296 296 303

II.

Pflichten ................................................................................ 1. Einlagepflicht .................................................................. 2. Nebenleistungspflichten ................................................ 3. Treuepflicht ....................................................................

4.40 4.40 4.41 4.44

........ ........ ........ ........

304 304 305 306

III.

Erwerb und Übertragbarkeit ................................................ 1. Übertragung .................................................................... a) Aktienrecht ............................................................... b) GmbH-Recht ............................................................ c) Vorgesellschaft ......................................................... 2. Vinkulierung ................................................................... 3. Übernahmen ................................................................... 4. Anmeldung bei der Gesellschaft .................................... a) Namensaktien und GmbH-Anteile ......................... b) Inhaberaktien ............................................................

4.48 4.52 4.52 4.55 4.62 4.64 4.70 4.73 4.73 4.80

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

306 307 307 309 311 312 314 316 316 321

IV.

Verlust ................................................................................... 1. Austritt ............................................................................ 2. Ausschluss ....................................................................... a) Kaduzierung und Zwangseinziehung ...................... b) Ausschluss aus wichtigem Grund ............................ c) Ausschluss von Minderheitsaktionären .................. 3. Beschränkung des Abfindungsguthabens .....................

4.82 4.82 4.84 4.85 4.88 4.93 4.94

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

321 321 322 322 324 326 329

§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals ........... 5.1 ........ 333 I.

Eigen- und Fremdkapital ........................................................ 1. Allgemeines ....................................................................... 2. Mischformen ..................................................................... a) Wandel- und Optionsanleihen ................................... b) Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte ....

II.

Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung ........................... 5.17 ........ 338 1. Mängel des Systems ........................................................ 5.18 ........ 338

XVIII

5.1 5.1 5.4 5.4 5.9

........ ........ ........ ........ ........

333 333 334 334 336

Inhaltsverzeichnis

2. Kapitalaufbringung ......................................................... 5.32 a) Normalfall ................................................................. 5.32 b) Unternehmergesellschaft ....................................... 5.45a aa) Sonderregelungen für die Unternehmergesellschaft ...................................................... 5.45b bb) Pflicht zur Bildung einer gesetzlichen Rücklage ......................................................... 5.45e cc) Einsatzmöglichkeiten der Unternehmergesellschaft ...................................................... 5.45g c) Aufgeld und Kapitalrücklage .................................... 5.46 d) Sacheinlagen .............................................................. 5.52 aa) Allgemeines ...................................................... 5.52 bb) Sachübernahmen und Nachgründung ............. 5.61 cc) Verdeckte Sacheinlagen ................................... 5.64 e) Kapitalerhöhung ....................................................... 5.72 3. Kapitalerhaltung .............................................................. 5.74 a) Unterschiede zwischen Aktien- und GmbH-Recht ............................................................ 5.77 b) Verdeckte Gewinnausschüttungen .......................... 5.81 c) Rechtsfolgen ............................................................. 5.87 d) Erwerb eigener Anteile ............................................. 5.95 aa) Grundsätzliches Verbot ................................... 5.95 bb) Ausnahmen ....................................................... 5.99 4. Gesellschafterdarlehen .................................................. 5.102 a) Allgemeines ............................................................. 5.102 b) Bilanzierung von Gesellschafterdarlehen .............. 5.121 c) Erweiterung auf einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechende Forderungen ........... 5.125 aa) Einem Darlehen wirtschaftlich entsprechende Forderungen .......................... 5.126 bb) Gesellschafter als Darlehensgeber ................. 5.129 cc) Gesellschafterbesicherte Drittdarlehen ........ 5.136 d) Anwendungsbereich ............................................... 5.138 aa) Erfasste Gesellschaften .................................. 5.138 bb) Sanierungsprivileg (§ 39 Abs. 4 Satz 2 InsO) .............................. 5.150 cc) Kleinbeteiligtenprivileg (§ 39 Abs. 5 InsO) ......................................... 5.154 dd) Übergangsvorschrift ...................................... 5.157 III.

........ 343 ........ 343 ........ 351 ........ 352 ........ 353 ........ 354 ........ 355 ........ 357 ........ 357 ........ 360 ........ 362 ........ 367 ........ 367 ........ 370 ........ 372 ........ 374 ........ 378 ........ 378 ........ 380 ........ 382 ........ 382 ........ 387 ........ 389 ........ 389 ........ 393 ........ 399 ........ 402 ........ 402 ........ 404 ........ 407 ........ 409

Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft ................................................................... 5.161 ........ 410 1. Missbrauch .................................................................... 5.164 ........ 411 XIX

Inhaltsverzeichnis

2. 3. 4. 5.

Vermögens- oder Sphärenvermischung ...................... Unterkapitalisierung ..................................................... Existenzvernichtender Eingriff .................................... Qualifizierter faktischer Konzern ...............................

5.165 5.167 5.172 5.176

........ ........ ........ ........

412 413 415 418

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen ....................................... 6.1 ........ 421 I.

Satzungsänderung ................................................................... 6.1 ........ 421 1. Allgemeines ....................................................................... 6.1 ........ 421 2. Satzungsdurchbrechung ................................................... 6.9 ........ 426

II.

Kapitalmaßnahmen ............................................................... 1. Kapitalerhöhung ............................................................. a) Effektive Kapitalerhöhung ....................................... aa) Normalfall ........................................................ bb) Bezugsrecht und Bezugsrechtsausschluss ...... b) Sonderformen bei der Aktiengesellschaft: Emissionskonsortium, genehmigtes und bedingtes Kapital ...................................................... aa) Genehmigtes Kapital ....................................... bb) Mittelbares Bezugsrecht .................................. cc) Bedingtes Kapital ............................................. c) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln .............. 2. Kapitalherabsetzung ....................................................... a) Effektive Kapitalherabsetzung ................................. b) Nominelle (oder vereinfachte) Kapitalherabsetzung .............................................................

III.

IV.

XX

Anpassung der Satzung an den Euro ................................... 1. Aktienrecht ..................................................................... a) Stückaktie .................................................................. b) Euro-Einführungsgesetz .......................................... aa) Umstellung durch reine Umrechnung ........... bb) Umstellung durch Umrechnung und gleichzeitige Glättung ..................................... 2. GmbH-Recht .................................................................. a) Umstellung durch reine Umrechnung .................... b) Umstellung durch Umrechnung und gleichzeitige Glättung ..............................................

6.11 6.13 6.13 6.13 6.23

........ ........ ........ ........ ........

427 427 427 427 431

6.37 6.37 6.43 6.44 6.48 6.55 6.57

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

438 438 441 442 444 446 447

6.60 ........ 447 6.72 6.74 6.74 6.75 6.76

........ ........ ........ ........ ........

451 452 452 452 452

6.78 ........ 453 6.83 ........ 455 6.84 ........ 456 6.86 ........ 456

Umwandlung ......................................................................... 6.89 ........ 457 1. Einleitung ........................................................................ 6.89 ........ 457 a) Begriff ....................................................................... 6.89 ........ 457

Inhaltsverzeichnis

b) Historische Entwicklung und Rechtsquellen .......... 6.95 c) Aufbau des Umwandlungsgesetzes ......................... 6.99 d) Europäische Aktiengesellschaft ............................. 6.104 2. Verschmelzung .............................................................. 6.106 a) Verschmelzung unter Beteiligung von Aktiengesellschaften und/oder GmbH ................. 6.110 b) Ablauf des Verschmelzungsverfahrens .................. 6.114 aa) Verschmelzungsvertrag .................................. 6.115 bb) Verschmelzungsbericht ................................. 6.119 cc) Verschmelzungsprüfung ................................ 6.124 dd) Verschmelzungsbeschluss ............................. 6.126 ee) Eintragung in das Handelsregister ................ 6.130 ff) Wirkung der Eintragung ................................ 6.134 c) Minderheitenschutz ................................................ 6.139 aa) Mehrheitsanforderungen an die Beschlüsse ................................................. 6.140 bb) Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage .......... 6.142 cc) Spruchverfahren ............................................. 6.150 dd) Sonstige Schadenersatzansprüche ................. 6.154 ee) Austrittsrecht ................................................. 6.155 ff) Inhaltskontrolle des Verschmelzungsbeschlusses ...................................................... 6.159 d) Gläubigerschutz ...................................................... 6.160 aa) Gläubiger der beteiligten Gesellschaften ...... 6.160 bb) Gläubiger von Gesellschaftern ...................... 6.166 e) Grenzüberschreitende Verschmelzung ............... 6.166a 3. Spaltung ......................................................................... 6.167 a) Spaltung unter Beteiligung von Aktiengesellschaften und/ oder GmbHs .......................... 6.171 aa) Aufspaltung .................................................... 6.171 bb) Abspaltung ..................................................... 6.175 cc) Ausgliederung ................................................ 6.177 b) Ablauf des Spaltungsverfahrens ............................. 6.179 aa) Spaltungs- und Übernahmevertrag bzw. Spaltungsplan ......................................... 6.180 bb) Spaltungsbericht ............................................. 6.182 cc) Spaltungsprüfung ........................................... 6.183 dd) Spaltungsbeschluss ......................................... 6.187 ee) Austrittsrecht ................................................. 6.191 ff) Eintragung in das Handelsregister ................ 6.192 c) Sonderfall der nicht verhältniswahrenden Spaltung ................................................................... 6.194 d) Gläubigerschutz ...................................................... 6.199

........ 459 ........ 460 ........ 461 ........ 462 ........ 463 ........ 466 ........ 466 ........ 468 ........ 469 ........ 470 ........ 472 ........ 473 ........ 474 ........ 474 ........ 475 ........ 478 ........ 481 ........ 481 ........ 482 ........ 483 ........ 483 ........ 485 ........ 485 ........ 489 ........ 490 ........ 490 ........ 491 ........ 491 ........ 492 ........ 492 ........ 493 ........ 494 ........ 495 ........ 496 ........ 496 ........ 497 ........ 499 XXI

Inhaltsverzeichnis

4. Vermögensübertragung ................................................ 5. Formwechsel ................................................................. a) Ablauf des Formwechsels ...................................... aa) Umwandlungsbericht .................................... bb) Umwandlungsbeschluss ................................ cc) Austrittsrecht ................................................. dd) Eintragung in das Handelsregister ................ b) Gläubigerschutz ......................................................

6.203 6.206 6.210 6.211 6.213 6.217 6.218 6.220

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

500 501 502 503 503 505 506 506

§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft ............. 7.1 ........ 509 I.

Auflösung ................................................................................ 7.1 1. Allgemeines ....................................................................... 7.1 2. Auflösungsgründe ............................................................ 7.3 a) Gründe für eine freiwillige Auflösung ...................... 7.4 b) Insolvenzrechtliche Auflösungsgründe .................. 7.10 c) Sonstige Auflösungsgründe ..................................... 7.11 3. Liquidationsverfahren .................................................... 7.16 a) Abwicklungspflicht .................................................. 7.17 b) Gläubigerschutz ........................................................ 7.22 c) Beendigung der Gesellschaft .................................... 7.24 d) Fortsetzung der Gesellschaft ................................... 7.28 aa) Freiwillige Auflösung ...................................... 7.28 bb) Sonstige Auflösungsgründe ............................ 7.31 4. Abwickler ........................................................................ 7.36 5. Eintragungen ................................................................... 7.42

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

509 509 509 510 512 512 516 516 518 518 520 520 521 522 524

II.

Insolvenzrechtliche Auflösung ............................................ 7.44 ........ 525 1. Gesellschaftsrechtliche Vollabwicklungspflicht nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens ........................................................................ 7.45 ........ 525 2. Auflösung wegen Vermögenslosigkeit .......................... 7.51 ........ 527

III.

Nichtigkeit ............................................................................ 7.53 ........ 527

§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht) ...... 8.1 ........ 529 I.

XXII

Allgemeines ............................................................................. 1. Gründe und Arten des Unternehmensverbundes .......... a) Gründe für Unternehmensverbindungen ................. b) Entstehung von Unternehmensverbindungen ......... 2. Zweck und Regelungsansatz ............................................

8.1 ........ 8.5 ........ 8.5......... 8.8 ........ 8.9 ........

529 530 530 531 531

Inhaltsverzeichnis

a) Zweck .......................................................................... 8.9 b) Interessenbeeinträchtigungen durch Unternehmensverbindungen .............................................. 8.11 Rechtsquellen .................................................................. 8.16 Historische Entwicklung ................................................ 8.18 a) Steuerrechtliche Ursprünge ..................................... 8.18 b) Kodifikation im Aktiengesetz .................................. 8.21 Bedeutung ........................................................................ 8.23 a) Steuerrechtliche Gründe ........................................... 8.23 b) GmbH-Recht ............................................................ 8.26 c) Faktischer Konzern ................................................ 8.26a Begriffsbestimmungen .................................................... 8.27 a) Verbundene Unternehmen ....................................... 8.27 b) Mehrheitsbeteiligung ................................................ 8.28 c) Abhängige und herrschende Unternehmen ............ 8.30 d) Konzernbegriff .......................................................... 8.33 e) Wechselseitige Beteiligung (§ 19 AktG) ................. 8.36 f) Unternehmensbegriff ............................................... 8.39

........ 531

II.

Konzernbildung ..................................................................... 8.44 1. Obergesellschaft .............................................................. 8.45 a) Gesellschafterinteressen ........................................... 8.45 b) Gläubigerinteressen .................................................. 8.49 2. Untergesellschaft ............................................................ 8.51 a) Mitteilungspflichten ................................................. 8.51 b) Übernahmerecht ....................................................... 8.55 c) Satzungsklauseln ....................................................... 8.57

........ 546 ........ 546 ........ 546 ........ 548 ........ 548 ........ 548 ........ 550 ........ 550

III.

Vertragskonzern .................................................................... 8.63 1. Überblick ......................................................................... 8.63 a) Inhalt von Unternehmensverträgen ........................ 8.63 b) Regelungsansatz ........................................................ 8.67 2. Abschluss des Unternehmensvertrages ......................... 8.70 a) Unternehmensvertrag ............................................... 8.70 b) Unternehmensvertragsbericht ................................. 8.71 c) Unternehmensvertragsprüfung ................................ 8.72 d) Zustimmungsbeschluss ............................................. 8.73 e) Eintragung in das Handelsregister ........................... 8.74 3. Gläubiger- und Minderheitenschutz .............................. 8.75 a) Gläubigerschutz ........................................................ 8.75 aa) Während der Vertragslaufzeit ......................... 8.76 bb) Nach Beendigung des Vertrages ...................... 8.78 b) Schutz der außenstehenden Aktionäre .................... 8.80

........ 553 ........ 553 ........ 553 ........ 557 ........ 559 ........ 559 ........ 559 ........ 559 ........ 560 ........ 561 ........ 561 ........ 561 ........ 561 ........ 562 ........ 564

3. 4.

5.

6.

........ 532 ........ 534 ........ 534 ........ 534 ........ 536 ........ 537 ........ 537 ........ 539 ........ 539 ........ 539 ........ 539 ........ 540 ........ 541 ........ 542 ........ 543 ........ 544

XXIII

Inhaltsverzeichnis

4. 5. 6. 7.

IV.

aa) Ausgleich und Abfindung ............................... 8.81 bb) Angemessenheit von Ausgleich und Abfindung ........................................................ 8.85 cc) Verfahrensmäßige Kontrolle ........................... 8.93 Änderung, Aufhebung und Kündigung des Vertrages ................................................................... 8.96 Wirkungen des Unternehmensvertrages ..................... 8.110 Europäische Aktiengesellschaft ................................... 8.114 GmbH-Vertragskonzern .............................................. 8.116 a) Abschluss des Unternehmensvertrages ................ 8.117 b) Behandlung nicht eingetragener Unternehmensverträge .................................................................... 8.123 c) Gläubiger- und Minderheitenschutz ..................... 8.125 d) Mitteilungspflichten ............................................... 8.127

Faktischer Konzern ............................................................ 1. Nachteilsausgleich (§ 311 Abs. 1 AktG a. E.) ............ 2. Abhängigkeitsbericht (§ 312 AktG) ........................... 3. Haftung des herrschenden Unternehmens und der Verwaltungs mitglieder der abhängigen Gesellschaft (§§ 317, 318 AktG) ................................. 4. Verhältnis zu anderen aktienrechtlichen Regelungen .................................................................... 5. Gesellschaft mit beschränkter Haftung ...................... a) Gläubigerschutz ...................................................... b) Minderheitenschutz ...............................................

........ 564 ........ 566 ........ 570 ........ ........ ........ ........ ........

572 578 579 580 580

........ 583 ........ 584 ........ 585

8.128 ........ 585 8.130 ........ 586 8.136 ........ 588

8.145 ........ 591 8.146 8.147 8.149 8.150

........ ........ ........ ........

592 592 593 593

V.

Qualifizierter faktischer Konzern ...................................... 8.152 ........ 594 1. Gläubigerschutz ............................................................ 8.153 ........ 594 2. Minderheitenschutz ...................................................... 8.155 ........ 595

VI.

Eingliederung ...................................................................... 1. Verfahren ...................................................................... a) Eingliederung durch Alleinaktionär ...................... b) Mehrheitseingliederung ......................................... 2. Wirkungen .................................................................... 3. Ende ...............................................................................

8.157 8.159 8.160 8.162 8.164 8.168

........ ........ ........ ........ ........ ........

596 596 597 597 598 599

VII. Ausschluss von Minderheitsaktionären ............................. 8.169 ........ 599 VIII. Mitbestimmung im Konzern .............................................. 8.170 ........ 599

XXIV

Inhaltsverzeichnis

§ 9 Typenvermischte Rechtsformen ............................................. 9.1 ........ 601 I.

II.

Kommanditgesellschaft auf Aktien ........................................ 9.2 1. Begriff und Bedeutung ...................................................... 9.2 2. Persönlich haftende(r) Gesellschafter ............................. 9.5 a) Sonderregelungen ....................................................... 9.6 b) Sinngemäße Geltung der Vorschriften über den Vorstand .................................................... 9.10 3. Aufsichtsrat ..................................................................... 9.11 4. Hauptversammlung ......................................................... 9.15 5. Finanzverfassung ............................................................. 9.19

........ 601 ........ 601 ........ 602 ........ 602 ........ 603 ........ 604 ........ 605 ........ 607

Kapitalgesellschaft & Co. ..................................................... 9.22 ........ 608

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften ................................. 10.1 ........ 609 I.

Verein ..................................................................................... 10.1 ........ 610

II.

Genossenschaft ...................................................................... 10.2 1. Grundlagen ...................................................................... 10.2 a) Begriff ........................................................................ 10.2 b) Historische Entwicklung .......................................... 10.5 c) Wirtschaftliche Bedeutung ....................................... 10.9 2. Gründung ...................................................................... 10.14 3. Organisationsverfassung ............................................... 10.17 a) Vorstand .................................................................. 10.19 aa) Zahl, Bestellung und Anstellung ................... 10.19 bb) Aufgaben und Pflichten ................................. 10.21 b) Aufsichtsrat ............................................................. 10.24 aa) Zahl, Zusammensetzung und Bestellung ...... 10.24 bb) Aufgaben und Pflichten ................................. 10.27 c) Kleingenossenschaften ........................................... 10.28 d) Generalversammlung .............................................. 10.30 aa) Zuständigkeit .................................................. 10.31 bb) Einberufung, Teilnahme, Leitung und Beurkundung .................................................. 10.33 cc) Beschlussfassung und Stimmrecht ................ 10.35 e) Pflichtprüfung ......................................................... 10.37 4. Mitgliedschaft ................................................................ 10.40 a) Rechte und Pflichten .............................................. 10.40 b) Erwerb und Übertragbarkeit .................................. 10.43 aa) Erwerb ............................................................ 10.43 bb) Übertragbarkeit .............................................. 10.45

........ 610 ........ 610 ........ 610 ........ 612 ........ 613 ........ 616 ........ 617 ........ 618 ........ 618 ........ 618 ........ 619 ........ 619 ........ 620 ........ 621 ........ 621 ........ 621 ........ 622 ........ 623 ........ 624 ........ 625 ........ 625 ........ 626 ........ 626 ........ 626 XXV

Inhaltsverzeichnis

c) Verlust ..................................................................... aa) Austritt ........................................................... bb) Ausschluss ...................................................... Finanzverfassung .......................................................... a) Geschäftsanteil und Geschäftsguthaben ............... b) „Kapitalverfassung“ der Genossenschaft .............. Satzungs- und Strukturänderungen ............................. Auflösung und Liquidation .......................................... Genossenschaft als verbundenes Unternehmen ......... a) Genossenschaft als herrschendes Unternehmen ......................................................... b) Genossenschaft als abhängiges Unternehmen ......

10.48 10.48 10.52 10.54 10.54 10.57 10.60 10.63 10.65

III.

Europäische Genossenschaft (SCE) .................................. 1. Historische Entwicklung und Begriff ......................... 2. Gründung ...................................................................... 3. Organisationsverfassung .............................................. 4. Mitgliedschaft ............................................................... a) Rechte ..................................................................... b) Pflichten .................................................................. c) Erwerb und Übertragbarkeit ................................. d) Verlust ..................................................................... 5. Finanzverfassung .......................................................... a) Kapitalaufbringung und -erhaltung ....................... b) Haftung ...................................................................

10.69 10.69 10.73 10.75 10.78 10.79 10.80 10.81 10.82 10.83 10.84 10.88

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

633 633 634 635 636 636 636 637 637 637 638 639

IV.

Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) ............ 10.89 1. Grundlagen ................................................................... 10.89 2. Gründung ...................................................................... 10.91 3. Organisationsverfassung .............................................. 10.93 4. Mitgliedschaft ............................................................... 10.94 a) Rechte und Pflichten .............................................. 10.94 b) Erwerb und Verlust ................................................ 10.96 5. Finanzverfassung .......................................................... 10.97 6. Satzungs- und Strukturänderungen ............................. 10.98 7. VVaG als verbundenes Unternehmen ....................... 10.105

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

639 639 640 640 641 641 641 642 642 644

5.

6. 7. 8.

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

627 627 628 629 629 629 630 631 631

10.66 ........ 631 10.67 ........ 632

Anhang: Anspruchsgrundlagen im Aktien- und GmbH-Recht ............... 647 Sachregister ...................................................................................................... 659

XXVI

Abkürzungsverzeichnis a. A. ...................................... andere/-er Ansicht/am Anfang ABl. ...................................... EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft(-en)/der Europäischen Union abl. ........................................ ablehnend Abs. ...................................... Absatz abw. ...................................... abweichend a. E. ....................................... am Ende AEUV ................................... Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. ....................................... alte Fassung AcP ....................................... Archiv für die civilistische Praxis AG ........................................ Amtsgericht/Aktiengesellschaft/Die Aktiengesellschaft AGG ..................................... Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz v. 14.8.2006, BGBl. I, 1897 AGBG .................................. Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen AktG .................................... Aktiengesetz Aktienrechtsnovelle 2014 ... Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes i. d. F. des RegE v. 23.1.2015, BR-Drucks. 22/15 (im Wesentlichen inhaltsgleich mit der „Aktienrechtsnovelle 2012“ i. d. F. des RegE v. 20.12.2011, BR-Drucks. 852/11 Alt. ........................................ Alternative AltTZG ................................ Altersteilzeitgesetz (Art. 1 des Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand) v. 23.7.1996, BGBl. I, 1078 AnfG .................................... Anfechtungsgesetz Anm. ..................................... Anmerkung AnSVG ................................. Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbesserungsgesetz) v. 28.10.2004, BGBl. I, 2630 Art. ....................................... Artikel ARUG .................................. Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479 Aufl. ..................................... Auflage

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

BaFin .................................... BAG ..................................... BayObLG ............................ BB ........................................ Bd. ........................................ Begr RegE ............................ BetrAVG ............................. BetrVG ................................ BGB ..................................... BGBl. ................................... BGE ..................................... BGH .................................... BGHSt ................................. BGHZ .................................. BilKoG .................................

BilMoG ................................ BilReG .................................

BilRUG ................................

BörsG ................................... BRAO ..................................

XXVIII

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater Band Begründung Regierungsentwurf Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BGH in Strafsachen Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BGH in Zivilsachen Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz) v. 15.12.2004, BGBl. I, 3408 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102 Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz) v. 9.12.2004, BGBl. I, 3166 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates vom 17. Juli 2015, BGBl. I, 1245 Börsengesetz Bundesrechtsanwaltsordnung

Abkürzungsverzeichnis

BT-Drucks. .......................... Bundestags-Drucksache BVerfG ................................. Bundesverfassungsgericht BVerfGE .............................. Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BVerfG bzw. ...................................... beziehungsweise CFL ...................................... Corporate Finance law CR ........................................ Computer und Recht DAI ...................................... Deutsches Aktieninstitut DB ........................................ Der Betrieb DCGK .................................. Deutscher Corporate Governance Kodex (abrufbar unter www.corporate-governance-code.de) DepotG ................................ Depotgesetz ders. ...................................... derselbe d. h. ....................................... das heißt dies. ...................................... dieselbe(n) DiskE ................................... Diskussionsentwurf DMBilG ............................... D-Markbilanzgesetz DNotZ ................................. Deutsche Notarzeitschrift DrittelbG ............................. Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat v. 27.5.2004, BGBl. I, 974 DStR ..................................... Deutsches Steuerrecht DtZ ....................................... Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift DVBl .................................... Deutsches Verwaltungsblatt DZWir/DZWIR .................. Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht/für Wirtschafts- und Insolvenzrecht E- .......................................... Entwurf ECFR ................................... European Company and Financial Law Review EG ........................................ Europäische Gemeinschaft/Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (alt) EGAktG ............................... Einführungsgesetz zum Aktiengesetz EGGVG ............................... Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz EGInsO ............................... Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung EGV ..................................... Vertrag über die Europäische Gemeinschaft (alt) Ehrenamtsstärkungsgesetz ... Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts v. 21.3.2013, BGBl. I, 556

XXIX

Abkürzungsverzeichnis

EHUG ................................. Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553 Einl. ...................................... Einleitung ESUG .................................. Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011, BGBl. I, 2582 EuGH .................................. Europäischer Gerichtshof EUV ..................................... Vertrag über die Europäische Union EuroEG ............................... Gesetz zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz) v. 9.6.1998, BGBl. I, 1242 EuZW .................................. Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht e. V. ...................................... eingetragener Verein EWG .................................... Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWiR ................................... Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht EWIV ................................... Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung EWIV-AG ........................... EWIV-Ausführungsgesetz EWIV-VO ........................... Verordnung (EWG) Nr. 2137 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung, ABl. EG Nr. L 199 v. 31.7.1985, S. 1 ff. EWS ..................................... Europäisches Wirtschafts- & Steuerrecht f./ff. ...................................... folgende FamFG ................................ Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (eingeführt durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit [FGG-Reformgesetz – FGG-RG] v. 17.12.2008, BGBl. I, 2586 FAZ ..................................... Frankfurter Allgemeine Zeitung FE ......................................... Europäische Stiftung (Fundatio Europaea) FGG ..................................... Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit 4. FiFöG .............................. Gesetz zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Viertes Finanzmarktförderungsgesetz) v. 21.6.2002, BGBl. I, 2010 EMS ..................................... Europäische Gegenseitigkeitsgesellschaft (European Mutual Society)

XXX

Abkürzungsverzeichnis

FMStG ................................. Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz) v. 17.10.2008, BGBl. I, 1982 Fn. ........................................ Fußnote GbR ...................................... Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gen ....................................... Genossenschaft GenG .................................... Genossenschaftsgesetz GesO .................................... Gesamtvollstreckungsordnung GesR ..................................... Gesellschaftsrecht GG ........................................ Grundgesetz ggf. ........................................ gegebenenfalls gGmbH ................................ gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH .................................. Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHG ............................... GmbH-Gesetz GmbHR ............................... GmbH-Rundschau GmS-OGB ........................... Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes Großkomm. ......................... Großkommentar GWB .................................... Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Halbs. ................................... Halbsatz HGB ..................................... Handelsgesetzbuch HRefG ................................. Handelsrechtsreformgesetz v. 22.6.1998, BGBl. I, 1474 hrsg./Hrsg. ........................... herausgegeben/Herausgeber HRV ..................................... Handelsregisterverordnung IAS ....................................... International Accounting Standards IFRS ..................................... International Financial Reporting Standards InsO ..................................... Insolvenzordnung InsVZ ................................... Zeitschrift für Insolvenzverwaltung und Sanierungsberatung i. c. ........................................ in concreto i. d. F. ................................... in der Fassung i. E. ........................................ im Ergebnis i. e. S. ..................................... im engeren Sinne i. S. d. .................................... im Sinne der/des

XXXI

Abkürzungsverzeichnis

i. S. v. .................................... i. V. m. ................................. i. w. S..................................... JZ ......................................... KapCoRiLiG ....................... KapErhG ............................. KapGesR .............................. KapMuG .............................. KG ....................................... KGaA ................................... KO ....................................... Komm. ................................. KonTraG ............................. krit. ...................................... KStG .................................... KWG .................................... LG ........................................ LM ....................................... Ls. ......................................... LwAnpG .............................. MgVG ..................................

MicroBilG ............................

MindestkapG ....................... Mio. ......................................

XXXII

im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristenzeitung Kapitalgesellschaften & Co.-Richtlinie-Gesetz v. 24.2.2000, BGBl. I, 154 Kapitalerhöhungsgesetz Kapitalgesellschaftsrecht Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz v. 16.8.2005, BGBl. I, 2437 Kammergericht/Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Konkursordnung Kommentar Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich v. 27.4.1998, BGBl. I, 786 kritisch Körperschaftsteuergesetz Gesetz über das Kreditwesen Landgericht Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des BGH Leitsatz Landwirtschaftsanpassungsgesetz Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung v. 21.12.2006, BGBl. I, 3332 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz) v. 20.12.2012, BGBl. I, 2751 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH, BT-Drucks. 15/5673 Million(en)

Abkürzungsverzeichnis

MitbestG .............................. Mitbestimmungsgesetz MoMiG ................................ Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I, 2026 Montan-MitbestErgG ......... Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz m. w. N. ............................... mit weiteren Nachweisen m. W. v. ................................ mit Wirkung vom n. F. ...................................... neue Fassung NaStraG ............................... Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz) v. 18.1.2001, BGBl. I, 123 n. rkr. .................................... nicht rechtskräftig NJW ..................................... Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR .............................. NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nr. ........................................ Nummer NZA ..................................... Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht OHG .................................... Offene Handelsgesellschaft OLG ..................................... Oberlandesgericht OLG-NL .............................. OLG-Rechtsprechung Neue Länder PatAnwO ............................. Patentanwaltsordnung PartGG ................................. Partnerschaftsgesellschaftsgesetz PCGK .................................. Public Corporate Governance Kodex (abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de/ nn_3384/DE/Wirtschaft__und__Verwaltung/ Bundesliegenschaften__und__Bundesbeteiligungen/Public__corporate__governance__Kodex) RegE ..................................... Regierungsentwurf RGZ ..................................... Amtliche Sammlung der Entscheidungen des RG in Zivilsachen Restrukturierungsgesetz ..... Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung v. 9.12.2010, BGBl. I, 1900 Risikobegrenzungsgesetz .... Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken v. 12.8.2008, BGBl. I, 1666 Riv.soc. ................................. Rivista delle società XXXIII

Abkürzungsverzeichnis

rkr. ....................................... Rz. ........................................ RWS-Dok. ........................... S. ........................................... SCE ...................................... SE ......................................... SEAG ...................................

SEBG ...................................

SEEG ................................... SE-RL ..................................

SEStEG ................................

SE-VO .................................

SpruchG ...............................

SpTrUG ...............................

XXXIV

rechtskräftig Randzahl RWS-Dokumentation Seite Societas Cooperativa Europaea (Europäische Genossenschaft) Societas Europaea (Europäische [Aktien-]Gesellschaft) Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz) (= Art. 1 des SEEG) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz) (= Art. 2 des SEEG) Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft v. 22.12.2004, BGBl. I, 3675 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, 22 ff. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I, 2782, 2007, 68 (Korrektur) Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1 ff. Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren (Spruchverfahrensgesetz), eingeführt durch Art. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens (Spruchverfahrensneuordnungsgesetz) v. 12.6.2003, BGBl. I, 838 Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen

Abkürzungsverzeichnis

StBerG .................................. Steuerberatungsgesetz StGB ..................................... Strafgesetzbuch SZW/RSDA ......................... Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht/ Revue Suisse de Droit des Afffaires TransPuG ............................. Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) v. 19.7.2002, BGBl. I, 2681 TUG ..................................... Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind [Transparenzrichtlinie], und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – TUG) v. 5.10.2007, BGBl. I, 10 UA ........................................ Unterabsatz u. a. ....................................... unter anderem ÜbernahmerichtlinieUmsetzungsgesetz .............. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote v. 8.7.2006, BGBl. I, 2553 UBGG .................................. Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften UG ....................................... Unternehmergesellschaft UMAG ................................. Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005, BGBl. I, 2802 UmwBerG ............................ Umwandlungsbereinigungsgesetz v. 28.10.1994, BGBl. I, 3210, Ber. 1995 I, 428 UmwStG .............................. Umwandlungssteuergesetz UmwG ................................. Umwandlungsgesetz UmwR .................................. Umwandlungsrecht VEB ...................................... Volkseigener Betrieb VG ........................................ Verwaltungsgericht vGA ...................................... verdeckte Gewinnausschüttung

XXXV

Abkürzungsverzeichnis

VorstAG .............................. Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung v. 31.7.2009, BGBl. I, 2509 VorstOG ............................. Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz) v. 3.8.2005, BGBl. I, 2267 VVaG ................................... Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit vgl. ........................................ vergleiche WG ....................................... Wechselgesetz WiB ...................................... Wirtschaftsrechtliche Beratung weit. Nachw. ........................ weitere Nachweise WpHG ................................. Wertpapierhandelsgesetz WM ...................................... Wertpapier-Mitteilungen WPO .................................... Wirtschaftsprüferordnung WpÜG ................................. Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz WuB ..................................... Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht zahlr. .................................... zahlreiche/-en ZBB ...................................... Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft ZfgG .................................... Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen ZfIR ..................................... Zeitschrift für Immobilienrecht ZHR ..................................... Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht ZGB ..................................... (Schweizerisches) Zivilgesetzbuch ZGR ..................................... Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZIP ....................................... Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZPO ..................................... Zivilprozessordnung ZRP ...................................... Zeitschrift für Rechtspolitik ZStV ..................................... Zeitschrift für Stiftungs- und Vereinswesen zust. ..................................... zustimmend

XXXVI

Verzeichnis des abgekürzt zitierten Schrifttums Wurden mehrere Auflagen eines Werkes verwendet, beziehen sich Nachweise ohne besonderen Zusatz auf die jeweils neueste Auflage. Baumbach, Adolf/Hueck, Alfred GmbH-Gesetz, 20. Aufl. 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Baumbach/Hueck) Beuthien, Volker Genossenschaftsgesetz mit Umwandlungs- und Kartellrecht sowie Statut der Europäischen Genossenschaft, 15. Aufl. 2011 (zit.: Beuthien) Emmerich, Volker/Habersack, Mathias Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 7. Aufl. 2013 Emmerich, Volker/Sonnenschein, Jürgen/Habersack, Mathias Konzernrecht, 10. Aufl. 2013 Geßler, Ernst/Hefermehl, Wolfgang/Eckardt, Ulrich/Kropff, Bruno Aktiengesetz, Kommentar, 1973 ff. (zit.: Bearbeiter, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff) Gottwald, Peter Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015 (zit.: Gottwald/Bearbeiter, InsR HdB) Großkommentar zum Aktiengesetz 4. Aufl. 1992 ff., hrsg. v. Klaus J. Hopt/Herbert Wiedemann (zit.: Bearbeiter, in: GroßK) Grunewald, Barbara Gesellschaftsrecht, 9. Aufl. 2013 (zit.: GesR) Hirte, Heribert Das Transparenz- und Publizitätsgesetz. Einführende Gesamtdarstellung, 2003 (zit.: TransPuG) Hüffer, Uwe Aktiengesetz, 11. Aufl. 2014 (zit.: Hüffer/Bearbeiter) Kallmeyer, Harald (Hrsg.) Umwandlungsgesetz. Kommentar. Verschmelzung, Spaltung und Formwechsel bei Handelsgesellschaften, 5. Aufl. 2013 (zit.: Kallmeyer/Bearbeiter) Kölner Kommentar zum Aktiengesetz 2. Aufl. 1986 ff.; 3. Aufl. 2004 ff., hrsg. v. Wolfgang Zöllner/Ulrich Noack (zit.: KK) Kölner Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz 2. Aufl. 2010, hrsg. v. Heribert Hirte/Christoph von Bülow (zit.: KK-WpÜG) XXXVII

Schrifttumsverzeichnis

Kölner Kommentar zum Wertpapierhandelsgesetz 2. Aufl. 2014, hrsg. v. Heribert Hirte/Thomas M. J. Möllers (zit.: KK-WpHG) Kübler, Bruno M./Prütting, Hanns/Bork, Reinhard InsO. Kommentar zur Insolvenzordnung, Loseblatt, 1998 ff., Stand: 64. Lfg. 7/2015 (zit.: Kübler/Prütting/Bork/Bearbeiter) Kübler, Friedrich/Assmann, Heinz-Dieter Gesellschaftsrecht: Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, 6. Aufl. 2006 (zit.: GesR) Langenbucher, Katja Aktien- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2015 Lutter, Marcus (Hrsg.) Kölner Umwandlungsrechtstage. Verschmelzung – Spaltung – Formwechsel nach neuem Umwandlungsrecht und Umwandlungssteuerrecht, 1995 (zit.: Kölner UmwR-Tage) Lutter, Marcus (Hrsg.) Umwandlungsgesetz. Kommentar, 5. Aufl. 2014 (zit.: Lutter/Bearbeiter) Lutter, Marcus/Hommelhoff, Peter GmbH-Gesetz. Kommentar, 18. Aufl. 2012 (zit.: Bearbeiter, in: Lutter/Hommelhoff) Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Band 1. BGB-Gesellschaft, Offene Handelsgesellschaft, Partnerschaftsgesellschaft, Partenreederei, EWIV, hrsg. v. Hans Gummert/Lutz Weipert, 3. Aufl. 2009 Band 3. Gesellschaft mit beschränkter Haftung, hrsg. v. Hans-Joachim Priester/Dieter Mayer/Hartmut Wicke, 4. Aufl. 2012 (zit.: MünchHdb GmbH-Bearbeiter) Band 4. Aktiengesellschaft, hrsg. v. Michael Hoffmann-Becking, 4. Aufl. 2015 (zit.: MünchHdb AG-Bearbeiter) Münchener Kommentar zum Aktiengesetz 3. Aufl. 2008 ff., hrsg. v. Wulf Goette/Mathias Habersack (zit.: MünchKomm-Bearbeiter) Münchener Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – GmbHG Band 1. §§ 1 – 34, 2. Aufl. 2015, hrsg. v. Holger Fleischer/Wulf Goette (zit.: MünchKomm-Bearbeiter) Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung Band 1. §§ 1 – 79, InsVV, 3. Aufl. 2013, hrsg. v. Hans-Peter Kirchhof/ Horst Eidenmüller/Rolf Stürner (zit.: MünchKomm-Bearbeiter)

XXXVIII

Schrifttumsverzeichnis

Neye, Hans-Werner (Hrsg.) Umwandlungsgesetz – UmwG, Umwandlungssteuergesetz – UmwStG, 2. Aufl. 1995 Pfeifer, Udo Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, 2001 (zit.: Schutzmechanismen) Raiser, Thomas/Veil, Rüdiger Recht der Kapitalgesellschaften. Ein Handbuch für Praxis und Wissenschaft, 5. Aufl. 2010 (zit.: KapGesR) Roth, Günter H./Altmeppen, Holger GmbHG. Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 7. Aufl. 2012 (zit.: Roth/Altmeppen/Bearbeiter) Rowedder, Heinz/Schmidt-Leithoff, Christian Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), 5. Aufl. 2013 (zit.: Rowedder/Schmidt-Leithoff/Bearbeiter) Schmidt, Karsten Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002 (zit.: GesR) Schmitt, Joachim/Hörtnagl, Robert/Stratz, Rolf-Christian Umwandlungsgesetz/Umwandlungssteuergesetz: UmwG, UmwStG, 6. Aufl. 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Schmitt/Hörtnagel/Stratz) Scholz, Franz Kommentar zum GmbH-Gesetz, Band I. 11. Aufl. 2012, Band II. 11. Aufl. 2014, Band III. 11. Aufl. 2015 (zit.: Scholz/Bearbeiter) Semler, Johannes/Stengel, Arndt Umwandlungsgesetz, 3. Aufl. 2012 (zit.: Semler/Stengel/Bearbeiter) Spindler, Gerald/Stilz, Eberhard Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl. 2015 (zit.: Spindler/Stilz/Bearbeiter) Uhlenbruck, Wilhelm/Hirte, Heribert/Vallender, Heinz Insolvenzordnung. Kommentar, 14. Aufl. 2015 Ulmer, Peter/Habersack, Mathias/Winter, Martin Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG). Großkommentar, 1. Aufl. 2005 ff. (zit.: Bearbeiter, in: GroßK-GmbHG) Wiedemann, Herbert Gesellschaftsrecht. Ein Lehrbuch des Unternehmens- und Verbandsrechts, Band I. Grundlagen, 1980 (zit.: GesR I)

XXXIX

§ 1 Grundlagen Literatur: Fleischer, Grundfragen der ökonomischen Theorie im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, ZGR 2001, 1; Henssler, Die gesetzliche Regelung der Rechtsanwalts-GmbH, NJW 1999, 241; Hirte, Die Europäische Aktiengesellschaft, NZG 2002, 1; Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften. Ein Praxishandbuch für ausländische Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland, 2. Aufl. 2006; Hopt, Europäisches Gesellschaftsrecht – Krise und neue Anläufe, ZIP 1998, 96; ders., Gemeinsame Grundsätze der Corporate Governance in Europa?, ZGR 2000, 779; Priester, Nonprofit-GmbH, Satzungsgestaltung und Satzungsvollzug, GmbHR 1999, 149; Raiser, Der Begriff der juristischen Person. Eine Neubesinnung, AcP 199 (1999), 104.

I.

Begriff

1.

Kapitalgesellschaft als Sammelbecken für Eigenkapital

Gegenstand des Kapitalgesellschaftsrechts sind die „Kapitalgesellschaften“. Dazu 1.1 gehören neben der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung noch die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die entsprechenden europäischen Rechtsformen (vgl. die Legaldefinition in § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Ihr Charakteristikum liegt in der vom Gesetzgeber aufgestellten Verpflichtung, ein bestimmtes Eigenkapital aufzubringen und es nur in bestimmter Weise zu verwenden.1) Dieses Kapital wird bei der Aktiengesellschaft als Grundkapital (§ 1 Abs. 2 AktG) bezeichnet, das mindestens 50.000 Euro betragen muss (§ 7 AktG; Art. 6 Abs. 1 Zweite Richtlinie). Es ist in Aktien „zerlegt“ (§ 1 Abs. 2 AktG, ebenso Art. 1 Abs. 2 Satz 1 SE-VO). Bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist demgegenüber vom Stammkapital die Rede, dessen Mindestumfang im Normalfall lediglich 25.000 Euro beträgt (§ 5 Abs. 1 GmbHG) und bei Gründung einer „Unternehmergesellschaft“ (dazu näher unten Rz. 5.45a ff.) auch diesen Betrag noch unterschreiten kann. Es setzt sich aus „Geschäftsanteilen“ (früher „Stammeinlagen“) zusammen (§ 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Die Kapitalgesellschaften bilden den Gegensatz zu den Personengesellschaften 1.2 oder – so die Bezeichnung des Gesetzes (vor § 105 HGB) – den Handelsgesellschaften: offene Handelsgesellschaft (§§ 105 ff. HGB) und Kommanditgesellschaft (§§ 161 ff. HGB). Als erste europäische Gesellschaftsform kommt hier noch die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) hinzu, die nach § 1 EWIV-AG als Handelsgesellschaft gilt, und für den Bereich des Seehandels die Reederei (§§ 489 ff. HGB). Da das Gesetz aber die Kapitalgesellschaften durch Fiktion den Handelsgesellschaften gleichstellt (§ 3 Abs. 1 AktG, § 13 Abs. 3 GmbHG, ebenso jetzt Art. 1 Abs. 2 Satz 1 SE-VO), hatte sich für die Handelsgesellschaften des HGB zunächst die Bezeichnung als „Personalgesellschaften“ eingebürgert. Heute überwiegt demgegenüber – an___________ 1)

Raiser/Veil, KapGesR, § 1 Rz. 2; Wiedemann, GesR I, S. 101 ff.

1

§ 1 Grundlagen

knüpfend an die Legaldefinition in § 3 Abs. 1 Nr. 1 UmwG – die Bezeichnung als „Personenhandelsgesellschaften“.2) 2.

Kapitalgesellschaft als Körperschaft

1.3 Die Kapitalgesellschaften sind Körperschaften. Körperschaften sind Vereinigungen, „deren Zielverwirklichung unabhängig von den Gründern oder anderen Personen gedacht ist“.3) Bei den Körperschaften stehen im Gegensatz zu den Personenhandelsgesellschaften der persönliche Einsatz der Mitglieder und ihr Verhältnis zueinander nicht im Vordergrund. Mitglieder von Kapitalgesellschaften sind dabei nur (natürliche oder juristische) Personen. Vor allem im öffentlichen Recht kommen demgegenüber auch Körperschaften vor, bei denen die Mitgliedschaft auf der Zugehörigkeit einer Person oder einer Sache zu einem bestimmten geographischen Gebiet beruht („Gebietskörperschaften“). 1.4 Die (Personal-)Körperschaften unterscheiden sich – wie gesagt – von den anderen Personenverbänden vor allem dadurch, dass ihre Existenz unabhängig von der Person der Mitglieder und insbesondere der der Gründer ist. Jedenfalls von Gesetzes wegen sind sie auf freien Ein- und Austritt der Mitglieder und auf einen großen Mitgliederkreis angelegt. Bezüglich der Organisation hat der Gesetzgeber für Körperschaften das Mehrheitsprinzip verankert (§ 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG, § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB, § 43 Abs. 2 GenG), während bei den übrigen Personenverbänden das Einstimmigkeitsprinzip den Grundsatz darstellt. Nur für die Körperschaften ist schließlich die Fremdorganschaft zugelassen, also die Möglichkeit, einen gesellschaftsfremden Dritten zum organschaftlichen Vertreter zu bestellen (§ 76 AktG, § 35 GmbHG, § 26 BGB, nicht aber § 9 Abs. 2 Satz 1 GenG; Ausnahme: Art. 19 Abs. 1 EWIV-VO [Fremdgeschäftsführer auch bei Personengesellschaft]).4) 1.5 Grundform der (Personal-)Körperschaften des Privatrechts ist der eingetragene Verein mit nichtwirtschaftlicher Zielsetzung („Idealverein“). Seine Regelung in §§ 21 ff., 55 ff. BGB – und nicht die der BGB-Gesellschaft in §§ 705 ff. BGB – stellt daher auch so etwas wie den „Allgemeinen Teil“ des auf die Kapitalgesellschaften anwendbaren Rechts dar. Zahlreiche der dort niedergelegten Grundprinzipien können deshalb auch im Kapitalgesellschaftsrecht ergänzend herangezogen werden, und einige Normen des BGB-Vereinsrechts haben in Ermangelung spezieller Regelungen in den einzelnen Körperschaftsrechten allgemeine Geltung auch für die Kapitalgesellschaften. Als wohl wichtigste sei schon hier § 31 BGB genannt, nach dem der Verein ohne Entlastungsmöglichkeit für zum Schadenersatz verpflichtende Handlungen seiner Organe haftet, soweit diese „in Ausführung der [diesem] zustehenden Verrichtungen begangen [.]“ wurden (dazu unten ___________ 2) 3) 4)

2

Dazu Wiedemann, GesR I, S. 101 f. So Wiedemann, GesR I, S. 90. Überblick über die Unterscheidungsmerkmale bei Wiedemann, GesR I, S. 90 ff.

I. Begriff

Rz. 3.313 ff.); auch eine Anwendung des neuen § 31a BGB auf sämtliche Körperschaften wird erwogen (dazu unten Rz. 3.383a ff.). Umgekehrt können im Vereinsrecht bisweilen auch die deutlich konkreteren Vorschriften der „besonderen“ Körperschaften für die Auslegung und Lückenfüllung eine Rolle spielen. Weitere Personalkörperschaften des Privatrechts, die nicht Kapitalgesellschaften 1.6 sind, sind die Genossenschaft, die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE) und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG). Auch das öffentliche Recht kennt Personalkörperschaften. Genannt seien hier nur die zahlreichen Kammern (Rechtsanwaltskammer, Ärztekammer, Industrie- und Handelskammer), für die darüber hinaus eine Zwangsmitgliedschaft charakteristisch ist. 3.

Kapitalgesellschaft als juristische Person

Die Körperschaften sind in aller Regel zugleich juristische Personen (§ 1 Abs. 1 1.7 Satz 1, § 41 AktG, Art. 1 Abs. 3 SE-VO, §§ 11 Abs. 1, 13 Abs. 1 GmbHG, §§ 21, 22 BGB, § 13 GenG), bei denen nach dem Gesetz für die Verbindlichkeiten des Verbandes nur das Gesellschaftsvermögen haftet (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 13 Abs. 2 GmbHG). Die darin liegende Verselbständigung der Sphäre des Verbandes gegenüber seinen Mitgliedern wird als Trennungsprinzip bezeichnet. Das gilt in beiden Richtungen. Deshalb haften einerseits die Gesellschafter grundsätzlich nicht für Verbindlichkeiten „ihrer“ Gesellschaft (zu den Ausnahmen unten Rz. 5.163 ff.). Aus dem Trennungsprinzip folgt aber auch das Verbot eines „umgekehrten Haftungsdurchgriffs“, also einer Haftung der Gesellschaft für Verbindlichkeiten ihres Gesellschafters; denn dies würde zu Lasten der Gläubiger der Gesellschaft gehen.5) Durch das Weisungsrecht des § 37 Abs. 1 GmbHG wird dieses Trennungsprinzip allerdings teilweise durchbrochen; denn es bewirkt, dass eine GmbH keinen vom Willen ihrer Mitglieder unabhängigen eigenen Willen hat. Das wirkt sich etwa bei den Grenzen der Untreuestrafbarkeit zu Lasten juristischer Personen aus (dazu unten Rz. 3.148), aber auch etwa dergestalt, dass die Veräußerung eigener Anteile einer GmbH durch ihren nicht geschäftsführenden, aber Alleingesellschafter nicht zur Anwendung von § 816 Abs. 1 BGB führt, weil die Veräußerung dann trotz fehlender Verfügungsbefugnis nicht dem (mit dem übereinstimmenden Willen ihrer Gesellschafter identischen) Willen der Gesellschaft widerspricht (dazu auch unten Rz. 5.99).6) Ausnahmen vom Auftreten der Körperschaften als juristische Personen er- 1.8 geben sich nur beim nichtrechtsfähigen Verein, der – obwohl Körperschaft – nicht ___________ 5) 6)

BGH und OLG Nürnberg DStR 1999, 1822 (Ls.) (Goette) (GmbH); AG Brühl NZG 2002, 584. BGH ZIP 2003, 2116 = NJW 2004, 365 = NZG 2003, 1164 = EWiR § 35 GmbHG 1/03, 1245 (Ziemons).

3

§ 1 Grundlagen

juristische Person ist (§ 54 Satz 1 BGB), und bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien, bei der (mindestens) ein Komplementär persönlich haftet (§ 278 Abs. 1 und 2 AktG; dazu auch unten Rz. 1.16 f. und 9.1 ff.). Bezüglich der auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung bildet schließlich die Genossenschaft eine Ausnahme (§ 2 GenG). An die Rechtsfähigkeit der juristischen Person7) knüpft auch das Steuerrecht an: denn die Körperschaften unterliegen als solche der Körperschaftsteuer (§ 1 KStG), während bei den übrigen Personenverbänden die Gewinnanteile der Mitglieder/Gesellschafter besteuert werden. Von der an die einzelne juristische Person anknüpfenden Besteuerung wird allerdings abgewichen und eine „zusammengefasste Besteuerung“ vorgenommen, wenn die betreffenden Unternehmen einen Organschaftsvertrag schließen (dazu unten Rz. 8.18). Ebenfalls juristische Person ist die Stiftung (§ 80 Satz 1 BGB). Sie ist jedoch keine Körperschaft, sondern eine verselbständigte Vermögensmasse. 1.9 Das Gegenstück zur auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung der juristischen Person bilden das Gesamthandsprinzip, nach dem den Gesellschaftern das Vermögen zur gesamten Hand zusteht (§ 719 Abs. 1 BGB), und die neben die Haftung der Gesellschaft tretende persönliche Haftung der Gesellschafter (§§ 128, 161 Abs. 2 HGB, § 714 BGB, Art. 24 Abs. 1 EWIV-VO). Das Gesamthandsprinzip ist kennzeichnend sowohl für die Personenhandelsgesellschaften und die Partnerschaftsgesellschaft als auch für deren Grundform, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB, §§ 105 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB, § 1 Abs. 4 PartGG). 1.10 Diese gesetzliche Konzeption schließt allerdings nicht aus, auch bei einer Personen-

gesellschaft die Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft allgemein oder im Einzelfall auf das Gesellschaftsvermögen zu beschränken – oder dies zumindest zu versuchen. Insbesondere die „Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung“ (GbR mbH) hatte dabei mehrfach die Gerichte beschäftigt. Bei ihr werden die Vertragspartner der BGB-Gesellschaft auf die gesellschaftsvertragliche Beschränkung der Haftung der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen durch „Firmierung“ hingewiesen. Dass dieses Vorgehen grundsätzlich zu einer Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen führen kann, hatte der BGH zunächst implizit bestätigt.8) Eine allgemeine Haftungsbeschränkung, etwa auch für gesetzliche Verbindlichkeiten, lässt sich durch dieses Vorgehen aber nicht erreichen. Denn zum einen ist allein aus der „Firmierung“ eine Haftungsbeschränkung nicht hinreichend deutlich erkennbar und dem Geschäftspartner eine Prüfung nicht zuzumuten; zum anderen weckt die Abkürzung Assoziationen an die mit einem Mindeststammkapital ausgestattete GmbH. Eine Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen

___________ 7) 8)

4

Zur – nicht zwingenden – Verbindung von Rechtsfähigkeit und Rechtspersönlichkeit ausführlich Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 240 ff. BGHZ 134, 224 = NJW 1997, 1580 = ZIP 1997, 682 = LM H. 7/1997 § 366 BGB Nr. 26 (H. P. Westermann) = DStR 1997, 709 (Goette): Teil-, nicht Gesamtschuld zwischen den Haftungsanteilen der einzelnen Gesellschafter (dazu Hirte, NJW 1999, 179, 180; Karsten Schmidt, NJW 1997, 2201).

I. Begriff

ist daher nur durch individualvertragliche Vereinbarung möglich.9) Derartigen Haftungsbeschränkungen können darüber hinaus auch aus anderen, insbesondere wettbewerbsrechtlichen Gründen Bedenken entgegenstehen.10) Sicher ist zudem, dass es sich bei einer „GbR mbH“ keinesfalls um eine eigenständige juristische Person handelt. Freilich gab es für diese Rechtsfigur so lange ein praktisches Bedürfnis, als es Klein- 1.11 gewerbetreibenden wegen § 4 HGB a. F. nicht möglich war, eine Kommanditgesellschaft zu gründen, und die Gründung einer GmbH unverhältnismäßig teuer war; Gleiches galt für den praktisch vollständigen Ausschluss einer Möglichkeit der Haftungsbeschränkung bei der beruflichen Kooperation von Freiberuflern, denen weder die KG noch die GmbH offenstand. Durch die Handelsrechtsreform zum 1. Juli 1998 mit ihrer Eintragungsoption für Kleingewerbetreibende hat sich dies für die Gewerbetreibenden geändert, durch die Einführung (und inzwischen schon Reform) der Partnerschaftsgesellschaft (§ 8 PartGG!) und der Rechtsanwalts-GmbH auch für die Freiberufler (dazu unten Rz. 2.56 f.). Ungeachtet des Bedürfnisses für eine solche Haftungsbeschränkung kann sie rein 1.12 faktisch schon dadurch Wirkung entfalten, dass ein Vertragspartner unter Hinweis auf die „Firmierung“ von einer Geltendmachung von Ansprüchen gegen das Privatvermögen der Gesellschafter abgehalten wird. Die firmenähnliche Herausstellung des Kürzels „mbH“ ist daher zumindest (auch) deshalb zu beanstanden und nach § 37 Abs. 1 HGB zu untersagen, weil sie den Eindruck einer den Vorschriften des GmbHG entsprechenden Kapitalaufbringung erweckt.

4.

Kapitalgesellschaft als Außengesellschaft

Personenhandels- wie Kapitalgesellschaften sind Außengesellschaften – also 1.13 solche, die nach außen für Geschäftspartner und den Rechtsverkehr als Gesellschaften in Erscheinung treten. Insoweit sind sie abzugrenzen von den Innengesellschaften, bei denen die Vergesellschaftung von (in der Regel) Gewinn und Verlust nach außen nicht erkennbar ist. Als Innengesellschaft stellt das Gesetz ausdrücklich nur die stille Gesellschaft (§§ 230 ff. HGB) zur Verfügung; ebenfalls in Betracht kommt aber der Rückgriff auf die BGB-Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB), wenn dort – was nicht zwingend ist – kein Gesamthandsvermögen gebildet wurde.11) Beide Gruppen von Gesellschaften gehören schließlich – was bereits angesprochen 1.14 wurde – zu den Handelsgesellschaften (im weiteren Sinne); das gilt über Art. 9 SE-VO auch für die SE, so dass auch dieser wie den anderen Handelsgesell___________ 9) BGHZ 142, 315 = NJW 1999, 3483 = ZIP 1999, 1755 (Altmeppen) = DStR 1999, 1704 (Goette) = EWiR § 705 BGB 2/99, 1053 (Keil) = NZG 1999, 1093 (H. Weber); im Anschluss an Vorinstanz OLG Jena ZIP 1998, 1797 (Mutter) = NJW-RR 1998, 1493 = EWiR § 705 BGB 3/98, 975 (Bachmann) = DStR 1998, 2024; dazu Hirte, NJW 2000, 3531, 3536 f. m. zahlr. weit. Nachw. – Zur Möglichkeit eines Einschreitens des Registergerichts wegen Irreführungsgefahr über die Rechtsform BayObLG ZIP 1998, 1959 = NJW 1999, 297 = DStR 1998, 2024. 10) OLG München NJW-RR 1998, 1728 = ZIP 1999, 535 = DStR 1998, 2026 (Vorinstanz LG München I, ZIP 1998, 1800); Hirte, Berufshaftung (1996), S. 431 m. w. N. 11) Karsten Schmidt, GesR, § 58 III 7, S. 1709, § 59 IV 1, S. 1753 f., § 62, S. 1836 ff.

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§ 1 Grundlagen

schaften die Kaufmannseigenschaft nach § 6 HGB zukommt.12) Insoweit stehen beide im Gegensatz zu den Zivilgesellschaften: für den Bereich der Personenhandelsgesellschaften sind dies die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB) und die Partnerschaftsgesellschaft (PartGG), für den Bereich der Kapitalgesellschaften der Idealverein (§ 21 BGB).13) Einen Sonderfall im Bereich des Körperschaftsrechts bildet insoweit der wirtschaftliche Verein (§ 22 BGB). Sein Zweck ist auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet, so dass er nicht mehr zu den Zivilgesellschaften bzw. -verbänden gehört. Gleichwohl gehört er mangels besonderer Vorgaben für die Kapitalausstattung nicht zu den Kapitalgesellschaften. Damit droht die Gefahr, dass durch die Wahl dieser Rechtsform die vor allem gläubigerschützenden Regelungen des Kapitalgesellschaftsrechts unterlaufen werden können. Der Gesetzgeber hat die Wahl dieser Rechtsform daher von einer staatlichen Zulassung abhängig gemacht.14) 5.

Unterschied zu den Personengesellschaften

1.15 Die genannten Unterschiede zwischen Personengesellschaften bzw. Gesamthandsgemeinschaften und Kapitalgesellschaften bzw. Körperschaften verlieren allerdings zunehmend an Bedeutung. Grund dafür ist zum einen die Vertragspraxis, die die Personengesellschaften in vielen Punkten schon lange den Kapitalgesellschaften angenähert hatte: so wurde im Gesellschaftsvertrag von Personenhandels- oder BGB-Gesellschaften schon vor der Reform der entsprechenden Normen im HGB bestimmt, dass die Gesellschaft unabhängig vom Tod (§ 727 Abs. 1 BGB, § 131 Nr. 4 HGB a. F.) oder von der Kündigung eines Gesellschafters (§§ 736 ff. BGB, §§ 131 Nr. 6, 138 ff. HGB a. F.) fortgesetzt werden soll (vgl. jetzt § 131 Abs. 3 Nrn. 1 und 3 HGB). Auch wird der Einstimmigkeitsgrundsatz für Beschlüsse durch das Mehrheitsprinzip ersetzt (zur Zulässigkeit § 709 BGB, §§ 114, 119 HGB). Umgekehrt sind auch bei den Kapitalgesellschaften Entwicklungen und Versuche zu verzeichnen, sie strukturell an die Personenhandelsgesellschaften anzunähern. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang etwa die Vinkulierung der Anteile, d. h. das Verbot, die Anteile ohne Genehmigung der Verwaltung auf Dritte zu übertragen (§ 68 Abs. 2 AktG, § 15 Abs. 5 GmbHG). 1.16 Fließend sind die Grenzen zusätzlich dadurch geworden, dass eine Typenvermischung von Personenhandels- und Kapitalgesellschaften zugelassen wird. Das Gesetz selbst erlaubt dies in Form der Kommanditgesellschaft auf Aktien ___________ 12) Hirte, DStR 2005, 653, 654; ebenso wohl Neye/Teichmann, AG 2003, 169, 170 (zum DiskE: Der Verweis erfasst „alle für Aktiengesellschaften geltenden Vorschriften“, nicht nur das Aktienrecht selbst); eine gesetzliche Regelung dieser Frage freilich bezweifelnd Brandt, BB-Special 3/2005, 1, 7. 13) Dazu Wiedemann, GesR I, S. 96 ff. 14) Dazu Wiedemann, GesR I, S. 99.

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I. Begriff

(§§ 278 ff. AktG; dazu unten Rz. 9.1 ff.). Den in der Praxis wichtigsten Fall bildet aber die GmbH & Co. KG, eine Kommanditgesellschaft, deren alleiniger Komplementär eine GmbH ist. Hinzugekommen ist inzwischen die GmbH & Co. KGaA, eine Kommanditgesellschaft auf Aktien mit einer juristischen Person als (einzigem) Komplementär; durch den durch das HRefG neu eingefügten § 279 Abs. 2 AktG, der die Firmierung einer solchen Gesellschaft regelt, wurde ihre Zulässigkeit inzwischen sogar gesetzlich anerkannt (näher unten Rz. 9.9). Beide „Gesellschaftsformen“ erlauben schon heute eine Überschreitung der ge- 1.17 sellschaftsrechtlich gezogenen Grenzen auch in den Fällen, in denen das Gesetz die entsprechenden Regelungen (noch) nicht zur Disposition stellt.15) Das gilt etwa für den in den Personenhandelsgesellschaften geltenden Grundsatz der Selbstorganschaft (§ 125 Abs. 1 HGB); bis zur Reform des Firmenrechts durch das HRefG galt es auch für das Gebot einer aus den Namen der Gesellschafter entlehnten Firma (§ 19 Abs. 1 HGB a. F.). Bemerkenswerterweise hat die EWIV – obwohl nach § 1 EWIV-AG wie eine Personenhandelsgesellschaft behandelt – beide Grundsätze bereits mit ihrer Einführung, also vor Inkrafttreten des HRefG, durchbrochen.16) 6.

Realtypen der Gesellschaften

a)

Mitunternehmergemeinschaft versus Publikumsgesellschaft

Von wachsender Bedeutung ist demgegenüber die Unterscheidung nach den 1.18 Realtypen der Gesellschaften, insbesondere nach der Mitunternehmergemeinschaft und/oder geschlossenen (Familien-)Gesellschaft und der Publikumsgesellschaft.17) Das Gesetz folgt dieser Unterscheidung nicht; es hat zwar die Aktiengesellschaft als eine (börsennotierte) Publikumsgesellschaft konzipiert, in der den Gesellschaftern nur die Funktion des Geld gebenden Anlagegesellschafters zugewiesen ist. Im Gegensatz dazu hat der Gesetzgeber die GmbH ähnlich den Personengesellschaften als Mitunternehmergemeinschaft verfasst, die im Gegensatz zu den Personengesellschaften auch ohne die unbeschränkte Haftung (mindestens) eines Gesellschafters (§ 128 HGB) möglich ist. Es gibt aber keine Verpflichtung, sich an diese gesetzlichen Leitbilder zu halten – und es hat sie nie gegeben. Geschlossene Aktiengesellschaften einerseits und Gesellschaften mbH, die einen relativ großen Gesellschafterkreis haben, anderer___________ 15) Raiser/Veil, KapGesR, § 1 Rz. 4 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 43 ff. 16) Vgl. Art. 19 Abs. 1 EWIV-VO; für die Führung einer Sachfirma war dies bis zum Inkrafttreten des HRefG streitig: bejahend LG Bonn EuZW 1993, 550; verneinend OLG Frankfurt/M. DB 1993, 1182 (zur Regelungskompetenz des einzelstaatlichen Rechts in diesem Bereich EuGH (Urt. v. 18.12.2007 – Rs. C-402/96), NJW 1998, 972 (EITO) = ZIP 1998, 68 auf Vorlagebeschluss des OLG Frankfurt/M. ZIP 1997, 591 = DB 1997, 221 = EWiR Art. 5 VO [EWG] Nr. 2137/85 1/97, 283 [Neye] = DZWir 1997, 253 [Kocker]). 17) Dazu Wiedemann, GesR I, S. 108 ff., 114 ff.; ausführlich jetzt auch Bayer, Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages Erfurt 2008 (2008), Gutachten E.

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§ 1 Grundlagen

seits zeugen davon. Der Gesetzgeber hat dem im „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“ vom 2. August 1994 (BGBl. I, 1961) Rechnung getragen und zahlreiche Regelungen des Aktienrechts für den Fall modifiziert, dass es sich nur um „kleine“ Gesellschaften – sprich: Mitunternehmergemeinschaften vom Typ der GmbH – handelt. Eine besondere Rechtsform hat das Gesetz – entgegen manchem Missverständnis – damit allerdings nicht eingeführt. Bedeutung erlangt die Realstruktur einer Gesellschaft vor allem dann, wenn es darum geht, Lücken in der gesetzlichen Regelung der einen oder anderen Kodifikation (AktG bzw. GmbHG) zu füllen; hier kann dann etwa bei einer kapitalistisch strukturierten GmbH auf eine Regelung des Aktiengesetzes zurückgegriffen werden. b)

Kapitalmarktorientierung

1.19 Auf der anderen Seite steht die – stark rechtsvergleichend und europarechtlich beeinflusste – Entwicklung des Kapitalmarktrechts, das die auf Gesellschaften anwendbaren Rechtsregeln vor allem danach bestimmt, ob ihre Anteile an einem öffentlichen Kapitalmarkt gehandelt werden. Die dadurch gezogene Trennlinie entspricht zwar häufig derjenigen zwischen GmbH und Aktiengesellschaft; doch – wie ausgeführt – ist es vor allem bei der Aktiengesellschaft keineswegs zwingend, dass ihre Anteile auch öffentlich gehandelt werden. Die durch das KonTraG neu eingeführte Definitionsnorm des § 3 Abs. 2 AktG zeigt dies deutlich. Andererseits erfasst das Kapitalmarktrecht keineswegs nur die Kapitalgesellschaften, sondern etwa auch Publikums-Kommanditgesellschaften, sofern ihre Anteile öffentlich vertrieben werden.18) Und auch der „Vertrieb“ von Fremdkapital in Form von Schuldverschreibungen wird hier geregelt, während er im Gesellschaftsrecht kaum Beachtung findet. Daher ist auch die heutige Begriffsbestimmung „börsennotierter“ Aktiengesellschaften in § 3 Abs. 2 AktG als solche, deren Aktien entweder zu einem regulierten Markt zugelassen sind (also ohne die bloß im Freiverkehr gehandelten Gesellschaften), relativ eng. Das überzeugt nur insoweit, als aus der „Börsennotierung“ Privilegierungen gegenüber dem allgemeinen Aktienrecht abgeleitet werden; soweit aus der „Börsennotierung“ zusätzliche Pflichten folgen, sollten diese auch auf sonst öffentlich gehandelte Gesellschaften erstreckt werden.19) 1.20 Allerdings ist der kapitalmarktrechtliche Ansatz nur schwer mit dem herkömmlichen Regelungsansatz des (Kapital-)Gesellschaftsrechts in Einklang zu bringen. Denn hier steht die Regelung der Organisation, dort die des Marktes im Vordergrund. Interessen zukünftiger Gesellschafter etwa werden im gesellschaftsrechtlichen Regelwerk kaum berücksichtigt. Zahlreiche Normen vor allem ___________ 18) Zur fehlenden Unterscheidung in public und private companies im deutschen Recht auch Hirte, in: The European Private Company? (1995), S. 95 ff. 19) Gegen eine solche Erweiterung freilich Bayer (Fn. 17), S. E 92 ff.

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I. Begriff

des Aktienrechts haben aber – zumindest auch – das Funktionieren des Kapitalmarktes im Auge; dies gilt nach überwiegender Auffassung für den geringen Gestaltungsspielraum, den das Aktienrecht gewährt (dazu unten Rz. 2.48 ff.). c)

Struktur des Gesellschafterkreises

Neben diesen Unterscheidungsmerkmalen kann die Struktur des Gesellschafter- 1.21 kreises als Unterscheidungsmerkmal herangezogen werden. Hierzu zählt etwa der Charakter einer Gesellschaft als Einpersonen- oder Familiengesellschaft, die Präsenz einer festgefügten Gesellschaftermehrheit oder die (Konzern-)Abhängigkeit der Gesellschaft. 7.

Kapitalgesellschaft und unternehmerische Mitbestimmung

Schließlich bildet die Kapitalgesellschaft den Ansatzpunkt der unternehme- 1.22 rischen Mitbestimmung. Nur bei ihr wird es wegen der fehlenden persönlichen Verantwortung eines Gesellschafters für vertretbar gehalten, in die Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat in verschiedenem Umfang auch Vertreter der Arbeitnehmer einzubeziehen. Diese Form der Mitbestimmung setzt zugleich das Vorhandensein eines Aufsichtsrats voraus, wie er bei einer nationalen Aktiengesellschaft immer vorhanden und bei einer GmbH bei Eingreifen der Mitbestimmungsgesetze zu bilden ist (dazu unten Rz. 3.159 ff.); bei der Europäischen Aktiengesellschaft und den anderen europäischen Gesellschaftsformen bildet die Integration der Mitbestimmung eine der großen Schwierigkeiten, wenn sie – was zulässig ist – ohne Aufsichtsrat ausgestaltet sind (dazu unten Rz. 3.168 ff.). 8.

Ökonomische Grundlagen des Kapitalgesellschaftsrechts

a)

Grundlagen der ökonomischen Analyse des Rechts

In den letzten Jahren hat sich mit der ökonomischen Analyse des Rechts eine 1.23 eigene Forschungsrichtung herausgebildet, die die Wirkungen von rechtlichen Normen mit Methoden der Ökonomik vorhersagt und bewertet.20) Sie geht dabei in zwei Stufen vor:21) Positiv wird der Einfluss von rechtlichen Regelungen auf das Verhalten von Individuen untersucht,22) normativ werden die Ergebnisse alternativen Regelungsmodellen gegenübergestellt und anhand ihrer

___________ 20) Vgl. dazu die US-amerikanischen Standardwerke: Posner, Economic Analysis of Law (6. Aufl. 2003); Cooter/Ulen, Law and Economics (4. Aufl. 2004); auf Deutsch: Schäfer/ Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts (5. Aufl. 2013); Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip: Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts (3. Aufl. 2005). 21) Vgl. Eidenmüller (Fn. 20), S. 28 ff., S. 41 ff. 22) Posner (Fn. 20), S. 24 ff.

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§ 1 Grundlagen

Effizienz23) bewertet. Dabei wird mit verschiedenen Grundannahmen gearbeitet: Nach dem ökonomischen Verhaltensmodell wählt ein Individuum unter einer Vielzahl möglicher Verhaltensalternativen diejenige aus, die im Rahmen seiner begrenzten Ressourcen den größten Nutzen stiftet (methodologischer Individualismus).24) Der jeweilige Nutzen ist dabei abhängig von individuellen Präferenzen. Daraus wird gefolgert, dass der Gesetzgeber Verhaltensweisen sanktionieren und damit verteuern kann. Rechtliche Rahmenbedingungen wirken deshalb wie Preise, Änderungen dieser Bedingungen wie Preiserhöhungen oder -senkungen. Auf höhere Preise reagieren Individuen mit geringerem Konsum und Substitutionsverhalten – und umgekehrt. Durch Gesetze kann also das Verhalten von Normadressaten ex ante beeinflusst werden.25) 1.24 Die ökonomische Analyse des Gesellschaftsrechts26) als Teilbereich der ökonomischen Analyse des Rechts wird stark von der Neuen Institutionenökonomik geprägt;27) sie geht gegenüber der neoklassischen Mikroökonomie – wie sie zuvor beschrieben wurde – von modifizierten Annahmen aus, mit denen der Bedeutung institutioneller Arrangements für das moderne Wirtschaftsleben Rechnung getragen wird. Vertreter der Neuen Institutionenökonomik arbeiten in ihren Modellen mit einem Konzept positiver Transaktionskosten, d. h., sie berücksichtigen explizit die Kosten, die zum Austausch von Gütern (Transaktionen) notwendig sind (dazu sogleich Rz. 1.26). Ferner gehen sie im Gegensatz zum neoklassischen Ansatz nur von unvollkommener Rationalität (bounded rationality) der Akteure aus.28) Darüber hinaus berücksichtigen sie bei ihren Modellannahmen Informationsasymmetrien zwischen den beteiligten Personen.29)

___________ 23) Zum Effizienzkriterium Posner (Fn. 20), S. 10 ff.; Kritik üben Fezer, JZ 1986, 817, 823; Luttermann, WiSt 2007, 137, 139. 24) Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts: politische Ökonomie als rationale Jurisprudenz (1986), S. 34 ff.; Schäfer/Ott (Fn. 20), S. 3. 25) Vgl. Eger, in: Festschrift für Nutzinger (2005), S. 177, 180; Kirstein, Ökonomische Analyse des Rechts, Working Paper 2003 (download über www.uni-saarland.de/fak1/fr12/csle/ publications/2003–06_oear.pdf, S. 5). 26) Zur ökonomischen Analyse des Gesellschaftsrechts Bainbridge, Corporation Law and Economics (2002); Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law. A Comparative and Functional Approach (2004); Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law (1991); auf Deutsch: Fleischer, ZGR 2001, 1 ff.; Ruffner, Die ökonomischen Grundlagen eines Rechts der Publikumsgesellschaften (2000); Schäfer/Ott (Fn. 20), S. 687 ff.; Sauerbruch, Das Freigabeverfahren gem. § 246a AktG (2008), S. 102 ff. 27) Die wichtigsten Standardwerke sind Williamson, The Economic Institutions of Capitalism (1985); Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, Eine Einführung und kritische Würdigung (2. Aufl. 1999). 28) Richter/Furubotn (Fn. 27), S. 4 f., 9. 29) Überblick bei Fleischer, Informationsasymmetrien im Vertragsrecht (2001), S. 93 ff., 126 ff.

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I. Begriff

b)

Ökonomische Grundlagen der Unternehmung

Bevor wir uns den ökonomischen Grundlagen des Gesellschafts- und insbe- 1.25 sondere des Kapitalgesellschaftsrechts zuwenden können, bedarf es eines Blicks auf die Vorfrage, aus welchen ökonomischen Gründen sich Unternehmen (firms) entwickelt haben. Diese Frage wurde von der Ökonomik schon sehr früh aufgeworfen; denn es galt vor allem zu klären, warum nicht – was als Alternative denkbar wäre – alle wirtschaftlichen Aktivitäten über Märkte koordiniert werden.30) Denn grundsätzlich gilt der Preismechanismus des Marktes als optimale Verständigung über individuelle Präferenzen. Transaktionen werden durchgeführt, wenn ein Teilnehmer einen höheren Nutzen an einem Gut hat als die andere Partei durch den Verzicht auf dieses an Kosten. Es entsteht Spielraum für ein Tauschgeschäft, und ein funktionierender Markt sorgt so für die optimale Ressourcenallokation. Die verschiedenen in einem Unternehmen zu erledigenden Tätigkeiten – Einkauf, Lagerhaltung, Produktion, Auslieferung usw. – müssten daher nach der ökonomischen Theorie eigentlich alle Gegenstand individueller vertraglicher Absprachen sein. Der Begründer der Transaktionskostentheorie und spätere Nobelpreisträger Coase 1.26 identifizierte die mit der Nutzung des Marktes und des Preismechanismus entstehenden Kosten (Markttransaktionskosten) als Grund für die Abweichung von der theoretischen Grundannahme – und damit als Grund für die Existenz von Unternehmungen. Denn bei der Beschaffung von Ressourcen auf einem externen Markt entstehen Kosten für Anbahnung, Abschluss, Überwachung und die Durchsetzung von Verträgen,31) die in einer auf Dauer angelegten Organisation gespart werden können. Zwar gibt es auch innerhalb von Unternehmen Transaktionskosten (dazu sogleich Rz. 1.28); solange aber die Markttransaktionskosten über den Unternehmenstransaktionskosten liegen, hat die Unternehmung Vorteile gegenüber der Beschaffung von Produkten und Leistungen auf einem externen Markt. Williamson hat diesen Gedankengang ergänzt, indem er auf die Gefahr „oppor- 1.27 tunistischen Verhaltens“ der Gegenseite bei spezifisch auf einen Vertrag zugeschnittenen Investitionen hinweist.32) Soweit für die Erfüllung eines Vertrages spezifische Investitionen getätigt werden müssen, die nicht auf dem Markt kostenneutral an Dritte veräußert werden können, besteht nämlich die Möglichkeit, dass die andere Partei diese Vorleistung nutzt, um sich zu bereichern (Hold-upSituation). Beispiel: Ein Automobilhersteller zwingt einen Zulieferer nach dessen Investitionen in speziell für den Auftrag angeschaffte Maschinen zu Preiszugeständnissen. In einer gemeinsamen Unternehmung fehlt dieser Interessenge___________ 30) Coase, The Nature of the Firm, 4 Economica 386, 390 (1937); Schäfer/Ott (Fn. 20), S. 697 f. 31) Coase (Fn. 30), 4 Economica 386, 390 f. (1937); ders., 3 J. L. & Econ. 1, 15 (1960). 32) Zu vertragsspezifischem Kapital ausführlich Schäfer/Ott (Fn. 20), S. 690 f.; Williamson (Fn. 27), S. 52 ff.

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§ 1 Grundlagen

gensatz. Zusammenfassend kann also festgehalten werden: Markttransaktionskosten können in der Unternehmensstruktur verringert werden; an die Stelle einer Vielzahl einzelner Markttransaktionen (sog. diskrete Verträge bzw. on the spot contracts) tritt ein „Nexus“ relationaler Verträge.33) Darunter versteht man solche Verträge, die auf eine langfristige Kooperation der Parteien abzielen und die einzelnen Transaktionen nicht ex ante abschließend regeln.34) Die Unternehmung kann somit als Instrument langfristiger Zusammenarbeit von Personen in einer (hierarchischen) Struktur begriffen werden.35) 1.28 Wie bereits angedeutet, können in einer Unternehmung zwar marktspezifische Kosten vermieden werden, doch entstehen dafür Kosten der Organisation (Unternehmenstransaktionskosten). Denn die Disziplinierung der Akteure über den Preismechanismus des Marktes entfällt. Zudem bestehen in der Organisation durch die Arbeitsteilung zahlreiche sog. Prinzipal-Agenten-Beziehungen. Unter dieser auf die englische Terminologie (principal agent) zurückgehenden Formulierung versteht man Folgendes: Ein Auftraggeber (der „Prinzipal“36)) ermächtigt einen Auftragnehmer (den „Agenten“37)) mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Nach den modelltheoretischen Annahmen der Ökonomie verhält sich der Agent – solange er nicht kontrolliert wird – opportunistisch, d. h., er gebraucht die ihm erteilten Befugnisse zur Maximierung seines eigenen Nutzens und nicht zum Nutzen seines Auftraggebers. Die Verluste durch und die Aufwendungen zur Reduzierung solch´ opportunistischen Verhaltens der Agenten (Kontroll-, Überwachungs- oder Anreizsysteme) werden als Agency-Kosten bezeichnet. c)

Principal-agent-Probleme in der Kapitalgesellschaft

1.29 In der Kapitalgesellschaft liegt der Fokus der wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchung auf genau diesen Prinzipal-Agenten-Beziehungen. Mit Hilfe der sog. Principal-agent-Theorie wird nach Wegen gesucht, Agency-Kosten, die durch Informationsasymmetrien zwischen Prinzipal und Agent entstehen, durch Kontroll- oder Anreizmechanismen abzusenken.38) Dabei wird unterschieden zwischen Prinzipal-Agenten-Beziehungen zwischen Anteilseignern ___________ 33) Jensen/Meckling, Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs, and Ownership Structure, 3 J. Fin. Econ, S. 305, 307 (1976). 34) Schäfer/Ott (Fn. 20), S. 687. 35) Schäfer/Ott (Fn. 20), S. 688. 36) „Prinzipal“ (engl.: „principal“) = Auftraggeber/Dienstherr/Arbeitgeber. Der heute altertümlich erscheinende deutsche Begriff wird nach wie vor etwa in § 74 HGB verwendet. 37) „Agent“ (engl.) = Auftragnehmer/Vertreter. 38) Zur Prinzipal-Agenten-Theorie allgemein Jensen/Meckling, 3. J. Fin. Econ 305 (1976); zusammenfassend Bainbridge (Fn. 26), S. 35; Hart, 89 Colum. L. Rev. 1757, 1758 (1989); Macey/Miller, 58 U. Chi. L. Rev. 1, 9 (1991); Ruffner (Fn. 26), S. 131; Richter/Furubotn (Fn. 27), S. 174 ff.; Williamson (Fn. 27), S. 47 ff.

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I. Begriff

und dem Management (vertikales Prinzipal-Agenten-Problem), der PrinzipalAgenten-Beziehung zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern (horizontales Prinzipal-Agenten-Problem) und der Prinzipal-Agenten-Beziehung zwischen Anteilseignern und externen „stakeholders“ wie Fremdkapitalgebern oder Arbeitnehmern.39) Während in der Personengesellschaft die Teilhaber am Unternehmensgewinn 1.30 meist oder zumindest nach dem gesetzlichen Leitbild auch selbst die Kontrolle ausüben (zum Beispiel die Rechtsanwälte in einer Sozietät), fallen in der Kapitalgesellschaft Eigentum und Kontrolle zumindest in der großen Publikumsgesellschaft auseinander. Denn die Eigentümer in Form der Aktionäre sind typischerweise nicht zugleich die Manager. Berle und Means haben für dieses Phänomen im US-amerikanischen Raum bereits 1932 das berühmte Schlagwort von „Separation of Ownership and Control“40) geprägt. Als Folge dieser Trennung und der damit verbundenen reduzierten Kontrolldichte besteht bei Gesellschaften im Streubesitz für Manager ein Anreiz, sich Vermögenswerte der Gesellschaft „anzueignen“. Denn für einen einzelnen Aktionär mit wenigen Aktien lohnt sich die Überwachung des Managements nicht, weil die Kontrollkosten regelmäßig den Nutzen in Form eines höheren Anteilswerts übersteigen. Es wird deshalb von „rationaler Apathie“ gesprochen. Selbst wenn der erwartete Nutzen ausnahmsweise über den Kosten liegt, besteht 1.31 eine zusätzliche Hemmschwelle für Kontrollaktivitäten. Denn die Kosten seiner Bemühungen trägt nur der aktive Aktionär, obwohl alle Anteilseigner davon profitieren. Aus dieser positiven Externalität erwächst das sog. Collectiveaction-Problem.41) Jeder einzelne Aktionär spekuliert auf die Initiative anderer Anteilseigner (Freerider-Verhalten). Das schafft weiteren Spielraum für das Management, die Gesellschaft ohne Überwachung faktisch zu kontrollieren. Statt den Unternehmenswert zu vergrößern, maximieren die Manager daher ihren eigenen Nutzen. Zu hohe Vergütungen, zu niedriger Arbeitseinsatz des Managements oder die Förderung von Aktivitäten des Unternehmens, die wirtschaftlich nicht immer sinnvoll sind, aber das Ansehen der Geschäftsführung vergrößern, wie beispielsweise Kultur- und Sportsponsoring, können die Folge sein.42) Für Deutschland treffen die Modellannahmen des US-amerikanischen Rechts 1.32 zwar nur bedingt zu. Denn bei uns ist traditionell eine andere Eigentümer___________ 39) Hansmann/Kraakman, Agency Problems and Legal Strategies in: Kraakman/Davies/ Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock (Fn. 26), S. 21, 22. 40) Berle/Means, The Modern Corporation and Private Property (1932, reprint 1968), S. 5. 41) Der Begriff geht zurück auf Olson, The Logic of Collective Action (1965) S. 163 f.; vgl. auch Ruffner (Fn. 26), S. 176. 42) Weitere Beispiele für Agency-Kosten zwischen Management und Gesellschaftern bei Sauerbruch (Fn. 26), S. 105 ff.

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§ 1 Grundlagen

struktur vorherrschend; ein Großteil der Gesellschaften verfügt nämlich über zumindest einen kontrollierenden Anteilseigner (dazu auch unten Rz. 1.84).43) Für Gesellschafter mit hohem Anteilsbesitz lohnt es sich aber, das Management zu überwachen. Die Probleme verschieben sich dann aber nur von der vertikalen auf die horizontale Ebene. Denn ein einflussreicher Gesellschafter kann seinen formellen und informellen Einfluss auf die Geschäftsführung nutzen, um die restlichen Anteilseigner zu benachteiligen. Ein rationaler kontrollierender Gesellschafter maximiert nämlich den Wert seines Anteils, nicht aber notwendigerweise den Wert des Gesamtunternehmens. Opportunistisches Verhalten des Mehrheitsaktionärs ist deshalb für deutsche Gesellschaften das charakteristische Prinzipal-Agenten-Problem. In diesem Fall ist der kontrollierende Anteilseigner Agent und die restlichen (Minderheits-)Gesellschafter sind Prinzipale. Die hiermit verbundenen Probleme werden in Deutschland traditionell mit den Regeln des Konzernrechts beantwortet (dazu unten Rz. 8.10 ff.). 1.33 Allerdings lässt sich seit Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts auch in Deutschland eine Zunahme des Streubesitzes beobachten – und in der Folge eine Zunahme des vertikalen Prinzipal-Agenten-Konflikts. Entsprechend sind gerade in jüngerer Zeit gesetzliche Bestrebungen wie das UMAG oder das VorstOG zu verzeichnen, mit denen die Möglichkeiten verbessert werden sollen, „Machtmissbräuchen“ von Managern zu begegnen (dazu unten Rz. 3.93 und 4.33). Dass zugleich die Anfechtungsklage, die bislang das schärfste Schwert zur Eindämmung von opportunistischem Verhalten des Mehrheitsaktionärs bildete, in ihrer Wirkung eingeschränkt wird (unten Rz. 3.297b), stellt dazu einen gewissen Widerspruch dar. Denn dass zugleich die Bedeutung des horizontalen Prinzipal-Agenten-Konflikts abgenommen hätte, lässt sich (sicher) noch nicht sagen. Freilich darf auch nicht übersehen werden, dass mit dem KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz (KapMuG) ein neues Instrument des kollektiven Rechtsschutzes eingeführt wurde, das ohne die für die Unternehmen als extrem belastend empfundene (faktische) Blockadewirkung der Anfechtungsklage auskommt (dazu näher unten Rz. 3.131d). Allgemein darf nicht übersehen werden, dass Kontrollinstrumente regelmäßig selbst zusätzliche Kosten verursachen können. So kann beispielsweise eine schärfere Managerhaftung zugleich die Innovationsfreudigkeit des Unternehmens bremsen.44) Übersteigen diese Kontrollkosten die (eingesparten) Agency-Kosten, die durch die Interessengegensätze zwischen Managern und Aktionären entstehen, wird kein Effizienzgewinn erzielt. Wirtschaftswissenschaftler sprechen von einem trade-off: Kontrollkosten und AgencyKosten korrelieren negativ zueinander. Bei der Etablierung neuer Kontrollme___________ 43) Rudolph, BB 2003, 2053, 2054. 44) Zur ökonomischen Theorie der Managerhaftung Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 611, 642 (1985).

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I. Begriff

chanismen muss der Gesetzgeber deshalb zwischen den zu erwartenden zusätzlichen Kontrollkosten und der erwarteten Reduktion der Agency-Kosten abwägen. d)

Beschränkte Haftung in der Kapitalgesellschaft

Die beschränkte Haftung der Kapitalgesellschaft (dazu oben Rz. 1.7) hat für 1.34 die Finanzierung von kapitalintensiven Unternehmungen zentrale Bedeutung. Dadurch, dass Kapitalgeber ihre Finanzierungsverpflichtung auf eine bestimmte Summe begrenzen können, kann Kapital in großen Mengen eingesammelt werden.45) Ohne die beschränkte Haftung würde die Finanzierung über Kapitalanleger unmöglich gemacht, weil etwa für einen Aktionär mit nur einer einzigen Aktie die Gefahr bestünde, im Falle der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft sein gesamtes Vermögen zu verlieren. Ohne die Trennung der Vermögenssphären müssten die Gesellschafter die Vermögenssituation ihrer jeweiligen Mitgesellschafter überwachen – schließlich müssten sie im Falle der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft und der Mitgesellschafter für deren Schuld einstehen (zu den in diesem Punkt leicht unterschiedlichen Ansätzen von Aktien- und GmbHRecht bei der Ausfallhaftung unten Rz. 5.80). Das hätte auch Konsequenzen für die Handelbarkeit der Anteile: Bei einer Anteilsveräußerung an einen weniger solventen Erwerber müssten die Mitgesellschafter sicherstellen, dass kein Verlust von Haftungsmasse eintritt. Die Beschränkung der Haftung ermöglicht somit, Transaktionskosten (in Form von Überwachungs- und Bewertungskosten) zu minimieren und gestattet den unkomplizierten Handel mit Gesellschaftsanteilen. Weiterhin kann mit der Trennung der Vermögenssphären eine effiziente Risikostreuung erreicht werden. Auch riskante, aber lukrative Unternehmungen können ihren Kapitalbedarf decken, da sich die Anleger mit Hilfe eines diversifizierten Portfolio absichern können; denn sie können Aktien weniger riskanter Unternehmen mit solchen riskanterer, aber vielleicht auch chancenreicherer Unternehmen in ihrem Depot mischen.46) Des Weiteren kann mit der unkomplizierten Veräußerbarkeit der Anteile der Preismechanismus des Kapitalmarktes als externes Kontrollinstrument genutzt werden (dazu sogleich unter Rz. 1.37 ff.). Die beschriebenen Effekte gelten freilich nicht nur für Eigenkapitalgeber. Denn 1.35 infolge der Trennung der Vermögenssphären können auch Fremdkapitalgeber Kosten, die zur Überwachung der Vermögenssituation der Gesellschafter andernfalls notwendig wären, einsparen. Wenn nämlich zur Haftungsmasse auch das Vermögen der Gesellschafter gehört, müssen potentielle Kreditgeber vor einer ___________ 45) Adams, Ökonomische Theorie des Rechts (2. Aufl. 2004), S. 239, 241 ff.; Easterbrook/ Fischel, Limited Liability and the Corporation, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 90 ff. (1985); Fleischer, ZGR 2001, 1, 16 ff.; G. H. Roth, ZGR 2005, 348, 356 ff. m. w. N. in Fn. 32; Wiedemann, GesR I, S. 552 ff. 46) Adams (Fn. 45), S. 245.

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§ 1 Grundlagen

Kreditvergabe nicht nur die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft, sondern auch diejenigen der Gesellschafter analysieren. Das wird zudem umso teurer, je weiter der Anteilsbesitz gestreut ist. Gleichzeitig müssen sich die Kreditgeber für den Fall der Anteilsveräußerung absichern; denn Wechsel im Gesellschafterkreis haben – abhängig von der Solvenz des veräußernden und erwerbenden Gesellschafters – Einfluss auf die Kreditwürdigkeit des Unternehmens.47) 1.36 Aus der Beschränkung der Haftung der Eigenkapitalgeber auf ihre Einlage ergibt sich aber auch wieder ein Prinzipal-Agenten-Problem: Die Gesellschafter haben – „vertreten“ durch die Geschäftsleiter – einen Anreiz, risikoreiche Geschäfte zu Lasten der Gläubiger der Gesellschaft einzugehen. Ein erheblicher Teil des Kapitalgesellschaftsrechts widmet sich daher der Frage, wie dieser Konflikt verhindert oder verringert werden kann: Zu nennen ist etwa das Gebot der Aufbringung eines bestimmten Mindestkapitals (unten Rz. 5.17 ff.), das (davon gedanklich unabhängige!) Verbot von Kapitalrückzahlungen an die Gesellschafter, wenn diese nicht entweder in einem in bestimmter Weise ermittelten Bilanzgewinn bestehen oder wenn sie bestimmte Grenzen überschreiten (unten 5.74 ff.). Beide Instrumente stehen dabei durchaus in einem gewissen Verhältnis der Wechselwirkung zueinander: Je stärker der Schutz davor ist, dass die Gesellschafter auf das vorhandene Gesellschaftsvermögen außerhalb der Gewinnverteilung zugreifen können, desto eher lässt sich auf ein Mindestkapital für die Aufnahme des Geschäftsbetriebs verzichten (zur aktuellen Diskussion dieser Frage auch unten Rz. 1.45 und 5.24 ff.). Von ganz zentraler Bedeutung ist auch die deshalb bei Kapitalgesellschaften deutlich strengere Rechnungslegungspflicht und -publizität, die dem Gläubiger ermöglichen soll, den Vermögensbestand der selbständigen juristischen Person zu erkennen (unten Rz. 4.8); weitere Transparenzvorschriften ergänzen dies. Die Rechtsordnung wirkt dem zudem – in Extremfällen – dadurch entgegen, dass sie in bestimmten Fällen das Haftungsprivileg der Gesellschafter entfallen lässt (zu den Grundsätzen des Haftungsdurchgriffs unten Rz. 5.163 ff.). Auch die unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommene Umqualifikation des von Gesellschaftern gewährten Fremdkapitals in Eigenkapital lässt sich hiermit erklären (zur Behandlung von Gesellschafterdarlehen unten Rz. 5.102 ff.). e)

Marktkontrolle als Substitut für zwingendes Gesellschaftsrecht

1.37 Zunehmend trägt auch die Corporate-Finance-Literatur zu dem wirtschaftswissenschaftlichen Verständnis der Kapitalgesellschaften bei.48) Danach soll der Kapitalmarkt als Corporate-Governance-Instrument fungieren, das die soeben beschriebenen Agency-Kosten reduziert. Entsprechend der Effizienzmarkt___________ 47) Vgl. dazu Hansmann/Kraakman, What is Corporate Law?, in: Kraakman/Davies/Hansmann/ Hertig/Hopt/Kanda/Rock (Fn. 26), S. 9 ff. 48) Romano, 55 J. Legal Educ. 342, 344 (2005).

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I. Begriff

hypothese, die auf Eugene Fama zurückgeht, sorgt der Preismechanismus des Kapitalmarktes dafür, dass der Börsenkurs einer Aktie alle verfügbaren Informationen über das Unternehmen verarbeitet und widerspiegelt.49) Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass Marktteilnehmer den Anreiz haben, neue Informationen zu nutzen, um Arbitragegewinne zu erzielen. Der Preismechanismus des Kapitalmarktes aggregiert so sämtliche Erwartungen und liefert eine Prognose über die zukünftigen (abdiskontierten) Renditen.50) Falsche unternehmerische Entscheidungen führen zu geringeren zukünftigen Dividenden. Schlecht gemanagte Unternehmen werden deshalb an der Börse niedriger be- 1.38 wertet. Für das Unternehmen wird es teurer, Kapital zu beschaffen. Das gilt sowohl für Eigen- wie für Fremdkapital. Schon die sich dadurch ergebenden Einschränkungen der unternehmerischen Freiheit (Beispiel: „Vorladung“ zum Gespräch mit der kreditgebenden Bank) können einen ausreichenden Anreiz auf das Management ausüben.51) Verstärkt wird der Marktmechanismus durch einen funktionierenden Übernahmemarkt (market for corporate control).52) Wenn die Marktkapitalisierung weit unter dem Wertpotential der Aktiva des Unternehmens liegt, ist die Gesellschaft ein interessanter Übernahmekandidat. Institutionelle Anleger können ein Kontrollpaket erwerben, das Management austauschen und das verborgene Wertpotential realisieren. Deshalb reduziert die Gefahr feindlicher Übernahmen vertikale Agency-Kosten erheblich. Dies ist andererseits der zentrale Grund, warum § 33 WpÜG die Entscheidung über die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen gegen Übernahmeangebote im Grundsatz nicht in die Hand des Managements, sondern der Aktionäre als der Prinzipale legt (dazu unten Rz. 3.145). Die Interessen von Management und Kapitalgebern können weiter über die Verknüpfung der Vergütung der Manager mit der Kursentwicklung des Unternehmens aneinander angeglichen werden. Das ist der ökonomische Grund für die Einräumung von stock options an Manager (unten Rz. 6.45 ff.). Soweit das Management allerdings selbst Einfluss auf die Ausgestaltung der Vergütungsprogramme hat, kann der gegenteilige Effekt eintreten. Vor dem Hintergrund der Kontrolle des Kapitalmarktes kritisieren Stimmen in 1.39 der rechtsökonomischen Literatur die Satzungsstrenge der deutschen Aktiengesellschaft (§ 23 Abs. 5 AktG).53) Denn nach der ökonomischen Theorie ist zwingendes Recht nur im Falle von Marktversagen gerechtfertigt.54) Es wird ___________ Fama, 25 J. Fin. 383 (1970). Ross/Westerfield/Jaffe, Corporate Finance (7. Aufl. 2005), S. 60. Behrens, in: Festschrift für Drobnig (1998), S. 491, 497. Easterbrook/Fischel (Fn. 26), S. 171 ff. Ausführlich Bak, Aktienrecht zwischen Markt und Staat, eine ökonomische Kritik des Prinzips der Satzungsstrenge (2003). 54) Schäfer/Ott (Fn. 20), S. 82 ff.

49) 50) 51) 52) 53)

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§ 1 Grundlagen

argumentiert, dass sich effiziente Satzungen besser im Wettbewerb des Marktes herausbilden würden, als vom Gesetzgeber diktiert zu werden. Für dispositive Regelungen besteht aber auch nach dieser Ansicht weiterhin Bedarf. Transaktionskosten können nämlich verringert werden, wenn die Gesellschaften für ihre Satzungen auf ein gesetzliches Leitbild zurückgreifen können und nicht alle Regelungen neu entwerfen müssen.55) Die Idee der Sanktionierung und Regulierung durch den Kapitalmarkt wurde vom Gesetzgeber für den Deutschen Corporate Governance Kodex aufgegriffen. Rechtlich zwingend ist für börsennotierte Gesellschaften lediglich die Abgabe einer Entsprechenserklärung nach § 161 AktG, die Sanktionierung für Abweichungen soll durch Kursabschläge an der Börse erfolgen. 1.40 Teilweise wird vertreten, dass ein funktionierender Kapitalmarkt auch vor Benachteiligungen von Minderheitsgesellschaftern schützt, also das horizontale Prinzipal-Agenten-Problem erfasst. Denn Gesellschaften, die auf Eigenkapital angewiesen sind, würden aufgrund des Marktdrucks in ihren Satzungen Regelungen zum Schutz vor Benachteiligung von Minderheitsgesellschaftern schaffen, zum Beispiel in Form qualifizierter Mehrheitserfordernisse. Unternehmen, die keine Vorkehrungen treffen, würden am Markt niedriger bewertet, weil die Gefahr der Ausbeutung mit einem Abschlag bedacht werde. Zuletzt sind aber auch von wirtschaftswissenschaftlicher Seite starke Zweifel an der Wirksamkeit der Kontrolle durch den Markt erhoben worden: In einer aufwändigen Ereignisstudie konnte nicht nachgewiesen werden, dass die Befolgung der Kodexempfehlungen den Börsenkurs beeinflusst.56) Schwer wiegen auch grundsätzliche Bedenken gegen die Annahmen der Effizienzmarkthypothese, die von der sog. Behavioural-Finance-Literatur vorgebracht werden. Danach hat irrationales Verhalten erheblichen Einfluss auf den Kurs der Wertpapiere, das durch Fundamentaldaten der betroffenen Unternehmen nicht zu rechtfertigen ist.57) Auch darf nicht übersehen werden, dass nur ein kleiner Teil der Gesellschaften börsennotiert ist, so dass der Kontrolle durch den Kapitalmarkt enge Grenzen gesetzt sind. Schließlich sind auch die Interessen der restlichen stakeholder zu berücksichtigen, die nicht am Kapitalmarkt vertreten sind.58) Während Fremdkapitalgeber vertragliche Schutzmechanismen aushandeln können, fehlt eine solche Möglichkeit für Gläubiger von gesetzlichen Forderungen. 1.41 Aus rechtsökonomischer Sicht wird zunehmend auch der – durch die Abkehr von der Sitztheorie beflügelte – Wettbewerb der verschiedenen Gesellschaftsformen ___________ 55) Behrens (Fn. 51), S. 491, 502. 56) Nowak/Rott/Mahr, ZGR 2005, 252, 278. 57) Langevoort, 140 U.Pa.L.Rev. 851, 866 ff. m. w. N.; Shiller, Irrational Exuberance (2. Aufl. 2005), S. 147 ff. 58) Merkt, AG 2003, 126, 127.

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

(Institutionenwettbewerb) als Mechanismus zur Entwicklung eines effizienteren Gesellschaftsrechts betont (dazu unten Rz. 1.58 ff.).59) II.

Historische Entwicklung und Rechtsquellen

1.

Deutsches Recht

a) Als erste Vorläufer der modernen Kapitalgesellschaft werden herkömmlich 1.42 die niederländischen und englischen (See-)Handelskompagnien des frühen 17. Jahrhunderts genannt, die später auch für andere Erwerbszwecke eine zunehmende Verbreitung erfuhren. Dabei handelte es sich um rechtsfähige Gesellschaften, deren Betätigung nur aufgrund hoheitlicher Erlaubnis (Oktroi bzw. Privileg) zulässig war und die einer zusätzlichen steten staatlichen Kontrolle unterlagen („Konzessionssystem“).60) Mit ihrer zunehmenden Verbreitung entstanden auch Vorläufer des heutigen börslichen Anteilshandels. Trotz gewisser struktureller Ähnlichkeiten unterschieden sich diese Gesellschaften aber noch grundlegend von den heutigen Kapitalgesellschaften, da sie fest im ständischen Organisationswesen verwurzelt waren, was zu engen Wechselbeziehungen zwischen den Standesverfassungen und der Binnenorganisation der einzelnen Gesellschaft führte.61) Den zeitlichen Wendepunkt hin zur Einführung moderner(er) gesellschaftsrechtlicher Organisationsmuster markierte denn auch das Aufkommen eines bürgerlich-liberalen Staatsverständnisses, mit dem die Ermöglichung einer freien (unternehmerischen) Betätigung in den Vordergrund rückte. Ursprünglich fanden sich die Regelungen über Aktiengesellschaften vor allem 1.43 im Code de Commerce von 1807 und dem Preußischen Aktiengesetz von 1843, welches durch das im Jahre 1861 verabschiedete ADHGB ersetzt wurde. Mit der ersten Aktienrechtsnovelle von 1870 wurde die Bildung von Aktiengesellschaften von der Konzessionspflicht befreit und durch die Einhaltung einer Reihe registergerichtlich nachzuprüfender Voraussetzungen („System der Normativbestimmungen“) ersetzt.62) Der damit vereinfachte Zugang zur Aktiengesellschaft zog schnell einen verbreiteten Missbrauch dieser Gesellschaftsform nach sich.63) Das führte im Rahmen der Aktienrechtsnovelle vom 18. Juli 1884 zu einer drastischen Verschärfung der Normativbestimmungen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wuchs in der Folgezeit das Bedürfnis nach einer flexibleren Form der Kapitalgesellschaft. Es wurde bereits im Jahre 1892 mit der Einführung der GmbH befriedigt, die als Modell einer kleinen Kapitalgesellschaft ___________ 59) 60) 61) 62) 63)

G. H. Roth, ZGR 2005, 348 ff.; Schäfer/Ott (Fn. 20), S. 725 ff. Raiser/Veil, KapGesR, § 2 Rz. 1; Zöllner, KK, Einl. AktG Rz. 56 ff. Kübler/Assmann, GesR, § 2 I, S. 6. Assmann, in: GroßK, Einl. AktG Rz. 79 ff. Zöllner, KK, Einl. AktG Rz. 62 f.

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§ 1 Grundlagen

mit großen Freiheiten bei der Gestaltung der Binnenverfassung eine vollständige Neukonzeption ohne historisches Vorbild im In- oder Ausland war.64) 1.44 Mit Wirkung zum 1. Januar 1900 wurden diese Regelungen dann ins HGB übernommen. Durch die Reform des Jahres 1937 wurde das in seinem Normenbestand nunmehr stark angewachsene Aktienrecht aus dem HGB herausgenommen und im Aktiengesetz 1937 zusammengefasst. Inhaltlich brachte die Novelle unter anderem eine Neuregelung des Beschlussmängelrechts sowie eine deutliche Stärkung der Kompetenzen des Vorstands zu Lasten der Hauptversammlung.65) Die darauf folgende große Aktienrechtsreform im Jahre 1965 führte neben einer Stärkung der Gesellschaftspublizität insbesondere zu einer geschlossenen modernen Kodifikation des Aktienkonzernrechts, in deren Zentrum die Belange des Minderheitenschutzes und die gesellschaftsrechtliche Rezeption der bereits zuvor aus steuerlichen Gründen etablierten Unternehmensverträge stand.66) Seither ist die Fortentwicklung des Aktienrechts vor allem durch eine stetige Abfolge punktueller Reformvorhaben gekennzeichnet.67) Zahlreiche wichtige Reformen gehen dabei auf die europäische Rechtsangleichung zurück (dazu unten Rz. 1.61 ff.). Aus dem Kreis der jüngeren Reformgesetze sind das „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“ vom 2. August 1994 und das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27. April 1998 zu nennen. Hinzuweisen ist schließlich neben dem Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) vom 19. Juli 2002 auf das im Wesentlichen am 1. November 2005 in Kraft getretene Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG)68) (dazu unten Rz. 3.93 und 3.297b). Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), das in seinen wesentlichen Teilen am 1. September 2009 in Kraft getreten ist, wurden ganz unterschiedliche Ziele verfolgt: „Technischer Mittelpunkt“ war die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (unten Rz. 1.75), mit der insbesondere die Möglichkeiten grenzüberschreitender Stimmrechtsausübung verbessert werden sollen. Daneben standen – teilweise auch als Folge weiterer Änderungen europäischen Rechts – Maßnahmen der Deregulierung des Aktienrechts. Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen aber gesetzgeberische Schritte, mit denen die missbräuchliche Wahrnehmung von Aktionärsrechten, insbesondere in Form von Aktionärsklagen, weiter bekämpft werden soll. Als Grundtendenz vieler dieser ___________ 64) Zur Entstehungsgeschichte MünchHdb GmbH-Grziwotz, § 1 Rz. 7 ff.; Scholz/H. P. Westermann, Einl. Rz. 43 f. 65) Assmann, in: GroßK, Einl. AktG Rz. 163 ff.; Zöllner, KK, Einl. AktG Rz. 68. 66) Begr RegE und Bericht des Rechtsausschusses bei Kropff, Aktiengesetz (1965); Assmann, in: GroßK, Einl. AktG Rz. 199 ff.; Raiser/Veil, KapGesR, § 2 Rz. 6. 67) Zöllner, AG 1994, 336, spricht von „Aktienrechtsreform in Permanenz“; eine Übersicht über die einzelnen Gesetze bietet MünchKomm-Habersack, Einl. AktG Rz. 33. 68) BT-Drucks. 15/5693; zum RegE Wilsing, DB 2005, 35.

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

Reformvorhaben ist die Ausbildung eines Sonderrechts für kapitalmarktorientierte Unternehmen zunehmend deutlich geworden. In ihrer langfristigen Bedeutung noch nicht sicher einzuschätzen ist die Schaffung der Europäischen Aktiengesellschaft durch den europäischen Gesetzgeber, die seit 2004 zur Verfügung steht (dazu sogleich Rz. 1.51 ff.). Im direkten Gegensatz zum Aktienrecht ist das GmbH-Recht seit seiner Ein- 1.45 führung lange Zeit von tiefgreifenden gesetzgeberischen Reformen verschont geblieben; eine zentralere Rolle spielten hier stets richterrechtliche Fortentwicklungen. Versuche einer großen GmbH-Reform aus den Jahren 1939 und 1971/1973 scheiterten, die zweite vor allem aus mitbestimmungspolitischen Gründen.69) Erst 1980 gelang die Umsetzung eines kleineren Maßnahmenpaketes in einer GmbH-Novelle (sog. kleine GmbH-Reform), die u. a. zu der Anhebung des Mindestkapitals auf 50.000 DM, der Verschärfung des Gründungsrechts und einer (Teil-)Normierung des (seinerzeit so bezeichneten) Eigenkapitalersatzrechts (dazu unten Rz. 5.104) führte.70) Mit dem am 1. November 2008 in Kraft getretenen MoMiG ist inzwischen aber die umfassendste Reform des GmbH-Rechts seit Einführung der GmbH realisiert worden. Stark beeinflusst von der Möglichkeit der Nutzung ausländischer, insbesondere englischer Gesellschaftsformen auch im Inland wurde vor allen Dingen das System des festen Nennkapitals in vielen Punkten modifiziert und durch die Einführung der Unternehmergesellschaft (dazu unten Rz. 5.45a ff.) auch die Möglichkeit eröffnet, eine Gesellschaft ohne Mindestkapital zu gründen.71) Schon zuvor hatte der Entwurf eines MindestkapG – nach noch weitergehenden Überlegungen in einem früheren Entwurfsstadium – eine Absenkung der Mindestkapitalziffer bei der GmbH auf 10.000 Euro vorgesehen (zur Debatte um das Mindestkapitalsystem auch unten Rz. 5.24 ff.).72) b) Rechtsquellen des Kapitalgesellschaftsrechts sind zunächst vor allem das 1.46 Aktiengesetz, das in seiner heutigen Form auf die bereits erwähnte Aktienrechtsreform 1965 zurückgeht. Daneben steht das GmbH-Gesetz, das im Wesentlichen immer noch dem 1892 erlassenen Gesetz entspricht. Neben diesen beiden sondergesetzlichen Regelungen für das Kapitalgesellschaftsrecht ist vor allem die Regelung des Vereins im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 21 ff. BGB) von Bedeutung. Als Grundform aller privatrechtlichen Körperschaften können seine Regelungen teilweise jedenfalls dann herangezogen werden, wenn die entsprechenden Sondergesetze keine Regelung enthalten (so etwa § 31 BGB, viel___________ 69) 70) 71) 72)

Ulmer, in: GroßK-GmbHG, Einl. A Rz. 56 f.; MünchHdb GmbH-Grziwotz, § 1 Rz. 7 ff. Ulmer, in: GroßK-GmbHG, Einl. A Rz. 58 ff.; Scholz/H. P. Westermann, Einl. Rz. 45 ff. Überblick bei Hirte, NZG 2008, 761 ff.; ders., ZInsO 2008, 933 ff. BT-Drucks. 15/5673; hierzu Kleindiek, DStR 2005, 1366; Karsten Schmidt, DB 2005, 1095 f.; Seibert, BB 2005, 1061; krit. freilich Dierksmeier, BB 2005, 1516, 1521; Priester, DB 2005, 1315, 1318 f.; zu den Ambitionen früherer Stadien dieses Reformvorhabens Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189.

21

§ 1 Grundlagen

leicht auch § 31a BGB, oder für die Notbestellung von Geschäftsführern in der GmbH § 29 BGB, da das GmbHG keine § 85 AktG entsprechende Regelung enthält). 1.47 Daneben sind das Handelsgesetzbuch und das Bürgerliche Gesetzbuch mit ihren Regelungen über die Personengesellschaften (§§ 105 ff. HGB) und die BGB-Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB) vor allem für Kapitalgesellschaften vom Typ der Mitunternehmergemeinschaft von Bedeutung. Insoweit kann auf die entsprechenden HGB- oder BGB-Regeln und insbesondere auf die zu ihnen vorliegende Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Dies gilt etwa für Austritt und Ausschluss von Gesellschaftern und die Zulässigkeit einer Beschränkung des Abfindungsanspruchs (dazu unten Rz. 4.94 ff.). Aus dem Handelsgesetzbuch spielen schließlich die Vorschriften über die Rechnungslegung (§§ 238 ff. HGB) eine erhebliche Rolle auch für die Kapitalgesellschaften; als allgemeines Unternehmensrecht werden sie aber hier ausgeblendet. 1.48 Die Auslegung des nationalen Gesellschaftsrechts (zum europäischen Gesellschaftsrecht unten Rz. 1.61 ff.) obliegt im Normalfall den Zivilgerichten, letztinstanzlich also dem Bundesgerichtshof. Hier ist für das Gesellschaftsrecht der II. Zivilsenat zuständig; seine Entscheidungen genießen daher im Gesellschaftsrecht die höchste Autorität. Daneben berühren vor allem Entscheidungen aus dem Bereich des Insolvenzrechts (zuständig der IX. Zivilsenat), des Kaufrechts (zuständig der VIII. Zivilsenat) oder des Deliktsrechts (zuständig der VI. Zivilsenat) auch gesellschaftsrechtliche Fragen. 1.49 Für Kapitalgesellschaften, die sich an den öffentlichen Kapitalmarkt wenden, gelten zudem die Gesetze des Kapitalmarktrechts. Zu nennen sind hier in erster Linie das Börsengesetz, das Wertpapierprospektgesetz, das Wertpapierhandelsgesetz und das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz nebst zahlreichen untergesetzlichen Rechtsnormen. Kapitalmarktrecht ist in aller Regel öffentliches Recht, das durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit Sitz in Frankfurt am Main und Bonn umgesetzt wird; bisweilen enthält es auch zivilrechtliche Regelungen oder solche, die jedenfalls nicht mit öffentlichrechtlichen Zwangsmitteln durchgesetzt werden können oder sollen. 1.50 Selbstverständlich spielt auch das Grundgesetz mit seinen Wertungen im Kapitalgesellschaftsrecht eine Rolle. Von unmittelbarer Bedeutung sind dabei vor allem die Grundrechte, und hier in erster Linie die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG. Auch Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG) können betroffen sein.

22

II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

2.

Europäisches Recht

a)

Europäische Aktiengesellschaft

aa)

Historische Entwicklung

Seit dem 8. Oktober 2004 (Art. 70 SE-VO) steht die „Europäische Gesellschaft“ 1.51 („Europäische Aktiengesellschaft“) oder mit der (internationalen) lateinischen Bezeichnung die „Societas Europaea (SE)“ (Art. 1 Abs. 1 SE-VO) als weitere Gesellschaftsform in Deutschland zur Verfügung.73) Die SE bildet die zweite europäische Gesellschaftsform, nachdem der europäische Gesetzgeber schon im Jahre 1985 mit Wirkung ab 1. Juli 1989 die EWIV als kleine, der klassischen deutschen Handelsgesellschaft ähnelnde Gesellschaftsform für grenzüberschreitende Kooperationen geschaffen hatte. Die Rechtsetzungsgeschichte der SE reicht zurück bis in das Jahr 1970, als ein sehr ausführlicher Vorschlag vorgelegt wurde, der im Jahr 1975 überarbeitet wurde.74) Die seinerzeitigen Vorschläge waren stark von deutschem Einfluss geprägt – das Aktiengesetz war 1965 gerade grundlegend reformiert worden – und enthielten ausführliche Regelungen des Konzernrechts wie zur Stellung der Arbeitnehmer; auch eine eigenständige steuerrechtliche Regelung war vorgesehen. Gleichwohl scheiterte eine Verabschiedung an der Mitbestimmungsfrage. Das gilt auch für den in der Folge vorgelegten erneut überarbeiteten SE-VO-Entwurf, aus dem die Mitbestimmungsregeln wegen des anderen Rechtsetzungsverfahrens als Ergänzungsrichtlinie ausgegliedert worden waren.75) Erst nach weiteren „Aufweichungen“ in der Mitbestimmungsfrage76) gelang am 20. Dezember 2000 das „Wunder von Nizza“, der politische Kompromiss,77) wie ___________ 73) Mit dem Wechsel von der hergebrachten Bezeichnung „Europäische Aktiengesellschaft“ zur jetzigen und amtlichen Bezeichnung „Europäische Gesellschaft“ ist keine inhaltliche Änderung verbunden; die Brüsseler Sprachjuristen sahen sich aber nur so imstande, den für alle Amtssprachen maßgeblichen lateinischen Begriff „Societas Europaea“ korrekt ins Deutsche zu übersetzen (dazu Neye, in: Festschrift für Röhricht [2005], S. 443 Fn. 1). Mit Blick auf deren langjährige Benutzung und zum Zwecke der Abgrenzung von der ebenfalls geplanten „Europäischen Privatgesellschaft“ soll hier an der herkömmlichen Bezeichnung festgehalten werden. 74) Vorschlag v. 30.6.1970, Dok. KOM (70) 150 endg. = ABl. EG Nr. C 124 v. 10.10.1970, S. 1 ff.; Geänderter Verordnungsvorschlag über das Statut für Europäische Aktiengesellschaften vom 30. April 1975, Dok. KOM (75) 150 endg.; ausführlich zur Rechtsetzungsgeschichte Blanquet, ZGR 2002, 20 ff.; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht (2000), S. 643 ff.; Pluskat, EuZW 2001, 524 f. 75) Zweiter geänderter Vorschlag für eine Verordnung über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft vom 25. August 1989, ABl. EG Nr. C 263 v. 16.10.1989, S. 41 ff., Dok. KOM (89) 268 endg.; Dritter geänderter Vorschlag für eine Verordnung über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft vom 16. Mai 1991, ABl. EG Nr. C 176 v. 8.7.1991, S. 1 ff., Dok. KOM (91) endg.; zur seinerzeitigen Kritik siehe die Nachweise bei Hommelhoff, AG 2001, 279 Fn. 4. 76) Einzelheiten bei Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1848. 77) Geänderter Vorschlag des Rates der Europäischen Union für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft – Ausrichtung für eine politische Einigung, Ratsdokument 14886/00 v. 1.2.2001.

23

§ 1 Grundlagen

er dem jetzt geltenden Recht der Europäischen Aktiengesellschaft zugrunde liegt. Die Trennung in Verordnung und – die Mitbestimmungsfrage regelnde – Richtlinie wurde dabei aber beibehalten. Sie diente inzwischen auch als Vorbild für die an anderer Stelle näher darzustellende Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE; dazu unten Rz. 10.77) und eventuelle weitere europäische Rechtsformen (dazu unten Rz. 1.79). bb)

Rechtsquellenhierarchie

1.52 Auf die SE finden nebeneinander ganz unterschiedliche Rechtsquellen Anwendung. Dabei soll hier exemplarisch nur die SE mit Sitz in Deutschland betrachtet werden. Rechtsgrundlage bilden dabei auf europäischer Ebene zum einen die „Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)“,78) zum anderen die ergänzende Mitbestimmungsrichtlinie (SE-RL).79) 1.53 Kraft Anordnung in Art. 9 Abs. 1 SE-VO unterliegt eine SE zunächst den Bestimmungen der Verordnung selbst (Art. 9 Abs. 1 a SE-VO). Soweit die Verordnung es ausdrücklich zulässt, greift sodann die Regelung der Satzung ein (Art. 9 Abs. 1 b SE-VO). Soweit die Verordnung Bereiche nicht oder nur teilweise geregelt hat, greifen zunächst die Rechtsvorschriften ein, die die Mitgliedstaaten in Anwendung der speziell die SE betreffenden Gemeinschaftsmaßnahmen erlassen, dann die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die auf eine nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründete (sonstige) Aktiengesellschaft Anwendung finden würden, und schließlich die Bestimmungen ihrer Satzung, wenn sie auch bei einer nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründeten Aktiengesellschaft eingreifen würden (Art. 9 Abs. 1 c SE-VO). Das gilt inhaltlich vor allem für die satzungsmäßigen Gestaltungsmöglichkeiten, die der deutsche Gesetzgeber zunehmend den nicht i. S. v. § 3 Abs. 2 AktG börsennotierten Aktiengesellschaften gewährt. Vor allem aber gilt damit nationales Aktienrecht kraft der SE-VO automatisch immer dort, wo weder diese noch das spezielle nationale SE-Recht Bestimmungen enthält.80) 1.54 Deutschland hat in Form vor allem des SEAG „speziell die SE“ betreffende Rechtsvorschriften erlassen; entsprechend sieht § 1 SEAG vor, dass – soweit nicht die SE-VO selbst gilt – auf im Inland ansässige SE und auf die an der

___________ 78) Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1 ff. 79) Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 22 ff. 80) Ausführlich Veil, KK, Art. 9 SE-VO Rz. 16 – 80; noch zum DiskE Neye/Teichmann, AG 2003, 169, 170.

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften mit Sitz im Inland81) die Vorschriften des SEAG Anwendung finden (die dann aber – wie etwa § 3 SEAG – teilweise auf andere Vorschriften des deutschen Rechts weiterverweisen). Die speziell für die SE geschaffenen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten müssen dabei, wie Art. 9 Abs. 2 SE-VO betont, mit den gesellschaftsrechtlichen EGRichtlinien des Anhangs I zur SE-VO im Einklang stehen; für die „normalen“ nationalen Aktienrechte ist dies selbstverständlich, da die Richtlinien selbst hier entsprechende Koordinierungsbefehle enthalten. Zu den „Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten“ zählt auch das Richterrecht der Mitgliedstaaten.82) Eine einheitliche Auslegung auch der nationalen Rechtsvorschriften betreffend die SE ist zwar wünschenswert, dürfte aber jenseits des durch EG-Richtlinien koordinierten Bereichs nicht europarechtlich vorgegeben sein.83) Ausdrücklich auf das Recht des Sitzstaats wird für die – durch die Bilanzricht- 1.55 linie84) und ihre Vorgängerinnen, die Vierte (Bilanz-) und Siebte (Konzernbilanz-)Richtlinie,85) bereits harmonisierte – Aufstellung des Jahresabschlusses (Artt. 61, 62 SE-VO) sowie für Auflösung, Zahlungsunfähigkeit und ähnliche Verfahren verwiesen (Art. 63 SE-VO); Art. 63 Halbs. 1 SE-VO bildet dabei aber keine Verweisung auf nationales Insolvenzrecht, sondern beschränkt sich auf die Aussage, dass insoweit die allgemeinen Grundsätze greifen.86) Der deutsche Gesetzgeber brauchte daher insoweit nur die Zuständigkeiten für die insolvenzspezifischen Pflichten festzulegen, und dies auch nur für die monistische Verfassung, hinsichtlich derer das bislang vorhandene deutsche Aktienrecht keine Regelung enthält (dazu unten Rz. 3.208 ff.). ___________ 81) Gemeint ist der satzungsmäßige Sitz, so dass die Beteiligung einer ausländischen Gesellschaft mit bloßem Verwaltungssitz in Deutschland nach deren Gründungsrecht zu beurteilen ist; dazu Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1750; abw. MünchKomm-C. Schäfer, Art. 9 SE-VO Rz. 25. 82) Mittlerweile ganz h. M.: Grundlegend Brandt/Scheifele, DStR 2002, 547, 553; Casper, in: Festschrift für Ulmer (2003), S. 51, 68 f.; Hirte, NZG 2002, 1, 2; Teichmann, ZGR 2002, 383, 398 f.; im Anschluss daran Hommelhoff/Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, SEKommentar (2008), Art. 9 SE-VO Rz. 55; MünchKomm-C. Schäfer, Art. 9 SE-VO Rz. 19; Veil, KK, Art. 9 SE-VO Rz. 72; zweifelnd noch Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078, 1079; Ulmer, Gestaltungsfreiheit in der Europa-AG bietet Vorteile, FAZ v. 21.3.2001, Nr. 68 S. 30. 83) Insoweit abw. Horn, DB 2005, 147. 84) Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (ABl. EU Nr. L 182 v. 29.6.2013, S. 19). 85) Nr. 78/660/EWG vom 25. Juli 1978, ABl. EG 1978 L 222/11 v. 14.8.1978 („Bilanzrichtlinie“); Nr. 83/349/EWG vom 13. Juni 1983, ABl. EG 1983 L 193/1 v. 18.7.1983 („Konzernbilanzrichtlinie“). 86) Erwägungsgrund Nr. 20 zur SE-VO; Kiem, KK, Art. 63 SE-VO Rz. 7 – 13.

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§ 1 Grundlagen

1.56 Tatsächlich überlagern sich damit europäisches Recht und nationales Recht in vielfältiger Weise, und es gibt nicht eine einheitliche SE, sondern so viele SE wie EU-Mitgliedstaaten. Rein rechtlich betrachtet, sind die Überlappungen sogar noch vielfältiger als bei den bislang nebeneinander bestehenden nationalen Rechten: denn es bedarf ja einer Verzahnung zwischen europäischem und nationalem Recht, das hier sogar noch besonderes nationales SE-Recht setzen darf.87) Diese Gemengelage ist der politische Preis dafür, dass die Rechtsform überhaupt erst eingeführt werden konnte, lässt aber sicher Zweifel daran aufkommen, ob die mit der Einführung einer „einheitlichen“ Rechtsform bezweckten Ziele tatsächlich erreicht werden können. Insbesondere die bei Schaffung der SE noch nicht erwartete Möglichkeit, in Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit der Artt. 49, 54 AEUV (früher Artt. 43, 48 EG) eine Gesellschaft europaweit einzusetzen (dazu näher unten Rz. 1.58 ff.), bietet jetzt insoweit eine Alternative.88) Es spricht allerdings viel dafür, dass der Markt ebenso wie das Erfordernis kautelarjuristisch verlässlicher, vorhersehbarer Lösungen auch bei der SE nur eine begrenzte Zahl verschiedener SE herausbilden werden; so konzentriert sich etwa auch der weitaus größte Teil der EWIVs auf Belgien mit der Folge, dass auch dort die tatsächliche Rechtsvielfalt weitaus geringer ist als die rechtlich zulässige. Ganz ähnlich hat sich zwischenzeitlich ein deutliches Übergewicht deutscher und tschechischer SE entwickelt;89) Grund dürfte die in beiden Ländern relativ größere Attraktivität des SE-Rechts im Vergleich zum nationalen Aktienrecht sein. Unabängig davon ist vor Gründung einer SE ein erheblicher Aufwand darauf zu verwenden zu prüfen, welches Land als Sitzland am besten geeignet ist.90) Im Übrigen spricht der Blick auf die Vereinigten Staaten dafür, dass das europäische Recht – vergleichbar dem US-amerikanischen federal law – eine eigenständige Dynamik entfalten wird, als deren Folge eine Angleichung ___________ 87) So Hommelhoff, AG 2001, 279, 285, der aber nicht berücksichtigt, dass solche Konflikte im Hinblick auf die Koordinierung durch die EG-Richtlinien schon jetzt im nationalen Recht bestehen. 88) Vgl. bereits Hirte, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften. Ein Praxishandbuch für ausländische Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland (2005), S. 2, 42 Rz. 91; ebenso Schanze, NZZ v. 17.12.2002, Nr. 293, S. 25; Meilicke, GmbHR 2003, 793, 806 f.; abw. Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 187; Wachter, GmbHR 2004, 88, 104 (für baldmöglichste Verwirklichung des Vorschlags einer Europäischen Privatgesellschaft). 89) Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), SEK(2010) 1391, Dok. KOM(2010) 676, S. 3 (darunter aber auch viele Mantelgesellschaften; ebda. S. 6 f.); SEC(2010) 1391 (nur in englischer Fassung verfügbar), S. 14 ff. (mit Auffächerung nach Migliedstaaten: 281 in Tschechien, 134 in Deutschland); Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2008, 721, 724 f. (Stand: 6/2008); Lutter/ Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012), S. 1461 f. m. w. N. 90) Ebenso Hirte, FAZ v. 17.10.2001, Nr. 241, S. 29; Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078, 1079.

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

auch in den Rechtsbereichen eintreten wird, die formal in die Kompetenz der Einzelstaaten fallen. Nicht unmittelbar durch europäisches Recht geregelt ist die Besteuerung der 1.57 SE, was als ein besonders großes Defizit angesehen wird; insoweit greift jetzt das Recht des Sitzstaats.91) Mit Inkrafttreten des steuerlichen Begleitgesetzes zur SE (SEStEG) Anfang 2007 ist hier aber inzwischen eine gewisse Rechtssicherheit vorhanden.92) In nationaler Hoheit bleibt nach der SE-VO auch die Frage, ob die Gründung einer SE jenseits der deutschen Grenze als „Wegzug“ mit den entsprechenden negativen steuerlichen Konseqenzen zu qualifizieren ist;93) Änderungen im Gefolge der jüngeren EuGH-Rechtsprechung zeichnen sich hier entgegen ersten Erwartungen zur Zeit noch nicht ab (dazu unten Rz. 7.14). Auch besondere wettbewerbsrechtliche Regelungen enthält das Statut nicht (Erwägungsgrund Nr. 20 zur SE-VO). b)

Grundfreiheiten und Schein-Auslandsgesellschaften

Für die Kapitalgesellschaften ebenfalls einschlägig sind die Grundfreiheiten 1.58 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (früher: des EGVertrages). Von Bedeutung ist insoweit zum einen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV; früher Art. 43 EG), die nach Art. 54 AEUV (früher Art. 48 EG) ausdrücklich auch für Gesellschaften gilt; hier sei vor allem auf die Diskussion um die Reichweite der Niederlassungsfreiheit und die Zulässigkeit einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung verwiesen (zu Letzterer unten Rz. 1.77 und 7.13 ff.). Zum Zweiten spielt für das Gesellschaftsrecht die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV; früher Art. 56 EG) eine wesentliche Rolle. Was die Niederlassungsfreiheit anbelangt, hat der EuGH in einem Grund- 1.59 satzurteil in der Sache „Überseering“ auf Vorlage des VII. Zivilsenates des BGH94) festgestellt, dass es gegen Artt. 43 EG und 48 EG (heute Artt. 49, 54 AEUV) verstößt, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet worden ist und von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats angenommen wird, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechts- und damit die Parteifähigkeit vor seinen nationalen Ge___________ 91) Dazu Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078, 1082 ff. (allerdings aber insoweit unrichtig, als sie sagen, „das Statut“ verweise auf nationales Recht). 92) Spindler/Stilz/Casper, AktG, Vor Art. 1 SE-VO Rz. 24 f.; MünchKomm-Fischer, AktG, „Die Besteuerung der SE“. 93) Kritisch zur deutschen Wegzugsbesteuerung in § 12 Abs. 1 KStG Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078, 1082 ff., 1086 f.; ebenso Hommelhoff, AG 2001, 279, 285 f. (mit Gestaltungsvorschlägen nach dem Vorbild des Umwandlungssteuergesetzes). 94) BGH ZIP 2000, 967 = DStR 2000, 1064 = EuZW 2000, 412 = NZG 2000, 926 = EWiR § 50 ZPO 1/2000, 793 (Roth); hierzu Forsthoff, DB 2000, 1109; Meilicke, GmbHR 2000, 693; W.H. Roth, ZIP 2000, 1597.

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§ 1 Grundlagen

richten für die Geltendmachung von Ansprüchen vor dessen nationalen Gerichten aberkannt wird.95) Das führt dazu, dass Gesellschaften, die in EUStaaten gegründet wurden, die dem Gründungsstatut folgen, in Deutschland anzuerkennen sind.96) In umgekehrter Richtung galt dies – jedenfalls bislang – nicht, da Deutschland kraft nationalen Rechts insoweit die Auflösungsfolge annahm; mit dem Verzicht auf das Erfordernis eines inländischen Verwaltungssitzes durch das MoMiG (dazu unten Rz. 7.14), wider Erwarten aber nicht infolge der Judikatur des EuGH dürfte das aber auch insoweit anders werden. Hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Gesellschaften im Inland ging der EuGH in seinem Urteil in der Sache „Inspire Art“97) dann noch weiter und reduzierte den Spielraum des (hier niederländischen) nationalen Gesetzgebers, im Wege fremdenrechtlicher Regelungen im Ausland gegründeten Gesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz im Inland besondere Offenlegungspflichten aufzuerlegen und sie zu zwingen, die (vermeintlich höheren) inländischen Gläubigerschutzvorschriften (hier: Aufbringung eines Mindestkapitals) zu beachten.98) Im Jahr 2012 hat der EuGH diese Rechtsprechung dann im Falle „Vale“ auf im Rahmen einer Umwandlung „einwandernde Gesellschaften“ übertragen: Es verstoße gegen Art. 49 und 54 AEUV, wenn einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaats (hier: Italien) unterliegenden Gesellschaft die Umwandlung in eine inländische (hier: ungarische) Gesellschaft mittels Neugründung einer solchen Gesellschaft verwehrt werde; dabei dürfe der Aufnahmestaat insbesondere der die Umwandlung beantragenden Gesellschaft nicht die Eintragung als „Rechtsvorgängerin“ verweigern, wenn eine solche Eintragung der Vorgängergesell___________ 95) EuGH (Urt. v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00), Slg. 2002, I-9919 = ZIP 2002, 2037 = NJW 2002, 3614 = NZG 2002, 1164 = EuZW 2002, 754 = EWiR Art. 43 EG 1/02, 1003 (Neye) = EWS 2002, 573 (Hirte); SchlA GA Colomer m. Anm. Eidenmüller, ZIP 2002, 75; dazu Eidenmüller, ZIP 2002, 2233; Hirte, NJW 2003, 1090, 1091 f.; anders für schweizerische Gesellschaften wegen fehlender EG- und EWR-Mitgliedschaft der Schweiz BGHZ 178, 192 = ZIP 2008, 2411 (Trabrennbahn; dazu Gottschalk, ZIP 2009, 948) sowie für singaporeanische Gesellschaften BGH ZIP 2009, 2385, 2386 Tz. 4 = ZInsO 2009, 2154 = EWiR § 11 GmbHG 1/10, 117 (Lieder/Kliebisch). 96) Nach Auffassung des II. Zivilsenats des BGH waren derartige Gesellschaften jedenfalls als rechtsfähige Personengesellschaft zu behandeln, so dass es – jedenfalls in diesem Punkt – der Entscheidung des EuGH nicht bedurft hätte: BGHZ 151, 204 = ZIP 2002, 1763, 1764 = NJW 2002, 3539 = NZG 2002, 1009 = DStR 2002, 1678 (Goette) = EWiR § 50 ZPO 2/02, 971 (Emde); anders aber OLG Brandenburg ZIP 2000, 1616 = DStR 2000, 2101 (Hergeth) = NJW-RR 2001, 29 = EWiR Art. 43 EG 1/01, 67 (W. Müller): keine Parteifähigkeit für in Irland gegründete Gesellschaft mit Verwaltungssitz in Berlin. 97) EuGH (Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01), Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331 = NZG 2003, 1064 = ZIP 2003, 1885 = EWS 2003, 513 (Hirte); hierzu etwa die Beiträge von Bücker, FAZ v. 8.10.2003, Nr. 233, S. 21; Drygala, EWiR Art. 43 EG 4/03, 1029; Eidenmüller/ Rehm, ZGR 2004, 159; Maul/Schmidt, BB 2003, 2297; Ziemons, ZIP 2003, 1913; Kleinert/ Probst, DB 2003, 2217; Spindler/Berner, RIW 2003, 949. 98) Zum Ganzen Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht (2004); Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften. Ein Praxishandbuch für ausländische Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland (2. Aufl. 2006); Paefgen, ZIP 2004, 2253.

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

schaft im Handelsregister bei innerstaatlichen Umwandlungen vorgesehen ist.99) Die Urteile erzwingen der Sache nach die Anerkennung von EU-ausländischen Kapitalgesellschaften als beschränkt haftende juristische Personen im Inland,100) wie dem jetzt auch in vielfacher Weise das MoMiG Rechnung trägt. Binnenstreitigkeiten solcher ausländischen Gesellschaften sollen allerdings nach zweifelhafter, weil die Niederlassungsfreiheit einschränkender Auffassung des BGH, vor den Gerichten des Herkunftsstaates auszutragen sein.101) Als Folge der EuGHRechtsprechung hatten sich zahlreiche ausländische, überwiegend englische Kapitalgesellschaften im Inland neben den deutschen oder europäischen Gesellschaftsrechtsformen etabliert und waren zu ihnen in Konkurrenz getreten; Schätzungen zufolge waren gut 25.000 solcher Gesellschaften im Inland tätig.102) Mit der Einführung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) durch das MoMiG (dazu unten Rz. 5.45a ff.) ist diese Entwicklung zu einem Ende gekommen, und die neue deutsche Rechtsform hat den Schein-Auslandsgesellschaften „den Rang abgelaufen“ (dazu unten Rz. 1.84). Die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV; früher Art. 56 EG) war nach Auf- 1.60 fassung des EuGH durch französische und portugiesische Gesetzesbestimmungen verletzt, nach denen der Staat bei bestimmten früheren Staatsunternehmen im Falle eines Kontrollwechsels oder der Überschreitung bestimmter Stimmrechtsgrenzen aufgrund einer ihm zustehenden besonderen Aktie (golden share) zustimmen muss oder im Falle der Veräußerung wesentlicher Aktiva Widerspruch erheben

___________ 99) EuGH (Urt. v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10), ECLI:EU:C:2012:440 = ABl. EU 2012 C 287, S. 3 = ZIP 2012, 1394 m. Anm. Mörsdorf/Jopen = NJW 2012, 2715 = NZG 2012, 871 = EWiR Art. 49 AEUV 3/12, 541 (Mutter/Kruchen) (vorgelegt durch Oberstes Gericht Ungarn [Vorlagebeschl. v. 17.6.2010], ZIP 2010, 1956); dazu Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481; Behme, NZG 2012, 936; Benrath/König, Konzern 2012, 377; Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701; Hansen, ECFR 2013, 1; König/Bormann, NZG 2012, 1241; Kruis/Widmayer, CFL 2012, 349; G. H. Roth, ZIP 2012, 1744 (er argumentiert, dass die Niederlassungsfreiheit im Anschluss an Randziffer 34 f. des Urteils so interpretiert werden müsse, dass sie eine tatsächliche Ansiedlung im „Zielstaat“ Ungarn voraussetze; darauf folge, dass auch in anderen Fällen eine Gesellschaft in ihrem Gründungsstaat wenigstens den Niederlassungsbegriff in diesem Sinne erfüllen müsse); Schön, ZGR 2013, 333; Teichmann, DB 2012, 2085; Wicke, DStR 2012, 1756; zuvor EuGH GA Nielo Jääskinen (SchlA v. 15.12.2011 – Rs. C-378/10), ZIP 2012, 465; dem folgend für eine Sitzverlegung von Luxemburg nach Deutschland OLG Nürnberg, ZIP 2014, 128 = DStR 2014, 812 = EWiR 2014, 45 (Neye); dazu Martin Schaper, in: ZIP 2014, 810; ähnliche Problematik auch bei OLG Nürnberg, ZIP 2012, 572 = NZG 2012, 468 = DStR 2012, 571 = EWiR § 190 UmwG 1/12, 263 (Drygala) (inzwischen rkr.). 100) Hirte, EWS 2002, 573 f.; ders., NJW 2003, 1090, 1091 f. 101) BGHZ 190, 242 = ZIP 2011, 1837 = NJW 2011, 3372 = NZG 2011, 1114 = EWiR Art. 22 EuGVVO 2/11, 707 (Mankowski); ebenso als Vorinstanz OLG Frankfurt/M. ZIP 2010, 800 (Mankowski) = NZG 2010, 581 = DStR 2010, 941. 102) Hierzu jetzt ausführlich Hirte, in: Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006), § 1 Rz. 35.

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§ 1 Grundlagen

kann.103) In späteren Verfahren erstreckte er diese Rechtsprechung auf spanische, britische, niederländische und portugiesische Bestimmungen.104) In einem weiteren Fall wurde eine italienische Bestimmung für mit der Kapitalverkehrsfreiheit unvereinbar gehalten, die bestimmten nicht börsennotierten Energieversorgungsunternehmen einen Erwerb von mehr als 2 % der Stimmrechte an einem italienischen Energieversorger erschwert.105) Auch die Satzungsbestimmung einer Aktiengesellschaft, die einer an ihr beteiligten öffentlichen Körperschaft einen außer Verhältnis zu ihrem Kapitalanteil stehenden Einfluss etwa auf die Besetzung von Mitgliedern des Verwaltungsrates ermöglicht, widerspricht Art. 56 EG (heute Art. 63 AEUV).106) Besondere Aufmerksamkeit in Deutschland erfuhr das VW-Verfahren, in dem der Europäische Gerichtshof zentrale Bestimmungen des deutschen VW-Gesetzes (§§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 und 3 a. F.), mit denen dem Land Niedersachsen trotz einer bloßen Minderheits-Kapitalbeteiligung faktisch die Entscheidungsmacht in der Volkswagen AG zugestanden wurde (insbesondere die Stimmrechtsbeschränkung aller Aktionäre auf 20 % und das Recht der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Niedersachsen, je zwei Vertreter in den Aufsichtsrat der VW AG zu entsenden), für mit der Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 EG (heute Art. 63 AEUV) unvereinbar hielt.107) Die in Folge des Urteils vorgenommenen Änderungen des VW-Gesetzes reichen nach Auffassung des EuGH aus, um den gerügten Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit zu beheben.108) ___________ 103) EuGH (Urt. v. 4.6.2002 – Rs. C-483/99), Slg. 2002, I-4781 (Kommission/Frankreich) = ZIP 2002, 1085 = NJW 2002, 2305 = NZG 2002, 628 = EuZW 2002, 433; EuGH Slg. 2002, I-4731 (Kommission/Portugal); Verletzung von Art. 56 EG verneint demgegenüber in EuGH (4.6.2001 – Rs. C-503/99), Slg. 2002, I-4809 (Kommission/Belgien) = ZIP 2002, 1090 = NJW 2002, 2303 = NZG 2002, 624 = EuZW 2002, 429 im Hinblick auf die Ausgestaltung des staatlichen Kontrollrechts als Widerspruchsrecht mit der Möglichkeit seiner gerichtlichen Kontrolle; dazu Bayer, BB 2002, 2289; Grundmann/Möslein, ZGR 2003, 317; dies., BKR 2002, 758. 104) EuGH (Urt. v. 13.5.2003 – Rs. C-463/00), Slg. 2003, I-4581 (Kommission/Königreich Spanien) = ZIP 2003, 991 = NJW 2003, 2663 = NZG 2003, 679; EuGH EuGH (Urt. v. 13.5.2003 – Rs. C-98/01), Slg. 2003, I-4641 (Kommission/Vereinigtes Königreich) = ZIP 2003, 995 = NJW 2003, 2666 = NZG 2003, 685; EuGH (Urt. v. 28.9.2006 – Rs. C282/04 u. C-283/04), Slg. 2006, I-9141 (PTT/KPN) = ZIP 2007, 221 = NZG 2006, 942; EuGH (Urt. v. 8.7.2010 – Rs. C-171/08), Slg. 2010, I-6813 (Kommission/Portugal) = ZIP 2010, 2199 = NZG 2010, 983 = EWiR Art. 56 EG 1/10, 739 (Sonder); EuGH (Urt. v. 11.11.2010 – Rs. C-543/08), Slg. 2010, I-11241 (Kommission/Portugal) = ZIP 2010, 2340 = NZG 2010, 1382 = EWiR Art. 56 EG 1/2011, 79 (Klees); EuGH (10.11.2011 – Rs. C-212/09), Slg. 2011, I-10889 (Kommission/Portugal) = ZIP 2012, 221: Europarechtswidrigkeit goldener Aktien des portugiesischen Staates an Energieversorger. 105) EuGH (Urt. v. 2.6.2005 – Rs. C-174/04), Slg. 2005, I-4933 (Kommission/Italien) = ZIP 2005, 1225 = NZG 2005, 631 = EWiR Art. 56 EG 1/2005, 597 (Klees). 106) EuGH (Urt. v. 6.12.2007 – Rs. C-463, 464/04), Slg. I-10419 (Comune di Milano) = ZIP 2008, 21 = EuZW 2008, 51. 107) EuGH (Urt. v. 23.10.2007 – Rs. C-112/05), Slg. 2007, I-8995 (VW) = ZIP 2007, 2068 = NJW 2007, 3481 (ebenso zuvor GA Colomer, ZIP 2007, 574); dazu Teichmann/Heise, BB 2007, 2577; Vossestein, ECFR 2008, 115. 108) Angriffe gegen das daraufhin geänderte VW-Gesetz blieben erfolglos: EuGH (Urt. v. 22.10.2013 – Rs. C-95/12) ECLI:EU:C:2013:676 = ZIP 2013, 2103 = NZG 2013, 1308 gegen die abweichende Auffassung der Europäischen Kommission.

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

c)

Sonstiger geltender Normenbestand

Im Übrigen beeinflusst europäisches Recht vor allem in Gestalt von EU- 1.61 Richtlinien das Kapitalgesellschaftsrecht. Zahlreiche Bestimmungen des nationalen Gesellschaftsrechts gehen (heute) auf entsprechende europäische Vorgaben zurück,109) die im Augenblick einer Totalrevision unterzogen werden.110) Darauf wird im Rahmen dieses Buches jeweils hingewiesen. Die Folgen für die Auslegung des nationalen Rechts und die eventuelle Verpflichtung zu einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (Art. 267 Abs. 3 AEUV; früher Art. 234 Abs. 3 EG und davor Art. 177 Abs. 3 EGV) wurden an anderer Stelle ausführlich dargestellt.111) Sowohl zeitlich als auch programmatisch (in der „amtlichen“ Zählung) steht die 1.62 Erste (Publizitäts-)Richtlinie – verabschiedet im Jahr 1968112) und neu bekannt gemacht im Jahre 2009113) – an der Spitze. In ihrem Zentrum stehen die Verpflichtung zur handelsrechtlichen Publizität nebst deren Wirkungen sowie die Vertretungsmacht der Vertretungsorgane juristischer Personen samt ihren Wirkungen. Sie gab Anlass zur ersten und lange Zeit einzigen gesellschaftsrechtlichen Vorlageentscheidung des BGH nach Art. 177 EGV (entspricht dem jetzigen Art. 267 AEUV).114) Im niederländischen Vorlagefall Rabobank entschied der EuGH hierzu, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie keine Koordinierung der nationalen gesetzlichen Vorschriften über die Vertretungsmacht von Organmitgliedern bezwecke – hier ging es um die nach niederländischem Recht beschränkte Vertretungsbefugnis des Vorstands einer Gesellschaft bei Interessenkonflikten mit der Gesellschaft-, sondern nur die Berufung auf von der Gesellschaft sozusagen autonom gesetzte Be-

___________ 109) Ausführlicherer Überblick bei Bayer/J. Schmidt, BB 2004, 1 ff.; dies., BB 2008, 454 ff.; dies., BB 2010, 387 ff.; dies., BB 2012, 3 ff.; dies., BB 2013, 3 ff.; dies., BB 2014, 1219 ff.; dies., BB 2015, 1731 ff.; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht (2004); ders., ZIP 2004, 2401 ff.; van Hulle, EWS 2000, 521 ff.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht. Einführung für Studium und Praxis (4. Aufl. 2009); Lutter/Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012); Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht (2000); zu bislang aufgetretenen Konfliktfällen Hirte, RabelsZ 66 (2002), 553, 554 ff.; rechtspolitisch Hellwig, EWS 2001, 580. Zum Bild des Gesellschafters im europäischen Gesellschaftsrecht Schön, RabelsZ 64 (2000), 1. Zur Entwicklungsgeschichte siehe den Überblick bei Hopt, ZIP 1998, 96, 97. 110) Hierzu Bayer/J. Schmidt, BB 2012, 3, 4; dies., BB 2013, 3, 6. 111) Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht (1996), S. 41 ff.; ders., RabelsZ 66 (2002), 553, 570 ff.; Lutter/Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012), S. 48 ff. 112) Nr. 68/151/EWG vom 9. März 1968, ABl. EG Nr. L 65 v. 14.3.1968, S. 8 ff. 113) Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. EU Nr. L 258 v. 1.10.2009, S. 11 ff. = Lutter/Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012), S. 455 ff. 114) BGH NJW 1974, 1640 (zur Frage der Eintragung der Befreiung des Geschäftsführers vom Verbot des Selbstkontrahierens in das Handelsregister); EuGH (Urt. v. 12.11.1974 – Rs. 32/74), Slg. 1974, 1201 (Firma Friedrich Haaga GmbH).

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§ 1 Grundlagen

schränkungen verbiete.115) Den bezüglich der Publizität in Deutschland mangelhaft ausgestalteten Sanktionsmechanismus erklärte der EuGH im Daihatsu-Urteil für europarechtswidrig,116) was inzwischen zu einer Reform von § 335a HGB führte. Daneben führte die Richtlinie den Grundsatz der sachlich unbeschränkten Vertretungsmacht der Gesellschaftsorgane ein, was die britischen Inseln zum Abschied von der Ultra-vires-Lehre zwang. Schließlich beschränkte sie die Möglichkeit der Nichtigkeit einer einmal eingetragenen Gesellschaft auf einen abschließenden Katalog von Gründen.117) In ihrem Anwendungsbereich erfasst sie sowohl AG, KGaA als auch die GmbH. 1.63 Eng zusammen mit der Ersten hängt die Elfte gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates (Zweigniederlassungs-Richtlinie), mit der die Offenlegungspflichten für Kapitalgesellschaften auf Zweigniederlassungen ausgedehnt wurden. Zu ihrer Umsetzung wurden in Deutschland durch Gesetz vom 22. Juli 1993 (BGBl. I, 1282) vor allem die §§ 13–13g, 325a HGB, § 80 Abs. 4 AktG, § 35a Abs. 4 GmbHG neu gefasst bzw. eingefügt.118) 1.64 Die wohl ausführlichsten Vorgaben für das Kapitalgesellschaftsrecht enthält die Zweite gesellschaftsrechtliche (Kapitalschutz-)Richtlinie der EG (verabschiedet im Jahre 1976119) und neu gefasst120) im Jahr 2012121)), die allerdings nach ihrem Art. 1 Abs. 1 UA 1 i. V. m. Anhang I nur für die Aktiengesellschaft gilt. Neben Fragen der Gründung und des Satzungsinhalts (Artt. 2, 3) stehen im Mittelpunkt der Richtlinie

___________ 115) EuGH (Urt. v. 16.12.1997 – Rs. C-104/96), betreffend die Tochtergesellschaft „Mediasafe“, unter deren Namen der Fall auch zitiert wird, Slg. 1997, I-7211 (Rabobank/Minderhoud) = WM 1998, 865 = DB 1998, 67 = NZG 1998, 149. 116) EuGH (Urt. v. 4.12.1997 – Rs. C-97/96), ECLI:EU:C:1997:581 (Daihatsu) = Slg. 1997, I-6843 = NJW 1998, 129 = ZIP 1997, 2155 (Schulze-Osterloh) = JZ 1998, 193 (Schön) = DStR 1998, 214 (Wilken); dazu Hirte, NJW 1999, 36 ff.; Leible, ZHR 162 (1998), 594; Luttermann, EuZW 1998, 264; ebenso im Vertragsverletzungsverfahren EuGH (Urt. v. 29.9.1998 – Rs. C-191/95), Slg. 1998, I-5449 (Kommission/Deutschland) = NJW 1999, 2356 (Ls.) = EuZW 1998, 758 = ZIP 1998, 1716 (Schulze-Osterloh), Tz. 64 ff. 117) Dazu EuGH (Urt. v. 13.11.1990 – Rs. C-106/89), Slg. 1990, I-4135 (Marleasing); zur Nichtanwendung dieser Grundsätze auf eine noch nicht im Handelsregister eingetragene Gesellschaft und zur Geltung des nationalen Rechts für diese Frage EuGH (Urt. v. 20.9.1988 – Rs. 136/87), Slg. 1988, 4665 (Ubbink Isolatie/Dak- en Wandtechniek). 118) Richtlinie Nr. 89/666/EWG vom 21. Dezember 1989, ABl. EG Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 36; zur Umsetzung in Deutschland Seibert, GmbHR 1992, 738; ders., DB 1993, 1705. 119) Nr. 77/91/EWG vom 13. Dezember 1976, ABl. EG Nr. L 26 v. 31.1.1977, S. 1 ff. = Lutter/ Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012), S. 571 ff. 120) Dass die Richtlinie nicht nur „neu bekannt gemacht“ wurde (in deutscher Terminologie), sondern „neu gefasst“, ist Folge einer aus kompetenzrechtlichen Gründen notwendig gewordenen Änderung von Art. 6 Abs. 3 Zweite Richtlinie; dazu Lutter/Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012), S. 468 Rz. 9, S. 478 Rz. 36; Bayer/J. Schmidt, BB 2012, 3, 4; BB 2013, 3, 6. 121) Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten ABl. EU Nr. L 315 v. 14.11.2012, S. 74 ff.

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

Fragen des Garantiekapitals (Artt. 6 ff.). Ihre Auswirkungen auf das nationale Recht werden im Folgenden verschiedentlich angesprochen. Auch das (aktienrechtliche) Umwandlungsrecht ist in erheblichem Umfang durch 1.65 EG-Richtlinien beeinflusst, deren Vorgaben andererseits (ein) Grund für die Neuregelung dieses Komplexes durch den deutschen Gesetzgeber im Umwandlungsgesetz waren (dazu unten Rz. 6.95 ff.). Zu nennen sind zum einen die nur die (nationale) Verschmelzung von Aktiengesellschaften betreffende Dritte gesellschaftsrechtliche (Verschmelzungs-)Richtlinie aus dem Jahre 1978,122) die im Jahr 2011 neu bekannt gemacht wurde,123) und zum anderen die Sechste (Spaltungs-)Richtlinie, die die Spaltung – als Gegenstück zur Verschmelzung – freilich nur insoweit verbindlich für Aktiengesellschaften koordinierte, als die nationalen Rechte entsprechende Regelungen vorsahen.124) Sie werden inzwischen ergänzt durch die Zehnte Richtlinie zur grenzüberschrei- 1.66 tenden Fusion (dazu näher unten Rz. 6.166a ff.).125) Hier wie bei der noch anzusprechenden geplanten Richtlinie zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung (unten Rz. 1.77) liegen die Probleme vor allem bei der Behandlung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer sowie im steuerlichen Bereich, nämlich bei der Frage, wie die bislang unversteuerten stillen Reserven bei einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung oder Verschmelzung behandelt werden.126) Mit dem SE-Statut war schon zuvor jedenfalls zum Zwecke der Gründung einer SE die grenzüberschreitende Verschmelzung mehrerer Gesellschaften zugelassen worden; die insoweit hinsichtlich der Mitbestimmung gefundenen Lösungen konnten daher auch als Modell für die Zehnte Richtlinie dienen (dazu näher unten Rz. 3.168 ff.). Pläne für eine vergleichbare Regelung von grenzüberschreitenden Spaltungen sind seit Längerem in der Diskussion.127)

___________ 122) Dritte gesellschaftsrechtliche (Verschmelzungs-)Richtlinie 78/855/EWG vom 9. Oktober 1978, ABl. EG Nr. L 295 v. 20.10.1978, S. 36; zunächst durch das Verschmelzungsrichtliniegesetz v. 25.10.1982 (BGBl. I, 1425) ins AktG a. F. eingefügt (dazu Priester, NJW 1983, 1459 f.). 123) Richtlinie 2011/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABl. EU Nr. L 110 v. 29.4.2011, S. 1 ff. = Lutter/Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012), S. 645 ff. 124) Sechste gesellschaftsrechtliche (Spaltungs-)Richtlinie 82/891/EWG vom 17. Dezember 1982, ABl. EG Nr. L 378 v. 31.12.1992, S. 47 = Lutter/Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012), S. 695 ff. 125) Richtlinie Nr. 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (ABl. EU Nr. L 310, S. 1 ff.); hierzu Bayer/J. Schmidt, NJW 2006, 401; zu laufenden Überarbeitungsplänen Bayer/J. Schmidt, BB 2013, 3, 14; dies., BB 2015, 1731, 1735, jeweils m. w. N. 126) Hierzu jetzt Richtlinie 2005/19/EG des Rates vom 17. Februar 2005 zur Änderung der Richtlinie 90/434/EWG über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ABl. EG Nr. L 58 v. 4.3.2005, S. 19. 127) Hierzu Bayer/J. Schmidt, BB 2013, 3, 14 f.; dies., BB 2015, 1731, 1735, jeweils m. w. N.

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§ 1 Grundlagen

1.67 Ebenfalls zu den gesellschaftsrechtlichen Richtlinien zu rechnen ist die Bilanzricht-

linie128), die seit Ablauf ihrer Umsetzungsfrist im Jahre 2015 die frühere Vierte (Bilanz-) und die Siebte (Konzernbilanz-)Richtlinie129) zusammengefasst und ersetzt hat. Durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) ist sie in deutsches Recht umgesetzt worden.130) Die genannten bilanzrechtlichen Richtlinien betreffen zwar nach dem heute herrschenden deutschen Verständnis nicht das Gesellschafts-, sondern das Handelsrecht, werden aber in der europäischen Koordinierungsdiskussion gleichwohl zum Gesellschaftsrecht gezählt. Die genannten Richtlinien gelten für (sämtliche) Kapitalgesellschaften, nehmen aber für verschiedene Fragen eine größenabhängige Differenzierung vor. Zu den Kapitalgesellschaften ist freilich nach der Systematik des deutschen Rechts im Übrigen (vgl. etwa §§ 19 Abs. 2 n. F. HGB, § 39 Abs. 4 Satz 1 InsO [früher §§ 129a, 130a, 172a HGB]) auch die GmbH & Co. KG zu zählen. Daher war der deutsche Gesetzgeber seiner Umsetzungsverpflichtung in Bezug auf die frühere Vierte Richtlinie insoweit nicht ordnungsgemäß nachgekommen, als er für Personengesellschaften, deren Gesellschafter nur juristische Personen waren, die Anwendung der (strengeren) Vorschriften über die Rechnungslegung der Kapitalgesellschaften nicht angeordnet hatte.131) Dies hatte zu einer Kontroverse zwischen ihm und der EG-Kommission über die EG-Rechtswidrigkeit des deutschen Bilanzrechts geführt, die schließlich von Seiten der Europäischen Gemeinschaft mit einer klarstellenden Ergänzungsrichtlinie („GmbH-&-Co.-KGRichtlinie“) und einer die Interessen der mittelständischen Unternehmen stärker berücksichtigenden Mittelstands-Richtlinie beantwortet wurde; Letztere erlaubt Erleichterungen bei der Rechnungslegung für kleine und mittlere Unternehmen.132) Aber erst nach Verurteilung Deutschlands durch den EuGH133) ist der deutsche Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten des Kapitalgesellschaften & Co.-RichtlinieGesetzes (KapCoRiLiG) vom 24. Februar 2000 (BGBl. I, 154) seiner Umsetzungs-

___________ 128) Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/ 43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (ABl. EU Nr. L 182 v. 29.6.2013, S. 19). 129) Nr. 78/660/EWG vom 25. Juli 1978, ABl. EG 1978 L 222/11 v. 14.8.1978 („Bilanzrichtlinie“); Nr. 83/349/EWG vom 13. Juni 1983, ABl. EG 1983 L 193/1 v. 18.7.1983 („Konzernbilanzrichtlinie“). 130) Vom 17.7.2015 (BGBl. I, 1245); RegE, BT-Drucks. 18/4050; hierzu Bayer/J. Schmidt, BB 2015, 1731, 1736; Hirte, Editorial WPg Heft 13/2015, S. I. 131) Zum fehlenden Eingriff in Grundrechte der betroffenen (hier: Presse-)Unternehmen durch die Publizität in einem solchen Fall EuGH (Urt. v. 23.9.2004 – Rs. C-435/02 und C-103/03), Slg. 2004, I-8663 (Axel Springer AG/Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. KG) = ZIP 2004, 2134 = EuZW 2004, 763 = EWiR § 264a HGB 1/04, 1229 (Volmer) (Vorlagebeschlüsse des LG Essen, ZIP 2003, 31 = EWiR § 264a HGB 1/03, 67 [Naujok] und des LG Hagen); dazu Kiesel/Grimm, DStR 2004, 2210. 132) Nr. 90/605/EWG vom 8. November 1990, ABl. EG Nr. L 317 v. 16.11.1990, S. 60 („GmbH&-Co.-KG-Richtlinie“); Nr. 90/604/EWG vom 8. November 1990, ABl. EG Nr. L 317 v. 16.11.1990, S. 57 („Mittelstands-Richtlinie“). 133) EuGH (Urt. v. 4.1.2001 – Rs. C-272/97), Slg. 1999, I-2175, I-2185 (Kommission/Deutschland) = EuZW 1999, 446 = ZIP 1999, 923 = IStR 1999, 317 = DStR 1999, 992 (Ls.).

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

pflicht nachgekommen.134) In der Rechtsprechung des EuGH hat die Bilanzrichtlinie für die Frage eine Rolle gespielt, ob die phasengleiche Berücksichtigung von Tochtergewinnen im Jahresabschluss der Muttergesellschaft zulässig ist, was der EuGH bejahte.135) In den Komplex der Jahresabschlussrichtlinien gehört schließlich noch die Achte 1.68 (Prüferbefähigungs-)Richtlinie (Abschlussprüferrichtlinie) vom 10. April 1984, die die für Abschlussprüfer von Kapitalgesellschaften geltenden Qualifikationsvoraussetzungen regelt.136) Mit Wirkung ab dem Geschäftsjahr 2005 ist hier die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards vom 19. Juli 2002 hinzugekommen, nach der mindestens börsennotierte Gesellschaften seit dem Geschäftsjahr 2005 ihre (jedenfalls Konzern-)Abschlüsse nach den International Financial Reporting Standards (IFRS; früher International Accounting Standards [IAS]) aufstellen müssen.137) Deutschland hat im Bilanzrechtsreformgesetz diese Möglichkeit auch nicht börsennotierten Gesellschaften eröffnet, allerdings nur soweit es sich um Mutterunternehmen und deren Konzernabschluss (also nicht Einzelabschluss) handelt (§ 315a Abs. 3 HGB n. F.). Allerdings können sämtliche Gesellschaften anstelle des nach deutschem HGB unverändert zu erstellenden Einzelabschlusses einen nach internationalen Grundsätzen erstellten Einzelabschluss offenlegen (§ 325 Abs. 2a HGB n. F.). Sämtliche Bilanzrichtlinien wurden zwischenzeitlich durch verschiedene Änderungsrichtlinen umfassend reformiert; deren Umsetzung in deutsches Recht durch das BilMoG, in dem der deutsche Gesetzgeber die Konzeption der IFRS teilweise auf das nationale Bilanzrecht übertrug, führte zur umfassendsten Reform des Handelsbilanzrechts seit dem Jahre 1985. Den derzeitigen Schlussstein der Angleichung im „Kern-Gesellschaftsrecht“ bildet 1.69 die ursprünglich aus dem Jahr 1989 stammende138) und 2009 neu kodifizierte139) Zwölfte gesellschaftsrechtliche (Einpersonen-GmbH-)Richtlinie, die eine Verpflichtung zur Zulassung von Einpersonen-GmbHs unter Ausschluss der persönlichen Haftung des Gesellschafters konstatiert, vor allem, um damit auch kleinen

___________ 134) Dazu Dieckmann, GmbHR 2000, 353; Eisolt/Verdenhalven, NZG 2000, 130; Jansen, DStR 2000, 596; Luttermann, ZIP 2000, 517; Scheffler, DStR 2000, 529; Zimmer/Eckhold, NJW 2000, 1361. 135) EuGH (Urt. v. 27.6.1996 – Rs. C-234/94), Slg. 1996, I-3133 ff. (Waltraud Tomberger/ Gebrüder von der Wettern GmbH) = ZIP 1996, 1168 = NJW 1996, 2362; zurückgehend auf Vorlagebeschluss des BGH ZIP 1994, 1259 = NJW 1994, 3375 = EuZW 1994, 834 = EWiR § 246 HGB 1/94, 891 (Crezelius) (Tomberger); dazu Gelhausen/Gelhausen, WPg 1996, 573; Schulze-Osterloh, ZGR 1995, 170. 136) Nr. 84/253/EWG, ABl. EG Nr. L 126 v. 12.5.1984, S. 20 = Lutter/Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012), S. 875 ff. 137) Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards vom 19. Juli 2002, ABl. EG Nr. L 243 v. 11.9.2002, S. 1 ff. = NZG 2002, 1095. 138) Nr. 89/667/EWG vom 21. Dezember 1989, ABl. EG Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 40. 139) Richtlinie 2009/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABl. EU Nr. L 258 v. 1.10.2009, S. 20 ff. = Lutter/Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012), S. 956 ff.

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§ 1 Grundlagen

und mittelständischen Unternehmen eine unternehmerische Betätigung ohne das Risiko unbeschränkter Haftung und bei gleichzeitigem Schutz des unternehmerischen Privatvermögens zu ermöglichen. Zugleich legt sie die Schutzvorkehrungen zugunsten der Gläubiger einer Einpersonen-GmbH fest, und dies darüber hinaus für den Fall, dass das nationale Recht eine solche Gesellschaftsform auch bei der Aktiengesellschaft gestattet. 1.70 Erhebliche Kontroversen hatte die Diskussion um eine europäische Angleichung des Übernahmerechts ausgelöst. Das hängt damit zusammen, dass der dahinter stehende Ansatz – Regulierung des Übernahmeprozesses statt des Ergebnisses in Form eines (in der Regel) Konzerns – vor allen Dingen in Deutschland nicht der Tradition entsprach (dazu auch unten Rz. 1.76). Das führte dazu, dass der als Reaktion auf den Übernahmekampf um die belgische Société Générale140) vorgelegte Entwurf einer Dreizehnten (Übernahme-)Richtlinie auf dem Edinburgher Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft am 11. und 12. Dezember 1992 unter Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip am massiven Widerstand Deutschlands scheiterte.141) Inzwischen haben sich auch in Deutschland die Dinge etwas weiter bewegt, und der 1.71 Glaube daran, dass unser kodifiziertes Konzernrecht der Weisheit letzter Schluss ist, ist ebenso gewichen wie die Akzeptanz kapitalmarktrechtlicher Regelungen wie des Übernahmerechts zugenommen hat. Das steigerte zunächst die Wahrscheinlichkeit einer Verabschiedung der im Jahre 2000 erneut überarbeiteten Dreizehnten (Übernahme-)Richtlinie142) und darüber hinaus für ein europäisches Konzernrecht (dazu auch sogleich Rz. 1.76).143) Im weiteren Verfahren über die Übernahmerichtlinie forderte das Europäische Parlament dann, vor allem auf deutsche Initiative hin, eine vermehrte Zulassung von „Vorratsbeschlüssen“ zu Abwehrmaßnahmen. Zudem wurde – insoweit zu Recht – bemängelt, dass die Richtlinie nur eine Neutralitätspflicht für die Verwaltung vorsehe, nicht aber Maßnahmen gleicher Wirkung auf Hauptversammlungsebene wie etwa golden shares verbiete und damit zu einer Ungleichbehandlung (unter anderem) Deutschlands im Verhältnis zu den Staaten führe, die hier größere Abweichungen vom Grundsatz one share – one vote gestatten; das führe zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zu ausländischen Gesellschaften, die deutsche Gesellschaften leichter übernehmen könnten als diese

___________ 140) Dazu Cour d'Appel de Bruxelles ZIP 1989, 1290; dazu Hirte, ZIP 1989, 1233; Hopt, in: Festschrift für Zöllner (1999), S. 253, 255 f. 141) Vgl. Europäischer Rat in Edinburgh, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Teil A, Nrn. 5 und 6, sowie Anlage 2, I. b), Bulletin Nr. 140 v. 28.12.1992, S. 1277, 1283; dazu Hopt, ZIP 1998, 96, 97 f. (zum Subsidiaritätsprinzip auch S. 99); Einzelheiten zur Rücknahme der Dienstleistungsrichtlinie bei Hirte, Berufshaftung (1996), S. 220 ff. 142) Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 1/2001 vom 19. Juni 2000 im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. C 23 v. 24.1.2001, S. 1 ff. = AG 2000, 289 ff. m. Einl. Neye; zuvor Dok. KOM(95) 565 endg. = BR-Drucks. 162/96 (abgedruckt in ZIP 1997, 2172 m. Anm. Neye); dazu Neye, DB 1996, 1121; vgl. auch Beckmann, DB 1995, 2407 ff. 143) Dazu nochmals Forum Europaeum Konzernrecht, Konzernrecht für Europa, ZGR 1998, 672, 725 ff.; Hopt, ZIP 1998, 96, 104 f.

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

ausländische.144) Da der Ministerrat in diesen Punkten nicht einlenkte, scheiterte die Richtlinie letztlich erneut.145) In einem weiteren Anlauf gelang dann aber der EU-Kommission der Durchbruch in 1.72 Form einer Richtlinie, die bis zum 20. Mai 2006 umzusetzen war.146) Auffällig ist dabei, dass in der Bezeichnung der Richtlinie sowohl der Hinweis auf das Gesellschaftsrecht als auch die ursprüngliche Bezeichnung als „Dreizehnte Richtlinie“ entfallen sind; das wird als Indiz für eine stärkere kapitalmarktrechtliche Orientierung des Komplexes gesehen.147) Die erfolgreiche Verabschiedung dürfte vor allem der Tatsache zu danken sein, dass die besonders kontroversen Bestimmungen zur „Neutralitätspflicht“ (Art. 9) und zur „Durchbruchsregel“ (Art. 11) zur Disposition der Mitgliedstaaten gestellt wurden (Art. 12). Durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 8. Juli 2006 wurde das schon vorhandene, zuvor aber nicht europarechtlich determinierte Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz m. W. v. 14. Juli 2006 dann an die Vorgaben der jetzt verabschiedeten EG-Übernahmerichtlinie („Dreizehnte Richtlinie“) angepasst. Hervorzuheben sind insoweit die Einführung des „Optionsmodells“ (Wahlrecht zwischen „strenger“ und weniger „strenger“ Neutralitätspflicht bei der Verteidigung gegen ein Übernahmeangebot) in §§ 33a ff. WpÜG n. F. (Art. 9 i. V. m. Art. 12 Dreizehnte Richtlinie) und eines Andienungsrechts für die Aktionäre, die sich nach einer Übernahme in einer Minderheitsposition befinden, in §§ 39a ff. WpÜG n. F. (Art. 16 Dreizehnte Richtlinie). Hinzu kommen noch die speziell finanz- oder kapitalmarktbezogenen Richtlinien, 1.73 die üblicherweise nicht als gesellschaftsrechtlich bezeichnet werden, auch wenn sie erheblichen Einfluss vor allem auf die börsennnotierten Aktiengesellschaften haben (es sei insbesondere auf die durchweg europarechtlich induzierten Regelungen des WpHG verwiesen); hier liegen die Dinge auf europäischer Ebene nicht anders als auf der nationalen, wo das Kapitalmarktrecht nicht beim Bundesjustiz-, sondern beim Bundesfinanzministerium ressortiert. Bei den vorgestellten Richtlinien ist vielfach streitig, ob und inwieweit sie dem na- 1.74 tionalen Gesetzgeber die Schaffung oder Beibehaltung strengeren nationalen Rechts gestatten. Das ist in den gesellschaftsrechtlichen Richtlinien, anders als in den EGVerbraucherschutzrichtlinien jüngeren Datums, häufig nicht ausdrücklich gesagt; zudem ist bei den gesellschaftsrechtlichen Richtlinien aufgrund ihres „mehr-

___________ 144) Kirchner, AG 1999, 481, 486 ff.; ders., WM 2000, 1821 ff.; Schneider/Burgard, DB 2001, 963, 964 ff.; Witte, BB 2000, 2161, 2165; ähnlich Krieger, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001 (2001), S. 289, 306; dazu auch Wackerbarth, WM 2001, 1741, 1747 ff.; Hirte, KK-WpÜG, § 33 Rz. 14; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 3; abw. Mülbert/Birke, WM 2001, 705, 716. 145) Zum Scheitern und den Gründen dafür Edwards, The Directive on Takeover Bids – Not Worth the Paper it’s Written on?, ECFR 2004, 416; Hirte, KK-WpÜG, Einl. Rz. 60 ff., 65 f.; Lehne, in: Hirte (Hrsg.), WpÜG, S. 33 ff.; Pluskat, WM 2001, 1937 ff.; Zinser, WM 2002, 15; auch Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 2 f. 146) Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12; hierzu Kindler/ Horstmann, DStR 2004, 866; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221, 308. 147) Hierzu Neye, NZG 2002, 1144.

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§ 1 Grundlagen

dimensionalen“ Schutzzwecks oft gar nicht klar, wann „strengeres“ nationales Recht vorliegt. Denn ein strengerer Standard für eine Interessengruppe (etwa die Gläubiger) bedeutet in diesen Fällen gleichzeitig einen geringeren für eine andere (etwa die Gesellschafter).148) Wichtige Beispiele für diese Frage betreffen die Auseinandersetzung um die Vereinbarkeit der Rechtsprechung des BGH zur verdeckten Sacheinlage (unten 5.64 ff.) und zum Bezugsrechtsausschluss bei Einbringung von Sacheinlagen (unten Rz. 6.31) mit europäischem Recht.

d) Künftige Angleichungs- und Rechtsetzungsmaßnahmen 1.75 Hinsichtlich der weiteren Pläne sei zunächst auf den Aktionsplan: Europäisches

Gesellschaftsrecht und Corporate Governance aus dem Jahre 2012 verwiesen, der die aus Sicht der Europäischen Kommission wesentlichen künftigen Angleichungsund Rechtsetzungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts zusammenfasst.149) Zukunftsmusik ist danach – und wird es wohl bleiben – die lediglich die Aktiengesellschaft erfassende Fünfte (Struktur-)Richtlinie. Hintergrund ist der ebenso bei der Schaffung der Europäischen Aktiengesellschaft bestimmende Streit vor allem zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich um Ob und Wie der unternehmerischen Mitbestimmung. Die Richtlinie wollte die Organstruktur der Aktiengesellschaft regeln und hatte ursprünglich nach deutschem und niederländischem Vorbild die Einführung eines dualistischen Systems von Vorstand und Aufsichtsrat vorgesehen. Der letzte Vorschlag sah freilich ähnlich wie in Frankreich eine Wahl zwischen monistischem und dualistischem System vor, wie sie jetzt auch für die Europäische Aktiengesellschaft gestattet ist (dazu unten Rz. 3.4).150) Möglich erscheint daher jetzt, dass man im Rahmen einer Richtlinie diese Wahlmöglichkeit mittelfristig auch für die nationalen Aktiengesellschaften eröffnet. Teilaspekte der Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft sind aber in Form der Aktionärsrechte-Richtlinie einer europaweiten Regelung zugeführt worden; die Richtlinie will die grenzüberschreitende Stimmrechtsausübung in börsennotierten Aktiengesell-

___________ 148) Dazu im Zusammenhang mit der (Kapitalschutz-)Richtlinie ausführlich Drinkuth, Die Kapitalrichtlinie – Mindest- oder Höchstnorm? (1998). 149) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen, COM(2012) 740 final; dazu Bayer/J. Schmidt, BB 2013, 3, 12 ff. 150) Vorschlag einer fünften Richtlinie zur Koordinierung der Schutzbestimmungen hinsichtlich der Struktur der Aktiengesellschaft sowie der Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe vom 9. Oktober 1972, ABl. EG Nr. C 131 v. 13.12.1972, S. 49; Geänderter Vorschlag einer fünften Richtlinie des Rates über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe vom 19. August 1983, ABl. EG Nr. C 240 v. 9.9.1983, S. 2; Zweiter Geänderter Vorschlag einer fünften Richtlinie des Rates über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe vom 13. Dezember 1990, ABl. EG Nr. C 7 v. 11.1.1991, S. 4; Dritter Geänderter Vorschlag einer fünften Richtlinie des Rates über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe vom 20. November 1991, ABl. EG Nr. C 321 v. 12.12.1991, S. 9; zum Stand der Diskussion Hopt, ZIP 1998, 96, 97 f., 101 ff., 105; van Hulle/Maul, ZGR 2004, 484, 492 ff.

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

schaften erleichtern und damit das Anliegen des Gemeinsamen Marktes fördern.151) Sie war bis zum 3. August 2009 in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland wurde sie – leicht verspätet – durch das ARUG (dazu oben Rz. 1.44) im Wesentlichen zum 1. September 2009 umgesetzt. Etwas wahrscheinlicher erscheint inzwischen wieder der Erlass einer Neunten (Konzern-)Richtlinie, zumal das einflussreiche Forum Europaeum Konzernrecht unter der Federführung von Hommelhoff, Hopt und Lutter und unter Beteiligung von Rechtswissenschaftlern aus ganz Europa hierzu kürzlich neue Vorschläge vorgestellt und in mehreren Sprachen veröffentlicht hat.152) Allerdings dürften sich die Angleichungsmaßnahmen entgegen den früheren Vorstellungen heute eher auf punktuelle Maßnahmen beschränken. Die Entwürfe der Neunten Richtlinie waren (unter anderem) deshalb auf entschiedenen Widerstand gestoßen, weil neben Deutschland lediglich Portugal über ein kodifiziertes Konzernrecht verfügt. Die meisten anderen Staaten wiesen demgegenüber immer schon ein – wenngleich nicht unbedingt gesetzlich – kodifiziertes Übernahmerecht auf und sahen damit rechtliche Regeln zwar nicht für den „fertigen“ Konzern vor, wohl aber als Schutz vor und bei dessen Begründung, jedenfalls soweit dies über den Kapitalmarkt geschieht (dazu bereits oben Rz. 1.70). Hinzuweisen ist weiter auf den am 22. April 1997 vorgelegten Vorentwurf der EU einer „Vierzehnten Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts“ (dazu auch unten Rz. 7.13 ff.). Als Letztes sei auf den 1987 vorgelegten Vorentwurf einer ([jetzt wohl Fünfzehnten] Liquidations-)Richtlinie verwiesen, die vor allem in Bezug auf den Gläubigerschutz bei der Liquidation das Gegenstück zur Zweiten (Kapital-)Richtlinie bilden würde, die die entsprechenden Fragen für die werbende Gesellschaft regelt.153) Das Projekt wird allerdings von europäischer Seite nicht mehr weiter verfolgt,154) möglicherweise, weil die praktische Bedeutung der außerinsolvenzlichen Abwicklung von Gesellschaften sehr gering ist. Im Anschluss an die von Boucourechliev/Hommelhoff gemachten Kodifikationsvorschläge für eine „Europäische Privatgesellschaft“ (Societas Privata Europaea – SPE)155) hatte die EU-Kommission am 25. Juni 2008 den Entwurf für eine Verord-

___________ 151) Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl. EG Nr. L 184 v. 14.7.2007, S. 17. 152) Forum Europaeum Konzernrecht, Konzernrecht für Europa, ZGR 1998, 672 ff.; vgl. auch Hopt, ZIP 1998, 96, 105; Wiedemann/Hirte, in: Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd. II (2000), S. 337 ff. 153) Vorentwurf für eine Richtlinie über die Auflösung und die Liquidation von Gesellschaften von 1987 (!), Dok. XV 43/87-DE = Lutter, Europäisches Unternehmensrecht (4. Aufl. 1996), S. 302 ff. (in 5. Aufl. nicht mehr wiedergegeben). 154) Dazu Lutter/Bayer/Jessica Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (5. Aufl. 2012), S. 142. 155) Boucourechliev/Hommelhoff (Hrsg.), Vorschläge für eine Europäische Privatgesellschaft. Strukturelemente einer kapitalmarktfernen europäischen Gesellschaftsform (1999); dazu ebo (Bohl), FAZ v. 25.6.1999, Nr. 144, S. 22; Hirte, ZHR 165 (2001), 495; Hommelhoff/ Helms, GmbHR 1999, 53; Krause, in: Gedächtnisschrift für Blomeyer (2004), S. 387 ff.

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§ 1 Grundlagen

nung für das Statut für eine Societas Privata Europaea vorgelegt.156) Damit wurde (überzeugend) auch die geschlossene Gesellschaft in das Blickfeld der europäischen Rechtsangleichung gerückt, die bislang verglichen mit den aktien- und kapitalmarktrechtlichen Regelungen nur eine Nebenrolle auf der europäischen Bühne gespielt hatte. Auch hier hing die Verwirklichung stark von einer angemessenen Lösung der Mitbestimmungsfrage ab, weshalb das Projekt letztlich vor allem am Widerstand Deutschlands scheiterte.157) Die Chancen für eine Realisierung des Projekts waren zudem auch deshalb deutlich zurückgegangen, seit der Europäische Gerichtshof die Niederlassungsfreiheit für ausländische Gesellschaften deutlich erweitert hatte (dazu oben Rz. 1.58 ff.). Als Reaktion hat die Kommission mit dem Vorschlag einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter (Societas Unius Personae [SUP]) vom 9. April 2014158) (also einer Neufassung der Zwölften Richtlinie; dazu im Übrigen oben Rz. 1.69) einen neuen, „bescheideneren“ Anlauf zur Schaffung einer einheitlichen Form der „kleinen Kapitalgesellschaft“ in Europa vorgenommen. Der hiergegen erneut gerichtete Widerstand, vor allem von Seiten des deutschen Notariats (nunmehr unter Hinweis auf die eigentlich bessere SPE),159) könnte dem Vernehmen nach am Ende aber dazu führen, dass sich die EU-Kommission zu einer auf den ersten Blick noch begrenzteren, im Ergebnis aber radikaleren Vereinheitlichung des Rechts der kleinen Kapitalgesellschaft auf Basis einer Richtlinie entschließt, die insbesondere eine (grenzüberschreitende) elektronische Gründung für sämtliche Gesellschaften binnen 24 Stunden vorschreiben würde. Pläne für weitere europäische Gesellschaftsformen betreffen einerseits eine Europäische Stiftung (Fundatio Europaea [FE]),160) andererseits eine Europäische Gegenseitigkeitsgesellschaft (European Mutual Society [EMS]).161)

3.

Selbstregulierung

1.80 Zunehmende Bedeutung für börsennotierte Aktiengesellschaften erlangen – ausländischen Vorbildern folgend – auch in Deutschland Regelwerke der Marktteilnehmer oder Börsen mit Vorgaben für Satzungsgestaltung und tägliche Praxis der dort notierten Aktiengesellschaften.162) Sie betrafen zunächst bis zum Inkrafttreten des WpÜG am 1. Januar 2002 das Übernahmerecht in Form des ___________ 156) Dok. KOM (2008) 396; dazu Hommelhoff, GesRZ 2008, 337; Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925; dies., GmbHR 2008, 897; Maul/Röhricht, BB 2008, 1574 sowie ausführlich Hirte/Teichmann (eds.), The European Private Company – Societas Privata Europaea (SPE), ECFR Special Volume 3 (2013). 157) Siehe hierzu die Mitteilung der Kommission „Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT): Ergebnisse und Ausblick“, KOM(2013) 685 endg. v. 2.10.2013. 158) Dok. KOM(2014) 212 endg.; dazu die Beiträge auf dem 9. ECFR Symposium am 7.11.2014 in Berlin (abgedruckt in ECFR 2/2015) sowie Bayer/J. Schmidt, BB 2015, 1731, 1733 ff. 159) Aufgegriffen von der Stellungnahme des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung gemäß Art. 23 Abs. 3 GG, BT-Drucks. 18/4843. 160) Hierzu Michael Stöber, DStR 2012, 804; zum Stand der Diskussion Bayer/J. Schmidt, BB 2014, 1219, 1220; dies., BB 2015, 1731 m. w. N. (zunächst gescheitert). 161) Zum Stand der Diskussion Bayer/J. Schmidt, BB 2014, 1219, 1220. 162) Allgemein hierzu Berg/Stöcker, WM 2002, 1569 f.

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II. Historische Entwicklung und Rechtsquellen

Übernahmekodex (zuletzt i. d. F. vom 1. Januar 1998). Inzwischen ist die Regelung von Fragen der „Corporate Governance“ hinzugekommen, soweit sie nicht gesetzlich kodifiziert sind. Unter „Corporate Governance“ versteht man die Mechanismen, die Herrschaft und Kontrolle in der (großen börsennotierten) Aktiengesellschaft im Hinblick darauf regeln, dass dort typischerweise Eigentümer (= Aktionäre) und Verwaltung personenverschieden sind. Der Ausdruck „Governance“ wurde jedoch nicht von der Rechtswissenschaft entwickelt, sondern findet seinen Ursprung in der ökonomischen Theorie und bezeichnet rechtlich-institutionelle Arrangements, mit denen versucht wird, Hindernisse für langfristige Kooperationen zu beseitigen.163) Die Übernahme der ökonomischen Begrifflichkeiten dokumentiert den gesteigerten Einfluss der ökonomischen Wissenschaft in der Untersuchung und Entwicklung des (Kapitalgesellschafts)Rechts (dazu näher oben Rz. 1.23 ff.). Nachdem zunächst – auch zurückgehend auf internationale Forderungen164) – zwei verschiedene Kodizes formuliert worden waren,165) setzte die Bundesregierung eine „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ („Cromme-Kommission“ [nach ihrem ersten Vorsitzenden], „Kodex-Kommission“ oder „Kommission II“)166) mit dem Ziel ein, einen einheitlichen Deutschen Corporate Governance Kodex zu formulieren. Der aus der Arbeit dieser Kommission hervorgegangene „Deutsche Corporate Governance Kodex“ wurde im Februar 2002 der Presse vorgestellt. Er bereitet zum einen die (schon vorhandenen) gesetzlichen deutschen Re- 1.81 geln zur Corporate Governance so auf, dass der ausländische – und das heißt in der Regel der amerikanische oder englische – Investor weiß, „was in Deutschland Sache ist“.167) Zum anderen enthält er Empfehlungen und Anregungen zu „guter Corporate Governance“. In Bezug auf die Empfehlungen („soll“) ___________ 163) Vgl. ausführlich Behrens, in: Festschrift für Drobnig (1998), S. 491; Williamson, The Economic Institutions of Capitalism (1985), S. 48 ff., 68 ff., 298 ff. 164) Vgl. die OECD Principles of Corporate Governance (zu diesen Seibert, AG 1999, 337 ff.); vgl. im Übrigen Peltzer, Max-Hachenburg-Vorlesung (1998), S. 49 ff.; U. H. Schneider, DB 2000, 2413 ff. 165) Zum einen der von der „Grundsatzkommission Corporate Governance – German Panel on Corporate Governance“ Anfang 2000 vorgelegte „Code of Best Practice“ für börsennotierte Gesellschaften, AG 2000, 106 mit Einf. U. H. Schneider/Strenger, zum anderen der im Juni 2000 durch den „Berliner Initiativkreis“ vorgelegte „German Code of Corporate Governance“, DB 2000, 1573 ff.; Überblick bei Volk, DStR 2001, 412. 166) Diese Kommission ist zu unterscheiden von der „Regierungskommission Corporate Governance“ („Baums-Kommission“ oder „Kommission I“), aus der die Kommission II zwar hervorgegangen ist, die aber ein weiteres Arbeitsfeld hatte (dazu Hirte, TransPuG, Rz. I 2). 167) „Verständigungspapier“ insbesondere gegenüber ausländischen Anlegern; so Cromme anlässlich der Pressekonferenz nach Übergabe des Deutschen Corporate Governance Kodex in Berlin am 26.2.2002 (abrufbar unter www.corporate-governance-code.de); DäublerGmelin, Ansprache aus Anlass der Übergabe des Kodex der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex am 26.2.2002 in Berlin (abrufbar unter www.bmj.bund.de); dazu auch Bernhardt, DB 2002, 1841; Seibt, AG 2002, 249, 250; von Werder, DB 2002, 801 f.; krit. zum Ansatz Heraeus, FAZ v. 11.6.2002, Nr. 132, S. 19.

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§ 1 Grundlagen

muss seit Inkrafttreten des durch das TransPuG eingeführten § 161 AktG jede börsennotierte Aktiengesellschaft (einschließlich der Europäischen Aktiengesellschaften168)) erklären, ob sie diese eingehalten hat (dazu unten Rz. 3.54). Durch das BilMoG wurde diese Pflicht im Jahr 2009 insoweit ausgedehnt, als nunmehr auch zu erklären ist, warum der Kodex nicht befolgt wurde. Seit der Neufassung des Kodex im Jahre 2012 wird dies im Sinne einer „Abweichungskultur“ jedoch insoweit etwas abgeschwächt, als in seiner Präambel nunmehr darauf hingewiesen wird, dass eine „gute begündete Abweichung von einer Kodexempfehlung [auch] im Interesse einer guten Unternehmensführung liegen [kann]“. Mit Wirkung vom 1. Juli 2009 hat die Bundesregierung zudem – dem Vorbild des für börsennotierte Gesellschaften geltenden Deutschen Corporate Governance Kodex folgend – einen Public Corporate Governance Kodex in Kraft gesetzt;169) vergleichbare Regelungen gibt es auch auf der Ebene der Länder. In ihrer Funktionsweise sind diese jedoch insoweit völlig anders als der DCGK, als der Staat hier die gewünschten Regelgungen aufgrund seiner Eigentümerstellung unmittelbar durchsetzen könnte. 1.82 Charakteristisch ist damit für die „echten Kodizes“, dass die in einem Kodex aufgestellten Grundsätze kein zwingendes und mit staatlichen Sanktionen durchsetzbares Recht schaffen. Problematisch ist dabei auch, dass die Regelungen der Kodizes nicht entsprechend den nationalen verfassungsrechtlichen Vorgaben gesetzt werden.170) Ganz „freiwillig“ ist die Beachtung dieser Regelwerke aber auch nicht: denn die Folge ihrer Nichtbeachtung kann im Ausschluss des Handels der Aktie aus bestimmten Marktsegmenten oder ihrer Herausnahme aus Aktienindizes liegen; dies ist angesichts der damit verbundenen negativen Kursauswirkungen eine häufig deutlich schärfere Sanktion. Für den Deutschen Corporate Governance Kodex wurde (zunächst) in erster Linie auf Kurs- und Marktreaktionen als Sanktion vertraut. In jüngerer Zeit steht demgegenüber ganz im Mittelpunkt, dass die Unrichtigkeit (oder auch ein späteres Unrichtigwerden!) einer Entsprechenserklärung eine Entlastung von Vorstand oder Aufsichtsrat verhindern kann, soweit die Organmitglieder die Unrichtig-

___________ 168) BGHZ 194, 14 Tz. 26 = ZIP 2012, 1807 = NJW 2012, 3235 = NZG 2012, 1064 = DStR 2012, 1973 = EWiR § 114 AktG 1/12, 647 (Hoffmann-Theinert) (Fresenius). 169) Dazu ausführlich Schürnbrand, ZIP 2010, 1105; krit., da aktienrechtlich bedenklich, Raiser, ZIP 2011, 353 ff. 170) Dazu Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 152 (ansatzweise), 158 ff. (ausführlich); Claussen/ Bröcker, DB 2002, 1199; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1278; Wilsing, FAZ v. 9.3.2002, Nr. 58, S. 21; zur Verteidigung der verfassungsrechtlichen Legitimation Seibert, BB 2002, 581, 582.

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III. Bedeutung

keit der Erklärung kannten oder kennen mussten;171) das hat freilich viel Kritik hervorgerufen, weil die zu beachtenden Kodexbestimmungen bislang in einem wenig transparenten Verfahren zustande gekommen sind und weil – wie schon erwähnt – die unmittelbare demokratische Legitimation der Kodex-Kommission zweifelhaft ist.172) Im Übrigen kann die im Rahmen von § 161 AktG abgegebene wahrheitswidrige Erklärung, man habe den Kodex beachtet, haftungsrechtliche Folgen haben.173) III.

Bedeutung

Die Kapitalgesellschaft – teilweise in Form der GmbH & Co. KG vermischt 1.83 mit der Personengesellschaft – ist heute die bei weitem dominierende Rechtsform für unternehmerische Betätigung. Die Änderungen des Steuerrechts zum 1. Januar 2001 durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) vom 23. Oktober 2000 (BGBl. I, 1433) haben diese Entwicklung noch beschleunigt; dass damit zugleich eine Benachteiligung der vor allem im Mittelstand weit verbreiteten Personengesellschaft verbunden wurde, ist allerdings wenig überzeugend. Diese Bedeutung der Kapitalgesellschaft steht in seltsamem Widerspruch zu der Bedeutung, die das Recht der Kapitalgesellschaften in der juristischen Ausbildung genießt. Wie zur (vorletzten!) Jahrhundertwende steht hier nach wie vor in vielen Bundesländern das Personengesellschaftsrecht im Vordergrund. Hinsichtlich der Bedeutung führt mit einsamem Abstand die Gesellschaft mit 1.84 beschränkter Haftung, deren Zahl (einschließlich der Unternehmergesellschaften) am 1. Januar 2015 bei 1,1 Mio. lag – mit steigender Tendenz.174) Ein erheblicher Teil dieser Gesellschaften hat allein die Aufgabe, in einer Kommanditgesellschaft die Rolle des Komplementärs zu übernehmen (ca. 20 %).175) Bemerkenswert ist dabei, dass inzwischen die Unternehmergesellschaft (haf___________ 171) BGHZ 180, 9 Tz. 18 ff. (Kirch/Deutsche Bank) = ZIP 2009, 460, 463 ff. (Mutter) = NJW 2009, 2207 = NZG 2009, 342 = DStR 2009, 537; BGHZ 182, 272 Tz. 16 ff. (Axel Springer) = ZIP 2009, 2051, 2053 f. = NZG 2009, 1270 = DStR 2009, 2207 = EWiR § 120 AktG 1/10, 1 (Priester); OLG München ZIP 2008, 742, 743 ff. (MAN/Piëch) = NZG 2008, 337 = EWiR § 161 AktG 3/2008, 547 (J. Oxe); krit. (zum übereinstimmenden Urteil der Vorinstanz) E. Vetter, NZG 2008, 121. 172) Siehe jüngst etwa Hirte, Konzern 2011, 519, 523; Hoffmann-Becking, ZIP 2011, 1173, 1175 f.; Kremer, ZIP 2011, 1177, 1180; zur Verteidigung der Kodex-Änderungen von 2010 Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, NZG 2010, 1161, 1163. 173) Hierzu ausführlich Hirte, TransPuG, Rz. I 42 ff. m. w. N. 174) Vgl. Hansen, GmbHR 2002, 148; Kornblum, GmbHR 2003, 1157; ders., GmbHR 2005, 39, 48; ders., GmbHR 2006, 28 ff.; ders., GmbHR 2007, 25 ff.; ders., GmbHR 2008, 19 ff.; ders., GmbHR 2011, 692, 693. ders., GmbHR 2015, 687, 688. 175) Ulmer, in: GroßK-GmbHG, Einl. A Rz. 11, 74 m. w. N.; Kornblum/Hampf/Naß, GmbHR 2000, 1240, 1248 (8,7 – 15,3 %; unter Verweis auf eine wohl rückläufige Tendenz); Scholz/ H.P. Westermann, Einl. Rz. 37 m. w. N.

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§ 1 Grundlagen

tungsbeschränkt) zur „Standardform“ der GmbH-Gründung wird: Nachdem Ende 2008 erst 1.202 Unternehmergesellschaften im Handelsregister eingetragen waren, stieg diese Zahl zum 31. Oktober 2009 auf 19.563 (bei einer GesamtGründungszahl von UGs von 19.826) und hat zu Beginn des Jahres 2014 die Marke von 100.000 überschritten; im Jahr 2008 haben sich 200 zunächst als Unternehmergesellschaft gegründete GmbH in gewöhnliche GmbH umgewandelt.176) Aber auch die Aktiengesellschaft, deren Zahl jahrzehntelang um die 2.000 pendelte, hat zunächst durch die Wiedervereinigung, sodann durch das „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“ und schließlich durch den großen Aufmerksamkeitsgewinn des Börsengangs der Deutschen Telekom AG Ende 1996 zahlenmäßig an Bedeutung gewonnen. Nach einem Höchststand von etwa 17.000 im Jahre 2010177) ist die Zahl allerdings wieder rückläufig auf zurzeit knapp unter 16.000178); zugleich ist der Anteil der Aktionäre an der Gesamtbevölkerung von 5,3 % im Jahr 1981 auf 9,7 % im Jahr 2000 gestiegen, um inzwischen aber wieder leicht auf 6,4 % zu fallen.179) Die wirtschaftliche Bedeutung der Aktiengesellschaft ist aber weit größer; denn vor allem Großunternehmen haben diese Rechtsform gewählt. So waren im Jahr 2010 58 der 100 größten deutschen Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft (und Europäischen Aktiengesellschaft) organisiert.180) Allerdings trifft nur auf eine ganz geringe Zahl dieser Gesellschaften das Bild zu, das sich das Aktiengesetz von der Aktiengesellschaft gemacht hat – die unabhängige, börsennotierte Publikumsgesellschaft. Vielmehr sind die meisten der 16.000 Gesellschaften in irgendeiner Form von anderen abhängig, nur relativ wenige werden am Kapitalmarkt gehandelt (etwa 1.150 sind börsennotiert),181) und selbst bei den großen Publikumsaktiengesellschaften führen Kapital- und Mandatsverflechtungen dazu, dass kaum eine Gesellschaft von der Zufallsmehrheit der Aktionäre abhängig ist.

___________ 176) Angaben nach Bayer/Hoffmann/Lieder, GmbHR 2010, 9; Kornblum, GmbHR 11, 692, 693. 177) Bayer, AG 2010, Sonderheft, S. 7 (17.357 einschl. KGaA und SE mit Stand 1.6.2010). 178) Kornblum, GmbHR 2015, 687 (Stand 1.1.2015). 179) Aktionärszahlen des Deutschen Aktieninstituts, S. 2, abzurufen unter: https://www.dai.de/ files/dai_usercontent/dokumente/studien/2015-0212 %20DAI%20Aktionaerszahlen%202014.pdf. (Stand: 12.2.2015). 180) http://top500.welt.de/ (abgerufen am 5.9.2015): 44 [53] AG, 5 [5] SE, 1 [1] KGaA, 4 [6] AG & Co. KG, 2 [1] 1 AG & Co. KGaA, 1 [0] SE & Co. KG, 24 [24] GmbH: Werte in eckigen Klammern sind diejenigen des Jahres 2010. 181) Deutsche Börse, Factbook 2010 (alle Marktsegmente einschl. Freiverkehr): 1.149 (inländische Aktien).

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III. Bedeutung

Ganz anders sieht die Lage bezüglich der Aktiengesellschaft im Ausland aus. 1.85 Vor allem in der Schweiz, aber auch in Frankreich (société anonyme)182) und Italien (società per azioni) ist deren Zahl erheblich höher, was in erster Linie daran liegen dürfte, dass dort die GmbH bzw. eine ihr vergleichbare Rechtsform nicht einen jahrzehntelangen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Aktiengesellschaft hatte. Noch umfangreicher ist die Bedeutung der – der Aktiengesellschaft entsprechenden – public limited company im Vereinigten Königreich, deren Zahl mit etwa 9.000183) angegeben wird, von denen fast 2.500 börsennotiert sind.184) In den Vereinigten Staaten sind allein an der New York Stock Exchange über 2.100 US-amerikanische Gesellschaften, an der NASDAQ gut 2.350 US-amerikanische und an der NYSE Amex Equities (früher American Stock Exchange [AMEX]) etwa 360 US-Gesellschaften notiert; hinzu kommen die ausschließlich an Regionalbörsen notierten Gesellschaften und weitere ca. 12.000 Gesellschaften, die außerbörslich gehandelt werden.185) Auch die Zahl der („normalen“) limited companies („Ltd.“) liegt im Vereinigten Königreich mit knapp 2,85 Mio. ebenfalls deutlich höher als in Deutschland, wenngleich der Unterschied hier nicht ganz so groß ist wie bei der der Aktiengesellschaft vergleichbaren public limited company.186) Die deutlich größere Bedeutung der Aktiengesellschaft (bzw. der ihr entspre- 1.86 chenden Rechtsformen) in den anderen europäischen Staaten hat auch Auswirkungen auf den Umfang der Rechtsangleichung. Denn soweit Maßnahmen der Rechtsangleichung nur die Aktiengesellschaft erfassen (dazu oben Rz. 1.64 f.), ___________ 182) Schweiz: AG 114.515 [86.965], GmbH 86.741 [58.017] (Daten bezogen auf 2013 [2009], Stand 15.8.2015, Eidg. Bundesamt für Statistik, Betriebszählung, http://www.bfs.admin.ch/ bfs/portal/de/index/themen/06/02/blank/data.Document.20929.xls, abgerufen am 10.9.2015); zu wesentlich höheren Zahlen für 2009 kommen Müller/König (Uni St. Gallen), GmbH und AG in der Schweiz, in Deutschland und Österreich (2010), abzurufen unter: www.alexandria.unisg.ch/export/DL/208255.pdf: AG: 186.980, GmbH: 118.137. – Frankreich: SA: 53 106, SARL: 1.327.102 (Stand: 9/2011, Insee, REE [Répertoire des Entreprises et des Établissements – Sirene], http://www.insee.fr/fr/themes/ tableau.asp?reg_id=0&ref_id=NATnon09222, abgerufen am 2.5.2012. 183) Companies House (Britisches Handelsregister), Business Register Statistics for March 2012 http://www.companieshouse.gov.uk/about/busRegArchive/businessRegisterStatisticsMarch2012.pdf, eingesehen am 2.5.2012 (8.456 in England und Wales, 326 in Schottland und 32 in Nordirland (2006/2007 noch 11.200 – http://www.companieshouse.gov.uk/ about/pdf/companiesRegActivities2010_2011.pdf). 184) Statistik August 2003 des Companies House, Cardiff (Angaben bezogen auf England und Wales). 185) http://www.nasdaq.com/screening/company-list.aspx, abgerufen am 2.5.2012: NYSE insgesamt 3262, NASDAQ insgesamt 2773, AMEX insgesamt 515; ältere Zahlen zu Großbritannien und den Vereinigten Staaten auch bei Lüttmann, Kontrollwechsel in Kapitalgesellschaften (1992), S. 44 Fn. 1, 83 Fn. 1. 186) Companies House (Britisches Handelsregister), Business Register Statistics for March 2012 http://www.companieshouse.gov.uk/about/busRegArchive/businessRegisterStatisticsMarch2012.pdf.

45

§ 1 Grundlagen

haben sie in Deutschland allein deshalb eine deutlich weniger weit reichende Auswirkung als etwa in Frankreich oder im Vereinigten Königreich. 1.87 Während wir im Aktienrecht viel von ausländischen Erfahrungen profitieren können, ist es im GmbH-Recht genau umgekehrt. Die im Jahre 1892 durch den Gesetzgeber – ohne Vorbilder in der Praxis – geschaffene Zwischenform zwischen Aktiengesellschaft und Personengesellschaft wurde ein gesetzgeberischer Exportschlager: mit Ausnahme der Schweiz und der Vereinigten Staaten wurde das deutsche Modell in zahlreichen Staaten kopiert. Und auch in diesen beiden Ländern haben sich in jüngerer Vergangenheit Gesellschaftsrechtsformen etabliert, die der GmbH durchaus vergleichbar sind. 1.88 Mit der Europäischen (Aktien-)Gesellschaft will der europäische Gesetzgeber eine neue supranationale Rechtsform schaffen, die sich innerhalb der Gemeinschaft unabhängig von nationalen Grenzen entfalten kann. Sie tritt in Konkurrenz zu den weiter bestehen bleibenden, ihrerseits teilweise durch EG-Richtlinien harmonisierten nationalen Rechtsformen. Die vergleichsweise hohen Mindestkapitalanforderungen (dazu unten Rz. 5.32) zeigen aber, dass die SE als Rechtsform für große Unternehmen konzipiert ist.187) Für die gewünschte Akzeptanz der neuen Rechtsform soll in erster Linie ihre im Wesentlichen einheitliche Rechtsstruktur in ganz Europa sorgen. Zugleich senkt eine einheitliche Rechtsform auch die psychologischen Vorbehalte bei Geschäften mit einem „ausländischen“ Unternehmen (Erwägungsgrund Nr. 3 zur SE-VO). Eine einzige einheitliche Geschäftsführung und ein europaeinheitliches Berichtssystem sollen zudem niedrigere Verwaltungskosten ermöglichen. Bei ersten Gründungsüberlegungen spielt das in der Tat eine entscheidende Rolle; denn eine Einheitsgesellschaft vermeidet auch die gerade grenzüberschreitend nur schwer lösbaren Fragen rund um die Qualifikation von Gewinnausschüttungen an ausländische Muttergesellschaften einschließlich der Festlegung korrekter Konzernverrechnungspreise.188) Ob dies der neuen Rechtsform tatsächlich zum erhofften Erfolg verhelfen wird, lässt sich noch nicht beurteilen; die höhere Zahl von Gründungen als zunächst erwartet – zur Zeit in Deutschland 347 und EU-weit 2.354189) – dürfte demgegenüber in erster Linie Folge der als im Vergleich zur nationalen Aktiengesellschaft weniger „nachteilig“ empfundenen Mitbestim-

___________ 187) Hirte, NZG 2002, 1, 9; Hommelhoff, AG 2001, 279, 286 f. 188) Hirte, DStR 2005, 653, 655. 189) Stand Deutschland: 18.6.2015; Stand EU: 13.6.2015. Von den 170 operativen (d. h. mit mehr als fünf Beschäftigten betriebenen) SEs in Deutschland haben 117 eine dualistische und 53 eine monistische Struktur; siehe http://www.boeckler.de/pdf/pb_mitbestimmung_se_2015_07.pdf [abgerufen am 5.9.2015]. – Siehe dazu die ausführliche Aufbereitung des Zahlenmaterials durch Bayer/Hoffmann/Schmidt, AG 2009, R 480 ff.; Bayer/J. Schmidt, BB 2015, 1731; Kornblum, GmbHR 2015, 687, 688.

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IV. Aktiengesellschaft oder GmbH?

mungsregelungen sein.190) Was den in mancher Beziehung größeren Gestaltungsspielraum angeht, steht die SE aber inzwischen jedenfalls in Konkurrenz zu den Schein-Auslandsgesellschaften, die jetzt zumindest in weiterem Ausmaß zulässig sind als bislang (dazu oben Rz. 1.58 ff.). Hinsichtlich der Europäischen Genossenschaft ist die Lage ähnlich wie bei der SE (dazu näher unten Rz. 10.69 ff.). IV.

Aktiengesellschaft oder GmbH?

Die Wahl einer der beiden Rechtsformen für Kapitalgesellschaften ist in das 1.89 Belieben der Gesellschafter gestellt. Ausschlaggebend dafür sind die – sich verringernden – gesetzlichen Unterschiede zwischen den beiden Typen, die schon an dieser Stelle zusammenfassend vorgestellt werden sollen. Während das Aktienrecht – vor allem als Folge von § 23 Abs. 5 AktG – im Wesentlichen zwingendes Recht ist, ist es im GmbH-Recht genau umgekehrt: im Zweifel kann der Gesellschaftsvertrag vom Gesetz abweichende Regelungen treffen (dazu unten Rz. 2.48 ff.). Bei der Organisation fällt der nur für die Aktiengesellschaft vorgeschriebene Aufsichtsrat ins Auge. Auch die Kapitalanforderungen sind im GmbH-Recht geringer, und zwar sowohl was die absolute Summe des Mindestnennkapitals als auch was die Reichweite der Ausschüttungssperre angeht (dazu unten Rz. 5.77 ff.); noch geringer sind sie bei der durch das MoMiG eingeführten Unternehmergesellschaft (dazu unten Rz. 5.45a ff.). Andererseits können nur Aktien zum Börsenhandel zugelassen werden und nur Aktiengesellschaften (einschließlich der Kommanditgesellschaft auf Aktien) können sich damit das volle Spektrum des öffentlichen Kapitalmarkts erschließen (§§ 30 ff. BörsG [= §§ 36 ff. BörsG a. F.]: Zulassung nur von Wertpapieren); die Übertragbarkeit von GmbH-Anteilen ist demgegenüber durch das Beurkundungserfordernis des § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG sogar bewusst erschwert.

___________ 190) Dafür spricht jedenfalls, dass Deutschland etwa die Hälfte sämtlicher operativ tätigen europäischen SE beherbergt; dazu oben Rz. 1.56.

47

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft Literatur: Drygala, Praktische Probleme der Vor-GmbH, JURA 2003, 433; Göz/Gehlich, Die Haftung des Gesellschafters und Geschäftsführers bei Verwendung eines GmbHMantels, ZIP 1999, 1653; Heckschen, Gründungserleichterungen nach dem MoMiG – Zweifelsfragen in der Praxis, DStR 2009, 166; Lutter, Das neue Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, AG 1994, 445; Meller-Hannich, Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften und Prüfung durch das Registergericht, ZIP 2000, 345; Paschke, Die fehlerhafte Korporation, ZHR 155 (1991), 1; Priester, Kapitalaufbringungspflicht und Spielräume beim Agio, in: Festschrift Lutter, 2000, S. 617; Karsten Schmidt, Außenhaftung und Innenhaftung bei der Vor-GmbH, ZIP 1996, 353; ders., Haftung aus Rechtsgeschäften vor Errichtung einer GmbH, GmbHR 1998, 613; Seibert/Kiem/Schüppen, Handbuch der kleinen AG, 5. Aufl. 2008; Ulmer/Ihrig, Die Rechtsnatur der Einmann-Gründungsorganisation, GmbHR 1988, 373; Veil, Die Unternehmergesellschaft im System der Kapitalgesellschaften, ZGR 2009, 623; Weimar, Entwicklungen im Recht der werdenden Aktiengesellschaft, DStR 1997, 1170; Wiedemann, Das Rätsel Vorgesellschaft, Jura 1970, 439.

I.

Entstehung

1.

Überblick

Während ein Verband früher seine Rechtsfähigkeit durch Verleihung von staat- 2.1 licher „Gnade“ erlangte („Konzessionssystem“), gilt in Deutschland heute das „System der Normativbestimmungen“ (oben Rz. 1.43). Danach muss die Satzung bzw. der Gesellschaftsvertrag nur, aber auch mindestens bestimmte Voraussetzugen für Gläubiger und Mitglieder aufweisen, deren Vorliegen durch Registereintrag geprüft und bestätigt wird. Lediglich in der Schweiz gilt heute noch ein der Vertragsfreiheit entsprechendes System der „freien Körperschaftsbildung“ (Art. 60 Abs. 1 ZGB).1) Nach dem System der Normativbestimmungen vollzieht sich die Entstehung 2.2 einer Kapitalgesellschaft – wie bei anderen Körperschaften, insbesondere dem eingetragenen Verein, auch – in drei Phasen. Ausgangspunkt ist der Wille der Gründer, eine Kapitalgesellschaft zu gründen. Durch ihn kann zwischen den Beteiligten eine Vorgründungsgesellschaft entstehen, die rechtlich als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB) zu qualifizieren ist; betreibt sie allerdings (schon) selbst ein Handelsgewerbe, bildet sie eine offene Handelsgesellschaft (§§ 105 ff. HGB). Mit der notariellen Beurkundung des Gesellschaftsvertrages entsteht die sog. Vorgesellschaft. Auf sie sind bereits die Regeln der zukünftigen Gesellschaft anwendbar, soweit diesen nicht gerade die fehlende Eintragung entgegensteht. Mit der Eintragung in das Handelsregister schließlich entsteht die Gesellschaft als juristische Person (§ 41 Abs. 1 Satz 1 AktG, Art. 16 Abs. 1 SE-VO i. V. m. § 3 SEAG, § 11 Abs. 1 GmbHG). Mängel bei der Eintragung können danach nicht mehr geltend gemacht werden: im Inter___________ 1)

Dazu Wiedemann, GesR I, S. 205 ff.

49

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

esse der Gesellschaft, des Rechtsverkehrs und der Allgemeinheit kommt nur noch die unter engen Voraussetzungen mögliche Nichtigkeitsklage in Betracht (unten Rz. 7.53 f.). Die Bekanntmachung der Eintragung richtet sich nach § 10 HGB (für die SE Art. 13 SE-VO); die Eintragung einer SE ist daneben im Amtsblatt der EG bekannt zu machen (Art. 14 Abs. 1 SE-VO). 2.3 Allerdings ist die Neugründung einer Kapitalgesellschaft selten geworden: denn in aller Regel vollzieht sich heute die Gründung einer Aktiengesellschaft durch Umwandlung einer GmbH, und auch die Gründung einer GmbH geschieht in zahlreichen Fällen durch Umwandlung einer Personenhandelsgesellschaft (dazu unten Rz. 6.207). Für die Europäische Aktiengesellschaft (nicht aber für die Europäische Genossenschaft) sind verschiedene Umwandlungsformen die ausschließlichen primären2) Gründungsmöglichkeiten (dazu unten Rz. 2.35 ff.). 2.

Einpersonengesellschaft

2.4 Der gesamte beschriebene Entstehungsvorgang geht vom historischen Leitbild der Gesellschaft als einem Personenverband aus mehreren Mitgliedern aus. Nachdem aber für die spätere Vereinigung aller Anteile in einer Hand3) schon seit längerem von der Möglichkeit einer Einpersonengesellschaft ausgegangen wurde, hat der Gesetzgeber zunächst in § 1 GmbHG und seit 1994 auch in § 2 AktG ausdrücklich die unmittelbare Gründung einer Kapitalgesellschaft durch nur eine Person zugelassen. Diese Gesetzesänderung beruht heute auch auf Art. 2 Abs. 1 der Zwölften gesellschaftsrechtlichen (Einpersonen-GmbH-)Richtlinie (dazu oben Rz. 1.69) und damit dem Ziel des europäischen Gesetzgebers, vor allem auch kleinen und mittelständischen Unternehmen eine unternehmerische Betätigung ohne das Risiko unbeschränkter Haftung und bei gleichzeitigem Schutz des Privatvermögens des Unternehmers zu ermöglichen. Wegen der von einer Einpersonengesellschaft ausgehenden besonderen Gefahrenlage für die Gläubiger hatte der Gesetzgeber aber für eine solche Gründung besondere und zusätzliche Regeln aufgestellt: es war ein höherer Teil der Bareinlage sofort zu erbringen (bei der GmbH), und für den ausstehenden Rest war eine Sicherheit zu bestellen (vor allem § 36 Abs. 2 Satz 2 AktG a. F., § 7 Abs. 2 Satz 3 GmbHG a. F.). Da die gleichen Gefahren bei einer späteren Vereinigung der Anteile in einer Hand bestehen, ordnete im GmbH-Recht § 19 Abs. 4 GmbHG a. F. deren entsprechende Anwendung an, wenn eine solche Vereinigung innerhalb von drei Jahren nach Eintragung der Gesellschaft erfolgte (mit Auflösungs___________ 2) 3)

50

Daneben tritt die nur durch eine bestehende SE durchführbare Gründung einer TochterSE gemäß Art. 3 Abs. 2 SE-VO; dazu unten Rz. 2.44. Sie war Grund für die Entwicklung der „Strohmanngründung“, bei der eine Gesellschaft zwar von zwei Gesellschaftern gegründet wurde, aber zugleich verabredet wurde, dass alle Anteile unmittelbar nach der Eintragung auf einen Gesellschafter übertragen werden sollten; dazu BGHZ 21, 378; BGHZ 31, 258, 263 ff.; Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 19 f. (GmbH).

I. Entstehung

folge bei Missachtung dieser Norm nach § 60 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG a. F.4). Durch das MoMiG wurden diese Sonderregeln als Maßnahme der Deregulierung aufgehoben;5) wichtiger aber dürfte sein, dass dem hinter diesen Vorschriften stehenden Erfordernis der Aufbringung eines bestimmten Kapitals heute nicht mehr dieselbe Bedeutung wie früher zukommt (dazu näher unten Rz. 5.25a). Unverändert sind aber Verträge zwischen dem Alleingesellschafter und der von ihm vertretenen Gesellschaft nach Art. 5 Abs. 1 Zwölfte Richtlinie, § 35 Abs. 3 (früher Abs. 4) Satz 2 GmbHG auch dann in eine Niederschrift aufzunehmen, wenn der Geschäftsführer vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB) befreit sein sollte (dazu im Übrigen unten Rz. 3.15). Dass alle Anteile in einer Hand vereinigt sind, lässt sich bei der GmbH aus der nach § 40 GmbHG zum Handelsregister einzureichenden Gesellschafterliste entnehmen (dazu im Übrigen unten Rz. 4.73); da es eine solche Liste bei der Aktiengesellschaft nicht gibt, normiert hier § 42 AktG eine besondere Meldepflicht gegenüber dem Registergericht für diesen Fall (in Umsetzung von Art. 3 Zwölfte Richtlinie, für die AG i. V. m. Art. 6 Zwölfte Richtlinie). Unverändert wird schließlich auch die Gründung einer Gesellschaft durch einen vollmachtlosen Vertreter im Hinblick auf § 180 BGB für unzulässig gehalten.6) 3.

Gründungsverfahren von Aktiengesellschaft und GmbH

a)

Vorgründungsgesellschaft

Beschließen die Gründer die Gründung einer Kapitalgesellschaft, kann dies zur 2.5 Entstehung einer Vorgründungsgesellschaft führen, wenn der entsprechende rechtliche Bindungswille schon zum Zeitpunkt dieses Beschlusses vorhanden war. Allerdings bedarf schon diese Vorgründungsgesellschaft der notariellen Beurkundung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 2 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, wenn sie zur Gründung der Kapitalgesellschaft verpflichten soll,7) und ihr Gesellschaftsvertrag muss den späteren Satzungsinhalt zumindest in Grundzügen erkennen lassen.8) Rechtlich ist sie eine – bei fehlender Beurkundung gegebenenfalls fehlerhafte – 2.6 BGB-Gesellschaft, für die §§ 705 ff. BGB gelten. Betreibt sie selbst ein Handelsgewerbe i. S. v. § 1 HGB, ist sie offene Handelsgesellschaft mit der besonders ___________ 4) 5) 6)

7) 8)

Dazu auch die 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 7.11. Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 33. KG DZWIR 2012, 214 = GmbHR 2012, 569 = NZG 2012, 353; OLG Frankfurt/M. NZG 2003, 438; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 2 GmbHG Rz. 22; MünchKommMayer, § 2 GmbHG Rz. 65; Roth/Altmeppen/Roth, § 2 GmbHG Rz. 30; Grooterhorst, NZG 2007, 605, 610; Wachter, GmbHR 2003, 660 f.; dagegen jetzt ausführlich Hasselmann, ZIP 2012, 1947 m. N. der Gegenansicht; Tonikidis, MittBayNot 2014, 514. RGZ 156, 129, 138; BGH NJW-RR 1988, 288. RGZ 66, 116, 121; RGZ 156, 129, 138.

51

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

wichtigen Folge der persönlichen und unbeschränkten Haftung aller Gesellschafter nach § 128 HGB.9) Gerade dies gilt wegen § 123 Abs. 2 HGB auch dann, wenn der Gesellschaftsvertrag nicht beurkundet war und daher die Gesellschafter nicht zur Errichtung einer Kapitalgesellschaft verpflichtet waren. Handelt jemand für eine solche Vorgründungsgesellschaft, so wird nach den Regeln über unternehmensbezogene Geschäfte dieser Verband verpflichtet, auch wenn „im Namen der GmbH“ gehandelt wurde.10) b)

Vorgesellschaft

2.7 Die eigentliche Gründung erfolgt durch Feststellung der Satzung bzw. Abschluss des Gesellschaftsvertrages seitens der Gründer oder des Gründers (§ 2 AktG, § 1 GmbHG; zum erforderlichen Inhalt unten Rz. 2.56 ff.). Dabei hat sich für die Körperschaften und damit auch die Kapitalgesellschaften allgemein der Begriff „Satzung“ als Bezeichnung des Gesellschaftsvertrages eingebürgert; § 2 AktG legt dies für die Aktiengesellschaft in einer Legaldefinition ausdrücklich fest.11) Die Satzung bedarf notarieller Beurkundung (Art. 11 [früher Art 10] Erste Richtlinie, § 23 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 2 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Bei beschränkt Geschäftsfähigen ist zudem die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich (§§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1822 Nr. 3, 1643 Abs. 1 BGB). 2.8 Wenn die Gründer die Aktien (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 AktG) bzw. – bei der GmbH durch Abschluss des Gesellschaftsvertrages – die Geschäftsanteile übernommen haben und damit ihre Einlageverpflichtung eingegangen sind, ist die Gesellschaft errichtet (dazu unten Rz. 5.32 ff., für die Aktiengesellschaft § 29 AktG). Damit ist zugleich eine Vorgesellschaft entstanden. Die Vorgründungsgesellschaft ist wegen Zweckerreichung automatisch aufgelöst (§ 726 Alt. 1 BGB).12) Doch gehen ihr Vermögen und ihre Verbindlichkeiten nur dann auf die Vorgesellschaft über, wenn sie rechtsgeschäftlich etwa durch Schuldübernahme nach §§ 414, 415 BGB oder – eine diese umfassende – Vertragsübernahme übertragen werden; ein automatischer Übergang findet also nicht statt. Andernfalls bleiben die Gründer weiter verpflichtet.13) ___________ 9) BGHZ 91, 148, 151 = ZIP 1984, 950 = NJW 1984, 2164; BGH ZIP 1983, 933 = NJW 1983, 2822. 10) BGH ZIP 1998, 646, 647 f. = EWiR § 11 GmbHG 4/98, 417 (Dreher/Kreiling); BGH ZIP 1998, 1223 = NJW 1998, 2897 = DStR 1998, 1227 (Goette) (daher erst recht keine Haftung des Vertreters, wenn Unternehmensträger statt der erwarteten GmbH eine natürliche Person ist). 11) Dazu differenzierend Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 2 a, S. 80 f. 12) Abw. Kießling, Vorgründungs- und Vorgesellschaft (1999), S. 352 ff., der Fortsetzung annimmt. 13) BGHZ 91, 148, 151 = ZIP 1984, 950 = NJW 1984, 2164; BGH ZIP 1992, 1303, 1304 = NJW 1992, 2698 = EWiR § 19 GmbHG 5/92, 997 (Fleck); BGH NJW-RR 2001, 1042.

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I. Entstehung

Eine Zustimmung des Vertragspartners zu einer Schuldübernahme durch die 2.9 (Vor-)GmbH kann dabei nicht allein (konkludent) aus der Tatsache abgeleitet werden, dass er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses glaubte, mit einer beschränkt haftenden GmbH zu kontrahieren; denn darin läge die Auswechselung eines unbeschränkt haftenden gegen einen bloß beschränkt haftenden Vertragspartner.14)

Nach der Beurkundung sind in der Aktiengesellschaft von den Gründern der 2.10 erste Aufsichtsrat und der Abschlussprüfer für das erste Geschäftsjahr zu bestellen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 AktG; entsprechend für die Bestellung des ersten Aufsichtsorgans einer SE Art. 40 Abs. 2 SE-VO). Auch dies bedarf notarieller Beurkundung (§ 30 Abs. 1 Satz 2 AktG). Der erste Aufsichtsrat bestellt sodann den Vorstand (§ 30 Abs. 4 AktG). In der GmbH sind mangels Aufsichtsrats lediglich der oder die Geschäftsführer zu bestellen, falls sie nicht bereits im Gesellschaftsvertrag bestellt wurden; die Bestellung ist dem Registergericht durch entsprechende Unterlagen wie das Protokoll des entsprechenden – hier aber nicht beurkundungspflichtigen – Gesellschafterbeschlusses (§ 46 Nr. 5 GmbHG) nachzuweisen. Die Bestellung (auch) des Abschlussprüfers ist bei der GmbH nicht schon zu diesem Zeitpunkt vorgeschrieben (arg. § 318 Abs. 1 Satz 3 HGB). In einem schriftlichen Gründungsbericht haben die Gründer einer Aktien- 2.11 gesellschaft den Hergang der Gründung zusammenzufassen und insbesondere zur Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung bei Sacheinlagen oder Sachübernahmen Stellung zu nehmen (§ 32 Abs. 1 und 2 AktG). Die Gründung ist von den Mitgliedern des Aufsichtsrats und des Vorstands (§§ 33 Abs. 1, 34 AktG) und in bestimmten Fällen, vor allem bei der Festsetzung von Sacheinlagen oder Sachübernahmen, auch von einem Gründungsprüfer zu prüfen (§§ 33 Abs. 2, 34 AktG); darauf kann bei Einbringung leicht bewertbarer Gegenstände (insbesondere von Wertpapieren) neuerdings verzichtet werden (§ 33a AktG i. d. F. des ARUG), was dann aber eine entsprechende Offenlegungspflicht im Rahmen der Anmeldung nach sich zieht (§ 37a AktG n. F.). Die Gründungsprüfung kann im Übrigen nach dem durch das TransPuG neu gefassten § 33 Abs. 3 Satz 1 AktG im Falle der Bargründung auch durch den die Satzung beurkundenden Notar erfolgen.15) Das GmbH-Recht ist hier deutlich weniger streng und verlangt nur bei Gründung mit Sacheinlagen einen Sachgründungsbericht (§ 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG). Gegenüber dem beschriebenen Verfahren sieht der durch das MoMiG einge- 2.11a führte § 2 Abs. 1a GmbHG für die GmbH erhebliche Erleichterungen vor: Danach kann eine Gesellschaft in einem vereinfachten Verfahren gegründet werden, wenn sie höchstens drei Gesellschafter und einen Geschäftsführer hat ___________ 14) BGH ZIP 1998, 646, 647 f. = NJW 1998, 1645 = DStR 1998, 821 = EWiR § 11 GmbHG 4/98, 417 (Dreher/Kreiling). 15) Hierzu ausführlich Heckschen, in: Hirte, TransPuG, Rz. III 4 ff.; Hermanns, ZIP 2002, 1785.

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§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

(Satz 1). Zur Gründung ist dann das in der Anlage zum GmbH-Gesetz vorgesehene „Musterprotokoll“ zu verwenden, und es dürfen keine vom Gesetz abweichenden Bestimmungen getroffen werden (Sätze 2 und 3).16) Das Musterprotokoll gilt zugleich als Gesellschafterliste i. S. v. § 40 GmbHG (Satz 4). Im Übrigen finden auf das Musterprotokoll die Vorschriften über den Gesellschaftsvertrag entsprechende Anwendung (Satz 5). Damit vereint das Musterprotokoll in knapper Weise drei Dokumente in einem, nämlich den Gesellschaftsvertrag, die Geschäftsführerbestellung und die Gesellschafterliste.17) Nach dem Musterprotokoll kann jeder Gesellschafter nur einen Geschäftsanteil übernehmen, und Sacheinlagen sind nicht möglich. Festgelegt werden müssen die Firma, der Sitz, das Stammkapital und – bei Gründung durch mehrere – die Nennbeträge der Geschäftsanteile sowie der Unternehmensgegenstand. Vom Gesetz weicht das Musterprotokoll nur insoweit ab, als der zu bestellende Geschäftsführer standardisiert von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit wird. Entgegen der Konzeption des MoMiG-Regierungsentwurfs, der im Falle der Verwendung einer – seinerzeit so bezeichneten – „Mustersatzung“ eine schriftliche Abfassung des Gesellschaftsvertrages und eine öffentliche Beglaubigung der Unterschriften der Gesellschafter hatte ausreichen lassen wollen, bleibt es wegen der zahlreichen insoweit geäußerten Bedenken aber beim Beurkundungserfordernis.18) Allerdings sieht das Gesetz mit § 41d KostO (eingeführt durch Art. 15 Nr. 2a MoMiG) und dem darin enthaltenen Verzicht auf die Erhebung der Mindestgebühren bei Verwendung des Musterprotokolls gewisse kostenrechtliche Erleichterungen bei Verwendung des Musterprotokolls vor, die seine Verwendung vor allem für die Unternehmergesellschaft (dazu näher unten Rz. 5.45a ff.) attraktiv machen dürften.19) c)

Eintragung

2.12 Anschließend sind die Bareinlagen in einem bestimmten Umfang, die Sacheinlagen vollständig zur freien Verfügung des Geschäftsleiters zu leisten (dazu unten Rz. 5.35 ff.). Erst dann kann die Aktiengesellschaft von allen Gründern, Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern (§ 36 Abs. 1 AktG; für die SE §§ 3, 46 SEAG), die GmbH von sämtlichen Geschäftsführern zur Eintragung in das ___________ 16) Ansonsten gilt das „normale Verfahren“: OLG München ZIP 2010, 1081 = NZG 2010, 795. 17) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 54; zuvor – noch beschränkt auf die Unternehmergesellschaft – Stellungnahme des Bundesrates zum RegE-MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 62 f.; dagegen noch Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, ebda., Anlage 3, S. 74. 18) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 54; zur aus diesem Grunde geäußerten Kritik am RegE Gehrlein, Konzern 2007, 771, 775; Heckschen, DStR 2007, 1442, 1444; Ulmer, ZIP 2008, 45, 46 ff. 19) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 54.

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I. Entstehung

Handelsregister angemeldet werden (§§ 7 Abs. 1, 78 GmbHG).20) Bei der GmbH ist hier durch das MoMiG die Pflicht eingeführt worden, die „laufenden Nummern der von einem jeden derselben übernommenen Geschäftsanteile“ anzugeben (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG n. F.); das steht auch im Zusammenhang mit der neu eingeführten Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs von Geschäftsanteilen (dazu unten Rz. 4.73a ff.). Die frühere Hürde, eine etwa erforderliche öffentlich-rechtliche Genehmigung dem Registergericht bereits bei der Eintragung nachzuweisen (§ 37 Abs. 4 Nr. 5 AktG a. F., § 8 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG a. F.),21) ist durch das MoMiG abgeschafft worden; dadurch sollen Unternehmensgründungen beschleunigt werden, auch weil eine solche „Vorab-Kontrolle“ der gewerberechtlichen Zulässigkeit eines Unternehmens in den mit dem deutschen Gesellschaftsrecht konkurrierenden ausländischen Rechtsordnungen ebenfalls fehlte.22) Klar ist freilich, dass sich an einer etwa aus Gewerberecht folgenden Unzulässigkeit einer unternehmerischen Tätigkeit nichts ändert: Nur muss diese jetzt in einem gesonderten öffentlich-rechtlichen Verbotsverfahren durchgesetzt werden und hindert nicht mehr „vorab“ den Zugang zur beschränkt haftenden Kapitalgesellschaft. Bei der SE hat das Gericht aber unverändert nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO zu prüfen, ob über die anzuwendende Mitbestimmungsregelung Klarheit besteht; denn im Gegensatz zur nationalen Aktiengesellschaft folgt die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der SE keiner zwingenden gesetzlichen Regel. Voraussetzung dafür ist, dass entweder eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer zustande gekommen ist, das besondere Verhandlungsgremium die Verhandlungen darüber abgebrochen hat oder die Verhandlungsfrist abgelaufen ist (dazu näher unten Rz. 3.169 ff.).23) Das Gericht kann die Eintragung ablehnen, wenn sich aus den eingereichten 2.13 Unterlagen und abgegebenen Erklärungen Anhaltspunkte für eine nicht unwesentliche Überbewertung von Sacheinlagen oder Sachübernahmen ergeben ___________ 20) Zum Aktienrecht ausführlich Terbrack, Rpfleger 2003, 225. 21) Zum früheren Recht BGHZ 102, 209 = ZIP 1988, 433 = NJW 1988, 1087 = EWiR § 8 GmbHG 1/99, 371 (Gustavus) = LM § 8 GmbHG Nr. 4; abw. Vorinstanz OLG Köln DB 1987, 2248 = BB 1987, 2044 = EWiR § 8 GmbHG 1/87, 1209 m. krit. Anm. Hirte (Handelsregistereintragung einer Handwerks-GmbH); krit. auch OLG Karlsruhe EWiR § 179 AktG 1/02, 739 (Priester). Eine dem (zukünftigen) Geschäftsleiter der Kapitalgesellschaft persönlich erteilte Genehmigung gilt nicht auch für die von ihm gegründete Gesellschaft (OLG Hamm NJW-RR 1997, 1258 [hier für Arbeitsvermittlung]). Zum Umfang der Bindungswirkung der Entscheidung der Genehmigungsbehörde BayObLG ZIP 2000, 2067, 2068 f. = NZG 2000, 987 = NJW-RR 2001, 898. Überblick über staatliche Genehmigungserfordernisse bei Gottwald, DStR 2001, 944; zu den Rechtsfolgen einer gleichwohl aufgenommenen Geschäftstätigkeit Art. 4 Zweite Richtlinie. 22) Hierzu Hirte, in: Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006), § 1 Rz. 38; ders., NZG 2008, 761, 762; ders., in: Festschrift für Hüffer (2010), S. 329, 333. 23) Zu den Prüfungspflichten des Registergerichts in diesem Zusammenhang Oetker, in: Lutter/ Hommelhoff (Hrsg.), Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 277, 287 ff., 298 f.

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§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

(§ 38 Abs. 2 Satz 2 AktG; § 9c Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Allein die Möglichkeit einer verdeckten Sacheinlage begründet nach heutigem Verständnis aber nicht die Befugnis des Registergerichts, pauschal weitere Nachweise zu verlangen, um diese auszuschließen (näher unten Rz. 5.71). Bei Fehlern der Errichtung oder der Anmeldung (§ 37 AktG, § 8 GmbHG) hat das Registergericht die Eintragung abzulehnen (§ 38 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 9c Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Dies gilt erst recht bei der Bargründung einer GmbH, wenn das übernommene Kapital im Zeitpunkt ihrer Anmeldung zum Registergericht bereits durch Verbindlichkeiten vorbelastet oder sogar aufgezehrt ist; hier trifft das Registergericht auch eine entsprechende Prüfungspflicht.24) Daraus resultiert eine erneute registergerichtliche Kontrollpflicht, wenn das Eintragungsverfahren länger als üblich dauert.25) 2.14 Die Befugnis des Registergerichts, bei Gelegenheit der Eintragung auch eine weitergehende materielle Überprüfung der Satzung vorzunehmen, wurde vom Gesetzgeber des Handelsrechtsreformgesetzes bewusst eingeschränkt (§ 38 Abs. 4 [früher Abs. 3] AktG, § 9c Abs. 2 GmbHG);26) die möglichen Beanstandungsgründe sind jetzt angelehnt worden an die Gründe, die auch zur Nichtigkeit von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung führen (dazu unten Rz. 3.281 ff. und 3.299 f.). Ob diese Maßnahme der „Deregulierung“ und die mit ihr verbundene Verlagerung von Streitigkeiten in den ordentlichen Zivilprozess für die Beteiligten ein Gewinn ist, muss bezweifelt werden.27) Im Übrigen trägt das Registergericht die Gesellschaft mit dem Inhalt der § 39 AktG, § 10 GmbHG ein. Das hatte nach dem mit Wirkung vom 1. Dezember 2004 eingeführten § 25 Abs. 1 Satz 2 HRV spätestens binnen eines Monats nach Eingang des Antrags bei Gericht zu geschehen;28) diese – allerdings nicht sanktionsbewehrte – zeitliche Vorgabe war auch als Antwort auf die Konkurrenz ausländischer Kapitalgesellschaften zu sehen (dazu oben Rz. 1.59 ff.), die zum Teil binnen Stunden gegründet werden können. Inzwischen ist – nach er___________ 24) OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 738 = ZIP 1996, 1705 = EWiR § 7 GmbHG 1/97, 35 (Weipert). 25) OLG Düsseldorf (Beschl. v. 18.9.1997 [so nur DStR] bzw. v. 3.12.1997 [so NJW-RR und andere] – 3 Wx 545/97), NJW-RR 1998, 898 = DB 1998, 250 = DStR 1998, 305. 26) Beispiel: OLG München ZIP 2010, 2348, 2349 = EWiR § 9c GmbHG 1/10, 609 (Wachter): keine Ablehnung der Eintragung einer GmbH bei Verletzung von Vorschriften des Minderheitenschutzes. 27) Zur Unzulässigkeit der Verweigerung einer zulässigen Eintragung nach Art einer „Registersperre“, um auf eine andere Eintragung hinzuwirken, BayObLG NJW-RR 1997, 485 = ZIP 1996, 2109 m. zust. Anm. Bokelmann, EWiR § 54 GmbHG 1/97, 263; weitergehend zur Prüfungsbefugnis des Registerrichters nach altem Recht Holzer, WiB 1997, 290 f.; Wiedemann, in: GroßK, § 181 AktG Rz. 21 ff., 25. 28) Eingeführt durch das Gesetz zur Neuordnung der Gebühren in Handels-, Partnerschaftsund Genossenschaftsregistersachen (Handelsregistergebühren-Neuordnungsgesetz – HRegGebNeuOG) v. 3.7.2004 (BGBl. I, 1410).

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I. Entstehung

neuter Änderung der Norm durch Art. 5 Abs. 2 Nr. 14 EHUG – sogar eine „unverzügliche“ (§ 121 BGB) Gründung erforderlich, was bei einer GmbH und angesichts der elektronischen Abläufe (§ 12 HGB n. F.) ebenfalls eine Eintragung sogar binnen weniger Stunden bedeuten soll.29) Mit der Eintragung der Gesellschaft ist eine Anfechtung des Gesellschaftsver- 2.15 tragsschlusses entgegen der Grundregel der §§ 119, 123 BGB im Hinblick auf den vorrangigen Gläubigerschutz ausgeschlossen; das gilt auch für andere Formfehler und Nichtigkeitsgründe mit Ausnahme des Minderjährigen- und Geschäftsunfähigenschutzes.30) d)

Rechtsverhältnisse der Vorgesellschaft

Zwischen der Beurkundung des Gesellschaftsvertrages und der Eintragung der 2.16 Gesellschaft kann bisweilen eine beträchtliche Zeitspanne liegen. Drei bis sechs Monate waren jedenfalls früher normal, aber auch ein Zeitraum von einem Jahr war etwa in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung nicht selten. Dies kann einerseits eine Folge des manchmal langwierigen Verfahrens im Registergericht sein; es kann aber auch darauf zurückzuführen sein, dass die Gründer die erforderlichen Nachweise und Versicherungen nicht oder nicht mit der gebotenen Schnelle beibringen können oder wollen. Die Reduktion entsprechender Nachweispflichten durch das MoMiG (dazu oben Rz. 2.12) beschleunigt daher das Eintragungsverfahren beträchtlich. Solange aber die der Eintragung vorausgehende registergerichtliche Prüfung in den noch verbleibenden Fällen fehlt, kann im Interesse des Rechtsverkehrs das „Privileg der beschränkten Haftung“ (noch) nicht gewährt werden. Gleichwohl haben die Gründer häufig ein (verständliches) Interesse, schon vor der Eintragung der Kapitalgesellschaft die Geschäftstätigkeit aufzunehmen; dies gilt vor allem dann, wenn sie ein bestehendes Unternehmen als Sacheinlage einbringen wollen, das – natürlich – in der Zeit zwischen Beurkundung der Satzung und Eintragung der Gesellschaft nicht seinen Betrieb einstellen kann. Der Gesetzgeber hat dieses Problem nur sehr unvollkommen gelöst und – im Interesse des Rechtsverkehrs – lediglich in Art. 8 [früher Art. 7] Erste Richtlinie, § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 11 Abs. 2 GmbHG eine persönliche und gesamtschuldnerische Haftung der „Handelnden“ für die vor Eintragung der Gesellschaft in ihrem Namen getätigten

___________ 29) Seibert/Decker, DB 2006, 2446, 2449. 30) Zur AG Arnold, KK, § 23 AktG Rz. 165 ff.; zur GmbH BGH ZIP 2007, 2416 = DStR 2008, 60 (für die Anfechtung einer Übernahmeerklärung wegen Willensmängeln); Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, § 2 GmbHG Rz. 24 f.; abw. KG ZIP 2000, 2253, 2254 = NZG 2001, 225 = NJW-RR 2001, 1117 (für Geschäftsunfähigkeit des einzigen Gründungsgesellschafters).

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§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

Geschäfte angeordnet.31) Damit wollte er eine Betätigung der Vorgesellschaft vor ihrer Eintragung ganz bewusst verhindern.32) 2.17 Da diese Lösung aber an der wirtschaftlichen Realität vorbeiging, wurden die Vorgesellschaft und ihre rechtliche Struktur weitgehend durch Richterrecht geformt. Im Mittelpunkt standen dabei vier miteinander verknüpfte Rechtskomplexe: die Binnenorganisation der Vorgesellschaft, ihre Außenverhältnisse einschließlich der Haftungsverfassung, die Frage des Verhältnisses der Vorgesellschaft zur späteren GmbH und der Umfang der Handelndenhaftung nach § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 11 Abs. 2 GmbHG.33) aa)

Binnenorganisation

2.18 Kennzeichnend für die Binnenorganisation ist der Zweck der Vorgesellschaft, die Eintragung einer Kapitalgesellschaft herbeizuführen. Deshalb besteht schon lange Einvernehmen darüber, dass sich die Rechte und Pflichten der Gründer und späteren Gesellschafter zueinander schon jetzt möglichst weitgehend nach dem Recht der einzutragenden Kapitalgesellschaft richten sollten. Die Vorgesellschaft wird daher als eigenständige Organisationsform angesehen.34) 2.19 Da Drittinteressen bei der Binnenorganisation nicht tangiert sind, ist dies gerade dort auch relativ unproblematisch möglich. Deshalb wird bei einer Vor-GmbH etwa die für Mehrheitsbeschlüsse der Gründer erforderliche Mehrheit nach § 47 Abs. 1 GmbHG berechnet; es reicht also die einfache Mehrheit, und es gilt nicht das Einstimmigkeitsprinzip der § 709 Abs. 1 BGB, § 119 Abs. 1 HGB. Dies gilt insbesondere auch für die Bestellung des Geschäftsführers.35) 2.20 Dessen Pflichten im Verhältnis zu den Gründern richten sich schon jetzt nach § 43 GmbHG.36) Und deshalb ist es auch Aufgabe der Gründer, seine Rechte und Pflichten und damit seine Geschäftsführungsbefugnis zu bestimmen. Sie orientieren sich im gesetzlichen Regelfall am Zweck der Vorgesellschaft, die Eintragung der Kapitalgesellschaft herbeizuführen, und sind zugleich durch diesen Zweck begrenzt. Nur wenn ihm die Gründer ausdrücklich oder konkludent mehr Rechte einräumen, ist er dazu befugt. Dies gilt etwa für den Fall, dass in die zu gründende Gesellschaft ein Unternehmen als Sacheinlage ein___________ 31) Hierzu BAGE 119, 59 = ZIP 2006, 1672 f. (mit dem zutreffenden Hinweis, dass die Haftung erst ab Errichtung der Gesellschaft greift und zuvor § 179 Abs. 1 BGB einschlägig ist). 32) Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 94 (GmbH); Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schmidt-Leithoff, § 11 GmbHG Rz. 108 m. w. N. 33) Überzeugend Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 97 (GmbH). 34) BGHZ 45, 338, 347; BGHZ 51, 30, 32; Hommelhoff/Freytag, DStR 1996, 1367 f. (auch zur Übertragung der Grundsätze auf die Vor-AG). 35) BGHZ 80, 212, 214 = ZIP 1981, 609 (Karsten Schmidt). 36) BGH ZIP 1987, 1050 = WM 1986, 789 = EWiR § 30 GmbHG 1/86, 587 (Weipert).

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I. Entstehung

zubringen ist.37) Eine andere Frage ist, welchen Einfluss ein enger oder weiter Zweck der Vorgesellschaft auf die Vertretungsmacht des Geschäftsführers hat (dazu unten Rz. 2.23). Änderungen des Gesellschaftsvertrages sind schließlich schon jetzt nach § 130 2.21 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 53 Abs. 2 GmbHG beurkundungspflichtig.38) Streitig ist allerdings, ob auch insoweit schon ein etwa im Gesellschaftsvertrag vereinbartes Mehrheitsprinzip eingreift. Zulässig ist auch die Kündigung eines Gesellschafters aus wichtigem Grund entsprechend § 723 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 1 BGB mit der Folge einer Auflösung der Gesellschaft; dabei ist ein wichtiger Grund u. a. darin zu sehen, dass ein Gesellschafter nicht zur Erbringung der Einlage imstande ist.39) bb)

Außenverhältnis

Für das Außenverhältnis wird der Vorgesellschaft inzwischen eine weitgehend 2.22 an die Rechtsfähigkeit der eingetragenen Gesellschaft heranreichende Rechtsfähigkeit zugestanden. Das bedeutet einerseits eine weitergehende Rechtsfähigkeit als nach § 124 Abs. 1 HGB für die offene Handelsgesellschaft, andererseits eine Missachtung von § 41 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 11 Abs. 1 GmbHG. Der Vorgesellschaft wird daher inzwischen neben der Komplementärfähigkeit in einer Kommanditgesellschaft40) die Grundbuch-,41) Wechsel- und Scheckfähigkeit, Partei-, Firmen- und Insolvenzfähigkeit zuerkannt.42) Insgesamt ist sie daher mindestens in weiten Teilen bereits ebenso rechtsfähig wie die spätere GmbH selbst.43) ___________ 37) BGHZ 80, 129, 139 = ZIP 1981, 394 = NJW 1981, 1373 = LM § 11 GmbHG Nr. 30a (Fleck). 38) BGHZ 21, 242, 246; BGHZ 29, 300, 303; BGH ZIP 1983, 299 = WM 1983, 230. 39) BGHZ 169, 270, 278 ff. = NZG 2007, 20 = ZIP 2006, 2267 = DStR 2006, 2322 = WM 2006, 2355 (zu einer Vor-AG; für die Abwicklung sind dann entsprechend § 265 Abs. 1 AktG die Vorstandsmitglieder und nicht analog §§ 730 ff. BGB die Gesellschafter der Vorgesellschaft zuständig). 40) BGHZ 80, 129 ff. = ZIP 1981, 394 = NJW 1981, 1373 = LM § 11 GmbHG Nr. 30a (Fleck). 41) So bereits BGHZ 45, 338, 348. 42) BGH ZIP 1998, 109, 110 = NJW 1998, 1079 = DStR 1998, 499 (Goette) = ZfIR 1998, 78; OLG Köln NJW-RR 2000, 490 (auch zur Behandlung einer während des Rechtsstreits entstehenden Vor-GmbH) (aktive Parteifähigkeit); BGH ZIP 2003, 2123 = NJW-RR 2004, 258 = NZG 2003, 1167 = NZI 2004, 28 (Insolvenzfähigkeit); BGHZ 79, 239, 241 = NJW 1981, 873; ebenso schon BAG NJW 1963, 680, 681 (passive Parteifähigkeit); weit. Nachw. bei Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 105 f. (GmbH). 43) BGHZ 117, 323 = ZIP 1992, 689 = NJW 1992, 1824 = EWiR § 20 FGG 1/92, 673 (Kraft) (zur Beschwerdebefugnis im FGG-Verfahren); weitergehend Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 105 (GmbH) („vorläufige Rechtsfähigkeit“); Scholz/Karsten Schmidt, § 11 GmbHG Rz. 30 („Körperschaft“); Grunewald, GesR, § 13 Rz. 39 (GmbH), die von vollständiger Rechtsfähigkeit sprechen.

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§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

2.23 Der damit bereits selbständig verpflichtungsfähige Verband haftet zunächst für die in seinem Namen eingegangenen Verbindlichkeiten mit seinem eigenen Vermögen. Umstritten ist allerdings, ob der Geschäftsführer der Vorgesellschaft diese bereits mit im Außenverhältnis unbeschränkter und unbeschränkbarer Vertretungsmacht (§§ 35 Abs. 1, 37 Abs. 2 GmbHG) verpflichten kann oder ob – neben der Geschäftsführungsbefugnis (dazu oben Rz. 2.20) – auch die Vertretungsmacht entsprechend den Vorgaben der Gründer beschränkt werden kann, sofern nicht alle Gründer einer Aufnahme der Geschäfte vor Eintragung zugestimmt haben.44) Die Frage ist allerdings so lange nicht erheblich, wie die Gründer dem Geschäftsführer die Fortführung eines einzubringenden Unternehmens gestattet haben; denn dann ist der Geschäftsführer jedenfalls zu den zu seiner Fortführung notwendigen Geschäften befugt. Handelt es sich um ein handelsgewerbliches Unternehmen i. S. v. § 1 HGB, wäre die Vertretungsmacht ohnehin auch schon in diesem Zeitpunkt nach § 126 Abs. 2 HGB unbeschränkbar. Ansonsten greifen die allgemeinen Grundsätze, insbesondere § 179 BGB. cc)

Gründerhaftung

2.24 Neben die Haftung der Vorgesellschaft tritt eine unbeschränkte Haftung der Gründer für den Fall der Nicht-Eintragung der Kapitalgesellschaft. Diese ist (heute) unabhängig von der Art der Verbindlichkeiten. Zur Begründung dieses Ansatzes verwies der BGH darauf, dass das bürgerliche wie das Handelsrecht vom Prinzip der unbeschränkten Haftung durchzogen seien und eine Haftungsbeschränkung als Ausnahme einer gesetzlichen Grundlage bzw. einzelvertraglichen Regelung bedürfe. Damit besteht jetzt eine einheitliche Gründerhaftung in Form einer bis zur Eintragung reichenden Verlustdeckungshaftung und einer an die Eintragung anknüpfenden Vorbelastungs- bzw. Unterbilanzhaftung. Bei beiden handelt es sich – im Grundsatz – um eine der Vorgesellschaft gegenüber bestehende Innenhaftung. Im Falle einer Insolvenz der Vorgesellschaft kann und muss damit der Insolvenzverwalter der Vorgesellschaft im Interesse aller

___________ 44) Für Beschränkbarkeit BGHZ 80, 129, 139 = ZIP 1981, 394 = NJW 1981, 1373 = LM § 11 GmbHG Nr. 30a (Fleck); BGHZ 86, 122, 125 = ZIP 1983, 158; Grunewald, GesR, § 13 Rz. 41 (GmbH); Hommelhoff/Freytag, DStR 1996, 1367, 1368; gegen Beschränkbarkeit Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 122 (GmbH), jeweils m. w. N.; differenzierend für Fälle der Ermächtigung zur vorzeitigen Aufnahme des Geschäftsbetriebs Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 11 GmbHG Rz. 20.

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I. Entstehung

Gläubiger auf die Einlageverbindlichkeiten der Gründer zugreifen.45) Mit Eintragung der Gesellschaft stehen die Ansprüche andererseits allein der eingetragenen Gesellschaft selbst zu, und das selbst dann, wenn diese vermögenslos ist oder nur einen Gesellschafter hat.46) Der BGH erstreckte diese Rechtsprechungsgrundsätze auch auf die Mitglieder einer Vor-Genossenschaft.47) Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen zu machen, die zugleich die 2.25 Schwäche des Ansatzes offenbaren. Eine solche Ausnahme ist danach nach Ansicht des BAG etwa dann gegeben, wenn die Vorgesellschaft (Vor-GmbH) vermögenslos ist.48) In diesem Falle trifft die Gesellschafter sogleich eine unmittelbare Außenhaftung für die Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft,49) wobei allerdings zwischen den Senaten des BAG noch ungeklärt ist, ob die Gesellschafter lediglich pro rata oder unbeschränkt als Gesamtschuldner haften.50) Zutreffend dürfte dabei die zweite Auffassung sein, denn es erscheint nicht 2.26 sachgerecht, durch eine Pro-rata-Haftung im Außenverhältnis das Abwicklungsrisiko der insolventen Vorgesellschaft zumindest teilweise auf die Gläubiger abzuwälzen. Die Vorfrage, ob man eine Innen- oder Außenhaftung an___________ 45) BGHZ 134, 333 = NJW 1997, 1507 (Altmeppen) = ZIP 1997, 679 = DStR 1997, 625 (Goette) = LM H. 7/1997 § 11 GmbHG Nr. 38 (Noack) = EWiR § 11 GmbHG 1/97, 463 (Fleischer); BAG ZIP 2005, 350, 351 (zur entsprechenden Anwendung im Aktienrecht); dazu Beuthien, GmbHR 1996, 309; Dauner-Lieb, GmbHR 1996, 82; Gehrlein, NJW 1996, 1193; Gummert, DStR 1997, 1007; Kort, ZIP 1996, 109; Karsten Schmidt, ZIP 1997, 671; ebenso AG Holzminden NJW-RR 1997, 871; Carlos Schütz, GmbHR 1996, 727; sowie für die AG OLG Karlsruhe ZIP 1998, 1961 = NZG 1999, 672 = EWiR § 41 AktG 2/98, 1011 (Kort) (Vorinstanz LG Heidelberg ZIP 1997, 2045 = NZG 1998, 392 = EWiR § 41 AktG 1/98, 51 [Reiff] (dazu Kai-Udo Wiedemann, ZIP 1997, 2029) (Schlachthof); Hommelhoff/Freytag, DStR 1996, 1367, 1368; abw. (für Außenhaftung) LSG Baden Württemberg NJW-RR 1997, 1463 = ZIP 1997, 1651 (Altmeppen) = DStR 1998, 177 = EWiR § 13 GmbHG 1/98, 63 (Fleischer) (rkr.: vgl. ZIP 1997, 2201) (dazu Wilhelm, DStR 1998, 457); LAG Köln NZA-RR 1997, 375 = ZIP 1997, 1921 = DStR 1998, 178 (Goette) = EWiR § 11 GmbHG 2/98, 123 (Kort); sowie zuvor etwa OLG Celle GmbHR 1996, 688 = EWiR § 11 GmbHG 3/96, 1083 (Veil); krit. Altmeppen, NJW 1997, 3272; Kleindiek, ZGR 1997, 427; weit. Nachw. und Vorgeschichte der Entscheidung bei Hirte, NJW 1998, 2943, 3459 f. sowie in der 3. Aufl. dieses Werkes Rz. 79. 46) BGH ZIP 2005, 2257 = NZG 2006, 15 = NJW-RR 2006, 107 = EWiR § 162 HGB 1/06, 77 (Wachter). 47) BGHZ 149, 273 = ZIP 2002, 353 = NJW 2002, 824. 48) BAG NZA 2006, 673 = NZG 2006, 507 = ZIP 2006, 1044, 1046 f. (auch bei späterer Einstellung eines bereits eröffneten Insolvenzverfahrens wegen Masseunzulänglichkeit). 49) BAG NJW 1997, 3331 = NZA 1997, 1053 = ZIP 1997, 1544 = EWiR § 11 GmbHG 2/97, 849 (Goette); BAG NJW 1998, 628 = NZA 1998, 27 = ZIP 1997, 2199 = EWiR § 11 GmbHG 3/98, 373 (Kohte) (dazu auch Noack, LM H. 7/1997 § 11 GmbHG Nr. 38); BAGE 93, 151 = ZIP 2000, 1546, 1548 f. = NJW 2000, 2915 = NZI 2000, 612 = EWiR § 11 GmbHG 2/2000, 915 (Goette); BAG EWiR § 11 GmbHG 2/01, 759 (Henze). 50) Der 10. Senat des BAG (BAG NJW 1997, 3331 = NZA 1997, 1053 = ZIP 1997, 1544 = EWiR § 11 GmbHG 2/97, 849 [Goette]) befürwortet eine Pro-rata-Haftung, während der 9. Senat (BAG NJW 1998, 628 = NZA 1998, 27 = ZIP 1997, 2199 = EWiR § 11 GmbHG 3/98, 373 [Kohte]) von einer unbeschränkten Außenhaftung ausgeht.

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§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

nimmt, hat im Übrigen mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung dadurch an Bedeutung verloren, dass § 92 Satz 1 InsO auch die Geltendmachung der Außenhaftung dem Insolvenzverwalter zuweist. 2.27 Wird eine Vor-GmbH von einem Treuhänder gegründet, kann dieser den Anspruch gegen seine Treugeber auf Freistellung von der ihn gegenüber den Gläubigern der Vor-GmbH treffenden Haftung an diese Gläubiger abtreten; dadurch wandelt sich der zuvor bloße Freistellungs- in einen direkten Zahlungsanspruch mit der Folge um, dass die Gläubiger der Vor-GmbH unmittelbar die wirtschaftlichen Gründer der GmbH auf Zahlung in Anspruch nehmen können.51) dd)

Verhältnis der Vorgesellschaft zur späteren GmbH

2.28 Kennzeichnend für das Verhältnis der Vorgesellschaft zur späteren GmbH war lange Zeit das sog. Vorbelastungsverbot. Danach durfte die Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt ihrer Entstehung – also des Registereintrags – nur mit solchen Verbindlichkeiten belastet sein, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Gründung stehen. Vor allem schied ein automatischer Übergang von Verbindlichkeiten auf die Gesellschaft aus, die von der Vorgesellschaft begründet worden waren.52) 2.29 Dieser Grundsatz war für die Gläubiger der neuen Kapitalgesellschaft sehr effektiv: denn er stellte sicher, dass das publizierte Nennkapital im Zeitpunkt des Entstehens der Kapitalgesellschaft vollständig vorhanden war. Aber er führte dazu, dass eine unternehmerische Betätigung der Vorgesellschaft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war. Denn da ihr Zweck auf die Herbeiführung der Eintragung gerichtet ist, endete sie in diesem Zeitpunkt (§ 726 Alt. 1 BGB), ohne dass die Gläubiger der Vorgesellschaft auf die nunmehr entstandene Schuldnerin hätten zugreifen können. Dies führte zur Entwicklung eines neuen, alternativen Lösungsansatzes, den der BGH in der Leitentscheidung BGHZ 80, 12953) aufgriff. An die Stelle der Annahme zweier verschiedener Rechtssubjekte trat die Ansicht, Vorgesellschaft und entstehende GmbH seien identisch: mit der Eintragung wandele sich die Vor-GmbH automatisch in die GmbH um (was keine Umwandlung i. S. d. UmwG ist!); zugleich gingen Vermögen und Schulden auf die entstehende Kapitalgesellschaft automatisch über, nach herrschender Meinung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, richtigerweise wohl eher aufgrund der Identität der beiden Rechtsträger ipso iure.54) ___________ 51) BGH ZIP 2001, 789 = NJW 2001, 2092 = NZG 2001, 561 = DStR 2001, 859 (Goette) = EWiR § 11 GmbHG 1/01, 583 (Armbrüster). 52) BGHZ 17, 385, 391 (Gen); BGHZ 53, 210, 212; BGHZ 65, 378, 380 f. 53) BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394 = NJW 1981, 1373 = LM § 11 GmbHG Nr. 30a (Fleck). 54) BGHZ 80, 129, 137 f. = ZIP 1981, 394 = NJW 1981, 1373 = LM § 11 GmbHG Nr. 30a (Fleck); BGHZ 80, 182, 183 = ZIP 1981, 516; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 11 GmbHG Rz. 56 ff.

62

I. Entstehung

Die Gläubiger sollen dabei statt durch das Vorbelastungsverbot in der Weise 2.30 abgesichert werden, dass die Gründer eine Differenzhaftung (auch Unterbilanz- oder Vorbelastungshaftung) analog § 9 Abs. 1 GmbHG gegenüber der eingetragenen Gesellschaft trifft; danach schulden sie ihr die Differenz zwischen dem tatsächlichen Reinvermögen im Zeitpunkt der Eintragung und dem aufgrund der Einlageverpflichtung geschuldeten Kapitalbetrag, gegebenenfalls zuzüglich des Aufgelds. Der Anspruch ist wie der Anspruch aus § 31 GmbHG (dazu unten Rz. 5.93) wie ein Anspruch auf Leistung fehlender Bareinlagen zu behandeln und unterliegt daher denselben strengen Regeln wie die ursprüngliche Einlageschuld.55) Da die Haftung unbeschränkt ist und auch immer unbeschränkt war, bildet sie das Gegenstück zur inzwischen ebenfalls unbeschränkten Gründerhaftung für den Fall der Nicht-Eintragung der Kapitalgesellschaft. Im Aktienrecht findet sich insoweit keine ausdrückliche Regelung; vielmehr ist die Differenzhaftung insoweit auf eine „Kapitaldeckungszusage“ zu stützen.56) Die während des Bestehens der Vorgesellschaft dieser zustehenden Ansprüche 2.31 werden also mit deren Eintragung zu Ansprüchen der Kapitalgesellschaft selbst. Lediglich die Gründungskosten dürfen – nach wie vor – von der Differenzhaftung in Abzug gebracht werden.57) Ausreichend ist demnach, dass die Einlageverpflichtungen im Zeitpunkt der Anmeldung, auf den sich die Versicherung nach § 37 Abs. 1 AktG, § 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG bezieht, entsprechend den gesetzlichen Vorschriften erbracht sind. Eine Verschlechterung der Vermögenslage zwischen diesem Zeitpunkt und dem Zeitpunkt der Eintragung führt nicht (mehr) zur Unzulässigkeit der Eintragung, sondern begründet die Differenzhaftung. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Zweifel daran bestehen, ob die Gründer ihre Verpflichtungen aus der Differenzhaftung erfüllen können.58)

___________ 55) BGHZ 165, 391 = NJW 2006, 1594 = NZG 2006, 390 = ZIP 2006, 668, 671 f. = EWiR § 11 GmbHG 1/06, 565 (Naraschewski) im Anschluss an BGHZ 124, 282 = ZIP 1994, 295 = NJW 1995, 724 = EWiR § 11 GmbHG 1/94, 275 (von Gerkan); dazu Bayer/Lieder, ZGR 2006, 875; Paul, ZInsO 2006, 589. 56) BGHZ 64, 52, 62; BGHZ 68, 191, 195; Hüffer/Koch, § 9 AktG Rz. 6. 57) BGHZ 107, 1, 5 f. (für die GmbH); für die AG § 26 AktG. 58) BayObLG WM 1992, 695, 698 f. = EWiR § 8 GmbHG 1/92, 57 (Bokelmann); zu den für die Berechnung des Umfangs der Differenzhaftung anzusetzenden Werten in der Vorbelastungsbilanz BGH NJW 1998, 233 = ZIP 1997, 2008 = EWiR § 11 GmbHG 1/98, 33 (Wilken) = DStR 1997, 1857 (Goette) = LM H. 3/1998 § 11 GmbHG Nr. 39; BGHZ 140, 35 = ZIP 1998, 2151 = NJW 1999, 283 = DStR 1999, 206 (Goette) (Ansatz von Ertragswerten zulässig); dazu Fleischer, GmbHR 1999, 752; Hennrichs, ZGR 1999, 837; Hirte, NJW 1998, 2943, 3459, 3460; ders., NJW 2000, 3321, 3327; zur grundsätzlich bei der Gesellschaft bzw. dem Insolvenzverwalter liegenden Beweislast BGH ZIP 2003, 625, 626 f. = NZG 2003, 393 = NZI 2003, 679; dazu Blöse, ZIP 2003, 1687.

63

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

ee)

Handelndenhaftung

2.32 Neben diesen auf der Grundlage richterlicher Rechtsfortbildung entwickelten Haftungsansätzen ist die Funktion der vom Gesetz vorgesehenen Handelndenhaftung (§ 41 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 11 Abs. 2 GmbHG) nicht mehr klar auszumachen. Denn mit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Vorgesellschaft und der persönlichen Inpflichtnahme ihrer Gründer fehlt es an der Notwendigkeit einer daneben laufenden persönlichen Haftung der „Handelnden“.59) Als Handelnde im Sinne der genannten Normen sind daher nur noch solche Personen anzusehen, die entweder selbst als Geschäftsführer gehandelt haben oder als solche aufgetreten sind.60) Geschützt sind andererseits nur „Externe“: Deshalb haften die Mitglieder des Aufsichtsrats einer noch nicht in das Handelsregister eingetragenen Vor-AG dem ersten Vorstand der Gesellschaft, mit dem sie für die Vorgesellschaft den Anstellungsvertrag geschlossen haben, nicht nach § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG für seine Vergütungsansprüche (die im Übrigen nicht zu dem in der Satzung auszuweisenden Gründungsaufwand nach Art. 3 j Zweite Richtlinie, § 26 Abs. 2 AktG gehören).61) Gesellschafter, die eine Aufnahme der Geschäfte seitens der Vorgesellschaft zwar gebilligt haben, nach außen aber nicht in Erscheinung getreten sind, haften nicht mehr nach § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 11 Abs. 2 GmbHG.62) Insbesondere können die Normen keine Haftung eines handelnden Gesellschafters gegenüber einem (Mit-)Gründer mehr begründen.63) 2.33 In jedem Fall erlischt die Haftung eines Handelnden mit Eintragung der Gesellschaft.64) Ein in Anspruch genommener Geschäftsführer kann aus seinem Anstellungsverhältnis zur Vorgesellschaft einen Rückgriffsanspruch gegen diese bzw. die eingetragene Gesellschaft haben.65) ___________ 59) BGHZ 80, 182, 184 = ZIP 1981, 516; BGHZ 91, 148, 149 = ZIP 1984, 950 = NJW 1984, 2164; Grunewald, GesR, § 13 Rz. 48 (GmbH); Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 114 (GmbH). 60) BGHZ 47, 25; BGHZ 91, 148, 149 = ZIP 1984, 950 = NJW 1984, 2164; OLG Hamburg ZIP 1985, 1488, 1490 = EWiR § 11 GmbHG 1/85, 883 (Weipert); Fastrich, in: Baumbach/ Hueck, § 11 GmbHG Rz. 47; Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 115 (GmbH). 61) BGH ZIP 2004, 1409, 1410 f. = NJW 2004, 2519 = NZG 2004, 773 = DStR 2004, 1396 = GmbHR 2004, 1151 (Bergmann) = EWiR § 41 AktG 1/04, 783 (Drygala); ganz ähnlich auch BGH ZIP 2003, 2023 = NZG 2003, 878 = NJW-RR 2003, 1265 = EWiR § 54 BGB 1/04, 5 (van Look): keine Handelndenhaftung nach § 54 Satz 2 BGB gegenüber dem Mitglied eines nicht rechtsfähigen Vereins im Rahmen der mitgliedschaftlichen Rechtsbeziehung. 62) Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 11 GmbHG Rz. 47; Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 115 (GmbH). 63) LAG Berlin WiB 1997, 311 (Rendels) = GmbHR 1996, 686 = EWiR § 11 GmbHG 4/96, 1085 (Gerd Müller). 64) BGHZ 80, 182, 183 ff. = ZIP 1981, 516; zur AG BAG ZIP 2005, 350, 351. 65) BGHZ 86, 122, 126 = ZIP 1983, 158; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 11 GmbHG Rz. 53; Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 117 (GmbH).

64

I. Entstehung

ff)

Unechte Vorgesellschaft

Das hier skizzierte Sonderrecht der Vorgesellschaft gilt allerdings nur so weit 2.34 und nur so lange, wie die Gründer tatsächlich die Absicht verfolgen, die Eintragung der Kapitalgesellschaft herbeizuführen. Wird diese Absicht endgültig aufgegeben oder ein Eintragungsantrag endgültig zurückgewiesen und die Gesellschaft gleichwohl fortgeführt, handelt es sich um eine unechte Vorgesellschaft. Auf sie finden die allgemeinen Regeln des bürgerlichen und des Handelsrechts Anwendung; das heißt, dass es sich um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB) bzw. unter den Voraussetzungen des § 1 HGB um eine offene Handelsgesellschaft (§ 128 HGB) handelt; eine Haftungsbeschränkung wäre im zweiten Fall selbst bei einem entsprechenden Willen der Gründer nicht möglich (§ 176 Abs. 1 HGB).66) 4.

Gründungsverfahren der Europäischen Aktiengesellschaft

Völlig eigenständigen Regeln folgt die Gründung einer SE. Sie kann zunächst in 2.35 vier von Art. 2 SE-VO vorgesehenen Varianten vollzogen werden. Die entsprechenden Regelungen bilden einen so starken Schwerpunkt der SE-Verordnung, dass diese äußerlich eher dem Umwandlungsgesetz als dem Aktiengesetz gleicht; Grund ist, dass es bei Schaffung der Rechtsform an – zudem einheitlichen – Vorschriften über grenzüberschreitende Unternehmensverbindungen fehlte, auf die hätte verwiesen werden können (zur inzwischen eingeführten Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung unten Rz. 6.166a ff.).67) a)

Verschmelzung

Zunächst können Aktiengesellschaften, die nach dem Recht eines Mitglied- 2.36 staats gegründet worden sind und die ihren Sitz und ihre Hauptverwaltung in der Gemeinschaft haben, eine Gründung durch Verschmelzung vollziehen, wenn mindestens zwei der zu verschmelzenden Gesellschaften dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen (Art. 2 Abs. 1 SE-VO; Einzelheiten in

___________ 66) BGHZ 22, 240, 244 f.; BGH WM 1958, 1134; BGH WM 1965, 246; BGHZ 152, 290 = ZIP 2002, 2309 (Drygala) = NJW 2003, 429 = NZG 2003, 79 = DStR 2002, 2232 (Goette) = JZ 2003, 626 (Langenbucher) (abw. als Vorinstanz OLG Bremen ZIP 2000, 2201, 2204 = NZG 2001, 227 = EWiR § 11 GmbHG 3/2000, 1015 [Münnich]); BFHE 185, 356 = BStBl. II 1998, 531 = ZIP 1998, 1149 = NJW 1998, 2926 = EWiR § 11 GmbHG 5/98, 745 (Bork) = DStR 1998, 1129 (Goette); BSGE 85, 192 = ZIP 2000, 494 = NZA-RR 2000, 373 = DStR 2000, 741 = EWiR § 11 GmbHG 4/2000, 1055 (Kort); OLG Jena NJW-RR 2002, 970. 67) Ähnlich Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078, 1080; zusammenfassend zur Gründung einer SE Scheifele, Die Gründung der Europäischen Aktiengesellschaft, 2004.

65

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

Art. 17 – 31 SE-VO68)). Das wird man aber auf den Fall beschränken müssen, dass nicht eine der Gesellschaften von der anderen abhängig ist; denn sonst könnte die an eine Zeitschranke anknüpfende Gründungsmöglichkeit durch Formwechsel (dazu sogleich Rz. 2.40) unterlaufen werden.69) 2.37 Die Beibehaltung des nationalen Beurkundungserfordernisses für den Verschmelzungsplan (= -vertrag) ist nach Art. 18 SE-VO jedenfalls zulässig.70) Im Übrigen erfolgt die Rechtmäßigkeitskontrolle in einem zweistufigen Verfahren: zunächst ist nach Art. 25 Abs. 1 SE-VO für jede Gründungsgesellschaft eine Kontrolle nach nationalem Aktien- bzw. Umwandlungsrecht durchzuführen; daraufhin ist von der zuständigen nationalen Stelle eine Bescheinigung auszustellen, aus der zweifelsfrei hervorgehen muss, dass die der Verschmelzung vorangehenden Rechtshandlungen und Formalitäten durchgeführt wurden (Art. 25 Abs. 2 SE-VO). Sodann wird die Durchführung der Verschmelzung und Gründung der SE von der jeweils national zuständigen Stelle im künftigen Sitzstaat der SE überprüft, insbesondere ob ein gleich lautender Verschmelzungsplan vorliegt und ob eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer geschlossen wurde (Art. 26 SE-VO). b)

Gründung einer Holding-SE

2.38 Aktiengesellschaften und GmbHs, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und ihren Sitz und ihre Hauptverwaltung in der Gemeinschaft haben, können sodann die Gründung einer Holding-SE anstreben, wenn mindestens zwei von ihnen71) dem Recht unterschiedlicher Mitgliedstaaten unterliegen oder mindestens zwei von ihnen seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft oder eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben (Art. 2 Abs. 2 SE-VO; Einzelheiten in Art. 32 – 34 SE-VO). ___________ 68) Für die Verschmelzung deutscher Aktiengesellschaften ist insbesondere Art. 25 Abs. 3 SE-VO von Bedeutung, nach dem ein die Eintragung der Verschmelzung nicht hinderndes (Spruch-)Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses der Aktien oder zur Abfindung von Minderheitsaktionären nur dann angewandt werden kann, wenn dies entweder auch in den anderen Staaten vorgesehen ist, denen die zu verschmelzenden Gesellschaften unterliegen, oder die Hauptversammlung der anderen Gesellschaft(en) dem nach Art. 23 Abs. 1 SE-VO ausdrücklich zustimmt; dem folgen jetzt § 6 und § 7 Abs. 5 bis 7 SEAG. 69) Abw. die h. M.: MünchKomm-Oechsler, Art. 2 SE-VO Rz. 24 m. w. N. 70) Abw. Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078, 1080, die aus dem Schweigen in Art. 20 Abs. 1 SE-VO zu diesem Punkt von einem Verbot der Statuierung eines Beurkundungserfordernisses ausgehen. 71) Dies ist wörtlich zu nehmen; dazu MünchKomm-Oechsler, Art. 2 SE-VO Rz. 33; Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1850; abw. Hommelhoff, AG 2001, 279, 281 Fn. 15, nach dem schon bei nur einer Gesellschaft mit Auslandstochter die erforderliche Grenzüberschreitung ausreichen soll.

66

I. Entstehung

c)

Gründung einer Tochter-SE durch Zeichnung ihrer Aktien

Schließlich können Gesellschaften i. S. v. Art. 54 Abs. 2 AEUV (früher Art. 48 2.39 Abs. 2 EG) sowie juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und ihren Sitz sowie ihre Hauptverwaltung in der Gemeinschaft haben, eine Tochter-SE durch Zeichnung ihrer Aktien gründen, wenn mindestens zwei von ihnen dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen oder mindestens zwei von ihnen seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft oder eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben (Art. 2 Abs. 3, Artt. 35 – 36 SE-VO). Als Gründer kommen hier wie nach Art. 4 Abs. 1 a EWIV-VO auch Personengesellschaften in Betracht, da sie zu den Gesellschaften i. S. v. Art. 54 Abs. 2 AEUV (früher Art. 48 Abs. 2 EG) gehören.72) d)

Gründung durch formwechselnde Umwandlung

Schließlich kann eine Aktiengesellschaft, die nach dem Recht eines Mitglied- 2.40 staats gegründet worden ist und ihren Sitz sowie ihre Hauptverwaltung in der Gemeinschaft hat, in eine SE (formwechselnd) umgewandelt werden, wenn sie seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft (nicht auch eine Zweigniederlassung73)) hat (Art. 2 Abs. 4 SE-VO, Art. 37 SE-VO). Anlässlich der Umwandlung darf die Gesellschaft ihren Sitz aber nicht in einen anderen Staat verlegen (Art. 37 Abs. 3 SE-VO). e)

Beteiligung von Nicht-EU-Gesellschaften an der Gründung

Nach Art. 2 Abs. 5 SE-VO kann ein Mitgliedstaat vorsehen, dass sich auch eine 2.41 Gesellschaft an der Gründung beteiligen kann, die ihre Hauptverwaltung nicht in der Gemeinschaft hat, sofern sie nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurde und in diesem Staat ihren Sitz hat und mit der Wirtschaft eines74) Mitgliedstaats in wirtschaftlicher und dauerhafter Verbindung steht.75) Im Übrigen können sich Nicht-EU-Gesellschaften nicht unmittelbar an der Gründung einer SE beteiligen. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass deren Unternehmen im Wege der Sacheinlage in eine SE eingebracht werden (dazu unten Rz. 5.55).

___________ 72) Müller-Huschke, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 48 EG Rz. 3; Schulz/ Geismar, DStR 2001, 1078, 1081; Troberg, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU/EG-Vertrag (5. Aufl. 1997), Art. 58 EG Rz. 2. 73) Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1850. 74) Nach Hommelhoff, AG 2001, 279, 281 Fn. 17, soll darunter nur der Gründungsstaat zu verstehen sein. 75) Zu dieser „großzügigen Regelung“ Hommelhoff, AG 2001, 279, 281.

67

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

f)

Gemeinsamkeiten der primären Gründungsformen

2.42 Gemeinsam ist allen Gründungsverfahren das Erfordernis der Grenzüberschreitung.76) Ähnlich wie bei Art. 4 Abs. 2 EWIV-VO dient dieses Merkmal der Abgrenzung von den rein nationalen Gesellschaftsformen und trägt damit dem Subsidiaritätsgebot des Art. 5 EUV Rechnung (dazu auch Erwägungsgrund der SE-VO Nr. 30).77) In Fällen, in denen die Grenzüberschreitung wie bei der formwechselnden Umwandlung einer Aktiengesellschaft mit Tochtergesellschaft im EU-Ausland selbst geschaffen werden kann, muss die Grenzüberschreitung zudem seit mindestens zwei Jahren bestehen; damit werden – freilich nur sehr unvollkommen – wenig international ausgerichtete Gesellschaften am Zugang zur SE gehindert. Ein im deutschen Recht bislang nicht bekanntes Gründungsverfahren ist die Gründung einer Holding-SE: hier schaffen sich die Gesellschafter von mindestens zwei Gesellschaften durch einen Gründungsplan eine neue Muttergesellschaft für ihre alten Gesellschaften; anders als bei einer Verschmelzung bleiben die gründenden Gesellschaften jedoch als Tochtergesellschaften der neuen SE bestehen. In jedem Fall müssen dabei mehr als 50 % der Anteile in die Holding eingebracht werden (Art. 32 Abs. 2 Satz 4 SE-VO). 2.43 Bemerkenswert ist, dass die Gründung einer SE – anders als einer SCE – im Wege einer Übernahme der Aktien durch beliebige Gründer nicht möglich ist, auch wenn der gesetzliche Normalfall einer Gründung durch Zeichnung von Aktien auch in den nationalen Aktienrechten nicht der praktisch wichtigste Fall ist (oben Rz. 2.3). Insbesondere natürlichen Personen ist der Zugang zur SE als Gründer verwehrt.78) Der Zugang zur SE setzt damit schon eine zuvor vorhandene grenzüberschreitende Gesellschaftsstruktur – und nicht schon sonstige wirtschaftliche oder vertragsrechtliche Beziehungen – voraus.79) Die geforderte gesellschaftsrechtliche Struktur ist zudem bei den verschiedenen Gründungsformen unterschiedlich: denn GmbHs und ihre ausländischen Spiegelbilder können sich nur an der Gründung einer Holding-SE und an der einer TochterSE beteiligen; Verschmelzung und Formwechsel als Gründungsvarianten sind ihnen verschlossen.80) Das kann für eine nationale Gesellschaft zunächst eine zeit- und kostenintensive Umwandlung in eine der nach europäischem Recht zugelassenen Gründungsgesellschaftsformen erforderlich machen.81) Nicht zugelassen ist auch eine unmittelbare Ausgründung einer Tochter-SE aus einer ___________ 76) Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1850. 77) Ebenso Hommelhoff, AG 2001, 279, 281. 78) Kritisch Hommelhoff, AG 2001, 279, 280 (mit der Vermutung, die Beschränkung der Gründungsmöglichkeiten diene dazu, die SE größeren Gesellschaften vorzubehalten). 79) Kritisch zum Fehlen der „normalen“ Gründung Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078, 1081. 80) Kritisch Hommelhoff, AG 2001, 279, 280. 81) Dazu Hommelhoff, AG 2001, 279, 281.

68

I. Entstehung

nationalen Aktiengesellschaft, wenngleich man dieses Ziel auch dadurch erreichen kann, dass man zwei (zu diesem Zweck geschaffene) Tochtergesellschaften unterschiedlichen nationalen Rechts verschmilzt.82) g)

Gründung einer Tochter-SE durch eine SE

Zu den beschriebenen vier Formen einer „primären“ SE-Gründung83) tritt noch 2.44 die in Art. 3 Abs. 2 SE-VO genannte Möglichkeit einer SE, eine oder mehrere Tochter-SE zu gründen. Das wird (wohl) wie im Falle der Gründung einer (primären) Tochter-SE (Art. 2 Abs. 3 SE-VO) durch Zeichnung ihrer Aktien zu geschehen haben, also nicht durch Ausgliederung uno actu.84) Grenzüberschreitung – etwa in der Weise, dass sie in einem anderen Staat als die Mutter-SE errichtet werden müsste – ist hier nicht erforderlich. h)

Rechtshandlungen vor Eintragung

Für vor ihrer Eintragung im Namen der SE vorgenommene Rechtshandlungen 2.45 haften diejenigen, die die Rechtshandlungen vorgenommen haben,85) mangels anderweitiger Vereinbarung unbegrenzt und gesamtschuldnerisch; anders ist dies nur dann, wenn die SE die Verpflichtungen aus den genannten Rechtshandlungen übernimmt (Art. 16 Abs. 2 SE-VO).86) Die Entstehung einer Vorgesellschaft, wie sie für das nationale deutsche Kapitalgesellschaftsrecht angenommen wird, scheidet damit aus.87)

___________ 82) Dazu Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078, 1081 f. 83) So die Differenzierung von Hommelhoff, AG 2001, 279, 280. 84) Jannott, in: Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft (2005), 5. Kapitel, Rz. 24; anders die h. M.: Casper, AG 2007, 97, 104; Kossmann/Heinrich, ZIP 2007, 164, 168; Marsch-Barner, in: Festschrift für Happ (2006), S. 165, 170; MünchKommC. Schäfer, Art. 66 SE-VO Rz. 14; Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13, 17; Veil, in: Jannott/ Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft (2005), 10. Kapitel, Rz. 3, 62; missverständlich Hommelhoff, AG 2001, 279, 280, wenn er von „Ausgründung“ spricht. 85) Das können hier – anders als im deutschen Recht – auch die Gesellschafter sein; dazu überzeugend Kersting, DB 2001, 2079, 2082 ff. 86) Zur Übernahme der Verbindlichkeiten ausführlich Kersting, DB 2001, 2079, 2085. 87) Dazu, auch zu den möglichen nationalen Spielräumen und zur Teilrechtsfähigkeit jedenfalls für die Entgegennahme der Einlagen, Kersting, DB 2001, 2079, 2081 f.; andeutungsweise auch Pluskat, EuZW 2001, 524, 526 Fn. 30; unklar Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1857 f. Die Rechtsfigur der Vor-SE jedenfalls im Grundsatz befürwortend: Bayer, in: Lutter/ Hommelhoff, SE-Kommentar (2008), Art. 16 SE-VO Rz. 6 – 17; Jannott, in: Jannott/ Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft (2005), 3. Kapitel, Rz. 297 – 303; Maul, in: Van Hulle/Maul/Drinhausen, Handbuch zur Europäischen Gesellschaft (SE) (2007), 2. Abschnitt, Rz. 1; MünchKomm-C. Schäfer, Art. 16 SE-VO Rz. 4 – 7.

69

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

5.

Vorratsgründung und Mantelkauf

2.46 Um das – jedenfalls früher – langwierige Gründungs- und Prüfungsverfahren und die – ebenfalls bislang – strengen Vorschriften über die Kapitalaufbringung im Gründungsstadium zu vermeiden, wurden vor allem Gesellschaften mit beschränkter Haftung häufig „auf Vorrat“ gegründet, typischerwiese von Notaren oder Rechtsanwälten. Statt der Neugründung einer Kapitalgesellschaft werden dann alle Anteile der bereits bestehenden Gesellschaft gekauft und auf den Erwerber übertragen (dazu unten Rz. 4.52 ff.). 2.47 Für das Aktienrecht hat der BGH die Gründung einer Vorrats-Aktiengesellschaft für zulässig erklärt, sofern – und dies ist entscheidend – der Charakter als Vorratsgründung bei der Bezeichnung des Unternehmensgegenstandes offengelegt wird (etwa: „Verwaltung eigenen Vermögens“). Die Angabe eines unzutreffenden Unternehmensgegenstandes führt demgegenüber zur Unwirksamkeit der Gründung und begründet damit das Risiko unbeschränkter Haftung. Eine solche verdeckte Vorratsgründung liegt auch dann vor, wenn der angegebene Unternehmensgegenstand auf absehbare Zeit nicht verwirklicht werden soll.88) Auch für das GmbH-Recht hat der BGH inzwischen eine Vorratsgründung für möglich gehalten; mit Blick auf die darin liegende „wirtschaftliche Neugründung“ verlangt er aber eine entsprechende Anwendung der Gründungsvorschriften (einschließlich ihrer Überprüfung durch das Registergericht), was unter Umständen eine erneute Aufbringung des Stammkapitals erfordert.89) 2.47a Möglich ist auch, sämtliche Anteile einer bereits aktiv tätig gewesenen Gesellschaft zu kaufen, um sie dann durch Änderung des Unternehmensgegenstands an die Bedürfnisse des Erwerbers anzupassen (Mantelkauf); da eine solche Gesellschaft bereits aktiv tätig war, birgt dieses Vorgehen im Vergleich zur Vorratsgründung höhere Risiken. Von erheblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zunächst ein Urteil des BGH vom 7. Juli 2003. Danach sind auf die „wirtschaftliche Neugründung“ einer Gesellschaft, also die Verwendung des „alten“ Mantels einer jetzt inaktiven, aber früher bereits operativ tätig gewesenen Gesellschaft, die Vorschriften des Gründungsrechts zur Gewährleis___________ 88) BGHZ 117, 323 = ZIP 1992, 689 = NJW 1992, 1824 = EWiR § 20 FGG 1/92, 673 (Kraft); dazu Ebenroth/Müller, DNotZ 1994, 75; Kraft, DStR 1993, 101. 89) BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251 = DStR 2003, 298 (Goette); Vorinstanz OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 971, 973 f. = EWiR § 3 GmbHG 1/02, 875 (Keil); ebenso zuvor OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1999, 476 = GmbHR 1999, 32 = EWiR § 16 GmbHG 1/99, 359 (T. Keil); LG Duisburg EWiR § 3 GmbHG 1/98, 223 (Rawert); AG Duisburg NJW-RR 1998, 246; LG Dresden ZIP 2000, 1834, 1835 = EWiR § 3 GmbHG 1/2000, 839 (Hasselbach); LG Düsseldorf ZIP 2002, 2215; abw. zuvor OLG Frankfurt/M. DB 1991, 2328 = GmbHR 1992, 456 = Rpfleger 1992, 27; BayObLG NJW-RR 2000, 113 = DB 1999, 954 = BB 1999, 971 = NZG 1999, 666 = GmbHR 1999, 607 = DStR 1999, 1036 (Ammon) = EWiR § 3 GmbHG 1/99, 647 (J. Heublein); krit. aus rechtspolitischen Gründen auch Hirte, NJW 2003, 1154, 1155; ders., ZInsO 2000, 127, 131 f.

70

I. Entstehung

tung der Kapitalausstattung einschließlich der registergerichtlichen Kontrolle entsprechend anzuwenden. Zu diesem Zweck ist die Tatsache der Wiederverwendung eines „Mantels“ gegenüber dem Registergericht offenzulegen, was mit der an der satzungsmäßigen Kapitalziffer (also nicht bloß an der Mindestkapitalziffer für GmbHs) auszurichtenden Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG zu verbinden ist. Die reale Kapitalaufbringung ist gegebenenfalls dadurch sicherzustellen, dass die Gesellschafter eine Unterbilanzhaftung trifft, die auf den Stichtag der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht bezogen ist. Neben sie tritt entsprechend § 11 Abs. 2 GmbHG eine Handelndenhaftung für den Fall, dass vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung Geschäfte getätigt werden, ohne dass dem alle Gesellschafter zugestimmt haben.90) In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahre 2012 beschränkte der BGH aber umfangmäßig den Betrag der von den „Neugründern“ zu tragenden Verluste auf die Differenz, zwischen dem (statutarischen) Stammkapital und dem Wert des Gesellschaftsvermögens in dem Zeitpunkt, in dem die wirtschaftliche Neugründung durch Anmeldung der Satzungsänderung oder – wenn es daran fehlt – durch (Wieder-) Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit erstmals in Erscheinung getreten ist.91) Freilich stellt sich gegenüber dieser Rechtsprechung die grundsätzliche Frage, ob die im MoMiG zum Ausdruck gebrachte „neue Kapitalteleologie“ nicht bei den ausdrücklich gesetzlich angesprochenen Sachverhalten halt macht, sondern auch auf vergleichbare Sachverhalte – wie insbesondere den vorstehenden – zu übertragen ist92) (zur Anwendbarkeit auf den Fall der „Voreinzahlung auf künftige Einlagepflichten“ etwa unten Rz. 5.39 und 6.19). ___________ 90) BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698, 1699 ff. m. Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790 = NZG 2003, 972 = NJW 2003, 3198 = GmbHR 2003, 1125 (Peetz) = DZWIR 2004, 177 = EWiR § 7 GmbHG 3/03, 967 (Keil); ebenso OLG Düsseldorf ZIP 2003, 1501 = NZG 2004, 380 (n. rkr.; sowie als Vorinstanz hierzu LG Düsseldorf ZIP 2002, 2215); dazu Altmeppen, NZG 2003, 145; ders., DB 2003, 2050; Goette, DStR 2004, 461; Herchen, DB 2003, 2211; Jacobs, DZWIR 2004, 309; Krafka, ZGR 2003, 577; Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345; Schumacher, DStR 2003, 1884; Schütz, NZG 2004, 746; Thaeter, DB 2003, 2112; Wilhelmi, DZWIR 2004, 177. – Die Notwendigkeit der erneuten registerrechtlichen Prüfung der Kapitalausstattung verneinend, wenn eine bestehende, operativ tätige GmbH lediglich umorganisiert wird und es daher an einer „leeren Hülse“ fehlt, BGH ZIP 2010, 621; dazu Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857; LG Berlin ZIP 2003, 1398 f. 91) BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Tz. 14 ff. = NJW 2012, 1875 = NZG 2012, 539 = NZI 2012, 460 = DStR 2012, 974 = EWiR § 7 GmbHG 1/12, 347 (Bayer); hinsichtlich dieses letzteren Punktes Klarstellung zu BGH ZIP 2008, 217 Tz. 4 = NJW-RR 2008, 483 = NZG 2008, 147 = NZI 2008, 199 = DStR 2008, 933 = EWiR § 9 GmbHG a. F. 1/08, 535 (Ostermaier) und BGH DStR 2008, 933 Tz. 4; dazu Herresthal/Servatius, ZIP 2012, 197; Jeep, NZG 2012, 1209; Lieder, DStR 2012, 137; Ulmer, ZIP 2012, 1265. 92) So jüngst KG NZG 2010, 387; Habersack, AG 2010, 845, 849 f.; Hirte, NJW 2013, 1204, 1206; Schall, NZG 2011, 656 ff. (zur Rechtsfigur der „wirtschaftlichen Neugründung“); enger, aber andeutend OLG München NZG 2010, 544; allgemein bereits Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz (2009), S. 103 ff., 150 ff.; ders., ZGR 2009, 126, 128 ff.

71

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

II.

Umfang der Gestaltungsfreiheit

1.

Aktienrecht

2.48 Ganz erhebliche Unterschiede weisen Aktiengesellschaft und GmbH bezüglich des Umfangs der Gestaltungsfreiheit auf. Denn nach § 23 Abs. 5 AktG „kann [die Satzung] von den Vorschriften dieses Gesetzes [scil.: des Aktiengesetzes] nur abweichen, wenn es ausdrücklich zugelassen ist. Ergänzende Bestimmungen der Satzung sind zulässig, es sei denn, dass dieses Gesetz [scil.: das Aktiengesetz] eine abschließende Regelung enthält.“ Eine vergleichbare Norm kennt das GmbH-Gesetz nicht. 2.49 § 23 Abs. 5 AktG zeigt dabei „die im Grundsatz bereits vom AktG 37 vollzogene Entwicklung der Aktiengesellschaft von der weitgehend durch Satzungsautonomie gestaltbaren juristischen Persönlichkeit, wie es heute noch [unter anderem] GmbH [und] Verein sind, zur zwangsgeregelten Rechtsperson, deren Satzung die gesetzlichen Vorschriften nur mehr konkretisiert und höchstens ergänzt. [... Sie] bedeute[.] dementsprechend die Absage an das Prinzip der Vertragsfreiheit.“93) Damit gehe die „Vorschrift [.] letzten Endes auf die Verkehrsfähigkeit der Aktie zurück. Jeder (auch jeder künftige) Aktionär soll sich darauf verlassen können, daß die Satzung der Gesellschaft keine ungewöhnlichen Bestimmungen enthält.“94) Der Zweck der Vorschrift liegt damit im Gegensatz zum sonst verbandsbezogenen Gesellschaftsrecht im Kapitalmarktrecht oder Anlegerschutz.95) Damit will er neben dem Sozialschutz des Aktionärs die Handelbarkeit der Ware Aktie durch Standardisierung der gehandelten Gesellschaft und ihrer Organisationsstruktur verbessern.96) 2.50 Für den Umfang der Gestaltungsfreiheit bei der Europäischen Aktiengesellschaft ergibt sich wie auch bei den Rechtsquellen eine zweigeteilte Regelung. Soweit das europäische Recht Satzungsregelungen „ausdrücklich zulässt“ (Art. 9 ___________ 93) Barz, in: Großkommentar zum Aktiengesetz (3. Aufl. 1973 ff.), § 23 AktG Anm. 18; Eckardt, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 23 AktG Rz. 115; i. E. zust. Arnold, KK, § 23 AktG Rz. 129 ff. (unter Hinweis auf kritische Stimmen); MünchKomm-Pentz, § 23 AktG Rz. 150; Timm, DB 1980, 1201, 1204; ausführlich Geßler, in: Festschrift für Martin Luther (1976), S. 69, 73 f. 94) Eckardt, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 23 AktG Rz. 106 (und 109); Hüffer/ Koch, § 23 AktG Rz. 34; Kübler/Assmann, GesR, § 14 III 1 b, S. 177; MünchKomm-Pentz, § 23 AktG Rz. 150. 95) Dazu vor allem Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt (1995), S. 78 ff.; zuvor etwa Assmann, in: GroßK, Einl. AktG Rz. 352 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 472 ff.; teilweise kritisch Hirte, in: Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht. 11. ZGRSymposion „25 Jahre ZGR“, ZGR-Sonderheft 13 (1998), S. 61, 71 ff.; noch kritischer Spindler, AG 1998, 53 ff. 96) Assmann, ZBB 1989, 49, 59 ff., 62; ders., in: GroßK, Einl. AktG Rz. 364 ff., 436; Mertens, ZGR 1994, 426, 428; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt (1995), S. 5, 111 (zur angeblichen Absicherung dieses Standards durch die Sachkontrolle S. 222).

72

III. Inhalt der Satzung

Abs. 1 b SE-VO; dazu bereits oben Rz. 1.53), ist deren Zulässigkeit an der Verordnung zu messen. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit zu bestimmen, wird insoweit Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs sein. Soweit die Verordnung i. S. v. Art. 9 SE-VO keine Regelung enthält und deshalb nationales Recht – sei es spezielles SE-Recht oder allgemeines Aktienrecht – zur Anwendung gelangt, bestimmt dies auch über den Umfang der Gestaltungsfreiheit.97) Europäische Gerichte können insoweit nur festlegen, ob die Verordnung eine Lücke gelassen hat. Für in Deutschland ansässige SE wird damit auch § 23 Abs. 5 AktG zum Zuge kommen.98) 2.

GmbH-Recht

Eine § 23 Abs. 5 AktG vergleichbare Norm kennt das GmbH-Recht – wie ge- 2.51 sagt – nicht. Gleichwohl gibt es auch hier zahlreiche, wenngleich deutlich weniger zwingende Normen. Insbesondere das Verhältnis der Gesellschafter zueinander ist indes deutlich stärker vom Grundsatz der Vertragsfreiheit beherrscht, als dies im Aktienrecht der Fall ist. Allerdings gibt es auch inso-weit bemerkenswerte Ausnahmen wie etwa das Informationsrecht des § 51a GmbHG. Deshalb liegt im GmbH-Recht – umgekehrt – der Schwerpunkt der Diskussion 2.52 auf der Frage, inwieweit Satzungsgestaltungen der Inhaltskontrolle zu unterwerfen sind. Wegen § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB (= § 23 Abs. 1 AGBG a. F.) kommt allerdings insoweit nur ein Rückgriff auf die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB in Betracht. Davon wird ohne Weiteres Gebrauch gemacht, wenn gesellschaftsvertragliche Regelungen Dritte – etwa Gläubiger – benachteiligen. Wichtiger aber sind die Fälle, in denen Satzungsregelungen die Rechte von Gesellschaftern über Gebühr verkürzen. Im Mittelpunkt standen dabei Regelungen zur Verkürzung des Austritts- und zur Erweiterung des Ausschlussrechts sowie zur Einschränkung des Abfindungsguthabens in beiden Fällen (dazu unten Rz. 4.84 ff. und 4.94 ff.). III.

Inhalt der Satzung

1.

Mindestinhalt und nichtkorporative Bestandteile

Muster einer GmbH-Satzung, einer GmbH-Gesellschafterliste und einer AG- 2.53 Satzung finden Sie nachstehend.99)

___________ 97) Zur Satzungsgestaltung in der SE Seibt, in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 67 ff. 98) Kritisch hierzu Hommelhoff, AG 2001, 279, 287. 99) Für die Bereitstellung dieser Muster danke ich Herrn Rechtsanwalt Dr. Jörg Mimberg, SERNETZ SCHÄFER Rechtsanwälte PartmbB, Düsseldorf, München.

73

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

Gesellschaftsvertrag §1 Firma und Sitz der Gesellschaft (1)

Die Firma der Gesellschaft lautet: … [Firma] GmbH.

(2)

Die Gesellschaft hat ihren Sitz in … [Ort]. §2 Gegenstand des Unternehmens

(1)

Gegenstand des Unternehmens ist [beispielsweise: die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von …; ggf. sonstige Unternehmungen].

(2)

Die Gesellschaft kann alle Maßnahmen ergreifen und Geschäfte betreiben, die dem Gesellschaftszweck unmittelbar oder mittelbar zu dienen geeignet sind oder zu seiner Erreichung nützlich erscheinen, insbesondere kann sie a) Zweigniederlassungen errichten, b) Grundstücke erwerben oder veräußern, c) gleichartige oder ähnliche Unternehmen erwerben oder sich an solchen beteiligen oder mit solchen Unternehmensverträge abschließen, d) … [ggf. weitere Maßnahmen]. §3 Stammkapital

(1)

Das Stammkapital beträgt EUR 25.000,00 (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro).

(2)

Das Stammkapital ist eingeteilt in 84 Geschäftsanteile mit den laufenden Nummern 1 bis 84 und den nachfolgend genannten Nennbeträgen. Auf das Stammkapital übernehmen a) … [Name] einen Geschäftsanteil im Nennbetrag von EUR 100,00 (in Worten: einhundert Euro) mit der laufenden Nummer 1, b) … [Name] einen Geschäftsanteil im Nennbetrag von EUR 2.400,00 (in Worten: zweitausendvierhundert Euro) mit der laufenden Nummer 2 und einen weiteren Geschäftsanteil im Nennbetrag von EUR 2.500,00 (in Worten: zweitausendfünfhundert Euro) mit der laufenden Nummer 3, c) … [Name] achtzig Geschäftsanteile im Nennbetrag von je EUR 100,00 (in Worten: einhundert Euro) mit den laufenden Nummern 4 bis 83, d) … [Name] einen Geschäftsanteil im Nennbetrag von EUR 12.000,00 (in Worten: zwölftausend Euro) mit der laufenden Nummer 84.

(3)

74

Die Geschäftsanteile nach Absatz 2 werden bar in Geld erbracht. Sie sind insgesamt sofort einzuzahlen.

III. Inhalt der Satzung

(4)

Die Geschäftsführung ist ermächtigt, das Stammkapital der Gesellschaft bis zum Ablauf von fünf Jahren ab dem Tag der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister einmalig oder mehrmalig um bis zu insgesamt EUR … [Betrag] gegen Bareinlagen durch Ausgabe von neuen Geschäftsanteilen zu erhöhen (genehmigtes Kapital). Die Höhe der Nennbeträge bestimmt die Geschäftsführung; sie hat dabei zu berücksichtigen, dass die neuen Geschäftsanteile zunächst den vorhandenen Gesellschaftern verhältniswahrend anzubieten sind. Dies gilt nicht für unvermeidbare Spitzenbeträge. Nimmt ein Gesellschafter das Angebot nicht an, sind die Geschäftsanteile insoweit den übrigen Gesellschaftern ebenfalls verhältniswahrend anzubieten. Diese Vorgehensweise ist gegebenenfalls so lange zu wiederholen, bis entweder alle neuen Geschäftsanteile von vorhandenen Gesellschaftern übernommen sind oder alle vorhandenen Gesellschafter das Angebot ablehnen. Lehnen die vorhandenen Gesellschafter eine Übernahme weiterer neuer Geschäftsanteile ab, können diese von Dritten übernommen werden, ohne dass es der Zustimmung der übrigen Gesellschafter bedarf. §4 Geschäftsführung und Vertretung

(1) (2)

Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer, die durch Gesellschafterbeschluss bestellt und abberufen werden. Die Gesellschaft wird vertreten, a) wenn nur ein Geschäftsführer vorhanden ist oder die Gesellschafter einen Geschäftsführer zur Einzelvertretung ermächtigt haben, durch diesen allein; b) wenn mehrere Geschäftsführer vorhanden sind, durch zwei Geschäftsführer gemeinschaftlich oder durch einen Geschäftsführer gemeinsam mit einem Prokuristen.

(3)

Die Gesellschafterversammlung kann, auch wenn mehrere Geschäftsführer bestellt sind, einem, mehreren oder allen Geschäftsführern die Befugnis zur Alleinvertretung erteilen. Sie kann ferner sämtliche oder einzelne Geschäftsführer von den Beschränkungen des § 181 BGB befreien. In beiden Fällen bedarf es dazu eines Gesellschafterbeschlusses, der mit einer Mehrheit von drei Vierteln (75 %) der abgegebenen Stimmen gefasst wird.

(4)

Der vorherigen Zustimmung der Gesellschafter durch Gesellschafterbeschluss bedürfen: a) der Erwerb, die Veräußerung oder die Belastung von Grundstücken, grundstücksgleichen Rechten oder Gebäuden; b) die Übernahme von Bürgschaften und Garantien, soweit diese im Einzelfall EUR … [Betrag] oder insgesamt EUR … [Betrag] übersteigen; c) die Erteilung sowie der Widerruf von Prokuren; d) … [ggf. weitere Einschränkungen] Der Beschluss über die Zustimmung gemäß lit. a) bedarf einer Mehrheit von drei Vierteln (75 %) sämtlicher auf das Stammkapital entfallender Stimmen.

75

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

§5 Gesellschafterversammlungen und -beschlüsse (1)

Gesellschaftsversammlungen werden durch die Geschäftsführer einberufen. Jeder Geschäftsführer ist allein einberufungsberechtigt. Die Gesellschaftsversammlungen finden am Sitz der Gesellschaft statt.

(2)

Die ordentliche Gesellschafterversammlung, die über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung beschließt, ist so rechtzeitig einzuberufen, dass sie innerhalb der ersten sechs Monate nach Abschluss des vorangegangenen Geschäftsjahres stattfindet. Im Übrigen ist eine außerordentliche Gesellschafterversammlung einzuberufen, wenn Gesellschafter, deren Geschäftsanteile zusammen mindestens dem zehnten Teil des Stammkapitals entsprechen, dies verlangen oder wenn das dringende Interesse der Gesellschaft dies erfordert.

(3)

Die Einberufung erfolgt durch eingeschriebenen Brief an jeden Gesellschafter mit einer Frist von mindestens vier Wochen bei ordentlichen und mindestens zwei Wochen bei außerordentlichen Gesellschafterversammlungen. In dem Brief sind Tag, Zeit, Ort und Tagesordnung der Gesellschafterversammlung anzugeben. In eilbedürftigen Fällen kann die Einberufung mit angemessen kürzerer Frist erfolgen. Der Lauf der Frist beginnt mit dem der Aufgabe zur Post folgenden Tag. Der Tag der Versammlung wird bei der Berechnung der Frist nicht mitgezählt.

(4)

Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn alle Gesellschafter rechtzeitig geladen und mehr als drei Viertel (75 %) des stimmberechtigten Kapitals anwesend oder vertreten sind; soweit über eine Be- oder Abberufung eines Geschäftsführers zu beschließen ist, der Geschäftsanteile an der Gesellschaft hält, sind diese bei der Berechnung des stimmberechtigten Kapitals nicht zu berücksichtigen. Jeder Gesellschafter kann sich durch einen anderen Gesellschafter, durch einen Verwandten gerader Linie oder durch einen Angehörigen der rechtsoder steuerberatenden oder wirtschaftsprüfenden Berufe, der der gesetzlichen Verpflichtung zur Berufsverschwiegenheit unterliegt, vertreten lassen. Der Vertreter bedarf einer in Textform erteilten Vollmacht. Ist die Versammlung nicht beschlussfähig, so ist eine zweite Versammlung, die mit derselben Tagesordnung und einer Ladungsfrist von zwei Wochen einzuberufen ist, in jedem Fall beschlussfähig. Hierauf ist in der Einladung besonders hinzuweisen. Absatz 3 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden.

(5)

Den Vorsitz in der Gesellschafterversammlung führt der dienstälteste Geschäftsführer. Ist ein Geschäftsführer in der Versammlung nicht anwesend, so wird der Vorsitzende von der Gesellschafterversammlung unter Leitung des ältesten, persönlich anwesenden Gesellschafters gewählt.

(6)

Wird über die Verhandlungen der Gesellschafterversammlung keine notarielle Niederschrift aufgenommen, ist über den Verlauf der Gesellschafterversammlung eine Niederschrift anzufertigen, in der Ort und Tag der Sitzung, die Teilnehmer, die Gegenstände der Tagesordnung, der wesentliche Inhalt der Verhandlungen und die Beschlüsse der Gesellschafter anzugeben sind. Die Niederschrift ist vom Vorsitzenden zu unterzeichnen. Eine Abschrift ist den Gesellschaftern unverzüglich zu übersenden.

76

III. Inhalt der Satzung

(7)

Gesellschafterbeschlüsse können auch außerhalb einer förmlichen Gesellschafterversammlung schriftlich, fernschriftlich, telegrafisch, per E-Mail, mündlich oder fernmündlich gefasst werden, wenn sich jeder Gesellschafter an der Abstimmung beteiligt und zwingende gesetzliche Regeln dem nicht entgegenstehen. In solchen Fällen sind das Ergebnis der Abstimmung und der Wortlaut des gefassten Beschlusses von der Geschäftsführung sämtlichen Gesellschaftern unverzüglich durch eingeschriebenen Brief schriftlich mitzuteilen.

(8)

Soweit nicht der Gesellschaftsvertrag oder eine zwingende Vorschrift des Gesetzes etwas anderes bestimmen, werden Beschlüsse, zu denen die Gesellschafter oder ein Teil von ihnen nach dem Gesetz oder dem Gesellschaftsvertrag berufen sind, mit einfacher Mehrheit der bei der Beschlussfassung abgegebenen Stimmen gefasst. Dabei gelten Stimmenthaltungen als nicht abgegebene Stimmen. In allen Fällen gewähren je EUR 1,00 (in Worten: ein Euro) eines Geschäftsanteiles eine Stimme. Bei der Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts, die Befreiung von einer Verbindlichkeit oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites gegenüber einem Gesellschafter oder die Bestellung, den Widerruf der Bestellung oder die Entlastung eines Geschäftsführers betrifft, hat der betroffene Gesellschafter kein Stimmrecht; er darf das Stimmrecht auch nicht für andere ausüben. Die Bestellung oder der Widerruf einer Bestellung eines Geschäftsführers bedürfen einer Mehrheit von mehr als drei Vierteln (75 %) der abgegebenen Stimmen.

(9)

Beschlüsse der Gesellschafter können wegen Verletzung des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrages nur innerhalb eines Monats – seit dem Tag der Beschlussfassung – durch Klageerhebung angefochten werden. Bei Beschlussfassungen gemäß Absatz 7 läuft die Frist von dem Erhalt des Briefes der Geschäftsführung an. §6 Geschäftsjahr, Jahresabschluss

(1)

Das Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr.

(2)

Jahresabschluss (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung mit Anhang) sowie Lagebericht sind von den Geschäftsführern innerhalb der gesetzlichen Frist unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen nach den Grundsätzen eines vorsichtigen Kaufmannes aufzustellen. §7 Verfügung über einen Geschäftsanteil

Die Verfügung über einen Geschäftsanteil ist nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung der Gesellschaft zulässig. Die Zustimmung darf nur aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses erteilt werden, der mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln (75 %) sämtlicher auf das Stammkapital entfallender Stimmen gefasst wurde.

77

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

§8 Einziehung von Geschäftsanteilen (1)

Die Einziehung von Geschäftsanteilen ist zulässig. Die Gesellschafterversammlung kann die Einziehung von Geschäftsanteilen eines Gesellschafters ohne dessen Zustimmung beschließen, wenn a) über das Vermögen des Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung des Verfahrens mangels Masse abgelehnt wird; b) der Gesellschafter die Richtigkeit seines Vermögensverzeichnisses an Eides statt zu versichern hat; c) durch einen Gläubiger des Gesellschafters die Zwangsvollstreckung in den Geschäftsanteil betrieben wird und die Vollstreckungsmaßnahme nicht innerhalb von zwei Monaten, spätestens bis zur Verwertung des Geschäftsanteils, aufgehoben wird; d) in seiner Person ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger Grund liegt regelmäßig dann vor, wenn der Gesellschaft ein weiteres Verbleiben des Gesellschafters in der Gesellschaft nicht zumutbar ist, insbesondere wenn der Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt.

(2)

Die Einziehung erfolgt durch Erklärung der Geschäftsführung aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung. Der Gesellschafter, gegen den sich der Beschluss richtet, ist vom Stimmrecht ausgeschlossen. Die Einziehung wird unabhängig von der Zahlung des Einziehungsentgelts mit dem Zugang der Erklärung bei dem Gesellschafter wirksam. Im Rahmen des Einziehungsbeschlusses hat die Gesellschafterversammlung die Summe der Nennbeträge aller verbleibenden Geschäftsanteile an den Betrag des Stammkapitals anzupassen; zu diesem Zweck können neue Geschäftsanteile gebildet, die verbleibenden Geschäftsanteile aufgestockt oder eine Kapitalherabsetzung beschlossen werden. Neu gebildete Geschäftsanteile sind der Gesellschaft als eigene Geschäftsanteile oder den verbleibenden Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligung zuzuweisen.

(3)

In allen Fällen kann anstelle der Einziehung beschlossen werden, dass der Gesellschafter seinen Geschäftsanteil oder Teile davon an die Gesellschaft oder einen oder mehrere von ihr zu bezeichnende und zur Übernahme bereite Gesellschafter abzutreten hat. In diesem Fall ist das Einziehungsentgelt von dem oder den Erwerbern zu leisten. §9 Einziehungsentgelt

(1)

78

In allen Fällen der Einziehung eines Geschäftsanteiles steht dem betroffenen Gesellschafter ein Entgelt zu. Das Entgelt entspricht dem Wert des auf den Geschäftsanteil anteilig entfallenden Gesellschaftsvermögens, der sich aus der Auseinandersetzungsbilanz ergibt, die auf den Tag des Ausscheidens aufzustellen ist (Einziehungsentgelt). In dieser Bilanz sind die Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens mit ihrem Zeitwert anzusetzen, jedoch hat ein innerer Wert, insbesondere der Firmenwert der Gesellschaft, unberücksichtigt zu bleiben.

III. Inhalt der Satzung

(2)

Das Entgelt ist vom Tag des Ausscheidens an in seiner jeweiligen Höhe mit zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB, mindestens aber mit drei Prozent jährlich zu verzinsen. Die Zahlung des Zinses erfolgt mit den Entgeltraten.

(3)

Das Entgelt ist in drei gleichen Jahresraten auszuzahlen, von denen die erste zwei Monate nach dem Stichtag fällig wird. Steht bis zur ersten Fälligkeit die genaue Höhe des Entgelts noch nicht fest, so ist ein Betrag in geschätzter Höhe zu vergüten und bei Zahlung der nächsten Rate eine Mehr- oder Minderzahlung auszugleichen. Falls, soweit und solange Zahlungen gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßen würden, gelten Zahlungen auf den Hauptbetrag als zum vereinbarten Satz verzinslich gestundet, Zinszahlungen gelten als unverzinslich gestundet.

(4)

Das Entgelt kann von der Gesellschaft jederzeit ganz oder teilweise ausgezahlt werden. Vorzeitig ausgezahlte Teilbeträge werden auf die nächste fällig werdende Rate angerechnet. § 10 Dauer der Gesellschaft

Die Dauer der Gesellschaft ist unbestimmt. § 11 Bekanntmachungen der Gesellschaft Die Bekanntmachungen der Gesellschaft erfolgen nur im Bundesanzeiger. § 12 Salvatorische Klausel (1)

Sollten Bestimmungen dieses Gesellschaftsvertrages oder eine zukünftige Bestimmung des Vertrages ganz oder teilweise nicht rechtswirksam sein oder ihre Rechtswirksamkeit später verlieren, so wird hierdurch die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen des Vertrages nicht berührt. Das Gleiche gilt, soweit sich in dem Vertrag eine Lücke herausstellen sollte. Anstelle der unwirksamen Bestimmung oder zur Ausfüllung der Lücke werden die Gesellschafter eine angemessene Regelung vereinbaren, die, soweit rechtlich möglich, dem am nächsten kommt, was die Gesellschafter gewollt haben oder nach dem Sinn und Zweck des Vertrages gewollt haben würden, sofern sie bei der Aufstellung des Vertrages den Punkt bedacht hätten.

(2)

Die Gesellschafter sind verpflichtet, dasjenige, was nach Absatz (1) gilt, durch eine förmliche Änderung des Wortlauts des Gesellschaftsvertrages festzuhalten. § 13 Gründungsaufwand

Die mit ihrer Gründung verbundenen Kosten von ca. EUR ... [Betrag] (in Worten: … [Betrag] Euro) trägt die Gesellschaft.

79

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

Gesellschafterliste der … [Firma] GmbH Gesellschafter

Nummern der Geschäftsanteile

Nennbetrag in EUR je Geschäftsanteil

[Name, Vorname, Geburtsdatum, Wohnort]

1

100,00

[Name, Vorname, Geburtsdatum, Wohnort]

2 3

2.400,00 2.500,00

[Name, Vorname, Geburtsdatum, Wohnort]

4 – 83

100,00

[Name, Vorname, Geburtsdatum, Wohnort]

84

12.000,00

SATZUNG der ... [Firma] Aktiengesellschaft I. Allgemeine Bestimmungen §1 Firma, Sitz, Geschäftsjahr und Dauer der Gesellschaft (1)

Die Firma der Gesellschaft lautet: „... [Firma] Aktiengesellschaft“.

(2)

Die Gesellschaft hat ihren Sitz in ... [Ort].

(3)

Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr.

(4)

Die Gesellschaft ist auf unbestimmte Zeit errichtet. §2 Gegenstand des Unternehmens

(1)

Gegenstand des Unternehmens sind die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb von … [Produkte; ggf. sonstige Unternehmungen].

(2)

Die Gesellschaft ist zu allen Geschäften berechtigt, die unmittelbar oder mittelbar dem Gegenstand des Unternehmens zu dienen geeignet sind. Sie ist insbesondere berechtigt, Zweigniederlassungen zu errichten, sich an anderen Unternehmen gleicher oder ähnlicher Art zu beteiligen sowie solche Unternehmen zu erwerben oder zu gründen. Die Gesellschaft ist ferner ermächtigt, Unternehmensverträge i. S. d. §§ 291 f. AktG zu schließen.

80

III. Inhalt der Satzung

§3 Bekanntmachungen Die Bekanntmachungen der Gesellschaft erfolgen im Bundesanzeiger. II. Grundkapital und Aktien §4 Höhe und Einteilung des Grundkapitals (1)

Das Grundkapital der Gesellschaft beträgt Euro ... [Betrag] (in Worten: ... [Betrag] Euro). Es ist eingeteilt in ... [Anzahl] Stückaktien.

(2)

Die Aktien der Gesellschaft lauten auf den Namen.

(3)

Bei einer Kapitalerhöhung kann die Gewinnbeteiligung der neuen Aktien abweichend von § 60 Abs. 2 AktG geregelt werden. §5 Aktienurkunden

Die Bestimmungen über die Ausgabe und die Form der Aktienurkunden trifft der Vorstand. Sämtliche Aktien können in einer oder mehreren Sammelurkunden verbrieft werden. Der Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung seines Anteils ist ausgeschlossen. III. Der Vorstand §6 Zusammensetzung und Geschäftsordnung (1)

Der Vorstand besteht aus einer oder mehreren Personen. Die Bestimmung der Zahl der Vorstandsmitglieder obliegt dem Aufsichtsrat. Die Bestellung von stellvertretenden Vorstandsmitgliedern ist zulässig. Stellvertretende Vorstandsmitglieder stehen den ordentlichen Mitgliedern des Vorstandes hinsichtlich der Vertretung der Gesellschaft nach außen gleich.

(2)

Der Aufsichtsrat bestellt die Vorstandsmitglieder; er kann ein Mitglied des Vorstandes zum Vorstandsvorsitzenden und weitere Vorstandsmitglieder zu stellvertretenden Vorsitzenden ernennen.

(3)

Sofern eine Geschäftsordnung nicht durch den Aufsichtsrat erlassen wird, gibt sich der Vorstand durch einstimmigen Beschluss seiner Mitglieder eine Geschäftsordnung. §7 Vertretung der Gesellschaft

(1)

Die Gesellschaft wird durch ein Vorstandsmitglied gesetzlich vertreten, sofern ihm der Aufsichtsrat die Befugnis zur Einzelvertretung erteilt hat oder der Vorstand nur aus einer Person besteht. Im Übrigen wird die Gesellschaft durch zwei Vorstandsmitglieder oder durch ein Vorstandsmitglied in Gemeinschaft mit einem Prokuristen gesetzlich vertreten. Hat die Gesellschaft keinen Vorstand, gelten die gesetzlichen Bestimmungen.

81

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

(2)

Der Aufsichtsrat kann einzelnen Mitgliedern des Vorstands die Befugnis zur Einzelvertretung erteilen.

(3)

Der Aufsichtsrat hat durch Beschluss oder in der Geschäftsordnung für den Vorstand anzuordnen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. IV. Aufsichtsrat §8 Zusammensetzung des Aufsichtsrates

(1)

Der Aufsichtsrat besteht aus sechs Mitgliedern.

(2)

Die Aufsichtsratsmitglieder werden jeweils für die Zeit bis zur Beendigung der Hauptversammlung gewählt, die über ihre Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn ihrer Amtszeit beschließt. Das Geschäftsjahr, in dem die Amtszeit beginnt, wird nicht mitgerechnet. Die Hauptversammlung kann eine kürzere Amtszeit bestimmen. Eine Wiederwahl ist möglich.

(3)

Wird ein Aufsichtsratsmitglied anstelle eines vor Ablauf der Amtszeit ausscheidenden Mitglieds gewählt, so besteht sein Amt für dessen restliche Amtsdauer.

(4)

Jedes Aufsichtsratsmitglied kann sein Amt durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Vorstand mit einer Frist von einem Monat niederlegen. Das Recht zur Amtsniederlegung aus wichtigem Grund bleibt unberührt. §9 Vorsitzender und Stellvertreter

(1)

Im Anschluss an die Hauptversammlung, in der die Aufsichtsratsmitglieder neu gewählt worden sind, findet eine Aufsichtsratssitzung statt, die keiner besonderen Einberufung bedarf, in der der Aufsichtsrat aus seiner Mitte und unter dem Vorsitz des ältesten von der Hauptversammlung gewählten Mitglieds den Vorsitzenden und einen Stellvertreter wählt. Die Wahl erfolgt für die Amtsdauer der Gewählten. Der Stellvertreter hat die Rechte und Pflichten des Vorsitzenden, wenn dieser verhindert ist.

(2)

Scheiden der Vorsitzende oder sein Stellvertreter vorzeitig aus dem Amt aus, findet unverzüglich eine Neuwahl für die restliche Amtszeit des Ausgeschiedenen statt. § 10 Einberufung

(1)

82

Die Sitzungen des Aufsichtsrates beruft der Vorsitzende schriftlich mit einer Frist von mindestens vierzehn Tagen ein. Bei der Berechnung dieser Frist werden der Tag der Absendung der Einberufung und der Tag der Sitzung nicht mitgerechnet. In eilbedürftigen Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen und mündlich, fernmündlich, telegrafisch, durch Telefax oder durch E-Mail einberufen.

III. Inhalt der Satzung

(2)

Mit der Einberufung sind die Gegenstände der Tagesordnung mitzuteilen. Ist ein Gegenstand der Tagesordnung nicht ordnungsgemäß angekündigt worden, darf hierüber nur beschlossen werden, wenn kein Aufsichtsratsmitglied widerspricht. Abwesenden Aufsichtsratsmitgliedern ist in einem solchen Fall Gelegenheit zu geben, binnen einer vom Vorsitzenden zu bestimmenden angemessenen Frist der Beschlussfassung zu widersprechen oder ihre Stimme schriftlich abzugeben. Der Beschluss wird in diesem Fall erst wirksam, wenn die abwesenden Aufsichtsratsmitglieder innerhalb der Frist nicht widersprochen oder wenn sie zugestimmt haben. § 11 Beschlussfassung

(1)

Die Beschlüsse des Aufsichtsrates werden in der Regel in Sitzungen gefasst. Außerhalb von Sitzungen können auf Anordnung des Vorsitzenden Beschlüsse des Aufsichtsrates schriftlich, telegrafisch, fernmündlich, per E-Mail oder in einer Videokonferenz gefasst werden, wenn kein Mitglied diesem Verfahren innerhalb einer vom Vorsitzenden zu bestimmenden angemessenen Frist widerspricht. Solche Beschlüsse werden vom Vorsitzenden schriftlich festgestellt und allen Mitgliedern unverzüglich übersandt.

(2)

Den Vorsitz in den Sitzungen des Aufsichtsrates führt der Vorsitzende. Er bestimmt die Reihenfolge, in der die Gegenstände der Tagesordnung verhandelt werden, sowie die Art und Reihenfolge der Abstimmungen.

(3)

Der Aufsichtsrat ist beschlussfähig, wenn mindestens vier Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen. Ein Mitglied nimmt auch an der Beschlussfassung teil, wenn es sich in der Abstimmung der Stimmabgabe enthält.

(4)

Abwesende Aufsichtsratsmitglieder können an Abstimmungen des Aufsichtsrates dadurch teilnehmen, dass sie durch andere Aufsichtsratsmitglieder schriftliche Stimmabgaben überreichen lassen.

(5)

Beschlüsse werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst, soweit das Gesetz oder die Satzung nichts anderes zwingend bestimmen. Dies gilt auch für Wahlen. Dabei gilt eine Stimmenthaltung nicht als Stimmabgabe. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden oder, falls der Vorsitzende an der Beschlussfassung nicht teilnimmt, seines Stellvertreters den Ausschlag.

(6)

Über die Sitzungen und Beschlüsse des Aufsichtsrates sind Niederschriften anzufertigen, vom Vorsitzenden zu unterzeichnen und allen Aufsichtsrats-mitgliedern unverzüglich in Abschrift zuzuleiten.

(7)

Der Vorsitzende ist ermächtigt, die zur Durchführung der Beschlüsse des Aufsichtsrates erforderlichen Willenserklärungen im Namen des Aufsichtsrats abzugeben. § 12 Geschäftsordnung; Änderung der Satzungsfassung

(1)

Der Aufsichtsrat gibt sich im Rahmen der zwingenden gesetzlichen Vorschriften und der Bestimmungen dieser Satzung eine Geschäftsordnung.

(2)

Der Aufsichtsrat ist zu Satzungsänderungen befugt, die nur die Fassung betreffen.

83

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

§ 13 Vergütung (1)

Die Aufsichtsratsmitglieder erhalten nach Abschluss eines Geschäftsjahres eine angemessene Vergütung, die durch Beschluss der Hauptversammlung festgestellt wird.

(2)

Die Gesellschaft erstattet jedem Aufsichtsratsmitglied seine baren Auslagen. Darüber hinaus werden Umsatzsteuern erstattet, soweit das Aufsichtsratsmitglied berechtigt ist, Umsatzsteuer gesondert in Rechnung zu stellen, und es dieses Recht ausübt. V. Hauptversammlung § 14 Ort und Einberufung

(1)

Die Hauptversammlung findet am Sitz der Gesellschaft oder in einer deutschen Stadt mit mehr als 10.000 Einwohnern statt.

(2)

Die Hauptversammlung, die über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, die Gewinnverwendung, die Wahl des Abschlussprüfers und – soweit erforderlich – über die Feststellung des Jahresabschlusses beschließt (ordentliche Hauptversammlung), wird innerhalb der ersten acht Monate eines jeden Geschäftsjahres abgehalten. Außerordentliche Hauptversammlungen können so oft einberufen werden, wie es im dem Interesse der Gesellschaft erforderlich erscheint.

(3)

Die Einberufung der Hauptversammlung hat mindestens dreißig Tage vor dem Tage der Versammlung zu erfolgen, soweit nicht das Gesetz eine kürzere Frist zulässt. Der Tag der Einberufung ist nicht mitzurechnen. § 15 Vorsitz

(1)

Den Vorsitz in der Hauptversammlung führt der Vorsitzende des Aufsichtsrates, im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter und, falls auch dieser verhindert ist, ein anderes durch den Aufsichtsrat zu bestimmendes Aufsichtsratsmitglied. Übernimmt kein Aufsichtsratsmitglied den Vorsitz, wird der Versammlungsleiter durch die Hauptversammlung gewählt.

(2)

Der Vorsitzende leitet die Verhandlungen und bestimmt die Reihenfolge, in der die Gegenstände der Tagesordnung erledigt werden, sowie die Form der Abstimmung. § 16 Stimmrecht; Beschlussfassung

(1)

Jede Aktie gewährt eine Stimme.

(2)

Das Stimmrecht kann durch Bevollmächtigte ausgeübt werden. Die Vollmacht bedarf der Textform.

(3)

Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst und, soweit eine Kapitalmehrheit erforderlich ist, mit einfacher Mehrheit des vertretenen Grundkapitals, sofern nicht Gesetz oder Satzung eine größere Mehrheit zwingend vorschreiben. Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimmen.

84

III. Inhalt der Satzung

VI. Rechnungslegung und Gewinnverwendung § 17 Jahresabschluss und Lagebericht (1)

Der Vorstand hat in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres für das vergangene Geschäftsjahr den Jahresabschluss (Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang) und den Lagebericht aufzustellen und diese Unterlagen nach ihrer Aufstellung unverzüglich dem Aufsichtsrat und dem Abschlussprüfer vorzulegen. Zugleich mit dem Jahresabschluss hat der Vorstand dem Aufsichtsrat den Vorschlag, den er der Hauptversammlung für die Verwendung des Bilanzgewinns unterbreiten will, mitzuteilen.

(2)

Der Aufsichtsrat hat nach Entgegennahme des Prüfungsberichts des Abschlussprüfers den Jahresabschluss, den Lagebericht des Vorstands und den Vorschlag für die Verwendung des Bilanzgewinns zu prüfen und über das Ergebnis der Prüfung schriftlich an die Hauptversammlung zu berichten. Er hat dem Vorstand seinen Bericht innerhalb eines Monats nach Zugang der Vorlagen des Vorstands zuzuleiten. Am Schluss des Berichts hat der Aufsichtsrat zu erklären, ob nach dem abschließenden Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen zu erheben sind und ob er den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss billigt. Billigt der Aufsichtsrat nach Prüfung den Jahresabschluss, so ist dieser festgestellt, sofern nicht Vorstand und Aufsichtsrat beschließen, die Feststellung des Jahresabschlusses der Hauptversammlung zu überlassen.

(3)

Unverzüglich nach Eingang des Berichts des Aufsichtsrates hat der Vorstand die ordentliche Hauptversammlung einzuberufen. § 18 Rücklagen und Gewinnverwendung

(1)

Stellen Vorstand und Aufsichtsrat den Jahresabschluss fest, so können sie Beträge bis zur Hälfte des Jahresüberschusses in andere Gewinnrücklagen einstellen. Dabei sind Beträge, die in die gesetzliche Rücklage einzustellen sind, und ein Verlustvortrag vorab vom Jahresüberschuss abzuziehen.

(2)

Die Hauptversammlung beschließt über die Verwendung des Bilanzgewinns. Sie ist hierbei an den festgestellten Jahresabschluss gebunden.

(3)

Nach Ablauf eines Geschäftsjahres kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrates im Rahmen des § 59 AktG eine Abschlagsdividende an die Aktionäre ausschütten.

Der Mindestinhalt der Satzung ergibt sich aus dem Gesetz (Artt. 2 und 3 Zweite Richtlinie, § 23 Abs. 3 AktG, § 3 Abs. 1 GmbHG). Zahlreiche weitere Angaben können in die Satzung aufgenommen werden; in manchen Fällen verlangt das Gesetz dies ausdrücklich. Dies gilt etwa für die – bei der Aktiengesellschaft äußerst seltene – Eingehung von Nebenverpflichtungen (§ 55 AktG, § 3 Abs. 2 GmbHG) oder bei einer auf Zeit eingegangenen Gesellschaft (§ 262 85

§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

Abs. 1 Nr. 1 AktG [ex contrario], § 3 Abs. 2 GmbHG). § 23 Abs. 5 AktG, der bei der GmbH kein Pendant hat, zieht der Freiheit der Satzungsgestaltung jedoch deutliche Grenzen (dazu oben Rz. 2.48 ff.). 2.54 In die Satzung aufgenommen werden können aber auch nichtkorporative Satzungsbestandteile. Das sind Vereinbarungen, die nur das Verhältnis der aktuellen Gesellschafter zueinander oder deren Verhältnis zur Gesellschaft betreffen. So können beispielsweise die Namen der ersten Vorstandsmitglieder und die Höhe ihrer Bezüge in die Satzung aufgenommen werden. In ihrer Wirkung entsprechen derartige Festlegungen in der Satzung den außerhalb der Satzung niedergelegten schuldrechtlichen Gesellschaftervereinbarungen (dazu unten 3.269 ff.).100) Sie können daher, da sie zwar formell, nicht aber materiell Satzungsbestandteil sind, auch ohne das formelle Verfahren der Satzungsänderung abgeändert werden und sie wirken – vor allem – nicht gegen etwaige Rechtsnachfolger der Gründer. Zudem gelten für sie nicht die vom normalen Vertragsrecht abweichenden objektiven Auslegungsgrundsätze (dazu unten Rz. 2.75). Sofern eine Regelung sowohl in wie außerhalb der Satzung getroffen werden kann, steht es den Gründern oder Gesellschaftern frei, sie – soweit zulässig (für die Aktiengesellschaft § 23 Abs. 5 AktG) – in die Satzung zu inkorporieren und damit auch für etwaige Rechtsnachfolger verbindlich auszugestalten oder – nicht formbedürftig – nur zwischen den gegenwärtigen Gesellschaftern zu treffen.101) 2.55 Keine Aussage enthält das Gesetz zur Sprache der Satzung, was insbesondere bei einer in ein deutsches Handelsregister einzutragenden SE von Interesse sein kann, da die SE-VO hierzu keine Regelung enthält und damit auch insoweit nationales Recht gilt. Danach ist ein fremdsprachiger Gesellschaftsvertrag zulässig; allerdings muss dann der die Satzung beurkundende Notar nach § 5 Abs. 2 BeurkG entsprechend sprachkundig sein und für die Anmeldung zum Handelsregister ist wegen § 2 EGGVG und § 13 GVG i. V. m. § 184 GVG eine beglaubigte Übersetzung beizufügen102) (ausdrücklich ebenso § 13f Abs. 2 HGB für die Eintragung der Zweigniederlassung ausländischer Aktiengesellschaften). 2.

Einzelheiten

2.56 In der Satzung sind zunächst die Firma und der Sitz des Unternehmens anzugeben (Artt. 2 a, 3 a Zweite Richtlinie, §§ 4, 5, 23 Abs. 3 Nr. 1 AktG, §§ 4, 4a, § 3 Abs. 1 ___________ 100) Grunewald, GesR, § 10 Rz. 13 (AG), § 13 Rz. 9 f. (GmbH); Hüffer/Koch, § 23 AktG Rz. 4; Priester, DB 1979, 681; Raiser/Veil, KapGesR, § 28 Rz. 29 (GmbH); Wiedemann, in: GroßK, § 179 AktG Rz. 36 ff. 101) BGH ZIP 1993, 432 = EWiR § 2 GmbHG 1/93, 455 (Reimann) (zu einem außerhalb der Satzung vereinbarten „Deckungskostenbeitrag“ der Gesellschafter); Wiedemann, in: GroßK, § 179 AktG Rz. 41. 102) LG Düsseldorf GmbHR 1999, 609 (für die GmbH); Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 2 GmbHG Rz. 9 a. E.

86

III. Inhalt der Satzung

Nr. 1 GmbHG). Für die Firmenbildung der Kapitalgesellschaften gelten seit Inkrafttreten des HRefG über § 6 Abs. 1 HGB einheitlich die §§ 17, 18 HGB;103) das gilt mangels Regelung in der SE-Verordnung nach Art. 9 Abs. 1 SE-VO auch für die Europäische Aktiengesellschaft.104) Lediglich Rechtsanwalts- oder Patentanwaltsgesellschaften müssen eine Personenfirma führen und sind in der Wahl der Firmenzusätze beschränkt (§ 59k Abs. 1 BRAO, § 52k Abs. 1 PatAnwO); angesichts der Liberalisierung des Rechts der Handelsfirma und der Möglichkeit der Sachfirma auch bei Rechtsanwalts-EWIVs ist dies wenig verständlich. Die Firma muss durch (abgekürzte) Angabe der Rechtsform den Hinweis auf die Haftungsbeschränkung enthalten, also typischerweise „AG“, „SE“ oder „GmbH“ (Art. 2 a Zweite Richtlinie, § 4 AktG, Art. 11 Abs. 1 SE-VO, § 4 Abs. 1 GmbHG); bei der Unternehmergesellschaft muss dieser Zusatz sogar ausgeschrieben werden (dazu unten Rz. 5.45b). Eine GmbH, die ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke nach den §§ 51 bis 68 AO verfolgt, kann auch – wie der Gesetzgeber kürzlich ausdrücklich klargestellt hat – die abgekürzte Firma „gGmbH“ (für „gemeinnützige GmbH“) führen (§ 4 neuer Satz 2 GmbHG; eingefügt durch Art. 7 des Ehrenamtsstärkungsgesetzes).105) Bei Rechtsanwalts- oder Patentanwaltsgesellschaften ist darüber hinaus die Bezeichnung „Rechtsanwaltsgesellschaft“ bzw. „Patentanwaltsgesellschaft“ vorgeschrieben (§ 59k Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52k Abs. 1 Satz 1 PatAnwO).106) Eine Verwendung der Zusätze „Partnerschaft“ bzw. „und Partner“ ist nach § 11 2.57 Satz 1 PartGG allen anderen (auch Kapital-)Gesellschaften untersagt, da der Gesetzgeber diese Zusätze exklusiv für die neu geschaffene Gesellschaftsform der Partnerschaft zur Verfügung gestellt hat. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob die Firma der anderen Gesellschaftsform im Hinblick auf den Rechtsformzusatz mit der einer echten Partnerschaft verwechselt werden könnte.107)

___________ 103) Hierzu ausführlich Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073 ff. 104) Dazu für die EWIV EuGH (Urt. v. 18.12.1997 – Rs. C-402/96), NJW 1998, 972 (EITO) = ZIP 1998, 68; ausführlich zum Firmenrecht der SE Kiem, KK, Art. 11 SE-VO Rz. 2 – 10. 105) Gegen die Einführung dieser Regelung ausführlich G. Roth, Verbandszweck und Gläubigerschutz, 2012, S. 509 ff. unter Verweis auf die Stellungnahme des Bundesrates zum RegEMoMiG (Neufassung von § 4 GmbHG), BT-Drucks. 16/6140, S. 62. 106) Abw. für die Firmenbildung der Rechtsanwalts-AG BayObLG ZIP 2000, 835 (PROVIDENTIA) = NJW 2000, 1647 = DStR 2000, 1153 (Hergeth) (dazu Stabreit, NZG 1998, 452): Firmenbildung – was wenig überzeugt – nach § 4 AktG und nicht analog § 59k BRAO. 107) BGHZ 135, 257 = NJW 1997, 1854 = ZIP 1997, 1109 = EWiR § 11 PartGG 1/97, 715 (Bärwaldt/Schabacker) = DStR 1997, 1051 (Goette); ausführlich zum Ganzen Bärwaldt/ Schabacker, MDR 1997, 114; Röh, DB 1996, 48; Weber/Jacob, ZGR 1998, 142; Wertenbruch, ZIP 1996, 1776; zur Vorgeschichte Hirte, NJW 1998, 2943, 2946. Für Verbot der Firmenfortführung des seit vielen Jahren geführten Firmenzusatzes „& Partner“ bei einer GmbH bei einer aufgrund eines Gesellschafterwechsels notwendig werdenden Umfirmierung OLG Stuttgart ZIP 2000, 1108 = NJW-RR 2000, 1128 = EWiR § 18 HGB 1/2000, 581 (Ring).

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§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

Gleiches gilt jetzt auch für die Bezeichnung „Rechtsanwaltsgesellschaft“ (§ 59k Abs. 2 BRAO) bzw. „Patentanwaltsgesellschaft“ (§ 52k Abs. 2 PatAnwO). 2.58 Besondere Vorschriften kommen zum Tragen, wenn eine Kapitalgesellschaft in Fällen der Typenvermischung Gesellschafterin einer Personengesellschaft ist und dies dazu führt, dass dort keine natürliche Person mehr den Gläubigern haftet. Denn wenn in einer Personengesellschaft oder in einer Kommanditgesellschaft auf Aktien keine natürliche Person haftet, ist dies besonders zu kennzeichnen, also etwa durch die übliche Firmierung als GmbH & Co. KG oder – im zweiten Fall – als GmbH & Co. KGaA (§ 19 Abs. 2 HGB, § 279 Abs. 2 AktG). Wer als Vertreter einer Kapitalgesellschaft ohne Hinweis auf die beschränkte Haftung handelt, riskiert seine persönliche Haftung (dazu auch unten Rz. 3.108). 2.59 Als Sitz im Sinne des für die Zuständigkeit des Registergerichts maßgeblichen Satzungssitzes kann die Gesellschaft nur einen Ort im Inland bestimmen (§ 5 AktG, § 4a GmbHG). Die früher in § 5 Abs. 2 AktG, § 4a Abs. 2 GmbHG enthaltenen Vorgaben für den Verwaltungssitz wurden durch das MoMiG aufgehoben, auch um einer deutschen Gesellschaft die Wahl eines Verwaltungssitzes im Ausland zu ermöglichen (dazu im Übrigen unten Rz. 7.14).108) Nur ausnahmsweise kann die Satzung daher mehrere Orte zum Satzungssitz bestimmen („Doppelsitz“), etwa wenn sie durch Verschmelzung aus mehreren etwa gleich großen Gesellschaften hervorgegangen ist und zwei Verwaltungen aufrechterhalten bleiben. Der Sitz einer Europäischen Aktiengesellschaft muss in der Gemeinschaft liegen, und zwar in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung der SE befindet (Art. 7 Satz 1 SE-VO). Das betrifft allerdings nach dem Textzusammenhang nur den „satzungsmäßigen Sitz“ der SE,109) so dass die SE-Verordnung nicht als Entscheidung für die „Sitztheorie“ angeführt werden kann.110) Befindet sich der Sitz nicht mehr in der Gemeinschaft, muss der Mitgliedstaat geeignete Maßnahmen vorsehen, um diese Voraussetzung wieder zu erfüllen und sonst die Auflösung der SE anordnen (Art. 64 SE-VO). Der deutsche Gesetzgeber hat hierfür das Verfahren in § 52 SEAG geschaffen; danach kann das Registergericht die SE zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands auffordern (Abs. 1) und für den Fall, dass sie dem nicht nachkommt, deren Auflösung verfügen (Abs. 2).

___________ 108) Hierzu Franz/Laeger, BB 2008, 678; Kindler, AG 2007, 721, 722. – Die Anwendung der aufgehobenen Vorschriften auf eine Verlegung des Verwaltungssitzes über die Grenze hinweg könnte gegen die europäische Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV [früher Art. 43 EG]) verstoßen haben (dazu ausführlich Haase/Torwegge, DZWIR 2006, 57 ff.); zum früheren Recht die 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 2.59. 109) Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1849. 110) Abw. Schulz/Geismar, DStR 2001, 1078, 1079.

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III. Inhalt der Satzung

Die Mitgliedstaaten können darüber hinaus vorschreiben, dass eine in ihrem 2.59a Hoheitsgebiet eingetragene SE Sitz und Hauptverwaltung am selben Ort haben muss (Art. 7 Satz 2 SE-VO); Deutschland hatte dies im Hinblick auf die für deutsche Aktiengesellschaften früher geltende Regelung in § 5 Abs. 2 AktG a. F. mit dem durch das MoMiG aufgehobenen § 2 SEAG getan.111) Weiter bedarf es einer Angabe des Unternehmensgegenstandes (Art. 2 b Zweite 2.60 Richtlinie, § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG, § 3 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG).112) Er ist – wie § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG exemplarisch sagt – möglichst konkret anzugeben. Denn er bildet die äußerste Grenze dessen, was die Geschäftsleiter tun dürfen (nicht können! – dazu unten Rz. 3.41). Aus der Umschreibung musste es nach bislang herrschender Auffassung den am Wirtschaftsleben beteiligten Kreisen möglich sein, die Tätigkeit der Gesellschaft einem bestimmten Bereich des Wirtschaftslebens zuzuordnen; auch sollte sie dem Registerrichter Anhaltspunkte bieten, um die angestrebte Tätigkeit auf ihre eventuelle Genehmigungsbedürftigkeit zu prüfen. Nachdem die Möglichkeit einer Vorab-Prüfung der gewerberechtlichen Zulässigkeit unternehmerischer Betätigung durch die Registergerichte abgeschafft ist (dazu oben Rz. 2.12), wird man aus registergerichtlicher Sicht eine möglichst konkrete Bezeichnung des Unternehmensgegenstandes nicht mehr verlangen können.113) Daher dürfte heute eine Umschreibung des Unternehmensgegenstands mit „Produktion von Waren aller Art“ den gesetzlichen Anforderungen genügen.114) Die Praxis wählte schon früher sehr weite Formulierungen, um sich die mögliche Entwicklung des Unternehmens offenzuhalten und Kosten für eine spätere Satzungsänderung zu sparen. Wollen Gesellschafter die Geschäftsführungsbefugnis ihrer Geschäftsleiter durch die Gestaltung des Unternehmensgegenstandes beschränken, werden sie dies daher in Zukunft ohne Hilfe der Registergerichte durchsetzen müssen. Allerdings soll die Hauptversammlung nach Auffassung des OLG Stuttgart der Geschäftsleitung im Wege der Satzungsänderung nicht vorschreiben können, welche konkreten Produkte sie innerhalb des in der Satzung durch den Unternehmensgegenstand vorgegebenen Rahmens entwickelt und vertreibt (hier: Smart/Maybach); denn mit einer solchen an Produkte anknüpfenden Beschrei-

___________ 111) Horn, DB 2005, 147 sieht darin eine Festschreibung der Sitztheorie, was aber im Hinblick darauf zweifelhaft ist, dass Verstöße gegen § 5 Abs. 2 AktG nicht zur Auflösung der Gesellschaft führen. 112) Fehle es vollständig an der Absicht, eine der Satzung entsprechende Geschäftstätigkeit in absehbarer Zeit aufzunehmen, soll die Satzung nichtig sein: BayObLG ZIP 2000, 2067, 2068 f. = NZG 2000, 987 = NJW-RR 2001, 898. 113) Hierzu ausführlicher – und unter zusätzlichem Hinweis auf die Gesetzgebungsgeschichte des MoMiG – Hirte, ZInsO 2008, 933, 936; ders., in: Festschrift für Hüffer (2010), S. 329, 332 ff. 114) Abw. vor Inkrafttreten des MoMiG BayObLG ZIP 1994, 1528 = NJW 1995, 31; ebenso BayObLG NJW-RR 1996, 413 = DB 1995, 1801 („Betreiben von Handelsgeschäften“).

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§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

bung des Unternehmensgegenstandes wären die Grenzen des dem Vorstand zustehenden Freiraums nicht klar erkennbar.115) 2.61 Der lange bestehende Streit, ob auch ohne ausdrückliche gesetzliche Zulassung die Ausübung freiberuflicher Tätigkeit in Form der Kapitalgesellschaft zulässig ist, wurde durch eine Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 24. November 1994 entschieden. Darin setzte sich das Gericht über die zuvor bestehenden standesrechtlichen Schranken hinweg und ließ die Gründung einer Rechtsanwalts-GmbH zu.116) Der Bayerische Verfassungsgerichtshof nahm demgegenüber aber an, dass das gesetzliche Verbot, eine ärztliche Praxis in der Rechtsform einer juristischen Person zu führen, weder gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der bayrischen Verfassung verstoße.117) Im Anschluss an die Entscheidung des BayObLG hat der Gesetzgeber die Rechtsanwalts-GmbH ebenso wie die Patentanwalts-GmbH dann durch das Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und anderer Gesetze (vom 31. August 1998, BGBl. I, 2600) mit Wirkung ab 1. März 1999 (Art. 15 Satz 3 des Gesetzes) einer gesetzlichen Regelung zugeführt.118) Ähnliche Regelungen fanden sich zuvor bereits in §§ 49 ff. StBerG für Steuerberater und in §§ 27 ff. WPO für Wirtschaftsprüfer. 2.62 Daraus ergeben sich einige Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen Recht der

Kapitalgesellschaften, die hier nur kurz angesprochen werden können. Die Darstellung beschränkt sich dabei auf die zuletzt eingeführten und besonders intensiv diskutierten Anwalts-GmbHs.119) Rechtsanwalts- wie Patentanwalts-GmbHs bedürfen zunächst einer Zulassung (§ 59c Abs. 1 BRAO, § 52c Abs. 1 PatAnwO; zu deren Beachtung im Eintragungsverfahren oben Rz. 2.12; zur Firma oben Rz. 2.56). Gesellschafter können nur Angehörige sozietätsfähiger Berufe sein (§ 59e Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52e Abs. 1 Satz 1 PatAnwO), und die Gesellschafter müssen zudem in der Gesellschaft aktiv tätig sein (§ 59e Abs. 1 Satz 2 BRAO, § 52e Abs. 1

___________ 115) OLG Stuttgart ZIP 2007, 231 = NZG 2006, 790 = EWiR § 23 AktG 1/07, 257 (Freitag). 116) BayObLGZ 1994, 353 (Seufert I) = NJW 1995, 199 = ZIP 1994, 1868 (Henssler) = EWiR Art. 12 GG 2/95, 151 (Kleine-Cosack); BayObLGZ 1996, 188 (Seufert II) = NJW 1996, 3217; dazu Ahlers, in: Festschrift für Heinz Rowedder (1994), S. 1; Doin, NJW 1995, 371; Dauner-Lieb, GmbHR 1995, 259; Henssler, NJW 1999, 241 m. w. N.; Hirte, Berufshaftung (1996), S. 429 ff.; ders., NJW 1996, 2827, 2841; Römermann, GmbHR 1998, 966, 967 m. w. N. in Fn. 2; Taupitz, NJW 1992, 2317, 2318; ders., JZ 1994, 1100 f.; ders., NJW 1995, 369; ablehnend für den Fall, dass der Gesellschaftsvertrag nicht sicherstellt, dass Mehrheit von Kapital und Stimmen in anwaltlicher Hand liegen, allerdings OLG Köln NJW-RR 1998, 271 = NZG 1998, 230 (Römermann) = ZIP 1997, 1502. 117) BayVerfGH NJW 2000, 3418 = DStR 2000, 1275 (Ls.) (Siebel). 118) Vgl. Begr RegE, BR-Drucks. 1002/97 (abgedruckt in ZIP 1998, 222); Überblick bei Henssler, NJW 1999, 241 ff.; zum RefE (abgedruckt in ZIP 1997, 1518) Römermann, GmbHR 1997, 530; Henssler, ZIP 1997, 1481; vgl. auch Bellstedt, AnwBl. 1995, 573. 119) Ganz ähnliche Regelungen wurden inzwischen für die Ärzte durch § 95 SGB V in Form der „medizinischen Versorgungszentren“ geschaffen; dazu Klose, BB 2003, 2702; Rau, DStR 2004, 640.

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III. Inhalt der Satzung

Satz 2 PatAnwO). Die Mehrheit der Anteile wie der Stimmrechte muss – anders als bei der von Freiberuflern betriebenen BGB-Gesellschaft oder der Partnerschaft – Rechts- bzw. Patentanwälten zustehen (§ 59e Abs. 3 Satz 1 BRAO, § 52e Abs. 3 Satz 1 PatAnwO). Steht die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmanteile einer GmbH Patentanwälten zu, die nicht zugleich Rechtsanwälte sind, kann die Gesellschaft aber nicht als Rechtsanwaltsgesellschaft zugelassen werden; Gleiches gilt für eine GmbH, deren Geschäftsführer mehrheitlich nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassene Patentanwälte sind.120) Die Anteile dürfen im Übrigen nicht für Rechnung Dritter gehalten und Dritte nicht am Gewinn der Gesellschaft beteiligt werden (hier ist insbesondere an Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gedacht) (§ 59e Abs. 4 BRAO, § 52e Abs. 4 PatAnwO); zur Stimmabgabe dürfen schließlich nur Angehörige desselben Berufes oder Rechtsanwälte bevollmächtigt werden (§ 59e Abs. 5 BRAO, § 52e Abs. 5 PatAnwO). Zu Geschäftsführern müssen mehrheitlich Rechts- bzw. Patentanwälte bestellt 2.63 werden (§ 59f Abs. 1 Satz 2 BRAO, § 52f Abs. 1 Satz 2 PatAnwO). Dies erschwert – wohl beabsichtigt – die interprofessionelle Zusammenarbeit. Ein identisches Mehrheitserfordernis statuieren § 59f Abs. 3 BRAO, § 52f Abs. 3 PatAnwO für Prokuristen und zum gesamten Geschäftsbetrieb bestellte Handlungsbevollmächtigte. Die gesellschaftsrechtlich wohl wichtigsten Vorschriften bilden aber § 59f Abs. 4 BRAO, § 52f Abs. 4 PatAnwO, die die Unabhängigkeit der Rechts- bzw. Patentanwälte statuieren und zugleich gesetzliche oder vertragliche Weisungsrechte ausschließen, und § 59j BRAO, § 52j PatAnwO; nach Letzteren ist zudem der Abschluss einer Haftpflichtversicherung durch die Gesellschaft selbst erforderlich; da diese – anders bei den anderen anwaltlichen Kooperationsformen – neben die Versicherung der einzelnen in der Gesellschaft tätigen Anwälte tritt, wird durch dieses Erfordernis die Attraktivität der Gesellschaftsform nicht gerade gesteigert.121) Nicht ausdrücklich geregelt ist die Zulassung von Aktiengesellschaften als An- 2.64 waltsgesellschaften. Doch wird man angesichts der im Gesetzgebungsverfahren um diese Frage geführten Diskussion das Schweigen des Gesetzgebers als beredt und ihre Eintragung als zulässig ansehen müssen, sofern ihre Satzung den vom Gesetzgeber für die GmbH aufgestellten Vorgaben entspricht.122) Demgegenüber ist die Rechtsform einer GmbH & Co. KG den freien Berufen unverändert verschlossen, weil diese kein „Gewerbe“ i. S. d. Handelsrechts darstellen;123) insoweit steht aber die Partnerschaftsgesellschaft zur Verfügung.

___________ 120) BGH ZIP 2012, 226 = NJW 2012, 461 = NZG 2012, 141 = DStR 2011, 2479 = EWiR § 59e BRAO 1/12, 81 (Römermann). 121) Dazu Henssler, NJW 1999, 241, 242; Römermann, GmbHR 1998, 966, 968 f.; ders., GmbHR 1999, 526. 122) Ebenso jetzt BGHZ 161, 376 (DWP Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH) = ZIP 2005, 944 = NJW 2005, 1568 = DB 2005, 1050 = BB 2005, 1131 (Römermann); BGH ZIP 2006, 282, 283 = NJW 2006, 1132 = EWiR § 59a BRAO 1/2006, 365 (Römermann); zuvor bereits BayObLG ZIP 2000, 835 (PRO-VIDENTIA) = NJW 2000, 1647 = DStR 2000, 1153 (Hergeth); dazu Henssler, NJW 1999, 241, 246 f.; Römermann, GmbHR 1998, 966, 967 f.; Stabreit, NZG 1998, 452. 123) Für die Anwaltstätigkeit BGH (Anwaltssenat), ZIP 2011, 1664 = NJW 2011, 3036 = NZG 2011, 1063 = EWiR § 59c BRAO 2/11, 705 (J. Keller); zu Recht krit. Karsten Schmidt, DB 2011, 2477.

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§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

2.65 Die Kapitalgesellschaften gelten unabhängig von ihrem Unternehmensgegenstand als Handelsgesellschaften (§ 3 Abs. 1 AktG, § 13 Abs. 3 GmbHG) und sind daher Formkaufleute (§ 6 Abs. 1 HGB). Das wird man auch für eine ausländische Kapitalgesellschaft mit Sitz in Deutschland (dazu oben Rz. 1.59 ff.) anzunehmen haben. 2.66 Schließlich ist das Gesamtnennkapital anzugeben (Art. 2 c Zweite Richtlinie, § 23 Abs. 3 Nr. 3 AktG, § 3 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG). Es muss seit 1. Januar 1999 bei der Aktiengesellschaft mindestens 50.000 Euro und bei der GmbH mindestens 25.000 Euro betragen (§ 7 AktG [Art. 6 Abs. 1 Zweite Richtlinie], § 5 Abs. 1 GmbHG). Nur bei der Unternehmergesellschaft kann dieser Betrag noch unterschritten werden (dazu unten Rz. 5.45a ff.). 2.67 Für Neugründungen bis zum 31. Dezember 2001 (Stichtag der Eintragung) bestand allerdings aufgrund zwingenden europäischen Rechts noch ein Wahlrecht, Nennkapitalziffer, Nennwerte der Anteile und andere satzungsmäßige Betragsangaben auch in DM auszudrücken (§ 1 Abs. 2 Satz 2, § 2 Satz 2, § 3 Abs. 3 EGAktG, § 1 Abs. 2 Satz 1 EGGmbHG [früher § 86 Abs. 2 Satz 1 GmbHG]). In diesem Fall galten für den Mindestbetrag und die Teilbarkeit von Kapital, Einlagen und Geschäftsanteilen sowie den Umfang des Stimmrechts die zum unwiderruflich festgelegten Umrechnungskurs in DM rückgerechneten EuroBeträge in der seit 1. Januar 1999 geltenden Fassung von AktG und GmbHG (§ 3 Abs. 3 EGAktG, § 1 Abs. 2 Satz 2 EGGmbHG [früher § 86 Abs. 2 Satz 2 GmbHG]). Für sämtliche relevanten Zahlen ergaben sich damit gebrochene DM-Beträge, was die Gründung einer Gesellschaft in Deutscher Mark schon in diesem Zeitraum nicht mehr attraktiv gemacht hat. Andererseits wandelten sich diese Beträge mit Ablauf der Übergangsfrist automatisch in glatte Euro-Beträge um. Durch die Neufestsetzung der Nennkapitalziffern waren die entsprechenden Ziffern zudem – wenn auch geringfügig – gegenüber dem alten Recht herabgesetzt worden: denn sie wurden im Allgemeinen dergestalt festgelegt, dass die früheren DM-Werte durch zwei dividiert wurden, obwohl der Euro etwas weniger als zwei DM entspricht. Seit dem 31. Dezember 2001 sind Neugründungen aber nur noch in Euro möglich. Vor dem 1. Januar 1999 gegründete Kapitalgesellschaften können (nicht müssen) ihre Satzung nach teilweise modifizierten Vorschriften anpassen (dazu unten Rz. 6.72 ff.). 2.68 Das Aktienrecht stellt für die Beziehung der einzelnen Aktien zum Gesamtgrundkapital seit Inkrafttreten des Stückaktiengesetzes vom 25. März 1998 (BGBl. I, 590) zwei Varianten zur Verfügung: die (herkömmliche) Nennbetragsaktie und die (neue) Stückaktie. Die Einführung der Stückaktie wurde ausgelöst durch Bemühungen, die Anpassung der Kapitalstruktur von Aktiengesellschaften an den Euro möglichst einfach zu gestalten. In ihrer Bedeutung reicht die Einführung der Stückaktie allerdings über die Einführung des Euro

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III. Inhalt der Satzung

hinaus. Denn sie kann auch unabhängig davon die Kapitalbeschaffung der Aktiengesellschaft erleichtern.124) Während sich bei Nennbetragsaktien der Anteil der einzelnen Aktie am Grund- 2.69 kapital nach dem Verhältnis ihres Nennbetrags zum Grundkapital richtet, ergibt er sich bei Stückaktien allein aus deren Zahl (§ 8 Abs. 4 AktG). Das ist nur möglich, weil Stückaktien am Grundkapital einer Gesellschaft immer nur in gleichem Umfang beteiligt sind und sein können (§ 8 Abs. 3 Satz 2 AktG), während der Umfang des Nennbetrags einer einzelnen Aktie durchaus unterschiedlich bestimmt werden kann. Die nicht in Form einer Zahl, sondern eines durch Blick in das Handelsregister zu errechnenden Prozentsatzes ausgedrückte Beteiligung am Grundkapital ersparte eine Anpassung der einzelnen Aktiennennbeträge, die bei den herkömmlichen Nennbetragsaktien sonst mit Umstellung auf den Euro ungerade und damit „unschön“ geworden wären (dazu im Einzelnen unten Rz. 6.72 ff.). Der Preis für diesen Vorteil lag in dem für Publikumsaktiengesellschaften gering zu veranschlagenden Erfordernis, dass alle Aktien jetzt an der Gesellschaft nur noch in gleichem Umfang beteiligt sein können (§ 8 Abs. 3 Satz 2 AktG); das kann freilich durch die Möglichkeit einer Sammelverbriefung einzelner Aktien (§ 9a DepotG) in dem Umfang, in dem über diese früher eine Aktie höheren Nennbetrags ausgestellt war, kompensiert werden. Von der (echten) Quotenaktie, die die Beteiligung in einem bestimmten Prozentsatz am Grundkapital verbrieft, unterscheidet sich die Stückaktie dadurch, dass der Umfang der Beteiligung einer einzelnen Aktie am Grundkapital nicht auf dieser selbst ausgewiesen ist, sondern erst durch Blick in das Handelsregister ermittelt werden kann; das hat den ungeheuren technischen Vorteil, dass die sich im Falle von Kapitalmaßnahmen regelmäßig – wenn auch nur geringfügig – ändernde Beteiligungsquote der einzelnen Aktie nicht auf sämtlichen Aktien korrigiert werden muss. Die neue Begriffsbildung als „Stückaktie“ trägt dem überzeugend Rechnung.125) Auf die mit dem Institut des Grundkapitals verbundenen Gläubigerschutz- 2.70 funktionen hat die Einführung der Stückaktie keine Auswirkung: weder wird das feste (Mindest-)Grundkapital angetastet, noch wird – wie bei der echten nennwertlosen Aktie – das Erfordernis eines auf jede auszugebende Aktie einzuzahlenden Mindestbetrages aufgegeben. Die Stückaktie wird daher auch als „unechte nennwertlose Aktie“ bezeichnet, mit deren Einführung – im Gegenteil zur „echten nennwertlosen Aktie“ – keine Abkehr vom Prinzip des festen Nennkapitals verbunden ist. Die Entscheidung der Gesellschaft für die eine oder andere Aktienart kann nach § 8 Abs. 1 AktG aus Gründen der Klarkeit und Praktikabilität nur einheitlich getroffen werden. Entsprechend muss die ___________ 124) Begr RegE StückAG, BR-Drucks. 871/97, S. 1 ff., 18 ff. = BT-Drucks. 13/9573, S. 1 f., 10 ff. = ZIP 1998, 130 ff. 125) Dazu Begr RegE BT-Drucks. 13/9573, S. 11 f.; Seibert, ZGR 1998, 1, 15; zu Vorbildern in Belgien und Luxemburg Hirte, WM 1991, 753.

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§ 2 Gründung der Kapitalgesellschaft

Satzung der Aktiengesellschaft jetzt zunächst angeben, ob das Grundkapital in Nennbetrags- oder in Stückaktien zerlegt ist; um die Beteiligungsquote ermitteln zu können, ist bei Stückaktien darüber hinaus deren Zahl zu nennen (Art. 3 c Zweite Richtlinie, § 23 Abs. 3 Nr. 4 AktG). 2.71 Werden demgegenüber Nennbetragsaktien gewählt, sind bei Aktiengesellschaft und GmbH gleichermaßen die Nennbeträge der einzelnen Aktien oder GmbHAnteile anzugeben (Art. 3 b Zweite Richtlinie, § 23 Abs. 3 Nr. 4 AktG, § 3 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG). Der Nennbetrag der einzelnen Nennbetragsaktie muss dabei mindestens ein Euro (früher 5 DM) betragen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AktG); höhere Nennbeträge müssen auf ein Vielfaches von einem Euro lauten (§ 8 Abs. 2 Satz 4 AktG). Bei Stückaktien darf der auf die einzelne Aktie entfallende anteilige Betrag ebenfalls den Wert von einem Euro nicht unterschreiten (§ 8 Abs. 3 Satz 3 AktG), so dass sie nicht etwa zur Schaffung sog. penny-stocks genutzt werden können. Darüber hinaus gibt es im Gegensatz zu Nennbetragsaktien keine Vorgaben für eine „Stufung“; sie sind auch nicht erforderlich, da sie ja gerade auch „ungerade“ prozentuale Beteiligungen an einer Gesellschaft erlauben und erlauben wollen, sofern nur der Anteil aller Aktien am Grundkapital gleich ist (§ 8 Abs. 3 Satz 2 AktG). Auch der Nennbetrag des Geschäftsanteils des einzelnen GmbH-Gesellschafters muss seit Inkrafttreten des MoMiG nur noch mindestens einen Euro betragen (§ 5 Abs. 2 GmbHG; zuvor 100 Euro; noch früher 500 DM); das frühere Erfordernis, dass der Betrag durch fünfzig teilbar sein muss (§ 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG a. F.), wurde ebenfalls durch das MoMiG aufgehoben. Im Übrigen müssen die Nennbeträge von Nennbetragsaktien (anders als bei Stückaktien) bzw. die Nennbeträge der Geschäftsanteile der einzelnen GmbH-Gesellschafter nicht identisch sein (§ 5 Abs. 3 Satz 1 GmbHG; für die Aktiengesellschaft gibt es insoweit keine ausdrückliche Regelung).126) Das früher im GmbH-Recht geltende Verbot, dass ein Gesellschafter bei der Gründung mehr als einen Geschäftsanteil übernimmt (§ 5 Abs. 2 GmbHG a. F.), wurde ebenfalls durch das MoMiG aufgehoben (siehe jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 5 Abs. 2 GmbHG n. F.); entsprechend ist heute in Abweichung von § 17 GmbHG a. F. auch eine spätere Teilung von Geschäftsanteilen oder die Übertragung von mehreren Teilen von Geschäftsanteilen auf denselben Erwerber zulässig. Die Summe der einzelnen Nennbeträge muss dem Gesamtnennkapital entsprechen (§ 1 Abs. 2 AktG, § 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). 2.72 Der Nennwert der einzelnen Anteile – sofern noch angegeben – hat allerdings nichts mit deren Marktwert zu tun. Er bildet vielmehr nur eine Rechenziffer für die Bestimmung der Rechte der Gesellschafter zueinander. Zugleich zeigt die Summe der Nennwerte in Form des Gesamtnennkapitals den Gläubigern und der Öffentlichkeit an, in welchem Umfang die Gesellschafter Einlageverpflichtungen übernommen haben (ausführlich unten Rz. 5.32 ff.). Diese ___________ 126) Zur Zulässigkeit in der AG Hüffer/Koch, § 23 AktG Rz. 29.

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IV. Auslegung der Satzung

müssen weder notwendig erfüllt sein, noch muss der einmal eingezahlte Betrag noch im Gesellschaftsvermögen vorhanden sein. Wertbestimmend für den einzelnen Anteil ist vielmehr – zumindest theoretisch – der Wert des gesamten Unternehmens, dividiert durch die Zahl der Anteile (bei gleichem Nennbetrag). Zudem kann der Wert des einzelnen Anteils bei voller Einlageleistung schon bei der Ausgabe der Aktien bzw. Geschäftsanteile auch dadurch von dessen Nennbetrag abweichen, dass er zu einem höheren Preis als dem Nennbetrag – mit einem Aufgeld (Agio) – ausgegeben wird. Die Zulassung der Stückaktie trägt dem überzeugend Rechnung, da sie auf die möglicherweise irreführende und für den Marktwert der Aktie irrelevante Angabe des Nennwerts verzichtet. In der Satzung der Aktiengesellschaft ist schließlich noch festzulegen, ob die 2.73 auszugebenden Aktien Inhaber- oder Namensaktien sind (Art. 3 f Zweite Richtlinie, § 23 Abs. 3 Nr. 5 AktG; zu deren Übertragbarkeit unten Rz. 4.52 ff.). Weiter ist in der Satzung anzugeben, wie groß der Vorstand ist bzw. aus welchen Regeln sich seine Größe ergibt (Art. 2 e [früher d] Zweite Richtlinie, § 23 Abs. 3 Nr. 6 AktG). Festzulegen ist hier schließlich, wie die Veröffentlichungen der Gesellschaft erfolgen (§ 23 Abs. 4 AktG; für die GmbH nach § 12 Satz 2 GmbHG nur fakultativ). Sofern mehrere verschiedene Gattungen von Aktien ausgegeben werden sollen, 2.74 ist auch dies und deren Verteilung auf die Gründer in der Satzung anzugeben (Art. 3 e Zweite Richtlinie, §§ 11, 23 Abs. 3 Nr. 4 AktG). Hierzu zählen neben den schon angesprochenen Inhaber- und Namensaktien vor allem die Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (dazu unten Rz. 3.259). Weitere Gattungen und insbesondere verschiedenartig ausgestaltete Vorzugsaktien mit Stimmrecht sind zwar ohne Weiteres denkbar, aber ungebräuchlich. Sämtliche Gestaltungsvarianten sind im Übrigen sowohl bei Nennbetrags- wie bei Stückaktien möglich. IV.

Auslegung der Satzung

Die Loslösung des Verbandsinteresses von seinen Mitgliedern bei der Körper- 2.75 schaft hat auch Folgen für die Auslegung der Satzung. Diese ist nämlich in der Regel „objektiv“ – wie ein Gesetz – auszulegen.127) Nur ausnahmsweise könne auch der subjektive Wille der Gründer für ihre Auslegung herangezogen werden, nämlich etwa dann, wenn sich der Gesellschafterkreis seit der Gründung noch nicht verändert hat.128)

___________ 127) BGHZ 14, 25, 36 f.; BGHZ 36, 296, 314; BGHZ 48, 141, 143 f. 128) BGHZ 96, 245, 250 = ZIP 1986, 368 (Kirberger, S. 346) = EWiR § 33 BGB 1/86, 235 (Weipert) (e. V.); dazu Raiser/Veil, KapGesR, § 26 Rz. 16 (GmbH); für eine stärkere Vereinheitlichung der Auslegungsgrundsätze Wiedemann, GesR I, S. 165 ff.

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§ 3 Organisationsverfassung Literatur: Albach, Strategische Unternehmensplanung und Aufsichtsrat, ZGR 1997, 32; Altmeppen/Wilhelm, Quotenschaden, Individualschaden und Klagebefugnis bei der Verschleppung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH, NJW 1999, 673; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987; Bezzenberger, Die Geschäftsordnung der Hauptversammlung, ZGR 1998, 352; Bitter, Haftung von Gesellschaftern und Geschäftsführern in der Insolvenz ihrer GmbH, ZInsO 2010, 1505 (Teil I), 1561 (Teil II); Bork, Materiellrechtliche und prozeßrechtliche Probleme des Organstreits zwischen Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, ZGR 1989, 1; Brandes, Ersatz von Gesellschafts- und Gesellschafterschaden, in: Festschrift Fleck, 1988, S. 13; Deckert, Effektive Überwachung der AG-Geschäftsführung durch Ausschüsse des Aufsichtsrats, ZIP 1996, 1638; Geßler, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen und Satzungsbestimmungen, ZGR 1980, 427; Groß, Zuständigkeit der Hauptversammlung bei Erwerb und Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen, AG 1994, 266; Häsemeyer, Der interne Rechtschutz zwischen Organen, Organmitgliedern und Mitgliedern der Kapitalgesellschaften als Problem der Prozeßführungsbefugnis, ZHR 144 (1980), 265; Hecker, Die aktuellen Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex im Überblick, BB 2009, 1654; Heermann, Unternehmerisches Ermessen, Organhaftung und Beweislastverteilung, ZIP 1998, 761; HoffmannBecking, Der Aufsichtsrat im Konzern, ZHR 159 (1995), 325; Hüffer, Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften – Eine hilfreiche Kategorie bei der Begrenzung von Stimmverboten im Recht der GmbH?, in: Festschrift Heinsius, 1991, S. 337; Joost, „Holzmüller 2000“ vor dem Hintergrund des Umwandlungsgesetzes, ZHR 163 (1999), 164; Kessler, Die Verantwortlichkeit von Geschäftsführern einer GmbH gegenüber Dritten, GmbHR 1994, 429; Kindler, Unternehmerisches Ermessen und Pflichtenbindung, ZHR 162 (1998), 101; Kropff, Die Unternehmensplanung im Aufsichtsrat, NZG 1998, 613; Lutter, Die Erklärung zum Corporate Governance Kodex gemäß § 161 AktG, ZHR 166 (2002), 523; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008; Martens, Stimmrechtsbeschränkung und Stimmbindungsvertrag im Aktienrecht, AG 1993, 495; Medicus, Deliktische Außenhaftung der Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer, ZGR 1998, 570; Merkt, Unternehmensleitung und Interessenkollision, ZHR 159 (1995), 423; Müller, Neue Rechtsprechung zur Außenhaftung von GmbH-Geschäftsführern wegen der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen, GmbHR 2000, 7; Reichert/Ott, Non Compliance in der AG – Vorstandspflichten im Zusammenhang mit der Vermeidung, Aufklärung und Sanktionierung von Rechtsverstößen, ZIP 2009, 2173 und 2176; Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Die Kodex-Änderungen vom Mai 2010, NZG 2010, 1161; Karsten Schmidt, Geschäftsführerhaftung gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG bei masseloser Insolvenz, GmbHR 2000, 1225; Sosnitza, Nichtigkeits- und Anfechtungsklage im Schnittfeld von Aktien- und Zivilprozeßrecht, NZG 1998, 335; Strohn, Faktische Organe – Rechte, Pflichten, Haftung, DB 2011, 158; Wiedemann, Verantwortung in der Gesellschaft – Gedanken zur Haftung der Geschäftsleiter und der Gesellschafter in der Kapitalgesellschaft, ZGR 2011, 183 – 217.

I.

Überblick

Kennzeichnend für die Kapitalgesellschaften ist eine – im Gegensatz zu den 3.1 Personengesellschaften – ausführlich geregelte Organisationsverfassung. Hinsichtlich der Organisation – oder besser: hinsichtlich des zwingenden Umfangs der Organisation – unterscheiden sich zudem Aktiengesellschaft und GmbH

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§ 3 Organisationsverfassung

beträchtlich. Für die Aktiengesellschaft sind wegen § 23 Abs. 5 AktG („Satzungsstrenge“) kaum Abweichungen von der gesetzlichen Lösung erlaubt; für die GmbH gilt demgegenüber weitgehend(er) der Grundsatz der Vertrags- bzw. Satzungsfreiheit. 3.2 Grundsätzlich unterschieden wird bei allen Kapitalgesellschaften zwischen dem Organ, in dem die Willensbildung der Gesellschafter vollzogen wird (Hauptversammlung bei der AG und der SE/Gesellschafterversammlung bei der GmbH), und dem Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan (Vorstand bei der AG/ Verwaltungsrat bei der SE/Geschäftsführer bei der GmbH: einheitlich auch als Geschäftsleiter bezeichnet). Dies ist auch eine Folge der bei den Kapitalgesellschaften möglichen Drittorganschaft, der Möglichkeit, einen gesellschaftsfremden Dritten zum organschaftlichen Vertreter zu bestellen; denn dadurch brauchen die Mitglieder der Gesellschafterversammlung und die Vertreter der Gesellschaft nicht identisch zu sein. Die „Hauptversammlung der Aktionäre“ ist auch für die Europäische Aktiengesellschaft zwingend vorgeschrieben (Art. 38 a SE-VO). Zwischen das für die Willensbildung der Gesellschafter zuständige Organ und das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan schiebt sich bei der Aktiengesellschaft immer, bei der Europäischen Aktiengesellschaft je nach Satzungsgestaltung und bei der GmbH nur unter bestimmten Voraussetzungen der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan für die Geschäftsleitung. Das damit für die (nationale) Aktiengesellschaft zwingende dualistische oder Dual-board-System ist im internationalen Vergleich eine Ausnahme; denn vor allem im angloamerikanischen Rechtskreis verfügen die der Aktiengesellschaft vergleichbaren Gesellschaftsformen häufig nur über ein einheitliches Leitungsorgan (monistisches System). 3.3 Die Mitglieder der Gesellschafterversammlung und des Vertretungsorgans können identisch sein. Dies ist häufig bei der GmbH und hier besonders bei Familiengesellschaften der Fall. Möglich ist bei Einpersonengesellschaften zudem, dass beide nur aus einer Person bestehen. 3.4 Anders als für die nationale Aktiengesellschaft eröffnet das SE-Statut der einzelnen Europäischen Aktiengesellschaft die Möglichkeit, in der Satzung – und damit durch Satzungsänderung wieder änderbar1) – zwischen dem (klassischen deutschen) „dualistischen System“ einer Trennung von Aufsichts- und Leitungsorgan (Aufsichtsrat und Vorstand) und dem (vor allem anglo-amerikanischen) „monistischen System“ eines einheitlichen Verwaltungsorgans zu wählen (Art. 38 b SE-VO); für Letzteres hat der deutsche Gesetzgeber in § 20 SEAG die deutsche (bzw. schweizerische) Bezeichnung „Verwaltungsrat“ eingeführt. Diese Wahlmöglichkeit entspricht der schon länger für das nationale französische Aktienrecht bestehenden Wahlmöglichkeit (Art. 225–57 Code de ___________ 1)

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Hommelhoff, AG 2001, 279, 283.

II. Geschäftsführer und Vorstand

Commerce 2001), die zum 1. Januar 2004 auch das italienische Recht übernommen hat.2) Für Deutschland ist dies aber völlig neu,3) auch wenn die Systeme sich in vielerlei Hinsicht aufeinander zubewegen.4) Da es im bisherigen deutschen Aktienrecht kein Vorbild für das monistische System gab, hat der Gesetzgeber die hier auftretenden Fragen, soweit sie vom europäischen Recht nicht beantwortet wurden, in den §§ 20 ff. SEAG neu und selbständig geregelt;5) nach § 20 SEAG verdrängen die §§ 21 ff. SEAG die sonst gegebenenfalls hilfsweise anwendbaren Vorschriften des allgemeinen Aktienrechts (oben Rz. 1.53 f.) vollständig. Bedingt durch die Wahlmöglichkeit zwischen den beiden Organisationsverfassungen, hat der europäische Gesetzgeber einige Fragen gemeinsam für beide Systeme geregelt.6) Dem wird in der folgenden Darstellung nicht gefolgt; die entsprechenden Vorschriften werden vielmehr sowohl bei der dualistischen als auch bei der monistischen Verfassung vorgestellt. II.

Geschäftsführer und Vorstand

1.

Zahl, Zusammensetzung und Organisation

a)

Aktienrecht

Bei der Aktiengesellschaft kann der Vorstand aus einer oder mehreren Per- 3.5 sonen bestehen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 AktG). Hat die Gesellschaft ein Grundkapital von mehr als 3 Mio. Euro, so muss er aus mindestens zwei Personen bestehen, sofern nicht die Satzung bestimmt, dass er nur aus einer Person besteht (§ 76 Abs. 2 Satz 2 AktG). Nach Empfehlung 4.2.1 DCGK soll der Vorstand aus mehreren Personen bestehen und – was § 84 Abs. 2 AktG ausdrücklich gestattet – einen Vorsitzenden oder Sprecher haben. Aus den Mitbestimmungsgesetzen kann sich schließlich die Verpflichtung ergeben, ein besonderes Vorstandsmitglied als Arbeitsdirektor zu bestellen (§ 76 Abs. 2 Satz 3 AktG; vgl. im Einzelnen § 33 Abs. 1 Satz 1 MitbestG, § 13 Abs. 1 Satz 1 Montan-Mitbestimmungsgesetz). Die Zahl der Mitglieder des Leitungsorgans einer Europäischen Aktiengesellschaft oder die Regeln für ihre Festlegung werden durch die SE-Satzung bestimmt (Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO). Die Mitgliedstaaten ___________ 2) 3) 4) 5)

6)

Hierzu Hirte, in: Festschrift für Raiser (2005), S. 839 ff.; zustimmend zu dieser Wahlmöglichkeit früher bereits Hopt, ZGR 2000, 779, 815. So Hirte, NZG 2002, 1, 5; Hommelhoff, AG 2001, 279, 282 („revolutionär“); i. E. ebenso Ulmer, FAZ v. 21.3.2001, Nr. 68 S. 30. Hierzu ausführlich Hopt/Leyens, ECFR 2004, 135 ff. Einen (europarechtlichen) Zwang dazu gab es allerdings nicht (vgl. Art. 43 Abs. 4 SEVO; Hirte, NZG 2002, 1, 5 Fn. 51; Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1854 [auch zur Kritik des Europäischen Parlaments am Fehlen einer entsprechenden Vorgabe]; Siems, KK, Art. 43 SE-VO Rz. 57; abw. Hommelhoff, AG 2001, 279, 284; Entsprechendes gilt für den spiegelbildlichen Fall, dass ein Staat bislang das dualistische System nicht kennt: hier kann es ergänzende Regeln treffen, es muss es aber nicht (Art. 39 Abs. 5 SE-VO). Überblick bei Hirte, NZG 2002, 1, 5 f.; vgl. auch Siems, KK, Vorb. Art. 46 SE-VO.

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§ 3 Organisationsverfassung

können aber eine Mindest- und/oder Höchstzahl festlegen (Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO). Deutschland hat dies in Form von § 16 SEAG getan; danach hat das Leitungsorgan bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als 3 Mio. Euro aus mindestens zwei Personen zu bestehen, sofern die Satzung nicht ausdrücklich bestimmt, dass es nur aus einer Person bestehen soll. Bei einer mitbestimmten deutschen SE sind hingegen immer mindestens zwei Personen zu bestellen, von denen eine für den Bereich „Arbeit und Soziales“ zuständig sein muss (§ 16 Satz 2 SEAG i. V. m. § 38 Abs. 2 SEBG). Das alles entspricht § 76 Abs. 2 AktG. 3.6 Regelungen über die Binnenorganisation des Vorstands enthält § 77 AktG. Sie können wegen § 23 Abs. 5 AktG durch die Satzung nur insoweit abgeändert oder ergänzt werden, als das Gesetz dies ausdrücklich zulässt. Danach können zunächst Einzelfragen der Geschäftsordnung unmittelbar durch die Satzung geregelt werden (§ 77 Abs. 2 Satz 2 AktG). Sodann kann sich der Vorstand selbst eine Geschäftsordnung geben, dies aber nur dann, wenn dieses Recht nicht in der Satzung dem Aufsichtsrat vorbehalten ist oder dieser – unabhängig von einem solchen Vorbehalt – tatsächlich eine Geschäftsordnung erlässt (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AktG).7) Hierin können etwa Einzelheiten des Informationsflusses zwischen Vorstand und Aufsichtsrat festgelegt werden (heute § 91 Abs. 2 AktG).8) 3.7 Kraft Gesetzes finden in Ermangelung spezieller aktienrechtlicher Vorgaben auf die Beschlussfassung im Vorstand § 28 Abs. 1 i. V. m. §§ 32, 34 BGB Anwendung. Zulässig und üblich sind aber explizite Regelungen zur Entscheidungsfindung im Gesamtvorstand (Einstimmigkeit – absolute oder relative Mehrheit) und vor allem zur Arbeitsteilung unter den Vorstandsmitgliedern. Hier sind vor allem die funktionale oder divisionale Organisationsstruktur gebräuchlich: bei der funktionalen Arbeitsteilung werden bestimmte Unternehmensfunktionen (zum Beispiel Einkauf – Produktion – Verkauf – Finanzen – Rechnungswesen – Recht) einzelnen Vorstandsmitgliedern zugewiesen; bei der divisionalen Aufteilung werden demgegenüber einzelne Geschäftsfelder (zum Beispiel Farben – Pharma – Textil) oder geographische Regionen mit ihren sämtlichen Funktionen einem bestimmten Vorstandsmitglied zugewiesen. Schließlich ist eine Mischung beider Ansätze häufig. Empfehlung 4.2.1 DCGK fordert ausdrücklich eine Geschäftsordnung, die die Arbeit des Vorstands, insbesondere die Ressortzuständigkeiten einzelner Vorstandsmitglieder, die dem Gesamtvorstand vorbehaltenen Angelegenheiten und die erforderlichen Beschlussmehrheiten bei Vorstandsbeschlüssen regelt.9) Für bestimmte Arten von Geschäften muss die Satzung oder kann die Geschäftsordnung des Vorstands ___________ 7) 8) 9)

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Dazu ausführlich Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497 ff. Dazu Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 253 f.; Wilde, ZGR 1998, 423, 428; Zimmer, NJW 1998, 3521, 3524. Dazu E. Vetter, DB 2007, 1963, 1964.

II. Geschäftsführer und Vorstand

nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG einen Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats vorsehen; darauf wird noch einzugehen sein (unten Rz. 3.178 und 3.197). Im Übrigen geht das Gesetz vom Grundsatz der Gleichberechtigung aller 3.8 Vorstandsmitglieder aus. Dem entspricht vor allem § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG, nach dem auch durch Satzung oder Geschäftsordnung nicht vorgesehen werden kann, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen Vorstandsmitgliedern gegen die Mehrheit seiner Mitglieder entschieden werden; das bedeutet aus der umgekehrten Perspektive, dass eine Erhöhung des Stimmgewichts selbst besonders kompetenter Vorstandsmitglieder nur in Grenzen zulässig ist. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung gilt der Grundsatz der Gleichberechtigung auch für einen eventuellen Arbeitsdirektor (§ 33 Abs. 1 Satz 1 MitbestG, § 13 Abs. 1 Satz 1 Montan-Mitbestimmungsgesetz).10) Die nach § 84 Abs. 2 AktG mögliche und von Nr. 4.2.1 DCGK empfohlene Bestellung eines Vorstandsvorsitzenden oder -sprechers widerspricht dieser formalen Gleichbehandlung der Vorstandsmitglieder nicht. b)

GmbH-Recht

Ganz im Gegensatz zum Aktienrecht finden sich im GmbH-Gesetz keine Re- 3.9 gelungen zur Binnenorganisation der Geschäftsleitung. 2.

Bestellung und Anstellung

Im Verhältnis der Geschäftsleiter zur Gesellschaft sind zwei grundlegend ver- 3.10 schiedene Rechtsverhältnisse zu unterscheiden – die Bestellung und die Anstellung.11) Die Bestellung ist der korporative Akt, der die Organstellung begründet; ihr Widerruf führt umgekehrt zu ihrer Beendigung. Sie gibt dem Geschäftsleiter aber – von gesetzlichen Anspruchsgrundlagen wie §§ 812 ff. BGB oder Geschäftsführung ohne Auftrag abgesehen – noch keinen irgendwie gearteten Vergütunganspruch. Dieser kann vielmehr nur aus der Anstellung als dem Grundverhältnis zur Bestellung folgen; das ist in der Regel ein (entgeltlicher) Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 BGB auf der Grundlage eines Dienstvertrages nach §§ 611 ff. BGB. Das Verhältnis zwischen beiden ähnelt dabei dem Abstraktionsverhältnis von Vollmacht (Prokura etc.) und deren Grundverhältnis (Dienstvertrag, Arbeits- oder Geschäftsbesorgungsvertrag). a)

Bestellung

aa) Die Bestellung von Vorstandsmitgliedern bei der Aktiengesellschaft erfolgt 3.11 durch den Aufsichtsrat (§ 84 Abs. 1 Satz 1 AktG). Auch das Leitungsorgan einer Europäischen Aktiengesellschaft wird grundsätzlich vom Aufsichtsorgan be___________ 10) Zur wirtschaftlichen Realität (Vorstandsmitglieder „erster“ und „zweiter Klasse“) HoffmannBecking, ZGR 1998, 497, 514 ff.; hierzu auch Endres, ZHR 163 (1999), 441, 448 ff. 11) BGHZ 3, 90; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber, § 35 GmbHG Rz. 69.

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§ 3 Organisationsverfassung

stellt (Art. 39 Abs. 2 UA 1 SE-VO); das einzelstaatliche Recht kann aber eine Bestellung und Abberufung durch die Hauptversammlung gestatten oder vorschreiben (Art. 39 Abs. 2 UA 2 SE-VO), wie dies in Deutschland für die gesetzestypische GmbH gilt. Deutschland hat eine solche Regelung – die dann auch auf die nationale Aktiengesellschaft zu erstrecken gewesen wäre – allerdings trotz entsprechender Vorschläge12) auch für kleine (nicht börsennotierte) und/oder nicht mitbestimmte Gesellschaften nicht eingeführt. Die Bestellung des Geschäftsführers geschieht bei der GmbH durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG). Etwas anderes gilt dann, wenn die Person des Geschäftsführers in der Satzung festgelegt ist oder die Satzung vom Gesetz abweichende Regelungen (etwa höhere Mehrheiten) zum Bestellungsverfahren enthält. In allen Fällen bedarf es einer Annahme der Bestellung durch den zu bestellenden Geschäftsleiter.13) 3.12 Die notwendigen persönlichen Voraussetzungen eines Geschäftsleiters ergeben sich aus § 76 Abs. 3 AktG, § 6 Abs. 2 GmbHG. Bestellt werden können danach zunächst nur natürliche Personen. In der SE ist demgegenüber europarechtlich auch eine Satzungsregelung möglich, nach der Gesellschaften oder andere juristische Personen zu Organmitgliedern bestellt werden können, allerdings nur, wenn das nationale Aktienrecht des Sitzstaats eine solche Regelung kennt (Art. 47 Abs. 1 UA 1 SE-VO);14) Deutschland hat dies für die monistische Verfassung ausdrücklich ausgeschlossen (unten Rz. 3.209), während die Unzulässigkeit einer solchen Gestaltung für die dualistische SE-Verfassung aus dem subsidiär anwendbaren nationalen Aktienrecht folgt (Art. 9 SE-VO). Nach Empfehlung 5.1.2 DCGK soll für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft vom Aufsichtsrat eine Altersgrenze festgelegt werden. Zudem können unter anderem in den letzten fünf Jahren wegen einer Insolvenzstraftat (§§ 281 ff. StGB) verurteilte Personen nicht zum Geschäftsleiter bestellt werden; das MoMiG hat den Katalag der Bestellungsverbote um verschiedene Betrugs- und betrugsähnliche Tatbestände erweitert (§ 76 Abs. 3 Satz 2 AktG, § 6 Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Zur „Inhabilität“ nach der jeweiligen Nr. 3 führen aber nur vorsätzlich begangene Straftaten, andererseits aber auch Verurteilungen im Ausland wegen einer Tat, die den in Nr. 3 genannten Delikten vergleichbar ist. Ein auf die Bestellung einer nicht bestellbaren Person hinzielender Beschluss ist nichtig.15) Ein durch das MoMiG neu eingeführter § 6 Abs. 5 GmbHG sta___________ 12) Dafür Hirte, NZG 2002, 1, 6; ebenso zuvor Hommelhoff, AG 2001, 279, 283 mit dem Hinweis, dass dies die Masse aller SE ist. 13) MünchHdb GmbH-Diekmann/Marsch-Barner, § 42 Rz. 23 ff. 14) Für einen Versuch in dieser Richtung im Ausführungsgesetz Hommelhoff, AG 2001, 279, 283. 15) OLG Naumburg ZIP 2000, 622, 624 (zur entsprechenden Anwendung für eine Verurteilung wegen einer vergleichbaren Straftat durch ein ausländisches Strafgericht); KG ZIP 2012, 84 = NZG 2012, 430 (für Gewerbeuntersagungsverfügung gegen den Geschäftsführer einer GmbH).

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tuiert eine besondere gesamtschuldnerische Haftung von Gesellschaftern, die vorsätzlich oder fahrlässig einer Person, die nach § 6 Abs. 2 GmbHG nicht Geschäftsführer sein kann, die „Führung der Geschäfte überlassen“; sie haften der Gesellschaft für den Schaden, der ihr dadurch entsteht, dass die nicht zum Geschäftsführer bestellbare Person ihre der Gesellschaft gegenüber obliegenden Obliegenheiten verletzt. Die auf eine Anregung des Bundesrates zurückgehende Norm16) wurde gegenüber der vorgeschlagenen Fassung insoweit leicht verändert, als als schadenersatzbegründender Akt nicht das „Bestellen und NichtAbberufen“ qualifiziert wird, weil die Bestellung einer inhabilen Person ohnehin schon nichtig ist und der nachträgliche Eintritt eines Bestellungshindernisses ipso iure zum sofortigen Amtsverlust führt.17) Aus diesem Grunde dürfte die Bedeutung der neuen Haftungsnorm andererseits auch gering sein. Ein ebenfalls neuer § 13e Abs. 3 Satz 2 HGB erstreckt die Bestellungsverbote 3.12a auf Niederlassungen ausländischer Gesellschaften im Inland, so dass diese nicht mehr durch Rückgriff auf eine „Schein-Auslandsgesellschaft“ unterlaufen werden können.18) Das hatte der BGH inzwischen schon auf der Grundlage des bislang geltenden Rechts angenommen.19) Mit Blick darauf wurde durch § 399 Abs. 1 Nr. 6 AktG, § 82 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG n. F. auch die Strafbarkeit für falsche Versicherungen auf Geschäftsleiter ausländischer juristischer Personen erstreckt. Ausländer können zum Geschäftsführer einer GmbH (oder zum Vorstand einer 3.12b AG) auch dann bestellt werden, wenn sie im Ausland wohnen. In diesem Fall musste aber nach vor Inkrafttreten des MoMiG herrschender Auffassung sichergestellt sein, dass sie ihren gesetzlichen Verpflichtungen als Geschäftsführer im Inland jederzeit nachkommen können; für sie musste daher jederzeit die Möglichkeit der Einreise ins Inland bestehen. Hintergrund dieser Forderung war die Erfahrung, dass zivil- und strafrechtlich schlecht heranzuziehende ausländische Geschäftsführer häufig im Vorfeld von (masselosen) Insolvenzverfahren bestellt werden. Die genannten Voraussetzungen hatte das Registergericht analog § 6 Abs. 2 Satz 3 GmbHG (bzw. § 37 Abs. 2 Satz 1 AktG) zu über___________ 16) Stellungnahme des Bundesrates zum RegE-MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 64.; Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, ebda., Anlage 3, S. 75. – Die Überlegungen gehen ihrerseits zurück auf den – in der laufenden Legislaturperiode erneut vom Bundesrat eingebrachten (BR-Beschluss, BR-Drucks. 878/05) – Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz), BT-Drucks. 16/511. 17) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 55. 18) Hierzu Kindler, AG 2007, 721, 729; zu den bislang faktisch bestehenden Möglichkeiten, die Vorschriften zu unterlaufen, Hirte, in: Hirte/Bücker Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006), § 1 Rz. 38. 19) BGHZ 173, 200 = ZIP 2007, 1306 = NJW 2007, 2328; dazu Eidenmüller, NJW 2008, 28; ebenso zuvor Hirte, in: Hirte/Bücker (Fn. 18), § 1 Rz. 56.

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prüfen.20) Mit dem durch das MoMiG neu gefassten § 4a GmbHG (bzw. § 5 Abs. 2 AktG), nach dem der Sitz der Verwaltung einer Gesellschaft nicht mehr zwingend im Inland liegen muss, lässt sich diese Auffassung aber kaum noch halten.21) Vielmehr beinhaltet die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften nach Art. 49, 54 AEUV – wie der VGH Kassel zu Recht hervorhob – als Funktionsbedingung für ihre praktische Wirksamkeit für Mitarbeiter ihres Managements ein die Einreise und den Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat legitimierendes Freizügigkeitsrecht, das auch diejenigen Mitarbeiter des Managements begünstigt, die aus Drittstaaten stammen. Drittstaatsangehörige Mitglieder des Managements müssen dabei allerdings in dem Mitgliedstaat, in dem sich der Stammsitz der Gesellschaft befindet, ein Recht zum Aufenthalt haben.22) Ein Wohnsitz im Inland kann zudem, wie der EuGH schon früher in einem auf Vorlage des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs durchgeführten Vorabentscheidungsverfahren feststellte, erst recht nicht verlangt werden; denn dies verstieße zu Lasten des Arbeitgebers gegen Art. 45 AEUV (früher Art. 39 EG bzw. Art. 48 EGV).23) 3.13 Während bei der Aktiengesellschaft die Bestellung nur für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren möglich ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 AktG), fehlen derartige Vorgaben bei der nicht mitbestimmten GmbH; sie können aber in die Satzung aufgenommen werden. Für die Erstbestellung eines Vorstandsmitglieds regt Nr. 5.1.2 DCGK an, in der Regel nicht die Höchstdauer auszuschöpfen. Allerdings ist die erneute Bestellung eines Vorstandsmitglieds möglich. Nach Empfehlung 5.1.2 DCGK soll eine solche Wiederbestellung vor Ablauf eines Jahres vor dem Ende der Bestelldauer unter gleichzeitiger Aufhebung der laufenden Bestellung – entgegen einer bislang häufig geübten Praxis – nur bei Vorliegen besonderer Umstände erfolgen; gleichwohl steht sie – wie der BGH zwischenzeitlich ___________ 20) OLG Köln DB 1999, 38 = EWiR § 6 GmbHG 1/99, 261 (Mankowski); OLG Köln NJWRR 1999, 1637 = NZG 1999, 269 = DStR 1999, 430 = BB 1999, 493 = EWiR § 6 GmbHG 2/99, 461 (Rawert); OLG Zweibrücken NJW-RR 2001, 1689 (für einen Rumänen); hierzu Erdmann, NZG 2002, 503; krit. Wachter, ZIP 1999, 1577; ders., NotBZ 2001, 233. Das gilt auch dann, wenn neben dem ausländischen Geschäftsführer ein weiterer Geschäftsführer bestellt wird, der die Einreise-Voraussetzungen erfüllt: LG Bielefeld bestätigt durch OLG Hamm ZIP 1999, 1919 = NJW-RR 2000, 37 = DStR 1999, 1746 (Ls.) (BS). Zu den Grenzen der Prüfungsbefugnis des Registergerichts bei einem jederzeit einreisebefugten US-Amerikaner OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2001, 1616 = EWiR § 6 GmbHG 1/01, 813 (Mankowski); abw. als Vorinstanz LG Gießen EWiR § 6 GmbHG 1/2000, 861 (Wachter). 21) Zutreffend OLG Düsseldorf ZIP 2009, 1074 f. = ZInsO 2009, 1499 = EWiR § 6 GmbHG 1/09, 573 (Lamsa); OLG München ZIP 2010, 126, 127 = NZG 2010, 157. 22) VGH Kassel ZIP 2014, 1125, 1126 = NVwZ-RR 2014, 698; in der Sache im Anschluss an EuGH (Urt. v. 7.5.1998 – Rs. C-350/96), Slg. 1998, I-2521 (Clean Car Autoservice) = EuZW 1998, 601 = EWiR Art. 48 EGV 1/99, 355 (Frey/Thölke). 23) EuGH (Urt. v. 7.5.1998 – Rs. C-350/96), Slg. 1998, I-2521 (Clean Car Autoservice) = EuZW 1998, 601 = EWiR Art. 48 EGV 1/99, 355 (Frey/Thölke).

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klarstellte – nicht in Widerspruch zum Gesetz.24) In der Europäischen Aktiengesellschaft sind Vorstandsmitglieder für den in der Satzung festgelegten Zeitraum zu bestellen, der sechs Jahre nicht überschreiten darf (Art. 46 Abs. 1 SE-VO).25) Die Bestellung ist eine in das Handelsregister einzutragende (eintragungs- 3.14 pflichtige) Tatsache (Art. 2 Abs. 1 d Erste Richtlinie, § 81 Abs. 1 AktG, § 39 GmbHG i. V. m. § 15 HGB). Die Eintragung ist allerdings nur deklaratorischer Natur. Für die (in der GmbH seltenen) stellvertretenden Geschäftsleiter (stellvertretendes Vorstandsmitglied/stellvertretender Geschäftsführer) gilt das Gleiche (§ 94 AktG, § 44 GmbHG). Ein „stellvertretender Geschäftsführer“ ist in das Handelsregister auch dann nur als „Geschäftsführer“ bzw. „Vorstand“ einzutragen, wenn die Anmelder ausdrücklich die Eintragung des Stellvertreterzusatzes beantragen.26) Keiner gesonderten Anmeldung bedarf es für den bereits bei der Errichtung der 3.15 Gesellschaft bestellten Geschäftsleiter; hier gelten § 39 Abs. 1 AktG, § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GmbHG. Ist ein Geschäftsleiter vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB)27) befreit, ist dies ungeachtet der in diesen Fällen besonderen Offenlegungserfordernisse bezüglich der einzelnen Geschäfte (dazu oben Rz. 2.4) auch beim Alleingesellschafter als Geschäftsleiter eine besonders einzutragende Angabe (§ 39 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 10 Abs. 1 Satz 2 GmbHG).28) Die Hauptbedeutung dieser Befreiung liegt zwar wegen des dort fehlenden Aufsichtsrats bei der GmbH (ausdrücklich § 35 Abs. 3 [früher Abs. 4] Satz 1 ___________ 24) BGH ZIP 2012, 1750 = NZG 2012, 1027 = DStR 2012, 1869 = EWiR § 84 AktG 1/12, 577 (Nikoleyczik/Schult); dazu Besse/Heuser, DB 2012, 2385; Bürgers/Theusinger, NZG 2012, 1218; Wedemann, ZGR 2013, 316; teilweise kritisch dazu (nämlich einen rechtfertigenden Grund für eine Neufestsetzung fordernd) Priester, ZIP 2012, 1781; weitergehend als Vorinstanz OLG Zweibrücken ZIP 2011, 617, 618 f. = NZG 2011, 433 = EWiR § 84 AktG 1/11, 297 (Paul), das aus der nicht zwingenden Kodexbestimmung die Nichtigkeit einer gegen die Vorgaben des Kodex verstoßenden Wiederbestellung ableitete. 25) Dazu Hommelhoff, AG 2001, 279, 283: „rechtspolitisch durchaus noch akzeptabel“; dies positiv bewertend Ulmer, FAZ v. 21.3.2001, Nr. 68 S. 30. 26) BGH NJW 1998, 1071 = ZIP 1998, 152 = LM H. 5/1998 § 10 GmbHG Nr. 3 (GmbH); ebenso der Vorlagebeschluss des BayObLG NJW-RR 1997, 673 = DB 1997, 818 = BB 1997, 851 = GmbHR 1997, 410 = EWiR § 44 GmbHG 1/97, 523 (Bokelmann) = DZWir 1997, 196 (Ring); abw. OLG Düsseldorf NJW 1969, 1259; OLG Stuttgart NJW 1960, 2150. 27) Bei fehlender Befreiung kann nicht nur die Stimmabgabe, sondern auch der darauf ergehende Beschluss unwirksam sein: BayObLG ZIP 2001, 70 = NJW-RR 2001, 469 = NZG 2001, 128 = DStR 2001, 496 (Hergeth). 28) EuGH (Urt. v. 12.11.1974 – Rs. 32/74), Slg. 1974, 1201 (Firma Friedrich Haaga GmbH) (auf Vorlage des BGH NJW 1974, 1640); BGHZ 87, 59, 60 = ZIP 1983, 568 = NJW 1983, 1676 (abw. noch BGHZ 33, 189, 192 = NJW 1960, 2285); KG ZIP 2006, 2085, 2086 = NZG 2006, 718 = EWiR § 35 GmbHG 1/2006, 683 (Theusinger/Liese); aber keine Eintragungsfähigkeit einer bloß möglichen Änderung der Vertretungsverhältnisse aufgrund einer (zulässigen) bloßen Ermächtigung der Gesellschafterversammlung zur Befreiung der Geschäftsführer von § 181 BGB: OLG Frankfurt/M. OLGZ 1994, 288 = NJW-RR 1994, 165; OLG Hamm NJW-RR 1997, 415; OLG Hamm NJW-RR 1998, 1193 = DB 1998, 1457 = BB 1998, 1328 = GmbHR 1998, 682 = EWiR § 35 GmbHG 2/98, 701 (Bokelmann); für restriktive Anwendung Bachmann, ZIP 1999, 85.

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GmbHG); bei der Aktiengesellschaft kann sie aber im Hinblick auf das ebenfalls von § 181 BGB erfasste Verbot der Doppelvertretung relevant werden. Auch wenn bei einem Vorstandsmitglied die Vertretungsmacht nicht infolge Selbstkontrahierens i. S. v. § 181 BGB entfällt, kann aber eine Offenlegung von Interessenkonflikten geboten sein (dazu unten Rz. 3.73). 3.16 bb) Die Bestellung der Geschäftsführer ist jederzeit widerruflich; es gilt der Grundsatz der freien Abberufbarkeit (§ 38 Abs. 1 GmbHG). Der Widerruf der Bestellung eines Geschäftsführers stellt auch kein vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft mit der Folge dar, dass der seinerseits den Anstellungsvertrag kündigende Geschäftsführer von der Gesellschaft nach § 628 Abs. 2 BGB Schadenersatz verlangen könnte.29) Allerdings kann die Widerruflichkeit im Gesellschaftsvertrag auf den Widerruf aus wichtigem Grund eingeschränkt werden (§ 38 Abs. 2 GmbHG). Einschränkungen der Widerruflichkeit im Anstellungsvertrag reichen insoweit nicht, wohl aber (möglicherweise) solche, die in schuldrechtlichen Nebenvereinbarungen der Gesellschafter enthalten sind (dazu unten Rz. 3.269 ff.). Umgekehrt kann die Bestellung zum Geschäftsführer aber auch unter einer auflösenden Bedingung erfolgen mit der Konsequenz, dass das Amt bei Eintritt der Bedingung automatisch endet.30) Bei der Aktiengesellschaft und bei mitbestimmten Gesellschaften ist die Abberufung immer nur aus wichtigem Grund möglich (§ 84 Abs. 3 AktG, § 31 Abs. 1 MitbestG, § 13 Montan-MitbestErgG); das gilt auch für die Europäische Aktiengesellschaft.31) Was ein wichtiger Grund sein kann, ist in § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG, § 38 Abs. 2 Satz 2 GmbHG konkretisiert. Beispiele: Die Forderung einer Hausbank, ein bestimmtes Vorstandsmitglied abzuberufen, und die Ankündigung, andernfalls eine wichtige Kreditlinie nicht zu verlängern, sollen jedenfalls bei bestehender Insolvenzreife der Gesellschaft einen wichtigen Grund zur Abberufung des Vorstandsmitglieds nach § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG darstellen.32) Die Verletzung von Buchführungspflichten, insbesondere die Nichteinreichung der Jahresabschlüsse beim Finanzamt, soll eine schwerwiegende Pflichtverletzung des dafür zuständigen Geschäftsführers (hier: eines Rechtsanwalts) darstellen.33) In einer Zwei-Personen-GmbH soll darüber hinaus die Abberufung jedes Geschäftsführers möglich sein, wenn beide so zerstritten sind, dass eine Zusammenarbeit zwischen ihnen nicht mehr möglich ist, ohne dass es auf den Verursachungsanteil des Abzuberufenden ankäme.34)

___________ 29) BGH ZIP 2003, 28, 29 = NJW 2003, 351 = NZG 2003, 84 = EWiR § 628 BGB 1/03, 259 (Frey). 30) BGH ZIP 2005, 2255 = NZG 2006, 62 = EWiR § 6 GmbHG 1/2006, 113 (Theusinger/Liese). 31) Hommelhoff, AG 2001, 279, 283. 32) BGH ZIP 2007, 119 = NJW-RR 2007, 389 = NZG 2007, 189 = EWiR § 84 AktG 1/07, 161 (Krüger/Achsnick). 33) BGH ZIP 2009, 513, 515 Tz. 15 = NJW-RR 2009, 618 = NZG 2009, 386 = ZInsO 2009, 532 = DStR 2009, 597. 34) BGH ZIP 2009, 513, 515 Tz. 15 = NJW-RR 2009, 618 = NZG 2009, 386 = ZInsO 2009, 532 = DStR 2009, 597; ebenso zuvor bereits BGH ZIP 1992, 760, 761 = NJW-RR 1992, 993 = EWiR § 38 GmbHG 3/92, 1001 (Bork).

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Als wichtiger Grund ist bei der Aktiengesellschaft insbesondere ein Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung in Form einer verweigerten Entlastung (§ 120 AktG) anzusehen; wegen der unmittelbaren Abberufungskompetenz der GmbH-Gesellschafterversammlung gibt es eine ähnliche Regelung im GmbHGesetz nicht. Der Widerruf der Bestellung eines Geschäftsleiters führt im Hinblick auf die Trennung von Bestellung und Anstellung nicht zur Annahme eines vertragswidrigen Verhaltens der Gesellschaft i. S. v. § 628 Abs. 2 BGB.35) Zuständig für den Widerruf der Bestellung (die Abberufung) ist bei der Ak- 3.17 tiengesellschaft der Aufsichtsrat (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG), bei der SE das Aufsichtsorgan (Art. 39 Abs. 2 UA 1 SE-VO) und bei der GmbH die Gesellschafterversammlung, die darüber durch Beschluss zu entscheiden hat (§ 46 Nr. 5 GmbHG). Ist nach der Satzung ein anderes Organ für die Bestellung zuständig, so ist dies auch für die Abberufung zuständig. Erfolgt die Abberufung aus wichtigem Grund, muss sie binnen einer angemessenen Frist vorgenommen werden; die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gilt hier nicht.36) Bei der Entscheidung über Bestellung und Abberufung darf der Geschäftsführer, der zugleich Gesellschafter ist, mit abstimmen, sofern nicht eine Abberufung aus wichtigem Grund zur Debatte steht.37) cc) Vorbehaltlich abweichender Regelung in Satzung oder Anstellungsvertrag 3.18 kommt auch eine Beendigung der Bestellung durch Niederlegung des Amtes jederzeit in Betracht. Bei der (zugangsbedürftigen) Erklärung seiner Amtsniederlegung gegenüber der Gesamtheit aller Gesellschafter (nicht gegenüber dem Mitgeschäftsführer!38)) gilt auch der Grundsatz, dass die Gesellschaft hier durch einen (Gesellschafter-)Gesamtvertreter vertreten wird, so dass es nicht darauf ankommt, ob dieser die Mitteilung an die anderen weiterleitet;39) das entspricht dem allgemeinen Prinzip, dass die Aufspaltung von Zuständigkeiten bei einer juristischen Person nicht zu Lasten Dritter gehen darf (dazu im Zusammenhang mit der Kenntniszurechnung unten Rz. 3.316). Die Amtsniederlegung durch den einzigen GmbH-Geschäftsführer, der zugleich Gesellschafter ist, ist aber (auch nach Inkraftteren des MoMiG) rechtsmissbräuchlich, wenn er nicht zugleich einen neuen Geschäftsführer bestellt. In diesem Fall darf daher schon ___________ 35) BGH NJW 2003, 351 = NZG 2003, 84 = DStR 2002, 2182, 2183 (GmbH). 36) MünchHdb GmbH-Diekmann/Marsch-Barner, § 42 Rz. 63. 37) MünchHdb GmbH-Diekmann/Marsch-Barner, § 42 Rz. 61; Reher, Die ZweipersonenGmbH – Notwendigkeit eines Sonderrechts (2003), S. 111 f.; Zöllner/Noack, in: Baumbach/ Hueck, § 38 GmbHG Rz. 33. 38) OLG Düsseldorf ZIP 2005, 1741 = NZG 2005, 632. 39) BGHZ 149, 28 = ZIP 2001, 2227, 2228 = NZG 2002, 43 = NZI 2002, 97 = DStR 2002, 183 = EWiR § 35 GmbHG 1/02, 67 (F. Wagner); allgemein und zusammenfassend zur Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers Lohr, DStR 2002, 2173; Schuhmann, NZG 2002, 706.

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das Registergericht einem Löschungsantrag nicht nachkommen, so dass es gar nicht zur Vertreterlosigkeit der juristischen Person kommt.40) 3.19 Ist die Niederlegung des letzten Geschäftsführers wirksam, kommt die Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 29 BGB (der auch für das GmbH-Recht gilt) in Betracht.41) Entsprechendes gilt nach § 85 Abs. 1 AktG für die Aktiengesellschaft. Bei einer Mehrpersonen-GmbH darf ein Gesellschafter aber nicht gegen seinen Willen zum Notgeschäftsführer bestellt werden.42) In Prozessen einschließlich des Insolvenzverfahrens gibt es auch die Möglichkeit der Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 ZPO. 3.19a Trotz der beschriebenen Möglichkeiten bestand aber das Risiko, dass eine Gesellschaft vollständig vertreterlos wurde oder die Bestellung eines neuen Vertreters nur mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand möglich war. Das wurde zum Zwecke der „organisierten Bestattung von Kapitalgesellschaften“43) weidlich ausgenutzt: Hier wurde es den Gläubigern von Gesellschaften durch Wegfall sämtlicher Vertreter und Schließung jeglicher (inländischer) Geschäftslokale systematisch erschwert, der Gesellschaft Schriftstücke einschließlich des Insolvenzantrags zugehen zu lassen; Restvermögen konnte schließlich nach Ablauf einer gewissen Zeit unter den Gesellschaftern – und deren „Beratern“ verteilt werden. 3.19b Das Risiko der Vertreterlosigkeit einer Gesellschaft bekämpft das MoMiG in mehrfacher Weise: Zunächst bestimmt es für den Fall, dass die normalen gesetzlichen Vertreter (Geschäftsführer) fehlen (als „Führungslosigkeit“ bezeichnet), ___________ 40) So zuletzt (nach Inkrafttreten des MoMiG) OLG München ZIP 2011, 866 = NJW-RR 2011, 773 = NZG 2011, 432 = NZI 2011, 295 = DStR 2011, 636 = EWiR § 38 GmbHG 1/11, 499 (Kohl); OLG München ZIP 2012, 1559 = NZG 2012, 739 = EWiR § 39 GmbHG 1/12, 625 (Hangebrauck) (gilt auch für die UG/im konkreten Fall war er zudem „mittelbarer“ Geschäftsführer einer GmbH); abw. Berger, ZInsO 2009, 1977, 1981 f. (Rechtsprechung heute überholt); früher bereits für Missbrauch BayObLG ZIP 1999, 1599, 1600 m. w. N. = NJW-RR 2000, 179 = DStR 2000, 290 (Ls.) (Schaub) (st. Rspr.); ebenso OLG Hamm OLGZ 88, 411 = ZIP 1988, 1048 = WM 1988, 1192 = EWiR § 38 GmbHG 2/88, 795 (Fleck); OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 609 = ZIP 2001, 25 = DStR 2001, 454 (Haas) = ZInsO 2001, 323 = NZI 2001, 97; OLG Zweibrücken ZIP 2006, 950; OLG Köln ZIP 2008, 646, 647; offengelassen von BGHZ 121, 257, 262 = ZIP 1993, 430 = NJW 1993, 1198 = EWiR § 38 GmbHG 1/93, 461 (Miller) = LM H. 7/1993 § 38 GmbHG Nr. 13 (Heidenhain). 41) OLG Dresden NZI 2000, 136 = NJW-RR 2000, 579; OLG Frankfurt/M. DB 2001, 472 = GmbHR 2001, 436; zum Ganzen Helmschrott, ZIP 2001, 636; Kutzer, ZIP 2000, 654. Zur Entbehrlichkeit der Bestellung eines Notgeschäftsführers bei Vorhandensein eines Verfahrenspflegers OLG Zweibrücken ZIP 2001, 973, 974 f. = NJW-RR 2001, 1057 = ZInsO 2001, 472 = NZI 2001, 378 = EWiR § 57 ZPO 1/02, 223 (Pape). Die Abberufung eines vom Gericht analog § 29 BGB bestellten Notgeschäftsführers ist nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich: OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1398 = ZIP 1997, 846. 42) KG NJW-RR 2001, 900 = DStR 2001, 952 (Ls.) (Haas) = EWiR § 29 BGB 1/2000, 757 (Bokelmann). 43) Beschreibung des tatsächlichen Vorgehens bei Hirte, ZInsO 2003, 833.

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eine passive Ersatzvertretung für die Abgabe von Willenserklärungen oder die Zustellung von Schriftstücken durch die Mitglieder des Aufsichtsrats oder – so bei der GmbH – durch die Gesellschafter (§ 78 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Letzteres gilt – wie der Rechtsausschuss entgegen der Fassung des RegE empfahl – selbst dann, wenn bei der GmbH im Einzelfall ein Aufsichtsrat bestehen sollte;44) denn dessen Mitglieder sind aus dem Handelsregister selbst nicht ersichtlich.45) Hinsichtlich des aktienrechtlichen Aufsichtsrats gilt dabei, wie jetzt in § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG ausdrücklich klargestellt wird, der Grundsatz der Einzelvertretung; für die Gesellschafterversammlung dürfte dies – auch wenn es insoweit an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung fehlt – auch gelten.46) Auf eine Kenntnis der GmbH-Gesellschafter von der Führungslosigkeit kommt es dabei nicht an;47) Entsprechendes dürfte im Aktienrecht für die Mitglieder des Aufsichtsrats gelten. Sollte ein Aufsichtsrat fehlen oder funktionslos sein, wird man die Aktionäre als zustellungsbevollmächtigt ansehen können.48) Entgegen dem RefE wird der Fall der bloßen Unerreichbarkeit des Geschäftsführers nicht mehr zur Führungslosigkeit gerechnet.49) Andererseits schließt das Vorhandensein eines bloß „faktischen Geschäftsführers“ die Führungslosigkeit nicht aus.50) Die neuen Normen verhindern aber nicht, dass eine Gesellschaft durch die Amtsniederlegung ihres Geschäftsführers prozessunfähig wird; die mangelnde Prozessfähigkeit kann aber – wie der BGH deutlich machte – auch später noch durch die Bestellung eines Notgeschäftsführers oder Prozesspflegers (oben Rz. 3.19) geheilt werden.51) Nach den neuen § 37 Abs. 3 Nr. 1 AktG, § 8 Abs. 4 Nr. 1 GmbHG ist bei der 3.19c Anmeldung – über das der Sache nach bisher schon bestehende Erfordernis hinaus, Art und Umfang der Vertretungsbefugnis der Geschäftsleiter anzugeben (jetzt § 37 Abs. 3 Nr. 2 AktG, § 8 Abs. 4 Nr. 2 GmbHG) – nunmehr auch eine inländische Geschäftsanschrift anzugeben. Nach den ebenfalls neu ___________ 44) Hierzu Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 56. 45) Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2007, 735 Rz. 61 f.; schon abw. nach dem RegE Wälzholz, DStR 2007, 1914, 1915; weitergehend unter dem RegE Gehrlein, Konzern 2007, 771, 777 (für eine Anwendung auch auf den fakultativen Aufsichtsrat). 46) So für den Zugang der Erklärung über die Amtsniederlegung eines Geschäftsführers (Zugang bei einem Gesellschafter als Gesamtvertreter reicht) schon BGHZ 149, 28 = ZIP 2001, 2227, 2228 = NZG 2002, 43 = NZI 2002, 97 = DStR 2002, 183 = EWiR § 35 GmbHG 1/02, 67 (F. Wagner). 47) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 48) Gehrlein, Konzern 2007, 771, 777 f. 49) AG Potsdam ZIP 2013, 1638 = NZI 2013, 602; Wälzholz, DStR 2007, 1914, 1916. 50) Abw. C. Brand/M. Brand NZI 2010, 712; 714 ff. 51) BGH ZIP 2010, 2444 Tz. 13 f., 22 = DStR 2010, 2643 = EWiR § 35 GmbHG 1/11, 17 (Zarth).

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gefassten § 39 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 10 Abs. 1 GmbHG ist sie in das Handelsregister einzutragen. Unter der für Dritte im Handelsregister auch online einsehbaren Anschrift kann fortan an den oder die Vertreter der Gesellschaft wirksam zugestellt werden oder es können dort ihm gegenüber Willenserklärungen abgegeben werden (ausdrücklich die neuen § 78 Abs. 2 Satz 3 AktG, § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG). Dabei kommt es nicht darauf an, dass der oder die Vertreter korrekt bezeichnet werden, solange nur der Wille des Absenders erkennbar ist, der Gesellschaft gegenüber eine Erklärung abzugeben.52) Die Pflicht, Änderungen der Geschäftsanschrift anzugeben, ergibt sich künftig aus § 31 HGB. Vor allem aber knüpft das Gesetz an eine Verletzung der Aktualisierungspflicht die erleichterte öffentliche Zustellung. Nach § 18 EGAktG, § 3 Abs. 1 EGGmbHG sind die Geschäftsanschriften auch von schon bestehenden Gesellschaften bis spätestens zum 31. Oktober 2009 zum Handelsregister anzumelden; geschieht dies nicht, tragen die Registergerichte die ihnen nach § 24 HRV bereits mitgeteilten, wenngleich nicht formell eingetragenen Anschriften als Geschäftsanschriften ein, sofern diese nach § 9 Abs. 1 HGB online abrufbar waren, und diese Anschriften haben auch ohne formelle Eintragung bereits die Wirkung der § 78 Abs. 2 Satz 3 AktG, § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG. Das alles gilt auch für die Geschäftsanschriften von Zweigniederlassungen, insbesondere solcher von Auslandsgesellschaften (§ 13d Abs. 2 HGB, für Niederlassungen inländischer Gesellschaften § 13 Abs. 1 HGB), wodurch deren Erreichbarkeit im Inland sichergestellt werden soll.53) 3.19d Der öffentlichen Zustellung vorgeschaltet ist jetzt aber auch der besondere Zustellungsvertreter („weitere Empfangsperson“; § 39 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 10 Abs. 2 Satz 2 GmbHG): Die Gesellschaft kann eine Person ihres Vertrauens (Gesellschafter, Steuerberater etc.) mit ihrer inländischen Anschrift in das Handelsregister eintragen lassen (eintragungsfähige Tatsache), die den Gläubigern der Gesellschaft als zusätzlicher Vertreter für den Empfang von Willenserklärungen54) und die Bewirkung von Zustellungen neben den Vertretern der Gesellschaft dient. Die Gläubiger können sich auf den Bestand seiner Empfangsberechtigung (Vollmacht) berufen, solange er im Handelsregister eingetragen ist; der § 15 HGB nachgebildete Gutglaubensschutz erfasst aber nicht den Fortbestand der Anschrift selbst.55) Ihm gegenüber können nach den neu gefassten § 78 Abs. 2 Satz 4 AktG, § 35 Abs. 2 Satz 4 GmbHG jetzt auch Zu-

___________ 52) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43. 53) Hierzu Kindler, AG 2007, 721, 728 f. (zur Anwendbarkeit auch auf inländische Gesellschaften mit ausländischem Verwaltungssitz S. 722 f.). 54) Insoweit ergänzt auf Empfehlung des Rechtsauschusses; dazu Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 55. 55) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 37.

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stellungen erfolgen und Willenserklärungen abgegeben56) werden. Mit diesem Ansatz einer bloß fakultativen weiteren Empfangsperson bleibt das neue deutsche Recht hinter dem ebenfalls denkbaren Ansatz zurück, wie etwa das englische Recht eine Pflicht zur Bestellung eines besonderen Zustellvertreters zu statuieren.57) – § 13e Abs. 2 Satz 4, Abs. 3a HGB eröffnet die Möglichkeit der Eintragung eines besonderen Vertreters für den Empfang von Willenserklärungen und die Bewirkung von Zustellungen jetzt auch für die Niederlassung ausländischer Gesellschaften. Darauf „aufbauend“, erlaubt § 185 Nr. 2 ZPO i. V. m. § 15a HGB nunmehr die 3.19e öffentliche Zustellung zu Lasten einer juristischen Person, wenn der Zugang der Willenserklärung (1) nicht unter der im Handelsregister eingetragenen inländischen Anschrift, (2) einer im Handelsregister eingetragenen Anschrift eines besonderen Zustellvertreters oder (3) einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist. Das letzte Erfordernis ist freilich (etwas) zu relativieren: Denn eine öffentliche Zustellung ist zwar möglich, ohne dass Ermittlungen hinsichtlich einer inländischen Anschrift angestellt werden; diese können aber mit Blick auf das wegen § 188 ZPO langwierige Verfahren der öffentlichen Zustellung58) gleichwohl sinnvoll sein, weil auf diesem Wege eine Zustellung nach Mitteilung der Anschrift an das Gericht schneller erreicht werden kann.59) Einer Zustellung im Ausland bedarf es allerdings selbst dann nicht, wenn ein 3.19f ausländischer Wohnsitz eines Geschäftsleiters oder einer sonst empfangsbereiten Person positiv bekannt ist.60) Nicht erfasst von der Neuregelung sind Genossenschaften61) und (eingetragene) Vereine; denn das Gesetz knüpft die Möglichkeit der öffentlichen Zustellung an das in den einzelnen Gesellschaftsgesetzen statuierte Erfordernis, die Geschäftsanschrift zum Handelsregister anmelden zu müssen. Durch erst auf Empfehlung des Rechtsausschusses erfolgte Änderungen in § 10 3.19g VwZG werden die Änderungen des § 185 ZPO in das (Bundes-)Verwaltungszustellungsrecht übertragen.

___________ 56) Insoweit klargestellt durch den Rechtausschuss; dazu Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 56 mit Verweis auf S. 55; zur abw. Fassung des RegE Gehrlein, Konzern 2007, 771, 778; Steffek, BB 2007, 2077, 2080 f. 57) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 53. 58) § 188 ZPO lautet: „Das Schriftstück gilt als zugestellt, wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung ein Monat vergangen ist. Das Prozessgericht kann eine längere Frist bestimmen.“ (Hervorh. v. Verf.). 59) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 53. 60) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 51. 61) Ausdrücklich Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 51.

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§ 3 Organisationsverfassung

3.20 dd) Das Ausscheiden eines Geschäftsleiters bedarf ebenfalls der Eintragung im Handelsregister.62) Auch im Insolvenzeröffnungsverfahren ist der Geschäftsführer einer GmbH und nicht der (vorläufige) Insolvenzverwalter nach §§ 39, 78 GmbHG berechtigt und verpflichtet, die Abberufung und die Neubestellung von Geschäftsführern zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden; im Übrigen wird ein Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit – hier das Eintragungsverfahren – durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Anordnung eines Verwaltungs- und Verfügungsverbots im Eröffnungsverfahren nicht entsprechend § 240 ZPO unterbrochen.63) Bei einer im eröffneten Insolvenzverfahren befindlichen GmbH ist die Abberufung demgegenüber jedenfalls dann aufgrund der Eintragung des Insolvenzverwalters zum Handelsregister einzutragen, wenn der Geschäftsführer schon ausgeschieden ist und sein Ausscheiden nicht mehr anmelden kann.64) In der Praxis ist diese Konstellation deshalb recht häufig, weil sich Geschäftsführer damit zum einen ihren insolvenzrechtlichen Pflichten entziehen zu können glauben und/oder glauben, in den Genuss von Insolvenzausfallgeld kommen zu können. b)

Anstellung

3.21 Neben das körperschaftliche Rechtsverhältnis – die Bestellung – tritt das Anstellungsverhältnis. In der Regel wird hier ein entgeltlicher Vertrag geschlossen, der rechtlich als Geschäftsbesorgungsvertrag auf der Grundlage eines Dienstvertrages zu qualifizieren ist (§ 675 Abs. 1 i. V. m. §§ 611 ff. BGB).65) Fehlt es an einem entgeltlichen Vertrag, ist wie bei der Vollmacht von einem Auftragsverhältnis (§§ 662 ff. BGB) auszugehen (vgl. auch § 27 Abs. 3 Satz 1 BGB für den Verein). Im Umkehrschluss zum Vereinsrecht (siehe dort den durch Art. 6 Nr. 1 des Ehrenamtsstärkungsgesetzes eingeführten neuen Satz 2 des § 27 Abs. 3 BGB, der aber unverändert nach § 40 Satz 1 BGB dispositiv ist), spricht aber eine Vermutung für Entgeltlichkeit. Ist ein Anstellungsvertrag mit einem Geschäftsleiter nicht wirksam zustande gekommen, sind die Grundsätze über das fehlerhafte Arbeitsverhältnis entsprechend anwendbar mit der Folge, dass der

___________ 62) BayObLG ZIP 2003, 2361, 2362 = NJW-RR 2004, 1039 = NZG 2004, 421 (zur Unzulässigkeit einer Anmeldung durch den später allein verbleibenden Alleingeschäftsführer, wenn im Zeitpunkt der Anmeldung noch Gesamtvertretung besteht). 63) OLG Köln ZIP 2001, 1553, 1554 = NJW-RR 2001, 1417 = NZI 2001, 470. 64) LG Baden-Baden ZIP 1996, 1352 = GmbHR 1996, 682 = KTS 1996, 536 = EWiR § 6 KO 1/97, 121 (Neuhof/Diel); AG Charlottenburg ZIP 1996, 683 = KTS 1996, 386 = EWiR § 6 KO 2/96, 565 (Pape). 65) Zur Möglichkeit eines stillschweigenden Vertragsschlusses des bisherigen GesellschafterGeschäftsführers mit dem Erwerber seines GmbH-Geschäftsanteils im Zusammenhang mit dessen Veräußerung BGH NJW-RR 1997, 669 = DStR 1997, 459 (Goette).

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II. Geschäftsführer und Vorstand

„Vertrag“ für die Zukunft jederzeit aufgelöst werden kann.66) Hinsichtlich Pflichten, Haftung und Vergütung ist es aber bis zu diesem Zeitpunkt als wirksam zu betrachten.67) aa)

Kein Arbeitsvertrag

Mangels Weisungsabhängigkeit des Vorstandsmitglieds bzw. Geschäftsführers 3.22 handelt es sich bei einem Anstellungsvertrag allerdings nicht um einen Arbeitsvertrag. Deshalb ist für Streitigkeiten aus dem Anstellungsvertrag der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten und nicht der zu den Arbeitsgerichten gegeben (§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG).68) Das gilt auch für den Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH, der einen Anstellungsvertrag mit der KG geschlossen hat; denn er ist als (indirekter) „Vertreter“ der KG zu betrachten.69) Das alles wird allerdings in jüngerer Zeit teilweise anders gesehen, wenn der Geschäftsführer nur über eine sehr eingeschränkte Kompetenz verfügt.70) Vielmehr sollen nach Ansicht des BAG für die Beurteilung, ob ein Geschäftsführer als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist, die allgemein für die Abgrenzung des Arbeitsvertrages vom freien Dienstvertrag geltenden Kriterien entscheidend sein.71) Insbesondere soll ein Geschäftsführer, der nicht zugleich als Gesellschafter über zumindest eine Sperrminorität in der Gesellschaft verfügt, nach Ansicht des BAG keine selbständige Tätigkeit i. S. v. § 13 BGB ausüben, so dass er – auch und gerade bei Abschluss seines Anstellungsvertrages – als Verbraucher handele; ___________ 66) BGH ZIP 2000, 1442, 1443 f. = NJW 2000, 2983 = NZG 2000, 983 = DStR 2000, 1743 = EWiR § 46 GmbHG 1/01, 119 (Günther) = LM H. 1/2001, § 46 GmbHG Nr. 38 (Adam) (GmbH-Geschäftsführer); OLG Schleswig ZIP 2001, 71 = NZG 2001, 275 (Vorstandsmitglied) (inzwischen rkr.). 67) BGHZ 168, 188 Tz. 14 (IFA) = ZIP 2006, 1529 = NZG 2006, 712 = NJW-RR 2006, 1410. 68) BAG ZIP 2013, 539 = NZG 2013, 351 = NJW 2013, 2140 = EWiR § 5 ArbGG 2/13, 501 (Undritz/Röger); zur entsprechenden Anwendung auf den Geschäftsführer einer VorGmbH BAG NJW 1996, 2678 = ZIP 1996, 1311 = NZA 1996, 952 = EWiR § 5 ArbGG 3/96, 773 (Bormann). 69) BAGE 107, 165 = ZIP 2003, 1722, 1723 f. = NJW 2003, 3290 = NZA 2003, 1108 unter Aufgabe von BAGE 39, 16 = ZIP 1983, 607 = NJW 1983, 2405; BAG NJW 1995, 3338 = AP Nr. 23 zu § 5 ArbGG 1979; abw. noch LAG Köln ZIP 2003, 1101 f. = NZA-RR 2003, 492. 70) So im Rahmen der Rechtswegabgrenzung zur Arbeitsgerichtsbarkeit BAG ZIP 1999, 1456 = NJW 2000, 1329 = LM H. 5/2000 § 134 BGB Nr. 166 (G. H. Roth); im Anschluss an BAGE 84, 377 = ZIP 1997, 690 = NZA 1997, 674 = EWiR § 17 GVG 1/97, 525 (Wank); BAGE 85, 46 = NJW 1997, 1722 = NZA 1997, 509 = EWiR § 5 ArbGG 2/97 (Kreitner). 71) BAG ZIP 1999, 1854 = NJW 1999, 3731 = NZA 1999, 987 = DStR 1999, 1868 (Eckert) = EWiR § 611 BGB 1/2000, 69 (T. Keil); dazu Reiserer, DStR 2000, 31. Arbeitnehmereigenschaft ist aber für den Gesellschafter einer GmbH, dem mehr als 50 % der Stimmen zustehen, auch dann zu verneinen, wenn er nicht Geschäftsführer ist: BAG ZIP 1998, 1650 = NJW 1998, 3796 = NZA 1998, 939 = DStR 1998, 1645 (Goette) = EWiR § 611 BGB 4/98, 883 (Plagemann).

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§ 3 Organisationsverfassung

ein mit einem GmbH-Geschäftsführer geschlossener Anstellungsvertrag unterläge daher der Inhaltskontrolle als AGB nach §§ 305 – 310 BGB.72) Unabhängig davon hat der EuGH die alleinige „Geschäftsführerin“ einer (lettischen) Aktiengesellschaft als „Arbeitnehmerin“ i. S. d. Mutterschutz-Richtlinie73) angesehen.74) Auf der Grundlage des ebenfalls auf europäisches Recht zurückgehenden § 6 Abs. 3 AGG nahm auch der II. Zivilsenat des BGH in einer kontrovers aufgenommenen Entscheidung an, dass der Diskriminierungsschutz in Abschnitt 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ebenso wie § 22 AGG auf den Geschäftsführer einer GmbH Anwendung finden, dessen Bestellung und Anstellung infolge einer Befristung ablaufen und der sich erneut um das Amt des Geschäftsführers bewirbt.75) 3.23 In jedem Fall ist der Geschäftsführer sozialversicherungspflichtig, wenn er nur zu 50 % oder weniger an der Gesellschaft beteiligt ist; denn dann ist er nicht „Unternehmergesellschafter“ und damit in gleicher Weise wie ein Arbeitnehmer schutzbedürftig; entsprechend hat er dann auch Anspruch auf Insolvenzgeld.76) Bei höherer Beteiligung kann dies auch gelten, wenn er aufgrund der konkreten Vertragsgestaltung in der Gefahr der Abhängigkeit steht.77) Damit werden die in § 7 Abs. 1 SGB IV für die Rentenversicherung niedergelegten Vorgaben konkretisiert, nach der als Anhaltspunkte für eine nichtselbständige (und damit rentenversicherungspflichtige) Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers anzusehen sind. Nach Auffassung des BSG soll der Geschäftsführer einer (EinPersonen-)GmbH der Rentenversicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI als „arbeitnehmerähnlicher Selbständiger“ daneben auch dann unterliegen, weil und wenn die GmbH sein einziger „Auftraggeber“ ist und er selbst (!) im Zusammenhang mit seiner Geschäftsführungstätigkeit keine weiteren versiche___________ 72) BAG ZIP 2010, 1816, 1818 = NJW 2010, 2827 = NZG 2010, 1063 = EWiR § 13 BGB 2/10, 695 (Mauer). 73) Richtlinie des Rates über den Mutterschutz (RL 92/85/EWG) vom 19. Oktober 1992. 74) EuGH (Urt. v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09), Slg. 2010, I-11405 (Danosa) = ZIP 2010, 2414 = EWiR Art. 10 RL 92/85/EWG 1/11, 27 (Wank). 75) BGHZ 193, 110 = ZIP 2012, 1291 m. Anm. Paefgen = NJW 2012, 2346 = NZG 2012, 777 = NZA 2012, 797 = DStR 2012, 1394 = EWiR § 6 AGG 1/12, 437 (Bross) (dort auch ausführlich zu den Nachweisfragen); dazu Bauer/Arnold, NZG 2012, 921; Hoefs/ Rentsch, DB 2012, 2733; Lingemann/Weingarth, DB 2012, 2325; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 59 ff.; Schubert, ZIP 2013, 289. 76) BSG ZIP 2007, 2185. 77) BSG ZIP 1995, 1179 = GmbHR 1995, 584 = EWiR § 168 AFG 1/95, 625 (Plagemann) (für mögliche Abhängigkeit eines Alleingesellschafters aufgrund eines Treuhandvertrages); BSG ZIP 1997, 1120 = EWiR § 7 SGB IV 2/97, 805 (Gagel) (wenn Geschäftsführer aufgrund der schuldrechtlichen Bindungen des Anstellungsvertrages ihm nicht genehme Beschlüsse nicht verhindern kann); MünchHdb GmbH-Marsch-Barner/Diekmann, § 43 Rz. 10; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 181.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

rungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt.78) Für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft besteht aber nach § 1 Satz 4 SGB VI in keinem Fall eine Rentenversicherungspflicht.79) Vorgaben für die Höhe und Ausgestaltung der Vergütung für den Vorstand 3.24 enthält § 87 AktG. Über die Vergütung muss nach dem durch das VorstAG im Jahr 2009 neu gefassten § 107 Abs. 3 AktG das Aufsichtsratsplenum entscheiden und es regelmäßig überprüfen (wegen der Nicht-Delegierbarkeit der Vergütungsfestsetzung; zuvor bereits Empfehlung 4.2.2 DCGK in der Neufassung vom 6. Juni 2008). Nach Empfehlung Nr. 4.2.2 DCGK (seit 2013) soll der Aufsichtsrat dabei das Verhältnis der Vorstandsvergütung zur Vergütung des oberen Führungskreises und der Belegschaft insgesamt auch in der zeitlichen Entwicklung berücksichtigen, wobei der Aufsichtsrat für den Vergleich selbst festlegt, wie der obere Führungskreis und die relevante Belegschaft abzugrenzen sind. Nach Empfehlung Nr. 4.2.3 DCGK soll die Vergütung fixe und variable Bestandteile umfassen; dabei sollen die variablen Bestandteile – wie es seit 2009 heißt – sowohl positiven als auch negativen Entwicklungen Rechnung tragen. Zudem sollen die variablen Bestandteile nicht nachträglich durch Änderung der Erfolgsziele angepasst werden. Umfangmäßig hat die Vergütung nach § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft zu stehen und darf die „übliche Vergütung“ nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Das bezieht sich zunächst auf andere vergleichbare Unternehmen („horizontale Vergleichbarkeit“); Vergleichsparameter ist aber auch die Vergütungsstruktur, die ansonsten in der Gesellschaft gilt („vertikale Vergleichbarkeit“).80) Die Vergütungsstruktur ist insgesamt auf eine „nachhaltige“ (also nicht kurzfristige) Unternehmensentwicklung auszurichten (Satz 2), weshalb variable Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben müssen (Satz 3 Halbs. 1). Der Kodex ergänzt dies (das Gesetz beschreibend) in Nr. 4.2.3 noch dahingehend, dass die Vergütung nicht zum Eingehen unangemessener Risiken verleiten darf. Zudem soll der Aufsichtsrat für „außerordentliche Entwicklungen“ eine Begrenzungsmöglichkeit vereinbaren (§ 87 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 AktG). Das greift in allgemeiner Form die schon zuvor im Kodex in seiner Neufassung zum 6. Juni 2008 (im Jahr zuvor nur Anregung) niedergelegte und dort unverändert geltende Empfehlung Nr. 4.2.3 auf, dass beim Abschluss von Vorstandsverträgen darauf geachtet werden soll, dass Zahlungen an Vorstandsmitglieder bei vorzeitiger Vertragsbeendigung den Umfang von zwei Jahresvergütungen nicht überschreiten und nicht mehr als die Restlaufzeit des Vertrages vergüten ___________ 78) BSG NJW 2006, 1162 = NZG 2006, 308 = ZIP 2006, 532, 533 ff. (Neumann). 79) Hierzu Gerlt, FAZ v. 14.4.2001, Nr. 88, S. 22. 80) Ausdrücklich auch DCGK Nr. 4.2.2 a. E.; zurückgehend auf die Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10; zu den Erfahrungen mit dem Gesetz umfassend Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40.

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§ 3 Organisationsverfassung

sollen („Abfindungs-Cap“); bei einer Beendigung des Anstellungsvertrages aus einem von dem Vorstandsmitglied zu vertretenden wichtigen Grund seien gar keine Zahlungen an das Vorstandsmitglied zu leisten. Zudem sollen Zusagen für Leistungen als Anlass der vorzeitigen Beendigung der Vorstandstätigkeit infolge eines Kontrollwechsels („change of control“) nur bis zu 50 % über diesem Wert liegen – was andererseits impliziert, dass eine gewisse Überschreitung in Form eines „golden parachute“ akzeptiert wird. Seit 2013 empfiehlt der Kodex in Empfehlung Nr. 4.2.3 darüber hinaus auch noch allgemein, dass für die Vergütung insgesamt und hinsichtlich ihres variablen Teils betragsmäßige Höchstgrenzen vorzusehen sind (zuvor nur für „außerordentliche Entwicklungen“). Zudem soll – ebenfalls neu seit 2013 – der Aufsichtsrat bei Versorgungszusagen das angestrebte Versorgungsniveau, auch nach der Dauer der Vorstandszugehörigkeit, festlegen und den daraus folgenden Aufwand für das Unternehmen berücksichtigen. Schließlich soll (früher nur: kann) der Aufsichtsrat nach § 87 Abs. 2 AktG bei Verschlechterung der Lage der Gesellschaft die Vorstandsbezüge (durch einseitige Entscheidung) bei Fortbestand des Anstellungsverhältnisses im Übrigen herabsetzen, wenn die Weitergewährung der ursprünglich festgelegten Bezüge für die Gesellschaft unbillig wäre. Mit Blick auf die im Jahr 2009 durch das VorstAG deutlich verschärften Anforderungen an die Festlegung der Vergütung greifen die Gesellschaften bisweilen auf „Vergütungsberater“ zurück; für diese empfiehlt der Kodex jetzt ausdrücklich, dass der Vorstand bzw. die Gesellschaft auf dessen Unabhängigkeit zu achten habe (Nr. 4.2.2 a. E.). Sofern der Geschäftsleiter nicht Unternehmergesellschafter ist, ist auch eine Ruhegehaltszusage möglich und üblich (§ 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG);81) deren Herabsetzung ist im Rahmen von § 87 Abs. 2 AktG nur für einen Zeitraum von drei Jahren nach seinem Ausscheiden aus dem Amt möglich (§ 87 Abs. 2 Satz 2 AktG). 3.24a Über die beschriebenen für den einzelnen Anstellungsvertrag gültigen Vorgaben hinaus schreiben Gesetz und Kodex vielfältige Veröffentlichungsvorschriften vor, die mittelbar zur Durchsetzung der beschriebenen inhaltlichen Standards dienen sollen. So hat der Gesetzgeber mit dem VorstOG eine zwingende Pflicht zur individualisierten82) Offenlegung der Vorstandsbezüge83) begründet und diese auch auf den Einzelabschluss erstreckt (§ 285 Nr. 9 HGB n. F.), nachdem die zuvor insoweit bestehende Kodexempfehlung84) nur sehr „zurückhaltend“ beachtet worden war; das Gesetz erlaubt aber einer qualifizierten Mehrheit, die ___________ 81) BGH NJW 1997, 2882 (Bopp & Reuther III) = ZIP 1997, 1351 = EWiR § 17 BetrAVG 1/97, 825 (Griebeling) = DStR 1997, 1135 (Goette) = LM H. 10/1997 BetrAVG Nr. 38; MünchHdb GmbH-Marsch-Barner/Diekmann, § 43 Rz. 38 ff.; Zöllner/Noack, in: Baumbach/ Hueck, § 35 GmbHG Rz. 194. 82) Zur fehlenden Gleichbehandlungspflicht der Vorstandsmitglieder bei der Vergütung bereits Hoffmann-Becking, NZG 1999, 797, 798. 83) Dazu auch unten Rz. 3.199. 84) Empfehlung 4.2.4 DCGK a. F. (bis 12.6.2006); dazu auch die 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 3.24.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

individualisierte Offenlegungspflicht abzuwenden (unten Rz. 4.33, 6.47). Seit der Neufassung des DCGK vom 12. Juni 2006 – auch als Folge des MannesmannProzesses (unten Rz. 3.148) – empfahl zunächst der Kodex und regelt heute das Gesetz, dass die Offenlegung der Einzelvergütungen im Rahmen eines „Vergütungsberichts“ (§ 289 Abs. 1 [früher Abs. 2] Nr. 5 HGB) erfolgen muss, der neben dem Corporate-Governance-Bericht nach §§ 289 Abs. 3 (früher Abs. 4) Nr. 1 bis 5, Abs. 4 (früher Abs. 5), 315 Abs. 4 HGB (dazu näher unten Rz. 4.16) als Teil des Lageberichts auch das Vergütungssystem für die Vorstandsmitglieder erläutert; das soll – so ergänzt der Kodex heute noch – in allgemein verständlicher Form geschehen, und der Vergütungsbericht soll zudem auch Angaben zur Art der von der Gesellschaft erbrachten „Nebenleistungen“ enthalten (Empfehlung Nr. 4.2.5 DCGK). Der Kodex empfiehlt in Nr. 4.2.5 seit 2013 weitere Angaben zur Aufnahme in den Vergütungsbericht und eine Offenlegung unter Verwendung der dem Kodex beigefügten Mustertabellen. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats soll zudem die Hauptversammlung einmalig über die Grundzüge des Vergütungssystems und sodann über etwaige Änderungen informieren (Empfehlung 4.2.3 a. E.). Daneben hat das VorstAG im Jahre 2009 der Hauptversammlung das Recht eingeräumt, über die Billigung des Vergütungssytems zu beschließen, freilich ohne dass sich daraus unmittelbare Rechten oder Pflichten für die Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder ergeben würden (§ 120 Abs. 4 AktG n. F.). Auch wenn in vielen Fällen die Grenzwerte für einen formalisierten Minderheitsantrag zur Herbeiführung einer solchen Beschlussfassung (unten Rz. 3.235) nicht erreicht sind, üben institutionelle Investoren einen beträchtlichen Druck aus, eine solche Beschlussfassung auf die Tagesordnung der Hauptversammlung zu setzen, um dann durch die mediale Wirkung der Veröffentlichung Einfluss auf die Vergütungspolitik zu nehmen. Um bei der Aktiengesellschaft die zeitlichen Grenzen für die Bestellung eines 3.25 Vorstandsmitglieds nicht zu unterlaufen, darf auch ein Anstellungsvertrag mit ihm nur für höchstens fünf Jahre abgeschlossen werden (§ 84 Abs. 1 Satz 5 AktG). bb)

Zuständigkeit für Abschluss

Zuständig für den Abschluss des Anstellungsvertrags ist im Zweifel das Organ, 3.26 das auch für die Bestellung zuständig ist. Möglich ist aber ebenso der Abschluss eines Anstellungsvertrages (auch) mit einem Dritten; dies kommt insbesondere bei konzernabhängigen Gesellschaften in Betracht, wo (auch) ein Vertrag mit der Muttergesellschaft geschlossen wird. In jedem Fall ist aber (heute) das für den Vertragsabschluss zuständige Organ auch für seine Kündigung zuständig.85) ___________ 85) BGH ZIP 1991, 580 = NJW 1991, 1680 = EWiR § 35 GmbHG 1/91, 583 (Riegger) (im Anschluss an die zum eingetragenen Verein ergangene Entscheidung BGHZ 113, 237 = NJW 1991, 1727 = JZ 1991, 1090 [Hirte] = EWiR § 27 BGB 1/91, 537 [Reuter]); BGH ZIP 1998, 332, 333; dazu Baums, ZGR 1993, 141; Hirte, NJW 1996, 2827, 2846 f.

117

§ 3 Organisationsverfassung

cc)

Beendigung

3.27 Die Kündigung kann also bei Vorhandensein mehrerer Geschäftsführer nicht etwa von den Mitgeschäftsführern ausgesprochen werden. Mit dieser Auffassung wird – wie im Aktienrecht durch § 112 Satz 1 AktG – die Überwachung der Geschäftsleitung durch das jeweilige Kontrollorgan verbessert. 3.28 Eine Beendigung des Anstellungsvertrages ist zunächst durch ordentliche Kündigung nach § 622 Abs. 1 BGB möglich (vier Wochen zum 15./Ende des Monats); eines besonderen rechtfertigenden Grundes bedarf es dabei nicht.86) Die Unanwendbarkeit des eigentlich für den Dienstvertrag einschlägigen § 621 Nr. 3 BGB ergibt sich aus einer Auslegung des Anstellungsvertrages; denn diese Norm entspricht kaum den Parteiinteressen. Gleichfalls eine Frage der Auslegung ist es, ob sich die Kündigungsfristen entsprechend § 622 Abs. 2 BGB verlängern sollen. Jedenfalls ist § 622 BGB entgegen § 622 Abs. 4 und 5 BGB hier dispositiv; denn der Anstellungsvertrag ist kein Arbeitsvertrag.87) Möglich ist auch eine Befristung (§ 620 Abs. 1 BGB); arbeitsrechtliche Beschränkungen dieser Möglichkeit gelten hierbei ebenfalls nicht. Auch das Kündigungsschutzgesetz greift mangels Arbeitnehmerstellung von Gesetzes wegen nicht ein;88) im Anstellungsvertrag kann aber vereinbart werden, dass die materiellen Regelungen des KSchG zugunsten des Organmitglieds gelten sollen.89) 3.29 Ein Widerruf der Bestellung führt allerdings nicht (automatisch) auch zur Beendigung des Anstellungsvertrages. Eine derartige Verknüpfung kann zwar im Vertrag vorgesehen werden;90) doch ändert dies nichts daran, dass die Voraussetzungen für den Widerruf der Bestellung und die Kündigung des Anstellungsvertrages isoliert zu beurteilen sind. Zudem besteht – vorbehaltlich expliziter vertraglicher Regelung – nach Widerruf der Bestellung trotz fortbestehenden Anstellungsverhältnisses grundsätzlich auch kein Anspruch auf Weiterbeschäf___________ 86) BGH ZIP 2004, 461 f. = NJW-RR 2004, 540 = NZG 2004, 90 = EWiR § 38 GmbHG 2/04, 385 (Hasselbach). 87) LAG Berlin NZA-RR 1997, 424 = GmbHR 1997, 839 = EWiR § 35 GmbHG 1/98, 65 (Oetker) (dort auch zur Zulässigkeit der „Verdachtskündigung“). 88) Das gilt selbst dann, wenn die Organstellung entfällt (hier durch Fusion zweier Sparkassen): BGH ZIP 2000, 508 = NJW 2000, 1864 = NZA 2000, 376 = DStR 2000, 654 (Goette) = EWiR § 611 BGB 3/2000, 381 (A. Junker) = LM H. 6/2000 § 611 BGB Nr. 100 (Seifert). Zur Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung bei Verweis des Anstellungsvertrages auf den Bundes-Angestellten-Tarifvertrag (BAT) BGH ZIP 1998, 605 = DStR 1998, 862 = EWiR § 622 BGB 1/98, 447 (Weipert); zusammenfassend zum Anstellungsverhältnis des GmbH-Geschäftsführers Goette, DStR 1998, 1137. 89) BGH ZIP 2010, 1288, 1289 Tz. 8 ff. = NJW 2010, 2343 = NZG 2010, 827 = ZInsO 2010, 1283 = DStR 2010, 1390 = EWiR § 38 GmbHG 1/10, 613 (Joost); dazu Jaeger, DStR 2010, 2312; krit. im Vorfeld Bauer/Arnold, ZIP 2010, 709. 90) BGH ZIP 1989, 1190 = WM 1989, 1246 = EWiR § 84 AktG 1/89, 1051 (Zimmermann) (AG); BGH ZIP 1999, 1669 = NJW 1999, 3263 = DStR 1999, 1743 (Goette) = LM H. 3/2000 § 38 GmbHG Nr. 17 (Hirte) (für den Fall fehlender wichtiger Gründe freilich unter Beachtung von § 622 BGB).

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II. Geschäftsführer und Vorstand

tigung in einer leitenden Tätigkeit, die der früheren Tätigkeit vergleichbar ist.91) Möglich ist schließlich eine außerordentliche Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB). Voraussetzung dafür ist ein wichtiger Grund, der die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar macht. Da hier das gesamte Vertragsverhältnis aufgelöst wird, dürfte die Schwelle höher liegen als für die Annahme einer bloßen Schadenersatzpflicht. Beispiele: BGH DStR 1997, 1338 (Goette): Einsatz von Arbeitskräften und Materialien der GmbH zum Bau des Privathauses ihres Geschäftsführers; BGH ZIP 1998, 652 = NJW 1998, 1480 = DStR 1998, 861 (Goette) = EWiR § 38 GmbHG 1/98, 505 (Zimmermann): Ausscheiden eines Gesellschafter-Geschäftsführers aus der Gesellschaft; BGH ZIP 2002, 2254 = NJW 2003, 431 = NZG 2003, 86: Uneinigkeit über Erstattungsfähigkeit von Spesen oder die auf geschäftspolitischen Erwägungen beruhende Absicht der Muttergesellschaft, die Tochtergesellschaft zu liquidieren, sind kein wichtiger Grund; BGH NJW 2005, 3069 = NZG 2005, 714 = ZIP 2005, 1365, 1367: schuldhafte Insolvenzverschleppung; OLG Hamburg NJW-RR 1998, 468 = EWiR § 626 BGB 1/97, 499 (W. Müller) (inzwischen rkr.): Nichtaufklärung erheblicher Bewertungsdivergenzen im Rechenwerk der Gesellschaft mit der Folge eines zum Nachteil der Gesellschaft überhöhten Ergebnisausweises.92)

3.30

Einer vorherigen Abmahnung des Geschäftsführers bedarf es für eine außer- 3.31 ordentliche Kündigung grundsätzlich nicht.93) Ein zur fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrages berechtigender Grund kann den Widerruf (auch) einer Versorgungszusage aber nur bei schwersten Verfehlungen gestatten.94) Die Frist für den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung beträgt nach 3.32 § 626 Abs. 2 BGB zwei Wochen nach Kenntnis der zur Kündigung berechtigenden Tatsachen. Dazu muss der Kündigungsberechtigte eine sichere und umfassende Kenntnis von den zur Kündigung berechtigenden Tatsachen haben. Diese sichere Kenntnis fehlt etwa dann und so lange, wie im Zusammenwirken zwischen dem Geschäftsführer und dem Kündigungsberechtigten noch eine Belegprüfung stattfindet mit dem Ziel, die gegen den Geschäftsführer erhobenen Vorwürfe aufzuklären.95) Allerdings muss die erforderliche Kenntnis bei allen Mitgliedern des zur Kündigung/zum Widerruf berechtigten Organs vorliegen. Die Befugnis, den Anstellungsvertrag zu kündigen, kann dabei aber sowohl ___________ 91) BGH ZIP 2011, 122, 123 Tz. 9 = NJW 2011, 920 = NZG 2011, 112 = DStR 2011, 229 = ZInsO 2011, 733 (GmbH). 92) Weitere Beispiele bei MünchHdb GmbH-Marsch-Barner/Diekmann, § 43 Rz. 85 f.; eine „Druckkündigung“ ist aber nicht als außerordentliche zulässig: BGH und OLG Frankfurt/ M. DStR 1999, 1537 (Ls.) (Goette). 93) BGH ZIP 2000, 667 = NJW 2000, 1638 = NZA 2000, 543 = DStR 2000, 695 (Goette); BGH ZIP 2001, 1957, 1958 = NJW-RR 2002, 173. 94) BGH NJW-RR 1997, 348 = LM H. 6/1997 BetrAVG Nr. 37a; dazu auch BGH und OLG Hamm DStR 1996, 69 (Goette); zum Ganzen Bauer/Steinau-Steinrück, ZGR 1999, 314. 95) BGH NJW 1996, 1403 = ZIP 1996, 636 = EWiR § 626 BGB 3/96, 497 (Zimmermann) = DStR 1996, 676 (Goette) = LM H. 7/1997 § 626 BGB Nr. 38.

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§ 3 Organisationsverfassung

durch Gesellschaftsvertrag als auch durch die Gesellschafter auf ein anderes Gremium als die Gesellschafterversammlung übertragen werden, die nach § 46 Nr. 5 GmbHG in Ermangelung einer abweichenden Regelung dafür zuständig ist.96) Um einen Lauf der Kündigungsfrist zu verhindern, bevor – etwa im Hinblick auf längere Ladungsfristen – überhaupt eine Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung (oder des sonst zuständigen Kollektivorgans) möglich war, hat der BGH die Anforderungen an die Kenntnis dahingehend präzisiert, dass es auf die Kenntnis der Kündigungsberechtigten in ihrer Eigenschaft als Mitwirkende an der kollektiven Willensbildung ankommt. Eine außerhalb der Gesellschafterversammlung erlangte Kenntnis löst daher noch nicht den Fristlauf aus. Anders ist dies nur dann, wenn die Einberufung der Gesellschafterversammlung von einem einberufungsberechtigten Gesellschafter nach dessen Kenntniserlangung von den zur Kündigung berechtigenden Tatsachen unangemessen verzögert wird.97) Andererseits ist die Frist nicht gewahrt, wenn bei der Kündigung eines Vorstandsmitglieds zwischen Kenntniserlangung des Aufsichtsratsvorsitzenden und Einberufung des Aufsichtsrats eine Frist von 2,5 Monaten liegt.98) 3.33 In dringenden Fällen – so das OLG Frankfurt am Main – können die eine Abberufung betreibenden Gesellschafter ein Geschäftsführungs- und Vertretungsverbot schon vor einem Gesellschafterbeschluss im Wege einstweiliger Verfügung durchsetzen.99)

3.34 Bei der Übermittlung der Kündigungserklärung an den zu kündigenden Geschäftsführer ist allerdings im Hinblick auf § 174 BGB (sonst Zurückweisungsmöglichkeit des Geschäftsführers!) darauf zu achten, dass ein etwa zur Übermittlung der Erklärung bestellter besonderer Vertreter das Original der Vollmacht – typischerweise also des Beschlusses der Gesellschafterversammlung – vorlegen kann.100) Ist eine Kündigung als außerordentliche unwirksam, ist nach § 140 BGB immer eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung zu prüfen. Voraussetzung ist aber, dass auch dafür eine Mehrheit in der Gesellschafterver___________ 96) BGH ZIP 2013, 971 = NJW 2013, 2425 = NZG 2013, 615 = EWiR § 626 BGB 1/13, 371 (Nolting). 97) BGHZ 139, 89 = ZIP 1998, 1269 = NJW 1998, 3274 = BB 1998, 1808 (Riegger) = NZG 1998, 634 (Rottnauer) = DStR 1998, 1101 (Goette) = EWiR § 626 BGB 3/98, 927 (Kowalski); BGH ZIP 2001, 1957, 1958 = NJW-RR 2002, 173; BGH ZIP 2013, 971 = NJW 2013, 2425 = NZG 2013, 615 = EWiR § 626 BGB 1/13, 371 (Nolting); dazu Stein, ZGR 1999, 264 ff.; Slabschi, ZIP 1999, 391; enger noch BGH ZIP 1993, 32 = NJW 1993, 463 = EWiR § 626 BGB 1/93, 133 (von Gerkan); BGH DStR 1997, 1338 (Goette) (bei allein stimmberechtigtem einzigen Mitgesellschafter kommt es auf dessen Kenntnis an). 98) OLG Frankfurt/M. ZIP 2005, 1781, 1784. 99) OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1999, 257. 100) OLG Düsseldorf ZIP 2004, 1850, 1852 ff. = NZG 2004, 141 (für die fristlose Kündigung eines Vorstandsmitglieds durch den Aufsichtsratsvorsitzenden); insoweit abw. Bednarz, NZG 2005, 418, 422 ff.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

sammlung vorhanden gewesen wäre und im Prozess entsprechende Anträge gestellt werden.101) Die Klage einer Gesellschaft auf Feststellung, dass der Beklagte nicht mehr Ge- 3.35 schäftsführer der klagenden GmbH ist, weil er durch einen Gesellschafterbeschluss abberufen wurde, unterliegt im Gegensatz zur Anfechtungsklage keiner zeitlichen Beschränkung; allenfalls eine Verwirkung kommt in Betracht. Das folgt schon daraus, dass das Rechtsverhältnis des Geschäftsführers zur Gesellschaft und der interne Willensbildungsprozess zwei unterschiedliche Problemkreise betreffen.102) Der abberufene Geschäftsführer braucht andererseits seine Dienste regelmäßig nicht wörtlich anzubieten, wenn er Weiterzahlung seines Gehalts fordert, nachdem seine Bestellung widerrufen und an seiner Stelle ein anderer Geschäftsführer bestellt wurde.103)

Die tatsächliche Umsetzung einer (berechtigten) Kündigung kann allerdings 3.36 erhebliche Schwierigkeiten bereiten, wenn der gekündigte Geschäftsführer etwa seine Büroräume nicht verlässt oder den von ihm genutzten Dienstwagen nicht zurückgibt.104) 3.

Aufgaben und Pflichten

Die Pflichten des Geschäftsleiters sind die positive Kehrseite der bei ihrer Ver- 3.37 letzung möglicherweise eingreifenden Haftung. Solche Pflichten können aus dem Rechtsverhältnis gegenüber der Gesellschaft resultieren, wobei auch hier zwischen Bestellungs- und Anstellungsverhältnis zu unterscheiden ist. Sie können sich aber auch gegenüber Dritten ergeben, wobei solche gegenüber konkreten Geschäftspartnern und der Allgemeinheit unterschieden werden können. Mit Ausnahme der aus vertraglichen Rechtsverhältnissen – Anstellungsvertrag und Verträge mit Geschäftspartnern – resultierenden Pflichten handelt es sich bei den Pflichten von Geschäftsleitern um zwingendes Recht. Das Gesetz verzichtet in vielen Fällen auf die positive Festlegung von Pflichten, sondern beschränkt sich auf die Normierung von Haftungstatbeständen.

___________ 101) BGH NJW 1998, 76 = ZIP 1997, 1882 = DStR 1997, 2036 (Goette) = EWiR § 140 BGB 1/98, 203 (Finken) = LM H. 3/1998 § 140 BGB Nr. 24; BGH ZIP 2000, 539, 540 = NJW-RR 2000, 987 = NZA 2000, 430 = DStR 2000, 526 = EWiR § 626 BGB 2/2000, 519 (Bröcker); dazu Goette, DStR 2000, 525. 102) BGH ZIP 1999, 656 (Schantl) = NJW 1999, 2268 = DStR 1999, 769 (Goette) = EWiR § 47 GmbHG 1/99, 753 (Kirberger) (im konkreten Fall fehlte zudem ein festgestellter und damit durch Anfechtungsklage angreifbarer Gesellschafterbeschluss). 103) BGH ZIP 2000, 2199, 2200 = NJW 2001, 287 = DStR 2000, 2099 = NZG 2001, 76 = EWiR § 615 BGB 2/01, 263 (Grimm). 104) Praxistipps für das Vorgehen in solchen Fällen bei Sieger/Hasselbach, GmbHR 1998, 957, 962.

121

§ 3 Organisationsverfassung

a)

Pflichten gegenüber der Gesellschaft

aa)

Organstellung

3.38 Pflichten gegenüber der Gesellschaft ergeben sich zunächst – unabhängig vom Anstellungsvertrag – aus der Organstellung. Im Mittelpunkt steht dabei die Verpflichtung, den Gesellschaftszweck aktiv zu verfolgen – insbesondere auch durch Wahrnehmung sich bietender Geschäftschancen („corporate opportunities“) – und alles zu unterlassen, was der Gesellschaft schaden könnte. Hinsichtlich der Intensität schuldet – in Konkretisierung von § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB – das Vorstandsmitglied dabei nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und der Geschäftsführer nach § 43 Abs. 1 GmbHG die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns. 3.39 (1) Hauptpflichten sind die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft. 3.40 (a) Die Vorstandsmitglieder bzw. die Geschäftsführer haben zunächst die ausschließliche Zuständigkeit für die Vertretung der Gesellschaft im Rechtsverkehr (§ 78 AktG, § 35 GmbHG); dem entspricht zugleich eine Hauptpflicht zur Vertretung der Gesellschaft. Dabei ist für die aktive Vertretung der Gesellschaft im gesetzlichen Regelfall Gesamtvertretung angeordnet (Art. 10 [früher Art. 9] Abs. 3 Erste Richtlinie, § 78 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 35 Abs. 2 Satz 2 GmbHG); für die passive Vertretung beim Zugang von Willenserklärungen reicht demgegenüber der Zugang bei einem Geschäftsleiter aus (§ 78 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG). Im Übrigen ist bei Gesamtvertretung auch eine Ermächtigung des bzw. der anderen Gesamtvertreter(s) möglich (ausdrücklich § 78 Abs. 2 AktG). Eine Ausnahme von der ausschließlichen Zuständigkeit der Geschäftsführer für die Vertretung der Gesellschaft ergibt sich in den Fällen, in denen ihre eigene Stellung betroffen ist (§§ 112, 114 AktG, § 46 Nr. 5 GmbHG). Für die Kreditgewährung an Geschäftsleiter kommen noch inhaltliche Schranken hinzu (§ 89 AktG, weniger weit § 43a GmbHG105)). Generell nicht zur Zuständigkeit der Geschäftsführer gehören schließlich Satzungs- und Strukturänderungen. 3.41 Im Außenverhältnis ist die Vertretungsmacht der Geschäftsleiter unbeschränkt und unbeschränkbar (Art. 10 [früher Art. 9] Abs. 1 UA 1 Erste Richtlinie, § 82 Abs. 1 AktG, § 37 Abs. 2 GmbHG). Eine Ausnahme bildet lediglich die funktionelle Beschränkung bei – im Zweifel vorliegender – Gesamtvertretung, wenn mehrere Geschäftsleiter vorhanden sind. Im Innenverhältnis sind dem___________ 105) Denn das Verbot einer Darlehensgewährung an (auch Gesellschafter-) Geschäftsführer nach § 43a GmbHG bezieht sich nach h. M. nur auf den Zeitpunkt der Ausreichung des Darlehens, so dass ein Geschäftsführerdarlehen nicht nachträglich zur sofortigen Rückzahlung fällig wird, wenn eine Unterbilanz entsteht: BGHZ 193, 96 Tz. 36 ff. = ZIP 2012, 1071 = NZG 2012, 667 = NZI 2012, 517 = DStR 2012, 1144 = EWiR § 30 GmbHG 1/12, 415 (Paefgen/ Dettke).

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II. Geschäftsführer und Vorstand

gegenüber vom Vorstand die Grenzen einzuhalten, die ihm Satzung (Unternehmensgegenstand!) oder Geschäftsordnungen zulässigerweise gezogen haben (§ 82 Abs. 2 AktG); der GmbH-Geschäftsführer hat sich darüber hinaus an etwa ihn anweisende Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu halten (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Vor allem dann, wenn diese Grenzen dem Geschäftspartner bekannt sind, liegt allerdings bei Überschreitung der im Innenverhältnis gezogenen Grenzen die Annahme eines Missbrauchs der Vertretungsmacht nahe;106) dabei kommt es nicht darauf an, ob der Geschäftsführer zum Nachteil der Gesellschaft gehandelt hat.107) § 168 Satz 2 BGB, nach dem eine Vollmacht auch bei Fortbestand des Grundverhältnisses widerrufen werden kann, greift hier nicht, da die organschaftliche Vertretungsmacht zwingend mit der Organstellung des Geschäftsführers verknüpft ist. Andererseits kann ein Gesellschafterbeschluss, der die Grundlage für ein Rechtsgeschäft oder eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung des Vertretungsorgans der GmbH bildet, schon allein mit seinem Zustandekommen mit Außenwirkung umgesetzt werden, wenn sowohl der Geschäftsführer als auch der außenstehende Dritte als potentieller Adressat der Erklärung oder Handlung bei der Beschlussfassung anwesend sind.108) Die Regelungen über die alleinige Vertretungskompetenz des Geschäftsführers im Außenverhältnis werden dadurch deutlich relativiert. (b) Neben der Vertretung obliegt dem Vorstand bzw. den Geschäftsführern als 3.42 Hauptpflicht die Geschäftsführung der Gesellschaft. Dies ergibt sich für die Aktiengesellschaft aus § 76 Abs. 1 AktG, für die GmbH außer aus dem Begriff des „Geschäftsführers“ indirekt aus § 37 GmbHG. Geschäftsführung ist die Entscheidungszuständigkeit im Innenverhältnis. Sie folgt im Zweifel den für das Außenverhältnis (Vertretungsmacht) gezogenen Grenzen, ist aber in (viel) größerem Umfang satzungsdispositiv. Dies gilt vor allem für die GmbH, bei der die Geschäftsführer sogar im gesetzestypischen Normalfall einem unbeschränkten Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung unterliegen (dazu unten Rz. 3.44, 3.228 f.). Die Geschäftsführung beinhaltet die Unternehmensleitung einschließlich der Einstellung, Führung und Kontrolle der Mitarbeiter.109) Selbstverständlich dazu gehört die Pflicht, für die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen und etwaiger unternehmensinterner Richtlinien zu sorgen und auf ___________ 106) Vgl. etwa BAGE 88, 177 = ZIP 1998, 1693 = NJW 1999, 234 = NZA 1998, 997 = EWiR § 37 GmbHG 1/98, 785 (Goette) = DZWir 1998, 455 (Hergenröder): Arbeitnehmer (hier: eine Mitgesellschafterin und Prokuristin) kann sich im Kündigungsschutzprozess darauf berufen, dass die nach dem Gesellschaftsvertrag erforderliche Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu einer Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den Geschäftsführer fehlt. 107) BGH NZG 2006, 626 = ZIP 2006, 1391. 108) BGH ZIP 2003, 1293, 1294 = NJW-RR 2003, 1196 = NZG 2003, 771 = EWiR § 35 GmbHG 1/04, 23 (Kleindiek). 109) Jüngeres Beispiel: BGH ZIP 1997, 199, 200 = EWiR § 43 GmbHG 2/97, 303 (Zimmermann) (Abschluss eines Beratungsvertrages ohne Begrenzung des Abrechnungsumfangs).

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§ 3 Organisationsverfassung

deren Beachtung hinzuwirken („Compliance“), wie dies seit Juni 2007 Nr. 4.1.3 DCGK als Beschreibung der gesetzlichen Lage formuliert110) (zur Überwachung der Compliance durch das audit committee unten Rz. 3.185). Eine äußere Grenze für den Umfang der Geschäftsführungsbefugnis und -verpflichtung bildet der (von den Gesellschaftern) in der Satzung festgelegte Unternehmensgegenstand. 3.43 Bei der Aktiengesellschaft formuliert § 76 Abs. 1 AktG im Übrigen das Gebot, dass der Vorstand die Gesellschaft „unter eigener Verantwortung“ zu leiten hat; Gleiches folgt aus Art. 39 Abs. 1 Satz 1 SE-VO für den Vorstand der Europäischen Aktiengesellschaft. Das bedeutet, dass er bei der Leitung keine Weisungen anderer Gesellschaftsorgane oder Dritter beachten muss oder zu ihrer Beachtung verpflichtet werden kann; eine hier nicht weiter zu verfolgende Ausnahme ergibt sich lediglich bei Abschluss von Unternehmensverträgen (§ 308 AktG). Inhaltlich soll er – wie der Deutsche Corporate Governance Kodex dies seit seiner Neufassung 2009 in Nr. 4.1.1 und der Präambel konkretisiert – seine Geschäftsführung am Ziel „nachhaltiger“ Wertschöpfung ausrichten und im Unternehmensinteresse handeln, worunter der Kodex die Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen versteht („stakeholder“). Die Formulierung des Kodex, die keine Empfehlung ist, sondern nur für sich beansprucht, das geltende Recht zu beschreiben, ist ein Wiederaufgreifen der „Gemeinwohlklausel“, die sich früher in § 70 Abs. 1 AktG 1937 fand, und bildet auch eine Antwort auf die aktuelle „öffentliche Kapitalimuskritik“111). Die jetzige „sozialistische“ Zielvorgabe war – obwohl heute nicht mehr im Gesetzestext enthalten – auch schon vor ihrer Verankerung im Kodex von vielen noch als gültig angesehen worden.112) Von anderer Seite war dem – jedenfalls bis zur Wirtschaftskrise seit 2007 – widersprochen worden: das Aktiengesetz sei am Publikumsaktionär und damit am Interesse der Gesellschafter ausgerichtet, so dass im Zweifel dessen Eigentumsinteressen der Vorzug gebühre (was mit Blick auf die Reihung der Nennung der stakeholder im Kodex auch nicht zwingend dem Kodex widerspricht113)). Das wird in der jüngeren Zeit mit der Bezeichnung shareholder value umschrieben; doch steht dort die (bloß) vermögensrechtliche Seite der Beteiligung ganz gegenüber etwaigen Mitentscheidungsrechten im Vordergrund.114) Die Streitfrage wirkt sich vor allem im Zusammenhang mit ___________ 110) Dazu ausführlich Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173 ff. 111) So der Vorsitzende der Kodex-Kommission Klaus-Peter Müller, zitiert nach Hecker, BB 2009, 1654 f. 112) Grunewald, GesR, § 10 Rz. 50, 59 f.; Henze, BB 2000, 209, 212; ähnlich Raiser/Veil, KapGesR (4. Aufl. 2006), § 14 Rz. 13 f.; Karsten Schmidt, GesR, § 28 II 1 a, S. 805. 113) Zweifelnd jedoch Hecker, BB 2009, 1654, 1655. 114) Zum Shareholder-value-Konzept Mülbert, ZGR 1997, 129 ff.; Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1043 f.; zum (nur) vermögensrechtlichen Schutz der Beteiligung nach diesem Konzept ausführlich Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt (1995), S. 259 ff.; vgl. im Übrigen Wiedemann, GesR I, S. 337 ff.

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der Frage aus, inwieweit durch die Satzung Mitbestimmungsregelungen geschaffen oder verstärkt werden können. Nach Empfehlung Nr. 4.1.5 (i. d. F. von 2010) sollte der Vorstand bei der Besetzung von Führungsfunktionen im Unternehmen zunächst nur auch auf Vielfalt (diversity) „achten“ und dabei insbesondere eine angemessene Berücksichtigung von Frauen anstreben. Durch das „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“115) wurde dies für börsennotierte oder der Mitbestimmung unterliegende Aktiengesellschaften weiterentwickelt; der Vorstand ist nunmehr gesetzlich zur Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in den beiden obersten ManagementEbenen unterhalb des Vorstands verpflichtet (§ 76 Abs. 4 AktG n. F.). Gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf konnte insbesondere die CDU/ CSU-Fraktion durchsetzen, dass eine Benennung der Zielgrößen erst zum 30. September 2015 erfolgen und eine Berichtspflicht über die Zielerreichung erst mit Ablauf der selbstgesetzten Frist, spätestens aber zum 30. Juni 2017, erfolgen muss (§ 25 Abs. 1 EGAktG n. F.).116) Mit Blick auf die starke Stellung des Vorstands in der Aktiengesellschaft stellt § 83 AktG klar, dass der Vorstand zur Ausführung der von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit (unten Rz. 3.218 ff.) beschlossenen Maßnahmen verpflichtet ist und auch von der Hauptversammlung zur Vorbereitung solcher Maßnahmen angewiesen werden kann. Bei der GmbH ist demgegenüber eine „Anbindung“ an andere Organe – Gesell- 3.44 schafterversammlung, Aufsichtsrat oder Beirat – in Form von Zustimmungsvorbehalten möglich und üblich. Zudem ist die Gesellschafterversammlung der GmbH nach der gesetzlichen Regelung nicht gehindert, dem Geschäftsführer auch im Einzelfall Weisungen für sein Verhalten zu geben (§ 37 Abs. 1 Alt. 2 GmbHG). Unabhängig von diesen Einschränkungen, die sich aus Gesetz oder Satzung ergeben, sind die Geschäftsleiter für solche Maßnahmen der Geschäftsführung (nicht Vertretung!) unzuständig, die entweder Grundlagen der Geschäftspolitik oder deren Änderung betreffen117) oder als ungewöhnliche Geschäfte einen schwerwiegenden Eingriff in die Stellung der Gesellschafter bedeuten.118) Während diese Rechtsprechung für das GmbH-Recht weitgehend akzeptiert wird, stößt sie im Aktienrecht vor allem insoweit auf Kritik, als sie auch bei Publikumsaktiengesellschaften zur Einschaltung der Hauptversammlung führt. ___________ 115) Vom 24.4.2015 (BGBl. I, 642); zuvor BR-Drucks. 636/14 und BT-Drucks. 18/3784. 116) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BT-Drucks. 18/4227. 117) BGH ZIP 1991, 509 = NJW 1991, 1681 = EWiR § 37 GmbHG 1/91, 469 (Meyer-Landrut) (GmbH); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2844; Kort, ZIP 1991, 1274. 118) BGHZ 83, 122 (Holzmüller) = ZIP 1982, 568 = NJW 1982, 1703 (AG); dazu ausführlich Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 129 ff., 155 ff.

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3.45 Diese ungeschriebenen und eventuell weiter reichenden satzungsmäßigen Beschränkungen des Umfangs der Geschäftsführungsbefugnis führen aber in keinem Fall zu einer Einschränkung der Vertretungsmacht. Dies gilt auch für die Vertretungsmacht bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften (Gemeinden etc.); interne Zustimmungserfordernisse haben daher keine Außenwirkung.119) Selbst für den eingetragenen Verein hat der BGH darauf verwiesen, dass eine – hier grundsätzlich mögliche (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BGB) – Beschränkung der Vertretungsmacht des Vorstands nur dann Außenwirkung erlangt, wenn dies in der Satzung „eindeutig“ zum Ausdruck gebracht wurde.120) Anders liegen die Dinge aber, wenn ein etwaiges Zustimmungserfordernis der Gesellschafterversammlung zu Handlungen des Geschäftsführers zum Gegenstand des mit einem Dritten geschlossenen Vertrages gemacht wurde; hier ist Außenwirkung möglich.121) 3.46 (2) Im Verhältnis zur Gesellschaft obliegen dem Geschäftsleiter schließlich Treuepflichten.122) Dazu zählen insbesondere die Verschwiegenheitspflicht bezüglich der Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, die ihnen durch ihre Tätigkeit bekannt geworden sind. Für den Vorstand folgt dies unmittelbar aus § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; dass es beim Geschäftsführer nicht anders sein kann, ergibt sich indirekt aus § 85 Abs. 1 GmbHG. Für alle Organmitglieder der SE statuiert Art. 49 SE-VO eine auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt fortgeltende Verschwiegenheitspflicht; für „Tendenzunternehmen“ können hier nach Art. 8 Abs. 3 SE-RL Sonderregelungen vorgesehen werden, wenn das innerstaatliche Recht solche Bestimmungen im Zeitpunkt der Annahme der Richtlinie bereits enthält. 3.47 Problematisch ist im Rahmen der Verschwiegenheitspflicht vor allem, ob ein Geschäftsleiter im Rahmen einer Due-diligence-Prüfung vertrauliche Angaben über ein Unternehmen und dessen gesellschaftsrechtliche Verhältnisse machen darf. Eine solche Due-diligence-Prüfung wird vom (möglichen) Erwerber der Gesellschaft oder einzelner Anteile, aber auch von einem die Einführung von Aktien der Gesellschaft am Kapitalmarkt begleitenden Emissionshaus durchge___________ 119) BGH DtZ 1997, 358 = EWiR § 164 BGB 1/97, 1119 (Hasselbach) = LM H. 2/1998 DDR-KommVerfG Nr. 5; BGH NJW-RR 1998, 673 (Ls.) = LM H. 5/1998 § 823 BGB Nr. 6 (beide für die DDR-Kommunalverfassung); BGHZ 146, 190 = ZIP 2001, 373, 375 = NJW 2001, 748 = NZG 2001, 327 = DStR 2001, 452; Kollhosser, NJW 1997, 3265, 3269; Hirte/Hasselbach, DB 1996, 1611 f.; dies., JuS 1998, 423 ff.; Reuter, DtZ 1997, 15 f. (zum Ganzen auch der redaktionelle Hinweis in NJW 1996, 2714); ebenso früher RGZ 139, 58, 61 ff.; BGH BWVBl. 1966, 95 ff. (für Baden-Württemberg); BGH NJW 1980, 115 ff. (für Rheinland-Pfalz); OLG Köln DVBl. 1960, 816; abw. Bayer, OLG-NL 1997, 174, 175; zahlr. weit. Nachw. (auch von abw. Judikaten und Gegenstimmen) in der 3. Aufl. dieses Werkes Rz. 177 f. 120) BGH NJW-RR 1996, 866. 121) BGH NJW 1997, 2678 (Metzger-GmbH) = ZIP 1997, 1419 = DStR 1997, 1296 (Goette) = LM H. 11/1997 § 37 GmbHG Nr. 8; dazu Hirte, NJW 1998, 2943, 3459, 3467. 122) Ausführlich hierzu Fleischer, WM 2003, 1045.

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führt, um – im ersten Fall – die kaufvertraglichen oder – im zweiten Fall – die prospekthaftungsrechtlichen Risiken zu verringern.123) In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht erstreckt sie sich vor allem auf die Einhaltung 3.48 der Form- und Zustimmungserfordernisse von (früheren) Anteilsübertragungen (dazu unten Rz. 4.64 ff.), auf die Korrektheit der Kapitalaufbringung (Einzahlungsquittungen!), auf das Vorliegen der Befreiung vom Verbot des § 181 BGB (oben Rz. 2.4, 3.15) sowie auf das Vorhandensein etwa erforderlicher Zustimmungen von Gesellschafterversammlung oder Aufsichtsrat bei nach der Satzung wesentlichen Geschäften (dazu unten Rz. 3.197, 3.222 ff.). Bei diesen Angaben, vor allem bei Weitergabe von Informationen über das Unternehmen selbst, riskiert der Geschäftsleiter einen Verstoß gegen seine Verschwiegenheitspflicht, sofern er dazu nicht durch einen Beschluss der Gesellschafterversammlung autorisiert wurde. Anders liegen die Dinge nur, soweit die Preisgabe von Informationen im Auftrag eines Gesellschafters an den Dritten geschieht und daher in der GmbH auch auf der Grundlage von § 51a GmbHG möglich wäre.124) Eine Abtretung der Vergütungsansprüche ist regelmäßig nicht gemäß § 134 BGB 3.49 i. V. m. § 404 Abs. 1 AktG oder § 85 Abs. 1 GmbHG (Verletzung der Geheimhaltungspflicht) nichtig. Denn Schutzobjekt dieser Normen sind allein Geheimnisse der Gesellschaft, die dem Täter in seiner Funktion in der Gesellschaft bekannt geworden sind. Hierzu zählt zumindest das nicht von innerbetrieblichen Interna abhängige Festgehalt eines Geschäftsleiters nicht.125)

Zum Zweiten zählt zu den Treuepflichten die Verpflichtung, der Gesellschaft 3.50 keinen Wettbewerb zu machen (§ 88 AktG; keine Regelung im GmbHG); da diese Verpflichtung in aller Regel auch Gegenstand des Anstellungsvertrages ist und dort weitergehend konkretisiert wird, wird sie dort näher untersucht. (3) Ausdrücklich wird den Geschäftsleitern vom Gesetz die Verpflichtung zur 3.51 Buchführung auferlegt (§ 91 Abs. 1 AktG, § 41 GmbHG). Dies umfasst die Verpflichtung zur Aufstellung des um einen Anhang erweiterten Jahresabschlusses und zur Erstellung des Lageberichts (§ 264 Abs. 1 HGB) sowie die Verpflichtung zur Vorlage des Rechenwerks an die Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung (§ 175 AktG, § 42a GmbHG). Handelt es sich bei der Gesellschaft um eine „Inlandsemittentin“ i. S. v. § 2 Abs. 1 WpHG, muss sie zudem nach § 37w WpHG einen Halbjahresfinanzbericht und nach § 37x WpHG in den ___________ 123) Überblick über die verschiedenen Typen der Due-diligence-Prüfung (Commercial Due Diligence, Financial Due Diligence, Tax Due Diligence, Legal Due Diligence, Environmental Due Diligence) bei Krüger/Kalbfleisch, DStR 1999, 174 ff. 124) Ausführlich Bremer, GmbHR 2000, 176; Götze, ZGR 1999, 202 ff.; Ziegler, DStR 2000, 249 ff.; Ziemons, AG 1999, 492; grundsätzliche Zulässigkeitsbedenken bei Lutter, ZIP 1997, 613. 125) BGH NJW 1996, 2576 = ZIP 1996, 1341 = DStR 1996, 1294 (Goette) = EWiR § 85 GmbHG 1/96, 745 (Bork) = LM H. 1/1997 § 85 GmbHG Nr. 1 (GmbH); ebenso BGH ZIP 2000, 75 = DStR 1999, 2130 (für Abtretung künftiger Ansprüche); zum Ganzen Armbrüster, GmbHR 1997, 56.

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dazwischen liegenden Quartalen eine Zwischenmitteilung der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen; Letztere kann nach § 37x Abs. 3 WpHG auch durch einen umfangreicheren Quartalsfinanzbericht ersetzt werden. Ist die Gesellschaft ein Mutterunternehmen i. S. v. § 290 Abs. 1 HGB, haben deren gesetzliche Vertreter zudem einen Konzernabschluss und Konzernlagebericht aufzustellen (§ 290 Abs. 1 HGB); auch dieser ist der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung zuzuleiten (§ 175 AktG, § 42a Abs. 4 GmbHG). Während des Geschäftsjahrs haben Mutterunternehmen, die Inlandsemittenten sind, an Stelle der Einzelberichte einen Halbjahresfinanzbericht und eine Zwischenmitteilung für den gesamten Konzern zu erstellen (§ 37y Nrn. 2 und 3 WpHG). Konzernabschluss wie unterjährige Konzern-Finanzberichte sind dabei unter Beachtung international anerkannter Rechnungslegungsgrundsätze (IAS/IFRS) aufzustellen, also nicht nach den Vorschriften des HGB (§ 315a Abs. 1 HGB; § 37y Nr. 2 WpHG). Das ist nach der EU-Verordnung über internationale Rechnungslegungsstandards (dazu oben Rz. 1.68) für Geschäftsjahre, die nach dem 1. Januar 2005 begonnen haben, heute zwingendes Recht. 3.52 Um existenzbedrohende Entwicklungen eines Unternehmens frühzeitig erkennen zu können, verlangt der durch das KonTraG eingeführte § 91 Abs. 2 AktG vom Vorstand einer Aktiengesellschaft, dass er geeignete Maßnahmen zu treffen hat, um dieses Ziel zu erreichen. Dazu zählt insbesondere ein Überwachungssystem (controlling system). Ein ordnungsgemäß handelnder Vorstand wird jedoch schon auf der Grundlage des alten Rechts eine systematische Risikoanalyse betrieben haben, so dass der neue § 91 Abs. 2 AktG im Wesentlichen klarstellender Natur sein dürfte. Eine sachliche Neuerung ergibt sich aber indirekt daraus, dass der Abschlussprüfer bei einer Aktiengesellschaft, deren Aktien zum Börsenhandel126) zugelassen sind, nach § 317 Abs. 4 HGB eine besondere Prüfung dieses Überwachungssystems vorzunehmen und darüber nach § 321 Abs. 4 HGB ebenfalls besonders zu berichten hat.127) Für den GmbHGeschäftsführer ist eine ausdrückliche Pflicht zur Einführung eines controlling system zwar nicht gesetzlich festgeschrieben worden. Da § 91 Abs. 2 AktG aber nur klarstellende Bedeutung zukommt, wird man eine solche Pflicht mindestens dann auch für die GmbH annehmen müssen, wenn deren Risikostruktur einer gesetzestypischen Aktiengesellschaft entspricht.128) 3.53 Daneben treffen die Geschäftsleiter verschiedene Berichtspflichten, die durch den Zwang zur Einführung eines Überwachungssystems mittelbar verschärft ___________ 126) Bis zum Inkrafttreten des TransPuG war die Prüfungspflicht auf Gesellschaften beschränkt, deren Aktien zum amtlichen Handel zugelassen waren. 127) Dazu Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2625 f., 2629 f.; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 251; Zimmer, NJW 1998, 3521, 3524; zurückhaltend gegenüber der Neuregelung HoffmannBecking, ZGR 1998, 497, 513 f. 128) Dazu Altmeppen, ZGR 1999, 291, 300 ff.; Drygala, ZIP 2000, 297 (zumindest für Großunternehmen); Veil, ZGR 2006, 374, 377 f.

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wurden. So muss der Vorstand der Aktiengesellschaft in der Hauptversammlung jedem Aktionär auf Verlangen Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist (§ 131 Abs. 1 AktG). Weitergehend muss der Geschäftsführer jedem Gesellschafter unverzüglich (also nicht nur in der Gesellschafterversammlung) Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft geben und ihm – weitergehend – die Einsicht in die Bücher und Schriften gestatten (§ 51a Abs. 1 GmbHG). Der Vorstand einer Aktiengesellschaft hat zudem regelmäßig dem Aufsichtsrat Bericht zu erstatten (§ 90 AktG). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen solchen Berichten, die ohne besondere Anforderung zu erstatten sind (§ 90 Abs. 1 AktG), und solchen, die erst auf Verlangen des Aufsichtsrats zu erteilen sind („Anforderungsberichte“; § 90 Abs. 3 AktG); dieses Anforderungsrecht steht unter den Voraussetzungen des § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG auch jedem einzelnen Aufsichtsratsmitglied zu. Durch das KonTraG wurde § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG neu gefasst und die Pflicht zur Berichterstattung auch über die Unternehmensplanung stärker betont. Damit soll dem Aufsichtsrat besser als bisher eine „vorbeugende Überwachung“ ermöglicht werden.129) Eine erneute Änderung der Norm brachte das TransPuG: jetzt muss der Bericht des Vorstands an den Aufsichtsrat über die Geschäftspolitik auch „auf Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung von früher berichteten Zielen unter Angabe von Gründen [eingehen]“ („Follow-up-Berichterstattung“).130) In § 90 Absatz 4 AktG wurde durch einen neuen Satz 2 zudem klargestellt, dass die Berichte des Vorstands „möglichst rechtzeitig“ zu erstatten sind. Den GmbH-Geschäftsführer trifft die Berichtspflicht, selbst wenn ein Aufsichtsrat vorhanden ist, nur in vermindertem Umfang (§ 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und 2 AktG); insbesondere ist er mangels Bezugnahme auf § 90 Abs. 2 AktG nicht zur regelmäßigen Berichterstattung verpflichtet. Zahlreiche weitere Berichtspflichten treffen den Vorstand einer börsennotier- 3.54 ten Aktiengesellschaft. Sie können hier nur begrenzt vorgestellt werden (vgl. auch unten Rz. 4.28). Erwähnt sei zum einen die besonders bedeutsame Ver-

___________ 129) Dazu Henze, BB 2000, 209; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 253 (dort zu Einzelheiten der gesetzlich geforderten Intensität des Informationsflusses); Zimmer, NJW 1998, 3521, 3524; Schulze-Osterloh, ZIP 1998, 2129; zusammenfassend zum Informationsfluss zwischen Vorstand und Aufsichtsrat Frühauf, ZGR 1998, 407, 415; Wilde, ZGR 1998, 423, 426 ff., 457 ff. 130) Hierzu näher Hirte, TransPuG, Rz. I 4.

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pflichtung zur Ad-hoc-Publizität (§ 15 WpHG).131) Für den Fall, dass eine Gesellschaft im Ausland vergleichbaren Informationspflichten unterliegt, empfiehlt Nr. 6.2 (ex 6.5) DCGK auch die unverzügliche Bekanntgabe der entsprechenden Informationen im Inland. Zum zweiten ist hinzuweisen auf die durch das 4. FiFöG geschaffene Pflicht von Mitgliedern des Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgans börsennotierter Aktiengesellschaften, ihre Geschäfte in Aktien dieser Gesellschaft an die Gesellschaft und die BaFin zu melden (directors’ dealings; § 15a WpHG, ergänzt und erweitert durch Empfehlung 6.3 [ex 6.6] DCGK). Schließlich ist von Bedeutung die durch das TransPuG eingeführte Entsprechenserklärung (§ 161 AktG). Nach dieser Norm müssen „Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft [jährlich erklären], dass den vom Bundesministerium der Justiz im amtlichen Teil des Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen der ,Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex‘ entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und [gegebenenfalls – wie das BilMoG im Jahr 2009 ergänzt hat – ] warum nicht […]. Die Erklärung ist auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft zugänglich zu machen.“ Durch das BilMoG wurde die Pflicht zur Abgabe einer Entsprechenserklärung auf bestimmte weitere kapitalmarktorientierte Gesellschaften ausgedehnt (§ 161 Abs. 1 Satz 2 AktG). Ergänzend wird in § 285 Nr. 16 HGB (für den Einzelabschluss) bestimmt, dass zur Abgabe der Entsprechenserklärung Angaben im Jahresabschluss zu machen sind (dass sie abgegeben wurde und den Aktionären nach § 161 Satz 2 AktG zugänglich gemacht wurde) und dass die Erklärung offenzulegen ist (§ 325 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB). Hintergrund der Erklärung nach § 161 AktG ist damit, dass der Gesetzgeber die „gute Unternehmensführung“ vom Kapitalmarkt kontrollieren lassen will.132) Gegenstand der Erklärung sind ___________ 131) Zur hierfür erforderlichen Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines künftigen Ereignisses i. S. v. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG (hier: Rücktritt von Jürgen Schrempp) EuGH (Urt. v. 28.6.2012 – Rs. C-19/11), ECLI:EU:C:2012:397 (Geltl) = ABl. EU 2012 C 258, S. 5 = ZIP 2012, 1282 m. Anm. Schall = NJW 2012, 2787 = NZG 2012, 784 = EWiR § 13 WpHG 2/12, 467 (Bachmann) (dem folgend BGH ZIP 2013, 1165 = NZG 2013, 708 = NJW 2013, 2114 = EWiR § 13 WpHG 1/13, 433 [Seibt]; dazu Herfs, DB 2013, 1650); BGH ZIP 2008, 639, 641 (Daimler Chrysler) = NZG 2008, 300 = EWiR § 13 WpHG 1/2008, 317 (Wilsing/von der Linden); dazu Bachmann, DB 2012, 2206; Klöhn, ZIP 2012, 1885; Kocher/Widder, BB 2012, 2837; Möllers/Sabine Seidenschwann, NJW 2012, 2762; Wilsing/Gosslar, DStR 2012, 1709; dies., DStR 2013, 1610. Insbesondere zum Verhältnis der Ad-hoc-Publizität zu den aktienrechtlichen Berichtspflichten Hirte, in: Hadding/Hopt/ Schimansky (Hrsg.), Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz in der praktischen Umsetzung. Bankrechtstag 1995 (1996), S. 47 ff.; Möllers, ZGR 1997, 334 ff. Vgl. weiter Happ, JZ 1994, 240; Hopt, ZHR 159 (1995), 135 f.; Immenga, ZBB 1995, 197; M. Weber, NJW 1994, 2849. 132) Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200, 1204; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168 f.; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; Seibert, BB 2002, 581, 584; zur Kritik Hirte, TransPuG, Rz. I 13 sowie bereits ders., in: Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht. 11. ZGR-Symposion „25 Jahre ZGR“, ZGR-Sonderheft 13 (1998), S. 61, 74 ff.

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dabei zunächst nur die „Empfehlungen“ des Deutschen Corporate Governance Kodex („soll“; zum Kodex im Übrigen oben Rz. 1.80 ff.); von der Erklärungspflicht nicht umfasst sind also die das Gesetzesrecht beschreibenden Passagen des Kodex, und auch die bloßen Anregungen („kann“ oder „sollte“) sind nicht Inhalt der Erklärungspflicht.133) (4) Die Geschäftsleiter werden auch im Interesse der Kapitalerhaltung in die 3.55 Pflicht genommen – genauer: im Interesse der Vermeidung unzulässiger Ausschüttungen (§§ 57 Abs. 3, 58 Abs. 4 AktG) bzw. der Erhaltung des zur Deckung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens (§§ 30, 33 GmbHG). Ihnen persönlich sind daher dem Gesetz widersprechende Rückzahlungen an die Aktionäre (§ 93 Abs. 3 Nrn. 1, 2 und 5 AktG) bzw. in der GmbH – nicht ganz so streng – eine Rückgewähr des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens untersagt (§ 30 Abs. 1 i. V. m. § 43 Abs. 3 GmbHG). Und ebenso ist es ihnen untersagt, jenseits der durch §§ 71 ff. AktG, § 33 GmbHG gezogenen Grenzen eigene Anteile der Gesellschaft für diese zu erwerben (§ 93 Abs. 3 Nr. 3 AktG, § 33 i. V. m. § 43 Abs. 3 GmbHG). (5) An der Grenze zur Krise werden diese Pflichten noch weiter verschärft. 3.56 Hier treffen den Geschäftsleiter zusätzliche Pflichten im Interesse der Risikobegrenzung. Ihr Zweck ist die Verkürzung des Überlebenskampfes der Kapitalgesellschaft. Dies liegt im Interesse der Gläubiger und der (Mit-)Gesellschafter, auf die sonst wegen der auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung weiter wachsende Verluste externalisiert werden könnten. (a) Deshalb ist der Geschäftsleiter zunächst bei Verlust der Hälfte des Nenn- 3.57 kapitals („qualifizierter Verlust“) zur Verlustanzeige verpflichtet, das heißt, er muss die Haupt-/Gesellschafterversammlung einberufen und ihr dies anzeigen (Art. 19 [früher Art. 17] Zweite Richtlinie, § 92 Abs. 1 AktG, § 49 Abs. 3 GmbHG). Dies bedeutet eine Konkretisierung von § 121 Abs. 1 AktG, § 49 Abs. 2 GmbHG, nach denen eine Einberufung der Gesellschafterversammlung dann erforderlich ist, wenn es das Wohl der Gesellschaft erfordert. Damit soll den Gesellschaftern eine Beratung über Ursachen und eventuelle Konsequenzen des Verlusts ermöglicht werden. Insbesondere sollen sie dadurch die Möglichkeit erhalten, noch rechtzeitig eine Kapitalerhöhung zu beschließen.134) Zur Sicherstellung der Einhaltung dieser Verpflichtung muss der Geschäftsleiter die 3.58 wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft ständig beobachten und sich gegebenenfalls über den Vermögens- und Schuldenstand informieren. Die Überwachungspflicht trifft bei Gesamtgeschäftsführung den Geschäftsleiter auch dann, wenn nach einer internen Aufteilung ein anderes Vorstandsmitglied bzw. ein anderer Ge-

___________ 133) Begr RegE zu § 161 AktG n. F., BT-Drucks. 14/8769 = NZG 2002, 213, 225; Ihrig/ Wagner, BB 2002, 789 und 790; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Seibt, AG 2002, 249, 250 und 251; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 151 ff. 134) Ausführlich Priester, ZGR 1999, 533; Karsten Schmidt, ZIP 1980, 233, 234 ff.; Uhlenbruck, ZIP 1980, 73, 76 ff.; Ulmer, KTS 1981, 469, 475 ff.

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schäftsführer mit der kaufmännischen Leitung betraut ist und große Teile der Buchhaltung nicht am Sitz der Gesellschaft erledigt werden. In dieser Situation ist er gehalten, für eine Organisation zu sorgen, mit deren Hilfe er sich ständig einen Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft verschaffen kann.135) Die Einberufungspflicht ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen sich der qualifizierte Bilanzverlust aus einer formellen Jahres- oder Zwischenbilanz ergibt.136)

3.59 Zum „Grund- oder Stammkapital“, auf dessen hälftigen Verlust es für die Anzeigeverpflichtung ankommt, gehört das gesamte Nennkapital einschließlich der Rücklagen. Das Vermögen wird andererseits nach Going-concern-Werten berechnet; stille Reserven werden also nicht aufgelöst. Damit wird die Verpflichtung zur Verlustanzeige weitgehend vorverlagert; durch die unterlassene Umwandlung von Rücklagen in Nennkapital mittels Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln kann also die Verpflichtung nicht hinausgezögert werden. Bei der Unternehmergesellschaft ist die Verlustanzeige abweichend bei drohender Zahlungsunfähigkeit unverzüglich erforderlich (§ 5a Abs. 4 GmbHG; dazu im Übrigen unten Rz. 5.45d). 3.60 (b) Kann die Gesellschaft nicht mehr gerettet werden, ist der Geschäftsleiter zur rechtzeitigen (und richtigen) Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet (§ 15a InsO [früher § 92 Abs. 2 AktG, § 64 Abs. 1 GmbHG]). Vor allen Dingen mit dem Ziel, eine Anwendung der Vorschriften über die Insolvenzantragspflicht auch auf Schein-Auslandsgesellschaften sicherzustellen,137) waren die früher in den einzelnen Gesellschaftsgesetzen enthaltenen Vorschriften zu Insolvenzantragspflichten bei juristischen Personen durch das MoMiG aus dem Gesellschaftsrecht in das Insolvenzrecht in den jetzigen § 15a InsO verlagert worden. Erst durch das ESUG wurde auch die Begriffsbildung an diejenige des § 13 InsO angelehnt, so die InsO heute im Interesse eines einheitlichen Sprachgebrauchs in der InsO von der Pflicht zur Stellung eines Eröffnungsantrages spricht;138) mangels Erheblichkeit wird hier aber auch die frühere gesellschaftsrechtliche Begriffsbildung weiter genutzt. Anders als beim Insolvenzantragsrecht steht diese Pflicht nicht zur Disposition anderer Gesellschaftsorgane.139) Das gilt auch für die Europäische Aktiengesellschaft; auch die Insolvenzantragsgründe ___________ 135) BGH ZIP 1995, 560 = NJW-RR 1995, 669 = EWiR § 43 GmbHG 2/95, 785 (Wittkowski) (GmbH); BGH ZIP 2012, 1557 = NJW-RR 2012, 1122 = NZG 2012, 940 = NZI 2012, 812 = DStR 2012, 1713 = EWiR § 64 GmbHG 2/12, 559 (Schodder). 136) BGH ZIP 1995, 560 = NJW-RR 1995, 669 = EWiR § 43 GmbHG 2/95, 785 (Wittkowski) (GmbH); BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103, 1109 f. = NJW 1994, 2220 = EWiR § 64 GmbHG 2/94, 791 (Wilhelm) (GmbH); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2845 f. 137) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 138) Begr RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23. 139) Ebenso RGZ 72, 285, 289: Beschluss der Hauptversammlung befreit nicht von der Antragspflicht; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schmidt-Leithoff/Baumert, § 64 GmbHG Rz. 6; Uhlenbruck/Hirte, § 15a InsO Rz. 12.

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und die zivil- und strafrechtlichen Folgen einer unterlassenen Insolvenzantragstellung entsprechen bei ihr dem nationalen Aktienrecht.140) Ob die Regelungen zur Insolvenzantragspflicht aber allein durch das formale „Umhängen“ aus dem Gesellschafts- in das Insolvenzrecht tatsächlich ihren gesellschaftsrechtlichen Charakter verloren haben, ist zweifelhaft. Diese Zweifel – die durch die vom Gesetzgeber inzwischen sogar durch § 15a Abs. 6 InsO n. F. noch betonte Ausklammerung von Verein und Stiftung aus dem Anwendungsbereich der Norm noch verstärkt wurden141) – lassen es jedenfalls als unsicher erscheinen, ob die Erstreckung der entsprechenden Regelungen auf Schein-Auslandsgesellschaften tatsächlich mit der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit vereinbar ist.142) Die „Umqualifikation“ der Regelungen zu insolvenzrechtlichen hat aber vor allen Dingen zur Folge, dass die Normen nach jetzigem Recht durch Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes (im Sinne einer Verlegung des „Center of Main Interest – COMI“) in das Ausland ebenso leicht abgestreift werden können, wie man glaubt, sie den inländischen Scheinauslandsgesellschaften überstülpen zu können.143) Der durch das MoMiG neu geschaffene § 15a Abs. 3 InsO gehört in den Komplex der Missbrauchsbekämpfung (dazu oben Rz. 3.60 a. A.); er erstreckt die Pflicht zur Insolvenzantragstellung im Falle der Führungslosigkeit (oben Rz. 3.19b) auch auf die Gesellschafter oder Aufsichtsratsmitglieder; ihm korrespondierend wurde zugleich auch das Recht zur Insolvenzantragstellung im Falle von Führungslosigkeit auf deren Gesellschafter oder Aufsichtsratsmitglieder ausgedehnt (§ 15 Abs. 1 Satz 2 InsO). § 15a Abs. 3 InsO greift im Gegensatz zu § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO aber nur bei juristischen Personen.144) Die Pflicht zur Insolvenzantragstellung bedeutet, dass der Geschäftsleiter spä- 3.61 testens innerhalb von drei Wochen nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen muss. Die gesetzliche Insolvenzantragspflicht des Geschäftsleiters wird dabei nicht dadurch erfüllt oder gehemmt, dass er sich um eine Sanierung bemüht, selbst wenn sie nicht von vornherein aussichtslos ist.145) Zahlungsunfähigkeit ist dabei die Unfähigkeit, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 ___________ 140) Hirte, NZG 2002, 1, 2, 10. 141) G. Roth ZInsO 2012, 678. 142) Hirte, ZInsO 2008, 146, 147; Knof/Mock, GmbHR 2007, 852, 854 (mit besonderen Bedenken hinsichtlich der Erstreckung der Antragspflicht auch auf Gesellschafter); Uhlenbruck/ Hirte, § 15a InsO Rz. 3; abw. Poertzgen, NZI 2007, 15, 17; ders., ZInsO 2007, 574, 575; ders., NZI 2008, 9, 10 f.; Wälzholz, DStR 2007, 1914, 1917. 143) Uhlenbruck/Hirte, § 15a InsO Rz. 4. 144) Außer dem Verein; dazu G. Roth InsVZ 2010, 190, 192. 145) BGH ZIP 2007, 674 (Gen) = NZG 2007, 396 = NJW-RR 2007, 690; Geißler, ZInsO 2013, 167 ff.; Poertzgen, ZInsO 2008, 944, 945 f.; abw. OLG Hamburg ZIP 2010, 2448 = NZG 2010, 1225 (für das Zahlungsverbot bei 10-tägiger Fristüberschreitung).

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§ 3 Organisationsverfassung

Satz 1 InsO); die bloß „drohende Zahlungsunfähigkeit“ nach § 18 InsO berechtigt den Schuldner – und nur diesen – auch schon vorher, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen, verpflichtet ihn aber nicht. Da die Insolvenzantragstellung in diesem Fall aufgrund unternehmerischer Freiheit erfolgt, sind bei der Aktiengesellschaft (mindestens) der Aufsichtsrat bzw. bei der GmbH die Gesellschafterversammlung anzuhören.146) 3.62 Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel bei der sog. Zahlungseinstellung anzunehmen (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO), und sie wird durch die Wiederaufnahme der Zahlungen beendet. Wichtiger – da er typischerweise früher eintritt – ist bei Kapitalgesellschaften der zweite Insolvenztatbestand, die Überschuldung. Sie liegt vor, wenn das Vermögen nicht mehr die Schulden deckt (§ 19 Abs. 2 i. V. m. § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO). Sie und damit die Verpflichtung zur Stellung des Antrags liegt auch dann vor, wenn ein für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens ausreichendes Vermögen nicht (mehr) vorhanden ist und deshalb die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur geordneten Abwicklung der Gesellschaft nicht in Betracht kommt. Um festzustellen, ob die Gesellschaft überschuldet ist, müssen die Geschäftsleiter auch hier die Entwicklung der Gesellschaft kontinuierlich beobachten; eine Kenntnisnahme allein von den formellen (Halb-)Jahresabschlüssen reicht nicht.147) Das setzt ein entsprechendes internes Berichtssystem und eine entsprechende Organisationsstruktur voraus.148) 3.63 Anders als für die Verlustanzeige erfolgt die Vermögensbewertung hier jedoch nicht nach den HGB-Regeln, sondern nach der Verwertbarkeit des Vermögens in der Insolvenz. Die stillen Reserven sind also aufzudecken; das kann dazu führen, dass die Insolvenzantragspflicht relativ später eingreift als die Verlustanzeigepflicht. Grund ist die bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht eingreifende sehr scharfe Schadenersatzsanktion. Liegen allerdings die Zerschlagungswerte noch unter den Buchwerten – insbesondere bei erst geringer Abschreibungsdauer –, führt dies zu einer Verschärfung gegenüber der Lage nach der Handelsbilanz. Der Ansatz von Gesellschafterdarlehen bei den Passiva unterbleibt, sofern die Gesellschafter einen Rangrücktritt hinter die Forderungen ___________ 146) OLG München ZIP 2013, 1121 = NZG 2013, 742 [inzwischen rkr.]; Gottwald/Haas/ Kolmann/Pauw, InsR HdB, § 92 Rz. 156; Henssler, ZInsO 1999, 121, 126; Lutter, ZIP 1999, 641, 642; Uhlenbruck/Hirte, § 11 InsO Rz. 21 (ein entsprechender Beschluss der Gesellschafterversammlung bedarf derselben Mehrheit wie ein Liquidationsbeschluss [wohl auch Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO, 1999, Rz. 238]); Wertenbruch, DB 2013, 1592 ff.; Wortberg, ZInsO 2004, 707 ff.; dazu auch die IDW-Empfehlungen zur Prüfung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit bei Unternehmen, ZIP 1999, 505). 147) BGH NJW-RR 1995, 669 = ZIP 1995, 560; BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103, 1109 f. = NJW 1994, 2220 = EWiR § 64 GmbHG 2/94, 791 (Wilhelm) (GmbH); BGH ZIP 2012, 1557 = NJW-RR 2012, 1122 = NZG 2012, 940 = NZI 2012, 812 = DStR 2012, 1713 = EWiR § 64 GmbHG 2/12, 559 (Schodder); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2845 f. 148) Dazu Goette, ZInsO 2001, 529 f.; Gottwald/Haas/Kolmann/Pauw, InsR HdB, § 92 Rz. 4 ff.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

nach § 39 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 InsO erklärt haben (§ 19 Abs. 2 Satz 2 InO n. F.; dazu im Übrigen unten Rz. 5.121 ff.). Darüber hinaus kann eine Überschuldung durch eine auf den für die Prüfung der Sanierungsfähigkeit erforderlichen Zeitraum befristete Patronatserklärung beseitigt werden (zu deren Zulässigkeit unten Rz. 5.121 ff.). Ob die Aktiva mit Fortführungs- oder Zerschlagungswerten anzusetzen sind, 3.64 sollte sich nach dem ursprünglichen Regelungskonzept der InsO nach einer mehrstufigen Prüfung richten; danach sollten grundsätzlich Liquidationswerte anzusetzen sein (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die typischerweise höheren Fortführungswerte sollten erst dann angesetzt werden können, wenn nach Einschätzung der Geschäftsleiter die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens reicht; für eine solche „positive Fortbestehensprognose“ – die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Fortbestands des Unternehmens – hätte allerdings der Geschäftsleiter die Beweislast getragen (§ 19 Abs. 2 Satz 2 InsO a. F.). Im Ergebnis hätte dies zu einer früh eingreifenden Insolvenzantragspflicht geführt, insbesondere bei (kapitalschwachen) Dienstleistungsunternehmen.149) Das wäre deutlich strenger gewesen als die bis zum Inkrafttreten der InsO vorgenommene zweistufige Überschuldungsprüfung, bei der eine aus der rechnerischen Überschuldung resultierende Insolvenzantragspflicht insgesamt verneint wurde, wenn eine – vom Geschäftsleiter zu beweisende – positive Fortführungsprognose gestellt werden konnte.150) Zu diesem früheren Ansatz ist der Gesetzgeber aber – inzwischen endgültig151) – 3.64a im Zusammenhang mit der Finanzkrise des Jahres 2008 zurückgekehrt. Nach Art. 5 und Art. 7 des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes vom 17. Oktober 2008 (FMStG) ist Überschuldung i. S. v. § 19 Abs. 2 InsO nämlich schon dann ausgeschlossen, wenn „die Fortführung des Unternehmens [.] nach den Um___________ 149) Bestätigt durch BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 = NZG 2007, 347 = NJW-RR 2007, 759 = EWiR § 64 GmbHG 1/07, 305 (Haas/Reiche); dazu Goette, ZInsO 2007, 1177, 1180; dazu zuvor bereits Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), S. 32 ff., Rz. 73 ff.; Kallmeyer, GmbHR 1999, 16 ff. (jeweils mit Hinweisen zu den im Einzelnen anzusetzenden Werten); Lutter, ZIP 1999, 641, 644 (der allerdings – S. 643 – nur geringe Unterschiede zum früheren Recht sieht); Schlitt, NZG 1998, 701, 704; Drukarczyk/ Schüler, DStR 1999, 646 ff. (gegen Möhlmann, DStR 1998, 1843); grundsätzliche betriebswirtschaftliche Kritik an der Überschuldung als Anknüpfungspunkt für die Insolvenzantragspflicht bei Fenske, AG 1997, 554 ff. 150) BGHZ 119, 201 (Dornier) = ZIP 1992, 1382 = NJW 1992, 2891 = EWiR § 32a GmbHG 6/92, 1093 (Hunecke); BGHZ 138, 211 = ZIP 1998, 776 = NJW 1998, 2667 = BB 1998, 1277 (Ls.) (Wellensiek) = DStR 1998, 651 (Goette) = LM H. 8/1998 § 823 (Bf) BGB Nr. 110 (Wilhelm); BGH ZIP 2004, 1049 = NZG 2004, 619 = ZInsO 2004, 679 = DStR 2004, 1053 (zu den Nachweisanforderungen); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2842; Karsten Schmidt, GmbHR 1999, 9, 10; Haas, in: Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 43b, 59. 151) Durch Art. 18 des „Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften“ v. 5.12.2012 (BGBl. I, 2418); dazu Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 5.

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§ 3 Organisationsverfassung

ständen überwiegend wahhrscheinlich [ist].“ Gegebenenfalls muss er sich insoweit sachverständig beraten lassen. 3.65 Der Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO unterliegt dabei auch ein (Mit-)Geschäftsleiter, der aufgrund einer internen Geschäftsverteilung nicht für die Finanzierung der Gesellschaft zuständig ist. Eine solche Vereinbarung kann den Geschäftsleiter nicht von einer kraft Gesetzes übertragenen Verantwortung entbinden, so dass auch ihn die Haftung wegen Insolvenzverschleppung trifft.152) Beruft sich ein Geschäftsleiter auf eine die Haftung ausschließende sorgfältige Pflichterfüllung, so hat er deren Voraussetzungen nachzuweisen (näher unten Rz. 3.118a). Beteiligt sich ein Gesellschafter, der um die Krisensituation weiß, aktiv an der Insolvenzverschleppung, so kommt seine Haftung als Gehilfe der Insolvenzverschleppung in Betracht.153) Antragspflichtig sind schließlich auch diejenigen, die ohne gehörig zu Organmitgliedern bestellt und im entsprechenden Register eingetragen zu sein, die Funktion eines Geschäftsleiters tatsächlich ausüben („faktische Geschäftsführer“; zu deren strafrechtlicher Verantwortung unten Rz. 3.149); das gilt nach Auffassung des BGH aber nur dann, wenn sie nach außen in Erscheinung getreten sind.154) Diese Voraussetzung kann auch bei einem Gesellschafter gegeben sein, der einen Geschäftsleiter abberuft, um der Insolvenzantragspflicht zu entgehen. bb)

Anstellungsvertrag

3.66 Neben den überwiegend gesetzlichen Pflichten, die sich aus der Organstellung ergeben, kommt der Anstellungsvertrag als Grundlage für Pflichten gegenüber der Gesellschaft in Betracht. Für den Inhalt der Pflichten entscheidet dabei zunächst der konkrete Vertrag; dieser kann auf den Gesellschaftsvertrag Bezug nehmen, so dass der Gesellschaftsvertrag auch im Verhältnis zu einem Fremdgeschäftsleiter Bedeutung erlangen kann (ein Muster eines Anstellungsvertrages finden Sie nachstehend). Darüber hinaus können sich bei der GmbH Verpflichtungen aus Beschlüssen der weisungsbefugten Gesellschafterversammlung ergeben. Nur soweit der konkrete Vertrag keine Regelung bzw. Lücken enthält, ergeben sich die Pflichten aus dem Gesetz bzw. aus den daraus richterrechtlich ___________ 152) BGH ZIP 1994, 891 (U.-P.) = NJW 1994, 2149 = LM H. 8/1994 § 64 GmbHG Nr. 10 = EWiR § 64 GmbHG 1/94, 789 (Schneider) (GmbH); dazu Hirte, in: Abschied vom Quotenschaden. ZIP-Sonderdruck 1994, Einl., S. 7; ders., NJW 1995, 1202, 1203; ders., NJW 1996, 2827, 2845. 153) BGH ZIP 1995, 124 = NJW-RR 1995, 289 = EWiR § 64 GmbHG 2/95, 371 (Wilhelm); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2845. 154) BGH NZG 2005, 816 = ZIP 2005, 1550 ff. = EWiR § 64 GmbHG 1/05, 731 (Bork) (im Anschluss an BGHZ 104, 44, 48 = ZIP 1988, 771, 772 = NJW 1988, 1789; BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848 = DStR 2002, 1010 = NJW 2002, 1803 = EWiR § 31 GmbHG 1/02, 679 [Blöse] = LM H. 9/2002 § 6 GmbHG Nr. 3 [G. H. Roth]); zustimmend zur restriktiven Linie der Rechtsprechung Himmelsbach/Achsnick, NZI 2003, 255, 256 ff.; abw. Haas, NZI 2006, 494 ff.; R. Redeker, DZWIR 2005, 497, 500 ff.; Überblick bei Strohn, DB 2011, 158.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

abgeleiteten Grundsätzen. Gleichwohl ist Anspruchsgrundlage im Falle etwaiger Pflichtverletzungen einheitlich § 43 Abs. 2 GmbHG (für die AG entsprechend § 93 Abs. 2 AktG).155) In der Folge wird von diesem gesetzlichen und daneben von dem typischerweise vertraglich vereinbarten Inhalt des Anstellungsvertrages ausgegangen. Geschäftsführeranstellungsvertrag156) Zwischen … [Firma] GmbH … [Anschrift] vertreten durch ihre Gesellschafter … [Namen], – im Folgenden „Gesellschaft“ genannt – und … [Name und Anschrift] – im Folgenden „Geschäftsführer“ genannt – wird unter Bezugnahme auf den Gesellschafterbeschluss vom … [Datum] der nachfolgende Geschäftsführer-Dienstvertrag geschlossen: §1 Aufgaben und Pflichten (1)

… [Name] ist Geschäftsführer der Gesellschaft. Der Geschäftsführer führt die Geschäfte der Gesellschaft – gemeinsam mit etwa bestellten anderen Geschäftsführern – mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nach Maßgabe der Gesetze, dieses Vertrages, des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaft, einer etwaigen Geschäftsordnung für die Geschäftsführung, die die Gesellschafter jederzeit erlassen können, sowie der von der Gesellschafterversammlung festgelegten geschäftspolitischen Richtlinien.

(2)

Die Gesellschaft kann weitere Geschäftsführer bestellen. Die Gesellschafter bestimmen in diesem Fall die Geschäftsverteilung unter den Geschäftsführern durch einen Geschäftsverteilungsplan, der in seiner jeweiligen neusten Fassung wesentlicher Bestandteil dieses Vertrages ist.

___________ 155) Zuletzt BGH ZIP 1997, 199, 200 = NJW 1997, 741 = DStR 1997, 252 (Goette) = EWiR § 43 GmbHG 2/97, 303 (Westermann): Abschluss eines Beratungsvertrages durch Geschäftsführerin mit einem Referendar, nach dem dieser für Beratungsleistungen 125 DM/Stunde – abgesehen von einer Obergrenze von 10 Stunden/Tag – in praktisch unbegrenztem Umfang abrechnen konnte. 156) Für die Bereitstellung dieses Musters danke ich Herrn Rechtsanwalt Dr. Jörg Mimberg, SERNETZ SCHÄFER Rechtsanwälte PartmbB, Düsseldorf, München.

137

§ 3 Organisationsverfassung

§2 Arbeitseinsatz (1)

Der Geschäftsführer hat seine volle Arbeitskraft ausschließlich für die Gesellschaft einzusetzen und der Gesellschaft sein ganzes Wissen und Können zur Verfügung zu stellen. Er hat alles zu unterlassen, was der Gesellschaft nachteilig sein oder gegen ihre Interessen verstoßen könnte.

(2)

Die Übernahme einer anderen entgeltlichen Tätigkeit oder einer unentgeltlichen Tätigkeit, die regelmäßig auszuüben ist oder gelegentlich nicht ganz unerheblichen Zeiteinsatz erfordert, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Gesellschafter.

(3)

Bei Übernahme einer mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligung von mehr als zehn Prozent an anderen Unternehmen, die mit der Gesellschaft im Wettbewerb stehen oder Geschäftsbeziehungen unterhalten, hat der Geschäftsführer die Gesellschafter zu informieren. §3 Wettbewerbsverbot

(1)

Es ist dem Geschäftsführer untersagt, während der Dauer dieses Vertrages in selbständiger, unselbständiger oder sonstiger Weise für ein anderes Unternehmen tätig zu sein oder ein Unternehmen zu errichten, zu erwerben oder sich hieran mittelbar oder unmittelbar zu beteiligen, das mit der Gesellschaft in Wettbewerb steht oder Geschäftsbeziehungen mit der Gesellschaft unterhält. Ausgenommen sind übliche Kapitalbeteiligungen bis zu zehn Prozent für persönliche Zwecke der Geldanlage.

(2)

Nach Beendigung dieses Vertrages ist es dem Geschäftsführer untersagt, für die Dauer von einem Jahr nach Beendigung des Vertrages –

direkt oder indirekt solche Produkte zu entwickeln, herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu vertreiben oder zu verkaufen oder



in selbständiger, unselbständiger oder sonstiger Weise für ein Unternehmen tätig zu sein oder ein Unternehmen zu errichten, zu erwerben oder sich hieran mittelbar oder unmittelbar zu beteiligen, das solche Produkte entwickelt, herstellt, anbietet, in den Verkehr bringt, vertreibt oder verkauft, die im Zeitpunkt der Beendigung des Vertrages von der Gesellschaft hergestellt, angeboten, in den Verkehr gebracht, vertrieben oder verkauft werden oder bei der Gesellschaft in der Entwicklung sind. Der räumliche Geltungsbereich dieses Wettbewerbsverbots erstreckt sich auf die Länder, in denen die Gesellschaft Kunden hat oder Kundenbeziehungen im Aufbau sind. Für die Dauer des Wettbewerbsverbots hat der Geschäftsführer Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von [achtzig Prozent] seines Bruttojahresgehaltes gemäß § 7 Absatz 1 dieses Vertrages, berechnet unter Zugrundelegung der letzten zwölf Monate vor Beendigung des Vertrages. Die Gesellschaft kann vor Beendigung dieses Vertrages durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Geschäftsführer auf das Wettbewerbsverbot mit der Wirkung verzichten, dass sie mit dem Ablauf eines Jahres seit der Verzichtserklärung von der Verpflichtung zur Zahlung der vorgenannten Entschädigung frei wird.

138

II. Geschäftsführer und Vorstand

§4 Vertretung (1)

Der Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft nach Maßgabe der Vorschriften des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaft und den Bestimmungen der Gesellschafter.

(2)

Der Geschäftsführer kann nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrages von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit werden. Soweit der Geschäftsführer generell oder für bestimmte Geschäftsvorfälle von den Bestimmungen der § 181 BGB befreit ist oder nachträglich befreit wird, hat er die Gesellschafter jeweils unaufgefordert darüber zu unterrichten, wenn er von dieser Befreiung Gebrauch gemacht hat.

(3)

Gegenüber dem Geschäftsführer wird die Gesellschaft durch die Gesellschafterversammlung oder einen von dieser bestimmten Vertreter vertreten. §5 Gesellschaftsbezogene Informationspflichten

(1)

Der Geschäftsführer hat die Gesellschafter zeitnah, umfassend und kontinuierlich sowie auf Ersuchen jederzeit über Geschäftsverlauf, Planung und einzelne Vorgänge von besonderem Interesse zu unterrichten. Auf Verlangen eines Gesellschafters muss der Geschäftsführer die Unterrichtung schriftlich niederlegen.

(2)

Der Geschäftsführer ist auch über die Beendigung dieses Vertrages hinaus verpflichtet, der Gesellschaft oder den Gesellschaftern über alle geschäftlichen Angelegenheiten, die ihm während seiner Tätigkeit bekannt geworden sind, auf Verlangen sofort unentgeltlich Auskunft zu geben. §6 Geheimhaltung

(1)

Der Geschäftsführer verpflichtet sich zur vertraulichen Behandlung und Geheimhaltung aller Vorgänge, betrieblichen Angelegenheiten, insbesondere aller Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zum Beispiel über Produkte, Verfahren, Pläne und Zahlen der Gesellschaft, die ihm während und im Rahmen seiner Tätigkeit für die Gesellschaft bekannt werden. Der Geschäftsführer hat insbesondere davon Kenntnis, dass im Prinzip alles, was er von der Gesellschaft weiß, als vertraulich zu behandeln ist, wenn es nicht ausdrücklich zur Veröffentlichung freigegeben wurde. Der Geschäftsführer wird deshalb gegenüber Dritten über alle Angelegenheiten der Gesellschaft, gleich welcher Art, Stillschweigen bewahren. Vorbehalten bleiben nur die gesetzlichen Auskunftspflichten.

(2)

Die Gesellschaft behält sich in jedem einzelnen Fall der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht das Recht vor, den entstandenen Schaden und eventuelle weitere Ansprüche gerichtlich einzufordern.

(3)

Die Verschwiegenheitsverpflichtung dauert auch über ein Ausscheiden des Geschäftsführers aus der Geschäftsführung und eine Beendigung dieses Vertrages hinaus fort.

(4)

Der Geschäftsführer verpflichtet sich ferner, bei seinem Ausscheiden oder seiner Abberufung als Geschäftsführer alle in seinem Besitz befindlichen schriftlichen,

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§ 3 Organisationsverfassung elektronischen oder in sonstiger Form vorhandenen Unterlagen, Urkunden, Aufzeichnungen, Notizen, Entwürfe oder hiervon gefertigte Ab- bzw. Durchschriften oder Kopien, die im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit stehen, unverzüglich und unaufgefordert an die Gesellschaft zurückzugeben. Erforderlichenfalls hat er eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, dass er alle diesbezüglichen Unterlagen so vernichtet hat, dass kein Dritter hieraus irgendwelche Kenntnisse erlangen kann. Ein Zurückbehaltungsrecht ist ausgeschlossen. §7 Vergütung (1)

Der Geschäftsführer erhält für seine Tätigkeit ab dem … [Datum] ein Bruttojahresgehalt von EUR … [Betrag],– (in Worten: … [Betrag] Euro), das unter Einbehaltung der gesetzlichen Abzüge in dreizehn gleichen Teilraten ausgezahlt wird. Die Teilraten sind kalendermonatlich nachträglich zahlbar, wobei die dreizehnte Teilrate zusammen mit der zwölften Teilrate im Dezember eines jeden Jahres ausgezahlt wird.

(2)

Dem Geschäftsführer steht zusätzlich zur Vergütung nach Absatz 1 dieser Regelung eine vom wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft abhängige Vergütung nach Maßgabe der Vereinbarungen in Anlage … [Ziffer] zu.

(3)

Mit der in den vorstehenden Absätzen vereinbarten Vergütung sind auch alle etwaigen Überstunden, Sonntags-, Feiertags-, Nacht- und sonstige Mehrarbeiten abgegolten.

(4)

Sämtliche Vergütungsansprüche des Geschäftsführers verjähren in sechs Monaten seit Eintritt ihrer Fälligkeit. §8 Urlaub

Der Geschäftsführer erhält einen bezahlten Jahresurlaub von … [Anzahl] Arbeitstagen, den er im Interesse der Erhaltung seiner Arbeitskraft verwenden wird. Samstage zählen nicht als Arbeitstage. Urlaubszeiten hat der Geschäftsführer unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange und in Abstimmung mit etwaigen weiteren Geschäftsführern festzulegen und den Gesellschaftern anzuzeigen. Jahresurlaub von … [Anzahl] Tagen oder mehr ist im Einvernehmen mit den Gesellschaftern festzulegen. §9 Krankheit, Dienstunfähigkeit, Tod (1)

Wird der Geschäftsführer an der Ausübung seiner Tätigkeit durch Krankheit oder durch andere Umstände, die er nicht zu vertreten hat, verhindert, so behält er den Anspruch auf die festen Bezüge gemäß § 7 Absatz 1 für den laufenden Monat und die sechs nachfolgenden Monate sowie den Anspruch auf einen entsprechenden zeitanteiligen Betrag der erfolgsabhängigen Vergütung gemäß § 7 Absatz 2.

(2)

Stirbt der Geschäftsführer während des Bestehens dieses Vertrages, so gelten die Regelungen des Absatz 1 entsprechend. Die Gesellschaft ist nur gegen Vorlage eines Erbscheins zur Zahlung verpflichtet.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

§ 10 Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung Hinsichtlich der Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung gelten die gesetzlichen Bestimmungen. § 11 Vertragslaufzeit, Kündigung (1)

Dieser Vertrag beginnt am … [Datum] und ist auf unbestimmte Dauer geschlossen.

(2)

Dieser Vertrag kann von beiden Parteien mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines jeden Kalenderquartals gekündigt werden; das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt. Die Kündigung bedarf der Schriftform.

(3)

Nach einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung dieses Vertrages, gleich durch welche Partei, ist die Gesellschaft jederzeit befugt, den Geschäftsführer von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung für die Gesellschaft sofort freizustellen. Die Freistellung erfolgt durch schriftliche Mitteilung eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses.

(4)

Ohne dass es einer Kündigung bedarf, endet das Anstellungsverhältnis (a) spätestens mit Erreichen der Altersgrenze; das ist derzeit der Ablauf des Monats, in dem das … [Anzahl] Lebensjahr vollendet wird (Pensionierung); (b) wenn der Geschäftsführer zur Ausübung seiner Tätigkeit dauernd unfähig ist (volle Erwerbsminderung i. S. d. § 43 Absatz 2 SGB VI) mit Ablauf des Monats, in dem die volle Erwerbsminderung durch Gutachten festgestellt wird. Die Gesellschaft kann auf eigene Kosten den Grad der Erwerbsminderung durch Einholung eines vertrauensärztlichen Gutachtens ermitteln lassen, das für beide Vertragspartner verbindlich ist.

(5)

Die Bestellung des Geschäftsführers kann durch Beschluss der Gesellschafterversammlung jederzeit widerrufen werden, unbeschadet seiner Ansprüche nach diesem Vertrag. Der Widerruf gilt als Kündigung des Dienstvertrages zum nächstzulässigen Zeitpunkt.

(6)

Im Falle der Umwandlung, Verschmelzung oder vergleichbarer Umgestaltungen der Gesellschaft in eine anderer Gesellschaftsform erhält der Geschäftsführer bei im Übrigen entsprechender Fortgeltung dieses Vertrages eine vergleichbare Rechtsstellung. § 12 Sonstiges

(1)

Die in diesem Vertrag in Bezug genommenen Anlagen sind Bestandteile dieses Vertrages.

(2)

Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform. Dies gilt auch für die Aufhebung dieser Schriftformklausel. § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB findet keine Anwendung.

141

§ 3 Organisationsverfassung

(3)

Sollten Bestimmungen dieses Vertrages oder eine zukünftige Bestimmung des Vertrages ganz oder teilweise nicht rechtswirksam sein oder ihre Rechtswirksamkeit später verlieren, so wird hierdurch die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen des Vertrages nicht berührt. Das Gleiche gilt, soweit sich in dem Vertrag eine Lücke herausstellen sollte. Anstelle der unwirksamen Bestimmung oder zur Ausfüllung der Lücke werden die Parteien eine angemessene Regelung vereinbaren, die, soweit rechtlich möglich, dem am nächsten kommt, was die Parteien gewollt haben oder nach dem Sinn und Zweck des Vertrages gewollt haben würden, sofern sie bei der Aufstellung des Vertrages den Punkt bedacht hätten.

[Unterschriftenzeilen]

Vorstandsvertrag157) Zwischen … Aktiengesellschaft, … [Anschrift] vertreten durch ihren Aufsichtsrat [Namen der Aufsichtsratsmitglieder unter Kennzeichnung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats] – im Folgenden „Gesellschaft“ genannt – und … [Name und Anschrift] – im Folgenden „Vorstandsmitglied“ genannt –. Präambel Das Vorstandsmitglied ist durch den beigefügten Beschluss des Aufsichtsrats vom … [Datum] mit Wirkung vom … [Datum] zum Mitglied des Vorstands der Gesellschaft bestellt worden. Die Bestellung gilt für die Dauer von … [Anzahl] Jahren. §1 Aufgaben und Pflichten 1.1

Das Vorstandsmitglied führt gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern die Geschäfte der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen, der Satzung der Gesellschaft sowie der Geschäftsordnung für den Vorstand und dieses Vorstandsvertrages. Soweit die Gesellschaft eine Entsprechenserklärung bezüglich des Corporate-GovernanceKodex abzugeben hat, wird das Vorstandsmitglied zusammen mit den anderen Vorstandsmitgliedern dafür Sorge tragen, dass die Gesellschaft sich entsprechend der abgegebenen Erklärung verhält. Das Vorstandsmitglied ist gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern für die unternehmerische Führung der Gesellschaft

___________ 157) Das Muster dieses Vertrages nebst der Schiedsvereinbarung entstammt dem Werk Martens & Partner, Der zeitgemäße Vorstandsvertrag (2. Aufl. 2012), S. 16 ff. (mit Anmerkungen von Stefan Martens und Heribert Hirte), dort auch mit weitergehenden Erläuterungen.

142

II. Geschäftsführer und Vorstand und aller zu ihrem Einflussbereich gehörenden Unternehmen, insbesondere ihrer Tochter- und Beteiligungsgesellschaften, verantwortlich. 1.2

Der Aufgabenbereich ergibt sich aus der Geschäftsordnung des Vorstands.

1.3

Das Vorstandsmitglied ist verpflichtet, auf Wunsch des Vorstandsvorsitzenden oder des Aufsichtsrats Aufsichtsratsmandate oder einen Sitz in ähnlichen Kontrollorganen bei anderen Gesellschaften sowie ehrenamtliche Funktionen bei Verbänden, denen die Gesellschaft angehört, zu übernehmen. Das Vorstandsmitglied hat solche Ämter auf Wunsch des Vorstandsvorsitzenden oder des Aufsichtsrats jederzeit, spätestens bei Beendigung der Vorstandsbestellung, niederzulegen, soweit nicht ausdrücklich eine anderweitige Vereinbarung getroffen wird. §2 Tätigkeitsumfang, Nebentätigkeit und Beteiligungsverbot

2.1

Das Vorstandsmitglied wird sein gesamtes Wissen und Können sowie seine gesamte Arbeitskraft ausschließlich der Gesellschaft sowie deren Tochter- und Beteiligungsgesellschaften zur Verfügung stellen. Das Vorstandsmitglied ist nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden.

2.2

Die Übernahme einer anderweitigen beruflichen Tätigkeit – entgeltlich oder unentgeltlich – bedarf der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats. Dies gilt auch für die Annahme von Aufsichtsratsmandaten und ähnlichen Ämtern sowie für die Interessen der Gesellschaft berührende Gutachten, Veröffentlichungen und Vorträge sowie Gutachter- und Schiedsrichtertätigkeiten. Ausgenommen hiervon sind Tätigkeiten für Unternehmen im Familienverbund oder für Tochter- und Beteiligungsgesellschaften der Gesellschaft.

2.3

Während der Dauer dieses Vertrages ist es dem Vorstandsmitglied ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Aufsichtsrats nicht gestattet, sich an einem Unternehmen zu beteiligen, das mit der Gesellschaft oder einem mit ihr verbundenen Unternehmen in Konkurrenz steht oder im wesentlichen Umfang Geschäftsbeziehungen unterhält. Ausgenommen hiervon sind Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen, sofern die Beteiligung nicht 3 % des Grundkapitals übersteigt. §3 Bezüge

3.1

Das Vorstandsmitglied erhält als Vergütung ein Jahresgehalt in Höhe von EUR … [Betrag] brutto, das in zwölf gleichen Teilbeträgen jeweils zum Monatsende ausbezahlt wird.

3.2

Darüber hinaus erhält das Vorstandsmitglied bis zur Beendigung der Vorstandsbestellung eine Tantieme in Höhe von jährlich EUR … [Betrag]. a) Variante 1: EUR … [Betrag] brutto für je 1 % der von der Gesellschaft ausgeschütteten Dividende. Gewinnvorträge und aufgelöste Rücklagen sind nicht tantiemeberechtigt. Die Tantieme erhöht sich um … [Prozentzahl] % des für das Ge-

143

§ 3 Organisationsverfassung schäftsjahr in die anderen Gewinnrücklagen der Gesellschaft aus dem Jahresüberschuss eingestellten Betrages. Die Tantieme für das abgelaufene Geschäftsjahr ist am Tag der ordentlichen Hauptversammlung fällig. Falls der Vorstandsvertrag während eines Geschäftsjahres beginnt oder vor dem Ablauf eines Geschäftsjahres endet, wird die Tantieme zeitanteilig gezahlt. b) Variante 2: … [Prozentzahl] % des Unternehmensgewinns. Diese Tantieme wird jedoch nur dann ausbezahlt, wenn die Gesellschaft nach Maßgabe der Berechnungsgrundlage einen Gewinn von über EUR … [Betrag] erwirtschaftet. Berechnungsgrundlage ist der Handelsbilanzgewinn vor Steuern. Die Tantieme mindert die Berechnungsgrundlage nicht und wird jeweils einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses des jeweiligen Geschäftsjahres der Gesellschaft zur Zahlung fällig. Falls der Vorstandsvertrag während eines Geschäftsjahres beginnt oder vor dem Ablauf eines Geschäftsjahres endet, wird die Tantieme zeitanteilig gezahlt. [Die nach der vorstehenden Methode berechnete Tantieme stellt eine Akontozahlung dar; die exakte Höhe ist auf der Grundlage des Durchschnitts des für das laufende und die beiden folgenden Geschäftsjahre ermittelten Wertes im Nachhinein festzusetzen. Ergibt sich dabei im Nachhinein eine Überzahlung, ist diese zu verrechnen oder zurückzuzahlen.] 3.3

Der Aufsichtsrat kann dem Vorstandsmitglied im Falle außerordentlicher Leistungen und Erfolge, sofern diesen bei der Festsetzung der Bezüge nach 3.1 und 3.2 nicht Rechnung getragen wurde, und unter Berücksichtigung des Unternehmensinteresses zusätzlich angemessene Sondervergütungsbestandteile bewilligen. Im Fall einer solchen Bewilligung handelt es sich um eine einmalige Leistung, auf welche kein Rechtsanspruch für die Zukunft besteht.

3.4

Das Jahresgehalt und die Tantieme werden in Abständen von zwei Jahren überprüft und zwei Monate vor Beginn des jeweiligen Geschäftsjahres neu definiert. Verschlechtert sich die Lage der Gesellschaft, kann der Aufsichtsrat die Bezüge auch unabhängig davon in angemessenem Umfang herabsetzen (§ 87 Abs. 2 AktG); das hierdurch begründete gesetzliche Sonderkündigungsrecht des Vorstandsmitglieds bleibt unberührt.

3.5

Mit den Bezügen gemäß 3.1, 3.2 und 3.3 ist auch eine etwaige Tätigkeit des Vorstandsmitglieds für Unternehmen im Interessenbereich der Gesellschaft (gesellschaftsgebundene Mandate) abgegolten. [Soweit das Vorstandsmitglied Bezüge für derartige Mandate direkt von dem betreffenden Unternehmen erhält, werden sie auf die Tantieme angerechnet oder nach Wahl der Gesellschaft von dem Vorstandsmitglied an die Gesellschaft abgeführt.] §4 Nebenleistungen und Spesen

4.1

144

Die Gesellschaft stellt dem Vorstandsmitglied für die Dauer seines aktiven Dienstes bei der Gesellschaft einen Dienstwagen der gehobenen Klasse zur allgemeinen

II. Geschäftsführer und Vorstand Nutzung für dienstliche und private Fahrten, bei Dienstfahrten erforderlichenfalls mit Fahrer, zur Verfügung. Das Vorstandsmitglied hat den Wert der privaten Nutzung als Sachbezug zu versteuern. 4.2

Das Vorstandsmitglied hat Anspruch auf Erstattung der Telefonkosten seines privaten Telefonanschlusses gegen Vorlage der Telefonrechnungen, soweit die Erstattung nach steuerlichen Grundsätzen steuerfrei erfolgen kann.

4.3

Die Gesellschaft leistet die Arbeitgeberanteile für die Sozialversicherung.

4.4

Die Gesellschaft erstattet dem Vorstandsmitglied alle nachweislich dienstlich verursachten Aufwendungen im Rahmen der steuerlich anerkannten Sätze. Über den erforderlichen Aufwand entscheidet das Vorstandsmitglied nach pflichtgemäßem Ermessen. §5 Urlaub

5.1

Das Vorstandsmitglied hat Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub im Umfang von 30 Arbeitstagen. Als Arbeitstage gelten alle Tage, die nicht Samstage, Sonntage oder am Sitz der Gesellschaft bei Abschluss dieses Vertrages gesetzliche Feiertage sind.

5.2

Die zeitliche Lage des Urlaubs ist unter Berücksichtigung der geschäftlichen Belange der Gesellschaft festzulegen.

5.3

Kann das Vorstandsmitglied seinen Urlaub aus geschäftlichen oder in seiner Person liegenden Gründen nicht oder nicht vollständig bis zum Ende eines Kalenderjahres nehmen, so bleibt der Urlaubsanspruch bis zum 31. März des Folgejahres erhalten. Kann der Urlaub auch bis zu diesem Zeitpunkt nicht genommen werden, so wird er ausbezahlt. Dies gilt desgleichen im Falle einer Beendigung dieses Vertrages. §6 Arbeitsunfähigkeit

6.1

Bei einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, die durch Krankheit, Unfall oder aus einem anderen von dem Vorstandsmitglied nicht verschuldeten Grund eintritt, zahlt die Gesellschaft die Bezüge gemäß § 3 dieses Vertrages für die Dauer von sechs Monaten in unveränderter Höhe fort, längstens jedoch bis zum Ende dieses Vertrages.

6.2

Auf die Leistungen der Gesellschaft werden etwaige Leistungen Dritter, z. B. aufgrund von Haftpflichtansprüchen, aus einschlägigen Versicherungen usw. angerechnet, sodass die zeitanteiligen Nettobezüge von dem Vorstandsmitglied bei Arbeitsunfähigkeit nicht überschritten werden. §7 Sozialleistungen und Versicherungen

7.1

Die Gesellschaft zahlt dem Vorstandsmitglied während der Dauer dieses Vertrages 50 % der nachgewiesenen Beiträge zur privaten Krankenversicherung und zur

145

§ 3 Organisationsverfassung Pflegeversicherung sowie 100 % der nachgewiesenen Kosten für eine Krankentagegeldversicherung als Nettobezug. 7.2

Die Gesellschaft wird für die Dauer dieses Vertrages eine Unfallversicherung in Höhe von EUR 500.000 für den Todesfall und in Höhe von EUR 1.000.000 für den Invaliditätsfall zugunsten des Vorstandsmitglieds abschließen. Das Vorstandsmitglied ist berechtigt, diese Versicherungen in deren jeweiligem Stand bei Ablauf dieses Vorstandsvertrages zu übernehmen und auf eigene Kosten weiterzuführen.

7.3

Die Gesellschaft wird darüber hinaus für das Vorstandsmitglied eine „Directors & Officers“-Versicherung (D&O-Versicherung) abschließen. Der Versicherungsschutz soll auch nach dem Ausscheiden des Vorstandsmitglieds weiter gelten, sofern Tätigkeiten und Handlungen während der Dauer dieses Vorstandsvertrages betroffen sind. Bei der D&O-Versicherung besteht ein Selbstbehalt in der in § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG mindestens vorgeschriebenen Höhe. Auf eine Versicherung dieses Selbstbehalts wird angesichts der insoweit ungeklärten Rechtslage verzichtet.

7.4

Auf Wunsch des Vorstandsmitglieds wird die Gesellschaft eine Direktversicherung abschließen, deren Begünstigter das Vorstandsmitglied ist. Es steht dem Vorstandsmitglied frei, sich die Art der Versicherung auszusuchen.

7.5

Verstirbt das Vorstandsmitglied während der Dauer dieses Vertrages, so haben seine Witwe und seine unterhaltsberechtigten Kinder als Gesamtgläubiger Anspruch auf die Fortzahlung der Bezüge gemäß § 3 Ziffer 3.1 und 3.2 zeitanteilig für den Sterbemonat und die sechs darauffolgenden Monate. Für die Kinder gilt dies nur, soweit diese das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet und ihre Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen haben. §8 Vertragsdauer

8.1

Die Vertragszeit entspricht dem Zeitraum der Bestellung. Der Vertrag endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit dem Ablauf der Zeit, für die das Vorstandsmitglied bestellt ist. Der Vertrag verlängert sich jeweils für die Zeit, für die das Vorstandsmitglied erneut zum Vorstand bestellt wird.

8.2

Der Vorsitzende des Aufsichtsrats teilt dem Vorstandsmitglied frühestens zwölf, spätestens sechs Monate vor Ablauf dieses Vertrages mit, ob ihn der Aufsichtsrat erneut bestellen wird.

8.3

Wird das Vorstandsmitglied während der Laufzeit dieses Vertrages dauernd arbeitsunfähig, so endet dieser Vertrag sechs Monate nach dem Ende desjenigen Monats, in dem die dauernde Arbeitsunfähigkeit festgestellt worden ist. Die dauernde Arbeitsunfähigkeit wird im Zweifel durch das Gutachten eines vom Aufsichtsrat und dem Vorstandsmitglied einvernehmlich zu benennenden Arztes festgestellt.

8.4

Dieser Vertrag endet spätestens mit Ablauf desjenigen Monats, in dem das Vorstandsmitglied das … [Alter] Lebensjahr vollendet.

146

II. Geschäftsführer und Vorstand

§9 Kündigung 9.1

Während der Festlaufzeit dieses Vorstandsvertrages ist eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Die Möglichkeit, diesen Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen, bleibt für beide Seiten unberührt. Ein wichtiger Grund für die Gesellschaft liegt insbesondere dann vor, wenn das Vorstandsmitglied gegen diesen Vorstandsvertrag oder Regelungen der Satzung der Gesellschaft oder der Geschäftsordnung des Vorstands bzw. zulässige Beschlüsse des Aufsichtsrats verstößt.

9.2

Widerruft der Aufsichtsrat die Bestellung zum Vorstandsmitglied aus wichtigem Grund, so bedarf es zur Beendigung des Vorstandsdienstvertrages einer gesonderten schriftlichen Kündigung. In diesem Fall kann der Aufsichtsrat nach billigem Ermessen entscheiden, ob ein etwaiger Anspruch auf Gewährung variabler Vergütungsbestandteile für das betreffende Geschäftsjahr bzw. Ansprüche des Vorstandsmitglieds aus etwaigen für das betreffende Geschäftsjahr bereits gewährten, aber noch nicht ausgezahlten variablen Vergütungsbestandteilen entfallen; Gleiches gilt, wenn ein zum Widerruf der Bestellung berechtigender wichtiger Grund vorliegt, ohne dass die Bestellung widerrufen wird, insbesondere im Falle einer Verweigerung der Entlastung durch die Hauptversammlung.

9.3

Das Vorstandsmitglied hat ein Sonderkündigungsrecht mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende eines Kalendermonats, wenn (bei einer abhängigen Gesellschaft ggf. auch indirekt) mehr als 30 % der Aktien der Gesellschaft ihren Inhaber wechseln („Change of Control“). Dieses Sonderkündigungsrecht kann innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntwerden des Wechsels der Aktienmehrheit ausgeübt werden. Das Vorstandsmitglied erhält im Falle der Sonderkündigung nach dieser Ziffer 9.3 die Bezüge für die restliche Laufzeit des Vorstandsvertrages gemäß § 3 Ziffer 3.1 als Abfindung in einer Summe bei seinem Ausscheiden.

9.4

Die Kündigung bedarf der Schriftform. § 10 Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse

10.1 Die Gesellschaft stellt dem Vorstandsmitglied sämtliche für seine Tätigkeiten als Vorstandsmitglied erforderlichen Unterlagen und Arbeitsmittel zur Verfügung. Die Unterlagen bleiben Eigentum der Gesellschaft. Sie sind auf deren jederzeit zulässiges Verlangen, insbesondere anlässlich der Beendigung dieses Vertrages, unverzüglich zurückzugeben. Dies gilt auch für etwaige Aufzeichnungen, Notizen, Entwürfe, Abschriften oder sonstige Vervielfältigungen, die im Zusammenhang mit der Vorstandstätigkeit gefertigt worden sind, einschließlich solcher, die auf elektronischen Datenträgern gespeichert wurden. Ein Zurückbehaltungsrecht des Vorstandsmitgliedes ist insoweit ausgeschlossen. 10.2 Das Vorstandsmitglied verpflichtet sich, über sämtliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, insbesondere über sämtliche Kundenbeziehungen, sowohl während der Dauer des Vertrages als auch danach, Dritten gegenüber unbedingtes Stillschweigen zu bewahren. Dies gilt nicht, soweit es gesetzlich zur Auskunft verpflichtet ist.

147

§ 3 Organisationsverfassung

10.3. Die Gesellschaft ist während der Laufzeit dieses Vertrages als auch über dessen Beendigung hinaus zur Verwendung von technischen und organisatorischen Erfindungen oder Verbesserungsvorschlägen des Vorstandsmitglieds ohne besondere Vergütung ausschließlich berechtigt. § 11 Verpflichtung auf das Bundesdatenschutzgesetz 11.1 Den im Rahmen des § 1 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) dort genannten Personen oder in deren Auftrag bei der Datenverarbeitung beschäftigten Personen oder Stellen ist untersagt, geschäfts- und personenbezogene Daten unbefugt zu einem anderen als dem zur jeweiligen rechtmäßigen Aufgabenerfüllung erforderlichen Zweck zu verarbeiten, bekannt zu geben, zugänglich zu machen oder sonst zu nutzen. 11.2 Gemäß § 5 Abs. 2 BDSG verpflichtet sich das Vorstandsmitglied, nicht gegen diese Bestimmungen zu verstoßen. Diese Verpflichtung besteht auch nach Beendigung der Tätigkeit fort. § 12 Wettbewerbsvereinbarung 12.1 Nach Beendigung dieses Vertrages ist es dem Vorstandsmitglied für die Dauer von zwölf Monaten untersagt, in irgendeiner Form für ein Konkurrenzunternehmen der Gesellschaft tätig zu sein, selbst ein solches Konkurrenzunternehmen zu betreiben oder sich an einem solchen Konkurrenzunternehmen in irgendeiner Form zu beteiligen. Ausgenommen hiervon sind Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen, sofern die Beteiligung nicht 3 % des Grundkapitals übersteigt. 12.2 Das Wettbewerbsverbot erstreckt sich räumlich auf … [räumliche Reichweite] und sachlich auf … [sachliche Reichweite]. 12.3 Die Gesellschaft verpflichtet sich, dem Vorstandsmitglied für die Zeit des Bestehens dieses Wettbewerbsverbotes nach Ende dieses Vertrages pro Jahr eine Entschädigung zu zahlen in Höhe von 75 vom Hundert der Summe der Bezüge, die dem Vorstandsmitglied nach der Maßgabe der Regelung in § 3 Ziffer 3.1 dieses Vertrages für seine Tätigkeit zu zahlen war. Die hiernach errechnete Entschädigung wird monatsweise in gleichen Teilbeträgen jeweils zum Monatsende ausbezahlt. Das Vorstandsmitglied muss sich auf die Entschädigung anrechnen lassen, was es in der Zeit des Bestehens dieses Wettbewerbsverbotes durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt, soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung der anderweitigen Einkünfte das zuletzt gemäß der Regelung in § 3 bezogene volle Monatsgehalt übersteigen würde. 12.4 Die Gesellschaft hat das Recht, vor oder bei Beendigung dieses Vertrages durch schriftliche Erklärung auf die Einhaltung des Wettbewerbsverbotes zu verzichten. Dies bewirkt, dass mit Ablauf von sechs Monaten nach Zugang der Erklärung die Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung nach Ziffer 12.3 entfällt. Endet der Vorstandsvertrag mit Erreichen einer etwa vereinbarten Altersgrenze, wird die Gesellschaft bei einem nach Satz 1 erklärten Verzicht sofort von der Entschädigungspflicht frei.

148

II. Geschäftsführer und Vorstand

§ 13 Ruhegeld 13.1 Nach Erfüllung einer Wartezeit von fünf Jahren hat das Vorstandsmitglied Anspruch auf Ruhegeld, wenn a) das Vorstandsmitglied während der Dauer des Vertrages wegen Berufsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfalls aus den Diensten der Gesellschaft ausscheidet oder der Vorstandsvertrag wegen Erreichung der Altersgrenze endet; b) der Vorstandsvertrag aus Gründen beendet bzw. nicht verlängert wird, die das Vorstandsmitglied nicht zu vertreten hat, oder wenn das Vorstandsmitglied fristlos aus Gründen kündigt, die die Gesellschaft zu vertreten hat; c) der Vorstandsvertrag aus Gründen beendet bzw. nicht verlängert wird, die das Vorstandsmitglied nicht zu vertreten hat, oder wenn das Vorstandsmitglied fristlos aus Gründen kündigt, die die Gesellschaft zu vertreten hat. 13.2 Der Erfüllung einer Wartezeit bedarf es nicht, wenn das Vorstandsmitglied während der Dauer dieses Vertrages wegen Berufsunfähigkeit infolge Dienstunfalls aus den Diensten der Gesellschaft ausscheidet. 13.3 Bis zur Erfüllung der Wartezeit schließt die Gesellschaft eine Risikolebensversicherung in Höhe einer einmal zu zahlenden Versicherungssumme von EUR … [Betrag] zugunsten der Erben des Vorstandsmitglieds ab. 13.4 Das Ruhegeld beträgt EUR … [Betrag]/… [Prozentzahl] % der Bezüge nach Ziffer 3.1 jährlich. Der Anspruch auf Ruhegeld ruht, wenn und soweit eine Karenzentschädigung für die Einhaltung eines Wettbewerbsverbots von der Gesellschaft gezahlt wird oder nur wegen Wettbewerbsverstoßes nicht gezahlt wird. 13.5 Die Ruhegeldanwartschaft wird mit Erfüllung der Wartezeit unverfallbar. Für eine Dauer von drei Jahren nach Ausscheiden bleibt aber das Kürzungsrecht des Aufsichtsrats nach § 87 Abs. 2 AktG bestehen. § 14 Hinterbliebenenversorgung 14.1 Stirbt das Vorstandsmitglied nach Erfüllung der Wartezeit und während der Laufzeit dieses Vertrages oder nachdem es wegen Eintritts des Pensionsfalles gemäß § 8 Ziffer 8.4 aus den Diensten der Gesellschaft ausgeschieden ist, so erhalten seine Witwe Witwengeld und seine Kinder bis zum Abschluss ihrer Ausbildung, längstens jedoch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, Waisengeld. Es betragen a) das Witwengeld 60 vom Hundert, b) das Waisengeld für jede Halbwaise 20 vom Hundert, c) das Waisengeld für jede Vollwaise 30 vom Hundert des Ruhegeldes, das dem Verstorbenen zustand oder zugestanden hätte, wenn er am Todestag in den Ruhestand getreten wäre. Witwen- und Waisengeld dürfen zusammen nicht mehr als das Ruhegeld betragen. Wird dieses überschritten, so vermindern sich die den Kindern zustehenden Vomhundertsätze entsprechend.

149

§ 3 Organisationsverfassung

14.2 Der Anspruch der Witwe auf das Witwengeld erlischt bei Wiederverheiratung. Ungeachtet dessen steht dem Aufsichtsrat für eine Dauer von drei Jahren nach dem Tod des Vorstandsmitglieds das Kürzungsrecht des § 87 Abs. 2 AktG zu. 14.3 Für jedes Jahr, das die Witwe mehr als 15 Jahre jünger ist als das Vorstandsmitglied, wird das Witwengeld um 1/15 gekürzt. Diese Bestimmung findet jedoch keine Anwendung, wenn die Ehe beim Tod des Vorstandsmitglieds 10 Jahre oder länger bestanden hat oder wenn aus ihr ein Kind hervorgegangen ist. § 15 Fälligkeit des Ruhe- und Hinterbliebenengeldes, Anpassung 15.1 Ruhegehalt, Witwen- und Waisengeld sind am Ende eines jeden Monats fällig, und zwar erstmals für den Monat, der auf das die Versorgungsleistung auslösende Ereignis folgt. Die Versorgungsleistungen werden jedoch erstmals für den Monat erbracht, für den keine Übergangszahlungen erfolgen. 15.2 Das Ruhegeld sowie die Witwen- und Waisengelder verändern sich nach dem Eintritt des Pensionsfalles im gleichen Verhältnis und zum gleichen Zeitpunkt wie die laufenden Renten aus der Angestelltenversicherung. § 16 Schiedsgericht Über alle Streitigkeiten zwischen der Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied, die diesen Vertrag oder das Verhältnis der Parteien zueinander betreffen, schließen die Parteien eine Schiedsvereinbarung gemäß Anlage zu diesem Vorstandsvertrag. § 17 Schlussbestimmungen 17.1 Dieser Vertrag ersetzt alle etwaigen anderen Vereinbarungen zwischen den Parteien. Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertrages einschließlich dieses Absatzes bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. 17.2 Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sein oder werden, so berührt dies nicht die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen. Anstelle der unwirksamen Vorschrift oder zur Schließung einer Lücke gilt eine Regelung als vereinbart, die der wirtschaftlichen Zwecksetzung der Parteien am ehesten entspricht. 17.3 Erfüllungsort für alle Leistungen aus diesem Vertrag ist der Sitz der Gesellschaft. Dieser Vorstandsvertrag unterliegt deutschem Recht. … [Ort/Datum] [Unterschriftenzeilen]

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II. Geschäftsführer und Vorstand

Anlage zum Vorstandsvertrag vom … [Datum] Schiedsvereinbarung Zwischen … Aktiengesellschaft, … [Anschrift] vertreten durch ihren Aufsichtsrat … [Namen der Aufsichtsratsmitglieder unter Kennzeichnung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats] – im Folgenden „Gesellschaft“ genannt – und … [Name und Anschrift] – im Folgenden „Vorstandsmitglied“ genannt –. Vorbemerkung Die Parteien haben am … [Datum] einen Vorstandsvertrag abgeschlossen. In § 16 dieses Vertrages nehmen sie Bezug auf eine Schiedsvereinbarung, die wie folgt abgeschlossen werden soll: 1.

Für alle Streitigkeiten zwischen der Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied oder seinen Hinterbliebenen, die den Vorstandsvertrag vom … [Datum] oder das Verhältnis der Parteien im Zusammenhang mit diesem Vorstandsvertrag betreffen, entscheidet endgültig und unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges ein Schiedsgericht mit jeweils drei Schiedsrichtern nach den Regeln der DIS Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V.

2.

Schiedsort ist … [Sitz der Gesellschaft].

3.

Das Schiedsverfahren soll in der … [deutschen] Sprache durchgeführt werden.

[Ort/Datum] … [Unterschriftenzeilen]

(1) Zu den Hauptpflichten zählt danach zunächst die Verpflichtung, der Ge- 3.67 sellschaft die gesamte Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen (regelungsbedürftig sind daher die Urlaubsansprüche einschließlich des – von Gesetzes wegen nicht bestehenden – Anspruchs auf Erziehungszeit). Daraus folgt das Verbot oder zumindest die Genehmigungspflicht von Nebentätigkeiten (Empfehlung 4.3.5 DCGK fordert, insbesondere für die Übernahme von Aufsichtsratsmandaten, eine Zustimmung des Aufsichtsrats). Andererseits kann sich aber aus dem Vertrag auch eine Pflicht zur Übernahme von Nebentätigkeiten, -ämtern oder Mitgliedschaften ergeben, wenn dies im Interesse der Gesellschaft liegt. Zu denken ist etwa an die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied von Tochter- oder

151

§ 3 Organisationsverfassung

befreundeten Gesellschaften, aber auch als Handelsrichter.158) Auch aus dem Anstellungsvertrag ergibt sich eine Pflicht zur Verschwiegenheit und zur Herausgabe von Geschäftsunterlagen nach Beendigung der Tätigkeit. 3.68 (2) Typischerweise enthält der Anstellungsvertrag Regelungen zu einem Wettbewerbsverbot. Dies folgt während der Tätigkeit aus dem Anstellungsvertrag, für die Aktiengesellschaft darüber hinaus aus § 88 Abs. 1 AktG. Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot stellen eine positive Vertragsverletzung dar; für die Aktiengesellschaft sind die Rechtsfolgen durch § 88 Abs. 2 und 3 AktG weiter konkretisiert.159) Das Wettbewerbsverbot steht, da und soweit es der Verwirklichung des Hauptvertrages dient, nicht in Widerspruch zu § 1 GWB.160) 3.69 Inhalt des Wettbewerbsverbotes ist vor allem das Verbot, im Geschäftszweig der Gesellschaft für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte zu machen. Es gilt grundsätzlich auch für den Gesellschafter-Geschäftsführer in der Einpersonen-Kapitalgesellschaft. Doch kann der GmbH-Geschäftsführer von der Gesellschafterversammlung vom Wettbewerbsverbot befreit werden, und zwar auch schon vorab in der Satzung; das Vorstandsmitglied kann demgegenüber nur im Einzelfall für bestimmte Arten vom Aufsichtsrat von diesem Verbot befreit werden (§ 88 Abs. 1 Satz 2 AktG).161) 3.70 Erhebliche Auswirkungen hatte das Wettbewerbsverbot im Steuerrecht, vor allem bei den Gesellschafter-Geschäftsführern von Einpersonen-Gesellschaften. Denn der Verstoß gegen ein – nicht einmal ausdrücklich festgelegtes – Wettbewerbsverbot wurde steuerrechtlich als verdeckte Gewinnausschüttung qualifiziert mit der Folge, dass eine gegen das Wettbewerbsverbot verstoßende Tätigkeit außerhalb der Kapitalgesellschaft dieser steuerrechtlich zugerechnet und die ___________ 158) Für die Pflicht des Geschäftsführers einer kleineren GmbH, der durch seine Geschäftsführertätigkeit infolge einer Umorganisation nicht mehr ausgelastet ist, zur Übernahme sachbearbeitender Nebentätigkeiten neben der Geschäftsführertätigkeit OLG Nürnberg NJW-RR 2001, 104. 159) Zu den Grenzen des Schutzes der Gesellschaft durch § 88 Abs. 2 AktG BGH ZIP 2001, 958, 959 = NJW 2001, 2476 = DStR 2001, 949 (Bestätigung von BGH ZIP 1997, 1063, 1064 = NJW 1997, 2055 = DStR 1997, 1053 = § 88 AktG 1/97, 631 [Wilhelm]); Vorinstanz OLG Köln NZG 1999, 1008 = EWiR § 88 AktG 1/99, 819 (Bröcker). 160) Vgl. dazu BGHZ 70, 331 (Gabelstapler) = NJW 1978, 1001 = LM § 112 HGB Nr. 2 (Ls.); BGHZ 89, 162 (Heumann/Ogilvy) = ZIP 1984, 446 = NJW 1984, 1351 = LM § 112 HGB Nr. 4 (dazu Wiedemann/Hirte, ZGR 1986, 163); zuletzt BGH ZIP 1994, 61 = NJW 1994, 384 (Ausscheidender Gesellschafter – GmbH); zusammenfassend zu den zeitlichen Grenzen und zur früheren Rechtsentwicklung Hirte, ZHR 154 (1990), 443. 161) Nach BGH NJW 1997, 2055 = DStR 1997, 1053 (Goette) = ZIP 1997, 1063 = LM H. 8/1997 § 88 AktG 1965 Nr. 1 m. krit. Anm. Wilhelm, EWiR § 88 AktG 1/97, 631, 632 soll allein die Anlage eigenen Vermögens des Geschäftsführers in Werten, mit denen auch die Gesellschaft handelt, noch kein verbotenes Geschäftemachen im Tätigkeitsbereich der Gesellschaft darstellen; eine fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 2 BGB soll daher darauf nicht gestützt werden können.

152

II. Geschäftsführer und Vorstand

daraus resultierenden Erträge dort der Körperschaftsteuer unterworfen wurden (zur verdeckten Gewinnausschüttung im Übrigen unten Rz. 5.81 ff.). In einem Fall wurde diese Rechtsprechung für den Bereich der GmbH allerdings re- 3.71 lativiert: Der Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH, die sich mit Grundstückshandel, Bauvorhaben und Maklertätigkeit befasste, bebaute und verkaufte während seiner Tätigkeit in der GmbH im eigenen Namen ein Grundstück, das er im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erworben hatte. Das Finanzamt sah darin ein gegen ein – gesetzliches oder vertragliches – Wettbewerbsverbot verstoßendes Eigengeschäft und rechnete es der Gesellschaft zu, so dass die Erträge des Gesellschafters als verdeckte Gewinnausschüttung zu bewerten waren. Der BFH hob die entsprechenden Steuerbescheide auf, weil der Alleingesellschafter einer GmbH so lange keinem gesetzlichen Wettbewerbsverbot unterliege, wie er der GmbH kein zur Deckung des Stammkapitals erforderliches Vermögen entziehe.162) Auch ein vertragliches Wettbewerbsverbot, dessen Vorliegen das Gericht im gegebenen Fall verneinte, würde den Gesellschafter-Geschäftsführer nicht hindern, ein im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erworbenes Grundstück im eigenen Namen zu verkaufen. Dieser Annahme steht auch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht entgegen, der keine geeignete Rechtsgrundlage ist, um die eigenständige Tätigkeit des Gesellschafters der GmbH zuzurechnen, nur weil sie unter deren Unternehmensgegenstand fällt. Die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung nach der genannten Vorschrift setze vielmehr voraus, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer Informationen oder Geschäftschancen der Gesellschaft nutzt, für deren Überlassung ein Dritter ein Entgelt gezahlt hätte.163)

Selbst bei fehlender Abgrenzung zwischen der Sphäre der Gesellschaft und der 3.72 ihrer Gesellschafter kann ein Dispens von einem Wettbewerbsverbot nicht die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung rechtfertigen: denn die Aufgabenbestimmung einer Kapitalgesellschaft ist Sache der Gesellschafter.164) Über die durch ein Wettbewerbsverbot gezogenen Grenzen hinaus verlangt 3.73 Empfehlung 4.3.4 DCGK von jedem Vorstandsmitglied die Offenlegung etwaiger (sonstiger) Interessenkonflikte gegenüber dem Aufsichtsrat und den anderen Vorstandsmitgliedern. Das gilt insbesondere für Geschäfte zwischen dem Unternehmen auf der einen Seite und dem Vorstandsmitglied oder ihm nahestehenden Personen oder Unternehmen auf der anderen Seite. Insoweit sollen wesentliche Geschäfte zudem nach Empfehlung 4.3.4 DCGK der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen.

___________ 162) Im Anschluss an BGHZ 122, 333 = ZIP 1993, 917 = NJW 1993, 1922 = EWiR § 31 GmbHG 1/93, 693 (Maier-Reimer) (für die AG kann diese Frage also anders zu beurteilen sein). 163) BFHE 178, 371 = ZIP 1995, 1890 = NJW 1996, 950 = EWiR § 8 KStG 1/96, 35 (Crezelius); BFHE 179, 258 = NJW 1996, 1559; dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2847; Lawall, DStR 1996, 605; Schön, in: Festgabe für Flume (1998), S. 265, 277 ff.; Wassermeyer, DStR 1997, 681 ff. 164) BFH NJW 1997, 1804; dazu auch Schön, in: Festgabe für Flume (1998), S. 265, 275 f.

153

§ 3 Organisationsverfassung

3.74 Weder im Aktien- noch im GmbH-Recht geregelt ist das nachvertragliche Wettbewerbsverbot. Und auch die positive Vertragsverletzung gibt keine Grundlage für ein derartiges Verbot. Hier bedarf es daher in jedem Fall entsprechender vertraglicher Regelungen im Anstellungsvertrag. Nicht erforderlich ist dabei die Zusage einer Karenzentschädigung für die Dauer des Wettbewerbsverbots analog §§ 74 ff. HGB, und auch § 74c HGB gilt nicht; denn zum einen ist der Geschäftsleiter kein Arbeitnehmer, und erst recht liegt die Frage der Anrechnung angesichts des nicht zwingenden Charakters der Karenzentschädigung insgesamt in den Händen der Parteien.165) Je weiter ein Wettbewerbsverbot zeitlich und gegenständlich reicht, desto eher kommt aber insoweit auch ein Verstoß gegen § 138 BGB oder § 1 GWB in Betracht.166) Dabei dürfte in zeitlicher Hinsicht die Obergrenze für ein Wettbewerbsverbot bei etwa zwei Jahren liegen.167) 3.75 (3) Bisher nur wenig ist im deutschen Recht die Frage diskutiert, inwieweit eine Freistellung von diesen Pflichten oder eine Enthaftung für den Fall von Verstößen möglich ist.168) Für die Aktiengesellschaft zieht § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG derartigen Regelungen enge Schranken. Danach ist ein Verzicht auf Ersatzansprüche erst drei Jahre nach ihrem Entstehen und nur mit Zustimmung der Hauptversammlung zulässig, sofern nicht eine Minderheit, deren Anteile den zehnten Teil des Grundkapitals erreichen, Widerspruch zur Niederschrift erhebt. Dies wird man auf Regelungen übertragen müssen, mit denen bereits die Pflichten entsprechend reduziert werden,169) ebenso wie auf die Übernahme einer gegen das Vorstandsmitglied verhängten Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage durch die Gesellschaft, wenn das betreffende Vorstandsmitglied durch die Handlung, die Gegenstand des Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist, gleichzeitig ___________ 165) BGH ZIP 2008, 1719 = NZG 2008, 753; BGH ZIP 2008, 1379 f. = NZG 2008, 664; abw. zuvor Hirte, ZHR 154 (1990), 443. Zur Möglichkeit des Verzichts auf ein vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot auch noch nach Ausscheiden des Geschäftsführers mit der Folge, dass der Anspruch auf Karenzentschädigung entfällt, OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 164 = EWiR § 75a HGB 1/97, 119 (Finken) (inzwischen rkr.); zu einem zu spät erklärten Verzicht BGH ZIP 2002, 709 = NJW 2002, 1875 = NZG 2002, 475 = DStR 2002, 735 (Goette) = EWiR § 74 HGB 1/02, 521 (Hoyningen-Huene). 166) Beispiel: OLG Düsseldorf ZIP 1999, 311 = NZG 1999, 405 = EWiR § 35 GmbHG 1/99, 361 (Zimmermann) = DStR 1999, 1625 (Ls.) (AH) (Untersagung jedweder Tätigkeit im Geschäftsfeld der Gesellschaft). 167) So Butters, JuS 2001, 324, 328 sowie für die Parallelfrage bei Unternehmensveräußerungsverträgen Hirte, ZHR 154 (1990), 443; Beispiele für Verstöße gegen § 138 BGB aus dem Personengesellschaftsrecht bei Butters, JuS 2001, 324 ff. (dort auch zu den Rechtsfolgen von Verstößen); Hirte, NJW 1999, 179, 181. – Zur Unzulässigkeit der Überschreitung dieser Grenzen mit dem Ziel der Sanktionierung eines ausgeschlossenen Gesellschafters BGH ZIP 2005, 1778, 1780 = NJW 2005, 3061. 168) Hierzu jetzt Lohr, NZG 2000, 1204; rechtsvergleichend mit dem amerikanischen Recht vor allem Bastuck, Enthaftung des Managements (1986). 169) Bastuck, Enthaftung des Managements (1986), S. 95 ff.; Hopt, in: GroßK, § 93 AktG Rz. 24.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt hat.170) Bei der GmbH kommen solche Gestaltungen demgegenüber im Anstellungsvertrag oder in der Satzung in Betracht. So kann etwa der zu einer Kündigung des Geschäftsführers nach § 626 Abs. 1 BGB berechtigende wichtige Grund dann entfallen, wenn der die GmbH beherrschende Gesellschafter den Geschäftsführer im Innenverhältnis von seiner Überwachungspflicht freigestellt hat.171) Derartige Regelungen können aber, wenn sie nicht im Gesellschaftsvertrag enthalten sind, einen Verstoß gegen § 46 Nr. 8 GmbHG darstellen. Soweit die erlassenen Beträge zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich sind, kann darin schließlich ein nicht satzungsdispositiver Verstoß gegen § 43 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 9b Abs. 1 GmbHG zu sehen sein.172) b)

Pflichten gegenüber Geschäftspartnern und Allgemeinheit

Neben diesen Pflichten gegenüber der Gesellschaft treffen den Geschäftsleiter 3.76 Pflichten gegenüber Geschäftspartnern und Allgemeinheit. Zu nennen ist hier vor allem die Pflicht zur Aufklärung über die Krise der Ge- 3.77 sellschaft, wenn er bei Verhandlungen mit Geschäftspartnern ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hatte. Daneben treten die Pflicht zur Beachtung einzelner Verbotsgesetze und schließlich – fast selbstverständlich – die Pflicht zum Respekt vor absoluten Rechtsgütern Dritter. Da diese Pflichten stärker als die Pflichten gegenüber der Gesellschaft aus den jeweiligen Haftungsnormen – culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB), § 823 Abs. 1 und 2 BGB – entwickelt wurden, werden sie im Zusammenhang mit der Haftung des Geschäftsleiters ausführlich vorgestellt (dazu unten Rz. 3.108 ff.). 4.

Haftung des Vorstandsmitglieds/Geschäftsführers

Eine Haftung des Geschäftsleiters kann sich bei Verletzung der zuvor um- 3.78 schriebenen Pflichten ergeben. Auch hier ist danach zu unterscheiden, ob eine Haftung gegenüber den Gesellschaftern oder gegenüber Geschäftspartnern oder sonstigen Dritten in Rede steht. Diese Dritthaftung des Geschäftsleiters steht in der letzten Zeit besonders im Blickpunkt, weil sie in mehrfacher Hinsicht erweitert und dadurch verschärft wurde. Die Haftung gegenüber der Gesellschaft ist zwar nach dem Wortlaut der entsprechenden Bestimmungen kaum weniger streng ausgestaltet. Die tatsächlich häufig anzutreffende wirtschaftliche Identi___________ 170) BGHZ 202, 26 = ZIP 2014, 1728 = NZG 2014, 1058 = ZInsO 2014, 2009 = DStR 2014, 2518 = EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer). 171) BGH ZIP 1995, 560 = NJW-RR 1995, 669 = EWiR § 43 GmbHG 2/95, 785 (Wittkowski); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2846. 172) Für weitgehende Disposivität der Absätze 1 und 2 des § 43 MünchHdb GmbH-Diekmann/ Marsch-Barner, § 46 Rz. 4.

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§ 3 Organisationsverfassung

tät von Geschädigten (= Gesellschaft bzw. Gesellschaftern) und Schädigern (= Geschäftsleitern) führt aber dazu, dass derartige Ansprüche deutlich weniger häufig verfolgt werden. Hinzu kommt, dass das Gesetz die Geltendmachung solcher Ansprüche durch Minderheitsgesellschafter an besondere Voraussetzungen knüpft. a)

Haftung gegenüber der Gesellschaft

aa)

§ 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG

3.79 (1) Verstöße gegen die beschriebenen Organpflichten und die Pflichten aus dem Anstellungsvertrag führen zur Haftung gegenüber der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG. Diese Normen erfassen dabei gleichermaßen Verletzungen der Organpflichten wie solcher des Anstellungsvertrages. Die beiden Rechtsverhältnisse haben dabei, wenn die Kapitalgesellschaft Komplementärin einer Kommanditgesellschaft ist, Schutzwirkung auch zugunsten der Kommanditgesellschaft.173) In das Vermögen der Gesellschaft auszugleichen ist grundsätzlich auch der mittelbare Schaden eines Gesellschafters, der ihm durch pflichtwidriges Handeln eines Vorstandsmitglieds entsteht. Das gilt aber dann nicht, wenn die Muttergesellschaft diesen Schaden selbst ausgeglichen hat. Ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn die Mutter- der Tochtergesellschaft eigenkapitalersetzende Darlehen gewährt hat und auf diese wegen der Insolvenz der Tochtergesellschaft nichts zurückerhält.174) Für die Europäische Aktiengesellschaft verweist Art. 51 SE-VO für sämtliche Organe hinsichtlich der Schäden, die sie der SE durch Verletzung ihrer gesetzlichen, satzungsmäßigen oder sonstigen Pflichten in Ausübung ihres Amtes zugefügt haben, auf die im jeweiligen Sitzstaat für Aktiengesellschaften im Allgemeinen geltenden Rechtsvorschriften (der nationale Gesetzgeber kann daher in seinem nationalen Recht keinen – höheren oder geringeren – Haftungsstandard für SE-Organe formulieren als im nationalen Recht).175) Das Aufsichts- und das Leitungsorgan einer dualistischen SE haften ___________ 173) BGHZ 75, 321, 324; BGHZ 76, 326, 327, 337 f. = ZIP 1980, 361, 365; BGH ZIP 1982, 1073 = NJW 1982, 2869; BGH ZIP 2002, 984 = DStR 2002, 1587 = NJW-RR 2002, 965; BGHZ 197, 304 Tz. 18 = ZIP 2013, 1712 = NZG 2013, 1021 = NJW 2013, 3636 = EWiR § 43 GmbHG 2/13, 775 (Weipert) (allerdings nicht, wenn sämtliche Gesellschafter der KG mit dem Handeln des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einverstanden waren); Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG Rz. 4; für „gewöhnliche“ Gesellschafter zu Recht zweifelnd Grunewald, GesR, § 13 Rz. 71 (GmbH). 174) BGH ZIP 2001, 1005, 1006 = DStR 2001, 1221 = NJW-RR 2001, 1177 (dort auch zu einem Ausnahmefall); ebenso für das GmbH-Recht OLG Hamm ZIP 2002, 1486, 1487 = NJWRR 2002, 1259. 175) Hierzu Hirte, NZG 2002, 1, 5; die Abkehr von früheren strengeren Vorschlägen für die Organhaftung begrüßt Hommelhoff, AG 2001, 279, 283 f.; ausführlich zur Bedeutung des Art. 51 SE-VO für die Abgrenzung zwischen nationalem und europäischem Organhaftungsrecht Metz, Die Organhaftung bei der monistisch strukturierten Europäischen Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland (2009), S. 66-81.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

daher nach denselben Regeln wie der Aufsichtsrat und der Vorstand einer deutschen Aktiengesellschaft.176) Für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Mitglieder des monistischen Verwaltungsrats verweist § 39 SEAG auf § 93 AktG; Entsprechendes ordnet § 40 Abs. 8 SEAG für die geschäftsführenden Direktoren in der monistisch verfassten SE an.177) Inhaltlich können grundsätzlich sämtliche Verstöße gegen die zuvor beschrie- 3.80 benen Organpflichten aus beiden Rechtsverhältnissen eine Haftung begründen. Beispiele: So kann schon allein ein Kompetenzverstoß (gegen den Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung) die Schadenersatzpflicht eines Vorstandsmitglieds auslösen.178) Gleiches gilt für das Betreiben von Geschäften, die vom Unternehmensgegenstand nicht gedeckt sind.179) Einen Fall der Geschäftsführerhaftung stellt es auch dar, wenn ein GmbH-Geschäftsführer beim Fahren mit 170 – 222 km/h auf der Autobahn telefoniert und dadurch mit dem Dienstwagen einen Unfall verursacht;180) Gleiches gilt für die Bedienung nicht fälliger Forderungen181) oder die nicht ordnungsgemäße Bewertung von Sicherheiten und die Nicht-Beachtung der Richtlinien über Beleihungsobergrenzen) durch den Vorstand einer (hier Genossenschafts-)Bank.182) Auch das Hinwirken eines Geschäftsführers darauf, sich eine ihm nach dem Anstellungsvertrag nicht zustehende Vergütung von der Gesellschaft anweisen zu lassen, ist haftungsbegründend.183) Aber auch die Nichtbeachtung der Insolvenzantragspflicht kann wegen der dadurch bewirkten Entwertung der Beteiligung Ersatzansprüche begründen.184)

3.81

___________ 176) Siehe nur Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar (2008), Art. 51 SE-VO Rz. 13 – 16. 177) Zur noch nicht abschließend geklärten Frage, wie sich die in Bezug genommenen, dualistisch geprägten Haftungsregeln in die Besonderheiten des monistischen Systems einfügen (insbesondere in Hinblick auf die dem Aktienrecht fremde Weisungsgebundenheit der geschäftsführenden Direktoren gegenüber dem Verwaltungsrat) Drinhausen, in: Van Hulle/ Maul/Drinhausen, Handbuch zur Europäischen Gesellschaft (SE) (2007), 5. Abschnitt, § 3 Rz. 53 – 56; MünchKomm-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rz. 166–178, Art. 51 SE-VO Rz. 11 – 38; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar (2008), Anh. Art. 43 SE-VO (§ 39 SEAG) Rz. 2 – 16, Art. 51 SE-VO Rz. 18 – 25. 178) OLG München ZIP 1998, 23, 24 = EWiR § 93 AktG 1/97, 917 (Reiff) (im Anschluss an BGH NJW 1997, 314 = ZIP 1996, 2164 = DStR 1997, 80 (Goette) = EWiR § 708 BGB 1/97, 213 (Kirberger) = LM H. 2/1997 § 708 BGB Nr. 5) (inzwischen rkr.); zur Möglichkeit der fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrages aus diesem Grunde BGH NJWRR 1998, 1409 = EWiR § 286 ZPO 1/98, 813 (E. Schneider) = DStR 1998, 1398 (Goette). 179) BGHZ 119, 305, 329 ff. (Klöckner) = ZIP 1992, 1542, 1550 ff. = NJW 1993, 57 = EWiR § 9 AGBG 1/93, 3 (Hammen); BGH ZIP 2013, 455 Tz. 15 ff. = NZG 2013, 293 = NJW 2013, 1958 = EWiR § 93 AktG 2/13, 261 (E. Vetter) (Abschluss von nach früherem Hypothekenbankrecht unzulässigen Zinsderivatgeschäften). 180) OLG Koblenz NJW-RR 1999, 911 = DB 1999, 522 = EWiR § 43 GmbHG 1/99, 607 (Zimmermann). 181) OLG Koblenz NJW-RR 2000, 483. 182) BGH ZIP 2002, 213 = NZG 2002, 195. 183) BGH ZIP 2008, 117 = NZG 2008, 104. 184) BGH NJW 1974, 1088, 1089; Fleck, GmbHR 1974, 224, 231 f.; Fritsche/Lieder, DZWIR 2004, 93, 95; Heitsch, ZInsO 2009, 1571 ff.

157

§ 3 Organisationsverfassung

3.82 Besonders problematisch ist jedoch die Haftung wegen fehlerhafter Geschäftsführung im Bereich riskanter Geschäfte: hier kann sowohl ein „Zuviel“ als auch ein „Zuwenig“ haftungsbegründend sein. 3.83 Der Verschuldensmaßstab richtet sich nach den – gegenüber § 276 Abs. 2 (= Abs. 1 Satz 2 a. F.) BGB konkretisierten und erhöhten Anforderungen – der § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG. Dabei handelt es sich um einen objektiven Standard: individuelle Defizite spielen keine Rolle.185) Bei unternehmerischen Entscheidungen steht ihm aber ein gewisser nicht gerichtlich nachprüfbarer Ermessensspielraum zu (business judgment rule).186) Das wird heute in dem durch das UMAG in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eingefügten Satz klargestellt, nach dem eine „Pflichtverletzung [.] nicht vor[liegt], wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information187) zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“188) Das gilt entsprechend für den GmbH-Geschäftsführer.189) Gänzlich entbehrlich ist das Verschulden, wenn nicht Schadenersatz, sondern Beseitigung oder Unterlassung verlangt wird. 3.83a Ungeklärt ist, ob der durch das Gesetz zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen vom 28. September 2009 (BGBl. I, 3161) eingeführte und durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz im Jahr 2013 neu gefasste § 31a BGB auch zugunsten der Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften zum Zuge kommt. Nach der Norm haften Organmitglieder oder besondere Vertreter eines Vereins, die unentgeltlich tätig sind oder deren Vergütung einen Betrag von 720 Euro pro Jahr nicht übersteigt, gegenüber dem Verein und seinen ___________ 185) Dazu ausführlich Hirte, Berufshaftung (1996), S. 381 ff.; Rowedder/Schmidt-Leithoff/ Koppensteiner/Gruber, § 43 GmbHG Rz. 8. 186) Dazu OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27 = WiB 1997, 302 (Jäger) (für den konkreten Fall verneinend); abw. die Vorinstanz LG Düsseldorf ZIP 1995, 1985 (ARAG/Garmenbeck) = EWiR § 121 AktG 1/95, 1149 (Bork); dazu zusammenfassend Goette, in: Festschrift 50 Jahre BGH (2000), S. 123, 128 ff.; Heermann, ZIP 1998, 761; vgl. auch die Nachweise unten Rz. 3.90. Dem Leser sei die satirische Definition der „BJR“ durch Mark Herrmann (in „Curmudgeon’s Guide to Practicing Law“; Chicago [American Bar Association] 2006, S. 53) nicht vorenthalten: „A rule of law that allows directors to escape liability for corporate disasters, so long as the disasters were carefully planned from the start and did not benefit the directors personally.“ 187) Zur Haftung eines Aufsichtsrats für die Erteilung einer Zustimmung nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG ohne die gebotene Einholung von Information und darauf aufbauender Chancen- und Risikoabwägung BGH ZIP 2007, 224 = NJW-RR 2007, 390 = NZG 2007, 187 (GmbH). 188) Zur Neufassung der Vorschrift Hoor, DStR 2004, 2104; Ihrig, WM 2004, 2098; Kock/ Dinkel, NZG 2004, 441; Meilicke/Heidel, DB 2004, 1479; Markus Roth, BB 2004, 1066; Seibert/Schütz, ZIP 2004, 252; Wilsing, ZIP 2004, 1082. 189) BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314 = NJW 2003, 358 = NZG 2003, 81; BGH ZIP 2008, 1675, 1676 = NJW 2008, 3361; Kuntz, GmbHR 2008, 121.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

Mitgliedern für einen in Wahrnehmung ihrer Pflichten verursachten Schaden nur bei – vom Verein nachzuweisendem – Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit; werden sie aus einem solchen Schaden von Dritten in Anspruch genommen, haben sie einen Befreiungsanspruch gegen den Verein. Auch wenn die Norm sicher in erster Linie auf den Idealverein zielt, ist angesichts ihrer Stellung im „Allgemeinen Teil“ des Verbandsrechts (dazu oben Rz. 1.5) aber auch eine Anwendung auf die „wirtschaftlichen Verbände“ denkbar.190) Dagegen mag man die Spezialität der Haftungsnormen der § 93 AktG, § 43 GmbHG ins Felde führen, doch äußern sich diese andererseits gerade nicht zur Haftung bei unentgeltlicher Tätigkeit, wie sie auch bei gemeinnützig oder mildtätig tätigen GmbH denkbar ist. Gleich, wie man die Frage entscheidet, spielt sie allerdings nur dann eine Rolle, wenn es an einer expliziten Haftungsregelung im Anstellungsvertrag fehlt – und das dürfte selten sein. Allerdings muss der Gesellschaft für die Annahme eines Schadenersatzanspruchs 3.84 durch die Pflichtverletzung ihres Geschäftsleiters ein Schaden entstanden sein. So haftet nach einem Urteil des BGH der Geschäftsführer einer GmbH dieser nicht auf Schadenersatz nach § 43 Abs. 2 GmbHG, wenn er die von Vertragspartnern an die Gesellschaft gezahlten Baugelder entgegen den Vorschriften des Gesetzes zur Sicherung von Bauforderungen (GSB) nicht zur Begleichung von Verbindlichkeiten gegenüber den beteiligten Bauhandwerkern, sondern zur Begleichung von Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern der Gesellschaft verwendet. In diesem Falle fehle es, da die Gesellschaft von anderweitigen Verbindlichkeiten befreit wird, an dem von § 43 GmbHG vorausgesetzten Schaden der Gesellschaft.191)

Wissen die Gesellschafter einer GmbH über ein möglicherweise pflichtwidriges 3.85 Vorgehen der Geschäftsführer genau Bescheid, müssen sie eine Weisung erteilen, bevor den Geschäftsführern der Vorwurf einer Pflichtverletzung gemacht werden kann.192) Bei Verstößen gegen ein Wettbewerbsverbot treten neben den Schadenersatz- 3.86 anspruch das Eintrittsrecht und ein Unterlassungsanspruch. Die entsprechenden Regelungen im Aktienrecht (§ 88 Abs. 2 Satz 2 AktG) und im Recht der Personenhandelsgesellschaften (§ 113 Abs. 1 HGB) werden im GmbH-Recht entsprechend angewandt. Allerdings greift hier eine besonders kurze Verjährungsfrist: die Ansprüche verjähren in drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem die übrigen Verwaltungsmitglieder von der zum Schadenersatz verpflichtenden Handlung Kenntnis erlangen oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müssten, ___________ 190) Zutreffend Piper, WM 2011, 2211. 191) Vgl. etwa BGH ZIP 1994, 872 = NJW-RR 1994, 806; ebenso führt allein die Belastung des Gesellschaftsvermögens mit Verbindlichkeiten (etwa über § 31 BGB) noch nicht zu einem Schaden der Gesellschaft und damit einem Ersatzanspruch gegen den Geschäftsführer: BGH ZIP 2000, 493 = NJW 2000, 1571 = DStR 2000, 645 = LM H. 6/2000 § 30 GmbHG Nr. 67 (Wilhelm); dazu Altmeppen, DB 2000, 657; Hirte, NJW 2000, 3321, 3531, 3533. 192) BGH ZIP 2000, 135 = NJW 2000, 576 = DStR 2000, 168.

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§ 3 Organisationsverfassung

spätestens in fünf Jahren von ihrer Entstehung an (§ 88 Abs. 3 AktG, § 113 Abs. 3 HGB). 3.87 Außer aus § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG kann sich eine Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft auch aus § 117 Abs. 2 Satz 1 AktG ergeben (dazu im Übrigen unten Rz. 3.219). Schließlich kann sich eine Haftung gegenüber der Gesellschaft ergeben, wenn der GmbH-Geschäftsführer eine Auskunft gegenüber einem Gesellschafter verweigert, ohne dass sein Verhalten durch einen Beschluss der Gesellschafter gedeckt war (§ 51a Abs. 2 Satz 2 GmbHG). 3.88 Sind mehrere Geschäftsleiter vorhanden, die sämtlich gegen ihre der Gesellschaft gegenüber bestehenden Pflichten verstoßen haben, haften diese nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG gesamtschuldnerisch. Problematisch ist dabei vor allem, inwieweit den einzelnen Geschäftsführer eine Überwachungspflicht des Mitgeschäftsführers trifft und damit seine eigene Pflichtverletzung bejaht werden kann; eine solche Verpflichtung wurde etwa im Zusammenhang mit der Haftung wegen verspäteter Insolvenzantragstellung bejaht. Sie hat nichts mit einer Haftung aus §§ 278, 831 BGB zu tun: denn weder bedient sich der eine Geschäftsleiter des anderen zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit, noch befindet sich der andere in sozialer Abhängigkeit des einen. Problematisch ist auch, ob die einem Mitgeschäftsführer erteilte Ermächtigung oder die ausdrückliche Zustimmung zu dessen Handeln haftungsbegründend sein kann. 3.89 Bezüglich der Darlegungs- und Beweislast enthält nur das Aktienrecht eine Regelung, die aber im GmbH-Recht entsprechend angewandt wird.193) Danach muss die Gesellschaft ihren Schaden und die Kausalität der Pflichtverletzung des Geschäftsleiters für den Schaden nachweisen; der Geschäftsleiter muss sich demgegenüber nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG (analog) bezüglich des Fehlens einer Sorgfaltspflichtverletzung entlasten. 3.90 Im Aktienrecht liegt die Geltendmachung von Ersatzansprüchen in den Händen des Aufsichtsrats, der die Aktiengesellschaft auch bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegenüber den Vorstandsmitgliedern zu vertreten hat (§ 112 Satz 1 AktG). Dabei hat er nach zutreffender, vom BGH im ARAGUrteil entwickelter Auffassung in zwei Schritten vorzugehen, wobei ihm keinerlei Ermessen zukommt, da er selbst nicht das unternehmerische Entscheidungs-, sondern das Kontrollorgan der Gesellschaft ist. Zunächst muss er danach prüfen, ob der Gesellschaft dem Grunde nach Ansprüche gegenüber dem Vorstand zustehen. Bei dieser Prüfung hat er (hinsichtlich der Anspruchsbegründung) zu berücksichtigen, dass dem Vorstand bei der Leitung der Aktiengesellschaft ein weiter Handlungs- und Ermessensspielraum (business judgment rule) zuzubilligen ist. Ergibt diese Prüfung einen Anspruch der Gesellschaft, so ist dieser ___________ 193) Für die GmbH BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314, 2315 = NJW 2003, 358 = NZG 2003, 81.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

aber grundsätzlich zu verfolgen. Eine Ausnahme hiervon ist nur dann möglich, wenn gewichtige und mindestens gleichwertige Gründe des Gesellschaftswohls gegen die Rechtsverfolgung sprechen. Die Entscheidung markiert ein bewusstes Gegengewicht zu der sehr liberalen Haltung des II. Zivilsenats bei der Präventivkontrolle unternehmerischer Entscheidungen, etwa im Bereich des Bezugsrechtsausschlusses (dazu unten Rz. 6.38 f.). Die größere Freiheit bei der Entscheidungsfindung wird also durch schärfere Sanktionen bei etwaigen Fehlern kompensiert.194) Beschließt allerdings die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit 3.91 die Geltendmachung von Ansprüchen, so müssen die Ansprüche in jedem Fall geltend gemacht werden (§ 147 Abs. 1 Satz 1 AktG). Zur Geltendmachung des Anspruchs kann die Hauptversammlung auch besondere Vertreter bestellen (§ 147 Abs. 2 Satz 1 AktG), wobei die potentiellen Adressaten der Haftung dem Stimmverbot des § 136 Abs. 1 AktG unterliegen;195) dies geschah unlängst bei der HVB, wo auf diesem Wege Ersatzansprüche gegen den (vom Stimmrecht ausgeschlossenen) neuen Mehrheitseigner UniCredit und die Organe der beiden Gesellschaften durchgesetzt werden sollten.196) Auf Antrag von Aktionären, deren Anteile zusammen 10 % des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von 1 Mio. Euro erreichen, kann das Registergericht einen solchen besonderen Vertreter bestellen, wenn ihm dies für eine gehörige Geltendmachung zweckdienlich erscheint (§ 147 Abs. 2 Satz 2 AktG). [unbesetzt]

3.92

___________ 194) BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck) = NJW 1997, 1926 = ZIP 1997, 883 = DB 1997, 1068 = JZ 1997, 1071 (Dreher) = EWiR § 112 AktG 1/97, 677 (Priester) = LM H. 10/1997 § 93 AktG 1965 Nr. 10 (Schwark) = DZWir 1997, 322 (Boujong) = DStR 1997, 880 (Goette) = WuB II A. § 111 AktG 1.97 (Raiser); dazu Götz, NJW 1997, 3275; Horn, ZIP 1997, 1129; Jäger, WiB 1997, 10; ders./Trölitzsch, WiB 1997, 684; Kindler, ZHR 162 (1998), 101; Thümmel, DB 1997, 1117; krit. Grooterhorst, ZIP 1999, 1117; abw. zuvor OLG Düsseldorf ZIP 1995, 1183 = NJW-RR 1995, 1371 = EWiR § 116 AktG 1/95, 629 (Rittner): nicht überprüfbarer Ermessensspielraum; dazu Dreher, ZHR 158 (1994), 614; Lutter, ZIP 1995, 441; Dreher, ZIP 1995, 628; Jäger/Trölitzsch, ZIP 1995, 1157; Raiser, NJW 1996, 552; zusammenfassend Goette, in: Festschrift 50 Jahre BGH (2000), S. 123, 128 ff.; Hirte, NJW 1996, 2827, 2840; ders., NJW 1998, 2943, 2950. 195) Zur Nicht-Geltung des Stimmverbots für die Abberufung des besonderen Vertreters durch den inzwischen zum Alleingesellschafter gewordenen früher bloßen Mehrheitsgesellschafter BGH ZIP 2011, 1508 (HVB/UniCredit) = NZG 2011, 950 (Vorinstanzen OLG München ZIP 2010, 725 = NZG 2010, 503 = EWiR § 136 AktG 1/10, 305 [Goslar/von der Linden]; LG München I ZIP 2009, 2198 m. zust. Anm. Lutter = NJW 2009, 3794 = NZG 2009, 1311; zust. hierzu auch Hirte/Mock, BB 2010, 775 ff.); allgemein Kling, ZGR 2009, 190. 196) Zu den Rechten des dort bestellten besonderen Vertreters (Rechtsanwalt Dr. Thomas Heidel): BGH ZIP 2011, 2195 f. (HVB/UniCredit) (Grundsätze fehlerhafter Organbestellung gelten auch für besonderen Vertreter); OLG München ZIP 2010, 2202, 2204 (HVB/UniCredit); LG München I ZIP 2007, 1809 (HVB/UniCredit) = BB 2007, 2030 = EWiR § 147 AktG 1/07, 611 (Wilsing/Ogorek); LG München I ZIP 2007, 2420 (HVB/ UniCredit); teilweise enger in der Berufungsinstanz OLG München ZIP 2008, 73; OLG München ZIP 2008, 1916 (HVB/UniCredit) = BB 2008, 2021.

161

§ 3 Organisationsverfassung

3.93 Da Ersatzansprüche gegen Organmitglieder trotz der rigiden materiellrechtlichen Regelungen über Haftungsgrund und -standard praktisch nie geltend gemacht wurden, hat schon der Gesetzgeber des KonTraG deren Geltendmachung erleichtert.197) Da der erhoffte Erfolg der Reform ausblieb, hat das UMAG die Vorschriften als eines seiner Kernstücke erneut umgestaltet und in den §§ 148 – 149 ein besonderes Klagezulassungverfahren eingeführt.198) Danach können jetzt Aktionäre, deren Anteile im Zeitpunkt der Antragstellung zusammen 1 % des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von 100.000 Euro erreichen, die Zulassung einer Haftungsklage beantragen (§ 148 Abs. 1 Satz 1 AktG). Mitstreiter können sich auf dem ebenfalls durch das UMAG eingerichteten Aktionärsforum finden (dazu unten Rz. 3.236a). Die im eigenen Namen zu erhebende Haftungsklage wird vom Prozessgericht (§ 148 Abs. 2 AktG) zugelassen, wenn (1.) die Aktionäre nachweisen, dass sie die Aktien vor dem Zeitpunkt erworben haben, in dem sie von den behaupteten Pflichtverstößen aufgrund einer Veröffentlichung Kenntnis erlangen mussten, wenn sie (2.) die Gesellschaft vergeblich unter Fristsetzung aufgefordert haben, selbst Klage zu erheben, wenn (3.) Tatsachen vorliegen, die den (heute nicht mehr dringenden!) Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung von Gesetz oder Satzung ein Schaden entstanden ist und (4.) der Geltendmachung des Ersatzanspruchs keine überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen (§ 148 Abs. 1 Satz 2 AktG).199) 3.93a Im Falle der Zulassung ist die Klage binnen drei Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung im Zulassungsverfahren und nochmaliger vergeblicher Aufforderung an die Gesellschaft, selbst Klage zu erheben, zu erheben (§ 148 Abs. 4 Satz 1 AktG); sie ist gegen die ersatzpflichtigen Personen auf Leistung an die Gesellschaft zu richten (§ 148 Abs. 4 Satz 2 AktG). Die Gesellschaft kann ihrerseits jederzeit den Ersatzanspruch selbst gerichtlich geltend machen oder ein anhängiges Klageverfahren übernehmen (§ 148 Abs. 3 AktG, auch zu den Folgen). Wird die Klage nicht zugelassen, so hat im Allgemeinen der Antragsteller die Kosten des Klagezulassungsverfahrens zu tragen (§ 148 Abs. 6 Satz 1 AktG). Vor allem mit dem Ziel, missbräuchliche Anträge oder Klagen zu verhindern, verlangt § 149 Abs. 1 AktG bei börsennotierten Gesellschaften nach rechtskräftiger Zulassung die Bekanntmachung des Antrags auf Zulassung sowie der Verfahrensbeendigung; die Bekanntmachung der Verfahrensbeendigung muss dabei als zivilrechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung für etwaige Leistungspflichten ___________ 197) Dazu Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 258 f.; Zimmer, NJW 1998, 3521, 3526; sowie die Darstellung in der 4. Aufl. dieses Werkes Rz. 3.93. 198) Zur Neufassung der Vorschrift Meilicke/Heidel, DB 2004, 1479 (krit.); Seibt, WM 2004, 2137; Seibert/Schütz, ZIP 2004, 252. 199) Zur Geltendmachung des Minderheitsverlangens durch einen Bevollmächtigten und zum fehlenden Erfordernis einer Form für die Vollmacht AG Nürtingen ZIP 1994, 785 (ASS) = EWiR § 147 AktG 1/94, 835 (Kollbach) (zum früheren § 147 AktG).

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II. Geschäftsführer und Vorstand

alle Leistungen angeben, die im Zusammenhang mit der Verfahrensbeendigung erbracht werden sollen (§ 149 Abs. 2 AktG). Für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen verlangt § 46 Nr. 8 GmbHG 3.94 einen Beschluss der Gesellschafterversammlung. Dieser kann auch formlos bei einem Zusammentreffen aller Gesellschafter („Universalversammlung“) gefasst werden.200) Dieser Beschluss ist Voraussetzung für die Begründetheit des Klagebegehrens. Doch tritt die die Verjährung hemmende Wirkung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB; früher: „verjährungsunterbrechende“) der Erhebung einer Schadenersatzklage auch dann ein, wenn der Beschluss der Gesellschafterversammlung noch nicht gefasst ist.201) Eine (nicht mitbestimmte) GmbH wird bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen von den anderen Geschäftsführern vertreten; sind solche nicht vorhanden, ist gegebenenfalls von der Gesellschafterversammlung ein besonderer Vertreter zu bestellen. Wenn die Einberufung einer Gesellschafterversammlung und die Anfechtung einer zu erwartenden Ablehnung der Durchsetzung von Ersatzansprüchen einen unzumutbaren Umweg für einen klagewilligen Minderheitsgesellschafter darstellt, kann dieser im Wege der actio pro socio – genauer: pro societate – auch unmittelbar gegen den Geschäftsführer vorgehen, allerdings nur auf Leistung an die Gesellschaft.202) Gläubiger einer Aktiengesellschaft können den Anspruch der Gesellschaft gegen 3.95 ihre Vorstandsmitglieder unter bestimmten Voraussetzungen auch unmittelbar geltend machen, wenn sie von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen können (§ 93 Abs. 5 AktG). GmbH-Gläubiger haben demgegenüber keine Möglichkeit, Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen ihren Geschäftsführer unmittelbar geltend zu machen. Sie können nur die angeblich der GmbH zustehenden Ansprüche pfänden und sich überweisen lassen (§§ 829, 835 ZPO). (2) Einen Sonderfall der Haftung bilden Verstöße gegen die Ausschüttungs- 3.96 regeln. Aus § 93 Abs. 3 Nrn. 1, 5 AktG, § 43 Abs. 3 GmbHG folgt hier eine Haftung des Geschäftsleiters auf den gesamten zu Unrecht ausgeschütteten Betrag; allerdings bleibt ihm die Möglichkeit des Regresses gegen den nach § 62 Abs. 1, § 31 Abs. 1 GmbHG zur Rückzahlung des erhaltenen Betrages ver___________ 200) BGHZ 142, 92 = ZIP 1999, 1352 (Altmeppen) = NJW 1999, 2817 = DB 1999, 1651 = DStR 1999, 1366 (Goette) = EWiR § 823 BGB 3/99, 835 (Wilhelm) = LM H. 1/2000 § 823 (B) BGB Nr. 12 (Roth). 201) BGH ZIP 1999, 1001 = NJW 1999, 2115 = DStR 1999, 907 = EWiR § 43 GmbHG 2/99, 795 (Westermann). 202) Leitentscheidung ist BGHZ 65, 15, 21 (ITT) = NJW 1976, 291 = LM § 37 GmbHG Nr. 3 (Ls.); BGH ZIP 1991, 582, 583 = NJW 1991, 1884 = EWiR § 46 GmbHG 2/91, 585 (Finken); BGH ZIP 1998, 780 (Fassadenbaustoff) = NJW 1998, 1951 = DStR 1998, 730 (Goette) = LM H. 8/1998 § 19 GmbHG Nr. 19 (Noack) = EWiR § 19 GmbHG 1/99, 69 (Bayer) (für Rückforderungsansprüche bei verdeckter Sacheinlage); OLG Düsseldorf ZIP 1994, 619 (ARAG Erben) = EWiR § 13 GmbHG 2/94, 683 (Zimmermann); Wiedemann, GesR I, S. 461 ff.; abw. Grunewald, GesR, § 13. Rz. 68 (vorherige Beschlussfassung bzw. Anfechtung erforderlich), § 10 Rz. 65 (für die AG); Fastrich, in: Baumbach/ Hueck, § 13 GmbHG Rz. 38; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG Rz. 30 ff.

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§ 3 Organisationsverfassung

pflichteten Gesellschafter. Beim unzulässigen Erwerb eigener Anteile haftet der Geschäftsführer aus § 93 Abs. 3 AktG, § 43 Abs. 3 GmbHG auf den gezahlten Kaufpreis; auch hier dürfte die Haftung des Veräußerers im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen unerlaubter Ausschüttungen aus § 62 Abs. 1 AktG, § 31 Abs. 1 GmbHG abzuleiten sein.203) 3.97 (3) Deutliche Unterschiede zwischen Aktien- und GmbH-Recht ergeben sich bezüglich der Enthaftung nach Eintritt eines Schadensfalls. Hier ist bei der Aktiengesellschaft zunächst ein Handeln auf der Grundlage eines gesetzmäßigen Hauptversammlungs-(nicht: Aufsichtsrats-)Beschlusses nicht haftungsbegründend (§ 93 Abs. 4 Satz 1 und 2 AktG). Nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ist sodann ein Verzicht auf Ersatzansprüche erst drei Jahre nach ihrem Entstehen und nur mit Zustimmung der Hauptversammlung zulässig, sofern nicht eine Minderheit, deren Anteile den zehnten Teil des Grundkapitals erreichen, Widerspruch zur Niederschrift erhebt. 3.98 Bei der GmbH führt demgegenüber zwar ebenfalls das Handeln auf der Grundlage einer rechtmäßigen (nicht nichtigen) Weisung oder eines entsprechenden Beschlusses der Gesellschafterversammlung zum Haftungsausschluss.204) Insbesondere beinhaltet – anders als im Aktienrecht (§ 120 Abs. 2 Satz 2 AktG) – der Entlastungsbeschluss (§ 46 Nr. 5 GmbHG) einen Verzicht auf etwaige Ersatzansprüche; andere aus fehlerhafter Geschäftsführung resultierende Rechte der Gesellschaft sind demgegenüber durch einen Entlastungsbeschluss sowohl im Aktien- als auch im GmbH-Recht präkludiert.205) Verzicht auf und Vergleich über Ersatzansprüche werden bis zur Grenze der Gläubigergefährdung nach § 43 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 9b Abs. 1 GmbHG von vielen als unproblematisch angesehen. 3.99 Ansprüche aus den genannten Normen verjähren im Aktien- wie im GmbHRecht grundsätzlich nach fünf Jahren (§ 93 Abs. 6 AktG, § 43 Abs. 4 GmbHG). Auf Kenntnis vom schädigenden Ereignis kommt es dabei – anders als in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB – nicht an.206) Eine Verkürzung der Verjährungsfrist des § 43 Abs. 4 GmbHG für die Geschäftsführerhaftung ist dabei zulässig, sofern es nicht um Ansprüche wegen pflichtwidriger Auszahlung gebundenen Kapitals

___________ 203) Abw. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG Rz. 50: § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. 204) BGHZ 31, 258, 278; BGHZ 122, 333, 336 = ZIP 1993, 917 = NJW 1993, 1922 = EWiR § 31 GmbHG 1/93, 693 (Maier-Reimer); Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG Rz. 33. 205) Beispiel für Angriff gegen Entlastungsbeschluss: OLG München ZIP 1997, 1965 (Gewährung von Sondervorteilen zu Lasten der Gesellschaft und der übrigen Gesellschafter durch einen GmbH-Geschäftsführer begründet Anfechtbarkeit seiner Entlastung analog § 243 Abs. 2 AktG). 206) BGHZ 100, 228, 231 = ZIP 1987, 776, 777 (AG); BGH ZIP 2005, 852, 853 (GmbH).

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geht.207) Für die Verjährung des Anspruchs wegen verspäteter Insolvenzantragstellung (dazu unten Rz. 3.113 ff.) gelten aber die für deliktische Ansprüche allgemein geltenden Vorschriften; § 43 Abs. 4 GmbHG, § 93 Abs. 6 AktG gelten nicht entsprechend;208) das gilt wohl auch für einen neben die Geschäftsführerhaftung tretenden Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht.209) Für den Fristbeginn gilt daher § 199 Abs. 1 BGB n. F. Hinsichtlich des Quotenverschlechterungsschadens beginnt die Frist dabei für die Insolvenzgläubiger grundsätzlich nicht früher als mit Rechtskraft des Beschlusses, in dem das Insolvenzverfahren aufgehoben oder eingestellt wird.210) Im Zusammenhang mit der Finanzkrise wurde die Verjährungsfrist für die Ansprüche gegen Organmitglieder von Aktiengesellschaften, die im Zeitpunkt der Pflichtverletzung börsennotiert sind, durch § 93 Abs. 6 AktG n. F. und (unabhängig von der Rechtsform und der Börsennotierung) gegen Organmitglieder von Kreditinstituten durch § 52a KWG n. F. auf zehn Jahre verlängert. bb)

§ 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, § 64 (früher Abs. 2) GmbHG

(1) § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG i. V. m. § 92 Abs. 2 (früher Abs. 3) AktG und § 64 3.100 (früher Abs. 2) GmbHG statuieren eine besondere Ersatzverpflichtung des Geschäftsleiters gegenüber der Gesellschaft für die Zahlungen, die nach dem Zeitpunkt geleistet wurden, in dem Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen.211) Der Sache nach handelt es sich hier um einen Spezialfall der Insolvenzverschleppung; denn ausgeglichen werden nicht Schäden der Gesellschaft, sondern eine durch Verminderung des Gesellschaftsvermögens zugunsten einzelner Gläubiger bewirkte Schädigung der Gläubigergesamtheit.212) Darin liegt ein ge-

___________ 207) BGH ZIP 2002, 2128, 2130 = NJW 2002, 3777 = NZG 2002, 1170 = NZI 2003, 117 = DStR 2002, 2046 (Altmeppen); enger zuvor BGH ZIP 2000, 135 f. = NJW 2000, 576 = DStR 2000, 168. 208) BGH ZIP 2011, 1007 Tz. 17 ff. = NJW 2011, 2427 = NZG 2011, 624 = NZI 2011, 452 = DStR 2011, 1045 = ZInsO 2011, 970 = EWiR § 64 GmbHG a. F. 1/11, 503 (Kort); Gottwald/Haas/Kolmann/Pauw, InsR HdB, § 92 Rz. 143 f.; abw. noch 6. Aufl. dieses Werkes Rz. 3.99 m. w. N.). 209) BGH ZIP 1999, 240 = NJW 1999, 781 = DStR 1999, 249 (Frist daher nach altem Recht 30 Jahre). 210) BGHZ 159, 25 = ZIP 2004, 1218, 1219 f. = NJW 2004, 2906 = NZI 2004, 496. 211) Für ein Abstellen auf diesen Zeitpunkt auch Poertzgen, ZInsO 2008, 1196, 1197 ff. – Zu den Anforderungen, unter denen ein faktischer Geschäftsführer nach §§ 43 Abs. 2, 64 Abs. 2 GmbHG in Anpruch genommen werden kann, BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848 = DStR 2002, 1010 = NJW 2002, 1803 = EWiR § 31 GmbHG 1/02, 679 (Blöse) = LM H. 9/2002 § 6 GmbHG Nr. 3 (G. H. Roth) im Anschluss an BGHZ 104, 44, 48 = NJW 1988, 1789 = ZIP 1988, 771, 772 = KTS 1988, 502 = EWiR § 130a HGB 1/88, 905 (Karsten Schmidt); dazu Cahn, ZGR 2003, 298, 315 (dazu im Übrigen oben Rz. 3.65). 212) BGH NJW 1974, 1088, 1089.

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setzlich angeordneter Fall der Drittschadensliquidation.213) Aufsichtsratsmitglieder können nach § 116 Satz 1 AktG i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG wegen Verletzung ihrer Überwachungspflicht haften, wenn der Vorstand gegen das Zahlungsverbot des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG verstößt.214) Da die Normen keinen Deliktshaftungstatbestand darstellen, sondern eine Anspruchsgrundlage eigener Art bilden, scheidet eine Teilnahme Dritter daran nach § 830 BGB ebenso wie die Haftung eines fakultativen Aufsichtsrats215) aber aus.216) 3.101 „Zahlungen“ sind in diesem Zusammenhang alle Minderungen des Gesellschaftsver-

mögens, auch in Form von Lieferungen oder Leistungen oder durch Eingehen neuer Verbindlichkeiten. Reicht etwa der Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH einen Kundenscheck auf ein debitorisches Geschäftskonto der Gesellschaft ein, so liegt darin eine „Zahlung“ i. S. v. § 64 (früher Abs. 2) GmbHG, weil dadurch die Forderung der Bank gegen die GmbH aus der Kontokorrentabrede teilweise getilgt wird. Gleiches gilt für Einzahlungen und Lastschrifteinzüge und Gutschriften, auch aufgrund CashManagements. Daher ist der Geschäftsführer der Gesellschaft aus dieser Vorschrift zur Erstattung verpflichtet. Zahlungen mit Kreditmitteln zu Lasten eines debitorischen Bankkontos sollen aber keine Zahlungen in diesem Sinne sein, sondern zu Lasten der Bank gehen; umgekehrt aber stellt die Vereinnahmung von Zahlungen, die der Gesellschaft zustehen, auf einem debitorischen Konto eine „Zahlung“ an die kontoführende Bank dar.217) Für den Beginn des Zahlungsverbots nach § 92 Abs. 2 (früher Abs. 3) AktG, § 64 (früher Abs. 2) GmbHG genügt dabei die erkennbare Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft, deren Fehlen der Geschäftsführer zu beweisen

___________ 213) Bitter, WM 2001, 666 ff.; Medicus, GmbHR 1993, 533, 538; Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Rz. 322; Karsten Schmidt, JZ 1978, 661, 662; Grundsatzkritik an der Schärfe des Ansatzes bei Karsten Schmidt, ZIP 2005, 2177 ff. 214) BGH ZIP 2009, 860, 861 Tz. 12 ff. = NJW 2009, 2454 = NZG 2009, 550 = NZI 2009, 490 = ZInsO 2009, 876 = DStR 2009, 1157 = EWiR § 92 AktG 1/09, 493 (Kiem/Giershausen); BGHZ 187, 60 (Doberlug) = ZIP 2010, 1988 ff. = NZG 2010, 1338 = NZI 2010, 913 = ZInsO 2010, 1943 = DStR 2010, 2090 = EWiR § 52 GmbHG 1/10, 713 (E. Vetter); kritisch – vor dem Hintergrund ihrer abweichenden Konzeption der Zahlungsverbote als Schadenersatzansprüche der Gesellschaft – Altmeppen, ZIP 2010, 1973; Karsten Schmidt, GmbHR 2010, 1319; Schürnbrand, NZG 2010, 1207; umfassend Thiessen, ZGR 2011, 2075. 215) BGH, ebda. 216) BGH (Hinweisbeschl. v. 11.2.2008 – II ZR 291/06), ZIP 2008, 1026, 1027 = NZG 2008, 468. 217) BGH ZIP 2007, 1006 = NJW-RR 2007, 984 = NZG 2007, 462 (zu § 130a Abs. 2 [früher Abs. 3] HGB; dazu Werres, ZInsO 2008, 1001); BGH, ZIP 2010, 470, 471 Tz. 9 ff. = ZInsO 2010, 568 = DStR 2010, 661 m. krit. Anm. Ede, LMK 2010, 302366; BGH ZIP 2014, 1523 Tz. 15 ff. = ZInsO 2014, 1615 = NZG 2014, 1069 = NZI 2014, 813 (zu § 130a Abs. 3 HGB); krit. Hirte, NJW 2010, 2177, 2181; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401.

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hat;218) das Verbot greift also nicht erst ab dem Ende der Insolvenzantragsfrist.219) Dabei braucht ein klagender Insolvenzverwalter nur die rechnerische Überschuldung anhand von Liquidationswerten darzulegen, während die Darlegungs- und Beweislast für eine positive Fortführungsprognose – mit der Folge einer Bewertung des Vermögens zu Fortführungswerten – dem Geschäftsführer obliegt.220)

Entgegen § 64 GmbHG geleistete Zahlungen sind vom Geschäftsführer unge- 3.102 kürzt zu erstatten (Entsprechendes gilt nach § 92 Abs. 2 AktG für den Vorstand einer Aktiengesellschaft). Doch ist ihm im Urteil von Amts wegen221) vorzubehalten, seinen Gegenanspruch, der sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag deckt, den der durch die rechtswidrige Auszahlung begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte, nach Erstattung an die Masse gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen. Etwaige Erstattungsansprüche der Masse gegen Dritte sind Zug um Zug an den Geschäftsführer abzutreten.222) Die erfolgreiche Anfechtung der von einem debitorischen Konto geleisteten Zahlungen an einen Gläubiger des Schuldners durch den Insolvenzverwalter ist aber nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen, weil darin eine masseschmä-

___________ 218) BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184 = NJW 2000, 668 = EWiR § 64 GmbHG 1/2000, 295 (Noack) = DStR 2000, 210 (Goette) = LM H. 5/2000 § 64 GmbHG Nr. 18 (Heidenhain) = DZWIR 2000, 202 (Keil) = WuB II C. § 64 GmbHG 1.01 (Bitter); BGH NJW 2001, 304 = ZIP 2000, 1896, 1897 f. = DStR 2000, 1831 = NZG 2000, 1222 = NZI 2001, 87 = KTS 2001, 140 = EWiR § 64 GmbHG 3/2000, 1159 (Keil) = LM § 64 GmbHG Nr. 19 (Noack/Bunke); OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 1211 = DStR 1999, 1709 (Ls.) (UH); OLG Hamburg ZIP 1995, 913 = EWiR § 64 GmbHG 3/95, 587 (Bähr) (ggf. Pflicht, Schecks zugunsten eines bei einem anderen Institut eröffneten Kontos einziehen zu lassen); OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 1443 = DB 1996, 1226 = BB 1996, 1428 = GmbHR 1996, 616 = EWiR § 64 GmbHG 3/96, 851 (Priester) (auch Lieferung von Waren); OLG Celle GmbHR 1997, 901 = EWiR § 64 GmbHG 5/97, 1139 (Kowalski) (zum Begriff der Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife); OLG Köln ZIP 1995, 1418 = EWiR § 130a HGB 1/95, 1007 (Hammen) (Umsatzsteuerzahlungen an das Finanzamt) (inzwischen rkr.); zur Erstreckung der Haftung auch auf das faktische Vorstandsmitglied bei bloßem Verstoß gegen die vorgeschriebene Gesamtgeschäftsführung OLG München ZIP 1998, 23 = EWiR § 93 AktG 1/97, 917 (Reiff) (inzwischen rkr.) (auch zum Beginn der Verjährungsfrist des § 93 Abs. 6 AktG); abw. OLG Celle NZG 1999, 77 = EWiR § 64 GmbHG 3/99, 463 m. zu Recht krit. Anm. Bähr (Vorinstanz zu BGHZ 143, 184). 219) BGH ZIP 2009, 860, 861 Tz. 12 ff. = NJW 2009, 2454 = NZG 2009, 550 = NZI 2009, 490 = ZInsO 2009, 876 = DStR 2009, 1157 = EWiR § 92 AktG 1/09, 493 (Kiem/ Giershausen). 220) BGH ZIP 2010, 2400, 2401 Tz. 12 f. (Fleischgroßhandel); BGH ZIP 2014, 168 = NZI 2014, 232 = NZG 2014, 100 = ZInsO 2014, 197 = EWiR 2014, 409 (Ruppert). 221) BGH NZG 2005, 816 = ZIP 2005, 1550 ff. = EWiR § 64 GmbHG 1/05, 731 (Bork). 222) BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235, 238 ff. (Altmeppen) = NJW 2001, 1280 = NZG 2001, 361 = DStR 2001, 175 (Goette) = ZInsO 2001, 260 = NZI 2001, 196 = EWiR § 32a GmbHG 1/01, 329 (Priester) = GmbHR 2001, 190 (Felleisen) = JZ 2001, 1188 (Fleischer); BGH NZG 2005, 816 = ZIP 2005, 1550 ff. = EWiR § 64 GmbHG 1/05, 731 (Bork) (zur Aufnahme des Vorbehalts von Amts wegen in das Urteil); OLG Schleswig ZIP 2003, 856; ausführlich Flöther/Korb, ZIP 2012, 2333 ff.

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lernde Leistung an die kontoführende Bank liegt.223) Ob eine Aufrechnung mit Gegenansprüchen des Geschäftsführers schon im Hinblick auf den anfechtungsartigen Charakter des Anspruchs ausscheidet, ist ungeklärt.224) Der aus § 64 GmbHG resultierende Ersatzanspruch einer GmbH gegenüber ihrem Geschäftsführer ist in der masselosen Insolvenz der Pfändung durch Einzelgläubiger der Gesellschaft zugänglich.225) 3.103 Die Ersatzpflicht scheidet nicht aus, wenn der im Gläubigerinteresse tätig werdende Insolvenzverwalter es versäumt hat, Anfechtungsrechte nach §§ 129 ff. InsO rechtzeitig (früher § 41 KO: Ausschlussfrist von einem Jahr) geltend zu machen. Denn es ist nicht Aufgabe des Insolvenzverwalters, die Interessen des Geschäftsführers (bzw. allgemein des antragspflichtigen Geschäftsleiters) wahrzunehmen; dieser sei nämlich nicht „Beteiligter“ i. S. v. § 82 KO (jetzt § 60 Abs. 1 InsO). Für eine Haftung des Geschäftsführers spreche demgegenüber die größere Effizienz seiner Haftung: sie ermögliche eine rationale Wiederauffüllung der Masse ohne das Risiko, dass die Masse die Kosten eines erfolglosen Anfechtungsprozesses zu tragen hätte.226) 3.104 Ungeklärt ist allerdings noch, ob der Geschäftsführer auch dann (schon) allein in Anspruch genommen werden kann, wenn die Möglichkeit einer Anfechtung noch besteht. Doch dürfte dies im Interesse einer schnellen und effektiven Massemehrung zu bejahen sein.227) Und ebenso offen ist die aus diesem Ansatz folgende Frage, wie bei Haftung mehrerer auf Wiederauffüllung der Masse ein Binnenausgleich der Verpflichteten stattzufinden hat. Richtigerweise sollte insoweit § 426 BGB herangezogen werden.228) Ein etwa in Anspruch genommener Geschäftsleiter kann beim Empfänger der Leistung Rückgriff nehmen, indem er aus dem abgetretenen Erstattungsanspruch der Gesellschaft gegen den Empfänger vorgeht; die Gesellschaft ist zur Abtretung von Erstattungsansprüchen ___________ 223) BGH ZIP 2014, 1523 Tz. 15 ff. = ZInsO 2014, 1615 = NZG 2014, 1069 = NZI 2014, 813 (zu § 130a Abs. 3 HGB) sowie vorstehend Rz. 3.101. 224) Offenlassend BGH ZIP 2014, 22 Tz. 16 = NJW 2014, 624 = NZI 2014, 114 = NZG 2014, 69 = ZInsO 2014, 36 = EWiR 2014, 107 (Seidel) (der die Zulässigkeit einer Aufrechnung im konkreten Fall schon wegen des anfechtbaren Erwerbs der Aufrechnungslage verneinen konnte). 225) BGH NJW 2001, 304 = ZIP 2000, 1896, 1897 f. = DStR 2000, 1831 = NZG 2000, 1222 = NZI 2001, 87 = EWiR § 64 GmbHG 3/2000, 1159 (Keil) = LM § 64 GmbHG Nr. 19 (Noack/Bunke); dazu Karsten Schmidt, GmbHR 2000, 1225. 226) BGHZ 131, 325 = NJW 1996, 850 = ZIP 1996, 420 = DStR 1996, 1175 (Goette) = EWiR § 64 GmbHG 1/96, 459 (Schulze-Osterloh) = LM H. 7/1996 § 64 GmbHG Nr. 13; dazu Flöther/Korb, ZIP 2012, 2333 ff. 227) LG Bonn ZIP 2000, 747, 750 = EWiR § 32a GmbHG 1/2000, 301 (von Gerkan); Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Rz. 331; abw. für die Zeit davor OLG Köln ZIP 1995, 1418 = NJW-RR 1996, 484 = EWiR § 130a HGB 1/95, 1007 (Hammen). 228) Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Rz. 331.

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entsprechend § 255 BGB verpflichtet (oben Rz. 3.102). Das bedeutet, dass ein etwa in Anspruch genommener Geschäftsleiter beim Empfänger der Leistung Rückgriff nehmen kann. Die inzwischen erfolgte Umgestaltung der Ausschlussfrist des § 41 KO in eine Verjährungsfrist durch § 146 InsO dürfte allerdings an dieser Sachlage nichts ändern. Eine Haftung scheidet aber aus, wenn sich der Geschäftsleiter nach § 92 Abs. 2 3.105 Satz 2 AktG, § 64 Satz 2 GmbHG entlasten kann. Die dafür nachzuweisende Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ist allerdings aus der Gläubigersicht zu beurteilen: entscheidend ist, dass keine Minderung der Insolvenzmasse eingetreten ist und nicht einzelne Gläubiger bevorzugt befriedigt wurden.229) Daher ist entscheidend, ob und in welchem Umfang auch ein Insolvenzverwalter nach hypothetischer Eröffnung des Insolvenzverfahrens die entsprechende Zahlung noch hätte leisten müssen.230) Aus diesem Grund greift § 64 GmbHG auch dann ein, wenn ein Geschäftsführer bei Insolvenzreife der Gesellschaft von einem Dritten Mittel zu dem Zweck erhält, dementsprechend eine Zahlung an einen Gesellschaftsgläubiger zu bewirken; denn im Insolvenzverfahren hätte dieser Gläubiger nur die Quote erhalten.231) Bei der Beauftragung Dritter mit aufwändigen Sanierungsbemühungen muss sich der Geschäftsleiter selbst Klarheit über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft verschaffen, will er einer Haftung entgehen.232) (2) Von zentraler Bedeutung ist die durch das MoMiG vorgenommene Erwei- 3.105a terung der § 92 Abs. 2 (früher Abs. 3) AktG, § 64 (früher Abs. 2) GmbHG um einen neuen Satz 3: „Die gleiche Verpflichtung trifft die Geschäftsführer für Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in Satz 2 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar.“ (Hervorh. v. Verf.). Die Normen ergänzen zunächst das Auszahlungsverbot der § 57 Abs. 1 AktG, 3.105b § 30 Abs. 1 GmbHG, indem sie auch Zahlungen erfassen, die zwar das zur Erhaltung des Grund- bzw. Stammkapitals erforderliche Vermögen nicht antasten, die aber die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen müssen und tatsächlich auch herbeiführen.233) Der Begriff der „Zahlung“ entspricht dabei der bisher bei den ___________ 229) BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235, 238 ff. (Altmeppen) = NJW 2001, 1280 = NZG 2001, 361 = DStR 2001, 175 (Goette) = ZInsO 2001, 260 = NZI 2001, 196 = EWiR § 32a GmbHG 1/01, 329 (Priester); BGH NZG 2006, 429 = ZIP 2006, 805 f. (zur Beweislastverteilung); Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schmidt-Leithoff/Baumert, § 64 GmbHG Rz. 30. 230) OLG Celle ZIP 2004, 1210 = EWiR § 64 GmbHG 2/04, 913 (Kind/Schork). 231) BGH ZIP 2003, 1005, 1006 = NJW 2003, 2316 = NZG 2003, 2003, 582 = NZI 2003, 460 = DStR 2003, 1133 (Goette) = EWiR § 64 GmbHG 1/03, 635 (Blöse). 232) BGH ZIP 2007, 1501 = NJW-RR 2007, 1490 = NZG 2007, 678 (zu § 130a Abs. 3 HGB). 233) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; zu den daneben weiter anwendbaren Ausschüttungssperren auch Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1079; kritisch wegen (angeblicher) Sanierungsfeindlichkeit des neuen Ansatzes Poertzgen, NZI 2007, 15, 16.

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Zahlungsverboten herrschenden weiten Begriffsbildung.234) Wie bei der Kapitalerhaltung sind aber – um es zu wiederholen – nur Zahlungen an Gesellschafter erfasst. Damit sollen im GmbH-Recht auch die (möglichen) Verkürzungen des Gläubigerschutzes durch Absenkung der Mindeststammkapitalziffer, wie sie jetzt jedenfalls noch bei der UG möglich sind, aufgefangen werden.235) Hinsichtlich des Begriffs der „Gesellschafter“ sollte dabei die Auslegung des (heutigen) § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO übernommen werden (dazu unten Rz. 5.129). Über die Regelungen der Insolvenzanfechtung geht das neue Zahlungsverbot insoweit hinaus, als es nicht auf die kurzen Fristen der §§ 129 ff. InsO beschränkt ist und keinen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und entsprechende Kenntnis des Anfechtungsgegners bzw. deren Beweis verlangt, der nur bei Rechtshandlungen mit nahestehenden Personen des § 138 InsO erleichtert ist.236) Die neuen Regelungen greifen die von der Rechtsprechung entwickelte Existenzvernichtungshaftung (dazu unten Rz. 5.172 ff.) auf, ohne aber – wie die Begr RegE ausdrücklich sagt237) – diese Rechtsprechung verdrängen zu wollen. Sachlich weisen die Regelungen auch Parallelen zum solvency test auf: Denn sie setzen nicht statisch an (man belässt, was man eingelegt hat), sondern situativ (man belässt, was die Gesellschaft braucht).238) 3.105c Haftungsbegründend ist nur ein Verhalten des Geschäftsleiters, das kausal für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit war. Daran fehlt es, wenn die Gesellschaft schon vor der in Rede stehenden Zahlung zahlungsunfähig war.239) Kausalität scheidet auch aus, wie die Begründung zum Regierungsentwurf ausführt, wenn ein Gesellschafter der Gesellschaft im Austausch für eine erhaltene Leistung selbst wieder Vermögenswerte zuführt;240) hier tauchen dieselben Überlegungen wie bei der – jetzt wertmäßig anknüpfenden – Kapitalerhaltung auf (unten Rz. 5.76a). Eine wesentliche Einschränkung der Haftung (auch gegenüber früheren Entwurfsfassungen der Norm) liegt zudem darin, dass die Zahlungen zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen „mussten“; die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft muss durch die geleisteten Zahlungen daher zwar nicht sofort, aber doch ohne Hinzutreten weiterer Kausalbeiträge eintreten.241) An___________ 234) 235) 236) 237) 238)

Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 46. Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 46. Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 46. Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 46. Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; ausführlich Knof, DStR 2007, 1536, 1537; siehe auch schon Hirte, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages (2006), Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, S. P 11, P 21 ff.; kritisch zur neuen Norm Poertzgen, NZI 2008, 9, 11 f. 239) BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 = DStR 2012, 2608 = NZG 2012, 1379 = NZI 2012, 1009 = ZInsO 2012, 2291 = JZ 2013, 1049 (Hirte/Knof/Mock) = EWiR § 64 GmbHG 1/13, 75 (Bork). 240) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 46. 241) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 a. E.

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dererseits bleibt die im Zeitpunkt der Zahlung vorhandene „Hoffnung“ auf außergewöhnliche Umstände, die die Zahlungsunfähigkeit hätten vermeiden können, außer Betracht.242) Wie nach der Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff243) besteht die Ersatzpflicht zudem nur in dem Umfang, in dem der Gesellschaft tatsächlich liquide Vermögenswerte entzogen wurden („soweit“), so dass also Gegenleistungen des Gesellschafters auch insoweit zu einer Haftungsminderung führen.244) Zudem geben die neuen Normen dem Geschäftsleiter eine Entlastungsmöglichkeit (für die ihn die Beweislast trifft), wenn er die Tatbestandsmerkmale des Zahlungsverbots, insbesondere die Geeignetheit der Zahlung, die Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen, auch unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.245) Hinsichtlich der – wie angesprochen – vorrangig zu prüfenden Zahlungsunfähigkeit ist im Übrigen eine (im insolvenzrechtlichen Sinne) fällige Forderung eines Gesellschafters zu berücksichtigen:246) Folge ist, dass die Begleichung einer von einem Gesellschafter bereits eingeforderten Zahlung nicht i. S. v. § 64 Satz 3 GmbHG die Zahlungsunfähigkeit auslösen kann. Die Zahlungsunfähigkeit verursachend i. S. v. § 64 Satz 3 GmbHG können damit beispielsweise nur solche Zahlungen sein, die nicht im insolvenzrechtlichen Sinne fällig sind oder deren Befriedigung nicht für sich allein genommen zur Zahlungsunfähigkeit führt, sondern erst weil sie ihrerseits Kreditkündigungen Dritter auslösen. Sofern aber die Voraussetzungen des § 64 Satz 3 GmbHG vorliegen, kann die Gesellschaft eine Zahlung an den Gesellschafter verweigern.247) Zwar verbietet der Gesetzgeber nunmehr ausdrücklich, die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen einer Rückführung von Eigenkapital gleichzustellen (dazu unten Rz. 5.106); das aber geschieht hier nicht: Denn das Zahlungsverbot des § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG, § 64 Satz 3 GmbHG knüpft an eine konkrete Schädigung der Gesellschaft an, während die Analogie auf der Grundlage des früheren Kapitalersatzrechts zu Erstattungsansprüchen auch dann führte, wenn die Gesellschaft später nicht insolvent wurde oder die ___________ 242) Zur Frage des Zurechnungszusammenhangs ausführlich Knof, DStR 2007, 1536, 1539 f. 243) BGH NZG 2005, 177 = NJW-RR 2005, 335 = ZIP 2005, 117 (Altmeppen mit Berichtigung, S. 157) = EWiR § 13 GmbHG 1/05, 221 (Wilhelmi). 244) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 47. – In einem etwaigen Finanzplan sind Leistung und Gegenleistung gleichwohl unsaldiert abzubilden, zum „Bruttoprinzip“ siehe Knof, DStR 2007, 1536, 1580, 1583. 245) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 47. 246) So auch OLG München, ZIP 2010, 1236, 1237 = EWiR § 64 GmbHG 1/10, 745 (Henkel). 247) BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 = DStR 2012, 2608 = NZG 2012, 1379 = NZI 2012, 1009 = ZInsO 2012, 2291 = JZ 2013, 1049 (Hirte/Knof/Mock) = EWiR § 64 GmbHG 1/13, 75 (Bork); Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249, 253 f.; Karsten Schmidt, ZIP 2010, Beil. 2, S. 15, 17; hinsichtlich des letzten Punktes abweichend OLG München ZIP 2011, 225, 226 = ZInsO 2012, 141 = NZI 2012, 199 (in der Revision dazu noch offenlassend BGH ZIP 2012, 86 = NJW 2012, 682 Tz. 19).

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Insolvenz nicht Folge der Darlehensrückführung war.248) Das entspricht zudem dem Ansatzpunkt der Untreuestrafbarkeit (dazu unten Rz. 3.148). 3.105d Ansatzpunkt der Normen ist aber das Verhalten des Geschäftsleiters bzw. seiner Gehilfen.249) Abgesehen davon, dass dies zu einer deutlichen Verschärfung der Geschäftsleiterrisiken führt,250) ist nicht zu übersehen, dass bei ausländischen Parallelinstituten, die zum Teil auch als Vorbild für die Neuregelung gedient haben, regelmäßig auch eine Haftung des faktischen Geschäftsleiters angenommen wird; im Gegensatz zum bislang geltenden deutschen Recht wird nicht darauf abgestellt, dass dieser nach außen in Erscheinung getreten ist,251) so dass über die „Geschäftsleiter“-Haftung insbesondere auch beherrschende Gesellschafter zu einer Haftung herangezogen werden können. Der deutsche Gesetzgeber hat diesen Schritt nicht getan, doch würde er sich durchaus folgerichtig in das System der Neuregelung einpassen und damit einerseits die als zu scharf empfundene persönliche Geschäftsleiterhaftung reduzieren, andererseits die als zu schwach empfundene Gesellschafterhaftung für erhaltene Auszahlungen ausbauen helfen.252) Entsprechenden Vorstößen der Rechtsprechung ist daher mit Spannung entgegenzusehen, zumal sich der Gesetzgeber in dieser Frage bewusst offen verhält.253) Ungeachtet dieser Frage ist klar, dass der gläubigerschützende Charakter der neuen Norm – ganz ähnlich wie bei der Insolvenzantragspflicht – im GmbH-Recht Weisungen gegenüber einem Geschäftsführer in diesem Bereich ausschließt; das ergibt sich aus dem Verweis des § 64 Satz 4 (früher Abs. 2 Satz 3) auf § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG. In Zweifelsfällen sollte der Geschäftsführer sein Amt niederlegen, um einer möglichen Haftung zu entgehen.254) 3.105e Die Normen haben einen „starken insolvenzrechtlichen Bezug“.255) Deshalb sollen sie in grenzüberschreitenden Konstellationen leicht als insolvenzrechtlich zu qualifizieren sein, sprich: auf Schein-Auslandsgesellschaften angewendet

___________ 248) Ähnlich Gerrit Hölzle, ZIP 2011, 650, 654 f.; abw. OLG München, ZIP 2010, 1236, 1237 f. = EWiR § 64 GmbHG 1/10, 745 (Henkel); OLG München ZIP 2011, 225, 226 = ZInsO 2012, 141 = NZI 2012, 199 (in der Revision dazu offenlassend BGH, ZIP 2012, 86 = NJW 2012, 682 Tz. 19). 249) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 46. 250) Nachdrücklich Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449 ff. (und öfter). 251) BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848 = DStR 2002, 1010 = NJW 2002, 1803 = EWiR § 31 GmbHG 1/02, 679 (Blöse) = LM H. 9/2002 § 6 GmbHG Nr. 3 (G. H. Roth) im Anschluss an BGHZ 104, 44, 48 = NJW 1988, 1789 = ZIP 1988, 771, 772 = KTS 1988, 502 = EWiR § 130a HGB 1/88, 905 (Karsten Schmidt). 252) Dafür bereits Haas, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages (2006), Gutachten, S. E 45 ff.; ders., NZI 2006, 494 ff.; Hirte, (Fn. 238), S. P 11, P 31. 253) Ausdrücklich Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 56. 254) Ähnlich Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 47. 255) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 47.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

werden können.256) Richtiger wäre es daher aber gewesen, sie gleich in das Insolvenzrecht einzustellen.257) cc)

§§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2, 826 BGB

Deliktische Ansprüche gegenüber der Gesellschaft dürften nur in Ausnahme- 3.106 fällen in Betracht kommen. Zu denken ist etwa an Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB, bei Vermögensverschiebungen an §§ 283 ff. i. V. m § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB oder in sicherlich äußerst seltenen Fällen an § 826 BGB; falls der Geschäftsführer seine Organstellung unter Missachtung auch nur eines Mindestmaßes an Loyalität und Rücksichtnahme gegenüber der Gesellschaft für eigene Zwecke missbraucht.258) dd)

Haftung gegenüber Gesellschaftern

Eine unmittelbare Haftung des Geschäftsleiters gegenüber den Gesellschaftern 3.107 kommt ebenfalls nur ausnahmsweise in Betracht. Eine solche Ausnahme bildet etwa § 31 Abs. 6 GmbHG. b)

Haftung gegenüber Geschäftspartnern und Allgemeinheit

aa)

Rechtsschein

Eine persönliche Haftung des Geschäftsleiters aus Rechtsschein kann sich er- 3.108 geben, wenn er im rechtsgeschäftlichen Verkehr mit Geschäftspartnern den vorgeschriebenen Rechtsformzusatz (AG/GmbH) nicht verwendet. Dann haftet er (und nur er!), als ob er als einzelkaufmännischer Unternehmer sich selbst verpflichten wollte.259) Nach Auffassung des II. BGH-Zivilsenats soll eine Rechtsscheinhaftung analog § 179 BGB auch dann Platz greifen, wenn eine Unter___________ 256) KG ZIP 2009, 2156 f. = NZG 2010, 71 = ZInsO 2009, 2010 = DStR 2009, 2266; OLG Köln ZIP 2012, 1000 = NZG 2012, 233 = NZI 2012, 52; OLG Jena ZIP 2013, 1820 = NZI 2013, 807 (inzwischen rkr.); Barthel, ZInsO 2011, 211; ebenso zuvor Hirte, in: Hirte/ Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften. Ein Praxishandbuch für ausländische Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland (2. Aufl. 2006), § 1 Rz. 75; Haas, NZG 2010, 495 ff.; differenzierend nach betroffenem Staat Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249, 251 f.; abw. (aber letztlich offenlassend) OLG Karlsruhe ZIP 2010, 2123 f. = NJW-RR 2010, 714 = NZG 2010, 509 = ZInsO 2010, 1499 (für Eingreifen von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO statt Art. 1 Abs. 2 b EuGVVO). 257) Dazu Bork, ZGR 2007, 250, 267 f.; Hirte, ZInsO 2008, 146, 148; Kindler, AG 2007, 721, 728. 258) Weit. Nachw. bei MünchHdb GmbH-Diekmann/Marsch-Barner, § 46 Rz. 60 f. 259) BGH ZIP 1996, 1511 = WM 1996, 1630 = NJW 1996, 2645 = DStR 1996, 1372 (Goette) = LM H. 12/1996 § 164 BGB Nr. 79 (Noack). – Zur entsprechenden Anwendung der Grundsätze auf das Weglassen des Rechtsformzusatzes einer ausländischen Gesellschaft (nur Haftung des Vertreters und nur, soweit sich der Rechtsschein in Deutschland ausgewirkt hat): BGH ZIP 2007, 908 = NJW 2007, 1529 = EWiR § 179 BGB 1/07, 513 (Lamsa); hierzu Altmeppen, ZIP 2007, 889.

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§ 3 Organisationsverfassung

nehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) nur mit einem unrichtigen Rechtsformzusatz auftritt (im konkreten Fall: „H-GmbH.u.G. (i.G.), M.H. …“).260) Das überzeugt nur begrenzt: Denn auch bei einer GmbH kann kein Vertrauen darauf bestehen dass das zugesagte Stammkapital im Zeitpunkt des Kontaktes mit der Gesellschaft nicht schon verbraucht ist.261) Zu Recht hat aber jedenfalls das LG Düsseldorf festgestellt: Führt eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) ihre Firma entgegen § 5a GmbHG ohne den Klammerzusatz „haftungsbeschränkt“, führt allein eine solche Fehlbezeichnung noch nicht zu einer persönlichen (Rechtsschein-) Haftung analog § 179 BGB ihres Geschäftsführers.262) Im Übrigen hat der BGH aber früher schon festgestellt, dass eine solche Rechtsscheinhaftung in der Regel nur bei schriftlichen Erklärungen in Betracht kommt.263) Dazu soll auch das Vorlegen von Visitenkarten gehören, die den Unternehmensträger nicht oder nicht richtig erkennen lassen.264) Bei mündlichen Erklärungen insbesondere im Rahmen von Vertragsverhandlungen kommt eine Haftung nur dann in Betracht, wenn der Geschäftsleiter auf ausdrückliche Nachfrage sein Auftreten für die Kapitalgesellschaft nicht offenlegt. bb)

Culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB)

3.109 Möglich ist auch eine persönliche Haftung des Geschäftsleiters aus culpa in contrahendo (jetzt § 311 Abs. 2 BGB), wenn dieser an den Vertragsverhandlungen mit einem Geschäftspartner beteiligt war und diesen nicht auf die (drohende) Überschuldung der Gesellschaft hingewiesen hat.265) Denn bei Vertragsschluss ergibt sich eine Pflicht, den Vertragspartner auf Risiken hinzuweisen, die einer ordnungsgemäßen Erfüllung oder Abwicklung des Vertrages entgegenstehen. Das gilt beim Verkauf eines Unternehmens oder von GmbH-Anteilen im Hinblick auf die wirtschaftliche Tragweite des Geschäfts in besonderer Weise.266) ___________ 260) BGH ZIP 2012, 1659 = NJW 2012, 2871 = DStR 2012, 1814 = EWiR § 280 BGB 12/12, 687 (A. Podewils). 261) Ausführlich Hirte, ZInsO 2015, demnächst; krit. auch Altmeppen, NJW 2012, 2833. 262) LG Düsseldorf ZIP 2014, 1174, 1175 f. = NZG 2014, 823. 263) BGHZ 64, 11; BGH ZIP 1996, 1511 = WM 1996, 1630 = NJW 1996, 2645 = DStR 1996, 1372 (Goette) = LM H. 12/1996 § 164 BGB Nr. 79 (Noack); dazu Haas, NJW 1997, 2854. 264) OLG Naumburg NJW-RR 1997, 1324; für eine weite Auslegung des Begriffs der „schriftlichen Mitteilungen“ in diesem Zusammenhang LG Heidelberg NJW-RR 1997, 355; ähnlich (Haftung aus culpa in contrahendo bei fehlendem Hinweis auf GmbH auf Visitenkarte) LG Wuppertal NJW-RR 2002, 178. 265) BGH ZIP 1982, 1435, 1436 f.; BGHZ 87, 27, 33 f. = ZIP 1983, 428, 430 f.; BGH ZIP 1989, 1455 = NJW 1990, 389 = EWiR § 43 GmbHG 1/90, 265 (Miller); allgemein dazu Grunewald, GesR, § 13 Rz. 72 ff.; Hirte, in: Abschied vom Quotenschaden. ZIP-Sonderdruck 1994, Einl., S. 3; Soergel/Wiedemann, (12. Aufl. 1990), vor § 275 BGB Rz. 220 ff.; G. Müller, ZIP 1993, 1531, 1532; Poertzgen, ZInsO 2010, 416 ff., 460 ff. 266) BGH NJW 2001, 2163 = ZIP 2001, 918, 919 f. = DStR 2001, 901 = NZI 2001, 363.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

Dieser dem Gläubigerschutz verpflichtete Ansatz der Rechtsprechung war aller- 3.110 dings vornehmlich vom kaufrechtlichen Senat des BGH entwickelt und vertieft worden. Danach traf den Geschäftsführer einer GmbH eine persönliche Haftung gegenüber Dritten unter dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo, wenn er bei Verhandlungen mit ihnen ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hatte oder – wie typischerweise beim Gesellschafter-Geschäftsführer – ein gesteigertes wirtschaftliches Eigeninteresse an dem namens der GmbH abgeschlossenen Vertrag hat (heute allgemein kodifiziert in § 311 Abs. 3 BGB).267) Diese Rechtsprechung stand freilich im Widerspruch zum Prinzip der auf das 3.111 Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung in den Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 13 Abs. 2 GmbHG); zudem wurde ihr entgegengehalten, dass die Zurechnung in Richtung Geschäftsführer in der falschen Richtung vorgenommen würde, da die GmbH als juristische Person der wirtschaftliche Interessenträger sei.268) Da das früher über die culpa in contrahendo verfolgte Haftungsziel nach der mit den anderen Zivilsenaten abgestimmten Änderung der Rechtsprechung zur Haftung des Geschäftsführers wegen verspäteter Insolvenzantragstellung (vgl. im Übrigen unten Rz. 3.113 ff.) auf diesem Wege erreicht wird, kann erwartet werden, dass die bisherige Rechtsprechung zur culpa in contrahendo nicht mehr fortgeführt wird.269) Der BGH hat aber andererseits die Haftung eines Gesellschafter-Geschäfts- 3.112 führers einer GmbH & Co. KG gegenüber dem Warenlieferanten auf der Grundlage eines selbständigen Garantieversprechens (§ 305 BGB a. F. = § 311 Abs. 1 BGB n. F.) angenommen, nachdem dieser ihm im Rahmen einer laufenden Geschäftsverbindung erklärt hatte, er werde bei Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der KG Kapital nachschießen, so dass der Lieferant auf jeden Fall „sein Geld bekomme“; für die Nichteinhaltung des Versprechens sei Schadenersatz nach §§ 249 ff. BGB zu leisten.270) Eine persönliche Außenhaftung aus culpa in contrahendo für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit von Angaben ___________ 267) BGHZ 87, 27, 32 f. = ZIP 1983, 428, 430 f.; offenlassend der (gesellschaftsrechtliche) II. Zivilsenat in BGH ZIP 1991, 1140 = NJW-RR 1991, 1312 = EWiR § 13 GmbHG 2/92, 161 (Medicus). 268) Vgl. etwa Lutter, DB 1994, 129, 133 m. w. N.; Wiedemann, NJW 1984, 2266; sowie ders., EWiR § 64 GmbHG 1/93, 583, 584; zurückhaltender daher schon BGH ZIP 1988, 1543, 1544; BGH ZIP 1986, 26, 30 = EWiR § 43 GmbHG 1/86, 165 (Hommelhoff). 269) BGHZ 126, 181, 189 f. = ZIP 1994, 1103, 1106 = NJW 1994, 2220 = EWiR § 64 GmbHG 2/94, 791 (Wilhelm); zuvor BGH ZIP 1993, 763 m. Anm. Ulmer = EWiR § 64 GmbHG 1/93, 583 (Wiedemann); culpa in contrahendo ausdrücklich verneinend daher BGH ZIP 1995, 31 = NJW 1995, 398 = EWiR § 823 BGB 3/95, 357 (Noack); BGH ZIP 1995, 211 = NJW 1995, 398 = EWiR § 64 GmbHG 1/95, 263 (Uhlenbruck); OLG Köln WM 1997, 1379 = EWiR § 276 BGB 9/96, 973 (Zimmermann) (inzwischen rkr.); dazu Karollus, ZIP 1995, 269; enger jetzt auch Fritsche/Lieder, DZWIR 2004, 93, 96 f. Für eine weitergehende Haftung aus culpa in contrahendo des seine Gesellschaft veräußernden GesellschafterGeschäftsführers demgegenüber Sieger/Hasselbach, GmbHR 1998, 957, 958 ff. 270) BGH ZIP 2001, 1496 = NJW-RR 2001, 1611.

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§ 3 Organisationsverfassung

kommt auch in Betracht, wenn organschaftliche Vertreter einer kapitalsuchenden Gesellschaft gegenüber Anlageinteressenten persönlich mit dem Anspruch auftreten, sie über die für eine Anlageentscheidung wesentlichen Umstände zu informieren (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB).271) cc)

§ 823 Abs. 2 BGB

3.113 (1) Ein neuer Ansatz hat sich im Bereich der Geschäftsleiterhaftung für die verspätete Beantragung des Insolvenzverfahrens (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem früheren § 64 Abs. 1 GmbHG) durchgesetzt. Die heute in § 15a InsO normierte gesetzliche Insolvenzantragspflicht – nicht die bereits oben Rz. 3.100 ff. behandelten Zahlungsverbote – wird als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gesellschaftsgläubiger angesehen. Hier war nach der Rechtsprechung früher allen Gläubigern aber nur der Schaden zu ersetzen, der auf die Verminderung des Gesellschaftsvermögens zwischen Begründung ihrer Forderung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückzuführen ist („Quotenschaden“).272) 3.114 Auch die Neugläubiger, die nach dem Zeitpunkt, in dem das Insolvenzverfahren hätte beantragt werden müssen, noch Geschäfte mit der Gesellschaft getätigt haben, konnten auf der Grundlage dieser Rechtsprechung nur einen Teil (die „Quote“) ihres Schadens ersetzt verlangen. Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des BGH hatte zugleich mit der „Entschärfung“ seiner früheren Rechtsprechung zur Konzernhaftung angedeutet (dazu unten Rz. 5.178 ff.),273) dass er stattdessen diese relativ beschränkte Haftung des Geschäftsführers ausdehnen wollte. Mit Urteil vom 6. Juni 1994 wurde dieser Wechsel vollzogen.274) Die Krediterhöhung durch eine Bank in der Verschlep___________ 271) BGHZ 177, 25 = ZIP 2008, 1526, 1527 ff. = NZG 2008, 661 = EWiR § 276 BGB 3/2008, 643 (Frisch). 272) BGHZ 29, 100, 102; BGHZ 75, 96, 106 = NJW 1979, 1823; BGHZ 100, 19, 21 = NJW 1987, 2433 = ZIP 1987, 509 = EWiR § 64 GmbHG 1/87, 483 (Klaas); abw. zum Schutzgesetzcharakter des § 64 Abs. 1 GmbHG Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673, 681. 273) BGH ZIP 1993, 589, 591 (TBB) = NJW 1993, 1200 = EWiR § 302 AktG 2/93, 327 (Altmeppen) (insoweit nicht in BGHZ 122, 123); dazu Hirte, in: Abschied vom Quotenschaden. ZIP-Sonderdruck 1994, Einl., S. 4. 274) BGHZ 126, 181, 190 ff. = ZIP 1994, 1103, 1106 ff. = NJW 1994, 2220 = EWiR § 64 GmbHG 2/94, 791 (Wilhelm); dazu Bork, ZGR 1995, 505; Flume, ZIP 1994, 337; Fritsche/ Lieder, DZWIR 2004, 93, 94 ff.; Goette, DStR 1994, 1048; Grunewald, GmbHR 1994, 665; Hirte, in: Abschied vom Quotenschaden. ZIP-Sonderdruck 1994, Einl., S. 4 ff.; ders., NJW 1995, 1202 f.; ders., NJW 1996, 2827, 2845 f.; B. Kübler, ZGR 1995, 481; Müller, ZIP 1993, 1531; ders., GmbHR 1994, 209; Müsgen, DZWir 1994, 455; Rottkemper, Deliktische Außenhaftung der Leitungsorganmitglieder rechtsfähiger Körperschaften (1996), S. 76 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 18 IV 1 b bb, S. 539 f.; ders., ZIP 1988, 1497; ders., NJW 1993, 2934; bestätigt durch BGH ZIP 1995, 211 = NJW 1995, 398 = EWiR § 64 GmbHG 1/95, 263 (Uhlenbruck) (dazu Karollus, ZIP 1995, 269); Wilhelm, ZIP 1993, 1833; ebenso für den eingetragenen Verein OLG Köln WM 1998, 1043 = NJW-RR 1998, 686; abw. Häsemeyer, Insolvenzrecht (2. Aufl. 1998), Rz. 30.70 f. (der aber mit einem anderen Ansatz eine ähnliche Lösung erreicht).

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II. Geschäftsführer und Vorstand

pungsphase macht diese beispielsweise insoweit zu einer Neugläubigerin.275) Ersatzfähig ist nur das negative Interesse, also etwa nicht der in einem Kaufpreis enthaltene Gewinnanteil.276) Vom negativen Interesse umfasst sind aber auch solche Schäden eines Neugläubigers, die durch eine fehlerhafte Bauleistung einer insolvenzreifen Gesellschaft am Bauwerk verursacht wurden und von dieser wegen fehlender Mittel nicht mehr beseitigt werden können; denn der Geschädigte hätte bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung keinen Werkvertrag mit der Schuldnergesellschaft geschlossen hätte und dementsprechend die mangelhaften Produkte (hier: Fassadenplatten) nicht eingebaut.277) Der damit statuierte Grundsatz der vollen Haftung des (Gesellschafter-)Geschäfts- 3.115 führers gegenüber Neugläubigern, deren Forderungen erst nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzantragspflicht entstanden sind, gilt dabei auch für den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den früheren §§ 177a, 130a HGB.278) Das dürfte angesichts der inzwischen in § 15a InsO rechtsformunabhängig ausgestalteten Insolvenzantragspflicht heute selbstverständlich sein.

Dieser Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses (zu seiner Verjährung oben 3.116 Rz. 3.99) überlagert den auch bei den Neugläubigern nach wie vor bestehenden Ersatzanspruch wegen Verschlechterung ihrer Quote. Für Altgläubiger bleibt es demgegenüber allein bei einem die Verschlechterung der „Quote“ kompensierenden Schadenersatzanspruch. Das ist nur dann anders, wenn ihnen aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ein von der Quotenverschlechterung verschiedener Schaden entstanden ist.279) Bei Dauerschuldverhältnissen kann der Vertragspartner sowohl Alt- als auch Neugläubiger sein, da die aus dem Dauerschuldverhältnis resultierenden Forderungen sukzessiv entstehen;280) ein Vermieter ist aber regelmäßig nur Altgläubiger, weil er sich bei Insolvenzreife nicht von dem Mietvertrag hätte lösen können.281) Die Ansprüche auf Ersatz des Quotenverschlechterungsschadens sind vom Insolvenzverwalter nach § 92 InsO „kollektiv“ für alle Altgläubiger einzuziehen.282) ___________ 275) BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 = NZG 2007, 347 = NJW-RR 2007, 759 = EWiR § 64 GmbHG 1/07, 305 (Haas/Reich). 276) BGH ZIP 2009, 1220, 1221 f. Tz. 13 ff. = NZG 2009, 750 = ZInsO 2009, 1159 = DStR 2009, 1384 = EWiR § 64 GmbHG a. F. 1/09, 575 (Podewils) (wohl aber Rechtsverfolgungskosten und Gewinn aus anderweitig entgangenem Geschäft); dazu Poertzgen, ZInsO 2009, 1833. 277) BGH ZIP 2012, 1455 = NJW 2012, 3510 = NZG 2012, 864 = NZI 2012, 708 = DStR 2012, 1872 = EWiR § 64 GmbHG a. F. 2/12, 525 (Schodder). 278) BGH ZIP 1995, 31 = NJW 1995, 398 = EWiR § 823 BGB 3/95, 357 (Noack). 279) So etwa im Fall des LAG Hamm BB 1997, 2656 = EWiR § 64 GmbHG 1/98, 129 (PetersLange) (Verringerung des Anspruchs auf Konkursausfallgeld wegen verzögerter Antragstellung). 280) BGHZ 171, 46, 52 f. = NZG 2007, 347 = ZIP 2007, 676. 281) BGH ZIP 2014, 23 = NJW 2014, 698 = NZI 2014, 25 = ZInsO 2013, 2556 = EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann). 282) BGHZ 159, 25 = ZIP 2004, 1218, 1219 f. = NJW 2004, 2906 = NZI 2004, 496; Uhlenbruck/ Hirte, § 92 InsO Rz. 12.

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§ 3 Organisationsverfassung

3.117 Die Beschränkung auf den Quotenverschlechterungsschaden gilt auch für Neugläubiger, sofern sie ihr positives Interesse ersetzt verlangen. Allerdings ist der Insolvenzverwalter nicht berechtigt, einen Quoten- oder sonstigen Schaden der Neugläubiger wegen verspäteter Insolvenzantragstellung gegen den Geschäftsführer einer GmbH geltend zu machen. Denn anders als bei den Altgläubigern besteht bezüglich der Neugläubiger kein einheitlicher Quotenschaden, und es ist nach Auffassung des BGH auch nicht überzeugend, den Schaden der Neugläubiger durch zwei verschiedene Personen geltend machen zu lassen, nämlich den Quotenschaden durch den Insolvenzverwalter und den weitergehenden Schaden durch den Neugläubiger persönlich. Etwa vom Insolvenzverwalter eingezogene Beträge dürfen daher nur zur Verteilung an die Altgläubiger verwendet werden. Die Durchsetzung der Rechte der Neugläubiger wird dadurch freilich nicht erleichtert.283) 3.118 Für die Berechnung des Quotenschadens ist die Insolvenzmasse im Zeitpunkt der hypothetischen Antragstellung wie bei der echten insolvenzmäßigen Verteilung entgegen dem Bilanzrecht um Aussonderungs- und wahrscheinliche Absonderungsrechte zu reduzieren; bei der Berechnung der Passivmasse sind demgegenüber bevorrechtigte oder gesicherte Verbindlichkeiten außer Betracht zu lassen.284) Es ist also die fiktive Quote zum Soll-Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung aus dem Verhältnis der den Altgläubigern in diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Masse zu ihren damaligen Forderungen zu ermitteln; diese Quote ist mit den tatsächlichen Insolvenzforderungen der (im Insolvenzverfahren noch vorhandenen) Altgläubiger zu multiplizieren; vom Ergebnis ist der auf die Altgläubiger entfallende Masseanteil abzuziehen, der sich aus dem Verhältnis ihrer Forderungen zur Summe der Insolvenzforderungen ergibt.285) Die auf den Gläubiger selbst entfallende Insolvenzquote ist bei Berechnung des Er___________ 283) BGHZ 138, 211 = ZIP 1998, 776 = NJW 1998, 2667 = BB 1998, 1277 (Ls.) (Wellensiek) = DStR 1998, 651 (Goette) = LM H. 8/1998 § 823 (Bf) BGB Nr. 110 (Wilhelm); OLG Karlsruhe ZIP 2002, 2001, 2002; dazu Röhricht, in: VGR, Bd. 1 (1999), S. 1, 7 f.; Smid, DZWir 1998, 342; ebenso Kübler/Prütting/Bork/Lüke, § 92 InsO Rz. 50; abw. zur Befugnis des Insolvenzverwalters, auch Neugläubigerschäden geltend zu machen Hirte, Abschied vom Quotenschaden (1994), Einl., S. 6; ders., NJW 1995, 1202 f.; Heitsch, ZInsO 2006, 568, 571 f.; ders., ZInsO 2007, 961, 964 f.; Karsten Schmidt, NZI 1998, 9, 11 ff. (für den Quotenschaden der Neugläubiger); ders., ZGR 1998, 633, 662 ff.; zur Darlegungsund Beweislast bei der Haftung wegen Insolvenzverschleppung BGH ZIP 2009, 1220, 1221 f. Tz. 13 ff. = NZG 2009, 750 = ZInsO 2009, 1159 = DStR 2009, 1384 = EWiR § 64 GmbHG a. F. 1/09, 575 (Podewils) (Indizwirkung einer nach Buchwerten aufgestellten Handelsbilanz); OLG Brandenburg NZG 2005, 602 = ZIP 2005, 1073 = DB 2005, 1210 (grundsätzliche Beweislast beim Gläubiger, selbst bei nicht ordnungsgemäßer Buchführung); weit. Nachw. in der 6. Aufl. dieses Werkes Rz. 3.117 Fn. 230. 284) BGH NJW 1997, 3021 = ZIP 1997, 1542 = GmbHR 1997, 898 = EWiR § 64 GmbHG 3/97, 993 (Paulus) = DStR 1997, 1613 (Goette) = WuB II C. § 64 GmbHG 2.97 (SchulzeOsterloh) = LM H. 2/1998 § 823 (Bf) BGB Nr. 109; dazu Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617. 285) BGHZ 138, 211, 221 = ZIP 1998, 776 = NJW 1998, 2667 = BB 1998, 1277 (Ls.) (Wellensiek) = DStR 1998, 651 (Goette) = LM H. 8/1998 § 823 (Bf) BGB Nr. 110 (Wilhelm).

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II. Geschäftsführer und Vorstand

satzanspruchs nicht abzuziehen; vielmehr ist dem Geschäftsführer entsprechend § 255 BGB i. V. m. §§ 273 f. BGB wie bei § 64 (früher Abs. 2) GmbHG ein Anspruch auf Abtretung der Insolvenzquote des Neugläubigers gegen die Gesellschaft zuzubilligen.286) Auch Zahlungen, die der Neugläubiger zur Begleichung seiner Altforderungen im Zeitraum der Insolvenzverschleppung von der Schuldnerin erhalten hat, sind nicht in Abzug zu bringen.287) Beruft sich ein Geschäftsleiter auf eine die Haftung ausschließende sorgfältige 3.118a Pflichterfüllung, so hat er diese nachzuweisen.288) Eine schuldhafte Verletzung der Insolvenzantragspflicht kann ausscheiden, wenn ein selbst nicht sachkundiger Geschäftsleiter nach (zeitnaher) qualifizierter Beratung von der Stellung eines Insolvenzantrags absieht.289) Ist dem Geschäftsleiter die objektiv bestehende Überschuldung bekannt, so entfällt der subjektive Insolvenzverschleppungstatbestand (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO) nicht deshalb, weil er trotz fehlender Deckung der Aufwendungen durch die Erträge auf überdurchschnittliche Gewinne gehofft hat.290) Einem Dritten kann aber ein Mitverschulden anzulasten sein, wenn sich ihm aufdrängen musste, dass sich die Gesellschaft in der Krise befindet. Vor allem aber hat er als Tatbestandsvoraussetzung die Insolvenzreife der Gesellschaft nachzuweisen.291) Die mögliche Haftung eines Mitgeschäftsführers reicht so weit, wie er auch 3.119 selbst der Insolvenzantragspflicht unterliegt (dazu oben Rz. 3.65). Beteiligt sich ein Gesellschafter, der um die Krisensituation weiß, aktiv an der Insolvenzverschleppung, so kommt gegen ihn eine Haftung als Gehilfe der Insolvenzverschleppung in Betracht.292)

___________ 286) BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 = NZG 2007, 347 = NJW-RR 2007, 759 = EWiR § 64 GmbHG 1/07, 305 (Haas/Reiche); dazu Goette, ZInsO 2007, 1177, 1180. 287) BGH ZIP 2007, 1060 = NJW 2007, 3130. 288) BGH ZIP 1994, 891 (U.-P.) = NJW 1994, 2149 = LM H. 8/1994 § 64 GmbHG Nr. 10 = EWiR § 64 GmbHG 1/94, 789 (Schneider) (GmbH); dazu Hirte, in: Abschied vom Quotenschaden. ZIP-Sonderdruck 1994, Einl., S. 7; ders., NJW 1995, 1202, 1203; ders., NJW 1996, 2827, 2845. 289) BGH ZIP 2007, 1265 = NJW 2007, 2118 = EWiR § 64 GmbHG 2/07, 495 (Henkel/ Mock); BGH ZIP 2012, 1174 Tz. 16 f. = NZG 2012, 672 = NZI 2012, 567 = DStR 2012, 1286 = EWiR § 64 GmbHG 1/12, 457 (Wackerbarth): nicht notwendig ein Berufsträger. 290) BGH ZIP 1995, 124, 126 = NJW-RR 1995, 289, 290 = KTS 1995, 284 = EWiR § 64 GmbHG 2/95, 371 (Wilhelm); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2845. 291) BGH ZIP 2012, 723 Tz. 19 = NZG 2012, 464 = NZI 2012, 413 = EWiR § 64 GmbHG a. F. 1/12, 523 (F. Podewils) (mit Hinweisen zur Beweiserleichterung in Fällen der Verletzung von Aufbewahrungspflichten). 292) BGH ZIP 1995, 124 = NJW-RR 1995, 289 = EWiR § 64 GmbHG 2/95, 371 (Wilhelm); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2845.

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§ 3 Organisationsverfassung

3.120 In Extremfällen ist auch eine Haftung wegen Anstiftung oder Beihilfe durch gesellschaftsfremde Dritte möglich.293) Das betrifft in erster Linie Berater und Banken; eine Haftung der Bank ist etwa denkbar, wenn sie den vollständigen Zahlungsverkehr des Schuldners übernimmt, um ihre Forderungen bis zur vollen Befriedigung der gesicherten Verbindlichkeiten zurückzuführen.294) Zu denken ist zudem an einen Unternehmenserwerber, der einer Kapitalgesellschaft in der Krise eine Finanzhilfe zusagt und den Geschäftsleiter drängt, im Hinblick darauf keinen Insolvenzantrag zu stellen, sich dann aber zurückzieht. Auch eine Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern wegen Beteiligung kommt in Betracht, wenn sie trotz Kenntnis vom Vorliegen eines Insolvenzgrundes im Rahmen ihrer Überwachungspflicht nicht auf das Vertretungsorgan einwirken, die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zu ergreifen (§ 111 Abs. 1 AktG).295) 3.121 Ein Ersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO kann sich auch gegenüber solchen Gesellschaftern ergeben, die nach Vorliegen der Insolvenzreife Mitglieder der Kapitalgesellschaft geworden sind; denn die Gesellschafter sind letztlich letztrangige Gläubiger.296) Der Schaden liegt hier in der gesamten Vermögenseinbuße, die das Mitglied durch den Erwerb der Mitgliedschaft in der insolvenzreifen juristischen Person erlitten hat.297) Sicher kommt eine Haftung gegenüber Mitgliedern insoweit in Betracht, als Ansprüche in Rede stehen, die nicht aus dem Mitgliedsverhältnis resultieren.298) Denkbar ist eine Schadenersatzpflicht auch gegenüber den schon bei Eintritt der Insolvenzreife vorhandenen Gesellschaftern; doch wird er hier kaum den in der Entwertung der Be___________ 293) BGHZ 164, 50 = NJW 2005, 3137 = NZG 2005, 886 = ZIP 2005, 1734, 1737 f. (dort auch zu den Grenzen des Zurechnungszusammenhangs bei der Teilnehmerhaftung); dazu Bayer/Lieder, WM 2005, 1 ff.; Beck, ZInsO 2000, 121 ff.; Poertzgen, ZInsO 2007, 285 ff.; ausführlich Froehner, ZInsO 2011, 1617 ff. 294) Zu deren möglicher Haftung aus Beratungsverschulden gegenüber dem Geschäftsleiter Wagner/Zabel, NZI 2008, 660 ff.; Zugehör, NZI 2008, 652 ff. 295) RGZ 161, 129 ff.; Uhlenbruck/Hirte, § 15a InsO Rz. 44. 296) öOGH (20.3.2007 – 4 Ob 31/07y), GesRZ 2007, 266 (Schopper); ausführlich Ekkenga, in: Festschrift für Hadding (2004), S. 343, 349 ff. sowie bereits Uhlenbruck/Hirte, § 15a InsO Rz. 59; für die Genossenschaft K. Müller, Kommentar zum Gesetz betreffend die Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften (2. Aufl. 1991 ff.), § 99 GenG Anm. 8; Schaffland, in: Lang/Weidmüller, Genossenschaftsgesetz (36. Aufl. 2008), § 99 GenG Anm. 16; abw. hinsichtlich eines Anspruchs auch der juristischen Person selbst Karsten Schmidt, GesRZ 2009, 317 ff.; Freitag, NZG 2014, 447, 448 ff., 450 ff. (wobei sich seine Kritik aber vor allem auf die – praktisch wenig bedeutsame – Lage außerhalb eines Insolvenzverfahrens richtet); abw. für die AG Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Rz. 369 unter Verweis auf RGZ 159, 211, 234; Gottwald/Haas/Mock, InsR HdB § 93 Rz. 8, der allerdings die Genussrechtsgläubiger ausnimmt; ebenso ablehnend im Rahmen der Haftung aus § 826 BGB gegenüber Erwerbern von Aktien nach Insolvenzreife von Dritten BGHZ 96, 231, 235 f. = NJW 1986, 837 = ZIP 1986, 14. 297) So für die Genossenschaft K. Müller, § 99 GenG Anm. 10. 298) BGH ZIP 2010, 776 Tz. 22 = NJW-RR 2010, 1048 = NZG 2010, 547 = NZI 2010, 449 = ZInsO 2010, 765 = DStR 2010, 939 = EWiR § 538 ZPO 1/10, 475 (Baumert).

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II. Geschäftsführer und Vorstand

teiligung liegenden und von der Gesellschaft selbst geltend zu machenden Schaden übersteigen. Ein unmittelbarer Schaden von Gesellschaftern kommt aber in Betracht, wenn sie Inhaber nicht voll eingezahlter Aktien oder Geschäftsanteile sind, bei denen ohne Eintritt des Insolvenzfalls keine weiteren Einzahlungen auf die Einlagen verlangt worden wären. Bei den Mitgliedern einer Genossenschaft kann ein Schaden darin liegen, dass sich der Umfang einer etwaigen Nachschusspflicht durch die verzögerte Stellung des Insolvenzantrags erhöht. Für den auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Anspruch der Arbeitnehmer gegen den Geschäftsführer einer GmbH wegen Insolvenzverschleppung sind die ordentlichen Gerichte und nicht die Gerichte für Arbeitssachen zuständig.299) (2) Als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB kommt insbesondere auch § 263 3.122 StGB in Betracht, wie auch eine Haftung unmittelbar aus § 826 BGB möglich ist. Tauscht etwa der Gesellschafter-Geschäftsführer die gesicherten Bankschulden systematisch gegen Warenkredite aus, indem er die Erlöse aus dem Weiterverkauf von Waren zur Kredittilgung nutzt und die Forderungen aus Warenlieferungen schuldig bleibt, soll dies eine persönliche Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB und aus § 826 BGB begründen können.300) Gleiches gilt für eine GmbH, die als Zwischenvermittlerin für Warentermin- 3.123 optionsgeschäfte tätig wurde, und ihre Geschäftsführer, wenn sie von der groben Fehlerhaftigkeit der Informationsunterlagen für die potentiellen Anleger Kenntnis hatte.301) Im „Gamma“-Urteil hat der BGH auch eine persönliche Haftung der Gesellschafter-Geschäftsführer nach §§ 826, 830 BGB auf das negative Interesse bejaht, weil sie den von der Gesellschaft übernommenen Arbeitnehmern verschwiegen hätten, dass die abgebende Gesellschaft – anders als branchenüblich – hinsichtlich bestimmter Restforderungen der Arbeitnehmer („Remanenzkosten“) die Insolvenzabsicherung unterlassen hatte.302) Ganz sicher gehören hierher auch vorsätzlich falsche Mitteilungen über die Vermögenslage der Gesellschaft.303) Weiter sollen Schutzgesetz sein können §§ 266, 266a, 266c, 283 ff., 265b StGB und § 82 Abs. 2 Nr. 2 GmbHG sowie ggf. auch § 229 StGB.304) ___________ 299) BAG ZIP 2002, 992 = NZA 2002, 695. 300) BGH ZIP 1995, 31 = NJW 1995, 398 = EWiR § 823 BGB 3/95, 357 (Noack); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2846; Rottkemper, Deliktische Außenhaftung der Leitungsorganmitglieder rechtsfähiger Körperschaften (1996), S. 49 ff. 301) BGH ZIP 1999, 486 = NJW-RR 1999, 843 = DB 1999, 740 = DStR 1999, 1117 = EWiR § 826 BGB 2/99, 351 (Tilp): mittäterschaftliche Haftung nach §§ 826, 830 BGB. 302) BGHZ 176, 204 (Gamma) = ZIP 2008, 1232, 1233 ff.= NJW 2008, 2437 = EWiR § 13 GmbHG 1/2008, 493 (Bruns); zu dem Urteil im Übrigen unten Rz. 5.174. 303) So etwa BGH DStR 2002, 1541, wenn ein Geschäftsführer seitens der GmbH dem Vertragspartner gegenüber eine hohe Verbindlichkeit eingegangen war, für die im Zeitpunkt der Eingehung die Gewährung des notwendigen Kredits nicht sichergestellt war. 304) Überblick bei MünchHdb GmbH-Diekmann/Marsch-Barner, § 46 Rz. 74.

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§ 3 Organisationsverfassung

3.124 Vor allem für § 266a StGB hat dies der VI. Zivilsenat des BGH in mehreren spektakulären Entscheidungen bejaht.305) Eine vorsätzliche Verletzung von § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a Abs. 1 StGB scheidet danach nur aus, wenn der Geschäftsleiter im Zeitpunkt der Fälligkeit der Verpflichtung zur Abführung der Arbeitnehmeranteile keine ausreichenden finanziellen Mittel mehr besitze; dabei entschuldige nicht, dass er sie zur Erfüllung anderer Verbindlichkeiten, etwa der Abführung der Arbeitgeberanteile, eingesetzt habe. Denn ausreichend für die Annahme des erforderlichen Vorsatzes sei, dass der Geschäftsführer die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit (bedingt) vorsätzlich zu vertreten habe. Die vorhandenen Mittel hat der Arbeitgeber auch schon vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vorrangig zur Erfüllung seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflichten einzusetzen, selbst mit Vorrang vor Verbindlichkeiten, die „kongruent“ erfüllt werden.306) Daher ist nicht entscheidend, ob für den betreffenden Zeitraum auch Lohn an die Arbeitnehmer ausgezahlt worden ist.307) Allerdings trifft den Sozialversicherungsträger bei einer Inanspruchnahme des Geschäftsführers wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen die uneingeschränkte Beweislast für das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale einschließlich der Zahlungsfähigkeit als Möglichkeit normgemäßen Verhaltens.308) 3.125 Der wegen Nicht-Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch genommene Geschäftsführer wird von seiner Pflicht nicht durch eine entgegenstehende Weisung der Gesellschafter(versammlung) entbunden; lediglich im ___________ 305) Zum Ganzen Groß, ZIP 2001, 945; Ranft, DStR 2001, 132 (dazu die Erwiderung durch Bittmann, DStR 2001, 855). 306) BGHZ 134, 304 = NJW 1997, 1237 = ZIP 1997, 412 = DStR 1997, 546 (Goette) = EWiR § 266a StGB 2/97, 561 (Marxen) = LM H. 6/1997 § 823 (Be) BGB Nr. 46; BGH NJW 1997, 133 = ZIP 1996, 1989 = DB 1996, 2429 = EWiR § 266a StGB 2/96, 1137 (Pape) = LM H. 2/1997 § 823 (Be) BGB Nr. 44 = WiB 1997, 130 (m. zust. Anm. Fischer) m. Anm. Hasselbach, WuB 1997, WuB 1997 IV A. § 823 BGB 1.97; BGH ZIP 1998, 31 = NJW 1998, 1306 = EWiR § 266a StGB 1/98, 277 (Pape) = DStR 1998, 130 (zum Fälligkeitszeitpunkt); BGHZ 136, 332 = ZIP 1998, 42 = NJW 1998, 227 (keine Freizeichnung der Treuhandanstalt von der auf sie nach § 16 Abs. 2 Satz 2 THG übergeleiteten Haftung eines GmbH-Geschäftsführers einer GmbH „im Aufbau“); BGHSt 47, 318 = ZIP 2002, 2143 = NJW 2002, 2480 = NZG 2002, 721 = NZI 2002, 451; ebenso OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 413; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1124; OLG Köln NJW-RR 1997, 734; LG Leipzig, EWiR § 266a StGB 1/97, 419 (Pape) (inzwischen rkr.); abw. KG NJW-RR 1997, 1126 (für „faktischen“ Geschäftsführer – unverständlich); OLG Celle NJW-RR 1996, 481 = DB 1996, 135 = GmbHR 1996, 51 = EWiR § 266a StGB 1/96, 275 (Marxen); LG Leipzig EWiR § 64 GmbHG 1/97, 81 m. krit. Anm. Pape; ausführlich Groß, ZGR 1998, 551 ff.; Hirte, NJW 1998, 2943, 3459, 3468; Stein, DStR 1998, 1055; zur Konkurrenz der einzelnen Anspruchsgrundlagen Gottwald/Haas/Kolmann/Pauw, InsR HdB, § 92 Rz. 208 ff. 307) BGHZ 144, 311 = ZIP 2000, 1339, 1341 f. = NJW 2000, 2993 = DStR 2000, 1318 (Goette) = ZInsO 2001, 124 = NZI 2001, 301 = EWiR § 266a StGB 2/2000, 1123 (Marxen/Elsner). 308) BGH ZIP 2002, 524 = NJW 2002, 1123 = NZG 2002, 289 = NZI 2002, 226 = EWiR § 266a StGB 2/02, 359 (Meyke); BGH ZIP 2013, 412 Tz. 14 = NZI 2013, 207 = NZG 2013, 301 = NJW 2013, 1304 (auch hinsichtlich des Vorsatzes).

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Falle der Zahlungsunfähigkeit kann er sich auf Unmöglichkeit berufen.309) Das dürfte aber dann nicht gelten, wenn er sich schon im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht nicht pflichtkonform verhalten hat. Andererseits entsteht die Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge erst mit der Bestellung zum Geschäftsführer; pflichtwidriges Verhalten früherer Geschäftsführer kann dem Nachfolger daher nicht zugerechnet werden.310) Auch eine Haftung des nicht eingetragenen Geschäftsführers für die Nichtabführung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge soll ausscheiden.311) Sozialversicherungsträger, die Ansprüche auf Abführung von Sozialversiche- 3.126 rungsbeiträgen nach dem Zeitpunkt erworben haben, in dem der Geschäftsführer einer insolventen GmbH Insolvenzantrag hätte stellen müssen, können aber vom Geschäftsführer nicht im Wege des Schadenersatzes Erfüllung der Beitragsschuld verlangen; denn die „Bereitstellung von Versicherungsschutz“ geschieht aufgrund sozialrechtlicher Verpflichtung und kann wertmäßig nicht mit dem Wert der Beiträge für den entsprechenden Zeitraum gleichgesetzt werden. Die Sozialversicherungsträger sind auch vertraglichen Neugläubigern im Sinne des Grundsatzurteils vom 6. Juni 1994 (dazu oben Rz. 3.114) nicht gleichzustellen. Denn zum einen wird das deliktisch nicht ersetzbare positive Interesse geltend gemacht, und zum anderen hat sich die Forderung nicht durch die Verzögerung der Antragstellung entwertet. Es handelte sich vielmehr um eine erst nach dem Pflichtzeitpunkt für die Antragstellung entstandene und wertlose Forderung.312) Die jüngere Rechtsprechung versucht nunmehr, die vom BGH gezogenen Grenzen durch einen Rückgriff auf § 826 BGB zu unterlaufen, wobei allerdings die Bundesagentur dafür darlegungs- und beweispflich-

___________ 309) OLG Naumburg NJW-RR 1999, 1343 = DStR 1999, 1625 (Ls.) (UH); ebenso OLG Celle EWiR § 266a StGB 3/98, 513 (Lüke/Machunsky); OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 243; OLG Hamm ZIP 2000, 198 = EWiR § 266a StGB 1/2000, 455 (Diller/Powietzka). 310) BGH ZIP 2002, 261, 262 = NJW 2002, 1122 = NZG 2002, 288 = NZI 2002, 229 = EWiR § 266a StGB 1/02, 263 (Plagemann). 311) KG ZIP 2002, 438 = NZG 2002, 483 (inzwischen rkr.). 312) BGH ZIP 1999, 967 = NJW 1999, 2182 = DStR 1999, 988 (Goette) = EWiR § 64 GmbHG 4/99, 651 (Peters-Lange); ebenso OLG Celle EWiR § 266a StGB 3/98, 513 (Lüke/ Machunsky) sowie für Ansprüche der Bundesagentur für Arbeit wegen Zahlung von Insolvenzgeld OLG Frankfurt/M. DStR 1999, 1784 (Ls.) (Haas) und für Bereicherungsschulden (fehlgeleitete Überweisung) LG Bonn ZIP 1998, 923 (inzwischen rkr.); mit etwas abw. Begründung (fehlende Vermutung nach § 252 Satz 2 BGB) jetzt ebenso BGH ZIP 2003, 1713, 1714 m. krit. Anm. Karsten Schmidt = NZG 2003, 923 = DStR 2003, 1672 (Goette); abw. zuvor Reiff/Arnold, ZIP 1998, 1893; weitergehend zur Ersteckung auf gesetzliche Gläubiger Klöhn, KTS 2012, 133, 145 ff.; allgemein zur Erstreckung der Rechtsprechung auf gesetzliche Gläubiger Gottwald/Haas/Kolmann/Pauw, InsR HdB, § 92 Rz. 118 ff.

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tig ist, dass Insolvenzgeld bei rechtzeitiger Antragstellung nicht hätte gezahlt werden müssen.313) 3.127 Hat ein Geschäftsführer die umschriebenen sozialversicherungsrechtlichen Pflichten delegiert, muss er für deren Erfüllung durch Dritte Sorge tragen. Bei einer mehrgliedrigen Geschäftsleitung kann sich ein Geschäftsführer dabei weder durch Zuständigkeitsregelungen noch durch Delegation dieser Pflichten entledigen; solche internen Zuständigkeitsregeln können die aus dem Deliktsrecht erwachsenden Pflichten nicht ausschließen, sondern allenfalls auf Überwachungspflichten beschränken. Deren Intensität nimmt aber – insoweit nicht anders als bei der Haftung wegen verspäteter Insolvenzantragstellung (dazu oben Rz. 3.113 ff.) – vor allem in Krisensituationen zu.314) 3.128 Zahlungen eines Arbeitgebers auf geschuldete Gesamtsozialversicherungsbeiträge sind – bei Fehlen einer besonderen Tilgungsbestimmung des Arbeitgebers zur vollen Anrechnung auf die Arbeitnehmeranteile – nach § 2 der Beitragszahlungsverordnung je zur Hälfte auf die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberanteile anzurechnen. Die Tilgungsreihenfolge des § 366 Abs. 2 BGB, nach der Zahlungen ohne Tilgungsbestimmung im Hinblick auf die für den Gläubiger geringere Sicherheit bei den Arbeitgeberanteilen zunächst auf diese zu verrechnen wären, gilt demnach nicht. Das hat zur Folge, dass sich der Schaden in Fällen der Nicht-Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer in vielen Fällen halbiert.315) 3.129 In der Konsequenz der vorgestellten Rechtsprechung lag es auch, dass ein Geschäftsleiter im Falle verspäteter Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung diese nicht mehr aus den übrigen Mitteln der Gesellschaft leisten konnte; denn die Zahlung diente ja (nur) der Vermeidung der auch strafrechtlichen Folgen einer Verletzung des § 266a StGB. Entsprechende Zahlungen waren daher nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG in die Masse zu erstatten.316) Die ___________ 313) BGHZ 175, 58 = ZIP 2008, 361, 362 ff. = NZI 2008, 242 = EWiR § 826 BGB 6/2008, 527 (M. J. W. Blank); BGH ZIP 2009, 2439, 2440 Tz. 11 ff. = NZG 2010, 114 = NZI 2010, 74 = ZInsO 2010, 41 = DStR 2010, 124 (auch bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung mangels Masse); zum Ganzen S. M. Beck, ZInsO 2008, 713; Blank, ZInsO 2007, 188; Piekenbrock, ZIP 2010, 2421; Schmülling, ZIP 2007, 1095. 314) BGHZ 133, 370 = NJW 1997, 130 = ZIP 1996, 2017 = WM 1996, 2240 = LM H. 2/1997 § 823 (Be) BGB Nr. 45 (Schiemann) = WiB 1997, 23 (Plagemann) = InVo 1997, 288 (Schaal) = EWiR § 43 GmbHG 1/97, 37 (U. H. Schneider) = DStR 1996, 2029 (Goette); BGH ZIP 2001, 422 = NJW 2001, 969 = NZI 2001, 194 = NZG 2001, 320 = DStR 2001, 633 = ZInsO 2001, 367. 315) BGH ZIP 1998, 398 = NJW 1998, 1484 = NZA 1998, 429 = DStR 1998, 538 = EWiR § 266a StGB 2/98, 467 (Plagemann); zur Tilgungsreihenfolge bei nachrangigen Schuldarten wie Säumniszuschlägen BGH ZIP 2001, 419 = NJW-RR 2001, 1280 = NZI 2001, 588; hierzu T. Horn, DZWIR 2001, 446. 316) LG Hagen ZIP 1997, 324 = GmbHR 1997, 260 = EWiR § 64 GmbHG 2/97, 171 (Plagemann).

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darin liegende Pflichtenkollision hat der BGH jetzt dadurch beseitigt, dass er auch bei Insolvenzreife die Erfüllung der sozial- oder steuerrechtlichen Pflichten durch einen Geschäftsleiter für mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i. S. v. § 92 Abs. 3 AktG, § 64 Abs. 2 GmbHG vereinbar hält317) (freilich dürfte die Pflichtenkollision in dem Zeitraum nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist weiterbestehen318)). Ähnlich verneinte der BGH eine Haftung trotz Verletzung der Massesicherungspflicht, wenn einer Gesellschaft Gelder anderer Konzerngesellschaften überlassen worden waren und der Geschäftsführer sie weisungsgemäß in deren Interesse verwendet.319) Da durch die Neufassung von § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV zum 1. Januar 2008 die Arbeitnehmeranteile zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht „gelten“, ist die bislang bestehende Konfliktlage insoweit wieder entfallen; hier greift daher jetzt zwar (wieder) das Zahlungsverbot;320) das vom Gesetzgeber mit der Regelung beabsichtigte Ziel einer Privilegierung der Sozialversicherungsträger im Insolvenzverfahren des Arbeitgebers hat die Rechtsprechung aber dadurch konterkariert, dass sie die entsprechenden Zahlungen als Rechtshandlung des Arbeitgebers im Insolvenzverfahren über sein Vermögen als mittelbare Zuwendungen an die Einzugsstellen und dementsprechend der Insolvenzanfechtung unterliegend ansieht.321) Mit der vorgestellten Rechtsprechung wird die Nicht-Abführung von Sozial- 3.130 versicherungsbeiträgen unter einen besonderen haftungsrechtlichen Schutz ge___________ 317) BGH ZIP 2007, 1265 = NJW 2007, 2118 = EWiR § 64 GmbHG 2/07, 495 (Henkel/ Mock) (dazu Goette, ZInsO 2007, 1177, 1180 f. [unter Hinweis auf die aus Sicht des Zivilrechts nach wie vor bestehende Reserve gegen diesen Ansatz]); BGH ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628; BGH ZIP 2008, 2220, 2221 f. (abw. als Vorinstanz OLG Brandenburg ZIP 2007, 724); in demselben Sinne zuvor auch OLG Hamburg ZIP 2007, 725 = DB 2007, 1076 (Strafbarkeit nach § 266a StGB wird durch Massesicherungspflicht nicht berührt); BGH 16.3.2009 II ZR 32/08 ZIP 2009, 956 f. Tz. 12 ff. = NJW 2009, 1598 = NZG 2009, 582 = NZI 2009, 486 = ZInsO 2009, 917 = DStR 2009, 1104 = EWiR § 130a HGB a. F. 1/09, 645 (Wilkens/Breßler) (auch keine Pflichtverletzung bei Zahlung aufgrund Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses; zu § 130a Abs. 2 HGB); BGH ZIP 2011, 422, 423 Tz. 12 f. = NZG 2011, 303 = NZI 2011, 196 = DStR 2011, 530 = ZInsO 2011, 440 = EWiR § 64 GmbHG 1/11, 257 (Giedinghagen/Göb) (auch bei Zahlung rückständiger Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge); OLG München ZIP 2011, 277, 278 = NZG 2011, 465 = DStR 2011, 279 (auch keine Pflichtverletzung bei Zahlung aufgrund Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Finanzamts); zu Recht abw. für die Nichtabführung von Arbeitgeberbeiträgen BGH ZIP 2009, 1468 f. Tz. 6 = NJW 2009, 2599 = NZG 2009, 913 = NZI 2009, 568 = ZInsO 2009, 1456 = DStR 2009, 1710 = EWiR § 64 GmbHG 5/09, 675 (Vortmann). 318) Hierzu Rainer Beck, ZInsO 2007, 1233, 1238. 319) BGH ZIP 2008, 1229 f. = NJW 2008, 2504 = EWiR § 64 GmbHG 3/2008, 557 (D. Schulz/ H. Schröder). 320) Meier, NZI 2008, 140, 142. 321) BGHZ 183, 86 Tz. 8 ff. = ZIP 2009, 2301 ff. = NJW 2010, 870 = NZG 2010, 21 = NZI 2009, 886 = ZInsO 2009, 2293 = DStR 2009, 2693 = EWiR § 28e SGB IV 1/10, 67 (Henkel); dazu Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 InsO Rz. 179 ff. m. w. N.

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stellt, indem die sozialversicherungsrechtlichen Arbeitgeberpflichten nicht nur der Kapitalgesellschaft, sondern auch ihrem Geschäftsleiter auferlegt werden. Die Linie dieser Entscheidungen begründet freilich Konflikte mit dem Insolvenz- wie mit dem Gesellschaftsrecht: denn sie erhält die insolvenzrechtlichen Privilegien bestimmter Verbindlichkeiten (vgl. vor allem die Rangfolge im bis Ende 1998 geltenden § 61 KO und die Qualifikation einiger Konkursforderungen als Masseschulden im früheren § 59 KO) aufrecht, die die Insolvenzordnung bewusst abschaffen wollte; das lässt sich auch mit dem Argument des BGH nicht entkräften, hier gehe es um die Zeit vor der Insolvenz. Gegen die Ausweitung der deliktsrechtlichen Haftung des Geschäftsleiters bestehen daher Bedenken, auf die im Zusammenhang mit der unmittelbaren deliktischen Haftung des Geschäftsleiters noch eingegangen wird (dazu unten Rz. 3.133 ff.). 3.131 Ganz entscheidend ist aber, dass der IX. Zivilsenat inzwischen feststellte, dass auch die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung der Insolvenzanfechtung unterliegt.322) Damit wird im Ergebnis die bisherige deliktsund strafrechtliche Rechtsprechung zu § 266a StGB weitgehend konterkariert. Zu Recht hatte der VI. Zivilsenat des BGH daher schon kurz vorher entschieden, dass bei der Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung ein Schaden der Kasse zu verneinen sein kann, wenn die Beitragszahlung im Insolvenzverfahren erfolgreich angefochten worden wäre.323) Ergänzend hielt der inzwischen für diesen Komplex zuständige II. Zivilsenat fest, dass dem Geschäftsführer haftungsrechtlich ein Vorwurf nach § 266a StGB i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB (nur) dann zu machen ist, wenn er es pflichtwidrig unterlassen hat, für die Abführungspflicht betreffend die Sozialversicherungsbeiträge rechtzeitig Rücklagen zu bilden oder gegebenenfalls auch den Nettolohn zu kürzen.324) 3.131a Dem widersprach jedoch der 5. Strafsenat des BGH. Er schränkte zwar die Strafbarkeit von GmbH-Geschäftsführern wegen Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung ein; solange er die Abführung der Beiträge während des Laufs der Insolvenzantragsfrist nach § 64 Abs. 1 GmbHG unterlässt, macht er sich (noch) nicht strafbar. Andererseits verlange die Straf___________ 322) BGHZ 144, 311, 320 = NJW 2000, 2993, 2995 = ZIP 2000, 1339, 1342 = ZInsO 2001, 124 = EWiR § 266a StGB 2/2000, 1123 (Marxen/Elsner); BGHZ 149, 100 = ZIP 2001, 2235 = NJW 2002, 512 = NZG 2002, 137 = NZI 2002, 88 = DStR 2002, 366 (Goette) = EWiR § 10 GesO 2/02, 207 (Malitz); hierzu Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 InsO Rz. 421, Uhlenbruck/Ede/ Hirte, § 130 InsO Rz. 27; Lüke/Mulansky, ZIP 1998, 673; Gross/Schork, NZI 2004, 348; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2002, 89; Gundlach/Frenzel/Schirrmeister, NZI 2003, 418; zur steuerrechtlichen Parallelfrage auch dies., DStR 2002, 861. 323) BGH ZIP 2001, 80, 82 = NJW 2001, 967 = DStR 2001, 222 (Goette) = ZInsO 2001, 225 = EWiR § 266a StGB 1/01, 185 (A. Schmidt). 324) BGH NJW 2005, 2546 = NZG 2005, 600 = ZIP 2005, 1026 = EWiR § 266a StGB 2/05, 743 (Kuhn) (Vorinstanz OLG Dresden NZI 2003, 375 = ZIP 2003, 360 = ZInsO 2003, 376; hierzu Flöther/Bräuer, DZWIR 2003, 353); BGH NJW 2006, 3573 = NZG 2006, 904 = ZIP 2006, 2127.

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vorschrift des § 266a Abs. 1 StGB aber die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung selbst dann, wenn diese Zahlung später angefochten werden könne; denn zum einen müsse eine Insolvenzanfechtung nicht immer erfolgen, und zum anderen sei nur und erst bei einer Verteilung der etwa zurückgewährten Mittel nach einer Anfechtung der Zahlung für die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes unter den Gläubigern gesorgt.325) Ganz entsprechend war umstritten, ob eine Haftung nach der besonderen steuer- 3.131b rechtlichen Haftungsnorm (§ 69 AO) im Hinblick auf die Ersatzpflicht des § 64 (früher Abs. 2) GmbHG oder die mögliche spätere Anfechtbarkeit einer Zahlung ausscheidet. Nach § 69 AO i. V. m. § 34 AO haften gesetzliche Vertreter von juristischen Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Auch hier wird mit der Annahme einer persönlichen Haftung der Versuch unternommen, die früheren Konkursprivilegien des Fiskus (oben Rz. 3.130) „durch die Hintertür“ aufrechtzuerhalten; in diese Linie gehört auch die Ausklammerung der Ansprüche aus § 69 AO aus dem Anwendungsbereich des § 93 InsO, nach dem allein der Insolvenzverwalter zur Geltendmachung solcher Ansprüche befugt wäre.326) Den dargestellten Konflikt hat der BFH dahingehend gelöst, dass eine mögliche Anfechtbarkeit der Steuerzahlung der steuerrechtlichen Verpflichtung im Hinblick auf deren öffentlich-rechtliche Natur nicht entgegenstehe.327) Auch der gesellschaftsrechtlichen Massesicherungspflicht gehen die §§ 69, 34 AO nach neuerer Auffassung des BFH im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des BGH vor, in der dieser eine Pflichtenkollision bei Erfüllung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten verneinte (oben Rz. 3.129).328)

___________ 325) BGHSt 48, 307 = ZIP 2003, 2213 = NJW 2003, 3787 = NZG 2004, 42 = NZI 2004, 48 = DStR 2004, 283 (Goette) = EWiR § 266a StGB 1/03, 453 (G. Berger/Herbst); BGH NJW 2005, 3650 = NZG 2005, 892 = ZIP 2005, 1678 f.; abw. U. H. Schneider/Brouwer, ZIP 2007, 1033 ff. 326) Hierzu BFHE 197, 1 = ZIP 2002, 179 = NZG 2002, 345 = NZI 2002, 173 = EWiR § 93 InsO 3/02, 217 (Wessel); BGHZ 151, 245 = ZIP 2002, 1492; in dieselbe Richtung jetzt auch BSG ZIP 2008, 1965 f. = NZG 2008, 748 (Unanwendbarkeit von § 93 InsO auf die Haftung eines [ausgeschiedenen] OHG-Gesellschafters nach § 150 Abs. 4 SGB VII). 327) BFHE 217, 233 = ZIP 2007, 1856, 1857 f. = DStR 2007, 1722; BFHE 223, 303 Tz. 9 ff. = ZIP 2009, 516, 517 f. = NZI 2009, 405 = DStR 2009, 427 = DStRE 2009, 386 = EWiR § 69 AO 1/09, 365 (Webel) (Haftung trotz Anfechtbarkeit bei Verzug mit Steuerzahlung); etwas weniger restriktiv zuvor bereits BFHE 216, 491 = ZIP 2007, 1604 = NZI 2007, 599; BFH ZIP 2007, 1659 = BB 2007, 1829. 328) BFHE 222, 228 Tz. 12 ff. = ZIP 2009, 122 ff. = NZG 2009, 135 = ZInsO 2009, 151 = DStRE 2009, 310; anders noch BFHE 216, 491 = ZIP 2007, 1604 = NZI 2007, 599.

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§ 3 Organisationsverfassung

3.131c Eine Haftung gegenüber Dritten auf der Grundlage von § 826 BGB hat der BGH schließlich bei der Veröffentlichung vorsätzlich falscher Ad-hoc-Mitteilungen i. S. v. § 15 WpHG angenommen, wobei er allerdings die Möglichkeit eines Anscheinsbeweises für derartige Schadenersatzansprüche verneinte, wie sie sonst bei kapitalmarktrechtlichen Haftungsansprüchen üblich ist;329) zugleich hat er aber die Schutzgesetzeigenschaft i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB bei diesen und anderen in Betracht kommenden gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Normen verneint. Das ist in §§ 37b, 37c WpHG inzwischen weitgehend kodifiziert. Ausdrücklich geregelt hat der Gesetzgeber jetzt auch eine persönliche Organpflicht der Geschäftsleiter von Arbeitgebern, zur Absicherung der Ansprüche von Arbeitnehmern aus Wertguthaben (auch im Rahmen von Altersteilzeitvereinbarungen; insoweit § 8a Abs. 1 Satz 1 AltTZG) eine Insolvenzabsicherung vorzusehen, die insbesondere in der Schaffung eines Treuhandkontos bei einem Dritten bestehen kann (§ 7e Abs. 1 und 2, zur Organhaftung Abs. 7 SGB IV).330) 3.131d Da derartige Pflichtverletzungen typischerweise zu gleichartigen Schäden bei einer Vielzahl von Personen führen, hat man vor allen Dingen in den Vereinigten Staaten von Amerika das Instrument der Sammelklage (class action) entwickelt, um deren gleichzeitige Durchsetzung in einem (statt mehrerer paralleler) Verfahren zu ermöglichen. Der deutsche Gesetzgeber ist diesem Ansatz inzwischen gefolgt, allerdings mit einem etwas anderen Konzept. Nach dem KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz (KapMuG) können vor allem Ansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KapMuG) in der Weise geltend gemacht werden, dass über die sich in allen anhängigen Prozessen stellenden rechtlichen und/oder tatsächlichen Fragen gebündelt im sog. Musterverfahren vor dem OLG vorab mit Bindungs-

___________ 329) BGHZ 160, 149 (Infomatec I) = ZIP 2004, 1593, 1596 ff. = NJW 2004, 2971 = NZG 2004, 907 = DStR 2004, 1490 = EWiR § 826 BGB 3/04, 961 (Lenenbach); BGHZ 160, 134 = ZIP 2004, 1599, 1602 ff. = NJW 2004, 2664 = NZG 2004, 816 = DStR 2004, 1486 (Infomatec II); hierzu Gerber, DStR 2004, 1793; Edelmann, BB 2004, 2031; Kort, AG 2005, 21; ders., NZG 2005, 496. 330) Zur abw. BAG-Rechtsprechung auf der Grundlage des früher geltenden Rechts (kein Schutzgesetz) siehe die Nachweise in der 6. Aufl. dieses Werkes Rz. 3.132 Fn. 276 und bei Uhlenbruck/Hirte, § 35 InsO Rz. 237.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

wirkung (§ 16 KapMuG) entschieden wird331) und sodann die individuell unterschiedlichen Voraussetzungen in den zunächst ausgesetzten Individualverfahren (§ 7 Abs. 1 KapMuG) festgestellt werden (§ 16 Abs. 1 Satz 5 KapMuG).332) Anders als bei der (echten) Sammelklage bewirkt das Musterverfahren aber nur eine kollektive Erledigung bereits erhobener Klagen oder sonst gerichtlich geltend gemachter Ansprüche, nicht aber sämtlicher bestehenden Ansprüche, ohne dass es auf ein Tätigwerden der Geschädigten ankäme. (3) Keine Schutzgesetze sind demgegenüber nach dem derzeitigen Stand der 3.132 Rechtsprechung § 41 GmbHG (die Buchführungspflicht),333) § 43 GmbHG – da er nur das Verhältnis zur Gesellschaft betrifft334) – und die Pflicht zur Verlustanzeige nach § 49 GmbHG. Streitig ist die Schutzgesetzqualität von § 51a GmbHG im Verhältnis zu Dritten.335) Noch völlig offen ist, ob § 91 Abs. 2 AktG ___________ 331) Es gibt inzwischen Vorlagebeschlüsse in den Verfahren Telekom wegen Ansprüchen aus Prospekthaftung gemäß § 44 BörsG (LG Frankfurt/M. ZIP 2006, 1730; nach vielfachen nachfolgenden Berichtigungen und Erweiterungen und nach Entscheidung des BVerfG [Nicht-Zulassung der Beschwerde durch BVerfG [Beschl. v. 14.9.2010 – 1 BvR 2494/09, 1 BvR 1257/10] in der Folge OLG Frankfurt/M. [Beschl. v. 16.5.2012 – 23 Kap 1/06 [vormals 23 Sch 1/06]] [Bestimmung des Musterklägers], OLG Frankfurt/M. [Beschl. v. 6.7.2009 – 23 W 32/09] und OLG Frankfurt/M. [v. 9.4.2010 – 23 W 10/10] [jeweils Zurückweisung von Beschwerden gegen eine Ablehnung der Erweiterung des Musterbeschlusses] und Beschl. v. 16.5.2012 – 23 Kap 1/06 [Musterentscheid], ZIP 2012, 1236, jeweils abzurufen unter www.bundesanzeiger.de) und Daimler-Chrysler (LG Stuttgart ZIP 2006, 1731; nachfolgend OLG Stuttgart ZIP 2007, 481 = EWiR § 37b WpHG 1/07, 285 [Möllers/Weichert] und BGH ZIP 2008, 639 = NJW-RR 2008, 865 = EWiR § 13 WpHG 1/08, 317 [Wilsing/von der Linden], nach Zurückverweisung OLG Stuttgart ZIP 2009, 962 = EWiR § 15 WpHG 2/09, 427 [Rothenfußer/Nikoleyczik]; zuletzt BGH ZIP 2011, 72 = NJW 2011, 309 = NZG 2011, 109 = DStR 2011, 323 = EWiR § 13 WpHG 1/11, 65 [Maier-Reimer/Seulen]); nachfolgend EuGH (Urt. v. 28.6.2012 – Rs. C-19/11), ECLI:EU:C:2012:397 = ABl. EU 2012 C 258, S. 5 = ZIP 2012, 1282 m. Anm. Schall = NJW 2012, 2787 = NZG 2012, 784 = EWiR § 13 WpHG 2/12, 467 (Bachmann) und erneut BGH ZIP 2013, 1165 (Geltl) = NZG 2013, 708 = NJW 2013, 2114 = EWiR § 13 WpHG 1/13, 433 (Seibt) zur Frage der Rechtzeitigkeit einer Ad-hoc-Meldung im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des früheren Vorstandsvorsitzenden Schrempp aus der Daimler AG. 332) Nach Art. 9 Abs. 2 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren v. 16.8.2005 (BGBl. I, 2437) war das Gesetz zunächst befristet bis zum 1.11.2010; durch Art. 5 des Gesetzes v. 24.7.2010 (BGBl. I, 977) wurde die Frist zunächst bis zum 31.10.2012 verlängert; inzwischen ist sie durch das „Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften“ v. 19.10.2012 (BGBl. I, 2182) nach § 28 KapMuG bis zum 1.11.2020 verlängert worden. 333) BGHZ 125, 366, 377 = ZIP 1994, 867, 871 = NJW 1994, 1801 = EWiR § 13 GmbHG 1/94, 681 (von Gerkan); dazu Karsten Schmidt, ZIP 1994, 837; Groß, ZGR 1998, 551, 555; Sieger/ Hasselbach, GmbHR 1998, 957, 960; abw. Biletzki, ZIP 1997, 9 ff. m. w. N.; ders., BB 2000, 521. 334) Deshalb eine Garantenpflicht von Organmitgliedern gegenüber Dritten verneinend BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 = NJW 2012, 3439 = NZG 2012, 992 = EWiR § 43 GmbHG 2/12, 597 (Paefgen/Causevic). 335) Zum Streitstand Scholz/Karsten Schmidt, § 51a GmbHG Rz. 48 m. w. N.

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§ 3 Organisationsverfassung

Schutzgesetzeigenschaft zukommen kann; für die GmbH müsste dies entsprechend gelten, soweit man § 91 Abs. 2 AktG dort analog anwendet oder entsprechende Organisationspflichten aus dem allgemeinen Zivilrecht ableitet (dazu oben Rz. 3.52). Bejaht man die Frage, dürfte damit eine beträchtliche Erweiterung der Organhaftung verbunden sein. dd)

§ 823 Abs. 1 BGB

3.133 (1) In Betracht kommt schließlich auch eine unmittelbare Haftung des Geschäftsleiters nach § 823 Abs. 1 BGB, wenn er die Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung in seiner Person verwirklicht. Eine solche Haftung kann sich naturgemäß nur auf die durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter beziehen. Bei vertraglichen bzw. rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten scheidet eine Eigenhaftung demgegenüber grundsätzlich aus, wenn das Handeln im fremden Namen erkennbar war (§ 164 Abs. 1 BGB). So haftet der Geschäftsführer etwa ungeachtet einer möglichen Mithaftung der Kapitalgesellschaft (dazu unten Rz. 3.308 ff.), wenn er selbst einen Verkehrsunfall verursacht oder eine Körperverletzung begeht. Auch wenn diese Haftung im geltenden Deliktsrecht angelegt ist, ist sie gleichwohl nicht unproblematisch, wenn der Geschäftsleiter für die Kapitalgesellschaft tätig wurde. Denn damit wird die auf das Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung der juristischen Person (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 13 Abs. 2 GmbHG) unterlaufen; hier liegen die Dinge anders als bei der Haftung wegen verspäteter Insolvenzantragstellung: denn diese ist systemimmanent in das Recht der juristischen Personen eingebunden.336) 3.134 Dass es in diesen Entscheidungen materiell um eine Haftung der Kapitalgesellschaft geht, wird besonders an einem Beschluss des BAG zum Rechtsweg für Ansprüche aus der persönlichen Außenhaftung eines Geschäftsführers deutlich. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten soll nämlich dann eröffnet sein, wenn ein Arbeitnehmer den Geschäftsführer einer GmbH persönlich aus unerlaubter Handlung – im gegebenen Falle wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 Abs. 1 GmbHG (heute § 15a InsO) – in Anspruch nimmt. Zwar sei nicht der Geschäftsführer, sondern allein die GmbH Arbeitgeberin i. S. d. Arbeitsgerichtsgesetzes, so dass die dortigen Rechtswegzuweisungen nicht direkt eingreifen könnten. Jedoch stehe ein Organ der juristischen Person, die ja selbst nicht Täter einer unerlaubten Handlung sein kann, dieser insoweit als Arbeitgeber gleich. Die Zuständigkeitsregelung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. d ArbGG (bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Ar___________ 336) Ähnlich auch Cahn, ZGR 1998, 367; Stein, DStR 1998, 1055. Zum Ansatz des früheren DDR-Rechts, bei Schadenszufügung durch einen Geschäftsführer „in Erfüllung ihm obliegender betrieblicher Aufgaben“ eine persönliche Haftung des Geschäftsführers auszuschließen (§§ 330, 331 DDR-ZGB), BGH ZIP 1996, 707 = EWiR § 330 ZGB 2/96, 719 (Nolting) = LM H. 7/1996 § 330 DDR-ZGB Nr. 5 (nicht bei strafbaren Handlungen zum eigenen Nutzen).

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beitnehmern und Arbeitgebern aus arbeitsbezogenen unerlaubten Handlungen) sei daher entsprechend anzuwenden.337) Die Sache liegt hier ganz ähnlich wie bei der unmittelbaren deliktischen Au- 3.135 ßenhaftung von Arbeitnehmern: diese kann in Widerspruch stehen zu den sich aus dem Arbeitsrecht ergebenden Beschränkungen seiner Haftung gegenüber seinem Arbeitgeber.338) Die (theoretische) Möglichkeit des Rückgriffs gegen den Arbeitgeber hilft im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers nicht. Die richtige Lösung müsste daher darin liegen, entweder eine angemessene Ka- 3.136 pitalausstattung der Gesellschaften zu verlangen und/oder das Schädigungspotential beschränkt haftender juristischer Personen durch entsprechenden Versicherungsschutz zu kompensieren.339) Eine Dritthaftung ließe sich dann nur bei Verstößen gegen den an das System des festen Nennkapitals anknüpfenden § 15a InsO begründen; Schadenersatzansprüche Dritter wegen deren Verletzung würden zudem allen Gläubigern in gleicher Weise zugutekommen und hätten keine – zumindest mit dem neuen Insolvenzrecht schwer zu vereinbarende – Privilegierung bestimmter Gläubigergruppen zur Folge.340) (2) Die mögliche parallele deliktische Außenhaftung des Geschäftsleiters ist 3.137 aber vor allem deshalb nicht unproblematisch, weil ihre Reichweite kaum verlässlich zu bestimmen ist. Die schon vorgestellten Weiterungen im Rahmen der Schutzgesetze des § 823 Abs. 2 BGB haben dies bereits gezeigt (dazu oben Rz. 3.113 ff.). Von einer gewissen Zufälligkeit lässt sich auch bei solchen Fällen sprechen, in denen es um den Eigentumsschutz Dritter geht. So hat der VI. Zivilsenat des BGH auch eine deliktische Außenhaftung des Ge- 3.138 schäftsführers nach § 823 Abs. 1 BGB für Eigentumsverletzungen gegenüber Dritten angenommen, obwohl in der Eigentumsverletzung gleichzeitig eine Vertragsverletzung der GmbH gegenüber dem Dritten lag, die wegen der Vermögenslosigkeit der GmbH nicht mehr durchgesetzt werden konnte. Im vom BGH entschiedenen Baustofffall hatte ein Verkäufer (V) an eine Z-GmbH 3.139 unter verlängertem Eigentumsvorbehalt geliefert, also die Weiterveräußerung der gelieferten Ware (§ 185 BGB) gegen Vorausabtretung der aus dem zweiten Kaufvertrag resultierenden Kaufpreisforderung gestattet. Die Z-GmbH lieferte an einen Dritten D, der die Abtretung der aus dem Vertrag resultierenden Kaufpreisforderung nach § 399 BGB (vor Inkrafttreten von § 354a HGB) verboten hatte. Der

___________ 337) BAG NJW 1996, 2886 = ZIP 1996, 1522 = NZA 1997, 115 = EWiR § 2 ArbGG 1/96, 869 (Kreitner); ebenso für die Durchgriffshaftung BAG NJW 1998, 261 = ZIP 1997, 1850 = NZA 1997, 1128 = DB 1997, 2028 = GmbHR 1997, 1061 = EWiR § 3 ArbGG 1/97, 965 (Ackmann). 338) BAGE 78, 56 = ZIP 1994, 1712 = EWiR § 611 BGB 3/95, 345 (Kaiser); BGH NJW 1994, 856 (Stellungnahme zum Vorlagebeschluss des BAG zum GmS-OGB); dazu Hirte, Berufshaftung (1996), S. 432 ff. 339) Ausführlich Hirte, Berufshaftung (1996), S. 432 ff. 340) Dazu Hasselbach, WuB 1997, WuB 1997 IV A. § 823 BGB 1.97.

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§ 3 Organisationsverfassung

verlängerte Eigentumsvorbehalt ging mithin ins Leere. Nach Insolvenz der Z-GmbH wollte V (vollen) Schadenersatz von deren Geschäftsführer. Da ein Anspruch wegen verzögerter Stellung des Insolvenzantrages nur den Quotenschaden gab, griff der BGH auf § 823 Abs. 1 BGB zurück: denn der Geschäftsführer habe in das Eigentum des V rechtswidrig eingegriffen.341)

3.140 Ob dieser Ansatz angesichts der neueren Rechtsprechung zur – jedenfalls gegenüber Neugläubigern – schärferen Haftung wegen verspäteter Stellung des Insolvenzantrages noch weiter Gültigkeit haben würde, war zunächst zweifelhaft.342) 3.141 In einer weiteren Entscheidung hielt der VI. Zivilsenat jedoch in einem ganz ähnlichen Sachverhalt ausdrücklich an ihr fest. Hier hatte der Kläger eine ZGmbH mit dem Zusammenbau eines Lamborghini aus gelieferten Bausatzteilen beauftragt. Anschließend gab es Streit über die Höhe des Honorars. Die Z-GmbH verlangte Abholung des fertigen Pkw Zug um Zug gegen Zahlung des höheren Honorars; sodann verkaufte sie ihn nach Fristsetzung unter seinem (angeblichen) Wert. Zugunsten des Klägers wurde ein Schadenersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB für möglich gehalten, sofern nicht – was in der Revisionsinstanz nicht festgestellt werden konnte – § 950 BGB eingriffe.343) 3.142 Von den systematischen Erwägungen einer fehlenden Abstimmung mit dem Gesellschaftsrecht abgesehen ist die vom VI. Zivilsenat entwickelte Haftung für den Geschäftsleiter deshalb besonders gefährlich, weil sie an Pflichtverletzungen anknüpft, die weit vor dem Eintritt der Insolvenzvoraussetzungen liegen (können), sich aber typischerweise erst in der Insolvenz herausstellen. 3.143 (3) Zivilrechtliche Haftungsrisiken des Geschäftsleiters können sich schließlich auch im Bereich der Produkthaftung ergeben.344) Hier wird man in all den Fällen, in denen die Strafgerichte eine Körperverletzung annehmen (dazu unten Rz. 3.151), zugleich von einer Verwirklichung des § 823 Abs. 1 BGB ausgehen müssen.

___________ 341) BGHZ 109, 297 = NJW 1990, 976 = ZIP 1990, 35 = NJW 1990, 976 = EWiR § 823 BGB 1/90, 357 (Brüggemeier) = JZ 1990, 486 (Mertens/Mertens); dazu auch Brüggemeier, AcP 191 (1991), 33, 63 ff.; Keßler, GmbHR 1994, 429; Kiethe, DStR 1993, 1298; Kort, DB 1990, 921; Lutter, ZHR 157 (1993), 464; ders., DB 1994, 129, 131; Rottkemper, Deliktische Außenhaftung der Leitungsorganmitglieder rechtsfähiger Körperschaften (1996), S. 20 ff.; Wilhelm, ZIP 1993, 1833, 1836. 342) Vgl. Hirte, Berufshaftung (1996), S. 433; ders., in: Abschied vom Quotenschaden. ZIPSonderdruck 1994, Einl., S. 6; ders., NJW 1995, 1202, 1203. 343) BGH ZIP 1996, 786 (Lamborghini Nachbau) = NJW 1996, 1535 = EWiR § 823 BGB 2/96 (Gerd Müller) = DStR 1996, 1014 (Goette) = VersR 1996, 713 = LM H. 7/1996 § 823 (Ac) BGB Nr. 64. 344) Zur Produkthaftung leitender Angestellter BGH NJW 1975, 1827, 1828 = JZ 1976, 523 (Lieb); zust. etwa Schmidt-Salzer, BB 1975, 1032, 1033; v. Westphalen, BB 1975, 1033, 1034.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

ee)

Europäische Aktiengesellschaft

Eine Regelung für die Haftung gegenüber Dritten existiert in der SE-Ver- 3.144 ordnung nicht; hier gilt daher nach Art. 9 SE-VO uneingeschränkt das Recht des Sitzstaats.345) c)

Öffentliches Recht

Das öffentliche Recht nimmt in zahlreichen Fällen ausdrücklich den Geschäfts- 3.145 leiter selbst – und nicht die Kapitalgesellschaft als juristische Person – in die Pflicht. Dies gilt etwa für das Steuerrecht. Zunehmende Bedeutung hat aber vor allem das Kapitalmarktrecht. Hier sei zum einen nochmals auf die Verpflichtung zur unverzüglichen Veröffentlichung erheblich kursrelevanter Ereignisse bei den Emittenten börsennotierter Papiere (Ad-hoc-Publizität) hingewiesen (dazu bereits oben Rz. 3.54). Das Übernahmerecht statuiert zahlreiche Verhaltenspflichten von Organmitgliedern während der Laufzeit eines Übernahmeangebots; sie dürfen grundsätzlich insbesondere solche Handlungen nicht vornehmen, die geeignet sind, den Erfolg des Übernahmeangebots zu verhindern, was – etwas verkürzt – als Neutralitätspflicht umschrieben wird (§ 33 Abs. 1 WpÜG). Durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz wurde das Verhinderungsverbot des § 33 WpÜG um ein „Europäisches Verhinderungsverbot“ (Art. 9 Dreizehnte Richtlinie, § 33a Abs. 2 WpÜG) ergänzt. Es ist strenger als die bislang schon geltende Regelung, findet aber nur Anwendung, wenn die Satzung einer Zielgesellschaft dafür optiert (Art. 12 Dreizehnte Richtlinie, § 33a Abs. 1 WpÜG). In anderen Bereichen, insbesondere solchen im Grenzbereich zwischen öffent- 3.146 lichem und privatem Recht, wird zum Teil in ähnlicher Weise eine unmittelbare Inanspruchnahme des Geschäftsleiters befürwortet oder zumindest diskutiert. Dies gilt etwa für das Immaterialgüterrecht oder das (Unlauterkeits-)Wettbewerbsrecht.346) Als besonders weitgehend erweist sich die persönliche Haftung des Geschäftsleiters im Umweltrecht, soweit er dort in Anknüpfung an die unmittelbare Außenhaftung im Deliktsrecht selbst als Störer angesehen wird.347) Nochmals hinzuweisen ist auch auf die vom VI. Zivilsenat bejahte persönliche Haftung des Geschäftsleiters wegen Nicht-Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen (dazu oben Rz. 3.124 ff.).

___________ 345) Für eine Erweiterung Merkt, ZGR 2003, 650, 673 ff. 346) Überblick bei MünchHdb GmbH-Diekmann/Marsch-Barner, § 46 Rz. 81 ff.; MünchHdb GmbH-Busch, § 47; zum gesellschaftsrechtlichen Durchgriff bei öffentlich-rechtlichen Sachverhalten Fleischer/Empt, ZIP 2000, 905. 347) Exemplarisch VG Frankfurt/M. DB 1997, 220; allgemein Peus, DStR 1998, 684; Holger Schmidt, Die Umwelthaftung der Organmitglieder von Kapitalgesellschaften (1996).

193

§ 3 Organisationsverfassung

5.

Strafbarkeit

3.147 Einige der vorstehend beschriebenen, dem Geschäftsleiter gegenüber Dritten bzw. der Allgemeinheit auferlegten Pflichten sind zusätzlich strafbewehrt. Dies gilt zum einen für die Verpflichtung zur Verlustanzeige nach § 92 Abs. 1 AktG, § 49 Abs. 3 GmbHG (§ 401 Abs. 1 Nr. 1 AktG, § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG), zum anderen für die Pflicht zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrages nach § 15a InsO (dort Abs. 4 und 5). Durch das MoMiG wurde die Strafbewehrung insoweit erweitert, als jetzt auch die nicht richtige Stellung eines Insolvenzantrages eine Strafbarkeit begründet.348) Nach einem Beschluss des AG Köln soll der Geschäftsführer einer deutschen GmbH der Insolvenzantragspflicht auch durch Antragstellung vor dem Gericht eines anderen EU-Staates genügen können.349) 3.148 Strafbar ist schließlich die Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB). Bei besonders schwerwiegenden Vermögensverschiebungen zu Lasten des Gesellschaftsvermögens kann sich (selbst bei Zustimmung der Gesellschafter bzw. sogar des Alleingesellschafters) auch eine Haftung wegen Untreue (§ 266 StGB) zu Lasten der Gesellschaft ergeben (nicht: zu Lasten der Gesellschafter);350) diese Haftung greift allerdings erst bei schwerwiegenden gesellschaftsrechtlichen Pflichtverletzungen bzw. bei einer Existenz- oder Liquiditätsgefährdung der GmbH ein, nicht etwa schon

___________ 348) Für ein Verständnis des Begriffs des „richtigen“ Antrags als „zulässiger“ Insolvenzantrag Schmahl, NZI 2008, 6, 9; ähnlich Rönnau/Wegner, ZInsO 2014, 1025 ff. („Richtigkeit“ bei allen Anträgen, die das Gericht in die Lage versetzen, Maßnahmen zugunsten der Massesicherung zu ergreifen); Nikolaus M. Schmidt, ZInsO 2014, 2352 ff.; abw. nach früherem Recht für den Fall fehlender Beilegung eines Gläubiger- und Schuldnerverzeichnisses und einer Übersicht über die Vermögensmasse zum Insolvenzantrag: BayObLG NZI 2001, 50 = ZIP 2000, 1220, 1221 = EWiR § 84 GmbHG 1/01, 71 (Undritz). 349) AG Köln NZG 2005, 808 = ZIP 2005, 1566. 350) BGHSt 51, 29 = NJW 2006, 1984 = NZG 2006, 465 = ZIP 2006, 993 = EWiR § 266 StGB 3/06, 509 (Marxen/Taschner); BGHSt 54, 52 Tz. 22 ff. = ZIP 2009, 1860, 1861 f. = NJW 2009, 3666 = NZG 2009, 1152 = NZI 2009, 736 = ZInsO 2009, 1912 = NStZ 2010, 89 = EWiR § 266 StGB 3/09, 789 (Römermann); BGH ZIP 2010, 1854, 1857 Tz. 26 ff. = EWiR § 266 StGB 1/10, 31 (Mediger) (Strafbarkeit wegen Kreditvergabe nur bei fehlender sorgfältiger Abwägung aufgrund umfassender Informationen); BGH ZIP 2013, 1382 = NStZ 2013, 715 = EWiR § 266 StGB 2/13, 527 (Wessing) (Berliner Bankkonsortium) (erhöhte Anforderungen an die Feststellung der inneren Tatseite des Untreuetatbestands bei risikobehafteten unternehmerischen Entscheidungen); zur grundsätzlichen Verfassungmäßigkeit des Untreuetatbestandes und dessen Grenzen (kein Nachteil in Form eines bloßen „Gefährdungsschadens“, zumal der Versuch der Untreue nicht strafbar ist) BVerfGE 126, 170 vor allem Tz. 136 ff., 145 ff. = ZIP 2010, 1596 = NJW 2010, 3209 = EWiR § 266 StGB 2/10, 657 (Frisch); zum Nicht-Eingreifen des Untreuetatbestandes bei Verletzung nicht vermögensschützender Normen BGHSt 55, 288 Tz. 39 (AUB) = ZIP 2010, 2239, 2242.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

bei jeder unerlaubten Gewinnentnahme.351) Auch den Organen einer Muttergesellschaft kann wegen von ihnen veranlasster Vermögensentziehungen in der Tochtergesellschaft der Untreuevorwurf gemacht werden.352) Gleiches gilt für die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen, wenn sie für den Geschäftsführer erkennbar zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führte bzw. diese vertiefte353) (dazu auch oben Rz. 3.105c).Bei einer „Schein-Auslandsgesellschaft“ ist demgegenüber hinsichtlich der im Rahmen einer Untreuestrafbarkeit maßgeblichen Pflichten des directors auf das ausländische Gesellschaftsrecht zurückzugreifen.354) Den wohl spektakulärsten Anwendungsfall einer möglichen Strafbarkeit nach § 266 StGB bildet aber der Prozess gegen frühere Verwaltungsmitglieder der Mannesmann AG. Hier sah der BGH eine nachträgliche, ausschließlich belohnende Anerkennungsprämie als treupflichtwidrige Verschwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens i. S. v. § 266 StGB an (zur darauf reagierenden Neufassung des Kodex oben Rz. 3.24).355) Ähnlich große Aufmerksamkeit löste die als Untreue gewertete Führung „schwarzer Kassen“ bei der Siemens AG aus.356)

Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats scheidet eine Ersatzpflicht der 3.149 alleinigen Gesellschafter und Geschäftsführer nach § 43 Abs. 2 GmbHG oder wegen Untreue nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB grundsätzlich schon dann aus, wenn sie ihrer GmbH einvernehmlich (nur) Vermögen entziehen, das nicht zur Deckung des Stammkapitals erforderlich ist.357) Voraussetzung ist aber ___________ 351) BGHSt 34, 379 = NJW 1988, 1397; BGHSt 35, 333 = ZIP 1989, 370 = NJW 1989, 112 = EWiR § 29 GmbHG 2/89, 367 (Fleck); BGHSt 47, 187 (SSV Reutlingen) = NJW 2002, 1585 = NZG 2002, 471 = NStZ 2002, 322 = EWiR § 266 StGB 1/02, 305 (Wessing) = DStR 2002, 1102 (Ls.) (Lange); BGHSt 49, 147 (Bremer Vulkan) = ZIP 2004, 1200, 1205 = NJW 2004, 2248 = NZG 2004, 717 = EWiR § 266 StGB 1/04, 723 (Eisner); hierzu Fleischer, NJW 2004, 2867. 352) BGHSt 54, 52 Tz. 22 ff. = ZIP 2009, 1860, 1861 f. = NJW 2009, 3666 = NZG 2009, 1152 = NZI 2009, 736 = ZInsO 2009, 1912 = EWiR § 266 StGB 3/09, 789 (Römermann) (Abforderung von Darlehen im Rahmen eines zentralen Cash-Management-Systems). 353) OLG Stuttgart ZIP 2009, 1864, 1865 = ZInsO 2009, 1712; OLG Stuttgart ZIP 2010, 1864, 1865 f. = ZInsO 2009, 1712. 354) BGH ZIP 2010, 1233, 1235 Tz. 18 ff. = ZInsO 2010, 1492 = EWiR § 266 StGB 3/10, 761 (Rubel/Nepomuck) (für eine nach dem Recht der British Virgin Islands gegründete Limited). 355) BGHSt 50, 331 (Mannesmann) = NJW 2006, 522 = ZIP 2006, 72 = EWiR § 266 StGB 1/06, 187 (Reiner/Geuter); dazu Jahn, ZIP 2006, 738; Kort, NZG 2006, 131; Lutter, ZIP 2006, 733; Peltzer, ZIP 2006, 205; Spindler, ZIP 2006, 349; abw. als Vorinstanz LG Düsseldorf ZIP 2004, 2044 (Tiedemann) = NJW 2004, 3275 = NZG 2004, 1057; hierzu Kort, NJW 2005, 333. 356) BGHSt 52, 323 (Siemens) = ZIP 2008, 2315; ebenso BGHSt 55, 266 (Trienekens) = ZIP 2010, 1892 = NJW 2010, 3458 = EWiR § 266 StGB 4/10, 797 (Wessing). 357) BGHZ 142, 92 = ZIP 1999, 1352 (Altmeppen) = NJW 1999, 2817 = DB 1999, 1651 = DStR 1999, 1366 (Goette) = EWiR § 823 BGB 3/99, 835 (Wilhelm) = LM H. 1/2000 § 823 (B) BGB Nr. 12 (Roth); BGH ZIP 2009, 2335, 2336 Tz. 9 ff. = NJW 2010, 64 = NZG 2009, 1385 = ZInsO 2009, 2304 = DStR 2010, 63 = EWiR § 43 GmbHG 1/10, 151 (Schodder); insoweit in Fortführung von BGHZ 119, 257 = ZIP 1992, 1734 = NJW 1993, 193 = EWiR § 43 GmbHG 2/92, 1203 (Kort); BGHZ 122, 333, 336 = ZIP 1993, 917 = NJW 1993, 1922 = EWiR § 31 GmbHG 1/93, 693 (Maier-Reimer) = LM H. 9/1993 § 31 GmbHG Nr. 29 (Heidenhain).

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§ 3 Organisationsverfassung

jedenfalls, dass auch etwaige Minderheitsgesellschafter mit der Frage der Billigung der Pflichtwidrigkeit befasst waren.358) Straf- wie zivilrechtlich verantwortlich kann in allen Fällen auch ein „faktischer Geschäftsführer“ sein, wenn er ohne förmliche Bestellung und Eintragung im Handelsregister im Einverständnis der Gesellschafter die Geschäfte tatsächlich führt, sei es auch neben einem (weiteren) eingetragenen Geschäftsführer; Voraussetzung ist aber auch hier, dass er – über die Einwirkung auf das Geschäftsführungsorgan hinaus – im Außenverhältnis aufgetreten ist (dazu auch oben Rz. 3.65).359) 3.150 In verschiedenen Vorschriften werden falsche Informationen gegenüber dem Kapitalmarkt als Ordnungswidrigkeiten geahndet; hingewiesen sei hier vor allem auf § 39 Abs. 2 Nr. 5 WpHG, in dem fehlerhafte oder unterlassene Ad-hocMeldungen bußgeldbewehrt sind. Auf die Strafbewehrung fehlerhafter Erklärungen im Zusammenhang mit Gründung und Kapitalerhöhung („Gründungsschwindel“; § 399 Abs. 1 AktG, § 82 Abs. 1 GmbHG), die neben dem Geschäftsleiter auch die Gründer treffen kann, wird in anderem Zusammenhang eingegangen (unten Rz. 5.38). 3.151 Nicht dem Vermögensschutz von Gesellschaft und Gläubigern, sondern dem Schutz der allgemeinen Öffentlichkeit dient die (strafrechtliche) Produkthaftung des Geschäftsleiters. Hier hatte der BGH die Geschäftsleitung des Herstellers eines Schuhputzsprays wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 223 StGB) verurteilt, weil diese es unterlassen hatte, trotz bekannt gewordener gesundheitlicher Risiken das Produkt vom Markt zu nehmen und zurückzurufen.360) In zwei weiteren Grundsatzurteilen führte er diesen Ansatz fort.361) Ganz ähnliche Haftungsfragen stellen sich im Bereich der Umwelthaftung. 6.

Versicherung und Haftungsfreistellung

3.152 Gegen einige der beschriebenen Haftungsrisiken des Geschäftsleiters ist Versicherung in Form einer „D&O-Police“ (D&O = director's and officer's liability) möglich.362) Wenn die Gesellschaft eine solche Versicherung zugunsten ihrer ___________ 358) BGHSt 52, 323 (Siemens) = ZIP 2008, 2315 (für Billigung durch den Aufsichtsrat); BGHSt 55, 266 (Trienekens) = ZIP 2010, 1892 = NJW 2010, 3458 = EWiR § 266 StGB 4/10, 797 (Wessing). 359) BGHSt 21, 101 = NJW 1966, 2225; BGHSt 31, 118 = NJW 1983, 240 = ZIP 1983, 173 = KTS 1983, 559; BGH NZG 2005, 755 = ZIP 2005, 1414 f. im Anschluss an BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848 = DStR 2002, 1010 = NJW 2002, 1803 = EWiR § 31 GmbHG 1/02, 679 (Blöse) = LM H. 9/2002 § 6 GmbHG Nr. 3 (G. H. Roth); BayObLGSt 97, 38 = NJW 1997, 1936 = KTS 1997, 465 (Ls.) (zur Konkursverschleppung); so jetzt auch Gottwald/ Haas/Kolmann/Pauw, InsR HdB, § 92 Rz. 49. 360) BGHSt 37, 106 (Erdal) = ZIP 1990, 1413 = NJW 1990, 2560 = JZ 1992, 253 (Hirte) = EWiR § 223a StGB 1/90, 1017 (Marxen). 361) BGHSt 41, 206 (Holzschutzmittel) = NJW 1995, 2930; BGH NJW 1995, 2933 (Glykol); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2846. 362) Ausführlich Lange, DStR 2002, 1626 und 1674; Seibt/Saame, AG 2006, 901.

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II. Geschäftsführer und Vorstand

Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder abschließt, ist nach § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG i. d. F. des VorstAG ein Selbstbehalt von mindestens 10 % des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der jährlichen Festvergütung des betreffenden Vorstandsmitglieds vorzusehen (zuvor bereits Empfehlung 3.8 DCGK: „angemessener Selbstbehalt“363). Ob eine solche Versicherung Vergütungscharakter mit der Folge hat, dass die 3.153 Vertretungsmacht für den Abschluss der entsprechenden Verträge beim Aufsichtsrat (§ 112 Satz 1 AktG; für den Vorstand) bzw. bei der Hauptversammlung (§ 113 AktG; für den Aufsichtsrat) oder der Gesellschafterversammlung (für den Geschäftsführer) liegt, ist ungeklärt. Die Praxis lehnt dies unter Hinweis darauf ab, dass es in erster Linie darum gehe, dass Gesellschaftsvermögen vor einem Ausfall mit Ersatzansprüchen zu schützen, nicht aber das Privatvermögen der Organmitglieder vor einer Inanspruchnahme.364) Auch die Finanzverwaltung hat diese Sicht der Dinge inzwischen anerkannt, wenn das Organmitglied zwar versicherte Person, die Gesellschaft aber Versicherungsnehmerin bzw. jedenfalls im Ergebnis Gläubigerin des Versicherungsanspruchs ist. Schließlich muss die Prämienkalkulation auf der Grundlage betrieblicher Daten (unter anderem mit der Folge deutlich höherer Versicherungssummen) und nicht der persönlichen Verhältnisse der versicherten Person erfolgen.365) Gesellschaftsrechtlich sind diese Überlegungen allerdings nur dann zwingend, wenn ein Selbstbehalt in Höhe praktisch des gesamten Privatvermögens des versicherten Organmitglieds vereinbart wird. Grundsätzlich nicht versicherbar sind im Übrigen die – bei weitem haftungsträchtigsten – Pflichten im Zusammenhang mit nicht ausreichender Finanzierung der GmbH und insbesondere der verspäteten Insolvenzanmeldung. Organmitglieder und besondere Vertreter eines Vereins, die unentgeltlich tätig 3.153a sind oder deren Vergütung einen Betrag von 720 Euro pro Jahr nicht übersteigt, haben nach § 31a Abs. 2 Satz 1 BGB gegen den Verein einen Befreiungsanspruch, wenn sie aus einem in Wahrnehmung ihrer Pflichten verursachten Schaden von Dritten in Anspruch genommen werden und ihnen nicht – vom Verein nachzuweisender – Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zu Last fällt (dazu und zur möglichen Anwendung der Norm auch auf unentgeltlich tätige Organmitglieder einer Kapitalgesellschaft oben Rz. 3.83a)

___________ 363) Zur Unbestimmtheit dieser früheren Vorgabe die 6. Aufl. dieses Werkes Rz. 3.152. 364) Dreher, DB 2001, 996; Kort, DStR 2006, 799; Mertens, AG 2000, 447, 452; Vetter, AG 2000, 453, 457. 365) Finanzministerium Niedersachsen, Erlass v. 25.1.2002 – S 2332-161-35/S 2245-21-31 2, DB 2002, 399 f.

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§ 3 Organisationsverfassung

III.

Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

3.154 Im Gegensatz zum Geschäftsleiter – Vorstand oder Geschäftsführer – ist ein Aufsichtsrat nur für die Aktiengesellschaft zwingend vorgesehen. Bei der Europäischen Aktiengesellschaft ist ein Aufsichtsrat nur zu bilden, wenn die Gesellschaft sich in der Satzung für das dualistische System entschieden hat. Für die GmbH kann sich allerdings aus den Mitbestimmungsgesetzen oder aus der Satzung die Verpflichtung zur Bildung eines Aufsichtsrats ergeben; in diesem Fall werden nach § 52 Abs. 1 GmbHG zahlreiche der aktienrechtlichen Vorschriften entsprechend angewandt (zur Nicht-Erstreckung der Aufsichtsratspflichten auf die Überwachung der Zahlungsverbote oben Rz. 3.100). Neuerdings (seit Inkrafttreten des BilMoG im Jahr 2009) kann sich nach § 324 HGB n. F. auch für eine kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft i. S. v. § 264d HGB, die keine Aktiengesellschaft ist, die Verpflichtung ergeben, jedenfalls einen von den Gesellschaftern zu wählenden Prüfungsausschuss einzurichten, in dem mindestens ein Mitglied die Voraussetzungen des § 100 Abs. 5 AktG erfüllt (dazu unten Rz. 3.157). Soweit der Aufsichtsrat für die GmbH nicht zwingend ist, sind auch andere Bezeichnungen wie „Beirat“ o. Ä. gebräuchlich; solche Beiräte dienen häufig der Repräsentation verschiedener Familienstämme, aber auch der Einbeziehung gesellschaftsfremder Dritter, um Konflikte zwischen eben diesen Familienstämmen zu vermeiden. Für die Rechtsfolge – die im Wesentlichen entsprechende Anwendung der aktienrechtlichen Normen – ist dies jedoch ohne Belang. Im Folgenden stehen daher die aktienrechtlichen Regelungen im Mittelpunkt. Im Hinblick auf einige spektakuläre Haftungsfälle – Metallgesellschaft, Balsam, Schneider – und die dabei offensichtlich gewordenen Probleme der bislang geltenden Aufsichtsratsverfassung sind sie insgesamt einer Prüfung durch den Gesetzgeber unterzogen worden, deren Ergebnis das am 1. Mai 1998 in Kraft getretene KonTraG ist.366) Neben den im Zentrum dieses Gesetzes stehenden Fragen der corporate governance (dazu bereits oben Rz. 1.80 ff.) hat es noch den Erwerb eigener Aktien und die Einräumung von stock options erleichtert; darauf wird im jeweiligen Zusammenhang eingegangen (dazu unten Rz. 5.99 ff. und 6.45 ff.). Weitere wichtige Reformen dieses Rechtsbereichs hat das TransPuG gebracht (zu diesem allgemein oben Rz. 3.54). 1.

Zahl, Zusammensetzung und Organisation

3.155 Die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats sind erheblichen Unterschieden danach unterworfen, ob es sich um eine mitbestimmte oder eine nicht mitbestimmte Aktiengesellschaft handelt. In je___________ 366) Zur Reformdiskussion Adams, AG 1994, 148; Baums, ZIP 1995, 11; Bernhardt, ZHR 159 (1995), 310; Forster, AG 1995, 1; Frerk, AG 1995, 212; Hoerdemann, ZRP 1997, 44 ff.; Kropff, in: Semler u. a. (Hrsg.), Reformbedarf im Aktienrecht (1994), S. 3; Lutter, ZHR 159 (1995), 287; Möllers, ZIP 1995, 1725; Niederleithinger, ZIP 1995, 597, 601; Seibert, ZBB 1994, 349; Theisen, AG 1995, 193.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

dem Fall aber darf ein Aufsichtsratsmitglied nicht zugleich Vorstandsmitglied der Gesellschaft oder in anderer herausgehobener Stellung in der Gesellschaft tätig sein (§ 105 Abs. 1 AktG). Vorstands- und Aufsichtsratsamt sind auch in der SE grundsätzlich imkompatibel (Art. 39 Abs. 3 Satz 1 SE-VO); ein Aufsichtsratsmitglied darf dort aber einen offenen Vorstandsposten besetzen, wobei sein Aufsichtsmandat für diese Zeit ruht (Art. 39 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SE-VO). § 15 SEAG erlaubt dies bei einer deutschen SE aber nur für einen im Voraus begrenzten Zeitraum von höchstens einem Jahr. § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG erstreckt die Inkompatibilität auch auf die Tätigkeit in Vertretungsorganen in von der Gesellschaft abhängigen Unternehmen, und § 100 Abs. 2 Nr. 3 AktG verbietet Überkreuzverflechtungen. Nach § 100 Abs. 2 Nr. 1 AktG, der sog. lex Abs (benannt nach dem früheren Vorstands- und dann Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank AG), darf eine Person schließlich höchstens zehn Aufsichtsratsmandate bekleiden; damit sollen die Effizienz der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats verbessert und Interessenkollisionen verhindert werden. Durch das KonTraG wurde die Norm insoweit (leicht) verschärft, als auf diese Höchstzahl Aufsichtsratsämter doppelt anzurechnen sind, für die das Mitglied zum Vorsitzenden gewählt worden ist (§ 100 Abs. 2 Satz 3 AktG n. F.). Mittelbar ergibt sich eine weitere Verschärfung daraus, dass bei Wahlvorschlägen für Aufsichtsratsmitglieder börsennotierter Gesellschaften Angaben zu deren Mitgliedschaft in anderen gesetzlich zu bildenden Aufsichtsräten zu machen sind (§ 125 Abs. 1 Satz 3 AktG n. F.). Hinzu kommt inzwischen, dass nach Nr. 5.4.5 (ex 5.4.3) DCGK ein Vorstandsmitglied einer börsennotierten Aktiengesellschaft nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate bei konzernexternen börsennotierten Gesellschaften wahrnehmen soll. Mit diesen Regelungen wird die Frage der Kontrolleffizienz bei Doppel- und Mehrfachmandaten von Aufsichtsratsmitgliedern überzeugend zur Disposition des Kapitalmarkts gestellt. Der denkbare Alternativansatz eines „Befähigungsnachweises“ wird damit verworfen (etwa Hochschulstudium – vielleicht auch gerade dessen Fehlen!). Im Übrigen entsprechen die allgemeinen persönlichen Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder denen für Vorstandsmitglieder (dazu oben Rz. 3.12) mit der Abweichung, dass insolvenzrechtliche Vorstrafen die Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied nicht hindern (§ 100 Abs. 1 AktG). a)

Allgemeines Aktienrecht

Nach der Grundnorm des § 95 Satz 1 AktG besteht der Aufsichtsrat aus drei 3.156 Mitgliedern. Allerdings kann die Satzung nach § 95 Satz 2 und 3 AktG auch eine durch drei teilbare höhere Mitgliederzahl festlegen, dies aber nach § 95 Satz 4 AktG nur mit bestimmten Obergrenzen. Für die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsorgans der SE gelten die gleichen Regeln wie für deren Leitungsorgan (Art. 40 Abs. 3 SE-VO; dazu oben Rz. 3.5). Die Mitgliedstaaten können daher auch hier eine Mindest- und/oder Höchstzahl festlegen; Deutschland hat hier

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§ 3 Organisationsverfassung

für deutsche SE in Form von § 17 Abs. 1 SEAG eine Regelung geschaffen, die § 95 Satz 1 AktG wörtlich entspricht.367) Durch den aktienrechtlichen Teil des „Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“368) wurde für Aufsichtsräte von börsennotierten und der paritätischen Mitbestimmung unterliegenden Aktiengesellschaften eine Geschlechterquote für Frauen und Männer von mindestens 30 % eingeführt (§ 96 Abs. 2 AktG n. F.), die erstmalig bei Wahlen ab dem 1. Januar 2016 zu beachten ist (§ 25 Abs. 2 Satz 1 EGAktG); Wahlen, die gegen § 96 Abs. 2 AktG n. F. verstoßen, sind nichtig (§ 250 Abs. 1 Nr. 5 AktG n. F.), und zwar mit Blick auf die zusätzliche Nennung dieser Rechtsfolge in § 96 Abs. 2 Satz 6 AktG selbst dann, wenn die Nichtigkeit nicht durch Klage geltend gemacht wurde (was aber letzlich eine Doppelung von § 250 Abs. 3 Satz 2 AktG ist). Erst im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde dabei klargestellt, dass die Quote grundsätzlich nur von beiden Aufsichtsratsbänken gemeinsam erfüllt werden muss (§ 96 Abs. 2 Satz 2 AktG; „Gesamtbetrachtung“); außer bei der SE muss nach Mehrheitsentscheid der Mitglieder der Arbeitnehmer- bzw. Kapitaleignerbank aber eine Getrenntbetrachtung stattfinden (§ 96 Abs. 2 Satz 3 AktG). 3.157 Gewählt werden die Mitglieder des Aufsichtsrats nach §§ 101 Abs. 1 Satz 1, 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG von der Hauptversammlung, wobei nach § 133 Abs. 1 AktG die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. Das bedeutet, dass Aktionäre, die über eine einfache Mehrheit in der Hauptversammlung verfügen, den gesamten Aufsichtsrat nach ihren Vorstellungen bestimmen können. Minderheitsvertreter, wie sie das Verhältniswahlrecht erlauben würde, gibt es nicht. Der Kodex empfiehlt aber seit seiner Neufassung im Mai 2005 die Einzelwahl (Gegensatz: Block- oder Listenwahl) von Aufsichtsratsmitgliedern (Nr. 5.4.3 DCGK; dazu auch unten Rz. 3.265). Wählbar sind nur natürliche Personen (§ 100 Abs. 1 Satz 1 AktG). Um die Qualität der Aufsichtsratstätigkeit zu verbessern und den Aktionären die Möglichkeit zu geben, sich besser über die individuelle Belastungssituation des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds und mögliche Interessenkonflikte klar zu werden, verlangt § 124 Abs. 3 Satz 3 AktG jetzt, dass in den Vorschlägen zur Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds in der Bekanntmachung der Tagesordnung der Hauptversammlung der ausgeübte Beruf und nicht nur eine allgemeine Berufsbezeichnung des Kandidaten anzugeben ist (eine entsprechende Offenlegungsverpflichtung für den Jahresabschluss statuiert § 285 Nr. 10 HGB). Seit seiner Neufassung im Jahre 2010 geht Nr. 5.4.1 DCGK davon aus, dass es zu den gesetzlichen Pflichten (vorher nur: Empfehlung für die Wahlvorschläge) einer Gesellschaft gehört, dass dem Aufsichtsrat ___________ 367) Wie auch dort kann sich bei Eingreifen einer Mitbestimmungsregelung eine gerade Zahl von Mitgliedern ergeben; dazu Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1755. 368) Vom 24.4.2015 (BGBl. I, 642); zuvor BR-Drucks. 636/14 und BT-Drucks. 18/3784.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

jederzeit Mitglieder angehören, die über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen. Dazu soll er für seine Zusammensetzung konkrete Ziele benennen, die die internationale Tätigkeit des Unternehmens, potentielle Interessenkonflikte, die Anzahl der unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder, eine festzulegende Altersgrenze für Aufsichtsratsmitglieder und die Vielfalt (diversity) seiner Mitglieder berücksichtigen. Unter Letzterem ist – wie zuvor schon auf der Grundlage der Neufassung des Kodex im Jahre 2009369) – vor allem eine angemessene Beteiligung von Frauen zu verstehen. Durch das „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“370) wurde dies für börsennotierte oder der Mitbestimmung unterliegende Aktiengesellschaften weiterentwickelt; Der Aufsichtsrat ist nunmehr – über die schon erwähnte Mindestquote hinaus – gesetzlich zur Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in Aufsichtsrat und Vorstand verpflichtet (§ 111 Abs. 5 AktG n. F.). Gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf konnte insbesondere die CDU/CSU-Fraktion durchsetzen, dass eine Benennung der Zielgrößen erst zum 30. September 2015 erfolgen und eine Berichtspflicht über die Zielerreichung erst mit Ablauf der selbstgesetzten Frist, spätestens aber zum 30. Juni 2017, erfolgen muss (§ 25 Abs. 1 EGAktG n. F.).371) Seit seiner Neufassung im Jahre 2012 empfiehlt Nr. 5.4.1 DCGK auch, dass der Aufsichtsrat schon bei seinen Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung die persönlichen und die geschäftlichen Beziehungen eines jeden Kandidaten zum Unternehmen, den Organen der Gesellschaft und einem wesentlich an der Gesellschaft beteiligten Aktionär (= mit mehr als 10 %) offen legen soll. Sowohl die genannten Ziele wie ihre Umsetzung sollen im Corporate-Governance-Bericht der Gesellschaft (unten Rz. 4.16) veröffentlicht werden. Schließlich empfiehlt Nr. 5.4.5 DCGK (früher Nr. 5.4.1 DCGK a. E.) der Gesellschaft, ihre Aufsichtsratsmitglieder bei – im Übrigen eigenverantwortlich wahrzunehmenden – Fortbildungsmaßnahmen zu unterstützen. Nach der Neufassung von Nr. 5.4.2 DCGK im Mai 2005 empfiehlt der Kodex, dass dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung ausreichende Zahl unabhängiger Mitglieder angehören soll, um eine unabhängige Beratung und Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu ermöglichen; er definiert jetzt zudem die Voraussetzungen von „Unabhängigkeit“. Seit Inkrafttreten des BilMoG im Jahre 2009 muss bei einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft i. S. v. § 264d HGB darüber hinaus mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen („unabhängiger Finanzexperte“; § 100 Abs. 5 AktG n. F.). ___________ 369) Hecker, BB 2009, 1654, 1657. 370) Vom 24.4.2015 (BGBl. I, 642); zuvor BR-Drucks. 636/14 und BT-Drucks. 18/3784. 371) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BT-Drucks. 18/4227.

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§ 3 Organisationsverfassung

Hinsichtlich des Begriffs der Unabhängigkeit verweist die Begründung des Regierungsentwurfs zum BilMoG dabei auf Empfehlung 5.4.2 DCGK und auf die Empfehlung der EU-Kommission vom 15. Februar 2005;372) danach können nur Vertreter (nicht kontrollierender) Anteilseigner diese Voraussetzung erfüllen.373) Nach § 100 Abs. 2 Nr. 4 AktG darf bei einer börsennotierten Gesellschaft zudem nicht Mitglied des Aufsichtsrats sein, wer in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied der Gesellschaft war („Cooling-off-Periode“); das ist nur dann (insbesondere mit Blick auf Gründerfamilien) anders, wenn die Wahl auf Vorschlag von Aktionären erfolgt, die mehr als 25 % der Stimmrechte an der Gesellschaft halten (nicht nur: entsprechende Beteiligung in der Hauptversammlung). Soll in einem solchen Fall ein Wechsel in den Aufsichtsratsvorsitz erfolgen, empfiehlt Nr. 5.4.4 DCGK aber darüber hinaus eine besondere Begründung dieses Schritts in der Hauptversammlung. Nach Nr. 5.4.2 DCGK sollen dem Aufsichtsrat überdies – unabhängig von den schon genannten allgemeinen Vorgaben – nicht mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder angehören, und seine Mitglieder sollen keine Organfunktionen oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausüben. Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder erfolgt für höchstens vier Jahre (§ 102 Abs. 1 AktG).374) In der Europäischen Aktiengesellschaft sind Aufsichtsrats- wie Vorstandsmitglieder für den in der Satzung festgelegten Zeitraum zu bestellen, der sechs Jahre nicht überschreiten darf (Art. 46 Abs. 1 SE-VO).375) Möglich ist es, Aufsichtsratsmitglieder zu unterschiedlichen Terminen („staggered board“) und für unterschiedliche Amtsperioden neu zu wählen, um Veränderungserfordernissen Rechnung zu tragen (so auch Nr. 5.4.6 [ex 5.4.4] DCGK). Auch die Mitglieder des Aufsichtsorgans einer SE werden von der Hauptversammlung gewählt (Art. 40 Abs. 2 SE-VO). 3.158 Die Satzung kann zugunsten bestimmter Aktionäre oder zugunsten der Inhaber bestimmter Aktien Entsenderechte in den Aufsichtsrat begründen, allerdings nur für höchstens ein Drittel der durch die Aktionäre zu wählenden Aufsichtsratsmitglieder (§ 101 Abs. 2 AktG). Solche Entsenderechte sind vor allem für ___________ 372) Empfehlung der Kommission v. 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren oder Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- und Aufsichtsrats, ABl. EU Nr. L 52 v. 25.2.2005, S. 51, vor allem Anhang II (die ihrerseits von Erwägungsgrund 24 der Achten [Prüferbefähigungs-]Richtlinie (Abschlussprüferrichtlinie) in Bezug genommen wird). 373) Begr RegE, BT-Drucks. 16/10067, S. 101 f. 374) Zur automatischen Beendigung des Amtes bei fehlender Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach Amtsantritt BGH ZIP 2002, 1619 = DStR 2002, 1727 = NJW-RR 2002, 1461 = EWiR § 102 AktG 1/03, 45 (Pötter). 375) Dazu Hommelhoff, AG 2001, 279, 283: „rechtspolitisch durchaus noch akzeptabel“; dies positiv bewertend Ulmer, FAZ v. 21.3.2001, Nr. 68 S. 30.

202

III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

Mitglieder von Gründerfamilien oder die öffentliche Hand von Interesse.376) Ist die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds nichtig oder für nichtig erklärt worden, wird es hinsichtlich der Stimmabgabe und/oder Beschlussfassung im Aufsichtsrat wie ein Nichtmitglied behandelt.377) Anders als für Fragen der Pflichten, Haftung und Vergütung (dazu oben Rz. 3.21) seien die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung von Organmitgliedern auf den Aufsichtsrat insoweit nicht anwendbar. Verfügt der Aufsichtsrat – möglicherweise auch als Folge einer fehlerhaften Wahl – nicht über die für die Beschlussfähigkeit notwendige Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern, können diese nach § 104 AktG vom Gericht bestellt werden;378) Nr. 5.4.3 DCGK (Neufassung 2005) empfiehlt insoweit, dass ein auf eine solche Bestellung gerichteter Antrag der Gesellschaft auf die Zeit bis zur nächsten Hauptversammlung befristet sein soll. b)

Mitbestimmungsrecht

aa)

Aktiengesellschaft

Während nach allgemeinem Aktienrecht allein die Aktionäre über die Zusam- 3.159 mensetzung des Aufsichtsrats entscheiden (§ 96 Abs. 1 a. E. AktG), sind nach den verschiedenen Mitbestimmungsgesetzen auch Vertreter der Arbeitnehmer (einschließlich der leitenden Angestellten) und zum Teil auch andere Personen in den Aufsichtsrat zu wählen (§ 96 Abs. 1 AktG). Insoweit ist die Wahl seitens der Aktionäre (der „Anteilseigner“) ausgeschlossen (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG). Im Einzelnen sind dabei drei Mitbestimmungsmodelle zu unterscheiden. Nach § 1 Mitbestimmungsgesetz 1976 ist in Aktiengesellschaften und GmbHs 3.160 mit in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmern die Hälfte der – hier geraden – Zahl der Aufsichtsratsmitglieder von Seiten der Arbeitnehmer zu wählen (§ 7 Abs. 1, § 9 MitbestG 1976). Der Aufsichtsrat wächst dabei nach § 7 Abs. 1 MitbestG in Abhängigkeit von der Arbeitnehmerzahl von zunächst 12 Mitgliedern (unter 10.000 Arbeitnehmer) über 16 Mitglieder (bis 20.000 Arbeitnehmer) auf bis zu 20 Mitglieder (bei mehr als 20.000 Arbeitnehmern). Unter den von den Arbeitnehmern zu wählenden Aufsichtsratsmitgliedern müssen sich mehrheitlich Arbeitnehmer der Gesellschaft selbst befinden; die übrigen Arbeitnehmer___________ 376) Zur Vereinbarkeit solcher Entsenderechte mit der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 Abs. 1 EG [heute Art. 63 AEUV]), der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes (Art. 14 Abs. 1 GG) und dem aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) OLG Hamm ZIP 2008, 1530 ff. = DStR 2008, 1250 = EWiR § 101 AktG 1/2008, 449 (Ogorek) (hierzu Verse, ZIP 2008, 1754); bestätigt durch BGH ZIP 2009, 1566 (ThyssenKrupp) = AG 2009, 694 = DStR 2009, 2547 = EWiR § 101 AktG 1/10, 103 (Nikoleyczik). 377) BGHZ 196, 195 Tz. 20 ff. = ZIP 2013, 720 = NZG 2013, 456 = NJW 2013, 1535 = EWiR § 251 AktG 1/13, 333 (Schatz/Schödel); dazu Arnold/Gayk, DB 2013, 1830. 378) Zur Zulässigkeit eines solchen Antrags auch noch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens KG ZIP 2005, 1553, 1555 = ZInsO 2005, 991 = DB 2005, 2346 = AG 2005, 736.

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§ 3 Organisationsverfassung

vertreter dürfen von einer in dem Unternehmen vertretenen Gewerkschaft (§ 7 Abs. 4 MitbestG) entsandt sein (§ 7 Abs. 2 MitbestG 1976: 2 von 6, 2 von 8 bzw. 3 von 10 Arbeitnehmervertretern). Die aus dem Unternehmen stammenden Arbeitnehmervertreter müssen die in dem Unternehmen tätigen Angestellten einschließlich der leitenden Angestellten und Arbeiter entsprechend ihrem Zahlenverhältnis repräsentieren; mindestens muss je ein Angestellter, ein leitender Angestellter und ein Arbeiter darunter sein (§ 15 Abs. 2 MitbestG). Das verfassungsrechtlich garantierte Grundrecht auf Eigentum seitens der Anteilseignerseite (Art. 14 GG) wird dabei nach Ansicht des BVerfG dadurch ausreichend geschützt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende bei Stimmengleichheit von der Anteilseignerseite gestellt wird (§ 27 Abs. 2 Satz 2 MitbestG 1976) und er bei Pattsituationen ein „Zweitstimmrecht“ hat (§ 29 Abs. 2 Satz 1 MitbestG 1976).379) 3.161 Von diesem „Recht“ wird allerdings nur höchst selten Gebrauch gemacht, da schon seine bloße Existenz einen Zwang zur Einigung begründet. Andererseits stellt der mitbestimmte Aufsichtsrat ein gewisses Hemmnis für „feindliche Übernahmen“ dar, bei denen ein neuer Mehrheitsaktionär gegen oder jedenfalls ohne die Zustimmung des aktuellen Vorstands eine Gesellschaft über die Börse erwirbt; denn ein „Auswechseln des Vorstands“ ist in solchen Fällen selbst dann nicht ohne Weiteres möglich, wenn es gelungen ist, die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseignerseite mit eigenen Gefolgsleuten zu besetzen. 3.162 Nach § 4 Abs. 1 Montan-Mitbestimmungsgesetz ist in Kohle fördernden oder Eisen oder Stahl herstellenden Unternehmen mit regelmäßig mehr als eintausend Arbeitnehmern (§ 1 Montan-Mitbestimmungsgesetz) ein elfköpfiger Aufsichtsrat zu wählen, von dem je fünf Mitglieder seitens der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zu wählen sind. Unter diesen hat sich je ein unabhängiges „weiteres Mitglied“ zu befinden, das nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes oder einer Gewerkschaft sein darf. Darüber hinaus ist ein „Unabhängiger“ auf Vorschlag der übrigen Aufsichtsratsmitglieder seitens der Hauptversammlung zu wählen (§ 101 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 8 Abs. 1 Montan-Mitbestimmungsgesetz). Eine ähnliche Regelung findet sich in § 5 i. V. m. § 3 Mitbestimmungsergänzungsgesetz für solche herrschenden Unternehmen, zu denen in bestimmtem Umfang Unternehmen gehören, die der Montan-Mitbestimmung unterliegen. Diese strengsten Mitbestimmungsregelungen waren 1951 eingeführt worden, um die Zustimmung der Gewerkschaften zum Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zu sichern; nach dessen Vorgaben hätte ansonsten eine Entflechtung der Montanindustrie gedroht.380) 3.163 Nach § 1 Abs. 1 Drittelbeteiligungsgesetz381) (DrittelbG; früher § 76 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz 1952) muss schließlich in den übrigen Kapitalgesell___________ 379) BVerfGE 50, 290 („Mitbestimmungsurteil“). 380) Dazu Oetker, in: GroßK, AktG, vor MitbestG Rz. 6. 381) Hierzu Seibt, NZA 2004, 767.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

schaften der Aufsichtsrat zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen, sofern diese Gesellschaften in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer haben. Für Aktiengesellschaften, die vor dem 10. August 1994 in das Handelsregister eingetragen worden sind, gilt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG die Mitbestimmungsfreiheit wegen relativ geringer Beschäftigtenzahl allerdings nur dann, wenn es sich um „Familiengesellschaften“ handelt.382) Mit der nachträglichen Einführung der Grenze von 500 Arbeitnehmern in das BetrVG 1952 (dem Vorgänger des DrittelbG) wurde der lange Zeit bestehende „Wettbewerbsnachteil“ der Aktiengesellschaft gegenüber der GmbH beseitigt; denn bei der GmbH war auch zuvor schon die Bildung eines Aufsichtsrats nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 1952 nur dann vorgeschrieben, wenn sie mehr als 500 Arbeitnehmer hatte.383) Im Bereich der nach dem DrittelbG mitbestimmten GmbH ergeben sich allerdings 3.164 nach wie vor die größten Unterschiede zwischen Aktiengesellschaft und GmbH. Denn § 1 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 DrittelbG verweist nicht auf § 84 AktG, nach dem der Aufsichtsrat für die Bestellung von Vorstandsmitgliedern zuständig ist, so dass es für eine dem DrittelbG unterliegende GmbH bei der Bestellungskompetenz der Gesellschafterversammlung für die Geschäftsführer verbleibt.

Sowohl § 1 Abs. 4 MitbestG als auch § 1 Abs. 2 Nr. 2 DrittelbG stellen Tendenz- 3.165 unternehmen von der Mitbestimmung frei. Gleiches gilt nach Art. 8 Abs. 3 SERL;384) § 39 SEBG für die SE. Dabei handelt es sich um solche Unternehmen, die ein politisches, koalitionspolitisches (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände), konfessionelles, karitatives, erzieherisches (Schulen, Internate), wissenschaftliches (Forschungsinstitute, Universitäten) oder künstlerisches Ziel verfolgen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen (Presse). Schüttet aber eine Aktiengesellschaft, die Krankenhäuser für fast ausschließlich so- 3.166 zialversicherte Personen betreibt, Dividenden aus, verliert sie das Privileg des Tendenzunternehmens.385)

Für die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat enthalten die Mitbe- 3.167 stimmungsgesetze ausführliche Sonderregelungen. Wegen der komplizierten ___________ 382) Zur Verfassungskonformität der Fortgeltung der alten Regeln für am 10.8.1994 eingetragene sog. Alt-Aktiengesellschaften unter dem Gesichtspunkt der „Stichtagsregelung“ BVerfG, Zweite Kammer des Ersten Senats (Beschl. v. 9.1.2014 – I BvR 2344/11), ZIP 2014, 464 (Ehlebracht AG) = EWiR 2014, 239 (Büdenbender). 383) Zu dieser Gesetzesänderung durch Art. 2 des „Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“ v. 2.8.1994 (BGBl. I, 1961) Mertens, KK, § 96 AktG Rz. 13; Seibert/Köster, Die kleine AG (2. Aufl. 1995), Rz. 378 ff. 384) Der deutsche Gesetzgeber beruft sich für die Zulässigkeit der nationalen Regelung auf diese Norm (BT-Drucks. 15/3405, S. 56). Das ist freilich zweifelhaft: Denn Art. 8 SE-RL betrifft nur „Verschwiegenheit und Geheimhaltung“, so dass dessen Absatz 3 zumindest nach dem systematischen Zusammenhang nur eine Freistellung von diesen Vorgaben erlauben dürfte, nicht aber von der gesamten Mitbestimmung. 385) BayObLG ZIP 1995, 1671 (Rhön-Klinikum) = WM 1996, 61 = NZA-RR 1996, 10 = EWiR § 1 MitbestG 1/95 (Däubler).

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§ 3 Organisationsverfassung

Regelungen, aus denen sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ergibt, sehen die §§ 98, 99 AktG ein besonderes Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor, in dem seine korrekte Zusammensetzung festgestellt werden kann. So erweitert § 250 Abs. 1 AktG die Gründe für die Nichtigkeit von Wahlen von Aufsichtsratsmitgliedern auf bestimmte Fälle von Verstößen gegen die Mitbestimmungsregelungen, und § 250 Abs. 2 AktG räumt Betriebsrat und Gewerkschaften die Parteifähigkeit zur Geltendmachung dieser Nichtigkeit eine. § 251 Abs. 1 AktG erklärt schließlich auch Mängel beim Zustandekommen von Wahlvorschlägen für die Arbeitnehmervertreter zu einem Grund, der die Anfechtung der Wahl begründend kann. Auch bei weiteren Fragen trägt das Recht der besonderen Stellung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat Rechnung. Müssen etwa Aufsichtsratsmitglieder nach § 104 AktG vom Gericht bestellt werden,386) ist das (grundsätzlich freie) Ermessen des Gerichts durch § 7 Abs. 2 MitbestG dahingehend eingeschränkt, dass dem Antrag der Gewerkschaft in personeller Hinsicht in aller Regel zu folgen ist.387) Im Falle einer Verkleinerung des Aufsichtsrats durch Satzungsänderung soll diese nach (zweifelhafter) Auffassung des OLG Dresden für den Rest ihrer Wahlperiode keine Auswirkungen auf das Mandat der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben.388) bb)

Europäische Aktiengesellschaft

3.168 In welchem Umfang eine Europäische Aktiengesellschaft der unternehmerischen Mitbestimmung unterliegt, wie sie in Europa in unterschiedlicher Ausprägung außer in Deutschland in Österreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden bekannt ist, ist Gegenstand der ergänzenden SE-Richtlinie und des SE-Beteiligungsgesetzes. Beide normieren dabei – anders als die sonstigen gesellschaftsrechtlichen Regelungen – nicht nur die Beteiligungsrechte und das – verfahren für Arbeitnehmer bei inländischen SE-Gründungen, sondern auch die Mitwirkung der inländischen Arbeitnehmer bei SE-Gründungen im Ausland (Art. 12 Abs. 1 SE-RL; § 3 Abs. 1 Satz 2 SEBG). Ausgangspunkt ist dabei der Grundsatz der Besitzstandswahrung, also der Beibehaltung der Mitbestimmung in ihrer bisherigen Form („Vorher-Nachher-Prinzip“; Erwägungsgrund der SE-RL Nr. 7; § 1 Abs. 1 SEBG). Die gesetzlichen Regelungen berücksichtigen daher weder, dass durch natürliches Wachstum (insbesondere durch Einstellung von Arbeitnehmern) bei einer vergleichbaren nationalen Ge___________ 386) Was vor Eintragung der Gesellschaft selbst bei einer mitbestimmungspflichtigen Gesellschaft nicht möglich ist: BayObLG ZIP 2000, 1445 = NZG 2000, 932 = NJW-RR 2000, 1482 = EWiR § 52 GmbHG 1/01, 21 (Kort). 387) BayObLG NJW-RR 1998, 330 = NZA-RR 1998, 305 = ZIP 1997, 1883 = EWiR § 104 AktG 1/98, 97 (Junker/Schnelle) (aber Auswahlmöglichkeit bei Vorliegen verschiedener Anträge konkurrierender Gewerkschaften). 388) OLG Dresden ZIP 1997, 589 = EWiR § 95 AktG 1/97, 435 (Dreher); krit. Hirte, NJW 1999, 179, 187.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

sellschaft eine Ausdehnung der Mitbestimmung hätte stattfinden können, noch, dass im spiegelbildlichen Fall eine Mitbestimmung im Extremfall sogar entfallen könnte.389) Das könnte – so wurde anfangs befürchtet – für deutsche Unternehmen zu Wettbewerbsnachteilen führen.390) Die Bedeutung des Vorher-Nachher-Grundsatzes wird noch dadurch unterstrichen, dass europäischer und nationaler Gesetzgeber ausdrücklich anordnen, dass eine SE nicht dazu missbraucht werden dürfe, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten (Art. 11 SE-RL; § 43 SEBG, in Deutschland sogar strafbewehrt durch § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG).391) Zunächst haben Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretung aber die 3.169 Möglichkeit, sich im Wege der Verhandlung auf ein den Besonderheiten der konkreten SE angemessenes Mitbestimmungsmodell zu einigen, ohne an die gesetzlichen Lösungen in bestimmten Staaten gebunden zu sein (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SEBG; Erwägungsgrund der SE-RL Nr. 8). Ziel der Verhandlungen ist eine schriftliche Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE (Art. 3 Abs. 3 UA 1 SE-RL; §§ 4 Abs. 1 Satz 2, 13 Abs. 1 Satz 1 SEBG). Zu diesem Zweck sind die Arbeitnehmer bzw. ihre Vertreter von den Leitungen der an einer SE-Gründung beteiligten Gesellschaften über die beabsichtigte SEGründung zu informieren (Art. 3 Abs. 3 UA 2 SE-RL; § 4 Abs. 2 SEBG). Die zu treffende Vereinbarung hat bezüglich der unternehmerischen Mitbestimmung den Umfang der Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan der SE sowie deren Wahlverfahren festzulegen (Art. 4 Abs. 2 g SE-RL; § 21 Abs. 3 SEBG). Sie hat aber darüber hinaus auch die Aufgabe, die Art und Weise der betrieblichen Mitbestimmung näher auszugestalten, was im hier im Vordergrund stehenden gesellschaftsrechtlichen Zusammenhang nur angerissen werden soll (Art. 4 Abs. 2 a – f SE-RL; § 21 Abs. 1 SEBG; zum einheitlichen Mitbestimmungsbegriff im Recht der SE Art. 2 h SE-RL; § 2 Abs. 8 SEBG). Möglich ist dabei auch, den Inhalt der noch darzustellenden Auffangregelung (unten Rz. 3.172) ausdrücklich zum Gegenstand der Vereinbarung zu machen (Art. 4 Abs. 3 SE-RL; § 21 Abs. 5 SEBG). Im Falle einer SE-Gründung durch Formwechsel darf die Vereinbarung aber nicht zu einer Verschlechterung des status quo bei den Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer führen (Art. 4 Abs. 4 SE-RL; § 21 Abs. 6 SEBG). Streitig ist, wie bei der Eintragung arbeitnehmerloser Gesellschaften zu verfahren ist: Richtigerweise muss hier die Arbeitnehmerbeteiligung nach den für Strukturänderungen geltenden Grundsätzen dann nachgeholt werden, wenn erstmalig Arbeitnehmer eingestellt ___________ 389) Krause, BB 2005, 1221, 1227; Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195, 197 f. 390) Hirte, NZG 2002, 1, 6; ebenso bereits Ulmer, FAZ v. 28.4.2001, Nr. 99 S. 23. 391) Zur Reichweite des Missbrauchsverbots Drinhausen/Keinath, BB 2011, 2699.

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§ 3 Organisationsverfassung

werden;392) eine Verweigerung der Eintragung wegen Missbrauchsverdachts393) kommt demgegenüber nicht in Betracht. 3.169a Gegenstand der Vereinbarung kann insbesondere eine Regelung über den Umfang der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichts- oder Verwaltungsrat sein. Dazu gehört auch die Festlegung der absoluten Zahl der Sitze des Aufsichts- oder Verwaltungsrats, da diese für die SE im Gegensatz zur nationalen Aktiengesellschaft nicht zwingend vorgeschrieben ist.394) Denkbar ist es auch, die Beteiligung der Arbeitnehmer in einem anderen als den von Gesetzes wegen vorgesehenen Gesellschaftsorganen zu verwirklichen; dafür spricht aus Arbeitnehmersicht etwa das auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsrat treffende Haftungsrisiko nach Art. 51 SE-VO (dazu oben Rz. 3.79).395) Mit Blick auf die Funktion der gesetzlichen Regelungen als lediglich den status quo fortschreibend (oben Rz. 3.168) ist es auch möglich, Anpassungen der Vereinbarung für den Fall einer Veränderung der Arbeitnehmerzahl vorzusehen. Aus Sicht der Arbeitnehmer werden die Verhandlungen allerdings durch die noch darzustellende „Auffangregelung“ (unten Rz. 3.172) „abgefedert“, hinter die sie im Normalfall nicht zurückfallen können.396) Zugunsten der Unternehmensleitungen dagegen wirkt die von Gesetzes wegen begrenzte Verhandlungsfrist, nach deren Ablauf eine SE auch ohne Zustandekommen einer Vereinbarung eingetragen werden kann (unten Rz. 3.171a). 3.169b Zur Vorbereitung der Vereinbarung ist im Rahmen der SE-Gründung ein „besonderes Verhandlungsgremium“ der Arbeitnehmer zu schaffen, in dem die Arbeitnehmer aller an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten angemessen vertreten sein müssen (Art. 3 Abs. 2 SE-RL; konkretisiert in § 5 SEBG).397) Die persönlichen Wählbarkeitsvoraussetzungen regelt § 6 SEBG (mit der „Ermächtigung“ durch Art. 3 Abs. 2 SE-RL); wichtig ist, dass jedes dritte Mitglied des Gremiums ein Gewerkschaftsvertreter ist, wenn das Gremium drei oder mehr Mitglieder hat (§ 6 Abs. 3 SEBG; ausdrück___________ 392) OLG Düsseldorf ZIP 2009, 918, 919 f. = EWiR Art. 12 SE-VO 1/09, 489 (Giedinghagen/ Rubner). 393) So aber LG Hamburg BB 2005, 2775 = ZIP 2005, 2017 = EWiR Art. 12 SE-VO 1/05, 905 (Noack). 394) Sehr umstritten. – Befürwortend etwa LG Nürnberg-Fürth ZIP 2010, 372, 373; Krause, BB 2005, 1221, 1226 und 1227; Seibt, AG 2005, 413, 422 f.; abl. dagegen Feuerborn, KK, § 21 SEBG Rz. 51 f.; Habersack, AG 2006, 345, 346 f.; ders., ZHR 171 (2007), 613, 632 – 634; Kiem, Konzern 2010, 275, 279, jew. m. w. N. 395) Die Frage, welche Inhalte die Verhandlungsparteien vereinbaren können – insbesondere in Abgrenzung zur Kompetenz des Satzungsgebers – ist äußerst umstritten; zum Meinungsstand Kiem, Konzern 2010, 275, 276 – 278; früher ausführlich zum Inhalt möglicher Vereinbarungen Seibt, AG 2005, 413, 422 ff. 396) Krause, BB 2005, 1221, 1222; Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195, 196; Oetker, in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 277, 299 f. 397) Einzelheiten bei Krause, BB 2005, 1221, 1224.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

lich zugelassen durch Art. 3 Abs. 2 SE-RL).398) Das besondere Verhandlungsgremium wird seinerseits durch ein „Wahlgremium“ gewählt, das in Deutschland aus dem Konzernbetriebsrat, den Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats bzw. den Mitgliedern der einzelnen Betriebsräte besteht (§ 8 SEBG). Das besondere Verhandlungsgremium beschließt mit der absoluten Mehrheit 3.169c seiner Mitglieder, sofern diese Mehrheit auch die absolute Mehrheit der Arbeitnehmer vertritt (Art. 3 Abs. 4 Satz 1 SE-RL; § 15 Abs. 2 Satz 1 SEBG). Hätte aber das Ergebnis der Verhandlungen eine Minderung der Mitbestimmungsrechte zur Folge, so ist für die Billigung einer solchen Vereinbarung eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder des Verhandlungsgremiums erforderlich, die mindestens zwei Drittel der beteiligten Arbeitnehmer vertreten müssen; die vertretenen Arbeitnehmer müssen zudem aus mindestens zwei Mitgliedstaaten stammen, wenn sich bei einer durch Verschmelzung zu gründenden SE die Mitbestimmung auf mindestens 25 % aller Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften erstreckt oder wenn sich bei einer als HoldingSE oder Tochter-SE zu gründenden SE die Mitbestimmung auf mindestens 50 % aller Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften erstreckt (Art. 3 UA 2 SE-RL; § 15 Abs. 3 SEBG). Beispiel: Stellt bei der SE-Gründung durch Verschmelzung unter Beteiligung einer deutschen mitbestimmten Aktiengesellschaft diese mindestens 25 % der Arbeitnehmer in der zu gründenden SE und votieren die deutschen Arbeitnehmervertreter für die Beibehaltung der deutschen Mitbestimmung, dann muss der Arbeitnehmeranteil der ausländischen Partner mehr als zwei Drittel betragen und auf mindestens zwei Mitgliedstaaten verteilt sein, wenn ihre Vertreter eine Minderung der Mitbestimmungsrechte oder den Verzicht hierauf durchsetzen wollen.399)

3.170

„Minderung“ der Mitbestimmungsrechte bedeutet dabei, dass die Zahl der Ar- 3.171 beitnehmervertreter im Aufsichtsrat gegenüber dem höchsten in den beteiligten Gesellschaften geltenden Anteil sinkt (Art. 3 Abs. 4 UA 3 SE-RL; § 15 Abs. 4 SEBG). Im Falle der SE-Gründung durch formwechselnde Umwandlung ist allerdings ein die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer mindernder Beschluss des besonderen Verhandlungsgremiums vollständig ausgeschlossen (Art. 4 Abs. 4 SE-RL; § 15 Abs. 5 SEBG). Das besondere Verhandlungsgremium hat als Erstes die Option, mit der schon 3.171a angesprochenen qualifizierten Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder eine Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses einer Vereinbarung abzulehnen oder bereits aufgenommene Verhandlungen abzubrechen. In diesem Fall wird das Verfahren beendet, und es kommen auch nicht die gesetzlichen Auffangregelungen der SE-RL bzw. des SEBG für die betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung zum Tragen (Art. 3 Abs. 6 UA 1 SE___________ 398) Zu europarechtlichen Bedenken Krause, BB 2005, 1221, 1225. 399) Beispiel nach Ulmer, FAZ v. 28.4.2001, Nr. 99 S. 23.

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§ 3 Organisationsverfassung

RL; § 16 Abs. 1 und 2 SEBG). Eine eventuelle betriebliche Mitbestimmung nach dem nationalen Recht des Sitzstaats oder nach anderen europäischen Vorschriften bleibt aber erhalten (Art. 3 Abs. 6 UA 1 Satz 1 SE-RL; § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SEBG).400) Ausgeschlossen ist die Möglichkeit eines Abbruchs der Verhandlung oder der Verweigerung ihrer Aufnahme nur für eine SEGründung durch formwechselnde Umwandlung (Art. 3 Abs. 6 UA 3 SE-RL; § 16 Abs. 3 SEBG). Im Übrigen können die Verhandlungen weitergeführt und – je nach Veränderung der bisherigen Lage – mit den beiden beschriebenen Mehrheiten zum Abschluss gebracht werden. Dafür sieht das Gesetz einen Zeitraum von sechs Monaten vor, der im Einverständnis der Verhandlungspartner auf ein Jahr verlängert werden kann (Art. 5 SE-RL; § 20 SEBG). Nach Ablauf dieses Zeitraums kann die SE eingetragen werden, auch ohne dass eine Vereinbarung zustande gekommen ist (Art. 12 Abs. 2 SE-VO; dazu auch oben Rz. 2.12). 3.172 Scheitern die Verhandlungen (ohne dass ein Fall von Art. 3 Abs. 6 SE-RL; § 16 SEBG vorliegt) oder werden sie nicht in der vorgenannten Frist beendet, kommt die in jedem EU-Staat vorzusehende Auffangregelung zum Tragen, wenn die Gesellschaftsorgane aller beteiligten Gesellschaften gleichwohl das Eintragungsverfahren fortsetzen; Gleiches gilt – wie erwähnt (oben Rz. 3.169) – wenn die Parteien ausdrücklich die Geltung der Auffangregelung vereinbaren (Art. 7 Abs. 1 UA 1 SE-RL; § 22 Abs. 1 SEBG). Das führt in jedem Fall zur Anwendung der Vorschriften über den SE-Betriebsrat kraft Gesetzes (§§ 23 – 33 SEBG), der an die Stelle eines etwaigen Europäischen Betriebsrats tritt (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 SEBG). Darüber hinaus kann es unter den weiteren Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 SE-RL zu einer Erhaltung des vor der SE-Gründung geltenden Mitbestimmungsregimes kommen (Art. 7 Abs. 1 UA 1 SE-RL; Anhang SERL Teil 3; § 1 Abs. 2 Satz 2, §§ 22 Abs. 1, 34 Abs. 1 SEBG). Im Falle einer SEGründung durch Formwechsel gilt danach eine etwa bestehende Mitbestimmungsregelung in jedem Falle fort (Art. 7 Abs. 7 SE-RL; §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1 SEBG). Bei einer SE-Gründung durch Verschmelzung erstreckt sich eine bestehende Mitbestimmungsregelung auch auf die neue SE, wenn für ein Viertel der Arbeitnehmer bislang Mitbestimmung bestand; wenn weniger als ein Viertel der Arbeitnehmer der zu gründenden SE einer Mitbestimmungsregelung unterlag, unterliegt die SE keiner Mitbestimmung, es sei denn, die absolute Mehrheit der Arbeitnehmervertreter beschließt deren Fortbestand (Art. 7 Abs. 2 b SE-RL; § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG). Bei Gründung einer Holding-SE oder einer Tochter-SE gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Verschmelzung; aber der Grundsatz der Besitzstandswahrung greift erst, wenn 50 % der Arbeitnehmer einem Mitbestimmungsregime unterlagen; unterhalb ___________ 400) Köstler, DStR 2005, 745, 747; Krause, BB 2005, 1221, 1225; Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195, 196 Fn. 6.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

dieser Grenze kann das besondere Verhandlungsgremium auch hier einen Beschluss über den Fortbestand der Mitbestimmung fassen (Art. 7 Abs. 2 c SERL; § 34 Abs. 1 Nr. 3 SEBG). Über die Art des dann geltenden Mitbestimmungssystems beschließt in erster Linie das besondere Verhandlungsgremium; hilfsweise gilt auch insoweit eine Auffangregelung (Art. 7 Abs. 2 UA 2 SE-RL; § 34 Abs. 2 SEBG). Die Zahl der in diesen Fällen seitens der Arbeitnehmer zu wählenden oder zu bestellenden Vertreter im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan der SE bestimmt sich nach dem höchsten maßgeblichen Anteil in den beteiligten Gesellschaften vor Eintragung der SE (Anhang SE-RL Teil 3 b UA 1; § 35 Abs. 2 Satz 2 SEBG). Das soll nach nicht umstrittener Auffassung auch für die monistische Verfassung gelten, so dass im hier einheitlichen Verwaltungsorgan unter Umständen sogar eine Parität zwischen Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer bestehen kann;401) § 35 Abs. 3 SEAG trägt dem – zumindest teilweise – Rechnung (siehe unten Rz. 3.120b). Die Sitze sind durch den SEBetriebsrat nach dem Anteil der aus den verschiedenen Gründungsstaaten stammenden Arbeitnehmer zu verteilen (Anhang SE-RL Teil 3 UA 3; § 36 SEBG). Allerdings: die absolute Zahl der zur Verfügung stehenden Sitze wird im Bereich der Auffangregelung anders als nach nationalem Mitbestimmungsrecht ausschließlich durch die Satzung bestimmt.402) § 38 Abs. 1 SEBG stellt die Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsrat entsprechend dem nationalen Recht (dazu unten Rz. 3.186) den Vertretern der Anteilseigner gleich; und § 38 Abs. 3 SEBG „rettet“ sogar die Montan-Mitbestimmung durch Pflicht zur Bestellung eines „Unabhängigen“ in die Auffangregelung.403) Das Eingreifen der Auffangregelung hat schließlich auch Auswirkungen auf die 3.172a Ausgestaltung der Leitung der SE. Nach § 38 Abs. 2 SEBG sind nämlich in diesem Fall bei dualistischer Verfassung mindestens zwei Vorstandsmitglieder zu bestellen, von denen eines für den Bereich Arbeit und Soziales zuständig sein muss, bei monistischer Verfassung mindestens zwei Geschäftsführende Direktoren, unter denen wiederum einer für Arbeit und Soziales verantwortlich sein muss (dazu auch unten Rz. 3.211a f.). Bei Gründung einer SE mit erheblicher deutscher Beteiligung gilt daher in aller 3.173 Regel die deutsche Mitbestimmungsregelung fort, sofern nicht Gesellschaften ___________ 401) Zum Meinungsstand, insbesondere in Hinblick auf die teilweise angenommene Richtlinienund Verfassungswidrigkeit einer Übertragung der paritätischen Mitbestimmung auf die monistische SE, Feuerborn, KK, § 35 SEBG Rz. 21-28; Köstler, ZGR 2003, 800, 804; DStR 2005, 745, 748; Krause, BB 2005, 1221, 1228; MünchKomm-Jacobs, § 35 SEBG Rz. 16 – 25a; abw. der noch im Vorfeld des Inkrafttretens des SEBG entwickelte Ansatz von Teichmann, BB 2004, 53, 56 (Parität bezogen auf nicht geschäftsführende Verwaltungsratsmitglieder). 402) Krause, BB 2005, 1221, 1226; Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195, 197 (unter Hinweis darauf, dass das auch im Falle des Formwechsels gilt). 403) Kritisch hierzu (wegen angeblichen Verstoßes gegen Art. 42, 45 SE-VO) Krause, BB 2005, 1221, 1228.

211

§ 3 Organisationsverfassung

aus EU-Ländern ohne Mitbestimmung dominierende Partner einer SE-Gründung sind. Unterliegt keine der an einer Gründung beteiligten Gesellschaften der Mitbestimmung, bleibt nach der Auffangregelung auch die zu gründende SE mitbestimmungsfrei, was aber nicht ausschließt, dass sich Arbeitnehmerund Anteilseignervertreter gleichwohl auf (irgendeine) Mitbestimmungsregelung einigen. Insgesamt bestehen damit für den möglicherweise wichtigsten Fall der SE-Gründung (durch Verschmelzung)404) die höchsten Hürden, eine bestehende Mitbestimmungsregelung nicht beizubehalten. Die genannten Vorgaben zwingen im Übrigen auch Staaten, die bislang in ihrem nationalen Recht keine Mitbestimmungsregelung kannten, zumindest zur Kodifikation entsprechender Auffangregelungen.405) 3.173a Als Ausweg wird die Gründung einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE angesehen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt operativ tätig wird; im Zeitpunkt der Gründung soll bei einer solchen Gesellschaft auf eine Mitbestimmungsvereinbarung wegen fehlender Arbeitnehmer verzichtet werden können.406) c)

Organisation

aa)

Leitung und Beschlussfassung

3.174 Vorgaben für die Binnenorganisation des Aufsichtsrats enthält § 107 AktG. Danach hat der Aufsichtsrat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und (mindestens) einen (Abwesenheits-)Stellvertreter zu wählen (§ 107 Abs. 1 AktG). In mitbestimmten Aktiengesellschaften erfolgt die Wahl des Vorsitzenden im ersten Wahlgang mit einer Zweidrittelmehrheit der Aufsichtsratsmitglieder (§ 27 Abs. 1 MitbestG), was den Zwang zu einer Einigung auf eine beiden Seiten genehme Person erhöht. Kandidatenvorschläge für den Aufsichtsratsvorsitz sollen den Aktionären nach Nr. 5.4.3 DCGK (Neufassung 2005) bekannt gegeben werden. Zudem empfiehlt Nr. 5.4.4 DCGK (Neufassung 2005), dass ein Wechsel des bisherigen Vorstandsvorsitzenden oder eines Vorstandsmitglieds in den Aufsichtratsvorsitz oder den Vorsitz eines Aufsichtsratsausschusses nicht die Regel sein soll und eine entsprechende Absicht der Hauptversammlung besonders begründet werden soll. Dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats obliegt neben der Einberufung des Aufsichtsrats vor allem die Leitung seiner Sitzungen. Vorsitzender und sein(e) Stellvertreter werden als „Präsidium“ bezeichnet. Auch das ___________ 404) Ebenso Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195, 196 sowie bereits die Einschätzung von Ulmer, FAZ v. 21.3.2001, Nr. 68 S. 30; ders., FAZ v. 28.4.2001, Nr. 99 S. 23. 405) Siehe bereits Ulmer, FAZ v. 28.4.2001, Nr. 99 S. 23. 406) Für Zulässigkeit dieses Vorgehens AG Düsseldorf (Vfg. v. 16.1.2006 – HRB 52618), ZIP 2006, 287; ebenso AG München (Vfg. v. 29.3.2006 – HRB 159649), ZIP 2006, 1300 (Startz); Kiem, KK, Art. 12 SE-VO Rz. 24, 42, 52 f.; Seibt, ZIP 2006, 2248; abw. AG Hamburg und LG Hamburg BB 2005, 2775 = ZIP 2005, 2017 = EWiR Art. 12 SE-VO 1/05, 905 (Noack); MünchKomm-C. Schäfer, Art. 16 SE-VO Rz. 12 f.; teilweise abw. auch Schubert, ZESAR 2006, 340.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

Aufsichtsorgan einer SE hat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden zu wählen (Art. 42 Satz 1 SE-VO), der im Falle hälftiger Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder durch die Arbeitnehmer zu den von der Hauptversammlung gewählten Mitgliedern des Aufsichtsorgans gehören muss (Art. 42 Satz 2 SE-VO). Das Abstimmungsverfahren innerhalb des Aufsichtsrats regelt § 108 AktG. 3.175 Nach dessen Absatz 1 entscheidet der Aufsichtsrat durch Beschluss. Ein Beschluss ist dabei – ohne dass dies ausdrücklich gesetzlich geregelt wäre – gefasst, wenn sich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen für einen Antrag ausspricht. Im Übrigen können abwesende Aufsichtsratsmitglieder ihre Stimmen schriftlich übergeben lassen (§ 108 Abs. 3 AktG). Auch Videokonferenzen und ähnliche Formen der Beschlussfassung sind seit Verabschiedung des NaStraG möglich, wenn entweder Satzung oder Geschäftsordnung dies vorsehen oder kein Aufsichtsratsmitglied widerspricht (§ 108 Abs. 4 AktG n. F.). Regelungen über die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats können außerhalb der gesetzlichen Vorgaben nur durch die Satzung getroffen werden (§ 107 Abs. 2 AktG). Die Einberufung zum Aufsichtsrat obliegt im Normalfall, ohne dass dies ge- 3.176 setzlich geregelt wäre (§ 110 AktG regelt nur Sonderfälle der Einberufung), seinem Vorsitzenden. Der Aufsichtsratsvorsitzende kann daneben eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung einberufen, wenn die Lage des Unternehmens dies geboten erscheinen lässt. Schließlich gibt § 110 Abs. 1 AktG jedem Aufsichtsratsmitglied und dem Vorstand das Recht, vom Aufsichtsratsvorsitzenden die Einberufung des Gesamtaufsichtsrats zu verlangen; nach § 110 Abs. 2 AktG (in der durch das TransPuG eingeführten n. F.) kann sodann jedes Aufsichtsratsmitglied, dessen Verlangen nach Einberufung des Aufsichtsrats nach § 110 Abs. 1 AktG nicht entsprochen wurde, auf der Grundlage eines „Ersatzeinberufungsrechts“ „unter Mitteilung des Sachverhalts und [neu:] der Angabe einer Tagesordnung selbst den Aufsichtsrat einberufen“. Um seine Überwachungsaufgaben wirksam wahrnehmen zu können, bestimmt 3.177 § 110 Abs. 3 AktG in der durch das TransPuG erneut verschärften Fassung, dass er zwei Sitzungen pro Kalenderhalbjahr abhalten muss (§ 110 Abs. 3 Satz 1 AktG n. F.). In nicht börsennotierten Gesellschaften kann der Aufsichtsrat aber beschließen, dass (nur) eine Sitzung im Kalenderhalbjahr abzuhalten ist (§ 110 Abs. 3 Satz 2 AktG n. F.). Diese Tagungsfrequenzen liegen deutlich unter der bei boards nach anglo-amerikanischem Modell üblichen Zahl. Indirekt wird bei börsennotierten Gesellschaften die Intensität der Aufsichtsratsarbeit aber dadurch gefördert, dass der Aufsichtsrat bei diesen Gesellschaften verpflichtet ist, in seinem an die Hauptversammlung gerichteten Bericht über die Zahl seiner Sitzungen zu berichten (§ 171 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 AktG). Nr. 5.4.8 (ex 5.4.6) DCGK empfiehlt zudem einen Vermerk im Bericht des Aufsichtsrats, wenn ein Mitglied an weniger als der Hälfte der Sitzungen des Aufsichtsrats teilgenommen hat. Die Sitzungen des Aufsichtsrats müssen – wie es seit Inkrafttreten des TransPuG heißt – „abgehalten“ werden; der Aufsichtsrat muss 213

§ 3 Organisationsverfassung

also nicht mehr „zusammentreten“. Damit kann – zumindest nach dem Gesetz – auch durch Telefon- und Videokonferenzen das Sitzungserfordernis erfüllt werden.407) Nach der in ihrer Bedeutung noch kaum abzuschätzenden Empfehlung 5.6 DCGK soll der Aufsichtsrat schließlich regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit prüfen. 3.178 Der Aufsichtsrat selbst (in seiner Geschäftsordnung) oder die Satzung müssen (bis zum Inkrafttreten des TransPuG nur „können“) festlegen, dass bestimmte Arten von Geschäften der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG); zu diesen von einer Aufsichtsratszustimmung abhängigen Geschäften sollten nach Vorstellung der Regierungskommission Corporate Governance, auf die der Vorschlag zurückgeht,408) Entscheidungen oder Maßnahmen gehören, die die Ertragsaussichten der Gesellschaft oder ihre „Risikoexposition“ grundlegend verändern (ähnlich Empfehlung 3.3. DCGK).409) Verweigert der Aufsichtsrat seine Zustimmung, kann der Vorstand die Entscheidung der Hauptversammlung über die Zustimmung verlangen (§ 111 Abs. 4 Satz 3 AktG). Bei einer Europäischen Aktiengesellschaft sind in der Satzung die Geschäfte festzulegen, für die der Aufsichtsrat dem Leitungsorgan zustimmen muss (Art. 48 Abs. 1 UA 1 SE-VO). Wenn der Mitgliedstaat dies erlaubt, kann das Aufsichtsorgan aber auch selbst bestimmte Arten von Geschäften von seiner Zustimmung abhängig machen (Art. 48 Abs. 1 UA 2 SE-VO). Deutschland hat in Form von § 19 SEAG eine solche Regelung geschaffen; das entspricht § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG in seiner Neufassung durch das TransPuG. Und die Mitgliedstaaten haben in jedem Fall die Möglichkeit, für die in ihrem Hoheitsgebiet eingetragenen SE festzulegen, „welche Arten von Geschäften auf jeden Fall in die Satzung aufzunehmen“ (Art. 48 Abs. 2 SE-VO), was wohl heißen soll „zustimmungsbedürftig“ sind. Da der deutsche Gesetzgeber für das nationale Recht hier keine Konkretisierung vorgenommen hat, ist eine solche Regelung aber speziell für Europäische Aktiengesellschaften mit Sitz in Deutschland nicht erlaubt. Im Übrigen finden sich für die Binnenorganisation der SE keine zwingenden Vorgaben, so dass etwa die Bildung von Aufsichts___________ 407) Begr RegE zu § 110 Abs. 3 AktG n. F., BT-Drucks. 14/8769 = NZG 2002, 213, 221; Ihrig/ Wagner, BB 2002, 789, 794; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1274; Seibert, NZG 2002, 608, 610; zu den Grenzen dieser Regelung Hirte, TransPuG, Rz. I 53. 408) Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance. Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts (2001), Rz. 34 – 35. 409) Begr RegE zu § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG n. F., BT-Drucks. 14/8769 = NZG 2002, 213, 222; Götz, NZG 2002, 599, 603 (der zugleich und zu Recht die geforderte „grundlegende Veränderung“ nicht erst dann als erfüllt ansieht, wenn es um existenzbedrohende Fragen geht, sondern bereits dann, wenn Maßnahmen „herausragender Bedeutung“ zu entscheiden sind); Schwark, in: Hommelhoff/Lutter/Karsten Schmidt/Schön/Ulmer (Hrsg.), Corporate Governance. Gemeinschaftssymposion der Zeitschriften ZHR/ZGR, ZHR-Beiheft 71 (2002), S. 75, 92 ff.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

ratsausschüssen für eine „deutsche SE“ unbedenklich ist; Art. 50 SE-VO enthält nur satzungsdispositive Regelungen zu Beschlussfähigkeit und -fassung. Im Gegensatz zur Hauptversammlung (vgl. jetzt § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG) 3.179 wird dem Aufsichtsrat eine Geschäftsordnungskompetenz nirgendwo ausdrücklich eingeräumt; sie steht ihm gleichwohl zu, auch wenn von ihr nur selten Gebrauch gemacht wurde.410) Inzwischen empfiehlt Nr. 5.1.3 DCGK aber sogar eine Geschäftsordnung. Durch eine vom Aufsichtsrat erlassene Geschäftsordnung darf im mitbestimmten Aufsichtsrat das gesetzliche Übergewicht der Anteilseignerseite aber nicht ausgedehnt, sondern nur abgesichert werden.411) Im Gegensatz zu Beschlüssen der Hauptversammlung (dazu unten Rz. 3.279 ff.) 3.180 sollen rechtswidrige Beschlüsse des Aufsichtsrats immer nichtig sein. Zwischen (bloß) anfechtbaren und nichtigen Beschlüssen wird daher nicht unterschieden. Daher kann jedes Aufsichtsratsmitglied gegen die Gesellschaft Klage auf Feststellung der Nichtigkeit erheben, deren Zulässigkeit aber bei weniger schwer wiegenden Mängeln mit zunehmendem Zeitablauf verwirkt sein kann.412) Jedenfalls in den Fällen, in denen die Verwaltung wie bei der Ausnutzung einer Ermächtigung zur Kapitalerhöhung kraft delegierter Entscheidungsmacht der Hauptversammlung entscheidet, sollten die Regeln über Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage aber entsprechend angewandt werden.413) Häufig tagt der Aufsichtsrat gemeinsam mit dem Vorstand. Um seine Kon- 3.181 trollaufgabe effektiv wahrnehmen zu können, regt der DCGK in seiner Nr. 3.6 an, dass der Aufsichtsrat bei Bedarf auch ohne den Vorstand tagen sollte. In mitbestimmten Aufsichtsräten können (früher: sollten) die Vertreter der Aktionäre und der Arbeitnehmer zudem nach Nr. 3.6 DCGK die Sitzungen des Aufsichtsrats jeweils gesondert, gegebenenfalls mit Mitgliedern des Vorstands, vorbereiten. In Ermangelung einer entsprechenden Rechtsgrundlage hat der Aufsichtsrat nicht die Befugnis, eines seiner Mitglieder von den Sitzungen auszuschließen. Ohne dieses Mitglied gefasste Beschlüsse sind daher nichtig.414) bb)

Organklagen des Aufsichtsrats

Nur wenig geklärt ist, in welchem Umfang Organklagen der Organe und ein- 3.182 zelner Organmitglieder gegeneinander zulässig sind. Dies ist unproblematisch, solange das Gesamtorgan die ihm zugewiesenen Rechte gegen ein anderes Or___________ 410) Dazu Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 254 m. w. N. 411) BVerfGE 50, 290, 324; Raiser/Veil, KapGesR, § 15 Rz. 63. 412) BGHZ 122, 342 = ZIP 1993, 1079 = NJW 1993, 2307 = EWiR § 25 MitbestG 1/93, 809 (Rittner); abw. OLG Hamburg ZIP 1992, 1310, 1313 f. = EWiR § 243 AktG 1/92, 421 (Bork); Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 206 ff.; Raiser/Veil, KapGesR, § 15 Rz. 64 ff. 413) Dazu ausführlich Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 127 ff. 414) LG Mühlhausen ZIP 1996, 1660.

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§ 3 Organisationsverfassung

gan geltend macht (§ 90 Abs. 1 Satz 1 AktG). Dabei sind dem Aufsichtsrat allerdings (Leistungs- oder Unterlassungs-)Klagen gegen den Vorstand verwehrt, mit denen er versuchen will, in die alleinige Geschäftsführungskompetenz des Vorstandes (§ 76 Abs. 1 AktG) einzugreifen.415) Ebenso ist es schließlich unproblematisch, wenn einzelne Aufsichtsrats- oder Vorstandsmitglieder die ihnen persönlich zustehenden Rechte geltend machen wollen (etwa § 90 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 1 AktG). In beiden Fällen ist die allgemeine Leistungsklage bzw. die Feststellungsklage die richtige Klageart. 3.183 Einzelne Aufsichtsratsmitglieder haben aber nicht die Befugnis, die mögliche Rechtswidrigkeit einer Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstandes geltend zu machen. Auf diese Weise hatten die Arbeitnehmervertreter in (mitbestimmten) Aufsichtsräten versucht, auf gerichtlichem Wege ihre Beteiligungsrechte durchzusetzen oder zu verbessern. So hatten insbesondere die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Adam Opel AG versucht, die Ausgliederung der Datenverarbeitung aus der Aktiengesellschaft auf ein selbständiges Unternehmen („Outsourcing“) für unzulässig zu erklären.416) Den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern bleibt nur die Möglichkeit, einen entsprechenden Aufsichtsratsbeschluss herbeizuführen und diesen unter Umständen gerichtlich anzugreifen. cc)

Aufsichtsratsausschüsse

3.184 Zur Vorbereitung und Erleichterung seiner Arbeit kann der Aufsichtsrat nach § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG Ausschüsse bilden; das wird in Nr. 5.3.1 DCGK ausdrücklich empfohlen. Diese Ausschüsse haben in aller Regel nur beratende Funktion, können aber auch entscheidende Aufgaben zugewiesen bekommen. Bestimmte Aufgaben können einem Ausschuss nicht zur Entscheidung übertragen werden (vgl. § 107 Abs. 3 Satz 3 [früher Satz 2] AktG mit einer Aufzählung der Ausnahmen). Dazu dürfte – obwohl nicht ausdrücklich genannt – auch die Entscheidung über die Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG) gehören.417) Nach dem durch das TransPuG eingeführten § 107 Abs. 3 Satz 4 (früher Satz 3) AktG ist dem (Gesamt-)Aufsichtsrat regelmäßig über die Arbeit seiner Ausschüsse zu berichten. 3.185 Welche Ausschüsse gebildet werden, unterliegt dem Organisationsermessen des Gesamt-Aufsichtsrats. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Arbeit in Ausschüssen flexibler, effizienter, zeitnäher und – was vor allem bei Personal- und ___________ 415) So Grunewald, GesR, § 10 Rz. 102 f. (nur bei „offensichtlich unvertretbarem“ Verhalten des Vorstands); differenzierend Raiser/Veil, KapGesR, § 15 Rz. 5. 416) BGHZ 106, 54 = ZIP 1989, 23 = NJW 1989, 979 = EWiR § 111 AktG 1/89, 5 (Fleck) = LM § 90 AktG 1965 Nr. 1; ebenso OLG Celle ZIP 1989, 1552 (Pelikan) = NJW 1990, 582 = EWiR § 111 AktG 1/90, 117 (Raiser); dazu Bork, ZGR 1989, 1; Hirte, CR 1992, 193; Kort, AG 1987, 193; Raiser/Veil, KapGesR, § 15 Rz. 103 ff.; Raiser, AG 1989, 185; ders., ZGR 1989, 44; Stein, ZGR 1988, 163; Wilde, ZGR 1998, 423, 433 ff. 417) Überzeugend Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2570; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 257.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

Vergütungsfragen bedeutsam ist – auch diskreter vorgehen kann. Indirekt wird bei börsennotierten Gesellschaften die Bildung von Ausschüssen aber dadurch gefördert, dass der Aufsichtsrat bei diesen Gesellschaften verpflichtet ist, in seinem an die Hauptversammlung gerichteten Bericht über die gebildeten Ausschüsse und die Zahl ihrer Sitzungen zu berichten (§ 171 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 AktG). Üblicherweise werden vor allem ein Personalausschuss (zur Vorbereitung der Bestellung von Vorstandsmitgliedern und der Bestimmung ihrer Vergütung; dazu auch 5.1.2 DCGK) und – was sich heute aus § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG i. d. F. des BilMoG ergibt und früher schon indirekt aus § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG folgte – ein (Investitions- und) Finanzausschuss zur Analyse der Finanzlage und zur (Vor-)Prüfung des Jahresabschlusses gebildet (nach amerikanischem Vorbild „audit committee“). Seit der Neufassung des Kodex zum 14. Juni 2007 empfiehlt dieser – zurückgehend auf eine Empfehlung der EUKommission – in seiner Nr. 5.3.3 auch die Einrichtung eines „Nominierungsausschusses“; dieser soll sich der Nachfolgeplanung im Aufsichtsrat selbst widmen und damit der bislang verbreiteten Praxis entgegenwirken, dass der amtierende Vorstand Vorschläge für die Neubesetzung von Aufsichtsratspositionen macht.418) Die Bildung eines audit committee, das sich insbesondere mit Fragen der Rechnungslegung, des Risikomanagements und der Compliance,419) der erforderlichen Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, der Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer, der Bestimmung von Prüfungsschwerpunkten und der Honorarvereinbarung befasst, wird ausdrücklich von Nr. 5.3.2 DCGK empfohlen. Je nach Unternehmensgegenstand können ein TechnischWissenschaftlicher Ausschuss und gegebenenfalls auch ein sozialpolitischer Ausschuss hinzukommen.420) Nach Empfehlung 5.2 DCGK soll der Aufsichtsratsvorsitzende nicht den Vorsitz im audit committee haben. Wird ein Prüfungsausschuss gebildet, muss bei einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft i. S. d. § 264d HGB mindestens eines seiner Mitglieder über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen (§ 107 Abs. 4 i. V. m. § 100 Abs. 5 AktG n. F.: „unabhängiger Finanzexperte“; zuvor bereits Empfehlung Nr. 5.3.2 DCGK seit Sommer 2005 für den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses). Empfohlen (bis 2012 nur angeregt) wird in Nr. 5.3.2 DCGK weiter, dass der Vorsitzende in diesem Ausschuss unabhängig sein soll und kein ehemaliges Vorstandsmitglied, dessen Bestellung vor weniger als zwei Jahren endete. Das wird inzwischen durch die bereits angesprochene (oben Rz. 3.174) Empfehlung verstärkt, dass ein früheres Vorstandsmitglied oder gar ein früherer ___________ 418) Dazu Meder, ZIP 2007, 1538 ff.; E. Vetter, DB 2007, 1963, 1967. 419) Die Compliance wurde als Gegenstand der Überwachung durch das audit committee im Juni 2007 einbezogen; dazu U. H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061 ff.; E. Vetter, DB 2007, 1963, 1967. 420) Dazu Frühauf, ZGR 1998, 407, 416.

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§ 3 Organisationsverfassung

Vorstandsvorsitzender in der Regel gar keinen Ausschussvorsitz übernehmen sollte (Nr. 5.4.4 DCGK n. F.). 3.186 Bei der Wahl der Ausschussmitglieder eines beschließenden Ausschusses in mitbestimmten Aufsichtsräten dürfen Arbeitnehmervertreter nicht ohne einen sachlichen Grund im Einzelfall von jeder Mitarbeit in dem Ausschuss ausgeschlossen werden. Dies wäre durch das im Aufsichtsrat im Übrigen übliche Mehrheits-Wahlverfahren ansonsten möglich. Es gilt nach Auffassung des BGH vielmehr das Diskriminierungsverbot, das einen vollständigen Ausschluss der Arbeitnehmervertreter von der Arbeit in einem Ausschuss erschwert, andererseits aber nicht unmöglich macht.421) 3.187 In einer weiteren Entscheidung hielt das OLG Hamburg daher zwar auch die Dele-

gation der Entscheidung über von Gesetzes wegen zustimmungsbedürftige Geschäfte auf einen Aufsichtsratsausschuss für zulässig;422) doch fand das OLG München, dass zwingendes Mitbestimmungsrecht umgangen werde, wenn der Aufsichtsrat die ihm aufgrund von Zustimmungsvorbehalten eingeräumten (Mit-)Entscheidungskompetenzen an einen ausschließlich mit Vertretern der Anteilseigner besetzten Aufsichtsratsausschuss delegiert.423)

3.188 Eine ausdrückliche, in diese Richtung gehende gesetzliche Besetzungsregel für einen Ausschuss enthält nur § 27 Abs. 3 MitbestG. Von diesen Grundsätzen weist die genannte Empfehlung in Nr. 5.3.3 DCGK ab, die für den „Nominierungsausschuss“ eine Besetzung allein mit Anteilseignervertretern empfiehlt; Hintergrund ist, dass sich auch seine Nominierungsvorschläge nur auf die Anteilseignerbank beziehen. 2.

Bestellung

3.189 Die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder erfolgt durch Annahme der Wahl bzw. des Entsendungsvorschlags seitens des Gewählten bzw. Entsandten. Im

___________ 421) BGHZ 122, 342 = ZIP 1993, 1079 = NJW 1993, 2307 = EWiR § 25 MitbestG 1/93, 809 (Rittner); im Anschluss an BGHZ 83, 106, 115 = ZIP 1982, 434 (Nichtigkeit einer Satzungsbestimmung über weiteren von der Anteilseignerseite zu stellenden Stellvertreter des Aufsichtsratsvorsitzenden); BGHZ 83, 144, 149 = ZIP 1982, 440 = NJW 1982, 1528 = LM § 107 AktG 1965 Nr. 2a (Zweitstimmrecht des Vorsitzenden des Personalausschusses); BGHZ 83, 151, 154 ff. (Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats bei fehlender Teilnahme der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner); LG Frankfurt/M. ZIP 1996, 1661 (Deutsche Börse AG) = EWiR § 107 AktG 1/96, 1011 (Dreher) (n. rkr.). 422) OLG Hamburg ZIP 1995, 1673 = WM 1995, 2188 = AG 1996, 84 = EWiR § 107 AktG 1/95, 1147 (Fleck) (rkr. nach Rücknahme der Revision); dazu Jaeger, ZIP 1995, 1735. 423) OLG München ZIP 1995, 1753 = NJW-RR 1995, 1249 = EWiR § 25 MitbestG 1/95, 605 (Wank).

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

Gegensatz zum Vorstandsmitglied tritt neben die Bestellung kein gesonderter Anstellungsvertrag.424) Eine (eventuelle) Vergütung für die Aufsichtsratstätigkeit kann vielmehr aus 3.190 Gründen der Transparenz nur in der Satzung oder durch Beschluss der Hauptversammlung festgelegt werden (§ 113 Abs. 1 AktG). Sie muss der Verantwortung und dem Tätigkeitsumfang sowie dem Erfolg des Unternehmens Rechnung tragen. Daher sollen die Aufsichtsratsmitglieder nach Nr. 5.4.6 (ex 5.4.5) DCGK neben einer festen eine erfolgsorientierte Vergütung erhalten, wobei empfohlen (bis 2012: angeregt) wird, dass sich die Erfolgsorientierung auch auf den langfristigen Unternehmenserfolg bezieht. Bei der Höhe der Vergütung sollen nach Nr. 5.4.7 (ex 5.4.5) DCGK der Vorsitz und der stellvertretende Vorsitz im Aufsichtsrat sowie der Vorsitz und die Mitgliedschaft in Ausschüssen berücksichtigt werden. Empfohlen wird zudem, die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder individualisiert und aufgegliedert nach Bestandteilen im Anhang oder im Lagebericht auszuweisen (Nr. 5.4.7 [ex 5.4.5] DCGK). Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat müssen allerdings auf der Grundlage der gewerkschaftlichen Richtlinien einen erheblichen Teil ihrer Vergütung an die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung abführen.425) Mit Blick auf sonst mögliche Interessenkonflikte dürfen schließlich weitere Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern, die einen anderen Inhalt als die Aufsichtsratstätigkeit haben, nach § 114 Abs. 1 AktG nur mit (vorheriger!426)) Zustimmung des Aufsichtsrats geschlossen werden; das gilt auch für Verträge, die mit einer Gesellschaft geschlossen werden, an denen er als Gesellschafter (nicht eimal maßgeblich) beteiligt ist oder deren Geschäftsleitung er angehört.427) Damit soll verhindert werden, dass ein Aufsichtsratsmitglied in Form sog. Beraterverträge eine nicht ___________ 424) BGHZ 114, 127, 129 = ZIP 1991, 653 = NJW 1991, 1830 = EWiR § 114 AktG 1/91, 525 (Semler) (dazu Hirte NJW 1996, 2827, 2840); Hüffer/Koch, § 101 AktG Rz. 2; Mertens, KK, § 101 AktG Rz. 5, § 113 AktG Rz. 8; MünchKomm-Habersack, § 101 AktG Rz. 67; Raiser/ Veil, KapGesR, § 15 Rz. 81 („Eines gesonderten Anstellungsvertrages bedarf es daher nach hL nicht“); abw. Grunewald, GesR, § 10 Rz. 96 („Hinzu tritt ein Anstellungsvertrag“). 425) Nach dem Beschluss des DGB-Bundesausschusses v. 5.3.2014 müssen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat für jedes Mandat, das mit bis zu 3.500 Euro vergütet wird, 10 % an die Stiftung überweisen, oberhalb dieser Grenze 90 %; für Aufsichtsratsvorsitzende und deren Stellvertreter gelten Schwellenwerte von 7.000 Euro bzw. 5.250 Euro (vgl. http:// www.boeckler.de/pdf/foerderer_richtlinie_2014.pdf). 426) Die (nachträgliche) Genehmigung beseitigt daher die Rechts- und Pflichtwidrigkeit einer etwaigen Zahlung nicht; ausführlich BGHZ 194, 14 (Fresenius) = ZIP 2012, 1807 = NJW 2012, 3235 = NZG 2012, 1064 = DStR 2012, 1973 = EWiR § 114 AktG 1/12, 647 (HoffmannTheinert); dazu Cahn, Konzern 2012, 501; Ihrig, ZGR 2013, 417; Quinke, DStR 2012, 2020; Spindler, NZG 2012, 1161. 427) BGHZ 168, 188 (IFA) = NZG 2006, 712 = NJW-RR 2006, 1410 = ZIP 2006, 1529, 1531 f.; BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22 = NJW 2007, 298 = EWiR § 114 AktG 1/07, 99 (Drygala) (Vorinstanz OLG Frankfurt/M. NZG 2006, 29 = ZIP 2005, 2322); BGH ZIP 2007, 1056 = NJW-RR 2007, 1483 = NZG 2007, 516; dazu Benecke, WM 2007, 717; Goette, DStR 2007, 2264; Peltzer, ZIP 2007, 22; von Schenck, DStR 2007, 395.

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§ 3 Organisationsverfassung

im Jahresabschluss nach § 285 Nr. 9 HGB, Art. 43 Abs. 1 Nr. 12 der EGBilanzrichtlinie offengelegte Vergütung für seine Tätigkeit erhält.428) Eine nach § 114 Abs. 1 AktG erforderliche Zustimmung ist nur in Form einer ausdrücklichen Beschlussfassung möglich, bei der die Aufsichtsratsmitglieder in Kenntnis des wesentlichen Vertragsinhaltes, insbesondere in Bezug auf Art und Vergütung der Tätigkeit, gehandelt haben.429) Auch eine Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder ist – ähnlich wie bei Geschäftsleitern (dazu oben Rz. 3.40) – vom Gesetz besonderen Formen und Grenzen unterworfen worden (§ 115 AktG). Auch diese sonstigen an Aufsichtsratsmitglieder erbrachten Leistungen sollen nach Empfehlung Nr. 5.4.7 (ex 5.4.5) DCGK individualisiert ausgewiesen werden. 3.191 Aufsichtsratsmitglieder, die von der Hauptversammlung ohne Bindung an einen Wahlvorschlag gewählt wurden, können jederzeit von der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen abberufen werden (§ 103 Abs. 1 AktG). Entsandte Aufsichtsratsmitglieder können vom Entsendungsberechtigten jederzeit abberufen werden (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AktG). Liegt in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds ein wichtiger Grund vor, kann auch das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats ein Aufsichtsratsmitglied abberufen (§ 103 Abs. 3 Satz 1 AktG).430) Bei einem in den Aufsichtsrat entsandten Aufsichtsratsmitglied kann ein solcher Antrag auch von Aktionären mit einer mindestens 10 %igen Kapitalminderheit oder einem anteiligen Betrag von 1 Mio. Euro am Grundkapital gestellt werden (§ 103 Abs. 3 Satz 3 AktG).431) In der Europäischen Aktiengesellschaft kommt für Aufsichtsratsmitglieder wie für Vorstandsmitglieder nur eine Abberufung aus wichtigem Grund in Betracht.

___________ 428) BGHZ 114, 127 = ZIP 1991, 653 = NJW 1991, 1830 = EWiR § 114 AktG 1/91, 525 (Semler); LG Stuttgart ZIP 1998, 1275 = EWiR § 113 AktG 1/98, 963 (Tappmeier); dazu Beater, ZHR 157 (1993), 420; Boujong, AG 1995, 203; Jaeger, ZIP 1994, 1759; Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87; zusammenfassend Hirte, NJW 1996, 2827, 2840. Zur parallelen Fragestellung bei der Bestellung des Abschlussprüfers unten Rz. 4.9. 429) OLG Köln ZIP 1994, 1773 = NJW-RR 1995, 230; zur Abgrenzung von Organ- und Beratungstätigkeit BGHZ 168, 188 (IFA) = NZG 2006, 712 = NJW-RR 2006, 1410 = ZIP 2006, 1529, 1532 f. 430) Ein dreiköpfiger Aufsichtsrat muss allerdings zuvor seine gerichtliche Ergänzung beantragen, da das auszuschließende Mitglied bei der Beschlussfassung über seinen eigenen Ausschluss nicht stimmberechtigt ist, was zur Beschlussunfähigkeit des Rest-Aufsichtsrats führt (§ 108 Abs. 2 Satz 3 AktG); BayObLG ZIP 2003, 1194, 1195 ff. = NZG 2003, 691 = EWiR § 108 AktG 1/03, 847 (Leuering). 431) So im Fall der Abberufung des schleswig-holsteinischen Energieministers Jansen aus dem Aufsichtsrat der Hamburgischen Electricitäts-Werke AG (HEW): OLG Hamburg ZIP 1990, 311 = AG 1990, 218 = EWiR § 103 AktG 2/90, 219 (Hirte); dazu Decher, ZIP 1990, 277; Dreher, JZ 1990, 896.

220

III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

3.

Aufgaben und Pflichten

Auch bezüglich der Pflichten von Aufsichtsratsmitgliedern lässt sich wieder 3.192 zwischen solchen gegenüber der Gesellschaft und solchen gegenüber Dritten unterscheiden. In jedem Fall muss das Aufsichtsratsmitglied dabei dafür Sorge tragen, dass es zur Erfüllung seiner Pflichten über genügend Zeit verfügt (ebenso – das geltende Recht beschreibend – Nr. 5.4.5 [ex 5.4.3] DCGK). a)

Pflichten gegenüber der Gesellschaft

Die Pflichten gegenüber der Gesellschaft entsprechen zum großen Teil den 3.193 Pflichten der Vorstandsmitglieder, auf die § 116 Satz 1 AktG ausdrücklich verweist; lediglich die Verpflichtung zur Vereinbarung eines Selbstbehalts in einer etwaigen D&O-Versicherung gilt für sie nicht. Der Aufsichtsrat ist sowohl Kontrollorgan als auch – wenn auch nur in begrenztem Umfang – selbst Verwaltungsorgan. aa)

Kontrollorgan

Im Mittelpunkt der Aufsichtsratspflichten steht seine aus § 111 Abs. 1 – 3 AktG 3.194 resultierende Pflicht zur Kontrolle und Überwachung des Vorstandes. Dabei formuliert § 111 Abs. 1 AktG als Generalnorm die Pflicht zur Überwachung der Geschäftsführung. Dies beinhaltet eine Überwachung nicht nur der Rechtmäßigkeit, sondern auch der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit seiner Geschäftsführung.432) Da sich der Aufsichtsrat mit dem Bericht des Abschlussprüfers darüber auseinanderzusetzen hat (§§ 317 Abs. 4, 321 Abs. 4 HGB), umfasst die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats auch das nunmehr nach § 91 Abs. 2 AktG einzuführende controlling system.433) Umgekehrt verbietet § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG, dem Aufsichtsrat Maßnahmen der Geschäftsführung zu übertragen. ___________ 432) BGHZ 114, 127, 129 f. = ZIP 1991, 653 = NJW 1991, 1830 = EWiR § 114 AktG 1/91, 525 (Semler); LG Bielefeld ZIP 2000, 20 (Balsam) = EWiR § 116 AktG 1/2000, 107 (von Gerkan): Pflicht des Aufsichtsrats zur Veranlassung eigener Prüfungen oder einer Sonderprüfung, selbst wenn es nur vage Gerüchte über „ungewisse und unkorrekte“ Geschäfte der Gesellschaft gibt, der Inhalt des Gerüchts aber von existentieller Bedeutung für die Gesellschaft ist, bei Anhaltspunkten für die Verletzung der Pflicht des Vorstands zur Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat sogar zur Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts für Geschäftsführungsmaßnahmen (dazu auch Brandi, ZIP 2000, 173); LG Stuttgart EWiR § 111 AktG 1/99, 1145 (Kort) (zum Verfahrensfortgang OLG Stuttgart BB 2002, 2085): Haftung eines Aufsichtsratsmitglieds wegen fehlerhafter Überwachung bei Verkauf eines Betriebsgrundstücks erheblich unter dem Verkehrswert (14 statt 34 Mio. DM); Hachmeister, DStR 1999, 1453, 1454 f.; Raiser/Veil, KapGesR, § 15 Rz. 100 ff. 433) Überzeugend Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2625 f., 2629 f.; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 257; dazu auch Gernoth, DStR 2001, 299; Hachmeister, DStR 1999, 1453, 1455 und 1456 f.; Mattheus, ZGR 1999, 682.

221

§ 3 Organisationsverfassung

3.195 Die Überwachungspflicht wird unterstützt durch eine (durch das TransPuG verschärfte) Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat (§ 90 AktG)434) und ein ihr korrespondierendes Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats in der Gesellschaft (§ 111 Abs. 2 AktG). Nach Empfehlung 3.4 DCGK soll der Aufsichtsrat die Informations- und Berichtspflichten des Vorstands näher festlegen. Zudem soll der Aufsichtsratsvorsitzende mit dem Vorstand bzw. seinem Vorsitzenden regelmäßig Kontakt halten und mit ihm Fragen der Strategie, der Planung, der Geschäftsentwicklung, der Risikolage, des Risikomanagements und der Compliance des Unternehmens beraten. Der Aufsichtsratsvorsitzende soll sodann den Aufsichtsrat insgesamt unterrichten. Dem Aufsichtsrat steht allerdings kein unmittelbares Zugriffsrecht auf dem Vorstand nachgeordnete Stellen in der Gesellschaft zu (etwa leitende Angestellte); denn dies würde mit der unabhängig ausgestalteten Stellung des Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG) kollidieren. Auch der Jahresabschluss einschließlich des Lageberichts sind dem Aufsichtsrat zur Prüfung vorzulegen (§ 170 Abs. 1 AktG). Jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied hat nach § 170 Abs. 3 AktG ein unentziehbares Recht darauf, diese Unterlagen ausgehändigt zu erhalten. 3.196 Deutlich gestärkt wurde die Überwachungskompetenz des Gesamt-Aufsichtsrats zudem dadurch, dass ihm seit Inkrafttreten des KonTraG auch die Kompetenz zusteht, den Prüfungsauftrag an den Abschlussprüfer nach § 290 HGB zu erteilen (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG; § 318 Abs. 1 Satz 4 HGB). Damit soll der Entwicklung gegenseitiger Abhängigkeiten von Prüfern und zu Prüfenden (= Vorstand) vorgebeugt werden. Das gilt im Zweifel auch in einem freiwillig gebildeten Aufsichtsrat; denn die Konfliktlage, die das Gesetz lösen will, besteht auch dort. Die Kompetenz zur Erteilung des Prüferauftrags umfasst zudem das Recht und die Pflicht, den Prüfungsauftrag zu strukturieren und zu präzisieren und die Höhe der Vergütung des Abschlussprüfers zu vereinbaren.435) Der Abschlussprüfer hat bei einer prüfungspflichtigen Gesellschaft darüber hinaus (jetzt zwingend) an den Verhandlungen des Aufsichtsrats oder seines für die Rechnungslegung zuständigen Ausschusses teilzunehmen und dort über die Ergebnisse seiner Prüfung, insbesondere bezüglich des internen Kontroll- und des Risikomanagementsystems, zu berichten sowie von sich aus Gründe offenzulegen, die Zweifel an seiner Unbefangenheit aufkommen lassen könnten (§ 171 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AktG).436) 3.197 Eine Mischung zwischen Kontroll- und Geschäftsführungstätigkeit bildet die Pflicht (bis zum Inkrafttreten des TransPuG nur Möglichkeit), seine Zustim___________ 434) Hierzu und zu den Verschärfungen dieser Berichtspflicht durch das TransPuG Hirte, TransPuG, Rz. I 4 ff. 435) Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2569; dazu auch Hachmeister, DStR 1999, 1453, 1454 mit dem (zutreffenden) Hinweis, dass daraus allerdings keine Weisungsbefugnis i. e. S. folgt. 436) Dazu Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2626 f.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

mung zu bestimmten Arten von Geschäften zu verlangen, die der Aufsichtsrat selbst oder die Satzung vorsehen müssen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Verweigert der Aufsichtsrat in einem solchen Fall die erforderliche Zustimmung, kann der Vorstand die Frage allerdings auch der Hauptversammlung zur Entscheidung vorlegen (§ 111 Abs. 4 Sätze 3 und 4 AktG). Hauptpflicht des Aufsichtsorgans einer Europäischen Aktiengesellschaft ist 3.198 die Überwachung der Führung der Geschäfte der SE durch das Leitungsorgan (Art. 40 Abs. 1 Satz 1 SE-VO). Dazu kann es vom Leitungsorgan die erforderlichen Informationen verlangen (Art. 41 Abs. 3 Satz 1 SE-VO); der Mitgliedstaat kann dies auch dem einzelnen Mitglied gestatten (Art. 41 Abs. 3 Satz 2 SE-VO). Deutschland hat dies in Form von § 18 SEAG (entsprechend § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG i. d. F. des TransPuG) getan, wobei die Information dann jedoch dem Gesamtgremium zur Verfügung zu stellen ist. In der SE hat auch jedes Aufsichtsratsmitglied einen Anspruch auf Kenntnisnahme von allen dem Gesamt-Aufsichtsorgan übermittelten Informationen (Art. 41 Abs. 5 SE-VO). Zur Ermöglichung der Überwachung muss das Leitungsorgan das Aufsichtsorgan mindestens alle drei Monate über den Geschäftsverlauf und die zukünftige Entwicklung der SE unterrichten (Art. 41 Abs. 1 SE-VO). Ereignisse, die sich auf die Lage der SE spürbar auswirken können, sind darüber hinaus „rechtzeitig“ mitzuteilen (Art. 41 Abs. 2 SE-VO). Schließlich hat das Aufsichtsorgan ein eigenes Überprüfungsrecht (Art. 41 Abs. 4 SE-VO). bb)

Verwaltungsorgan

Über diesen Bereich des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG mit der dort geregelten teils 3.199 beratenden, teils mitbestimmenden Tätigkeit hinaus obliegen dem Aufsichtsrat allerdings auch einige echte Verwaltungsaufgaben. Seine schon angesprochene wichtigste Aufgabe ist dabei die in § 84 AktG niedergelegte Kompetenz zur Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder; dazu gehört die Festlegung der Höhe der Vorstandsvergütung (§ 87 AktG). Für Pflichtverletzungen in diesem Zusammenhang betont der durch das VorstAG eingefügte § 116 Satz 3 AktG ausdrücklich die Haftung des Aufsichtsrats. Nach Empfehlung 5.1.2 DCGK soll der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Personalkompetenz auch auf Vielfalt (diversity) bei der Zusammensetzung des Vorstands (so auf der Grundlage der Neufassung des Kodex im Jahre 2009) achten und gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung sorgen. Darunter wird, wie in der erneuten Überarbeitung des Kodex im Jahre 2010 in Nr. 5.1.2 DCGK ergänzt wurde, insbesondere eine angemessene Berücksichtigung von Frauen verstanden – was aber andererseits Zweifel an der verfassungsrechtlichen Legitimation der Kodex-Kommission geweckt hat (dazu oben Rz. 1.82). Daneben tritt die Kompetenz des Aufsichtsrats zur Erteilung des Auftrags an die Abschlussprüfer (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG), die auch die entsprechende Vertretungsmacht umfasst (dazu bereits oben Rz. 3.169).

223

§ 3 Organisationsverfassung

3.200 Darüber hinaus obliegen dem Aufsichtsrat auch sonst ganz ausnahmsweise das Recht und die Pflicht zur Vertretung der Gesellschaft, nämlich im Verhältnis zu – auch ausgeschiedenen – Vorstandsmitgliedern (§ 112 Satz 1 AktG).437) Dabei gilt, wie durch das MoMiG klargestellt wurde, § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG entsprechend: Es gilt also im Zweifel Gesamtvertretung, und bei der Passivvertretung genügt die Abgabe einer Willenserklärung gegenüber einem Aufsichtsratsmitglied. Bei aktiver Vertretung kann die Gesellschaft keinesfalls durch den Aufsichtsratsvorsitzenden allein vertreten werden.438) Verstöße gegen § 112 Satz 1 AktG – also bei Vertretung durch Vorstand statt Aufsichtsrat oder nur durch den Aufsichtsratsvorsitzenden – stellen einen Fall der (nach § 177 BGB genehmigungsfähigen) Vertretung ohne Vertretungsmacht dar.439) 3.201 Für die Europäische Aktiengesellschaft fehlt es an einer entsprechenden Regelung in der SE-VO. Gleiches gilt für die Kompetenz des Aufsichtsrats zur Erteilung des Auftrags an die Abschlussprüfer (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG), die auch die ent-

___________ 437) BGH ZIP 1989, 497 = NJW 1989, 2055 = EWiR § 112 AktG 1/89, 429 (Ebenroth); BGH ZIP 1991, 796 = NJW-RR 1991, 926 = EWiR § 112 AktG 1/91, 631 (Meyer-Landrut); BGH ZIP 1993, 1380 = NJW-RR 1993, 1250 = EWiR § 112 AktG 1/93 (Bork); BGH NJW 1997, 2324 = ZIP 1997, 1108 = EWiR § 112 AktG 1/98, 99 (Pfeiffer) = DStR 1997, 1174 (Goette) (auch für erst durch Umwandlung aus einer GmbH entstandene AG, wenn Prozessgegner der ehemalige Geschäftsführer dieser GmbH ist); BGH ZIP 2006, 2213, 2214 = NZG 2007, 31 (Klage einer Witwe aus Versorgungszusage); BGH ZIP 2009, 717, 718 Tz. 7 ff. = NJW-RR 2009, 690 = NZG 2009, 466 = DStR 2009, 867; LG Berlin NJW-RR 1997, 1534 (für Wahl des Vorstandsmitglieds einer AG zum Geschäftsführer in der Gesellschafterversammlung einer Tochter-GmbH); BGH ZIP 2013, 1274 Tz. 21 ff. = NZG 2013, 792 = EWiR § 112 AktG 2/13, 565 [A. Wenzel] (Pflicht zur Beschlussfassung durch Aufsichtsrat als ganzem); zu Unrecht abw. OLG München NJW-RR 1997, 1063 (Klage der Witwe eines Vorstandsmitglieds gegen die AG aus einer Versorgungszusage); zum Ganzen Hager, NJW 1992, 352; zur entsprechenden Anwendung auf den fakultativen Aufsichtsrat in einer GmbH (über § 52 Abs. 1 GmbHG) BGH ZIP 2004, 237 = NJWRR 2004, 330 = NZG 2004, 327 = DStR 2004, 565 = EWiR § 52 GmbHG 1/04, 183 (Leuering); kritisch zur Anwendbarkeit von § 112 AktG auch auf ausgeschiedene Vorstandsmitglieder Behr/Kindl, DStR 1999, 119 ff.; zusammenfassend Hirte, NJW 1996, 2827, 2840 (zum Parallelproblem bei der GmbH – Umfang der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung bei Verträgen mit den Geschäftsführern – oben Rz. 3.26 ff.). 438) BGH ZIP 2008, 1114, 1115 = NZG 2008, 471 = EWiR § 39 GenG 1/2008, 621 (Andreas Rohde) (zur Genossenschaft). 439) Für (genehmigungsfähiges) Fehlen der Vertretungsmacht BGH NJW 1998, 384 = DStR 1997, 2035 (Goette) = LM H. 3/1998 § 398 ZPO Nr. 43 (allerdings nur zur Heilung im Prozess); BGH ZIP 1999, 1669 = NJW 1999, 3263 = DStR 1999, 1743 (Goette) = LM H. 3/2000 § 38 GmbHG Nr. 17 (Hirte) (für GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat: Genehmigung der bisherigen Prozessführung möglich); BGH ZIP 2009, 717, 718 Tz. 7 ff. = NJW-RR 2009, 690 = NZG 2009, 466 = DStR 2009, 867; BGH ZIP 2013, 1274 Tz. 21 ff. = NZG 2013, 792 = EWiR § 112 AktG 2/13, 565 [A. Wenzel] (für Entscheidung durch Aufsichtsratsvorsitzenden statt durch Aufsichtsrat als ganzem); OLG Karlsruhe WM 1996, 161 = AG 1996, 224 = EWiR § 112 AktG 1/96, 581 (Sethe) = WuB II A. § 112 AktG 1.96 (Hasselbach) (inzwischen rkr.); OLG München ZIP 2008, 220, 222; Stein, AG 1999, 28, 39 f. (sofern Aufsichtsrat Vertretungsmacht auf Dritte übertragen durfte); abw. OLG Stuttgart BB 1992, 1669: Verstoß gegen gesetzliches Verbot nach § 134 BGB.

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III. Aufsichtsrat, Beirat und Prüfungsausschuss

sprechende Vertretungsmacht umfasst. Über Art. 9 Abs. 1 c VO gelten die für die nationale Aktiengesellschaft geltenden Regelungen aber auch für die SE.440)

Gemeinsam mit dem Vorstand hat der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegen An- 3.202 fechtungs- und Nichtigkeitsklagen zu vertreten (§§ 246 Abs. 2 Satz 2, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG). In großem Umfang hat der Aufsichtsrat bei der Aufstellung und Prüfung des Jahresabschlusses und – bei Konzernmuttergesellschaften – des Konzernabschlusses (§§ 171, 172 AktG) sowie bei der Bildung von Gewinnrücklagen (§ 58 Abs. 2 AktG) mitzuwirken. Schließlich hat er die Hauptversammlung einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft es erfordert (§ 111 Abs. 3 AktG). cc)

Verschwiegenheitspflicht

Aufsichtsratsmitglieder unterliegen ebenso wie Vorstandsmitglieder einer Ver- 3.203 schwiegenheitspflicht (§§ 93 Abs. 1 Satz 3, 116 Satz 1 AktG). Durch einen durch das TransPuG an § 116 AktG angefügten Satz 2 wird die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder betont: danach sind „[d]ie Aufsichtsratsmitglieder [.] insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet“. Damit wird die sich zuvor schon aus dem Verweis des § 116 Satz 1 AktG ergebende selbstverständliche Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder betont, bestätigt und verstärkt. Für das Vorliegen von „Vertraulichkeit“ soll es dabei auf objektive Kriterien ankommen: die Bezeichnung einer Information durch den Vorstand als „vertraulich“ mag danach zwar eine Vermutung für deren Geheimhaltungsbedürftigkeit begründen; letztlich kommt es aber im Streitfall auf die Einschätzung der Gerichte an.441) Das soll verhindern, dass Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat pauschal zur Geheimhaltung über sämtliche erhaltenen Informationen verpflichtet werden. Nur in seltenen Ausnahmefällen darf die Verschwiegenheitspflicht im Interesse der Gesellschaft durchbrochen werden. Unklar ist aber, ob dies auch dann gilt, wenn – was der Gesellschaft bekannt ist – das Aufsichtsratsamt als Nebenamt ausgeübt wird und das Aufsichtsratsmitglied aus einem anderen Amt zur Offenlegung der erlangten Informationen verpflichtet ist.442) Weitere Konflikte ergeben sich dann, wenn eine Person in Aufsichtsräten von 3.204 mehreren Unternehmen tätig ist, die miteinander konkurrieren („Doppelmandate“). Empfehlung 5.4.2 DCGK will hier – sozusagen prophylaktisch – schon

___________ 440) Hirte, NZG 2002, 1, 7. 441) Seibert, NZG 2002, 608, 611. 442) Dazu BGHZ 75, 96, 109 f. (Herstatt); Raiser/Veil, KapGesR, § 15 Rz. 97 ff.

225

§ 3 Organisationsverfassung

die Wahl verhindern.443) Ist die Person aber gewählt, wie weit muss das Aufsichtsratsmitglied dann seine anderweitig erlangten Kenntnisse einbringen oder wie weit darf es das wegen anderweitig bestehender (Verschwiegenheits-)Pflichten gerade nicht?444) Die bereits genannte Höchstzahl möglicher Aufsichtsratsmandate (§ 100 Abs. 2 Nr. 1 AktG) kann solche Konflikte nur begrenzt verhindern. Im Einzelfall kann daher ein Stimmrechtsausschluss des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds geboten sein, in Extremfällen auch eine Niederlegung des Mandats;445) eine solche Mandatsniederlegung empfiehlt Nr. 5.5.3 DCGK für wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds. Empfehlung 5.5.2 DCGK verlangt jedenfalls eine Offenlegung von Interessenkonflikten des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds gegenüber dem Gesamtaufsichtsrat und statuiert in Nr. 5.5.3 DCGK eine Pflicht des Aufsichtsrats, im Bericht an die Hauptversammlung über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung zu informieren. Die Verschwiegenheitspflicht erfasst aber vor allem, was im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann, alle Aufsichtsratsmitglieder gleichermaßen, also auch Arbeitnehmervertreter oder Vertreter der öffentlichen Hand. Sie genießen daher grundsätzlich kein Privileg, die im Aufsichtsrat erhaltenen Informationen etwa an Gewerkschaften oder den Staat weiterzugeben; § 394 AktG schafft davon eine Ausnahme für Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entstandt wurden, soweit sie gegenüber ihrer Entsendungskörperschaft eine – wohl nur gesetzlich angeordnete – Berichtspflicht erfüllen.446) In diesem Fall wird die abgemilderte individuelle Verschiegenheitspflicht aber in § 395 AktG durch eine besondere Verschwiegenheitspflicht der Berichtsadressaten kompensiert. b)

Pflichten gegenüber Geschäftspartnern und Allgemeinheit

3.205 Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber Geschäftspartnern und Allgemeinheit können sich unter denselben Voraussetzungen wie beim Geschäftsleiter ergeben. Daher sei auf die zu ihm gemachten Ausführungen verwiesen (oben Rz. 3.76 ff.). ___________ 443) Für Zulässigkeit der gerichtlichen Bestellung (§ 104 Abs. 2 Satz 1 AktG) einer Person zum Aufsichtsratsmitglied, die auch den Organen eines konkurrierenden Unternehmens angehört, trotz Empfehlung 5.4.2 DCGK (bedenklich) OLG Schleswig ZIP 2004, 1143 (MobilCom) = NZG 2004, 669 = BB 2004, 1187 = EWiR § 104 AktG 1/04, 949 (Lenz). 444) BGH NJW 1980, 1629 (Schaffgotsch): keine Entschuldigung unter Hinweis auf anderweitig übernommene Rechtspflichten; ausführlich Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern (1990); Wilde, ZGR 1998, 423, 431 ff. 445) Grunewald, GesR, § 10 Rz. 99; Wilde, ZGR 1998, 423, 431 ff.; zur entsprechenden Anwendung dieser Grundsätze auf den „freiwilligen Aufsichtsrat“ in einer GmbH OLG Schleswig ZIP 2003, 1703, 1706 f. = NZG 2003, 821 (inzwischen rkr.) m. krit. Anm. Hirte/ Roth, EWiR § 15 GmbHG 1/03, 419. 446) BGHZ 64, 325, 329; Hüffer/Koch, § 394 AktG Rz. 38; Raiser/Veil, KapGesR, § 15 Rz. 97 ff.

226

IV. Verwaltungsrat der Europäischen Aktiengesellschaft im monistischen System

4.

Haftung des Aufsichtsratsmitglieds

§ 116 Satz 1 AktG verweist nicht nur für den Pflichtenstandard, sondern auch 3.206 für Inhalt und Geltendmachung etwaiger Ersatzansprüche gegenüber der Gesellschaft auf § 93 AktG. Danach schuldet das Aufsichtsratsmitglied – in Konkretisierung von § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB – nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds. Bei unternehmerischen Entscheidungen steht ihm aber ebenso wie dem Vorstandsmitglied ein gewisser nicht gerichtlich nachprüfbarer Ermessensspielraum zu (dazu oben Rz. 3.83 und 3.90). Die einzelnen, eine Haftung möglicherweise begründenden Pflichten wurden bereits dargestellt (oben Rz. 3.192 ff.; zu Pflichtverletzungen bei der Festlegung der Vorstandsvergütung oben Rz. 3.199). Das Gesetz sieht zwar ausdrücklich keinen verpflichtenden Selbstbehalt im Rahmen einer D&O-Versicherung zugunsten eines Aufsichtsratmitglieds vor (§ 93 Abs. 2 Satz 3 ist aus der Verweisung des § 116 Satz 1 AktG ausgenommen); seit der Neufassung des DCGK vom 18. Juni 2009 empfiehlt der Kodex in Nr. 3.8 aber eine entsprechende Vereinbarung auch für den Aufsichtsrat.447) Zur Durchsetzung der Aufsichtsratshaftung ist nach der allgemeinen Regel des § 78 AktG zunächst der Vorstand berufen, doch kann auch und gerade hier ein besonderer Vertreter nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG bestellt werden. Zudem besteht auch hier neuerdings die Möglichkeit, dass einzelne Aktionäre die Ansprüche nach Klagezulassung im eigenen Namen durchsetzen (oben Rz. 3.93 f.). Außer aus § 116 Satz 1 AktG kann sich eine Haftung von Aufsichtsratsmitglie- 3.207 dern auch aus § 117 Abs. 2 Satz 1 AktG ergeben (dazu im Übrigen unten Rz. 3.219). Was die Haftung gegenüber Geschäftspartnern und Allgemeinheit anbelangt, ergeben sich keine Besonderheiten im Vergleich zur Haftung des Geschäftsleiters selbst. IV.

Verwaltungsrat der Europäischen Aktiengesellschaft im monistischen System

Anders als für das dualistische System fehlt es für eine Europäische Aktienge- 3.208 sellschaft mit satzungsmäßig gewähltem monistischen System an nationalen Regelungen, die die vom europäischen Recht gelassenen Lücken füllen könnten. Das deutsche Ausführungsgesetz konnte448) daher auch Regelungen zu dem dem deutschen Recht bislang unbekannten monistischen System enthalten; manches spricht dafür, dass die hierbei in den nächsten Jahren zu machenden ___________ 447) Hierzu Hecker, BB 2009, 1654, 1655. 448) Das musste es aber nicht (vgl. Art. 43 Abs. 4 SE-VO; Schwarz, ZIP 2001, 1847, 1854 [auch zur Kritik des Europäischen Parlaments am Fehlen einer entsprechenden Vorgabe]; abw. daher Hommelhoff, AG 2001, 279, 284); Entsprechendes gilt für den spiegelbildlichen Fall, dass ein Staat bislang das dualistische System nicht kennt: hier kann es ergänzende Regeln treffen, es muss es aber nicht (Art. 39 Abs. 5 SE-VO).

227

§ 3 Organisationsverfassung

Erfahrungen auch Reformen bei der Verfassung der nationalen Aktiengesellschaften anstoßen werden (wenn auch wohl erst in einiger Zeit …).449) 1.

Zahl, Zusammensetzung und Organisation

a)

Verwaltungsrat

3.209 Die Zahl der Mitglieder des Verwaltungsrats richtet sich nach der Satzung, wobei auch hier die Mitgliedstaaten Mindest- und Höchstzahlen festlegen können (Art. 43 Abs. 2 UA 1 SE-VO). Deutschland hat dies in § 23 SEAG getan und eine Mindest-Mitgliederzahl von drei festgeschrieben, von der jedoch bei Gesellschaften mit einem unter 3 Mio. Euro liegenden Grundkapital durch die Satzung abgewichen werden kann.450) Greift eine Mitbestimmungsregelung ein, müssen mindestens drei Mitglieder bestellt werden (Art. 43 Abs. 2 UA 2 SE-VO). Die Zusammensetzung des Verwaltungsrats richtet sich dann im Einzelnen nach § 24 Abs. 1 SEAG i. V. m. §§ 21, 34 – 38 SEBG. Die persönlichen Wählbarkeitsvoraussetzungen für Verwaltungsratsmitglieder normiert § 27 Abs. 1 SEAG in Anlehnung an § 100 Abs. 2 AktG; insbesondere wird die Oberbegrenzung für Aufsichtsratsmandate übernommen. § 27 Abs. 3 SEAG stellt zudem klar, dass Deutschland entsprechend §§ 76 Abs. 3 Satz 1, 100 Abs. 1 Satz 1 AktG keinen Gebrauch von der europäischen Option (Art. 47 Abs. 1 UA 1 VO) machen will, auch juristische Personen als Verwaltungsratsmitglieder zuzulassen (dazu auch oben Rz. 3.12). 3.210 Aus seiner Mitte hat der Verwaltungsrat einen Vorsitzenden zu wählen (Art. 45 Satz 1 SE-VO), der im Falle hälftiger Bestellung der Mitglieder des Verwaltungsrats durch die Arbeitnehmer zu den von der Hauptversammlung gewählten Mitgliedern des Verwaltungsrats gehören muss (Art. 45 Satz 2 SE-VO). In der Satzung sind die Geschäfte festzulegen, über die der Verwaltungsrat ausdrücklich Beschluss fassen muss (Art. 48 Abs. 1 UA 1 SE-VO). Die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, für die in ihrem Hoheitsgebiet eingetragenen SE festzulegen, „welche Arten von Geschäften auf jeden Fall in die Satzung aufzunehmen sind“ (Art. 48 Abs. 2 SE-VO), was wohl heißen soll „ausdrücklich beschlussbedürftig“ sind. Im Übrigen finden sich für die Binnenorganisation keine zwingenden Vorgaben in der SE-VO; Art. 50 SE-VO enthält nur satzungsdispositive Regelungen zu Beschlussfähigkeit und -fassung. 3.210a Das deutsche Ausführungsgesetz füllt diese Lücke, indem es in § 34 Abs. 1 SEAG in Anlehnung an § 107 Abs. 1 AktG eine Pflicht zur Bestellung eines Stellvertreters des Vorsitzenden nach Maßgabe der Satzung statuiert. Zudem wird in § 34 Abs. 2 SEAG eine Geschäftsordnungskompetenz des Verwaltungsrats ge___________ 449) Hommelhoff, AG 2001, 279, 283. 450) Bei Eingreifen einer Mitbestimmungsregelung kann sich ein Zwang zur Festlegung einer geraden Zahl von Mitgliedern ergeben; dazu Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1756.

228

IV. Verwaltungsrat der Europäischen Aktiengesellschaft im monistischen System

schaffen ebenso wie eine Befugnis, Einzelfragen der Geschäftsordnung in der Satzung zu regeln; das entspricht der Regelung des § 77 Abs. 2 AktG für den Vorstand. § 34 Abs. 3 Sätze 1 bis 4 SEAG regeln die Dokumentation von Beschlüssen des Verwaltungsrats in Anlehnung an § 107 Abs. 2 AktG, allerdings mit einer Erleichterung gegenüber dem Aktiengesetz insoweit, als die Vorschriften nicht für einen nur aus einer Person bestehenden Verwaltungsrat gelten. Hinsichtlich der Bildung von Ausschüssen enthält § 34 Abs. 4 SEAG eine dem § 107 Abs. 3 AktG nachgebildete Regelung. Die Beschlussfassung im Verwaltungsrat regelt § 35 SEAG in Ergänzung von 3.210b Art. 50 VO (dazu oben Rz. 3.210) entsprechend § 108 Abs. 3 und 4 AktG. Von besonderer Bedeutung ist die erst in der letzten Phase des Gesetzgebungsverfahrens eingefügte Norm des § 35 Abs. 3 SEAG; danach steht dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats ein Zweitstimmrecht zu, wenn ein geschäftsführender Direktor, der zugleich Mitglied des Verwaltungsrats ist, aus rechtlichen Gründen nicht an der Beschlussfassung im Verwaltungsrat teilnehmen kann. Damit soll Bedenken begegnet werden, in einer monistisch strukturierten SE könnte die Bestellung geschäftsführender Direktoren aus dem Kreis der Verwaltungsratsmitglieder unter bestimmten Umständen zu einer einseitigen Verschiebung des Stimmenverhältnisses zu Lasten der Anteilseignerseite führen; zu denken ist vor allem an den Fall, dass die Anteilseignervertreter nach § 34 BGB vom Stimmrecht ausgeschlossen sind.451) Sodann regelt § 36 SEAG das Recht zur Teilnahme an den Sitzungen des Verwaltungsrats und seiner Ausschüsse entsprechend § 109 AktG. Das Recht auf Einberufung des Verwaltungsrats ist schließlich in § 37 SEAG in Anlehnung an § 110 AktG normiert (zur Sitzungsfrequenz unten Rz. 3.214). b)

Geschäftsführende Direktoren

Zwar enthält die SE-Verordnung – wie erwähnt – hinsichtlich der Binnenorga- 3.211 nisation des Verwaltungsrats keine zwingenden Regelungen. Kennt der Sitzstaat einer SE keine Regelungen für ein monistisches System, ermächtigt Art. 43 Abs. 4 SE-VO diesen aber, entsprechende Vorschriften zu erlassen. Die Mitgliedstaaten können dabei auch vorsehen, dass ein oder mehrere Geschäftsführer die laufenden Geschäfte in eigener Verantwortung zu führen haben; das entspricht der im amerikanischen Rechtskreis üblichen Unterscheidung zwischen inside und outside directors.452) Art. 43 Abs. 1 Satz 2 SE-VO hebt die Zulässig___________ 451) Hierzu Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195, 199; MünchKommReichert/Brandes, Art. 50 SE-VO Rz. 40 – 46; Neye, in: Festschrift für Röhricht (2005), S. 443, 451 f. 452) Kritisch zum Verzicht auf eine zwingende Vorgabe in diesem Punkt Hommelhoff, AG 2001, 279, 284 (doch ist sein Einwand nicht ganz berechtigt: denn seine Forderung, klar zwichen Leitungs- und Überwachungs-/Kontrollaufgabe zu differenzieren, wäre eine Einführung des Aufsichtsratssystems durch die Hintertür).

229

§ 3 Organisationsverfassung

keit einer solchen Regelung für den Fall, dass sie auch für Aktiengesellschaften mit Sitz im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats unter denselben Voraussetzungen gilt, ausdrücklich hervor.453) 3.211a Deutschland hat in den §§ 40 ff. SEAG von der durch Art. 43 Abs. 4 SE-VO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und verlangt,454) dass der Verwaltungsrat einen oder mehrere geschäftsführende Direktoren bestellt (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SEAG). Das ist eine deutliche Abweichung vom anglo-amerikanischen Vorbild des monistischen Systems, das eine solche Regelung nur qua Satzung455) erlaubt, nicht aber – von kapitalmarktrechtlichen Normen abgesehen – auch gebietet.456) Zu geschäftsführenden Direktoren können zwar auch Mitglieder des Verwaltungsrats gewählt werden, allerdings nur, wenn die Mehrheit des Verwaltungsrats weiterhin aus nicht geschäftsführenden Direktoren besteht (§ 40 Abs. 1 Satz 2 SEAG); umgekehrt können die geschäftsführenden Direktoren aber vollständig Dritte sein.457) Auch nach der deutschen Lösung kann aber mindestens eine Teil-Identität von geschäftsführenden Direktoren und Verwaltungsräten bestehen, was einen fundamentalen Unterschied zum klassischen dualistischen System darstellt. Insbesondere kann nach französischem Vorbild eine Personalunion des Vorsitzenden des Verwaltungsrats und des wichtigsten geschäftsführenden Direktors („président directeur général“) hergestellt werden.458) Die Bestellung der geschäftsführenden Direktoren – und nur dieser – ist zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 40 Abs. 1 Satz 3 SEAG). Bei einer mitbestimmten deutschen SE sind immer mindestens zwei geschäftsführende Direktoren zu bestellen, von denen einer für den Bereich „Arbeit und Soziales“ zuständig sein muss (§ 40 Abs. 1 Satz 6 SEAG i. V. m. § 38 Abs. 2 SEBG). ___________ 453) Nach (heute) wohl h. M. hat Art. 43 Abs. 1 Satz 2 SE-VO in Hinblick auf Deutschland keinen Anwendungsbereich; vgl. Siems, KK, Art. 43 SE-VO Rz. 12. 454) Zu (früheren) Bedenken hiergegen Hirte, NZG 2002, 1, 8; Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355, 369 ff.; Merkt, ZGR 2003, 650, 656; abw. Hommelhoff, AG 2001, 279, 284; Horn, DB 2005, 147, 151; Neye/Teichmann, AG 2003, 169, 175 f. (zum DiskE); zutreffend allerdings Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1753 („faktischer Zwang“). 455) Gegen eine solche Möglichkeit für Europa Neye/Teichmann, AG 2003, 169, 175 (zum DiskE). 456) Ebenso Horn, DB 2005, 147, 150; zur Bedeutung des Kapitalmarkts als „Kontrollinstrument“ in den Staaten, die traditionell die monistische Verfassung vorsahen, Merkt, ZGR 2003, 650, 651 f. (sowie S. 666 f. mit Hinweisen auf die kapitalmarktrechtlichen Regelungen [insbesondere Corporate Governance Kodizes], die in diesen Staaten die Einführung unabhängiger Direktoren verlangen). 457) Zu den verschiedenen Möglichkeiten der Gestaltung einer personellen (Nicht-)Überschneidung von Verwaltungsrat und geschäftsführenden Direktoren Siems, KK, Art. 43 SE-VO Rz. 25 – 36. 458) Dazu Brandt, BB-Special 3/2005, 1, 3; Horn, DB 2005, 147, 151; Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1758; Kallmeyer, ZIP 2003, 1531, 1534; Menjucq, ZGR 2003, 679, 687; Merkt, ZGR 2003, 650, 664 f.

230

IV. Verwaltungsrat der Europäischen Aktiengesellschaft im monistischen System

Die Pflicht zur Bestellung nicht geschäftsführender Direktoren und damit der 3.211b Existenz auch „unabhängiger“ Direktoren steht in offenkundigem Zusammenhang mit der deutschen Mitbestimmungsproblematik. Denn sie erlaubt, die Mitbestimmung auf die – in Deutschland zwingend vorhandenen – nicht geschäftsführenden Direktoren zu beschränken und sie hier unter Umständen auch paritätisch auszugestalten; bei alleinigem Vorhandensein geschäftsführender Verwaltungsräte wäre dies mit Blick auf die darin liegende Ausweitung der Mitbestimmung auf die Geschäftsleitungsebene demgegenüber zwar problematisch, aber nach zwischenzeitlich herrschender Meinung zulässig.459) [unbesetzt] 2.

3.212

Bestellung

Die Mitglieder des Verwaltungsrats werden von der Hauptversammlung bestellt, 3.213 die des ersten Verwaltungsrats durch die Satzung bestimmt (Art. 43 Abs. 3 SEVO). Hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen, des Berufungszeitraums und des Ausschlusses der freien Abberufbarkeit gelten dieselben Regelungen wie für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einer SE im dualistischen System (zu Ersteren oben Rz. 3.11 ff.). § 28 Absätze 2 und 3 SEAG übertragen die vorhandenen deutschen Regelungen zu Entsendungsrechten und Ersatzmitgliedern von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 101 Abs. 2 und 3 AktG) auf den Verwaltungsrat. § 29 SEAG regelt deren Abberufung durch die Hauptversammlung in Anlehnung an den für den Aufsichtsrat in der nationalen Aktiengesellschaft geltenden § 103 AktG. Hinsichtlich der Vergütung von, der Kreditgewährung an und der Grenzen zusätzlicher Verträge mit Mitgliedern des Verwaltungsrats verweist § 38 SEAG auf die für Aufsichtsratsmitglieder geltenden §§ 113 – 115 AktG. 3.

Aufgaben und Pflichten

a)

Verwaltungsrat

Der (einheitliche) Verwaltungsrat führt die Geschäfte der SE (Art. 43 Abs. 1 3.214 Satz 1 SE-VO). Dazu muss er in den durch die Satzung bestimmten Abständen, mindestens aber alle drei Monate zusammentreten, um über den Geschäftsverlauf und die zukünftige Entwicklung der SE zu beraten (Art. 44 Abs. 1 SEVO). Jedes Mitglied hat einen Anspruch auf Kenntnisnahme von allen dem Gesamtverwaltungsrat übermittelten Informationen (Art. 44 Abs. 2 SE-VO). Angesichts der fehlenden nationalen „Basis“-Regelungen hat der deutsche Ge- 3.214a setzgeber vor allem die Aufgaben und Rechte des Verwaltungsrats in § 22 SEAG ___________ 459) Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucks. 438/04 (B), S. 3; für eine Beschränkungsmöglichkeit Teichmann, BB 2004, 53, 56 f.; dagegen Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355, 381; Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1756; allgemein auch Horn, DB 2005, 147, 152; siehe dazu im Übrigen oben Rz. 3.172 Fn. 401.

231

§ 3 Organisationsverfassung

eigenständig festgelegt. Danach leitet dieser die Gesellschaft, bestimmt die Grundlinien ihrer Tätigkeit und überwacht deren Umsetzung (§ 22 Abs. 1 SEAG), vereinigt also Aufgaben und Rechte der klassischen deutschen Organe Vorstand und Aufsichtsrat in sich. Sie sind mit Blick auf das noch anzusprechende Delegationsverbot (unten Rz. 3.214d) von dem den geschäftsführenden Direktoren zugewiesenen „Tagesgeschäft“ abzugrenzen; dem Verwaltungsrat obliegt dabei die Letztverantwortung für die Unternehmenspolitik und die strategischen Entscheidungen.460) 3.214b Dem Verwaltungsrat obliegt danach die Einberufung der Hauptversammlung ebenso wie die Vorbereitung und Ausführung ihrer Beschlüsse (§ 22 Abs. 2 SEAG; für das nationale Aktienrecht § 121 Abs. 2, § 83 AktG). § 22 Abs. 3 SEAG verpflichtet den Verwaltungsrat zur Führung der erforderlichen Handelsbücher (entsprechend § 91 Abs. 1 AktG) sowie zur Einführung eines controlling system (entspricht § 91 Abs. 2 AktG). § 22 Abs. 4 Satz 1 und 2 SEAG räumt ihm schließlich – wie dem Aufsichtsrat – ein (auf besondere Sachverständige delegierbares) Einsichts- und Prüfungsrecht hinsichtlich der Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie ihrer Vermögensgegenstände ein (entspricht § 111 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG); schließlich gibt § 22 Abs. 4 Satz 3 SEAG dem Verwaltungsrat die Kompetenz zur Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer (entspricht § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG). Nach § 22 Abs. 5 Satz 1 SEAG ist der Verwaltungsrat bei Verlust der Hälfte des Grundkapitals zur Einberufung der Hauptversammlung verpflichtet (entsprechend § 92 Abs. 1 AktG); die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO ebenso wie das Zahlungsverbot des § 92 Abs. 2 (früher Abs. 3) AktG werden durch § 22 Abs. 5 Satz 2 SEAG auf den Verwaltungsrat übertragen. Um diesen Pflichten nachkommen zu können, wird den geschäftsführenden Direktoren (zu deren Pflichten im Übrigen sogleich Rz. 3.214d ff.) auferlegt, dem (gesamten) Verwaltungsrat über einen entsprechenden Verlust oder die Insolvenzreife der Gesellschaft unverzüglich zu berichten (§ 40 Abs. 3 SEAG). Entsprechend wird auch dem Verwaltungsrat die Pflicht zur Abgabe der Erklärung nach § 161 AktG obliegen.461) 3.214c Bezüglich der Haftung der Verwaltungsratsmitglieder im monistischen System gelten nach Art. 51 SE-VO, § 39 SEAG dieselben Vorgaben wie für Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder einer SE mit dualistischen System (dazu oben Rz. 3.79 ff.); Gleiches gilt für die Verschwiegenheitspflicht (Art. 49 SE-VO). Ungeregelt ist auch hier die Außenhaftung. ___________ 460) Hierzu Horn, DB 2005, 147, 150; Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1756; Kallmeyer, ZIP 2003, 1531 ff. (zum DiskE); Merkt, ZGR 2003, 650, 657 ff.; MünchKomm-Reichert/ Brandes, Art. 43 SE-VO Rz. 73-104; Neye/Teichmann, AG 2003, 169, 177 (zum DiskE). 461) Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1756; a. A. Banzhaf, Die Entsprechenserklärung der Societas Europaea (SE) mit Sitz in Deutschland mit Blick auf die US-amerikanischen Anforderungen an gute Corporate Governance (2009), S. 75 – 77.

232

IV. Verwaltungsrat der Europäischen Aktiengesellschaft im monistischen System

b)

Geschäftsführende Direktoren

„Die geschäftsführenden Direktoren führen die Geschäfte der Gesellschaft“; so 3.214d formuliert § 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG in Anlehnung an § 76 Abs. 1 AktG – allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass dies nicht wie nach § 76 Abs. 1 AktG „in eigener Verantwortung“ geschieht. Schon damit wird die im Vergleich zum Vorstand der nationalen Aktiengesellschaft deutlich schwächere Stellung eines geschäftsführenden Direktors deutlich. Insbesondere ist er nämlich – wie § 44 Abs. 2 SEAG zum Ausdruck bringt – ganz ähnlich einem GmbHGeschäftsführer (§ 37 Abs. 1 GmbHG) verpflichtet, auch Anweisungen seitens des Verwaltungsrats zu beachten.462) Die im Vergleich zum Vorstand schwächere Stellung der geschäfsführenden Direktoren wird durch § 40 Abs. 5 SEAG weiter konkretisiert, nach dem geschäftsführende Direktoren jederzeit auf Beschluss des Verwaltungsrats abberufen werden können; Ansprüche aus einem etwaigen Anstellungsvertrag bleiben freilich unberührt, und auch die etwaige parallele Mitgliedschaft im Verwaltungsrat bleibt es.463) Dass der (gesamte) Verwaltungsrat die oberste Verantwortung trägt, wird auch aus § 40 Abs. 2 Satz 3 SEAG deutlich; danach können gesetzlich dem (gesamten) Verwaltungsrat zugewiesene Aufgaben – insbesondere die Bestimmung der „Grundlinien“ der Tätigkeit der SE – nicht auf die geschäftsführenden Direktoren übertragen werden. Im Übrigen ist das Verhältnis zwischen geschäftsführenden Direktoren und (Gesamt-)Verwaltungsrat stark an das Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat angelehnt:464) So müssen die geschäftsführenden Direktoren dem Verwaltungsrat entsprechend § 90 AktG berichten (§ 40 Abs. 6 SEAG), und auch die Grundsätze über die Vergütung von Vorstandsmitgliedern (§ 87 AktG), das Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG) und die Kreditgewährung an sie (§ 89 AktG) gelten entsprechend (§ 40 Abs. 7 SEAG). §§ 47 und 48 SEAG ordnen schließlich die Kompetenzen im Zusammenhang mit Prüfung und Feststellung des Jahresabschlusses sowie der Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung. Die den geschäftsführenden Direktoren obliegende Geschäftsführung der Ge- 3.214e sellschaft ist für den Fall, dass mehrere geschäftsführende Direktoren bestellt sind, als Gesamtgeschäftsführung ausgestaltet, von der durch Satzung oder Geschäftsordnung des Verwaltungsrates abgewichen werden kann (§ 40 Abs. 2 Satz 2 SEAG; angelehnt an § 77 Abs. 1 AktG). § 40 Abs. 4 SEAG gibt den geschäftsführenden Direktoren die Möglichkeit, sich eine Geschäftsordnung zu geben, wenn nicht die Satzung dies dem Verwaltungsrat übertragen hat oder er selbst eine Geschäftsordnung erlässt (angelehnt an § 77 Abs. 2 AktG). ___________ 462) Hierzu, auch zu möglichen Grenzen, Merkt, ZGR 2003, 650, 663 f.; Siems, KK, Anh. Art. 51 SE-VO Rz. 10 – 16. 463) Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1758; Kallmeyer, ZIP 2003, 1531, 1533 (zum DiskE); MünchKomm-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rz. 162 – 164. 464) Ebenso Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749, 1757; zur Rechtfertigung Neye/Teichmann, AG 2003, 169, 177 f. (zum DiskE).

233

§ 3 Organisationsverfassung

3.214f Neben der Geschäftsführung obliegt den geschäftsführenden Direktoren – also nur diesen – die Vertretung der Gesellschaft (§ 41 Abs. 1 SEAG; zu deren Eintragung im Handelsregister bereits oben Rz. 3.211a). Sie ist wie im Aktiengesetz (§ 78 Abs. 2 AktG) als im Zweifel Gesamtvertretung ausgestaltet (§ 41 Abs. 2 SEAG). Die weiteren Regelungen entsprechen im Übrigen der aktienrechtlichen Regelung des § 78 AktG. Nach § 41 Abs. 5 SEAG vertritt im Übrigen in Anlehnung an § 112 AktG der (gesamte) Verwaltungsrat die Gesellschaft gegenüber den geschäftsführenden Direktoren. In Anlehnung an § 82 AktG wird in § 44 Abs. 1 SEAG zudem festgelegt, dass die Vertretungsbefugnis der geschäftsführenden Direktoren nicht beschränkt werden kann. 3.215– [unbesetzt] 3.216 V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung 3.217 Wie schon angedeutet, ergeben sich die wichtigsten Unterschiede zwischen Aktien- und GmbH-Recht im Bereich der Organisation. Ganz wesentlich betrifft dies die Gesellschafterversammlung, allerdings vor allem im Bereich der Zuständigkeit. 1.

Zuständigkeit

a)

Aktienrecht

3.218 Auch wenn die Hauptversammlung das Organ ist, in dem die Aktionäre ihre Rechte in erster Linie ausüben sollen (§ 118 Abs. 1 AktG), so ist sie nach dem Konzept des Gesetzes doch nicht das „oberste Organ“ der Aktiengesellschaft. Schon die systematische Stellung der Vorschriften über die Hauptversammlung im Gesetz – hinter den Regelungen über Vorstand und Aufsichtsrat – zeigt, dass das Gesetz mit der Aktiengesellschaft nur sehr begrenzt die Vorstellung einer Aktionärsdemokratie verbindet. Die „Führungsrolle“ in der Aktiengesellschaft ist vielmehr – zurückgehend auf Vorstellungen des AktG 1937 – dem Vorstand zugewiesen. Hinzu kommt, dass in börsennotierten Publikumsaktiengesellschaften regelmäßig nur ein kleiner Teil der Aktionäre auf Hauptversammlungen erscheint oder vertreten ist, der Willensbildungsprozess in diesem Gremium also nur eine begrenzte Bedeutung hat. Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, dass bei solchen Gesellschaften die Entwicklung des Börsenkurses als Resultat von Angebot und Nachfrage und – im Extremfall – die Möglichkeit eines Verkaufs von Aktien („Wall Street Rule“ oder „Abstimmung mit den Füßen“) den formalen Abstimmungsakt in der Hauptversammlung ersetzen kann.465) ___________ 465) Dazu Hirte, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz in der praktischen Umsetzung. Bankrechtstag 1995 (1996), S. 47, 73; ders., in: Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht. 11. ZGR-Symposion „25 Jahre ZGR“, ZGRSonderheft 13 (1998), S. 61, 86 ff.

234

V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

Die starke Stellung der Verwaltung wird auch dadurch abgesichert, dass das 3.219 Aktienrecht in § 117 Abs. 1 Satz 1 AktG jeden – also nicht einmal nur Aktionäre – zum Schadenersatz verpflichtet, der vorsätzlich unter Benutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft Vorstand, Aufsichtsrat, Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte einer Aktiengesellschaft zu Handlungen bestimmt, die die Gesellschaft oder ihre Aktionäre schädigen. Davon ist nur die Einflussnahme aufgrund eines Beherrschungsvertrages oder im Falle einer Eingliederung ausgenommen (§ 117 Abs. 7 AktG). Bei § 117 Abs. 1 AktG handelt es sich um einen besonderen Deliktstatbestand,466) der freilich bis heute nur äußerst selten zur Anwendung gekommen ist. Auch die Verwaltungsmitglieder, die sich dem verbotenen „Einfluss beugen“, werden nach § 117 Abs. 2 AktG gesamtschuldnerisch in die Verantwortung genommen. Im Gegensatz zur Gesellschafterversammlung der GmbH ist die Hauptver- 3.220 sammlung der Aktiengesellschaft daher nur in den im Gesetz enumerativ aufgeführten Fällen zur Entscheidung berufen. Von der Geschäftsführung ist sie nach § 119 Abs. 2 AktG ausdrücklich ausgeschlossen, sofern der Vorstand sie nicht aus eigener Initiative konsultiert. Die wichtigsten der Hauptversammlung zugewiesenen Entscheidungen betreffen die Wahl der von den Anteilseignern zu stellenden Aufsichtsratsmitglieder (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG) und die Entlastung der Aufsichtsrats- und der Vorstandsmitglieder (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 AktG), die hier – im Gegensatz zum GmbH-Recht – keinen Verzicht auf Ersatzansprüche bedeutet (§ 120 Abs. 2 Satz 2 AktG). Daher ist ein Hauptversammlungsbeschluss rechtswidrig, mit dem eine umstrittene Geschäftsführungsmaßnahme genehmigt und darüber hinaus festgestellt wird, dass in dieser Maßnahme keine Pflichtverletzung des Vorstandes gelegen habe. Denn damit soll über § 120 AktG hinausgehend eine materielle Entlastung erreicht und sollen mögliche Schadenersatzansprüche vereitelt werden, was gegen § 93 Abs. 3 AktG verstößt.467) Der Entlastungsbeschluss erlaubt aber der Hauptversammlung anlässlich dieses 3.221 Tagesordnungspunkts zumindest eine Diskussion über die Geschäftsführung des Vorstands; daher sind der Hauptversammlung hierzu – selbst wenn die Entscheidung nicht zeitgleich mit derjenigen über die Verwendung des Bilanzgewinns (dazu unten Rz. 4.14 ff.) stattfinden sollte (so die Soll-Vorgabe in § 120 Abs. 3 AktG) – jedenfalls dieselben Unterlagen vorzulegen (siehe § 176 Abs. 1 Satz 1 [früher § 120 Abs. 3 Satz 2] und § 175 Abs. 2 AktG). Auf die Be___________ 466) Vgl. BGH ZIP 1992, 1464, 1471 (IBH/Scheich Kamel) = NJW 1992, 3167, 3172 = EWiR § 185 AktG 1/92, 1153 (Wiedemann); Kort, AG 2005, 453 ff.; teilweise abw. Voigt, Haftung aus Einfluss auf die Aktiengesellschaft (2004), S. 62 ff. 467) OLG Stuttgart ZIP 1995, 378 (ASS) = EWiR § 126 AktG 1/95, 11 (Karollus) (inzwischen rkr.); zum Verbot der Teilentlastung OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 1252 (Mannesmann/Dieter) = ZIP 1996, 503 = DZWir 1996, 466 (Sethe) (rkr., nachdem entgegen anderslautender Ankündigung keine Revision eingelegt wurde; vgl. ZIP 1996, 1986).

235

§ 3 Organisationsverfassung

stellung der Vorstandsmitglieder selbst hat die Hauptversammlung nämlich nur indirekten Einfluss – über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder. Verweigert werden darf die Entlastung nur bei eindeutigen und schwerwiegenden Rechtsverletzungen, was der Bundesgerichtshof für Zahlungen des Vorstands an Aufsichtsratsmitglieder verneint hat, bei denen die nach § 114 Abs. 1 AktG erforderliche (vorherige) Zustimmung (oben Rz. 3.190) fehlte.468) 3.222 Von großer Bedeutung sind auch die der Hauptversammlung zustehenden „Grundlagenentscheidungen“ über Satzungsänderungen, Kapitalmaßnahmen (§§ 119 Abs. 1 Nrn. 5 und 6, 179, 182 AktG), Auflösung (§§ 119 Abs. 1 Nr. 8, 262 AktG), bestimmte Konzernierungsmaßnahmen (§§ 293, 319 AktG), Umwandlungen und Formwechsel (§§ 13, 193 UmwG). In diesen Fällen bedarf die beschlossene Maßnahme zu ihrer Wirksamkeit einer Eintragung in das Handelsregister (Grundnorm ist § 181 Abs. 3 AktG). Eine gegen einen solchen Beschluss gerichtete Anfechtungsklage kann eine solche Eintragung aber verhindern. 3.223 Weiter ist die Hauptversammlung zuständig für die Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinns (§§ 119 Abs. 1 Nr. 2, 174 Abs. 1 AktG) und – damit zusammenhängend – die Wahl des Abschlussprüfers (§ 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG). Diese oberste Kompetenz in Fragen der Gewinnverwendung ist allerdings dadurch stark eingeschränkt, dass die Feststellung des Jahresabschlusses in der Regel dem Vorstand und dem Aufsichtsrat obliegt (§§ 172, 173 AktG) und diese Organe auch in wesentlichem Umfang ohne Mitwirkung der Hauptversammlung Rücklagen bilden dürfen (§ 58 AktG); hier ist die Zuständigkeit der Hauptversammlung auf die „Entgegennahme“ von Jahres- oder Konzernabschluss nebst Lagebericht beschränkt (Einzelheiten unten Rz. 4.13 ff.). Schließlich obliegt der Hauptversammlung die Bestellung von Sonderprüfern (§ 119 Abs. 1 Nr. 7 AktG) und (gegen den Vorstand subsidiär) die Entscheidung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen (§ 147 AktG). An etwas entlegener Stelle (in § 286 Abs. 5 HGB n. F.) findet sich schließlich die durch das VorstOG geschaffene Kompetenz der Hauptversammlung einer börsennotierten Aktiengesellschaft, sich gegen eine Offenlegung der individuellen Vergütung der Vorstandsmitglieder auszusprechen. Nach § 83 Abs. 2 AktG ist der Vorstand zur Umsetzung der von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit getroffenen Maßnahmen verpflichtet. 3.224 Der relativ begrenzte Umfang der Zuständigkeit der Hauptversammlung war Anlass zu Überlegungen, sie über den Wortlaut des Gesetzes hinaus auch allgemein in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beteiligen. Der BGH ist ___________ 468) BGHZ 194, 14 (Fresenius) = ZIP 2012, 1807 = NJW 2012, 3235 = NZG 2012, 1064 = DStR 2012, 1973 = EWiR § 114 AktG 1/12, 647 (Hoffmann-Theinert); dazu Cahn, Konzern 2012, 501; Ihrig, ZGR 2013, 417; Quinke, DStR 2012, 2020; Spindler, NZG 2012, 1161.

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

dem in der Holzmüller-Entscheidung469) gefolgt und hat im Rahmen von § 119 Abs. 2 AktG eine Verpflichtung des Vorstandes angenommen, Geschäftsführungsmaßnahmen, die mit besonders schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte der Aktionäre verbunden sind, der Hauptversammlung zu unterbreiten. Die Entscheidung ist vor allem, soweit sie Publikumsaktiengesellschaften betrifft, auf erhebliche Kritik gestoßen.470) Begrüßt wurde daher die Klarstellung des BGH in den Gelatine-Urteilen, dass ungeschriebene Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung nur dann anzuerkennen seien, wenn die in Aussicht genommene Umstrukturierungsmaßnahme einer Satzungsänderung nahekommt.471) Klargestellt hat der BGH inzwischen auch, dass Beteiligungsveräußerungen an Dritte (anders als Ausgliederungen auf Tochtergesellschaften) keiner ungeschriebenen Zustimmungspflicht der Hauptversammlung unterliegen, wenn (bzw. weil) es an einer Mediatisierung des Einflusses der Muttergesellschaft und ihrer Aktionäre fehlt.472) Erst recht wird man daher künftig Fälle des Erwerbs von Beteiligungen nicht mehr als von der Rechtsprechung erfasst ansehen können.473) Ein schon angesprochener anderer Beispielsfall, in dem die Haupt- oder Gesellschafterversammlung zu beteiligen wäre, könnte aber weiterhin die Stellung eines Insolvenzantrags durch den Geschäftsleiter sein, ohne dass eine entsprechende gesetzliche Pflicht besteht (dazu bereits oben Rz. 3.61). ___________ 469) BGHZ 83, 122 (Holzmüller) = ZIP 1982, 568 = NJW 1982, 1703; dazu ausführlich Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 129 ff., 155 ff.; ebenso OLG Frankfurt/M. ZIP 1999, 842 = NZG 1999, 887 = EWiR § 119 AktG 1/99, 535 (Schüppen) (von BGHZ 146, 288 = ZIP 2001, 416 = NJW 2001, 1277 = DStR 2001, 582 = NZG 2001, 405 = LM § 119 AktG Nr. 2 [Mülbert] in der Revision offengelassen); Vorinstanz LG Frankfurt/M. NJW-RR 1997, 1464 (Altana/Milupa) = ZIP 1997, 1698 = EWiR § 119 AktG 1/97, 919 (Drygala) für Verpflichtung, das gesamte Vermögen der Gesellschaft auf eine konzernexterne Gesellschaft zu übertragen (dazu Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 225; zur Möglichkeit von Ermächtigungen dies., ZIP 1998, 805); OLG Celle ZIP 2001, 613, 615 f. (Allied Signal Deutschland) = NZG 2001, 409 = EWiR § 119 AktG 2/01, 651 (Windbichler); LG Duisburg NZG 2002, 643 (Babcock Borsig) = EWiR § 119 AktG 1/02, 839 (Sinewe); zum Umfang der Offenlegungspflichten bei einer Entscheidung nach § 119 Abs. 2 AktG OLG München NJW-RR 1997, 544 (März/Bavaria) = WM 1996, 1462 = DZWiR 1996, 511 (Hirte) = EWiR § 119 AktG 2/97, 1109 (Saenger); krit. dazu Wilde, ZGR 1998, 423, 445 ff. 470) Nachw. bei Wiedemann, in: GroßK, § 179 AktG Rz. 69. 471) BGHZ 159, 30 (Gelatine I) = NZG 2004, 571 = ZIP 2004, 993 (Altmeppen) = NJW 2004, 1860 = DStR 2004, 922 (Goette) = EWiR § 119 AktG 1/04, 573 (Just); BGH NZG 2004, 575 (Gelatine II) = ZIP 2004, 1001 = EWiR § 179 AktG 1/04, 1161 (Hirte); dazu Bungert, BB 2004, 1345; Fuhrmann, AG 2004, 394; Götze, NZG 2004, 585; Koppensteiner, Konzern 2004, 381; Simon, DStR 2004, 1482, 1528. 472) BGH ZIP 2007, 24 (von Falkenhausen) = NZG 2007, 234; ebenso zuvor OLG Stuttgart ZIP 2003, 1981 (eff eff Fritz Fuss GmbH & Co. KGaA) = NZG 2003, 778 für den Verkauf eines wesentlichen unselbständigen Betriebsteils bei einer KGaA; zur Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit Art. 14 Abs. 1 GG BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), ZIP 2011, 2094, 2095 Tz. 19 (STRABAG). 473) OLG Frankfurt/M. ZIP 2011, 75 (Dresdner Bank) = NZG 2011, 62 = EWiR § 119 AktG 1/ 11, 33 (Nikoleyczik/Wahl); abw. Lorenz/Pospiech, DB 2010, 1925 ff.

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§ 3 Organisationsverfassung

Der Ansatzpunkt für eine allgemeine Zuständigkeit der Hauptversammlung in Grundlagenangelegenheiten folgt aus den Vorschriften über die Satzungsänderung, so dass in solchen Fällen mit einer Dreiviertelmehrheit des vertretenen Kapitals zu entscheiden ist.474) 3.225 Der Gesetzgeber hat diesem Ansatz schon früher – teilweise – durch Einfügung von § 179a AktG (früher § 361 AktG) Rechnung getragen. Für den dort geregelten Fall der Vermögensübertragung statuiert das Gesetz sogar ausdrücklich einen Ausschluss der Vertretungsmacht des Vorstands, wenn er sich verpflichtet, das gesamte Gesellschaftsvermögen zu veräußern. Dabei ist das „ganz“ nicht wörtlich zu verstehen; vielmehr greift § 179a AktG schon dann ein, wenn nur noch unwesentliches Vermögen bei der Gesellschaft verbleibt. Da die Norm auch Schutzlücken zum Umwandlungsrecht schließen will, ist es allerdings widersprüchlich, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, Ausgleichsansprüche nach dem Vorbild von Eingliederung, Umwandlung bzw. Verschmelzung einzuräumen, um den Aktionären einen Ausgleich für den Untergang „ihrer“ Gesellschaft zu bieten. Denn die Vermögensübertragung kann (und wird typischerweise) zu denselben Zwecken eingesetzt wie die gesetzlich geregelten Umwandlungsmaßnahmen.475) 3.226 Gewissermaßen einen Sonderfall der Hauptversammlungszuständigkeit in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung bildet die jedenfalls im Rahmen von § 33 Abs. 2 WpÜG bestehende Möglichkeit (und – insoweit freilich umstrittene – Notwendigkeit), die Verwaltung zu Maßnahmen der Übernahmeabwehr zu ermächtigen.476) b)

Europäische Aktiengesellschaft

3.227 Die Hauptversammlung (Art. 38 SE-VO) einer Europäischen Aktiengesellschaft ist zuständig für die in der SE-Verordnung oder der SE-Richtlinie ausdrücklich geregelten Fragen sowie für die Fragen, für die eine Hauptversammlung nach dem Recht des Sitzstaats der SE zuständig wäre oder die ihr durch die Satzung im Einklang mit dem Recht des Sitzstaats zugewiesen wurden (Art. 52 SE___________ 474) BGHZ 159, 30 (Gelatine I) = NZG 2004, 571 = ZIP 2004, 993 (Altmeppen) = NJW 2004, 1860 = DStR 2004, 922 (Goette) = EWiR § 119 AktG 1/04, 573 (Just); BGH NZG 2004, 575 (Gelatine II) = ZIP 2004, 1001 = EWiR § 179 AktG 1/04, 1161 (Hirte); zuvor bereits Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 165 ff. (§ 186 AktG); Wiedemann, in: GroßK, § 179 AktG Rz. 74 ff. (Gesamtanalogie); sowie zuletzt Joost, ZHR 163 (1999), 164, 173 ff.; Th. Liebscher, Konzernbildungskontrolle (1995), S. 37 ff. (dazu Hirte, ZHR 163 [1999], 126, 127). 475) OLG Stuttgart ZIP 1997, 362 = EWiR § 361 AktG 1/97, 197 (Dreher/Neumann). 476) Hierzu Hirte, KK-WpÜG, § 33 Rz. 95 ff.; abw. allerdings für das allgemeine Aktienrecht (bezogen auf Werbemaßnahmen gegen ein feindliches Übernahmeangebot) vor Inkrafttreten des WpÜG LG Düsseldorf WM 2000, 528 (Mannesmann) = AG 2000, 233 = EWiR § 119 AktG 1/2000, 413 (Kiem) = WuB II A. § 119 AktG 1.00 (Buck).

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

VO).477) Das bedeutet in der zentralen Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen Hauptversammlung und Verwaltung keine Vereinheitlichung, was angesichts des Fehlens der Fünften Richtlinie zur Struktur der Aktiengesellschaft, die diese Fragen angegangen hätte (zu dieser oben Rz. 1.75), nicht überrascht. c)

GmbH-Recht

Ganz im Gegensatz zur Aktiengesellschaft ist in der gesetzestypischen, nicht 3.228 mitbestimmten GmbH die Gesellschafterversammlung das oberste Organ der Gesellschaft. Ihr steht vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung in allen Angelegenheiten der Geschäftsführung ein Weisungsrecht gegenüber dem Geschäftsführer zu (§ 37 Abs. 1 Alt. 2 GmbHG). Selbst wirtschaftlich nachteilige Weisungen sind davon gedeckt, solange die Gesellschaft dadurch nicht in die unmittelbare Gefahr einer Insolvenz gerät.478) Lediglich für Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaften statuiert das Gesetz 3.229 davon im Hinblick auf das Gebot der Unabhängigkeit der jeweiligen Anwälte Ausnahmen von diesem Weisungsrecht (§ 59f Abs. 4 BRAO, § 52f Abs. 4 PatAnwO). Unter dem Vorbehalt abweichender Regelungen in der Satzung (§ 45 Abs. 1 GmbHG) sind die Geschäftsleiter zudem für solche Maßnahmen der Geschäftsführung (nicht Vertretung!) unzuständig, die entweder Grundlagen der Geschäftspolitik oder deren Änderung betreffen479) oder als ungewöhnliche Geschäfte einen schwerwiegenden Eingriff in die Stellung der Gesellschafter bedeuten.480)

Das GmbH-Gesetz selbst legt in § 46 GmbHG einen Katalog von Angelegen- 3.230 heiten fest, der in die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fällt; doch ist dieser mangels einer § 23 Abs. 5 AktG entsprechenden Regelung im GmbHRecht in beiden Richtungen dispositiv (ausdrücklich § 45 Abs. 1 GmbHG). Danach gehören im Zweifel (§ 45 Abs. 2 GmbHG) vor allem die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer sowie ihre Entlastung in die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG). In diesem Zusammenhang stehen auch die Kompetenz zu Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung (§ 46 Nr. 6 GmbHG) und die – schon angesprochene – Entscheidungszuständigkeit für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Geschäftsführer und Gründer (§ 46 Nr. 8 GmbHG). Auch die Zuständigkeit für eine „Generalbereinigung“ mit einem Geschäftsführer liegt bei der Gesellschafterversammlung, was aus § 46 Nr. 5 wie § 46 Nr. 8 ___________ 477) Ausführlich Brandt, Die Hauptversammlung der Europäischen Aktiengesellschaft (2004), S. 135 ff.; Kiem, KK, Art. 52 SE-VO Rz. 11-38; Knapp, DStR 2012, 2392 f. 478) Exemplarisch OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1997, 736 = ZIP 1997, 450 (für das Ziel, aus steuerlichen Gründen Gewinne ins Ausland zu verlagern; Folge bei Weigerung des Geschäftsführers: [fristlose] Kündigung seines Dienstverhältnisses). 479) BGH ZIP 1991, 509 = NJW 1991, 1681 = EWiR § 37 GmbHG 1/91, 469 (Meyer-Landrut) (GmbH); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2844; Kort, ZIP 1991, 1274. 480) BGHZ 83, 122 (Holzmüller) = ZIP 1982, 568 = NJW 1982, 1703 (AG); dazu ausführlich Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 129 ff., 155 ff.

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§ 3 Organisationsverfassung

GmbHG folgt;481) eine solche „Generalbereinigung“ unterscheidet sich von der im Gesetz geregelten Entlastung nur insoweit, als bei der Entlastung nur auf die den Gesellschaftern zur Zeit der Beschlussfassung bekannten oder aus ihnen zugänglichen Unterlagen erkennbaren Ersatzansprüche verzichtet wird, während die nur bei der GmbH mögliche Generalbereinigung einen Verzicht auf sämtliche denkbaren Ersatzansprüche darstellt.482) Bei Entscheidungen in diesem Bereich hat die Gesellschafterversammlung – anders als der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft – ein weitgehendes unternehmerisches Ermessen; denn die Lage bei einer Entscheidung durch die Gesellschafterversammlung ist anders als bei einer Ermessensentscheidung des treuhänderisch tätigen Aufsichtsrats (dazu oben Rz. 3.90).483) Entbehrlich ist bei einer Einpersonen-Gesellschaft insoweit allerdings ein förmlicher Gesellschafterbeschluss, wenn der Wille des Alleingesellschafters zur Durchsetzung der Ersatzansprüche in anderer Weise ausreichend dokumentiert wurde.484) Schließlich sollen die Gesellschafter im Zweifel über die Erteilung von Prokura und (Gesamt-)Handlungsvollmacht entscheiden (§ 46 Nr. 7 GmbHG). 3.231 Zu den Angelegenheiten der Gesellschafterversammlung gehören zudem – wie im Aktienrecht – die Entscheidung über die Ergebnisverwendung, aber – weitergehend als im Aktienrecht – auch über die Feststellung des Jahresabschlusses (§ 46 Nr. 1 GmbHG). Soll anstelle des nach deutschem HGB unverändert zu erstellenden Einzelabschlusses ein nach internationalen Grundsätzen erstellter – also vom HGB-Abschluss abweichender – Einzelabschluss offengelegt werden (§ 325 Abs. 2a HGB n. F.), obliegt auch die Entscheidung hierüber nach § 46 Nr. 1a GmbHG ebenso wie die Billigung eines solchen nur für Offenlegungszwecke hergestellten Abschlusses der Gesellschafterversammlung; der Gesellschafterversammlung obliegt nach § 46 Nr. 1b GmbHG schließlich auch die Billigung eines von den Geschäftsführern aufgestellten Konzernabschlusses. Im Zweifel ist auch die Gesellschafterversammlung für die Wahl des Abschlussprüfers zuständig (§ 318 Abs. 1 Satz 1 HGB). Wegen der in einer kleinen Gesellschaft besonders schweren Auswirkungen auf die Beziehungen der Gesellschafter zueinander soll die Gesellschafterversammlung schließlich über die Einforderung der Einlagen, die Rückzahlung von Nachschüssen und die Tei___________ 481) BGH ZIP 1998, 332, 333 = NJW 1998, 1315 = DStR 1998, 459 (Goette); Rowedder/ Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber, § 46 GmbHG Rz. 33. 482) BGHZ 97, 382, 389 = ZIP 1986, 979 = NJW 1986, 2250 = EWiR § 46 GmbHG 1/86, 997 (Roth). 483) OLG Düsseldorf ZIP 1996, 1083 (ARAG/Garmenbeck II) = EWiR § 47 GmbHG 1/96, 555 (Bork) (rkr. nach Nichtannahme der Revision mangels grundsätzlicher Bedeutung und mangels Erfolgsaussicht durch BGH [Nichtannahmebeschl. v. 20.1.1997 – II ZR 90/96], mitgeteilt in ZIP 1997, 887); dazu Raiser, NJW 1996, 552. 484) BGH ZIP 1995, 643, 645 = NJW 1995, 1750 = EWiR § 48 GmbHG 1/95, 893 (Weipert) = LM H. 7/1995 § 46 GmbHG Nr. 31; BGH ZIP 1997, 199, 200 = NJW 1997, 741 = DStR 1997, 252 (Goette) = EWiR § 43 GmbHG 2/97, 303 (Westermann).

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

lung, Zusammenlegung und Einziehung von Geschäftsanteilen entscheiden (§ 46 Nrn. 2 – 4 GmbHG). Von großer Bedeutung sind schließlich die zwingend der Gesellschafterver- 3.232 sammlung zustehenden „Grundlagenentscheidungen“ über Satzungsänderungen, Kapitalmaßnahmen (§§ 53, 55 GmbHG), Auflösung (§ 60 Abs. 1 GmbHG), bestimmte Konzernierungsmaßnahmen (§ 293 AktG analog), Umwandlungen und Formwechsel (§§ 13, 193 UmwG). 2.

Einberufung, Teilnahme, Leitung und Beurkundung

a)

Aktienrecht

aa)

Einberufung

Die Hauptversammlung ist nach § 121 Abs. 1 AktG in den durch Gesetz oder 3.233 Satzung bestimmten Fällen sowie dann einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft es erfordert; die Einberufung geschieht regelmäßig als Leitungsaufgabe i. S. v. § 76 Abs. 1 AktG durch den Vorstand in seiner Gesamtheit (§ 121 Abs. 2 AktG).485) Als „ordentliche Hauptversammlung“ ist sie nach § 175 Abs. 1 AktG im Hin- 3.234 blick auf die Entscheidung über die Gewinnverwendung mindestens einmal jährlich vom Vorstand so einzuberufen, dass sie innerhalb der ersten acht Monate eines Geschäftsjahrs stattfinden kann. Bei einem Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals ist die Hauptversammlung jedoch unverzüglich einzuberufen (§ 92 Abs. 1 AktG; dazu oben Rz. 3.57). Die Einberufung muss Ort und Zeit sowie die Tagesordnung der Hauptversammlung enthalten (§ 121 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AktG); bei börsennotierten Gesellschaften muss sie darüber hinaus zahlreiche weitere Hinweise zu eventuellen Bedingungen der Teilnahme und zur Stimmabgabe enthalten (§ 121 Abs. 3 Sätze 3 und 4 AktG). In der Satzung einer Aktiengesellschaft kann dabei ein Hauptversammlungsort im Ausland bestimmt werden, sofern dies den Teilnahmeinteressen der Aktionäre in sachgerechter Weise Rechnung trägt.486) Die Hauptversammlung muss minde___________ 485) BGH ZIP 2002, 172 (Sachsenmilch III) = NJW 2002, 1128 = NZG 2002, 130 = DStR 2002, 1312 (Goette) = EWiR § 76 AktG 2/02, 885 (Saenger/Bergjan) (Vorinstanz OLG Dresden NZG 1999, 1004 = AG 1999, 517 = EWiR § 124 AktG 1/2000, 259 (R. Werner): bei Verstoß Anfechtbarkeit des darauf ergehenden Hauptversammlungsbeschlusses (dazu Carsten Schäfer, ZGR 2002, 147); zum Ausnahmefall der zur Disposition des Aufsichtsrats stehenden Größe des Vorstands BGH ZIP 2002, 216 (Sachsenmilch IV) = DStR 2002, 1310 = NZG 2002, 817 = EWiR § 76 AktG 1/02, 317 (Zetzsche) (Vorinstanz OLG Dresden ZIP 1999, 1632); hierzu Henze, BB 2002, 847; Schwarz, DStR 2002, 1306. 486) BGHZ 203, 68 = ZIP 2014, 2494 Tz. 14 ff. = NJW 2015, 336 = NZG 2015, 18 = EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn); offengelassen früher etwa durch LG Stuttgart DB 1991, 2533 = AG 1992, 236 = WM 1992, 58 m. Anm. Hirte, EWiR 1992, 117 (nachgehend BGH [Urt. v. 8.11.1993 – II ZR 26/93], ZIP 1993, 1867 = NJW 1994, 320 [Verankerung in der Satzung erforderlich]).

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§ 3 Organisationsverfassung

stens dreißig Tage vor der Versammlung erfolgen (§ 123 Abs. 1 Satz 1 AktG) und ist in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen (§ 121 Abs. 4 Satz 1 AktG), bei börsennotierten Gesellschaften darüber hinaus über Medien, die in der gesamten Europäischen Union verbreitet sind (§ 121 Abs. 4a AktG). Bei börsennotierten und der paritätischen Mitbestimmung unterliegenden Aktiengesellschaften muss die Bekanntmachung bei einer Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ferner eine Angabe dazu enthalten, ob der Gesamterfüllung nach § 96 Abs. 2 Satz 3 AktG widersprochen wurde, und dazu, wie viele der Sitze im Aufsichtsrat mindestens jeweils von Frauen und Männern besetzt sein müssen, um das Mindestanteilsgebot nach § 96 Abs. 2 Satz 1 AktG zu erfüllen (§ 124 Abs. 2 Satz 2 AktG). Bei Satzungsänderungen oder Verträgen, die nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam werden (also vor allem den Unternehmensverträgen des Konzernrechts), ist auch der Wortlaut der vorgeschlagenen Satzungsänderung bzw. der wesentliche Inhalt des Vertrages bekannt zu machen (§ 124 Abs. 2 Satz 3 [früher Satz 2] AktG); das gilt vor allem bei „Holzmüller-Fällen“ auch dann, wenn die Gesellschaft über das Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung im Zweifel ist, sie dieser aber den Vertrag vorsorglich vorlegt.487) Gesellschaftsblatt ist seit dem 1. Januar 2003 der (seit 1. April 2012 nur noch elektronische) Bundesanzeiger (§ 25 Satz 1 AktG n. F.); daneben kann die Satzung auch andere Blätter oder – seit Inkrafttreten des NaStraG – elektronische Informationsmedien zu Gesellschaftsblättern bestimmen (§ 25 Satz 2 AktG). Nach § 124a AktG (eingefügt durch das ARUG) müssen bei börsennotierten Gesellschaften alle Einberufungsunterlagen alsbald nach der Einladung auch auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich sein488) (zuvor in diesem Sinne schon Empfehlung Nr. 2.3.1 DCGK). Sind der Gesellschaft alle Aktionäre namentlich bekannt, kann die Einladung – ausnahmsweise – durch eingeschriebenen Brief erfolgen, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt (§ 121 Abs. 4 AktG). Zu allen Gegenständen der Tagesordnung haben Vorstand und Aufsichtsrat mit der Bekanntmachung Beschlussvorschläge zu unterbreiten; den Vorschlag zur Bestellung eines (Sonder- oder Abschluss-)Prüfers hat allerdings entsprechend seiner Zuständigkeit für die Erteilung des Prüfungsauftrags (dazu oben Rz. 3.196) der Aufsichtsrat zu unterbrei-

___________ 487) OLG Schleswig ZIP 2006, 421 ff. (MobilCom) = AG 2006, 120 (vergleichsweise Klagerücknahme nach Revisionseinlegung BGH II ZR 326/05); krit. dazu Kort, AG 2006, 272. 488) Zur jedenfalls fehlenden Beschluss-Nichtigkeit bei Verstößen gegen diese Normen schon für das alte Recht (zu § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG a. F): BGH ZIP 2011, 1813 (Kirch/ Deutsche Bank) = NZG 2011, 1105 = EWiR § 121 AktG a. F. 1/11, 689 (Linnerz); zust. Merkner/Schmidt-Bendun, NZG 2011, 1097.

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

ten (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG).489) Dabei muss er sich nach § 124 Abs. 3 Satz 2 AktG auf die Empfehlung des Prüfungsausschusses „stützen“ (dazu auch unten Rz. 4.9). Eine 5 %ige Aktionärsminderheit kann die Einberufung der Hauptversamm- 3.235 lung unabhängig vom Vorstand verlangen (§ 122 Abs. 1 AktG) oder mindestens 24 Tage (bei börsennotierten Gesellschaften mindestens 30 Tage) vor der Versammlung unter Angabe einer Begründung oder einer Beschlussvorlage auch fordern, dass bestimmte Gegenstände auf die Tagesordnung gesetzt und bekannt gemacht werden (§ 122 Abs. 2 AktG). Ein solches Verlangen kann aber zurückgewiesen werden, wenn es missbräuchlich ist; das nimmt die Rechtsprechung vor allem dann an, wenn der antragstellenden Minderheit ein Zuwarten bis zur nächsten ordentlichen Hauptversammlung zuzumuten ist.490) Zudem muss für die beantragten Beschlussgegenstände die Kompetenz der Hauptversammlung gegeben sein. Im Übrigen hat die Minderheit dabei nachzuweisen, dass sie seit mindestens drei Monaten vor dem Tag der Hauptversammlung Inhaberin der Aktien ist und dass sie die Aktien bis zur Entscheidung über den Antrag halten wird (§ 122 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG).491) Die Möglichkeit, eine Ergänzung der Tagesordnung zu verlangen, ist deshalb von Bedeutung, weil sich die Informationsrechte des Aktionärs in der Hauptversammlung nur auf Gegenstände der Tagesordnung beziehen (dazu unten Rz. 4.25 ff.). Sofern das Wohl der Gesellschaft gefährdet ist, kann auch der Aufsichtsrat die Hauptversammlung einberufen (§ 111 Abs. 3 Satz 1 AktG). Der Vorstand muss die Einberufung nach § 125 Abs. 1 bis 3 AktG den Kreditins- 3.236 tituten und sonstigen geschäftsmäßigen Vertretern mitteilen, die schon auf der letzten Hauptversammlung Aktien vertreten haben oder die Mitteilung verlangen. In der Mitteilung ist nach § 125 Abs. 1 Satz 4 (früher Satz 2) AktG auf die Möglichkeiten der Ausübung des Stimmrechts durch einen Bevollmächtigten, auch

___________ 489) Zu den Auswirkungen auf einen Bestellungsbeschluss auf der Grundlage eines fehlerhaften Beschlussvorschlags (Anfechtbarkeit) BGHZ 153, 32 (Hypo-Vereinsbank) = NJW 2003, 970 = NZG 2003, 216 = ZIP 2003, 290 = JZ 2003, 563 (Lutter) = EWiR § 124 AktG 1/03, 199 (Bayer/Fischer) (Vorinstanzen OLG München AG 2001, 193 = DB 2001, 258; LG München I ZIP 1999, 2152). 490) OLG Hamburg NZG 2003, 132 (Commerzbank AG von 1870) = AG 2003, 643; OLG Frankfurt/M. ZIP 2005, 1419, 1420 = NZG 2007, 31; zum Missbrauch bei einem Minderheitsantrag auf Ergänzung der Tagesordnung nach § 122 Abs. 3 AktG KG ZIP 2003, 1042 (Ampere AG/Stadtwerke Hannover) = NZG 2003, 441. 491) Beispiel: LG Duisburg ZIP 2004, 76 = NZG 2004, 195 (Antrag auf Einberufung einer Hauptversammmlung zwecks Zustimmung zur Veräußerung eines Unternehmensteils; die Entscheidung wurde wegen fehlender Kontinuität des Minderheitsquorums aufgehoben durch OLG Düsseldorf NZG 2004, 239 = EWiR § 122 AktG 1/04, 261 [Vetter] = DStR 2004, 2023 (Ls.) [Wälzholz]).

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§ 3 Organisationsverfassung

durch eine Vereinigung von Aktionären, hinzuweisen.492) Zugleich hat der Vorstand die Mitteilung den Aktionären zu machen, die es nach Veröffentlichung der Einladung ausdrücklich verlangen oder die spätestens 14 Tage vor der Hauptversammlung als Aktionär im Aktienregister der Gesellschaft eingetragen waren (§ 125 Abs. 2 Satz 1 AktG). Für die Mitteilung kann durch die Satzung die elektronische Form vorgesehen werden (§ 125 Abs. 2 Satz 2 AktG i. d. F. des ARUG). Das hat in vielen Unternehmen zu einer entsprechenden Einladungspraxis geführt, so dass die früher in dieselbe Richtung zielende Empfehlung Nr. 2.3.2 des DCGK im Jahre 2013 aufgehoben werden konnte. Jeder Aktionär kann zu den Gegenständen der Tagesordnung Gegenanträge stellen (§ 126 Abs. 1 AktG).493) Diese muss die Gesellschaft einschließlich des Namens des Antragstellers, seiner (umfangmäßig begrenzten) Begründung und einer etwaigen Stellungnahme der Verwaltung ebenfalls nach § 125 Abs. 1 bis 3 AktG zugänglich machen, wenn die Anträge spätestens 14 Tage vor dem Tage der Hauptversammlung der Gesellschaft an die in der Einberufung hierfür mitgeteilte Adresse übersandt wurden. 3.236a Um eine Koordination der Stimmabgabe von Aktionären in der Hauptversammlung zu erleichtern oder Verlangen – wie das zur Einberufung der Hauptversammlung oder zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen – nach dem Aktiengesetz zu stellen, hat das UMAG in § 127a Abs. 1 AktG ein Aktionärsforum im (seit 1. April 2012 nur noch elektronischen) Bundesanzeiger eingeführt. Aktionäre oder Aktionärsvereinigungen können dort dazu auffordern, sich dem Antrag oder Verlangen eines Aktionärs oder einer Aktionärsvereinigung anzuschließen (§ 127a Abs. 2 AktG);494) das weicht vom bisherigen Recht ___________ 492) Dazu Zimmer, NJW 1998, 3521, 3525; kritisch zu dieser durch das KonTraG eingeführten Hinweispflicht Assmann, AG 1997, Sonderheft, S. 100, 102: mit dem Hinweis ohne konkrete Angaben zu potentiellen alternativen Vertretern ist wenig anzufangen. 493) Zur früheren Regelung, die eine (unbefriedigende) Wochenfrist für derartige Anträge vorsah, siehe die 3. Aufl. dieses Werkes Rz. 380. 494) Dieser Ansatz – die Möglichkeit der Kontaktaufnahme auch unter den Mitgliedern – ist inzwischen ein allgemeiner Ansatz des Verbandsrechts: So hat auch das Mitglied eines Vereins bei berechtigtem Interesse einen Anspruch auf Offenlegung der Namen und Anschriften anderer Vereinsmitglieder, und zwar auch dann, wenn es nicht darum geht, das nach § 37 BGB erforderliche Stimmenquorum zu erreichen (BGH [Hinweisbeschl. v. 21.6.2010 – II ZR 219/09] ZIP 2010, 2397, 2398 Tz. 6; für Herausgabeanspruch auch in Bezug auf etwa vorhandene elektronische Mitgliederdaten BGH [Zurückweisungsbeschl. v. 25.10.2010 – II ZR 219/09], ZIP 2010, 2399 f. [auch – und erst recht – kein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen, wenn die Herausgabe der Mitgliederdaten an einen Treuhänder verlangt wird]); ebenso haben auch die Anleger, die sich als Treugeber über eine Treuhandkommanditistin an einer Publikumsgesellschaft in Form einer KG beteiligt haben, das Recht, Auskunft über die Namen und Anschriften ihrer Mitgesellschafter in einer GbR zu verlangen, wenn sie aufgrund der im konkreten Fall getroffenen vertraglichen Vereinbarung im Innenverhältnis eine GbR bilden (BGH ZIP 2011, 322 m. krit. Anm. Altmeppen = NJW 2011, 921 = NZG 2011, 276 = DStR 2011, 418 = EWiR § 716 BGB 1/11, 183 [Wertenbruch]; ebenso zuvor BGH ZIP 2010, 27 = NJW 2010, 439 = NZG 2010, 61 = DStR 2010, 65).

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

ab, unter dem eine Aktionärsvereinigung – wenig überzeugend – von der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen unter Hinweis auf das Rechtsberatungsgesetz ausgeschlossen war.495) Sowohl der Auffordernde wie die Gesellschaft, auf die sich die Aufforderung bezieht, können schließlich zur Begründung ihrer Ansicht auf ihre jeweiligen Internetseiten hinweisen (§ 127a Abs. 3 und 4 AktG). Die Kreditinstitute (im Hinblick auf die Grenzen der deutschen Gesetzge- 3.237 bungshoheit natürlich nur die inländischen496)) haben die Mitteilungen nach § 128 Abs. 1 Satz 1 AktG an die Aktionäre zu übermitteln, deren Aktien sie verwahren oder für die sie im Aktienregister eingetragen sind.497) Auch diese Übermittlung kann durch die Satzung der Gesellschaft auf den Weg elektronischer Kommunikation beschränkt werden (§ 128 Abs. 1 Satz 2 AktG). Andere Aktionäre – also vor allem die unmittelbar im Aktienregister eingetragenen Aktionäre – erhalten die Informationen (nur) unmittelbar von der Gesellschaft (§ 125 Abs. 2 AktG). bb)

Teilnahme und Vertretung

Teilnahmeberechtigt an der Hauptversammlung ist grundsätzlich jeder Ak- 3.238 tionär, selbst wenn er nicht stimmberechtigt ist. Die Teilnahme kann aber – was bei Publikumsgesellschaften üblich ist – in der Satzung davon abhängig gemacht werden, dass die Aktionäre sich bei der Gesellschaft anmelden (§ 123 Abs. 2 Satz 1 AktG). Eine solche Anmeldung muss der Gesellschaft vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung mindestens sechs Tage vor der Versammlung zugehen (§ 123 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AktG. In diesem Fall hat die Einberufung dreißig Tage vor dem Anmeldedatum zu erfolgen (§ 123 Abs. 2 Satz 5 [früher Satz 2] AktG). Die Aktienrechtsnovelle 2014 will in § 123 Abs. 6 AktG n. F. einen einheitlichen Nachweisstichtag („record date“) für Namens- und Inhaberaktien börsennotierter Gesellschaften einführen, auf den sich der Nachweis der Aktionärseigenschaft beziehen muss; er soll in Übereinstimmung mit dem bisher nur für Inhaberaktien börsennotierter Gesellschaften geltenden § 123 Abs. 3 Satz 3 AktG auf den 21. Tag vor der Hauptversammlung festgelegt werden. Vorstand und Aufsichtsrat sollen an der Hauptversammlung teilnehmen (§ 118 Abs. 3 [früher Abs. 2] AktG); die Satzung kann aber seit Inkrafttreten des TransPuG bestimmte Fälle vorsehen, „in denen die Teilnahme von Mitgliedern des Aufsichtsrats [also nicht auch des Vorstands] im Wege der ___________ 495) BVerfG ZIP 2000, 183 = NJW 2000, 1251 = EWiR Art. 1 § 1 RBerG 3/2000, 305 (Hirtz); zuvor BGH ZIP 1993, 1708 (Girmes) = NJW 1999, 187 = EWiR § 134 BGB 1/94, 21 (Rennen); krit. hierzu Hirte, NJW 2000, 3321, 3325 f. 496) Dazu Hüffer/Koch, § 128 AktG Rz. 3. 497) Der Kostenerstattungsanspruch gegen die Gesellschaft richtet sich nach § 1 der Verordnung über den Ersatz von Aufwendungen der Kreditinstitute v. 17.6.2003 (BGBl. I, 885) (auch wiedergegeben mit Einführung durch Seibert und Begründung in ZIP 2003, 1270).

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§ 3 Organisationsverfassung

Bild- und Tonübertragung erfolgen darf“.498) Dritte – auch Arbeitnehmer der Gesellschaft – haben kein Teilnahmerecht, können aber zugelassen werden; insbesondere bei Publikumsaktiengesellschaften ist aber eine Zulassung der Presse üblich. Gerade solche Einzelheiten der Durchführung wie auch der Vorbereitung einer Hauptversammlung kann diese selbst in einer Geschäftsordnung regeln, die mit einer Mehrheit von drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals beschlossen werden muss (§ 129 Abs. 1 Satz 1 AktG). 3.239 § 118 Abs. 4 (früher Abs. 3) AktG (n. F. durch das TransPuG und erweitert durch das ARUG) schafft eine ausdrückliche Satzungs- oder Geschäftsordnungskompetenz (der Hauptversammlung) hinsichtlich der Frage, ob die Hauptversammlung in Ton oder Bild nach außen übertragen werden darf;499) das ARUG hat diese Möglichkeiten insoweit erweitert, als die Frage jetzt auch im Wege der bloßen Ermächtigung in die Entscheidungskompetenz des Vorstands oder des Versammlungsleiters gelegt werden kann. Zuvor hatte die Rechtsprechung mit Blick auf das Recht am eigenen Bild und das allgemeine Persönlichkeitsrecht angenommen, dass ein einzelner Aktionär der Aufnahme seines Redebeitrages in der Hauptversammlung widersprechen könne.500) Im Fall einer Aufzeichnung kann jeder Aktionär von der Gesellschaft gegen Kostenerstattung eine Abschrift der Teile des Protokolls bzw. der Tonbandaufnahme verlangen, die seine Fragen und Redebeiträge und die darauf gegebenen Antworten der Verwaltungsmitglieder enthalten. Der BGH leitet dieses Recht aus der Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber den Aktionären ab.501) Nicht zulässig ist bislang eine „echte“ Internet-Hauptversammlung in dem Sinne, dass die Präsenzversammlung vollständig entfällt.502) Das ARUG erlaubt aber jetzt ausdrücklich eine Satzungsregelung oder -ermächtigung an den Vorstand, eine Teilnahme von Aktionären „an der Versammlung“ auch ohne deren physische Präsenz am Ort der Versammlung und auch einen Bevollmächtigten vorzusehen (§ 118 Abs. 1 Satz 2 AktG n. F.). Entsprechend wird auch ausdrücklich die Stimmabgabe in Schriftform oder mittels elektronischer Kommunikationsmittel zugelassen (§ 118 Abs. 2 AktG; „Briefwahl“). Empfehlung Nr. 2.3.2 (ex 2.3.3) DCGK erwartet von der Gesellschaft, dass sie ihre Aktionäre bei der Wahrnehmung ihres Stimmrechts – sei es persönlich, brieflich oder durch Vertreter – ___________ 498) Hierzu ausführlich Hirte, TransPuG, Rz. I 58 f. 499) Hierzu näher (auch zu den kapitalmarktrechtlichen Folgen im Rahmen der Ad-hocPublizität nach § 15 Abs. 1 WpHG) Hirte, TransPuG, Rz. I 62. 500) BGHZ 127, 107, 109 (BMW) = ZIP 1994, 1597 = NJW 1994, 3094 = EWiR § 130 AktG 1/95, 13 (Hirte); dazu Gehrlein, WM 1994, 2054. 501) BGHZ 127, 107 (BMW) = ZIP 1994, 1597 = NJW 1994, 3094 = EWiR § 130 AktG 1/93, 13 (Hirte); dazu Gehrlein, WM 1994, 2054. 502) Zum Ganzen ausführlich Zetzsche, Die Virtuelle Hauptversammlung (2002); für die Zulässigkeit einer derartigen „Cyber-Hauptversammlung“ de lege lata allerdings Hirte, in: Corporations, Capital Markets and Business in the Law. Liber Amicorum Richard M. Buxbaum (Deventer 2000), S. 283, 288 ff.

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unterstützt. Anregung Nr. 2.3.3 (ex 2.3.4) DCGK legt zudem nahe, den Aktionären die Verfolgung der Hauptversammlung über moderne Kommunikationsmedien wie das Internet zu ermöglichen. Bei der Abstimmung in der Hauptversammlung kann sich der Aktionär ver- 3.240 treten lassen (§ 134 Abs. 3 Satz 1 AktG). Die dafür erforderliche Vollmacht bedarf der Textform, wenn die Satzung nichts Abweichendes und bei börsennotierten Gesellschaften keine Erleichterung vorsieht (§ 134 Abs. 3 Satz 3 AktG). Der Vertretene ist bei der Stimmabgabe zu benennen (arg. § 134 Abs. 3 Satz 5 i. V. m. § 135 Abs. 5 Satz 2 AktG, nach denen – nur – bei Vertretung durch von der Gesellschaft benannte Stimmrechtsvertreter oder durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde die Nennung des Vertretenen ausgeschlossen ist).503) Will der Aktionär auf der Hauptversammlung nicht persönlich in Erscheinung treten, kann er im Wege der Legitimationszession aber auch einen Dritten ermächtigen, das Stimmrecht auf der Hauptversammlung im eigenen Namen auszuüben (zur Protokollierung § 129 Abs. 3 AktG). Durch die Aktiengesellschaft selbst oder ihre Organe (insgesamt) kann sich ein Aktionär aber nicht vertreten lassen; denn dann würden sich – was § 136 Abs. 2 AktG bislang nur für einen Fall ausdrücklich regelte – die Gesellschaft und ihre Verwaltung im Ergebnis selbst kontrollieren (können).504) Durch § 134 Abs. 3 Satz 5 (früher Satz 3) AktG (eingeführt durch das NaStraG) 3.241 hat der Gesetzgeber aber jetzt indirekt eine Stimmrechtsvertretung durch von der Gesellschaft benannte Stimmrechtsvertreter (sofern sie nur nicht deren Organmitglieder sind) in einer sehr rudimentären Weise für zulässig erklärt; ob ein Vertreter in diesem Sinne „benannt“ ist, wird man danach zu beurteilen haben, ob er um diese Benennung weiß. Die neue Regelung mag im Hinblick auf die entsprechende US-Praxis des proxy voting verständlich sein, hätte dann aber auch ausführlicher(er) Regelungen bedurft, um der Gefahr einer Kontrolle der Gesellschaft durch sich selbst entgegenzusteuern.505) Sonderregeln gelten, wenn ein Inhaberaktionär einem Kreditinstitut – in der 3.242 Regel der seine Aktien verwahrenden Depotbank – oder einem anderen geschäftsmäßigen Vertreter (§ 135 Abs. 8 AktG) Vollmacht erteilt (§ 135 AktG). ___________ 503) Kritisch dazu Noack, ZIP 2001, 57, 59; zu den Grenzen der (verdrängenden) Stimmrechtsvollmacht Reichert/Harbarth, AG 2001, 447 ff. 504) Wie hier Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 26; von Randow, ZIP 1998, 1564; abw. für von der Gesellschaft (Deutsche Telekom AG) beauftragte Wirtschaftsprüfer als Stimmrechtsvertreter OLG Karlsruhe ZIP 1999, 750; Vorinstanz LG Baden-Baden ZIP 1998, 1308 = EWiR § 135 AktG 1/98, 675 (Dreher/Schnorbus); vgl. auch Singhof, NZG 1998, 670. 505) Wie hier Noack, ZIP 2001, 57, 61 f. (mit überzeugendem Plädoyer dafür, eine Stimmrechtsangabe durch Angestellte auf der eigenen Hauptversammlung analog § 135 Abs. 1 Satz 2 AktG a. F. nur auf der Grundlage einer Einzelweisung zuzulassen); dazu Hanloser, NZG 2001, 355 ff.; zur „sensationellen“ Einführung des § 134 Abs. 3 Satz 5 (früher Satz 3) AktG auch Seibert, ZIP 2001, 53, 55.

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§ 3 Organisationsverfassung

Die diesbezüglichen Regelungen wurden durch das ARUG im Jahre 2009 vollständig neu gefasst. Eine solche „Depotvollmacht“ kann heute in jeder Form – also auch elektronisch – erteilt werden, sofern nur eine Nachprüfung möglich ist (§ 135 Abs. 1 Satz 2 AktG).506) Um das „Vertretungsmonopol“ der Kreditinstitute (etwas) zu brechen, verlangt § 135 Abs. 1 Satz 5 AktG von einem Kreditinstitut, das sich zur Übernahme einer Vollmacht „erbietet“, die Vertretungsunterlagen auch an andere Vertreter, insbesondere eine Aktionärsvereinigung, weiterzuleiten. Die Vollmacht ist nicht mehr nur befristet erteilbar (so § 135 Abs. 2 Satz 2 AktG a. F. [bis 2001]), dafür aber jederzeit widerruflich; darauf ebenso wie auf die Möglichkeit einer Weiterleitung der Vertretungsunterlagen hat das Kreditinstitut den Aktionär jährlich und deutlich hervorgehoben hinzuweisen (§ 135 Abs. 1 Satz 6 AktG). Die Erteilung von Weisungen für die Stimmrechtsausübung, die Erteilung und der Widerruf der generellen Vollmacht ebenso wie der Auftrag zur Weiterleitung der Stimmrechtsunterlagen an einen anderen Bevollmächtigten sind möglichst einfach zu gestalten, etwa durch ein Formblatt oder Bildschirmformular (§ 135 Abs. 1 Satz 7 AktG). 3.243 Sofern der Aktionär keine ausdrücklichen Weisungen zu einzelnen Punkten der Tagesordnung erteilt (was immer möglich ist: § 135 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 3 AktG), erlaubt das Gesetz, dem Kreditinstitut eine generelle Weisung entweder zur Abstimmung entsprechend den von ihm gemachten Abstimmungsvorschlägen (§ 135 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AktG) oder entsprechend den Abstimmungsvorschlägen der Verwaltung zu erteilen (§ 135 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 AktG). Im ersten Fall, also bei einer Abstimmung entsprechend den eigenen Abstimmungsvorschlägen, muss das Kreditinstitut dem Aktionär rechtzeitig entsprechende eigene Vorschläge machen (§ 135 Abs. 2 Satz 1 AktG). Dabei hat es sich vom Interesse des Aktionärs leiten zu lassen; zudem muss das Kreditinstitut organisatorisch dafür Sorge tragen, dass die Interessen als Stimmrechtsvertreter nicht mit anderen (Beteiligungs-)Interessen des Kreditinstituts vermengt werden (Aufbau von „Chinese walls“; § 135 Abs. 2 Satz 2 AktG). Zudem muss es ausdrücklich auf personelle Verflechtungen und auf Beteiligungen ab einem bestimmten Umfang sowie auf die Mitwirkung an der Emission von Wertpapieren der Gesellschaft, in deren Hauptversammlung es abstimmen will, hinweisen (§ 135 Abs. 2 Sätze 4 und 5 AktG).507) In der Hauptversammlung hat das Kreditinstitut dann das Stimmrecht entsprechend seinen Vorschlägen auszuüben, sofern der Aktionär keine abweichenden Einzelweisungen erteilt (§ 135 Abs. 3 AktG; dort auch zu Ausnahmen und deren Folgen). Das gilt nur dann nicht, wenn das Kreditinstitut das Stimmrecht in der eigenen Hauptversammlung ausüben will, oder in einer Gesellschaft, an der es mit mehr als 20 % ___________ 506) Zu den technischen Möglichkeiten Noack, ZIP 2001, 57 f. 507) Dazu Assmann, AG 1997, Sonderheft, S. 100, 104, mit dem berechtigten Hinweis darauf, dass Transparenz bezüglich der Kreditbeziehungen mindestens ebenso wichtig wäre; Zimmer, NJW 1998, 3521, 3525 f.

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

des Grundkapitals unmittelbar oder über eine Mehrheitsbeteiligung mittelbar beteiligt ist; hier darf es das Stimmrecht nur aufgrund von Einzelweisungen der Aktionäre ausüben (§ 135 Abs. 3 Sätze 3 und 4 AktG). Mit dieser schon auf das KonTraG zurückgehenden Regelung sollen die Interessenkonflikte zwischen den Depotbanken, die einerseits an Aktiengesellschaften beteiligt sind und andererseits in deren Hauptversammlungen die Interessen ihrer Kunden wahrzunehmen haben, verringert oder zumindest transparent gemacht werden.508) Soll das Kreditinstitut entsprechend den Vorschlägen der Verwaltung abstimmen, muss es diese Vorschläge dem Aktionär zugänglich machen (§ 135 Abs. 4 Satz 1 AktG). Im Übrigen gelten in diesem Fall die anderen Regelungen weitgehend entsprechend (§ 135 Abs. 4 Satz 2 AktG). Das Kreditinstitut ist berechtigt, zur Ausübung der Vollmacht auch Unter- 3.244 vollmachten an Dritte zu erteilen (§ 135 Abs. 5 Satz 1 AktG). Im Übrigen gibt es vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarung seine Stimme ohne Offenlegung des Vertretenen „im Namen dessen, den es angeht,“ ab (§ 135 Abs. 5 Satz 2 AktG). Sämtliche vorgenannten Möglichkeiten der Stimmabgabe gelten schließlich auch für Namensaktionäre, als deren Inhaber ein Kreditinstitut im Aktienregister eingetragen ist (§ 135 Abs. 6 AktG).509) cc)

Leitung und Beurkundung

Über die Leitung der Hauptversammlung selbst enthält das Gesetz allerdings 3.245 keine Regelung; üblich ist es, diese – gegebenenfalls aufgrund einer entsprechenden Regelung in der Satzung – dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu übertragen. Die Frage kann auch in einer Geschäftsordnung der Hauptversammlung nach § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG geklärt werden. Bei Publikumsgesellschaften erfordert diese Aufgabe ein erhebliches Fingerspitzengefühl. Denn die Motivation für den Besuch einer Hauptversammlung kann sehr unterschiedlich sein: der Teilnehmerkreis reicht von an der Sache interessierten Aktionären (und ihren Vertretern) über solche Aktionäre, die eher das Rahmenprogramm einschließlich des üblichen Lunchpakets oder die (in Grenzen mögliche) steuerliche Abzugsfähigkeit einer Städtereise schätzen, bis hin zu denen, die die Bühne der Hauptversammlung zu Zwecken politischer Agitation mit nur losem Bezug zur Gesellschaft ausnutzen wollen. Sofern es die Durchführung der Hauptversammlung an einem Tag erfordert, kann die Redezeit der einzelnen Aktionäre begrenzt und diese Begrenzung auch mit Wortentzug und gegebenenfalls gewaltsamer Entfernung aus dem Tagungslokal durchgesetzt werden. Dies musste ___________ 508) Dazu Zimmer, NJW 1998, 3521, 3525; kritisch zu dieser Neuregelung Assmann, AG 1997, Sonderheft, S. 100, 105 f.: Bei steigendem Beteiligungsbesitz gibt es typischerweise keine Divergenzen zwischen Bankeninteressen und Interessen der von ihr vertretenen Aktionäre. 509) Dazu Noack, ZIP 2001, 57, 58 ff. (dort auch zum Risiko der doppelten Abstimmung bei Namensaktionären und den Möglichkeiten seiner Vermeidung).

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§ 3 Organisationsverfassung

der Würzburger Professor für Betriebswirtschaftslehre Ekkehard Wenger auf der Hauptversammlung der Daimler Benz AG erfahren.510) 3.246 Um den Ablauf der Hauptversammlung zu dokumentieren, ist ein Verzeichnis der erschienenen und vertretenen Aktionäre zu erstellen (§ 129 Abs. 1 AktG), und bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft ist jeder Beschluss notariell zu beurkunden (§ 130 Abs. 1 Satz 1 AktG).511) Diese Form ist nach Auffassung des BGH aus Gründen der Rechtssicherheit auch dann einzuhalten, wenn es ihr Schutzzweck im Einzelfall nicht erfordert.512) Bei börsennotierten Gesellschaften verlangt § 130 Abs. 2 Satz 2 AktG weitergehende Feststellungen zum Beschlussergebnis und § 130 Abs. 6 AktG die Bekanntgabe des Beschlussergebnisses binnen sieben Tagen nach der Versammlung auf der Internetseite der Gesellschaft. Bei einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft reicht heute nach § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG eine vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu unterzeichnende Niederschrift aus, sofern keine Grundlagenentscheidungen gefällt werden. 3.247 Die in §§ 121 – 128 AktG geregelten Formalia für die Abwicklung der Hauptversammlung sind allerdings bei Einverständnis aller Aktionäre verzichtbar, wenn es sich um eine Universalversammlung handelt; darunter versteht man eine Hauptversammlung, in der sämtliche Aktionäre vertreten oder erschienen sind (§ 121 Abs. 6 AktG). Diese Lösung ist angesichts der Tatsache, dass das Aktiengesetz im Übrigen an der Publikumsaktiengesellschaft ausgerichtet ist, überzeugend. 3.248 Auch in einer noch zum alten Recht ergangenen Entscheidung wurden die Anforderungen an die zu beachtenden Formalien bei der Einladung zu einer Hauptversammlung schon relativiert; danach sind fehlende Angaben über die Stimmen und die Art der Abstimmung im Versammlungsprotokoll unerheblich, wenn nur einer der zwei Beteiligten an der Hauptversammlung teilgenommen hat und daher keine Zweifel über die nicht protokollierten Angaben bestehen.513)

b)

Europäische Aktiengesellschaft

3.249 Organisation und Ablauf der Hauptversammlung einer Europäischen Aktiengesellschaft richten sich ebenso wie das Abstimmungsverfahren nach dem na___________ 510) LG Stuttgart ZIP 1994, 950 (Wenger/Daimler Benz) = NJW-RR 1994, 937 (inzwischen rkr.); zuvor bereits BGHZ 44, 245; OLG Frankfurt/M. AG 1984, 192. 511) Dabei ist der Notar nicht verpflichtet, eigene Feststellungen zum Abstimmungsergebnis zu treffen: OLG Düsseldorf ZIP 2003, 1147 (Goldzack) = NZG 2003, 816 = EWiR § 130 AktG 1/03 (Sustmann); abw. als Vorinstanz LG Wuppertal ZIP 2002, 1621, 1622 (Goldzack) = EWiR § 130 AktG 1/02, 645 (Priester); hierzu Grumann/Gillmann, NZG 2004, 839. 512) BGH ZIP 1994, 1171 = NJW-RR 1994, 1250 = EWiR § 130 AktG 1/94, 1051 (Petzoldt) gegen RGZ 105, 373. 513) LG Düsseldorf ZIP 1995, 1985 (ARAG/Garmenbeck) = EWiR § 121 AktG 1/95, 1149 (Bork) (n. rkr.; zum Verfahrensfortgang und zu anderen in diesem Streit aufgeworfenen Fragen unten Rz. 3.281; zu weiteren Fragen dieses Gesellschafterstreits oben Rz. 3.90).

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

tionalen Recht des Sitzstaats der SE (Art. 53 SE-VO). Dem nationalen Recht unterliegen damit zunächst die Fragen der Einberufung der Hauptversammlung, der Teilnahme an ihr und der Vertretung in ihr sowie ihrer Leitung und Beurkundung. Daher gilt insbesondere auch § 131 AktG.514) Europarechtlich festgelegt ist aber, dass die Hauptversammlung mindestens 3.250 einmal im Kalenderjahr binnen sechs Monaten nach Schluss des Geschäftsjahres stattzufinden hat (Art. 54 Abs. 1 SE-VO). Festgelegt in der SE-Verordnung ist auch, dass (mindestens) eine Kapitalminderheit von 10 % das Recht auf Einberufung der Hauptversammlung (Art. 55 Abs. 1 SE-VO) und auf Ergänzung der Tagesordnung (Art. 56 Satz 1 SE-VO) hat. Der deutsche Gesetzgeber hat diesen Grenzwert entsprechend § 122 Abs. 1 AktG auf 5 % gesenkt und ihn für die bloße Ergänzung der Tagesordnung entsprechend § 122 Abs. 2 AktG zusätzlich auch auf Aktionäre erstreckt, deren Beteiligung den anteiligen Betrag am Grundkapital von 500.000 Euro erreicht (§ 50 SEAG).515) c)

GmbH-Recht

Ganz im Gegensatz zum Aktienrecht ist das Verfahren zur Einberufung und 3.251 Durchführung der Gesellschafterversammlung nur rudimentär und zudem dispositiv (§ 45 Abs. 2 GmbHG) im Gesetz geregelt. Bei Lücken des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrages wird daher in weitem Umfang auf die aktienrechtliche Regelung zurückgegriffen, die aber vor allem bei kleineren GmbHs an den stärkeren Personenbezug angepasst werden muss. Die Regelung des Aktiengesetzes kann andererseits auch als Messlatte für die Zulässigkeit oder Missbräuchlichkeit von individuellen Satzungsgestaltungen herangezogen werden. Nach der gesetzlichen Lösung ist die Gesellschafterversammlung nach § 49 3.252 Abs. 2 GmbHG in den durch Gesetz oder Satzung bestimmten Fällen sowie dann einzuberufen, wenn das Interesse der Gesellschaft es erfordert; die Einberufung geschieht durch die Geschäftsführer (§ 49 Abs. 1 GmbHG). Auf die Regelungen über Geschäftsführung und Vertretung kommt es dabei nicht an.516) Nach § 42a Abs. 2 GmbHG ist die Gesellschafterversammlung im Hinblick auf die Feststellung des Jahresabschlusses und die Entscheidung über die Gewinnverwendung mindestens einmal jährlich vom Geschäftsführer einzuberufen. Bei einem Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals ist die Gesell-

___________ 514) BGHZ 194, 14 Tz. 35 (Fresenius) = ZIP 2012, 1807 = NJW 2012, 3235 = NZG 2012, 1064 = DStR 2012, 1973 = EWiR § 114 AktG 1/12, 647 (Hoffmann-Theinert). 515) Zusammenfassend Knapp, DStR 2012, 2392, 2393 ff. 516) KG GmbHR 1968, 118; BayObLG ZIP 1999, 1597, 1599 = NJW-RR 2000, 181 = EWiR § 49 GmbHG 1/99, 1007 (Fabis); Zöllner, in: Baumbach/Hueck, § 49 GmbHG Rz. 3.

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§ 3 Organisationsverfassung

schafterversammlung jedoch unverzüglich einzuberufen (§ 49 Abs. 3 GmbHG; dazu oben Rz. 3.57).517) 3.253 Die Einberufung erfolgt durch eingeschriebenen Brief mindestens eine Woche vor der Versammlung (§ 51 Abs. 1 GmbHG).518) Zugleich ist der Zweck der Versammlung bekannt zu machen (§ 51 Abs. 2 GmbHG); die eigentliche Tagesordnung braucht allerdings erst drei Tage vor der Versammlung mitgeteilt zu werden (§ 51 Abs. 4 GmbHG). Anders als bei der Aktiengesellschaft (dazu oben Rz. 3.234) ist eine Bekanntmachung der Einberufung in den Gesellschaftsblättern nicht zwingend erforderlich. Nur für den Fall, dass der Gesellschaftsvertrag eine Bekanntmachung vorschreibt, bestimmt § 12 Satz 1 GmbHG seit dem 1. April 2005, dass sie dann im (seit 1. April 2012 nur noch elektronischen) Bundesanzeiger zu erfolgen hat; daneben kann die Satzung auch andere Blätter oder elektronische Informationsmedien zu Gesellschaftsblättern bestimmen (§ 12 Satz 2 GmbHG n. F.).519) Wie bei der Aktiengesellschaft kommt es auf die Beachtung des Einberufungsverfahrens nicht mehr an, wenn alle Gesellschafter erschienen sind (§ 51 Abs. 3 GmbHG).520) Eine 10 %ige Gesellschafterminderheit kann die Einberufung der Gesellschafterversammlung unabhängig vom Geschäftsführer verlangen (§ 50 Abs. 1 GmbHG) oder auch fordern, dass bestimmte Gegenstände auf die Tagesordnung gesetzt werden (§ 50 Abs. 1 GmbHG). Eine solche Gesellschafterminderheit kann die Einladung zur Gesellschafterversammlung oder eine Ergänzung der Tagesordnung auch selbst bewirken, dann aber – unter dem Vorbehalt eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung – auf eigene Kosten (§ 50 Abs. 3 GmbHG). Das setzt zudem voraus, dass die Minderheit zuvor nach § 50 Abs. 1 GmbHG erfolglos eine Einberufung unter Angabe von Zweck und Gründen verlangt hat, was auch eine Angabe der beantragten Tagesordnung erforderlich macht.521) 3.254 Teilnahmeberechtigt an der Gesellschafterversammlung ist jeder Gesellschafter, selbst wenn er nicht stimmberechtigt ist. Dritte – auch Arbeitnehmer der Gesellschaft – haben kein Teilnahmerecht, können aber zugelassen werden. Bei der Abstimmung in der Gesellschafterversammlung kann sich der Gesellschafter ___________ 517) BGH ZIP 1995, 560 = NJW-RR 1995, 669 = EWiR § 43 GmbHG 2/95, 785 (Wittkowski) (GmbH); BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103, 1109 f. = NJW 1994, 2220 = EWiR § 64 GmbHG 2/94, 791 (Wilhelm); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2845 f. 518) Zur Terminsverlegung und Fristberechnung BGHZ 100, 264 = ZIP 1987, 1117 = EWiR § 51 GmbHG 1/87, 991 (Hommelhoff). Zur Unzulässigkeit einer Eventualeinberufung vor Durchführung der ersten Versammlung für den Fall, dass nach dem Gesellschaftsvertrag einer GmbH bei fehlender Beschlussfähigkeit der Gesellschafterversammlung innerhalb von drei Wochen eine neue Gesellschafterversammlung mit gleicher Tagesordnung einzuberufen ist, BGH ZIP 1998, 335 = NJW 1998, 1317 = DStR 1998, 348 = DZWir 1998, 161 (Ingerl). 519) Hierzu Spindler/Kramski, NZG 2005, 746; Terbrack, DStR 2005, 2045. 520) BGH ZIP 2003, 116, 118 f. = NJW-RR 2003, 826 = NZG 2003, 127. 521) OLG Köln NJW-RR 1999, 979.

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

vertreten lassen. Die dafür erforderliche Vollmacht bedarf regelmäßig der Schriftform (§ 47 Abs. 3 GmbHG).522) Die Ermächtigung eines Dritten zur Abstimmung im Wege der Legitimationszession ist im GmbH-Recht nicht zulässig.523) Über die Leitung der Gesellschafterversammlung enthält auch das GmbH- 3.255 Gesetz keine Regelung; üblich und zweckmäßig ist es, einen Vorsitzenden zu bestimmen. Auch ein Dritter, etwa ein Notar oder ein Rechtsanwalt, kann – gegebenenfalls aufgrund einer entsprechenden Regelung in der Satzung – mit dieser Aufgabe betraut werden.524) In der Einpersonen-GmbH hat der alleinige Gesellschafter, der – wie Art. 4 Abs. 1 Zwölfte Richtlinie ausdrücklich klarstellt – der Sache nach die Gesellschafterversammlung bildet, unverzüglich nach der Beschlussfassung eine Niederschrift aufzunehmen und zu unterschreiben (Art. 4 Abs. 2 Zwölfte Richtlinie, § 48 Abs. 3 GmbHG). Grundlagenentscheidungen bedürfen allerdings immer der Beurkundung (für die Satzungsänderung § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG). Völlig entbehrlich ist die Abhaltung einer Gesellschafterversammlung ähnlich 3.256 wie im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, wenn sich sämtliche Teilnehmer mit der schriftlichen Stimmabgabe einverstanden erklären (§ 48 Abs. 2 GmbHG). Auch eine Kombination zwischen Präsenzversammlung und schriftlicher Stimmabgabe ist möglich, freilich nur dann, wenn die Satzung dies vorsieht.525) 3.

Beschlussfassung und Stimmrecht

Die Willensbildung der Gesellschafter in der Haupt- bzw. Gesellschafterver- 3.257 sammlung vollzieht sich nach dem Gesetz hauptsächlich durch Beschlüsse. Die dazu notwendige Stimmabgabe des einzelnen Aktionärs stellt eine Willenserklärung dar, für die grundsätzlich auch die Vorschriften über Willensmängel gelten. Allerdings spielt – vor allem in geschlossenen Gesellschaften – der (informelle) Meinungsaustausch eine mindestens ebenso große Rolle. Deshalb kommt es auch für die Teilnahmeberechtigung an Haupt- oder Gesellschafterversammlung nicht (auch) auf die Stimmberechtigung an: die Möglichkeit zur Einflussnahme durch das Wort soll keinem Gesellschafter verwehrt werden. ___________ 522) Enger OLG Naumburg GmbHR 1996, 934 = EWiR § 38 GmbHG 1/96, 663 (Wittkowski) (inzwischen rkr.): Zuziehung eines Beistands nur, wenn besonders schwerwiegende Beschlüsse zu fassen sind oder der Gesellschafter nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt; andererseits OLG Brandenburg NJW-RR 1999, 543: Zurückweisung einer in italienischer Sprache ausgestellten Vollmacht eines italienischen Gesellschafters kann rechtsmissbräuchlich sein. 523) Raiser/Veil, KapGesR, § 33 Rz. 38; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, § 47 GmbHG Rz. 41; abw. RGZ 157, 52, 56; offengelassen in BGH ZIP 1987, 165 = DB 1987, 424. 524) Ein Versammlungsleiter kann in Ermangelung einer satzungsmäßigen Grundlage nach Auffassung des OLG Frankfurt/M. nur einstimmig bestimmt werden: OLG Frankfurt/ M. NJW-RR 1999, 980. 525) BGH ZIP 2006, 852, 853 f. = NJW 2006, 2044 = EWiR § 48 GmbHG 1/2007, 111 (M. Möller).

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§ 3 Organisationsverfassung

3.258 Voraussetzung für die Stimmberechtigung in der Aktiengesellschaft ist regelmäßig, dass die Einlage auf die Aktie voll geleistet ist (§ 134 Abs. 2 Satz 1 AktG). Das GmbH-Recht kennt eine vergleichbare Beschränkung hingegen nicht. Im Übrigen richtet sich das Stimmrecht in der GmbH und bei Nennbetragsaktien grundsätzlich nach den Nennbeträgen bzw. bei Stückaktien nach der Zahl der Aktien (§ 47 Abs. 2 GmbHG; § 134 Abs. 1 Satz 1 AktG). 3.259 Davon gibt es aber Ausnahmen in beide Richtungen: stimmrechtslose Vorzugsaktien berechtigen nach noch geltendem Recht nur dann zur Stimmabgabe, wenn ein dem Aktionär zugesagter Vorzug nicht gezahlt und ein Rückstand nicht nachgezahlt wurde (§§ 12 Abs. 1 Satz 1, 139 ff. AktG). Die Aktienrechtsnovelle 2014 (in Fortschreibung der gescheiterten Aktienrechtsnovelle 2012) will dies insoweit modifzieren, als eine Nachzahlungspflicht hinsichtlich des „Vorzugs“ nicht mehr zwingend vorgesehen werden muss; die Nichtzahlung des Vorzugs soll in diesem Fall nach dem neuen § 140 Abs. 2 AktG (nur) zu einem Wiederaufleben des Stimmrechts in diesem Jahr führen. Unabhängig davon sind Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (selbstverständlich) immer dann stimmberechtigt, wenn der ihnen eingeräumte Vorzug aufgehoben oder beschränkt werden soll (§ 141 Abs. 1 AktG).526) Im GmbH-Recht sollen sogar vollständig stimmrechtslose Geschäftsanteile zulässig sein.527) 3.260 Mehrstimmrechtsaktien erlauben die Abgabe von mehr Stimmen, als dies dem An-

teil der Aktie am Grundkapital entsprechen würde; sie gestatten daher einem Aktionär, die Mehrheit in der Hauptversammlung zu halten, obwohl er nicht über die Mehrheit des Kapitals verfügt. Da sie eine Abweichung vom Grundsatz des Gleichlaufs von Stimmrechtsmacht und Kapitalbeteiligung darstellen, wurden sie schon früher als grundsätzlich unzulässig angesehen und konnten nur aufgrund einer Ausnahmegenehmigung des zuständigen Wirtschaftsministeriums ausgegeben werden (§ 12 Abs. 2 AktG a. F.).528) Der Gesetzgeber des KonTraG ging in dessen Art. 1 Nr. 3 noch weiter und hob die Ausnahmebestimmung des früheren § 12 Abs. 2 Satz 2 AktG vollständig auf, so dass Mehrstimmrechte in der Aktiengesellschaft jetzt ausnahmslos unzulässig sind. Nach § 5 Abs. 1 EGAktG i. d. F. durch Art. 11 des KonTraG waren vorhandene Mehrstimmrechte allerdings noch für einen Übergangszeitraum bis Ende Mai 2003 zulässig. Die Hauptversammlung konnte zudem

___________ 526) Zur ökonomischen Kritik an stimmrechtslosen Vorzugsaktien Pellens/Hillebrandt, AG 2001, 57 ff. 527) RGZ 167, 65, 73; BGHZ 14, 264, 269; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, § 47 GmbHG Rz. 33. 528) Zum daraus folgenden subjektiven öffentlichen Recht der Stammaktionäre darauf, dass die zuständige oberste Wirtschaftsbehörde die Ausgabe solcher Aktien nur bei Vorliegen der engen Ausnahmevoraussetzungen des § 12 Abs. 2 S. 2 AktG a. F. (Vorliegen überwiegender gesamtwirtschaftlicher Belange) zulässt BVerwGE 104, 115 (RWE) = NJW 1998, 173 = ZIP 1997, 982 = EWiR § 12 AktG 1/97, 579 (Kluth) = DZWir 1997, 455 (Notthoff) = WiB 1997, 984 (Keckemeti); Vorinstanz OVG Münster ZIP 1996, 131 (RWE) = EWiR § 12 AktG 1/96, 435 (Siekmann) = WiB 1996, 321 (Horn/Keckemeti), das den Angriff aber für in der Sache verfristet hielt.

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

bis zu diesem Zeitpunkt – unter Ausschluss des Stimmrechts der Mehrstimmrechtsaktionäre – deren Fortgeltung auch über diesen Termin hinaus beschließen.529)

Ein Höchststimmrecht (§ 134 Abs. 1 Satz 2 AktG) schließlich bewirkt, dass ein 3.261 Aktionär unabhängig von der ihm zustehenden Kapitalbeteiligung nur eine in der Satzung festgelegte Stimmenzahl abgeben kann; damit soll es dem Erwerber von Aktien erschwert werden, Einfluss in der Hauptversammlung zu erlangen. Ebenso wie Mehrstimmrechte verstoßen Höchststimmrechte damit gegen den – freilich nicht zwingenden – Grundsatz des „Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung“, allerdings in genau umgekehrter Richtung wie Mehrstimmrechte. Obwohl die Einführung eines Höchststimmrechts durch Satzungsänderung Aktien zudem wegen der entfallenden „Übernahmephantasie“ auch wirtschaftlich unattraktiver macht und dies damit einen nachträglichen Eingriff in den rechtlichen wie wirtschaftlichen Besitzstand der Aktionäre darstellt, hatte der BGH auch eine nachträgliche Einführung solcher Höchststimmrechte gebilligt.530) Mit Inkrafttreten des KonTraG wurde den ordnungspolitischen Bedenken gegen Höchststimmrechte freilich insoweit Rechnung getragen, als diese nunmehr für börsennotierte Aktiengesellschaften nicht mehr zulässig sind. Existierende Höchststimmrechte bei börsennotierten Aktiengesellschaften sind nach § 5 Abs. 7 EGAktG noch für einen Übergangszeitraum von zwei Jahren – bis zum 1. Juni 2000 – bestehen geblieben. Im GmbH-Recht ist wegen § 45 Abs. 1 GmbHG die Einführung von Höchst- und Mehrstimmrechten in der Satzung möglich.531) Durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz wurde die „Europäische 3.261a Durchbrechungsregel“ eingeführt (Art. 11 Dreizehnte Richtlinie, § 33b Abs. 2 WpÜG); durch sie werden verschiedene Satzungsregelungen und Vertragsgestaltungen einer Zielgesellschaft während der Laufzeit eines Übernahmesangebots und in der ersten Hauptversammlung danach außer Kraft gesetzt, die einem Bieter die Durchsetzung seiner Rechte erschweren. Dazu gehören insbesondere Vinkulierungen, Stimmbindungsverträge und Mehrstimmrechtsaktien. Die Regelung findet aber wie das Europäische Verhinderungsverbot (dazu oben Rz. 3.145) nur Anwendung, wenn die Satzung einer Zielgesellschaft dafür optiert hat (Art. 12 Dreizehnte Richtlinie; § 33b Abs. 1 WpÜG). Für bestimmte Fälle, in denen Interessenkollisionen zwischen dem Aktionär und 3.262 der Gesellschaft zu befürchten sind, legt das Gesetz einen Stimmrechtsausschluss fest (§§ 136 Abs. 1 Satz 1, 142 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 47 Abs. 4 GmbHG). ___________ 529) Zum Ganzen Kluth, ZIP 1997, 1217; Saenger, ZIP 1997, 42; Terbrack/Wermeckes, DZWir 1997, 186; Zöllner/Hanau, AG 1997, 206. 530) BGHZ 70, 117 (Mannesmann); dazu Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 92 ff. Zur Abschaffung des Höchststimmrechts bei der Continental AG: LG Hannover ZIP 1992, 1236 (Continental/Pirelli) = EWiR § 20 AktG 1/92, 949 (Dreher); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2837. 531) Behrens, in: Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz (1992), S. 539, 547 f.; Raiser/Veil, KapGesR, § 33 Rz. 48; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, § 47 GmbHG Rz. 67.

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§ 3 Organisationsverfassung Beispiele: Stimmrechtsausschluss aller Gesellschafter, die einem Beirat angehören, bei der Abstimmung über ihre Entlastung, und nicht nur des jeweiligen Gesellschafters (BGHZ 108, 21 = ZIP 1989, 913 = NJW 1989, 2694 = EWiR § 47 GmbHG 2/89, 1103 [Roth] (GmbH); kein Stimmrechtsausschluss bei Entscheidung über Abberufung eines zu 50 % beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführers, solange kein wichtiger Grund in Rede steht (OLG Naumburg GmbHR 1996, 934 = EWiR § 38 GmbHG 1/96, 663 [Wittkowski]; inzwischen rkr.) (GmbH); Stimmrechtsausschluss auch für Vertreter, wenn von ihm vertretene juristische Person selbst nicht von § 136 AktG erfasst ist (OLG Karlsruhe ZIP 2000, 1578, 1579 f. [Scheidemandel] = NZG 2001, 30 = EWiR § 136 AktG 1/2000, 1085 [Pötter], nicht rkr.) (AG); Stimmrechtsausschluss auch bei Geschäften mit einer von einem Gesellschafter beherrschten Gesellschaft, die ihrerseits nicht Gesellschafterin ist (OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 1185) (GmbH); Stimmrechtsausschluss der beherrschenden Konzern-AG bei Abstimmung über die Entlastung des Vorstandes der beherrschten Tochter-AG, wenn zwischen beiden Vorständen weitgehende Personenidentität besteht (LG Köln ZIP 1998, 153 [Nordstern] = NJW-RR 1998, 966) (AG; dazu Fischer, NZG 1999, 192).532)

3.263

3.264 Die aktienrechtliche Regelung ist dabei über ihren Wortlaut hinaus und in entsprechender Anwendung von § 34 BGB, § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG auch auf den Fall zu erstrecken, dass die Hauptversammlung über ein Rechtsgeschäft mit einem Aktionär Beschluss fassen soll.533) Hier wie dort kann der Stimmrechtsausschluss freilich bei einer kleinen Zahl von Gesellschaftern – Extremfall: Zweipersonengesellschaft – kontraproduktiv wirken; denn in diesen Fällen liegt die Macht zur Entscheidung ausschließlich in den Händen des einzigen anderen Gesellschafters, was die Richtigkeitsgewähr nicht unbedingt erhöht. Dem sollte durch entsprechende Satzungsgestaltung vorgebeugt werden. 3.264a Werden bestimmte kapitalmarktrechtliche Pflichten nicht erfüllt, kann vor allem das Stimmrecht ruhen (darüber hinaus aber auch noch die meisten sonstigen Aktienrechte); das hat vor allen Dingen zur Folge, dass die gleichwohl erfolgte Mitwirkung an der Beschlussfassung die entsprechenden Beschlüsse anfechtbar macht. Das betrifft zum einen unterlassene Mitteilungen über Beteiligungsveränderungen sowohl nach Kapitalmarktrecht (§ 28 i. V. m. §§ 21 ff. WpHG; dazu unten Rz. 4.71 und 8.52 f.) wie nach Aktienrecht (§ 20 Abs. 7 AktG; dazu unten Rz. 8.53), zum anderen die unterlassene Abgabe eines Pflichtangebots (§ 59 Abs. 1 i. V. m. § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG; dazu unten Rz. 4.72). Entsprechendes hat der Gesetzgeber im Rahmen des Risikobegrenzungsgesetzes für den Fall angeordnet, dass eine Pflicht zur Offenlegung des wahren Berechtigten bei der Eintragung als Namensaktionär missachtet oder eine insoweit festgelegte satzungsmäßige Obergrenze überschritten wird (§ 67 Abs. 2 AktG n. F.; dazu unten Rz. 4.76). ___________ 532) Zum Stimmrechtsausschluss nach § 47 Abs. 4 GmbHG auch Lohr, NZG 2002, 551. 533) Dazu – mit entgegengesetzter Schlussfolgerung – Hüffer/Koch, § 136 AktG Rz. 17.

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

Ein Antrag ist angenommen oder ein Kandidat gewählt, wenn er die einfache 3.265 Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt (§ 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG). Stimmenthaltungen werden dabei nicht mitgezählt.534) Mehrheit bedeutet das Überwiegen der Ja- über die Nein-Stimmen; bei Stimmengleichheit ist ein Antrag daher abgelehnt. Sog. „Block-Abstimmungen“ sind nach Ansicht des BGH jedenfalls bei Sachfragen unbedenklich, wenn im Falle mehrheitlicher Ablehnung des Antrags eine Einzelabstimmung möglich bleibt.535) In zahlreichen Fällen, insbesondere bei den sog. Grundlagenentscheidungen, bedarf es darüber hinaus aber einer qualifizierten Kapitalmehrheit – in der Regel drei Viertel des in der Haupt- oder Gesellschafterversammlung vertretenen Grund- bzw. Stammkapitals. Dieses Mehrheitserfordernis tritt im Aktienrecht neben das Erfordernis der einfachen Stimmenmehrheit; es bildet damit ein „weiteres Erfordernis“ i. S. v. § 133 Abs. 1 AktG. Im GmbH-Recht fehlt es demgegenüber an einer Differenzierung zwischen den beiden Mehrheiten. Die Mehrheitserfordernisse – in der Aktiengesellschaft beide – können durch die Satzung abgeändert und durch andere – in der Regel nur durch höhere – Mehrheiten ersetzt werden; zudem können auch zusätzliche Beschlusserfordernisse aufgestellt werden (§ 133 Abs. 1 AktG, §§ 45 Abs. 1, 47 Abs. 1 GmbHG). Mit dem Erfordernis qualifizierter Kapitalmehrheiten wird die Wirkung von Mehrstimmrechten und Höchststimmrechten deutlich eingeschränkt; denn sobald ein Gesellschafter über ein Viertel des in der Gesellschafterversammlung vertretenen Kapitals verfügt, kann wegen der ihm dann zustehenden Sperrminorität keiner dieser Grundlagenbeschlüsse mehr gegen ihn gefasst werden. In allen Fällen kommt es aber lediglich auf die in der Haupt- bzw. Gesellschafter- 3.266 versammlung vertretenen Anteile an. Dies ist vor allem bei Publikumsaktiengesellschaften häufig nur ein geringer Prozentsatz, so dass es dort regelmäßig mit einer Kapitalbeteiligung von etwa 30 % möglich ist, eine Gesellschaft zu beherrschen.536) In diesem Zusammenhang ist daher auch die Regelung des Pflichtangebots nach § 35 WpÜG zu sehen (dazu unten Rz. 4.72). ___________ 534) BGHZ 83, 35 = ZIP 1982, 693 (e. V.); Raiser/Veil, KapGesR, § 16 Rz. 69 (AG). 535) BGHZ 156, 38 (Deutsche Hypothekenbank AG) = ZIP 2003, 1788, 1789 f. = NJW 2003, 3412 = NZG 2003, 1023 = EWiR § 221 AktG 1/03, 1113 (Radlmayr); Vorinstanz KG ZIP 2002, 890 = NZG 2002, 818; abw. (und überzeugend) für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, sofern mindestens ein Aktionär Einzelwahl beantragt hat, LG München I ZIP 2004, 853 (Hypo-Vereinsbank) = NZG 2004, 626 = DStR 2004, 1138 = EWiR § 101 AktG 1/04, 521 (C. Just) (hierzu auch BayVerfGH NZG 2006, 25 ff. mit Beschreibung Verfahrensgang); hierzu Dietz, BB 2004, 452; Fuhrmann, ZIP 2004, 2081; Mutter, AG 2004, 305. 536) Zum Auseinanderklaffen von Hauptversammlungsmehrheit und Gesellschaftermehrheit besonders instruktiv BGHZ 135, 107 (VW) = NJW 1997, 1855 = ZIP 1997, 887 = WuB II A. § 312 AktG 1.97 (Hirte) = LM H. 10/1997 § 17 AktG 1965 Nr. 12 (Heidenhain) = EWiR § 312 AktG 1/97, 681 (Westermann) (Vorinstanz OLG Braunschweig, ZIP 1996, 875 = NJW 1996, 2888 = EWiR § 312 AktG 1/96, 583 [Hirte]); dazu Mertens, AG 1996, 241.

257

§ 3 Organisationsverfassung

3.267 Werden durch einen Beschluss die Rechte einer besonderen Gattung von Anteilen zu deren Nachteil verändert (§§ 141, 179 Abs. 3 AktG), bedarf es auch eines gesonderten zustimmenden Beschlusses der Aktionäre dieser Gattung („Sonderbeschluss“); für ihn gilt § 138 AktG. Das Gesetz stellt dieses Erfordernis aber auch in manchen Fällen auf, in denen eine solche Beeinträchtigung nur möglich ist (etwa § 182 Abs. 2 AktG).537) Werden einem Gesellschafter nachträglich sog. Nebenverpflichtungen auferlegt oder wird die Übertragbarkeit der Anteile nachträglich erschwert, bedarf es sogar der Zustimmung aller betroffenen Gesellschafter (§ 180 AktG, § 53 Abs. 3 GmbHG). Gleiches gilt für die nachträgliche Abschaffung von Sonderrechten einzelner Gesellschafter (§ 35 BGB analog). Solange eine erforderliche Zustimmung fehlt, ist der betreffende Beschluss schwebend unwirksam. 3.268 Die Beschlussfassung in einer Europäischen Aktiengesellschaft erfolgt nach Art. 57 SE-VO mit (mindestens) der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen, zu denen nach Art. 58 SE-VO (unter anderem) die Enthaltungen nicht gehören. Bei Vorhandensein mehrerer Aktiengattungen bedarf es eines Sonderbeschlusses einer Gattung, wenn deren Rechte durch den Beschluss berührt werden (Art. 60 SE-VO). Ob und wann solche Sonderrechte dem Aktionär zustehen, ist allerdings eine Frage des nationalen Rechts. 4.

Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen

3.269 Das Ergebnis von Abstimmungen in der Haupt- oder Gesellschafterversammlung ist nicht immer vorhersehbar, zumal die Mehrheiten stark von der Präsenz der Gesellschafter abhängen. Daher versuchen manche Gesellschafter, im Wege schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen („Nebenverträge“, „Nebenabreden“) vor allem ihr Abstimmungsverhalten zu koordinieren; auch das Bestreben eines gemeinsamen Auftretens nach außen kann den Abschluss eines solchen Vertrages fördern.538) Rechtsbeziehungen begründen solche Verträge nur zwischen den Gesellschaftern untereinander; sie sind daher nicht zu verwechseln mit den ebenfalls möglichen nicht-gesellschaftsrechtlichen Rechtsbeziehungen von Gesellschaftern zur Gesellschaft, wie sie insbesondere bei Gesellschafterdarlehen eine Rolle spielen (dazu unten Rz. 5.102). Obwohl das Instrument der Gesellschaftervereinbarungen seine Wurzel bei der GmbH hat, ___________ 537) Raiser/Veil, KapGesR, § 16 Rz. 71. 538) Dazu ausführlich Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 442 ff.; Dürr, BB 1995, 1365; Köhler, Nebenabreden im GmbH- und Aktienrecht – Zulässigkeit und Wirkung (1992), S. 10 ff.; König, Der satzungsergänzende Nebenvertrag (1996). Zu den Grenzen der Zulässigkeit solcher Gesellschaftervereinbarungen umfassend und differenzierend Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften (1994), S. 122 ff.; deutlich enger noch RGZ 49, 77, 80 aE: „Was das Gesetz […] als Inhalt des Gesellschaftsvertrages nicht zulässt, kann nicht dadurch Gültigkeit erlangen, dass man ihm, obwohl es zum Inhalte des Gesellschaftsvertrages gemacht ist, die Hinterthür des Separatvertrages öffnet.“

258

V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

findet es sich doch auch bei der Aktiengesellschaft.539) In ihrer Wirkung gleichen sie den nichtkorporativen Bestandteilen der Satzung (dazu oben Rz. 2.54). Beispiel: Schließen etwa fünf von zehn gleich beteiligten Gesellschaftern einer Gesellschaft einen Stimmbindungsvertrag (Poolvertrag), nach dem sie ihre Stimmen nur einheitlich abgeben wollen, ist es den verbleibenden fünf Gesellschaftern nicht mehr möglich, eine Mehrheit gegen die an der schuldrechtlichen Vereinbarung beteiligten Gesellschafter zustande zu bringen. Denn sie können nicht mehr einen einzelnen Gesellschafter aus der Front der anderen zu sich ziehen. Umgekehrt können drei an der Stimmbindungsvereinbarung beteiligte Gesellschafter ihren Willen in der Gesamtgesellschaft durchsetzen, wenn sie zuvor im Rahmen des Stimmenpools ihre Ansicht durchgesetzt haben; dort aber benötigen sie lediglich drei Stimmen, um eine Mehrheit zu erreichen.

3.270

Denkbar und sinnvoll kann eine Stimmrechtsbindung aber auch dann sein, wenn die Gesellschafter des Stimmbindungsvertrages mit denen der Zielgesellschaft identisch sind: Denn auf diese Weise können Streitigkeiten aus der häufig einer größeren Öffentlichkeit ausgesetzten Gesellschafterversammlung der Kapitalgesellschaft herausgehalten werden.

Rechtlich bilden solche Absprachen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts 3.271 (§§ 705 ff. BGB), deren Zweck auf die einheitliche Abstimmung in der Hauptoder Gesellschafterversammlung gerichtet ist. Eine dingliche Einbringung der Aktien oder Geschäftsanteile in diese BGB-Gesellschaft ist zwar möglich, aber nicht erforderlich. Der Charakter als BGB-Gesellschaft wirkt sich etwa bei der Beendigung eines sol- 3.272 chen Vertrages aus: mehrere Gesellschafter einer Aktiengesellschaft hatten sich in einem auf unbestimmte Zeit geschlossenen Schutzgemeinschaftsvertrag in Form einer BGB-Gesellschaft verpflichtet, die Rechte an ihren Aktien einheitlich auszuüben. Um die Gesellschaft vor Überfremdung zu bewahren, war zudem für den Fall der Kündigung durch einen Gesellschafter vorgesehen, dass die übrigen Gesellschafter seine Anteile zu einer bei Vertragsschluss bestimmten Entschädigung übernehmen dürften. Die Aktien selbst waren allerdings nicht in die Gesellschaft eingebracht worden, so dass diese – entgegen dem gesetzlichen Leitbild der BGB-Gesellschaft – über kein Gesamthandsvermögen verfügte. Ein Gesellschafter, der aus der BGB-Gesellschaft ausscheiden wollte, sah in dem Übernahmerecht der verbleibenden Gesellschafter zu einem (angeblich) deutlich unter dem Verkehrswert der Aktien liegenden Preis eine nach § 723 Abs. 3 BGB unzulässige Beschränkung seines Kündigungsrechts. Diese Auffassung wies der BGH zurück und befand: zunächst sei allerdings die 3.273 möglicherweise zu geringe „Entschädigung“ dem zu geringen Abfindungsanspruch bei Gesellschaften mit Gesamthandsvermögen gleichzustellen. Zum Zweiten führe die Unangemessenheit des Erwerbspreises lediglich zu einem Anpassungszwang, nicht aber zur Unwirksamkeit der vertraglichen Bestimmung (dazu unten Rz. 4.94 ff.).

___________ 539) Vgl. BGH NJW 1987, 890 (Dinkelacker); Vorinstanz OLG Stuttgart JZ 1987, 570 (Flume); Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 442; Mertens, ZGR 1994, 426, 433; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften (1994), S. 37 ff. (der es – S. 37 – ausdrücklich als Antwort auf § 23 Abs. 5 AktG bezeichnet).

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§ 3 Organisationsverfassung

Die Frage müsse daher lauten, ob der Verlust der Aktien – für sich genommen – eine nach § 723 Abs. 3 BGB unzulässige Kündigungsbeschränkung darstelle. Die Besonderheit des Falles liegt dabei darin, dass die der Bindung unterworfenen Aktien nicht auf die BGB-Gesellschaft übertragen worden waren, sich vielmehr noch in den Händen der Gesellschafter selbst befanden. Doch kann es nach Auffassung des BGH keinen Unterschied machen, ob sich ein Gesellschafter schon bei Gründung einer Gesellschaft seiner Verfügungsgewalt über die dem Pool-Vertrag unterliegenden Anteile begibt oder ob er sie bei Eingehung des Vertrages zwar behalten konnte, sie aber einer schuldrechtlichen Bindung unterworfen hatte, die erst bei seinem Ausscheiden zu einem Rechtsverlust führt.540)

3.274 Das Recht der BGB-Gesellschaft zieht auch Grenzen für Zustimmungspflichten zu Maßnahmen, die – wie eine Kapitalerhöhung – eine Pflichtenmehrung darstellen (§ 707 BGB). 3.275 Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen werden im Aktienrecht nicht als Verstoß gegen zwingendes Aktienrecht angesehen.541) Denn § 136 Abs. 2 AktG erklärt lediglich Verträge für nichtig, in denen sich ein Aktionär verpflichtet, nach Weisung der Gesellschaft, ihres Vorstands oder ihres Aufsichtsrats oder nach den jeweiligen Vorschlägen der Verwaltung abzustimmen (dazu auch oben Rz. 3.240 ff.). Dadurch könnte sich die Verwaltung der Kontrolle durch die Aktionäre entziehen. Und sie verstoßen auch nicht gegen das in § 405 Abs. 3 Nrn. 6 und 7 AktG niedergelegte Verbot des (entgeltlichen) „Stimmenkaufs“. 3.276 Umstritten sind allerdings die Rechtsfolgen eines solchen Vertrages. Zwar gelten derartige Vereinbarungen heute als einklagbar und – im Wege des § 894 Abs. 1 ZPO – vollstreckbar.542) Doch kommen Klage und selbst einstweilige Verfügung543) zu spät, wenn ein Gesellschafter erst im Nachhinein von der in der Gesellschafterversammlung vereinbarungswidrig abgegebenen Stimme erfährt. Die – nicht unumstrittene – Rechtsprechung gestattet daher ein „Durchschlagen“ dieser Vereinbarungen auf die korporationsrechtliche Ebene, wenn sämtliche ___________ 540) BGHZ 126, 226 = ZIP 1994, 1173 = NJW 1994, 2536 = EWiR § 723 BGB 1/94, 973 (Wiedemann); dazu Westermann, ZGR 1996, 272. 541) BGHZ 179, 13 Tz. 15 ff. = ZIP 2009, 216, 218 ff. = NJW 2009, 669 = NZG 2009, 183 = DStR 2009, 280 = EWiR § 709 BGB 1/09, 173 (Göz) (selbst wenn das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit in der Gesellschaft durch eine bloß einfache Mehrheit in der „Schutzgemeinschaft“ unterlaufen werden kann): dazu Karsten Schmidt, ZIP 2009, 737. 542) BGHZ 48, 163 (vertragliche Stimmbindung); LG Mainz ZIP 1990, 1271; OLG Koblenz ZIP 1990, 1570 (Springer/Kirch) = EWiR § 37 GmbHG 3/90, 1213 (von Gerkan) (für aus der Treuepflicht resultierende Stimmbindungen); enger noch (nur Schadenersatz) RGZ 107, 67, 70. 543) Zu deren Zulässigkeit OLG Hamburg ZIP 1991, 1428, 1429(Mr. Musical I); OLG Koblenz NJW 1986, 1692; OLG Koblenz GmbHR 1991, 21, 22 (obiter); OLG Stuttgart NJW 1987, 2449; Damm, ZHR 154 (1990), 413 ff., 430 ff.; von Gerkan, ZGR 1985, 167 ff., 172 ff.; Michalski, GmbHR 1991, 12 ff.; H. Schmitt, ZIP 1992, 1211 ff.; Zutt, ZHR 155 (1991), 190 ff. – Für eine Subsidiarität der einstweiligen Verfügung gegen eine Stimmabgabe gegenüber derjenigen gegen die Anmeldung eines Beschlusses oder eine solche auf Rücknahme eines bereits gestellten Eintragungsantrages OLG München ZIP 2006, 2334.

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

Gesellschafter an die Nebenabrede gebunden waren.544) Dies dürfte auch bei der Aktiengesellschaft anzunehmen sein. Ein der schuldrechtlichen Vereinbarung widersprechender Gesellschafterbeschluss kann daher in diesem Fall wie bei einer Verletzung der Satzung nach § 243 Abs. 1 AktG angefochten werden (dazu unten Rz. 3.283 ff.). Verringern lassen sich diese Schwierigkeiten dann, wenn zugleich mit dem Stimmbindungsvertrag festgelegt wird, dass die Stimmabgabe durch einen Vertreter oder Treuhänder unter Ausschluss der Möglichkeit persönlicher Stimmabgabe zu erfolgen hat. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften scheint das Instrument keine Rolle 3.277 spielen zu können, da kaum je alle Gesellschafter der schuldrechtlichen Bindung unterworfen sind. Aber zum einen wird teilweise eine solche korporationsrechtliche Wirkung schuldrechtlicher Nebenabreden auch (schon) dann angenommen, wenn nicht alle Gesellschafter ihr beigetreten sind.545) Zum anderen kommt es auf die Möglichkeiten zur Durchsetzung einer extrastatutarischen Bindung so lange nicht an, wie die (einfache) (Hauptversammlungs-)Mehrheit der Gesellschafter gebunden ist.546) Aus diesem Grunde werden bei kapitalmarktrechtlichen Pflichten wie der Beteiligungstransparenz der §§ 21 ff. WpHG die Beteiligungen von durch Stimmbindungsverträge verbundenen Personen zusammengerechnet („acting in concert“; § 22 Abs. 2 WpHG); Gleiches gilt nach § 30 Abs. 2 WpÜG für die Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots i. S. v. § 35 Abs. 1 WpÜG. Anders als frühere Entwürfe des SE-Statuts547) enthält die SE-Verordnung 3.278 keine Aussagen zur Zulässigkeit und Wirkung schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen. Auch insoweit greift daher nach Art. 9 Abs. 1 c SE-VO für eine Europäische Aktiengesellschaft jetzt das nationale Recht des Sitzstaats ein.548) ___________ 544) BGH NJW 1983, 1910, 1911 = WM 1983, 334, 335 = ZIP 1983, 297; BGH NJW 1987, 1890, 1892 = WM 1987, 71, 73 = ZIP 1987, 293 = EWiR § 47 GmbHG 1/87, 53 (Riegger) (beide GmbH); ebenso für Österreich OGH RdW 1999, 721 f.; zust. Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 442, 446 ff.; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften (1994), S. 162 ff.; dazu Baumann/Reiß, ZGR 1989, 157, 212 ff.; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 25 f.; Wiedemann, in: GroßK, § 179 AktG Rz. 47; krit. Happ, ZGR 1984, 168, 173 ff.; König, Der satzungsergänzende Nebenvertrag (1996), S. 75 f., 173 ff.; Ulmer, NJW 1987, 1849, 1853 f. 545) Vgl. etwa Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften (1994), S. 167 (bei Bindung einer zur Satzungsänderung befähigten Mehrheit); abw. Dürr, Nebenabreden im Gesellschaftsrecht – außersatzungsmäßige Bindungen und die Willensbildung in der GmbH (1994), S. 118 ff.; ders., BB 1995, 1365, 1367; Winter, ZHR 154 (1990), 259, 268 f., 274 ff.; offengelassen von König, Der satzungsergänzende Nebenvertrag (1996), S. 76. 546) Zur Bindung vor allem der Großaktionäre Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften (1994), S. 37 f. 547) Dazu Köhler, Nebenabreden im GmbH- und Aktienrecht – Zulässigkeit und Wirkung (1992), S. 43 ff. 548) Groß-Bölting, Gesellschaftervereinbarungen in der Aktiengesellschaft (2011), S. 60.

261

§ 3 Organisationsverfassung

5.

Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Beschlüssen der Hauptoder Gesellschafterversammlung

3.279 Beschlüsse der Haupt- oder Gesellschafterversammlung können aus den verschiedensten Gründen mängelbehaftet sein. Diese Mängel können entweder das Verfahren ihres Zustandekommens oder den Inhalt des Beschlusses selbst betreffen. a)

Aktienrecht

3.280 Für die Geltendmachung solcher Beschlussmängel sieht das Aktienrecht in den §§ 241 ff. AktG ein differenziertes Verfahren vor. Danach ist zwischen nichtigen und bloß anfechtbaren Beschlüssen zu unterscheiden. aa)

Nichtigkeit

3.281 Nichtig sind Beschlüsse, die an besonders schwerwiegenden Mängeln leiden. Welche dies sind, ist außer in den in § 241 AktG einleitend genannten Spezialvorschriften in § 241 Nrn. 1 – 6 AktG abschließend aufgezählt. Dazu gehören zunächst Verstöße gegen besonders wichtige Verfahrensvorschriften (schwere Einberufungsmängel549) und Beurkundungsmängel: § 241 Nrn. 1 und 2 AktG) und die durch Gerichtsbeschluss – regelmäßig aufgrund einer Anfechtungsklage – für nichtig erklärten Beschlüsse (§ 241 Nrn. 5 und 6 AktG). Durch das ARUG wurden die zur Nichtigkeit führenden Einberufungs- und Beurkundungsmängel in § 241 Nrn. 1 und 2 AktG wegen der damit verbundenen drastischen Folgen etwas eingeschränkt. Auch früher schon führte die fehlende Angabe von Firma und Sitz der Gesellschaft bei der Einladung zur Hauptversammlung (§ 121 Abs. 3 AktG) dann nicht zur Nichtigkeit der auf dieser Versammlung gefassten Beschlüsse (§ 241 Nr. 1 AktG), wenn sich diese Angaben bei verständiger Würdigung der Einladung für den Empfänger unzweifelhaft und eindeutig aus den übrigen Umständen ergeben.550) Nichtig ist auch ein Beschluss, der durch „seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstößt“ (§ 241 Nr. 4 AktG). Die wichtigste Fallgruppe bildet aber § 241 Nr. 3 AktG, nach dem ein Beschluss nichtig ist, wenn er „mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind“. Hierunter hat die Rechtsprechung etwa

___________ 549) Zur Gleichsetzung einer am späten Abend per E-Mail für den folgenden Morgen erfolgten Einladung zu einer Gesellschafterversammlung mit einer Nicht-Ladung: BGH ZIP 2006, 707 f. = NZG 2006, 349. 550) OLG Düsseldorf ZIP 1997, 1153 (ARAG/Garmenbeck) = EWiR § 249 AktG 1/98, 151 (Kort) (Vorinstanz LG Düsseldorf ZIP 1995, 1985 = EWiR § 121 AktG 1/95, 1149 [Bork]).

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

Versuche subsumiert, die Regelungen der unternehmerischen Mitbestimmung durch geschickte Satzungsgestaltungen zu unterlaufen.551) Die Nichtigkeit eines Beschlusses kann prinzipiell jederzeit und von jedem Be- 3.282 troffenen – nicht nur durch Klage (§ 249 Abs. 1 Satz 2 AktG) – geltend gemacht werden. Wegen dieser weit reichenden Folgen wird § 241 AktG relativ eng ausgelegt. Solange eine Anfechtungsklage rechtzeitig und korrekt erhoben wurde, kann die Frage, ob ein Beschluss (auch) nichtig ist, offenbleiben. Allerdings wird die auf einem Beurkundungsmangel beruhende Nichtigkeit durch Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister – die aber regelmäßig nur bei Grundlagenbeschlüssen erforderlich ist – geheilt (§ 242 Abs. 1 AktG), in den meisten anderen Fällen mit Ablauf von drei Jahren nach Eintragung in das Handelsregister (§ 242 Abs. 2 AktG).552) Nach Ablauf dieses Zeitraums bleibt aber noch die Möglichkeit der Amtslöschung nach § 398 FamFG (bis 1.9.2009: § 144 Abs. 2 FGG). Das Amtslöschungsverfahren ist aber vom Gesetzgeber nicht im Interesse einzelner Aktionäre eingerichtet worden, sondern zum Schutz des Interesses der Allgemeinheit und der Feststellung der Nichtigkeit von eingetragenen Hauptversammlungsbeschlüssen; einem Aktionär, der beim Registergericht die Löschung eines länger als drei Jahre im Handelsregister eingetragenen Beschlusses der Hauptversammlung als nichtig angeregt hat, steht daher gegen den die Anregung zurückweisenden Beschluss des Registergerichts kein Rechtsmittel zu.553) § 395 FamFG (bis 1.9.2009: § 142 FGG) betrifft demgegenüber nur die Löschung von Eintragungen im Handelsregister wegen schwerwiegender Verfahrensfehler. Wird die Nichtigkeit durch Klage geltend gemacht, gelten die Vorschriften über die Anfechtungsklage im Wesentlichen entsprechend (§ 249 Abs. 1 Satz 1 AktG). Wurde aber im Freigabeverfahren nach § 246a AktG rechtskräftig festgestellt, dass eine Eintragung trotz Mängeln eines Hauptversammlungsbeschlusses erfolgen darf, kann ein später ergehendes gleichwohl obsiegendes Urteil nicht mehr eingetragen werden und die Nichtigkeitsfolge herbeiführen; auch eine Amtslöschung nach § 398 FamFG (bis 1.9.2009: § 144 Abs. 2 FGG) scheidet in diesem Falle aus (§ 242 Abs. 2 Satz 5 AktG n. F., angefügt durch das UMAG). ___________ 551) BGHZ 83, 106 = ZIP 1982, 434 (Nichtigkeit einer Satzungsbestimmung über weiteren von der Anteilseignerseite zu stellenden Stellvertreter des Aufsichtsratsvorsitzenden); BGHZ 83, 151 = ZIP 1982, 442 (Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats bei fehlender Teilnahme der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner); BGHZ 64, 325, 326 f. (Änderung des Umfangs der Verschwiegenheitspflicht). 552) Zur entsprechenden Anwendung von § 242 Abs. 2 AktG auf Bestimmungen in der Ursprungssatzung BGHZ 144, 365 = ZIP 2000, 1294, 1295 f. = NJW 2000, 2819 = DStR 2000, 1443 (Goette) = NZG 2000, 1027 = EWiR § 242 AktG 1/2000, 943 (Casper); zur Frage, ob trotz Heilung nach § 242 Abs. 2 AktG Restitutionsansprüche gegen Mitgesellschafter bestehen können, Emde, ZIP 2000, 1753. 553) BGHZ 202, 87 = ZIP 2014, 2237 = NZG 2014, 1307 = EWiR 2015, 5 (Wilsing/Kleemann).

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§ 3 Organisationsverfassung

bb)

Anfechtbarkeit

3.283 (1) Bei allen übrigen Rechtsverletzungen – auch der Satzung der Gesellschaft selbst – ist ein Beschluss zunächst wirksam und lediglich anfechtbar (§ 243 AktG). Eine große Rolle unter den Inhaltsfehlern spielt die fehlerhafte Feststellung des Beschlussergebnisses, vor allem wenn und weil Aktionäre nach den kapitalmarktrechtlichen Vorschriften vom Stimmrecht ausgeschlossen sind (dazu im Übrigen oben Rz. 3.264a). Selbst ein Hauptversammlungsbeschluss, der unter Mitwirkung der infolge unterlassener Mitteilung nach § 20 Abs. 7 AktG nicht stimmberechtigten Aktionäre gefasst wird, ist nach Auffassung des BGH nicht nichtig, sondern bloß anfechtbar; das gilt für einen von einem Versammlungsleiter festgestellten Beschluss selbst dann, wenn sämtliche Aktionäre nicht stimmberechtigt waren, der Beschluss also „stimmlos“ gefasst wurde.554) Weiter von Bedeutung als Anfechtungsgrund sind Verfahrensfehler; zu ihnen gehören insbesondere Verstöße gegen die Einladungsvorschriften, sofern diese nicht nach § 241 Nr. 1 AktG zur Nichtigkeit führen.555) Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtung fehlt im Übrigen nicht etwa, weil der Beschluss möglicherweise „gegenstandslos“ ist.556) 3.284 Im Gegensatz zur Nichtigkeit kann die Anfechtbarkeit nur durch Klage geltend gemacht werden. Wer dies kann, ist in § 245 AktG geregelt: neben den Aktionären557) kann der (Gesamt-)Vorstand und unter bestimmten Voraussetzungen auch ein einzelnes Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied klagen. Die Klage ist binnen eines Monats nach der Beschlussfassung zu erheben (§ 246 Abs. 1 AktG) ___________ 554) BGHZ 167, 204 (Mitteldeutsche Leasing AG) = NZG 2006, 505 = NJW-RR 2006, 1110 = ZIP 2006, 1134 = BB 2006, 1351 = EWiR § 20 AktG 1/06, 449 (Willsing/Goslar). 555) BGHZ 132, 84 (Gen) = NJW 1996, 1756 = ZIP 1996, 674 = DStR 1996, 1211 (Goette) = LM H. 8/1996 § 51 GenG Nr. 102: Bekanntmachung eines Tagesordnungspunkts (im Aktienrecht § 124 AktG) „Ausschluss von Mitgliedern“ ist nicht spezifisch genug; BGH ZIP 2011, 1813 (Kirch/Deutsche Bank) = NZG 2011, 1105 = EWiR § 121 AktG a. F. 1/11, 689 (Linnerz): Verstoß gegen § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG a. F. (Information über Teilnahmebedingungen an Hauptversammlung) führt zur Anfechtbarkeit (obiter); OLG München ZIP 2000, 272 (E'ZWO) = NJW-RR 2000, 336 = DStR 2000, 392 (Schaub) = EWiR § 121 AktG 1/2000, 155 (Schaaf); Vorinstanz LG München I ZIP 1999, 1213 (E'ZWO) = EWiR § 241 AktG 1/99, 1147 (Bayer) (das sogar Nichtigkeit angenommen hatte): Nichtzulassung eines Aktionärs, der sich zwar als Aktionär legitimieren, aber keine Eintrittskarte vorweisen konnte, und fehlende Angabe von Hinterlegungsstellen für Aktien in der Einladung. 556) Abw. LG Hamburg AG 1996, 281 (Blohm & Voss), m. zu Recht krit. Anm. Timm EWiR § 65 UmwG 1/96, 377 (betreffend eine Ausgliederung). 557) Zur Möglichkeit eines nach §§ 327a ff. AktG ausgeschlossenen Aktionärs, eine vorher erhobene Anfechtungsklage bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses gleichwohl noch fortzuführen, unten Rz. 4.93. Gleiches gilt für einen Aktionär, der sich mit einer Beschlussmängelklage gegen einen Squeeze-Out-Beschluss nach § 327a AktG wendet, obwohl die Aktien bereits vor der Zustellung der Klage durch Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister auf den Hauptaktionär übergegangen sind: BGHZ 189, 32 Tz. 7 ff. = ZIP 2011, 1055 = NJW-RR 2011, 976 = NZG 2011, 669 = DStR 2011, 1237 = EWiR § 245 AktG 1/11, 329 (Goslar).

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

und ist gegen die Gesellschaft zu richten (§ 246 Abs. 2 Satz 1 AktG). Dabei wird die Gesellschaft – abweichend von § 82 Abs. 1 AktG – durch Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam vertreten (§ 246 Abs. 2 Satz 2 AktG; vgl. auch oben Rz. 3.202). Für die Klage ist ausschließlich das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 246 Abs. 3 Satz 1 AktG); dies gilt für eine durch Klage geltend gemachte Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses entsprechend (§ 249 Abs. 1 Satz 1 AktG). Zusätzliche Voraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage durch einen Aktionär ist aber – vom Fall des § 243 Abs. 2 AktG abgesehen -, dass der betreffende Aktionär in der Hauptversammlung beim Versammlungsleiter „Widerspruch zur Niederschrift“ erklärt hat (§ 245 Nr. 1 AktG). Etwas anderes gilt naturgemäß dann, wenn der Aktionär zu Unrecht nicht zur Hauptversammlung zugelassen wurde oder die Einberufung mangelhaft war (§ 245 Nr. 2 AktG). Ein Urteil, das einer Anfechtungsklage entspricht, wirkt für und gegen alle 3.285 Aktionäre und Verwaltungsmitglieder, auch wenn sie nicht Partei waren (§ 248 Abs. 1 AktG); diese Wirkung ist hinnehmbar, weil die Klageerhebung nach § 246 Abs. 4 AktG in den Gesellschaftsblättern (also zumindest im Bundesanzeiger; § 25 AktG) bekannt gemacht werden muss, was den potentiell Drittbetroffenen die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Rechtsstreit durch Kontaktaufnahme mit einer der Parteien gestattet. Nichtigkeits- und Anfechtungsklage verfolgen dabei mit der richterlichen Klärung der Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen mit Wirkung für und gegen jedermann dasselbe materielle Ziel. Daher liegt in der Erhebung der Nichtigkeitsklage zugleich die wirksame Erhebung der Anfechtungsklage. Liegt nach Prüfung durch das Gericht keine Nichtigkeit i. S. d. §§ 241 f. AktG vor, so ist daher – fristgerechte Erhebung vorausgesetzt – die immanent geltend gemachte Anfechtung zu prüfen.558) Der Streitgegenstand von Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage soll sogar die nicht geltend gemachten Mängel umfassen und damit „umfassend“ sein.559)

___________ 558) BGHZ 134, 364 = NJW 1997, 1510 = ZIP 1997, 732 = LM H. 8/1997 § 241 AktG 1965 Nr. 8 (Jänich) = DStR 1997, 788 (Goette); abw. früher BGHZ 32, 318, 322 = NJW 1960, 1447 = LM § 43a GenG Nr. 1. Wegen des einheitlichen Rechtsschutzziels beider Klagen ist ein Teilurteil, das sich nur auf die Nichtigkeits- bzw. die Anfechtungsklage bzw. einen Teil der Kläger bezieht, unzulässig: BGH ZIP 1999, 580 = NJW 1999, 1638 = DStR 1999, 643 (Goette); dazu Kindl, ZGR 2000, 166; Steinmeyer/Seidel, DStR 1999, 2077. 559) BGHZ 152, 1 = ZIP 2002, 1684, 1685 f. = NJW-RR 2002, 1461 = NZG 2002, 909 = DStR 2002, 1824; im Anschluss an BGHZ 134, 364, 366 f. = NJW 1997, 1510 = ZIP 1997, 732, 733 = LM H. 8/1997 § 241 AktG 1965 Nr. 8 (Jänich) = DStR 1997, 788 (Goette); BGH ZIP 1999, 580 = NJW 1999, 1638 = DStR 1999, 643 (Goette); krit. Bork, NZG 2002, 1094 f.

265

§ 3 Organisationsverfassung

3.286 Um die Kostenlast für einen Anfechtungskläger erträglich zu gestalten, erlaubt § 247 AktG eine Streitwertspaltung: der Streitwert kann für den Anfechtungskläger geringer festgesetzt werden als für die beklagte Gesellschaft.560) 3.287 (2) Verfahrensfehler begründen aber – wie im öffentlichen Wahlrecht – eine Anfechtungsklage nur dann, wenn sie auch kausal für das Abstimmungsergebnis waren.561) Daher kann die Gesellschaft einer Anfechtungsklage auch den Boden entziehen, wenn sie den angefochtenen Beschluss ohne die gerügten (Verfahrens-)Mängel bestätigt (§ 244 AktG);562) dabei sind tatsächliche Entwicklungen seit Erlass des Ausgangsbeschlusses für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Bestätigungsbeschlusses ohne Belang.563) In vielen Fällen dienen Verfahrensvorschriften aber dem Schutz der Gesamtheit aller Aktionäre. In diesen Fällen für die Begründetheit der Anfechtungsklage einen Kausalitätsnachweis zu verlangen, würde gerade bei stabilen Mehrheiten zu einem Leerlaufen der entsprechenden Verfahrensvorschriften führen. Denn dort wäre der Nachweis immer möglich, die Abstimmung bzw. die Entscheidung wäre auch bei Einhaltung des korrekten Verfahrens genauso ausgefallen. Daher ist in diesen Fällen ein Kausalitätsnachweis seitens des klagenden Aktionärs entbehrlich bzw. der

___________ 560) Das ist – nimmt man einen Beschluss des BVerfG zur Streitwertermittlung bei einer (BGB-)Waldbesitzergesellschaft ernst – nicht die Ausnahme, sondern Ausprägung des allgemeinen Prinzips, dass der Gegenstandswert einer Klage nach dem Interesse des einzelnen Klägers und nicht nach dem Interesse der Gesellschaft zu berechnen ist: BVerfG NJW 1997, 311 = EWiR § 3 ZPO 1/97, 327 (Fleischer); dazu auch Emde, DB 1996, 1557; Hirte, Die politische Meinung 1998, Nr. 342, S. 53, 58; ders., Umgekehrte Streitwertspaltung, in: Festschrift für Bezzenberger (2000), S. 133 ff. 561) BGHZ 14, 264, 267 f.; BGHZ 36, 121, 139 ff.; BGH (Hinweisbeschl. v. 29.4.2014 – II ZR 262/13), ZIP 2014, 1677 (dort mit nicht ganz korrektem Leitsatz 1 der Redaktion) = DStR 2014, 2470 = EWiR 2014, 643 (Goslar) (für möglicherweise zu Unrecht berücksichtigte Stimmen bei Gewinnverwendungsbeschluss); zu den hohen Anforderungen an den Nachweis fehlender Kausalität bei Einberufungsmängeln BGH ZIP 1998, 22 = NJW 1998, 684 = EWiR § 51 GmbHG 1/98 (Sernetz) im Anschluss an BGH ZIP 1987, 1117, 1119 f. = EWiR § 51 GmbHG 1/87, 991 (Hommelhoff) (insoweit in BGHZ 100, 264 nicht abgedruckt); OLG Naumburg GmbHR 1998, 90 = EWiR § 246 AktG 1/98, 243 (Zimmermann) (Anwesenheit eines nicht ordnungsgemäß geladenen Gesellschafters führt nicht zwingend zur Heilung des Ladungsmangels). 562) Zur Beschränkung der Bestätigungsmöglichkeit auf Verfahrensfehler BGH ZIP 2006, 227, 228 ff. (Webac Holding AG) = NJW-RR 2006, 472 = EWiR § 244 AktG 1/2006, 161 (Bork). 563) BGHZ 157, 206 = NJW 2004, 1165 = NZG 2004, 235 = ZIP 2004, 310 = DStR 2004, 239 = EWiR § 244 AktG 1/04, 545 (Hirte/Groß) (Vorinstanz OLG Dresden ZIP 2001, 1539, 1542 f. [Sachsenmilch]); insoweit übereinstimmend LG Dresden EWiR § 244 AktG 1/2000, 991 (Bork) (Sachsenmilch).

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

Gegenbeweis mangelnder Kausalität seitens der Gesellschaft nicht zulässig.564) § 243 Abs. 4 AktG a. F., der dies für den Fall unberechtigter Auskunftsverweigerungen ausdrücklich gesetzlich anordnete, ist daher nicht Ausnahme, sondern Ausdruck eines weiterreichenden Prinzips. Für den Fall der Anfechtungsklage wegen Auskunftsverweigerung hat der BGH dies jetzt modifiziert: Danach ist eine Anfechtungsklage (es ging um einen Entlastungsbeschluss nach § 120 Abs. 1 AktG) erfolgreich, wenn die Vorenthaltung einer Auskunft einen „relevanten“ Verstoß gegen das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht des betreffenden Aktionärs in der Hauptversammlung darstellt; es komme nicht auf eine Kausalität des Verstoßes dergestalt an, dass der tatsächliche Inhalt der verweigerten Auskunft einen objektiv urteilenden Aktionär von einer Zustimmung zum Beschluss abgehalten haben müsse.565) Diese frühere Formulierung der Rechtsprechung hat der Gesetzgeber des UMAG aber nunmehr in § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG übernommen, um die Möglichkeiten einer Anfechtung wegen unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Auskunftserteilung zu beschränken. Zugleich hat er in § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG die Rechtsprechung kodifiziert, nach der abfindungsbezogene Informationsmängel nicht durch Anfechtungsklage geltend gemacht werden können, wenn das Gesetz für Bewertungsrügen ein Spruchverfahren vorsieht (dazu näher unten Rz. 6.151 und Rz. 6.217).566) Nach § 243 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 AktG, der gerade durch das ARUG erheblich erweitert wurde, sind zudem verschiedene Verfahrensfehler der Anfechtung entzogen, auf die die Gesellschaft keinen oder nur begrenzten Einfluss hat; das betrifft insbesondere technische Störungen bei der Abstimmung oder ihrer Vorbereitung durch Übermittlung der Einladung seitens eines Kreditinstituts. Bezieht sich die Klage auf die unrichtige Feststellung eines Beschlussergeb- 3.288 nisses, so kann sie im Wege der positiven Beschlussfeststellungsklage mit dem

___________ 564) Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 228 f.; ders., ZGR 1994, 644, 660 f.; Lutter, ZGR 1979, 401, 409 f.; ähnlich Bayer, ZGR 1993, 599, 611; enger die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: BGHZ 103, 184, 186 (Linotype) = ZIP 1988, 301 = NJW 1988, 1579 = JZ 1989, 443, 446 (Wiedemann) = EWiR § 262 AktG 1/88, 529 (Drygala); BGHZ 107, 296, 306 (Kochs Adler) = ZIP 1989, 980, 983 = NJW 1989, 2689; BGH ZIP 1990, 168, 171 (DAT/Altana II) = NJW-RR 1990, 350 = EWiR § 243 AktG 2/90, 321 (Timm); BGHZ 119, 1, 18 ff. (ASEA/BBC) = ZIP 1992, 1227, 1233 = EWiR § 295 AktG 1/92, 953 (Windbichler); BGHZ 122, 211, 238 ff. ) (SSI I) = ZIP 1993, 751, 761 = NJW 1993, 1976, 1983 = EWiR § 297 AktG 1/93, 529 (Priester; BGH ZIP 1995, 1256 ) (SSI II) = NJW 1995, 3115 = EWiR § 253 HGB 1/95, 897 (Großfeld); zu Recht anders aber für den Fall, dass die Information auf Nachfrage des klagenden Aktionärs auf der Hauptversammlung tatsächlich erteilt worden wäre: LG Heidelberg ZIP 1997, 1787 (SAP) = EWiR § 17 AktG 1/97, 1059 (Kort) (in der Berufungsinstanz vor dem OLG Karlsruhe verglichen). 565) BGHZ 160, 385 (Thyssen-Krupp) = ZIP 2004, 2428. 566) Zur Neufassung der Vorschrift Weißhaupt, WM 2004, 705.

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§ 3 Organisationsverfassung

Antrag verbunden werden, das daraus folgende korrekte Ergebnis vom Gericht feststellen zu lassen.567) 3.289 (3) Für einige der möglichen Inhaltsfehler von Beschlüssen hat das Gesetz ausdrückliche Regelungen aufgestellt. Dies gilt etwa für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 251 AktG), den Gewinnverwendungsbeschluss (§ 254 AktG) oder die Festsetzung eines zu niedrigen Ausgabekurses der jungen Aktien bei Ausschluss des Bezugsrechts (§ 255 Abs. 2 AktG). Hinsichtlich der Anfechtung einer Wahl des Abschlussprüfers statuiert § 243 Abs. 3 Nr. 3 (früher Nr. 2) AktG einen Vorrang des besonderen Ersetzungsverfahrens nach § 318 Abs. 3 HGB (dazu unten Rz. 4.9). § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG stellt schließlich klar, dass eine Anfechtung auch darauf gestützt werden könne, „dass ein Aktionär mit der Ausübung des Stimmrechts für sich oder einen Dritten Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft [gesellschaftsfremde Sondervorteile] oder der anderen Aktionäre zu erlangen suchte und der Beschluss geeignet ist, diesem Zweck zu dienen.“568) Allerdings: nach § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG gilt dies nicht, „wenn der Beschluss den anderen Aktionären einen angemessenen Ausgleich für ihren Schaden gewährt.“ 3.290 Neben den sich eindeutig aus Gesetz oder Satzung ergebenden Rechtsverstößen spielen aber vor allem ungeschriebene Schranken der Mehrheitsmacht eine Rolle, die von der Rechtsprechung nicht als Fälle des § 243 Abs. 2 AktG angesehen wurden. Verstöße gegen diese Prinzipien sind daher auch nicht nach § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG durch Zahlung eines „angemessenen Ausgleichs“ kompensierbar.569) In allen diesen Fällen geht es darum, den Grundsatz in Frage zu stellen, dass eine Mehrheitsentscheidung angesichts unterschiedlicher Vorstellungen über den richtigen Weg im Zweifel den Interessen aller Gesellschafter am ehesten dient. Dabei darf angesichts der festgefügten Mehrheitsverhältnisse in vielen (Publikums-)Gesellschaften nicht übersehen werden, dass dort Mehrheitsentscheidungen mit einem im Vorhinein nicht feststehenden Ergebnis die Ausnahme sind. Im Einzelnen sind daher drei Ansätze zu nennen, anhand derer Mehrheitsentscheidungen überprüft werden können. Das Verhältnis dieser Ansätze zueinander ist dabei ebenso umstritten wie deren dogmatische Grundlage.

___________ 567) BGHZ 76, 191, 197; BGHZ 76, 154 = ZIP 1980, 372 = NJW 1980, 1527 = LM § 47 GmbHG Nr. 30 (Ls.) (GmbH); dazu jetzt für das Aktienrecht ausführlich Heer, ZIP 2012, 803. 568) Beispiel: OLG München ZIP 2012, 773, 775 f. = NZG 2012, 261 = § 243 AktG 1/12, 333 (Peitsmeyer/Theusinger) (Einräumung von Sondervorteilen an den Vorstand einer beherrschten Gesellschaft in einem mit einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag eng verknüpften Business Combination Agreement [BCA]). 569) Zur Kritik Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt (1995), S. 348; abw. Karsten Schmidt, in: GroßK, § 243 AktG Rz. 59; dazu Hirte, WM 1997, 1001, 1003.

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Zunächst der Gleichbehandlungsgrundsatz. Er ist heute, zurückgehend auf 3.291 Art. 46 [früher Art. 42] der Zweiten Richtlinie, in § 53a AktG kodifiziert. Danach sind „Aktionäre [.] unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln“. Allerdings schützt das Gleichbehandlungsgebot – wie auch Art. 3 Abs. 1 GG – nur vor willkürlicher Ungleichbehandlung.570) Vor allem aber hilft er dann nicht weiter, wenn alle Aktionäre gleichermaßen schlecht behandelt werden, um einen Nicht-Aktionär zu begünstigen.571) Daher wird (heute) zweitens eine Treuepflicht der Aktionäre untereinander 3.292 angenommen, die vor allem den Mehrheitsgesellschafter zwingt, bei Abstimmungen auch auf die Interessen der Minderheit Rücksicht zu nehmen. Die Reichweite dieser Pflicht ist allerdings sehr umstritten und hängt im Wesentlichen von der Struktur der Gesellschaft ab. Dem Kleinaktionär in einer Kapitalgesellschaft obliegen geringere Pflichten als dem Großaktionär einer Familiengesellschaft. In der „Linotype“-Entscheidung stellte der BGH 1988 aber zu Recht fest, dass grundsätzlich auch Aktionären untereinander eine Treuepflicht obliegt. Das oberste deutsche Zivilgericht bejahte in dem Urteil die Möglichkeit der Anfechtung eines Mehrheitsbeschlusses wegen Verstoßes gegen die Treuepflicht, mit dem die Hauptversammlung die Auflösung der Gesellschaft beschließt, wenn der Mehrheitsgesellschafter schon vor dem Beschluss Absprachen über eine Übernahme wesentlicher Teile des Gesellschaftsvermögens getroffen hat (dazu näher unten Rz. 7.6 f.).572) Schließlich forderte die Rechtsprechung, ausgehend von mehreren Entscheidungen 3.293 zum Ausschluss des Bezugsrechts, dass bestimmte schwerwiegende Beschlüsse durch einen im Gesellschaftsinteresse liegenden sachlichen Grund gerechtfertigt sein müssten (dazu ausführlich unten Rz. 6.30 ff.). Hierdurch wurde – umgekehrt – der Beschlussmehrheit bzw. der Gesellschaft die Verpflichtung ___________ 570) Bejaht in KG ZIP 2010, 1849, 1851 f. (Einräumung der Befugnis, statt einer Bareinlage eine Sacheinlage [und zwar durch Umwandlung von der Gesellschaft gewährten Darlehen in Eigenkapital] zu erbringen, bei einer Kapitalerhöhung an einzelne Aktionäre); verneint etwa in BGHZ 120, 141 = ZIP 1992, 1728 = NJW 1993, 400 = WuB II A. § 221 AktG 1.93 (Hirte) = EWiR § 221 AktG 2/93, 323 (Martens) (Bankverein Bremen) (für Ausgabe von Genussrechten nur an einen Gesellschafter einer AG) und BGHZ 116, 359 = ZIP 1992, 237 = NJW 1992, 892 = EWiR § 138 BGB 2/92, 321 (Wiedemann) (für unterschiedliche Berechnung des Abfindungsguthabens bei Ausscheiden aus einer GmbH nach dem Nennwert des Geschäftsanteils und der Dauer der Zugehörigkeit zur Gesellschaft); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2836, 2847. 571) Dazu Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 14 f.; Lutter, JZ 1976, 225, 228 f.; Wiedemann, GesR I, S. 429 ff. 572) BGHZ 103, 184 (Linotype) = ZIP 1988, 301 = NJW 1988, 1579 = JZ 1989, 443, 446 (Wiedemann) = EWiR § 262 AktG 1/88, 529 (Drygala); dazu Lutter, ZHR 153 (1989), 446; (zu dieser Konstellation auch Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung [1986], S. 143 f., 151 f.); zu den Rücksichtnahmepflichten unter zukünftigen Mitgesellschaftern auch BGH ZIP 1992, 1464, 1470 f. (IBH/Scheich Kamel) = NJW 1992, 3167 = EWiR § 185 AktG 1/92, 1153 (Wiedemann) (dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2834).

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auferlegt, die Angemessenheit eines Beschlusses nach den Kriterien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. 3.294 (4) Die beschriebenen inhaltlichen Schranken von Hauptversammlungsbeschlüssen haben es auf der anderen Seite bei Publikumsaktiengesellschaften attraktiv gemacht, Beschlüsse systematisch mit der Begründung anzugreifen, sie verstießen gegen die genannten Prinzipien. In manchen Fällen waren die Aktien dabei erst wenige Tage vor einer Hauptversammlung gekauft worden. Zugleich wurde (und wird) – offen oder verdeckt – die Rücknahme der Anfechtungsklage gegen Zahlung zum Teil beträchtlicher Summen als „Interessenausgleich“ angeboten. Dies gelang in vielen Fällen auch, und die klagenden Aktionäre erhielten im Einzelfall sogar Beträge von mehr als 1 Million DM. Die Aktionäre setzten mit ihren Klagen die Gesellschaften unter einen erheblichen Druck, weil die beschlossenen Maßnahmen in der Regel während der Dauer eines Rechtsstreits nicht durchgeführt werden konnten. Dies gilt vor allem für das Umwandlungsrecht, in dem § 345 Abs. 2 Satz 1 AktG a. F. ausdrücklich die Eintragung einer Verschmelzung in das Handelsregister verbot, solange eine Anfechtungsklage schwebt („Registersperre“; dazu auch unten Rz. 6.145 ff.). Bei Kapitalmaßnahmen fehlt zwar ein ähnlich explizites gesetzliches Verbot, doch werden auch sie nur und erst mit ihrer Eintragung wirksam (unten Rz. 6.21). Das löste jedoch eine Diskussion darüber aus, ob das beschriebene Vorgehen nicht als Missbrauch angesehen werden müsste. Der BGH bejahte dies schließlich.573) Missbräuchlich erhobene Klagen sind, wie er in einem anderen Urteil ausführte, als unbegründet, nicht als unzulässig abzuweisen.574) 3.295 Ein Rechtsmissbrauch kann dabei – wie der BGH später nochmals betonte – auch

vorliegen, wenn die Klage in der Sache selbst begründet wäre, etwa der Verschmelzungsbericht nicht den nach § 340a AktG a. F. (heute § 8 UmwG) zu stellenden Anforderungen entspricht. Auch wenn sich die Gesellschaftsorgane nur zum Schein auf Verhandlungen mit einem klagenden Aktionär über den „Abkauf“ seiner Klage einlassen, ist eine Berufung auf Rechtsmissbrauch nicht ausgeschlossen.575) Später ergänzte er dies nochmals und führte aus, dass ein Rechtsmissbrauch sogar bei einer Klageerhebung „in Erwartung“ von Zahlungsangeboten der Gesellschaft angenommen

___________ 573) BGHZ 107, 296 (Kochs Adler) = ZIP 1989, 980 = NJW 1989, 2689 = EWiR § 246 AktG 1/98, 843 (Hirte); zu diesem Komplex ausführlich Diekgräf, Sonderzahlungen an opponierende Kleinaktionäre im Rahmen von Anfechtungs- und Spruchstellenverfahren (1990); Feltkamp, Anfechtungsklage und Vergleich im Aktienrecht (1992); Heckschen, ZIP 1989, 1168; Heuer, WM 1989, 1401; Hirte, BB 1988, 1469 ff.; Lutter, in: Festschrift 40 Jahre Der Betrieb (1988), S. 193; Radu, ZIP 1992, 303 ff.; Timm (Hrsg.), Mißbräuchliches Aktionärsverhalten. RWS-Forum 4 (1990); Wardenbach, BB 1991, 485. 574) BGH ZIP 1992, 1391 (Industrie-Werke) = NJW-RR 1992, 1388 = EWiR § 246 AktG 1/92, 1041 (Drygala). 575) BGH ZIP 1989, 1388 (DAT/Altana I) = NJW 1990, 322 = EWiR § 243 AktG 1/90, 121 (Günther).

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werden könne.576) Ein Rechtsmissbrauch soll schließlich selbst dann vorliegen können, wenn der Entschluss, die Gesellschaft zu unzulässigen Zahlungen zu veranlassen, erst nach Erhebung der Anfechtungsklage gefasst wurde.577) In einem weiteren Urteil bejahte der BGH auch die Schadenersatzpflicht eines 3.296 Rechtsanwaltes, der für einen klagenden Aktionär an dem Abschluss eines Vertrages über eine unzulässige Abfindung und den vorausgehenden Verhandlungen mitgewirkt hatte, gegenüber der beklagten Gesellschaft nach §§ 826, 830 BGB (sittenwidrige Schädigung), § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 253, 25, 27 StGB (Erpressung) und § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB (Untreue).578) Erst recht haftet ein Kläger nach § 826 BGB, wenn er Anfechtungsklage mit dem Ziel erhebt, Zahlungen von der Gesellschaft oder ihrem Hauptaktionär zu erhalten.579)

Bei der gesamten Debatte darf allerdings nicht übersehen werden, dass die meisten 3.297 Klagen in der Sache begründet waren und – soweit sie nicht zurückgenommen wurden – zur Klärung zahlreicher umstrittener Rechtsfragen des Aktienrechts beigetragen haben. (5) In bestimmten Fällen bedarf ein Beschluss der Hauptversammlung der Ein- 3.297a tragung in das Handelsregister, um Wirksamkeit zu erlangen. Das gilt vor allem für satzungsändernde Maßnahmen (dazu unten Rz. 6.1 ff.) und – als Sonderfälle davon – Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und der Kapitalherabsetzung (§§ 182 – 240 AktG), Zustimmungsbeschlüsse zu Unternehmensverträgen (§§ 291 – 307 AktG) und zu Umwandlungsmaßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen diese Beschlüsse sind im Umwandlungsrecht dadurch besonders missbrauchsanfällig, dass sie grundsätzlich die Eintragung in das Handelsregister und damit den Vollzug der Umwandlungsmaßnahme hemmen (§ 16 Abs. 2 UmwG; Einzelheiten unten Rz. 6.145a ff.). Bei den anderen Beschlüssen ist zwar zu ihrer Wirksamkeit auch eine Eintragung in das Handelsregister erforderlich, doch ermöglicht die selbständige Prüfungsbefugnis des Registerrichters (dazu Rz. 2.14) diesem, aufgrund eigener Entscheidung die angefochtene Maßnahme auch schon vor rechtskräftiger Abweisung der Klage einzutragen.580) Um die Rechtssicherheit zu erhöhen und insbesondere die Eintragung der an- 3.297b gefochtenen Maßnahme auch schon während eines laufenden Rechtsstreits zu ___________ 576) BGH ZIP 1990, 168 (DAT/Altana II) = NJW-RR 1990, 350 = EWiR § 243 AktG 2/90, 321 (Timm); BGH ZIP 1990, 1560 (SEN) = NJW-RR 1991, 358 = EWiR § 340a AktG 1/91, 9 (Keil). 577) BGH ZIP 1991, 1577 = NJW 1992, 569. 578) BGH ZIP 1992, 1081 = NJW 1992, 2821. 579) OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 271, 272 ff. (Nanoinvest AG) = NZG 2009, 222 (Revision vom BGH nicht angenommen); zur Nicht-Erstreckung dieser Haftung auf außerhalb der beklagten Gesellschaft stehende Dritte OLG Hamburg ZIP 2011, 126, 128 = NZG 2011, 232 = EWiR § 826 BGB 2/11, 45 (Lochner) (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BGH [Beschl. v. 13.9.2011 – VI ZR 308/10]). 580) Dazu Wiedemann, in: GroßK, § 181 AktG Rz. 21 ff.

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ermöglichen, hatte der Gesetzgeber mit Erlass des Umwandlungsgesetzes in § 16 Abs. 3 UmwG ein besonderes „Unbedenklichkeitsverfahren“ eingeführt; das hat den gegen Umwandlungsbeschlüsse gerichteten Anfechtungsklagen viel an Schärfe genommen (dazu unten Rz. 6.145 ff.). Mit Blick auf die ähnliche Lage bei Kapitalerhöhungs- und -herabsetzungsbeschlüssen sowie bei Zustimmungsbeschlüssen zu Unternehmensverträgen hat der Gesetzgeber im Sommer 2005 diesen Ansatz auf die genannten weiteren Beschlüsse übertragen.581) Nach dem ursprünglich durch das UMAG eingeführten Freigabeverfahren (§ 246a AktG) kann das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 246a Abs. 1 Satz 3 AktG), die Eintragung einer der genannten Maßnahmen zulassen: –

bei einer unzulässigen oder offensichtlich unbegründeten Anfechtungsklage (§ 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG),



wenn der Kläger nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Freigabeantrags durch Urkunden nachweist, dass er seit Bekanntmachung der Einberufung einen anteiligen Betrag von mindestens 1.000 Euro an der Gesellschaft hält (§ 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG),



oder wenn „das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint, weil die vom Antragsteller [= der Gesellschaft] dargelegten wirtschaftlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Antragsgegner [= Kläger] überwiegen, es sei denn es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor“ (§ 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG).582)

Diese Möglichkeiten einer Freigabeentscheidung sind durch das ARUG vor allem insoweit deutlich erweitert worden, als heute nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG ein klägerischer Mindest-Aktienbesitz mit einem anteiligen Betrag von 1.000 Euro verlangt wird (was typischerweise ein Vielfaches dieses Betrages an Börsenwert bedeutet), um eine Hauptversammlungsentscheidung während der Dauer eines Anfechtungsprozesses aufhalten zu können.583) Das ist zunächst insoweit problematisch, als hier – im Gegensatz zur Nr. 3 derselben Norm – eine Ausnahme für den Fall fehlt, dass die Anfechtungsklage eine schwere Rechtsverletzung rügt; vor allem aber stellt der noch anzusprechende Schadenersatzanspruch nach § 246a Abs. 4 AktG keine geeignete Kompensation zugunsten der Minderheitsaktionäre für den entfallenden realen Rechtsschutz dar, insbesondere weil der Anspruch nur den Beschlussmängelklägern zusteht, nicht klagen___________ 581) Für eine analoge Anwendung von § 16 Abs. 3 UmwG auf Kapitalerhöhungsbeschlüsse früher schon Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 10. 582) Zur erforderlichen Prüfungsintensität in rechtlicher Hinsicht in einem solchen Fall OLG Jena ZIP 2006, 1989, 1991 f. (Carl Zeiss Meditec AG) = NZG 2007, 1477 = DB 2006, 2335. 583) Zu einem Vorbild im italienischen Recht Hirte, ZIP 2004, 1091 ff.

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de Minderheitsaktionäre also leer ausgehen und damit die Kontrollfuntion der Anfechtungsklage entwertet wird.584) Zweitens ist jetzt in die allgemeine Abwägung nach § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG nur noch das Interesse des Anfechtungsklägers an der einstweiligen Blockade des Beschlusses einzubeziehen – und daher nicht mehr das Interesse auch der nicht klagenden Aktionäre. Damit wird zusätzlich die „Polizeifunktion“ der Anfechtungsklage reduziert, die sich hier darin äußert, dass eine erfolgreiche Beschlussanfechtung allen – und nicht nur den klagenden – Aktionären zugute kommt.585) Das Registergericht kann – nicht muss – auf der Grundlage des unanfechtbaren 3.297c (§ 246a Abs. 3 Satz 4 AktG) Beschlusses des Oberlandesgerichts den Hauptversammlungsbeschluss eintragen, ohne Gefahr zu laufen, im Falle eines den Beschluss für unwirksam erklärenden Urteils zur Rechenschaft gezogen zu werden (§ 839 Abs. 2 Satz 1 BGB gilt nicht für den Registerrichter!). Mit Blick auf die Erhöhung der Rechtssicherheit durch das Freigabeverfahren ist seine Durchführung zudem möglich, wenn der angefochtene Beschluss bereits in das Handelsregister eingetragen wurde.586) cc)

Rechtsfolgen

Rechtsfolge einer erfolgreichen Anfechtung ist die Nichtigerklärung des Be- 3.298 schlusses (§ 248 Abs. 1 AktG). War in einem Freigabeverfahren nach § 246a AktG die Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister gestattet worden und wurde der Beschluss auch tatsächlich eingetragen, wird ein doch noch erfolgreicher Anfechtungskläger auf einen Schadenersatzanspruch verwiesen, der aber nicht in Naturalrestitution bestehen darf (§ 246a Abs. 4 AktG).587) Im Übrigen ist gesetzlich nicht geregelt, in welcher Weise bereits umgesetzte Beschlüsse rückgängig zu machen sind. Gleiches gilt für nichtige Beschlüsse, sobald deren Nichtigkeit geltend gemacht oder festgestellt wurde. Im Ergebnis wird eine Pflicht der Verwaltung anzunehmen sein, tatsächliche Vollzugsmaßnahmen rückgängig zu machen; daher darf sie während eines laufenden Anfechtungs- oder Nichtigkeitsrechtsstreits irreversible Maßnahmen nur dann durchführen, wenn sie nach pflichtgemäßem Ermessen von der Aussichtslosig___________ 584) Dazu ausführlich Hirte, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) für den Deutschen Bundestag, rsw.beck.de/ rsw/upload/NZG/HH_ARUG.pdf, sub II.2.b; ders., in: Festschrift für Wienand Meilicke (2010), S. 201, 208 (unter Hinweis auf weitere Defizite); allgemein zum früheren Recht schon Sauerbruch, Das Freigabeverfahren gemäß § 246a AktG (2008), S. 183 ff. 585) Siehe Hirte, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) für den Deutschen Bundestag, rsw.beck.de/rsw/ upload/NZG/HH_ARUG.pdf, sub II.3.b; ders., in: Festschrift für Wienand Meilicke (2010), S. 201, 210. 586) OLG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1966 (Commerzbank); KG ZIP 2009, 1223, 1224 f.; OLG Düsseldorf ZIP 2009, 518, 519 f. 587) Hierzu Hirte, ZIP 2004, 1091, 1092 f.

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keit der geltend gemachten Rügen überzeugt ist.588) Bei Maßnahmen, hinsichtlich derer das Freigabeverfahren nach § 246a AktG eingreift, dürfte das jetzt nur noch dann gelten, wenn ein solches Verfahren für die Gesellschaft erfolgreich abgeschlossen wurde. Wurden auf der Grundlage eines fehlerhaften Kapitalerhöhungsbeschlusses bereits neue Mitgliedschaften begründet, sollte nach bislang herrschender Auffassung darüber hinaus eine entsprechende Anwendung der Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft geboten sein; Folge war, dass etwa ausgegebene Aktien wirksam sind und eine Rückgängigmachung der Beschlussdurchführung nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen muss.589) Das dürfte nach Inkrafttreten von § 246a AktG nicht mehr gelten, wenn durch ein Freigabeverfahren die beabsichtigte Rechtssicherheit hätte erreicht werden können. b)

Europäische Aktiengesellschaft

3.299 Für die Europäische Aktiengesellschaft enthält die SE-Verordnung in Bezug auf die gerichtliche Überprüfung von Hauptversammlungsbeschlüssen keine Regelungen. Hier greift daher über Art. 9 Abs. 1 c SE-VO grunsätzlich das für deutsche Aktiengesellschaften geltende Recht ein, das auch festlegt, unter welchen Voraussetzungen ein Beschluss fristgerecht (§ 246 Abs. 1 AktG) anfechtbar oder sogar nichtig ist (§ 241 AktG).590) Lediglich für die Wahl der Verwaltungsratsmitglieder in der monistischen SE gelten Sonderregeln (§§ 31, 32 SEAG), die materiell freilich weitgehend den Vorschriften über die Aufsichtsratswahl (§§ 250, 251 AktG; dazu oben Rz. 3.167) entsprechen. c)

GmbH-Recht

3.300 Für das GmbH-Recht finden sich keine den §§ 241 ff. AktG vergleichbaren gesetzlichen Regelungen. Daher wird in weitem Umfang die aktienrechtliche Regelung entsprechend herangezogen. Dies gilt insbesondere für die Unterscheidung in nichtige und bloß anfechtbare Beschlüsse der Gesellschafterversammlung.591) Andererseits ist auch eine Heilung nichtiger Beschlüsse möglich (vgl. jetzt ___________ 588) Hopt, in: GroßK, § 93 AktG Rz. 92. 589) Hommelhoff, ZHR 158 (1994), 11, 15 ff.; Kort, Bestandsschutz fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht (1998), S. 193 ff., 211 ff.; ders., ZGR 1994, 291, 314; Krieger, ZHR 158 (1994), 35, 47 ff.; Zöllner, AG 1993, 68, 72 ff.; Wiedemann, in: GroßK, § 189 AktG Rz. 41 (für die ordentliche Kapitalerhöhung). 590) Kiem, KK, Art. 57 SE-VO Rz. 43. 591) Zur Nichtigkeit eines Beschlusses bei Einberufungsmängeln BGHZ 11, 231, 236; 87, 1, 2 = ZIP 1983, 569; BGHZ 100, 264, 265 = ZIP 1987, 117 = EWiR § 51 GmbHG 1/87, 991 (Hommelhoff); BayObLG ZIP 1997, 1785; BayObLG ZIP 1999, 1597, 1599 = NJW-RR 2000, 181 = EWiR § 49 GmbHG 1/99, 1007 (Fabis) (Ladung durch Unbefugten); Zöllner, in: Baumbach/Hueck, Anh. § 47 GmbHG Rz. 17. Zum Fortbestand der Gesellschafterrechte im Falle der Einziehung bis zur Leistung der Entschädigung mit der Folge der Nichtigkeit ohne ihn gefasster Beschlüsse OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1997, 612 = ZIP 1997, 644 = EWiR § 34 GmbHG 1/97, 301 (H. P. Westermann). Zur Unzulässigkeit einer (allgemeinen) Feststellungsklage anstelle der spezielleren Nichtigkeitsklage (§ 241 Nr. 1 AktG analog) OLG Hamburg ZIP 1995, 1513 (Landhaus-GmbH) = NJW-RR 1996, 1064.

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auch den für alle Rechtsträger geltenden § 20 UmwG; dazu unten Rz. 6.149).592) Zur Anfechtung berechtigen die gleichen Verfahrens- und Inhaltsfehler wie auch im Aktienrecht. Dabei sind die dort vorgestellten inhaltlichen Schranken wegen des geringeren Missbrauchsrisikos hier deutlich geringerer Kritik ausgesetzt.593) In jedem Fall aber ist eine Anfechtungsklage dann zu erheben, wenn über eine bestimmte Frage formell Beschluss gefasst wurde. Denn andernfalls verliert ein Gesellschafter die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit der Entscheidung geltend zu machen.594) Nach zutreffender, wenngleich bestrittener Ansicht sind die Vorschriften über das Freigabeverfahren im GmbH-Recht nicht entsprechend anwendbar.595) Besondere Schwierigkeiten bereitet die Frage, wie die Anfechtungsfrist be- 3.301 stimmt werden soll. Hier ist umstritten, ob auch eine Klageerhebung nach Ablauf der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG noch ausreicht. Nach Auffassung des BGH soll die Anfechtung innerhalb einer am Leitbild des § 246 AktG orientierten „angemessenen Frist“ ausreichend sein – die auch länger sein kann.596) Die Frist kann auch in der GmbH-Satzung konkretisiert werden. Dabei kann die Satzung aber keine kürzere Anfechtungsfrist als die des § 246 Abs. 1 AktG festlegen.597) Die Frist stellt eine materielle Klagevoraussetzung dar, die von der klagenden Partei darzulegen und vom Gericht von Amts wegen zu prüfen ist.598) ___________ 592) BGHZ 80, 212, 216 f. = ZIP 1981, 609; BGH ZIP 1995, 1983 = NJW 1996, 257 = EWiR § 54 GmbHG 1/96, 75 (Kort) = LM H. 3/1996 § 47 GmbHG Nr. 45; Zöllner, in: Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 GmbHG Rz. 73 ff. Zur entsprechenden Anwendung von § 242 Abs. 1 AktG auf die GmbH BGH NJW 1996, 257 = ZIP 1995, 1983 = EWiR § 54 GmbHG 1/96, 75 (Kort) = LM H. 3/1996 § 47 GmbHG Nr. 45. 593) Zur materiellen Beschlusskontrolle zusammenfassend Lawall, DStR 1997, 331 ff. 594) BGHZ 104, 66, 69 f. = ZIP 1988, 703, 704; ähnlich OLG München BB 1990, 367, 368 = EWiR § 29 GmbHG 1/90, 369 (Roth). 595) KG ZIP 2011, 1474 f. = NZG 2011, 1068 = DStR 2011, 1630 = EWiR § 53 GmbHG 1/11, 711 (Nikoleyczik); ebenso Fleischer, DB 2011, 2132; abw. Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170. 596) BGHZ 101, 113 = ZIP 1987, 1251 (sechs Jahre zu spät, aber rechtsmissbräuchliche Ausnutzung der Unanfechtbarkeit eines sittenwidrigen Beschlusses denkbar); BGHZ 111, 224 = ZIP 1990, 784 = NJW 1990, 2625; BGHZ 137, 378 (Tomberger) = ZIP 1998, 467, 470 = NJW 1998, 1559 = DStR 1998, 383 (Goette); BGH ZIP 1999, 1001 = NJW 1999, 2115 = DStR 1999, 907 = EWiR § 43 GmbHG 2/99, 795 (Westermann); BGH NZG 2005, 951 = ZIP 2005, 985 = EWiR § 58a GmbHG 1/05, 599 (Priester) (grundsätzlich Monatsfrist); KG NJW-RR 1996, 103 (Verfristung bei unterlassener Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses binnen eines Monats); OLG Brandenburg NJW-RR 1996, 29 (Verfristung bei einer zwar sechs Wochen nach Beschlussfassung verfassten, aber erst einen weiteren Monat später eingereichten Klage); OLG Dresden NJW-RR 1997, 1535 (Fristverlängerung bei Verhandlungen über eine einvernehmliche Bereinigung der Streitpunkte); OLG München NJW-RR 2000, 255; OLG Naumburg GmbHR 1998, 90 = EWiR § 246 AktG 1/98, 243 (Zimmermann); zu einem Ausnahmefall OLG Brandenburg NJW-RR 1999, 543 (Anfechtungsklage durch italienischen Insolvenzverwalter); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2844; ders., NJW 1998, 2943, 3459, 3466. 597) BGHZ 104, 66, 70 ff. = ZIP 1988, 703, 704 f.; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/ Gruber, § 47 GmbHG Rz. 119. 598) BGH ZIP 1998, 1392 = NJW 1998, 3344 = DStR 1998, 1363.

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§ 3 Organisationsverfassung

3.302 Können sich aber die Gesellschafter einer GmbH auf einer Gesellschafterversammlung nicht über die Stimmberechtigung einigen und hat deswegen der Versammlungsleiter das Beschlussergebnis nicht festgestellt, so ist – wie der BGH jetzt erneut entschieden hat – eine (allgemeine) Feststellungsklage in Form der positiven Beschlussfeststellungsklage mit dem Inhalt zulässig, dass der beantragte Beschluss gefasst wurde.599) 3.303 Anders als im Aktienrecht (§ 246 Abs. 3 Satz 1 AktG) fehlt für GmbH-Anfechtungsklagen eine gesetzliche ausschließliche Zuweisung an das Landgericht. Gleichwohl soll auch diese Norm dort analog anwendbar sein.600) Auf die Streitwertbemessung bei Anfechtungsklagen gegen GmbH-Gesellschafterbeschlüsse ist auch § 247 AktG entsprechend anzuwenden; offengelassen hat der BGH allerdings, ob auch die Streitwertgrenze von 1 Mio. DM (jetzt 500.000 Euro) im GmbH-Recht entsprechend gilt.601) 3.304 Angesichts der im GmbH-Recht deutlich weiter reichenden Gestaltungsfreiheit wird auch versucht, alle Streitigkeiten, die sich aus dem Gesellschaftsverhältnis zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern sowie unter den Gesellschaftern ergeben, insbesondere auch Einwendungen gegen Gesellschafterbeschlüsse, unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges von einem Schiedsgericht entscheiden zu lassen. Der BGH lässt dies (heute) unter der Voraussetzung zu, dass eine Rechtsschutzgewährung für alle der Abrede unterworfenen Gesellschafter (also auch der nicht unmittelbar verfahrensbeteiligten) gesichert ist; einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung wie in §§ 248 Abs. 1 Satz 1, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG bedürfe es dafür nicht.602) 6.

Stimmpflicht

3.305 Die Inhaltskontrolle von Mehrheitsbeschlüssen verhindert rechtswidrige Beschlüsse im Interesse überstimmter Minderheitsgesellschafter; treffen die von ___________ 599) BGH ZIP 1995, 1982 = NJW 1996, 259 = DStR 1996, 387 (Goette) = LM H. 3/1996 § 47 GmbHG Nr. 46 (Bestätigung von BGHZ 76, 154 = ZIP 1980, 372 = NJW 1980, 1527 = LM § 47 GmbHG Nr. 30 [Ls.]); zur entsprechenden Anwendung von § 248 AktG in diesem Fall OLG München NJW-RR 1997, 988. 600) Zöllner, in: Baumbach/Hueck, Anh. § 47 GmbHG Rz. 168; abw. LG München I NJWRR 1997, 291. 601) BGH NZG 1999, 999 = NJW-RR 1999, 1485. 602) BGHZ 180, 221 Tz. 10 ff. = ZIP 2009, 1003, 1004 ff. = NJW 2009, 1962 = NZG 2009, 620 = DStR 2009, 1043 = EWiR § 47 GmbHG 1/09, 477 (Dürr/Wiggenhorn) (i. c. verneinend); dazu Böttcher/Helle, NZG 2009, 700; Witte/Hafner, DStR 2009, 2052; enger noch früher BGHZ 132, 278 = NJW 1996, 1753 = DStR 1996, 836 (Goette) = LM H. 8/1996 § 248 AktG 1965 Nr. 3 = ZIP 1996, 830, 833 m. krit. Anm. Timm/Witzorrek, EWiR § 248 AktG 1/96, 481; zur Schiedsunfähigkeit der aktienrechtlichen Anfechtungsklage zuvor BGH LM Nr. 1 zu § 199 AktG 1937 Nr. 1; BGH WM 1966, 1132, 1133. Zum zwingenden Charakter des § 241 AktG nach wie vor Hüffer/Koch, § 23 AktG Rz. 38, § 126 AktG Rz. 19. Für Schiedsfähigkeit nach neuem Schiedsverfahrensrecht Bender, DB 1998, 1900 ff.

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V. Hauptversammlung und Gesellschafterversammlung

den Klägern erhobenen Einwände nicht zu, kann die beschlossene Maßnahme durchgeführt werden. Anders ist die Lage, wenn ein Minderheitsgesellschafter oder eine Minderheitsgruppe über eine Sperrminorität verfügt, über eine so große Minderheit, dass sie die Mehrheit an ihren Entscheidungen hindern kann. Diese Lage tritt in aller Regel zunächst bei den Grundlagenentscheidungen auf, bei denen das Gesetz für die Durchführung der entsprechenden Maßnahmen eine Mehrheit von drei Vierteln verlangt. Wer hier über ein Viertel der Anteile verfügt, kann jede Maßnahme verhindern (dazu oben Rz. 3.265). Gleichwohl kann es auch hier Situationen geben, in denen eine bestimmte Entscheidung dringend im Gesellschaftsinteresse geboten ist. In dieser Lage hat die Rechtsprechung zunächst im Personengesellschaftsrecht von den widersprechenden Gesellschaftern eine Zustimmung verlangt, wenn dies mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis, insbesondere mit Rücksicht auf das Geschaffene, dringend geboten ist und den widersprechenden Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwerten Belange auch zuzumuten ist.603) In einem anderen Fall hat sie die Stimmabgabe eines Gesellschafters als missbräuchlich angesehen, dessen Entscheidung zum Ausscheiden aus der Gesellschaft bereits gefallen war.604) Hier dient die Treuepflicht also nicht zur Vermeidung eines Beschlusses im In- 3.306 teresse der Minderheit, sondern zu dessen Herbeiführung im Interesse der Mehrheit. Die Rechtsprechung hat diesen Grundsatz zunächst auch auf die personalistisch ausgestaltete GmbH übertragen, um der Gesellschaftermehrheit eine Anpassung der Satzung an die durch die Novelle von 1980 erhöhten Mindeststammkapitalanforderungen zu ermöglichen.605) Jedenfalls für die personalistische Aktiengesellschaft gilt dies in gleicher Weise.606) In der Zukunft dürfte die Rechtsprechung vor allem auch für Anpassungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umstellung auf den Euro (dazu im Einzelnen unten Rz. 6.72 ff.) eine Rolle spielen. Im Girmes-Urteil griff der BGH diesen Ansatz für die Publikumsaktiengesell- 3.307 schaft auf und stellte zunächst fest, dass auch dort Minderheitsaktionären eine Treuepflicht gegenüber ihren Mitaktionären obliegt. Diese verbiete es ihnen, eine sinnvolle und mehrheitlich angestrebte Sanierung unter Wahrnehmung ihres ___________ 603) BGHZ 44, 40, 41 (OHG); BGHZ 64, 253, 257 (KG); OLG Düsseldorf ZIP 1994, 1447 = NJW-RR 1995, 171 (keine Einhaltung des Einstimmigkeitsgrundsatzes, wenn ohnehin Zustimmungspflicht vorläge); von Schorlemer/Stupp, NZI 2003, 345 ff.; Wiedemann, in: GroßK, § 179 AktG Rz. 157. 604) BGH ZIP 2006, 1343 Rz. 7 = NZG 2006, 627 = NJW-RR 2006, 1414; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 46. 605) BGHZ 98, 276, 279 = ZIP 1986, 1383, 1384 = EWiR § 1 GmbHG 1/86, 1107 (Riegger); BGH ZIP 1987, 914 = WM 1987, 841, 842 = EWiR § 1 GmbHG 1/87, 767 (Günther); von Schorlemer/Stupp, NZI 2003, 345, 347; Wiedemann, in: GroßK, § 179 AktG Rz. 157. 606) Wiedemann, in: GroßK, § 179 AktG Rz. 157.

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§ 3 Organisationsverfassung

Stimmrechtes zu verhindern.607) Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Minderheitsaktionäre ihre Stimmen zielgerichtet bündeln und sich gemeinschaftlich von einem Stimmrechtsvertreter vertreten ließen, um eine Sperrminorität zu erreichen. Darüber hinaus treffe die Aktionäre, die die Treuepflicht durch ihre pflichtwidrige Stimmrechtsausübung vorsätzlich verletzten, gegenüber ihren Mitaktionären eine Schadenersatzpflicht wegen der Entwertung ihres Aktienbesitzes. Dies soll jedoch nur dann gelten, wenn der Schaden nicht durch Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses abgewendet werden kann. Tritt für die Aktionäre ein Stimmrechtsvertreter auf, so müssen sie sich dessen Abstimmungsverhalten zurechnen lassen. Den Vertreter selbst trifft aber unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Schadenersatzpflicht; er hafte den geschädigten Aktionären allenfalls analog § 179 Abs. 1 BGB, sofern er seine Auftraggeber nicht preisgibt. Das nach Zurückverweisung erneut mit dem GirmesFall befasste OLG Düsseldorf entschied sodann, dass der auf Schadenersatz verklagte Stimmrechtsvertreter bei der Abstimmung über die zur Sanierung notwendige Kapitalherabsetzung keinen Schädigungsvorsatz hatte und somit eine Haftung auch unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des BGH nicht bejaht werden kann.608) VI.

Zurechnung des Verhaltens und Wissens von Organen zur Gesellschaft

1.

Grundsatz

3.308 Fehlverhalten von Organen kann unter bestimmten Umständen eine persönliche Schadenersatzhaftung dieses Organs auslösen (dazu vor allem oben Rz. 3.108 ff. und 3.207). Davon zu unterscheiden ist die – umgekehrte – Frage, unter welchen Voraussetzungen die juristische Person für das (Fehl-)Verhalten ihrer Organe einzustehen hat. Rechtlich bildet die Zurechnung des Organverhaltens zur juristischen Person den Grundtatbestand, die Eigenhaftung die Ausnahme – über deren Reichweite deshalb so viel gestritten wird. Wirtschaft___________ 607) BGHZ 129, 136 (Girmes) = ZIP 1995, 819 = ZIP 1995, 1416 (Ls.) (Gerd Müller) = NJW 1995, 1739 = EWiR § 135 AktG 1/95, 525 (Rittner) = LM H. 8/1995 § 53a AktG 1965 Nr. 2 = WiB 1995, 548 (Wilte); dazu Bungert, DB 1995, 1749; Hennrichs, AcP 195 (1995), 3; Henssler, DZWiR 1995, 430; Lutter, JZ 1995, 1053; zum Verfahren Dreher, ZIP 1993, 333; ders., ZHR 157 (1993), 150; Heermann, ZIP 1994, 1243; Henssler, ZHR 157 (1993), 91; Marsch-Barner, ZHR 157 (1993), 172; Wenger, ZIP 1993, 321. Das OLG Düsseldorf (ZIP 1994, 878, 881 = EWiR § 135 AktG 1/94, 733 [Dreher]) hatte als Vorinstanz die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des LG als unbegründet zurückgewiesen. In den Gründen hatte es noch eine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der vom Beklagten vertretenen Kleinaktionäre verneint. 608) OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 607 (Girmes) = ZIP 1996, 1211 = EWiR § 179 BGB 2/96, 779 (Wilhelm) = DZWir 1997, 30 (rkr., aber möglicherweise str.; dazu den redaktionellen Hinweis in ZIP 1996, 1217); dazu Henssler, DZWiR 1997, 36; Henze, BB 1996, 489; Lamprecht, ZIP 1996, 1372; Marsch-Barner, ZIP 1996, 853. Vgl. auch die seitengroßen Anzeigen des Beklagten Bolko Hoffmann anlässlich seines Prozesssieges, etwa in FAZ v. 29.6.1996, Nr. 149, S. 19.

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VI. Zurechnung des Verhaltens und Wissens von Organen zur Gesellschaft

lich hängen beide Fragen eng zusammen: denn in beiden Fällen geht es darum, die Zahl der möglichen Schuldner zu erhöhen. Während bei der Zurechnung des Organverhaltens die Haftung der juristischen Person neben eine (mögliche) Eigenhaftung des Organs tritt und damit auf deren Vermögen zugegriffen werden kann, erlaubt die Eigenhaftung einen Zugriff auf das Vermögen des Organs, wenn die Haftungsmasse der juristischen Person nicht ausreicht. Zentrale Zurechnungsnorm – nicht aber selbständige Anspruchsgrundlage – für 3.309 das Verhalten von Organen juristischer Personen ist § 31 BGB. Er rechnet dem Verband das Verhalten seiner Organmitglieder unabhängig davon zu, ob es rechtmäßig oder rechtswidrig war, und auch unabhängig davon, ob das Organ die ihm im Innenverhältnis obliegenden Verpflichtungen beachtet hat. Entscheidend ist, dass der Verband die Vor- und Nachteile seiner Verselbständigung gleichmäßig tragen soll.609) Aktuelle Beispiele: Grundsätzliche Schadenersatzhaftung der Deutschen Bank AG wegen der ihr nach § 31 BGB zuzurechnenden kreditschädigenden Äußerungen ihres früheren Vorstandsvorsitzenden Breuer, die zum Zusammenbruch der „KirchGruppe“ geführt hätten, gegenüber den betroffenen Gesellschaften.610) Ganz ähnlich: Haftung der Gesellschaft nach § 31 BGB für die von ihrem Vorstandsmitglied gegebenen fehlerhaften Kapitalmarktinformationen.611)

3.309a

§ 31 BGB reicht deutlich weiter als §§ 278, 831 BGB. Im Gegensatz zu § 278 3.310 BGB, der nur für Sonderrechtsverhältnisse, insbesondere vertragliche Schuldverhältnisse gilt, gilt § 31 BGB für alle Schuldverhältnisse. Wie § 831 BGB ordnet er eine Haftung für eigenes Verschulden an und steht auch insoweit im Gegensatz zu § 278 BGB, der eine Haftung für fremdes Verschulden anordnet. Daraus folgt auch, dass § 31 BGB zwingend ist, während § 278 BGB in den Grenzen des § 309 Nr. 7 BGB dispositiv ist. Schließlich kennt § 31 BGB im Gegensatz zu § 831 BGB keinen Entlastungsbeweis. Ähnlich wie § 831 BGB verlangt § 31 BGB in inhaltlicher Hinsicht ein Handeln 3.311 im Rahmen des Wirkungskreises der juristischen Person, wobei auf den objektiven Zusammenhang aus der Sicht des Geschädigten abzustellen ist. Nicht zurechnungsbegründend ist daher ein Handeln nur „bei Gelegenheit“ einer Tätigkeit für die juristische Person. Auf das Vorliegen von Vertretungsmacht kommt es allerdings nicht an.612)

___________ 609) Wiedemann, GesR I, S. 213 ff. 610) BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830 = ZIP 2006, 317, 319 ff. = EWiR Nr. 2 AGB-Bk 1/06, 289 (P. Rösler) (Vorinstanz OLG München ZIP 2004, 19 = NJW 2004, 224 = EWiR § 92 InsO 1/04, 1097 [Tetzlaff]); dazu Hellgardt, WM 2006, 1514; Kort, NJW 2006, 1098. 611) BGH ZIP 2007, 326 (Comroad) = NZG 2007, 269. 612) Karsten Schmidt, GesR, § 10 IV 4 b, S. 279 f. m. w. N.

279

§ 3 Organisationsverfassung

2.

Anwendungsbereich von § 31 BGB

3.312 § 31 BGB ist von zentraler Bedeutung für das gesamte Verbandsrecht. Er gilt zunächst (unmittelbar) für alle juristischen Personen des privaten Rechts – den eingetragenen Verein, die Kapitalgesellschaften, die Genossenschaft, den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit und (!) die Stiftung. Über § 89 Abs. 1 BGB gilt er auch für die juristischen Personen des öffentlichen Rechts.613) Darüber hinaus gilt er aber auch für den nichtrechtsfähigen Verein. § 54 Satz 1 BGB, aus dem sich möglicherweise etwas anderes ableiten ließe, geht auf die heute überholte und vor dem Hintergrund von Art. 9 Abs. 1 GG problematische Absicht des historischen Gesetzgebers zurück, die Entstehung von Körperschaften staatlich zu kontrollieren.614) 3.313 Kraft Gewohnheitsrechts ist § 31 BGB aber auch auf die Handelsgesellschaften, die Partnerschaftsgesellschaft und, wenn sie ein Unternehmen betreibt, die BGBGesellschaft anwendbar.615) Die Geltung für verselbständigte Vermögensmassen – Nachlass, Insolvenzmasse – wird ebenfalls befürwortet. Keine Anwendung kann § 31 BGB demgegenüber für den Einzelkaufmann haben; denn dieser haftet für die von ihm begründeten Verbindlichkeiten aus eigenem Recht und nicht kraft Zurechnung. 3.

Erfasste Organe

3.314 Zugerechnet wird nach dem Wortlaut des § 31 BGB zunächst das Verhalten des Vorstands, seiner Mitglieder und „anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter“, soweit die zum Schadenersatz verpflichtende Handlung „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen“ begangen wurde. Erfasst sind damit die Formalorgane. Dazu zählt, da die Norm auf den Verein zugeschnitten ist, bei den Kapitalgesellschaften sicher auch der Aufsichtsrat. Etwas problematischer ist es bezüglich einer Zurechnung des Verhaltens der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung. 3.315 Wäre die Zurechnung auf diese Formalorgane beschränkt, könnten sich vor allem Großverbände einer Haftung für die für sie auftretenden Personen entziehen, indem sie die Zahl der Vorstandsmitglieder beschränkten. Die Rechtsprechung wendet § 31 BGB daher auch auf Personen an, die selbständig wichtige Aufgaben wahrnehmen und deshalb die juristische Person repräsentieren (Re___________ 613) Karsten Schmidt, GesR, § 10 IV 2, S. 274 ff. m. w. N. 614) Karsten Schmidt, GesR, § 10 IV 2, S. 276 m. w. N., § 25 III 1 b, S. 743 ff. 615) So jetzt BGHZ 154, 88, 93 ff. = ZIP 2003, 664, 666 = NJW 2003, 1445 = NZG 2003, 428; zum Ganzen Flume, DB 2003, 1775; Keil, DZWIR 2003, 404; Ulmer, ZIP 2003, 1113; Schäfer, ZIP 2003, 1225; Wössner, ZIP 2003, 1235; zuvor bereits Karsten Schmidt, GesR, § 10 IV 2, S. 275 f. m. w. N.; für die BGB-Gesellschaft verneinend noch BGHZ 45, 311 (allerdings noch auf der Grundlage des früheren und inzwischen überholten Haftungskonzepts für die BGB-Gesellschaft).

280

VI. Zurechnung des Verhaltens und Wissens von Organen zur Gesellschaft

präsentantenhaftung). Dazu zählen etwa Filialleiter, Zweigstellenleiter und Chefärzte.616) Zudem wird eine Pflicht zur Bestellung einer ausreichenden Zahl verfassungsmäßiger Vertreter angenommen, deren Verletzung eine Haftung wegen Organisationsmangels begründet und zur Eigenhaftung der juristischen Person führt. 4.

Wissenszurechnung

Nicht von § 31 BGB erfasst ist die Zurechnung von Wissen von Organmitgliedern 3.316 und Mitarbeitern zur Gesellschaft. Hier greift grundsätzlich zunächst § 166 Abs. 1 BGB ein; hat also der für die Kapitalgesellschaft tätige organschaftliche oder rechtsgeschäftliche Vertreter von den relevanten Umständen Kenntnis, ist dies der Gesellschaft zuzurechnen.617) Hat der Verband mehrere gesetzliche Vertreter, reicht zudem – ungeachtet ihrer Geschäftsführungskompetenz – entsprechend den die „Passivvertretung“ regelnden § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG die Kenntnis eines Einzelnen von ihnen.618) Eine Vermittlung der erforderlichen Kenntnis einer Gesellschaft nach § 166 Abs. 1 BGB durch ihren Geschäftsführer scheidet aber dann aus, wenn dieser selbst der Schuldner ist.619) Lange umstritten war aber, ob – weitergehend – das Wissen von Organmitgliedern immer zuzurechnen ist, also auch wenn sie etwa an einem Vertragsabschluss nicht beteiligt waren oder schon aus der Gesellschaft ausgeschieden sind. Und umgekehrt war fraglich, ob Wissen auch anderer als der bei einem Geschäft die Gesellschaft vertretenden Mitarbeiter zugerechnet werden kann; dafür wurde geltend gemacht, dass Großorganisationen sonst von der typischerweise bestehenden „Aufspaltung“ des Wissens in ihnen profitieren würden. Der BGH hat hier Klarheit geschaffen. Danach muss sich eine dezentral organisierte Gesellschaft (ebenso ein sonstiger Verband) das Wissen ihrer Organmitglieder und Mitarbeiter als Wissensvertreter nur dann, aber auch immer dann zurechnen lassen, wenn dieses typischerweise aktenmäßig festgehalten zu werden pflegt. Im vom BGH – VIII. Zivilsenat – zu entscheidenden Fall hatte ein Mitarbeiter der 3.317 Einkaufsabteilung einer auch Gebrauchtwagenhandel betreibenden GmbH & Co. KG fahrlässig fehlerhafte Angaben über die Laufleistung eines angenommenen Fahrzeugs in eine für den Weiterverkauf bestimmte interne Dokumentation aufgenommen, weil er die zutreffende Laufleistung bei der Eintragung bereits vergessen hatte. Ein anderer Mitarbeiter hielt diese Angabe für zutreffend und ___________ 616) BGHZ 49, 19, 21; Karsten Schmidt, GesR, § 10 IV 4 a, S. 278 f. 617) Nicht aber ihren Organen oder gar Mitgliedern: BGH ZIP 2001, 26, 27 f. = NJW 2001, 359 = LM § 166 BGB Nr. 43 (Grigoleit) = EWiR § 166 BGB 2/01, 705 (Schramm). 618) BGH WM 1959, 81, 82 f.; BGHZ 41, 282, 287 = NJW 1964, 1367 = WM 1964, 610. 619) BGH ZIP 2011, 858, 859 Tz. 10 = NJW-RR 2011, 832 = NZG 2011, 628 = DStR 2011, 930 (für die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände für den Verjährungsbeginn).

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§ 3 Organisationsverfassung

verkaufte das Fahrzeug unter dieser Angabe weiter. Das Gericht bejahte zunächst eine Pflicht der Gesellschaft zu ausreichender Dokumentation wesentlicher Angaben über die eingekauften Fahrzeuge, damit diese aufgrund der organisatorischen Trennung von Ein- und Verkauf nicht verlorengingen. Diese hierbei typischerweise festgehaltenen Angaben müsse sich die Gesellschaft zurechnen lassen. So liege es vom Grundsatz her auch im gegebenen Fall; da jedoch nur eine fahrlässige Falschangabe des Angestellten vorliege, konnte der auf Wandlung des Kaufvertrages verklagten Gesellschaft aber nicht der Vorwurf arglistigen Verhaltens gemacht werden.620) 3.318 Einen vergleichbaren Entscheidungsmaßstab der Wissenszurechnung wandte auch der V. Zivilsenat des BGH an. Er hatte darüber zu befinden, unter welchen Umständen sich eine GmbH & Co. KG das Wissen vormaliger organschaftlicher Vertreter zurechnen lassen muss, unter deren Verantwortung Produktionsrückstände vergraben wurden, die später eine Kontaminierung des Bodens auslösten. Zurechenbar könne auch hier nur typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen sein, wobei besonders zu berücksichtigen ist, ob eine solche Wissensspeicherung zum Zeitpunkt des Vorgangs angezeigt war, was allein von der ex ante zu ermittelnden Wahrscheinlichkeit abhängt, dass dieses Wissen später rechtserheblich werden könnte.621) 5.

Europäische Aktiengesellschaft

3.319 Anders als in Bezug auf die Haftung der Organmitglieder selbst findet sich im SE-Statut keine besondere Regelung (mehr) bezüglich der Haftung einer Europäischen Aktiengesellschaft für ihre Organmitglieder. Insoweit ist daher nach Art. 9 Abs. 1 c SE-VO das nationale Recht berufen, und das führt für eine in Deutschland eingetragene SE zur Anwendbarkeit von § 31 BGB. Auch für die Zurechnung von Wissen zur Gesellschaft ist auf das nationale Recht abzustellen.

___________ 620) BGH NJW 1996, 1205 = ZIP 1996, 500 = EWiR § 166 BGB 1/96, 635 (Pfeiffer) = LM H. 6/1996 § 166 BGB Nr. 35 (Scheuch) = DStR 1996, 1135 (Goette); zur Wissenszurechnung in Fällen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB BGH NJW 1996, 1051 = ZIP 1996, 176 = EWiR § 123 BGB 1/96, 391 (E. A. Kramer) = DStR 1996, 309 (Goette) = LM H. 4/1996 § 123 BGB Nr. 78; dazu auch Altmeppen, BB 1999, 749 ff. (teilweise kritisch). 621) BGH NJW 1996, 1339 = ZIP 1996, 548 = EWiR § 463 BGB 1/96, 585 (Taupitz) = LM H. 6/1996 § 463 BGB Nr. 75.

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§ 4 Mitgliedschaft Literatur: Berger, Die actio pro socio im GmbH-Recht, ZHR 149 (1985), 599; Beuthien, Treuhand an Gesellschaftsanteilen, ZGR 1974, 26; Großfeld/Möhlenkamp, Zum Auskunftsrecht des Aktionärs, ZIP 1994, 1425; Grunewald, Das Recht zum Austritt aus der Aktiengesellschaft, in: Festschrift Claussen, 1997, S. 103; Hadding, Verfügungen über Mitgliedschaftsrechte, in: Festschrift Steindorff, 1990, S. 31; Henn, Die Gleichbehandlung der Aktionäre in Theorie und Praxis, AG 1985, 240; Henze, Treuepflichten der Gesellschafter im Kapitalgesellschaftsrecht, ZHR 162 (1998), 186; Koppensteiner, Treuwidrige Stimmabgaben bei Kapitalgesellschaften, ZIP 1994, 1325; Kort, Offene Fragen zu Gesellschafterliste, Gesellschafterstellung und gutgläubigem Anteilserwerb (§§ 40 und 16 GmbHG n. F.), GmbHR 2009, 169; Krieger, Aktionärsklage zur Kontrolle des Vorstands- und Aufsichtsratshandelns, ZHR 163 (1999), 343; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180 (1980), 84, 132; ders., Due diligence des Erwerbers beim Kauf einer Beteiligung, ZIP 1997, 613; Karsten Schmidt, Das Recht der Mitgliedschaft, ZGR 2011, 108; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965.

Unter der Mitgliedschaft versteht man die personen- und vermögensrechtliche 4.1 Stellung des Teilhabers in der Gesellschaft. Sie ist ein subjektives Recht, das den Eigentums-, Forderungs- und Immaterialgüterrechten vergleichbar ist und deshalb insgesamt übertragen, belastet oder aufgegeben werden kann.1) Nur bei der Aktiengesellschaft kann die Mitgliedschaft durch Ausstellung von Aktienurkunden in einem Wertpapier verkörpert werden.2) Das Verhältnis des Mitglieds zur Gesellschaft ist durch eine ganze Reihe unter- 4.2 schiedlicher und gegenseitiger Einzelrechte und -pflichten geprägt. Auf einige von ihnen wurde bereits eingegangen oder wird noch in anderem Zusammenhang eingegangen, insbesondere im Rahmen der Organisations- oder Finanzverfassung. Im Mittelpunkt des folgenden Überblicks stehen daher neben den Fragen im Zusammenhang mit Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft die Rechte und Pflichten, die nicht unmittelbar mit der Organisations- oder Finanzverfassung zusammenhängen. In der SE-Verordnung ist der Bereich der Mitgliedschaftsrechte und -pflichten der Aktionäre praktisch ungeregelt; insoweit greift daher das nationale Recht des Sitzstaats der SE ein.3) I.

Rechte

Wenn man von den Rechten eines Gesellschafters spricht, meint man in aller 4.3 Regel nur dessen Individualrechte; auf diese beschränkt sich auch die folgende Darstellung. Daneben gibt es aber kollektive Rechte, die im Interesse der ___________ 1) 2) 3)

Wiedemann, GesR I, S. 95. Dazu, auch rechtsvergleichend, Albertz, Die Verbriefung des GmbH-Geschäftsanteils in Deutschland und den EU-Staaten (1996). Ausführlicher Hirte, NZG 2002, 1, 9.

283

§ 4 Mitgliedschaft

Gesellschaftergesamtheit bestehen; hier spielen vor allem Informationsrechte im Zusammenhang mit Strukturänderungen (Bezugsrechtsausschluss: § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG, Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 4 Satz 3 Zweite Richtlinie; Umwandlung: § 8 UmwG, Art. 9 Dritte Richtlinie) eine Rolle. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die Gesellschafter im Vorhinein nicht wirksam auf diese Rechte verzichten können. Umgekehrt führt eine Verletzung dieser Rechte nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit eines auf der Grundlage der Verletzung ergehenden Beschlusses.4) 4.4 Zu erwähnen sind schließlich die Sonderrechte, die nur einem oder einzelnen Gesellschaftern zustehen. Sie müssen in der Satzung festgelegt sein, was im Aktienrecht nur in den Grenzen von § 23 Abs. 5 AktG möglich ist. Beispielhaft genannt sei das Sonderrecht eines GmbH-Gesellschafters auf Bestellung zum Geschäftsführer oder das Recht eines Aktionärs, eine bestimmte Zahl von Personen in den Aufsichtsrat zu entsenden (dazu oben Rz. 3.158). 1.

Allgemeine Rechte

4.5 Zu den allgemeinen Rechten jedes Kapitalgesellschafters gehört das Recht auf Gleichbehandlung durch die Gesellschaft, das für die Aktiengesellschaft in § 53a AktG, Art. 46 [früher Art. 42] Zweite Richtlinie kodifiziert ist. Zudem kann sich – vor allem in personalistisch strukturierten Gesellschaften – eine Pflicht der Kapitalgesellschaft auf Rücksichtnahme gegenüber dem einzelnen Gesellschafter ergeben; sie ist eng mit der Treuepflicht verflochten, die den einzelnen Gesellschaftern gegenüber ihren Mitgesellschaftern obliegt. Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot oder die Treuepflicht kommen sowohl seitens der Verwaltung als auch durch Beschluss der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung in Betracht; da sie aber meistens im Zusammenhang mit der Rechtswidrigkeit von Gesellschafterbeschlüssen diskutiert wurden, wurden sie auch dort bereits erörtert (dazu oben Rz. 3.291 ff.). 4.6 Im Aktienrecht unterstellt § 117 AktG die Gesellschaft zum Schutze des Gesellschafts- und Aktionärsvermögens einem besonderen deliktischen Schutz vor unerlaubter Einflussnahme (dazu oben Rz. 3.219). Dabei können neben der Gesellschaft auch die Aktionäre selbst den ihnen durch eine unzulässige Einflussnahme entstandenen Schaden geltend machen, soweit er über den Schaden der Gesellschaft hinausgeht („Reflexschaden“; § 117 Abs. 1 Satz 2 AktG). Darunter versteht man Schäden, die in einer Minderung des Gesellschaftsvermögens bestehen und bei denen der Aktionär nur dadurch mittelbar geschädigt ist, dass der Wert seiner Beteiligung sinkt; insoweit sollen – was ein allgemeines Prinzip des Kapitalgesellschaftsrechts ist – Ersatzansprüche nur von der Gesellschaft geltend gemacht werden und Ersatz nur in ihr Vermögen geleistet ___________ 4)

284

Wiedemann, in: GroßK, § 186 AktG Rz. 114.

I. Rechte

werden.5) Umstritten ist für alle Kapitalgesellschaften, ob die Mitgliedschaft insgesamt als absolutes Recht i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB anzusehen ist.6) Im Übrigen wird unterschieden zwischen Vermögens- und Verwaltungsrechten. 2.

Vermögensrechte

Im Mittelpunkt der Vermögensrechte steht der Gewinnanspruch des Gesell- 4.7 schafters; dass die Aktionäre einer Europäischen Aktiengesellschaft einen Gewinnanspruch haben, wird zwar nicht ausdrücklich in der SE-VO gesagt, aufgrund des Verweises auf die nationalen Rechnungslegungsvorschriften aber zumindest vorausgesetzt. Weitere Rechte dienen vor allem dem Schutz der Mitgliedschaft vor einer Verwässerung bei Kapitalerhöhungen oder anderen Strukturmaßnahmen. Der Kranz schließt sich durch das Recht des Gesellschafters auf Beteiligung am Liquidationserlös oder an Rückzahlungen im Falle einer ordentlichen Kapitalherabsetzung, die der Sache nach eine „Teilliquidation“ ist. a)

Gewinnanspruch

Zentrale Bedeutung unter den Vermögensrechten des Gesellschafters hat der 4.8 Anspruch auf Beteiligung am Jahresgewinn. Das darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass jeder Gesellschafter automatisch einen seiner Beteiligung entsprechenden Anteil am „Gesamtgewinn“ hätte. Vielmehr wird sein Anspruch zunächst dadurch modifiziert, dass für seine Berechnung der Jahresabschluss herangezogen wird, aus dem sich der immer auf der Passivseite stehende Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag ergibt (§ 266 Abs. 3 Passivseite A.V. HGB). Die Aufstellung des Jahresabschlusses ist eine Aufgabe der gesetzlichen Vertreter der Kapitalgesellschaft (§§ 242, 264 Abs. 1 HGB), bei der ihnen zahlreiche Wahlrechte und Ermessensspielräume zustehen (oben Rz. 3.51). Aus Gründen des Gläubigerschutzes und mit Rücksicht auf die Interessen von Minderheitsgesellschaftern ist der Jahresabschluss zu prüfen. Zudem begrenzen Aktien- und GmbH-Recht in unterschiedlicher Weise die an die Gesellschafter ausschüttbaren Beträge; die aktienrechtlichen Regelungen wollen dabei einer___________ 5)

6)

Vgl. BGHZ 94, 55, 58 f. = NJW 1985, 1777, 1778 = EWiR § 117 AktG 1/85, 243 (MeyerLandrut); BGHZ 105, 121, 130 f. = ZIP 1988, 1111, 1115 f. = NJW 1988, 2794 = EWiR § 399 AktG 1/88, 951 (Schulze-Osterloh); BGH ZIP 1992, 1464, 1471 f. (IBH/Scheich Kamel) = NJW 1992, 3167, 3171 f. = EWiR § 185 AktG 1/92, 1153 (Wiedemann); für den Fall nicht korrekter Erfüllung einer Sacheinlagepflicht BGH ZIP 2003, 30 = NJWRR 2003, 170 = NZG 2003, 85 = NZI 2003, 116 (Vorinstanz OLG Köln NZG 2003, 172 sowie das Parallelverfahren OLG Köln ZIP 2002, 713 = NZG 2002, 679); BGH ZIP 2013, 1376 = NJW 2013, 2586 = NZG 2013, 867 = EWiR § 13 GmbHG 1/13, 507 (Wackerbarth) (zur Geltung auch in der Insolvenz); dazu Elfers, GmbHR 2004, 934. Bejahend BGHZ 110, 323, 327 f., 334 = ZIP 1990, 1067 = NJW 1990, 2877, 2878 ff. = EWiR § 31 BGB 2/90, 745 (Hadding) (e. V.); Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht (1996), S. 117 ff.; Raiser/Veil, KapGesR, § 11 Rz. 17 (AG); offengelassen von Zöllner, ZGR 1988, 392, 430; abw. Karsten Schmidt, GesR, § 21 V 4, S. 651 f.

285

§ 4 Mitgliedschaft

seits ein höheres Gläubigerschutzniveau erreichen, andererseits aber mit Blick auf Minderheitsaktionäre eine Mindestausschüttung garantieren. aa)

Grundlage: geprüfter Jahresabschluss

4.9 (1) Der von den gesetzlichen Vertretern der Kapitalgesellschaft aufgestellte Jahresabschluss ist, sofern es sich nicht um eine kleine Kapitalgesellschaft (§ 267 Abs. 1 HGB) handelt, von einem Abschlussprüfer zu prüfen (§ 316 Abs. 1 Satz 1 HGB). Bei kleinen Kapitalgesellschaften obliegt die Prüfung des Jahresabschlusses allein dem Aufsichtsrat (dazu unten Rz. 4.14) bzw. – bei der GmbH – den Gesellschaftern. Das gilt auch für die durch das KleinstkapitalgesellschaftenBilanzrechtsänderungsgesetzes (MicroBilG) neu eingeführte Kategorie der Kleinstkapitalgesellschaften (§ 267a HGB n. F.), die neben die bereits bestehenden Kategorien der kleinen, mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften getreten ist. Hauptgegenstand des Gesetzes ist der für diese neue Kategorie von Gesellschaften teilweise mögliche Verzicht auf die Aufstellung eines Anhangs, die vereinfachte Darstellung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung sowie schließlich die Beschränkung der Offenlegung des Jahresabschlusses (dazu sogleich Rz. 4.11). Bei börsennotierten Aktiengesellschaften kann andererseits noch das „Enforcement-Verfahren“ hinzutreten (unten Rz. 4.11a f.). Der Abschlussprüfer ist von den Gesellschaftern zu wählen (§ 318 Abs. 1 Satz 1 HGB), was für die GmbH im Gesellschaftsvertrag abweichend festgelegt werden kann (§ 318 Abs. 1 Satz 2 HGB). Zur Sicherung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers normiert § 319 HGB zahlreiche Gründe für einen Ausschluss seiner Bestellung, die für kapitalmarktorientierte Gesellschaften i. S. v. § 264d HGB in § 319a HGB noch weiter konkretisiert werden; danach muss etwa der Abschlussprüfer ausgewechselt werden, wenn er bereits sieben Bestätigungsvermerke unterzeichnet hat (§ 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 HGB: „Prüferrotation“); bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gilt dies nach § 319 Abs. 1 Satz 4 HGB entsprechend für den „verantwortlichen Prüfungspartner“ (= „interne Rotation“). Durch das BilMoG wurden die Ausschlussgründe auch auf in „Netzwerken“ zusammenarbeitende Abschlussprüfer erstreckt (§ 319b HGB). Vor Unterbreitung des Wahlvorschlags an die Hauptversammlung soll der Aufsichtsrat nach Nr. 7.2.1 DCGK zudem eine Erklärung des vorgesehenen Prüfers über sonstige Verbindungen zur Gesellschaft einholen, die Zweifel an seiner Unabhängigkeit begründen könnten (einschließlich Angaben im vorausgegangenen Geschäftsjahr erbrachter anderer, insbesondere Beratungsleistungen). Der darauf aufbauende Vorschlag des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung zur Wahl des Abschlussprüfers ist als Folge bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften i. S. v. § 264d HGB auf die Empfehlung des Prüfungsausschusses zu „stützen“ (§ 124 Abs. 3 Satz 2 AktG in der Neufassung durch das BilMoG). Für den Fall, dass Ausschlussgründe für die Bestellung eines Abschlussprüfers i. S. v. §§ 319 Abs. 2 bis 5, 319a HGB vorliegen oder später

286

I. Rechte

auftreten oder bekannt werden,7) sieht § 318 Abs. 3 HGB ein besonderes Verfahren zur Ersetzung des Abschlussprüfers vor; es geht nach § 243 Abs. 3 Nr. 3 (früher Nr. 2) AktG der Anfechtungsklage gegen seine Wahl vor.8) Die Zwei-Wochen-Frist des § 318 Abs. 3 Satz 2 HGB, innerhalb derer ein solcher Antrag auf Bestellung eines anderen als des gewählten Abschlussprüfers beim Gericht gestellt werden kann, läuft mit der Wahl des Abschlussprüfers durch das zuständige Gesellschaftsorgan; das gilt auch für den Antrag eines nach der Beschlussfassung bestellten vorläufigen Insolvenzverwalters, so dass es auf dessen Kenntnis von etwaigen Ausschluss- oder Befangenheitsgründen nicht ankommt.9) Bei der Aktiengesellschaft ist sodann der Prüfungsauftrag vom Aufsichtsrat zu 4.10 erteilen (dazu oben Rz. 3.196), bei der GmbH nach der allgemeinen Regel des § 318 Abs. 1 Satz 4 HGB der bzw. die Geschäftsführer. Der Abschlussprüfer hat nach den gesetzlichen Vorgaben (§ 317 HGB) zu prüfen und darüber zu berichten (§ 321 HGB). Nach Nr. 7.2.3 DCGK soll der Aufsichtsrat mit dem Abschlussprüfer vereinbaren, dass er diesem über alle für die Aufgaben des Aufsichtsrats wesentlichen Feststellungen und Vorkommnisse, die sich bei Durchführung der Abschlussprüfung ergeben, unverzüglich berichtet. Zudem soll eine Informationspflicht bzw. die Pflicht zu einem Vermerk im Prüfbericht vereinbart werden für den Fall, dass er bei Durchführung der Abschlussprüfung Tatsachen feststellt, die eine Unrichtigkeit der von Vorstand oder Aufsichtsrat abgegebenen Erklärung zum Kodex ergeben. Schließlich soll nach Nr. 7.2.1 DCGK eine Hinweispflicht bei Auftreten möglicher und nicht beseitigbarer Ausschluss- oder Befangenheitsgründe vereinbart werden. Wird die Gesellschaft insolvent oder wird der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen, können Gläubiger oder Gesellschafter in dem in § 321a HGB beschriebenen Verfahren Einsicht in die nach § 321 HGB erstellten Prüfungsberichte der letzten drei Geschäftsjahre nehmen. ___________ 7)

8)

9)

Das war allerdings nicht schon bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft der Fall, die zuvor im Rahmen der Verschmelzung, aus der die zu prüfende Gesellschaft hervorgegangen ist, mit der Erstattung eines Verschmelzungswertgutachtens und der Ermittlung der Verschmelzungswertrelation befasst war: BGHZ 153, 32 = ZIP 2003, 290, 291 = NJW 2003, 970 = NZG 2003, 216 = JZ 2003, 563 (Lutter) = EWiR § 124 AktG 1/03, 199 (Bayer/ Fischer); insoweit ebenso bereits für einen Wirtschaftsprüfer, der auch die Steuerbilanz erstellt hatte, BGHZ 135, 260 (Allweiler) = NJW 1997, 2178 = ZIP 1997, 1162 = WiB 1997, 861 = LM H. 10/1997 § 319 HGB Nr. 2 (W. Müller); dazu Hirte, NJW 1998, 2943, 2945. Für Anfechtbarkeit der Wahl des Abschlussprüfers auf der Grundlage des früher geltenden Rechts BGHZ 153, 32 (Hypo-Vereinsbank) = NJW 2003, 970 = NZG 2003, 216 = ZIP 2003, 290, 293 = JZ 2003, 563 (Lutter) = EWiR § 124 AktG 1/03, 199 (Bayer/Fischer) (Vorinstanzen OLG München AG 2001, 193 = DB 2001, 258; LG München I ZIP 1999, 2152); für eine analoge Anwendung von § 114 AktG auf Beratungsverträge des Abschlussprüfers bereits Hellwig, ZIP 1999, 2117 ff.; für eine Spezialität des Ersetzungsverfahrens schon nach früher geltendem Recht bereits LG Köln NJW-RR 1998, 247 = AG 1997, 431 = EWiR § 243 AktG 1/97, 1113 (Mankowski). OLG Frankfurt/M. ZIP 2004, 1114, 1115 = NZG 2004, 285, 286.

287

§ 4 Mitgliedschaft

4.11 Nach Erteilung des Bestätigungsvermerks, seiner Einschränkung oder Versagung (§ 322 HGB) und nach seiner Vorlage an die Gesellschafter ist der Jahresabschluss zum Bundesanzeiger einzureichen (§ 325 Abs. 1 Satz 1 HGB) und dort vollständig bekannt zu machen (§ 325 Abs. 2 HGB); die frühere Pflicht der Einreichung zum Handelsregister ist ebenso wie die Beschränkung der vollständigen Bekanntmachungspflicht auf große Kapitalgesellschaften (§ 325 Abs. 2 HGB a. F.) mit Inkrafttreten des EHUG seit 1. Januar 2007 entfallen.10) Die gesetzlichen Vertreter von Kleinst kapitalgesellschaften (§ 267a HGB) können ihre sich aus § 325 HGB ergebenden Pflichten nach § 326 Abs. 2 Satz 1 HGB (eingefügt durch das MicroBilG) auch dadurch erfüllen, dass sie die Bilanz in elektronischer Form zur dauerhaften Hinterlegung beim Betreiber des Bundesanzeigers einreichen und einen Hinterlegungsauftrag erteilen. Anstelle des nach deutschem HGB erstellten Jahresabschlusses kann auch ein nach internationalen Grundsätzen erstellter – also vom HGB-Abschluss abweichender – Einzelabschluss bekannt gemacht werden, der nur zu diesem Zweck erstellt wurde (§ 325 Abs. 2a HGB); dieser „informatorische Einzelabschluss“ hat also nur Informationszwecke und wird deshalb auch nicht als „Jahresabschluss“ bezeichnet. Die Pflicht zur Einreichung zum Bundesanzeiger und zur Bekanntmachung gilt auch für den Lagebericht, den Bericht des Aufsichtsrats nach § 171 Abs. 2 AktG, den Vorschlag und den Beschluss über die Verwendung des Ergebnisses unter Angabe von Jahresüberschuss oder -fehlbetrag, soweit sich diese nicht aus dem eingereichten Jahresabschluss ergeben,11) und schließlich für die Erklärung nach § 161 AktG (dazu oben Rz. 3.54) (§ 325 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB); sie erfasst nach § 325 Abs. 3 HGB schließlich einen etwa aufzustellenden Konzernabschluss, der bei börsennotierten Mutterunternehmen zwingend nach internationalen Grundsätzen aufzustellen ist (dazu oben Rz. 1.68 und 3.51). Die Einreichung von Jahres- oder Konzernabschluss hat spätestens ein Jahr nach dem Abschlussstichtag des Geschäftsjahrs zu erfolgen, auf das sie sich beziehen; etwa zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegende Unterlagen nach § 325 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB sind unverzüglich nachzureichen (§ 325 Abs. 1a HGB); bei kapitalmarktorientierten Unternehmen verkürzt sich diese Frist auf vier Monate (§ 325 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 HGB). Nach Empfehlung 7.1.2 DCGK sollen der Konzernabschluss sogar binnen 90 Tagen nach Ende des Geschäftsjahrs, ein Zwischenbericht binnen 45 Tagen nach Ende des Berichtszeitraums öffentlich zugänglich sein. Halbjahres- und etwaige Quartalsfinanzberichte (oben Rz. 3.51) sollen nach Empfehlung 7.1.2 DCGK vom Aufsichtsrat oder seinem Prüfungsausschuss vor der Veröffentlichung mit dem Vorstand erörtert werden. Die Jahres- und Konzernabschlüsse werden dem ___________ 10) Noack, NZG 2006, 801, 805; Seibert/Decker, DB 2006, 2446, 2450 f. 11) Insoweit sieht § 325 Abs. 1 Satz 4 HGB für GmbHs eine Ausnahme für den Fall vor, dass sich aus diesen Angaben die Gewinnanteile von natürlichen Personen feststellen lassen, die Gesellschafter sind.

288

I. Rechte

Unternehmensregister übermittelt (§ 8b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB) und dort eingestellt; sie sind dort kostenlos einsehbar (§ 9 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 HGB). Der Betreiber des Bundesanzeigers hat die fristgemäße und vollständige Einreichung der Jahresabschlussunterlagen zu überprüfen (§ 329 Abs. 1 HGB) und unterrichtet gegebenenfalls das Bundesamt für Justiz (§ 329 Abs. 4 HGB). Dieses kann sodann von Amts wegen sowohl gegen die Kapitalgesellschaft als auch gegen deren gesetzliche Vertreter ein Ordnungsgeldverfahren einleiten (§ 335 HGB).12) (2) Bei börsennotierten Aktiengesellschaften wird – wie angedeutet (oben 4.11a Rz. 4.9) – das Verfahren der Aufstellung des Jahresabschlusses durch das „Enforcement-Verfahren“ ergänzt und überlagert. Durch das am 16. Dezember 2004 in Kraft getretene Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz – BilKoG)13) wurde nämlich eine „Prüfstelle für Rechnungslegung“ („Enforcement-Stelle“) eingeführt (§ 342b HGB n. F.). Sie ist ein Fremdkörper im bislang privatrechtlich geprägten Gesellschaftsrecht und letztlich Ausdruck des Misstrauens gegenüber dem Abschlussprüfer, dem eigentlich allein die Aufgabe der Abschlussprüfung obläge. Die Prüfstelle ist als nichtstaatliche Stelle ausgestaltet, die auch nicht staatlich finanziert wird; als Vorbild dient das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (§ 342a HGB). Sie überwacht bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften (das sind solche, die einen organisierten Markt i. S. v. § 2 Abs. 5 WpHG in Anspruch nehmen) die Rechtmäßigkeit der Erstellung der Abschlüsse. Dazu wird sie bei (1) konkreten Anhaltspunkten für Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften, (2) auf (bindenden) Antrag der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie auch (3) nach eigenem Ermessen stichprobenartig tätig (§ 342b Abs. 2 HGB n. F.). Ganz entsprechend wird der Aufsichtsbehörde (BaFin) das Recht auf Anord- 4.11b nung einer Prüfung eingeräumt (§ 37o Abs. 1 WpHG n. F.) sowie die Möglichkeit, einen Fehler festzustellen (§ 37q Abs. 1 WpHG n. F.) und den Kapitalmarkt über einen von der Bundesanstalt oder von der Prüfstelle im Einvernehmen mit dem Unternehmen festgestellten Fehler zu informieren (§ 37q Abs. 2 WpHG n. F.). Allerdings soll dieses Recht nur eingreifen, wenn ein Unternehmen seine Zusammenarbeit mit der staatlich anerkannten EnforcementStelle verweigert oder erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Prüfungsergebnisses oder an der ordnungsgemäßen Durchführung der Prüfung durch die Prüfstelle bestehen (§ 37p Abs. 1 WpHG n. F.). Gegenüber einer von der ___________ 12) Liebscher/Scharff, NJW 2006, 3745, 3750 f. (auch zu den wenigen verbliebenen Möglichkeiten einer Vermeidung der Publizität); Noack, NZG 2006, 801, 805; Seibert/Decker, DB 2006, 2446, 2451. 13) Gesetz v. 15.12.2004 (BGBl. I, 3408).

289

§ 4 Mitgliedschaft

Gesellschaft beschlossenen Sonderprüfung sind diese Befugnisse ebenfalls grundsätzlich subsidiär (§ 37o Abs. 2 Satz 2 WpHG n. F.). bb)

GmbH-Recht

4.12 Erst nach Aufstellung des Jahresabschlusses können bei der GmbH – vorbehaltlich abweichender Regelungen in der Satzung – die Gesellschafter den Jahresabschluss feststellen und über die Ergebnisverwendung beschließen (§ 46 Nr. 1 GmbHG). Die Feststellung des Jahresabschlusses hat dabei in der GmbH – wie bei der Personengesellschaft – die Bedeutung einer Verbindlicherklärung der Bilanz jedenfalls im Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft und auch untereinander; sie bewirkt zudem im Sinne eines deklaratorischen Anerkenntnisses auch den Ausschluss bekannter oder mindestens für möglich gehaltener Einwendungen gegenüber bilanzierten Gesellschafterverbindlichkeiten.14) Zur Vorbereitung der genannten Entscheidungen haben die Geschäftsführer den Jahresabschluss, gegebenenfalls auch Lagebericht und Bericht des Abschlussprüfers, unverzüglich nach seiner Aufstellung den Gesellschaftern vorzulegen (§ 42a Abs. 1 GmbHG). Diese haben dann die Möglichkeit, zunächst Beträge in Gewinnrücklagen einzustellen oder als Gewinn vorzutragen (§ 29 Abs. 2 GmbHG). Nur auf den sich so ergebenden „Rest“ zuzüglich eines etwaigen Gewinnvortrags oder abzüglich eines etwaigen Verlustvortrags haben die Gesellschafter einen unmittelbaren Anspruch (§ 29 Abs. 1 Satz 1 GmbHG), und zwar im Zweifel nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile (§ 29 Abs. 3 GmbHG). Eine gesetzliche Rücklage kennt das GmbH-Recht nur bei der Unternehmergesellschaft (dazu unten Rz. 5.45e). cc)

Aktienrecht

4.13 Bei der Aktiengesellschaft obliegt demgegenüber die Feststellung des Jahresabschlusses regelmäßig dem Vorstand und dem Aufsichtsrat (§ 172 Satz 1 AktG). Nur wenn der Aufsichtsrat den Jahresabschluss nicht billigt oder beide Organe dies beschließen, ist der Jahresabschluss durch die Hauptversammlung festzustellen (§ 173 Abs. 1 Satz 1 AktG). Entsprechend ist auch eine (hier:) „Billigung“ des Konzernabschlusses durch die Hauptversammlung vorgesehen, dies aber nur für den Fall, dass der Aufsichtsrat diesen nicht billigt (§ 173 Abs. 1 Satz 2 AktG); eine Vorlage des Konzernabschlusses an die Hauptversammlung aufgrund gemeinsamer Entscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat ist also nicht vorgesehen. 4.14 Um eine Feststellung des Jahresabschlusses bzw. Billigung des Konzernabschlusses zu ermöglichen, hat der Vorstand den aufgestellten Jahres- (und bei Mutterunternehmen Konzern-)Abschluss nebst Lagebericht dem Aufsichtsrat ___________ 14) BGH ZIP 2009, 1111, 1113 ff. Tz. 15 ff. = NZG 2009, 659 = ZInsO 2009, 1018 = DStR 2009, 1272 = EWiR § 73 GmbHG 1/09, 539 (Schult/Wahl).

290

I. Rechte

vorzulegen (§ 170 Abs. 1 AktG; bezüglich des Konzernabschlusses bis zum Inkrafttreten des TransPuG § 337 Abs. 1 Satz 1 AktG). Zugleich hat der Vorstand dem Aufsichtsrat den Vorschlag vorzulegen, den er der Hauptversammlung für die Verwendung des Bilanzgewinns machen will (§ 170 Abs. 2 Satz 1 AktG). Der Aufsichtsrat hat Jahres- und gegebenenfalls Konzernabschluss mit Lagebericht und den Vorschlag über die Verwendung des Bilanzgewinns zu prüfen (§ 171 Abs. 1 AktG) und darüber schriftlich an die Hauptversammlung zu berichten (§ 171 Abs. 2 AktG).15) Bei fehlender rechtzeitiger Billigung wird vom Gesetz die Nicht-Billigung fingiert (§ 171 Abs. 3 Satz 3 AktG). Das alles gilt entsprechend, wenn neben dem nach handelsrechtlichen Grundsätzen zu erstellenden Einzelabschluss nach § 325 Abs. 2a HGB ein nach internationalen Grundsätzen erstellter Einzelabschluss nur zu Zwecken der Offenlegung erstellt wird (§ 171 Abs. 4 AktG; dazu im Übrigen oben Rz. 4.11). Vorstand und Aufsichtsrat können, wenn sie den Jahresabschluss feststellen, 4.15 bis zur Hälfte des Jahresüberschusses in Gewinnrücklagen einstellen (§ 58 Abs. 2 Satz 1 AktG), wobei der Umfang der in Rücklagen einstellbaren Beträge von der Satzung abweichend festgelegt werden kann (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AktG). Aufgrund einer solchen Entscheidung der Verwaltung dürfen die Gewinnrücklagen aber nicht die Hälfte des Grundkapitals übersteigen (§ 58 Abs. 2 Satz 3 AktG). Andererseits formuliert das Aktiengesetz aus Gründen des Gläubigerschutzes aber auch einen Mindestumfang. Nach § 150 Abs. 1 AktG müssen nämlich 5 % des Jahresüberschusses einer gesetzlichen Rücklage (einer Gewinnrücklage) zugeführt werden, bis dieser Posten zusammen mit der Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 HGB 10 % des Grundkapitals oder einen satzungsmäßig festgelegten höheren Betrag erreicht. Das damit angeordnete „Zwangssparen“ kann daher vermieden werden, wenn schon bei der Errichtung der Gesellschaft oder späteren Kapitalerhöhungen ein ausreichend großer Teil des Ausgabepreises in Form eines Aufgeldes erhoben und in die Kapitalrücklage eingestellt wird (dazu unten Rz. 5.47 ff.). Die gesetzliche Rücklage ist nur in den in § 150 Abs. 3 und 4 AktG niedergelegten Grenzen auflösbar.

___________ 15) Zur Notwendigkeit, den Bericht nach § 171 Abs. 2 AktG durch den Aufsichtsrat durch förmlichen Beschluss feststellen und seine Urschrift zumindest durch den Aufsichtsratsvorsitzenden unterschreiben zu lassen, BGH ZIP 2010, 1437 = NJW-RR 2010, 1339 = NZG 2010, 943 = DStR 2010, 1681 = EWiR § 171 AktG 1/10, 661 (Lutter) (Rechtsfolge bei Verstoß [sehr weitreichend]: Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses der Verwaltung nach § 120 AktG). – Zur notwendigen Intensität des Berichts bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft oder bei risikoträchtigen Entscheidungen OLG Stuttgart ZIP 2006, 756, 758 f. (RTV Family Entertainment) = NZG 2006, 472 = EWiR § 171 AktG 1/2006, 259 (Wilsing/Goslar).

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§ 4 Mitgliedschaft

4.16 Erst jetzt kann die Hauptversammlung über die Ergebnisverwendung beschließen (§ 174 Abs. 1 Satz 1 AktG),16) wobei sie weitere Beträge in Gewinnrücklagen einstellen oder als Gewinn vortragen kann (§§ 174 Abs. 2 Nrn. 3 und 4, 58 Abs. 3 Satz 1 AktG). Dies geschieht in der ordentlichen Hauptversammlung (dazu bereits oben Rz. 3.234). Zu deren Vorbereitung sind der Jahresabschluss, ein vom Aufsichtsrat gebilligter Einzelabschluss nach § 325 Abs. 2a HGB, der Lagebericht (§ 289 HGB), der Bericht des Aufsichtsrats nach § 171 Abs. 2 AktG und der Vorschlag des Vorstands für die Verwendung des Bilanzgewinns (soweit er sich nicht bereits aus dem Jahresabschluss ergibt) in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegen und auf Verlangen jedem Aktionär zuzusenden (§ 175 Abs. 2 AktG). In börsennotierten Gesellschaften ist zusätzlich ein erläuternder Bericht zu den Angaben nach §§ 289 Abs. 3 (früher Abs. 4) Nr. 1 bis 5, Abs. 4 (früher Abs. 5), 315 Abs. 4 HGB zu erstellen; dabei handelt es sich um im Lagebericht zu machende Angaben zu den „Kontrollstrukturen“ der Gesellschaft, insbesondere zu Stimmrechtseinfluss und Übertragungsbeschränkungen, auf deren Grundlage die Feststellung ermöglicht bzw. erleichtert werden soll, ob und wie die Gesellschaft übernommen werden kann. Schließlich ist bei solchen Gesellschaften eine gesonderte Erklärung zur Unternehmensführung in den Lagebericht aufzunehmen oder auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich zu machen, in die neben die Erklärung nach § 161 AktG weitere Hinweise zu relevanten Unternehmensführungspraktiken aufzunehmen sind (§ 289a HGB); das BilRUG hat eine entsprechende Erklärung nunmehr auch für den Konzernabschluss eingeführt (§ 315 Abs. 5 HGB n. F.). Nach Empfehlung Nr. 6.3 (ex 6.6) DCGK soll in dem Bericht über die gesetzlichen Vorgaben zu den Directors‘ Dealings nach § 15a WpHG hinaus ein 1 % übersteigender Besitz in Aktien seitens ihrer Verwaltungsmitglieder angegeben werden. In der Hauptversammlung selbst sind die entsprechenden Unterlagen ebenfalls zugänglich zu machen (§ 176 Abs. 1 Satz 1 AktG), und der Vorstand hat seine Vorlagen, der Vorsitzende des Aufsichtsrats dessen Bericht zu erläutern (§ 176 Abs. 1 Satz 2 AktG). Das genannte Paket von Unterlagen, ergänzt um das Testat des Abschlussprüfers zu Jahresabschluss und Lagebericht sowie die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG, wird üblicherweise in Anlehnung an die Begriffsbildung in § 160 AktG 1976 a. F.17) als „Geschäftsbericht“ bezeichnet und auch über die gesetzlichen Vorgaben hinaus der allgemeinen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Hinsichtlich seines „Pflichtteils“ dient er der Erfüllung der gesetzlichen Offenlegungspflichten nach §§ 325 ff. HGB (dazu oben Rz. 4.11), hinsichtlich der häufig umfangreichen weiteren ___________ 16) Zum Anspruch auf Fassung eines Ergebnisverwendungsbeschlusses BGHZ 124, 111, 123 = ZIP 1993, 1862, 1866 = NJW 1994, 520 = EWiR § 256 AktG 1/94, 9 (Crezelius) = LM H. 4/1994 § 111 AktG 1965 Nr. 4; dazu Kropff, ZGR 1994, 628. 17) Danach umfasste der Geschäftsbericht vor allem den heutigen Lagebericht (§ 289 HGB) sowie Teile des heutigen Anhangs (§ 264 Abs. 1 Satz 1, §§ 284 ff. HGB, § 160 AktG n. F.).

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I. Rechte

Angaben („Imageteil“) bildet der Bericht einen Fall der freiwilligen Publizität von Unternehmen (§ 328 Abs. 2 HGB).18) Nr. 3.10 DCGK empfiehlt eine gesonderte Berichterstattung in Form eines „Corporate-Governance-Berichts“ über die Corporate Governance des Unternehmens, der über die gesetzlich geforderten Angaben (etwa aufgrund § 289a HGB) hinaus auch freiwillig zu veröffentlichende Informationen enthalten kann und soll.19) Er soll im Zusammenhang mit der Erklärung zur Unternehmensführung (§ 289a HGB) veröffentlicht werden. Bei ihrer Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns ist die 4.16a Hauptversammlung an den festgestellten Jahresabschluss gebunden (§ 174 Abs. 1 Satz 2 AktG), so dass sie nicht etwa von der Verwaltung vorgenommene Rücklagezuführungen in Frage stellen kann; der Gewinnverwendungsbeschluss „baut daher auf dem Jahresabschluss auf“. Erst auf den verbleibenden Bilanzgewinn (§ 174 Abs. 2 Nr. 1 AktG) haben die Aktionäre einen unmittelbaren Anspruch (§ 58 Abs. 4 AktG), der sich auch hier im Zweifel nach ihren Anteilen am Grundkapital richtet (§ 60 Abs. 1 und 3 AktG). Da die Hauptversammlung nur über den Gesamtbetrag der Ausschüttung entscheidet (§ 174 Abs. 2 Nr. 2 AktG) und sich der auf die einzelne Aktie entfallende Betrag oder Sachwert dann aus Gesetz oder Satzung ergibt, unterliegt die Frage, auf welche Aktien Dividenden ausgeschüttet werden und auf welche – etwa wegen unzureichender oder falscher Mitteilungen nach § 28 WpHG bzw. § 59 WpÜG – nicht, nicht der Disposition der Hauptversammlungsmehrheit.20) Nach § 58 Abs. 5 AktG (angefügt durch das TransPuG) kann die Hauptversammlung auch eine Sachdividende beschließen, wenn die Satzung diese Möglichkeit vorsieht.21) Die Möglichkeit einer Sachdividende wird in der aktuellen Praxis vor allem für die Ausschüttung von Wertpapieren und insbesondere die Ausschüttung von Anteilen an Tochterunternehmen aus dem Vermögen einer Aktiengesellschaft als interessant angesehen. Insoweit weist sie Parallelen zur Abspaltung auf (dazu unten Rz. 6.175).

___________ 18) Klein/Voss, in: Handelsblatt-Wirtschaftslexikon. Das Wissen der Betriebswirtschaftslehre (2006), s. v. Geschäftsbericht; zur (heute) fehlenden gesetzlichen Normierung des „Geschäftsberichts“ Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, NZG 2010, 1161, 1162; zum früheren Recht siehe auch Brönner, in: GroßK, § 160 AktG Rz. 1. 19) Zur Abgrenzung der verschiedenen Berichte ausführlich Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, NZG 2010, 1161, 1162. 20) BGH (Hinweisbeschl. v. 29.4.2014 – II ZR 262/13), ZIP 2014, 1677 (dort mit nicht ganz korrektem Leitsatz 1 der Redaktion) = DStR 2014, 2470 = EWiR 2014, 643 (Goslar). 21) Einzelheiten bei Hirte, TransPuG, Rz. I 77 ff. m. w. N.; M. Leinekugel, Die Sachdividende im deutschen und europäischen Aktienrecht (2001); Lutter/Leinekugel/Rödder, ZGR 2002, 204; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1277; Tübke, Sachausschüttungen im deutschen, französischen und Schweizer Aktien- und Steuerrecht (2002).

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§ 4 Mitgliedschaft

dd)

Rechtsschutz gegen unangemessene Rücklagenbildung

4.17 Um den Aktionären ein bestimmtes Mindestmaß an Gewinnbeteiligung zu garantieren, gewährt § 254 AktG ein besonderes Anfechtungsrecht und § 258 AktG die Möglichkeit einer Bestellung von Sonderprüfern, wenn in einem festgestellten Jahresabschluss – nicht aber Konzernabschluss22) – bestimmte Posten nicht unwesentlich unterbewertet wurden; die in § 254 AktG formulierten Grenzen gelten dabei sinngemäß für eine Rücklagendotierung seitens der Verwaltung. Die Einbehaltung von Teilen des Jahresüberschusses muss allerdings für den Gesellschafter nicht unbedingt negativ sein: denn sie führt – jedenfalls im Normalfall – zu einer Steigerung des Anteilswerts (bei der Aktiengesellschaft: Kurswert), der durch Verkauf realisiert werden kann. Geschieht dies nach Ablauf der Spekulationsfrist von (bislang) einem Jahr (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG, § 8 Abs. 1 KStG), können auf diese Weise Gewinne steuerfrei vereinnahmt werden. Seit der Steuerreform zum 1. Januar 2001 war dieses Vorgehen noch attraktiver geworden. 4.18 Das GmbH-Recht sieht ähnlich spezifische Regelungen nicht vor. Der Schutz von Minderheitsgesellschaftern vor überzogener Reservenbildung wird deshalb hier dadurch gewährleistet, dass ein Beschluss rechtswidrig und daher anfechtbar ist, wenn und soweit er das Jahresergebnis in kaufmännisch unvertretbarer Weise von der Verteilung unter die Gesellschafter ausschließt.23) Wo diese Grenze im Einzelfall liegt, lässt sich aber kaum abstrakt definieren.24) b)

Weitere Vermögensrechte

4.19 An weiteren Vermögensrechten des Gesellschafters sind das Bezugsrecht bei der effektiven Kapitalerhöhung (§ 186 Abs. 1 AktG; Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 1 Zweite Richtlinie, im GmbHG nicht geregelt; dazu unten Rz. 6.23 ff.), das Recht auf Zuteilung neuer Anteile bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 212 AktG, § 57j GmbHG), der Zahlungsanspruch im Falle einer ordentlichen Kapitalherabsetzung (§ 225 Abs. 2 AktG, § 58 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) und das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös (§ 271 AktG, § 72 GmbHG) zu nennen. Weitere vermögensrechtliche Ansprüche stehen den Gesellschaftern im Zusammenhang mit Umwandlungen (dazu unten Rz. 6.155 ff.) und bestimmten Konzernierungsmaßnahmen (dazu unten Rz. 8.80 ff. [AG] und Rz. 8.126 [GmbH]) zu. ___________ 22) Grund ist, dass dieser keine rechtsbegründenden und -begrenzenden Wirkungen hat (so Begr RegE zu § 173 Abs. 1 Satz 2 AktG n. F., BT-Drucks. 14/8769 = NZG 2002, 213, 226); zu Zweifeln an dieser Begründung Hirte, TransPuG, Rz. I 71. 23) OLG Hamm DB 1991, 2477 = DStR 1992, 298; ausführlich Bork/Oepen, ZGR 2002, 241. 24) Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 29 GmbHG Rz. 31; abw. Hommelhoff, ZGR 1986, 418, 427 ff.

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I. Rechte

Hinzu kommt schließlich in engen Grenzen die Gesellschafterklage, soweit sie 4.20 der Durchsetzung von Ersatzansprüchen – etwa gegen Organmitglieder (dazu oben Rz. 3.90 ff.) – dient. Zu ihrer Vorbereitung sieht das Aktienrecht in §§ 142 ff. AktG die Möglichkeit der Sonderprüfung vor.25) Die entsprechenden Vorschriften wurden durch das UMAG neu gefasst und an die Normen über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch eine Minderheit (§§ 147 ff. AktG) angepasst; gegenüber dem bereits angesprochenen Enforcement-Verfahren ist die Sonderprüfung vorrangig (oben Rz. 4.11a f.). In der GmbH tritt an die Stelle des dort nicht vorhandenen Instituts der Sonderprüfung die Anfechtungsklage gegen den Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Entlastung der Geschäftsführer.26) 3.

Verwaltungsrechte

a)

Mitwirkungsrechte

Eine zweite Kategorie von Rechten bilden die Verwaltungsrechte. Hierzu zählen 4.21 zunächst das Recht auf Teilnahme an der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung, das Rede- und Stimmrecht in der Versammlung und das Recht, deren Beschlüsse anzufechten (dazu oben Rz. 3.283 ff. [AG] und Rz. 3.300 ff. [GmbH]). In einigen Sonderfällen kommt auch hier noch das Recht auf Gesellschafterklage hinzu; dazu zählt vor allem der Fall, dass die Mitwirkungsrechte des Gesellschafters dadurch unterlaufen werden, dass eine Maßnahme, die in die Kompetenz der Haupt- oder Gesellschafterversammlung gehört, von der Verwaltung vorgenommen wird.27) Beispiele: Ein Aktionär untersagte der Verwaltung der Babcock Borsig AG im Wege einstweiliger Verfügung, eine wesentliche Beteiligung ohne Zustimmung der Hauptversammlung zu veräußern bzw. die schon begonnene Transaktion ohne die Zustimmung der Hauptversammlung fortzusetzen.28) Im Zusammenhang mit dem Übernahmestreit Vodafone/Mannesmann versuchten Aktionäre der Mannesmann AG, der Gesellschaft ihre äußerst umfangreichen Werbemaßnahmen ohne vorherige Zustimmung der Hauptversammlung zu untersagen.

4.22

___________ 25) Vgl. etwa den Antrag der „Cobra“, auf der Hauptversammlung im Mai 2001 eine Sonderprüfung bei der Commerzbank AG zu beschließen; ablehnend in einem anderen Fall AG Düsseldorf ZIP 1988, 970 (Feldmühle) = EWiR § 142 AktG 1/88, 743 (Meyer-Landrut); krit. dazu Hirte, ZIP 1988, 953. Zum Umfang der Bekanntgabepflicht des Inhalts eines Sonderprüfungsgutachtens gegenüber den Aktionären und zu den Rechtsfolgen bei Verstößen dagegen OLG Köln ZIP 1998, 994 (KHD) (inzwischen rkr.). Ausführlich zur Sonderprüfung Kirschner, Die Sonderprüfung der Geschäftsführung in der Praxis (2008). 26) BGHZ 137, 378 (Tomberger) = ZIP 1998, 467, 470 = NJW 1998, 1559 = DStR 1998, 383 (Goette) = DZWir 1998, 240 (Strieder); zur de lege lata fehlenden Sonderprüfung als Individual-/Minderheitsrecht im GmbH-Recht Fleischer, GmbHR 2001, 45 ff.; Peters/Dechow, GmbHR 2007, 236 ff. 27) BGHZ 83, 122 (Holzmüller) = ZIP 1982, 568 = NJW 1982, 1703 (AG); dazu ausführlich Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 129 ff., 155 ff. 28) LG Duisburg NZG 2002, 643 (Babcock Borsig) = EWiR § 119 AktG 1/02, 839 (Sinewe).

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§ 4 Mitgliedschaft Das LG Düsseldorf verneinte noch vor Inkrafttreten des WpÜG zum einen einen Anspruch des einzelnen Aktionärs auf Unterlassung von Maßnahmen zur Abwehr einer feindlichen Übernahme. Vor allem aber bedürften derartige Abwehrmaßnahmen nicht der vorherigen Zustimmung der Hauptversammlung.29) Eine solche allgemeine Zuständigkeit der Hauptversammlung für Verteidigungsmaßnahmen war zwar seinerzeit diskutiert worden, steht nach Inkrafttreten des WpÜG aber jedenfalls nicht mehr in Einklang mit dem Gesetz.30)

4.23 Dabei liegt das Problem weniger in der Möglichkeit, eine Verletzung von Mitverwaltungsrechten geltend zu machen, als im Umfang der jenseits der klaren gesetzlichen Vorgaben bestehenden Mitwirkungsrechte (dazu oben Rz. 3.224). b)

Informationsrechte

4.24 Daneben treten vor allem die Informationsrechte. Bei ihnen werden Auskunftsund Einsichtsrechte unterschieden. aa)

Aktienrecht

4.25 In der Aktiengesellschaft steht jedem Aktionär in der Hauptversammlung ein Auskunftsrecht (aber kein Einsichtsrecht) über Angelegenheiten der Gesellschaft zu, soweit dies „zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist“ (§ 131 Abs. 1 Satz 1 AktG); das erfasst auch die Europäische Aktiengesellschaft.31) Formell bedeutet die Formulierung des § 131 AktG im Vergleich zu anderen Gesellschaftsformen eine zweifache Beschränkung: die Auskunft kann nur in der Hauptversammlung verlangt werden, und sie muss Bezug zu einem Gegenstand der Tagesordnung haben. Das ist nach Auffassung des BVerfG eine zulässige inhaltliche Konkretisierung des vom Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG umfassten Auskunftsrechts. Insbesondere sei eine inhaltliche Beschränkung auf die Tagesordnung und eine zeitliche Beschränkung auf den auf einer Hauptversammlung zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen verfassungsgemäß; daher könne der Versammlungsleiter auch Anordnungen treffen, die in diesem Rahmen den Interessen

___________ 29) LG Düsseldorf WM 2000, 528 = AG 2000, 233 = EWiR § 119 AktG 1/2000, 413 (Kiem) = WuB II A. § 119 AktG 1.00 (Buck). 30) Vgl. etwa Hopt, in: Festschrift für Lutter (2000), S. 1361, 1390; ebenso Mülbert, IStR 1999, 83, 88; abw. für das neue Recht Hirte, KK-WpÜG, § 33 Rz. 103; Kiem, ZIP 2000, 1509, 1513 f.; Krause, AG 2000, 217, 221; i. E. ebenso Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 249; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 12. 31) Brandt, Die Hauptversammlung der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) (2004), S. 224; Hirte, NZG 2002, 1, 9; Spindler, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar (2008), Art. 53 SE-VO Rz. 22.

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I. Rechte

aller Aktionäre möglichst effizient Rechnung tragen;32) auch Art. 9 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 der Aktionärsrechterichtlinie steht der Einschränkung nicht entgegen.33) Der Gesetzgeber des UMAG hat die Konkretisierungen seitens des BVerfG in § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG n. F. aufgegriffen und gestattet nunmehr, den Versammlungsleiter durch Satzung oder Geschäftsordnung zu ermächtigen, das Frage- oder Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken. Das umfasst nach Auffassung des BGH die Festlegung eines Zeitrahmens für die Gesamtdauer der Hauptversammlung (hier: Länge nicht mehr als sechs Stunden und Festsetzung des Debattenschlusses auf 22.30 Uhr) und der auf den einzelnen Aktionär entfallenden Frage- und Redezeit.34) Durch die Notwendigkeit eines Bezugs zur Tagesordnung kann das Auskunftsrecht zwar durch eine enge Fassung der Tagesordnung eingeschränkt werden. Dies wird aber größtenteils dadurch ausgeglichen, dass im Rahmen der „allgemeinen“ Tagesordnungspunkte wie Wahlen und Entlastungen eine Generaldebatte möglich ist. Gegebenenfalls muss zunächst erreicht werden, einen Gegenstand auf die Tagesordnung zu setzen (dazu oben Rz. 3.235). Allgemeinpolitische Fragen dienen aber nicht der sachgemäßen Beurteilung eines „Gegenstands der Tagesordnung“. Verlangt wird im Übrigen, dass ein Aktionär, der auf eine Frage aus seiner Sicht eine unzureichende Pauschalantwort erhält, durch Nachfrage deutlich macht, dass sein Informationsinteresse auf bestimmte Detailauskünfte gerichtet ist.35) Eine Auskunftserteilung darf – wenn ansonsten ein Auskunftsanspruch be- 4.26 stünde – nur unter den Voraussetzungen des § 131 Abs. 3 AktG verweigert werden. Die größte Bedeutung spielt dabei § 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG, nach dem die Auskunft dann verweigert werden darf, wenn sie geeignet ist, der Gesellschaft einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen, wenn also die Aufdeckung von Geschäftsgeheimnissen zu befürchten steht.36) Das BVerfG bestätigte in einem anderen (aber bedenklichen) Beschluss auch die Verfassungsmäßigkeit ___________ 32) BVerfG ZIP 1999, 1798 (Wenger/Daimler Benz) = NJW 2000, 349 = DStR 1999, 1866 (Ls.) (Hergeth) = EWiR § 131 AktG 3/99, 1035 (Bork); zur Vorgeschichte (Saalverweis in der Hauptversammlung) OLG Stuttgart (unv.); LG Stuttgart ZIP 1994, 950 = NJWRR 1994, 937; Hirte, NJW 1996, 2827, 2838. – Zu einer unzulässigen Redezeitbeschränkung LG München I AG 2000, 139 = DB 2000, 267 = EWiR § 131 AktG 1/2000, 157 (Bachmann) (inzwischen rkr.). 33) BGHZ 198, 354 (Deutsche Bank) = ZIP 2013, 2454. 34) BGHZ 184, 239 Tz. 7 ff. = ZIP 2010, 575, 576 ff. = NJW 2010, 1604 = NZG 2010, 423 = DStR 2010, 707 = EWiR § 131 AktG 1/10, 235 (Priester). 35) BGHZ 198, 354 (Deutsche Bank) = ZIP 2013, 2454. 36) Dazu BGHZ 86, 1; BGHZ 101, 1 = ZIP 1987, 1239 = EWiR § 152 AktG 1/87, 1057 (Claussen); BGHZ 198, 354 (Deutsche Bank) = ZIP 2013, 2454 (Auskunftsverweigerung zulässig, wenn sich ein Auskunftsverlangen auf vertrauliche Vorgänge in den Sitzungen des Aufsichtsrats oder der von ihm nach § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG bestellten Ausschüsse richtet); BGH ZIP 2014, 671 (Porsche) = NZG 2014, 423 = EWiR 2014, 309 (Bungert/ de Raet) (zu den Anforderungen an den Nachweis der Auskunftsverweigerungsgründe des § 131 Abs. 3 AktG).

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§ 4 Mitgliedschaft

von § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AktG mit seiner Möglichkeit, stille Reserven gegenüber den Aktionären geheim zu halten. Dies sei dem legitimen gesetzgeberischen Interesse eines Gleichlaufs mit dem Bilanzrecht geschuldet.37) Umstritten ist, ob einem Auskunftsantrag darüber hinaus der Einwand des „Missbrauchs“ entgegengehalten werden kann.38) 4.27 Auf einen fehlenden Anspruch auf Auskunft oder auf ein Auskunftsverweigerungsrecht kann sich – aus Gründen der Gleichbehandlung – die Gesellschaft allerdings dann nicht (mehr) berufen, wenn einem Aktionär in dieser Eigenschaft eine Auskunft außerhalb der Hauptversammlung erteilt wurde: dann ist sie nämlich jedem Aktionär auf sein Verlangen zu gewähren, auch wenn sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstands der Tagesordnung nicht erforderlich ist, nach wie vor aber nur in der Hauptversammlung (§ 131 Abs. 4 Satz 1 AktG).39) Dies ist allerdings angesichts der vielen, auch informellen Einflussmöglichkeiten von Großaktionären wenig realitätsnah. Für den Fall, dass die Gesellschaft Finanzanalysten und vergleichbaren Adressaten (also NichtAktionären) neue Tatsachen über die Gesellschaft mitteilt, empfiehlt Nr. 6.1 (ex 6.3) DCGK, diese auch den Aktionären unverzüglich (also nicht erst in der Hauptversammlung) zur Verfügung zu stellen. 4.28 Vor allem aus (in- und ausländischen) Bestimmungen des Kapitalmarktrechts (einschließlich des Rechnungslegungsrechts) können aber auch ungefragt zu erfüllende Informationspflichten außerhalb der Hauptversammlung resultieren (dazu bereits oben Rz. 3.54). Um solche Informationen zeitnah und gleichmäßig den Aktionären und Anlegern weitergeben zu können, ist die Nutzung moderner Kommunikationsmedien wie des Internets heute gängige Praxis (bis 2013 noch ausdrückliche Empfehlung in Nr. 6.4 DCGK). Welche Informationen regelmäßig bekannt gegeben werden (etwa Geschäftsbericht, Zwischenfinanzbericht und Termin der Hauptversammlung), soll die Gesellschaft nach Nr. 6.4 (ex 6.7) DCGK in einem „Finanzkalender“ mit ausreichendem Zeitvorlauf publizieren. Für von der Gesellschaft veröffentlichte Informationen über das Unternehmen wird heute üblicherweise die Internetseite der Gesellschaft genutztl. Eine solche Information im Internet berechtigt den Vorstand unter den Voraussetzungen des § 131 Abs. 3 Nr. 6 AktG n. F. zur Verweigerung der Information in der Hauptversammlung, was zu einer Entlastung der Haupt___________ 37) BVerfG ZIP 1999, 1801 (Wenger/Scheidemandel) = NJW 2000, 129 = DStR 1999, 1867 (Ls.) (Hergeth) = EWiR § 131 AktG 2/99, 1033 (Luttermann); grundsätzliche (und berechtigte) Sicht aus der Sicht des Kapitalmarkts bei Siegel/Bareis/Rückle/Schneider/Sigloch/ Streim/Wagner, ZIP 1999, 2077; Kaserer, ZIP 1999, 2085. 38) Dazu BGHZ 36, 121, 136 ff.; Hirte, BB 1988, 1469, 1471 f. (allerdings vor allem im Zusammenhang mit Anfechtungsklagen). 39) Zur Reichweite dieses erweiterten Auskunftsrechts BayObLG ZIP 2002, 1804, 1805 = NJW-RR 2002, 1558, 1559 (auch Auskünfte, die einem Großaktionär in einem früheren Geschäftsjahr gegeben wurden, lösen es aus).

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I. Rechte

versammlung beiträgt. Angeregt wird im Kodex zudem auch die Vornahme von Veröffentlichungen in englischer Sprache. Ob die Gesellschaft zur Erteilung einer Auskunft nach § 131 AktG verpflichtet 4.29 ist, kann der Aktionär in einem besonderen, zur freiwilligen Gerichtsbarkeit gehörenden Informationserzwingungsverfahren überprüfen lassen (§ 132 AktG). Davon erfasst ist aber – wie sich aus § 132 Abs. 2 Satz 1 AktG ergibt – nur die vollständige Verweigerung einer Auskunft.40) In diesem Verfahren ist der Antragsteller weder einem Anwaltszwang unterworfen noch an besondere Vorgaben zur Fassung des Antrages gebunden.41) Das bedeutet andererseits, dass Entscheidungen zur Auskunftsverpflichtung regelmäßig letztinstanzlich von den Oberlandesgerichten gefällt werden. Daneben ist es allerdings möglich, die auf der Grundlage (angeblich) fehlender Auskünfte ergangenen Beschlüsse mit der Anfechtungsklage nach §§ 243 ff. AktG anzugreifen (dazu oben Rz. 3.283 ff.). Bei unvollständigen Auskünften ist dieser Weg sogar der einzig mögliche Ansatz der Kontrolle. Umstritten war aber lange Zeit, ob und inwieweit die Fehlerhaftigkeit der Auskunft auch für das Ergebnis des gefassten Beschlusses kausal sein muss. Das Gesetz gab dafür bislang in § 243 Abs. 4 AktG a. F. lediglich insoweit einen Anhaltspunkt, als es der Hauptversammlung oder den (Mehrheits-)Aktionären den Einwand abschnitt, „die Verweigerung der Auskunft habe ihre Beschlussfassung nicht beeinflusst“.42) Durch das UMAG wurde der Umfang des erforderlichen Kausalitätsnachweises dann insoweit klargestellt, als es jetzt im Anschluss an die frühere Rechtsprechung43) (dazu auch oben Rz. 3.287) darauf ankommt, ob ein „objektiv urteilender Aktionär die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte“ ___________ 40) Zur Kritik daran Wilde, ZGR 1998, 423, 443 m. w. N. 41) OLG Koblenz ZIP 1995, 1336 = NJW-RR 1995, 1378 = EWiR § 132 AktG 1/95, 841 (Kort). 42) Gegen das Erfordernis einer Kausalität Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung (1986), S. 228 f.; ders., ZGR 1994, 644, 660 f.; Lutter, ZGR 1979, 401, 409 f.; ähnlich Bayer, ZGR 1993, 599, 611. 43) BGHZ 103, 184, 186 (Linotype) = ZIP 1988, 301 = NJW 1988, 1579 = JZ 1989, 443, 446 (Wiedemann) = EWiR § 262 AktG 1/88, 529 (Drygala); BGHZ 107, 296, 306 (Kochs Adler) = ZIP 1989, 980, 983 = NJW 1989, 2689 = EWiR § 246 AktG 1/89, 843 (Hirte); BGH ZIP 1990, 168, 171 (DAT/Altana II) = NJW-RR 1990, 350 = EWiR § 243 AktG 2/90, 321 (Timm); BGHZ 119, 1, 18 ff. (ASEA/BBC) = ZIP 1992, 1227, 1233 = EWiR § 295 AktG 1/92, 953 (Windbichler); BGHZ 122, 211, 238 ff. (SSI I) = ZIP 1993, 751, 761 = NJW 1993, 1976, 1983 = EWiR § 297 AktG 1/93, 529 (Priester); BGH ZIP 1995, 1256 (SSI II) = NJW 1995, 3115 = EWiR § 253 HGB 1/95, 897 (Großfeld) (hier bezüglich der Beteiligungsverhältnisse und damit der Angemessenheit der anlässlich des Abschlusses eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags gemachten Abfindungsund Umtauschangebote); BGH ZIP 2002, 172 (Sachsenmilch III) = NJW 2002, 1128 = NZG 2002, 130 = DStR 2002, 1312 (Goette) = EWiR § 76 AktG 2/02, 885 (Saenger/ Bergjan) (dazu Tröger, NZG 2002, 211 ff.; Vorinstanz OLG Dresden EWiR § 124 AktG 1/2000, 259 [Werner]).

299

§ 4 Mitgliedschaft

(§ 243 Abs. 4 Satz 1 AktG n. F.). Zudem wurde – ebenfalls im Anschluss an die Rechtsprechung – durch § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG n. F. das Spruchverfahren in den Fällen für vorrangig gegenüber der Anfechtungsklage erklärt, in denen sich die unrichtige, unvollständige oder unzureichende Information auf die Ermittlung, Höhe oder Angemessenheit von Ausgleich, Abfindung, Zuzahlung oder einer sonstigen Kompensation bezieht, bei denen das Gesetz für Bewertungsrügen ein Spruchverfahren vorsieht (dazu unten Rz. 6.150 ff.). 4.30 Besonders umstritten ist in jüngerer Zeit, ob verweigerte Auskünfte auch eine

Anfechtung des auf der Grundlage angeblich unvollständiger Information ergehenden Entlastungsbeschlusses bezüglich des Vorstandes rechtfertigen. Nach Ansicht des LG Heidelberg ist eine solche Anfechtung mit der Begründung ausgeschlossen, dass der Vorstand vor der Beschlussfassung rechtswidrig Fragen von Aktionären nicht beantwortet bzw. andere schwerwiegende Pflichtverletzungen begangen hat. Denn der Entlastungsbeschluss enthalte keinen Verzicht auf Ersatzansprüche gegen den Vorstand und sei daher von geringer Bedeutung, die Hauptversammlung daher bei der Beschlussfassung frei in ihrer Entscheidung. Insbesondere könne sie den Vorstand auch trotz zahlreicher Pflichtverstöße entlasten.44) 4.31 Im Gegensatz dazu nehmen das OLG und das LG Frankfurt am Main an, dass der Entlastungsbeschluss anfechtbar ist, wenn eine von einem Aktionär verlangte Auskunft nicht erteilt worden sei. Auch für den Entlastungsbeschluss gelte, dass er von den Aktionären nur bei umfassender Information sachgerecht gefasst werden könne. Dies sei bei einer Auskunftsverweigerung, die nicht nur einen belanglosen Nebenpunkt betreffe, nicht mehr gegeben.45)

4.32 Inhaltlich können auf der Grundlage von § 131 Abs. 1 AktG etwa Angaben zu den Ausgaben für Forschung und Entwicklung verlangt werden, sofern sie für das Unternehmen wesentlich sind.46) Bei der Beschlussfassung über die Entlastung des Aufsichtsrats steht den Aktionären ein Recht auf Auskunft darüber zu, welches Aufsichtsratsmitglied in der Vergangenheit eine überhöhte Vergütung bezogen und diese an die Gesellschaft zurückgezahlt hat.47) In einem anderen Beschluss ging das KG davon aus, dass der Aktionär einen Anspruch auf Auskunft darüber hat, welche konzernfremden Aufsichtsratsmandate die Vorstands___________ 44) LG Heidelberg ZIP 1994, 780 (Wenger) (Scheidemandel AG) = EWiR § 120 AktG 1/94, 423 (Noack) (inzwischen rkr.). 45) OLG Frankfurt/M. ZIP 2008, 738, 741 (Deutsche Bank) = NZG 2008, 429 = EWiR § 243 AktG 2/2008, 451 (Luttermann) (inzwischen rkr.) (für Frage nach der Organisationsstruktur einer Gesellschaft [hier betreffend die Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Leitung nach § 76 AktG nach Einrichtung „divisionaler committees“]); LG Frankfurt/M. ZIP 1994, 784 (Diskus Werke/Naxos-Union) = WuB II A. § 131 AktG 3.94 (T. Bezzenberger) (inzwischen rkr.) (betreffend Frage nach Mithaftung der Gesellschaft für eine andere AG in Höhe des Neunfachen des eigenen Grundkapitals). 46) KG NJW 1972, 2307, 2308; zahlr. Beispiele für das Bestehen oder Nicht-Bestehen eines Auskunftsrechts bei Decher, in: GroßK, § 131 AktG, passim (sowie alphabetisch zusammengestellt in Rz. 411). 47) OLG Koblenz ZIP 2001, 1095, 1097 (Diebels/Reginaris II) = EWiR § 131 AktG 1/01, 205 (Hasselbach).

300

I. Rechte

mitglieder innehaben. Es verneinte im selben Beschluss jedoch einen Anspruch auf Mitteilung der zehn höchsten Abfindungsbeträge, die die Aktiengesellschaft ausscheidenden Mitarbeitern im letzten Jahr gezahlt hat.48) Das Informationsrecht des § 131 AktG bezieht sich aber auch auf Informationen über etwaige Fehlleistungen der Organmitglieder in einem Organ einer Gesellschaft, die durch Verschmelzung in der jetzigen Aktiengesellschaft aufgegangen ist.49) Auch über ein einzelnes Geschäft kann Auskunft verlangt werden, wenn dieses einen bedeutenden Umfang hat.50) Nicht mehr zu den „Angelegenheiten der Gesellschaft“ i. S. d. § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG zählt allerdings die Frage, welche Abstimmungsempfehlungen das Kreditinstitut seinen Depotkunden gegeben hat.51) Erhebliche Bedeutung hatte das Fragerecht in der Vergangenheit bezüglich der 4.33 Vergütung von Organmitgliedern. Hier zeigt sich zugleich, dass das Fragerecht und die einen Auskunftsanspruch mehr und mehr bejahenden Gerichtsentscheidungen häufig eine Vorstufe zu einer späteren gesetzlichen (oder jetzt auch Kodex-)Regelung der entsprechenden Informationspflicht bilden. So bejahte die Rechtsprechung etwa einen Auskunftsanspruch bezüglich der Aufschlüsselung der Vorstandsbezüge in die der aktiven Mitglieder und der Ruhestandsmitglieder,52) wie dies jetzt ausdrücklich § 285 Nr. 9 HGB vorschreibt. Zudem hielt die Rechtsprechung eine Gesellschaft zu Auskünften über die Bezüge der Vorstandsmitglieder selbst dann für verpflichtet, wenn sich dadurch bei Kenntnis des Verteilungsschlüssels die im Jahresabschluss nach § 286 Abs. 4 HGB nicht offenzulegenden Einkünfte des einzelnen Vorstandsmitglieds schätzen lassen könnten; § 131 AktG gehe insoweit § 286 Abs. 4 HGB vor.53) Eine solche Offenlegung wird seit der Neufassung des DCGK vom Mai 2003 ausdrücklich im Jahresabschluss empfohlen. Wegen der nur unzureichenden Beachtung dieser Empfehlung hat der Gesetzgeber ihr aber durch das VorstOG jetzt weiteren Nachdruck verliehen: Danach ist bei börsennotierten Aktiengesellschaften auch eine individuelle Offenlegung der Vergütung jedes einzelnen Vorstandsmitglieds im Anhang des Jahresabschlusses vorgeschrieben (§ 285 Nr. 9 HGB n. F.), die allerdings alternativ auch in einem gesonderten Vergütungsbericht erfolgen kann (§ 289 Abs. 1 [früher Abs. 2] Nr. 5 HGB n. F.); zudem kann die ___________ 48) KG ZIP 1995, 1592 (Siemens); ebenso bezüglich der Angaben über konzernfremde Aufsichtsratsmandate BayObLG NJW 1996, 1904 (Ls.) (Allianz) = NJW-RR 1996, 679 = WM 1996, 119 = DB 1996, 130 = EWiR § 131 AktG 2/96, 673 (Hirte/Leibe). 49) BGHZ 160, 385 (Thyssen-Krupp) = ZIP 2004, 2428. 50) BayObLG NJW-RR 1996, 994 (Markt- und Kühlhallen AG) = ZIP 1996, 1251: Verkaufspreis für eine Immobilie, der in etwa das Zehnfache des Jahresgewinns ausmachte; BayObLG NJW-RR 1999, 978: Grundstücksverkauf. 51) BayObLG ZIP 1996, 1945. 52) BGHZ 32, 159, 169 f.; BGHZ 36, 121, 126; zur Reichweite des Auskunftsrechts auch Hirte, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz in der praktischen Umsetzung. Bankrechtstag 1995 (1996), S. 47, 54 ff. 53) OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1399.

301

§ 4 Mitgliedschaft

Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit die individuelle Offenlegung der Vorstandsbezüge ausschließen (§ 286 Abs. 5 HGB n. F.). Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, dass das OLG Frankfurt am Main in zwei Beschlüssen die Deutsche Bank AG für verpflichtet hielt, auch Auskunft über die Bezüge eines – von den eigentlichen Gesellschaftsorganen verschiedenen, aber für die Entscheidungsstruktur extrem bedeutsamen – Group Executive Committee (GEC) zu erteilen;54) das deckt sich mit Entwicklungen in den USA, auch insoweit von Gesetzes wegen eine Offenlegung zu verlangen. 4.34 Besondere Bedeutung haben im Rahmen der Auskunftspflicht aber die Beziehungen zu und die Verhältnisse von verbundenen Unternehmen. Würden sie vom Auskunftsrecht nicht erfasst, könnte das Recht indirekt entwertet werden. Deshalb bestimmt das Gesetz, dass das Auskunftsrecht auch die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen erfasst (§ 131 Abs. 1 Satz 2 AktG); aber auch die Binnenangelegenheiten dieser Unternehmen gehören dazu: denn diese können mittelbar auch die Lage der Muttergesellschaft beeinflussen. Nr. 7.1.4 DCGK empfiehlt die Veröffentlichung einer Liste der Unternehmen, an denen die Gesellschaft eine Beteiligung von nicht untergeordneter Bedeutung hält. Zudem erstreckt § 131 Abs. 1 Satz 4 AktG (bis zum Inkrafttreten des TransPuG § 337 Abs. 4 AktG) das Informationsrecht des Aktionärs bei einem Mutterunternehmen ausdrücklich auch auf die Lage des Konzerns und der in den Konzernabschluss einbezogenen Unternehmen.55) Hier lag – jedenfalls lange Zeit – der Schwerpunkt der gerichtlichen Streitigkeiten über das Auskunftsrecht bei börsennotierten Aktiengesellschaften. 4.35 Vor diesem Hintergrund bejahte insbesondere das Kammergericht einen Aus-

kunftsanspruch des Aktionärs auf Mitteilung der von der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen gehaltenen Anteile an anderen großen Gesellschaften.56) Das wurde inzwischen in Form der §§ 21 ff. WpHG hinsichtlich der Beteiligung an

___________ 54) OLG Frankfurt/M. ZIP 2006, 610, 612 f. (Deutsche Bank) = AG 2006, 460 = WM 2006, 1206; OLG Frankfurt/M. ZIP 2006, 614 f. (Deutsche Bank) = AG 2006, 336: allerdings sind nur die Bezüge des Gesamtorgans, nicht die individuellen Bezüge der einzelnen Mitglieder offenzulegen. 55) Zur Erstreckung dieses Auskunftsrechts auf die Jahresergebnisse der in den Konzernabschluss der Muttergesellschaft einbezogenen Unternehmen OLG Hamburg ZIP 1994, 373 = NJW-RR 1994, 618 = EWiR § 337 AktG 1/94, 217 (Bork); zur Erstreckung auf Informationen über die Mithaftung der Gesellschaft für ein verbundenes Unternehmen LG Frankfurt/M. ZIP 1994, 784 (Diskus Werke/Naxos-Union) = WuB II A. § 131 AktG 3.94 (T. Bezzenberger) (inzwischen rkr.). 56) KG ZIP 1993, 1618 (Siemens) = NJW-RR 1994, 162 = EWiR § 131 AktG 2/93, 1043 (Wittkowski); KG ZIP 1994, 1267 (Allianz) = NJW-RR 1995, 98 = EWiR § 131 AktG 1/94, 833 (Noack); KG ZIP 1995, 1585 (Allianz); KG ZIP 1995, 1590 (Allianz); KG ZIP 1995, 1592 (Siemens) = NJW-RR 1996, 1060; KG ZIP 2001, 1200 (Kötitzer Ledertuch) = EWiR § 131 AktG 2/01, 351 (Luttermann); ebenso BayObLG NJW 1996, 1904 (Ls.) (Allianz) = NJW-RR 1996, 679 = WM 1996, 119 = DB 1996, 130 = EWiR § 131 AktG 2/96, 673 (Hirte/Leibe).

302

I. Rechte

börsennotierten Gesellschaften zu einer öffentlich-rechtlich überwachten Verpflichtung ausgebaut (dazu näher unten Rz. 4.71). Aus § 21 WpHG, nach dem seinerzeit der Erwerb eines Stimmrechtsanteils von 5 % 4.36 (inzwischen schon 3 %) an einer börsennotierten Gesellschaft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht anzuzeigen war, sollte sich jedoch nach Auffassung des Kammergerichts ein entsprechender Informationsanspruch des Aktionärs über Beteiligungen in dieser Höhe nicht ableiten lassen.57) Dem widersprach das BayObLG und gelangte damit zu dem Ergebnis, dass die relevante Schwelle schon bei 5 % (inzwischen 3 %) liegt.58) Der Gesetzgeber des KonTraG hat dies insoweit bestätigt, als er nunmehr von börsennotierten Aktiengesellschaften verlangt, dass diese Beteiligungen von mehr als 5 % der Stimmrechte an großen (auch selbst nicht börsennotierten) Kapitalgesellschaften im Anhang des Jahresabschlusses von sich aus offenlegen (§ 285 Nr. 11 HGB). Bei nicht börsennotierten Gesellschaften muss der Aktionär sich aber nach wie vor des Auskunftsrechts bedienen.

bb)

GmbH-Recht

In der GmbH finden sich in §§ 51a, 51b GmbHG den aktienrechtlichen Rege- 4.37 lungen nachgebildete Bestimmungen. Sie sind im Gegensatz zum übrigen GmbHRecht zwingend ausgestaltet (§ 51a Abs. 2 GmbHG). Möglich ist es aber, Regelungen über das Verfahren zur Ausübung des Informations- oder Einsichtsrechts zu konkretisieren, solange dadurch nicht deren materieller Gehalt berührt wird.59) In ihrem Anwendungsbereich sind sie allerdings weiter als die Bestimmungen 4.38 des Aktienrechts. Denn sie verpflichten die Geschäftsführer, jedem Gesellschafter auf Verlangen unverzüglich Auskunft zu geben – also nicht nur in der Gesellschafterversammlung. Und sie geben auch einen Anspruch auf Einsicht in Bücher und Schriften der Gesellschaft (§ 51a Abs. 1 GmbHG). Inhaltlich erstreckt sich jedenfalls das Auskunftsrecht bei einer GmbH, die Komplementärin einer GmbH & Co. KG ist, auch auf die Angelegenheiten der Kommanditgesellschaft.60) Das Informationsrecht erfasst bei einer dem Mitbestimmungsgesetz 1976 unterliegenden GmbH auch die Protokolle des Aufsichtsrats der Gesellschaft; der insoweit in seinem Umfang weit über das Aktienrecht hinausgehende Anspruch des Gesellschafters rechtfertigt sich aus der umfassenden Entscheidungskompetenz der GmbH-Gesellschafter, die nicht ___________ 57) KG ZIP 1995, 1590 (Allianz). 58) BayObLG ZIP 1996, 1743 (Münchener Rückversicherung) = EWiR § 131 AktG 3/96, 963 (Bork) = DStR 1997, 832 (Harrer); BayObLG ZIP 1996, 1945. 59) BayObLG NJW-RR 1989, 350 (für Beschränkung auf eine Stunde/Monat verneinend); OLG Hamm ZIP 2000, 1013 = EWiR § 51a GmbHG 2/2000, 863 (Westphal) (für Schiedsfähigkeit zum alten Schiedsverfahrensrecht bejahend); LG Mönchengladbach JZ 1987, 99 m.krit.Anm. Bork (für Schiedsfähigkeit verneinend); Hirte, BB 1985, 2208 ff. (für Pflicht zur Ausübung durch Sachverständige). 60) OLG Düsseldorf ZIP 1990, 1346; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, § 51a GmbHG Rz. 13; für eine Erstreckung auch des Einsichtsrechts auf die KG OLG Hamburg GmbHR 1985, 120 f.; KG ZIP 1988, 714, 716; OLG Karlsruhe NZG 1998, 599.

303

§ 4 Mitgliedschaft

einer strikt getrennten Aufgabenverteilung wie bei der Aktiengesellschaft unterliegt.61) 4.39 Eine Verweigerung von Auskunft oder Einsicht ist dann möglich, wenn zu befürchten ist, dass der Gesellschafter die erlangten Informationen zu gesellschaftsfremden Zwecken – etwa zugunsten eines Konkurrenzunternehmens – verwendet und damit der Gesellschaft einen nicht unerheblichen Schaden zufügt (§ 51a Abs. 2 Satz 1 GmbHG). Allerdings bedarf die Verweigerung der Auskunft eines Beschlusses der Gesellschafter (§ 51a Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Auch im GmbH-Recht ist die Verweigerung einer Auskunft in einem besonderen Informationserzwingungsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit überprüfbar; die Regeln des Aktienrechts gelten hier entsprechend (§ 51b Satz 1 GmbHG).62) Der ausgeschiedene Gesellschafter hat allerdings keinen Informationsanspruch mehr aus § 51a Abs. 1 GmbHG, sondern (nur) das Einsichtsrecht aus § 810 BGB.63) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht das Auskunfts- und Einsichtsrecht des GmbH-Gesellschafters fort und richtet sich gegen den Insolvenzverwalter; es setzt jetzt aber die Darlegung und Glaubhaftmachung eines konkreten Informationsbedürfnisses des Gesellschafters voraus.64) II.

Pflichten

1.

Einlagepflicht

4.40 Die Hauptpflicht des Aktionärs besteht darin, die Einlage und ein eventuelles Aufgeld zu leisten (§ 54 Abs. 1 AktG). Gleiches gilt für den Gesellschafter einer GmbH (§ 14 Satz 1 GmbHG). Auch im SE-Statut wird für die Europäische Aktiengesellschaft eine Einlagepflicht vorausgesetzt, wenn Art. 5 SE-VO für das Kapital, seine Erhaltung und seine Änderungen auf das (europarechtlich bereits koordinierte!) nationale Recht verweist.65) Wer also einen voll eingezahlten Anteil erwirbt, hat in aller Regel keine weiteren Pflichten. Dies gilt vor allem für den Aktionär, der eine Inhaberaktie (die voll eingezahlt sein muss; § 10 Abs. 2 AktG) über die Börse erwirbt. Auf die Art und Weise der Einlageleistung und die Folgen von Verletzungen dieser Pflicht wird an anderer Stelle ausführlich eingegangen (unten Rz. 5.32 ff.). ___________ 61) BGHZ 135, 48 = NJW 1997, 1985 = ZIP 1997, 978 = LM H. 9/1997 § 51a GmbHG Nr. 2 (Noack) = DStR 1997, 829 (Goette); hierzu Witte, ZGR 1998, 151. 62) BayObLG ZIP 2000, 18 = NJW-RR 2000, 487 = DStR 2000, 212 (Schaub) = EWiR § 51a GmbHG 1/2000, 633 (Himmelmann): Verpflichtung eines Gesellschafters zum Ausscheiden aus der Gesellschaft berechtigt nicht zur Verweigerung der Einsicht in einen aufgestellten Jahresabschluss. Zur Vollstreckung des Auskunftsanspruchs BayObLG NJW-RR 1997, 489 = ZIP 1996, 1039: § 888 ZPO. 63) OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1996, 871 = WM 1996, 160 = GmbHR 1995, 901 = EWiR § 51a GmbHG 1/96, 123 (Sernetz); OLG Karlsruhe NJW-RR 2000, 626. 64) OLG Hamm NZG 2002, 178 = NJW-RR 2002, 1396. 65) Hirte, NZG 2002, 1, 9 (dort den Verweis auch noch auf die Kapitalaufbringung beziehend).

304

II. Pflichten

2.

Nebenleistungspflichten

Die Satzung kann vorsehen, dass die Gesellschafter neben der Einlage weitere 4.41 Leistungen an die Gesellschaft zu erbringen haben. Dies ist bei der Aktiengesellschaft nur ganz ausnahmsweise und unter den Voraussetzungen des § 55 AktG möglich. Voraussetzung ist zum einen, dass es sich bei den Aktien um vinkulierte Namensaktien handelt. Und zum anderen können die Aktionäre nur zu wiederkehrenden, nicht in Geld bestehenden Leistungen verpflichtet werden. Zu nennen sind vor allem die Zuckerhersteller, deren Aktionäre Rüben anbauen und durch die Satzung verpflichtet werden, sie bei ihrer Gesellschaft abzuliefern.66) In der GmbH können derartige Nebenpflichten demgegenüber unbegrenzt ge- 4.42 schaffen werden, sofern sie nur in die Satzung aufgenommen werden (§ 3 Abs. 2 GmbHG). In Betracht kommen etwa die Verpflichtung, der Gesellschaft zusätzlich zur Einlage Darlehen zu gewähren, oder die – dem Sonderrecht korrespondierende – Pflicht, als Geschäftsführer tätig zu sein. Eine besonders große Bedeutung haben Pflichten auf Unterlassung von Wettbewerb;67) denn im Gegensatz zu den Personenhandelsgesellschaften (§ 112 HGB) kennt das gesetzte Kapitalgesellschaftsrecht kein Wettbewerbsverbot des Gesellschafters (zu deren konzernpräventiver Aufgabe unten Rz. 8.59). Möglich ist schließlich die Vereinbarung einer – sogar unbeschränkten – Nachschusspflicht (§§ 26 – 28 GmbHG). Schließlich ist es in GmbH wie Aktiengesellschaft gleichermaßen möglich, zu- 4.43 sätzliche Pflichten in schuldrechtlichen Gesellschaftervereinbarungen (dazu oben Rz. 3.269 ff.) festzulegen. Dies gilt insbesondere für (Darlehens-)Finanzierungszusagen, die über die Einlagepflicht hinausgehen. Allerdings ist umstritten, ob durch dieses Vorgehen nicht die strengen Regelungen über die Eigenkapitalaufbringung unterlaufen werden (dazu unten Rz. 5.51). Weitergehende Mitgliedspflichten können sich demgegenüber im Verein 4.43a ergeben. Hier kann vor diesem Hintergrund der durch Art. 6 Nr. 3 des Ehrenamtsstärkungsgesetzes im Jahr 2013 eingefügte neue § 31b BGB eine Rolle spielen. Danach haften Vereinsmitglieder, die unentgeltlich für den Verein tätig sind oder für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhalten, die 720 Euro jährlich nicht übersteigt, dem Verein für einen Schaden, den sie bei der Wahrnehmung der ihnen übertragenen satzungsgemäßen Vereinsaufgaben verursacht haben, nur bei Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit (§ 31b Abs. 1 Satz 1 BGB). Werden sie in einem solchen Falle von Dritten in Anspruch genommen, können sie vom dem Verein die Befreiung von der Verbindlichkeit verlangen (§ 31b Abs. 2 Satz 1 BGB). ___________ 66) Raiser/Veil, KapGesR, § 11 Rz. 54. 67) Raiser/Veil, KapGesR, § 28 Rz. 26 ff.

305

§ 4 Mitgliedschaft

3.

Treuepflicht

4.44 Neben diesen gesetzlich oder in der Satzung statuierten Pflichten kann sich auch eine Treuepflicht des Kapitalgesellschafters gegenüber „seiner Gesellschaft“ ergeben. Sie hängt in ihrem Inhalt und Ausmaß stark von der Struktur der Gesellschaft ab: je personalistischer die Gesellschaft ausgestaltet ist, desto intensiver ist die Treuepflicht. 4.45 Daneben können sich auch Treuepflichten gegenüber den Mitgesellschaftern ergeben. Einen Beispielsfall bildet die Verpflichtung, Satzungsänderungen unter bestimmten Voraussetzungen zuzustimmen. Darauf wurde bereits hingewiesen (dazu oben Rz. 3.305). Die wahrscheinlich größte Bedeutung der Treuepflicht liegt aber darin, dass sie die Grundlage der konzernrechtlichen Verpflichtungen des herrschenden Mehrheits- gegenüber dem Minderheitsgesellschafter bildet (dazu unten Rz. 8.9, 8.17 und 8.150). 4.46 Eine schuldhafte Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht und einen

daraus resultierenden Schadenersatzanspruch gegen ihren Gesellschafter bejahte das OLG Düsseldorf, wenn dieser den Geschäftsführer einer GmbH zur Führung eines aussichtslosen Prozesses der Gesellschaft gegen einen Mitgesellschafter anweist.68)

4.47 Ob und wie weit in der Europäischen Aktiengesellschaft ungeschriebene Pflichten wie die Treuepflicht eingreifen, ist nach Art. 9 Abs. 1 c SE-VO Sache des einzelstaatlichen Rechts. III.

Erwerb und Übertragbarkeit

4.48 Die Mitgliedschaft in einer Kapitalgesellschaft kann zum einen durch Beteiligung an ihrer Gründung oder einer Kapitalerhöhung erworben werden. Diese Fragen werden in anderem Zusammenhang behandelt (oben Rz. 2.5 ff., unten Rz. 6.23 ff.). Häufiger als ein solcher originärer Erwerb der Mitgliedschaft ist allerdings – vor allem in größeren Gesellschaften – ein derivativer Erwerb von einem anderen Gesellschafter. Kennzeichnend für die Kapitalgesellschaften ist nämlich wie für alle Körperschaften die Übertragbarkeit und Vererblichkeit der Mitgliedschaft (§§ 67 ff. AktG, § 10 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 929 ff. BGB, § 15 Abs. 1 GmbHG, § 77 GenG, nicht aber § 38 BGB, der nach § 40 BGB jedoch dispositiv ist). Darauf wurde einleitend bereits hingewiesen (oben Rz. 1.4 ff.). Infolge der zum 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Steuerreform ist die Bedeutung der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften deutlich gestiegen; denn ab 2002 sind Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften durch Kapitalgesellschaften im Grundsatz steuerfrei.

___________ 68) OLG Düsseldorf ZIP 1994, 619 (ARAG Erben) = EWiR § 13 GmbHG 2/94, 683 (Zimmermann).

306

III. Erwerb und Übertragbarkeit

Bei der Veräußerung einer Aktie oder eines Geschäftsanteils geht – vorbehalt- 4.49 lich abweichender vertraglicher Regelung – auch das Gewinnstammrecht gemeinsam mit der Beteiligung auf den Erwerber über. Dadurch steht dem Erwerber auch der Gewinnanspruch für das der Übertragung vorangehende Geschäftsjahr zu, wenn die Feststellung des Jahresabschlusses erst nach der Übertragung erfolgt.69) Stellt der Anteil an einer Kapitalgesellschaft fast das gesamte Vermögen eines Ehegatten dar, so bedarf es bei dessen Veräußerung in jedem Fall auch der Zustimmung des anderen Ehegatten nach § 1365 Abs. 1 BGB.70) Erwerb und Übertragbarkeit der Aktien sind für die Europäische Aktiengesell- 4.50 schaft in der SE-VO ungeregelt. Auch hier greift daher das einzelstaatliche Recht ein. Das gilt sowohl für das Ob als auch für die Art der Verbriefung der Aktien (Inhaber- oder Namensaktie) als auch für die Frage, ob die Übertragung der Aktien durch Vinkulierung an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden werden kann. Auch für öffentliche Übernahmeangebote an die Aktionäre einer SE bleibt es bei den – demnächst allerdings europaweit harmonisierten – nationalen Regeln. Im Übrigen gibt es bezüglich der Art und Weise der Übertragung beträchtliche 4.51 Unterschiede zwischen Aktiengesellschaft und GmbH, die vor allem daraus resultieren, dass nur die Mitgliedschaft in der Aktiengesellschaft als Aktie wertpapiermäßig verbrieft werden kann. 1.

Übertragung

a)

Aktienrecht

Aktien, die als Inhaberaktien verbrieft sind, werden wie bewegliche Sachen 4.52 nach §§ 929 ff. BGB übertragen. Gutgläubiger Erwerb ist nach §§ 932 ff. BGB, § 366 HGB möglich, insbesondere unter Berücksichtigung von § 935 Abs. 2 BGB (vgl. für Banken aber § 367 HGB). Die Verbriefung in Form von Inhaberaktien gilt im Grundsatz für die meisten Aktien börsennotierter Aktiengesellschaften, allerdings nur im Grundsatz. Denn soweit diese Aktien in einem Wertpapierdepot bei einer Wertpapiersammelbank (§ 1 Abs. 3 DepotG) gelagert sind, wird nicht die einzelne Aktie, sondern der Anspruch auf Herausgabe eines Miteigentumsanteils an dem Depotbestand übertragen (§§ 929, 931 BGB, § 6 DepotG). Und in vielen Fällen werden nicht einmal mehr Urkunden über die einzelnen Aktien ausgestellt, sondern zur Begrenzung von Druckkosten ___________ 69) BGH ZIP 1995, 374, 375 = NJW 1995, 1027, 1028 = WiB 1995, 381 (Eckhardt) = EWiR § 33 GmbHG 1/95, 369 (W. Müller); BGH ZIP 1998, 384 = NJW 1998, 1314 = DStR 1998, 498 (Goette); im Falle der Einziehung eines Anteils gehen die entsprechenden Rechte daher unter: BGHZ 139, 299 = ZIP 1998, 1836 = NJW 1998, 3646 = DStR 1998, 1688; dazu Gehrlein, DB 1998, 2355; Herrmann, BB 1999, 2054; Loritz, DStR 1998, 84; G. H. Roth, ZGR 1999, 715. 70) BGHZ 132, 218 = NJW 1996, 1740 = ZIP 1996, 834 = EWiR § 1365 BGB 1/96, 653 (Gernhuber) = DStR 1996, 1903 (Goette) = LM H. 8/1996 § 161 BGB Nr. 3 (auch bei Erwerb unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung).

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§ 4 Mitgliedschaft

nur noch eine Sammelurkunde (§ 9a DepotG), die sämtliche Aktien einer Gesellschaft oder einer Kapitalerhöhung oder zumindest einen großen Teil davon verbrieft; in diesen Fällen werden Miteigentumsrechte an dieser Sammelurkunde übertragen (§§ 9a, 6 DepotG). Aktienrechtlich muss eine solche Sammelverbriefung in der Satzung zugelassen werden (§ 10 Abs. 5 AktG). Die Aktienrechtsnovelle 2014 (in Fortschreibung der gescheiterten Aktienrechtsnovelle 2012) will diese Form der Verwahrung und Registrierung von Inhaberaktien auch auf die von nicht börsennotierten Aktiengesellschaften ausgegebenen Inhaberaktien übertragen, um auch hier mit Blick auf mögliche Missbräuche (vor allem: Geldwäsche) Klarheit über die Beteiligungsverhältnisse zu haben. 4.53 Namensaktien werden demgegenüber wie Wechsel und Orderscheck durch Indossament, Begebungsvertrag und Übergabe übertragen (§ 68 Abs. 1 AktG i. V. m. Artt. 12, 15 und 16 WG). Daneben kommt, wie auch bei diesen Papieren, eine Übertragung in Form einer gewöhnlichen Abtretung in Betracht (§ 68 Abs. 1 AktG n. F.: „auch“). Das Erfordernis einer Unterschriftsbeglaubigung auf Kosten des betreffenden Aktionärs als Wirksamkeits- oder Nachweiserfordernis für die Übertragung solcher Aktien nachträglich einzuführen, ist nicht möglich; denn damit – und insbesondere im Zusammenhang mit der Kostenregel – wird der Grundsatz der freien Übertragbarkeit der Aktien in erheblicher Weise beeinträchtigt.71) Nur die Übertragung von Namensaktien kann in Form der Vinkulierung an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden werden (§ 68 Abs. 2 AktG; dazu unten Rz. 4.64 ff.). Auch Namensaktien können als Sammelurkunden ausgestaltet werden; sind sie nicht vinkuliert und werden die entsprechenden Erklärungen in elektronischer Form übermittelt, ist die Handelbarkeit von Namens- und Inhaberaktien weitgehend identisch. Das hat in der jüngeren Zeit mehrere deutsche Publikumsaktiengesellschaften dazu bewogen, ihre Aktien nach US-amerikanischem Vorbild auf Namensaktien umzustellen, zumal sie damit auch einen kostengünstigeren und direkten Zugang zu ihren Aktionären haben (dazu auch unten Rz. 4.76).72) 4.54 Ist die Mitgliedschaft nicht in einer Aktie verbrieft, wird sie durch gewöhnliche Abtretung nach §§ 413, 398 ff. BGB übertragen. Dies kommt zum einen in Betracht, solange Aktienurkunden noch nicht ausgedruckt sind. Zum Zweiten braucht der Anspruch auf Ausstellung effektiver Stücke nicht ausgeübt zu werden. Nicht direkt hierher gehört allerdings der Fall, dass in der Satzung die Ausgabe einzelner effektiver Stücke nach § 10 Abs. 5 AktG ausgeschlossen wurde, um die entsprechenden Kosten zu sparen; denn insoweit fehlt es nur an ___________ 71) BGHZ 160, 253 (Aktien-Gesellschaft EMS) = ZIP 2004, 2093, 2094 = NJW 2004, 3561 = NZG 2004, 1109 = DStR 2004, 1970. 72) Zum Wiederaufleben der Namensaktie und den damit noch vor Inkrafttreten des NaStraG verbundenen Problemen Diekmann, BB 1999, 1985 ff.; Noack, DB 1999, 1306 ff.

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III. Erwerb und Übertragbarkeit

der Verbriefung (auch) der einzelnen Mitgliedschaften.73) Hier kann sich aber die Notwendigkeit einer Übertragung nach §§ 413, 398 ff. BGB bezüglich der (unverbrieften) Miteigentumsanteile an der Sammelurkunde ergeben. b)

GmbH-Recht

Ganz im Gegensatz zum Aktienrecht bedürfen sowohl die Abtretung eines 4.55 GmbH-Anteils (§ 15 Abs. 3 GmbHG) als auch die Verpflichtung hierzu (§ 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG) der notariellen Beurkundung. Beide Geschäfte können in einer Urkunde vorgenommen werden. War das Verpflichtungsgeschäft nicht formgerecht abgeschlossen, so wird es allerdings durch die formgerechte Beurkundung des Vollzugsgeschäfts geheilt (§ 15 Abs. 4 Satz 2 GmbHG).74) Zweck des Beurkundungserfordernisses sind der Beweis der Anteilsinhaberschaft und die Verhinderung des freien Handelsverkehrs mit den Anteilen: denn im Gegensatz zur Aktiengesellschaft ist der Inhalt der Beteiligung wegen der größeren Gestaltungsfreiheit im GmbH-Recht (dazu oben Rz. 2.51 f.) nicht standardisiert.75) Problematisch ist hier wie bei den an anderen Stellen vom Gesetz statuierten 4.56 Beurkundungserfordernissen, ob bei Vornahme des Rechtsgeschäfts im Ausland nach Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB eine möglicherweise weniger strenge Ortsform ausreicht. Das ist jedoch umstritten; zudem greift das Ortsrecht nur dann ein, wenn das ausländische Recht ein dem deutschen Recht vergleichbares Rechtsgeschäft kennt. Stellt man nach Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EGBGB auf das „Wirkungsstatut“ ab, stellt sich die weitere Frage, ob nicht jedenfalls die Beurkundung von einem (billigeren) ausländischen Notar vorgenommen werden kann. Die Rechtsprechung hatte dies bislang dann zugelassen, wenn das ausländische Ortsrecht ein Beurkundungsrecht kennt, das dem deutschen ver-

___________ 73) Für einen Ausschluss auch des Anspruchs auf Verbriefung insgesamt Schwennicke, AG 2001, 118. 74) Allerdings nur bei Personenidentität auf Erwerberseite und Abwicklung zu gleichen schuldrechtlichen Bedingungen: BGH ZIP 2001, 1536, 1537 = EWiR § 15 GmbHG 1/02, 483 (F. Wagner). 75) BGHZ 141, 207, 211 f. = NJW 1999, 2594 = ZIP 1999, 925, 926 = DB 1999, 1210 = EWiR § 15 GmbHG 1/99, 703 (Wilken) = DStR 1999, 861 m. Anm. Goette; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, Einl. Rz. 5 f., § 15 GmbHG Rz. 21; für eine Aufgabe des Beurkundungserfordernisses de lege ferenda Heidenhain, ZIP 2001, 721 und 2113; dagegen Kanzleiter, ZIP 2001, 2105.

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§ 4 Mitgliedschaft

gleichbar ist und – vor allem – die Beurkundung durch eine dem deutschen Notar vergleichbare Person vorgenommen wird.76) 4.57 In jedem Fall wird die Abtretung eines GmbH-Anteils auch dann durch den Voll-

zug wirksam, wenn der Verkäufer einseitig auf die vereinbarte aufschiebende Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung verzichtet. In einem vom BGH entschiedenen Fall war aufgrund einer Schwarzgeldabrede kein formwirksamer Kaufvertrag über einen GmbH-Anteil zustande gekommen. Der formgültige Abtretungsvertrag enthielt bezüglich der dinglichen Rechtsänderung die aufschiebende Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung, die nicht eintrat. Erst während des Prozesses verzichtete der Verkäufer auf diese Bedingung. Entgegen der Vorinstanz bekräftigte der BGH seine Ansicht, dass ein solcher einseitiger Verzicht möglich sei, da die Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung allein den Verkäufer, nicht aber den Käufer begünstige. Mit Aufhebung der Bedingung tritt die dingliche Rechtsänderung ein, die zugleich die Heilung des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäftes gemäß § 15 Abs. 4 Satz 2, Abs. 3 GmbHG bewirkt. Dies gilt aber nur, wenn die schuldrechtliche Einigkeit der Parteien im Zeitpunkt der Bindung an das Verfügungsgeschäft noch besteht. Da die Bindungswirkung nach Ansicht des Gerichts schon bei Abschluss des dinglichen Geschäftes vorliegt, dürfte diese Voraussetzung regelmäßig erfüllt sein.77) Der Verzicht auf die Bedingung führt aber nicht zu einer rückwirkenden Heilung des Kaufvertrages; das hat zur Folge, dass der Gefahrübergang (§ 446 BGB) auch erst im Zeitpunkt des Verzichts auf die Bedingung erfolgt.78)

___________ 76) RGZ 88, 227; RGZ 160, 225, 229 ff. (Beurkundung der Abtretung eines GmbH-Anteils durch Schweizer Notar, obwohl im Schweizer Recht die Formbedürftigkeit fehlt, und vor Schaffung einer GmbH in der Schweiz); BGHZ 80, 76 = ZIP 1981, 402 = NJW 1981, 1160 (Beurkundung der Satzungsänderung einer GmbH durch einen Zürcher Notar); BGH (VIII. Zs.), NJW-RR 2000, 274 = NZI 2000, 73 = DStR 2000, 601 = EWiR Art. 11 EGBGB 2/2000, 487 (Werner) (für Schweizer Notar); BayObLG DB 1977, 2320 = NJW 1978, 500; OLG Frankfurt/M. DB 1981, 1456; OLG München DB 1998, 125 = NJW-RR 1998, 758 = EWiR Art. 11 EGBGB 2/98, 309 (Mankowski) (für Basel-Stadt); LG Kiel DB 1997, 1223 = BB 1998, 120 = EWiR Art. 11 EGBGB 1/98, 215 (Horn/Kröll) (für Beurkundung einer Genossenschaftsverschmelzung durch österreichischen Notar, wenn die erforderliche Gleichwertigkeit aufgrund eines Gutachtens des Prüfungsverbandes bestätigt wird); dazu Gätsch/Schulte, ZIP 1999, 1954 (liberales Ortsprinzip); Kröll, ZGR 2000, 111 (Anteilsübertragung nach Ortsform; Statusgeschäfte bei Gleichwertigkeit, und diese können die Parteien herstellen); Reuter, in: Hommelhoff/Röhricht, Gesellschaftsrecht 1997. RWS-Forum 10 (1998), S. 277; Hellwig, ebda., S. 285; abw. OLG Hamm NJW 1974, 1057 (Unwirksamkeit der Auslandsbeurkundung einer GmbH-Satzungsänderung); sowie jetzt für Beurkundung eines Umwandlungsvertrages durch einen Schweizer Notar LG Augsburg NJW-RR 1997, 420 = ZIP 1996, 1872 = WiB 1996, 1167 (Zimmer) = EWiR Art. 11 EGBGB 1/96, 937 (Wilken) (inzwischen rkr.) im Anschluss an Goette, in: Festschrift für Boujong (1996), S. 131 = DStR 1996, 709; OLG Stuttgart NZG 2001, 40 = DStR 2000, 1704 (Ls.) (Hergeth) = EWiR § 242 AktG 2/2000, 945 (Werner) (für Beglaubigung einer Übertragung von GmbH-Gesellschaftsanteilen durch einen amerikanischen notary public). 77) BGHZ 127, 129 = ZIP 1994, 1687 = NJW 1994, 3227; vgl. zuvor bereits BGH ZIP 1989, 234 = NJW-RR 1989, 291 = EWiR § 15 GmbHG 1/89, 265 (Meyer-Landrut) = LM § 15 GmbHG Nr. 25. 78) BGHZ 138, 195 = ZIP 1998, 908 = NJW 1998, 2360 = DStR 1998, 1026 (Goette) = LM H. 9/1998 § 15 GmbHG Nr. 30 (Wilhelm); dazu Pohlmann, NJW 1999, 190.

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III. Erwerb und Übertragbarkeit

Die Formnichtigkeit der Abtretung eines GmbH-Anteils kann auch Auswirkungen 4.58 auf den Umfang der Haftung nach § 16 Abs. 3 GmbHG haben. Denn Leistungen des Erwerbers auf einen (noch nicht voll eingezahlten) Anteil haben im Hinblick auf die gesamtschuldnerische Haftung von Veräußerer und Erwerber i. S. v. § 16 Abs. 3 GmbHG in diesem Fall keine Erfüllungswirkung. In Frage kommt nur eine Erfüllung der Leistungsverpflichtung des Veräußerers durch den potentiellen Erwerber, wenn dessen Leistung als Leistung durch Dritte nach § 267 BGB qualifiziert werden kann. Das hängt davon ab, ob sich die Leistung bei objektiver Betrachtungsweise aus Sicht des Zuwendungsempfängers so darstellt, dass sie mit dem Willen erbracht wurde, die fremde Einlageverpflichtung zu tilgen.79) Der Kaufvertrag über einen GmbH-Geschäftsanteil kann zulässigerweise unter die 4.59 Bedingung der Genehmigung durch den Käufer gestellt werden. Verpflichtet sich dieser, die Genehmigung zu erteilen, so bedarf diese Erklärung nicht der notariellen Beurkundung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG. Sie ist vielmehr – wie die Genehmigung selbst – formfrei wirksam.80)

Das aufwändige Beurkundungserfordernis kann freilich praxisnah dadurch um- 4.60 gangen werden, dass sämtliche GmbH-Anteile in eine BGB-Gesellschaft eingebracht werden, deren Anteile dann formfrei übertragen werden können.81) Auch soll es zulässig sein, bestimmte Übertragungsvorgänge an einem GmbHAnteil – hier infolge eines Gesellschafterausschlusses – bereits in der ursprünglichen Satzung zu antizipieren, was in der Sache auf eine (Teil-)Abbedingbarkeit von § 15 GmbHG hinausläuft.82) Eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1822 4.61 Nr. 10, 1643 Abs. 1 BGB) ist für den Erwerb eines GmbH-Anteils in aller Regel nicht erforderlich. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine konkrete Möglichkeit der Inanspruchnahme für Verbindlichkeiten von Mitgesellschaftern nach §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG besteht.83) c)

Vorgesellschaft

Vor Eintragung einer Kapitalgesellschaft besteht auch noch keine Mitgliedschaft 4.62 in einer Kapitalgesellschaft (§ 41 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 11 Abs. 1 GmbHG). Auf die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Vorgesellschaft finden zwar die Regeln der „fertigen“ Kapitalgesellschaft weitestgehend Anwendung (dazu oben ___________ 79) BGH ZIP 1994, 1855 = NJW 1995, 128 = EWiR § 267 BGB 1/94, 1165 (von Gerkan). 80) BGH NJW 1996, 3338 = ZIP 1996, 1901 = DStR 1996, 1982 (Goette) = LM H. 1/1997 § 162 BGB Nr. 12. 81) Zur Zulässigkeit BGHZ 78, 311 = ZIP 1981, 183 = NJW 1981, 682; dazu U. Koch, ZHR 146 (1982), 118. 82) BGH ZIP 2003, 1544 = NJW 2004, 1865 = NJW-RR 2003, 1265 = NZG 2003, 871 = GmbHR 2003, 1062 = EWiR § 34 GmbHG 3/03, 1087 (Weipert); dazu Kleinert/Blöse/ von Xylander, GmbHR 2003, 1230. 83) BGHZ 107, 23 = ZIP 1989, 445 = EWiR § 1822 BGB 1/89, 577 (Kellermann); Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 5; Raiser/Veil, KapGesR, § 30 Rz. 19 f. (GmbH); Winkler, ZGR 1990, 131 ff.

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§ 4 Mitgliedschaft

Rz. 2.16 ff.). Die Beteiligung an der Vorgesellschaft kann aber nicht durch Übertragung der Mitgliedschaft an der Vorgesellschaft, sondern nur durch Änderung des Gesellschaftsvertrages unter Mitwirkung aller Gesellschafter übertragen werden;84) lässt der Gesellschaftsvertrag diese Möglichkeit nicht ausdrücklich zu, reicht eine entsprechende Auslegung des Gesellschaftsvertrages für die Zulässigkeit einer solchen Änderung aus.85) Wird die Abänderung des Gesellschaftsvertrages nicht notariell beurkundet, wird die formunwirksame Abtretung eines „GmbH-Anteils“ vor Eintragung der Gesellschaft durch die Eintragung der Gesellschaft auch nicht geheilt.86) 4.63 Für einen nach Gründung, aber vor Eintragung geschlossenen Treuhandvertrag über den mit Eintragung erst noch entstehenden Geschäftsanteil gilt aber § 15 Abs. 4 GmbHG, wenn die Treuhandabrede erst mit Entstehen des GmbHAnteils Wirkung erlangen soll.87) 2.

Vinkulierung

4.64 Sowohl die Übertragung von Aktien als auch die von GmbH-Geschäftsanteilen kann durch Bestimmung der Satzung an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden werden (Vinkulierung; Art. 3 d Zweite Richtlinie, § 68 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 15 Abs. 5 GmbHG). Erfasst ist dabei jeweils nur das dingliche Geschäft, die „Abtretung“. Bei der Aktiengesellschaft ist dies allerdings nur in Bezug auf Namensaktien möglich (§ 68 Abs. 2 AktG), deren Zulassung zum Börsenhandel mit gewissen Schwierigkeiten verbunden war. Für die normalen nicht vinkulierten Namensaktien hat sich dies durch die Führung elektronischer Aktienregister inzwischen freilich geändert.88) Im Übrigen wird für den börsennotierten Bestand an vinkulierten Namensaktien häufig eine – unter Umständen eingegrenzte – „Blankettermächtigung“ erteilt, so dass auch diese faktisch ebenso wie nicht vinkulierte Aktien gehandelt werden können.89) ___________ 84) BGHZ 29, 300, 303 = NJW 1959, 934; BGH ZIP 2005, 253 = NZG 2005, 263 (auch zur Unanwendbarkeit der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft im Fall eines fehlerhaften Gesellschafterwechsels in einer Vor-GmbH). 85) BGH NJW 1997, 1507 (Altmeppen) = ZIP 1997, 679 = DStR 1997, 625 (Goette) = LM H. 7/1997 § 11 GmbHG Nr. 38 [Noack] = EWiR § 11 GmbHG 1/97, 463 (Fleischer), insoweit in BGHZ 134, 333 nicht abgedruckt; zur Zulässigkeit einer derartigen Satzungsänderung aufgrund Auslegung des Gesellschaftsvertrages OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1997, 1062 (GmbH). 86) OLG Brandenburg NJW-RR 1996, 291 (GmbH). 87) BGHZ 141, 207 = NJW 1999, 2594 = ZIP 1999, 925 = DB 1999, 1210 = EWiR § 15 GmbHG 1/99, 703 (Wilken) = DStR 1999, 861 m. Anm. Goette (der darauf hinweist, dass bei einem beabsichtigten Wirksamwerden des Treuhandvertrages schon vor Eintragung von einer Satzungsänderung auszugehen sei, die die Mitwirkung aller Gesellschafter erforderlich mache); zum Ganzen Seidl, DStR 1998, 1220. 88) Dazu Noack, DB 1999, 1306. 89) Zu den unterschiedlichen Lösungsansätzen Merkt, in: GroßK, § 68 AktG Rz. 235 ff.

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III. Erwerb und Übertragbarkeit

Bei der GmbH ist die Vinkulierung demgegenüber unbeschränkt möglich und 4.65 weit verbreitet; die Satzung kann die Übertragung des Geschäftsanteils zudem auch noch an andere Voraussetzungen knüpfen (§ 15 Abs. 5 GmbHG: „insbesondere“). In beiden Fällen dient die Vinkulierung dazu, der Gesellschaft und ihren (Mehrheits-)Gesellschaftern einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung des Gesellschafterkreises zu ermöglichen und damit ein Eindringen unerwünschter Personen (Konkurrenten!) in den Gesellschafterkreis zu verhindern. Häufig wird deshalb nur die Übertragung an Nicht-Gesellschafter oder an Nicht-Familienmitglieder von Gesellschaftern an die Zustimmung der Gesellschaft geknüpft. Im einen wie im anderen Fall kann zudem vorgesehen werden, dass Gesellschafter die zu veräußernden Anteile zunächst ihren Mitgesellschaftern zum Kauf anbieten (Andienungspflicht), und zwar in der Regel entsprechend dem Umfang ihrer bisherigen Beteiligungsverhältnisse; manchmal wird eine solche Pflicht auch noch dergestalt gestaffelt, dass etwa nicht abgenommene Anteile erneut und wiederum quotal den verbleibenden erwerbswilligen Mitgesellschaftern anzubieten sind. Zuständig für die Erteilung der Zustimmung ist bei der Aktiengesellschaft im 4.66 Zweifel der Vorstand (§ 68 Abs. 2 Satz 2 AktG). Die Satzung kann die Zuständigkeit aber auch dem Aufsichtsrat oder der Hauptversammlung zuweisen. Auch in der GmbH ist im Zweifel der Geschäftsführer für die Erteilung der Genehmigung zuständig.90) Die Satzung kann die Gründe für eine Verweigerung der Zustimmung kon- 4.67 kretisieren (für das Aktienrecht § 68 Abs. 2 Satz 3 AktG). Ist eine Verweigerung nicht von diesen Gründen gedeckt, kann der Veräußerer gegen die Gesellschaft auf Zustimmung klagen oder – wenn die Gesellschafterversammlung die Zustimmung verweigert hat – den verweigernden Beschluss anfechten. Als Grund für eine Verweigerung kommt etwa die Beteiligung an einem konkurrierenden Unternehmen oder die fehlende Zugehörigkeit zur Gründerfamilie in Betracht. Wurden die möglichen Gründe für eine Verweigerung nicht in der Satzung konkretisiert, kann sich ein Anspruch auf Erteilung der Zustimmung aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht oder dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben.91) Im Übrigen steht die Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung im pflichtgemäßen Ermessen der Gesellschaft.92) Dessen korrekte Ausübung wurde der Aachener und Münchener Beteiligungs AG 4.68 (AMB) bescheinigt, die ihre Übernahme durch die französischen Assurances Générales

___________ 90) BGHZ 14, 25, 31 (zu § 17 GmbHG); Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 42. 91) OLG Düsseldorf ZIP 1987, 227, 231 f.; OLG Hamm NJW-RR 2001, 109, 111; OLG Koblenz ZIP 1989, 301, 303 f. = GmbHR 1990, 39, 41 f. = DB 1989, 672; KG NZG 2001, 805; LG Düsseldorf DB 1989, 33; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 46; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, § 15 GmbHG Rz. 71 („streitig“). 92) RGZ 88, 319, 325; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 46.

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§ 4 Mitgliedschaft

de France verhindern wollte (die deutsche Versicherungsgesellschaft suchte eine Anlehnung an die italienische Versicherung La Fondiaria). Zu diesem Zweck wollte die AMB die Zustimmung zur Übertragung ihrer vinkulierten Namensaktien auf die französische Gesellschaft verweigern. Die französische Gesellschaft hatte die Aktien bereits erworben, brauchte aber die Zustimmung, um ihre Rechte ausüben zu können, und klagte daher auf Zustimmung. Das LG Aachen überprüfte die Verweigerung der Zustimmung auf fehlerhafte Ermessensausübung; doch meinte es, die Verweigerung der Zustimmung dürfe darauf gestützt werden, dass die Gesellschaft ihre unternehmerische Selbständigkeit wahren wolle. Wenig später gelangte die französische Gruppe jedoch außergerichtlich zu ihrem Ziel; die Klage wurde zurückgenommen.93) In einem anderen Fall hielt der Bundesgerichtshof eine Verweigerung der Zustimmung durch einen Gesellschafter für rechtsmissbräuchlich, wenn dieser zum Zeitpunkt der Stimmabgabe bereits seinen Entschluss zum Ausscheiden aus der Gesellschaft gefasst hatte.94)

4.69 Bis zur Erteilung der Zustimmung, die sowohl dem Veräußerer als auch dem Erwerber gegenüber erteilt werden kann (§ 182 Abs. 1 BGB), ist die Abtretung schwebend unwirksam.95) Ihr Vorliegen (auch bei früheren Anteilsübertragungen) gehört daher neben der Einhaltung der Form nach § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG zu den zentralen, im Rahmen einer Due-diligence-Prüfung (dazu oben Rz. 3.48) seitens des Erwerbers zu kontrollierenden Punkten. 3.

Übernahmen

4.70 Erwirbt eine Person in großem Umfang Aktien an einer Gesellschaft, erlangt sie (über den Aufsichtsrat) Einfluss auf deren Geschäftsleitung; hat sie auch eine satzungsändernde Mehrheit, kann sie die Gesellschaft umwandeln oder in anderer Weise ihren Interessen unterordnen. Ist eine solche Lage eingetreten, werden die Aktionäre, die ihre Anteile nicht an den (neuen) Mehrheitsgesellschafter verkauft haben, durch das Konzernrecht, insbesondere die §§ 311 ff. AktG, vor einer zu weit gehenden nachteiligen Einflussnahme geschützt. 4.71 Bereits im Vorfeld, nämlich im Zeitpunkt des Aktienerwerbs, setzen zwei weitere rechtliche Instrumentarien an. So erlegen zunächst die §§ 21 ff. WpHG dem Erwerber schon einer 3 %-igen Beteiligung an einer börsennotierten Aktiengesellschaft Mitteilungspflichten auf; bei Erreichen weiterer Schwellenwerte bedarf es ebenso wie bei deren Unterschreiten erneuter Mitteilungen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass schon eine signifikante Minderheitsbeteiligung erheblichen Einfluss verschaffen und vor allem als Basis für einen weiteren Ausbau der Beteiligung dienen kann, die letztlich eine Umstrukturierung der Gesellschaft ermöglicht. ___________ 93) LG Aachen ZIP 1992, 924 = EWiR § 68 AktG 1/92, 837 (Bork) (Klagerücknahme: ZIP 1992, 1317 = EWiR § 459 BGB 3/92, 1069 [Messer]). 94) BGH ZIP 2006, 1343 Rz. 7 = NZG 2006, 627 = NJW-RR 2006, 1414; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 46. 95) BGHZ 13, 179, 187.

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III. Erwerb und Übertragbarkeit

Weitere Pflichten ergeben sich aus dem Wertpapiererwerbs- und Übernahme- 4.72 gesetz (WpÜG). Danach muss ein Aktienerwerber vor allen Dingen ein Übernahmeangebot an die Aktionäre der „Zielgesellschaft“ machen, sobald er mehr als 30 % der Anteile an dieser erworben hat (§ 35 Abs. 1 i. V. m. § 29 Abs. 2 WpÜG; „Pflichtangebot“).96) Denn in diesem Falle besitzt er typischerweise bereits die Mehrheit in der Hauptversammlung (dazu oben Rz. 3.266); da er damit die gesamte Gesellschaft steuern kann, soll er auch den Preis für alle Aktien der Gesellschaft zahlen oder mindestens anbieten müssen. Unterlässt ein Kontrollerwerber aber entgegen § 35 Abs. 2 WpÜG die Veröffentlichung der Tatsache des Kontrollerwerbs und gibt dementsprechend kein Pflichtangebot ab, sollen die übrigen Aktionäre nach Auffassung des BGH keinen automatischen Anspruch auf die geschuldete Gegenleistung haben.97) Auch Zinsen würden nach § 38 Nr. 2 WpÜG nur geschuldet, wenn und soweit ein Pflichtangebot tatsächlich – verspätet – veröffentlicht wird. Denn § 35 Abs. 2 WpÜG stelle kein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB dar. Damit hat der Bundesgerichtshof – erneut – Bestrebungen begrenzt, die aufsichtsrechtliche Durchsetzung des Kapitalmarktrechts durch zivilrechtlichen Rechtsschutz zu komplementieren. § 31 WpÜG und §§ 3 ff. WpÜG-AngebVO enthalten im Übrigen ausführliche Vorgaben zu der Frage, was als „angemessene Gegenleistung“ zu verstehen ist. Das hierfür erstinstanzlich zuständige OLG Frankfurt am Main verneinte aber ebenfalls mit Blick auf den (angeblich) nur marktbezogenen Schutzzweck des WpÜG einen Anspruch von Aktionären, am Verwaltungsverfahren vor der BaFin zur Überprüfung der Angemessenheit des Preises eines Erwerbsangebots (§ 31 WpÜG) beteiligt zu werden.98) Zum Zweiten wird durch das Pflichtangebot eine Gleichbehandlung der verkaufswilligen Aktionäre erreicht; denn sonst würden typischerweise die zuerst veräußernden Aktionäre nur zu schlechten Kursen verkaufen, während sodann ein Anstieg des Kurses zu verzeichnen wäre und nach Erreichen der vom Erwerber anvisierten Beteiligungshöhe ein vollständiger Kursverfall einträte.99) ___________ 96) Zum fehlenden Anspruch von Aktionären, am Verwaltungsverfahren vor der BAFin zur Überprüfung der Befreiung von einem Pflichtangebot beteiligt zu werden, OLG Frankfurt/ M. ZIP 2003, 1297 (ProSieben) = NZG 2003, 729. 97) BGH ZIP 2013, 1565 (Seibt) (BKN) = NZG 2013, 939 = EWiR § 35 WpÜG 1/13, 757 (Paschos/H. Witte). 98) OLG Frankfurt/M. ZIP 2003, 1392 (Wella) = NZG 2003, 1120; zuvor ebenso im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes OLG Frankfurt/M. ZIP 2003, 1251 (Wella) = NZG 2003, 829; bestätigt durch BVerfG ZIP 2004, 950 (Wella) = NJW 2004, 3031 = NZG 2004, 617. 99) Gegen eine Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktienverkäufer früher BGH WM 1976, 449 (VW/Audi NSU) = JZ 1976, 562 (Lutter). – Einen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (jenseits von speziellen Richtlinienbestimmungen) des euroäischen Gemeinschaftsrechts ebenfalls verneinend EuGH (Urt. v. 15.10.2009 – Rs. C-101/08), Slg. 2009, I-9823 (Audiolux) = ZIP 2009, 2241; siehe zuvor den Schlussantrag der Generalanwältin Trstenjak, ZIP 2009, 1613.

315

§ 4 Mitgliedschaft

Zur Verwirklichung dieser Ziele ordnet das Gesetz eine strenge Neutralitätspflicht der Verwaltung in dem gesamten Prozess an (dazu oben Rz. 3.145). 4.

Anmeldung bei der Gesellschaft

a)

Namensaktien und GmbH-Anteile

4.73 Von einer Übertragung der Mitgliedschaft braucht die Gesellschaft keine Kenntnis zu erlangen. Gleichwohl muss sie wissen, wer zur Gesellschafterversammlung einzuberufen ist und wer berechtigt ist, den Gewinnanspruch geltend zu machen. Der durch das MoMiG neu gefasste § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG macht daher zunächst – über das bisherige Recht hinaus, das nur eine nicht zwingend formgebundene Mitteilung an die Gesellschaft („Anmeldung“) vorsah100) – die Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten im Verhältnis zur Gesellschaft von der Eintragung des Gesellschafters in die Gesellschafterliste abhängig (ein Muster einer solchen Liste ist hinter Rz. 2.53 wiedergegeben). Vor dem Zeitpunkt der Eintragung gilt der Veräußerer der Gesellschaft gegenüber noch als Gesellschafter: der Erwerber muss Rechtshandlungen zwischen Veräußerer und Gesellschaft gegen sich gelten lassen101) (die dies früher ausdrücklich bestimmende Regelung des § 16 Abs. 2 GmbHG a. F. wurde durch das MoMiG nicht beibehalten, da sich diese Rechtsfolge bereits aus § 16 Abs. 1 GmbHG a. und n. F. ergibt; Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 38). Die Gesellschafterliste wird mit den Änderungen durch das MoMiG dogmatisch dem Aktienregister angenähert (Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 37; dazu im Übrigen sogleich Rz. 4.76). § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG stellt dabei klar, dass der Erwerber auch schon vor seiner Eintragung in die Liste Rechtshandlungen „in Bezug auf das Gesellschaftsverhältnis“ vornehmen kann (etwa Teilnahme an Abstimmung in der Gesellschafterversammlung), wenn er unverzüglich danach in die Gesellschafterliste aufgenommen wird; ansonsten werden seine zunächst schwebend unwirksamen Rechtshandlungen endgültig unwirksam. Der Geschäftsführer ist dabei – entsprechend der Lage im Aktienrecht – sowohl dem ___________ 100) Die Anmeldung hatte nur durch einen Gestaltungsakt von Veräußerer oder Erwerber zu erfolgen (zu den Grenzen einer konkludenten Anmeldung BGH ZIP 2001, 513, 514 f. = NJW 2001, 1647 = DStR 2001, 631 = NZI 2001, 249 = NZG 2001, 469 = EWiR § 177 BGB 1/01, 361 [Heckschen]); allerdings reichte eine bloße Kenntniserlangung durch die Gesellschaft nicht (BGH NJW-RR 1996, 1377 = DStR 1996, 1979 [Goette]); zu den (geringen) Anforderungen an den Nachweis des Anteilsübergangs gegenüber der Gesellschaft BGH ZIP 2008, 2214 f. 101) BGHZ 15, 324, 331; BGHZ 112, 103, 113 = ZIP 1990, 1057 = NJW 1990, 2622 = EWiR § 16 GmbHG 1/90, 1209 (Priester); BGH ZIP 1991, 724, 725 = EWiR § 16 GmbHG 2/91, 679 (von Gerkan); OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 607 = DB 1996, 568 = EWiR § 16 GmbHG 1/96, 361 (Dreher) (zum Erfordernis der Vollständigkeit: Beifügung der in der Satzung vorgeschriebenen Nachweise, etwa einer Zustimmungserklärung der Gesellschaft); Raiser/Veil, KapGesR, § 30 Rz. 15 (GmbH).

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III. Erwerb und Übertragbarkeit

Neu- wie dem Altgesellschafter gegenüber102) zur Einreichung der aktualisierten Gesellschafterliste zum Handelsregister verpflichtet (§ 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG); Verletzungen dieser Pflicht können eine Haftung nach § 40 Abs. 3 GmbHG n. F. auslösen. Ganz entsprechend dem neuen Ansatz wird auch für die Haftung auf rückständige Einlagen nunmehr auf den Zeitpunkt der Eintragung in der Gesellschafterliste abgestellt (§ 16 Abs. 2 [früher Abs. 3] GmbHG). Kernstück der Reform von § 16 GmbHG durch das MoMiG war aber die Ein- 4.73a führung der Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs von GmbH-Geschäftsanteilen im heutigen § 16 Abs. 3 GmbHG. Dadurch soll der zum Teil erhebliche Aufwand verringert werden, der bislang beim Erwerb von Geschäftsanteilen erforderlich war; denn im Rahmen einer „Due-Diligence-Prüfung“ musste ein Erwerber sämtliche Abtretungsvorgänge bis hin zur Gründung der Gesellschaft überprüfen, um letzte Sicherheit hinsichtlich der Berechtigung seines Veräußerers zu haben.103) Angelehnt an § 892 BGB, schützt das Gesetz den guten Glauben an die Verfügungsberechtigung des in der Liste Eingetragenen; dass diese Liste – anders als das Grundbuch – nicht staatlich, sondern privat geführt wird und deshalb der Vertrauensschutz nicht so weit wirken kann, wird dabei nicht verkannt.104) Daher ist es jetzt eine zentrale Obliegenheit eines Gesellschafters, sich nach Erlangung der Gesellschafterstellung um seine Eintragung in die Liste zu kümmern.105) Nur wenn die Unrichtigkeit der Gesellschafterliste dem Gesellschafter nicht zugerechnet werden kann (etwa: Einreichung einer falschen Liste durch den Geschäftsführer ohne Wissen des Gesellschafters), ist ein gutgläubiger Erwerb erst möglich, wenn die Liste hinsichtlich des Gesellschafters drei Jahre lang unrichtig ist.106) Während dieser Zeit hat der wahre Berechtigte Zeit, die Zuordnung eines Widerspruchs zur Liste zu veranlassen und auf diese Weise einen gutgläubigen Erwerb auszuschließen; die dafür erforderliche Prüfung ist heute ohne Weiteres online möglich. Freilich begründet allein der Widerspruch noch nicht die Berechtigung im Verhältnis zur Gesellschaft nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG.107) Nicht im Gesetz genannt ist auch die Gutgläubigkeit in Bezug ___________ 102) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 38; zur daneben bestehenden, aus § 43 GmbHG folgenden Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, eine Änderung im Gesellschafterbestand anzuzeigen oder das Handelsregister auf Fehler in der Liste hinzuweisen, sogleich Rz. 4.74). 103) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 38. 104) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 38; kritisch aus diesem Grunde Kort, GmbHR 2009, 169, 174 ff. 105) Für das „Vertrauen“ auf bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes in der Gesellschafterliste bestehende Unrichtigkeiten, die dem Berechtigten zuzurechnen sind, gewährt das MoMiG eine „Gnadenfrist“ von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes (§ 3 Abs. 3 Satz 1 EGGmbHG). 106) Für vor Inkrafttreten des MoMiG gegründete Gesellschaften müssen zudem nach § 3 Abs. 3 Satz 2 EGGmbHG drei Jahre seit Inkrafttreten des Gesetzes vergangen sein. 107) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 39.

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§ 4 Mitgliedschaft

auf die Lastenfreiheit, so dass insoweit ein gutgläubiger Erwerb ausscheidet.108) Gleiches gilt nach Ansicht des BGH für bloß künftige Änderungen des Gesellschafterbestandes, da die Gesellschafterliste nur den aktuellen Gesellschafterbestand ausweisen kann und darf; daher kann die Liste (bedauerlicherweise) auch nicht den Gutglaubensschutz eines Zweiterwerbers eines aufschiebend bedingt abgetretenen Geschäftsanteils begründen.109) Auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens findet die Norm keine Anwendung mehr, weil § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO – mit Blick auf den privaten Charakter der Liste zu Recht – nicht geändert wurde.110) Insgesamt bleibt aber die Regelung zum gutgläubigen Erwerb nach wie vor hinter dem Ansatz des englischen Rechts zurück, das durch die Möglichkeit einer Verbriefung der Anteile (auch) einer Limited einen noch weitergehenden gutgläubigen Erwerb ermöglicht.111) 4.74 Im Zusammenhang mit der Regelung des gutgläubigen Erwerbs vollständig neu gefasst (und stärker an das Aktienregister angelehnt) wurden die Regelungen zur Gesellschafterliste und ihrer Einreichung. Als Grundsatz statuiert jetzt § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, dass die Geschäftsführer unverzüglich nach Wirksamwerden jeder Veränderung im Gesellschafterbestand oder im Umfang deren Beteiligung eine von ihnen unterschriebene Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen haben. Eine Änderung der Liste erfolgt nach § 40 Abs. 1 Satz 2 GmbHG „auf Mitteilung und Nachweis“; die Geschäftsführer unterliegen also einer Prüfpflicht, für deren Verletzung sie nach § 40 Abs. 3 GmbHG den Beteiligten haften, deren Beteiligung sich geändert hat (die frühere Haftungsregelung des § 40 Abs. 2 GmbHG a. F. beschränkte sich auf eine Haftung gegenüber etwa geschädigten Gläubigern). Hat ein Notar an Veränderungen im Gesellschafterbestand mitgewirkt, so muss er unverzüglich nach deren Wirksamwerden, aber ohne Rücksicht auf etwaige später eintretende Unwirksamkeitsgründe (Anfechtung, auflösende Bedingung etc.), die Liste anstelle der Geschäftsführer unterschreiben, zum Handelsregister einreichen und eine Abschrift an die Gesellschaft übermitteln; zugleich muss er bestätigen, dass die geänderten Eintragungen den Veränderungen entsprechen, an denen er mitge-

___________ 108) Gehrlein, Konzern 2007, 771, 791. 109) BGHZ 191, 84 Tz. 13 ff. = ZIP 2011, 2141 = DStR 2011, 2206 = EWiR § 16 GmbHG 2/2011, 811 (Starner); ebenso als Vorinstanz OLG Hamburg ZIP 2010, 2097 sowie OLG München ZIP 2011, 612, 613 f. (m. zu Recht krit. Anm. Herrler) = NZG 2011, 473; zust. Kort, DB 2011, 2897; krit. Bayer, GmbHR 2011, 1254; Herrler, ZIP 2011, 615, 616; Wicke, DStR 2011, 2356. 110) Abw., weil dies ein Redaktionsversehen sei, Gehrlein, Konzern 2007, 771, 787 f.; Vossius, DB 2007, 2299, 2302. 111) Kasolowsky/Schall, in: Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006), § 5 Rz. 91.

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III. Erwerb und Übertragbarkeit

wirkt hat, und die übrigen Eintragungen mit der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Liste übereinstimmen (§ 40 Abs. 2 GmbHG).112) Eine Anmeldung bei der Gesellschaft in Form von Löschung und Neueintragung 4.75 verlangt § 67 Abs. 2 AktG n. F. auch bei der Übertragung von Namensaktien. Zu diesem Zweck ist der Rechtsübergang der Gesellschaft mitzuteilen und ihr nachzuweisen (§ 67 Abs. 2 AktG n. F.); das früher hierbei bestehende umständliche Erfordernis einer Vorlegung der Aktie (§ 68 Abs. 3 Satz 2 AktG a. F.) wurde durch das NaStraG aufgehoben. Bei der Prüfung des Rechtsübergangs ist die Gesellschaft verpflichtet, die Ordnungsmäßigkeit der Reihe der Indossamente, nicht aber die Unterschriften zu prüfen (§ 68 Abs. 3 – vor Inkrafttreten des NaStraG Abs. 4 – AktG). Bei börsennotierten Gesellschaften, deren Aktien als Globalurkunde verbrieft sind, können diese Übertragungsvorgänge in elektronischer Form gemeldet werden.113) Sodann wird der Rechtsübergang im Aktienregister (früher „Aktienbuch“) ver- 4.76 merkt. Dort sind Name, Geburtsdatum und Anschrift des Inhabers sowie Stückzahl und Aktiennummer bzw. bei Nennbetragsaktien der Betrag anzugeben (§ 67 Abs. 1 Satz 1 AktG); zu diesem Zweck muss der Inhaber diese Angaben der Gesellschaft mitteilen (§ 67 Abs. 1 Satz 2 AktG). Zulässig ist im Einverständnis mit dem Aktionär auch die Eintragung eines Treuhänders („Legitimationsaktionär“) im eigenen Namen; um zu verhindern, dass auf diesem Wege Aktionäre ihre Identität dauerhaft verdecken, gestattet der durch das Risikobegrenzungsgesetz im Jahr 2008 eingefügte § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG aber, diese Möglichkeit durch die Satzung zu beschränken.114) Möglich ist dabei auch eine Eintragung der verwahrenden Bank („Platzhalteraktionär“; „street address“); die von der Gesellschaft nach § 67 Abs. 4 Satz 5 (früher Satz 2) AktG (eingeführt durch das UMAG) auf ihre Kosten auch verlangt werden kann. Auf Verlangen der Gesellschaft muss der Eingetragene aber seit 2008 der Gesellschaft mitteilen, inwieweit ihm die Aktien, als deren Inhaber er eingetragen ist, auch gehören bzw. wem sie gehören (§ 67 Abs. 4 Satz 2 AktG). Verstöße gegen diese Pflicht oder gegen eine satzungsmäßige Pflicht zur Offenlegung des wahren Berechtigten115) oder das Überschreiten einer satzungsmäßigen Höchstgrenze für solche Eintragungen führen zum Stimmrechtsausschluss für diese Aktien (§ 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG; dazu näher oben Rz. 3.264a); zudem sind sie zum Teil bußgeldbewehrt (§ 405 Abs. 2a AktG). Einer börsennotierten Aktiengesellschaft erlaubt die Registrierung der Aktionäre im Aktienregister eine direkte ___________ 112) 113) 114) 115)

Hierzu ausfürlich Kort, GmbHR 2009, 169, 171 ff. Zum Ganzen Noack, ZIP 1999, 1993, 1995 ff. Zu zahlr. Einzelheiten und Unstimmigkeiten der Reform Noack, NZG 2008, 721 ff. Zur Beschränkung der Offenlegungspflicht auf den Fall satzungsmäßiger Verpflichtung (also nicht für den Fall fehlender Satzungsregelung) Grigoleit/Rachlitz, ZHR 174 (2010), 12, 31 ff.

319

§ 4 Mitgliedschaft

Kommunikation mit ihren Aktionären („investor relations“) ohne den (eventuell teureren) Umweg über die sog. Depotbank (§ 67 Abs. 6 Satz 3 AktG); denn die von der Gesellschaft zu tragenden (§ 67 Abs. 4 Satz 1 und 5 [zunächst Satz 2] AktG116) Kosten des Aktienregisters kann diese selbst beeinflussen. Einer werblichen Nutzung der Daten durch die Gesellschaft darf der Aktionär aber widersprechen (§ 67 Abs. 6 Sätze 4 und 5 AktG).117) 4.77 Auch gegenüber der Aktiengesellschaft gilt nur als Aktionär, wer im Aktienregister eingetragen ist (§ 67 Abs. 2 AktG). Der Aktionär kann daher von der Gesellschaft Auskunft (nur) über die zu seiner Person in das Register eingetragenen Daten verlangen (§ 67 Abs. 6 Satz 1 AktG). Das kann bei nicht börsennotierten Gesellschaften in der Satzung aber erweitert werden (§ 67 Abs. 6 Satz 2 AktG). Mit der Neufassung von § 67 Abs. 6 AktG durch das NaStraG wurde der früher bestehende unbeschränkte Auskunftsanspruch jedes Aktionärs über den ganzen Inhalt des Aktienbuchs (§ 67 Abs. 5 AktG a. F.) aus Datenschutzgründen deutlich eingeschränkt. Doch wird damit zugleich die Kommunikation zwischen Aktionären erschwert, die sonst das Aktienregister hätten nutzen können, um Mehrheiten in der Hauptversammlung zu gewinnen. Deshalb sollte die Norm teleologisch dahingehend reduziert werden, dass sie einer Weiterleitung von gesellschaftsbezogenen Informationen an die Mitaktionäre nicht entgegensteht, wenn diese auf Kosten eines Aktionärs erfolgt und dieser die Identität seiner Mitaktionäre nicht erfährt. Die Regelung steht zudem in einem Wertungswiderspruch zu §§ 21 ff. WpHG, die bei einer maßgeblichen Beteiligung sogar eine (bußgeldbewehrte) Offenlegung von Beteiligung und deren Umfang gebieten. Dass unterhalb dieser – im internationalen Vergleich eher hoch angesetzten – Grenze die Offenlegungspflicht sogleich in ein Transparenzverbot umschlagen soll, ist wenig einsichtig.118) 4.78 Wegen des Anmeldeverfahrens bei der Gesellschaft (§ 16 Abs. 1 GmbHG, § 67 Abs. 2 AktG) ist die Gesellschaft bei etwaigen Mängeln des Übertragungsgeschäfts geschützt. Im Verhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber brauchen daher andererseits die personengesellschaftsrechtlichen Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft nicht angewendet zu werden. Daher kann etwa die Übertragung eines GmbH-Geschäftsanteils mit Wirkung ex tunc (§ 142 Abs. 1 BGB) ange___________ 116) Der Kostenerstattungsanspruch der Kreditinstitute, die der Gesellschaft die für die Führung des Aktienregisters bei Namensaktien erforderlichen Angaben übermitteln, gegen die Gesellschaft richtet sich nach § 3 der Verordnung über den Ersatz von Aufwendungen der Kreditinstitute v. 17.6.2003 (BGBl. I, 885) (auch wiedergegeben mit Einführung durch Seibert und Begründung in ZIP 2003, 1270). 117) Zum Aktienregister Noack, ZIP 1999, 1993, 1995 ff.; zu den Verwendungsmöglichkeiten der Aktienregisterdaten Noack, DB 2001, 27, 28 ff. 118) Zu den Widersprüchen auch Noack, DB 2001, 27 und 28 f.; enger noch ders., ZIP 1999, 1993, 1997 f.

320

IV. Verlust

fochten werden.119) Etwa noch offene Einlagepflichten im Verhältnis zur Gesellschaft bleiben aber bestehen (dazu unten Rz. 6.21). Vom Zeitpunkt der Anmeldung an haftet der Erwerber gesamtschuldnerisch 4.79 neben dem Veräußerer für die noch ausstehenden Verbindlichkeiten des Veräußerers gegenüber der Gesellschaft (§ 16 Abs. 3 GmbHG), und zwar auf die volle Schuld (unabhängig von etwaigen internen Ausgleichs- oder Regressansprüchen) und auch dann, wenn der Geschäftsanteil später wieder auf den Veräußerer zurück übertragen wird.120) Im Gegensatz dazu tritt eine Haftung der Vormänner wegen noch ausstehender Einlageleistungen im Aktienrecht nur subsidiär ein (§ 65 Abs. 1 AktG). b)

Inhaberaktien

Keinerlei Anmeldung bei der Gesellschaft bedarf es bei der Übertragung von 4.80 Inhaberaktien bei der Aktiengesellschaft. Der Gesellschaft gegenüber kann hier der Nachweis über die Mitgliedschaft durch Vorlage der Aktie erbracht werden. Für den wichtigsten Fall, den Nachweis der Dividendenberechtigung, reicht allerdings die Vorlage des Kupons (§ 803 BGB). Für die Teilnahme an der Hauptversammlung reicht bei Publikumsaktiengesellschaften die Vorlage der Hinterlegungsbescheinigung (§ 123 Abs. 2 AktG) aus; die Satzung kann dies anders ausgestalten und weiter konkretisieren; bei börsennotierten Gesellschaften reicht in jedem Fall ein in Textform erstellter Nachweis des Anteilsbesitzes durch das depotführende Institut aus (§ 123 Abs. 3 AktG). Eine Haftung für noch ausstehende Einlageforderungen kann es weder beim 4.81 Alt- noch beim Neuaktionär geben. Denn Inhaberaktien können überhaupt nur ausgegeben werden, wenn die Einlage vollständig erbracht ist (§ 10 Abs. 2 AktG). IV.

Verlust

1.

Austritt

Die Kapitalgesellschaften sehen für den Regelfall keinen Verlust der Mitglied- 4.82 schaft durch Austritt und Auflösung der entsprechenden Mitgliedsstelle vor. Sie gehen vielmehr davon aus, dass ein Ausscheiden aus der Gesellschaft durch Veräußerung des Anteils stattfindet, ohne dass davon die Gesellschaftssphäre betroffen wird. Das entspricht seit Inkrafttreten des HRefG der Rechtslage auch bei den Personengesellschaften, nicht aber bei der BGB-Gesellschaft. Diese Blickweise setzt aber einen entsprechenden Markt für die Beteiligung ___________ 119) BGH ZIP 1990, 371, 373 f. = NJW 1990, 1915 f. = EWiR § 16 GmbHG 1/91, 65 (Heinemann); BGH ZIP 1995, 1085, 1086; zust. Grunewald, ZGR 1991, 452. 120) BGHZ 68, 191, 197; BGH ZIP 1991, 724, 726 = EWiR § 16 GmbHG 2/91, 679 (von Gerkan); BGHZ 173, 1 = ZIP 2007, 1705 = NZG 2007, 704; Goette, ZInsO 2007, 1177, 1178 f.; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 16 GmbHG Rz. 22 ff.

321

§ 4 Mitgliedschaft

voraus, wie er bei der GmbH selten und bei der Aktiengesellschaft regelmäßig nur im Falle der Börsennotierung vorliegt.121) 4.83 Daher wird ähnlich dem Recht der Gesellschaftermehrheit zum Ausschluss aus wichtigem Grund auch ein Recht des Kapitalgesellschafters zum freiwilligen Ausscheiden als zwingendes, unverzichtbares Mitgliedschaftsrecht angenommen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.122) Das bringt heute § 314 BGB für alle Dauerschuldverhältnisse als allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck. Eine Erklärung des Austritts hat dabei in der Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu erfolgen. Im Fall des Austritts steht dem ausscheidenden Gesellschafter ein Anspruch auf vollwertige Abfindung zu. Dessen Festlegung in der Satzung darf nicht dazu missbraucht werden, das Austrittsrecht auszuhebeln (dazu unten Rz. 4.94 ff.). 4.83a In einer börsennotierten Aktiengesellschaft kann sich schließlich ein Austrittsrecht der im Anschluss an ein Übernahme- oder Pflichtangebot in der Gesellschaft verbliebenen Aktionäre in Form eines Andienungsrechts ergeben, wenn der Mehrheitsaktionär einen Antrag nach §§ 39a f. WpÜG stellen könnte (Art. 16 Dreizehnte Richtlinie, § 39c WpÜG; dazu näher unten Rz. 4.93a). 2.

Ausschluss

4.84 Ebenso wenig wie einen (freiwilligen) Austritt kennt das Kapitalgesellschaftsrecht allgemeine Regelungen über den Ausschluss – das unfreiwillige Ausscheiden – von Gesellschaftern. Das gilt für die Europäische Aktiengesellschaft ganz entsprechend, so dass insoweit auch hier die nationalen Regelungen des Sitzstaats der SE heranzogen werden müssen.123) a)

Kaduzierung und Zwangseinziehung

4.85 Gesetzlich vorgesehen ist lediglich die Möglichkeit der Kaduzierung für den Fall nicht rechtzeitiger Einlageleistung (§ 64 AktG, § 21 GmbHG; dazu unten Rz. 5.45). Darüber hinaus kommt zwar die Möglichkeit einer zwangsweisen Einziehung von Anteilen in Betracht, aber nur dann, wenn diese Möglichkeit in der Satzung vorgesehen und den Gesellschaftern damit bekannt war (Art. 40 ___________ 121) Ähnlich Raiser/Veil, KapGesR, § 11 Rz. 77; Schindler, Das Austrittsrecht in Kapitalgesellschaften (1999), S. 19 ff. 122) BGHZ 9, 157, 162 f.; BGHZ 116, 359, 369 = ZIP 1992, 237, 240 = NJW 1992, 892 = EWiR § 138 BGB 2/92, 321 (Wiedemann); BGH (Urt. v. 18.2.2014 – II ZR 174/11), ZIP 2014, 873 = NZG 2014, 541 = EWiR 2014, 581 (Schodder) (dort auch zur Möglickeit eines alternativen einvernehmlichen Ausscheidens, wenn ein wichtiger Grund fehlt); OLG Karlsruhe BB 1984, 2015, 2016; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, Anh. § 34 GmbHG Rz. 18; Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, § 34 GmbHG Rz. 70; Raiser/Veil, KapGesR, § 12 Rz. 77 (AG), § 30 Rz. 67 ff. (GmbH); Schindler, Das Austrittsrecht in Kapitalgesellschaften (1999), S. 44 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 35 IV 3, S. 1064 ff. (GmbH); Wiedemann, GesR I, S. 400 f. 123) Hirte, NZG 2002, 1, 9.

322

IV. Verlust

[früher Art. 36] Abs. 1 a Zweite Richtlinie, § 237 Abs. 1 AktG, § 34 Abs. 1 und 2 GmbHG).124) Eine solche Satzungsgestaltung kommt in einer personenbezogenen Gesellschaft etwa für den Tod oder für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters in Betracht.125) Die Zwangseinziehung erfolgt auf der Grundlage eines Beschlusses der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung (Art. 40 [früher Art. 36] Abs. 1 b Zweite Richtlinie, § 237 Abs. 2 i. V. m. § 222, § 237 Abs. 4 AktG [Ausnahme: § 237 Abs. 6 AktG], § 46 Nr. 4 GmbHG). Sie bewirkt eine Vernichtung des entsprechenden Mitgliedschaftsrechts und – nur bei der Aktiengesellschaft – eine Kapitalherabsetzung im Umfang des eingezogenen Anteils (§ 238 AktG).126) Der ausscheidende Gesellschafter hat einen Anspruch auf Abfindung in Höhe 4.86 des vollen wirtschaftlichen Werts seiner Beteiligung (Verkehrswert) im Zeitpunkt des Ausscheidens (zur Frage nicht vollwertiger Abfindung unten Rz. 4.94 ff.).127) Doch darf deren Zahlung nicht zu Lasten des Nennkapitals gehen (§ 34 Abs. 3 GmbHG). Deshalb ist die Zwangseinziehung im Aktienrecht von vornherein mit einer Kapitalherabsetzung verbunden (§ 238 AktG; vgl. auch Art. 40 [früher Art. 36] Abs. 1 d i. V. m. Art. 36 [früher Art. 32] Zweite Richtlinie); im GmbH-Recht ist sie dies wegen der weniger weit reichenden Kapitalbindung zwar nicht, doch muss im Hinblick auf § 34 Abs. 3 GmbHG unter Umständen gleichwohl eine Kapitalherabsetzung durchgeführt werden, um die entsprechenden Abfindungsbeträge aus dem Gesellschaftsvermögen zahlen zu können. Eine vor diesem Hintergrund denkbare Einziehung unter der aufschiebenden Bedingung einer Abfindungszahlung aus freiem Vermögen hält der BGH für unzulässig; denn die nach dieser Lösung eintretende Schwebelage ist für den ausscheidenden Gesellschafter unzumutbar. Deshalb sollen auch die Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst haben, dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig ___________ 124) BGH ZIP 1999, 1843 = NJW 1999, 3779 = DStR 1999, 1951 (Goette) = § 34 GmbHG 1/99, 1125 (Kort) = LM H. 3/2000 § 34 GmbHG Nr. 19 (Cahn); Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 35 f. (AG). 125) BGHZ 105, 213 = ZIP 1989, 36 = NJW 1989, 834 = EWiR § 140 HGB 1/89, 377 (Müller) (Tod eines Mitgesellschafters kommt als Ausschließungs- oder Kündigungsgrund in Betracht); BGH ZIP 1995, 567, 569 = EWiR § 34 GmbHG 2/95, 675 (Bayer); OLG Hamburg ZIP 1996, 962 (aber nur, wenn Pfändungsmaßnahme zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch fortbesteht); OLG Frankfurt/M. ZIP 1998, 1107 (inzwischen rkr.) (auch noch nach Bestätigung eines Vergleichs, selbst wenn diese erst ein Jahr nach Eröffnung des Vergleichsverfahrens erfolgt); Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 10. 126) Abweichend für die GmbH, wenn nicht ausdrücklich beschlossen (keine Kapitalherabsetzung, sondern verhältnismäßige Erhöhung der übrigen Anteile): BGH ZIP 1988, 1046, 1047 = NJW 1989, 168, 169 = EWiR § 17 GmbHG 1/88, 1209 (Priester); Grunewald, GesR, § 13 Rz. 192 (GmbH); Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 20. 127) BGHZ 116, 359 = ZIP 1992, 237 = NJW 1992, 892 = EWiR § 138 BGB 2/92, 321 (Wiedemann); Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 34 GmbHG Rz. 22. Hat ein Geschäftsanteil keinen wirtschaftlichen Wert, soll ein Ausschluss aus wichtigem Grund auch ohne Festlegung einer Abfindung seitens des Gerichts zulässig sein: OLG Brandenburg ZIP 2002, 1806, 1807.

323

§ 4 Mitgliedschaft

auf die Abfindung haften, wenn sie nicht dafür sorgen, dass diese aus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen.128) Als Alternative erscheint daher bei der GmbH eine satzungsmäßige Verpflichtung denkbar, den Geschäftsanteil an einen anderen Gesellschafter abzutreten.129) 4.87 Wird auf der Grundlage der Satzung die Einziehung eines Geschäftsanteils gegen Entschädigung beschlossen, bestehen die Gesellschafterrechte bis zur vollständigen Zahlung des Einziehungsentgelts fort und kommen auch nicht zum Ruhen.130) Durch diesen Grundsatz werden die ohnehin bereits bestehenden Konflikte zwischen dem Gesellschafter, dessen Ausscheiden bereits feststeht, und den verbleibenden Gesellschaftern noch verstärkt. Die Satzung kann aber aus genau diesen Gründen anordnen, dass ein kündigender Gesellschafter schon vor Zahlung seiner Abfindung endgültig aus der Gesellschaft ausscheidet.131) b)

Ausschluss aus wichtigem Grund

4.88 Die Zwangseinziehung setzt eine vor Eintritt des auszuschließenden Gesellschafters geschaffene satzungsmäßige Grundlage für den Ausschluss voraus. Fehlt diese, stellt sich die Frage, ob gleichwohl ein Ausschluss möglich ist. Dies wird im GmbH-Recht für den Fall, dass in der Person des auszuschließenden Gesellschafters ein wichtiger Grund vorliegt, in Analogie zu § 737 Satz 1 BGB, § 140 HGB heute allgemein bejaht.132) Bei einer geschlossenen Aktiengesellschaft erscheint es wegen der gleichen Interessenlage ebenfalls möglich, den Ausschluss eines Aktionärs auch ohne satzungsmäßige Grundlage dann zuzulassen, wenn in seiner Person ein wichtiger Grund vorliegt.133) ___________ 128) BGHZ 192, 236 Tz. 13 ff. = ZIP 2012, 422 = NZG 2012, 259 = DStR 2012, 568 = EWiR § 34 GmbHG 1/12, 177 (Lutter). 129) Zu einem solchen Fall BGH DStR 2000, 437 (geschützt werden durch eine solche Gestaltung die Mitgesellschafter, nicht die Gläubiger bzw. der Insolvenzverwalter). 130) BGH und OLG Zweibrücken DStR 1997, 1336 (Goette); OLG Frankfurt/M. ZIP 1997, 644 = NJW-RR 1997, 612 = GmbHR 1997, 171 = WiB 1997, 416 (Jasper) = EWiR § 34 GmbHG 1/97, 301 (H. P. Westermann); im Anschluss an BGHZ 88, 320, 325 ff. = NJW 1984, 489 = ZIP 1983, 1444 (für die satzungsmäßige Kündigung). 131) BGH ZIP 2003, 1544, 1546 = NJW 2004, 1865 = NJW-RR 2003, 1265 = NZG 2003, 871 = EWiR § 34 GmbHG 3/03, 1087 (Weipert); offengelassen für den Fall des Fehlens einer vertraglichen Regelung von BGHZ 139, 299, 301 f. = ZIP 1998, 1836 = NJW 1998, 3646 = NZG 1998, 985 = DStR 1998, 1688. 132) BGHZ 9, 157, 159 ff.; BGHZ 16, 317, 322; BGHZ 32, 17, 22; BGHZ 80, 346, 349 f. = ZIP 1981, 985; BGHZ 153, 285 = ZIP 2003, 395, 396 f. = NJW 2003, 2314 = NZG 2003, 286 = EWiR § 34 GmbHG 1/03, 329 (Wilhelmi); BGH NJW-RR 2003, 470 = NZG 2003, 284 = DStR 2003, 1178 = ZIP 2003, 435; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, Anh. § 34 GmbHG Rz. 2. 133) Becker, ZGR 1986, 383 ff.; Hommelhoff/Freytag, DStR 1996, 1367, 1372 (zur Übertragung auf die AG).

324

IV. Verlust

Was ein wichtiger Grund ist, wird im Kapitalgesellschaftsrecht in Anlehnung 4.89 an die Rechtsprechung im Personengesellschaftsrecht konkretisiert. Dort sind zunächst nach ständiger Rechtsprechung des BGH gesellschaftsvertragliche Bestimmungen nichtig, die einem Gesellschafter oder der Gesellschaftermehrheit das Recht einräumen, einen oder mehrere Mitgesellschafter nach freiem Ermessen aus der Gesellschaft auszuschließen.134) Beispiele: Eine inhaltliche Konkretisierung der Voraussetzungen, unter denen ein Ausschluss erfolgen darf, hat der BGH in einer anderen Entscheidung vorgenommen. Danach stellen persönliche Spannungen unter den verwandten bzw. verschwägerten Gesellschaftern wegen einer Erbschaft wie auch gesellschaftsbezogene Meinungsverschiedenheiten keinen wichtigen Grund dar, der die Ausschließung eines Kommanditisten aus einer Kommanditgesellschaft rechtfertigen könnte.135) In einer Kommanditgesellschaft wurde aber etwa die Unterschlagung von Büchern im Wert von 280.000 DM durch einen Kommanditisten, der zugleich Geschäftsführer der Komplementär-GmbH war, als ein zur Ausschließung des Kommanditisten aus der Gesellschaft rechtfertigender wichtiger Grund angesehen.136) Für zulässig hielt der BGH es auch, dass als Grund für die Ausschließung die ordentliche Beendigung eines neben der gesellschaftsrechtlichen Beziehung bestehenden Kooperationsvertrages genannt wird, dem gegenüber die gesellschaftsrechtliche Bindung von gänzlich untergeordneter Bedeutung ist.137) Ganz allgemein wird man das Entfallen von Mitgliedsvoraussetzungen auch als Grund für einen Ausschluss ansehen können.138)

4.90

Auch bei einem solchen Ausschluss besteht ein Anspruch auf volle Abfindung, 4.91 die allerdings nicht zu Lasten des Nennkapitals gehen darf. Dies kann dazu führen, dass – wird nicht eine Kapitalherabsetzung durchgeführt oder ein Kredit aufgenommen – eine geschuldete Abfindung aus Gründen des Gläubigerschutzes über einen längeren Zeitraum hinweg gezahlt werden muss. Von diesen Grundsätzen hat der BGH aber kürzlich zu Recht eine Ausnahme ge- 4.91a macht, wenn einem Geschäftsführer die Beteiligung (i. c. Minderheitsbeteiligung) nur im Hinblick auf seine Geschäftsführerstellung gegen ein Entgelt in Höhe des

___________ 134) BGHZ 68, 212 = NJW 1977, 1292; BGHZ 81, 263, 266 = ZIP 1981, 978 = NJW 1981, 2565; BGHZ 107, 351 = ZIP 1989, 849 = NJW 1989, 2681 (aber: Gültigkeit der Klausel, soweit sie die Ausschließung aus wichtigem Grund zulässt; dazu Fastrich, ZGR 1991, 306); BGHZ 105, 213 = ZIP 1989, 36 = NJW 1989, 834 = EWiR § 140 HGB 1/89, 377 (Müller) (Tod eines Mitgesellschafters kommt als Ausschließungs- oder Kündigungsgrund in Betracht); BGHZ 125, 74 = ZIP 1994, 455 = NJW 1994, 1156 = EWiR § 230 HGB 1/94, 585 (Blaurock) (atypische stille Gesellschaft); BGHZ 164, 98 = NJW 2005, 3641 = NZG 2005, 968 = ZIP 2005, 1917. 135) BGH ZIP 1995, 113 = NJW 1995, 597 = EWiR § 749 BGB 1/95, 241 (Aderhold). 136) BGH NJW 1999, 2820 = ZIP 1999, 1355 = DB 1999, 1698 = DStR 1999, 1324 = EWiR § 140 HGB 1/99, 893 (W. Müller). 137) BGH BB 2005, 957 = DStR 2005, 798 = ZIP 2005, 706 = EWiR § 246 AktG 1/05, 621 (Wagner). 138) Zu einem vergleichbaren Fall im Personengesellschaftsrecht BGH ZIP 2003, 843 = NJW 2003, 1729 = NJW-RR 2003, 820 = NZG 2003, 525 = EWiR § 738 BGB 1/03, 624 (F. Wagner/Radlmayr).

325

§ 4 Mitgliedschaft

Nennbetrags des überlassenen Anteils übertragen wurde und er diese im Fall seines Ausscheidens gegen eine begrenzte Abfindung zurückübertragen soll („Managermodell“).139) Zudem hat er hier – wie er für den Parallelfall der Einräumung einer solchen Gesellschafterstellung an verdiente Mitarbeiter entschied – eine Beschränkung des Abfindungsguthabens auf den für den Erwerb des Anteils gezahlten Betrag für zulässig erachtet.140)

4.92 Verfahrensmäßig wird in Anlehnung an § 140 HGB verlangt, dass die Gesellschaft – bei Zweipersonengesellschaften auch der andere Gesellschafter – eine Gestaltungsklage erhebt.141) Sie setzt in der mehrgliedrigen Gesellschaft einen mit qualifizierter Mehrheit unter Ausschluss des Betroffenen gefassten Gesellschafterbeschluss voraus.142) Mängel dieses Beschlusses sind allein im Anfechtungsverfahren entsprechend § 246 AktG geltend zu machen, während das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Ausschließungsprozess zu überprüfen ist.143) Das Klageerfordernis kann allerdings im Gesellschaftsvertrag durch ein Ausschlussrecht der Gesellschafterversammlung oder einzelner Gesellschafter ersetzt werden.144) c)

Ausschluss von Minderheitsaktionären

4.93 In sachlichem Zusammenhang zu den Regelungen des WpÜG – allerdings nicht auf den Erwerb von Wertpapieren durch Übernahme oder Pflichtangebot beschränkt – stand die Aufnahme der sog. Squeeze-out-Regelung in das Aktiengesetz. Die in §§ 327a ff. AktG aufgenommene Regelung gibt dem Mehrheitsaktionär, der mindestens 95 % der Anteile einer Aktiengesellschaft oder KGaA besitzt („Hauptaktionär“), die Möglichkeit, die übrigen Minderheitsaktionäre durch Hauptversammlungsbeschluss gegen Gewährung einer Barabfindung aus der Gesellschaft auszuschließen. Das Verfahren diente – jedenfalls zunächst – als Ausgleich dafür, dass ein (faktischer) Mehrheitsaktionär nach dem WpÜG gezwungen ist, ein Pflichtangebot nach § 35 Abs. 1 WpÜG an alle anderen ___________ 139) BGHZ 164, 98 = NJW 2005, 3641 = NZG 2005, 968 = ZIP 2005, 1917; hierzu Battke/ Grünberg, GmbHR 2006, 225; Böttcher, NZG 2005, 992; Büttner/Tonner, MDR 2006, 21; Gehrlein, NJW 2005, 1969; Hohaus/Weber, NZG 2005, 961; Peltzer, ZGR 2006, 702; Werner, WM 2006, 213. 140) BGHZ 164, 107 = NJW 2005, 3644 = NZG 2005, 971 = ZIP 2005, 1920. 141) BGHZ 9, 157, 166; BGHZ 16, 317, 322; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, Anh. § 34 GmbHG Rz. 8 ff. 142) BGH ZIP 1999, 1843 = NJW 1999, 3779 = DStR 1999, 1951 (Goette) = EWiR § 34 GmbHG 1/99, 1125 (Kort) = LM H. 3/2000 § 34 GmbHG Nr. 19 (Cahn); BGHZ 153, 285 = ZIP 2003, 395, 396 f. = NJW 2003, 2314 = NZG 2003, 286 = EWiR § 34 GmbHG 1/03, 329 (Wilhelmi); BGH NJW-RR 2003, 470 = NZG 2003, 284 = DStR 2003, 1178 = ZIP 2003, 435; vgl. auch Wolf, ZGR 1998, 92. 143) BGHZ 153, 285 = ZIP 2003, 395, 396 f. = NJW 2003, 2314 = NZG 2003, 286 = EWiR § 34 GmbHG 1/03, 329 (Wilhelmi). 144) BGH NJW-RR 1997, 925 (KG); OLG Stuttgart WM 1989, 1252; Fastrich, in: Baumbach/ Hueck, Anh. § 34 GmbHG Rz. 8.

326

IV. Verlust

Aktionäre abzugeben (oben Rz. 4.72). Allerdings hat das Gesetz schon in der ursprünglichen aktienrechtlichen Regelung die Möglichkeit des squeeze out nicht auf diesen Fall beschränkt. Verfassungsrechtlich ist die Ausschlussmöglichkeit nicht unproblematisch. Doch hat das BVerfG in der kurz vor Inkrafttreten der §§ 327a ff. AktG ergangenen Moto-Meter-Entscheidung zu erkennen gegeben, dass es das Verfahren als mit dem Grundgesetz vereinbar ansieht, wenn und soweit den ausscheidenden Aktionären eine volle Entschädigung zukommt (dazu näher unten Rz. 7.6); damit reduziert es den tatsächlichen Schutz der Gesellschafterstellung zugunsten eines bloß (vermögensmäßigen) Anlegerschutzes.145) Auch mit Blick auf diese verfassungsrechtlichen Vorgaben unterliegt die Festlegung der Barabfindung der gerichtlichen Kontrolle im Verfahren nach dem Spruchverfahrensgesetz (§ 327h AktG i. V. m. § 1 Nr. 3 SpruchG; dazu näher unten Rz. 8.88). Aus ähnlichen Erwägungen gestattete der BGH einem nach §§ 327a ff. AktG ausgeschlossenen Aktionär, eine von ihm erhobene Anfechtungsklage analog § 256 Abs. 2 ZPO fortzuführen, wenn er daran ein rechtliches Interesse hat.146) Inzwischen ist das aktienrechtliche Ausschlussverfahren freilich zunächst durch 4.93a ein eigenständiges kapitalmarktrechtliches Squeeze-out-Verfahren ergänzt worden, das tatsächlich nur im Anschluss an ein vorgängiges Angebotsverfahren zulässig ist, ohne dass allerdings die §§ 327a ff. AktG aufgehoben worden wären. Der durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz eingefügte Abschnitt 5a statuiert nunmehr ebenso wie die schon früher geschaffenen §§ 327a ff. AktG ein Ausschlussrecht („squeeze out“) des Mehrheitsaktionärs, jedoch nur im Anschluss an ein Übernahme- oder Pflichtangebot (Art. 15 Dreizehnte Richtlinie, §§ 39a f. WpÜG). Voraussetzung ist, dass dem Bieter nach Durchführung des Angebotsverfahrens mehr als 95 % des Grundkapitals der Zielgesellschaft zustehen. Ein Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung ist dabei nicht vorgesehen; denn die auszuschließenden Aktionäre können sämtliche Einwendungen im gerichtlichen Ausschlussverfahren nach § 39b WpÜG geltend machen. Zudem (und vor allem) statuiert das Gesetz die unwiderlegliche Vermutung, dass der Angebotspreis nach § 31 WpÜG bei Erreichen einer 90 %igen Annahmequote nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG die angemessene Höhe der

___________ 145) Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 327a ff. AktG jetzt ausdrücklich BVerfG ZIP 2007, 1261 = NZG 2007, 587 = NJW 2007, 3268 = EWiR § 327a AktG 3/07, 673 (Ogorek); BVerfG ZIP 2007, 2121 = WM 2007, 2199; zuvor BGH NZG 2006, 117 (Invensys Metering Systems AG/Meinecke AG) = ZIP 2005, 2107 = EWiR § 327a AktG 4/05, 845 (Linnerz); zum Streitstand im Übrigen Hasselbach, KK-WpÜG, § 327a AktG Rz. 13 ff. 146) BGHZ 169, 221 (Massa) = DStR 2006, 2223 = ZIP 2006, 2167.

327

§ 4 Mitgliedschaft

Abfindung markiert, weil sie dem Verkehrswert der Aktie entspreche.147) Das erhöht die Attraktivität des übernahmerechtlichen squeeze out beträchtlich. Da das auf die europäischen Vorgaben zurückgehende Ausschlussrecht an andere Voraussetzungen geknüpft ist als es die schon zuvor eingeführten §§ 327a ff. AktG sind (einerseits vorgängiges Angebotsverfahren erforderlich, andererseits bloßer Antrag – und kein Hauptversammlungsbeschluss – ausreichend), hat der Gesetzgeber die Regelung im WpÜG verankert und auch davon abgesehen, die bisherigen §§ 327a ff. AktG aufzuheben. Komplementär zum Ausschlussrecht sieht der neue Abschnitt ein Recht der in der Gesellschaft verbleibenden Aktionäre vor, ihrerseits aus der Gesellschaft auszuscheiden, wenn der Mehrheitsaktionär einen Antrag nach §§ 39a f. WpÜG stellen könnte („Andienungsrecht“; Art. 16 Dreizehnte Richtlinie, § 39c WpÜG; dazu bereits oben Rz. 4.83a). 4.93b Erweitert wurden die Ausschlussmöglichkeiten in einem weiteren Schritt, wiederum zurückgehend auf europäisches Recht (hier in Form der Neufassung von Art. 28 Abs. 2 Dritte Richtlinie), durch den „verschmelzungsrechtlichen squeeze out“, der durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 11. Juli 2011 (BGBl. I, 1338 ff.) eingeführt wurde. Nach § 62 Abs. 5 Satz 1 UmwG kann die Hauptversammlung einer übertragenden Aktiengesellschaft (nicht: einer GmbH148)) einen Beschluss nach § 327a Abs. 1 AktG nunmehr innerhalb von drei Monaten nach Abschluss eines Verschmelzungsvertrages fassen, auch wenn der übernehmenden Gesellschaft (dem Hauptaktionär) nur 90 % (statt der sonst – mit Ausnahme von weiteren Sonderregelungen im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise – erforderlichen 95 %) des Grundkapitals der übertragenden Gesellschaft gehören. Voraussetzung der weiteren Privilegierung des Hauptaktionärs ist also ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit der Verschmelzungsmaßnahme. Die Durchführung des squeeze out macht zugleich einen Hauptversammlungsbeschluss der übertragenden Aktiengesellschaft im Rahmen des Verschmelzungsverfahrens entbehrlich (dazu unten Rz. 6.109).149) ___________ 147) Zur Vereinbarkeit dieser Regelung mit Art. 14 Abs. 1 GG BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats (Beschl. v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09, 1 BvR 117/09, 1 BvR 118/09, 1 BvR 128/09), ZIP 2012, 1408 (Deutsche Hypothekenbank) = NZG 2012, 907 = EWiR § 39a WpÜG 2/12, 539 (Bungert/Th. Meyer) (weil die als Alternative zu diesem „Markttest“ denkbare Unternehmensbewertung nach der Ertragswertmethode häufig so viel Zeit beanspruche, dass sie ihrerseits wegen des Gebotes des effektiven Rechtsschutzes verfassungsrechtlichen Bedenken unterliege); OLG Stuttgart ZIP 2009, 1059, 1060 ff. = NZG 2009, 950 = EWiR § 39a WpÜG 2/09, 353 (Seiler/Wittgens) (inzwischen rkr.). 148) Zur Verteidigung dieser Beschränkung Buschmann, DZWIR 2011, 318 f. 149) Zur Neuregelung Bungert/Wettick, DB 2011, 1500; Buschmann, DZWIR 2011, 318, 319 f.; Freytag/Müller-Etienne, BB 2011, 1731, 1732 ff.; Neye/Kraft, NZG 2011, 681; Schockenhoff/ Lumpp, ZIP 2013, 749 ff.; zum RegE J. Wagner, DStR 2010, 1629; zum RefE Bayer/ J. Schmidt, ZIP 2010, 951.

328

IV. Verlust

3.

Beschränkung des Abfindungsguthabens

In allen durch die Satzung regelbaren Fällen des Austritts und des Ausschlusses 4.94 taucht die Frage auf, inwieweit der Anspruch des ausscheidenden Gesellschafters auf die „volle Abfindung“ in der Satzung eingeschränkt werden darf. Hierzu hat der BGH in Anlehnung an die Rechtsprechung im Bereich der Personengesellschaften150) nunmehr auch für die GmbH festgestellt, dass ein Gesellschafter bei seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft Anspruch auf volle Abfindung hat.151) Dabei ist der Abfindungsbetrag grundsätzlich nach dem vollen wirtschaftlichen Wert (Verkehrswert) des Gesellschaftsanteils zu bemessen. Hierfür wird heute überwiegend die „Discounted-Cash-Flow“-(DCF-)Methode zugrunde gelegt, nachdem zunächst der (etwas undifferenziertere) Ertragswert als maßgeblich angesehen wurde. Es ist jedoch auch zulässig, festzulegen, dass die Ermittlung eines etwaigen Abfindungsbetrages einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer mit der Maßgabe übertragen wird, dass er die im Zeitpunkt des Ausscheidens als richtig anerkannte Bewertungsmethode anzuwenden habe. Beschränkungen dieses Umfangs im Gesellschaftsvertrag unterliegen der Schranke des § 138 BGB (Sittenwidrigkeit). Solche Beschränkungen des Abfindungsguthabens sind insbesondere dann nichtig, wenn die mit ihnen bezweckten Einschränkungen des Abflusses von Gesellschaftskapital außer Verhältnis zu dem Erfordernis stehen, im Interesse der verbleibenden Gesellschafter den Fortbestand der Gesellschaft und die Fortführung des Unternehmens zu sichern. Auch als Vertragsstrafe sei eine solche Bestimmung entgegen manchen Stimmen im Schrifttum nicht zulässig. Denn ein vollständiger Abfindungsausschluss im Falle möglicherweise nur einer einzigen Pflichtverletzung sei nicht besonders geeignet, den Gesellschafter zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten; als Pauschalierung eines Schadenersatzanspruchs sei ein solcher Ansatz andererseits zu undifferenziert, insbesondere wenn jeder Bezug zu einem möglicherweise eingetretenen Schaden auf Seiten der Gesellschaft fehlt (zumal ein Schaden auch vollständig fehlen kann).152) ___________ 150) BGH WM 1984, 1506 = NJW 1985, 192 = EWiR § 738 BGB 1/89, 761 (Priester); BGH ZIP 1989, 770 = NJW 1989, 2685 = EWiR § 738 BGB 1/89, 761 (Priester) (auch dann, wenn die Beteiligung schenkweise erworben worden war); OLG München ZIP 1997, 240 (nach Nichtannahme der Revision rkr.). Zur Möglichkeit statutarischer Beschränkung bei GbR mit „ideellem Gesellschaftszweck“ (Wohnhaus): BGHZ 135, 387 = NJW 1997, 2592 = ZIP 1997, 1453 = EWiR § 738 BGB 1/97, 883 (Wiedemann) = DStR 1997, 1377 (Goette) = LM H. 12/1997 § 738 BGB Nr. 21; zu den Grenzen BGH DStR 1999, 1368 (Goette) im zweiten Revisionsrechtszug in derselben Sache; dazu Hirte, NJW 2000, 3321, 3531, 3538 f. 151) Grundlegend BGHZ 116, 359 = ZIP 1992, 237 = NJW 1992, 892 = EWiR § 138 BGB 2/92, 321 (Wiedemann); konkretisierend selbst für Fälle einer groben Verletzung der Interessen der Gesellschaft BGHZ 201, 65 = ZIP 2014, 1327 = NZG 2014, 820 = EWiR 2014, 509 (Seibt); unter ausdrücklicher Aufgabe von BGH (Urt. v. 29.9.1983 – III ZR 213/82), WM 1983, 1207 – 1208. 152) BGHZ 201, 65 = ZIP 2014, 1327 = NZG 2014, 820 = EWiR 2014, 509 (Seibt).

329

§ 4 Mitgliedschaft Beispiel: Der Bundesgerichtshof hielt bei einer Aktiengesellschaft, die ein Verbundsystem für Versicherungsmakler betreibt, eine Vertragsgestaltung („Partnerschaftsvertrag“) wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB für nichtig,153) nach der die Aktionäre der Gesellschaft neben der Zeichnung von Aktien eine einmalige Bearbeitungsgebühr entrichten mussten, bei der Beendigung des Vertrages allerdings zur unentgeltlichen Rückgabe der Aktien oder ihrer unentgeltlichen Übertragung ihrer Aktien auf einen neuen Partner verpflichtet sein sollten.

4.95 Steht das gesellschaftsvertraglich vorgesehene Abfindungsguthaben in grobem Missverhältnis zum Verkehrswert des Anteils, liegt darin zunächst eine unzulässige Einschränkung des Austrittsrechts; zugleich tritt an die Stelle einer danach unwirksamen Abfindungsklausel tritt in einem solchen Fall der Anspruch auf angemessene Abfindung (zum Anspruch auf Gleichbehandlung in diesem Fall oben Rz. 3.291).154) Bei der Feststellung des „wirklichen Wertes“ der Beteiligung ist der Tatrichter nicht an eine bestimmte Methode gebunden; daher ist nicht zwingend das Ertragswertverfahren anzuwenden.155) Für den Fall, dass Maßnahmen im Rahmen eines Insolvenzplans ein Austrittsrecht begründen, sieht § 225a Abs. 5 InsO eine besondere Regelung zum Ausgleich der divergierenden Gesellschafterinteressen vor, vor allem in Form einer Stundung des Abfindungsanspruchs „zur Vermeidung einer unangemessenen Belastung der Finanzlage des Schuldners über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren“ (§ 225a Abs. 5 Satz 2 InsO); diese Abwägung kann durchaus auch außerhalb des Insolvenzrechts als Messlatte herangezogen werden. ___________ 153) BGH ZIP 2013, 263 Tz. 12 ff. (Charta) = NZG 2013, 220 = NJW-RR 2013, 410 = EWiR § 23 AktG 1/13, 131 (Seibt). 154) BGHZ 116, 359 = ZIP 1992, 237 = NJW 1992, 892 = EWiR § 138 BGB 2/92, 321 (Wiedemann); im Anschluss an BGHZ 112, 103 = ZIP 1990, 1057 = NJW 1990, 2622 = EWiR § 16 GmbHG 1/90, 1209 (Priester) (dort hatte der BGH – ebenfalls in Anknüpfung an eine parallele Rechtsprechung im Personengesellschaftsrecht – Vereinbarungen in der Satzung einer GmbH, die zum Ausschluss eines Mitgesellschafters nach freiem Ermessen berechtigten, für nichtig erklärt, wenn sie nicht durch besondere sachliche Umstände gerechtfertigt seien). Ebenso für das Personengesellschaftsrecht BGHZ 123, 281 = ZIP 1993, 1611 = NJW 1993, 3193 = EWiR § 738 BGB 2/93, 1179 (Büttner) = LM H. 2/1994 § 157 (D) BGB; BGHZ 126, 226 = ZIP 1994, 1173 = NJW 1994, 2536 = EWiR § 723 BGB 1/94, 973 (Wiedemann); vgl. zuvor bereits BGH ZIP 1993, 1160 = NJW 1993, 2101 = EWiR § 738 BGB 1/93, 769 (Westermann) = LM H. 10/1993 § 242 (Ba) BGB Nr. 90; dazu Dauner-Lieb, ZHR 158 (1994), 271; dies., GmbHR 1994, 836; Haack, GmbHR 1994, 437; Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134. 155) BGH ZIP 1993, 1160 = NJW 1993, 2101 = EWiR § 738 BGB 1/93, 769 (Westermann) = LM H. 10/1993 § 242 (Ba) BGB Nr. 90 (OHG); vgl. auch BGH ZIP 1989, 768 = NJW 1989, 3272 (Einsichtsrecht des ausscheidenden Gesellschafters in die Unterlagen der Gesellschaft, wenn Anlass besteht, dass der Abfindungsbetrag erheblich unter dem Nennwert liegt); BGH ZIP 2002, 258 = NZG 2002, 176 = DStR 2002, 461 (Goette) = EWiR § 34 GmbHG 1/02, 763 (Mutter) (Darlegungspflicht der Gesellschaft für ihre inneren Verhältnisse, soweit der geltend gemachte Abfindungsanspruch davon abhängt und ein ausgeschiedener Gesellschafter in die Verhältnisse der Gesellschaft keinen Einblick mehr hat).

330

IV. Verlust

Ungeachtet der korrekten Beteiligung ausscheidender Gesellschafter am Unter- 4.96 nehmenswert sind im Hinblick auf den Gläubigerschutz Beschlüsse nichtig, aufgrund derer die Entschädigung des ausscheidenden Gesellschafters ganz oder teilweise nur aus gebundenem Vermögen gezahlt werden kann, wenn dies bei Beschlussfassung schon feststeht und der Beschluss nicht klarstellt, dass die Zahlung nur bei Vorhandensein ungebundenen Vermögens erfolgen darf.156) Aus Gründen des Gläubigerschutzes für nichtig hält der BGH darüber hinaus Satzungsbestimmungen, nach denen die Einziehung eines GmbH-Anteils im Falle seiner Pfändung oder der Insolvenz des Gesellschafters gegen ein unter dem Verkehrswert liegendes Entgelt zulässig sein soll, wenn für den vergleichbaren Fall der Ausschließung eines Gesellschafters aus wichtigem Grund nicht dieselbe oder gar keine Entschädigungsregelung getroffen wird.157)

___________ 156) BGHZ 144, 365 = ZIP 2000, 1294, 1295 f. = NJW 2000, 2819 = DStR 2000, 1443 (Goette) = NZG 2000, 1027 = EWiR § 242 AktG 1/2000, 943 (Casper); BGH ZIP 2011, 1104 Tz. 19 = NJW 2011, 2294 = NZG 2011, 783 = DStR 2011, 1188 = ZInsO 2011, 1161 = EWiR § 34 GmbHG 1/11, 537 (Schult/Wahl) (für Ausschließungsbeschluss). 157) BGHZ 32, 151 = NJW 1960, 1053; BGHZ 65, 22 = NJW 1975, 1835; BGHZ 144, 365 = ZIP 2000, 1294, 1295 f. = NJW 2000, 2819 = DStR 2000, 1443 (Goette) = NZG 2000, 1027 = EWiR § 242 AktG 1/2000, 943 (Casper); dazu Lange, NZG 2001, 635; Uhlenbruck/Hirte, § 11 InsO Rz. 54.

331

§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals Literatur: Altmeppen, „Dritte“ als Adressaten der Kapitalerhaltungs- und Kapitalersatzregeln in der GmbH, in: Festschrift Kropff, 1997, S. 641; Banerjea, Haftungsfragen in Fällen materieller Unterkapitalisierung, ZIP 1999, 1153; Bitter, Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen: ein spät entdeckter Zankapfel der Gesellschafts- und Insolvenzrechtler. Replik zu Altmeppen, ZIP 2013, 1745 und Hölzle, ZIP 2013, 1992, ZIP 2013, 1998 – 2001; Drygala, Stammkapital heute – Zum veränderten Verständnis vom System des festen Kapitals und seinen Konsequenzen, ZGR 2006, 587; Frey, Einlagen in Kapitalgesellschaften, 1991; Gehrlein, Kollision zwischen eigenkapitalersetzender Nutzungsüberlassung und Vollstreckungszugriff durch Gesellschafter-Gläubiger, NZG 1998, 845; Geißler, Verdeckte Gewinnausschüttungen und Rückforderungsansprüche der GmbH, GmbHR 2003, 394; Haas/ Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002; Haas, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages (2006), Gutachten E; Habersack, Eigenkapitalersatz im Gesellschaftrecht, ZHR 162 (1998), 201; Hirte, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages (2006), Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, S. P 11; ders., Die Neuregelung des Rechts der (früher: kapitalersetzenden) Gesellschafterdarlehen durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), WM 2008, 1429; Joost, Grundlagen und Rechtsfolgen der Kapitalerhaltungsregeln in der GmbH, ZHR 148 (1984), 27; Lutter (Hrsg.), ZGR-Sonderheft „Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa“ (2006); Mylich, Kreditsicherheiten für Gesellschafterdarlehen – Stand der Dinge und offene Fragen. Die Folgen von BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, ZIP 2013, 1579, für Praxis und Wissenschaft, ZIP 2013, 2444; ders., Kreditsicherheiten für Gesellschafterdarlehen, ZHR 176 (2012), 547–577; Preuß, Grundsätze der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in der GmbH, JuS 1999, 342; Raiser, Konzernhaftung und Unterkapitalisierungshaftung, ZGR 1995, 156; Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz (2009); ders., Kapitalaufbringung nach dem MoMiG, ZGR 2009, 126; Karsten Schmidt, Zum Haftungsdurchgriff wegen Sphärenvermischung und zur Haftungsverfassung im GmbH-Konzern, BB 1985, 2074; ders., Zur Durchgriffsfestigkeit der GmbH, ZIP 1994, 837; Thole, Nachrang und Anfechtung bei Gesellschafterdarlehen – zwei Seiten derselben Medaille?, ZHR 176 (2012), 513 – 546; Vetter, Rechtsfolgen existenzvernichtender Eingriffe, ZIP 2003, 601.

I. Eigen- und Fremdkapital 1. Allgemeines Von zentraler Bedeutung für die Finanzverfassung der Kapitalgesellschaften ist 5.1 die Unterscheidung von Eigen- und Fremdkapital. Sie lässt sich zunächst in der Weise treffen, dass die von den Gesellschaftern als Kapital aufgebrachten Beträge das Eigenkapital bilden, während die von Gläubigern in Form von Krediten zur Verfügung gestellten Mittel Fremdkapital darstellen. Zu den Krediten zählen dabei sowohl die individuell vereinbarten Darlehen (Geld- und Warenkredite) wie die massenweise ausgegebenen Schuldverschreibungen (= Anleihen; § 793 BGB). Eigenkapital hat dabei in den Kapitalgesellschaften vor allem die Aufgabe, eventuelle Risiken für die Gläubiger zu minimieren. Denn es wird bei der Abrechnung des laufenden Erfolgs erst mit Nachrang gegenüber den Gläubigern berücksichtigt, und Gleiches gilt für die Endabrechnung, sei es bei der ordentlichen Liquidation oder in der Insolvenz. Das Eigenkapital und seine 333

§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

Aufbringung werden dabei im Gesellschaftsrecht ausführlich geregelt. Gesellschaftsrechtliche Regelungen für die Aufnahme von Fremdkapital finden sich demgegenüber – abgesehen von einigen noch vorzustellenden Mischformen – kaum. 5.2 Allerdings findet sich weder im Gesellschaftsrecht noch überhaupt in der Rechtsordnung eine allgemeinverbindliche Definition der beiden Finanzierungsvarianten. Sie variiert vielmehr je nachdem, für welchen Zweck die Abgrenzung vorgenommen wird.1) Nicht ausreichend ist es daher, allein (formal) darauf abzustellen, welche Positionen in der Bilanz als Eigenkapital auszuweisen sind.2) Denn die Gesellschafter sind nicht daran gehindert, ihrer Gesellschaft zugleich auch als Gläubiger gegenüberzutreten. Würde man allein eine formale Definition ausreichen lassen, hätten sie es daher in der Hand, den Umfang des Gläubigerschutzes selbst zu bestimmen. Dieses Problem wird vor allem im Zusammenhang mit den (früher „kapitalersetzenden“) Gesellschafterdarlehen erörtert (dazu unten Rz. 5.102 ff.). 5.3 Daher ist die formale Abgrenzung der Finanzierung nach der Einordnung durch Geldgeber und Gesellschaft zumindest um eine materielle Abgrenzung zu ergänzen. Ausschlaggebend für die Qualifikation überlassener Mittel als Eigenkapital ist danach –

eine dauerhafte und geplante Vermögensüberlassung durch die Gesellschafter (Investitionsfunktion),



die Verlustbeteiligung (Haftungsfunktion) und



Gewinnabhängigkeit (Nutzungsfunktion) – nicht also eine feste Zinsvereinbarung.3)

2.

Mischformen

a)

Wandel- und Optionsanleihen

5.4 Zwischen Eigen- und Fremdkapital gibt es zahlreiche Mischformen, die zum größten Teil nicht gesetzlich geregelt sind. Eine – wenn auch sehr knappe – gesetzliche Regelung für derartige Investitionsformen findet sich lediglich in § 221 AktG für die Aktiengesellschaft. Danach bedarf es bei der Ausgabe von „Wandelschuldverschreibungen“ eines Hauptversammlungsbeschlusses nach denselben Regeln wie bei einer Kapitalerhöhung. Zudem ist den Aktionären ein Bezugsrecht auf diese Titel einzuräumen (Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 6 Zweite Richtlinie, § 221 Abs. 4 AktG) (dazu unten Rz. 5.8. ff. und 5.14 ff.). ___________ 1) 2) 3)

334

Dazu Wiedemann, in: GroßK, vor § 182 AktG Rz. 2 ff. In diese Richtung jedoch Grunewald, GesR,§ 10 Rz. 193 (AG); abw. Wiedemann, vor § 182 AktG Rz. 2. Ausführlich Wiedemann, vor § 182 AktG Rz. 5 ff. m. w. N.

I. Eigen- und Fremdkapital

Wandelschuldverschreibungen in der Terminologie des Gesetzes umfassen zum 5.5 einen die Wandelanleihen (Wandelschuldverschreibungen i. e. S.), nämlich Schuldverschreibungen, die mit dem Recht des Gläubigers ausgestattet sind, innerhalb vorbestimmter Fristen – in der Regel gegen Zuzahlung – aus der Stellung eines Gläubigers in die eines Aktionärs zu wechseln. Durch die Aktienrechtsnovelle 2014 (in Fortschreibung der gescheiterten Aktienrechtsnovelle 2012) soll klargestellt werden, dass dieses Recht auch der Gesellschaft eingeräumt werden kann, insbesondere um auf diese Weise eine vor allem bei Kreditinstituten bedenkliche bilanzielle Überschuldung zu beseitigen („umgekehrte Wandelanleihen“). Erfasst sind zum anderen die lange Zeit wichtigeren Optionsanleihen, nämlich Schuldverschreibungen, die mit einem Bezugsrecht auf Aktien – ebenfalls regelmäßig gegen Zuzahlung – verbunden sind, dessen Ausübung aber die Stellung als Schuldverschreibungsgläubiger unberührt lässt. Der ursprüngliche Optionsanleihegläubiger ist damit nach Ausübung des Optionsrechts sowohl Gläubiger als auch Aktionär der Gesellschaft. Allerdings können die Anleihe und das – regelmäßig auf einem gesonderten Kupon verbriefte – Optionsrecht schon unmittelbar nach der Emission einer Optionsanleihe getrennt werden. Dies hat die Frage aufkommen lassen, ob nicht auch die Emission „isolierter Bezugsrechte“ (naked warrants, da ohne Anleihekomponente) zulässig ist.4) Für den Handel mit solchen Optionsscheinen, die von einer Optionsanleihe i. S. v. 5.6 § 221 Abs. 1 AktG abgetrennt wurden, ist eine Entscheidung des XI. Zivilsenates des BGH bedeutsam. Danach stellt der Handel mit diesen Scheinen keine Börsentermingeschäfte i. S. d. §§ 50 ff. BörsG a. F. (jetzt §§ 37e ff. WpHG: Finanztermingeschäfte) dar, die nur einem beschränkten Teilnehmerkreis offenstehen,5) bzw. (heute) einer besonderen Überwachung nach den §§ 37e ff. WpHG unterliegen.

Im Übrigen können Wandel- und Optionsanleihen wertpapiermäßig ebenso aus- 5.7 gestaltet werden wie Aktien, insbesondere also als Inhaber- oder Namenspapiere.6) ___________ 4)

5)

6)

Dafür Schäfer, in: Lutter/Hirte (Hrsg.), Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa. ZGR-Sonderheft 16 (2000), S. 62, 66 f., 78 f.; offenlassend Hirte, in: ZGRSonderheft 16 (2000), S. 1, 4 f.; ders., DB 2000, 1949; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 75 (mit Hinweis auf abw. Ansicht noch in der Voraufl.); abw. OLG Stuttgart ZIP 2002, 1807, 1808 f. sowie noch Hirte, WM 1993, 2067, 2068 (= Rezension von Schumann, Optionsanleihen [1990]); Lutter, KK, § 192 AktG Rz. 9, § 221 AktG Rz. 185; ders., ZIP 1997, 1, 7; Martens, AG 1989, 69 ff.; ders., in: Festschrift für Stimpel (1985), S. 621, 629 f.; Schumann, Optionsanleihen (1990), S. 42. BGHZ 114, 177, 180 = ZIP 1991, 714 = NJW 1991, 1956 = EWiR § 52 BörsG 1/91, 671 (Canaris) = LM H. H. 1/1992 BörsG Nr. 29; ebenso für Anleihen ausländischer Aktiengesellschaften, wenn das maßgebende ausländische – hier das (frühere) schweizerische – Recht die Ausgabe von Optionsanleihen nicht gesetzlich regelt (BGHZ 133, 200, 206 = NJW 1996, 2795 = NJW-RR 1996, 1454 [Ls.] = ZIP 1996, 1459 = LM H. 12/1996 BörsG Nr. 42 [Koller] = EWiR § 53 BörsG 5/96, 879 [Tilp]); zum Ganzen jetzt Hirte, in: GroßK, § 221 AktG Rz. 19 m. w. N. Zur Zulässigkeit einer Ermächtigung zur Umwandlung von Namens- in Inhaberoptionsanleihen LG Heidelberg ZIP 1997, 1787 (SAP) = EWiR § 17 AktG 1/97, 1059 (Kort) (in der Berufungsinstanz vor dem OLG Karlsruhe verglichen).

335

§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

5.8 Der historische Grund der beiden Mischformen (Wandel- und Optionsanleihen) liegt darin, dass man mit ihnen die Attraktivität einer – bei Einführung der Instrumente nur schwer möglichen – Fremdfinanzierung erhöhen wollte. Die Beteiligung der Hauptversammlung und das Bezugsrecht der Aktionäre finden ihren Grund darin, dass den Schuldverschreibungsgläubigern das Recht zum späteren Aktienerwerb eingeräumt wird. Damit die Aktiengesellschaft diese Zusage nicht widerrufen kann, wird gleichzeitig mit dem Beschluss über die Ausgabe von Wandel- oder Optionsanleihen ein bedingtes Kapital geschaffen (§§ 192 ff. AktG, insbesondere § 192 Abs. 4 AktG). Es ermöglicht eine sukzessive Kapitalerhöhung in dem Zeitpunkt und in dem Umfang, in dem Wandel- oder Optionsrechte ausgeübt werden. b)

Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte

5.9 Eine Mischform bilden auch die Gewinnschuldverschreibungen. Das sind Schuldverschreibungen, „bei denen die Rechte der Gläubiger mit Gewinnanteilen von Aktionären in Verbindung gebracht werden“. Bei ihnen sind Gläubigerstellung und aktionärstypische Gewinnbeteiligung miteinander kombiniert; im Gegensatz zu Wandel- und Optionsanleihen, wo die beiden Rechtsstellungen sukzessive aufeinander folgen, sind sie hier aber zeitgleich gegeben. Hauptversammlungsbeteiligung und Bezugsrecht gleichen hier die Gefahr aus, dass der Gewinnanspruch der Aktionäre ausgehöhlt wird. 5.10 Angesprochen – von Regelung kann kaum eine Rede sein – sind in § 221 AktG schließlich die Genussrechte. Genussrechte sind Vermögensrechte aller Art, die die Gesellschaft den Genussrechtsinhabern durch Vertrag mit den ersten Inhabern gewährt. In ihrer verbrieften Form werden sie als Genussscheine bezeichnet. In Frage kommt etwa das Recht, Einrichtungen der Gesellschaft zu benutzen (Zoologische Gärten, Theater, früher: Eisenbahnen) oder – so der heutige Regelfall – eine Beteiligung am Gewinn oder Liquidationserlös. Mitgliedschaftsrechtliche Befugnisse wie das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung, Stimmrecht oder Anfechtungsrecht stehen den Genussrechtsinhabern indes nicht zu.7) 5.11 Gleichwohl werden Genussscheine, die gegen Geld ausgegeben werden und (nur) eine Beteiligung am Liquidationserlös gewähren, im Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht als haftendes Eigenkapital anerkannt (vgl. vor allem § 10 Abs. 5 KWG), obwohl sie andererseits steuerrechtlich wie Fremdkapital behandelt werden mit der Folge, dass die Ausschüttungen auf Genussscheine den Gewinn mindern (§ 8 Abs. 3 KStG). Daran schließt sich die unter dem Stichwort der Einheit von Herrschaft und Haftung diskutierte Frage an, ob aus dem Vorliegen (einiger) der für das Vorliegen von Eigenkapital charakteristischen ___________ 7)

336

RGZ 105, 236, 239; BGHZ 119, 305 (Klöckner) = ZIP 1992, 1542 = NJW 1993, 57 = EWiR § 9 AGBG 1/93, 3 (Hammen); Hirte, in: GroßK, § 221 AktG Rz. 331.

I. Eigen- und Fremdkapital

Merkmale auch die Einräumung der mit der Gesellschafterstellung typischerweise verbundenen Rechte folgen muss. Daraus wurde teilweise gefolgert, die Ausgabe solcher Rechte durch Aktiengesellschaften stelle eine unzulässige Umgehung der Vorschriften über die stimmrechtslosen Vorzugsaktien dar.8) Der BGH widersprach dem in einer Entscheidung, die die Herabsetzung des von 5.12 der Klöckner & Co. KGaA ausgegebenen Genussscheinkapitals auf Null betraf. Darin stellte er fest, dass jedenfalls diese Genussscheine keine unzulässige Umgehung der Vorschriften über die stimmrechtslose Vorzugsaktie darstellten; da sie bei einer Liquidation im Range vor den Ansprüchen der Aktionäre zu befriedigen seien, seien sie nämlich nicht als „aktiengleich“ anzusehen. Was bei wirklich „aktiengleichen“ Genussscheinen gelte, ließ der BGH offen. Wesentlich ist schließlich die Aussage der Entscheidung, dass die Genussscheinbedingungen einer Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht unterliegen. Dies war im Hinblick darauf in Zweifel gezogen worden, dass das AGBG nach § 23 Abs. 1 AGBG (jetzt § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB) auf gesellschaftsrechtliche Verträge keine Anwendung findet.9)

Aber die Frage lässt sich auch in umgekehrter Weise stellen: nämlich ob Fremd- 5.13 kapitalgeber, denen vertraglich Einfluss- und Mitspracherechte eingeräumt werden, wie sie für Gesellschafter typisch sind, auch in gleicher Weise wie Gesellschafter haften müssen.10) Nur für den Fall, dass Gläubiger und Gesellschafter identisch sind, wurde mit der Rechtsprechung zu den (früher „kapitalersetzenden“) Gesellschafterdarlehen und ihrer gesetzlichen Regelung hierauf eine Antwort gegeben (dazu unten Rz. 5.102 ff.). Auch für Genussrechte gilt das Erfordernis einer Beteiligung der Hauptver- 5.14 sammlung und der Einräumung eines Bezugsrechts entsprechend (§ 221 Abs. 3 und 4 AktG). Daher kann der Vorstand in analoger Anwendung des § 221 Abs. 2 AktG und unter 5.15 Beachtung seiner einschränkenden Voraussetzungen von der Hauptversammlung zur Gewährung von Genussrechten ermächtigt werden. Der Beschluss muss zwingend den Höchstnennbetrag enthalten, bis zu dem die Genussrechte gewährt werden dürfen. Liegt diese Voraussetzung nicht vor, so hat der BGH allerdings offengelassen, ob dies den Beschluss wegen der Verletzung von Gläubiger oder die Öffentlichkeit schützenden Normen nichtig (§ 241 Nr. 3 AktG) oder nur anfechtbar (§ 243 AktG) macht. Im gegebenen Fall kam es darauf auch nicht an, da der Kläger den Beschluss fristgerecht angefochten hatte.11)

___________ 8) So Hirte, ZIP 1988, 477 ff.; ders., ZBB 1992, 50 ff.; Reuter, Verhandlungen des 55. Deutschen Juristentages Hamburg 1984 (1984), Gutachten B, S. 21 ff., 26; ders., in: Festschrift für Robert Fischer (1979), S. 605, 617 ff.; zusammenfassend jetzt Hirte, in: GroßK, § 221 AktG Rz. 360 ff. 9) BGHZ 119, 305 (Klöckner) = ZIP 1992, 1542 = NJW 1993, 57 = EWiR § 9 AGBG 1/93, 3 (Hammen); dazu Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312; Hirte, in: GroßK, § 221 AktG Rz. 398 ff.; Lutter, ZGR 1993, 291 ff. 10) Zur möglichen Haftung der Gläubiger wegen qualifizierter faktischer Konzernierung Hirte, in: RWS-Dok. 12/I, Einl., S. 16 ff.; ders., in: RWS-Dok. 12/II, Einl., S. 45 f.; Oechsler, ZGR 1997, 464 ff. 11) BGH ZIP 1994, 1857 = NJW 1995, 260.

337

§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

5.16 In einem anderen Fall ging es vor allem um die Frage des Bezugsrechts auf Genuss-

rechte. Der Bankverein Bremen hatte – wohl aus den zuvor skizzierten steuerrechtlichen Gründen – einen „Genussrechtsvertrag“ mit seiner belgischen Mehrheitsaktionärin geschlossen. Das Bezugsrecht der übrigen Aktionäre nach § 221 Abs. 4 AktG war ausgeschlossen worden. Der BGH billigte dieses Vorgehen vor allem mit der Begründung, dass durch den Genussrechtsvertrag – in der Sache ein Darlehen – die Beteiligungsrechte der außenstehenden Aktionäre gar nicht beeinträchtigt werden könnten; auch eine Vermögensbeeinträchtigung scheide im Hinblick auf die korrekte Festsetzung der Ausgabebedingungen aus.12) 5.16a Andererseits soll ein als stille Beteiligung an einer Aktiengesellschaft vereinbartes und einzuordnendes Rechtsverhältnis schon gar nicht als Genussrecht i. S. v. § 221 Abs. 4 AktG anzusehen, sondern als Unternehmensvertrag i. S. v. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG zu qualifizieren sein mit der Folge, dass der Abschluss der entsprechenden Vereinbarung kein Bezugsrecht der Aktionäre auslöst.13)

II.

Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

5.17 Zentrales Kennzeichen der Kapitalgesellschaften ist das vom Gesetzgeber statuierte Erfordernis, ein bestimmtes Mindest-(Grund- oder Stamm-)Kapital aufzubringen; nur in der Unternehmergesellschaft wird aus noch anzusprechenden Gründen darauf verzichtet. Die Kapitalaufbringungspflicht gleicht die fehlende persönliche Haftung der Gesellschafter, wie sie für die Personenhandelsgesellschaften typisch ist (§ 128 HGB), institutionell aus.14) Die Verpflichtung zu Kapitalaufbringung und -erhaltung wird den Gesellschaftern auferlegt; es handelt sich also um Mindestanforderungen an die Eigenkapitalausstattung einer Kapitalgesellschaft. 1.

Mängel des Systems

5.18 Das System des festen Garantiekapitals stellt – wie Wiedemann es ausgedrückt hat – „eine für das europäische Gesellschaftsrecht stilprägende Eigenart dar und ist zugleich eine Kulturleistung ersten Ranges, weil es die persönliche Entlastung der Anlagegesellschafter mit der Sicherung der Kreditwürdigkeit der Unternehmen in idealer Weise verbindet“.15) Das System wurde im vorletzten Jahrhundert im Wesentlichen zeitgleich in den verschiedenen europäischen ___________ 12) BGHZ 120, 141 (Bankverein Bremen) = ZIP 1992, 1728 = NJW 1993, 400 = WuB II A. § 221 AktG 1.93 (Hirte) = EWiR § 221 AktG 2/93, 323 (Martens); dazu Hirte, in: GroßK, § 221 AktG Rz. 408 ff.; Lutter, ZGR 1993, 291, 302 ff.; Luttermann, DB 1993, 1809. 13) BGHZ 156, 38, 41 (Deutsche Hypothekenbank AG) = ZIP 2003, 1788, 1789 f. = NJW 2003, 3412 = NZG 2003, 1023 = EWiR § 221 AktG 1/03, 1113 (Radlmayr); Vorinstanz KG ZIP 2002, 890; krit. Hirte, in: GroßK, § 221 AktG Rz. 396. 14) Dazu Wiedemann, GesR I, S. 557 f. 15) Wiedemann, GesR I, S. 557 f.; dazu ausführlich Hirte, in: Abschied vom Quotenschaden. ZIP-Sonderdruck 1994, Einl., S. 1; ders., NJW 1995, 1202 f. (kürzer); ders., in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (3. Aufl. 2009), S. 902 f.; ders., Die vereinfachte Kapitalherabsetzung bei der GmbH (1997), S. 13.

338

II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Staaten16) gesetzlich normiert und ist damit zugleich ein Beispiel für die schon sehr frühe Entwicklung eines „gemeineuropäischen“ Zivilrechts im Bereich des Gesellschaftsrechts.17) Es war daher auch eine der Materien, die als eine der ersten im Rahmen des Rechtsangleichungsprogramms der (heute) Europäischen Union europaweit koordiniert wurde, womit teilweise die im vorletzten Jahrhundert vorhanden gewesene Einheit (wieder-)hergestellt wurde. Zu nennen ist hier insbesondere die allerdings nur für die Aktiengesellschaft geltende Zweite (Kapital-)Richtlinie (dazu oben Rz. 1.64), die aber wegen ihrer starken Orientierung am – wie schon erwähnt – „perfektionistischen“ deutschen Recht im europäischen Ausland mancher Kritik ausgesetzt war (zur Reformdiskussion bezüglich einer Reduktion des Mindeststammkapitals bei der GmbH oben Rz. 1.45 und sogleich Rz. 5.24 ff.). Verwiesen sei schon hier auf den auch darin wurzelnden Streit um die Vereinbarkeit der früheren Rechtsprechung zur „verdeckten Sacheinlage“ mit europäischem Recht.18) In inhaltlicher Hinsicht kennzeichnend ist für das System des festen Garan- 5.19 tiekapitals –

die Verpflichtung oder das Gebot zur Aufbringung eines bestimmten (Mindest-)Grund- bzw. Stammkapitals entweder in bar oder in Form von Sachwerten (die Einlageverpflichtung),



zum anderen das Verbot, dieses so aufgebrachte Vermögen offen oder verdeckt (1) an die Gesellschafter (2) zurückfließen zu lassen.19)

Lediglich die in einem ordnungsgemäßen Verfahren festgestellten Reingewinne 5.20 sind immer,20) weitere Leistungen im Rahmen von § 30 Abs. 1 GmbHG nur bei der GmbH davon ausgenommen, wenn sie nicht zu Lasten des Stammkapitals gehen. Entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch („Kapitalschutz“) geht es ___________ 16) Rechtsvergleichender Überblick zu den Kapitalerhöhungsvorschriften des Aktienrechts bei Wiedemann, in: GroßK, § 182 AktG Rz. 17 ff. 17) Dazu auch Götz, JZ 1994, 265, 269; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht (2004), Rz. 314; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht (3. Aufl. 2006), S. 129; ausführlich allgemein Hirte, Wege zu einem europäischen Zivilrecht (1996). 18) Dazu BGHZ 110, 47, 68 ff. (IBH/Lemmerz) = ZIP 1990, 156, 163 ff. = WM 1990, 222, 229 ff. = DB 1990, 311, 315 = EWiR § 183 AktG 1/90, 223 (Lutter) (zur Vorlagepflicht nach Art. 177 Abs. 3 EGV in diesem Fall Frey, ZIP 1990, 288, 292; Joost, ZIP 1990, 549, 564); ähnlich zur (geplanten) neunten (Konzernrechts-)Richtlinie Hopt, ZGR 1992, 265, 273; Hommelhoff, in: Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft (1993), S. 287, 291. 19) Wiedemann, GesR I, S. 556 f. 20) Dieser Grundsatz gilt hinsichtlich der formalen Anknüpfung an den Bilanzgewinn nicht für die GmbH (vgl. § 57 Abs. 3 AktG); dazu Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 3 f.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

dabei nicht um den Schutz einer Kapitalziffer, denn diese kann ohnehin nicht durch Zahlungen, sondern nur durch Satzungsänderung modifiziert werden, sondern um den Schutz eines dieser Kapitalziffer entsprechenden Reinvermögens vor – um es zu wiederholen – Verschiebungen zugunsten der Gesellschafter (deutlich insoweit die Formulierung in § 30 Abs. 1 GmbHG: „Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft [...]“).21) 5.21 Vielleicht noch anschaulicher vergleicht Würdinger das Garantiekapital mit einer

Staumauer. So wie die Staumauer den Maßstab des Wasservorrats bildet, gibt das Garantiekapital den Umfang des gebundenen Eigenkapitals an. Nur „Überschuss“ darf abfließen. 5.22 Doch kann auch eine hohe Staumauer nicht verhindern, dass es nicht regnet. Trocknet das Becken aus, ist lediglich dafür gesorgt, dass erst wieder die Höhe der Mauer erreicht sein muss, bevor das Wasser darüber – an die Gesellschafter – abfließt. Die Staumauer kann ebenso wie das Garantiekapital herauf- oder herabgesetzt werden. Die dafür erforderlichen Baumaßnahmen entsprechen dem formalisierten Verfahren von Kapitalerhöhung und -herabsetzung. Deutlich wird aber auch schon hier, dass die Staumauer das Entstehen von Verlusten nicht einschränkt.22)

5.23 Keinen Schutz bietet das System des Garantiekapitals gegen einen Vermögensverlust in anderer Weise – insbesondere durch schlechten Geschäftsverlauf – so wie es spiegelbildlich ausschließlich auf das seitens der Gesellschafter aufzubringende Mindestkapital abstellt. Man kann dies nicht oft genug wiederholen, weil sich die Vorstellung eines „Tresors“ oder einer „Schatulle“, in dem bzw. in der die einmal eingezahlten Werte sozusagen als „Polster“ dauerhaft lagern, viel zu weit durchgesetzt hat. Das aufzubringende Mindestkapital dient vielmehr lediglich als „Eintrittskarte“ in die Kapitalgesellschaft und stellt insoweit nach vielfach vertretener Auffassung eine „Seriositätsschwelle“23) auf.24) 5.24 Damit ist zugleich einer der beiden zentralen Mängel des Systems angesprochen: denn entgegen der genannten landläufigen Vorstellung ist gerade nicht das fortwährende Vorhandensein einer bestimmten (Sicherheits-)Vermögensmasse gewährleistet. Und zum Zweiten gibt es – jedenfalls nach dem gesetzlichen Leitbild – keinen Zwang der Gesellschafter, das Eigenkapital der Gesellschaft und damit das gegen ihren eigenen Zugriff geschützte Vermögen in einer bestimmten Höhe festzulegen. Das Gesetz beschränkte sich vielmehr – von wenigen Ausnahmen etwa im Bereich der Banken und Versicherungen abgesehen – darauf, einen Mindestbetrag für das zu Beginn der Geschäftstätigkeit aufzubringende ___________ 21) Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 13 f.; Wiedemann, GesR I, S. 557. 22) Vgl. Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen (4. Aufl. 1981), S. 32; dazu Wiedemann, GesR I, S. 557. 23) Zur Kritik an diesem Ansatz Hirte, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, 2006, Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, S. P 11, P 27 f.; ders., ZInsO 2007, 146 f. 24) Zum Konzept des (festen) Grund- und Stammkapitals und der (nach inzwischen überwiegender Auffassung fehlenden) Notwendigkeit der Festlegung einer Mindestsumme Lutter (Hrsg.), ZGR-Sonderheft „Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa“ (2006).

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Grund- bzw. Stammkapital festzulegen (§ 7 AktG: 50.000 Euro [Art. 6 Abs. 1 Zweite Richtlinie]; § 5 Abs. 1 GmbHG: 25.000 Euro). Dies begründet einerseits die Gefahr, dass die Kapitalausstattung auch dann auf diese Mindestbeträge beschränkt wird, wenn Art und Umfang des Geschäftsbetriebes eine deutlich höhere Kapitalausstattung erfordern, kann aber andererseits bei kleineren Unternehmen zu einer zu großen Kapitalbindung führen.25) Die genannten Mängel haben dazu geführt, dass schon seit einiger Zeit das 5.25 gesamte System von Kapitalaufbringung und -erhaltung zunehmend kritisiert wird – und zwar europaweit.26) Diese Kritik basiert zu einem erheblichen Teil auf rechtsvergleichenden Untersuchungen insbesondere des US-amerikanischen Rechts, wo sich schon deutlich früher als in Europa Kritik formiert hatte und die für die Gesetzgebung im Gesellschaftsrecht zuständigen Einzelstaaten dieses System sukzessive abgeschafft haben.27) In der jüngeren Zeit wirkte sich vor allem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit aus; denn diese hatte zur Zulassung englischer Gesellschaften („private limited companies“) in Deutschland geführt, die ohne Mindeststammkapital gegründet werden konnten (näher oben Rz. 1.58 ff.). Der breitflächige Widerstand gegen den klassischen „europäischen“ Ansatz 5.25a kann inzwischen in Deutschland mit Einführung der keine Mindestkapitalaufbringung mehr voraussetzenden Unternehmergesellschaft (UG) einen Erfolg verzeichnen (dazu näher unten Rz. 5.45a ff.). Damit konnte der Gesetzgeber auf Empfehlung des Rechtsausschusses28) zugleich auf den noch im Regierungsentwurf des MoMiG vorgesehenen weitergehenden Schritt verzichten, die Mindestkapitalziffer bei der GmbH insgesamt von 25.000 Euro auf 10.000 Euro abzusenken (§ 5 Abs. 1 RegE-GmbHG). Über diese Frage war nämlich viel Herzblut vergossen worden; gelegentlich gewann man sogar den Eindruck, hier gehe es um einen „Kulturkampf“ im Gesellschaftsrecht.29) Das Gesetz tut daher – ___________ 25) Mock, Finanzverfassung der Kapitalgesellschaften und internationale Rechnungslegung (2008), S. 200 ff.; Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz (2009), S. 102. 26) Vgl. zunächst vor allem Kübler, Aktie, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt (1989), S. 29 ff., 61 f.; ders., WM 1990, 1853 ff.; Bauer, Gläubigerschutz durch eine formelle Nennkapitalziffer – Kapitalgesellschaftsrechtliche Notwendigkeit oder überholtes Konzept? (1995); sowie die Beiträge in AG 1998, Heft 8. – Aus jüngerer Zeit vor allem die Diskussionsbeiträge im Zusammenhang mit dem 66. Deutschen Juristentag Stuttgart 2006: Haas, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages (2006), Gutachten, S. E 127 f.; Hirte, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages (2006), Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, S. P 11, P 16 ff.; Lutter (Hrsg.), ZGR-Sonderheft „Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa“ (2006). 27) Vgl. außer den bereits Genannten etwa Eisenberg, Cases and materials on corporations (6. Aufl. 1988), S. 1294 ff., 1349 ff.; Portale, Riv.soc. 1991, 24 ff. (dazu Hirte, in: Jahrbuch für Italienisches Recht, Bd. 6 [1993], S. 201, 203 f.); Thompson, in: The European Private Company? (1995), S. 187, 191. 28) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 55. 29) Hirte, ZInsO 2008, 146.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

auch mit Blick auf den gesellschaftsrechtlichen „Rechtsfrieden“ – im Ergebnis gut daran, bei der „normalen“ GmbH das Erfordernis der Kapitalaufbringung nicht zu verändern, andererseits aber in Form der „Unternehmergesellschaft“ eine Option in Richtung eines Verzichts auf eine Mindestkapitalaufbringung anzubieten. 5.26 Zuvor hatten schon zahlreiche andere Ansätze in Rechtsprechung und Wissenschaft die Mängel des Systems auf der Grundlage der bisherigen lex lata zu korrigieren versucht:30) Von Seiten der Wissenschaft war eine Verpflichtung zu materiell angemessener Kapitalausstattung vorgeschlagen worden; die Nichtbeachtung dieser Pflicht sollte zu einer Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung führen (dazu unten Rz. 5.167). 5.27 Weniger weitreichend – und wahrscheinlich deshalb schneller akzeptiert – war der Vorschlag, die von den Gesellschaftern als Fremdkapital gewährten Mittel unter bestimmten Voraussetzungen in Eigenkapital umzuqualifizieren (nominelle Unterkapitalisierung; dazu unten Rz. 5.103). Sie erweitert zwar den Haftungsrahmen im Interesse der Gläubiger über die von den Gesellschaftern formell als Eigenkapital zur Verfügung gestellte Summe hinaus; doch ist sie nicht in der Lage, neben den tatsächlich zur Verfügung gestellten Beträgen zusätzliche Mittel zur Haftungsmasse der juristischen Person zu ziehen.31) 5.28 Von der entgegengesetzten Seite her – als Spiegelbild von Kapitalaufbringung und -erhaltung – wirkt die Pflicht zu rechtzeitiger Insolvenzantragstellung und die – durch das MoMiG verschärfte – Pflicht zum Ersatz von Zahlungen, die nach Insolvenzreife geleistet werden (dazu oben Rz. 3.60 ff. und 3.100 ff.). Hier wird nicht mehr gefragt, ob das ursprünglich einmal aufgebrachte Kapital ausreichend war. Gesellschafter und Geschäftsführer werden lediglich an ihrem eigenen Engagement gemessen: wenn das von ihnen tatsächlich zur Verfügung gestellte Kapital ganz bestimmt nicht mehr ausreicht, was sich in Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zeigt, dann müssen sie jedenfalls schnellstmöglich das dafür vom Gesetz vorgesehene Insolvenzverfahren in die Wege leiten – das Pferd wird sozusagen vom Schwanz aufgezäumt. Die Verpflichtung läuft allerdings leer, wenn ihre Missachtung – wie vor der Grundsatzentscheidung vom 6. Juni 1994 (dazu oben Rz. 3.114 ff.) – nicht ausreichend von der Rechtsordnung sanktioniert wird. 5.29 Vor der durch diese Entscheidung bewirkten Konsolidierung war von Seiten des Gesellschaftsrechts angesichts der unbefriedigenden Lage die Annahme einer Verlustausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens im Konzern auch über die gesetzliche Regelung des § 302 AktG hinaus vorgeschlagen worden, wenn ___________ 30) Zusammenfassung bei Hirte, in: Abschied vom Quotenschaden. ZIP-Sonderdruck 1994, Einl., S. 2 ff.; ders., NJW 1995, 1202 f.; Wiedemann, vor § 182 AktG Rz. 11 ff. 31) Deutlich Honsell, ZIP 1987, 705, 706.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

es sich um einen „qualifizierten faktischen Konzern“ handelt (dazu unten Rz. 5.176, 8.153). An ihre Stelle ist jetzt die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs getreten (unten Rz. 5.172 ff.). Die Rechtsprechung anderer Zivilsenate, insbesondere des für das Kaufrecht 5.30 zuständigen VIII. Zivilsenats, ging einen pragmatischeren Weg, indem sie eine Eigenhaftung des Geschäftsführers aus culpa in contrahendo (heute § 311 Abs. 2 und 3 BGB) annahm, wenn dieser an den Vertragsverhandlungen mit einem Geschäftspartner beteiligt war und diesen nicht auf die (drohende) Überschuldung der Gesellschaft hinwies (dazu oben Rz. 3.109 ff.). Hinzuweisen ist schließlich auf die zunehmende Tendenz der Rechtsprechung, Geschäftsleiter (oder leitende Angestellte) wegen der Körper- oder Eigentumsverletzung eines Dritten nach § 823 Abs. 1 BGB oder wegen Vermögensschäden nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz persönlich in Anspruch zu nehmen (dazu oben Rz. 3.113 ff. und 3.133 ff.). Ungeachtet der genannten Defizite sollen (und müssen) hier aber die gesetz- 5.31 lichen Regelungen vorgestellt werden, mit denen die Kapitalaufbringung und -erhaltung sichergestellt werden sollen. 2.

Kapitalaufbringung

a)

Normalfall

Im Mittelpunkt steht die Verpflichtung der Gesellschafter (Aktionäre oder 5.32 GmbH-Gesellschafter), die übernommene Einlageverpflichtung zu erfüllen. Dazu müssen sich die Gesellschafter mindestens zur Leistung des geringsten Ausgabebetrages der Aktie oder des Nominalbetrages des GmbH-Geschäftsanteils verpflichten (Art. 8 Abs. 1 Zweite Richtlinie, § 54 Abs. 1 und 2 AktG, § 19 Abs. 1 und 2 GmbHG). Der auf die einzelne Aktie entfallende geringste Ausgabebetrag und der auf den einzelnen GmbH-Geschäftsanteil entfallende Nennbetrag ist in der Satzung zu bestimmen (Art. 3 b Zweite Richtlinie, § 23 Abs. 3 Nr. 4 AktG, § 3 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG). Die Summe der Nennbeträge der einzelnen Nennbetragsaktien, die Summe der rechnerisch (da nicht offen ausgewiesenen; vgl. oben Rz. 2.69) auf die einzelnen Stückaktien entfallenden Teilbeträge des Grundkapitals oder die Summe der einzelnen GmbH-Geschäftsanteile entspricht dabei dem Grundkapital der Aktiengesellschaft bzw. dem Stammkapital der GmbH (§ 1 Abs. 2 AktG, § 5 Abs. 3 Satz 3 GmbHG). Dessen Gesamtumfang ist in die Satzung aufzunehmen (Art. 2 c Zweite Richtlinie, § 23 Abs. 3 Nr. 3 AktG, § 3 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG). Das Gesetz legt insoweit lediglich einen Mindestbetrag fest (§ 7 AktG: 50.000 Euro [Art. 6 Abs. 1 Zweite Richtlinie]; Art. 4 Abs. 2 SE-VO: 120.000 Euro; § 5 Abs. 1 GmbHG: 25.000 Euro); dieser kann bei der durch das MoMiG eingeführten „Unternehmergesellschaft“ unterschritten werden (dazu sogleich Rz. 5.45a ff.). Für die Europäische Aktiengesellschaft fehlt es an eigenständigen Regelungen über die

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

Kapitalaufbringung; sie wird vielmehr als erfasst von dem Generalverweis auf das nationale Recht des Sitzstaats in Bezug auf die Gründungsvorschriften (Art. 15 SE-VO) angesehen; hinsichtlich der Kapitalerhaltung, Änderungen des Kapitals und in Bezug auf die ausgebbaren Wertpapiere ist das nationale Recht des Sitzstaats demgegenüber über Art. 5 SE-VO berufen.32) Neben die Einlagepflicht tritt inzwischen die Pflicht des Gesellschafters zur Vermeidung existenzvernichtender Eingriffe; darauf wird später ausführlicher einzugehen sein (unten Rz. 5.172 ff.). 5.33 Sobald die entsprechenden Einlageverpflichtungen seitens der Gründer übernommen wurden, ist die Aktiengesellschaft errichtet (§ 29 AktG). Bei der GmbH erfolgt demgegenüber keine vom Vertragsschluss getrennte „Übernahme“ der Anteile; sie erfolgt vielmehr mit Vertragsschluss selbst (§§ 2, 3 GmbHG). Gleichwohl kann eine Gesellschaft in diesem Zeitpunkt noch nicht zum Handelsregister angemeldet werden und damit die Rechtsfähigkeit erlangen. Voraussetzung ist vielmehr zusätzlich, dass ein bestimmter Teilbetrag der übernommenen Einlageverpflichtung auch tatsächlich ordnungsgemäß eingezahlt wurde (§ 36 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 7 Abs. 2 GmbHG). 5.34 Dieser Teilbetrag muss nach § 36a Abs. 1 AktG, Art. 9 Abs. 1 Zweite Richtlinie mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren Betrag als diesen auch den Mehrbetrag umfassen. Für die GmbH ergibt sich dies aus § 7 Abs. 2 Satz 1 GmbHG; dessen Satz 2 bestimmt aber ergänzend, dass der Gesamtbetrag der eingezahlten Geschäftsanteile 12.500 Euro erreichen muss. Wird eine Gesellschaft durch nur eine Person errichtet, muss diese zudem nach § 36 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 7 Abs. 2 Satz 3 GmbHG für den noch offenen Teil der Bareinlagen Sicherheit leisten. Auf der Grundlage der Satzung oder eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses kann aber auch die Einzahlung eines höheren Prozentsatzes der Einlageverpflichtung verlangt werden; wird dies verlangt, so müssen die entsprechenden Zahlungen bei der Aktiengesellschaft ebenfalls vor der Anmeldung geleistet sein (§ 36 Abs. 2 Satz 1 AktG). Vor allem bei Publikumsaktiengesellschaften ist die Volleinzahlung die Regel; denn nicht voll eingezahlte Aktien (sog. teileingezahlte Aktien) sind nur beschränkt verkehrsfähig und können insbesondere nicht Inhaberaktien mit der Möglichkeit der Übertragung nach §§ 929 ff. BGB sein (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AktG). 5.35 Die Einzahlung des vom Gesetz geforderten Mindest- oder in Satzung/Gesellschafterbeschluss festgelegten höheren Betrages muss „endgültig zur freien Ver___________ 32) Vgl. MünchKomm-Oechsler, Art. 5 SE-VO Rz. 7; Spindler/Stilz/Casper, AktG, Art. 5 SEVO Rz. 1; abw. noch (für Erfassung durch Art. 5 SE-VO) Hirte, NZG 2002, 1, 9 (mit einigen Folgerungen); siehe dazu im Übrigen (im Zusammenhang mit der genehmigten Kapitalerhöhung) Hirte, in: GroßK, § 202 AktG Rz. 57 ff.; zusammenfassend zur Finanzverfassung der SE Koke, Die Finanzverfassung der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) mit Sitz in Deutschland (2005).

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

fügung des Vorstands“ (§ 36 Abs. 2 Satz 1 AktG) bzw. endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer (arg. § 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG) geschehen. Dies ist bei der Anmeldung nach § 37 Abs. 1 Satz 2 AktG bzw. § 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG nachzuweisen. Der durch das MoMiG neu gefasste § 8 Abs. 2 Satz 2 GmbHG legt dabei für die GmbH nunmehr fest, dass im Regelfall die (strafbewehrte: § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG) Versicherung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG ausreicht und nicht etwa standardisiert Einzahlungsbelege verlangt werden dürfen (anders insoweit unverändert § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG); denn die Beibringung von Nachweisen kann nur noch „bei erheblichen Zweifeln“ an der Richtigkeit der Versicherung verlangt werden;33) diese schon auf den MoMiGRegierungsentwurf zurückgehende Reduzierung der formellen Kontrolldichte des Registergerichts steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu deren – gleich noch anzusprechender – Verschärfung durch den Rechtsausschuss. „Freie Verfügung“ bedeutet, dass die Verwaltung rechtlich in der Lage sein muss, nach der Anmeldung über die eingezahlten Mittel im Sinne der Gesellschaft zu verfügen. Eine „freie Verfügung“ scheidet daher aus, wenn bereits vor der Anmeldung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister über den auf ein Konto eingezahlten Betrag verfügt wurde. Hier ist vor allen Dingen an eine Vorausabtretung zu denken. Besonders beschäftigt haben die Praxis die Fälle des „Hin- und Herzahlens“, in denen die geleistete Einlage aufgrund eines im Vorhinein gefassten Plans alsbald nach Einlageleistung wieder an den Gesellschafter zurückfloss. Beispiele: Rückzahlung einer der Einlageverpflichtung identischen Summe am selben Tag: BGH ZIP 2004, 1046 = NZG 2004, 618 = DStR 2004, 1096; Darlehensgewährung an Gesellschafter zwei Wochen nach Einzahlung des Stammkapitals: OLG Schleswig ZIP 2000, 1833 = NJW-RR 2001, 175 = ZInsO 2000, 501 = DB 2000, 2361; kritisch hierzu Johlke/Bormann, ZInsO 2000, 486; Bormann/ Halaczinsky, GmbHR 2000, 1022 (Entgegnung durch Emde, GmbHR 2000, 1193); Rückzahlung des Einlagebetrages an den Einleger aufgrund „Darlehensabrede“ oder „Treuhandabrede“: BGHZ 165, 113 = NJW 2006, 509 = NZG 2006, 24 = ZIP 2005, 2203 = EWiR § 54 AktG 1/06, 33 (T. Tillmann); BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331, 332.

5.35a

Hier hatte die Rechtsprechung eine korrekte Einlageleistung verneint mit der 5.35b Folge, dass sie – vor allem im Fall späterer Insolvenz nach Aufforderung durch den Insolvenzverwalter nochmals zu leisten war, während der Gegenanspruch nur als Insolvenzforderung angemeldet werden konnte. Gleiches galt auch für den umgekehrten Fall („Her- und Hinzahlen“), in dem dem Inferenten die Mittel zur Begleichung der Einlageschuld vorab aus Mitteln der GmbH „darlehensweise“ überlassen wurden.34)

___________ 33) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 35. 34) BGH NZG 2006, 716 = NJW-RR 2006, 1630 = ZIP 2006, 1633, 1634 (Vorinstanz OLG München NZG 2005, 311 = ZIP 2005, 581 [Ls.]).

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

5.35c Mit dem durch das MoMiG eingefügten § 19 Abs. 5 GmbHG (geändert gegenüber § 8 Abs. 2 Satz 2 RegE-GmbHG) hat das Gesetz für den Bereich der GmbH und durch das ARUG in § 27 Abs. 4 AktG zwischenzeitlich auch für das Aktienrecht die Fälle des „Hin- und Herzahlens“ neu geregelt, um das beträchtliche Risiko einer doppelten Einlageleistung abzumildern. Sofern hier keine verdeckte Sacheinlage i. S. v. § 19 Abs. 4 GmbHG, § 27 Abs. 3 AktG anzunehmen ist (deren unten Rz. 5.64 ff. vorgestellte Regelungen sind also vorrangig), greift jetzt eine „bilanzielle Betrachtungsweise“ Platz: Der Gesellschafter ist von seiner Einlageverpflichtung (scil.: trotz Rückzahlung!) befreit, wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist.35) Gegenüber dem MoMiG-Regierungsentwurf hat das Gesetz dies aber insoweit eingeschränkt, als der Rückgewähranspruch jederzeit fällig sein muss oder durch eine fristlose Kündigung seitens der Gesellschaft fällig gestellt werden kann; denn bei einem erst nach längerer Zeit kündbaren Darlehen ist die Prognose sehr unsicher, ob der Rückzahlungsanspruch tatsächlich vollwertig ist.36) Für die Beurteilung der – insoweit gegenüber dem Regierungsentwurf verschärften – Anforderungen an die Vollwertigkeit kommt es aber unverändert auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Rückzahlung an den Gesellschafter an.37) Und: anders als bei der Neufassung der § 57 AktG, § 30 GmbHG (dazu unten Rz. 5.76a) greift die bilanzielle Betrachtung hier erst, „wenn“ die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist, nicht also etwa „soweit“ sie gedeckt ist. Entwertet sich der (anfangs vollwertige) Rückgewähranspruch später, kann es eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers darstellen, eine abzuwertende Forderung stehen zu lassen und nicht geltend zu machen;38) eine Abwertung kann zudem eine Pflicht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung wegen Verlusts der Hälfte des Kapitals begründen.39) Vor allem aber werden in der Zukunft die an eine nicht korrekte Bilanzierung einschließlich ihrer Prüfung anknüpfenden Folgen verstärkte Aufmerksamkeit erfahren (müssen). An die Stelle eines dinglich-gegenständlichen, von den Vorstellungen des Einzel-Zwangsvollstreckungsrechts geprägten Verständnisses tritt damit jetzt eine wertmäßige Betrachtung. 5.35d Entgegen der Fassung des Regierungsentwurfs ist auch hier – wie auch bei der verschleierten Sacheinlage – die öffentlich-rechtliche Kontrolle verstärkt bzw. beibehalten worden: Denn die Vereinbarung des Hin- und Herzahlens bzw. die ___________ 35) Dazu A. Henkel, NZI 2010, 84; zust. Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1073; krit. Büchel, GmbHR 2007, 1065, 1067 f.; Drygala, NZG 2007, 561, 563 f.; Heckschen, DStR 2007, 1442, 1447. 36) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 56; zuvor Ulmer, ZIP 2008, 45, 53 ff. 37) Zum RegE Bormann, GmbHR 2007, 897, 902; Kallmeyer, DB 2007, 2755; wohl auch Gehrlein, Konzern 2007, 771, 782. 38) Gehrlein, Konzern 2007, 771, 785. 39) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 41.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

entsprechende Rückzahlung ist nach § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG (bzw. § 27 Abs. 4 AktG) in der Anmeldung nach § 8 GmbHG (bzw. § 37 AktG) anzugeben, damit der Registerrichter prüfen kann, ob die Voraussetzungen der Erfüllungswirkung trotz Rückzahlung gegeben sind.40) Eine zusätzliche Klarstellung, dass unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 GmbHG (bzw. jetzt auch § 27 Abs. 4 AktG) die in § 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG (bzw. § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG) aufgestellte Voraussetzung einer „Leistung zur endgültigen freien Verfügung der Geschäftsführer“ nicht mehr in Frage gestellt werden kann, hielt der Gesetzgeber – da selbstverständlich – nicht für erforderlich.41) Für die Praxis von besonderer Bedeutung ist, dass den Regelungen zum Hin- und 5.35e Herzahlen grundsätzlich Rückwirkung auch schon für vor Inkrafttreten des Gesetzes vereinbarte Einlageleistungen beigelegt wird (§ 3 Abs. 4 Satz 1 EGGmbHG; § 20 Abs. 7 Satz 1 EGAktG); das ist nur dann anders, wenn über die aus der Unwirksamkeit folgenden Ansprüche bereits rechtskräftig entschieden wurde oder sie zum Gegenstand einer wirksamen Vereinbarung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter gemacht wurden (§ 3 Abs. 4 Satz 2 EGGmbHG; § 20 Abs. 7 Satz 2 EGAktG).

Bei Zahlung des Betrages auf das Konto eines Kreditinstituts hat dieses zu be- 5.35f stätigen, dass die Zahlung „zur freien Verfügung“ der Verwaltung erfolgt ist; ist diese Bestätigung falsch, haftet die Bank nach § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG (im GmbH-Recht analog) den Gläubigern auf ihren dadurch verursachten Schaden; sie muss daher unter Umständen die Einlage dann nochmals leisten.42) Allerdings bezieht sich die Bestätigung nur auf die Voraussetzungen der Erfüllung der Einlageschuld und besagt nicht, dass die Einlage noch unversehrt im Gesellschaftsvermögen vorhanden ist.43) Angesichts des Fehlens einer § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG entsprechenden ausdrück- 5.36 lichen Regelung im GmbH-Recht kann die Haftung einer Bank wegen unrichtiger Bankbestätigung zum Zwecke der Eintragung einer Kapitalerhöhung dann noch nicht angenommen werden, wenn das Registergericht die Bank lediglich zum Nach-

___________ 40) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 56. 41) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 56. 42) BGHZ 113, 335 (Foton) = ZIP 1991, 511 = NJW 1991, 1754 = EWiR § 57 GmbHG 2/91, 1213 (Frey) (GmbH); BGHZ 119, 177 = ZIP 1992, 1387 = NJW 1992, 3300 (AG); BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, 212 = NJW 2003, 825 = NZG 2003, 168 = NZI 2003, 172 = EWiR § 19 GmbHG 1/03, 223 (Blöse); zu diesem Komplex ausführlich Bayer, GmbHR 2004, 445; Hüffer, ZGR 1993, 474; Ihrig, Die endgültige freie Verfügung über die Einlage von Kapitalgesellschaften (1991); Ulmer, GmbHR 1993, 189; zusammenfassend Hirte, NJW 1996, 2827, 2834, 2841; ders., NJW 2000, 3321, 3328; zur Aufklärungspflicht des Notars über den Begriff der „freien Verfügung“ BGH NJW 1996, 524 = ZIP 1996, 19 = DStR 1996, 273 (Goette) = EWiR § 17 BeurkG 2/96, 439 (Limmer) = LM H. 4/1996 BeurkG Nr. 56. 43) BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799, 800 f. = NJW 2002, 1716 = NZG 2002, 522 = NZI 2002, 339 = DStR 2002, 1538 (hier wurde das im Wesentlichen wortgleiche Parallelurteil II ZR 11/01 abgedruckt); BGH ZIP 2005, 2012, 2014 ff. = NJW 2005, 3721 = EWiR § 37 AktG 1/2007, 545 (Stefan Werner).

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

weis der Einzahlung des Stammkapitals aufgefordert hat und diese die Gutschrift auf das bei ihr geführte Gesellschaftskonto bestätigt. Denn dieser Aussage sei (noch) nicht zugleich die Bestätigung auch darüber zu entnehmen, dass sich der Betrag endgültig in der freien Verfügung der Gesellschaft befinde, etwa wenn er sofort mit einem Sollsaldo verrechnet worden sein sollte.44)

5.37 An der „freien Verfügung“ fehlt es allerdings dann noch nicht, wenn schon vor der Einlageleistung feststeht (insbesondere bei späteren Kapitalerhöhungen), zu welchem Zweck das frische Kapital verwendet werden soll. Denn dies ist Gegenstand ordentlicher kaufmännischer Finanzplanung, hindert die Verwaltung aber rechtlich nicht an einer anderweitigen Verfügung.45) Daher war der Begriff der „endgültigen freien Verfügung“ auch schon früher nicht gegenständlich, sondern wertmäßig zu verstehen gewesen; denn sonst wäre die Einlage eines bis zur Eintragung fortzuführenden Unternehmens nicht möglich. 5.38 Fehlerhafte Erklärungen in diesem Zusammenhang sind nach § 399 Abs. 1 Nr. 1 AktG, § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG („Gründungsschwindel“) strafbewehrt.46) Für die vor der Anmeldung der Gesellschaft zu leistenden Zahlungen findet sich in § 54 Abs. 3 Satz 1 AktG eine ausdrückliche Klarstellung, dass auch die Leistung auf ein Konto als Erfüllung und nicht nur Leistung erfüllungshalber

___________ 44) BGH NJW 1997, 945 = ZIP 1997, 281 = DStR 1997, 377 (Goette) = LM H. 5/1997 § 57 GmbHG Nr. 4 (G. H. Roth) = EWiR § 37 AktG 1/97, 243 (Rawert); dazu Spindler, ZGR 1997, 537; abw. Vorinstanz OLG Stuttgart ZIP 1995, 1595 = EWiR § 57 GmbHG 1/95, 789 (von Gerkan) = WiB 1996, 76 (Edelmann). 45) BGH WM 1990, 1820, 1821 = BGH ZIP 1990, 1400 = NJW 1991, 226 = EWiR § 7 GmbHG 1/90, 1207 (Crezelius) (GmbH); BGH ZIP 1991, 445 = NJW 1991, 1294 = EWiR § 8 GmbHG 1/91, 377 (Roth) (GmbH) (Einzahlung auf ein debitorisch geführtes Bankkonto mit der Möglichkeit, über Mittel in entsprechender Höhe frei zu verfügen); BGH ZIP 1992, 1303, 1305 = NJW 1992, 2698 = EWiR § 19 GmbHG 5/92, 997 (Fleck) (GmbH); BGHZ 119, 177 = ZIP 1992, 1387 = NJW 1992, 3300 = LM H. 1/1993 § 188 AktG 1965 Nr. 2 (Heidenhain); BGHZ 122, 180, 184 = ZIP 1993, 667, 668 = EWiR § 186 AktG 4/93, 1045 (Lutter) (aber nicht, wenn die Kapitalerhöhung durch die Gesellschaft finanziert wird); BGH ZIP 1996, 1466 = NJW-RR 1996, 1249, 1250 = DStR 1996, 1416 (Goette) = EWiR § 55 GmbHG 1/96, 885 (von Gerkan) (dort mit falscher Datumsangabe des Urteils); BGHZ 171, 113 = ZIP 2007, 528 = NZG 2007, 300 = EWiR § 19 GmbHG 2/07, 331 (Rohde) (dazu Goette, ZInsO 2007, 1177, 1178); OLG Stuttgart ZIP 1995, 1595 = EWiR § 57 GmbHG 1/95, 789 (von Gerkan); Hirte, NJW 1996, 2827, 2841; ders., NJW 2000, 3321, 3328; Wiedemann, in: GroßK, § 188 AktG Rz. 9, 20; nicht aber bei Berechtigung der Bank zur Verrechnung der Einlagesumme mit eigenen Gegenforderungen: LG Frankenthal WM 1996, 726 = EWiR § 19 GmbHG 3/96, 607 (Kowalski). 46) BGH ZIP 2005, 2012, 2014 ff. = NJW 2005, 3721= EWiR § 37 AktG 1/2007, 545 (Stefan Werner). – Zur Strafbarkeit auch des bloß faktischen Geschäftsführers in diesem Zusammenhang BGHSt 46, 62 = ZIP 2000, 1390, 1391 = NJW 2000, 2285 = ZInsO 2000, 391.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

gilt.47) § 54 Abs. 3 AktG schließt aber andererseits die Erfüllung der Einlageschuld durch Leistung an Dritte abweichend von § 362 Abs. 2 BGB aus.48) Die Einlage darf allerdings nach bisherigem, vor Inkrafttreten des MoMiG 5.39 herrschenden Verständnis erst nach Aufforderung durch die Gesellschaft erbracht werden. Wird zu früh geleistet, gilt die Zahlung als nicht auf die Einlageschuld erfolgt, und der Gesellschafter riskiert, seine Einlageverbindlichkeit nochmals erbringen zu müssen (zur Parallelproblematik bei Kapitalerhöhungen unten Rz. 6.19; zur dahinter stehenden grundsätzlichen Frage, inwieweit die Überlegungen des MoMiG auch auf andere, nicht explizit angesprochene Komplexe zu übertragen sind, oben Rz. 2.47a).49) Die Gesellschaft selbst kann ihre eigenen Aktien nicht zeichnen (Art. 20 5.40 [früher Art. 18] Abs. 1 Zweite Richtlinie, § 56 Abs. 1 AktG). Die Gründe entsprechen denen, aus denen auch ein späterer (derivativer) Erwerb eigener Aktien unzulässig ist (dazu unten Rz. 5.95 ff.). Der nicht eingezahlte Teil der Einlageverpflichtungen kann zu einem späteren 5.41 Zeitpunkt von der Gesellschaft eingefordert werden; innergesellschaftlich setzt dies bei der Aktiengesellschaft eine Aufforderung durch den Vorstand (§ 63 Abs. 1 Satz 1 AktG), bei der GmbH einen Beschluss der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 2 GmbHG) voraus. Sofern dies nicht geschieht, bleiben die Einlageansprüche als Sicherheit für die Gläubiger erhalten und können spätestens in der Insolvenz vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Sie können aber einer Schiedsabrede unterworfen werden, die im Falle der Insolvenz auch den Insolvenzverwalter bindet.50) ___________ 47) Zur Erfüllungswirkung bei Leistung auf ein Konto des Geschäftsführers BGH ZIP 2001, 513, 514 f. = NJW 2001, 1647 = DStR 2001, 631 = NZG 2001, 469 = NZI 2001, 249 = EWiR § 177 BGB 1/01, 361 (Heckschen); zur Tilgungswirkung einer Zahlung ohne Tilgungsbestimmung BGH ZIP 2001, 1997, 1998 = NJW 2001, 3781 = NZG 2002, 45 = NZI 2002, 37 = EWiR § 8 GmbHG 1/01, 1149 (Keil). – Bei der GmbH dürfte § 54 Abs. 3 AktG sinngemäß gelten: Grunewald, GesR, § 13 Rz. 23; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 7 GmbHG Rz. 8; Mülbert, ZHR 154 (1990), 145, 158. 48) Wiedemann, in: GroßK, § 188 AktG Rz. 12. 49) BGHZ 118, 83 = ZIP 1992, 995 = NJW 1992, 2222 (Beton- und Monierbau AG); BGH ZIP 1995, 28 = NJW 1995, 460 = EWiR § 188 AktG 1/95, 107 (von Gerkan) (AG) (dazu Groß, GmbHR 1995, 845; BGHZ 168, 201 ff. = ZIP 2006, 2214 ff. = NJW 2007, 515 = DStR 2006, 2266; BGH ZIP 2012, 1857 Tz. 18 f. = NJW 2012, 3035 = NZG 2012, 1067 = DStR 2012, 1929 (dort vor allem zur Frage der Erfüllung der zunächst nicht erfüllten Einlagepflicht); OLG Düsseldorf ZIP 2000, 837 = EWiR § 19 GmbHG 1/2000, 495 (Undritz) (inzwischen rkr.); dazu und zur Ausnahme bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung Hirte, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (3. Aufl. 2009), S. 902, 927 Rz. 59; ders., Die vereinfachte Kapitalherabsetzung bei der GmbH (1997), S. 49; kritisch gegenüber einer Fortgeltung dieser Grundsätze nach Inkrafttreten des MoMiG Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz (2009), S. 103 ff., 150 ff.; ders., ZGR 2009, 126, 128 ff. 50) BGHZ 160, 127 = ZIP 2004, 1616, 1619 = NJW 2004, 2898 = NZG 2004, 905 = EWiR § 1025 ZPO a. F. 1/2005, 239 (Kuhne).

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

5.42 Um ihren Bestand im Interesse der Gläubiger zu gewährleisten, schreibt das Gesetz vor, dass die Gesellschafter von ihrer Leistungspflicht nicht befreit werden können; Erlass oder Stundung der Verbindlichkeit seitens der Gesellschaft sind daher unzulässig (Art. 14 [früher Art. 12] Zweite Richtlinie, § 66 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 19 Abs. 2 Satz 1 GmbHG). Auch eine Aufrechnung seitens des Gesellschafters wird vom Gesetz für unzulässig erklärt (§ 66 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG [mit Ausnahme bei Beachtung der Sacheinlagevorschriften]).51) Zudem verjähren Einlageansprüche der Gesellschaft erst zehn Jahre nach ihrer Entstehung (§ 54 Abs. 4 AktG, § 19 Abs. 6 GmbHG). Und bei einem Gesellschafter, der seine Beteiligung von einem anderen Gesellschafter erworben hat, hilft selbst eine Anfechtung des Anteilserwerbs wegen arglistiger Täuschung nicht weiter.52) Ziel dieser Normen und Regeln ist es, eine reale Kapitalaufbringung zu gewährleisten. 5.43 Nicht so eindeutig ist die Lage bezüglich einer Aufrechnung seitens der Gesellschaft. Jedenfalls soweit die Leistung nach § 54 Abs. 3 AktG zu erbringen ist, ist eine Aufrechnung in jedem Fall unzulässig. § 19 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 (früher Abs. 5 Alt. 2) GmbHG erklärt auch eine Aufrechnung gegen Forderungen auf Vergütung wegen Überlassung von Vermögensgegenständen für unzulässig, wenn nicht die Regeln über die Einbringung von Sacheinlagen beachtet wurden. Auch darüber hinaus ließ man die Aufrechnung seitens der Gesellschaft bislang nur zu, wenn die Forderung des Aktionärs oder GmbHGesellschafters, gegen die die Gesellschaft aufrechnet, vollwertig (= in einer Insolvenz in vollem Umfang und nicht nur mit der Quote bedienbar), fällig und liquide (= nach Grund und Höhe unbestritten sowie keinen Einwendungen ausgesetzt) ist. Denn sonst wäre der Aktionär in dem darüber hinausgehenden Umfang gleichwohl entgegen § 66 AktG, § 19 GmbHG von seiner Einlagepflicht befreit worden.53) Durch die bereits vorgestellten Neuregelungen zur Verankerung der „bilanziellen Betrachtungsweise“ bei der Kapitalaufbringung wird dieser strenge Ansatz jedoch deutlich in Frage gestellt. ___________ 51) Zur Anwendbarkeit des Aufrechnungsverbots (auch) auf den Erstattungsanspruch des § 31 Abs. 1 GmbHG OLG Düsseldorf ZIP 1995, 1907 = EWiR § 31 GmbHG 1/96, 27 (von Gerkan). 52) Zu den Ausnahmen (bei Kenntnis des Geschäftsführers um die Umstände einer von der Einlageverbindlichkeit nicht befreienden verdeckten Sacheinlage) OLG Hamburg NJWRR 1998, 899 = EWiR § 16 GmbHG 1/98, 317 (Reiff) (inzwischen rkr.). 53) BGHZ 15, 52, 57, 60; BGHZ 42, 89, 93; BGHZ 90, 370, 372 f. = ZIP 1984, 698 = NJW 1984, 1891 (GmbH); BGHZ 125, 141 = ZIP 1994, 701 = NJW 1994, 1477 = EWiR § 19 GmbHG 1/94, 467 (von Gerkan) (GmbH); BGHZ 132, 141 = ZIP 1996, 668, 671 = NJW 1996, 1473 = EWiR § 19 GmbHG 2/96, 509 (Weipert) = LM H. 6/1996 § 5 GmbHG Nr. 14 (GmbH); BGHZ 152, 37 = ZIP 2002, 2045, 2047 f. = NJW 2002, 3774 = NZG 2002, 1172 = NZI 2003, 50 = DStR 2002, 2088; BGHZ 191, 364 (Babcock Borsig) = ZIP 2012, 73 = NJW-RR 2012, 866 = NZG 2012, 69 = DStR 2012, 251 = EWiR § 9 AktG 1/12, 129 (Vosberg/Klawa) (für Vergleich über Differenzhaftungsanspruch); dazu Müller, ZGR 1995, 327; Wiedemann, in: GroßK, § 183 AktG Rz. 88 ff., 111.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Im Verhältnis zur Gesellschaft ist der Gesellschafter für die Leistung seiner 5.44 Einlage beweispflichtig, was insbesondere in einem späteren Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft von Bedeutung sein kann.54) Der Beweis wird dabei nicht geführt, wenn der Gesellschafter allein darauf verweisen kann, eine Überweisung mit dem Vermerk „Einlage/Darlehen“ getätigt zu haben, die den Betrag der bis dahin noch offenen Einlageforderung übersteigt. Denn dadurch sei der Verwendungszweck nicht eindeutig.55) Für den Fall, dass die geschuldeten Einlagen nicht geleistet werden, sieht das 5.45 Kapitalgesellschaftsrecht in Form der Kaduzierung ein besonderes Vollstreckungsverfahren vor (dazu oben Rz. 4.85). Danach ist der Ausschluss des mit seiner Einlagepflicht säumigen Gesellschafters aus der Gesellschaft möglich (§ 64 AktG, § 21 GmbHG). Kann die Zahlung vom säumigen Gesellschafter nicht erlangt werden, können subsidiär zudem die früheren Inhaber der Aktie bzw. des Geschäftsanteils (die „Vormänner“) in Anspruch genommen werden (§ 65 Abs. 1 AktG, § 22 Abs. 1 GmbHG). Ist die Einlageschuld auch so nicht beizutreiben, müssen in der GmbH – anders als in der Aktiengesellschaft – die übrigen Gesellschafter den Fehlbetrag nach dem Verhältnis ihrer Geschäftsanteile aufbringen (§ 24 GmbHG). Dafür reicht es, wenn die Gesellschaftereigenschaft der haftenden Gesellschafter noch zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Einlageforderung gegeben war. Denn der Anspruch der Gesellschaft auf Zahlung des Fehlbetrages entsteht bereits in diesem Zeitpunkt, wenngleich unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Voraussetzungen der §§ 21 – 23 GmbHG.56) b)

Unternehmergesellschaft

Letztlich als Kompromiss zwischen denen, die eine vollständige Abschaffung 5.45a des Mindest-Kapitalerfordernisses befürwortet hatten, und denen, die sich für dessen Beibehaltung ausgesprochen hatten (zum Streit darüber bereits oben Rz. 5.24 ff.), wurde durch das MoMiG – auf maßgeblichen Einfluss des CDUAbgeordneten Gehb hin57) – die „Unternehmergesellschaft“ (UG) eingeführt ___________ 54) OLG Brandenburg ZIP 2006, 1343, 1345 ff. = EWiR § 19 GmbHG 4/2006, 567 (Kleinschmidt/Hoos) (Beweiserleichterungen nach Ablauf von „nur“ 13 Jahren verneinend); OLG Jena ZIP 2006, 1862, 1863 = NZG 2006, 752; Einzelheiten bei A. Henkel, NZI 2005, 649. 55) OLG Oldenburg NJW-RR 1997, 1325 = ZIP 1996, 2026 = EWiR § 19 GmbHG 1/97, 115 (van Zwoll); dazu auch OLG Köln NJW 1996, 2802 (Ls.) = NJW-RR 1996, 939 = WiB 1996, 631 (Gummert). 56) BGH NJW 1996, 2306 = ZIP 1996, 1248 = EWiR § 24 GmbHG 1/96, 743 (von Gerkan) = DStR 1996, 1574 (Goette) = WuB II C. § 24 GmbHG 1.96 (Bayer) = LM H. 10/1996, § 24 GmbHG Nr. 2; ausführlich zur Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG und ihren Voraussetzungen Pießkalla, ZInsO 2014, 1371, 1373 ff. 57) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 31.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

(§ 5a GmbHG). Dabei handelt es sich – das sei ausdrücklich betont – zunächst einmal um eine normale GmbH.58) aa)

Sonderregelungen für die Unternehmergesellschaft

5.45b Nach der Sonderregelung in § 5a GmbHG kann eine GmbH aber auch mit einer geringeren59) Ziffer als 25.000 Euro als Stammkapital gegründet werden, nämlich – da mindestens ein Geschäftsanteil zu zeichnen ist – mit mindestens einem Euro. Faktisch dürfte freilich ein deutlich höherer Betrag erforderlich sein, um – was zulässig ist (arg. § 26 Abs. 2 AktG) – den Gründungsaufwand zu Lasten der Gesellschaft zu decken (siehe dazu auch die jeweiligen Nrn. 5 der Musterprotokolle für eine GmbHG-Gründung [Anlage 1 zum GmbHG]) und nicht sofort (drohend) zahlungsunfähig oder überschuldet zu sein (dazu auch sogleich Rz. 5.45d). Nach vielfach vertretener (aber nicht überzeugender) Auffassung soll nur eine Neugründung möglich sein, so dass eine vorhandene GmbH nicht in eine UG umgewandelt werden kann (dazu näher unten Rz. 6.113); jedenfalls aber wird eine normale GmbH – etwa nach einem Verlust ihres Kapitals – nicht automatisch zur UG.60) Als Instrument des Gläubigerschutzes bedarf die UG einer besonderen (nicht abgekürzten) Firmierung als „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ (§ 5a Abs. 1 GmbHG).61) Dabei handelt es sich, wie der Rechtsausschuss klargestellt hat, nicht um einen „Rechtsformzusatz“, sondern um eine die Besonderheit der UG klarstellende „Bezeichnung“.62) Gleichwohl ist über die Rechtsfolgen einer unterlassenen Beifügung des Zusatzes oder seiner fehlerhaften Gestaltung heftiger Streit entbrannt (dazu oben Rz. 3.108). 5.45c Zur Stärkung des Gläubigerschutzes darf eine Anmeldung hier erst erfolgen, wenn das gesamte (regelmäßig sehr geringe!) Stammkapital (nicht nur die Hälfte wie nach § 7 Abs. 2 GmbHG für eine mit dem sonst erforderlichen Mindestkapital errichtete GmbH) eingezahlt ist, und es dürfen auch keine Sacheinlagen erbracht werden (§ 5a Abs. 2 GmbHG; zu diesen im Übrigen sogleich Rz. 5.52 ff.); das gilt allerdings – wie der BGH zwischenzeitlich klarstellte – nur für Kapitalerhöhungen bis zum Betrag des Mindeststammkapitals des § 5

___________ 58) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 31. 59) Selbstverständlich möglich ist auch die Gründung mit einer höheren Ziffer. 60) Bormann, GmbHR 2007, 897, 898 f.; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1491 (dort auch zu weiteren Umwandlungsfällen und -verboten); Gehrlein, Konzern 2007, 771, 779; krit. hierzu Veil, GmbHR 2007, 1080, 1084. 61) Das gilt auch für die Komplementär-UG einer KG: KG ZIP 2009, 2293 = NZG 2009, 1159 = DStR 2009, 2114. – Zur Kritik am Verbot, den Zusatz abzukürzen, Hirte, ZInsO 2008, 146, 148. 62) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 55.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Abs. 1 GmbHG.63) Werden gleichwohl Sacheinlagen verabredet, soll eine solche Abrede nach § 134 i. V. m. § 139 BGB zur Nichtigkeit des gesamten Gesellschaftsvertrages führen.64) Das überzeugt vor dem Hintergrund der Gesamtwertung des neuen Rechts in seiner Schärfe nicht; vielmehr wird man es als ausreichend ansehen müssen, die auch sonst für den Fall einer unzutreffenden Festsetzung von Sacheinlagen Platz greifenden Folgen anzuwenden. Allerdings wird man angesichts des Verbots der Sacheinlage im Falle einer verdeckten Sacheinlage nicht die neuen (privilegierenden) Regelungen des § 19 Abs. 4 GmbHG anwenden können, sondern (auch hier) auf die strengeren Ansätze des bislang geltenden Rechts zurückgreifen müssen.65) Mit Blick auf die geringere Kapitalisierung wird schließlich die Pflicht des § 49 5.45d Abs. 3 GmbHG zur Verlustanzeige modifiziert; diese ist nicht erst bei Verlust der Hälfte des Stammkapitals, sondern bei drohender Zahlungsunfähigkeit unverzüglich erforderlich (§ 5a Abs. 4 GmbHG). Daneben kommt, um eine unnötige Pflichtenkumulierung zu vermeiden, die sonst geltende Anzeigepflicht bei Verlust der Hälfte des Stammkapitals nach § 49 Abs. 3 GmbHG nicht zur Anwendung.66) Die auf den ersten Blick bei der UG schnell eintretende Überschuldung – und daraus folgend die Insolvenzantragspflicht – lässt sich unschwer durch die Gewährung von Gesellschafterdarlehen vermeiden, die seit Inkrafttreten des MoMiG im Falle eines leicht erreichbaren Rangrücktritts nicht in den Überschuldungsstatus einzubeziehen sind.67) bb)

Pflicht zur Bildung einer gesetzlichen Rücklage

Vor allem aber sieht das Gesetz als Ausgleich für die fehlende Mindestkapital- 5.45e aufbringung die Verpflichtung vor, aus dem Jahresüberschuss kontinuierlich eine gesetzliche Rücklage zu bilden (§ 5a Abs. 3 Satz 1 GmbHG; zur gesetz___________ 63) BGHZ 189, 254 Tz. 13 ff. = ZIP 2011, 955 = NJW 2011, 1881 = NZG 2011, 664 = NZI 2011, 547 = DStR 2011, 988 = ZInsO 2011, 1021 = EWiR § 5a GmbHG 1/11, 349 (Berninger); dazu Miras, DStR 2011, 1379; Thomas Wachter, NJW 2011, 2620. 64) Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485 f.; Gehrlein, Konzern 2007, 771, 779. 65) Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1486; Joost, ZIP 2007, 2242, 2244; für eine Anwendung von § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. Gehrlein, Konzern 2007, 771, 779. Siehe zu den früher auf verdeckte Sacheinlagen anwendbaren Rechtsgrundsätzen die 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.64 ff. 66) Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 16/ 6140, Anlage 3, S. 75; Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2007, 735 Rz. 25; kritisch Stellungnahme des Bundesrates zum RegE-MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 63; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1489; Joost, ZIP 2007, 2242, 2247 f. 67) Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2007, 735 Rz. 25, 82; Gehrlein, Konzern 2007, 771, 780; übersehen von Drygala, NZG 2007, 561, 563, der für die Unternehmergesellschaft deshalb eine Rückkehr zum zweistufigen Überschuldungsbegriff im Rahmen des § 19 Abs. 1 InsO oder eine völlige Suspendierung der Insolvenzantragspflicht für etwa zwei Jahre ab Gründung vorschlägt.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

lichen Rücklage im Aktienrecht oben Rz. 4.15); diese darf nur zu dem Zweck einer späteren Umwandlung in Kapital im Wege der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags, soweit er nicht durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr gedeckt ist, und zum Ausgleich eines Verlustvortrags aus dem Vorjahr, soweit er nicht durch einen Jahresüberschuss gedeckt ist, verwendet werden (§ 5a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 57c GmbHG);68) das Gesetz ersetzt bei der UG also den (zweifelhaften) Schutz der Gläubiger durch Mindestkapitalaufbringung durch eine über § 30 GmbHG hinausgehende Ausschüttungssperre; dementsprechend umfasst das Ausschüttungsverbot bei der UG auch die gesetzliche Rücklage.69) Die Pflicht zur Rücklagenbildung endet, wenn die Gesellschaft ihr Kapital auf den allgemeinen Mindestbetrag des § 5 Abs. 1 GmbHG erhöht, was nach der Konzeption des Gesetzes in erster Linie durch eine Umwandlung der gesetzlichen Rücklage in Kapital, aber natürlich auch durch effektive Kapitalerhöhung möglich ist (§ 5a Abs. 5 Halbs. 1 GmbHG). Wird diese Umwandlung unterlassen, besteht die Pflicht zur Rücklagenbildung aber weiter und kann sogar weit über das gesetzliche Stammkapital der gewöhnlichen GmbH hinausgehen.70) Die unterlassene Bildung der gesetzlichen Rücklage führt zur Nichtigkeit der Bilanzfeststellung analog § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG und des Gewinnverwendungsbeschlusses analog § 253 AktG, was wiederum zu Rückzahlungsansprüchen gegen die Gesellschafter führt und eine Haftung des Geschäftsführers nach § 43 GmbHG begründen kann.71) 5.45f Nach einer solchen Kapitalerhöhung gelten die besonderen Beschränkungen für die UG nicht mehr; die Gesellschaft kann mithin durch schlichte Firmenänderung72) in eine normale GmbH „umgewandelt“ werden. Die besondere – und identitätsstiftende – Firma darf aber beibehalten werden (§ 5a Abs. 5 Halbs. 2 GmbHG).73) cc)

Einsatzmöglichkeiten der Unternehmergesellschaft

5.45g Nutzbar ist die UG insbesondere für kurzfristige, riskante, aber wenig kapitalintensive Geschäfte.74) Gedacht ist dabei vor allem auch an Existenzgründer.75) ___________ 68) Die beiden letzten Möglichkeiten wurden erst durch den Rechtsausschuss – in Anlehnung an § 150 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 AktG – in das Gesetz eingeführt. 69) Zutreffend Joost, ZIP 2007, 2242, 2247. 70) Veil, GmbHR 2007, 1080, 1083. 71) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 32. 72) Seibert, GmbHR 2007, 673, 676; dazu auch Joost, ZIP 2007, 2242, 2245; Veil, GmbHR 2007, 1080, 1081. 73) Kritisch wegen der (abweichenden und weniger gläubigerschützenden) Finanzverfassung der normalen GmbH Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1491; abw. Seibert, GmbHR 2007, 673, 676. 74) Gehrlein, Konzern 2007, 771, 779; Joost, ZIP 2007, 2242, 2243. 75) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 31.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Dabei bietet es sich an, hierfür zugleich die Möglichkeit einer Gründung durch Musterprotokoll zu nutzen (dazu oben Rz. 2.11a). Auch als Komplementärin ist die UG einsetzbar, wenn der Unternehmensgegenstand dies deckt (dazu unten Rz. 8.45). Allerdings soll die Gesellschaft mit Blick auf den Zwang zur Rücklagenbildung am Unternehmergewinn beteiligt sein müssen.76) Das überzeugt nicht: Denn zunächst folgt aus dem Zwang zur Rücklagenbildung nicht auch ein Zwang zur Gewinnerzielung; schon gar nicht zur Gewinnerzielung in bestimmter Weise. Und zum anderen würde diese Argumentation auch für die Aktiengesellschaft gelten müssen, da auch diese nach § 150 Abs. 2 AktG zur Bildung einer gesetzlichen Rücklage verpflichtet ist; das wird dort aber nicht vertreten.77) Auch soll die Pflicht zur (autonomen) Rücklagenbildung dagegen sprechen, dass die UG als abhängige Gesellschaft einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag schließen kann.78) Auch hier zeigt aber das Aktienrecht in der Parallelfrage, dass das nicht zwingend ist: Vielmehr wird lediglich die Pflicht zur Rücklagenbildung nach § 150 Abs. 2 AktG durch diejenige nach § 300 AktG ersetzt – was dann freilich auch entsprechend für eine vertraglich abhängige UG zu gelten hätte. c)

Aufgeld und Kapitalrücklage

Aktien dürfen nicht zu einem geringeren als dem geringsten Ausgabebetrag, 5.46 GmbH-Geschäftsanteile nicht zu einem geringeren als dem Nennbetrag ausgegeben werden – das in alter Terminologie so bezeichnete Verbot der Unter-pari-Emission (Art. 8 Abs. 1 Zweite Richtlinie, § 9 Abs. 1 AktG, § 14 Satz 2 GmbHG).79) Bei Nennbetragsaktien bildet der Nennbetrag den geringsten Ausgabebetrag, während dies bei Stückaktien der rechnerisch auf die einzelne Aktie entfallende Teil des Grundkapitals ist (§ 9 Abs. 1 AktG). Beide Beträge dürfen den Betrag von einem Euro je Aktie nicht unterschreiten (§ 8 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 AktG; dazu oben Rz. 2.71). Zulässig aber ist es, die Anteile zu einem höheren als dem geringsten Ausgabe- 5.47 betrag bzw. Nennbetrag auszugeben. Der Mehrbetrag wird als Aufgeld oder „Agio“ (Gegensatz Abgeld oder „Disagio“) bezeichnet.80) Auch dieses Aufgeld stellt Eigenkapital dar und ist bei der Aktiengesellschaft nach denselben Regeln ___________ 76) Veil, GmbHR 2007, 1080, 1084; abw. (und wie hier) auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kerstin Andreae, Jerzy Montag, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BTDrucks. 16/10739, S. 1 („Hinsichtlich […] der Beteiligung einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) an einer anderen Gesellschaft gelten keine Besonderheiten“). 77) MünchKomm-Karsten Schmidt, (2. Aufl. 2006), § 105 HGB Rz. 84. 78) Veil, GmbHR 2007, 1080, 1084. 79) Dazu BGHZ 68, 191, 195 sowie in diesem Zusammenhang Hirte, DNotZ 1993, 257. 80) Ausführlich hierzu Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften (2004), S. 21 ff.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

einzulegen wie der geringste Ausgabebetrag einer Aktie oder der Nennbetrag eines Geschäftsanteils. In der Bilanz ist es in die „Kapitalrücklage“ einzustellen (§§ 266 Abs. 3 Ziffer A.II., 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB).81) Das Pendant dazu bilden die „Gewinnrücklagen“, die erst aus späteren Gewinnen gebildet werden (können); ihrer Bildung zieht das Aktienrecht in §§ 58, 254 AktG verschiedene Grenzen, um den Aktionären ein Mindestmaß an Dividende zu garantieren (oben Rz. 4.17 f.). Für das Verhältnis der Rechte der Gesellschafter zueinander ist das gezahlte Aufgeld irrelevant. Im GmbH-Recht wird ein statutarisch (als „Nebenleistung“ im Rahmen von § 3 Abs. 2 GmbHG) vereinbartes Agio mit Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses in gleicher Weise verbindlich wie im Aktienrecht82) (bestätigt durch den durch das MoMiG eingeführten § 9 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Der Umfang der Rücklagen kann deutlich leichter als das Nennkapital nach oben oder unten verändert werden; daher können sie auch ohne formelle Kapitalherabsetzung für Ausschüttungen an die Gesellschafter herangezogen werden. Das Aktienrecht setzt dafür allerdings in § 150 AktG gewisse Schranken, die das GmbH-Recht nicht kennt. 5.48 In dem bereits vorgestellten Bild des Nennkapitals als einer Staumauer stellen sich

die Rücklagen daher als abnehmbare Palisaden auf der Mauer dar. Sie stellen daher eine Art „optische Sicherheitsmarge“ dar und können dazu beitragen, dass der Wert der Anteile im Falle von Verlusten nicht oder weniger schnell unter ihren Nennbetrag sinkt.

5.49 Die Ausgabe von Anteilen mit einem Aufgeld ist vor allem bei Aktiengesellschaften in großem Umfang üblich. Denn dadurch wird der finanzielle Spielraum der Verwaltung deutlich erhöht. Nicht selten übersteigt das Aufgeld den Nennwert der ausgegebenen Aktien beträchtlich. Beispiel: Ausgabe der 5-DM-Aktien der Deutschen Telekom AG bei ihrem ersten Börsengang Ende 1996 zum Preis von 28,50 DM, also mit einem Aufgeld von 23,50 DM.

5.50

5.51 Zwingend ist die Erhebung eines Aufgelds bei einer späteren Erhöhung des Kapitals, wenn das Bezugsrecht ausgeschlossen ist (vgl. § 255 Abs. 2 AktG und dazu unten Rz. 6.30 ff.); denn dadurch wird sichergestellt, dass die neuen Gesellschafter sich im gleichen Umfang an vorhandenen stillen Reserven beteiligen wie die Altgesellschafter. Umstritten ist, ob auch sonst, also bei bestehendem Bezugsrecht, die Freiheit besteht, anstelle eines formell festgesetzten Aufgelds bloß „schuldrechtliche Zuzahlungen“ (die nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB eben-

___________ 81) Dazu Wiedemann, vor § 182 AktG Rz. 86 ff. 82) BGH ZIP 2007, 2416 = DStR 2008, 60 (dort auch zur Möglichkeit, ein Agio bloß schuldrechtlich zu vereinbaren; dazu auch OLG München ZIP 2007, 126 [Kirch Media], bestätigt durch BGH ZIP 2008, 26 = WM 2007, 2381); zuvor in dieselbe Richtung Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften (2004), S. 139 ff.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

falls als Eigenkapital zu verbuchen sind) zu vereinbaren.83) Denn dadurch werden die strengen Regeln über die Kapitalaufbringung unterlaufen. d)

Sacheinlagen

aa)

Allgemeines

Das Gesetz geht in Bezug auf die Einlageverpflichtung von Bar- oder (besser:) 5.52 Geldeinlagen aus.84) Diese sind allerdings keinesfalls die Regel. Insbesondere bei der Gründung von Gesellschaften werden nämlich anstelle von Geld häufig Sachwerte eingebracht. Dies ist – vom Ausnahmefall der Unternehmergesellschaft abgesehen (dazu oben Rz. 5.45c) – zulässig; das Gesetz spricht insoweit von Sacheinlagen. Wegen der damit verbundenen erheblichen Bewertungsschwierigkeiten und des daraus folgenden Manipulationspotentials sieht das Gesetz jedoch zahlreiche Kautelen zum Schutz von Gläubigern und Mitgesellschaftern vor. Die Interessen von Gläubigern sind dann gefährdet, wenn ein Vermögensgegen- 5.53 stand als Sacheinlage eingebracht wird, der nicht den dafür angegebenen Wert erreicht. Zugleich sind in einem solchen Fall aber auch die Interessen der Mitgesellschafter beeinträchtigt: denn diese vertrauen darauf, dass jeder Partner die von ihm übernommenen finanziellen Verpflichtungen erfüllt. Wer dies nicht tut, bereichert sich auf Kosten seiner Kollegen. Beim Fehlen von Mitgesellschaftern, die derartige Manipulationen im eigenen Interesse verhindern wollen, wächst daher die Gefahr von Fehl- (= Über-)Bewertungen zu Lasten der Gläubiger.

Um diese Risiken zu verringern, bestimmt das Gesetz zunächst, dass Sachein- 5.54 lagen nur solche Vermögensgegenstände sein können, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist (Art. 7 Satz 1 Zweite Richtlinie, § 27 Abs. 2 Halbs. 1 AktG, in § 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG nicht definiert). Dies wurde früher gleichgesetzt mit der Bilanzierbarkeit eines Gegenstands, die heute von der herrschenden Meinung demgegenüber als Folge der Werthaltigkeit angesehen wird.85) Den wichtigsten Fall der Sacheinlage, insbesondere bei der Gründung, bildet 5.55 die Einlage ganzer Unternehmen. Wirtschaftlich nur schwer feststellbare Werte wie das know how oder die Güte der Geschäftsbeziehungen sind aber nicht

___________ 83) Für einen Zwang, solche in einem „Investors Agreement“ vereinbarten Zuzahlungen als formelles Aufgeld auszuweisen, BayObLG ZIP 2002, 1484, 1485 f. = NJW-RR 2002, 1036; ebenso Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften (2004), S. 294 ff. 84) Dezidiert für die Verwendung des Begriffs „Geldeinlagen“ Frey, Einlagen in Kapitalgesellschaften (1990), S. 43. 85) Dazu Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 5 GmbHG Rz. 23; Wiedemann, in: GroßK, § 183 AktG Rz. 30 ff.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

sacheinlagefähig.86) Ausdrücklich verboten ist es sogar, die Verpflichtung zu einer Dienstleistung als Sacheinlage einzubringen (Art. 7 Satz 2 Zweite Richtlinie, § 27 Abs. 2 Halbs. 2 AktG; bei der GmbH folgt dies aus § 7 Abs. 3 GmbHG).87) 5.56 Andererseits gelten als Sacheinlagen nicht nur „Sachen“ i. S. d. §§ 90 ff. BGB. Vielmehr sieht das Gesetz in allen Fällen, in denen nicht Geldeinlagen nach den allgemeinen Normen geleistet werden, besondere Vorschriften zum Schutz der Gläubiger und Mitgesellschafter vor (§ 27 Abs. 1 AktG: „Einlagen [.], die nicht durch Einzahlung des Ausgabebetrages der Aktien zu leisten sind“; ebenso Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Zweite Richtlinie). Daher ist etwa eine Abrede, nach der der Ausgabebetrag erst später einzuzahlen ist, als Sacheinlage zu qualifizieren: denn hier hängt der Wert des Einlageversprechens vom Zeitpunkt der Einlageleistung und der Bonität des Gesellschafters ab.88) Selbst Wertpapiere gehören zu den „Sacheinlagen“.89) 5.57 Im Mittelpunkt der Schutzvorschriften steht aber das Gebot zur Offenlegung von Sacheinlagen in Form ihres Gegenstandes und des Ausgabebetrages der dafür ausgegebenen Aktien bzw. Geschäftsanteile in der Satzung (Art. 3 h Zweite Richtlinie, § 27 Abs. 1 AktG, § 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG). Die einzulegenden Gegenstände sind konkret zu bezeichnen. Bei der Sacheinlage eines Unternehmens muss der Erhöhungsbeschluss daher etwa angeben, welche Teile des Unternehmens von der Einbringung ausgeschlossen bleiben sollen.90) 5.58 Daneben tritt abgesehen von einer Prüfung seitens der Verwaltung (§ 33 Abs. 1 AktG) die externe Prüfung der Werthaltigkeit der Sacheinlage (Art. 10 Abs. 1 Zweite Richtlinie, § 33 Abs. 2 Nr. 4 AktG; zum Inhalt der Prüfungen Art. 10 Abs. 2 Zweite Richtlinie, § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG). Diese Prüfungen finden allerdings bei der GmbH keine Parallele, was teilweise dadurch ausgeglichen ___________ 86) Anerkannt wurde aber die Einlagefähigkeit eines obligatorischen Nutzungsrechts betreffend die Verwertung der Namen und Logos von Sponsorvereinen mit feststehender Nutzungsdauer: BGHZ 144, 290 (adidas) = ZIP 2000, 1162 = NJW 2000, 2356 = NZG 2000, 836 = EWiR § 203 AktG 1/2000, 941 (Hirte) = LM H. 10/2000 § 27 AktG 1965 Nr. 6 (Noack) = WuB II A. § 27 AktG 1.00 (Ekkenga/J. Schneider); ebenso zum GmbHRecht BGH ZIP 2004, 1642 = NJW-RR 2004, 1341 = NZG 2004, 910 = DStR 2004, 1662; hierzu Böhme, GmbHR 2000, 841; Hiort,BB 2004, 2760. Verneint wurde die Einlagefähigkeit eigener Aktien: BGH ZIP 2011, 2097, 2099 Tz. 13 f. = NZG 2011, 1271. 87) Vom Ansatz her ist es richtig, die Einlagefähigkeit auf solche Gegenstände zu beschränken, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist. Dass dies aber bei Dienstleistungen nie soll der Fall sein können, beruht allerdings auf überholten Vorstellungen vom fehlenden wirtschaftlichen Wert von Dienstleistungen (dazu Hirte, Berufshaftung [1996], S. 189 ff., 337 f.; ders., in: Grundmann [Hrsg.], Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000), S. 211, 228 f.). 88) Dazu auch Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 19 GmbHG Rz. 23 ff., § 20 GmbHG Rz. 5; Wiedemann, in: GroßK, § 188 AktG Rz. 11 ff. 89) LG Frankenthal WM 1996, 726 = EWiR § 19 GmbHG 3/96, 607 (Kowalski). 90) OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 605.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

wird, dass dort bei der Einbringung eines Unternehmens die Jahresergebnisse der beiden letzten Geschäftsjahre anzugeben sind (§ 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG a. E.). Zudem muss seitens der Gründer, der Gründungsprüfer und der Verwaltung in einem offenzulegenden Bericht zur Angemessenheit der Leistungen für Sacheinlagen und zu den Prüfungen Stellung genommen werden (Art. 10 Abs. 3 Zweite Richtlinie i. V. m. Art. 3 Erste Richtlinie, §§ 32 Abs. 1 und 2, 34 Abs. 2 AktG, § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG [nur durch die Gründer]). Im Gegensatz zu Bareinlagen sind Sacheinlagen vor der Anmeldung der Gesellschaft vollständig zu leisten (§ 36a Abs. 2 Satz 1 AktG, § 7 Abs. 3 GmbHG). Fehlt es an den erforderlichen Festsetzungen in der Satzung, schulden die 5.59 Gesellschafter den Ausgabebetrag in bar (seit Inkrafttreten von MoMiG bzw. ARUG etwas liberaler § 19 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 5 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 i. V. m. § 54 Abs. 2 AktG). Dies gilt auch dann, wenn sich später herausstellen sollte, dass der Wert der Sacheinlage den Ausgabebetrag der dafür ausgegebenen Aktien nicht erreicht („Differenzhaftung“) (§ 46 AktG, § 9 Abs. 1 GmbHG).91) Geschuldet ist dabei im Aktienrecht (anders als im GmbH-Recht) nicht nur die Differenz zum geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG), sondern auch die zum vereinbarten Aufgeld (§ 9 Abs. 2 AktG).92) Unabhängig davon kann das Registergericht nach § 38 Abs. 2 Satz 2 AktG die 5.60 Eintragung einer Gesellschaft ablehnen, wenn es der Auffassung ist, dass der Wert der Sacheinlagen „nicht unwesentlich hinter dem geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien“ zurückbleibt bzw. nach § 9c Abs. 1 Satz 2 GmbHG, „wenn [in der GmbH] Sacheinlagen nicht unwesentlich überbewertet worden sind“.93) Für Sacheinlagen, die leicht bewertbar sind (dazu oben Rz. 2.11), darf die Eintragung nach § 38 Abs. 3 AktG i. d. F. des ARUG neuerdings bei korrekter Offenlegung nur noch verweigert werden, wenn die Überwertung offenkundig und erheblich ist. Im Übrigen sind auf die Erbringung einer Sacheinlage zur Gründung einer Gesellschaft die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb beweglicher Sachen anzuwenden; er scheitert daher erst, wenn der in den Erwerb eingeschaltete Geschäftsleiter oder die

___________ 91) BGHZ 64, 52, 62; dazu Karsten Schmidt, GesR, § 20 III 4, S. 584 f., § 34 II 3, S. 1006 f. (GmbH), § 29 II 1 b, S. 884 ff. (AG); Wiedemann, in: GroßK, § 183 AktG Rz. 65. 92) BGHZ 191, 364 (Babcock Borsig) = ZIP 2012, 73 = NJW-RR 2012, 866 = NZG 2012, 69 = DStR 2012, 251 = EWiR § 9 AktG 1/12, 129 (Vosberg/Klawa); zur Erstreckung der Differenzhaftung auf das Aufgeld vorher bereits Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften (2004), S. 133 (zum Aufrechnungsverbot ebda. S. 208. 93) Mit der Absenkung des Prüfungsstandards im GmbH-Recht auf das Niveau des Aktienrechts durch Einfügung der Worte „nicht unwesentlich“ will der Gesetzgeber des MoMiG die zuvor teilweise anzutreffende „Ausforschungsermittlung“ verhindern (Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 36; ebenso zuvor KG NJW-RR 1999, 762).

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

übrigen Gründer der Gesellschaft Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der wahren Rechtslage haben.94) bb)

Sachübernahmen und Nachgründung

5.61 Den Sacheinlagen stellt das Gesetz die Sachübernahmen gleich. Darunter versteht das Gesetz die Verpflichtung der Gesellschaft, „vorhandene oder herzustellende Anlagen oder andere Vermögensgegenstände [zu] übernehmen“ (und zwar gleichgültig, ob von Aktionären oder Dritten!), wobei die Gegenleistung hier in Form einer von der Gesellschaft zu „gewährende[n] Vergütung“ erfolgt und nicht – wie bei der Sacheinlage – in Aktien (§ 27 Abs. 1 Satz 1 AktG). Das Gefährdungspotential für die Gläubiger und Mitgesellschafter ist aber ähnlich: Denn es ist nicht auszuschließen, dass beim „Kaufpreis“ für derartige Gegenstände ebenso manipuliert wird wie bei der Zahl der für solche Leistungen auszugebenden Aktien (sehr schön deshalb die italienische Begriffsbildung „acquisti pericolosi“). Das GmbH-Recht kennt die Differenzierung zwischen Sacheinlagen und Sachübernahmen nicht, sondern erfasst auch Sachübernahmen nur, wenn sie zugleich eine Sacheinlage bilden (§ 19 Abs. 2 Satz 2 [früher Abs. 5] GmbHG). Sie sind hier daher nur erfasst, wenn sie mit der Begründung einer neuen oder zusätzlichen Gesellschafterstellung verknüpft sind.95) 5.62 Eine zeitliche Ausdehnung dieser Normen findet sich in den Regeln über die Nachgründung (Art. 13 [früher Art. 11] Zweite Richtlinie, § 52 AktG). Denn sonst könnten die Regelungen über die Sachübernahmen unschwer dadurch unterlaufen werden, dass man die Gesellschaft erst gründet und die entsprechenden Gegenstände dann von den Aktionären zu einem möglicherweise überhöhten Preis übernimmt. Daher sind „Verträge der Gesellschaft mit Gründern der Gesellschaft oder mit mehr als 10 vom Hundert des Grundkapitals an der Gesellschaft beteiligten Aktionären,96) nach denen sie vorhandene oder herzustellende Anlagen oder andere Vermögensgegenstände für eine den zehnten Teil des Grundkapitals übersteigende Vergütung erwerben soll, und die in den ersten zwei Jahren seit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister geschlossen werden, [.] nur mit Zustimmung der Hauptversammlung und durch Eintragung in das Handelsregister wirksam.“97) Der Beschluss bedarf nach § 52 Abs. 5 AktG einer qualifizierten Kapitalmehrheit. Zudem bedarf es ___________ 94) BGH ZIP 2003, 30 = NJW-RR 2003, 170 = NZG 2003, 85 = NZI 2003, 116 (Vorinstanz OLG Köln NZG 2003, 172 sowie das Parallelverfahren OLG Köln ZIP 2002, 713 = NZG 2002, 679); dazu Elfers, GmbHR 2004, 934. 95) Zur unveränderten Erfassung der Sachübernahme seit Änderung des § 19 GmbHG durch das MoMiG Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 39. 96) Dabei wird man eine Zurechnung nach dem Vorbild der Rechtsprechung zu den kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen (unten Rz. 5.156) vornehmen können; abw. Pentz, ZIP 2001, 1403, 1405. 97) Ausführlich Reichert, ZGR 2001, 554 ff.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

auch hier einer externen Prüfung und der entsprechenden Berichte (§ 52 Abs. 3 und 4 AktG); dabei gelten für Sacheinlagen, die leicht bewertbar sind, die gleichen Privilegierungen wie bei der Gründungsprüfung(dazu oben Rz. 2.11, 5.60). Ausgenommen ist in § 52 Abs. 9 AktG n. F., Art. 13 [früher Art. 11] Abs. 2 Zweite Richtlinie ein Erwerb von Vermögensgegenständen im Rahmen der laufenden Geschäfte der Gesellschaft, in der Zwangsvollstreckung oder an der Börse. Zur Vermeidung von Umgehungen hat der BGH unlängst Fälle, in denen die Gründung bzw. eine Kapitalerhöhung in der Zwei-Jahres-Frist mit einer Sachübernahme zusammentreffen („gemischte Sacheinlage“), einheitlich den Regeln über Sacheinlagen unterworfen.98) Geleistete Gegenstände können die Gesellschafter dabei ihrerseits nach Bereicherungsrecht (§§ 812, 818 BGB) unter Saldierung der beiderseitigen Ansprüche99) zurückfordern, und zwar auch im Insolvenzfall. Ein Rückforderungsanspruch der Gesellschaft bzw. ihres Insolvenzverwalters nach dem strengeren § 62 AktG scheidet aus, weil hier nicht ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften, sondern (nur) eine unkorrekte Kapitalaufbringung in Rede steht. Die Norm des § 52 AktG wurde durch das NaStraG insoweit deutlich entschärft, 5.63 als sie jetzt nur noch auf Verträge mit Gründern oder mit wesentlich beteiligten Aktionären Anwendung findet. Die bislang geltende Fassung vor allem des § 52 Abs. 1 AktG hatte nämlich in erster Linie bei frisch an den Neuen Markt gegangenen Unternehmen zu Schwierigkeiten geführt, zumal die Regelung nach § 67 Satz 1 UmwG auch für die Verschmelzung durch Aufnahme entsprechende Anwendung findet.100) Die Neuregelung wurde daher sogar mit Rückwirkung zum 1. Januar 2000 in Kraft gesetzt (Art. 7 NaStraG), und zugleich wurde die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Nachgründungsgeschäften auf der Grundlage des alten Rechts nur noch bis zum 31. Dezember 2001 gestattet (§ 11 EGAktG n. F.).101) Das GmbH-Recht kennt keine ausdrückliche Parallelnorm zu den Nachgründungsvorschriften und muss sich deshalb mit den allgemeinen Grundsätzen der verdeckten Sacheinlagen behelfen. ___________ 98) BGHZ 170, 47 (Lurgi) = ZIP 2007, 178 = NJW 2007, 765; BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751 = NJW 2007, 3425 (zur Kapitalerhöhung); BGHZ 175, 265 (Rheinmöve) = ZIP 2008, 788, 789 ff. = NZG 2008, 425 = EWiR § 183 AktG 1/2008, 513 (Weipert) (auch zu den Rechtsfolgen einer verdeckten Sacheinlage auf der Grundlage des nach Inkrafttreten des MoMiG großenteils überholten Rechts); dazu Böttcher, NZG 2008, 416; Goette, ZInsO 2007, 1177 f.; ders., DStR 2007, 2264 f.; Habersack, ZGR 2008, 48 ff.; Krolop, NZG 2007, 577. 99) In diese Saldierung ist (entgegen früherer Auffassung) auch der Bereicherungsanspruch des Inferenten wegen unwirksamer Bareinlageleistung einzubeziehen: BGH ZIP 2009, 1155, 1157 Tz. 15 = NJW 2009, 2886 = NZG 2009, 747 = ZInsO 2009, 1167 = DStR 2009, 1320 = EWiR § 27 AktG 1/09, 557 (Goslar). 100) Zur Kritik an der bislang geltenden Fassung des § 52 AktG und zu den daraus zu ziehenden Konsequenzen Bröcker, ZIP 1999, 1029; Lutter/Ziemons, ZGR 1999, 479; Martens, ZGR 1999, 548. 101) Hierzu Dormann/Fromholzer, AG 2001, 242; Eisolt, DStR 2001, 748; Pentz, NZG 2001, 346; Reichert, ZGR 2001, 554; Werner, ZIP 2001, 1403.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

cc)

Verdeckte Sacheinlagen

5.64 Die vom Gesetz bei Einbringung von Sacheinlagen aufgestellten Pflichten sind belastend: niemand legt gerne freiwillig offen, welche Sacheinlagen mit welchem Wert er in sein Unternehmen einbringt; hinzu kommt die unter Umständen kostspielige und langwierige externe Prüfung. Daher liegt die Versuchung nahe, die eigentlich gewollte Sacheinlage nicht offenzulegen und ihren Wert nicht überprüfen zu lassen und stattdessen eine gewöhnliche Bareinlage zu vereinbaren. Nach der Leistung der Einlage zahlt die Gesellschaft aufgrund eines schon vorher verabredeten Plans das Geld an den Gesellschafter (oder auf seine Weisung an einen Dritten) gegen Überlassung des eigentlich zu erbringenden Gegenstandes zurück (siehe – seit Inkrafttreten des MoMiG – die Beschreibung in § 19 Abs. 4 Satz 1 GmbHG bzw. – dort eingefügt durch das ARUG – in § 27 Abs. 3 Satz 1 AktG). Da hier bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht Geld, sondern die Sache eingelegt wurde, spricht man von einer verdeckten oder verschleierten Sacheinlage. Der BGH sah dies als unzulässige Umgehung der Sacheinlagevorschriften an.102) Voraussetzung ist aber der (beabsichtigte) Erwerb einer Sache durch die Gesellschaft; auf Dienstleistungen, die ein Gesellschafter nach Leistung einer Bareinlage entgeltlich erbringen soll, finden die Grundsätze keine Anwendung.103) Wirtschaftlich verwandt ist der Fall, dass eine geleistete Bareinlage aus anderen Gründen alsbald wieder an den Gesellschafter zurückfließt („Hin- und Herzahlen“; dazu oben Rz. 5.35 ff.). 5.64a Besonders problematisch sind Fälle, in denen dem Gesellschafter Darlehensforderungen gegen die Gesellschaft zustehen (in denen zugleich die Regeln über die verdeckte Sacheinlage gegenüber denjenigen betreffend das Hin- und ___________ 102) BGHZ 110, 47 (IBH/Lemmerz) = ZIP 1990, 156 = NJW 1990, 982 = EWiR § 183 AktG 1/90, 223 (Lutter) = LM § 27 AktG 1965 Nr. 3 (AG); verneinend BGHZ 118, 83 (Betonund Monierbau AG) = ZIP 1992, 995 = NJW 1992, 2222; ebenfalls verneinend BGH ZIP 1995, 1177 (Beton- und Monierbau AG/2. Revisionsentscheidung) = NJW 1995, 2486; BGH ZIP 2011, 1101 = NZG 2011, 667 = NZI 2011, 549 = DStR 2011, 1235 = ZInsO 2011, 1159 = EWiR § 19 GmbHG 3/11, 669 (Cramer) (Tilgung eines vom Ehegatten des Einlegers gewährten Darlehens durch Bareinlage); OLG Karlsruhe ZIP 1991, 27 = EWiR § 5 GmbHG 1/91, 267 (Gehling) (GmbH) (für den Verkauf von Waren durch einen GmbH-Gesellschafter an die GmbH, wenn er mit dem Kaufpreis seine Bareinlage aufbringt); BFHE 183, 187 = BStBl. 1998 II 307 = NJW 1997, 2837 = ZIP 1998, 471 = BB 1997, 1735 = EWiR § 6 EStG 1/97, 1027 (Wilken) (zum Verzicht auf gegen die Gesellschaft gerichtete Forderungen); zur Abgrenzung von Kapitalaufbringung und Mittelverwendung BGHZ 122, 180 (co op AG) = ZIP 1993, 667 = NJW 1993, 1983 = EWiR § 186 AktG 4/93, 1045 (Lutter) (dazu Assmann/Sethe, ZHR 158 [1994], 646); zusammenfassend Hirte, NJW 1996, 2827, 2834, 2841; ders., NJW 2000, 3321, 3328 f. 103) BGHZ 180, 38 Tz. 7 ff. (Qivive) = ZIP 2009, 713, 714 ff. = NJW 2009, 2375 = NZG 2009, 463 = ZInsO 2009, 775 = DStR 2009, 809 = EWiR § 19 GmbHG 1/09, 443 (Schodder); BGHZ 184, 158 Tz. 15 ff. (Eurobike) = ZIP 2010, 423, 424 ff. = NJW 2010, 1747 = NZG 2010, 343 = DStR 2010, 560 = ZInsO 2010, 524 = EWiR § 27 AktG 1/10, 169 (Lieder); dazu Benecke, ZIP 2010, 105; Pentz, GmbHR 2009, 505.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Herzahlen vorrangig sind104)). Wird hier eine Einlage versprochen, kann die Gesellschaft mit ihrer Einlageforderung gegen die Forderung des Gesellschafters auf Rückzahlung seines Darlehens aufrechnen (§ 66 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG erfasst nur die Aufrechnung durch den Gesellschafter). Der BGH hielt in den beschriebenen Fällen das verdeckte Geschäft sowohl be- 5.65 züglich des schuldrechtlichen Verpflichtungs- wie des dinglichen Erfüllungsgeschäfts für der Gesellschaft gegenüber unwirksam (für die GmbH § 27 Abs. 3 Satz 1 AktG analog).105) Folge war, dass die Einlage, und zwar als Bareinlage, noch zu leisten ist, während die tatsächlich geleisteten Gegenstände nur nach Bereicherungsrecht zurückverlangt werden können, was insbesondere in der Insolvenz der Gesellschaft wenig nutzte. Das alles galt auch bei Einbindung der Gesellschaft in ein Cash-Pool-System mit der Folge, dass im Falle einer verdeckten Sacheinlage die Einlage gegebenenfalls nochmals zu leisten war.106) Stärker noch als im Aktienrecht wirkte sich die Rechtsprechung zur „ver- 5.66 deckten Sacheinlage“ im Bereich der GmbH aus. Hier hatte der BGH die seit vielen Jahren vorwiegend aus steuerlichen Gründen praktizierte Kapitalerhöhung nach dem „Schütt-aus-hol-zurück“-Verfahren beanstandet. Danach wurde die Ausschüttung von Gewinnen an die Gesellschafter unmittelbar mit einer Barkapitalerhöhung kombiniert. Das Gericht qualifizierte auch dies als eine unzulässige Umgehung der Sacheinlagevorschriften.107) Gerade diese Rechtsprechung relativierte der BGH allerdings inzwischen in 5.67 einem ganz zentralen Punkt. Wird nämlich offengelegt, dass es sich bei einer (der Form nach) Barkapitalerhöhung in Wirklichkeit um eine Kapitalerhöhung im Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren handelt, so sollen sich Zulässigkeit und Grenzen dieses Vorgehens an den Vorschriften über die Kapitalerhöhung aus ___________ 104) BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 = NJW 2009, 3091 = NZG 2009, 944 = NZI 2009, 616 = ZInsO 2009, 1546 = DStR 2009, 1858 = EWiR § 19 GmbHG 2/09, 537 (MaierReimer); dazu Benecke, ZIP 2010, 105; Lieder, GmbHR 2009, 1177; Schockenhoff/WexlerUhlich, NZG 2009, 1327. 105) BGHZ 155, 329, 339 f. = ZIP 2003, 1540, 1541 ff. = NJW 2003, 3127 = NZG 2003, 867 = EWiR § 5 GmbHG 1/03, 1243 (Priester); dazu Langenbucher, DStR 2003, 1838; Pentz, ZIP 2003, 2093; offengelassen zuvor BGH ZIP 1998, 780 („Fassadenbaustoff“) = NJW 1998, 1951 = DStR 1998, 730 (Goette) = LM H. 8/1998 § 19 GmbHG Nr. 19 (Noack) mit teilw. krit. Anm. Bayer, EWiR § 19 GmbHG 1/99, 69, 70; ausf. ders., ZIP 1998, 1985, 1990. 106) BGHZ 166, 8 = NJW 2006, 1736 = NZG 2006, 344 = ZIP 2006, 665, 666 ff. = EWiR § 5 GmbHG 1/06, 523 (Hoos/A. Kleinschmidt); dazu Altmeppen, ZIP 2006, 1025; Lamb/ Schluck-Amend, DB 2006, 879; Vetter/Schwandtner, Konzern 2006, 407. 107) BGHZ 113, 335 (Foton) = ZIP 1991, 511 = NJW 1991, 1754 113, 335 = EWiR § 57 GmbHG 2/91, 1213 (Frey) = LM § 57 GmbHG Nr. 3 (GmbH); dazu Crezelius, ZIP 1991, 499; von Gerkan, GmbHR 1992, 433; Lutter/Zöllner, ZGR 1996, 164; Roth, NJW 1991, 1913; Sernetz, ZIP 1993, 1685. Der BGH nahm zudem an, es fehle an der erforderlichen „endgültigen freien Verfügung“ (§ 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG).

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

Gesellschaftsmitteln messen lassen (§§ 57c ff. GmbHG). Entschieden wurde dies für die GmbH, doch kann für die Aktiengesellschaft nichts anderes gelten.108) 5.68 Voraussetzung dafür ist damit, dass eine testierte Bilanz vorliegt, die nicht älter als acht Monate sein darf (§ 210 Abs. 2 AktG, § 57i Abs. 2 GmbHG). Für kleine Kapitalgesellschaften, die an sich nach §§ 316 Abs. 1, 267 Abs. 1 HGB nicht prüfungspflichtig sind, führt dies zur Prüfungspflicht (allerdings nur in Bezug auf die Jahresbilanz), wollen sie ihr Kapital im Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren erhöhen. Die Tatsache, dass es sich um eine Kapitalerhöhung im Schüttaus-hol-zurück-Verfahren handelt, ist analog § 210 Abs. 4 AktG, § 57i Abs. 4 GmbHG offenzulegen. Gerade das für den Gläubigerschutz auch bei der Sachkapitalerhöhung zentrale Transparenzelement bleibt also nach wie vor unverzichtbar. Und schließlich hat der Anmeldende zu erklären, dass nach seiner Kenntnis seit dem Stichtag der der Kapitalerhöhung zugrunde gelegten Bilanz keine Vermögensminderungen eingetreten sind, die einer Kapitalerhöhung entgegenstünden, wenn sie am Tag der Anmeldung beschlossen würde (analog § 57i Abs. 1 Satz 1 GmbHG, § 210 Abs. 1 Satz 2 AktG). Das Erfordernis, dass die Mindesteinzahlung zur freien Verfügung des Geschäftsleiters eingezahlt werden muss (§ 7 Abs. 2 Satz 1, §§ 56a, 57 Abs. 2 GmbHG, § 36 Abs. 2 Satz 1, § 188 Abs. 2 Satz 1 AktG), ist bei Verwendung tatsächlich erzielten Gewinns zur Einlagenzahlung andererseits nicht berührt.109) 5.69 Problematisch ist im Übrigen die Feststellung bzw. der Nachweis von Sachverhalten, bei denen eine verdeckte Sacheinlage anzunehmen ist. Die Rechtsprechung verlangt hier das Vorliegen einer – wenn auch unwirksamen – entsprechenden Abrede zwischen Gesellschafter und Gesellschaft. Der zeitliche und sachliche Zusammenhang zwischen der Bareinlage und dem Gegengeschäft sind dafür Indizien, die allein allerdings nicht ausreichen. Daher steht es der Annahme einer verdeckten Sacheinlage nicht entgegen, wenn das möglicherweise die Bareinlage unterlaufende „Gegengeschäft“ erst mehr als sechs Monate

___________ 108) BGHZ 135, 381 = NJW 1997, 2514 = ZIP 1997, 1337 = JZ 1998, 199 (Hirte) = DB 1997, 1610 = DStR 1997, 1254 (Goette) = EWiR § 57 GmbHG 1/98, 127 (O. Schultz) = LM § 57 GmbHG Nr. 5 (Sailer/Kübler) = WiB 1997, 916 (Rosengarten) = WuB II C. § 57 GmbHG 1.97 (Fleischer) (Vorinstanz OLG Köln NJW-RR 1996, 1250); im Anschluss an Lutter/Zöllner, ZGR 1996, 164, 178 ff.; Wiedemann, in: GroßK, § 183 AktG Rz. 112; ders., in: Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht. 11. ZGR-Symposion „25 Jahre ZGR“, ZGR-Sonderheft 13 (1998), S. 5, 17; ausführlich jetzt auch Hirte, in: GroßK, § 207 AktG Rz. 8 ff.; Priester, ZGR 1998, 856; Sieger/Hasselbach, GmbHR 1999, 205 ff.; zu den Voraussetzungen einer „verdeckten Sacheinlage“ beim „Hin- und Herzahlen“ auch BGH und OLG Dresden DStR 1997, 1257 (Goette). 109) BGHZ 152, 37 = ZIP 2002, 2045, 2047 f. = NJW 2002, 3774 = NZG 2002, 1172 = NZI 2003, 50 = DStR 2002, 2088 (GmbH).

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

nach der ursprünglichen Einlageleistung erfolgte.110) Auch das MoMiG verzichtet für das sogleich anzusprechende neue GmbH-Recht bewusst darauf, zeitliche Grenzen dafür festzulegen, wann eine vereinbarte Geldeinlage bei wirtschaftlicher Betrachtung als Sacheinlage zu qualifizieren ist.111) Die – legt man die Rechtsprechung des BGH zugrunde – große Zahl unrichtig 5.70 durchgeführter Kapitalerhöhungen löste eine Folgedebatte darüber aus, wie derartige Fehler nachträglich geheilt werden könnten. Dabei besteht das Hauptrisiko darin, dass ein Gesellschafter im Insolvenzfall die vereinbarte Bareinlage noch leisten muss, die tatsächlich geleistete Sacheinlage aber nur nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung als Insolvenzforderung zurückfordern kann. Dem trägt das Gesetz jetzt – eingeführt durch MoMiG im GmbH-Recht bzw. 5.71 ARUG im Aktienrecht – durch eine in § 19 Abs. 4 GmbHG bzw. § 27 Abs. 3 AktG verankerte „Anrechnungslösung“ Rechnung.112) Danach befreit die Abrede über eine verdeckte Sacheinlage den Gesellschafter zwar nicht von seiner Einlagepflicht; die Verträge über die Sacheinlage und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung sind aber nicht mehr unwirksam (§ 19 Abs. 4 Satz 2 GmbHG; § 27 Abs. 3 Satz 2 AktG). Vor allem: Auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht des Gesellschafters wird in Anlehnung an die schon zuvor in diese Richtung tendierende Rechtsprechung des BGH der Wert des anstelle der offengelegten Bareinlage eingebrachten Vermögensgegenstandes im – und das ist entscheidend – Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister oder einer eventuellen späteren Überlassung des Gegenstandes an die Gesellschaft angerechnet (§ 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG; § 27 Abs. 3 Satz 3 AktG).113) § 19 Abs. 4 ___________ 110) BGHZ 132, 133 = NJW 1996, 1286 = ZIP 1996, 595 = EWiR § 19 GmbHG 1/96, 457 (Trölitzsch) = DZWir 1996, 285 (von Gerkan) = DStR 1996, 794 (Goette) = LM H. 6/ 1996 § 5 GmbHG Nr. 14; BGHZ 132, 141 = ZIP 1996, 668, 670 = NJW 1996, 1473 = EWiR § 19 GmbHG 2/96, 509 (Weipert) = LM H. 6/1996 § 5 GmbHG Nr. 14; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 485; dazu Wiedemann, in: GroßK, § 183 AktG Rz. 92, § 188 AktG Rz. 24. 111) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 41. 112) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 56; dazu A. Henkel, NZI 2010, 6; zurückgehend auf Vorschläge des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2007, 735 Rz. 45; ebenso Priester, ZIP 2008, 55 f.; Ulmer, ZIP 2008, 45, 51 ff. 113) Das knüpft an die Rechtsprechung an, die schon vorher eine Heilungsmöglichkeit angenommen hatte (BGHZ 132, 141 = ZIP 1996, 668, 671 ff. = NJW 1996, 1473 = JZ 1996, 908 [Lutter] = EWiR § 19 GmbHG 2/96, 509 [Weipert] = LM H. 7/1996 § 19 GmbHG Nr. 18 [Noack] = DStR 1996, 795 [Goette]), der aber keine Rückwirkung zukam (dazu auch die 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.70 f.). – Zum Vorgehen bei der Anrechnung BGHZ 185, 44 (AdCoCom) = ZIP 2010, 978 = NJW 2010, 1948 = NZG 2010, 702 = NZI 2010, 533 = ZInsO 2010, 1062 = DStR 2010, 1087 = EWiR § 19 GmbHG 1/10, 421 (Wenzel): nur Anrechnung des Wertes der Sacheinlage, der auf den Nominalbetrag der gewährten Aktien geleistet wurde, damit die Anrechnung nicht zu Lasten des übrigen Gesellschaftsvermögens geht.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

Satz 4 GmbHG, § 27 Abs. 3 Satz 4 AktG legen dabei weiterhin fest, dass die Anrechnung nicht vor Eintragung der Gesellschaft erfolgt; dadurch wird klargestellt, dass einerseits ein Geschäftsführer – anders als nach dem MoMiGRegierungsentwurf – in der Anmeldung nach § 8 GmbHG (bzw. § 37 AktG) nicht versichern kann und darf, die Geldeinlage sei zumindest durch Anrechnung erloschen und damit erfüllt, und andererseits das Gericht die Eintragung auch in dem Fall, dass der Wert der verdeckten Sacheinlage den Wert der geschuldeten Geldeinlage erreicht, nach § 9c GmbHG (bzw. § 38 Abs. 2 AktG) ablehnen kann.114) Im Vergleich zum MoMiG-Regierungsentwurf wird damit die öffentlichrechtliche Kontrolle der verdeckten Sacheinlage beibehalten (zu den Nachweisanforderungen im Rahmen der Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG oben Rz. 5.35). Bezüglich der zivilrechtlichen Seite trägt im Übrigen der Gesellschafter die Beweislast für die Werthaltigkeit des überlassenen Vermögensgegenstandes (ausdrücklich § 19 Abs. 4 Satz 5 GmbHG; § 27 Abs. 3 Satz 5 AktG); ansonsten trifft ihn eine Differenzhaftung. Gegen diesen Differenzhaftungsanspruch ist nach der unverändert bleibenden allgemeinen Regel eine Aufrechnung nicht möglich.115) Dieser mit zeitlichem Abstand schwieriger werdende Nachweis dürfte auch in der Zukunft – neben den in der endgültigen Gesetzesfassung beibehaltenen öffentlich-rechtlichen Sanktionen – Anreiz sein, die Sacheinlagevorschriften des Gesetzes zu beachten.116) Auch Gesellschafter (§ 9a Abs. 2 GmbHG; § 46 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 28 AktG) bzw. Geschäftsleiter (§ 43 GmbHG; § 93 AktG) laufen im Hinblick auf die der Gesellschaft durch eine nicht korrekte Offenlegung entstehenden Schäden andernfalls ein beträchtliches Haftungsrisiko.117) 5.71a Für die Praxis von besonderer Bedeutung ist, dass den neuen Regelungen zur ver-

schleierten Sacheinlage grundsätzlich Rückwirkung auch schon für vor Inkrafttreten des Gesetzes vereinbarte Einlageleistungen beigelegt wird (§ 3 Abs. 4 Satz 1 EGGmbHG; § 20 Abs. 7 Satz 1 EGAktG);118) das ist nur dann anders, wenn über die aus der Unwirksamkeit folgenden Ansprüche bereits rechtskräftig entschieden wurde oder sie zum Gegenstand einer wirksamen Vereinbarung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter gemacht wurden (§ 3 Abs. 4 Satz 2 EGGmbHG; § 20 Abs. 7 Satz 2 EGAktG). Allerdings soll auch im Rahmen der rückwirkenden Anwendbarkeit der Normen eine Offenlegung der verdeckten Finanzierung notwendig

___________ 114) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 56. 115) Gehrlein, Konzern 2007, 771, 784. 116) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 40. 117) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 40. 118) Zur Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung BGHZ 185, 44 (AdCoCom) = ZIP 2010, 978 = NJW 2010, 1948 = NZG 2010, 702 = NZI 2010, 533 = ZInsO 2010, 1062 = DStR 2010, 1087 = EWiR § 19 GmbHG 1/10, 421 (Wenzel); dazu Kleindiek, ZGR 2011, 334; kritisch zur Begründung Haas/Vogel, NZG 2010, 1081.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

sein,119) was – da die entsprechenden Normen zum Zeitpunkt der Maßnahme noch nicht bekannt waren – faktisch zu einem Leerlaufen der Rückwirkungsbestimmungen führt.

e)

Kapitalerhöhung

Die hier vorgestellten Regelungen gelten im Wesentlichen gleichermaßen für 5.72 die spätere Erhöhung des Nennkapitals im Wege der Kapitalerhöhung (§§ 182 – 191 AktG mit zahlreichen Verweisen auf die Gründungsvorschriften, §§ 55 f. GmbHG; dazu unten Rz. 6.13 ff.). Dort spielen sie wegen der Längerlebigkeit der Kapitalgesellschaften eine erheblich größere Rolle: es gibt mehr Kapitalerhöhungen vorhandener Gesellschaften als Neugründungen. Für Sacheinlagen sei besonders auf Art. 31 [früher Art. 27] Abs. 1 und 2 5.73 Zweite Richtlinie, § 183 Abs. 1 und 3 AktG verwiesen. Danach ist über die bei der Gründung vorgesehenen Schutzmechanismen hinaus ein qualifizierter Mehrheitsbeschluss erforderlich. Die durch das ARUG für die Gründungsprüfung eingeführten Erleichterungen bei der Einbringung leicht zu bewertender Gegenstände (oben Rz. 2.11) wurden vor allem durch § 183a AktG n. F. auch auf die Kapitalerhöhung erstreckt; § 188 Abs. 2 AktG verweist schließlich auch für die Kapitalerhöhung auf das Erfordernis der „freien Verfügung“ der Einlage. 3.

Kapitalerhaltung

Das Gegenstück zur Kapitalaufbringung bildet die Kapitalerhaltung. Sie be- 5.74 deutet das Verbot, das nach Maßgabe der Kapitalaufbringungsvorschriften aufgebrachte Vermögen offen oder verdeckt an die Gesellschafter zurückfließen zu lassen. Nicht erfasst sind daher – worauf bereits hingewiesen wurde (oben Rz. 5.23) – Vermögensverluste in anderer Weise. Ausreichend ist vielmehr, dass das nach den Kapitalaufbringungsvorschriften aufzubringende Vermögen einmal in Händen der Gesellschaft vorhanden war. Als zentrales Verbot im Rahmen der Kapitalerhaltung statuiert § 57 Abs. 1 Satz 1 5.75 AktG, dass den Aktionären nicht die Einlagen zurückgewährt werden dürfen und dass ihnen auch keine Zinsen (also eine vom Vorhandensein eines Gewinns unabhängige Vergütung) auf die Einlagen zugesagt oder ausgezahlt werden dürfen (§ 57 Abs. 2 AktG). Entsprechend ordnet § 30 Abs. 1 GmbHG an, dass das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden darf. Grundsätzlich sind von dem Verbot dabei alle Leistungen erfasst, die mit Bezug auf die Gesellschafterstellung des ___________ 119) BGHZ 180, 38 Tz. 6 ff. (vor allem Tz. 16) (Qivive) = ZIP 2009, 713, 714 ff. = NJW 2009, 2375 = NZG 2009, 463 = ZInsO 2009, 775 = DStR 2009, 809 = EWiR § 19 GmbHG 1/09, 443 (Schodder); BGHZ 182, 103 Tz. 24 ff. = ZIP 2009, 1561 = NJW 2009, 3091 = NZG 2009, 944 = NZI 2009, 616 = ZInsO 2009, 1546 = DStR 2009, 1858 = EWiR § 19 GmbHG 2/09, 537 (Maier-Reimer); dazu Benecke, ZIP 2010, 105; Lieder, GmbHR 2009, 1177; Schockenhoff/Wexler-Uhlich, NZG 2009, 1327.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

Empfängers gewährt werden. Unzulässig sind solche Leistungen dabei nicht nur dann, wenn sie dem Gesellschafter unmittelbar zugutekommen, sondern auch, wenn sie auf Veranlassung des Gesellschafters an Dritte – etwa Familienangehörige oder verbundene Unternehmen – erbracht werden.120) 5.76 Für Sicherheiten, die eine Tochtergesellschaft zugunsten ihrer Muttergesellschaft gegenüber deren Gläubigern übernimmt (upstream guarantees), soll dies nach einem grundsätzlichen Urteil des in erster Linie für das Insolvenzrecht zuständigen IX. Zivilsenats jedoch nicht gelten. Auch sei ein solches Geschäft nicht schon deshalb sittenwidrig, weil und wenn der GmbH danach nicht mehr genügend freies Vermögen bleibt, um ihre Gläubiger zu befriedigen. Ob die Gesellschaft selbst auch das Darlehen (weitergeleitet) erhalte, sei für einen Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften ohne Bedeutung, zumal hier – im Gegenzug – auch Verbindlichkeiten der besichernden Gesellschaft durch die Muttergesellschaft abgesichert worden seien.121) 5.76a Die Kapitalerhaltungsgrundsätze hatte der BGH im „November-Urteil“ aber insbesondere auch auf den Fall erstreckt, dass den Gesellschaftern Darlehen aus dem gebundenen Vermögen gewährt werden. Denn die bilanzrechtliche Neutralität eines solchen Vorgangs ändere nichts an der wirtschaftlichen Verschlechterung des Vermögensstandes der Gesellschaft; der formulierte Grundsatz galt daher auch dann, wenn der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter im Einzelfall vollwertig gewesen sein sollte.122) Davon wendet sich die durch das MoMiG vorgenommene Neufassung der § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG, § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG mit einer Rückkehr zur „bilanziellen Betrachtung“ bewusst ab (zu den Parallelen bei der Kapitalaufbringung oben Rz. 5.35c): Danach stellt eine Leistung keine Auszahlung aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen dar, soweit sie durch einen vollwertigen ___________ 120) BGHZ 81, 311, 315 = ZIP 1981, 1200 (GmbH); BGHZ 81, 365, 368 = ZIP 1981, 1332 (GmbH). 121) BGHZ 138, 291 = ZIP 1998, 793 = NJW 1998, 2593 = EWiR § 30 GmbHG 1/98, 699 (Eckardt) = DStR 1998, 1272 = DZWir 1998, 368 (Becker-Eberhard); ebenso Abramenko, GmbHR 1997, 875, 876; Maier-Reimer, in: Lutter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung (1998), S. 484, 507; Mülbert, ZGR 1995, 578, 601 ff. (da „Auszahlung“ an den Gesellschafter); Röhricht, in: VGR, Bd. 1 (1999), S. 1, 12 ff.; Sonnenhol/Groß, ZHR 159 (1995), 388, 410 ff.; abw. Schön, ZHR 159 (1995), 351, 366; i. E. ähnlich Meister, WM 1980, 390, 395 f.; Peltzer, GmbHR 1995, 15, 20 ff.; Peltzer/Bell, ZIP 1993, 1757, 1761 ff. (Leistungsverweigerungsrecht gegenüber Sicherungsnehmer); zum Ganzen auch Hirte, in: Lutter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung (1998), S. 1108, 1111 ff. 122) BGHZ 157, 72, 75 = ZIP 2004, 263, 264 = NJW 2004, 1111 = NZG 2004, 233 = NZI 2004, 396 = DStR 2004, 427 = EWiR § 30 GmbHG 3/04, 911 (Schöne/Stolze); hierzu Binz, DB 2004, 1273; Cahn, Konzern 2004, 235; Fuhrmann, NZG 2004, 552; Habersack/ Schürnbrand, NZG 2004, 689; Helmreich, GmbHR 2004, 457; Langner/Mentgen, GmbHR 2004, 1121; Reidenbach, WM 2004, 1421; Schilmar, DB 2004, 1411; Vetter, BB 2004, 1509; Wessels, ZIP 2004, 703.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gedeckt ist.123) Erforderlich für die Vollwertigkeit ist, ob auch einem Dritten zu denselben Bedingungen ein Darlehen gewährt würde; an der Vollwertigkeit fehlt es dementsprechend bei nicht oder gering verzinslichen Darlehen ebenso wie bei ungesicherten Darlehen, sofern sich dies nicht in den Konditionen niederschlägt; dabei kommt es sowohl hinsichtlich des Darlehens wie auch hinsichtlich einer etwaigen Sicherheit auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Ausreichung an.124) Allerdings kann eine Verlängerung der Laufzeit des Darlehens ebenso wie seine Nichteinforderung am Ende der Laufzeit für sich genommen den Tatbestand der Auszahlung erfüllen.125) Für die Überlassung sonstiger Gegenstände an Gesellschafter gelten dieselben Grundsätze;126) für die Weggabe oder Hereinnahme nicht bilanzierungs- oder einlagefähiger Gegenstände kommt es demgegenüber auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an, da nicht davon ausgegangen werden kann, das Gesetz erlaube der Gesellschaft nunmehr ein Verschenken von Gegenständen an ihre Gesellschafter.127) Auch die Gewährung der zuvor beschriebenen upstream guarantees folgt den neuen „bilanzmäßigen“ Grundsätzen, wie der BGH im „MPS-Urteil“ zwischenzeitlich auch für das frühere Recht (aber unter ausdrücklichem Verweis auf die gesetzliche Neuregelung) klarstellte;128) allerdings sei der Vorstand der abhängigen Gesellschaft nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG (der nicht durch §§ 311, 318 AktG verdrängt wird) verpflichtet, laufend etwaige Änderungen des Kreditrisikos zu prüfen und auf eine sich nach der Darlehensausreichung andeutende Bonitätsverschlechterung mit einer Kreditkündigung oder der Anforderung von Sicherheiten zu reagieren. Dieselben Normen (§ 57 Abs. 1 Satz 3 AktG, § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) schließen zudem auch Leistungen „bei Bestehen“ eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages vollständig von der Anwendung der Kapitalerhaltungsvorschriften aus129) (dazu auch unten Rz. 8.110). Durch die auf Empfehlung des Rechtsausschusses jetzt ___________ 123) Zustimmend Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1074 ff. (freilich unter Hinweis darauf, dass dann auch § 43a GmbHG aufzuheben wäre; insoweit ebenso Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1296). 124) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 41; Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1293; Gehrlein, Konzern 2007, 771, 785 f.; Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1076; zurückhaltend hinsichtlich der Notwendigkeit eines Drittvergleichs demgegenüber Michael Winter, DStR 2007, 1484, 1487. 125) BGHZ 122, 333, 338 = ZIP 1993, 917 = NJW 1993, 1922 = EWiR § 31 GmbHG 1/93, 693 (Maier-Reimer); Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1293. 126) Dazu Gehrlein, Konzern 2007, 771, 786. 127) Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1292 und 1293 f. 128) BGHZ 179, 71 Tz. 10 ff. (MPS) = ZIP 2009, 70, 71 f. = NJW 2009, 850 = NZG 2009, 107 = ZInsO 2009, 40 = DStR 2009, 234 = EWiR § 311 AktG 2/09, 129 (Blasche); dazu Altmeppen, ZIP 2009, 49; Bayer/Lieder, AG 2010, 885; Habersack, ZGR 2009, 347; Mülbert/ Leuschner, NZG 2009, 281; zuvor bereits Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1294; Michael Winter, DStR 2007, 1484, 1488. 129) Zum Hintergrund Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1295 f.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

verwendete Formulierung „bei Bestehen“ wird klargestellt, dass nicht nur Leistungen an den anderen Vertragsteil privilegiert sind, sondern auch solche an Dritte, insbesondere dem anderen Vertragsteil verbundene Unternehmen.130) Bei der Privilegierung kommt es zudem anders als nach § 291 Abs. 3 AktG nicht darauf an, dass „auf Grund“ des Vertrages geleistet wurde; auch begründen beide Arten von Unternehmensverträgen unabhängig voneinander die Privilegierung („oder“), so dass nicht etwa auch ein – im GmbH-Recht unüblicher – Beherrschungsvertrag geschlossen werden müsste. Zur Vermeidung von Widersprüchen erklärt das Gesetz zudem – auf Empfehlung des Rechtsausschusses – durch einen neuen § 71a Satz 3 AktG das Verbot der financial assistance bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages für unanwendbar.131) 5.76b Schadenersatzzahlungen aus Prospekthaftung und vergleichbaren kapitalmarktrechtlichen Haftungsinstituten gehören nach heutiger Auffassung ebenfalls nicht zu den verbotenen Rückzahlungen, weil die kapitalmarktrechtlichen Normen insoweit als vorrangig angesehen werden.132) Das gilt aber nicht für die Platzierung von Altaktien; die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die emittierende Gesellschaft in einem solchen Fall stellt daher eine Rückgewähr von Einlagen an den Altaktionär unter Verstoß gegen § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG dar, wenn dieser die Gesellschaft nicht von der Prospekthaftung freistellt.133) a)

Unterschiede zwischen Aktien- und GmbH-Recht

5.77 Erhebliche Unterschiede zwischen Aktien- und GmbH-Recht gibt es allerdings, was die Reichweite dieses Verbots angeht. Nach § 57 Abs. 3 AktG darf unter den Aktionären vor Auflösung der Gesellschaft nur der (formell festgestellte) Bilanzgewinn verteilt werden (entsprechend Art. 17 [früher Art. 15] Zweite Richtlinie). Demgegenüber erstreckt sich das Verbot zur Rückgewähr ___________ 130) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 56; siehe auch Michael Winter, DStR 2007, 1484, 1490 f. 131) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 57. 132) BGH ZIP 2005, 1270, 1272 f. (EM.TV) = NJW 2005, 2450 = NZG 2005, 672 = EWiR § 31 BGB 1/05, 689 (Bayer/Weinmann) (Schadenersatzansprüche wegen fehlerhafter Ad-hocMeldungen); BGH ZIP 2007, 326 (Comroad) = NZG 2007, 269; hierzu Duve/Basak, BB 2005, 2645; Fleischer, ZIP 2005, 1805. – Einem Schadenersatzanspruch stand § 57 AktG auch nach früherer Auffassung nur dann entgegen, wenn die ansonsten ersatzberechtigten Aktionäre ihre Aktien durch Zeichnung oder in Ausübung eines Bezugsrechts erworben hatten: OLG Frankfurt/M. ZIP 1999, 1005 (MHM Mode) = NZG 1999, 1072 = EWiR § 77 BörsG 1/99, 501 (Kort) (inzwischen rkr.); Vorinstanz LG Frankfurt/M. ZIP 1998, 641 (Herwart Huber); zu dem Problemkreis auch Hirte, in: Lutter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung (1998), S. 1108, 1111 ff. 133) BGHZ 190, 7 (Deutsche Telekom) = ZIP 2011, 1306 Tz. 15 ff. = NJW 2011, 2719 = NZG 2011, 829 = DStR 2011, 1530 = EWiR § 57 AktG 1/11, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski); zuvor bereits Hirte, in Lut ter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung (1998), S. 1108, 1130 ff. Rz. 35.35, 35.37.

370

II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

von Einlagen im GmbH-Recht nur auf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen (§ 30 Abs. 1 GmbHG).134) Dieses ist allerdings – anders als etwa bei der Überschuldungsprüfung für Zwecke der Insolvenzantragspflicht (oben Rz. 3.63 – nach handelsrechtlichen Grundsätzen festzustellen, so dass Gesellschafterdarlehen – ungeachtet eines etwaigen Rangrücktritts (dazu näher unten Rz. 5.122 ff.) – stets zu passivieren sind.135) Das bedeutet für die GmbH einen erheblich weniger weit reichenden Umfang 5.78 des Kapitalschutzes: denn für die Errechnung des Bilanzgewinnes (§ 58 Abs. 4 AktG) ist der Jahresüberschuss um Zuführungen zu einer obligatorisch zu bildenden gesetzlichen Rücklage (§ 150 AktG) und zu weiteren satzungsmäßig zu bildenden Gewinnrücklagen (§ 58 AktG) zu vermindern, bis die gesetzlichen oder satzungsmäßigen Mindestwerte erreicht sind, sofern die Rücklagen nicht – soweit zulässig – wieder aufgelöst wurden. In der GmbH kommt es demgegenüber nur darauf an, dass das Reinvermögen nicht den auf der Passivseite eingestellten Posten Stammkapital unterschreitet. Ist dies einmal der Fall, dürfen selbstverständlich erst recht keine weiteren Auszahlungen getätigt werden. Ausschüttungssperre

5.79

– Reichweite der Auszahlungssperre nach § 30 GmbHG – Aktiva

Passiva

Anlagevermögen

200

Stammkapital

100

Umlaufvermögen

300

Schulden

400

Bei einer Auszahlung würde das Nettovermögen (= Bruttovermögen Verbindlichkeiten) auf unter 100 sinken; eine Auszahlung wäre also unzulässig

500

500

___________ 134) Besonders deutlich BGHZ 142, 92 = ZIP 1999, 1352 (Altmeppen) = NJW 1999, 2817 = DB 1999, 1651 = DStR 1999, 1366 (Goette) = EWiR § 823 BGB 3/99, 835 (Wilhelm) = LM H. 1/2000 § 823 (B) BGB Nr. 12 (Roth). 135) BGH ZIP 2008, 2217, 2219 f. = DStR 2008, 2378.

371

§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

Ausschüttungssperre – Reichweite der Auszahlungssperre nach § 30 GmbHG – Aktiva

Passiva

Anlagevermögen

200

Stammkapital

100

Umlaufvermögen

300

Rücklagen/Gewinn

200

Schulden

200

In diesem Beispiel wäre demgegenüber eine Auszahlung von bis zu 200 (= 500 abzüglich 200 und abzüglich 100) unproblematisch

500

500

Ausschüttungssperre – größere Reichweite der Auszahlungssperre nach § 57 Abs. 3 AktG – Aktiva

Passiva

Anlagevermögen

200

Stammkapital

100

Umlaufvermögen

300

Rücklagen

150

Bilanzgewinn Schulden

50 200

In der Aktiengesellschaft darf nur der Bilanzgewinn ausgeschüttet werden (hier: 50)

500

500

5.80 Ein weiterer Unterschied zwischen Aktien- und GmbH-Recht ergibt sich daraus, dass nur § 31 Abs. 3 GmbHG die Mithaftung der übrigen Gesellschafter für verbotene Rückzahlungen anordnet (entsprechend § 24 GmbHG für die Kapitalaufbringung); dazu sogleich Rz. 5.93. b) Verdeckte Gewinnausschüttungen 5.81 Das Gebot der Kapitalerhaltung verbietet den Gesellschaftern allerdings nicht, normale Verkehrsgeschäfte mit ihrer Gesellschaft zu tätigen. Solche Geschäfte sind grundsätzlich zulässig: ein Gesellschafter kann also etwa der GmbH, deren Gesellschafter er ist, sein Grundstück verkaufen. Solche Geschäfte bergen aller372

II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

dings ein erhebliches Risiko in sich, dass sie nicht zu marktüblichen Konditionen („at arm’s length“) abgewickelt werden. Dies gilt vor allem bei geschlossenen Gesellschaften und noch extremer bei Einpersonen-Gesellschaften. In diesen Fällen wird vor dem Hintergrund der Kapitalerhaltungsvorschriften nur der marktübliche Teil der Gegenleistung als gesellschaftsrechtlich zulässig angesehen; der übersteigende Teil wird als verdeckte Gewinnausschüttung wie eine unmittelbare Rückzahlung von zur Kapitalerhaltung erforderlichem Vermögen (§ 30 GmbHG) bzw. als Verstoß gegen § 57 AktG qualifiziert. Beispiele: GmbH errichtet für Gesellschafter den Rohbau ihres Einfamilienhauses zu einem nicht einmal die Selbstkosten deckenden Preis (BGH ZIP 1987, 575 = NJW 1987, 1194 = EWiR § 30 GmbHG 1/87, 255 [Westermann]); Genossenschaft zahlt überhöhte Preise für Milchlieferungen (BGH NJW-RR 1997, 985 = ZIP 1997, 927 = LM H. 9/1997 § 22 GenG Nr. 3).136)

5.82

Einen in Voraussetzungen und Rechtsfolgen umstrittenen Sonderfall der ver- 5.83 deckten Gewinnausschüttungen erfasst die Geschäftschancenlehre. Sie behandelt gesellschafts- und steuerrechtlich auch solche Fälle als verdeckte Gewinnausschüttungen, in denen eine Gesellschaft auf die Möglichkeit eigener Gewinnerzielung („corporate opportunities“) zugunsten ihrer Gesellschafter verzichtet. Eindeutig gehören dazu etwa die unentgeltliche Überlassung von Gesellschaftseigentum an Gesellschafter zur Nutzung durch diese oder die Abtretung vertraglich gesicherter Rechtspositionen an Gesellschafter.137) Verdeckte Gewinnausschüttungen sind auch darauf zurückzuführen, dass die im 5.84 Rahmen von Verkehrsgeschäften seitens der Gesellschaft erbrachten Leistungen den steuerpflichtigen Gewinn der Gesellschaft mindern, während Gewinnausschüttungen an die Gesellschafter zunächst der Körperschaftsteuer unterliegen. Besonders häufig waren verdeckte Gewinnausschüttungen daher – jedenfalls bislang – im Bereich der Geschäftsführer-Bezüge von GmbHs anzutreffen. Hier spielte daher für den Geschäftsführer, der zugleich (Allein-)Gesellschafter ist, die Höhe der Vergütung auf der Grundlage seines Anstellungsvertrages häufig eine größere Rolle als der Gewinn, den er als Gesellschafter bezieht. Mit der Steuerreform zum 1. Januar 2001 hat sich dies aber geändert: denn seither sind die Kapitalgesellschaften steuerlich deutlich besser gestellt als private Steuerpflichtige; es wird daher attraktiver, Gewinne nicht auszuschütten und nach nur geringer Körperschaftsteuerbelastung zu thesaurieren als sie in Form hoher Drittvergütungen bei deren Empfängern einer hohen Einkommensteuerbelastung zu unterwerfen.138) Da verdeckte Gewinnausschüttungen zugleich steuerrechtliche Relevanz haben, 5.85 werden Verstöße häufig zunächst von den Steuerbehörden aufgedeckt. Sie ___________ 136) Dazu auch BGH NJW-RR 1997, 984 (Gen) = LM H. 7/1997 § 157 (d) BGB Nr. 53; Überblick bei Schön, in: Festgabe für Flume (1998), S. 265 ff. 137) Überblick und Einzelheiten bei Fleischer, DStR 1999, 1249 ff. 138) Rödder, in: VGR, Bd. 3 (2001), S. 111, 113 f.

373

§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

führen dann dazu, dass der die marktmäßige Vergütung übersteigende Preis der Körperschaftsteuer unterworfen wird. Voraussetzung dafür ist regelmäßig ein Fremdvergleich, wobei am Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu ermitteln ist, ob die Gesellschaft das Geschäft mit Dritten vernünftigerweise zu anderen Bedingungen getätigt hätte.139) Eine Geschäftsführervergütung kann daher etwa daraufhin überprüft werden, ob einem Geschäftsführer, der nicht Gesellschafter ist, die gleiche (hohe) Vergütung gewährt worden wäre. Daraus kann sich in Krisenzeiten für eine Gesellschaft die Verpflichtung ergeben, die Geschäftsführerbezüge zu senken.140) Für Aktiengesellschaften gilt dies entsprechend; doch sind verdeckte Gewinnausschüttungen hier seltener anzutreffen, weil und soweit Aktiengesellschaften einen gestreuten Aktionärskreis haben, der nicht mit der Verwaltung „gemeinsame Sache“ macht oder machen kann. Auch der Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot durch einen Gesellschafter kann eine verdeckte Gewinnausschüttung darstellen. Darauf und auf die steuerrechtlichen Folgen dieser Qualifikation wurde schon an anderer Stelle eingegangen (dazu oben Rz. 3.70 ff.). 5.86 Eine mittelbare verdeckte Gewinnausschüttung kann auch darin liegen, dass im Rahmen eines Austauschvertrages an eine Gesellschaft gezahlt wird, an der ein Gesellschafter der ausschüttenden Gesellschaft maßgeblich beteiligt ist.141) c)

Rechtsfolgen

5.87 Leistungen, die entgegen Art. 17 [früher Art. 15] Zweite Richtlinie, § 57 AktG, § 30 GmbHG erbracht werden, sind der Gesellschaft von den Gesellschaftern zurückzuerstatten (Art. 18 [früher Art. 16] Zweite Richtlinie, § 62 Abs. 1 AktG, § 31 Abs. 1 GmbHG: Rückeinlageanspruch). Der Anspruch ist dabei auf Rückgabe des verbotswidrig weggegebenen Vermögensgegenstandes gerichtet.142) Dabei werden weder das Verpflichtungs- noch das Erfüllungsgeschäft als nichtig ___________ 139) BFH NJW 1997, 1806; BFH NJW 1997, 3190 = ZIP 1997, 1963 = ZfIR 1997, 675; BFH ZIP 2003, 348, 349 = NJW-RR 2003, 397 = NZG 2003, 495 (für eine Alters- und/oder Invaliditätsversorgung, die bei Passivierung zur insolvenzrechtlichen Überschuldung der Gesellschaft führen würde); zum Ganzen Lawall, NJW 1997, 1742; Schön, in: Festgabe für Flume (1998), S. 265, 282 ff. 140) Zur Pflicht des Geschäftsführers, solchen Herabsetzungen zuzustimmen, BGH ZIP 1992, 1152 = NJW 1992, 2894 = EWiR § 265 ZPO 1/92, 825 (Fleck). 141) BGH NJW 1991, 1057 = ZIP 1990, 1593 = EWiR § 32a GmbHG 1/91, 67 (von Gerkan) = LM § 41 KO Nr. 15; BGH NJW 1996, 589 = ZIP 1996, 68 = EWiR § 30 GmbHG 1/96, 121 (Crezelius) = DStR 1996, 271 (Goette) = LM H. 4/1996 § 29 GmbHG Nr. 6 (hinsichtlich der Beteiligung an der begünstigten Gesellschaft entscheidet der Zeitpunkt der Erfüllung des Vertrages); Schön, in: Festgabe für Flume (1998), S. 265, 295 ff. 142) Zur grundsätzlichen Pflicht, auch Wertminderungen dieses Gegenstandes auszugleichen, BGHZ 176, 62 = ZIP 2008, 922 f. = NJW 2008, 2118 = EWiR § 31 GmbHG 1/2008, 495 (H. P. Westermann) (im Zusammenhang mit der entsprechenden Anwendbarkeit von § 31 GmbHG auf kapitalersetzende Darlehen, aber auch heute noch für § 31 GmbHG unmittelbar von Bedeutung).

374

II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

angesehen, weil sich sonst schwer lösbare Konflikte mit den andernfalls entstehenden bereicherungsrechtlichen Rückgewähransprüchen ergeben würden.143) Bei verdeckten Leistungen kann der Gesellschafter die Rückgewährpflicht hinsichtlich des geschuldeten Gegenstands abwenden, wenn er die Wertdifferenz zu Lasten der Gesellschaft ausgleicht.144) Für die Erstattungsansprüche gilt eine verlängerte Verjährungsfrist von zehn Jahren nach ihrer Entstehung (§ 62 Abs. 3 AktG, § 31 Abs. 5 GmbHG).145) Daneben trifft den Geschäftsleiter nach § 93 Abs. 2, 3 Nr. 1 AktG, § 43 Abs. 3 GmbHG gegenüber der Gesellschaft eine persönliche Haftung wegen der unerlaubt zurückgewährten Einlagen. Nach Ansicht des BGH und des OLG Koblenz sind Erstattungsansprüche nach 5.88 §§ 30 f. GmbHG solche „aus Vertrag“ i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, nicht aber solche mit Insolvenzbezug i. S. v. Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ (jetzt durch die EuGVO übernommen).146) Die §§ 30, 31 GmbHG sind auf Zuwendungen an die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (früher: Treuhandanstalt) aus dem Vermögen der von ihr gehaltenen Gesellschaften unter Einschluss der Gewährung von Sicherheiten nicht anwendbar, sondern werden durch § 25 Abs. 5 und 6 DMBilG verdrängt.147)

Ein einmal entstandener Erstattungsanspruch nach § 31 Abs. 1 GmbHG ent- 5.89 fällt nicht von Gesetzes wegen, wenn das Stammkapital zwischenzeitlich anderweitig bis zur Höhe des Stammkapitals wiederhergestellt wurde.148) Auch stellt es keinen Verstoß gegen den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz dar, einen Gesellschafter auf Rückzahlung voll in Anspruch zu nehmen, nachdem sich andere über den Anspruch bereits mit der Gesellschaft verglichen ___________ 143) BGHZ 196, 312 Tz. 16 ff. = ZIP 2013, 819 = NZG 2013, 496 = NJW 2013, 1742 = EWiR § 57 AktG 1/13, 297 (Wilsing/D. Meyer) (zu § 57 AktG). 144) Hüffer/Koch, § 62 AktG Rz. 10. 145) Zum Beginn der Verjährungsfrist bei Sicherheitenbestellung zugunsten von Gesellschaftern (bereits mit der Verwertung des Sicherungsgutes, nicht erst mit der Auskehr der Erlöses): BGHZ 173, 1 = ZIP 2007, 1705 = NZG 2007, 704; dazu Goette, ZInsO 2007, 1177, 1178 f. 146) BGH ZIP 2011, 328 Tz. 11 ff. = NJW 2011, 844 = NZG 2011, 273 = NZI 2011, 198 = DStR 2011, 484 = ZInsO 2011, 392 = EWiR § 30 GmbHG a. F. 1/11, 463 (Siepmann) = LMK 2011, 317724 (Grünewald) (für Erstattungsansprüche nach österreichischen Recht; krit. dazu Haas/Vogel, NZG 2011, 455 [eine einheitliche Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs erwägend]); OLG Koblenz DStR 2002, 144 (Ls.) m. krit. Anm. Haas. 147) BGHZ 149, 276 = ZIP 2002, 436 = NZG 2002, 237 = NZI 2002, 230 = DStR 2002, 508 = EWiR § 25 DMBilG 1/02, 517 (Kort). 148) BGHZ 144, 336, 340 ff. (Balsam/Procedo I) = ZIP 2000, 1251, 1253 = NJW 2000, 2577 = DStR 2000, 1234 (Goette) = LM H. 11–12/2000 § 30 GmbHG Nr. 69 (Heidenhain) = NZG 2000, 883 = ZInsO 2000, 453 = NZI 2000, 417; BGH ZIP 2000, 1256, 1257 (Balsam/ Procedo II); BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 Tz. 25 ff. = NZG 2012, 667 = NZI 2012, 517 = DStR 2012, 1144 = EWiR § 30 GmbHG 1/12, 415 (Paefgen/Dettke) (für Rückführung eines Gesellschafterdarlehens); anders noch BGH ZIP 1987, 1113 (H. P. Westermann) = NJW 1988, 139 = EWiR § 31 GmbHG 2/87 (K. Müller); zur Balsam-Entscheidung Benecke, ZIP 2000, 1969; Kort, ZGR 2001, 615; Kurth/Delhaes, DB 2000, 2577 (mit Erwiderung durch Bormann, DB 2001, 907 und Willemsen/Coenen, DB 2001, 910); Paul, ZInsO 2000, 583; Servatius, GmbHR 2000, 1028; Wagner/Sperneac-Wolfer, NZG 2001, 9.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

haben. Für die entsprechende Anwendung der Grundsätze über die Kapitalerhaltung im Bereich der kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen dürfte diese vom BGH vorgenommene Erweiterung aber nicht gelten. 5.90 Schwieriger liegen die Dinge, wenn die Leistung an die Gesellschafter in ein – der Form nach – gewöhnliches Verkehrsgeschäft gekleidet war. Dann könnte auch ein solches entgegen den Kapitalerhaltungsregeln abgeschlossenes Verkehrsgeschäft ebenso wie das Erfüllungsgeschäft als nach § 134 BGB nichtig angesehen werden; der Aktionär oder GmbH-Gesellschafter hätte dann für die von ihm erbrachte Leistung nur einen Bereicherungsanspruch, mit dem er wegen § 66 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG nicht gegen den Rückeinlageanspruch der Gesellschaft aufrechnen könnte. 5.91 Die Rechtsprechung folgt diesem Ansatz freilich nicht und sieht stattdessen § 62 Abs. 1 AktG, § 31 GmbHG bezüglich der Rechtsfolgen als leges speciales gegenüber §§ 134, 812 ff. BGB an. Danach richtet sich der Anspruch der Gesellschaft nur auf die Differenz zwischen dem vereinbarten Wert der Einlage und dem tatsächlichen niedrigeren Wert. Daraus folgt zunächst, dass selbst dann, wenn die handelnden Gesellschafter bewusst die Kapitalerhaltungsvorschriften umgehen wollten, kein Raum für die Anwendung des § 134 BGB und daran anknüpfend für einen Rückerstattungsanspruch nach § 812 BGB gegeben ist. Da selbst bei einem bewussten Verstoß gegen § 57 AktG, § 30 GmbHG keine Nichtigkeit des gesamten Verpflichtungs- bzw. Verfügungsgeschäftes eintritt, kann zweitens hinsichtlich des Rückforderungsanspruches der Gesellschaft auf die genaue Feststellung des Bestehens und der Höhe der Unterbilanz bzw. Überschuldung nicht verzichtet werden. Nur wenn der Gesellschafter selbst seine Leistung zurückverlangt, muss er seinerseits auch die Einlage (noch bzw. wieder) in vollem Umfang erbringen.149) 5.92 Der Rückgewähranspruch richtet sich grundsätzlich gegen die Gesellschafter, die die verbotene Leistung erhalten haben. Ihnen ist dabei wie bei der originären Kapitalaufbringung eine Aufrechnung untersagt.150) Die Ersatzpflicht richtet sich dabei auch gegen einen mittelbaren Gesellschafter, wenn die verbotene Auszahlung gleichzeitig eine unzulässige Auszahlung der Gesellschaft darstellte, ___________ 149) BGHZ 136, 125 = NJW 1997, 2599 = ZIP 1997, 1450 = EWiR § 30 GmbHG 1/97, 1089 (H. P. Westermann) = DStR 1997, 1216 (Goette) = LM H. 2/1998 § 30 GmbHG Nr. 56 (Stahltransport); zur Abgrenzung von Einlagenrückgewähr und ungerechtfertigter Bereicherung auch OLG Frankfurt/M. BB 1996, 445 (Küppersbusch) = AG 1996, 324 = EWiR § 57 AktG 1/96, 197 (Fleischer) = DZWir 1996, 244 (Westermann/Wilhelmi) (inzwischen rkr.); Karsten Schmidt, GesR, § 20 III 5, S. 586 f., § 29 II 1 b, S. 884 ff.; zweifelnd für die verdeckte Sacheinlage Wiedemann, in: GroßK, § 183 AktG Rz. 108. 150) BGHZ 146, 105 = ZIP 2001, 157, 158 = NJW 2001, 830 = DStR 2001, 408 (Goette) = NZG 2001, 272 = ZInsO 2001, 264 = EWiR § 31 GmbHG 1/01, 327 (Westermann) = GmbHR 2001, 142 (Müller); dazu Paul, ZInsO 2001, 243; Peus, GmbHR 2001, 655.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

über die er an der Gesellschaft beteiligt ist.151) Bei Leistungen an nahe Angehörige oder dem Gesellschafter verbundene Unternehmen oder faktische Gesellschafter152) kann sich der Rückgewähranspruch auch gegen Nicht-Gesellschafter richten. § 31 Abs. 2 GmbHG schließt eine Rückzahlungsverpflichtung des GmbH-Gesellschafters aus, wenn er die Leistungen der Gesellschaft im guten Glauben erhalten hatte;153) § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG sieht einen solchen Haftungsausschluss nur dann vor, wenn sie ihm „als Gewinnanteile“ zugeflossen sind. Die Kapitalerhaltungsvorschriften mit den daraus resultierenden Ansprüchen aus § 62 AktG, § 31 GmbHG richten sich nach einer Grundsatzentscheidung des IX. Zivilsenats des BGH aber nicht an gesellschaftsexterne Dritte (zu diesem Urteil auch oben Rz. 5.76).154) Für verbotene Rückzahlungen ordnet § 31 Abs. 3 GmbHG schließlich die sub- 5.93 sidiäre Mithaftung der übrigen Gesellschafter an (entsprechend § 24 GmbHG für die Kapitalaufbringung), deren Voraussetzungen die GmbH darzulegen und zu beweisen hat. Die Subsidiarität greift selbst dann, wenn der Gesellschafter an der verbotenen Auszahlung mitgewirkt hat, sofern kein Fall des existenzvernichtenden Eingriffs vorliegt (dazu unten Rz. 5.172 ff.). Auch wenn sich diese Haftung nur nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile richtet, bedeutet sie doch ein erhebliches Risiko: sie zwingt – dem personalistischeren Charakter der GmbH entsprechend – dazu, sich seine Mitgesellschafter genau anzusehen. Allerdings besteht nach § 31 Abs. 6 GmbHG die Möglichkeit des Regresses beim Geschäftsführer.155) Die Ausfallhaftung des § 31 Abs. 3 GmbHG erfasst nicht den gesamten durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag,

___________ 151) BGH ZIP 1990, 1467 = NJW 1991, 357 = EWiR § 31 GmbHG 2/90, 1211 (Gerd Müller) (GmbH). 152) Dazu BGH ZIP 2008, 118, 119 = NZG 2008, 106 = EWiR § 57 AktG 1/2008, 545 (Schall) (dort: Halten der Aktien durch Treuhänder, sowie Erstreckung auch auf künftige Aktionäre, wenn zwischen der verbotenen Auszahlung und dem Aktienerwerb ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht). 153) Zu den Voraussetzungen BGH ZIP 2003, 2068 = NJW 2003, 3629 = NZG 2003, 1116 = DStR 2003, 2128 (Goette) = EWiR § 30 GmbHG 1/04, 383 (F. Wagner). 154) BGHZ 138, 291 = ZIP 1998, 793 = NJW 1998, 2593 = EWiR § 30 GmbHG 1/98, 699 (Eckardt) = DStR 1998, 1272 = DZWir 1998, 368 (Becker-Eberhard); abw. LG Frankfurt/ M. ZIP 1997, 1464 = EWiR § 30 GmbHG 2/97, 1091 (App) (inzwischen rkr.) für den Fall, dass der betroffene Dritte (Bank) bei seinem Handeln den Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsregeln kannte oder kennen musste (ausführlicher dazu in der 3. Aufl. dieses Werkes Rz. 686). 155) BGHZ 142, 92 = ZIP 1999, 1352 (Altmeppen) = NJW 1999, 2817 = DB 1999, 1651 = DStR 1999, 1366 (Goette) = EWiR § 823 BGB 3/99, 835 (Wilhelm) = LM H. 1/2000 § 823 (B) BGB Nr. 12 (Roth); hinsichtlich der beschränkten Ersatzpflicht der Gesellschafter, die nicht selbst Empfänger der Auszahlung sind, Einschränkung gegenüber BGHZ 93, 146 = ZIP 1985, 279 = NJW 1985, 1030 = EWiR § 30 GmbHG 1/85 (Priester).

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

sondern ist auf den Betrag der Stammkapitalziffer beschränkt.156) Die Haftung ist aber nicht um den Umfang der Beteiligung des nicht zahlenden Gesellschafters zu kürzen.157) 5.94 Das Auszahlungsverbot des § 30 GmbHG (und Entsprechendes muss für § 57 AktG gelten) richtet sich nur gegen Geschäftsführer, nicht aber gegen Prokuristen und sonstige Mitarbeiter einer Gesellschaft. Diese können aber wegen positiver Vertragsverletzung (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) ihres Anstellungsvertrages haftbar sein, wenn sie Auszahlungen unter Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften vornehmen. Sie haften aber – sofern kein vorsätzliches deliktisches Handeln vorliegt – nicht, wenn sie auf Weisung des Geschäftsführers oder mit dessen erklärtem Einverständnis handeln; entsprechend § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG haften sie auch nicht, wenn sie zwar ohne Geschäftsführerweisung, aber in Befolgung eines Gesellschafterbeschlusses gehandelt haben.158) d)

Erwerb eigener Anteile

aa)

Grundsätzliches Verbot

5.95 Aus Gründen der Kapitalerhaltung ist schließlich auch der Erwerb eigener Aktien (Art. 21 [früher Art. 19] Zweite Richtlinie, §§ 71 ff. AktG) bzw. eigener GmbHGeschäftsanteile grundsätzlich verboten (§ 33 GmbHG).159) Ein solcher Erwerb ist zwar infolge der rechtlichen Selbständigkeit der Aktiengesellschaft bzw. der GmbH ohne Weiteres vorstellbar.160) Doch würde auch dadurch das Eigenkapital teilweise liquidiert und den begünstigten Aktionären unter Umgehung der dafür sonst bestehenden Schranken (vor allem §§ 57 ff. AktG) zurückerstattet. Das US-amerikanische Recht behandelt den Erwerb eigener Anteile daher – konsequent – nur als einen Sonderfall der distribution. Zudem treffen spätere Verluste die Gesellschaft doppelt, da der Wert der eigenen Anteile sinkt.161) Verbandsrechtlich kommt hinzu, dass der Erwerb eigener Anteile ___________ 156) BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848 = DStR 2002, 1010 = NJW 2002, 1803 = EWiR § 31 GmbHG 1/02, 679 (Blöse) = LM H. 9/2002 § 6 GmbHG Nr. 3 (G. H. Roth); BGH ZIP 2003, 2068 = NJW 2003, 3629 = NZG 2003, 1116 = DStR 2003, 2128 (Goette) = EWiR § 30 GmbHG 1/04, 383 (F. Wagner); dazu Altmeppen, ZIP 2002, 961. 157) Abw. OLG Oldenburg EWiR § 31 GmbHG 2/01, 761 m. krit. Anm. von Gerkan; krit. auch Hirte, NJW 2003, 1154, 1156. 158) BGHZ 148, 167 = ZIP 2001, 1458 = NJW 2001, 3123 = DB 2001, 1770 = NJW 2001, 3123 = NZG 2001, 893 = NZI 2002, 38 = EWiR § 30 GmbHG 2/01, 917 (Keil); dazu H.-F. Müller, ZGR 2003, 441. 159) Zum GmbH-Recht MünchHdB GmbH-Kort, § 27; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 33 GmbHG Rz. 1; zu früheren Plänen seiner Reform Wiedemann, GesR I, S. 564. 160) Lutter/Drygala, KK, § 71 AktG Rz. 31 (unter Hinweis auf die sich wandelnde rechtspolitische Beurteilung des Erwerbs eigener Aktien); Wiedemann, GesR I, S. 563. 161) LG Göttingen AG 1993, 46; Lutter/Drygala, KK, § 71 AktG Rz. 16 f.; Wiedemann, GesR I, S. 563.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

einzelne Aktionäre – die Verkäufer – vor anderen bevorzugt und damit der Geschäftsführung die Möglichkeit gibt, die bestehenden Mehrheitsverhältnisse zugunsten oder zu Lasten einzelner Aktionäre zu beeinflussen. Im Extremfall kontrolliert sich daher die Verwaltung selbst.162) Werden die zu erwerbenden Aktien einer Aktiengesellschaft an der Börse gehandelt, kann durch den Erwerb eigener Aktien auch der Markt manipuliert werden, indem eine nicht vorhandene Nachfrage vorgetäuscht wird.163) Das Verbot des Erwerbs eigener Aktien würde jedoch leicht leerlaufen, würde 5.96 es nur die Fälle eines unmittelbaren Erwerbs eigener Aktien durch eine Aktiengesellschaft erfassen (so der Grundtatbestand des Art. 21 [früher Art. 19] Abs. 1 Zweite Richtlinie, § 71 AktG). Denn dann wäre es ein Leichtes, eine – im Extremfall – 100 %-ige Tochtergesellschaft zu gründen und diese die Aktien der Muttergesellschaft erwerben zu lassen.164) Aus diesem Grunde erstrecken Art. 21 [früher Art. 19] Abs. 1 Zweite Richtlinie, § 71d AktG das Verbot des Erwerbs eigener Aktien auch auf bestimmte verbundene Unternehmen (§§ 15 ff. AktG). Für das GmbH-Recht findet sich zwar eine entsprechende Norm nicht. Doch gilt auch hier unter dem Gesichtspunkt des Umgehungsschutzes das Gleiche. In ähnlicher Weise verbieten § 71a AktG, Art. 25 [früher Art. 23] Abs. 1 5.97 Zweite Richtlinie auch Maßnahmen der Gesellschaft zur „Unterstützung“ des Erwerbs eigener Aktien („financial assistance“). Problematisch ist hier vor allem, dass dieses Verbot mit der börsenrechtlichen Haftung bei der Emission von Aktien kollidieren kann (dazu oben Rz. 5.76b). Schließlich ist aus den gleichen Gründen auch die Inpfandnahme von eigenen Anteilen als Umgehungstatbestand den gleichen Schranken wie deren Erwerb unterworfen (Art. 27 [früher Art. 24] Abs. 1 Zweite Richtlinie, § 71e Abs. 1 AktG, § 33 Abs. 1 GmbHG). Im Falle eines unerlaubten Erwerbs eigener Anteile trifft den Geschäftsleiter 5.98 nach § 93 Abs. 2, 3 Nr. 3 AktG, § 43 Abs. 3 GmbHG gegenüber der Gesellschaft eine persönliche Haftung; denn der Sache nach wurden damit unerlaubt Einlagen zurückgewährt. In jedem Fall stehen der Gesellschaft aus eigenen Anteilen keine Rechte zu (Art. 24 [früher Art. 22] Abs. 1 a Zweite Richtlinie, § 71b AktG). Für die GmbH gilt dies gleichermaßen, auch wenn es insoweit an einer gesetzlichen Anordnung fehlt.165) ___________ 162) LG Göttingen AG 1993, 46; Lutter, KK, § 71 AktG Rz. 16, 28; Wiedemann, GesR I, S. 563 f. 163) Wiedemann, Ges I, S. 563. 164) Zu einer solchen Konstellation für die Zeichnung eigener Aktien Hirte, ZIP 1989, 1233, 1242 f. 165) BGH ZIP 1995, 374, 375 = NJW 1995, 1027, 1028 = EWiR § 33 GmbHG 1/95, 369 (W. Müller) = WiB 1995, 381 (Eckhardt); Hirte, NJW 1996, 2827, 2844; differenzierend insbesondere in Bezug auf Kapitalerhöhungen Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 33 GmbHG Rz. 23.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

bb)

Ausnahmen

5.99 § 71 Abs. 1 AktG statuiert allerdings einige Fallgruppen, in denen der Erwerb eigener Aktien ausnahmsweise erlaubt ist. Dazu gehört unter anderem der Erwerb mit der Absicht, einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden (Art. 21 [früher Art. 19] Abs. 2 Zweite Richtlinie, § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG), oder das Ziel, die Aktien der Belegschaft zum Kauf anzubieten (Art. 21 [früher Art. 19] Abs. 3 Zweite Richtlinie, § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG). Der in diesen Fällen gezahlte Erwerbspreis für die Aktien gilt daher nach § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG auch nicht als unerlaubte Einlagenrückgewähr. In den meisten dieser Fälle ist zudem die Obergrenze des Art. 21 [früher Art. 19] Abs. 1 UA 1 b Zweite Richtlinie, § 71 Abs. 2 AktG zu beachten; zudem sind die Anteile in der Bilanz seit Inkrafttreten des BilMoG im Jahre 2009 offen vom Kapital abzusetzen (§ 272 Abs. 1a) bzw. es ist – wenn es sich um indirekt gehaltene Anteile eines verbundenen Unternehmens handelt – nach Art. 24 [früher Art. 22] Abs. 1 b Zweite Richtlinie, § 272 Abs. 4 HGB n. F. eine Rücklage für indirekt gehaltene eigene Anteile zu bilden.166) Das GmbH-Recht ist hier in § 33 Abs. 2 GmbHG deutlich liberaler und verlangt ähnlich § 30 GmbHG im Wesentlichen nur, dass durch den Erwerb nicht das Stammkapital angegriffen wird.167) 5.100 Eine besonders bedeutsame Ausnahme wurde durch das KonTraG in § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG (erlaubt durch Art. 21 [früher Art. 19] Abs. 1 UA 1 a Zweite Richtlinie) verankert. Danach kann die Hauptversammlung den Vorstand für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren (seit Inkrafttreten des ARUG) zum Erwerb eigener Aktien ermächtigen; dabei hat sie den niedrigsten und höchsten Gegenwert sowie den zulässigen Umfang des Erwerbsvolumens – höchstens 10 % des Grundkapitals – festzulegen. Der Zweck einer solchen Ermächtigung liegt bei börsennotierten Gesellschaften in erster Linie darin, den Aktionären ___________ 166) Zur Anfechtbarkeit eines Beschlusses nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG, wenn im Hinblick auf Verluste absehbar ist, dass die im Falle eines Erwerbs eigener Aktien nach § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG zu bildende Rücklage nicht gebildet werden kann, OLG München ZIP 2002, 1353, 1354 = NZG 2002, 678 = EWiR § 52 AktG a. F. 1/02, 1029 (Schwab). 167) Um dies festzustellen, ist nach Ansicht des BGH in Übereinstimmung mit der h.M. im Schrifttum von fortgeschriebenen Buchwerten auszugehen; nicht aufgelöste stille Reserven dürfen für die Darstellung des Vermögens der Gesellschaft insoweit nicht berücksichtigt werden; BGH NJW 1997, 196 = ZIP 1996, 1984 = LM H. 2/1997 § 33 GmbHG Nr. 2 (W. Müller) = EWiR § 33 GmbHG 1/97, 79 (W. Müller) = DStR 1996, 1862 (Goette). Für die Frage, ob das Stammkapital angegriffen wurde, ist dem freien Vermögen der Gesellschaft der Gesamtbetrag der (auch nicht titulierten) offenen Ansprüche der Gesellschafter gegenüberzustellen; BGHZ 139, 132 = ZIP 1998, 1594 = NJW 1998, 3121 = DStR 1998, 1485 (Goette); dazu Röhricht, in: VGR, Bd. 1 (1999), S. 1, 3 ff. Zu den Rechtsfolgen der Veräußerung eigener Anteile einer GmbH (keine Anwendung von § 816 Abs. 1 BGB) durch den nicht geschäftsführenden Alleingesellschafter einer GmbH BGH ZIP 2003, 2116 = NJW 2004, 365 = NZG 2003, 1164 = EWiR § 35 GmbHG 1/03, 1245 (Ziemons); dazu oben Rz. 1.7 m. w. N.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

überschüssige Eigenmittel zurückzugewähren, ohne in einem langwierigen Verfahren das Kapital herabsetzen zu müssen oder mit jedenfalls faktischer Bindung für die Zukunft die Dividende zu erhöhen („Dividendenkontinuität“; dazu unten Rz. 6.53). Der Sache nach handelt es sich in diesen Fällen gleichwohl um eine Art Dividende; da das Vorgehen inzwischen steuerrechtlich aber als normales Umsatzgeschäft qualifiziert wird, ist es attraktiver als eine echte Dividendenzahlung. Mit der Steuerreform zum 1. Januar 2001 und der seither entfallenen Möglichkeit einer Anrechnung des Steuerguthabens der Gesellschaft bei (echten) Gewinnausschüttungen hat es daher noch mehr an Bedeutung gewonnen.168) Bei geschlossenen Gesellschaften können durch den Erwerb eigener Aktien die Anteile von Gesellschaftern zurückerworben werden, die ihre Aktien etwa wegen einer Vinkulierung nicht auf Dritte übertragen dürfen. Als Zweck ausgeschlossen ist lediglich der (bewusste) Handel in eigenen Aktien als „Maßnahme der Kurspflege“ und damit der Marktbeeinflussung.169) Um das Risiko von Gleichbehandlungsverstößen zu verringern, schreibt § 71 5.101 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG ausdrücklich die Anwendbarkeit von § 53a AktG auf Erwerb und Veräußerung der Aktien vor. Das war für die Veräußerung gleich aus welchem Rechtsgrund erworbener eigener Aktien auch früher schon so gesehen worden,170) allerdings sicher nicht im allgemeinen Bewusstsein. Die Situation ist nicht anders als bei der Ausgabe neuer Aktien im Rahmen einer Erhöhung des Nennkapitals (dazu unten Rz. 6.23 ff.). Andererseits verringern Erwerb und Veräußerung eigener Aktien über die Börse das Risiko von Gleichbehandlungsverstößen.171) Daher legt § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG ausdrücklich fest, dass dieses Vorgehen den Anforderungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes genügt. Ob dies auch in extremen Marktsituationen gilt, braucht hier nicht vertieft zu werden. Im Übrigen sind vor allem die Vorschriften über den Ausschluss des Bezugsrechts (unten Rz. 6.23 ff.) entsprechend anwendbar (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG).172) Um Insiderhandel im Zusammenhang mit ___________ 168) Rödder, in: VGR, Bd. 3 (2001), S. 111, 119 f. 169) Zusammenfassend jetzt Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien durch die AG (2002); zur Reform Hirte, in: Karsten Schmidt/Riegger, Gesellschaftsrecht 1999. RWS-Forum 15 (2000), S. 211, 238 ff.; Jäger, DStR 1999, 28, 30 ff.; Kindl, DStR 1999, 1276 ff.; Kleindiek, in: Hommelhoff/Röhricht, Gesellschaftsrecht 1997. RWS-Forum 10 (1998), S. 23 ff., 45 ff.; Martens, AG 1996, 337 ff.; ders., AG 1997, Sonderheft, S. 83, 85 f. (mit Kritik an der gesetzlichen Zweckbegrenzung); Schander, ZIP 1998, 2087; Wastl, DB 1997, 461 ff.; hs, Wertpapier 23/96, 78 f.; Zimmer, NJW 1998, 3521, 3528 f.; rechtsvergleichend Benckendorff, Erwerb eigener Aktien im deutschen und US-amerikanischen Recht (1998); Pellens/ Schremper, BFuP 2000, 132 ff. 170) So vor allem OLG Hamm ZIP 1983, 1332, 1334 (Westfalia Lünen); OLG Oldenburg AG 1994, 415, 416 f. (Elsflether Werft); OLG Oldenburg AG 1994, 417, 418 (Elsflether Werft); dazu Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 32; Timm, ZHR 153 (1989), 60 ff. 171) So früher schon LG Göttingen AG 1993, 46 f.; dazu Lutter/Drygala, KK, § 71 AktG Rz. 28 ff. 172) Ausführlich OLG Hamburg ZIP 2005, 1074, 1081 = NZG 2005, 218.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

bevorstehenden Erwerben oder Veräußerungen eigener Aktien zu verhindern, schreibt § 71 Abs. 3 Satz 3 AktG eine prophylaktische Meldung der Einräumung einer Ermächtigung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vor. 4.

Gesellschafterdarlehen

a)

Allgemeines

5.102 Gesellschafter dürfen mit ihrer Gesellschaft auch wie normale Dritte in Kontakt treten. Dies gilt auch für die Gewährung von Darlehen. Werden ihnen dabei Vorzugskonditionen eingeräumt, können die in diesem Zusammenhang den Gesellschaftern zugeflossenen Leistungen als verdeckte Gewinnausschüttungen zu qualifizieren sein (dazu oben Rz. 5.81 ff.). Gesellschafterdarlehen als Finanzierungsmittel eines Unternehmens sind andererseits in bestimmten Fällen wirtschaftlich sinnvoll und geboten. Als Grund zu nennen sind zum einen das kostspielige und zeitraubende Verfahren einer Kapitalerhöhung, zum anderen die in den Grenzen der verdeckten Gewinnausschüttung zulässige Abzugsfähigkeit der von der Gesellschaft gezahlten Darlehenszinsen bei der (steuerlichen) Gewinnermittlung.173) Tritt jedoch ein Gesellschafter seiner Gesellschaft zugleich als Gläubiger gegenüber, führt dies zu einer Denaturierung des allgemeinen Gläubigerschutzes. Der Schutz von deren Interessen aber geht, da es hier um den Schutz von Außenseitern des Unternehmens geht, dem Schutz der Gesellschafter vor.174) Denn die Gläubiger sind nicht am Gewinn des Unternehmens beteiligt. Gesellschafter, die im Hinblick auf die Gewinnchancen Kapital in ein Unternehmen investieren, müssen daher daran gehindert werden, dass sie sich in der späteren Insolvenz gleichberechtigt in die Reihe der Gläubiger einstellen. 5.103 Die Rechtsprechung hat daher schon sehr früh die Möglichkeit einer Geltendmachung von Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz in mehreren grundlegenden Entscheidungen verneint, indem sie sie analog §§ 30, 31 GmbHG als haftendes Eigenkapital qualifizierte.175) Denn die Gesellschafter hätten ihrer Gesellschaft statt Fremdkapital Eigenkapital zur Verfügung stellen müssen, was zur Bezeichnung als „kapitalersetzende“ Gesellschafterdarlehen führte. Daraus wurden ein Rückzahlungsverbot und das Gebot abgeleitet, etwa verbotswidrig geleistete Zahlungen wieder in die Gesellschaftskasse zu erstatten. Etwaige Leistungen des Gesellschafters an die Gesellschaft sind dabei auch bei entgegenstehender Tilgungsbestimmung (etwa: bei Leistung auf neuerliche Kapitalerhöhung) in ers___________ 173) Dazu Goette, ZHR 162 (1998), 223, 225 f. 174) Wiedemann, GesR I S. 515. 175) RG JW 1939, 355, 356; BGHZ 31, 258, 268 ff. (Luft-Taxi); BGHZ 76, 326, 328 ff. = NJW 1980, 1524 = KTS 1980, 346; BGHZ 81, 311, 314 ff. = NJW 1982, 383 = ZIP 1981, 1200 = LM § 30 GmbHG Nr. 14a (Fleck); BGHZ 81, 365 = NJW 1982, 386 = ZIP 1981, 1332 = LM § 30 GmbHG Nr. 30 (Brandes).

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

ter Linie auf die Erstattungspflicht nach § 31 Abs. 1 GmbHG zu verrechnen.176) Aus Sicherheiten, die für eine solche Leistung von der Gesellschaft gestellt worden waren, wurde dem Gesellschafter die Befriedigung verwehrt.177) Ausgeschlossen war auch eine Aufrechnung mit der Forderung des Gesellschafters gegen eine zur Insolvenzmasse gehörende Forderung.178) Diese Rechtsprechung war so überzeugend, dass sie vom Gesetzgeber im 5.104 Rahmen der GmbH-Novelle 1980 in Form der §§ 32a, 32b GmbHG (§ 32a KO [später § 135 InsO a. F.], § 3b AnfG [später § 6 AnfG a. F.], § 172a HGB) – allerdings nur für die GmbH – rezipiert wurde.179) Gleichwohl blieb die vom Gesetzgeber gewählte Lösung in mehreren zentralen Punkten – vor allem bei den Rechtsfolgen – hinter dem bis dahin praktizierten Ansatz der Rechtsprechung zurück.180) Um den durch die Rechtsprechung bereits erreichten – und teilweise weitergehenden – Standard nicht aufzugeben, entschied der BGH, dass die §§ 32a, 32b GmbHG (die „Novellenregeln“) neben den bereits analog §§ 30, 31 GmbHG (die „Rechtsprechungsregeln“) entwickelten Schutz treten sollten.181) Im Ergebnis existierten daher zwei in den genannten Punkten unterschiedliche Systeme zur Erfassung „kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen“ nebeneinander. Die „Rechtsprechungslösung“ war dabei mit Abstand und auch nach Inkrafttreten der InsO die wichtigere. Durch das MoMiG hat sich der Gesetzgeber aber nochmals ausdrücklich zu 5.105 den Novellenregeln bekannt und – rechtstechnisch ein Unikum – die „Rechtsprechungsregeln“ zu den kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen durch § 57 Abs. 1 Satz 4 AktG n. F., § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n. F. ausdrücklich abgeschafft.182) Da diese aber von der Rechtsprechung u. a. deshalb nicht aufgegeben worden waren, weil sie auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens Anwendung fanden, kompensiert der Gesetzgeber deren „Aufhebung“ zusätzlich ___________ 176) BGHZ 179, 285 Tz. 9 ff. = ZIP 2009, 662, 663 = NJW 2009, 1418 = ZInsO 2009, 678 = ZInsO 2009, 678 = DStR 2009, 756. 177) BGHZ 75, 334, 338 = NJW 1980, 592 = ZIP 1980, 115; BGHZ 81, 252, 262 = ZIP 1981, 974. 178) BGHZ 81, 311, 314 = NJW 1982, 383 = ZIP 1981, 1200 = LM § 30 GmbHG Nr. 14a (Fleck); BGHZ 90, 370, 374 = ZIP 1984, 698 = NJW 1984, 1891; BGH NJW 1983, 220 = ZIP 1982, 1320; OLG München ZIP 1989, 322. 179) Dazu Karsten Schmidt, GesR, § 18 III 4, S. 529 ff.; ders., ZIP 1993, 161; Wiedemann, GesR I, S. 568 f.; Wiedemann, in: GroßK, vor § 182 AktG Rz. 11 ff. 180) Dazu die 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.115 ff. 181) BGHZ 90, 370, 380 = ZIP 1984, 698 = NJW 1984, 1891 (GmbH); BGHZ 90, 381, 385 (Beton- und Monierbau) = NJW 1984, 1893 = ZIP 1984, 572; BGHZ 95, 188, 192 = NJW 1985, 2947 = ZIP 1985, 1198; BGH NJW 1985, 2719 = ZIP 1985, 1075, 1076; BGH NJW 2000, 3278 = ZIP 2000, 1489 f. = DStR 2000, 1524 (Goette) = ZInsO 2000, 498 = NZI 2000, 528 = NZG 2000, 1029 = EWiR § 30 GmbHG 1/01, 19 (von Gerkan); OLG München GmbHR 1991, 530. 182) Kritisch zu dieser „Retourkutsche“, weil sie der Rechtsprechung auch eine sinnvolle Weiterentwicklung verböte, Bork, ZGR 2007, 250, 263 ff.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

durch eine Stärkung des Einzelgläubiger-Anfechtungsrechts.183) Hier wird vor allem die Frist des § 6 AnfG dadurch ausgedehnt, dass die Anfechtungsfristen jetzt von der Erlangung eines vollstreckbaren Schuldtitels an zurückgerechnet werden.184) 5.106 Nach der heute zentralen Norm des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist der Gläubiger eines Gesellschafterdarlehens oder der Forderung aus einer wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlung mit seinem Rückforderungsanspruch in der Insolvenz nachrangiger Insolvenzgläubiger. Das betrifft anders als nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des MoMiG jetzt alle Gesellschafterdarlehen unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Gewährung; andererseits ist der Gesellschafter nicht mehr wie nach § 32a Abs. 1 GmbHG a. F. und den „Rechtsprechungsregeln“ ganz von einer Teilnahme am Konkurs- bzw. Insolvenzverfahren ausgeschlossen; daraus folgt unter anderem, dass er als Gläubiger auch Insolvenzantrag stellen kann (§ 13 Abs. 1 InsO). Wurde ein Gesellschafterdarlehen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 129 Abs. 1 InsO) zurückgezahlt oder dafür eine Sicherung gewährt, wird § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO insoweit ergänzt, als dies nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 InsO angefochten werden kann. Neben der Anfechtung nach § 135 InsO ist nach allgemeiner Meinung die zeitlich weiter zurück greifende und nicht den Einschränkungen der Absätze 4 und 5 des § 135 InsO unterliegende Vorsatzanfechtung nach § 133 (v. a. Abs. 2) InsO möglich, sofern deren Voraussetzungen (die vor allem hinsichtlich der Notwendigkeit unmittelbarer Gläubigerbenachteiligung über § 135 InsO hinausgehen) vorliegen.185) Auf der Grundlage von § 135 InsO können Rückführungen von Gesellschafterdarlehen demgemäß vom Insolvenzverwalter nach § 143 InsO zurückgefordert werden, wenn die Forderungen im letzten Jahr vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder nach dem Eröffnungsantrag zurückgezahlt wurden; die Gewährung von Sicherheiten für diese Forderungen ist sogar angreifbar, wenn sie bis zehn Jahre vor Verfahrenseröffnung oder nach dem Eröffnungsantrag erfolgte. Tilgungsleistungen auf Darlehensforderungen von Gesellschaftern stellen entsprechend dem neuen Ansatz aber keine i. S. v. § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG verbotenen Auszahlungen mehr dar (§ 57 Abs. 1 Satz 4 AktG, § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG);186) ganz entsprechend entfallen die ebenfalls an die Analogie zur Kapitalerhaltung anknüpfende Geschäftsführerhaftung für solche ___________ 183) Dazu Haas, ZInsO 2007, 617, 625 f. 184) Kritisch hierzu Eidenmüller, in: Festschrift für Canaris (2007), S. 49, 66 f. 185) BGHZ 198, 64 Tz. 32 ff. = ZIP 2013, 1579 (Bitter) = NZI 2013, 742 = NZG 2013, 1036 = NJW 2013, 3035 = EWiR § 135 InsO 3/13, 521 (Bork). 186) OLG München ZIP 2010, 1236, 1237 f. = EWiR § 64 GmbHG 1/10, 745 (Henkel); OLG München ZIP 2011, 225, 226 = ZInsO 2012, 141 = NZI 2012, 199 (obiter bestätigt durch BGH ZIP 2012, 86 = NJW 2012, 682 Tz. 11); zum in beiden Fällen – möglicherweise – auch aus § 64 Satz 3 GmbHG n. F. folgenden Rückzahlungsverbot oben Rz. 3.105c; dazu im Übrigen auch oben Rz. 3.148); Bork, ZGR 2007, 250, 265; Haas, ZInsO 2007, 617, 618; Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1077.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Rückzahlungen nach § 43 Abs. 3 GmbHG und die – praktisch freilich unbedeutende – Ausfallhaftung von Mitgesellschaftern für den Erhalt der Zahlungen nach § 31 Abs. 3 GmbHG; das wird jedoch durch die Erweiterung der Zahlungsverbote teilweise kompensiert (dazu näher unten Rz. 3.105a ff.).187) Rückzahlungen von Gesellschafterdarlehen sind daher nach neuem Recht im Grundsatz unkritisch, wenn sie vor den im Vergleich zu den Verjährungsvorschriften für Kapitalrückzahlungen kürzeren Fristen des § 135 Abs. 1 InsO erfolgt sind.188) Insbesondere in Fällen des Cash-Pooling werden zudem die Voraussetzungen eines Bargeschäfts (§ 142 InsO) vorliegen, wenn und soweit dem von einer Mutter- an ihre Tochtergesellschaft gewährten Darlehen die Möglichkeit gegenübersteht, dass umgekehrt die Mutter- bei ihrer Tochtergesellschaft Kredit aufnimmt.189) Nach neuem Recht ist eine „Finanzierungsentscheidung“ wie bislang bei den 5.107 „stehen gelassenen“ Darlehen190) nicht mehr erforderlich. An deren Stelle tritt jetzt der Sache nach eine unwiderlegliche Vermutung des missbräuchlichen Charakters der Darlehensgewährung durch den Gesellschafter, selbst wenn das Darlehen vor einer „Krise“ der Gesellschaft gewährt wurde;191) das gilt ganz entsprechend für Befriedigungen oder Sicherungen bezüglich solcher Darlehen im Vorfeld der Insolvenz im Rahmen von § 135 InsO. ___________ 187) Habersack, ZIP 2007, 2145, 2146; Haas, ZInsO 2007, 617, 618; für die zusätzliche Kodifikation eines Leistungsverweigerungsrechts des Geschäftsleiters Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2007, 735 Rz. 58; Hirte, ZInsO 2008, 146, 148. 188) Gegen eine weitere Verlängerung der Frist, solange sie als unwiderlegliche Vermutung ausgestaltet ist, Haas, ZInsO 2007, 617, 622; Huber/Habersack, BB 2006, 1, 5 f.; Kleindiek, ZGR 2006, 335, 358 f.; abw. Altmeppen, NJW 2005, 1911, 1914 (zwei Jahre); Bayer/Graff, DStR 2006, 1654, 1655 f. (zwei Jahre); Gehrlein, BB 2008, 846, 852 (unter Verweis auf Bitter: Anknüpfung an Insolvenzreife statt -antragstellung); Hirte, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, 2006, Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, S. P 11, P 32. 189) Klinck/Gärtner, NZI 2008, 457, 460 f.; Thole, ZHR 176 (2012), 513, 542 f.; in dieselbe Richtung Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 21; ähnlich auch R. Willemsen/ Rechel, BB 2009, 2215, 2217 ff.; Zahrte, NZI 2010, 596 ff. (Begrenzung auf die Höhe der Kreditlinie) und weitergehend A. Reuter, NZI 2011, 921, 925 ff. (keine Gläubigerbenachteiligung); dazu im Übrigen Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 142 InsO Rz. 3, 50 ff. 190) Dazu die 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.134 ff. 191) Kritisch zur Qualifikation als „Missbrauch“ Karsten Schmidt, ZIP 2010, Beil. 2, S. 15, 18 (obwohl er selbst wenig später – S. 19 – das Verständnis eines „institutionellen Missbrauchs“ favorisiert); differenzierend Mylich, ZHR 176 (2012), 547, 558 ff., 563 ff.; ders., ZIP 2013, 1650, 1651; ders., ZIP 2013, 2444, 2446, 2449 (Nachrang des § 39 InsO als Sanktion für Insolvenzverschleppung, Anfechtbarkeit des § 135 InsO als Sanktion für die Ausnutzung von Informationsvorsprung); Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht (2010), S. 390 ff.; ders., ZHR 176 (2012), 513, 524 ff. (krit. dazu Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 1); dem folgend BAGE 147, 373 = ZIP 2014, 927 = NZI 2014, 619 = ZInsO 2014, 1019 = EWiR 2014, 327 (Bork); verfassungsrechtliche Kritik an der unwiderleglichen Vermutung durch Marotzke, JZ 2010, 592, 598 ff.; zum früheren Recht die 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.106 ff.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

5.108 Als dogmatische Grundlage für die Rückstufung der Gesellschafterdarlehen wird jetzt das Prinzip der Haftungsbeschränkung in der Kapitalgesellschaft genannt, dessen missbräuchlicher Ausnutzung durch die Gesellschafter begegnet werden soll.192) Dem ist entgegengehalten worden, dass auch der neue Ansatz durchaus noch mit der unter dem bisherigen Recht gegebenen Begründung rechtfertigt werden könne, dass es um die Finanzierungsfolgenverantwortung für gefährliche, in der – jetzt unwiderleglich vermuteten – Krise gewährte Darlehen gehe.193) Letztlich ist die unwiderlegliche Vermutung der Krise damit das rechtstechnische Mittel zur Durchsetzung des Prinzips der Haftungsbeschränkung in der Kapitalgesellschaft. Doch ist der pauschalierende Ansatz des neuen Rechts bei der Rückstufung von Gesellschafterdarlehen nicht ohne Kritik geblieben, weil er Gesellschafterdarlehen auch dann zurückstufe, wenn sie ökonomisch sinnvoll gewesen seien, insbesondere weil sie im Einzelfall keinen Beitrag zur Insolvenzverschleppung geleistet hätten.194) 5.109 In jedem Fall haben § 57 Abs. 1 Satz 4 AktG, § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n. F. mit der Abschaffung der „Rechtsprechungsregeln“ lediglich das gesetzlich gebundene Ersatzkapital im Blick. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass es zukünftig noch rechtsgeschäftlich generiertes Eigenkapital gibt, das von den beiden Normen unberührt bleibt.195) Hiermit ist insbesondere die Finanzplanrechtsprechung des BGH196) angesprochen, deren Anwendung auf Sachverhalte, die bisher nach den allgemeinen Grundsätzen über eigenkapitalersetzende Leistungen behandelt worden sind, noch ausgelotet werden muss. Eine besondere Zurückhaltung – über die vom BGH mit Blick auf die Fallgruppe des „Finanzplankredits“ ohnehin eng gezogenen Grenzen hinaus – ist zumindest nicht als Folge der Abschaffung der „Rechtsprechungsregeln“ geboten. Denn der sog. „Finanzplankredit“ ist gerade keine eigenständige Kategorie des Eigenkapitalersatzrechts gewesen. Inwieweit ein Gesellschafter verpflichtet ist, ein derartiges Darlehen zur Verfügung zu stellen, richtet sich vielmehr nach Inhalt und Fortbestand der zwischen den Gesellschaftern untereinander oder mit der Gesellschaft – sei es auf satzungsrechtlicher Grundlage, sei es in Form einer schuldrechtlichen Nebenabrede – getroffenen Vereinbarungen.197) Danach ___________ 192) Habersack, ZIP 2007, 2145, 2147; Huber, in: Festschrift für Priester (2007), S. 259, 275 ff. 193) Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3602 f.; Bork, ZGR 2007, 250, 257. 194) Ähnlich Bork, ZGR 2007, 250, 256; Eidenmüller, in: Festschrift für Canaris (2007), S. 49, 53 ff.; Haas, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages (2006), Gutachten, S. E 79 f. 195) Ekkenga, WM 2006, 1986, 1992 ff.; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2152; Knof, ZInsO 2007, 125, 128, Marotzke, ZInsO 2008, 1281, 1291 f.; Karsten Schmid, ZIP 2006, 1925, 1933; mit guten Gründen für eine Anwendung von § 136 Abs. 2 InsO auf diese Kredite Krolop, ZIP 2007, 1738, 1742. 196) BGHZ 142, 116 = NJW 1999, 2809 = ZIP 1999, 1263 = DStR 1999, 1198 (Goette) = EWiR § 32a GmbHG 5/99, 843 (Dauner-Lieb); siehe auch BGH NZG 2006, 543 = DStR 2006, 1240 = ZIP 2006, 1199 = WM 2006, 1202 = ZInsO 2006, 650. 197) BGHZ 104, 33, 40 f. = NJW 1988, 1841 = ZIP 1988, 638 = KTS 1988, 505.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

kann sich auch nach Verfahrenseröffnung noch die Pflicht eines Gesellschafters ergeben, der Gesellschaft ein Darlehen zu gewähren oder ihr Gegenstände zu überlassen. Für die Vergütung des Gesellschafters haben dabei die privatautonomen Regelungen auch gegenüber § 135 Abs. 3 Satz 2 InsO Vorrang, wenn dies für die Masse günstiger ist.198) Wie bei einem Rangrücktritt (dazu sogleich Rz. 5.121 ff.) kann die Aufhebung einer Finanzierungszusage vor Verfahrenseröffnung der Insolvenzanfechtung unterliegen. [unbesetzt] b)

5.110– 5.120

Bilanzierung von Gesellschafterdarlehen

In der normalen Handelsbilanz sind Gesellschafterdarlehen immer wie echte 5.121 Darlehen als Passiva zu bilanzieren (siehe bereits oben Rz. 3.63). Dies gilt auch dann, wenn die Bilanz dazu dient, den Umfang einer eventuellen Unterbilanz- bzw. Vorbelastungshaftung analog § 9 Abs. 1 GmbHG (dazu oben Rz. 2.30) zu ermitteln. Denn Zweck der Unterbilanzhaftung sei – so der BGH – sicherzustellen, dass der Gesellschaft das zugesagte Stammkapital zumindest am Tag der Handelsregistereintragung wertmäßig zur Verfügung steht. Diesem Zweck würde es widersprechen, wenn bilanziell die Gesellschafterdarlehen dem Eigenkapital gleichgestellt würden. Denn dies führte unter Umständen dazu, dass das Darlehen bei Gesundung der Gesellschaft wieder abgezogen würde und der Gesellschaft nicht mehr zur Verfügung stünde. Damit würde sich für die Gesellschafter die Möglichkeit eröffnen, sich durch das Einbringen von Darlehen endgültig der Eigenkapitalzuführung im Rahmen der Unterbilanzhaftung zu entziehen. Denn es entstünde ein positiver Saldo, so dass die benannte Nennkapitalsumme nicht (mehr) auf den Zeitpunkt der Eintragung zur Verfügung gestellt werden müsste. Das wäre mit den zwingenden Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften nicht vereinbar.199) Diese, noch unter dem früheren „Kapitalersatzrecht“ entwickelte Auffassung gilt für das neue Recht erst recht: Denn jetzt werden Gesellschafterdarlehen ja als – wenn auch in der Insolvenz nur nachrangig zu bedienende, im Übrigen aber echte – Verbindlichkeiten behandelt.200) Sehr umstritten war schon vor Inkrafttreten des MoMiG die Behandlung 5.122 kapitalersetzender Darlehen in der für die Frage einer eventuellen Insolvenzantragstellung maßgeblichen Überschuldungsbilanz (§ 19 Abs. 2 InsO).201) Nach dem durch das MoMiG neu gefassten § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO sind Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder – insoweit in ___________ 198) Marotzke, ZInsO 2008, 1281, 1292. 199) BGHZ 124, 282 = ZIP 1994, 295 = NJW 1995, 724 = EWiR § 11 GmbHG 1/94, 275 (von Gerkan). 200) BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 Tz. 25 ff. = NZG 2012, 667 = NZI 2012, 517 = DStR 2012, 1144 = EWiR § 30 GmbHG 1/12, 415 (Paefgen/Dettke). 201) Einzelheiten in der 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.122 ff.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

Abweichung vom Regierungsentwurf202) – „aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen“, nicht bei der Überschuldungsfeststellung zu berücksichtigen; Voraussetzung ist aber nach der vom Rechtsausschuss empfohlenen jetzigen Gesetzesfassung, dass – im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung203) – aus Gründen der Klarheit ein Rangrücktritt vereinbart wurde. 5.123 Der Inhalt der erforderlichen Rangrücktrittserklärung wird mit Blick darauf, dass die kapitalersetzenden Darlehen als solche vom Gesetz abgeschafft wurden, vom Gesetz vorgegeben: Erforderlich ist eine Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner, dass der Gläubiger hinter die in § 39 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 InsO genannten Forderungen zurücktritt; nicht mehr erforderlich ist also eine Gleichstellung mit statutarischem Eigenkapital.204) Infolge der Rangrücktrittserklärung rückt der Gesellschafter-Kreditgeber nach § 39 Abs. 2 InsO noch einen Rang hinter die Gesellschafter, die keine solche Erklärung abgegeben haben (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO),205) kann dadurch aber die Insolvenz vermeiden.206) Wird ein Darlehen trotz Erklärung des Rangrücktritts zurückgezahlt, begründet dies (nur) die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung nach § 135 InsO.207) Für das Innenverhältnis der Gesellschafter zueinander bleibt ein Rangrücktritt im Übrigen ohne Wirkung, solange die Gesellschafter nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart haben.208) 5.124 Fehlt es an einem Rangrücktritt, sind Forderungen aus Gesellschafterdarlehen und ihnen wirtschaftlich entsprechenden Forderungen bei der Überschuldungsfeststellung nach § 19 Abs. 2 InsO zu berücksichtigen und können daher eine Insolvenzantragspflicht begründen; da der Rangrücktritt aber leicht erklärt und vom Geschäftsführer leicht festgestellt werden kann, ist das Risiko einer zu frühen Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Gesellschaft gering.209) ___________ 202) Dazu Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/ 9737, S. 58; zur ursprünglichen Fassung Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 56. 203) BGHZ 146, 264 ff. = ZIP 2001, 235 ff. 204) Dazu Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/ 9737, S. 58. 205) Dazu Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/ 9737, S. 58. 206) Zu den Gründen für die Beibehaltung des Erfordernisses einer Rangrücktrittserklärung Hirte, ZInsO 2008, 689, 696 f.; ders., ZInsO 2008, 146, 148 f.; ebenso Bork, ZGR 2007, 250, 261; Burg/Poertzgen, ZInsO 2008, 473 f.; Haas, ZInsO 2007, 617, 626 f.; Karsten Schmidt, BB 2008, 461, 462 ff.; abw. Eidenmüller, in: Festschrift für Canaris (2007), S. 49, 57; Gehrlein, BB 2008, 846, 847; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2150 f. 207) Dazu Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/ 9737, S. 58. 208) Henle/Bruckner, ZIP 2003, 1738. 209) Dazu Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/ 9737, S. 58.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Vom Rangrücktritt für die Frage der Überschuldungsfeststellung zu unterscheiden ist der – hier nicht näher zu behandelnde210) – Rangrücktritt für Zwecke der Verteilung nach § 39 Abs. 2 InsO. Auch die steuerliche Behandlung des Rangrücktritts erfolgt unabhängig von der insolvenzrechtlichen Einordnung.211) c)

Erweiterung auf einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechende Forderungen

Ob und wie weit eine Forderung als Gesellschafterdarlehen oder wirtschaftlich 5.125 entsprechende Rechtshandlung zu qualifizieren ist, richtete sich nach dem ursprünglichen InsO-Recht nicht nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Diese Frage wurde vielmehr durch die gesellschaftsrechtlichen Regelungen und die Judikatur beantwortet.212) Das betraf insbesondere den Anwendungsbereich des „Kapitalersatzrechts“, die ihm unterworfenen Gesellschafter und ihnen gleichgestellten Dritten sowie die erfassten Sachverhalte. Das wurde durch die Formulierung „oder gleichgestellte Forderungen“ in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO a. F. deutlich gemacht.213) Mit der jetzigen Formulierung „Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen“ wird der bisherige § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG, auf dem diese Judikatur beruhte, in personeller Hinsicht (Erstreckung auf „Dritte“214) und sachlicher Hinsicht in das Insolvenzrecht übernommen.215) aa)

Einem Darlehen wirtschaftlich entsprechende Forderungen

Vom Nachrang erfasst sind aber entgegen ursprünglichen Überlegungen zum 5.126 MoMiG nur Darlehensforderungen und diesen wirtschaftlich entsprechende Forderungen. Eindeutig erfasst sind damit Darlehensforderungen, und zwar auch solche aus kurzfristigen Überbrückungskrediten.216) Gesellschafterforderungen aus anderem Rechtsgrund fallen nicht in den Anwendungsbereich von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und stellen daher keine nachrangigen Forderungen ___________ 210) Dazu näher Uhlenbruck/Hirte, § 39 InsO Rz. 53. 211) Dazu ausführlich Uhlenbruck/Hirte, § 39 InsO Rz. 50. 212) Überblick in der 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.128 ff. sowie Uhlenbruck/Hirte, (12. Aufl. 2003), § 135 InsO Rz. 16 ff. 213) Begr RegE zu § 39 InsO unter Verweis auf § 32a Abs. 3 GmbHG. 214) Bayer/Graff, DStR 2006, 1654, 1659 (zum RefE); Bork, ZGR 2007, 250, 254; Gehrlein, BB 2008, 846, 850; Knof, ZInsO 2007, 125, 127; abw. Eidenmüller, in: Festschrift für Canaris (2007), S. 49, 64 (zum RefE); Wälzholz, DStR 2007, 1914, 1918. 215) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 56. 216) BGH NZI 2013, 483 Tz. 14 („Staffeldarlehen“) = ZInsO 2013, 717 = ZIP 2013, 734; BGH Z 198, 77 Tz. 29 = ZIP 2013, 1629 = ZInsO 2013, 1686 = NZI 2013, 804 = NJW 2013, 3031 = NZG 2013, 1033; OLG Naumburg ZIP 2011, 677, 679; krit. Bitter/Laspeyres, ZInsO 2013, 2289; zum Umfang der Anfechtung in einem solchen Fall Uhlenbruck/Hirte, § 135 InsO Rz. 12a a. E.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

dar.217) Daher fällt die Forderung auf Rückgewähr eines kapitalersetzend zur Nutzung überlassenen Gegenstandes (unverändert) nicht unter § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO; denn die Sachsubstanz selbst wird durch die Nutzungsüberlassung nicht verstrickt und kann vom Gesellschafter-Gläubiger nach § 47 InsO ausgesondert werden. Im Gegensatz zum bislang geltenden Recht fällt aber seit der Neuregelung durch das MoMiG auch der Nutzungswert nicht mehr in die Masse.218) Vielmehr gelten auch für Nutzungsüberlassungsverträge jetzt im Grundsatz die §§ 103 ff. InsO; sie werden allerdings durch die erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hinzu gekommene Sonderregelung des § 135 Abs. 3 InsO ergänzt. 5.127 Danach kann der Aussonderungsanspruch (§ 47 InsO) eines Gesellschafters im Hinblick auf einen Gegenstand, den er der Schuldner-Gesellschaft zum Gebrauch oder zur Ausübung überlassen hat, während der Dauer des Insolvenzverfahrens, höchstens aber für ein Jahr ab Eröffnung des Verfahrens, nicht geltend gemacht werden, wenn der Gegenstand für die Fortführung des Unternehmens des Schuldners von erheblicher Bedeutung ist (§ 135 Abs. 3 Satz 1 InsO). Damit soll sichergestellt werden, dass der Zweck des Insolvenzverfahrens nicht dadurch unterlaufen wird, dass der Masse für die Unternehmensfortführung wesentliche Gegenstände entzogen werden (arg. auch § 166 Abs. 1 InsO); diese Unterlassungspflicht folgt nach Auffassung des Rechtsausschusses zugleich auch aus der Treuepflicht der Gesellschafter.219) Innerhalb der vorgesehenen Jahresfrist – so die Annahme des Gesetzgebers – wird es dem Insolvenzverwalter regelmäßig gelingen, eine Vereinbarung zu erreichen, die eine Fortsetzung des schuldnerischen Unternehmens ermöglicht. Für den Gebrauch des Gegenstandes oder seine Nutzung steht dem Gesellschafter ein Ausgleich als Masseverbindlichkeit zu; für dessen Berechnung ist der Durchschnitt der im letzten Jahr vor Verfahrenseröffnung geleisteten Vergütung in Ansatz zu bringen, während bei kürzerer Dauer der Überlassung auf den Durchschnitt während dieses Zeitraums abzustellen ist (§ 135 Abs. 3 Satz 2 InsO).220) 5.127a Ist ein von einem Gesellschafter seiner Gesellschaft zur Nutzung überlassenes Grundstück mit dinglichen Sicherheiten belastet, endet das Recht der Gesell___________ 217) Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 328; Spliedt, ZIP 2009, 149, 155; zust. Bork, ZGR 2007, 250, 256; abw. Marotzke, ZInsO 2008, 1281, 1284 ff.; ders., JZ 2010, 592, 595 ff. (mit verfasssungsrechtlicher Begründung). 218) OLG Schleswig ZIP 2012, 885 = NJW 2012, 2738 = NZG 2012, 751 = NZI 2012, 622 = EWiR § 39 InsO 3/12 321 (Lutz) (entgegen Vorinstanz LG Kiel ZIP 2011, 968 f. = DStR 2011, 1283 = EWiR § 39 InsO 3/11, 543 [Knof]); LG Freiburg ZIP 2013, 336 f. = ZInsO 2014, 262; Bitter, ZIP 2010, 1, 6 f.; zum alten Recht die 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.138 ff. 219) Begr Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 59; krit. Bitter, ZIP 2010, 1, 8. 220) Zu zahlr. weit. Einzelheiten Uhlenbruck/Hirte, § 135 InsO Rz. 23.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

schaft, den Gegenstand nach § 135 Abs. 3 InsO zu nutzen, in entsprechender Anwendung von §§ 146 ff. (§§ 148, 152 Abs. 2) ZVG, §§ 1123, 1124 Abs. 2 BGB mit dem Wirksamwerden des im Wege der Zwangsverwaltung erlassenen Beschlagnahmebeschlusses; eines weiteren Tätigwerdens des Zwangsverwalters bedarf es dabei nicht. Die zum früheren Recht entwickelten Grundsätze gelten insoweit fort.221) Nach Wirksamwerden eines Beschlagnahmebeschlusses kann die Gesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalter das belastete Grundstück daher nur noch in den (engeren) Grenzen des § 1124 Abs. 2 BGB unentgeltlich nutzen. Vielmehr muss sie bzw. ihr Insolvenzverwalter wie ein Dritter den (vollen) Miet-/Pachtzins an den Zwangsverwalter entrichten, will sie bzw. ihr Insolvenzverwalter es weiter nutzen.222) Da der Gesellschafter andererseits gegenüber dem Insolvenzverwalter verpflichtet ist, das Grundstück für den in § 135 Abs. 3 InsO genannten Zeitraum der Masse zu den nachstehenden Bedingungen zur Verfügung zu stellen, muss er dem Insolvenzverwalter die Differenz zwischen der Vergütung nach § 135 Abs. 3 InsO und dem etwa zu zahlenden Miet-/Pachtzins erstatten.223) Das gilt auch dann, wenn der Insolvenzverwalter das Grundstück an den Zwangsverwalter vor Ablauf der Mietzeit herausgibt. Der Ersatzanspruch setzt aber voraus, dass der Insolvenzverwalter das Grundstück, hätte er es nicht herausgegeben, tatsächlich hätte nutzen können, sei es auch bloß durch seine Untervermietung.224) Diese Überlegungen gelten im Fall der Insolvenz eines Gesellschafters entsprechend: Die Interessen der Gläubigergesamtheit des Gesellschafters haben Vorrang, so dass auch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters das Nutzungsrecht nach § 135 Abs. 3 InsO endet.225) Hinsichtlich der einem Darlehen „wirtschaftlich entsprechenden“ Forderungen226) 5.128 sind in erster Linie Stundungs- und Fälligkeitsvereinbarungen zu nennen, und zwar auch dann, wenn das zugrunde liegende Geschäft kein Darlehensvertrag

___________ 221) Ebenso Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 331; Fischer/Knees, ZInsO 2009, 745, 747 ff.; zuvor BGHZ 140, 147 (Druckhaus) = ZIP 1999, 65, 66 f. = NJW 1999, 577 = EWiR § 32a GmbHG 1/2000, 31 (von Gerkan) = DStR 1999, 35 (Goette); BGH NJW-RR 2000, 925 = ZIP 2000, 455 = NZI 2000, 211 = KTS 2000, 296. 222) Bitter, ZIP 2010, 1, 13 f. 223) Bitter, ZIP 2010, 1, 13 f.; Koutsós, ZInsO 2011, 1626, 1632; abw. Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 331. 224) Zum Ganzen BGH NZG 2005, 180 = ZIP 2005, 484 = EWiR § 32a GmbHG 1/05, 355 (Herbst/Flitsch) m. w. N. 225) Bitter, ZIP 2010, 1, 14; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 331; abw. Henkel, ZInsO 2006, 1013 ff. m. w. N.; Göcke/Henkel, ZInsO 2009, 170, 172 ff. 226) Zum früheren Recht die 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.125 ff.; siehe zu Einzelfällen auch MünchKomm-Ehricke, § 39 InsO Rz. 43 ff.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

gewesen sein sollte;227) daher können unverändert auch rückständige Mietzinsansprüche oder sonstige Ansprüche von Gesellschaftern nachrangig sein,228) und geleistete Zahlungen können – wie angedeutet (oben Rz. 5.106) – nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO angefochten werden, solange nicht § 142 InsO eingreift.229) Dazu gehört auch der Erwerb gestundeter Forderungen Dritter gegen die Gesellschaft oder die Übernahme stiller Beteiligungen. Auch stehengelassene Vergütungsansprüche für Dienstleistungen, nicht aber die entsprechende Verpflichtung stellen nachrangige Gesellschafterforderungen dar.230) Ebenso kann die Einlage eines stillen Gesellschafters, der zugleich Gesellschafter einer GmbH ist (oder einem solchen gleichsteht; dazu Rz. 5.129 ff.) eine „wirtschaftlich entsprechende“ Forderung begründen; § 236 Abs. 1 HGB wird dann durch § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO überlagert. Auch die Stundung der Abfindungsforderungen von aus einer GmbH oder GmbH & Co. KG ausgeschiedenen Gesellschaftern kann hierzu gehören, in der Regel freilich nur dann, wenn die Forderung erst nach dem Ausscheiden gestundet wird.231) Erfasst sein dürfte auch ein nur für den Krisenfall gegebenes selbständiges Schuldversprechen.232) Eine von vornherein nur für den zur Prüfung der Sanierungsfähigkeit erforderlichen Zeitraum abgegebene und danach kündbare Patronatserklärung stellt demgegenüber kein Gesellschafterdarlehen dar.233) Andererseits können aber bestimmte Leasingkonstruktionen, insbesondere das sog. sale and lease back, wirtschaftlich einer Kreditgewährung mit Sicherungsübereignung entsprechen und mithin von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO erfasst sein. Viel spricht dafür, auch den Anspruch auf den Bilanzgewinn darunter zu fassen, wenn dieser auf der Auflösung einer Gewinnrücklage oder eines Gewinnvortrags beruht.234) Wie ___________ 227) Vgl. BGH NJW 1997, 3026 = DStR 1997, 1298 = ZIP 1997, 1375 = EWiR § 32a GmbHG 2/97, 753 (von Gerkan) m. w. N.; OLG Koblenz ZIP 2013, 2325, 2326 (inzwischen rkr.) (stehen gelassene Gewinne; dazu Freudenberg, ZInsO 2014, 1544 ff.); Habersack, ZIP 2007, 2145, 2150. 228) Uhlenbruck/Hirte, § 135 InsO Rz. 27 m. w. N; zur Berechnung des Nachrangumfangs in einem solchen Fall BGH ZIP 2011, 2253 Tz. 10 = ZInsO 2011, 2230 (stehen gelassener Durchschnittsbestand; zum alten Recht). 229) Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 329; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2150. 230) BGHZ 180, 38 Tz. 7 ff. (Qivive) = ZIP 2009, 713, 714 ff. = NJW 2009, 2375 = NZG 2009, 463 = ZInsO 2009, 775 = DStR 2009, 809 = EWiR § 19 GmbHG 1/09, 443 (Schodder) (dazu Pentz, GmbHR 2009, 505); BAGE 147, 373 = ZIP 2014, 927 = NZI 2014, 619 = ZInsO 2014, 1019 = EWiR 2014, 327 (Bork) (vorgehend LAG Hannover ZIP 2012, 1925) (stehen gelassene Lohnansprüche). 231) Philippi, BB 2002, 841, 843 f. 232) Für das alte Recht BGH ZIP 1992, 616 = NJW 1992, 1763. 233) BGHZ 187, 69 (STAR 21) = ZIP 2010, 2092 = NJW 2010, 3442 = NZG 2010, 1267 = NZI 2010, 952 = ZInsO 2010, 2137 = DStR 2010, 2258 = EWiR § 135 InsO a. F. 1/10, 757 (Guski); krit. Tetzlaff, ZInsO 2011, 226; enger OLG München ZIP 2004, 2102 = ZInsO 2004, 1040; dazu Paul, ZInsO 2004, 1327 ff. 234) Mylich ZGR 2009, 474, 489 f.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

nach bislang geltendem Recht erfasst der Nachrang auch rückständige Zinsen und sonstige Nebenforderungen (§ 39 Abs. 3 InsO).235) bb)

Gesellschafter als Darlehensgeber

Das Gesellschafterdarlehen muss von einem Gesellschafter der Gesellschaft 5.129 gewährt worden sein. Dabei kommt es allerdings – wie schon nach dem bislang geltenden Recht – nicht entscheidend auf die formale Rechtsstellung an; entscheidend ist vielmehr auch hier, dass die Darlehensgewährung durch einen Dritten derjenigen durch einen Gesellschafter wirtschaftlich entspricht. Dafür hat der Gesetzgeber bewusst nicht – was möglich gewesen wäre – auf § 138 Bezug genommen; über eine Zurechnung ist daher nach eigenständigen gesellschaftsrechtlichen Prinzipien zu entscheiden.236) Einen besonders häufigen Fall der Erweiterung des Rechtsgedankens der Nr. 5 auf Dritte regelt das Gesetz bereits selbst in § 44a (zurückgehend auf den früheren § 32a Abs. 2 GmbHG). Danach unterfallen den Regelungen auch Darlehen Dritter, wenn ein Gesellschafter für die Rückzahlung des Darlehens Sicherheiten bestellt oder sich verbürgt hat; allerdings erstreckt das Gesetz hier nicht etwa die Nachrangigkeitsanordnung auf den Dritten, sondern verweist ihn nur darauf, primär die Gesellschaftersicherung zu verwerten (dazu unten Rz. 5.136 ff.). Im Hinblick auf die wirtschaftliche Vergleichbarkeit kann im Übrigen etwa ein 5.130 Pfandgläubiger Gesellschafter i. S. v. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sein, wenn er sich zusätzliche Befugnisse einräumen lässt, die es ihm ermöglichen, die Geschicke der GmbH ähnlich wie ein Gesellschafter mitzubestimmen.237) Gleiches gilt für einen Treuhänder;238) er kann daher nicht auf den Treugeber verweisen. Das gilt sowohl für den eigennützigen wie für den Verwaltungstreuhänder; die Tatsache, dass der Sicherungstreuhänder nur ein pfandähnliches Sicherungsrecht hat, ändert an seiner Gesellschafterstellung i. S. v. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nichts.239) Daher gehören zum Kreis der Normadressaten auch solche dritten ___________ 235) Zur (nur für § 135 InsO erheblichen) Nicht-Erfassung der fristgerecht gezahlten (angemessenen) Zinsen und Mietzinsen Mylich, ZGR 2009, 474, 494 ff., 502; ders., ZHR 176 (2012), 547, 555 f. (im Hinblick auf die Besicherbarkeit der Gesellschafterforderungen); insoweit weitergehend A. Henkel, ZInsO 2009, 1577, 1579; ders., ZInsO 2010, 2209 ff.; Marotzke, ZInsO 2008, 1281, 1285 f. 236) BGHZ 188, 363 Tz. 12 ff. = ZIP 2011, 575, 576 f. = NJW 2011, 1503 = NZG 2011, 477 = NZI 2011, 257 = DStR 2011, 681 = ZInsO 2011, 626 = EWiR § 39 InsO 2/11, 285 (Spliedt); Schall, ZIP 2010, 205 ff. (§§ 16, 17 AktG); Thole, ZHR 176 (2012), 513, 536 f. (überzeugend weiter aber für § 135 InsO: Anwendbarkeit von § 138 InsO); ebenso zum früheren Recht Uhlenbruck/Hirte (12. Aufl. 2003), § 135 InsO Rz. 18. 237) BGHZ 119, 191 = NJW 1992, 3035 = ZIP 1992, 1300. 238) BGHZ 105, 168 = NJW-RR 1989, 33 = ZIP 1988, 1248 = KTS 1989, 114; OLG Hamburg NJW-RR 1988, 46 = ZIP 1987, 977 = EWiR § 32a GmbHG 1/87, 165 (Fleck). 239) Priester, ZBB 1989, 30, 33; Lutter, ZIP 1989, 477, 482 f.; abw. Rümker, in: Festschrift für Stimpel (1985), S. 673, 688.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

Personen, die mit Mitteln des Gesellschafters der GmbH Finanzierungshilfen gewähren wie mittelbare Stellvertreter.240) Denn ein Gesellschafter kann sich dem Nachrang nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht dadurch entziehen, dass er die benötigten Finanzie-rungsmittel durch gemeinschaftliche Darlehensaufnahme zusammen mit einem Dritten beschafft und diesen dann – unter interner Freistellung von dessen Rückzahlungspflicht – formal als alleinigen Darlehensgeber gegenüber der GmbH einschaltet.241) Nicht zu erstrecken ist § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO demgegenüber auf durch Covenants gesicherte Gläubiger;242) wegen der besonderen wirtschaftlichen Nähe und des Einflusses eines Nichtgesellschafters als Mitglied einer Erbengemeinschaft, auf die ein GmbH-Geschäftsanteil übergegangen ist, soll aber dessen Gleichstellung mit einem Gesellschafter möglich sein.243) 5.131 Auch eine Ausdehnung der Vorschriften über Gesellschafterdarlehen auf nahe Angehörige des Gesellschafters ist – anders als bei § 138 InsO – abzulehnen, solange keine besonderen Umstände hinzukommen.244) Demgegenüber handelt es sich bei der Kreditgewährung durch verbundene Unternehmen um einen der Darlehensgewährung durch einen Gesellschafter wirtschaftlich entspre-

___________ 240) BGH NJW 1993, 2179 = ZIP 1993, 1072 = EWiR § 32a GmbHG 6/93, 1207 (von Gerkan); BGH NJW 1997, 740 = ZIP 1997, 115 = KTS 1997, 138 (Darlehensgewährung durch Komplementär). 241) BGH NJW 2000, 3278 = NZG 2000, 1029 = NZI 2000, 528 = ZInsO 2000, 498 = ZIP 2000, 1489 = EWiR § 30 GmbHG 1/01, 19 (von Gerkan). 242) Habersack, ZIP 2007, 2145, 2148 m. w. N.; Karsten Schmidt, ZIP 2010, Beil. 2, S. 15, 22; ausf. differenzierend MünchKomm-Ehricke, § 39 InsO Rz. 52; zum früheren Recht Tillmann, DB 2006, 199, 200. abw. Engert, ZGR 2012, 835, 843 ff., 858 ff. (bei gleichzeitiger Beteiligung wie ein nachrangiger Gläubiger und maßgeblicher Einflussnahme); Servatius, CFL 2013, 14, 19 ff. 243) OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 1617 = NZG 2003, 1073. 244) St. Rspr.: BGHZ 81, 365 = NJW 1982, 386 = ZIP 1981, 1332 = LM § 30 GmbHG Nr. 30 (Brandes); BGH ZIP 1986, 456; BGH NJW-RR 1991, 746 = ZIP 1991, 396 = EWiR § 17 BetrAVG 1/91, 337 (Blomeyer); BGH NJW-RR 1991, 744 = ZIP 1991, 366 = EWiR § 32a GmbHG 3/91, 681 (Frey); BGH NJW 1993, 2179 = ZIP 1993, 1072 = EWiR § 32a GmbHG 6/93, 1207 (von Gerkan); BGH NJW 1999, 2123 = DStR 1999, 810 (Goette); BGH NJW 2000, 3278 = ZIP 2000, 1489 f. = DStR 2000, 1524 (Goette) = ZInsO 2000, 498 = NZI 2000, 528 = NZG 2000, 1029 = EWiR § 30 GmbHG 1/01, 19 (von Gerkan) (Haftung der Ehefrau nur, weil Mittel aus Vermögen des Gesellschafters stammten); BGHZ 188, 363 Tz. 12 ff. = ZIP 2011, 575, 576 f. = NJW 2011, 1503 = NZG 2011, 477 = NZI 2011, 257 = DStR 2011, 681 = ZInsO 2011, 626 = EWiR § 39 InsO 2/11, 285 (Spliedt); OLG Hamburg ZIP 1986, 1048; OLG Hamburg ZIP 1996, 709, 710 (für Mitgesellschafter vor Beitritt bejahend); Altmeppen, in: Festschrift für Kropff (1997), S. 641, 654 ff.; von Gerkan, ZGR 1997, 173, 181 ff.; abw. noch von Gerkan, GmbHR 1986, 218, 223.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

chenden Tatbestand.245) Ein mit dem Gesellschafter verbundenes und deshalb in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO einbezogenes „Unternehmen“ kann auch eine Gebietskörperschaft sein, die sich z. B. über ihre – auf der Grundlage öffentlichen Rechts errichtete – Landesbank an einer GmbH beteiligt.246) Kein Gesellschafter i. S. v. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist der typische stille Ge- 5.132 sellschafter; für die Rückgewähr seiner Einlage gilt daher nicht § 135 InsO, sondern § 136 InsO.247) Anders liegen die Dinge freilich beim atypischen stillen Gesellschafter, dem auch Mitsprache- und Gewinnbeteiligungsrechte eingeräumt sind,248) oder wenn die Parteien einen Rangrücktritt vereinbart haben und damit die stille Einlage dem haftenden Eigenkapital gleichgestellt haben (dazu Rz. 5.122 ff.). Kein Gesellschafter ist auch der Inhaber einer Unterbeteiligung oder eines Nießbrauchrechts.

___________ 245) BGHZ 81, 311, 315 (Helaba/Sonnenring) = NJW 1982, 383, 384 = ZIP 1981, 1200, 1202 = LM § 30 GmbHG Nr. 14a (Fleck); BGHZ 81, 365, 368 = NJW 1982, 386, 387 = ZIP 1981, 1332, 1333 = LM § 30 GmbHG Nr. 30 (Brandes); BGH NJW 1984, 1036 = ZIP 1983, 1448; BGH NJW 1987, 1080, 1081; BGH NJW 1991, 357 = ZIP 1990, 1467, 1468 f.; BGH NJW 1991, 1057 = ZIP 1990, 1593, 1595 = EWiR § 32a GmbHG 1/91, 67 (von Gerkan); BGH NJW 1992, 1167 = ZIP 1992, 242 = KTS 1992, 426 = EWiR § 30 GmbHG 2/92, 279 (Joost); BGH NJW 1997, 740 = ZIP 1997, 115 = KTS 1997, 138 (Darlehensgewährung durch Komplementär); BGH ZIP 1999, 1314 = NJW 1999, 2596 (50 %-ige Beteiligung des Gesellschafters an einer anderen Gesellschaft reicht grundsätzlich aus); BGH NJW 2001, 1490 = ZIP 2001, 115 = EWiR § 32a GmbHG 2/01, 379 (von Gerkan); BGH NZG 2005, 395 = NZI 2005, 350 = ZIP 2005, 660; BGH ZIP 2008, 1230, 1231 f. = NZG 2008, 507 = EWiR § 32a GmbHG 2/2008, 463 (Jungclaus/Keller) (aber keine Übertragung der Grundsätze auf Darlehensgewährung durch abhängige AG); BGH ZIP 2011, 2253 Tz. 11 = ZInsO 2011, 2230 (für Schwestergesellschaft); BGH ZIP 2012, 865 Tz. 18 ff. = NJW-RR 2012, 815 = NZG 2012, 545 = NZI 2012, 522 = DStR 2012, 915 = EWiR § 31 GmbHG 1/12, 417 (Chr. Keller); BGHZ 196, 220 = ZIP 2013, 582 = NZI 2013, 308 = NZG 2013, 469 = NJW 2013, 2282 = EWiR § 135 InsO 1/13, 217 (Bork) (hier: einer GmbH & Co. KG); BGHZ 198, 64 = ZIP 2013, 1579 (Bitter) = NZI 2013, 742 = NZG 2013, 1036 = NJW 2013, 3035 = EWiR § 135 InsO 3/13, 521 (Bork) (50 %-ige Beteiligung des Gesellschafters an einer anderen [auch bloß Personen-] Gesellschaft reicht grundsätzlich aus); LG Hagen ZIP 2012, 642, 643. 246) BGHZ 105, 168 = NJW 1988, 3143 = ZIP 1988, 1248 = EWiR § 32a GmbHG 1/88, 1095 (Fleck). 247) Karsten Schmidt, ZIP 2010, Beil. 2, S. 15, 22. 248) BGHZ 106, 7 = NJW 1989, 982 = EWiR § 30 GmbHG 2/89, 587 (Koch); BGH NJWRR 2006, 760 = NZG 2006, 341 = ZIP 2006, 703 = EWiR § 30 GmbHG 2/06, 653 (Kort); so auch Wiedemann, in: Festschrift für Beusch (1993), S. 893, 912 (Prinzip der Haftung für Herrschaft); nach Inkraftttreten des MoMiG ebenso BGHZ 193, 378 = ZIP 2012, 1869 = NJW 2012, 3443 = NZG 2012, 1103 = NZI 2012, 860 = DStR 2012, 2137 = EWiR § 39 InsO 4/12, 669 (Spliedt) (ebenso als Vorinstanz OLG Köln ZIP 2011, 2208, 2209 f.); BGH ZIP 2013, 2400 = NZG 2013, 1385 Tz. 22.(auch wenn sich die Rechtsstellung nicht aus dem Gesellschaftsvertrag selbst ergibt); Manz/Lammel, GmbHR 2009, 1121, 1124; krit. Mylich, WM 2013, 1010, 1012 ff. (für – weitergehende – Einordnung der Forderungen als Eigenkapital).

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

5.133 Auf die Höhe der Beteiligung des Gesellschafters kam es nach herrschender Meinung bis zum Inkrafttreten des Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes (KapAEG) vom 20. April 1998 (BGBl. I, 707) nicht an.249) Die durch dessen Art. 2 eingeführte Regelung des § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG a. F. wurde durch das MoMiG in den jetzigen § 39 Abs. 5 übernommen; dazu näher unten Rz. 5.154 ff. Schon zuvor unterlag ein bei einer GmbH angestellter Gesellschafter mit seinen stehen gelassenen Lohnansprüchen nicht der seinerzeitigen Kapitalersatzhaftung;250) er behielt daher auch den Anspruch auf Insolvenzgeld.251) 5.134 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Gesellschafterstellung ist zunächst der Zeitpunkt der Gewährung oder Belassung des Darlehens.252) Auch ein ausgeschiedener Gesellschafter kann daher als Gesellschafter gelten, sofern die Voraussetzungen der § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bereits im Zeitpunkt seines Ausscheidens vorlagen253) und er innerhalb des letzten Jahres vor Antragstellung ausgeschieden ist.254) Andererseits unterfällt auch ein Darlehensgeber der Norm, der die Gesellschafterstellung erst später erwirbt.255) 5.135 Der Nachrang bleibt nach § 404 BGB auch erhalten, wenn der Gesellschafter eine – auch erst künftig entstehende – Forderung innerhalb des Jahresfrist des

___________ 249) BGHZ 81, 311 (Helaba/Sonnenring) = ZIP 1981, 1200 = NJW 1982, 383 = LM § 30 GmbHG Nr. 14a (Fleck); BGHZ 90, 381, 389 (Beton- und Monierbau) = NJW 1984, 1893 = ZIP 1984, 572; BGHZ 105, 168, 175 = NJW-RR 1989, 33 = ZIP 1988, 1248 = KTS 1989, 114. 250) LG Ingolstadt EWiR § 32a GmbHG 4/98, 1135 m. krit. Anm. von Gerkan. 251) EuGH (Urt. v. 11.9.2003 – Rs. C.201/01), Slg. 2003, I-8827 Tz. 40 ff. (Walcher) = NZA 2003, 1083 = NZI 2003, 670 = ZIP 2003, 2375, 2378 f. 252) BGHZ 81, 252, 258 f. = ZIP 1981, 974, 976; BGHZ 104, 33, 43 = NJW 1988, 1841 = ZIP 1988, 638 = KTS 1988, 505. 253) BGH NJW 1985, 2719, 2720 = ZIP 1985, 1075, 1077 = EWiR § 32a GmbHG 3/85, 685 (Fleck); BGH NJW 1987, 1080 = WM 1986, 1554; BGHZ 110, 342 = NJW 1990, 1725 = ZIP 1990, 578 = EWiR § 30 GmbHG 3/90, 479 (Bergmann); OLG Düsseldorf ZIP 1995, 1907 = EWiR § 31 GmbHG 1/96, 27 (von Gerkan); Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 326; Philippi, BB 2002, 841, 844 f. 254) BGH ZIP 2012, 86 = NJW 2012, 682; dazu Lauster/Stiehler, BKR 2012, 106, 109; zur Legitimation dieses Urteils Thole, ZHR 176 [2012], 513, 530 f. 255) BGHZ 200, 210 = ZIP 2014, 584 = NJW 2014, 1737 = ZInsO 2014, 598 = NZI 2014, 321 = EWiR 2014, 215 (Spliedt); Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3603; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 326; abw. Ekkenga, in: Festschrift für Schapp (2010), S. 125, 134 ff.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO an einen außenstehenden Dritten abtritt;256) Gleiches gilt, wenn ein Gesellschafter nach „Verstrickung“ des Darlehens seine Gesellschafterstellung aufgibt.257) Die damit verbundenen Risiken lassen es als sinnvoll erscheinen, Darlehen und Gesellschafterstellung immer nur gleichzeitig abzutreten.258) Die Abtretung eines verstrickten Gesellschafterdarlehens an einen Dritten ist allerdings als Befriedigung i. S. v. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anzusehen, so dass dem Zessionar bei einer Abtretung vor der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 InsO der Erwerb einer gewöhnlichen Insolvenzforderung möglich ist.259) Das soll auch für den Fall gelten, dass ein Gesellschafter seine Beteiligung abtritt, aber seine Stellung als Darlehensgeber behält.260) Im Falle einer Rückzahlung des Darlehens an einen Dritten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens folgt aus § 135 Abs. 1 InsO keine Verpflichtung des Dritten, einen Ausgleich in die Insolvenzmasse zu leisten. Das ist nur dann anders, wenn das Darlehen innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 InsO an den Dritten abgetreten wurde;261) im Falle der Tilgung einer solchen Forderung durch Zahlung an den Zessionar kann die Befriedigung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO sowohl gegenüber dem Dritten als auch gegenüber dem Gesellschafter angefochten werden, wobei beide hinsichtlich der anfechtbaren Leistung Gesamtschuldner ___________ 256) BGH ZIP 2006, 2272, 2273 = NJW-RR 2007, 391 = DStR 2007, 36 = NZG 2007, 29 = WM 2007, 20; BGHZ 104, 33, 43 = ZIP 1988, 638 = NJW 1988, 1841 = WM 1988, 750; BGH ZIP 2011, 328 Tz. 24 = NJW 2011, 844 = NZG 2011, 273 = NZI 2011, 198 = DStR 2011, 484 = ZInsO 2011, 392 = EWiR § 30 GmbHG a. F. 1/11, 463 (Siepmann) = LMK 2011, 317724 (Grünewald) (für Anerkenntnis eines Dritten; zum alten Recht); BGHZ 196, 220 = ZIP 2013, 582 = NZI 2013, 308 = NZG 2013, 469 = NJW 2013, 2282 = EWiR § 135 InsO 1/13, 217 (Bork) sowie als Vorinstanz OLG Stuttgart 8.2.2012 14 U 27/11 ZIP 2012, 879, 880 ff. = NZI 2012, 324 = EWiR § 135 InsO 2/12, 293 (Guski); Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3603 f.; Gehrlein, Konzern 2007, 771, 787; Haas, ZInsO 2007, 617, 626; ders., NZG 2013, 1241, 1243 f.; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2149; Huber, ZIP 2010, Beil. 2, S. 7, 9; Mülbert, WM 2006, 1977, 1982; Thole, ZHR 176 (2012), 513, 534 f.; ders., ZInsO 2012, 661 ff. (mit Zweifeln an der Begründung); abw. Ekkenga, in: Festschrift für Schapp (2010), S. 125, 132 ff. (Beschränkung auf rechtsgeschäftliche Rangrücktritte); Kebekus/Zenker, in: Festschrift für Wellensiek (2011), S. 475, 480 ff. (Referenzzeitpunkt nur die Verfahrenseröffnung) sowie (wegen § 796 BGB) für die Abtretung einer Schuldverschreibung d’Avoine, NZI 2013, 321 ff. 257) Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3603; Haas, ZInsO 2007, 617, 626. 258) Heckschen, DStR 2007, 1442, 1448; Huber, ZIP 2010, Beil. 2, S. 7, 9; ebenso Wälzholz, DStR 2007, 1914, 1920. 259) BGHZ 196, 220 = ZIP 2013, 582 = NZI 2013, 308 = NZG 2013, 469 = NJW 2013, 2282 = EWiR § 135 InsO 1/13, 217 (Bork) sowie als Vorinstanz OLG Stuttgart ZIP 2012, 879, 880 ff. = NZI 2012, 324 = EWiR § 135 InsO 2/12, 293 (Guski) (obiter); Habersack, ZIP 2007, 2145, 2149; dem folgend Gehrlein, BB 2008, 846, 850; kritisch zur Übertragung dieser Begründung auf die Anfechtbarkeit einer solchen Forderung Thole, ZHR 176 (2012), 513, 532. 260) Gehrlein, BB 2008, 846, 850; abw. B. Schäfer, ZInsO 2012, 1354 ff. (kein Wegfall des Nachrangs bei Abtretung des Gesellschaftsanteils vor der Jahresfrist). 261) Dazu Uhlenbruck/Hirte, § 39 InsO Rz. 46.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

sind.262) Eine solche Verpflichtung zur Herausgabe kann sich zudem aus § 135 Abs. 2 i. V. m. § 143 Abs. 3 InsO (früher § 32b GmbHG) gegenüber dem durch eine solche Darlehensrückzahlung begünstigten Gesellschafter ergeben. Eine Anfechtung der Darlehensrückzahlung gegenüber dem Dritten ist schließlich unter Umständen nach §§ 130, 131, 133 InsO möglich. 5.135a Rechtshandlungen (§ 129 Abs. 1 InsO), die dem Gläubiger eines Gesellschafterdarlehens oder einer gleichgestellten Forderung Sicherung gewähren (also nicht die Verwertung), sind nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar, wenn die zu ihnen führende Rechtshandlung in den letzten zehn Jahren vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen wurde. Eine Anfechtung wird dabei trotz Verwertung der Sicherung nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Verwertung länger als ein Jahr vor der Stellung des Insolvenzantrags erfolgte; denn der „Befriedigungstatbestand“ des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO entfaltet keine „Sperrwirkung“.263) Andererseits verlängert sich die Frist aber auch nicht um die Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wenn die Sicherheit innerhalb eines Jahres vor dem Eröffnungsantrag verwertet wurde.264) Klar ist damit auch, dass Gesellschafterdarlehen – anders als im früheren Recht – jedenfalls dem Grunde nach wirksam besichert werden können und deshalb die Unwirksamkeit einer Sicherheit durch Anfechtung geltend gemacht werden muss.265) Das gilt aber nur, wenn es sich bei der besicherten Gesellschafterforderung tatsächlich auch um ein „Darlehen“ handelte.266) Die ursprüngliche (nicht die nachträgliche) Sicherheitsgewährung kann aber ein Bargeschäft (§ 142 InsO) darstellen.267) Im Falle nachträglicher Erlangung der Gesellschafterstellung kommt es für den Fristlauf auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Gestellung einer Sicherheit ___________ 262) BGHZ 196, 220 = ZIP 2013, 582 = NZI 2013, 308 = NZG 2013, 469 = NJW 2013, 2282 = EWiR § 135 InsO 1/13, 217 (Bork); dazu Nicola Preuß, ZIP 2013, 1145; Kübler/ Prütting/Bork/Preuß, § 135 InsO Rz. 25 ff.; Reinhard/Schützler, ZIP 2013, 1898; abw. hinsichtlich der Anfechtbarkeit gegenüber dem Neugläubiger Haas, NZG 2013, 1241, 1244 ff.; Thole, ZHR 176 (2012), 513, 533 f. 263) BGHZ 198, 64 = ZIP 2013, 1579 (Bitter) = NZI 2013, 742 = NZG 2013, 1036 = NJW 2013, 3035 = EWiR § 135 InsO 3/13, 521 (Bork); dazu Altmeppen, ZIP 2013, 1745; Mylich, ZIP 2013, 2444; Plathner/Luttmann, ZInsO 2013, 1630; Skauradszun, DZWIR 2014, 99. 264) Mylich, ZIP 2013, 2444, 2447. 265) Bitter, ZIP 2013, 1497, 1501 ff.; ders., ZIP 2013, 1998, 1999 f.; Marotzke, ZInsO 2013, 641, 648 ff.; Mylich, ZIP 2013, 2444, 2446, 2447; Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 18; Karsten Schmidt/Karsten Schmidt/Herchen, § 39 InsO Rz. 7, 23; abw. Altmeppen, NZG 2013, 441, 443 ff.; ders., ZIP 2013, 1745, 1749 ff.; Bangha-Szabo, ZIP 2013, 1058, 1061 f.; Hölzle, ZIP 2013, 1992, 1995 ff.; siehe auch Uhlenbruck/Hirte, § 39 InsO Rz. 19. 266) Konkretisierungsvorschläge bei Mylich, ZHR 176 (2012), 547, 571 f.; ders., ZIP 2013, 2444, 2449. 267) Bangha-Szabo, ZIP 2013, 1058, 1061 (nicht die Rückzahlung); Bitter, ZIP 2013, 1497, 1503 ff., 1506 f.; ders., ZIP 2013, 1998, 1999; Marotzke, ZInsO 2013, 641, 644 f., 647 (nicht die Rückzahlung), 650; i. E. ebenso Mylich, ZIP 2013, 2444, 2449 (mit abw. Begründung: wegen Nichtausnutzung eines Informationsvorsprungs); abw. Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 16; dazu im Übrigen Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 142 InsO Rz. 9.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

an.268) Der Begriff der Sicherheitsleistung entspricht dem im Rahmen von §§ 130, 131 InsO und erfasst daher auch gesetzliche Sicherheitsrechte wie den Eigentumsvorbehalt. Anfechtbar sind auch Sicherungen für Regressforderungen des Gesellschafters.269) Dabei ist ausreichend, dass der besicherte Kredit im Zeitpunkt der Anfechtung die Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (unter Beachtung der Ausnahmevorschriften der § 39 Abs. 4 und 5 InsO) erfüllt; sie müssen also noch nicht im Zeitpunkt der Sicherung vorgelegen haben.270) cc)

Gesellschafterbesicherte Drittdarlehen

Wirtschaftlich vergleichbar sind auch Darlehen eines Dritten, für die sich ein 5.136 Gesellschafter (oder eine ihm zuzurechnende Person) verbürgt hat oder eine Sicherheit gestellt hat. Deshalb soll primär die vom Gesellschafter gestellte Sicherheit verwertet werden. Die Abwicklung dieser Fälle ist allerdings in § 44a InsO für die Geltendmachung der Darlehens- oder vergleichbaren Forderung und in §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO für die Anfechtung vorinsolvenzlich erfolgter Rückzahlungen besonders geregelt. Der dritte Darlehensgeber kann daher nach § 44a InsO im Insolvenzverfahren nur für den Betrag anteilsmäßige Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen, mit dem er bei der Inanspruchnahme des Bürgen oder der Sicherheit ausgefallen ist; diese Forderung ist andererseits nicht nachrangig.271) Der Gesellschafter kann sodann von der Gesellschaft Erstattung verlangen; diese Forderung kann er in der Insolvenz der Gesellschaft aber nur als entsprechend § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangige Insolvenzforderung anmelden.272) In der Insolvenz der Gesellschaft haftet also der Gesellschafter dem außerhalb des Insolvenzverfahrens stehenden Gläubiger primär.273) Der dritte Kreditgeber wird also nicht etwa – wie die Formulierung „nach Maßgabe des § 39 Abs. 1 Nr. 5“ nahelegen könnte – materiell einem darlehensgewährenden Gesellschafter gleichgestellt,274) sondern ist nur insofern betroffen, als er seinen Rückzahlungsanspruch in der Insolvenz nur in Höhe des Ausfalls durchsetzen kann. Er kann daher zwar gleich einem absonderungs___________ 268) Ekkenga, in: Festschrift für Schapp (2010), S. 125, 140 ff. 269) BGH ZIP 1990, 95, 96 = KTS 1990, 255; Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 6. 270) Zur entsprechenden Frage (kapitalersetzender Charakter) für das vor dem MoMiG geltende Recht BGHZ 105, 168, 187 = NJW-RR 1989, 33 = ZIP 1988, 1248, 1254 = KTS 1989, 114; Kübler/Prütting/Paulus, § 135 InsO Rz. 28. 271) Begr RegE zu § 39, BT-Drucks. 12/2443, S. 123; Kübler/Prütting/Bork/Preuß, § 44a InsO Rz. 18. 272) Karsten Schmidt, ZIP 1999, 1821, 1822 ff., 1828; ders., BB 2008, 1966, 1968; Karsten Schmidt/ Karsten Schmidt, § 44a InsO Rz. 5. 273) BGH NJW 1988, 824 = ZIP 1987, 1541 = EWiR § 31 GmbHG 1/88, 67 (Fleck); BGH ZIP 1992, 108 = KTS 1992, 424 = EWiR § 30 GmbHG 1/92, 277 (Huneck); BGH NJW 1992, 1169 = ZIP 1992, 177 = KTS 1992, 419 = EWiR § 32a GmbHG 2/92, 363 (von Gerkan). 274) Karsten Schmidt, ZIP 1999, 1821, 1824 ff.; Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 44a InsO Rz. 5, 6.

399

§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

berechtigten Gläubiger die gesamte Forderung nach §§ 52 Satz 1, 174 InsO anmelden, wird aber nur in Höhe seines Ausfalls nach §§ 52 Satz 2, 190 InsO befriedigt.275) 5.136a Aufgrund des wie bei § 39 InsO zwingenden Charakters der Norm276) kann der Dritte die Anwendbarkeit des § 44a InsO durch Verzicht auf die Sicherheit oder durch Abschluss eines Erlassvertrages nur dann ausschließen, wenn Verzicht oder Erlass nach Verfahrenseröffnung erfolgen.277) Im Falle eines Verzichts oder Erlasses vor Verfahrenseröffnung greift § 44a InsO nicht ein, sondern es besteht ein Anfechtungsanspruch nach §§ 135 Abs, 2, 143 Abs. 3 InsO, wenn und soweit Verzicht und Erlass innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 InsO erfolgt sind.278) 5.137 Die Anmeldung der Forderung in der Insolvenz der Gesellschaft setzt nicht voraus, dass der Gläubiger schon aus der Sicherheit gegen den Gesellschafter vorgegangen ist.279) Umfangmäßig kann er daher zwar gleich einem Absonderungsberechtigten die gesamte Forderung nach §§ 52 Satz 1, 174 InsO anmelden, wird aber nur in Höhe seines Ausfalls nach §§ 52 Satz 2, 190 InsO befriedigt.280) Die final gezahlte Quote bezieht sich damit also richtigerweise lediglich auf den tatsächlichen Ausfall, nicht etwa auf die gesamte angemeldete Forderung, wie auch schon der dem § 52 InsO entsprechende Wortlaut zeigt.281) Dies entspricht auch der Rechtslage unter dem früheren § 64 KO.282) Denn der Gesetzgeber hat ___________ 275) Karsten Schmidt, ZIP 1999, 1821, 1826; Ulmer, in: GroßK-GmbHG, §§ 32a, b Rz. 177 (Anmeldung einer aufschiebend bedingten Forderung); Hueck/Fastrich, in: Baumbach/ Hueck, (18. Aufl. 2006), § 32a GmbHG Rz. 88; anders aber jetzt Karsten Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077, 1087 f.; Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 44a InsO Rz. 13: Vollanmeldung und Quote auf den vollen Betrag. 276) Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 44a InsO Rz. 15. 277) Ede, ZInsO 2012, 853, 861; Lauster/Stiehler, BKR 2012, 106, 108. 278) OLG Stuttgart ZIP 2012, 834, 837 f. = EWiR § 135 InsO 3/12, 393 (Hirte/Ede) (hinsichtlich des zweiten Punktes im Anschluss an BGH ZIP 1997, 1648); Ede, ZInsO 2012, 853, 861; Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 25; ebenso zuvor Spliedt, ZIP 2009, 149, 156; Lauster/Stiehler, BKR 2012, 106, 108 f.; für weitergehenden Ausschluss noch Uhlenbruck/Hirte (13. Aufl. 2010), § 44a InsO Rz. 2. 279) Gehrlein, BB 2008, 846, 852; Marx, ZInsO 2003, 262. 280) Freitag, WM 2007, 1681, 1684; Gehrlein, BB 2008, 846, 852; Kübler/Prütting/Bork/Preuß, § 44a InsO Rz. 14; MünchKomm-Bitter, § 44a InsO Rz. 20; Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 44a InsO Rz. 13; anders noch Uhlenbruck/Hirte (13. Aufl. 2010), § 44a InsO Rz. 5. 281) BGHZ 193, 378 Tz. 13 = ZIP 2012, 1869 = NJW 2012, 3443 = NZG 2012, 1103 = NZI 2012, 860 = DStR 2012, 2137 = EWiR § 39 InsO 4/12, 669 (Spliedt); abw. Altmeppen, ZIP 2011, 741, 743; MünchKomm-Bitter, § 44a InsO Rz. 22; Gehrlein, BB 2008, 846, 852; Freitag, WM 2007, 1681, 1684; Kübler/Prütting/Bork/Preuß, § 44a InsO Rz. 16 ff.; Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 44a InsO Rz. 14. 282) Für die Geltung des Ausfallprinzips unter dem bislang geltenden Recht Uhlenbruck/ Hirte (12. Aufl. 2003), § 135 InsO Rz. 27.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

nicht zu erkennen gegeben, dass er an dieser bislang vorherrschenden Sichtweise etwas ändern wollte.283) Hat die Gesellschaft ein gesellschafterbesichertes Drittdarlehen innerhalb eines 5.137a Jahres vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag zurückgezahlt, kann der von der Sicherheit frei gewordene Gesellschafter insoweit heute der Insolvenzanfechtung ausgesetzt sein (§ 135 Abs. 2 i. V. m. § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO). Gleiches gilt bei Verwertung einer Gesellschaftssicherheit innerhalb der Jahresfrist (dazu auch unten Rz. 5.137c). Umstritten sind die Fälle der Doppelbesicherung durch Gesellschafter und 5.137b Gesellschaft. Das sind die Fälle, in denen der Kredit des Dritten sowohl durch eine Realsicherheit am Gesellschaftsvermögen als auch durch eine Personaloder Realsicherheit von Seiten des Gesellschafters oder eines ihm gleichgestellten Dritten besichert wurde. Rechtsprechung und herrschende Meinung haben sich hier für eine Wahlfreiheit des Kreditgebers entschieden, die von der Gesellschaft oder vom Gesellschafter gestellte Sicherheit in Anspruch zu nehmen284) Danach kann der Dritte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft auch aus der Sicherheit am Gesellschaftsvermögen volle Befriedigung suchen, ohne vorrangig die Gesellschaftersicherung in Anspruch nehmen zu müssen. Die Beschränkung des § 44a InsO (früher § 32a Abs. 2 GmbHG) kommt damit im Verhältnis zum dritten Gläubiger nur insoweit zum Zuge, als er durch die Realsicherheit am Gesellschaftsvermögen nicht befriedigt wird; der Gläubiger muss also nur und erst bezüglich seines Ausfalls die vom Gesellschafter persönlich gestellte Sicherheit in Anspruch nehmen. Damit ist es an der Gesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalter, nach einer Verwertung der von ihr gestellten Sicherheit ihren Rückgriffsanspruch entsprechend § 143 Abs. 3 InsO gegen den Gesellschafter geltend zu machen285) und eventuell auf die vom Gesellschafter parallel bestellte persönliche Sicherheit zuzugreifen; sie – und nicht der dritte Gläubiger – trägt daher auch das ent___________ 283) Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 327. 284) BGHZ 192, 9 = ZIP 2011, 2417 = NZI 2012, 19 = ZInsO 2012, 81 (zum früheren Recht siehe die Nachw. bei Uhlenbruck/Hirte (13. Aufl. 2010), § 39 InsO Rz. 7); zum Ganzen ausführlich Altmeppen, ZIP 2011, 741, 743 ff.; Ede, ZInsO 2012, 853 ff.; Lauster/Stiehler, BKR 2012, 106 ff.; Nikolaus M. Schmidt, ZInsO 2012, 586; siehe auch Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck (18. Aufl. 2006), § 32a GmbHG Rz. 70; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 328 (i. E.); Hill, ZInsO 2012, 910, 914 ff. (für teleologische Reduktion von § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO zugunsten der ungesicherten Gläubiger in diesem Zusammenhang); abw. (und für entsprechende Anwendbakeit von § 44a InsO auch in diesem Fall) Almeppen, ZIP 2011, 741, 748 f.; Bork, in: Festschrift für Ganter (2010), S. 135, 140 ff.; Müller/ Rautmann, DZWIR 2012, 190; Scholz/Karsten Schmidt, 10. Aufl 2006, §§ 32a, 32b GmbHG Rz. 145; Karsten Schmidt, ZIP 1999, 1821, 1827; Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 44a InsO Rz. 10, 12; Nikolaus M. Schmidt, ZInsO 2010, 70 ff.; sowie Timm Gessner, NZI 2012, 350 (Einschränkung des Wahlrechts aus § 421 Satz 1 BGB aufgrund vertraglicher Treuepflichten). 285) BGHZ 192, 9 = ZIP 2011, 2417 = NZI 2012, 19 = ZInsO 2012, 81.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

sprechende Kosten- und Prozessrisiko. An diesen Grundsätzen hat sich durch das MoMiG nichts geändert.286) 5.137c Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des MoMiG konnte der Gesellschafter auch schon vor dem Zugriff des Gläubigers auf die Sicherheit im Innenverhältnis zur Freistellung der Gesellschaft verpflichtet sein.287) Wegen § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG gibt es einen solchen gesellschaftsrechtlichen Freistellungsanspruch heute vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht mehr.288) Allerdings führt eine Verwertung der Gesellschaftssicherheit vor Verfahrenseröffnung zu einem (ggfls. teilweisen) Freiwerden des Gesellschafters, was einer Darlehensrückzahlung an den Gesellschafter in dem Umfang gleichsteht, in dem der Gesellschafter von der Bürgschaftsschuld befreit wurde.289) Rechtsfolge ist aber heute nur die Anfechtbarkeit der Rückzahlung, wenn sie in der Frist des § 135 InsO erfolgte, nicht ein Erstattungsanspruch (siehe bereits oben Rz. 5.137a). d)

Anwendungsbereich

aa)

Erfasste Gesellschaften

5.138 Die Neuregelung in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist grundsätzlich rechtsformneutral ausgestaltet. Ob freilich auch Verein und Stiftung erfasst sind, lässt sich mit Blick darauf bezweifeln, dass dort keine vermögensmäßige Beteiligung der Mitglieder besteht, wie sie beim Kleinbeteiligtenprivileg mit dem Begriff „Haftkapital“ vorausgesetzt wird.290) Dagegen spricht freilich, dass auch bei diesen juristischen Personen ein Insolvenzverschleppungsrisiko besteht, wenn Darlehen von – dann freilich anders zu erfassenden – Insidern gewährt wurden. 5.139 Bei den Personengesellschaften sind aber nur solche erfasst, bei denen keine natürliche Person – auch nicht indirekt – persönlich haftet (§ 39 Abs. 4 Satz 1 InsO).291) Gemeint ist damit die unbeschränkte persönliche Außenhaftung nach ___________ 286) Zutr. Bartsch/Weber, DStR 2008, 1884 f.; Spliedt, ZIP 2009, 149, 155; in dieselbe Richtung Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 328. 287) BGH NJW 1992, 1166 = ZIP 1992, 108 = KTS 1992, 424 = EWiR § 30 GmbHG 1/92, 277 (Hunecke); BGH ZIP 2009, 1806, 1807 f. Tz. 16 ff. = NJW 2009, 2883 = NJW-RR 2009, 1339 = NZG 2009, 1024 = NZI 2009, 659 = ZInsO 2009, 1774 = DStR 2009, 2018 = EWiR § 30 GmbHG a. F. 1/10, 81 (Steffek/Joh. Schmidt). 288) Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 44a InsO Rz. 2, 16 f. 289) BGH ZIP 2009, 1806, 1807 f. Tz. 16 ff. = NJW 2009, 2883 = NJW-RR 2009, 1339 = NZG 2009, 1024 = NZI 2009, 659 = ZInsO 2009, 1774 = DStR 2009, 2018 = EWiR § 30 GmbHG a. F. 1/10, 81 (Steffek/Joh. Schmidt) (zum alten Recht). 290) Haas, ZInsO 2007, 617, 628; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2148; Kübler/Prütting/Bork/ Pape/Schaltke, § 39 Rz. 46. 291) Für eine Einbeziehung der Personengesellschaften insgesamt Haas, ZInsO 2007, 617, 628; Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 34; abw. Habersack, ZIP 2007, 2145, 2147.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

§ 128 HGB.292) Nicht erfasst ist damit die Partnerschaftsgesellschaft, da bei ihr nach § 1 Abs. 1 Satz 3 PartGG nur natürliche Personen Partner sein können. Andererseits stellen weder die Kommanditistenhaftung nach § 161 HGB (da beschränkt) noch die Haftung des stillen Gesellschafters (da Innenhaftung) noch der Verlustausgleichsanspruch nach § 302 AktG oder – je nach Ansicht – die Gründerhaftung in der Vorgesellschaft (da Innenhaftung) eine persönliche Haftung in diesem Sinne dar. Privilegiert sind im Übrigen nach dem Gesetzeswortlaut aber nur persönlich haftende Gesellschafter auf bis zu „zwei Ebenen“, so dass eine unmittelbare persönliche Haftung erst auf der dritten oder einer noch höheren Ebene eine Anwendbarkeit der Normen nicht ausschließt.293) Erfasst sind aber entgegen dem bislang geltenden Recht alle Gesellschafter, so dass auch Darlehensgewährungen seitens der Komplementärin dem Recht der Gesellschafterdarlehen unterfallen.294) Im Gegensatz zu den früheren §§ 129a, 172a HGB werden Darlehensgewährungen durch „mittelbar“ beteiligte Gesellschafter nicht mehr ausdrücklich erwähnt; das soll sich nach der Vorstellung der Gesetzgebers jetzt aus der allgemeinen Erstreckung auf „wirtschaftlich entsprechende“ Sachverhalte in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ergeben.295) Mit Blick auf Art. 3 EuInsVO finden die Regelungen auch auf Insolvenzverfahren 5.140 über das Vermögen ausländischer Gesellschaften Anwendung, über die in Deutschland ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.296) Andererseits ergibt sich jetzt – wie bei der Neuregelung der Insolvenzantragspflicht (dazu oben Rz. 3.60) – das Risiko, dass sich eine deutsche Schuldner-Gesellschaft durch Verlagerung des Mittelpunkts ihrer wirtschaftlichen Interessen ins Ausland den neuen Regelungen entziehen kann.297)

Nicht anwendbar sind die Regeln über Gesellschafterdarlehen auf Unterneh- 5.141 mensbeteiligungsgesellschaften.298) § 25 UBGG a. F. verbot hier früher schon – allerdings befristet – eine Zurechnung des Anteilsbesitzes von Kreditinstituten und Versicherungen verbundenen Unternehmensbeteiligungsgesellschaften für den Fall, dass die Kreditinstitute/Versicherungen Darlehen gewähren und diese ___________ 292) Habersack, ZIP 2007, 2145, 2147; Mülbert, WM 2006, 1977, 1981. 293) Haas, ZInsO 2007, 617, 628. 294) Haas, ZInsO 2007, 617, 629; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2148 (der dies freilich mit Blick auf § 93 InsO für überflüssig hält). 295) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 57. 296) BGHZ 190, 364 Tz. 27 ff. (PIN) = ZIP 2011, 1775 = NZG 2011, 1195 = NZI 2011, 818 = ZInsO 2011, 1792 = EWiR § 39 InsO a. F. 1/11, 643 (Bork) (dazu Schall, NJW 2011, 3745); AG Hamburg ZIP 2009, 532 = NJW-RR 2009, 483 = NZG 2009, 197 = NZI 2009, 131 = ZInsO 2008, 1332 = EWiR § 135 InsO 1/09, 215 (Mankowski) (zu § 135 InsO); Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 57; zust. Bork, ZGR 2007, 250, 252; Huber, ZIP 2010, Beil. 2, S. 7, 12; Kindler, AG 2007, 721, 727; zweifelnd Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3602 Fn. 16; Zahrte, ZInsO 2009, 223 ff. 297) Dazu Eidenmüller, in: Festschrift für Canaris (2007), S. 49, 68 f.; Hirte, ZInsO 2008, 146, 147. 298) Dazu Hirte, ZInsO 1998, 147, 149.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

umqualifiziert werden.299) Durch den durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz vom 24. März 1998 (BGBl. I, 529) vollständig neu formulierten § 24 UBGG n. F. wurde diese Freistellung zum einen auf sämtliche Gesellschafter erweitert und zum anderen festgelegt, dass die Privilegierung auch „andere der Darlehensgewährung wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlung[en]“ erfasst. Durch Art. 21 MoMiG wurde dann eine Anwendbarkeit des in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO statuierten Nachrangs für die von Unternehmensbeteiligungsgesellschaften und ihren Gesellschaftern ausgereichten Darlehen vollständig ausgeschlossen. 5.142 Besonderheiten im Bereich der Gesellschafterdarlehen galten auch für von der

Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (früher: Treuhandanstalt) ausgereichte Darlehen und sonst für Unternehmen in den neuen Bundesländern.300) Ein gewisses Problem unter dem bislang geltenden Recht bildete zudem das Verhältnis des früheren Kapitalersatzrechts zum (europäischen) Beihilferecht. Denn nach Auffassung der EU-Kommission können (auch indirekt) von staatlicher Seite gegebene Darlehen (gegebenenfalls verbotene) Beihilfen nach Artt. 107 f. AEUV (früher Artt. 87 f. EG) darstellen.301) Daher durfte die Rückforderung eines kapitalersetzenden Darlehens, das zugleich eine verbotene Beihilfe darstellt (etwa wenn es von einer staatlich geförderten „Auffanggesellschaft“ gewährt wurde), nicht in Anwendung der „Rechtsprechungsregeln“ nach §§ 30 ff. GmbHG gänzlich ausgeschlossen sein; diesen Anforderungen entspricht die heute für die Problematik allein maßgebliche Nr. 5 des § 39 Abs. 1 InsO (und zuvor schon § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG), nach der ein Gesellschafterdarlehen als nachrangige Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann.302)

5.143– [unbesetzt] 5.149 bb) Sanierungsprivileg (§ 39 Abs. 4 Satz 2 InsO) 5.150 Ein (allgemeines) Sanierungsprivileg für Darlehen, die zum Zwecke der Überwindung einer Krise gewährt wurden, war von der wohl herrschenden Meinung ursprünglich überwiegend abgelehnt worden. Vielmehr wurde auf einen zunächst reinen Darlehensgeber der Gesellschaft, der nach Eintritt der Krise einen Geschäftsanteil erwarb, grundsätzlich ebenfalls § 32a GmbHG (entsprechend § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) angewandt, wenn er entweder das Darlehen bereits in sachlichem Zusammenhang mit dem vorgesehenen Eintritt in die Gesellschaft gegeben oder es nach dem Anteilserwerb kapitalersetzend stehen

___________ 299) Dazu auch Claussen, GmbHR 1996, 316, 320 f.; Obermüller, ZInsO 1998, 51, 54. 300) Einzelheiten in der 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.158 ff. 301) Vgl. Entscheidung der Kommission v. 21.6.2000 – CDA (Thüringen), ABl. EG Nr. L 318 v. 16.12.2000, S. 62; dazu Guski, KTS 2008, 403 ff.; Meessen, DB 2001, 1294. 302) Näher dazu Uhlenbruck/Hirte, § 39 InsO Rz. 58 ff.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

gelassen hat.303) Die entsprechenden Darlehen konnten daher in der Insolvenz entweder nur als nachrangige Forderungen oder – wegen der Gleichsetzung mit Eigenkapital – gar nicht geltend gemacht werden. Wegen der damit verbundenen Folgen vor allem für die Kreditinstitute schuf 5.151 der Gesetzgeber in § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG a. F. daher ausdrücklich ein solches – vom Insolvenzverfahren unabhängiges – Sanierungsprivileg.304) Voraussetzung seiner Inanspruchnahme war, dass die Übernahme von Geschäftsanteilen „zum Zwecke der Überwindung der Krise“ erfolgen muss; das heißt, dass die Gesellschaft aus der Sicht eines objektiven Dritten sanierungsfähig sein muss (was in der Regel eine mindestens signifikante Mittelzufuhr voraussetzt) und dies eine nachhaltige Überwindung der Krise – freilich aus Ex-ante-Sicht – in überschaubarer Zeit ermöglicht; andererseits wurde die Norm auch auf die nach den früheren „Rechtsprechungsregeln“ umqualifizierten Darlehen erstreckt.305) Diese Regelung führt der durch das MoMiG eingeführte § 39 Abs. 4 Satz 2 5.152 InsO in leicht veränderter Form fort. Das Sanierungsprivileg gilt auch nach dem MoMiG für Personen, die vor dem Anteilserwerb aus dem Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO herausfielen, also weder Gesellschafter noch gleichgestellte Personen waren oder vor dem Hinzuerwerb dem Kleinbeteiligtenprivileg unterfielen.306) An Stelle des bislang verwendeten Merkmals der „Krise“ greift das Privileg jetzt ab dem Zeitpunkt der drohenden (§ 18 InsO) oder eingetretenen (§ 17 InsO) Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung (§ 19 InsO) und bleibt bis zur „nachhaltigen Sanierung“307) bestehen.308) Die Gewährung von Darlehen ist damit nicht schon ab dem Zeitpunkt der Kreditunwürdigkeit privilegiert.309) Die Tatsache der beabsichtigten Darlehensgewährung ist aber zur Vermeidung eines Zirkelschlusses noch nicht in die für die positive Fortführungsprognose im Rahmen der Überschuldung notwendige Beurteilung einzubeziehen.310) Die Freistellungwirkung des Sanierungsprivilegs kennt frei___________ 303) BGHZ 81, 311 (Helaba/Sonnenring) = NJW 1982, 383 = ZIP 1981, 1200 = LM § 30 GmbHG Nr. 14a (Fleck); abw. Rümker ZIP 1982, 1385, 1394; Uhlenbruck, GmbHR 1982, 141 ff.; Westermann, ZIP 1982, 379, 386. 304) Zu Einzelheiten Dauner-Lieb, DStR 1998, 1517; Hirte, ZInsO 1998, 147, 150 ff. 305) BGH ZIP 2006, 2130 = DStR 2006, 2140. 306) Weitergehend Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3605: Anwendung auch auf Altgesellschafter, die bereits mit über 10 % beteiligt sind. 307) Für die Festlegung eines klare(re)n Zeitpunkts (ein Jahr) Haas, ZInsO 2007, 617, 625; für „mind. 12 Monate“ Kübler/Prütting/Bork/Preuß, § 39 InsO Rz. 63; zu den im Übrigen nur relativ unbedeutenden Unterschieden zwischen altem und neuem Recht Bork, ZGR 2007, 250, 254 ff. 308) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 57. 309) Freitag, WM 2007, 1681, 1682; Gehrlein, Konzern 2007, 771, 787 f. 310) Ausführlich Bitter, ZIP 2013, 398 ff.

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lich auch Grenzen, und zwar zunächst gewillkürte Grenzen durch Rangrücktritt (dazu oben Rz. 5.122 ff.), ferner die gesetzliche Grenze nach § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO, der die Nichtanwendung der Subordination nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nur „bis zur nachhaltigen Sanierung“ anordnet.311) Mit dem Eintritt der „nachhaltigen Sanierung“ muss sich der Sanierungsgesellschafter daher vor der Frist des § 135 InsO zum Abzug seines zum Zwecke der Sanierung gewährten Darlehens entschließen oder sein Darlehen unterliegt – wie das jedes „einfachen“ Gesellschafters – der Nachranganordnung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.312) Nachhaltig ist die beabsichtigte Sanierung, wenn die ergriffenen Maßnahmen zur Sicherung der Fortführungsfähigkeit im Sinne einer positiven Fortführungsprognose dazu geführt haben, dass die Bestandsgefährdung des Unternehmens, also insbesondere die Gefahr des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, mindestens für das laufende und das gesamte folgende Geschäftsjahr abgewendet worden ist.313) Ein Scheitern der Sanierung, das spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens konstatiert werden muss, lässt die Freistellungswirkung des Sanierungsprivilegs nicht entfallen;314) denn gerade hierfür ist die Regelung gedacht. 5.153 Privilegiert ist unverändert nur der Beteiligungserwerb.315) Dazu gehört auch ein Erwerb aufgrund eines Debt-Equity-Swaps nach § 225a Abs. 2 InsO in einem Insolvenzplan. Ungeklärt ist, ob das Privileg auch dann greift, wenn ein vom Kreditgeber verschiedener Dritter im Zusammenhang mit einer Darlehensgewährung die Anteile übernimmt.316) Eine allgemeine Privilegierung von Sanierungsdarlehen, also auch solchen, die nicht im Zusammenhang mit einem Beteiligungserwerb stehen, findet sich an dieser Stelle nicht;317) das ist gesetzessystematisch auch nicht erforderlich, weil es hier nur um die „von Gesellschaftern“ gewährten Darlehen geht. Eine solche Privilegierung kann sich aber in Anwendung der allgemeinen insolvenz-anfechtungsrechtlichen Bestimmungen ___________ 311) Für die Festlegung eines klare[re]n Zeitpunkts (ein Jahr) Haas, ZInsO 2007, 617, 625; für „mind. 12 Monate“ Kübler/Prütting/Bork/Preuß, § 39 InsO Rz. 63; zu den im Übrigen nur relativ unbedeutenden Unterschieden zwischen altem und neuem Recht Bork, ZGR 2007, 250, 254 ff.; Hirte/Knof, WM 2009, 1961, 1969. 312) Ebenso Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3605 f. 313) Ausf. dazu Hirte/Knof, WM 2009, 1961, 1968 ff.; siehe auch Uhlenbruck/Hirte, § 225a InsO Rz. 46 f. 314) Gyllensvär, Das Sanierungsprivileg – § 32a Abs. 3 S. 3 GmbHG (2005), S. 167 f.; Hirte/ Knof, WM 2009, 1961, 1970. 315) Habersack, ZIP 2007, 2145, 2149; zur Kritik Burg/Poertzgen, ZInsO 2008, 473, 474 f.; Gehrlein, BB 2008, 846, 851; Hirte, ZInsO 2008, 146, 149; Hirte/Knof, WM 2009, 1961, 1963; Tillmann, DB 2006, 199, 201 ff.; zum früheren Recht zusammenfassend H.-F. Müller, Der Verband in der Insolvenz (2002), S. 408 ff. 316) Zum früheren Recht bejahend Tillmann, DB 2006, 199, 200 f. 317) Nachdrücklich kritisch dazu Bork, ZGR 2007, 250, 259; Haas, ZInsO 2007, 617, 624 f.; Knof, ZInsO 2007, 125, 129.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

ergeben.318) In § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO geht es daher eigentlich nur um Sanierungsbeteiligungen, nicht um Sanierungskredite. Mit Blick auf den Wortlaut des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO ist unklar, ob der Sanierungsgesellschafter seine Gläubigerstellung zwingend vor seiner Gesellschafterstellung begründet haben muss; klar dürfte nur sein, dass er die Gläubigerstellung nicht bereits „bei [= vor] drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung“ innegehabt haben muss.319) Bei der Auslegung des Tatbestandes ist vor allem auf den Anknüpfungspunkt des Sanierungsprivilegs abzuheben. Das ist der Anteilserwerb (1) „bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung“ (früher im Stadium der Krise der Gesellschaft) und (2) „zum Zwecke ihrer Sanierung“. Diese Zweckbindung der Sanierungsbeteiligung (nicht des Sanierungskredits!) ist entscheidend. Ein auch zeitlich nach dem Erwerb der Sanierungsbeteiligung gewährtes Darlehen ist demnach immer dann privilegiert, wenn bei seiner Gewährung noch ein Zusammenhang mit dem Sanierungszweck bejaht werden kann. Bei einem Anteilserwerb aufgrund eines Debt-Equity-Swaps nach § 225a Abs. 2 InsO in einem Insolvenzplan soll immer davon auszugehen sein, dass die Anteile zum Zweck der Sanierung im Sinne des § 39 Abs. 4 InsO erworben wurden.320) cc)

Kleinbeteiligtenprivileg (§ 39 Abs. 5 InsO)

Im neuen § 39 Abs. 5 InsO wird das frühere Kleinbeteiligtenprivileg („Witwen- 5.154 und Erbtantenprivileg“; § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG a. F.) übernommen.321) Bei diesem „Witwen- und Erbtantenprivileg“ ist zunächst widersprüchlich, dass es eine Privilegierung nicht nur für die mit „weniger als 10 %“ beteiligten Gesellschafter schafft, sondern für die mit „zehn Prozent oder weniger“ beteiligten Gesellschafter.322) Von der Rückstufung ihrer Darlehen ausgenommen werden damit also auch diejenigen Gesellschafter mit einer Beteiligung von genau 10 %, denen aber bereits die Minderheitsrechte des § 50 Abs. 1 GmbHG zustehen und die etwa die Entscheidung über eine Liquidation nach § 61 GmbHG herbeiführen könnten. Nicht einleuchtend sind auch die Willkürlichkeit und der Schematismus, die Rückstufung von Gesellschafterforderungen in der Insolvenz an einen bestimmten Umfang der Beteiligung am Stammkapital zu knüpfen. Denn der Umfang der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung ___________ 318) Siehe dazu insbesondere Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 142 InsO Rz. 47 f. 319) Hirte/Knof, WM 2009, 1961, 1963 ff.; a. A. Pichler, WM 1999, 411, 416. 320) Begr RegE zu § 225a Abs. 3 ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32; dazu im Übrigen Uhlenbruck/Hirte, § 225a InsO Rz. 45. 321) Zur Kritik an dessen ursprünglicher Kodifikation im GmbH-Gesetz Karsten Schmidt, ZIP 1996, 1586, 1588; dazu auch Habersack, ZHR 161 (1997), 458, 459; ders., ZHR 162 (1998), 201, 210; Hirte, ZInsO 1998, 147, 152. Selbst Seibert, DStR 1997, 35, 36 rechnete das Vorhaben des Gesetzgebers „eher zu den rechtspolitischen Allotria“. 322) Deutlich Dauner-Lieb, DStR 1998, 609, 612 f.: „Mogelpackung“.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

ist für die Finanzierung durch Ersatzkapital nur von untergeordneter Bedeutung.323) 5.155 In Abweichung vom früher für die Aktiengesellschaft geltenden Recht324) wird das Kleinbeteiligtenprivileg jetzt aber allgemein davon abhängig gemacht, dass eine Beteiligung von 10 % des „Haftkapitals“ nicht überschritten wird.325) Abzustellen ist mithin auf die Kapitalbeteiligung, nicht auf ein etwa davon abweichendes Stimmgewicht. Bei einer Kapitalgesellschaft & Co. KG kommt es hinsichtlich der an die KG gewährten Darlehen nur auf die Kapitalbeteiligung an der KG an, und zwar soweit vorhanden bezogen auf die Beteiligung an deren Festkapitalkonten.326) Weitere Voraussetzung ist, dass der Gesellschafter nicht an der Geschäftsführung beteiligt sein darf. Das ist der Fall, wenn er Geschäftsführer einer GmbH oder Vorstand einer Aktiengesellschaft ist; keine Mitwirkung in der Geschäftsführung ist demgegenüber die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Im Übrigen gelten die bislang zu diesem Fragenkreis entwickelten Grundsätze fort: Für die Frage, ob das Kleinbeteiligtenprivileg greift, kommt es daher zunächst auf den Zeitpunkt der Darlehensgewährung an, und es kann nicht dadurch nachträglich erlangt werden, dass die Geschäftsführerstellung aufgegeben oder die Beteiligung verringert wird.327) Umgekehrt kann das Privileg bei späterem Überschreiten der Schwelle verloren gehen.328) ___________ 323) Altmeppen, ZIP 1996, 1455; von Gerkan, ZGR 1997, 173, 179 f.; ders., GmbHR 1997, 677; Habersack, ZHR 162 (1998), 201, 208, 209; Hirte, ZInsO 1998, 147, 153 (mit der Forderung, stattdessen auf den fehlenden Zurechnungszusammenhang bei Kleinstbeteiligungen abzustellen); Karollus, ZIP 1996, 1893, 1894; Pape/Voigt, DB 1996, 2113, 2116; Pentz, BB 1997, 1265, 1269; Karsten Schmidt, ZIP 1996, 1586, 1588; ders., GmbHR 1999, 1269, 1276; abw. Claussen, GmbHR 1996, 316, 321 (zudem mit Forderung nach Festlegung einer Quote von 25 %). 324) BGHZ 90, 381, 391 (Beton- und Monierbau) = ZIP 1984, 572 = NJW 1984, 1893; bestätigt durch BGH NZG 2005, 712, 713 = ZIP 2005, 1316, 1317 = BB 2005, 1758 = DStR 2005, 1416; zur Kritik bereits Hirte, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, 2006, Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, S. P 11, P 33; ders. in der 5. Aufl. dieses Werkes Rz. 5.144 f. 325) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 57; ebenso jetzt auch für die AG (jedenfalls schon bei 15 %) BGH ZIP 2010, 1443, 1444 f. Tz. 8 = NZG 2010, 905 = ZInsO 2010, 1396 = DStR 2010, 1752 = EWiR § 32a GmbHG 1/10, 641 (Nikoleyczik/Olk); für einen mit einem Drittel am Haftkapital der Schuldnerin beteiligten Arbeitnehmer BAGE 147, 373 = ZIP 2014, 927 = NZI 2014, 619 = ZInsO 2014, 1019 = EWiR 2014, 327 (Bork) (dort auch zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der darin liegenden unechten Rückwirkung). 326) Karsten Schmidt/Karsten Schmidt/Herchen, § 39 InsO Rz. 42 m. zahlr. weit. Nachw. und Differenzierungen; abw. Gehrlein, BB 2008, 846, 852. („Durchrechnung“). 327) Gehrlein, Konzern 2007, 771, 787 f.; von Gerkan GmbHR 1997, 677, 679 (anders für den Umkehrfall der späteren Aufstockung); Haas, ZInsO 2007, 617, 619; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2150; Hirte, in: RWS-Forum 10 (1998), S. 145, 161; abw. Begr RegE KapAEG (BT-Drucks. 13/7141 = ZIP 1997, 706, 709 f.). 328) Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3604 f.; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 326; Gehrlein, Konzern 2007, 771, 788; Haas, ZInsO 2007, 617, 620; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2150.

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II. Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Die starre Grenze lädt im Übrigen zu Umgehungsversuchen geradezu ein, die 5.156 mit Zurechnungsregeln beantwortet werden müssen. Naheliegend ist insoweit eine entsprechende Anwendung der im Bereich des Aktienrechts bei den Meldepflichten der § 20 AktG, §§ 21 ff. WpHG und der Umgehung von Höchststimmrechten (§ 134 Abs. 1 Satz 2 AktG) geltenden Zurechnungsregeln einschließlich der dort bestehenden Nachweismöglichkeiten und -vermutungen. Die gemeinsame Gewährung von Darlehen von jeweils mit 10 % oder weniger beteiligten Gesellschaftern ist also zusammenzurechnen und als Darlehensgewährung durch eine entsprechend größere Gesellschaftergruppe zu behandeln.329) Und selbst bei einer Darlehensgewährung durch einen nur geringfügig beteiligten Gesellschafter dürften die Dinge anders zu sehen sein, wenn diese auf Initiative oder jedenfalls mit Zustimmung der Mehrheit der Gesellschafter erfolgen sollte oder ihm die Mittel dazu von höher beteiligten Gesellschaftern zur Verfügung gestellt werden.330) dd)

Übergangsvorschrift

Nach Art. 103d EGInsO sind die durch das MoMiG geänderten bzw eingefügten 5.157 neuen Vorschriften auf solche Insolvenzverfahren anwendbar, die nach Inkrafttreten des MoMiG eröffnet wurden (Satz 1); daher ist eine nach früherem Recht nicht besicherbare Gesellschafterdarlehensforderung seit dem 1. November 2008 besicherbar – und die Besicherung nach Ablauf von zehn Jahren anfechtungsfest.331) Umgekehrt bleibt es für vorher eröffnete Verfahren bei der Anwendung des bislang geltenden Rechts, so dass dies noch eine erhebliche Zeit von Bedeutung bleiben dürfte (Satz 2).332) Nach Auffassung des BGH gelten dieselben Grundsätze auch für die sog. Rechtsprechungsregeln.333) Mit der rein verfahrensrechtlich ausgestalteten Übergangsregelung des Gesetzes einschließlich der erweiternden Auslegung durch den BGH ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, ob auch schon entstandene gesellschaftsrechtliche Ansprüche gegen Gesellschafter aus §§ 30, 31 GmbHG analog mit materieller Wirkung fortfallen, wenn kein Insolvenzverfahren vor dem genannten Datum eröffnet wurde; dafür spricht auch, dass es in der

___________ 329) Vgl. Hirte, ZInsO 1998, 147, 153; Karsten Schmidt, GmbHR 1999, 1269, 1276; sowie auch den Diskussionsbericht von Schäfer, ZHR 162 (1998), 232, 234; i. E. ebenso Dauner-Lieb, DStR 1998, 609, 613; Paulus, BB 2001, 425, 428 f.; die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen Vorgehens verneinend BGH 9.5.2005 ZIP 2005, 1316, 1317 = NZG 2005, 712, 713 = BB 2005, 1758 = DStR 2005, 1416. 330) Dauner-Lieb, DStR 1998, 609, 614; Goette, DStR 1997, 2027, 2035. 331) Mylich, ZIP 2013, 2444, 2448; abw. Altmeppen, NZG 2013, 441, 443 ff.; ders., ZIP 2013, 1745, 1749 ff. 332) Die entsprechenden Ausführungen aus der 5. Aufl. dieses Werkes werden deshalb auf der Homepage des Verfassers (siehe Vorwort) in bis zum Inkrafttreten des MoMiG aktualisierter Form zur Verfügung gestellt. 333) BGHZ 179, 249 Tz. 17 f. (Gut Buschow) = ZIP 2009, 615, 617 f. = NJW 2009, 1277 = NZG 2009, 422 = NZI 2009, 336 = ZInsO 2009, 674 = DStR 2009, 699 = EWiR § 30 GmbHG a. F. 1/09, 303 (Habighorst); Römermann, InsVZ 2010, 43 f.; Karsten Schmidt/ Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 5 m. w. N.; abw. Hirte/Knof/Mock, NZG 2009, 48; Holzer, ZIP 2009, 206.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

Gesetzesbegründung nur heißt, die neue Norm bestimme den zeitlichen Anwendungsbereich der neuen insolvenzrechtlichen Bestimmungen.334) Der Gesetzestext dürfte insoweit lückenhaft sein, was auch damit zusammenhängt, dass ein bislang materiellrechtlicher in einen verfahrensrechtlichen Ansatz konzeptionell geändert wurde. Aus dem gesetzgeberischen Ziel ebenso wie aus dem systematischen Zusammenhang dürfte sich aber sicher ein Wille des Gesetzgebers ergeben, dass gesellschaftsrechtliche Ansprüche künftig nicht mehr durchgesetzt werden.335) Eine Lückenfüllung in diese Richtung ist mit Blick auf Art. 14 GG freilich nicht ganz unproblematisch; aber einerseits dürfte eine solche Lückenfüllung eine bloße Inhaltsbestimmung darstellen, weil früher bestehende Ansprüche ja nicht vollständig entfallen, und andererseits ist auch hier zu bedenken, dass es sich bei den entfallenden Ansprüchen um solche in analoger Anwendung gesetzlicher Bestimmungen handelt. Das könnte zudem ein Argument für Gerichte sein, in der Zukunft ohne Bezugnahme auf gesetzliche Bestimmungen selbst die Analogienotwendigkeit zu verneinen. Und für die Praxis, die das hier vorgetragene Ergebnis nicht teilt, sei nur darauf verwiesen: Die anderen Übergangsvorschriften des MoMiG beweisen die Entschlossenheit, das alte Recht sogar mit Rückwirkung aufzuheben; eine solche Regelung dürfte der Gesetzgeber gegebenenfalls kurzfristig auch in Art. 103d EGInsO nachtragen können.

5.158– [unbesetzt] 5.160 III. Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft 5.161 Kapitalgesellschaften sind – worauf bereits hingewiesen wurde (oben Rz. 1.7 ff.) – juristische Personen, bei denen nach dem Gesetz für die Verbindlichkeiten des Verbandes nur das Gesellschaftsvermögen haftet (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, Art. 1 Abs. 2 Satz 2 SE-VO, § 13 Abs. 2 GmbHG). Der Haftungsausschluss der Mitglieder wird zunächst kompensiert durch die (sehr strengen) Regelungen über die Kapitalaufbringung und -erhaltung (oben Rz. 5.17 ff.). Diese werden allerdings in vielen Fällen im Insolvenzfall als unzureichend empfunden. Aus diesem Grunde wird in bestimmten Fällen ausnahmsweise die Berufung der Gesellschafter auf die beschränkte Haftung der Kapitalgesellschaft nicht zugelassen. Dem gleichen Ziel dienen auch einige der schon vorgestellten (oben Rz. 3.108 ff.) Ansprüche außenstehender Dritter gegen Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder persönlich; dies wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass vor allem in geschlossenen Gesellschaften die Gesellschafter und die Mitglieder der Verwaltung identisch sind.

___________ 334) Begr RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 57. 335) Ebenso OLG München ZIP 2010, 1236, 1237 f. = EWiR § 64 GmbHG 1/10, 745 (Henkel); Büscher, GmbHR 2009, 800 ff.; Rellermeyer/Gröblinghoff, ZIP 2009, 1933 ff.; abw. für Rückzahlung eines kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens vor Inkrafttreten des Gesetzes OLG Jena ZIP 2009, 2098, 2099 = DStR 2009, 651 = EWiR § 30 GmbHG a. F. 2/09, 671 (Penzlin); OLG München ZIP 2011, 225, 226 (bestätigt durch BGH ZIP 2012, 86 Tz. 11 = NJW 2012, 682); Karsten Schmidt/Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 6 m. w. N.

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III. Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft

Im Übrigen ist es in den allgemeinen Grenzen der Privatautonomie zulässig und 5.162 üblich, neben der Haftung der Gesellschaft eine Haftung der Gesellschafter (oder einzelner Gesellschafter) zu vereinbaren. Klassisches Sicherungsmittel für Kreditgeber ist insoweit die Bürgschaft (§ 765 BGB); wird sie durch einen Gesellschafter übernommen, führt dies in der Insolvenz zur Anwendung der in § 44a InsO beschriebenen Folgen (dazu oben Rz. 5.127 ff.). Weiter als die Bürgschaft reicht die Garantie (§ 311 Abs. 1 BGB); unabhängig von der vertraglichen Ausgestaltung im Einzelfall sind für sie im Unterschied zur Bürgschaft der Verzicht auf die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) und die fehlende Akzessorietät (§ 767 Abs. 1 BGB) charakteristisch.336) Kann ein Gläubiger – etwa bei größeren Kapitalgesellschaften – diese Sicherungsmittel nicht durchsetzen, wird er versuchen, jedenfalls eine Patronatserklärung des Gesellschafters (dann typischerweise ein Mutterunternehmen) zu erhalten. Hierbei wird zwischen „harten“ und „weichen“ Patronatserklärungen unterschieden.337) Kern einer harten Patronatserklärung ist, dass sich das Mutterunternehmen verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Tochtergesellschaft ihre finanziellen Verpflichtungen auch in der Zukunft erfüllen kann.338) Bei einer weichen Patronatserklärung beschränkt sich die Erklärung demgegenüber darauf, dass man die Beteiligung beibehalten bzw. nicht ohne Anzeige an den Kreditnehmer aufgeben werde; sie kann darüber hinaus auch die Zusage enthalten, auf die Tochtergesellschaft mit dem Ziel „einzuwirken“, dass sie ihre Verbindlichkeiten erfüllen solle. Nur harte Patronatserklärungen müssen in der Bilanz des Mutterunternehmens im Hinblick auf das darin liegende Haftungsrisiko nach § 251 HGB „unter dem Strich“ ausgewiesen werden. Zu den anerkannten Fallgruppen des Durchgriffs auf die Gesellschafter, die 5.163 auch auf eine Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland Anwendung finden,339) gehören: 1.

Missbrauch

Ebenso einhellig anerkannt wie wenig fassbar ist der Tatbestand eines Miss- 5.164 brauchs der juristischen Person. Diese Konkretisierung von § 826 BGB für den Bereich des Kapitalgesellschaftsrechts hat wegen anderer leichter greifbarer

___________ 336) In diese Richtung auch die von einem Gesellschafter (formlos) abgegebene Erklärung, er werde alle während der Gründung entstehenden Verluste ausgleichen; zur Einforderbarkeit einer solchen Erklärung BGH NZG 2006, 543 (Boris Becker/Sportgate) = ZIP 2006, 1199, 1200. 337) Ausführlich zu Patronatserklärungen Michalski, WM 1994, 1229; Schäfer, WM 1999, 153. 338) Beispiel: OLG München ZInsO 2004, 1040 (auch zur Durchsetzbarkeit in der Insolvenz); dazu Paul, ZInsO 2004, 1327. 339) Dazu Hirte, NZG 2002, 1, 9; MünchKomm-Oechsler, Art. 1 SE-VO Rz. 7.

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Tatbestände in der jüngeren Vergangenheit keine große Rolle gespielt.340) In einem das Vereinsrecht betreffenden Fall bestätigte der BGH, dass ein (echter) Durchgriff nur dann in Betracht kommt, wenn die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit zwischen der juristischen Person und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen rechtsmissbräuchlich ist. Bei einer zweckwidrigen Überschreitung des Nebenzweckprivilegs durch einen eingetragenen Idealverein seien – wie er entgegen der Vorinstanz betont – aber die Möglichkeiten der Amtslöschung nach §§ 374, 395 FamFG und der behördlichen Entziehung der Rechtsfähigkeit nach § 43 Abs. 2 BGB gegenüber der Annahme eines Durchgriffs auf die Mitglieder vorrangig.341) 2.

Vermögens- oder Sphärenvermischung

5.165 Eine weitere Fallgruppe der Durchgriffshaftung bildet die Vermögens- oder Sphärenvermischung. Gemeint ist, dass derjenige sich nicht auf die auf ihr eigenes Vermögen beschränkte Haftung der juristischen Person berufen kann, der die Sphäre der juristischen Person von seiner eigenen oder derjenigen anderer juristischer Personen nicht korrekt trennt. Dieser Fall kann besonders bei der Einpersonengesellschaft auftreten, wenn sich nicht klären lässt, welche Vermögensgegenstände der Gesellschaft und welche dem Privatvermögen zuzurechnen sind.342) 5.166 Für einzelne abgrenzbare Entnahmen hat der BGH jedoch eine solche Annahme, die die Haftungstrennung insgesamt aufgeben würde, verneint.343) Und: sofern bei einer GmbH eine Vermischung von Privat- und Gesellschaftsvermögen eintritt, trifft den Pro-forma-Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter keine persönliche Haftung. Da er keinen maßgebenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben kann und daher für die Vermögensvermischung nicht verantwortlich zu machen ist, sei seine persönliche (Durchgriffs-)Haftung gegenüber den Gläubigern nicht zu rechtfertigen.344) Denn bei der Haftung ___________ 340) Raiser/Veil, KapGesR, § 29 Rz. 47; Wiedemann, GesR I, S. 221 ff., 227 f.; Haftung nach § 826 BGB ausdrücklich verneinend etwa BAGE 89, 349 = ZIP 1999, 24 = NJW 1999, 740 = NZA 1999, 39. 341) BGHZ 175, 12 (Kolpingwerk) = ZIP 2008, 364, 365 ff. = NZG 2008, 670 = EWiR § 43 BGB 1/2008, 293 (Haertlein/Primaczenko); in dieselbe Richtung zuvor Karsten Schmidt, ZIP 2007, 605; abw. als Vorinstanz OLG Dresden NZG 2006, 557 (Ls.) = ZIP 2005, 1680. 342) OLG Celle GmbHR 2001, 1042 = EWiR § 13 GmbHG 1/02, 109 (Meyke); Grunewald, GesR, § 13 Rz. 162 f. (GmbH); Raiser/Veil, KapGesR, § 29 Rz. 26 f.; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 2, S. 234 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 224. 343) BGHZ 95, 330, 333 f. (Autokran) = ZIP 1985, 1263, 1264 = EWiR § 13 GmbHG 3/85, 885 (Hommelhoff); BGH ZIP 1985, 29, 30 = WM 1985, 54, 55 = EWiR § 171 HGB 1/85, 111 (Priester) (schwer durchschaubare Buchführung reicht ebenfalls nicht). 344) BGHZ 125, 366 = ZIP 1994, 867 = NJW 1994, 1801 = EWiR § 13 GmbHG 1/94, 681 (von Gerkan) = WiB 1994, 475 (Gummert); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2846; Karsten Schmidt, ZIP 1994, 837.

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III. Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft

analog § 128 HGB wegen „Vermögensvermischung“ handele es sich – wie der II. Zivilsenat kürzlich klarstellte – um eine Verhaltens-, nicht um eine Zustandshaftung.345) Deshalb ist für das Vorliegen einer unkontrollierbaren Vermögensvermischung mit dem Privatvermögen auch der Insolvenzverwalter darlegungs- und beweispflichtig, der nach § 93 InsO die Ansprüche der Gläubiger der Gesellschaft gemeinschaftlich geltend zu machen hat; doch trifft den oder die Gesellschafter eine sekundäre Darlegungslast für das Gegenteil.346) 3.

Unterkapitalisierung

Von Seiten der Wissenschaft war schließlich eine Verpflichtung zu materiell 5.167 angemessener Kapitalausstattung vorgeschlagen worden; die Nichtbeachtung dieser Pflicht sollte zu einer Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung führen.347) Teilweise wird eine Durchgriffshaftung – eingeschränkt – nur dann befürwortet, wenn es sich um einen besonders extremen Fall von Unterkapitalisierung, eine qualifizierte materielle Unterkapitalisierung, handelt.348) Die Rechtsprechung hat diesen Ansatz über die bereits angesprochenen gesetz- 5.168 lichen Sonderregelungen bei Banken und Versicherungen hinaus bislang nicht allgemein aufgegriffen (dazu auch oben Rz. 5.17 ff.).349) Sie hat aber immer wieder in Einzelfällen die fehlende angemessene Kapitalausstattung als ein Argument dafür angeführt, einer Partei bestimmte prozessuale Rechte vorzuenthalten.350) Zudem wurde der Ansatz vom BGH auch als Argument gegen die Annahme

___________ 345) BGHZ 165, 85 = NJW 2006, 1344 = NZG 2006, 350 = ZIP 2006, 467 ff. 346) BGHZ 165, 85 = NJW 2006, 1344 = NZG 2006, 350 = ZIP 2006, 467 ff. (mit dem Hinweis, dass das Fehlen einer doppelten Buchführung zum Nachweis der Vermögensvermischung seitens der Verwalters nicht ausreicht). 347) Vgl. etwa Lutter, DB 1994, 129 m. w. N. in Fn. 5; Raiser/Veil, KapGesR, § 29 Rz. 39 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 4, S. 240 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 224 ff.; ausführlich G. H. Roth, ZGR 1993, 170 ff. 348) Brändel, in: GroßK, § 1 AktG Rz. 109; Grunewald, GesR, § 13 Rz. 158 (GmbH); Priester, ZGR 1993, 512, 526; Raiser, ZGR 1995, 156, 162 ff.; Stimpel, in: Festschrift für Goerdeler (1987), S. 601, 608. 349) Ablehnend etwa BGHZ 68, 312 = NJW 1977, 1449 (Typenhaus); BAG ZIP 1999, 878 (Altmeppen) = NJW 1999, 2299 = NZA 1999, 653 = DStR 1999, 1668 (Ls.) (UH) = EWiR § 13 GmbHG 1/99, 603 (T. Keil); dazu Banerjea, ZIP 1999, 1153. Die abw. Entscheidung BGHZ 54, 222, 224 (e. V.) stammt nicht vom für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenat. 350) Vgl. etwa BGH ZIP 1991, 1026 = EWiR § 13 UWG 1/91, 823 (Spätgens) (Klagebefugnis eines Vereins im Rahmen von § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG fehlt, wenn dieser die zur Durchführung der Streitigkeiten notwendige personelle und sachliche Ausstattung nicht besitzt); OLG Karlsruhe EWiR § 247 AktG 1/91 (Hirte) (keine Streitwertspaltung nach § 247 AktG zugunsten einer klagenden juristischen Person, wenn ihre Kapitalausstattung von vornherein für die Führung der beabsichtigten Rechtsstreitigkeiten unzureichend ist).

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des Mitverschuldens eines Gläubigers bei der Haftung des Geschäftsführers wegen verspäteter Beantragung des Insolvenzverfahrens herangezogen.351) 5.169 Die bisher fehlende allgemeine Akzeptanz der Lösung dürfte ihre Ursache – was

möglicherweise übersehen wird – auch in ihrer mittelbaren Verknüpfung mit dem Recht der Rechnungslegung haben. Soweit und solange angemessene Finanzierung nämlich (nur) mit dem Maßstab der §§ 238 ff. HGB gemessen wird, ist er für die Beurteilung von Unternehmen ungeeignet, deren Struktur nicht dem Leitbild des Bilanzrechts – Handels- und Industriebetriebe – entspricht. Der Gesetzgeber hat die notwendigen Konsequenzen bislang nur in Teilbereichen, etwa für die Kreditinstitute, gezogen. Was aber ist mit Verlagen, Werbeagenturen, Anwaltskanzleien und Arztpraxen? 5.170 Hinzu kommt, dass gerade die Gläubiger geschlossener Gesellschaften, in denen das Risiko nicht ausreichender Eigenkapitalausstattung besonders virulent ist, dadurch Vorsorge treffen, dass sie sich persönliche Sicherheiten der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einräumen lassen (dazu oben Rz. 5.162). Das beweist zum einen das mangelnde Vertrauen des Marktes in die institutionelle Absicherung des Gläubigerschutzes in Kapitalgesellschaften. Zum anderen führt es aber dazu, dass die darin liegenden Risiken nur durch solche (Groß-)Gläubiger abgesichert werden können, die eine entsprechend starke Verhandlungsposition haben.

5.171 Allen bislang genannten Ansätzen ist gemeinsam, dass sie im Falle ihres Vorliegens den Gläubigern der Kapitalgesellschaft einen unmittelbaren Durchgriff auf deren Gesellschafter gestatten. Dagegen wurde früher zu Recht eingewandt, dass dies zu einer ungleichmäßigen und von Zufällen abhängigen Gläubigerbefriedigung führe. Um jedenfalls im eröffneten Insolvenzverfahren eine Durchsetzung der Ansprüche durch den Insolvenzverwalter und damit eine Gleichbehandlung der Gläubiger zu ermöglichen, war für die Annahme von gegenüber der Gesellschaft bestehenden Finanzierungspflichten plädiert worden.352) Mit Inkrafttreten des neuen Insolvenzrechts hat sich dieses Problem erledigt, da der Insolvenzverwalter nunmehr in jedem Fall für die Durchsetzung dieser Ansprüche zuständig ist: bei zur Insolvenzmasse zählenden Ansprüchen der Gesellschaft folgt dieses Recht aus § 80 Abs. 1 InsO, bei anderen, den Gläubigern gemeinschaftlich entstandenen Schäden aus § 92 Satz 1 InsO („Gesamtschadensliquidation“). Das Problem wurde zudem auch früher schon bei der Haftung wegen qualifizierter faktischer Konzernierung (dazu unten Rz. 5.176 ff. und 8.153 f.) vermieden, die aber aus anderen Gründen einer erheblichen Kritik ausgesetzt war.

___________ 351) BGHZ 126, 181, 200 f. = ZIP 1994, 1103, 1110 = EWiR § 64 GmbHG 2/94, 791 (Wilhelm); dazu Hirte, in: Abschied vom Quotenschaden. ZIP-Sonderdruck 1994, Einl., S. 4 ff. 352) Grunewald, GesR, § 13 Rz. 160 f. (GmbH) m. w. N.; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 5, S. 244 ff. (direkte Außenhaftung nur subsidiär); Wiedemann, GesR I, S. 222 f.

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III. Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft

4.

Existenzvernichtender Eingriff

In seiner Grundsatzentscheidung „Bremer Vulkan“ im Jahre 2001 hat der BGH 5.172 schließlich die Haftung von Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft für den Fall angenommen, dass sie durch einen existenzvernichtenden Eingriff deren Bestand gefährden.353) Das wurde zunächst für einen Gesellschafter angenommen, der eine von ihm 5.173 abhängige GmbH veranlasst, ihre liquiden Mittel in einen von ihm beherrschten konzernierten Liquiditätsverbund („Cash-Management“) einzubringen, ohne bei Dispositionen über ihr Vermögen auf ihr Eigeninteresse an der Aufrechterhaltung ihrer Fähigkeit, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, angemessen Rücksicht zu nehmen und der dadurch ihre Existenz gefährdet; letztlich muss also immer noch eine geordnete Liquidation möglich sein. Eine Verletzung der vom BGH entwickelten Rücksichtnahmepflicht kann einen Treubruch i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB darstellen. Wer die Pflicht zur Respektierung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger während der Lebensdauer der GmbH missachtet, missbrauche – wie der BGH in der „KBVEntscheidung“ ergänzte – die Rechtsform der GmbH und verliere das Haftungsprivileg des § 13 Abs. 2 GmbHG, soweit – so die Rechtsprechung zunächst – nicht der der GmbH durch den Eingriff insgesamt zugeführte Nachteil bereits nach §§ 30, 31 GmbHG ausgeglichen werden kann.354) Das wurde jüngst im „Trihotel-Urteil“ des BGH allerdings modifiziert: Die Haftung knüpfe an die missbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse gebundenen Gesellschaftsvermögens an und sei daher – in Gestalt einer schadenersatzrechtlichen Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft – allein in § 826 BGB als einer besonderen Fallgruppe der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung anzusiedeln. Ansprüche aus dieser Haftung seien daher nicht – wie zunächst angenommen – gegenüber solchen aus §§ 30, 31 GmbHG subsidiär; vielmehr bestehe im Über-

___________ 353) BGHZ 149, 10 (Bremer Vulkan) = ZIP 2001, 1874 = NJW 2001, 3622 = LM H. 5/2002 § 309 AktG 1965 Nr. 1 (Schünemann) (Vorinstanz OLG Bremen ZIP 1999, 1671 = EWiR § 823 BGB 4/99, 1057 [W. Müller]); dazu Altmeppen, ZIP 2001, 1837; ders., ZIP 2002, 1553; ders., NJW 2002, 321; Decher, ZInsO 2002, 113; Henze, WM 2006, 1653, 1656 ff.; Hoffmann, NZG 2002, 68; Keßler, GmbHR 2001, 1095; Mödl, JuS 2003, 14; Mülbert, DStR 2001, 1937; Römermann/Schröder, GmbHR 2001, 1015; Karsten Schmidt, NJW 2001, 3577; Ulmer, ZIP 2001, 2021; Wilhelmi, DZWIR 2003, 45; grundsätzlich krit. Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034; Rubner, DStR 2005, 1694. 354) BGHZ 151, 181 (KBV) = ZIP 2002, 1578 = NJW 2002, 3024 = NZG 2002, 914 = NZI 2002, 626 = DStR 2002, 1822 = JZ 2002, 1047 (Ulmer); dazu Altmeppen, ZIP 2002, 1553 ff.; Wiedemann, ZGR 2003, 283 ff.

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schneidungsbereich Anspruchskonkurrenz.355) Das alles gilt auch (und wegen des größeren Schädigungspotentials zu Lasten der Gläubiger ohne die sonst erforderlichen zusätzlichen Kriterien einer Insolvenzverursachung oder –vertiefung) in der Liquidationsphase einer Gesellschaft.356) 5.174 Der neue Haftungsgrund schließt in erster Linie (überzeugend) die Lücke des Kapitalschutzsystems, die sich daraus ergibt, dass ein Abzug von Vermögen nach den §§ 30 ff. GmbHG zulässig wäre, wenn nur im Zeitpunkt des Vermögensabflusses deren Voraussetzungen eingehalten wurden, weil Verbindlichkeiten etwa aus Arbeitsverträgen erst am Folgetag entstehen.357) Tatbestandlich erfasst sie vor allem sog. „Sterbehauskonstruktionen“, bei denen der Gesellschaft das betriebsnotwendige (abgeschriebene) Vermögen entzogen wird und ihr die Schulden belassen werden.358) Nicht hierher gehört daher aber die Gründung einer Gesellschaft mit von vornherein unzureichender Kapitalausstattung („Aschenputtel-Gesellschaft“), da ein existenzvernichtender Eingriff – als besondere Fallgruppe von § 826 BGB – einen kompensationslosen „Eingriff“ in das Gesellschaftsvermögen voraussetzt, woran es bei einem Unterlassen fehlt.359) Die Haftung zwingt also – anders als etwa die denkbare Pflicht zu materieller Kapitalausstattung – nicht dazu, das vorhandene Haftungsvermögen in Krisenzeiten ___________ 355) BGHZ 173, 246 (Trihotel) = ZIP 2007, 1552 = NJW 2007, 2689 = EWiR § 826 BGB 3/07, 557 (Wilhelm) = WuB II C. § 13 GmbHG 1.08 (Reiner); dazu Altmeppen, NJW 2007, 2657; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34 ff.; Goette, ZInsO 2007, 1177, 1181 ff. (zum gleichwohl fortbestehenden gesellschaftsrechtlichen Charakter des Rechtsinstituts klarstellend Goette, ZInsO 2007, 1177, 1183); Paefgen, DB 2007, 1907; Theiselmann, GmbHR 2007, 904; für eine Durchgriffshaftung noch Bitter, WM 2001, 2133, 2137 ff. (dabei zugleich in Anlehnung an das US-Recht für die Differenzierung nach Gläubigergruppen); kritisch zur Ausgestaltung als Innenhaftung Guski, KTS 2010, 277, 286 ff. 356) BGHZ 179, 344 Tz. 35 ff. (Sanitary) = ZIP 2009, 802, 806 = NJW 2009, 2127 = NZG 2009, 545 = NZI 2009, 400 = ZInsO 2009, 878 = DStR 2009, 915. 357) Dazu ausführlich Röhricht, in: Festschrift aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000), S. 83, 93. 358) Existenzvernichtungshaftung durch planmäßigen Entzug von Gesellschaftsvermögen einer GmbH in Form einer „Vereinnahmung“ von Forderungen durch deren Alleingesellschafter daher bejahend BGH ZIP 2008, 308, 310 = NZG 2008, 187 = EWiR § 826 BGB 1/2008, 135 (H. P. Westermann); verneinend demgegenüber in einem vergleichbaren Fall, wenn der Gesellschafter zusätzlich in beträchtlichem Umfang aus eigenem Vermögen weitere Gesellschaftsschulden tilgt, BGH ZIP 2008, 1329 f. = NZG 2008, 597 = EWiR § 826 BGB 9/08, 681 (Blasche). 359) BGHZ 176, 204 (Gamma) = ZIP 2008, 1232, 1233 ff.= NJW 2008, 2437 = EWiR § 13 GmbHG 1/2008, 493 (Bruns) (abw. als Vorinstanz OLG Düsseldorf ZIP 2007, 227 = NZG 2007, 388 = EWiR § 19 GmbHG 1/07, 183 [Höpfner]); dazu Altmeppen, ZIP 2008, 1201; Gloger/C. Goette/Japing, ZInsO 2008, 1051; Heeg/Kehbel, DB 2008, 1787; Kleindiek, NZG 2008, 686; Strohn, ZInsO 2008, 706 (mit Hinweisen zur Unanwendbarkeit des Rechtsinstituts auf die AG und zur problematischen Anwendbarkeit auf „Schein-Auslandsgesellschaften“ [S. 711]); Veil, NJW 2008, 3264; Waclawik, DStR 2008, 1486; Weber/ Sieber, ZInsO 2008, 952.

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III. Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft

aktiv zu erweitern. Die Gesellschafter trifft daher – wie der BGH inzwischen ausdrücklich klarstellte – keine Fortführungspflicht im Interesse der Gläubiger, sondern nur die Pflicht, eine von ihnen getroffene Entscheidung für eine Liquidation im dafür vorgesehenen Verfahren durchzuführen.360) Reine Managementfehler begründen daher für sich genommen ebenso wenig eine Haftung wie ein Entzug von Sicherungsgut zugunsten eines Gläubigers.361) Deshalb begründet auch allein die Veräußerung des Gesellschaftsvermögens durch die Gesellschaftergeschäftsführer einer GmbH an eine (andere) von ihnen abhängige Gesellschaft noch keinen existenzvernichtenden Eingriff, solange die Vermögensgegenstände nicht unter Wert übertragen werden.362) Mit der Bremer-Vulkan-Entscheidung wurde zugleich ausdrücklich die bislang für möglich gehaltene Haftung des herrschenden Unternehmens wegen qualifizierter faktischer Konzernierung in Anlehnung an die §§ 302 ff. AktG (dazu unten Rz. 5.176 ff. und 8.153 f.) aufgegeben. Als Folge der Qualifikation der Rechtsfigur des existenzvernichtenden Ein- 5.175 griffs als einer Fallgruppe von § 826 BGB verlangt der BGH jetzt auch, dass Gesellschaftsgläubiger bzw. der Insolvenzverwalter alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts einschließlich der Kausalität darlegen und beweisen.363) Eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs trifft auch die Mitgesellschafter, die durch ihr Einverständnis mit dem Vermögensabzug an der Existenzvernichtung der Gesellschaft mitgewirkt haben, ohne selbst etwas empfangen zu haben;364) auch mittelbare Gesellschafter (beherrschende Gesellschafter von Gesellschaftern) sind von der Haftung erfasst.365) In allen diesen Fällen greift die regelmäßige Verjährungsfrist, die – auch bei einem Anspruch gegen einen mittelbaren Gesellschafter als Schuldner – erst zu laufen be___________ 360) BGH NZG 2005, 177 = NJW-RR 2005, 335 = ZIP 2005, 117 (Altmeppen mit Berichtigung S. 157) = EWiR § 13 GmbHG 1/05, 221 (Wilhelmi). 361) BGH NZG 2005, 214 = ZIP 2005, 250; dazu Gehrlein, BB 2005, 613; Lieder, DZWIR 2005, 309. 362) BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 Tz. 25 ff. = NZG 2012, 667 = NZI 2012, 517 = DStR 2012, 1144 = EWiR § 30 GmbHG 1/12, 415 (Paefgen/Dettke). 363) BGHZ 173, 246 (Trihotel) = ZIP 2007, 1552, 1558 = NJW 2007, 2689 = EWiR § 826 BGB 3/07, 557 (Wilhelm) = WuB II C. § 13 GmbHG 1.08 (Reiner) (für weitergehende Beweiserleichterungen als Vorinstanz noch OLG Rostock ZIP 2004, 118, 120 ff. = NZG 2004, 385 = EWiR § 13 GmbHG 1/04, 231 [Bähr/Hoos]); zur Möglichkeit des Gegenbeweises, dass der Gesellschaft durch den Eingriff nur ein begrenzter und daher auch nur insoweit ausgleichspflichtiger Schaden entstanden sei, bereits BGH NZG 2005, 177 = NJW-RR 2005, 335 = ZIP 2005, 117 (Altmeppen mit Berichtigung S. 157) = EWiR § 13 GmbHG 1/05, 221 (Wilhelmi). 364) BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848 = DStR 2002, 1010 = NJW 2002, 1803 = EWiR § 31 GmbHG 1/02, 679 (Blöse) = LM H. 9/2002 § 6 GmbHG Nr. 3 (G. H. Roth); dazu Altmeppen, ZIP 2002, 961. 365) BGH NZG 2005, 177 = NJW-RR 2005, 335 = ZIP 2005, 117 (Altmeppen mit Berichtigung S. 157) = EWiR § 13 GmbHG 1/05, 221 (Wilhelmi); OLG Rostock ZIP 2004, 118, 120 ff. = NZG 2004, 385 = EWiR § 13 GmbHG 1/04, 231 (Bähr/Hoos).

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

ginnt, wenn dem Gläubiger sowohl die anspruchsbegründenden Umstände als auch die Umstände bekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der mittelbare Gesellschafter als Schuldner in Betracht kommt (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).366) 5.175a Eine vergleichbare Zielrichtung wie die vom BGH entwickelte Existenzvernichtungshaftung haben inzwischen die durch das MoMiG verschärften, gegen die Geschäftsleiter gerichteten Zahlungsverbote (oben Rz. 3.100 ff.). 5.

Qualifizierter faktischer Konzern

5.176 Einen weiteren Ansatz für die Haftung der Gesellschafter bildet die Annahme einer Verlustausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens im Konzern, wenn es sich um einen qualifizierten faktischen Konzern handelt. Eine solche Haftung des herrschenden Unternehmens sieht das Gesetz in § 302 AktG vor, wenn es mit dem beherrschten Unternehmen einen Beherrschungsvertrag geschlossen hat. (Die zum Konzernrecht gehörenden Einzelheiten dieses Instruments können hier nicht vorgestellt werden.) Die Wissenschaft hatte gefordert, diese Regelung entsprechend auch auf solche „faktischen“ Unternehmensverbindungen anzuwenden, die in ihrer Intensität der Situation bei Abschluss eines Beherrschungsvertrages vergleichbar sind – nämlich bei qualifizierter faktischer Konzernierung.367) 5.177 Sie führt jedenfalls für die nicht ausreichend finanzierten Unternehmen, die von anderen Unternehmen abhängig sind, zu einer Haftung der Gesellschafter. Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des BGH griff diesen Ansatz jedoch zunächst nicht auf.368) Als er sich dann aber in den Grundsatzurteilen Autokran – Tiefbau – Video369) die Vorschläge der Wissenschaft zur Erstreckung der Verlustausgleichspflicht auf „qualifizierte faktische Konzerne“ doch zu eigen machte, löste dies einen Aufschrei insbesondere bei den Rechtsberatern mittelständischer Unternehmen aus. Es war von einem „Erdbeben“ die Rede,370) das zur „Beseitigung der Haftungsbeschränkung“ bei der GmbH führe.371) Denn die Verlustausgleichshaftung im Konzern betraf vor allem kleinere ___________ 366) BGH ZIP 2012, 1804 = NJW 2012, 3231 = NJW-RR 2012, 1240 = NZG 2012, 1069 = DStR 2012, 2025. 367) Vgl. vor allem Arbeitskreis GmbH-Reform (Hueck/Lutter/Mertens/Rehbinder/Ulmer/ Wiedemann/Zöllner). Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform, Bd. 2, 1972: § 255a E-GmbHG. 368) Vgl. vor allem BGHZ 68, 312 (Typenhaus) = NJW 1977, 1449. 369) BGHZ 95, 330 (Autokran) = ZIP 1985, 1263 = EWiR § 13 GmbHG 3/85, 885 (Hommelhoff); BGHZ 107, 7 (Tiefbau) = ZIP 1989, 440 = EWiR § 302 AktG 1/89, 431 (Fleck); BGHZ 115, 187 (Video) = ZIP 1991, 1354 = EWiR § 302 AktG 1/91, 945 (Altmeppen). 370) So der Titel des Beitrages von Knobbe-Keuk, DB 1992, 1461. 371) So Timm, GmbHR 1992, 213, 218 f.; ders., NJW 1992, 2185, 2188.

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III. Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft

und mittelständische Unternehmen,372) was unter anderem darauf zurückzuführen war, dass als herrschendes Unternehmen – als „Konzernspitze“ – auch eine natürliche Person in Betracht kommt.373) Die vehemente Kritik in Rechtswissenschaft und Beratungspraxis brachte den 5.178 BGH daher am 29. März 1993 in „TBB“ dazu, die Voraussetzungen einer Verlustausgleichspflicht wegen qualifizierter faktischer Konzernierung deutlich zurückzunehmen.374) Danach haftete ein herrschendes Unternehmen nur dann analog §§ 302, 303 AktG, wenn es die Konzernleitungsmacht in einer Weise ausübt, die keine angemessene Rücksicht auf die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft nimmt, ohne dass sich der ihr zugefügte Nachteil durch Einzelausgleichsmaßnahmen kompensieren ließe. Die dauernde und umfassende Ausübung der Leitungsmacht allein sollte – anders als noch im Video-Urteil formuliert – nicht die Vermutung begründen, dass keine angemessene Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft genommen worden ist. Der Kläger musste vielmehr Umstände darlegen und beweisen, die für eine solche Annahme sprechen; dabei konnten die Gerichte ihm jedoch Beweiserleichterungen gewähren.375) Parallel dazu hatte der Gesetzgeber schon zuvor die Sonderregelung des § 28a EGAktG geschaffen, mit der eine Konzernhaftung der Treuhandanstalt (heute: Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben) für die von ihr beherrschten Unternehmen ausgeschlossen werden sollte; sie flankiert die schon in anderem Zusammenhang erwähnte Freistellung der Bundesbehörde von den Regeln über die früheren kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen (dazu oben Rz. 5.158 ff.). Die schon angesprochene verschärfte Haftung des Geschäftsführers für die 5.179 verspätete Beantragung des Insolvenzverfahrens (dazu oben Rz. 3.113 ff.) war auch ein Ausgleich für die in Tatbestand und Beweislastverteilung durch die TBB-Entscheidung abgemilderte Rechtsprechung desselben Senats zur Verlustausgleichspflicht im qualifizierten faktischen Konzern. Die Änderung der

___________ 372) Vgl. die provokante Frage von Karsten Schmidt, ZIP 1991, 1325, 1329: „Qualifizierte faktische GmbH-Konzerne, wohin man sieht?“. 373) Vgl. vor allem BGHZ 115, 187, 189 (Video) = ZIP 1991, 1354, 1355 = EWiR § 302 AktG 1/91, 945 (Altmeppen); BGHZ 122, 123, 127 (TBB) = ZIP 1993, 589, 592 = EWiR § 302 AktG 2/93, 327 (Altmeppen). 374) BGHZ 122, 123, 130 ff. (TBB) = ZIP 1993, 589, 593 f. = NJW 1993, 1200 = EWiR § 302 AktG 2/93, 327 (Altmeppen); dazu Altmeppen, DB 1994, 1912; Drygala, GmbHR 1993, 317; Ebenroth/Wilken, ZIP 1993, 558; Hommelhoff, ZGR 1994, 395; Kleindiek, DZWir 1993, 177; Kowalski, GmbHR 1993, 253; Krieger, ZGR 1994, 375; Karsten Schmidt, ZIP 1993, 549; Westermann, ZIP 1993, 554. 375) Dem für einen Fall der Betriebsaufspaltung verbal folgend, aber i. E. deutlich weitergehend als der BGH, BAG ZIP 1999, 723 = NZA 1999, 543 = EWiR § 322 AktG 1/99, 537 (Bork); krit. dazu Henssler, ZGR 2000, 479; Windbichler, RdA 1999, 146.

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§ 5 Finanzverfassung – System des festen Nennkapitals

Rechtsprechung zur Geschäftsführerhaftung war nämlich bereits im TBB-Urteil angedeutet worden.376) 5.180 Diese Rechtsprechung zur Verlustausgleichspflicht im qualifizierten faktischen Konzern wurde zunächst zwar in ihrer Schärfe zurückgenommen, keineswegs aber aufgegeben.377) Auch hielt der BGH trotz aller Kritik daran fest, dass eine natürliche Person herrschendes Unternehmen sein könne.378) Zudem stellte er fest, dass auch ein Freiberufler – im konkreten Fall ging es um einen Architekten – ein „herrschendes Unternehmen“ im konzernrechtlichen Sinne darstellen könne.379) Durch die Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff (oben Rz. 5.172 ff.) hat der „qualifizierte faktische Konzern“ aber seine Bedeutung als Grundlage für Haftungsansprüche gegen Gesellschafter zumindest weitgehend verloren.

___________ 376) BGH ZIP 1993, 589, 591 (TBB) = EWiR § 302 AktG 2/93, 327 (Altmeppen) (insoweit nicht in BGHZ 122, 123 abgedruckt): „Es besteht in dieser Sache zur Zeit kein Anlass zur Prüfung, ob an dieser [= der früheren] Rechtsprechung festzuhalten ist. Denn es kommt darauf für die Entscheidung nicht an […].“ Auf diese Perspektive wies bereits Goette, DStR 1993, 568, 569 in aller Deutlichkeit hin. Der Hinweis wurde in der nächsten Konzernhaftungsentscheidung BGH ZIP 1994, 207, 209 (Softec) = NJW 1994, 446 (Karsten Schmidt) = EWiR § 302 AktG 1/94, 213 (Hirte) nochmals wiederholt. 377) Vgl. etwa BGH ZIP 1996, 637 (GmbH-Stafette) = DZWir 1996, 242 (Kowalski); zur früheren Rechtsprechung noch Cahn, ZIP 2001, 2159; Kiethe/Groschke, NZG 2001, 504; Ulmer (Hrsg.), Haftung im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern – verbleibende Relevanz nach dem TBB-Urteil, ZHR-Beiheft 70 (2002); eine Haftung wegen qualifizierter faktischer Konzernierung bejahte noch OLG Oldenburg, EWiR § 302 AktG 1/01, 147 mit zust. Anm. Reiff. 378) Vgl. BGH ZIP 1994, 207, 208 (Softec) = NJW 1994, 446 (Karsten Schmidt) = EWiR § 302 AktG 1/94, 213 (Hirte); dazu Raiser, ZGR 1995, 156. 379) BGH ZIP 1994, 1690 (Freiberufler-Konzern) = JZ 1995, 519 (Hirte) = EWiR § 302 AktG 1/95, 15 (Westermann); BGH ZIP 1995, 733 = NJW 1995, 1544 (Vorinstanz OLG München ZIP 1994, 1776); dazu Kulka, DZWir 1995, 45; Karsten Schmidt, ZIP 1994, 1741.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen Literatur: Bayer, Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluß und Vermögensschutz der Aktionäre nach § 255 Abs. 2 AktG, ZHR 163 (1999), 505; Bärwaldt/Schabacker, Der Formwechsel als modifizierte Sachgründung, ZIP 1998, 1293; Beuthien/Helios, Die Umwandlung als transaktionslose Rechtsträgertransformation, NZG 2006, 369; Bork, Beschlußverfahren und Beschlußkontrolle nach dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts, ZGR 1993, 343; Brocker, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, BB 2010, 971; Cahn, Pflichten des Vorstandes beim genehmigten Kapital mit Bezugsrechtsausschluß, ZHR 163 (1999), 554; Engelmayer, Das Spaltungsverfahren bei der Spaltung von Aktiengesellschaften, AG 1996, 817; Hennrichs, Zum Formwechsel und zur Spaltung nach dem neuen Umwandlungsgesetz, ZIP 1995, 794; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986; ders., Die Behandlung unbegründeter oder mißbräuchlicher Gesellschafterklagen im Referentenentwurf eines Umwandlungsgesetzes, DB 1993, 77; Kalss, Gläubigerschutz bei Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften, ZGR 2009, 74; Kallmeyer, Aktienoptionspläne für Führungskräfte im Konzern, AG 1999, 97; Martens, Richterliche und gesetzliche Konkretisierungen des Bezugsrechtsausschlusses, ZIP 1994, 669; Kai Mertens, Zur Universalsukzession in einem neuen Umwandlungsrecht, AG 1994, 66; Rieble, Verschmelzung und Spaltung von Unternehmen und ihre Folgen für Schuldverhältnisse mit Dritten, ZIP 1997, 301; Riegger/ Schockenhoff, Das Unbedenklichkeitsverfahren zur Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister, ZIP 1997, 2105; Schöne, Die Spaltung unter Beteiligung von GmbH, 1998; Ulmer, Rechtsfragen der Barkapitalerhöhung bei der GmbH, GmbHR 1993, 189; Veil, Aktuelle Probleme im Ausgliederungsrecht, ZIP 1998, 361; Volhard, „Siemens/Nold“: Die Quittung, AG 1998, 397; Weiß, Aktienoptionsprogramme nach dem KonTraG, WM 1999, 353; Wiedemann, Identität beim Rechtsformwechsel, ZGR 1999, 568; Wirth, Vereinfachte Kapitalherabsetzung zur Unternehmenssanierung, DB 1996, 867.

I.

Satzungsänderung

1.

Allgemeines

Die ursprüngliche Satzung einer Gesellschaft kann aus den verschiedensten Grün- 6.1 den den aktuellen Bedürfnissen nicht mehr angemessen sein. In diesen Fällen besteht die Möglichkeit, sie zu ändern. Da damit die „Geschäftsgrundlage“ der Gesellschaft nachträglich geändert wird, bedarf es eines Schutzes derjenigen Gesellschafter, die der Satzungsänderung widersprechen. Dieser Schutz wird im Gesellschaftsrecht in erster Linie dadurch verwirklicht, dass für eine Satzungsänderung eine besonders hohe Mehrheit in der Gesellschafterversammlung verlangt wird (§ 179 Abs. 2 Satz 1 AktG: drei Viertel des in der Hauptversammlung vertretenen Kapitals [nach Art. 16 [früher Art. 14] der Zweiten Richtlinie ausdrücklich nicht europarechtlich koordiniert]; § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG: drei Viertel der in der Gesellschafterversammlung abgegebenen Stimmen).1) Bei der Aktiengesellschaft tritt die genannte Mehrheit neben die für jeden Hauptversammlungsbeschluss er___________ 1)

Zur Erstreckung dieses Grundsatzes auf satzungsauslegende Beschlüsse, mit denen über die fragliche Satzungskonformität bestimmter Maßnahmen (etwa einer Anteilsveräußerung) entschieden werden soll, BGH ZIP 2003, 116, 118 f. = NJW-RR 2003, 826 = NZG 2003, 127.

421

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

forderliche (einfache) Stimmenmehrheit nach § 133 Abs. 1 AktG, was sich aber nur bei einem Auseinanderfallen von Stimmenzahl und Kapitalbeteiligung auswirkt (dazu oben Rz. 3.260 f.). Lediglich in der Aktiengesellschaft kann die (ursprüngliche) Satzung geringere Anforderungen an eine Satzungsänderung stellen, und dies auch nicht für eine Änderung des Unternehmensgegenstandes (§ 179 Abs. 2 Satz 2 AktG). Unter den Voraussetzungen des § 179 Abs. 3 AktG ist ein Sonderbeschluss erforderlich (dazu oben Rz. 3.267). Im Übrigen sind Verschärfungen der gesetzlichen Hürden zulässig und gebräuchlich. In der Aktiengesellschaft ist es zudem zulässig und gebräuchlich, den Aufsichtsrat zu bloßen Fassungsänderungen der Satzung zu ermächtigen (§ 179 Abs. 1 Satz 2 AktG); diese Möglichkeit ist etwa im Zusammenhang mit der Umrechnung satzungsmäßiger Betragsangaben in Euro von Bedeutung (dazu unten Rz. 6.72 ff.). 6.2 Eine eigenständige Regelung des Komplexes der Satzungsänderung findet sich in der SE-Verordnung aus den Gründen nicht, die bislang auch den Erlass einer Fünften EG-Richtlinie verhindert haben (oben Rz. 1.75). Art. 59 Abs. 1 SE-VO sieht bezüglich der Satzungsänderung lediglich vor, dass die Änderung der Satzung eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf, der mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gefasst wurde, sofern nicht das nationale Aktienrecht eine höhere Mehrheit vorsieht.2) Von der Möglichkeit des Art. 59 Abs. 2 SE-VO, die einfache Stimmenmehrheit ausreichen zu lassen, wenn zugleich mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist, hat Deutschland durch § 51 Satz 1 SEAG Gebrauch gemacht. Die Regelung lehnt sich an § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG an, allerdings mit der für das sonstige deutsche Recht untypischen Ergänzung um ein Mindestquorum. § 51 Satz 2 SEAG schließt eine Absenkung der Mehrheit zudem (klarstellend) in Fällen der Sitzverlegung (Art. 8 Abs. 6 VO) sowie dann aus, wenn eine höhere Kapitalmehrheit gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist. 6.3 Auch wenn es an einer förmlichen Satzungsänderung (etwa des Unternehmensge-

genstandes) fehlt, bedarf es doch eines Beschlusses der Hauptversammlung mit satzungsändernder Mehrheit, wenn eine Aktiengesellschaft sich zur Übertragung ihres gesamten Vermögens auf einen Dritten verpflichtet (§ 179a AktG). Der hier erforderliche Zustimmungsbeschluss zu dem abzuschließenden Vertrag soll die Gesellschafter davor schützen, dass – sozusagen „durch die Hintertür“ – die Struktur ihrer Gesellschaft durch eine Vermögensübertragung geändert wird.3) Denn solche Über-

___________ 2)

3)

422

Umstritten ist, ob und ggf. in welcher Weise das Kapitalmehrheitserfordernis aus § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG für die SE gilt; zum Meinungsstand Kiem, KK, Art. 57 SE-VO Rz. 30-39, Art. 59 SE-VO Rz. 15-17. Hierzu ausführlich Rühland, WM 2002, 1957 ff.; zum Umfang der Informationspflichten in einem solchen Fall BGHZ 146, 288 (Altana/Milupa) = ZIP 2001, 416 = NJW 2001, 1277 = DStR 2001, 582 = NZG 2001, 405 = LM § 119 AktG Nr. 2 (Mülbert) (Vorinstanz OLG Frankfurt/M. ZIP 1999, 842 = NZG 1999, 887 = EWiR § 119 AktG 1/99, 535 [Schüppen]); OLG München ZIP 2002, 1353, 1354 = NZG 2002, 678 = EWiR § 52 AktG a. F. 1/02, 1029 (Schwab); hierzu Drinkuth, AG 2001, 256; Schockenhoff, NZG 2001, 921; Tröger, ZHR 165 (2001), 593; ders., ZIP 2001, 2029.

I. Satzungsänderung

tragungen, die nicht selten auch im Rahmen einer Liquidation vorgenommen werden (dazu unten Rz. 7.6 ff.), sind besonders kritisch, wenn sie an den Mehrheitsaktionär erfolgen. Dabei ist umstritten, ob über die aktienrechtlichen Anforderungen hinaus auch die Normen des Umwandlungsgesetzes zu beachten sind (dazu unten Rz. 6.167 ff., 6.177 f.), das den Sachverhalt im Übrigen nicht direkt erfasst (dazu unten Rz. 6.203 ff.). Als gesichert gilt aber, dass von einer zustimmungspflichtigen Übertragung des ganzen Vermögens bereits ausgegangen werden kann, wenn nur noch unwesentliches Restvermögen zurückbleibt.4)

Von den genannten Mehrheitserfordernissen abgesehen haben Rechtsprechung 6.4 und Wissenschaft zahlreiche inhaltliche Schranken entwickelt, die gewährleisten sollen, dass sich ein Gesellschafter nicht plötzlich infolge einer Satzungsänderung „in einer anderen Gesellschaft“ wiederfindet. Auf diese Instrumente wurde im Zusammenhang mit der Beschlusskontrolle schon hingewiesen (oben Rz. 3.290 ff.). Für den Bereich börsennotierter Aktiengesellschaften wird die Notwendigkeit 6.5 eines so weitreichenden Kontrollinstrumentariums in der jüngeren Zeit zunehmend in Frage gestellt. Da der Aktionär hier in erster Linie ein nur vermögensmäßig interessierter Anleger sei, bedürfe er keines Bestandsschutzes; ausreichend sei, dass bei Satzungs- und Strukturänderungen der Wert seiner Beteiligung geschützt sei. Sofern dies der Fall sei, könne ihm bei einer von ihm nicht akzeptierten Entscheidung ein Ausscheiden gegen volle Entschädigung zugemutet werden (dazu auch unten Rz. 7.6).5) Sicher aber kann man die Börsennotierung als Charakteristikum einer Aktien- 6.6 gesellschaft ansehen, obwohl die Notierung im Verhältnis zur Börse „nur“ aufgrund eines Antrages der Vertretungsorgane der Gesellschaft und eines Verwaltungsaktes der Geschäftsführung der Börse herbeigeführt wird. Für den Anleger ist die Börsenzulassung insoweit essentiell, als sie ihm die Möglichkeit bietet, sich jederzeit zu Marktbedingungen von seinem Investment zu trennen; aus der Sicht der Gesellschaft bzw. der Aktionärsmehrheit können die mit der Aufrechterhaltung einer Börsennotierung verbundenen Kosten aber außer Verhältnis zur damit verbundenen Verbesserung der Möglichkeiten der Kapitalaufbringung stehen. Auch mit Blick auf die unterschiedliche rechtliche Behandlung börsennotierter und nicht börsennotierter Gesellschaften (vgl. § 3 Abs. 2 AktG; dazu oben Rz. 1.19), stellt sich aber die Frage, wie man die Herbeiführung der Zulassung und insbesondere die Rücknahme des Zulassungsantrages („Delisting“) innergesellschaftlich behandeln muss. Der BGH hatte im „Macrotron-Urteil“ inso___________ 4)

5)

BGHZ 83, 122, 128 (Holzmüller) = ZIP 1982, 568 = NJW 1982, 1703 (AG); ebenso für den Verkauf der einzigen als Beteiligung gehaltenen Gesellschaft OLG Celle ZIP 2001, 613, 615 f. (Allied Signal Deutschland) = NZG 2001, 409 = EWiR § 119 AktG 2/01, 651 (Windbichler); insoweit abw. OLG Hamm ZIP 2008, 832, 834 (Arcandor): Veräußerung einer Beteiligung kein Holzmüller-Fall; zu den Rechtsfolgen (Möglichkeit, die Veräußerung einer Beteiligung durch einstweilige Verfügung zu untersagen) LG Duisburg NZG 2002, 643 (Babcock Borsig) = EWiR § 119 AktG 1/02, 839 (Sinewe). Ausführlich Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt (1995), S. 259 ff.; dazu Hirte, WM 1997, 1001, 1003 ff.

423

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

weit zunächst ausgeführt, dass die Rücknahme der Zulassung eines Beschlusses der Hauptversammlung mit mindestens einfacher Mehrheit bedürfe; denn durch das Delisting werde die Verkehrsfähigkeit der Aktie und dadurch das Aktieneigentum (Art. 14 GG) erheblich beeinträchtigt. Zudem sei ein Pflichtangebot der Gesellschaft oder des Großaktionärs über den Kauf der Aktien der Minderheit erforderlich, dessen Angemessenheit im Spruchverfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit überprüft werden können müsse. Für den erforderlichen Hauptversammlungsbeschluss bedürfe es jedenfalls dann keines schriftlichen Berichts, wenn der Vorstand die Maßnahme in der Hauptversammlung umfassend erläutere; auch scheide eine materielle Beschlusskontrolle aus.6) Das gegen diesen Ansatz angerufene Bundesverfassungsgericht sah demgegenüber aber in einem Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt („Segmentwechsel“) auf Antrag des Emittenten keinen Eingriff in den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs i. S. v. Art. 14 Abs. 1 GG, weil die möglicherweise faktisch gesteigerte Verkehrsfähigkeit der Aktie in diesem Marktsegment nicht an der Gewährleistung des Aktieneigentums teilnehme. Andererseits verstoße es nicht gegen die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG, wenn die Fachgerichte für den vollständigen Rückzug einer Gesellschaft von der Börse im Wege einer Gesamtanalogie ein gerichtlich überprüfbares Pflichtangebot der Gesellschaft oder ihres Hauptaktionärs an die übrigen Aktionäre verlangten.7) Vor diesem Hintergrund nahm der Bundesgerichtshof in seinem „Frosta“-Beschluss eine vollständige Abkehr von seiner bisherigen Position vor: Entgegen der früheren „Macrotron“Rechtsprechung hätten die Aktionäre beim Widerruf der Zulassung einer Aktie zum Handel im regulierten Markt auf Veranlassung der Gesellschaft keinen Anspruch auf eine Barabfindung; es bedürfe auch weder eines Beschlusses der Hauptversammlung für diese Maßnahme noch eines Pflichtangebotes.8) Die bislang in diesem Zusammenhang genutzten zivilrechtlichen Rechtsbehelfe seien ___________ 6)

7)

8)

424

BGHZ 153, 47, 53 ff. = ZIP 2003, 387 (Streit) = NJW 2003, 1032 = DB 2003, 544 (Heidel) = JZ 2003, 680 (Lutter); Berufungsinstanz OLG München ZIP 2001, 700, 703 ff. (Macrotron) = NZG 2001, 519 = DStR 2001, 950 = EWiR § 119 AktG 1/01, 459 (Mutter) (Vorinstanz LG München I ZIP 1999, 2017 = DB 1999, 2458 [Martinius/Schiffer] = BB 1999, 2634 = NZG 2000, 273 = EWiR § 43 BörsG 1/2000, 75 [Kiem]); für eine Anwendung (zumindest) der Regelungen über Satzungsänderungen (Änderung des Inhalts der Aktienrechte i. S. v. § 11 AktG) zuvor Hirte, in: Karsten Schmidt/Riegger, Gesellschaftsrecht 1999. RWS-Forum (2000), S. 211, 240 f.; ders., NJW 2000, 3321, 3325; gegen ein Pflichtangebot und abw. hinsichtlich des Grundrechtsschutzes der Verkehrsfähigkeit der Aktie zuvor Mülbert, ZHR 165 (2001), 104, 113 ff., 137 ff. BVerfG, Erster Senat (Urt. v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07 und 1 BvR 1569/08), ZIP 2012, 1402 = NJW 2012, 3081 = NZG 2012, 826 = EWiR Art. 14 GG 1/12, 483 (Schatz); dazu Bungert/ Wettich, DB 2012, 2265; Goetz, BB 2012, 2767; Klöhn, NZG 2012, 1041; Reger/Schilha, NJW 2012, 3066; Thomale, ZGR 2013, 686. BGH ZIP 2013, 2254 (Frosta) = NZG 2013, 1342; dazu Schockenhoff, ZIP 2013, 2429; Wasmann/Glock, DB 2014, 105; kritisch (da der notwendige Aktionärsschutz auch auf der Grundlage des einfachen Gesetzesrechts erreichbar sei) Stöber, BB 2014, 9.

I. Satzungsänderung

auch deshalb nicht erforderlich, weil – wie das Gericht ausführte – das Kapitalmarkt-Aufsichtsrecht „ausreichende Ansatzpunkte für einen angemessenen, mit Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Zulassung [nach § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG] durchsetzbaren Schutz der betroffenen Aktionäre [böte]“.9) Damit ist der daneben bestehende öffentlich-rechtliche Schutz angesprochen Zur börsenrechtlichen Regelung des Delisting im früheren § 43 Abs. 4 BörsG (heute § 39 Abs. 2 BörsG) entschied nämlich das VG Frankfurt am Main, dass sie drittschützend sei und den von einem Delisting betroffenen Anlegern eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO einräume, aufgrund derer sie die Rechtmäßigkeit eines Delisting überprüfen lassen können. Dabei sei entscheidend darauf abzustellen, ob für die noch handelbaren Papiere die Bedingungen eines funktionierenden Marktes erfüllt sind.10) Gleichwohl werden diese Regelungen verbreitet nicht für ausreichend gehalten: Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Aktienrechtsnovelle 2014 um Prüfung gebeten, wie die wirtschaftlichen Interessen von Minderheitsaktionären von Aktiengesellschaften, deren Aktien zum Handel an einer Börse zugelassen sind, im Falle eines Rückzuges der Gesellschaft von der Börse besser geschützt werden könnten;11) es ist daher damit zu rechnen, dass (wieder) zivilrechtliche Regelungen geschaffen werden, mit denen dieser Schutz verwirklicht wird.12) Diese ursprüngliche Rechtsprechung hatte zwischenzeitlich in Form einer Ergän- 6.7 zung von § 29 Abs. 1 UmwG auch auf die indirekten Möglichkeiten, die Börsennotierung aufzugeben („cold delisting“), ausgestrahlt (dazu unten Rz. 6.156). Das gleiche Ergebnis eines Entfallens der Börsenzulassung kann nämlich durch Verschmelzung einer börsennotierten Gesellschaft auf eine nicht börsennotierte (§ 2 UmwG) oder durch deren Formwechsel in eine nicht börsenfähige Rechtsform (§ 228 UmwG) erreicht werden (dazu unten Rz. 6.208); auch eine Vermögensübertragung aller Aktiva auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft kommt in Frage. Durch die inzwischen eingeführte Möglichkeit des Ausschlusses von Minderheitsaktionären nach §§ 327a ff. AktG (dazu oben Rz. 4.93) haben diese Möglichkeiten aber deutlich an Bedeutung verloren. Die Beschlüsse über Satzungsänderungen bedürfen der Beurkundung (Art. 11 6.8 [früher Art. 10] Erste Richtlinie, § 130 Abs. 1 AktG, § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG) und sind zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (Art. 2 Abs. 1 c Erste Richtlinie, § 181 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 54 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Dabei sind die eintragungspflichtigen Änderungen konkret anzugeben, wobei auch eine ___________ 9) A. a. O. Tz. 16. 10) VG Frankfurt/M. ZIP 2002, 1446, 1447 ff. (Macrotron) = NZG 2002, 830 (Ls.) = EWiR § 43 BörsG a. F. 1/02, 953 (Wilsing/Kruse). 11) Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 22/15 (Beschluss), S. 7 f. 12) Siehe in diesem Zusammenhang auch den Vorschlag des Verfassers, das Problem durch eine Änderung des Spruchverfahrensgesetzes anzugehen; dazu Hirte, SpruchZ 2015, 164 (abrufbar auch unter http://www.heribert-hirte.de/images/Standpunkte/Delisting_Stand20150506.pdf).

425

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

schlagwortartige Hervorhebung genügt.13) Die Eintragung in das Handelsregister ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Satzungsänderung (§ 181 Abs. 3 AktG, § 54 Abs. 3 GmbHG). Dem Registergericht steht dabei eine selbständige Prüfungsbefugnis der Rechtmäßigkeit der Satzungsänderung zu, die neben die Möglichkeit tritt, den satzungsändernden Beschluss durch Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage zu Fall zu bringen (dazu oben Rz. 3.297a); das Registergericht nimmt damit auch die Funktion einer Rechtsaufsichtsbehörde wahr, in Bezug auf börsennotierte Gesellschaften einer Kapitalmarktaufsicht.14) Eine bereits erhobene Klage gegen einen Beschluss kann daher – selbst wenn sie unbegründet ist – zur Aussetzung des Eintragungsverfahrens führen. Da eine Eintragung aus diesem Grund häufig nicht vorgenommen wird, solange eine Anfechtungsklage gegen den Satzungsänderungsbeschluss anhängig ist, kann die Durchführung von Satzungsänderungen vor allem bei börsennotierten Aktiengesellschaften schwierig sein. Denn hier werden solche Beschlüsse häufig von Kleinaktionären systematisch – und inhaltlich oft zu Recht – wegen rechtlicher Mängel angegriffen. Die Gesellschaften versuchen die dadurch entstehende zeitliche Drucksituation durch Zahlungen an die klagenden Aktionäre zu „entschärfen“ (dazu bereits oben Rz. 3.294 ff.). Andererseits hindert die Eintragung einer Satzungsänderung grundsätzlich auch nicht die Erhebung einer Anfechtungsklage; nur im Fall des § 16 Abs. 3 UmwG ist dies anders (dazu unten Rz. 6.147 ff.). 2.

Satzungsdurchbrechung

6.9 Von Satzungsbestimmungen kann nur durch formelle Satzungsänderung abgewichen werden. Deshalb ist zunächst ein Verhalten der Gesellschaftsorgane unzulässig, das tatsächlich zu einer Änderung der Satzung führt, ohne dass das dafür erforderliche Verfahren eingehalten wurde. Als faktische Satzungsänderung unzulässig ist aber auch ein Vorgehen, das die Satzung unberührt lässt, in ihrer Wirkung aber mittelbar ändert.15) 6.10 Etwas anders liegen die Dinge, wenn das für die Satzungsänderung zuständige Organ mit den entsprechenden Mehrheiten ein Abweichen von der Satzung beschließt, das für die Satzungsänderung erforderliche Verfahren aber – etwa bezüglich der Eintragung – nur teilweise einhält. Eine solche Satzungsdurchbrechung wird teilweise dann für zulässig gehalten, wenn sie nur zu einem einmaligen „punktuellen“ Abweichen von der Satzung führt.16) Unzulässig ist ___________ 13) Für die GmbH BGH NJW 1987, 3191 = WuB II C. § 54 GmbHG 1.87 (Messer); OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 400; OLG Hamm ZIP 2001, 2229, 2230 = NJW-RR 2002, 37 (gilt selbst für völlige Neufassung der Satzung); für die AG Wiedemann, in: GroßK, § 181 AktG Rz. 13. 14) Wiedemann, in: GroßK, vor § 182 AktG Rz. 82. 15) Wiedemann, in: GroßK, § 179 AktG Rz. 96. 16) BGH ZIP 1981, 1205, 1206 f. = WM 1981, 1218, 1219; krit. aber Grunewald, GesR, § 13 Rz. 106 (GmbH); Wiedemann, in: GroßK, § 179 AktG Rz. 99.

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II. Kapitalmaßnahmen

eine Satzungsdurchbrechung aber jedenfalls dann, wenn sie zu einer dauerhaften Abweichung von der Satzung führen soll, und zwar selbst dann, wenn ihr alle Gesellschafter in einer außerhalb der Satzung getroffenen Vereinbarung zustimmen. Damit wird überzeugend der Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter durch Verfahren gestärkt. In einem vom BGH entschiedenen Fall hatten die Gesellschafter die in der Satzung festgelegte Dauer der Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder an der Satzung vorbei verlängern wollen.17) II. Kapitalmaßnahmen Einen Sonderfall der Satzungsänderung bilden die sog. Kapitalmaßnahmen 6.11 (Artt. 29 ff. [früher Artt. 25 ff.] Zweite Richtlinie, §§ 182 ff. AktG, §§ 55 ff. GmbHG). Dies sind Veränderungen des in der Satzung ausgewiesenen Nennkapitals nach oben (Kapitalerhöhung) oder nach unten (Kapitalherabsetzung). Erfasst sind damit nicht Veränderungen im Bereich des Fremdkapitals, also etwa die Aufnahme oder die Rückzahlung von Darlehen, mögen diese auch einen viel größeren Umfang aufweisen. Dies wird in manchen ausländischen Gesellschaftsgesetzen anders gesehen, die auch die Aufnahme von Darlehen durch Ausgabe von Schuldverschreibungen ähnlich einer Kapitalerhöhung behandeln.18) Sowohl bei der Kapitalerhöhung als auch bei der Kapitalherabsetzung wird weiter danach unterschieden, ob sie mit Einzahlungen durch die Gesellschafter bei der Kapitalerhöhung bzw. mit Rückzahlungen an sie bei der Kapitalherabsetzung verbunden ist oder nicht. Wird bei den Kapitalmaßnahmen Geld ein- bzw. ausgezahlt (bzw. andere Vermögensgegenstände eingebracht oder zurückgewährt), spricht man von einer effektiven Kapitalerhöhung bzw. -herabsetzung. Im Übrigen handelt es sich um eine nominelle Kapitalerhöhung bzw. -herabsetzung. Der zentrale Bereich der Kapitalmaßnahmen ist für die Europäische Aktien- 6.12 gesellschaft in der SE-Verordnung ebenso wenig geregelt wie die Satzungsänderung. Vor allem hier dürfte sich die bereits angesprochene Norm des Art. 5 SE-VO auswirken, nach der für das Kapital, seine Erhaltung und Änderung sowie die ausgebbaren Wertpapiere das im Wesentlichen bereits harmonisierte nationale Aktienrecht zum Zuge kommt (oben Rz. 4.40). 1.

Kapitalerhöhung

a)

Effektive Kapitalerhöhung

aa)

Normalfall

Bei der effektiven Kapitalerhöhung oder Kapitalerhöhung gegen Einlagen wird 6.13 der Gesellschaft neues Eigenkapital von außen zugeführt. Es handelt sich daher ___________ 17) BGHZ 123, 15 = ZIP 1993, 1074 = NJW 1993, 2246 = EWiR § 53 GmbHG 2/93, 991 (Scheuch); dazu Habersack, ZGR 1994, 354; Tieves, ZIP 1994, 1341. 18) Rechtsvergleichend Hirte, in: Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa. ZGR-Sonderheft 16 (2000), S. 1, 9.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

um eine Maßnahme der Außenfinanzierung – im Gegensatz zur Innenfinanzierung, bei der der Finanzbedarf der Gesellschaft aus nicht ausgeschütteten Gewinnen gedeckt wird. 6.14 Im Bild der Kapitalverfassung als eines Stausees bedeutet die Kapitalerhöhung gegen

Einlagen eine Erhöhung oder Aufstockung der Staumauer. Dabei muss der Wasserstand unabhängig von seiner bisherigen Höhe (mindestens) um den Umfang erhöht werden, in dem die Staumauer erhöht wird. Aus der Sicht der Gläubiger steigt der Umfang des Polsters: denn Ausschüttungen dürfen jetzt erst (frühestens) stattfinden, wenn der Wasserspiegel das Niveau der höheren Staumauer erreicht hat.

6.15 Die effektive Kapitalerhöhung vollzieht sich bei der Aktiengesellschaft in zwei Schritten. Zunächst wird die Erhöhung des Kapitals von der Hauptversammlung beschlossen (§ 182 Abs. 1 AktG; Art. 29 [früher Art. 25] Abs. 1 Satz 1 Zweite Richtlinie) und zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet (§ 184 Abs. 1 AktG); bei Vorhandensein mehrerer Aktiengattungen ist nach § 182 Abs. 2 AktG, Art. 29 [früher Art. 25] Abs. 3 Zweite Richtlinie ein Sonderbeschluss jeder Gattung erforderlich (dazu oben Rz. 3.267). Die Beschlusskompetenz (bzw. im Fall genehmigten Kapitals „Ermächtigungskompetenz“) der Hauptversammlung in diesem Punkt ergibt sich dabei auch (zwingend) aus Art. 29 [früher Art. 25] Abs. 1 der Zweiten Richtlinie. Das wurde vom Europäischen Gerichtshof im Zusammenhang mit griechischen Rechtsvorschriften, die die Anordnung einer Kapitalerhöhung durch „Verwaltungsakt“ gestatten, mehrfach entschieden; das gilt selbst in Sanierungssituationen und auch für Kreditinstitute.19) 6.16 Ergänzend stellte der EuGH zwischenzeitlich klar, dass einem Aktionär die Berufung

auf die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer Kapitalerhöhung nicht deshalb versagt ist, weil die Kapitalerhöhung die finanziellen Schwierigkeiten der Gesellschaft beseitigen würde und ihm die Ausübung seiner Rechte wirtschaftliche Vorteile verschafft oder er sein Bezugsrecht hätte ausüben können.20) Das hat er auch in einem weiteren Urteil noch einmal betont; dabei hat er aber andererseits darauf hingewiesen, dass die Gerichte der Geltendmachung gemeinschaftsrechtlicher Rechte den Einwand des Rechtsmissbrauchs nach nationalem Recht entgegenhalten dürfen. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Aktionär unter den zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen denjenigen wählt, der den berechtigten Interessen Dritter einen unverhältnismäßigen Schaden zufügt.21)

___________ 19) EuGH (Urt. v. 30.5.1991 – Rs. C-19/90 und C-20/90), Slg. 1991-I, 2691, 2710 (Karella und Karellas) = ZIP 1991, 1488 = EuZW 1991, 604; EuGH (Urt. v. 24.3.1992 – Rs. C-381/89), Slg. 1992-I, 2111, 2134 (Evangeliki Ekklesia) = DB 1992, 1039; EuGH (Urt. v. 12.11.1992 – Rs. C-134/91 und C-135/91), Slg. 1992-I, 5699, 5713 (Kerafina); EuGH (Urt. v. 12.3.1996 – Rs. C-441/93), Slg. 1996-I, 1347 (Panagis Pafitis u. a./Trapeza Kentrikis Ellados AE u. a.) = ZIP 1996, 1543 = IStR 1996, 188 = EWiR Art. 25 RL 77/91/EWG 1/96, 1073 (Hirte); dazu Klinke, ZGR 1993, 1, 22; Tellis, EuZW 1992, 657; Wiedemann, in: GroßK, § 182 AktG Rz. 14 f. 20) EuGH (Urt. v. 12.5.1998 – Rs. C-367/96), Slg. 1998, I-2843 (Kefalas/OAE) = ZIP 1999, 1672 = EuZW 1999, 56 = EWiR Art. 25 RL 77/91/EWG 1/98, 907 (G. Roth). 21) EuGH (Urt. v. 23.3.2000 – Rs. C-373/97), Slg. 2000, I-1705 = ZIP 2000, 663 = NZG 2000, 534.

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II. Kapitalmaßnahmen

Sodann haben die Gesellschafter oder auch Dritte die Möglichkeit, die neuen 6.17 Aktien zu zeichnen, also sich zur Übernahme der neuen Aktien gegen Zahlung der Einlagen zu verpflichten (§ 185 AktG). Aus der Zeichnung folgt aber kein Erfüllungsanspruch des Zeichners auf Verschaffung der Mitgliedschaft; diese entsteht vielmehr erst mit Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister, und bis zu diesem Zeitpunkt steht die Kapitalerhöhung zur Disposition der (bisherigen) Gesellschafter.22) Sind die Leistungen in dem vom Gesetz oder vom Kapitalerhöhungsbeschluss festgelegten Mindestumfang erbracht, kann die Durchführung der Kapitalerhöhung zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden (§ 188 AktG, Art. 29 [früher Art. 25] Abs. 1 Satz 2 Zweite Richtlinie). Bei der GmbH sind ebenfalls der Kapitalerhöhungsbeschluss und die Durch- 6.18 führungsphase zu unterscheiden (§ 55 GmbHG). Allerdings wird nur dieser Beschluss, und zwar erst nach der Durchführung der Kapitalerhöhung, zum Handelsregister angemeldet (§ 57 Abs. 1 GmbHG). Obwohl bei der GmbH im Hinblick auf den Erhöhungsbetrag die Ausfallhaftung des § 24 GmbHG droht, wird in der Kapitalerhöhung keine Pflichtenvermehrung i. S. d. § 53 Abs. 3 GmbHG gesehen mit der Folge, dass ihr jeder Gesellschafter individuell zustimmen müsste (dazu im Übrigen oben Rz. 3.267); denn die mögliche Ausfallhaftung ist bloße Nebenfolge der Kapitalerhöhung.23) Grundsätzlich unzulässig ist dabei nach bisherigem, vor Inkrafttreten des MoMiG 6.19 herrschenden Verständnis im Hinblick auf die Ordnungsmäßigkeit der Kapitalaufbringung eine Voreinzahlung auf künftige Einlagepflichten, also die Leistung der Einlage, ohne dass ein Kapitalerhöhungsbeschluss vorliegt. Folge dieser theoretisch auch bei der Gründung (dazu oben Rz. 5.39), typischerweise aber nur bei Kapitalerhöhungen auftauchenden Problematik ist, dass die Einlage nach späterem ordnungsgemäßen Erhöhungsbeschluss nochmals zu leisten ist. Lediglich für den Fall der Sanierung der Gesellschaft ist davon im Hinblick auf die Langwierigkeit des Kapitalerhöhungsverfahrens eine Ausnahme zuzulassen, und dies auch nur dann, wenn die Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung nach der Zahlung mit der gebotenen Beschleunigung durchgeführt wird, ein akuter Sanierungsfall vorliegt, andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen, die Ret-

___________ 22) Für das Aktienrecht Wiedemann, in: GroßK, § 185 AktG Rz. 35; ebenso für den mit einer GmbH geschlossenen Vertrag zur Übernahme einer Stammeinlage auf erhöhtes Kapital BGHZ 140, 258 = ZIP 1999, 310 = NJW 1999, 1252 = DStR 1999, 382 = EWiR § 55 GmbHG 1/99, 323 (Wilhelm). 23) Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, § 53 GmbHG Rz. 32; Fastrich, in: Baumbach/ Hueck, § 24 GmbHG Rz. 5 (der allerdings zum Ausgleich ein Austrittsrecht aus wichtigem Grund im Zeitpunkt der Kapitalerhöhung einräumen will).

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

tung der Gesellschaft bei Beachtung der gesetzlich vorgegebenen Reihenfolge scheitern würde und wenn nicht auf ein debitorisches Konto eingezahlt wird.24) 6.20 Für die Art und Weise der Leistungserbringung und die Prüfung von eventuell vereinbarten Sacheinlagen gelten ähnliche Regelungen wie bei der Gründung (dazu oben Rz. 5.52 ff.); auf deren Regelungen wird daher vom Gesetz weitgehend verwiesen (Artt. 30, 31 [früher Artt. 26, 27] Zweite Richtlinie, §§ 183, 188 Abs. 2 AktG, §§ 56 ff. GmbHG). Der BGH hat die Regelungen in der jüngeren Zeit für Kapitalerhöhungen aber etwas anders als bei der Gründung gehandhabt. In Abweichung von seiner bislang vertretenen Auffassung25) nahm der II. Zivilsenat etwa an, dass eine Bareinlage bei einer Kapitalerhöhung (anders als bei der Gründung) schon dann zur (endgültig) freien Verfügung der Geschäftsführung geleistet worden ist, wenn sie nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss in ihren uneingeschränkten Verfügungsbereich gelangt ist und nicht an den Einleger zurückgeflossen ist. Entsprechend kann die Leistung einer Bareinlage aus einer Kapitalerhöhung, durch die der Debetsaldo eines Bankkontos zurückgeführt wird, auch dann noch zur freien Verfügung erfolgt sein, wenn das Kreditinstitut der Gesellschaft mit Rücksicht auf die Kapitalerhöhung auf einem anderen Bankkonto einen Kredit zur Verfügung stellt, der den Einlagebetrag erreicht oder übersteigt.26) Zudem erfasste etwa das – inzwischen durch § 19 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 5 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 i. V. m. § 54 Abs. 2 AktG deutlich relativierte – Umgehungsverbot des § 19 Abs. 5 Alt. 2 GmbHG a. F. die (einvernehmliche) Verrechnung einer Einlageschuld mit einer nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss entstandenen Forderung sowie eine Abwicklung im Ausschüttungs-Rückhol-Verfahren nur dann, wenn dieses Vorgehen spätestens bei Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses definitiv besprochen worden ist.27) Schließlich hat der BGH ___________ 24) BGHZ 118, 83, 86 ff. (Beton- und Monierbau AG) = ZIP 1992, 995 = NJW 1992, 2222 = LM H. 11/1992 § 328 BGB Nr. 87; BGH ZIP 1995, 28 = NJW 1995, 460 = EWiR § 188 AktG 1/95, 107 (von Gerkan) = WiB 1995, 204 (von Gierke); BGH ZIP 1996, 1466 = NJW-RR 1996, 1249 = DStR 1996, 1416 (Goette) = EWiR § 55 GmbHG 1/96, 885 (von Gerkan) (dort mit falscher Datumsangabe des Urteils); BGHZ 158, 283 = ZIP 2004, 849 = NJW 2004, 2592 = NZG 2004, 515 = DStR 2004, 782 = EWiR § 56a GmbHG 1/04, 851 (Priester); BGHZ 168, 201 ff. = ZIP 2006, 2214 ff. = NJW 2007, 515 = DStR 2006, 2266; dazu Hirte, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (3. Aufl. 2009), S. 902, 927 Rz. 59; ders., Die vereinfachte Kapitalherabsetzung bei der GmbH (1997), S. 49; Lutter, KK, § 235 AktG Rz. 10; Sustmann, NZG 2004, 760; Zöllner/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 56a GmbHG Rz. 9 f.; kritisch gegenüber einer Fortgeltung dieser Grundsätze nach Inkrafttreten des MoMiG Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz (2009), S. 103 ff., 150 ff.; ders., ZGR 2009, 126, 128 ff. 25) BGHZ 119, 177 = ZIP 1992, 1387; dazu oben Rz. 5.35b m. w. N. 26) BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799 = NJW 2002, 1716 = NZG 2002, 522 = NZI 2002, 339 = DStR 2002, 1538 (hier wurde das im Wesentlichen wortgleiche Parallelurteil II ZR 11/01 abgedruckt); hierzu Hallweger, DStR 2002, 2131; Henze, BB 2002, 955; Kort, DStR 2002, 1223; Werner, GmbHR 2002, 530. 27) BGHZ 152, 37 = ZIP 2002, 2045, 2047 f. = NJW 2002, 3774 = NZG 2002, 1172 = NZI 2003, 50 = DStR 2002, 2088.

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II. Kapitalmaßnahmen

es bei einer Kapitalerhöhung für möglich gehalten, Gegenstände und Sachwerte als Sacheinlage einzubringen, deren Besitz einer GmbH bereits vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss überlassen worden ist, wenn sie zumindest im Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses noch gegenständlich im Gesellschaftsvermögen vorhanden sind.28) Hintergrund dieser Überlegungen ist, dass bei einer Kapitalerhöhung typischerweise in einen bereits laufenden Geschäftsbetrieb investiert wird und deshalb die Gläubiger vor Manipulationen (etwas) weniger schutzbedürftig sind. Wichtig ist die Prüfung der korrekten Kapitalaufbringung bei einer Kapitalerhö- 6.21 hung vor allem auch, weil man nicht weiß, wie viel vom ursprünglich einmal eingezahlten Kapital noch vorhanden ist; die Gläubiger haben dann zumindest bezüglich eines zeitnah aufgebrachten Erhöhungsbetrages ein gewisses Maß an Sicherheit.29) Mit der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung wird die Kapitalerhöhung wirksam (§ 189 AktG, § 54 Abs. 3 GmbHG). Zugleich ist eine Anfechtung des Zeichnungsvertrages entgegen der Grundregel der §§ 119, 123 BGB im Hinblick auf den vorrangigen Gläubigerschutz ausgeschlossen; das gilt auch für andere Formfehler und Nichtigkeitsgründe mit Ausnahme des Minderjährigenund Geschäftsunfähigenschutzes (zur parallelen Lage bei der Gründung oben Rz. 2.15).30) Für bestimmte weitere Nichtigkeitsgründe des Zeichnungsscheins regelt § 185 Abs. 3 AktG im Aktienrecht dieselbe Rechtsfolge ausdrücklich. Einen Sonderfall der Leistungserbringung bildet der Umtausch von Wandelan- 6.22 leihen (= Fremdkapital) in Eigenkapital oder die Ausübung eines Optionsrechts auf Aktien, für dessen Erwerb eine Optionsprämie entrichtet wurde (dazu oben Rz. 5.4 ff.). Sie stehen im Mittelpunkt der Regelungen über das bedingte Kapital (§§ 192 ff. AktG; dazu unten Rz. 6.44 ff.). bb)

Bezugsrecht und Bezugsrechtsausschluss

(1) Bei einer Kapitalerhöhung können neue Gesellschafter zu den vorhandenen 6.23 treten. Das bedeutet, dass sich der relative Einfluss der Altgesellschafter in dem Umfang verringert, wie neue Gesellschafter hinzutreten. Wird also etwa das ___________ 28) BGHZ 145, 140 = ZIP 2000, 2021, 2023 f. = NJW 2001, 67 = NZG 2001, 27 = ZInsO 2001, 37 = DStR 2000, 1963 (Goette) = EWiR § 5 GmbHG 1/01, 325 (Rawert) = LM H. 3/2001 § 5 GmbHG Nr. 16 (Roth) (andernfalls nur Einlage einer dem Gesellschafter zustehenden Ersatz- oder Erstattungsforderung [im Anschluss an BGHZ 51, 157]); zur Zulässigkeit der Vorauszahlung vor einem Kapitalerhöhungsbeschluss, wenn die Mittel in der Gesellschaft im Zeitpunkt des Erhöhungsbeschlusses noch vorhanden sind, auch OLG Köln ZIP 2001, 1243, 1244 = NJW-RR 2002, 394 = EWiR § 19 GmbHG 1/01, 1093 (von Gerkan). 29) Plastisch Frey, Einlagen in Kapitalgesellschaften (1990), S. 125, 127; ders., in: Festschrift für Wiedemann (2002), S. 851, 852 ff. 30) Allgemein Kort, Bestandsschutz fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht (1998), S. 193 ff., 211 ff.; ders., ZGR 1994, 291, 314; Zöllner, AG 1993, 68, 72 ff.; zur AG Lutter, KK, § 185 AktG Rz. 13 ff.; Wiedemann, in: GroßK, § 185 AktG Rz. 58 ff.; zur GmbH Zöllner/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 57 GmbHG Rz. 27; abw. Lutter/Bayer, in: Lutter/ Hommelhoff, § 57 GmbHG Rz. 26 (keine Ausnahme für Fälle beschränkter Geschäftsfähigkeit; anders insofern noch 17. Aufl.).

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

Grundkapital einer Aktiengesellschaft mit zehn in gleichem Umfang beteiligten Aktionären von 1 Mio. Euro auf 2 Mio. Euro erhöht, sinkt der Beteiligungsumfang jedes einzelnen Aktionärs von 10 % auf 5 %. Um diese Verwässerung der Beteiligung auszugleichen, gewähren Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 1 Zweite Richtlinie, § 186 Abs. 1 AktG allen Aktionären ein Bezugsrecht. Darunter versteht man das Recht, die jungen Aktien aus der Kapitalerhöhung selbst in dem Umfang zu zeichnen, wie die Aktionäre zuvor bereits an der Gesellschaft beteiligt waren. Das Bezugsrecht wird vom BVerfG als eine von Art. 14 GG erfasste Rechtsposition angesehen.31) 6.24 Für die Ausübung des Bezugsrechts schreiben Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 3 Satz 4 Zweite Richtlinie, § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG zwingend eine Frist von mindestens zwei Wochen vor; diese gilt nach § 203 Abs. 1 Satz 1 AktG bei einer Kapitalerhöhung im Rahmen genehmigten Kapitals sinngemäß. Von der Praxis wurde sie wie das gesamte Verfahren der Kapitalerhöhung unter Wahrung des Bezugsrechts bei börsennotierten Aktiengesellschaften als zu lang empfunden.32) Dies war Grund für den Gesetzgeber, die Regelung durch das „Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz)“ (TransPuG) vom 19. Juli 2002 (BGBl. I, 2681), das in seinen wesentlichen Teilen am 26. Juli 2002 in Kraft getreten ist, zu reformieren. Im Fall bestehenden Bezugsrechts muss der Vorstand jetzt nicht mehr zwingend den Ausgabebetrag der neuen Aktien (mindestens) zwei Wochen vorher veröffentlichen (§ 186 Abs. 2 a. F. i. V. m. § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG); ausreichend ist es, wenn er die „Grundlagen für seine Festlegung“ bekannt macht. In diesem Fall muss er nach § 186 Abs. 2 Satz 2 AktG n. F. „spätestens drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist den Ausgabebetrag in den Gesellschaftsblättern und über ein elektronisches Informationsmedium bekannt [.] machen“. Damit wird auch bei bestehendem Bezugsrecht das Risiko der Gesellschaft (und damit aller Aktionäre) verringert, dass sich der Aktienkurs vom Zeitpunkt der Bekanntmachung bis zum Ende der Bezugsfrist verringert, was seitens der emittierenden Gesellschaft aus Sicherheitsgründen durch einen Abschlag auf den Ausgabekurs berücksichtigt werden muss, soll die Platzierbarkeit der jungen Aktien nicht gefährdet werden.33) Die Regelung entspricht im Ergebnis den schon vor längerer Zeit vom Verfasser dieser Zeilen entwickelten Vorschlägen, vom bezugswilligen Aktionär bei bzw. vor Beginn der Bezugsfrist des § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG nur eine Art „Grundsatzerklärung“ zu erwarten, ob er das Bezugsrecht ausüben wolle, dessen Konditionen in den Einzelheiten aber erst später festzulegen. Die darin liegende ___________ 31) BVerfGE 100, 289, 302 (DAT/Altana) = ZIP 1999, 1436 (Wilken) = NJW 1999, 3769 = AG 1999, 566 (Vetter) = DStRE 1999, 689 = DStR 1999, 1408 (Hergeth) = JZ 1999, 942 (Luttermann) = EWiR Art. 14 GG 2/99, 751 (Neye); weit. Nachw. zu dieser Entscheidung bei Hirte, NJW 2000, 3321, 3531, 3540 Fn. 147. 32) Vgl. vor allem Heinsius, in: Festschrift für Alfred Kellermann. ZGR-Sonderheft 10 (1991), S. 115; allgemein Hirte, NJW 1996, 2827, 2835. 33) Begr RegE zu § 186 Abs. 2 AktG n. F., BT-Drucks. 14/8769 = NZG 2002, 213, 226.

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II. Kapitalmaßnahmen

Schlechterstellung gegenüber der Entscheidungslage, wie sie § 186 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 186 Abs. 2 AktG a. F. ermöglichte, wäre immer noch gegenüber dem (vollständigen) Ausschluss des Bezugsrechts (§ 186 Abs. 3 AktG) unter Hinweis auf das Risiko kurzfristiger Kursänderungen, was sonst eine möglichst hochpreisige Emission unmöglich machen würde, vorzugswürdig.34) Ein Konflikt der neuen Regelung mit der Zweiten Richtlinie ist zu verneinen. Entgegen der eher formalen Begründung der Bundesregierung, die nur darauf abstellt, dass auch nach der jetzigen Regelung die europarechtlich vorgeschriebene Zwei-Wochen-Frist (Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 3 Satz 4 der Zweiten Richtlinie) gewahrt sei,35) wird man aber darauf abzustellen haben, dass eine Bezugsmöglichkeit mit wenn auch äußerst kurzer Vorab-Mitteilung des Ausgabebetrages immer noch mehr den Aktionärsinteressen dient als der vollständige Ausschluss des Bezugsrechts; denn sie dient dazu, einen Ausschluss des Bezugsrechts zu vermeiden. Die Regelung dient mithin der Verwirklichung des in Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 1 der Zweiten Richtlinie formulierten Grundsatzes, nicht seiner Verkürzung.36) Die frühere Regelung hat im Übrigen entscheidend dazu beigetragen, dass Rechtsprechung und Gesetzgeber den Ausschluss des Bezugsrechts für börsennotierte Aktiengesellschaften erleichtert haben (dazu unten Rz. 6.33 f.). Eine Pflicht zur Zeichnung der jungen Aktien hat der Aktionär nicht; denn 6.25 dies würde der Sache nach eine Nachschusspflicht darstellen, die dem Grundsatz der auf die geleisteten Einlagen beschränkten Haftung der Aktionäre widerspräche (§ 54 Abs. 1 AktG). Das GmbH-Recht kennt im Gegensatz zum Aktienrecht kein ausdrückliches Be- 6.26 zugsrecht; der Wortlaut von § 55 Abs. 2 GmbHG, der für die Teilnahme an einer Kapitalerhöhung einen Zulassungsbeschluss verlangt, könnte sogar den Schluss zulassen, es stehe allein zur Disposition der die Kapitalerhöhung beschließenden Gesellschaftermehrheit, wen sie zur Kapitalerhöhung „zulassen“. Gleichwohl wird heute zu Recht auch und gerade für das GmbH-Recht von einem Bezugsrecht der Altgesellschafter auf die aus einer Kapitalerhöhung resultierenden Geschäftsanteile ausgegangen.37) Das bestätigte kürzlich auch der BGH, stellte dabei aber zugleich klar, dass – entgegen der Rechtslage bei der Aktiengesellschaft (dazu Rz. 6.65) – aus der

___________ 34) Frey/Hirte, ZIP 1991, 697, 702 ff.; Hirte, in: GroßK, § 202 AktG Rz. 49; hierzu Wiedemann, in: GroßK, § 186 AktG Rz. 42, 52 m. w. N.; ähnlich auch Korthals, Kapitalerhöhung zu höchsten Kursen – Eine Untersuchung unter Berücksichtigung des Aktionärsschutzes bei der Ausgabe von Aktien im US-amerikanischen Recht (1995), S. 158 ff.; Schumann, Optionsanleihen. Rechtliche Grundlagen und aktuelle Probleme (1990), S. 206 ff., 211. 35) Begr RegE zu § 186 Abs. 2 AktG n. F., BT-Drucks. 14/8769 = NZG 2002, 213, 226; Zweifel an der Vereinbarkeit mit der Richtlinie demgegenüber in der DAV-Stellungnahme, NZG 2002, 115, 118; Hoffmann-Becking, in: Hommelhoff/Lutter/Karsten Schmidt/Schön/Ulmer (Hrsg.), Corporate Governance. Gemeinschaftssymposion der Zeitschriften ZHR/ZGR, ZHR-Beiheft 71 (2002), S. 215, 227 f. 36) Ausführlich Hirte, TransPuG, Rz. I 95. 37) Dazu Priester, DB 1980, 1925; Hommelhoff/Freytag, DStR 1996, 1367, 1370; Zöllner, AG 1994, 336, 341; zu einem Fall des (faktischen) Bezugsrechtsausschlusses OLG Stuttgart NZG 2000, 156 = BB 2000, 1155 (Gätsch) = DB 2000, 135 = GmbHR 2000, 333.

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gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht kein Anspruch folge, die Geschäftsanteile neu zu schneiden, um einem Gesellschafter die Übernahme einer Kleinstbeteiligung zu ermöglichen statt der ihm eröffneten Beteiligung aufgrund Ausübung des Bezugsrechts.38) Die Bedeutung des in § 55 Abs. 2 GmbHG vorgesehenen Zulassungsbeschlusses reduziert sich daher auf den Fall, dass die neuen Geschäftsanteile in Abweichung von den bisherigen Beteiligungsverhältnissen zugeteilt werden sollen.

6.27 (2) Für das Aktienrecht erlauben allerdings § 186 Abs. 3 AktG, Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 4 Zweite Richtlinie den Ausschluss dieses Bezugsrechts durch einen mit qualifizierter Mehrheit gefassten Beschluss der Hauptversammlung. Dies hat zur Folge, dass die Altaktionäre – selbst wenn sie wollten – den relativen Umfang ihrer Beteiligung bei einer Kapitalerhöhung nicht aufrechterhalten können. Würde also etwa in dem gerade gebrachten Beispiel das Bezugsrecht von zwei Aktionären ausgeschlossen, so könnte die Kapitalerhöhung von den übrigen acht Aktionären vollständig gezeichnet werden. Jeder dieser Aktionäre könnte daher 125.000 Euro des neuen Kapitals übernehmen, so dass im Ergebnis acht Aktionäre mit jeweils 225.000 Euro beteiligt wären, die beiden übrigen aber nach wie vor nur mit 100.000 Euro. 6.28 Neben diesem Verwässerungseffekt bezüglich der Herrschaftsverhältnisse können sich aber im Falle ausgeschlossenen Bezugsrechts auch noch Vermögensbeeinträchtigungen für den vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionär ergeben. Dies ist dann der Fall, wenn der Ausgabekurs der jungen Aktien unter ihrem „inneren Wert“ liegt. „Innerer Wert“ ist dabei der auf die einzelne Aktie entfallende Anteil des im Wege einer Unternehmensbewertung zu ermittelnden Wertes der Gesellschaft; bei einer börsennotierten Gesellschaft sollte er bei funktionierendem Markt dem Börsenkurs der Aktie entsprechen. Auch dies sei an einem Beispiel erläutert: Nehmen wir an, die zehn Aktien im gerade gebrachten Beispiel hätten jeweils einen inneren Wert von 300.000 Euro, und es wird eine Kapitalerhöhung auf das Doppelte durchgeführt. Werden die jungen Aktien nunmehr zum geringsten Ausgabebetrag ausgegeben (also ohne Agio), muss ein Aktionär, der sein Bezugsrecht ausübt, 100.000 Euro aufwenden, um eine neue Aktie beziehen zu können. Nach Durchführung der Kapitalerhöhung verteilt sich der bisherige Wert der Gesellschaft zuzüglich der Einlagen aus der Kapitalerhöhung auf die doppelte Zahl von Aktien. Für den einzelnen Aktionär heißt dies, dass er dann im Besitz von zwei Aktien ist, deren Durchschnittswert nur noch jeweils 200.000 Euro beträgt (300.000 + 100.000 = 400.000 : 2). Die alte Aktie erleidet zugunsten der neuen Aktie einen Wertverlust von 100.000 Euro. Solange der Aktionär ein Bezugsrecht hat, ist diese Wertverlagerung ohne Bedeutung: denn er kann durch Zeichnung neuer Aktien dafür sorgen, dass er an der Wertverlagerung partizipiert. Will er dies nicht, kann er sein Bezugsrecht verkaufen und damit den Wertverlust zumindest vermögensmäßig kompensieren; rechnerisch würde der Wert des Bezugsrechts dem Umfang der Wertverlagerung von 100.000 Euro entsprechen.

___________ 38) BGH NZG 2005, 951 = ZIP 2005, 985 = EWiR § 58a GmbHG 1/05, 599 (Priester) (Folge ist im Übrigen auch hier nur die Anfechtbarkeit des Beschlusses); dazu Priester, GmbHR 2005, 1013.

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II. Kapitalmaßnahmen

Wird das Bezugsrecht nach Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 4 Zweite Richtlinie, § 186 6.29 Abs. 3 AktG ausgeschlossen, tritt daher neben den beschriebenen Verlust an quotaler Stimmrechtsmacht ein Vermögensverlust. Das Gesetz schützt davor – abgesehen von den besonderen Mehrheitsanforderungen – durch die Notwendigkeit besonderer Ankündigung des geplanten Bezugsrechtsausschlusses in der Tagesordnung (Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 4 Satz 5 Zweite Richtlinie, § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG) und eines Berichts, in dem (auch) der vorgeschlagene Ausgabebetrag zu begründen ist (Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 4 Sätze 2 und 3 Zweite Richtlinie, § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG). Dieser Bericht hat „ausführlich“ zu sein; insbesondere reicht die Benutzung von Schlagworten oder die Wiederholung des Gesetzestexts nicht aus.39) Zudem ermöglicht § 187 AktG die Zusicherung von Rechten auf den Bezug neuer Aktien nur unter dem Vorbehalt des Bezugsrechts der Aktionäre. Zudem hat das Gesetz in § 255 Abs. 2 AktG einen besonderen Anfechtungstat- 6.30 bestand für den Fall geschaffen, dass der Ausgabebetrag der neuen Aktien „unangemessen niedrig“ ist.40) Wann dies der Fall ist und ob das Verbot eines „unangemessen niedrig[en]“ Ausgabebetrages das gleiche ist wie das Gebot eines angemessenen, ist allerdings umstritten.41) Dies und die Tatsache, dass der Verlust an relativer Herrschaftsmacht nie durch § 255 Abs. 2 AktG kompensiert werden kann, waren Anlass für die Rechtsprechung, die Zulässigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses über den Wortlaut des Gesetzes hinaus an zusätzliche Schranken zu knüpfen. In der Leitentscheidung „Kali und Salz“42) verlangte der BGH daher, dass der Ausschluss des Bezugsrechts durch einen im Gesellschaftsinteresse liegenden sachlichen Grund gerechtfertigt sein müsse. Dies entspricht der gesetzlichen Regelung etwa in Italien, wo das Erfordernis eines im Gesellschaftsinteresse liegenden sachlichen Grundes für den Ausschluss des Bezugsrechts im Gesetz verankert ist (Art. 2441 Abs. 5 Codice civile; unverändert durch die

___________ 39) OLG München ZIP 2002, 1580, 1582 f. (MHM Mode Holding München AG) = NZG 2002, 113 = RNotZ 2002, 581 (Terbrack) (Vorinstanz LG München I BB 2001, 748); hierzu Natterer, ZIP 2002, 1672, sowie ausführlich Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 108 ff.; LG München I ZIP 1996, 76 = EWiR § 186 AktG 1/96, 199 (Kowalski) (im Rahmen genehmigten Kapitals); weit. Nachw. bei Martens, ZIP 1992, 1677. 40) Zur Anwendbarkeit der Norm auf die Kapitalerhöhung durch Sacheinlagen OLG Jena ZIP 2006, 1989, 1993 ff. (Carl Zeiss Meditec AG) = NZG 2007, 147 = DB 2006, 2335; zur Verallgemeinerungsfähigkeit des § 255 Abs. 2 AktG zugrunde liegenden Ansatzes Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt (1995), S. 259 ff. (dazu Hirte, WM 1997, 1001, 1003 ff.); für die GmbH OLG Stuttgart NZG 2000, 156 = BB 2000, 1155 (Gätsch) = DB 2000, 135 = GmbHR 2000, 333. 41) Dazu Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 97 ff., 101; ders., WM 1994, 321, 324 bei Fn. 37. 42) BGHZ 71, 40 (Kali und Salz) = NJW 1978, 1316; dem folgend BGHZ 83, 319 (Holzmann) = ZIP 1982, 689 = NJW 1982, 2444; zuvor bereits (allerdings nicht so weit reichend) BGHZ 21, 354 (Minimax I); BGHZ 33, 175 (Minimax II); zum Ganzen ausführlich Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 58 ff.; ders., in: GroßK, § 203 AktG Rz. 63 ff.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

italienische Gesellschaftsrechtsreform des Jahres 2003).43) Ein solcher sachlicher Grund wird typischerweise dann vorliegen, wenn die Kapitalerhöhung mittels Sacheinlagen (vor allem Unternehmensbeteiligungen, aber auch sonstige Vermögensgegenstände) durchgeführt werden soll, die nur von einer bestimmten Person erbracht werden können.44) 6.31 Der Europäische Gerichtshof hat – wohl auch vor dem Hintergrund entsprechender gesetzlicher Regelungen im Ausland – vor einiger Zeit entschieden, dass die von der deutschen Rechtsprechung aufgestellten zusätzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses und insbesondere die (grundsätzliche) Erstreckung der gesetzlichen Regelungen über den Bezugsrechtsausschluss auch auf den Fall der Kapitalerhöhung durch Sacheinlage nicht gegen europäisches Recht verstoßen.45) Im Zusammenhang mit einem den Ausschluss des Bezugsrechts zur Einbringung einer Sacheinlage betreffenden Fall hatte der BGH nämlich die Frage gestellt, ob die beschriebene Inhaltskontrolle des Bezugsrechtsausschlusses gegen Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 4 Satz 2 der Zweiten Richtlinie verstoße. Dieser verlangt nämlich für die Zulässigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses lediglich einen mit qualifizierter Mehrheit gefassten Hauptversammlungsbeschluss (zum anderen Lösungsansatz des BGH im Anschluss an die Zurückverweisung durch den Europäischen Gerichtshof unten Rz. 6.38 f.).46) 6.32 Im GmbH-Recht werden die vorgestellten Grundsätze entsprechend angewandt, auch wenn es an einer gesetzlichen Grundlage für ein Bezugsrecht fehlt (oben Rz. 6.26). Auch dort bedarf daher der Ausschluss der Altgesellschafter vom Bezugsrecht eines im Gesellschaftsinteresse liegenden sachlichen Grundes.47)

___________ 43) Ähnliche Regelungen finden sich heute in den EG-Ländern Belgien (Art. 34 bis § 4 der Lois coordonnées sur les sociétés commerciales), Spanien (Art. 96 Abs. 1 [= Art. 159 Abs. 1 n. F.] der Ley de sociedades anónimas) und Portugal (Art. 460 Abs. 2 des Gesetzes über die Handelsgesellschaften); rechtsvergleichender Überblick bei Bagel, Der Ausschluss des Bezugsrechts in Europa (1999); Hirte, in: GroßK, § 202 AktG Rz. 66 ff.; Wiedemann, in: GroßK, § 186 AktG Rz. 23 ff. 44) BGHZ 144, 290, 292 (adidas) = ZIP 2000, 1162, 1164 = NJW 2000, 2356 = NZG 2000, 836 = EWiR § 203 AktG 1/2000, 941 (Hirte) = LM H. 10/2000 § 27 AktG 1965 Nr. 6 (Noack) = WuB II A. § 27 AktG 1.00 (Ekkenga/J. Schneider) (zulässig zur Einlage von Nutzungsrechten und zur Ausgabe von Belegschaftsaktien); BGHZ 136, 133, 140 (Siemens); BGHZ 83, 319, 323 (Holzmann); LG Bochum ZIP 1991, 730 (GEA) = WM 1991, 1261, 1265 = EWiR § 186 AktG 1/91, 423 (Hirte); Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 91 m. w. N. (auch zu weiteren Fällen möglicher sachlicher Gründe). 45) EuGH (Urt. v. 19.11.1996 – Rs. C-42/95), Slg. 1996-I, 6017 (Siemens) = NJW 1997, 721 = EuZW 1997, 52 = ZIP 1996, 2015 = DStR 1997, 37 (Schüppen) = WiB 1997, 188 (Jasper) (Schlussanträge von Generalanwalt Tesauro, ZIP 1996, 1825); dazu Drinkuth, IStR 1997, 312; Hirte, in: GroßK, § 202 AktG Rz. 50. 46) BGH ZIP 1995, 372 (Siemens) m. Anm. Lutter, ZIP 1995, 648 = EuZW 1995, 351 = DB 1995, 465 = EWiR Art. 29 RL 77/91/EWG 1/95, 360 (Hirte); in der Sache gingen die Zweifel des Gerichts vor allem auf Kindler, ZHR 158 (1994), 339, 361 f. zurück; abw. – und wie der EuGH – Hirte, DB 1995, 1113, 1114; ders., in: GroßK, § 202 AktG Rz. 51. 47) Hirte, in: GroßK, § 202 AktG Rz. 18; Priester, DB 1980, 1925, 1932; Zöllner/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 26; für die Festsetzung des Ausgabekurses OLG Stuttgart NZG 2000, 156 = BB 2000, 1155 (Gätsch) = DB 2000, 135 = GmbHR 2000, 333.

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II. Kapitalmaßnahmen

(3) Da die fehlende sachliche Rechtfertigung bei börsennotierten Aktiengesell- 6.33 schaften regelmäßig von Kleinaktionären gerügt wurde (häufig inzident durch Rüge nicht ausreichender Berichterstattung nach Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 4 Satz 3 Zweite Richtlinie, § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG),48) hatten diese Gesellschaften große Schwierigkeiten, die aus einer Kapitalerhöhung hervorgehenden jungen Aktien unter Ausschluss des Bezugsrechts zu platzieren. Das aber sei – so wurde behauptet – notwendig, um an ausländischen Börsenplätzen ein ausreichend großes Handelsvolumen zu schaffen. Der BGH folgte dieser Argumentation und sah darin einen sachlichen Grund für den Ausschluss des Bezugsrechts, sofern der Ausgabekurs der jungen Aktien am Börsenkurs orientiert sei. Denn der Machtverlust sei bei einer großen börsennotierten Publikumsaktiengesellschaft nur minimal, und ein Vermögensverlust trete bei einer Ausgabe der jungen Aktien zum Börsenkurs nicht ein.49) Der Gesetzgeber übernahm diesen Ansatz im „Gesetz für kleine Aktiengesell- 6.34 schaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“ vom 2. August 1994 durch Einfügung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. Danach ist ein „Ausschluss des Bezugsrechts [.] insbesondere dann zulässig, wenn die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen zehn vom Hundert des Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabebetrag den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet“ (vereinfachter Bezugsrechtsausschluss). Als unwesentlich wird dabei, wie sich aus der Gesetzesgeschichte ergibt, eine Unterschreitung des Börsenpreises von 3 – 5 % angesehen.50) Damit macht sich das Gesetz zugleich die von F. Kübler und Martens unter Verweis auf das amerikanische Recht aufgestellte Behauptung zu eigen, das Bezugsrecht der Aktionäre führe für Gesellschaft und Aktionäre zu überflüssigen Kosten.51) Der entscheidende Kritikpunkt an dieser Regelung liegt aber darin, dass die Kon- 6.35 trolle des Ausgabekurses nicht dem im internationalen Vergleich üblichen Maß___________ 48) Eine Übersicht über die gegen Bezugsrechtsausschlüsse erhobenen Anfechtungsklagen findet sich bei Hirte, WM 1994, 321, und Martens, ZIP 1992, 1677. 49) BGHZ 125, 239 (Deutsche Bank) = ZIP 1994, 529 = NJW 1994, 1410 = EWiR § 186 AktG 1/94, 425 (Wiedemann) = LM H. 9/1994 § 186 AktG 1965 Nr. 6; vgl. zuvor Hirte, WM 1994, 321 (teilweise kritisch); Martens, ZIP 1994, 669 (i. S. d. Rechtsprechung); ebenso LG München I WM 1990, 984, 987 (PWA) (für Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts auf Optionsanleihen); abw. OLG München WM 1991, 539, 544 (PWA) (für Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts auf Optionsanleihen); zusammenfassend auch Hirte, NJW 1996, 2827, 2835. 50) BGBl. I, 1961 (Entwurf: BT-Drucks. 12/6721, wiedergegeben auch in ZIP 1994, 247 mit Einführung durch Seibert); dazu Groß, DB 1994, 2431; Harrer/Grabowski, DZWir 1995, 10; F. Kübler, WM 1994, 1970; Lutter, AG 1994, 429; Marsch-Barner, AG 1994, 532; zur Kritik am Gesetzentwurf Hirte, ZIP 1994, 356. 51) F. Kübler, Aktie, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt (1989), S. 49 f.; ders., WuB II A. § 203 AktG, 1.93; ders., ZBB 1993, 1 ff.; F. Kübler/Mendelson/Mundheim, AG 1990, 461 ff.; Martens, ZIP 1992, 1677 ff.; vgl. auch Heinsius, in: Festschrift für Kellermann (1991), S. 115, 119 ff.; Kallmeyer, AG 1993, 249 ff.; krit. dazu Ekkenga, AG 1994, 59, 60 ff.; Frey/Hirte, ZIP 1991, 697, 698; Hirte, AG 1991, 166 ff.; ders., WM 1994, 321 ff.

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stab entspricht.52) Das erschwert es auch, den im Übrigen folgerichtigen Schritt zu tun, die Möglichkeit des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses auch auf den Fall zu erweitern, dass nicht Bar-, sondern Sacheinlagen geleistet werden. So stellt die Leistung einer Sacheinlage zwar jetzt einen Fall dar, in dem typischerweise vom Vorliegen eines den Bezugsrechtsausschluss rechtfertigenden sachlichen Grundes ausgegangen werden kann (oben Rz. 6.30); gleichwohl bleibt die Anfechtungsklage nach §§ 243, 255 Abs. 2 AktG in vollem Umfang auch dann möglich, wenn der Umfang der für die Einlage ausgegebenen Aktien gering war und die Sacheinlage wertmäßig dem Börsenkurs der ausgegebenen Aktien entsprach. 6.36 Hinzu kommt, dass § 255 Abs. 2 AktG im Gegensatz zu § 14 Abs. 2 UmwG keinen Ausschluss der Anfechtungsklage festschreibt (dazu unten Rz. 6.144 und 6.153), obwohl er wie dieser nur die Korrektur von vermögensmäßigen Nachteilen oder zumindest von vermögensmäßig kompensierbaren Nachteilen bezweckt. Eine analoge Anwendung von § 14 Abs. 2 UmwG erscheint aber dann möglich, wenn sich die beklagte Gesellschaft verpflichtet, freiwillig ein Spruchverfahren nach umwandlungsrechtlichem Vorbild (jetzt im SpruchG geregelt; früher §§ 305 – 312 UmwG) durchzuführen; einer Anfechtungsklage, mit der im Spruchverfahren kompensierbare Nachteile gerügt werden, könnte dann das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.53) b)

Sonderformen bei der Aktiengesellschaft: Emissionskonsortium, genehmigtes und bedingtes Kapital

aa) Genehmigtes Kapital 6.37 Die Schwerfälligkeit des normalen Kapitalerhöhungsverfahrens insbesondere bei großen und börsennotierten Aktiengesellschaften – es bedarf einer Hauptversammlung – hat schon in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts zu Forderungen nach größerer Flexibilität bei der Finanzierung geführt. Dem wurde dadurch nachgekommen, dass die Hauptversammlung die Verwaltung ermächtigen kann, selbst über eine Kapitalerhöhung zu entscheiden (Art. 29 [früher Art. 25] Abs. 3 Zweite Richtlinie, §§ 202 ff. AktG).54) 6.38 Mit diesem „genehmigten Kapital“ kann der Vorstand höchstens ermächtigt werden, eine Kapitalerhöhung um die Hälfte des zur Zeit der Ermächtigung vorhandenen Grundkapitals zu beschließen (§ 202 Abs. 3 Satz 1 AktG). Die in der Satzung zu verankernde (Art. 2 d Zweite Richtlinie, § 202 Abs. 1 und 2 AktG) Er___________ 52) Für eine Kontrolle (auch) durch das Bundesaufsichtsamt für Wertpapierhandel (jetzt: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) daher Hirte, ZIP 1994, 356, 359. 53) Ausführlich Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 31. 54) Ausführlich Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 101 ff. Gegen einen Vorrang der ordentlichen Kapitalerhöhung (im konkreten Fall: gegen Sacheinlagen) gegenüber der genehmigten Kapitalerhöhung OLG Karlsruhe NZG 2002, 959 (MLP) = AG 2003, 444 = EWiR § 203 AktG 1/03, 299 (Hirte).

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II. Kapitalmaßnahmen

mächtigung kann höchstens für einen Zeitraum von fünf Jahren erteilt werden (Art. 29 [früher Art. 25] Abs. 2 Satz 3 Zweite Richtlinie, § 202 Abs. 1 und 2 AktG). Der Vorstand kann auch ermächtigt werden, das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen (Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 5 Zweite Richtlinie, § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG). Wird eine solche besondere Ermächtigung erteilt, muss schon hier über die Gründe für einen möglichen späteren Ausschluss des Bezugsrechts berichtet werden (§ 203 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG, Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 4 Satz 3 Zweite Richtlinie). Gleiches gilt, wenn die Hauptversammlung selbst bereits im Ermächtigungsbeschluss das Bezugsrecht ausschließt (§ 203 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 186 Abs. 3 AktG). Während der BGH hierbei früher die Angabe möglichst konkreter Tatsachen verlangte und damit den Ausschluss des Bezugsrechts im genehmigten Kapital nach einer vielfach vertretenen Ansicht übermäßig behinderte,55) reicht nach seiner neueren Auffassung im bereits erwähnten (oben Rz. 6.31) SiemensNold-Urteil ein allgemein gehaltener Bericht aus.56) Nach Auffassung des BGH sind zum Ausgleich strengere Verhaltenspflichten 6.39 an den tatsächlichen Ausschluss des Bezugsrechts durch die Verwaltung anzulegen, was dem Ansatz insbesondere im anglo-amerikanischen Ausland und jetzt auch im ARAG-Urteil (oben Rz. 3.90) entspricht. Der II. Zivilsenat verneinte im Fall Mangusta/Commerbank I allerdings eine Berichtspflicht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 203 Abs. 2 Satz 2 AktG vor Ausnutzung eines genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts; sie folge insbesondere auch nicht aus Art. 33 [früher Art. 29] der Zweiten Richtlinie. Ausreichend sei, wenn die Verwaltung auf der der Ausnutzung folgenden ordentlichen Hauptversammlung der Gesellschaft über die Kapitalmaßnahme berichte und dort Rede und Antwort

___________ 55) BGHZ 83, 319, 321 ff. (Holzmann) = ZIP 1982, 689 = NJW 1982, 2444; insoweit krit. Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 112 ff. (dazu auch Fleck, RdA 1988, 120 f.); Marsch, AG 1981, 211, 215. 56) BGHZ 136, 133 = NJW 1997, 2815 = ZIP 1997, 1499 = EWiR § 203 AktG 1/97, 1013 (Hirte) = JZ 1998, 47 (Lutter) = DStR 1997, 1460 (Goette) = LM H. 1/1998 § 186 AktG 1965 Nr. 9 (Schwark) = DZWir 1998, 324 (Kerber); dazu Bungert, NJW 1998, 488 ff.; Cahn, ZHR 163 (1999), 554 ff.; ders., ZHR 164 (2000), 113 ff.; Hirte, Blick durch die Wirtschaft v. 11.12.1997, Nr. 239, S. 5; Hofmeister, NZG 2000, 713 ff.; Ihrig, WiB 1997, S. 1181 f.; Kindler, ZGR 1998, 35; Volhard, AG 1998, S. 397 ff.; dem folgend BGHZ 144, 290 (adidas) = ZIP 2000, 1162 = NJW 2000, 2356 = NZG 2000, 836 = EWiR § 203 AktG 1/2000, 941 (Hirte) = LM H. 10/2000 § 27 AktG 1965 Nr. 6 (Noack) = WuB II A. § 27 AktG 1.00 (Ekkenga/ J. Schneider); LG Darmstadt NJW-RR 1999, 1122; ebenso zuvor bereits KG WM 1996, 1454 (VIAG) = EWiR § 45 AktG 1/96, 721 (Dreher) (inzwischen rkr.). – Zur entsprechenden Anwendung dieser Grundsätze im Falle der Ausgabe von Wandelanleihen nach § 221 Abs. 4 AktG BGH ZIP 2007, 2122 = NZG 2007, 907 = DStR 2007, 2122.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

stehe (so im amtlichen Leitsatz am Ende).57) Allerdings hielt es der Senat in einem Parallelverfahren letztlich für zulässig, das Handeln der Verwaltung bei der Kapitalerhöhung im Wege der (allgemeinen) Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO anzugreifen, hinsichtlich derer das erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht schon mit der Eintragung der angegriffenen Kapitalerhöhung in das Handelsregister (§ 203 Abs. 1 i. V. m. § 189 AktG) entfallen sei. Denn es sei einerseits möglich und andererseits zulässig, auf der Grundlage einer erfolgreichen Feststellungsklage Schadenersatzansprüche etwa gegen die Verwaltung geltend zu machen.58) Das BVerfG bestätigte, dass die Nicht-Vorlage zahlreicher sich in den Verfahren stellender europarechtlicher Fragen mit dem GG (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; Gebot des „gesetzlichen Richters“) in Einklang gestanden habe.59) Ungeklärt ist jetzt aber noch, ein wie großer Spielraum der Verwaltung für die Festsetzung des Ausgabekurses der neuen Aktien eingeräumt werden darf.60) 6.40 Eine Folgefrage des neuen „vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses“ (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG) ist die Übertragung der 10 %-Grenze, bis zu der das Bezugsrecht bei einer Kapitalerhöhung „vereinfacht“ ausgeschlossen werden darf, auf das genehmigte Kapital. Sieht man das genehmigte Kapital als eine vom Gesetz eröffnete Möglichkeit, die Stellung der Verwaltung nach US-amerikanischem Vorbild zu Lasten der Hauptversammlung zu stärken, gilt die Grenze im Zweifel in jedem Jahr neu, so

___________ 57) BGHZ 164, 241 (Mangusta/Commerzbank I) = NJW 2006, 371 = ZIP 2005, 2205 = EWiR § 203 AktG 1/06, 35 (Hirte); Vorinstanzen OLG Frankfurt/M. ZIP 2003, 902 = NZG 2003, 584 = DStR 2003, 1543 (Ls.) (Wälzholz); LG Frankfurt/M. WM 2000, 2159, 2160 = ZIP 2001, 117 (hierzu Bosse, ZIP 2001, 104 ff.; Sinewe, ZIP 2001, 403, 404); abw. Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 120 ff.; ders., in: GroßK, § 203 AktG Rz. 84 ff.; ders., DStR 2001, 577, 580; ders., EWiR § 203 AktG 1/97, 1013, 1014; ders., FAZ v. 20.12.2000 Nr. 296, S. 30; ders., ZIP 1989, 1233, 1239; ders., DStR 2001, 577, 580; Lutter, JZ 1998, 47, 50 ff.; Meilicke/Heidel, DB 2000, 2358, 2359. – Zu den Urteilen Bürgers/ Holzborn, BKR 2006, 199; Busch, NZG 2006, 81; Drinkuth, AG 2006, 142; Krämer/Kiefner, ZIP 2006, 301; Kubis, DStR 2006, 188; Paschos, WM 2005, 345; ders., DB 2005, 2731; Reichert/ Senger, Konzern 2006, 338; Waclawik, ZIP 2006, 397; Wilsing, ZGR 2006, 722. 58) BGHZ 164, 249 (Mangusta/Commerzbank II) = NJW 2006, 374 = ZIP 2005, 2207 = EWiR § 203 AktG 2/06, 65 (Hirte) = JZ 2007, 367 (Lutter); ebenso zuvor Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 134; rechtsvergleichend Arlt, DZWIR 2007, 177; abw. als Vorinstanz OLG Frankfurt/M. ZIP 2003, 1198 = NZG 2003, 331. 59) BVerfG, ZIP 2006, 1486; abw. Hirte, in: GroßK, § 202 AktG Rz. 44 ff.; ders., DStR 2001, 577 ff. 60) Für Unzulässigkeit der Ermächtigung des Vorstands zu einer Kapitalerhöhung mit Mehrzuteilungsoption („Greenshoe“) wegen des weiten der Verwaltung eingeräumten Spielraums KG ZIP 2001, 2178, 2179 (Senator Entertainment) = DStR 2002, 1681 (inzwischen rkr.); dazu Busch, AG 2002, 230; Groß, ZIP 2002, 160; Schanz, BKR 2002, 439; i. E. abw. Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 93 m. w. N., § 204 AktG Rz. 13, 16; Meyer, WM 2002, 1106.

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II. Kapitalmaßnahmen

dass im Ergebnis der gesamte Ermächtigungsrahmen innerhalb von fünf Jahren im Wege des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses platziert werden kann.61) Während der Laufzeit eines Übernahmeangebots kann der Vorstand ein ge- 6.41 nehmigtes Kapital nur ausnutzen, wenn er zugleich eine besondere Ermächtigung nach § 33 Abs. 2 WpÜG erteilt bekommen hat.62) Bei der GmbH wurde durch das MoMiG in § 55a GmbHG ein genehmigtes Kapital 6.42 in Anlehnung an die aktienrechtliche Regelung eingeführt.63) Dabei kann – wie im Aktienrecht dem Vorstand – auch die Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts dem Geschäftsführer übertragen werden.64) Um es sinnvoll nutzen zu können, sollte die Satzung zudem – ähnlich wie dies § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG für die Aktiengesellschaft ausdrücklich gestattet – auch die Kompetenz zur Satzungsanpassung auf die Geschäftsführung oder den Aufsichtsrat übertragen. Im Zusammenhang mit der Finanzkrise des Jahres 2008 wurden durch Art. 2 6.42a §§ 3 ff. des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes vom 17. Oktober 2008 (FMStG) (= Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“) für Unternehmen des Finanzsektors (§ 1 des Gesetzes) zahlreiche Sonderregelungen gegenüber dem normalen Verfahren der Kapitalerhöhung geschaffen, insbesondere eine zuletzt bis zum 31. Dezember 2010 bestehende gesetzliche Ermächtigung zur Kapitalerhöhung („gesetzlich genehmigtes Kapital“).

bb)

Mittelbares Bezugsrecht

Der Beschleunigung einer Kapitalerhöhung dient bei großen, insbesondere 6.43 börsennotierten Aktiengesellschaften auch die Einschaltung eines aus Banken bestehenden Emissionskonsortiums, das sämtliche aus einer Kapitalerhöhung hervorgehenden Aktien (zunächst) selbst übernimmt. Die Zeichnung und insbesondere die Kapitalaufbringung vollziehen sich dann ausschließlich im Verhältnis zwischen den Banken und der Aktiengesellschaft. Dabei ist es üblich, dass ___________ 61) Ausführlich jetzt Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 115; abw. LG München I ZIP 1996, 76 = EWiR § 186 AktG 1/96, 199 (Kowalski); bestätigt im Rahmen einer Entscheidung nach § 91a ZPO durch OLG München NJW-RR 1997, 871 (Hypobank) = DZWir 1997, 26 (Kindler) = DStR 1997, 254 (Harrer); sowie früher Hirte, ZIP 1994, 356, 362; ders., in: GroßK, § 207 AktG Rz. 35 (für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln); Lutter, KK, Nachtrag § 186 AktG Rz. 9. 62) Vgl. Hirte, KK-WpÜG, § 33 Rz. 92, 101; ders., in: GroßK, § 202 AktG Rz. 139; ebenso Bayer, ZGR 2002, 588, 610 ff.; Hopt, in: Festschrift für Lutter (2000), S. 1361, 1391; T. Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien durch die AG (2001), S. 42 f. Rz. 53 (für den Erwerb eigener Aktien); abw. Krause, AG 2002, 705, 712 (da er von geringer Bedeutung des § 33 Abs. 2 WpÜG ausgeht); ders., AG 2002, 133, 137 (wenngleich die systematische Stimmigkeit der hier vertretenen Auffassung konstatierend); ders., BB 2002, 1053, 1054; Winter/ Harbarth, ZIP 2002, 1, 7, 12; Zschocke, DB 2002, 79, 83. 63) Hierzu Hirte, NZG 2008, 761, 763. 64) OLG München ZIP 2012, 330, 331 = NJW-RR 2012, 612 = NZG 2012, 426 = DStR 2012, 370 = EWiR § 55a GmbHG 1/12, 113 (Lieder).

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

die Kreditinstitute die jungen Aktien nur zum Nennbetrag übernehmen und ein etwa bei deren Weiterveräußerung erzieltes Aufgeld nur auf der Grundlage des Emissionsvertrages an die Gesellschaft weiterreichen.65) Erst in einem zweiten Schritt werden die jungen Aktien dann, soweit das Bezugsrecht nicht ausgeschlossen ist, den Altaktionären angeboten; sie erhalten ein mittelbares Bezugsrecht. Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 7 Zweite Richtlinie, § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG stellen ausdrücklich klar, dass diese Gewährung eines indirekten (gegen ein Kreditinstitut gerichteten) Bezugsrechts nicht als Ausschluss des Bezugsrechts i. S. v. Art. 33 [früher Art. 29] Abs. 4 Satz 1 Zweite Richtlinie, § 186 Abs. 3 AktG anzusehen ist. Ob dies auch bei Einräumung des Bezugsrechts durch ein Nicht-Kreditinstitut gilt, ist umstritten.66) cc)

Bedingtes Kapital

6.44 Das bedingte Kapital (§§ 192 ff. AktG) dient in erster Linie dazu, die Wandeloder Optionsrechte der Inhaber von Wandel- und Optionsanleihen abzusichern: der Gesellschaft wird es unmöglich gemacht, den Gläubigern von Wandel- und Optionsanleihen das Recht zu entziehen, bei Ausübung ihres Wandel- oder Optionsrechts im Wege der Kapitalerhöhung Aktionär zu werden (§ 192 Abs. 4 AktG; vgl. auch oben Rz. 5.8). 6.45 Problematisch war dabei in jüngerer Zeit vor allem, ob und unter welchen Voraussetzungen nach vor allem anglo-amerikanischem Vorbild solche Wandeloder Optionsrechte auch den Organmitgliedern und leitenden Angestellten einer Gesellschaft eingeräumt werden konnten, um sie durch Beteiligung am Unternehmenserfolg in Form einer Steigerung des Aktienkurses stärker zu einer weiteren Wertsteigerung des Unternehmens und damit mittelbar auch einer Vermögensmehrung der Aktionäre (shareholder value) zu motivieren. Derartige Optionsrechte (stock options) waren in der Vergangenheit in der Form geschaffen worden, dass Optionsanleihen auf der Grundlage von § 221 AktG ausgegeben wurden, die unmittelbar nach ihrer Ausgabe in die Anleihe und das (dann „reine“ oder „nackte“) Optionsrecht getrennt wurden. Das war allerdings zunächst im Hinblick darauf problematisch, dass die Ausgabe isolierter Bezugsrechte und deren Absicherung durch bedingtes Kapital nach überwiegender Meinung zum bislang geltenden Aktiengesetz als unzulässig angesehen wurden (dazu oben Rz. 5.5). Umstritten war zweitens der Umfang der Information, die der Hauptversammlung zu geben ist, und drittens die Frage, ob die Gewährung von Aktienoptions___________ 65) Zur Vereinbarkeit dieses Vorgehens mit den Kapitalaufbringungsregeln und zu den Voraussetzungen, unter denen es mit § 255 Abs. 2 AktG vereinbar ist, ausführlich Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 102 m. w. N.; Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften (2004), S. 257 ff.; Wiedemann, in: GroßK, § 186 AktG Rz. 201 f. 66) Dagegen OLG Koblenz EWiR § 186 AktG 2/98, 433 (Wilhelm); offengelassen in der Revision durch BGHZ 142, 167 (Hilgers) = ZIP 1999, 1444 = NJW 1999, 3197 = DStR 1999, 1449 (Goette) = LM § 8 AktG Nr. 1 (Noack) = WuB II A. § 229 AktG 1.00 (Hirte).

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II. Kapitalmaßnahmen

rechten an Vorstandsmitglieder und leitende Angestellte, die notwendig einen Ausschluss des Bezugsrechts der anderen Aktionäre voraussetzt, einen sachlichen Grund für den Ausschluss des Bezugsrechts dieser anderen Aktionäre darstellt.67) Der Gesetzgeber des KonTraG hat diese Fragen daraufhin zumindest teilweise 6.46 einer gesetzlichen Lösung zugeführt. Nach § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG n. F. wird daher ausdrücklich zugelassen, ein bedingtes Kapital zur Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung der Gesellschaft (nicht also Aufsichtsratsmitglieder68) oder eines verbundenen Unternehmens zu schaffen, wenn diese aufgrund eines Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschlusses nach § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG ausgegeben werden. Um den Verwässerungseffekt für die Altaktionäre in Grenzen zu halten, dürfen sich diese Optionsrechte allerdings nur auf höchstens 10 % des Grundkapitals richten (§ 192 Abs. 3 AktG). Zugleich sind in § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG n. F. zwingende (Mindest-)Voraussetzungen für den Inhalt eines solchen Beschlusses vorgegeben worden; dazu gehören neben den schon bislang erforderlichen Angaben zum Ausgabebetrag bzw. seinen Berechnungsgrundlagen (§ 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG) Angaben zur Aufteilung der Bezugsrechte auf die Mitglieder der Geschäftsleitung und Arbeitnehmer, auf die Voraussetzungen, unter denen sie ausgeübt werden können („Erfolgsziele“),69) und die Zeiträume, in denen sie erworben und ausgeübt werden können. Festzulegen ist schließlich eine (mindestens zweijährige) Wartezeit ___________ 67) Für Zulässigkeit inzwischen BGH ZIP 2006, 368, 369 Tz. 6; LG Frankfurt/M. ZIP 1997, 1030, 1033 (Deutsche Bank) = DB 1997, 517, 518; Hirte, in: GroßK, § 221 AktG Rz. 145; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 18; MünchKomm-Habersack, § 221 AktG Rz. 188; Weiß, WM 1999, 352, 354, 362 f.; D. Zimmer, NJW 1998, 3521, 3530; dazu auch – wenngleich i. E. offenlassend – OLG Schleswig AG 2003, 48, 49; abw. früher LG Braunschweig ZIP 1998, 914, 917 (VW) = NZG 1998, 387, 389 f. – Zu den Informationsanforderugen bei einem Ausschluss des Bezugsrechts OLG Braunschweig ZIP 1998, 1585, 1587 ff. (VW); OLG Stuttgart ZIP 1998, 1482, 1489 ff. (Daimler Benz); OLG Schleswig AG 2003, 48, 49 (Informationsnotwendigkeit hinsichtlich der Einbeziehung von Aufsichtsratsmitgliedern). 68) Insoweit bestätigt durch BGHZ 158, 122 (MobilCom) = ZIP 2004, 613 = NJW 2004, 1109 = NZG 2004, 376 = DStR 2004, 652 = EWiR § 71 AktG 1/04, 413 (Lenenbach) (verbunden mit dem Hinweis, dass dieses Verbot auch für die Zuteilung zurückerworbener eigener Aktien gilt; abw. zuvor als Vorinstanz OLG Schleswig EWiR § 71 AktG 1/02, 1031 [Luttermann]); ebenso zuvor LG Memmingen AG 2001, 375 (Schneider Rundfunkwerke) = DB 2001, 1190 = EWiR § 221 AktG 1/01, 405 (Kort) (für Wandelanleihe); dazu Bürgers, NJW 2004, 3022; Fuchs, WM 2004, 2233; Habersack, ZGR 2004, 721; Meyer/Ludwig, ZIP 2004, 940; Paefgen, WM 2004, 1169; Peltzer, NZG 2004, 509; Prasse, MDR 2004, 792; Vetter, AG 2004, 234. 69) Zur (bedenklichen) Zulässigkeit, für den Leistungsbezug allein an den eigenen Börsenkurs der Gesellschaft anzuknüpfen, OLG Stuttgart ZIP 2001, 1367, 1370 ff. (DaimlerChrysler) = NZG 2001, 1089 = DB 2001, 1604 = EWiR § 192 AktG 1/01, 793 (Leuering) (Vorinstanz LG Stuttgart ZIP 2000, 2110 = EWiR § 192 AktG 1/2000, 1087 [Luttermann]). Zur (ebenfalls bedenklichen) Zulässigkeit der Festlegung selbst eines gesunkenen Aktienkurses als Erfolgsziel, wenn ein negativer Börsentrend gestoppt werden soll, OLG Koblenz ZIP 2002, 1845, 1847 (n. rkr., nachgehend BGH [10.6.2003 – II ZR 191/02], das Verfahren ruht). Zur Börseneinführung als zulässigem Erfolgsziel LG München I ZIP 2001, 287 (AAFORTUNA) = AG 2001, 376 (aufgehoben aus anderen Gründen durch OLG München ZIP 2002, 1150, 1151 f. = NJW-RR 2002, 1117).

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

für die erstmalige Ausübung der Optionsrechte; dabei handelt es sich der Sache nach ebenfalls um ein Erfolgsziel, da vor Ablauf einer bestimmten Mindestzeit Kurssteigerungen kaum auf Leistungen der aktuellen Unternehmensführung zurückgeführt werden können.70) 6.47 Auf den Umfang der Bezugsrechte ist schließlich nach § 285 Nr. 9 a HGB n. F. im Anhang zum Jahresabschluss hinzuweisen (dazu auch oben Rz. 3.24). Weitere Anforderungen an die Offenlegung stellen Empfehlungen 4.2.3 DCGK sowie für den Konzernabschluss 7.1.3 DCGK. Nicht sicher ist allerdings, ob die genannten gesetzlichen Vorgaben in §§ 192, 193 AktG abschließend sind. So ist insbesondere offen, ob und unter welchen Voraussetzungen neben dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung ein formeller Ausschluss des Bezugsrechts nach § 186 AktG nebst entsprechendem Bericht erforderlich ist.71) Unsicher ist auch, wieweit die Vorgaben zum Beschlussinhalt nach § 193 Abs. 2 AktG abschließend sind;72) und ungeklärt ist auch, ob das bislang übliche Verfahren zur Ausgabe von stock options auch neben dem nach neuem Recht zugelassenen Vorgehen noch zulässig ist. Für die insoweit wohl wichtigste Frage der Zulässigkeit einer Gewährung von stock options auch an Aufsichtsratsmitglieder ist die Frage aber inzwischen entschieden (oben Rz. 6.46). c)

Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln

6.48 Statt durch Zuführung neuer Mittel von außen kann eine Kapitalerhöhung auch in der Weise vorgenommen werden, dass die Kapitalziffer entsprechend dem schon in der Gesellschaft vorhandenen Reinvermögen nach oben angepasst wird. Man spricht von einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln oder nominellen Kapitalerhöhung (§§ 207 ff. AktG, §§ 57c ff. GmbHG). Auch sie ist echte Kapitalerhöhung; denn sie führt zu einer Erhöhung des Umfangs des gebundenen Vermögens. Sie ist nur möglich, wenn zuvor bereits bestimmte Rücklagen in der Bilanz der Gesellschaft vorhanden sind und diese durch Vermögen gedeckt sind (dazu oben Rz. 5.47 ff.). 6.49 Führt man das Bild der Staumauer fort, tritt also an die Stelle der zunächst nur auf der

Mauer aufgestellten Palisaden (der Rücklagen) eine Erhöhung der soliden Staumauer.

___________ 70) Zur Reform Feddersen, ZHR 161 (1997), 269 ff.; Hirte, in: Karsten Schmidt/Riegger, Gesellschaftsrecht 1999. RWS-Forum 15 (2000), S. 211, 213 ff.; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 ff.; Kleindiek, in: Hommelhoff/Röhricht, Gesellschaftsrecht 1997. RWS-Forum 10 (1998), S. 23 ff.; Kohler, ZHR 161 (1997), 246 ff.; Lutter, ZIP 1997, 1 ff.; Martens, AG 1997, Sonderheft, S. 83, 87 ff.; Zimmer, NJW 1998, 3521, 3529 f. 71) So Lutter, ZIP 1997, 1, 3 ff.; abw. OLG Stuttgart ZIP 2001, 1367, 1370 ff. (DaimlerChrysler) = NZG 2001, 1089 = DB 2001, 1604 = EWiR § 192 AktG 1/01, 793 (Leuering) (Vorinstanz LG Stuttgart ZIP 2000, 2110 = EWiR § 192 AktG 1/2000, 1087 [Luttermann]); Martens, AG 1997, Sonderheft, S. 83, 88 ff. 72) Dafür (sehr zweifelhaft) OLG Stuttgart ZIP 2001, 1367, 1370 ff. (DaimlerChrysler) = NZG 2001, 1089 = DB 2001, 1604 = EWiR § 192 AktG 1/01, 793 (Leuering) (Vorinstanz LG Stuttgart ZIP 2000, 2110 = EWiR § 192 AktG 1/2000, 1087 [Luttermann]).

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II. Kapitalmaßnahmen

Die Gesellschafter haben es jetzt nicht mehr in der Hand, durch Abbau der Palisaden einen früheren Abfluss des Wassers zu ermöglichen.

Wird die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln wie im gesetzlichen Regelfall 6.50 (§ 207 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 182 Abs. 1 AktG, § 57h Abs. 1 GmbHG) durch Ausgabe neuer Anteile ausgeführt, stehen diese zwingend den Altgesellschaftern zu, da die aus der Kapitalerhöhung hervorgehenden Aktien bzw. Geschäftsanteile nur das Reinvermögen repräsentieren, das bereits vorher in der Gesellschaft vorhanden war (§ 212 AktG, § 57j GmbHG). Nach Ausführung der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln verteilt es sich lediglich auf eine größere Zahl Aktien bzw. Geschäftsanteile, so dass der Wert der einzelnen Anteile rechnerisch zurückgeht.73) Dies sei nochmals unter Fortführung des bereits bekannten Beispiels erläutert: Nehmen wir an, eine Aktiengesellschaft verfüge über ein Grundkapital von 1 Mio. Euro, das mit einem in die Kapitalrücklage eingestellten Aufgeld von 500.000 Euro ausgegeben worden war. Der Börsen- oder Kurswert der zehn Aktien soll wieder jeweils 300.000 Euro betragen. Wird nun das Kapital durch Umwandlung der vorhandenen Rücklagen – deren Umwandlungsfähigkeit unterstellt – um fünf Aktien mit einem geringsten Ausgabebetrag von jeweils 100.000 Euro erhöht, verteilt sich der Unternehmenswert von 3 Mio. Euro nunmehr auf 15 statt auf bislang zehn Aktien. Der Wert der einzelnen Aktie sinkt auf 200.000 Euro.

6.51

Hat eine Aktiengesellschaft Stückaktien ausgegeben, erlaubt § 207 Abs. 2 Satz 2 6.52 AktG jetzt auch eine Kapitalerhöhung ohne Ausgabe von Aktien und aufgrund des Prinzips der Stückaktie – darüber hinaus – ohne Vermerk der Erhöhung auf der einzelnen Aktie. Der Erhöhungsbetrag verteilt sich in einem solchen Fall sozusagen verdeckt auf alle vorhandenen Aktien. Das ist eine deutliche Erleichterung vor allem für Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln zwecks Anhebung „ungerader“ Beträge des Gesamt-Grundkapitals auf glatte Euro-Beträge. Gleiches gilt, wenn – was bei der GmbH uneingeschränkt zulässig ist – der Nennwert der Geschäftsanteile erhöht wird (§ 57h Satz 1 GmbHG); auch hier kommt die Steigerung des Nominalwerts der alten Anteile automatisch allen Altgesellschaftern zu. Der bei Aktiengesellschaften für die Ausgabe neuer Aktien bei einer Kapitaler- 6.53 höhung aus Gesellschaftsmitteln gebräuchliche Begriff Gratisaktien ist in diesem Zusammenhang irreführend: denn die Aktionäre erhalten nichts „umsonst“. Art. 17 Abs. 6 [früher Art. 15 Abs. 3] Zweite Richtlinie stellt daher ausdrücklich klar, dass es sich hierbei nicht um eine Ausschüttung handelt. Der Ausdruck „Gratisaktien“ hat aber wegen der bei den börsennotierten Aktiengesellschaften üblichen Dividendenkontinuität einen richtigen Kern: denn die Gesellschaften lassen üblicherweise trotz des erhöhten Kapitals die auf die einzelne Aktie entfallende Dividende unverändert und verringern nicht – was rechnerisch konsequent wäre – die auf die einzelne Aktie entfallende Dividende im prozentualen ___________ 73) Hirte, in: GroßK, § 207 AktG Rz. 33.

445

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

Umfang der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln wirkt daher im Ergebnis – aber nicht zwingend – wie eine Erhöhung des Dividendensatzes im Umfang der Kapitalerhöhung.74) 6.54 Da bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln keine Einlage zu leisten ist (arg. § 14 Satz 3 GmbHG: Einlagepflicht nur durch Übernahmeerklärung), bedarf es auch keiner Vorschriften, die die Korrektheit ihrer Erbringung sicherstellen. Vielmehr ist umgekehrt zu gewährleisten, dass die Beträge, die für die Kapitalerhöhung herangezogen werden, auch tatsächlich bereits im Gesellschaftsvermögen vorhanden sind. Das geschieht dadurch, dass dem Beschluss über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln eine geprüfte Bilanz zugrunde zu legen ist (§§ 207 Abs. 4, 209 AktG, §§ 57c Abs. 3, 57e, 57f GmbHG).75) 2.

Kapitalherabsetzung

6.55 Das Gegenstück zur Kapitalerhöhung bildet die Kapitalherabsetzung. Hier wird entsprechend danach unterschieden, ob Mittel aus dem Vermögen der Gesellschaft an die Gesellschafter zurückfließen oder nicht. Im ersten Fall spricht man von einer effektiven (oder ordentlichen) Kapitalherabsetzung, sonst von einer bloß nominellen (oder vereinfachten) Kapitalherabsetzung. Da die effektive Kapitalherabsetzung zur Rückzahlung eines Teils des Gesellschaftsvermögens an die Gesellschafter führt, wird sie auch als „Teilliquidation“ bezeichnet. In der Aktiengesellschaft stellte sie den neben der Dividendenzahlung einzigen legalen Weg zur Ausschüttung von Vermögen an die Gesellschafter dar; das wurde erst kürzlich durch die Liberalisierung der Möglichkeiten eines Erwerbs eigener Aktien (dazu oben Rz. 5.99 ff.) ergänzt. Im US-amerikanischen Recht werden alle diese Formen der Mittelverteilung an die Gesellschafter gleichermaßen als distribution behandelt, was ihre wirtschaftliche Verwandtschaft deutlicher macht. Eine effektive Kapitalherabsetzung ist dabei auch dann erforderlich, wenn den Gesellschaftern offene Einlageforderungen erlassen werden sollen; denn auch hier erhalten die Gesellschafter in Form der Befreiung von ihrer Einlageverbindlichkeit etwas zurück. 6.56 Für beide Arten der Kapitalherabsetzung bedarf es eines mit satzungsändernder Mehrheit gefassten Beschlusses der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung (Art. 34 [früher Art. 30] Abs. 1 Satz 1 Zweite Richtlinie, § 222 AktG, § 58 GmbHG). Die Aktien bzw. Geschäftsanteile können sodann entweder zusammengelegt werden („aus zwei mach eins“), oder es kann der Nennwert der einzelnen Aktien oder Geschäftsanteile herabgesetzt werden (§ 222 Abs. 4 AktG, bei der GmbH ist dies nicht ausdrücklich in § 58 GmbHG geregelt). In Betracht kommt aber auch die Einziehung einzelner Aktien nach Art. 41 [früher Art. 37] Abs. 1 Zweite Richtlinie, §§ 237 ff. AktG; dabei ist jedoch der Gleichbehan___________ 74) Hirte, in: GroßK, § 207 AktG Rz. 37 m. w. N. 75) Hirte, in: GroßK, § 207 AktG Rz. 92.

446

II. Kapitalmaßnahmen

dlungsgrundsatz des Art. 46 [früher Art. 42] Zweite Richtlinie, § 53a AktG zu beachten. Eine ähnliche Regelung findet sich in § 34 GmbHG für die GmbH. a)

Effektive Kapitalherabsetzung

Bei der effektiven Kapitalherabsetzung bedarf es vor allem eines Schutzes der 6.57 Gläubiger. Denn deren Interessen wären beeinträchtigt, wenn die Gesellschafter die Kapitalziffer ohne Rücksicht auf die Gläubiger nach unten verändern könnten. Dadurch wird nämlich der Umfang des geschützten Vermögens kleiner, Ausschüttungen an die Gesellschafter werden mithin (wieder) zulässig. Im Bild der Staumauer würde dies einen Teilabriss der Mauer bedeuten: ist die Tal- 6.58 sperre gefüllt, läuft das Wasser nunmehr über.

Für dieses Vorgehen kann es gute Gründe geben: zu denken ist an die schlichte 6.59 Verkleinerung des Geschäftsvolumens aufgrund geänderter Verhältnisse oder an die Notwendigkeit einer Abfindung ausscheidender Gesellschafter.76) Gleichwohl ist die effektive Kapitalherabsetzung sehr selten. Zum Schutz der Gläubiger wäre insoweit an ein individuelles oder kollektives Zustimmungserfordernis aller im Zeitpunkt der Kapitalherabsetzung vorhandenen Gläubiger zu denken. Das Gesetz geht jedoch statt dieses unpraktikablen Ansatzes einen anderen Weg: es lässt den Gesellschaftern die Freiheit der Kapitalherabsetzung, sieht aber einen (zwingenden) Schutz der Gläubiger durch andere Mechanismen als ein Zustimmungserfordernis vor. Im Mittelpunkt stehen hier bei Aktiengesellschaft und GmbH gleichermaßen der Gläubigeraufruf (§ 225 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 58 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG), die Meldung der Gläubiger bei der Gesellschaft und deren Anspruch auf Befriedigung oder Sicherheitsleistung (Art. 36 [früher Art. 32] Abs. 1 Satz 1 Zweite Richtlinie, § 225 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 58 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) sowie die Jahresfrist des § 58 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG vor Anmeldung des Beschlusses zur Eintragung in das Handelsregister bzw. die Halbjahresfrist nach § 225 Abs. 1 Satz 2 AktG (Art. 36 [früher Art. 32] Abs. 2 Zweite Richtlinie) nach Eintragung und Bekanntmachung des Beschlusses, vor deren Ablauf keine Zahlungen an die Gesellschafter bzw. Aktionäre geleistet werden dürfen („Sperrjahr“ bzw. „Sperrhalbjahr“). b)

Nominelle (oder vereinfachte) Kapitalherabsetzung

Anders sieht es aber aus, wenn das Grund- oder Stammkapital (teilweise) durch 6.60 Wertminderungen oder Verluste aufgezehrt ist. Dann bedarf es des Gläubigerschutzes durch Befriedigung oder Sicherheitsleistung nicht mehr (Art. 37 [früher Art. 33] Abs. 1 Satz 1 Zweite Richtlinie, §§ 229 ff. AktG, §§ 58a ff. GmbHG). Dies gilt natürlich nur dann, wenn keine Leistungen an die Gesellschafter abfließen (ausdrücklich § 230 Satz 1 AktG; Art. 37 [früher Art. 33] Abs. 2 Zweite Richtlinie). Das durch die Kapitalherabsetzung frei werdende Kapital darf daher ___________ 76) Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, § 58 GmbHG Rz. 2 m. w. Beispielen.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

nur zum Ausgleich eben dieser Wertminderungen bzw. zur Deckung von Verlusten sowie in gewissem Umfang zur Bildung neuer Rücklagen verwendet werden (Art. 37 [früher Art. 33] Abs. 1 Satz 1 Zweite Richtlinie, § 230 Satz 2 AktG, § 58b Abs. 1 GmbHG) (Zweckbindung). 6.61 Im Bild der Staumauer geht es also hier darum, die Staumauer bis auf die Höhe eines „durch Austrocknen“ (= Verluste) niedrigeren Wasserspiegels abzusenken. Dies sei ebenfalls unter Fortführung des bereits bekannten Beispiels erläutert: Nehmen wir wieder an, eine Aktiengesellschaft verfüge über ein Grundkapital von 1 Mio. Euro, das aus zehn Stückaktien oder zehn Aktien zu nominal je 100.000 Euro besteht. Infolge von Verlusten ist das Grundkapital wirtschaftlich auf 800.000 Euro gesunken (rechtlich sind solche Verluste – zunächst – irrelevant). Der Preis der einzelnen Aktie liegt jetzt typischerweise unter dem rechnerisch auf die einzelne Aktie entfallenden Teilbetrag des Grundkapitals bzw. unter ihrem Nominalbetrag; eine Kapitalerhöhung ist in dieser Situation nicht möglich, da neue Aktien mindestens zum geringsten Ausgabebetrag ausgegeben werden müssten. Wird nun das Kapital um 20 % auf 800.000 Euro herabgesetzt, wird der rechnerische Teilbetrag bzw. der Nominalbetrag der Aktien dem gesunkenen inneren Wert angepasst. Der Börsenwert der einzelnen Aktie bleibt dadurch unverändert. Aber eine Kapitalerhöhung wird wieder möglich.

6.62

6.63 Voraussetzung ist aber, dass die behaupteten Verluste wirklich vorliegen. Diese Feststellung kann, insbesondere wenn die Verluste auf die Bildung von Rückstellungen zurückgehen, gewisse Schwierigkeiten bereiten.77) Vor allem aus diesem Grunde war gefordert worden, den Beschluss über die vereinfachte Kapitalherabsetzung als erheblichen Eingriff in die mitgliedschaftliche und vermögensrechtliche Stellung der Aktionäre einer „materiellen Beschlusskontrolle“ nach dem Vorbild des Bezugsrechtsausschlusses zu unterwerfen. Der BGH lehnte dies allerdings im Hinblick auf den gesetzlich ausgestalteten verfahrensmäßigen Schutz der Aktionäre in §§ 222 Abs. 4, 229 AktG bei der im Anschluss an die Kapitalherabsetzung erfolgenden Zusammenlegung der Aktien ab.78) 6.64 Dem ist freilich auch dann zu folgen, wenn man grundsätzlich am Erfordernis eines

„sachlichen Grundes“ festhält. Denn die Absenkung des Nennwerts der einzelnen

___________ 77) BGHZ 119, 305, 320 (Klöckner) = WM 1992, 1902, 1907 = ZIP 1992, 1542, 1547 = NJW 1993, 57, 60 = EWiR § 9 AGBG 1/93, 3 (Hammen) (AG); OLG Frankfurt/M. WM 1989, 1688, 1690 = EWiR § 229 AktG 1/89, 737 (Weipert) (AG); Hirte, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (3. Aufl. 2009), S. 902, 914 Rz. 29; Hüffer/Koch, § 229 AktG Rz. 8 (AG); Lutter, KK, § 229 AktG Rz. 14 (AG); Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, § 58a GmbHG Rz. 9, 11 f.; MünchKomm-Oechsler, § 229 AktG Rz. 20 (AG); Scholz/Priester, § 58a GmbHG Rz. 10; Wirth, DB 1996, 867, 868 f. (AG). 78) BGHZ 138, 71 = NJW 1998, 2054 = ZIP 1998, 692 = LM H. 7/1998 § 222 AktG 1965 Nr. 3 (Heidenhain) = NZG 1998, 422 = DStR 1998, 690 = BB 1998, 810 m. Anm. Thümmel, 911 = EWiR § 222 AktG 1/99, 49 (Dreher); abw. die Vorinstanz OLG Dresden ZIP 1996, 1780 (Sachsenmilch) = WiB 1997, 358 (Pfeifer) = EWiR § 229 AktG 1/97, 195 (Hirte) (für eine Kapitalherabsetzung im Verhältnis 750:1); im Grundsatz dem OLG zustimmend Hirte, in: Festschrift für Claussen (1997), S. 115, 122 f.; ders., in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (3. Aufl. 2009), S. 902, 917 Rz. 35; ders., Die vereinfachte Kapitalherabsetzung bei der GmbH (1997), S. 38 f.; ausführlich Röhricht, in: VGR, Bd. 1 (1999), S. 1, 16 ff.

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II. Kapitalmaßnahmen

Anteile als erster Schritt einer Kapitalherabsetzungsmaßnahme bedurfte wegen ihrer Neutralität in Bezug auf die Beteiligungsverhältnisse auch nach der vom Verfasser entwickelten Differenzierung keiner sachlichen Rechtfertigung. Für die dann folgende Zusammenlegung liegen die Dinge zwar insofern anders, als dissentierende Aktionäre hier unfreiwillig ausscheiden (können). Durch die Möglichkeit des Zukaufs wird diese Benachteiligung allerdings – worauf der BGH zu Recht hinweist – kompensiert. Ein sachlicher Grund – so er denn nach hier vertretener Auffassung erforderlich wäre – hätte daher im Sachsenmilch-Verfahren in diesem Punkt (wohl) vorgelegen. Das gilt allerdings nur unter zwei weiteren unausgesprochenen Voraussetzungen: zum einen bedarf es eines (noch) funktionierenden Marktes in Aktien bzw. Teilrechten, und zum anderen dürfen für einen zum Beteiligungserhalt erforderlich werdenden Zukauf keine oder jedenfalls keine unverhältnismäßigen Transaktionskosten entstehen. Für den nach hier vertretener Auffassung wichtigsten Fall einer Inhaltskontrolle, nämlich den Fall, dass die zur Begründung einer vereinfachten Kapitalherabsetzung angeführten Verluste nicht (oder in der behaupteten Höhe nicht) mit Sicherheit endgültig feststehen, enthält das Urteil daher keine Aussage. Das gilt insbesondere für auf die Bildung von Rückstellungen zurückzuführende Verluste. Hier erlaubt die Inhaltskontrolle einen flexiblen Schutz der überstimmten Minderheitsgesellschafter in Abhängigkeit vom Grad der Sicherheit, mit dem die behaupteten Verluste eingetreten sind, und dem Maß, in dem die Beteiligungsrechte (typischerweise zugunsten neuer Gesellschafter) verkürzt werden (bzw. nur durch Zuerwerb weiterer Teilrechte erhalten werden können).79)

Zu Recht bejahte der II. Zivilsenat des BGH daher eine Verletzung der gesell- 6.65 schaftsrechtlichen Treuepflicht für den Fall einer Kapitalherabsetzung auf Null und gleichzeitiger Kapitalerhöhung, wenn unverhältnismäßig hohe Spitzen dadurch entstehen, dass der Nennwert der neuen Aktien höher als der gesetzliche Mindestbetrag (50 DM statt im Beschlusszeitpunkt bereits zulässiger 5 DM) festgelegt wird. Das gilt erst recht, wenn die neuen Aktien und die zu ihrem Bezug berechtigenden Bezugsrechte nicht zum Börsenhandel zugelassen sind bzw. werden.80) Der Beschluss über die Kapitalherabsetzung bedarf einer Angabe des Zweckes, 6.66 zu dem die Kapitalherabsetzung erfolgen soll. Dies ergibt sich im GmbH-Recht – anders als bei § 229 Abs. 1 Satz 2 AktG – nicht aus dem Gesetz, ist aber auch dort erforderlich, weil damit gegenüber Registergericht und Gläubigern klargestellt wird, dass die Gläubigerschutzregeln der regulären Kapitalherabsetzung

___________ 79) Ausführlich Hirte, ZInsO 1999, 616 ff.; Röhricht, in: VGR, Bd. 2 (2000), S. 3, 13 f. 80) BGHZ 142, 167 (Hilgers) = ZIP 1999, 1444 = NJW 1999, 3197 = DStR 1999, 1449 (Goette) = LM § 8 AktG Nr. 1 (Noack) = WuB II A. § 229 AktG 1.00 (Hirte); dazu Röhricht, in: VGR, Bd. 2 (2000), S. 3, 13 f.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

nicht gelten.81) Die Gläubiger sind aber durch eine vereinfachte Kapitalherabsetzung insoweit betroffen, als zukünftige Gewinne schneller an die Gesellschafter ausgekehrt werden könnten. 6.67 Im Bild der Staumauer formuliert: über die niedrigere Staumauer schwappt es bei Regen oder Eintritt der Schneeschmelze schneller.

6.68 Deshalb werden die Regelungen über die Zweckbindung des frei werdenden Kapitals ergänzt durch Gewinnausschüttungsbeschränkungen im Anschluss an die Kapitalherabsetzung: eine absolute Beschränkung ergibt sich dadurch, dass eine Ausschüttung erst zulässig ist, sobald Rücklagen in Höhe von 10 % des Grund- bzw. Stammkapitals gebildet wurden (Art. 37 [früher Art. 33] Abs. 1 Satz 1 Zweite Richtlinie, § 233 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 58d Abs. 1 Satz 1 GmbHG); eine relative Begrenzung verbietet darüber hinaus die Zahlung von Gewinnanteilen über 4 %, soweit die Gläubiger nicht anderweitig gesichert werden (§ 233 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 58d Abs. 2 Satz 1 GmbHG). Rücksichtnahme auf die Gläubiger wird damit bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung (nur) durch die Einhaltung der besonderen Vorschriften gewährleistet; ihrer „Zustimmung“, auf die die Regelung der ordentlichen Kapitalherabsetzung im Ergebnis hinauslaufen kann, bedarf es nicht. 6.69 Diese Regelungen werden ergänzt durch Art. 37 [früher Art. 33] Abs. 1 Satz 2 Zweite Richtlinie, § 232 AktG, § 58c GmbHG. So wie die frei gewordenen Beträge nicht ausgeschüttet werden dürfen, sichert diese Vorschrift, dass auch Beträge, die wider Erwarten im Jahr der Kapitalherabsetzung oder den beiden folgenden Geschäftsjahren frei bleiben, nicht an die Gesellschafter ausgeschüttet werden dürfen. Das nachträgliche Entfallen der Voraussetzungen führt also nicht etwa zu einer irgendwie gearteten Unwirksamkeit der vereinfachten Kapitalherabsetzung oder zu ihrer nachträglichen Umqualifikation in eine reguläre Kapitalherabsetzung. Solche überschüssigen Beträge können dann entstehen, wenn die zum Zeitpunkt der vereinfachten Kapitalherabsetzung angenommenen Verluste sich nicht (bilanziell) realisieren. Wichtigster Fall sind Abschreibungen, die sich als nicht erforderlich erweisen, oder Rückstellungen, die später aufgelöst werden können.82) ___________ 81) Begr RegE EGInsO zu § 58a GmbHG, BT-Drucks. 12/3803, S. 87 f.; OLG Hamm ZIP 2011, 568, 569 = NJW-RR 2011, 685 = EWiR § 58a GmbHG 1/11, 421 (Wachter); Hirte, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (3. Aufl. 2009), S. 902, 913 Rz. 25; Lutter, in: Lutter/ Hommelhoff, § 58a GmbHG Rz. 18 (mit Formulierungsvorschlägen); Maser/Sommer, GmbHR 1996, 22, 28 f.; Scholz/Priester, § 58a GmbHG Rz. 23; differenzierend MünchHdb GmbH-Wegmann, § 54 Rz. 38 (nun seit 4. Aufl. „unklar“); Zöllner/Haas, in: Baumbach/ Hueck, § 58a GmbHG Rz. 19; a. A. Uhlenbruck, GmbHR 1995, 81, 85; zum Aktienrecht BayObLGZ 1979, 4 = OLGZ 1979, 492 (zur parallelen Fragestellung bei § 222 Abs. 3 AktG); MünchKomm-Oechsler, § 229 AktG Rz. 13 ff. 82) BGHZ 119, 305, 320 f. (Klöckner) = WM 1992, 1902, 1907 = ZIP 1992, 1542, 1547 = NJW 1993, 57, 61 = EWiR § 9 AGBG 1/93, 3 (Hammen) (AG); Lutter, KK, § 232 AktG Rz. 3; Scholz/Priester, § 58c GmbHG Rz. 3.

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III. Anpassung der Satzung an den Euro

Die hier frei werdenden Beträge sind vielmehr ebenso wie die schon bei der Kapi- 6.70 talherabsetzung nicht in Form von Stammkapital gebundenen Mittel in die Kapitalrücklage einzustellen und unterliegen dort auch der Bindung der §§ 150, 231 AktG, § 58b Abs. 3 GmbHG. Wenig geklärt ist, welche Rechte den Gesellschaftern zustehen, wenn sich eine vereinfachte Kapitalherabsetzung wegen zu hoch angenommener Verluste im Nachhinein als nicht (in diesem Umfang) erforderlich erweist.83) Die vereinfachte und damit schnellere Kapitalherabsetzung bildet schließlich 6.71 die Voraussetzung für eine gleichzeitig durchzuführende Kapitalerhöhung und damit für die Zufuhr neuen, frischen Eigenkapitals. Zu diesem Zweck kann – im Aktienrecht auch bei der ordentlichen Kapitalherabsetzung – zuvor das Kapital auch unter den Mindestnennbetrag bis auf Null herabgesetzt werden (Art. 38 Abs. 2 [früher Art. 34 Satz 2] Zweite Richtlinie, § 229 Abs. 3 i. V. m. § 228 AktG, § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG). Die beiden Kapitalmaßnahmen sind dann allerdings in ihrer Wirksamkeit voneinander abhängig (§ 228 Abs. 2 AktG, § 58a Abs. 4 Satz 2 GmbHG). III.

Anpassung der Satzung an den Euro

Für Neugründungen bis zum 31. Dezember 2001 bestand ein Wahlrecht, ob Nenn- 6.72 kapitalziffer, Nennwerte der Anteile und andere satzungsmäßige Betragsangaben in Euro oder DM ausgedrückt werden. Seit diesem Zeitpunkt sind Neugründungen aber nur noch in Euro möglich (dazu oben Rz. 2.67). Vor diesem Zeitpunkt gegründete Kapitalgesellschaften können ihre Satzung anpassen, sie müssen dies aber – auch seit dem 31. Dezember 2001 – nicht (§ 3 Abs. 2 Satz 1 EGAktG, § 1 Abs. 1 Satz 1 EGGmbHG [früher § 86 Abs. 1 Satz 1 GmbHG]). Eine Anpassung kann allerdings nur einheitlich erfolgen (für die AG § 3 Abs. 2 Satz 2 EGAktG). Wird nicht angepasst, bleiben die alten Beträge und Regelungen für den Mindestbetrag des Nennkapitals, die Nennbeträge der Anteile und die Einteilung des Kapitals weiter maßgeblich (§§ 1 Abs. 2 Satz 1, 2 Satz 1, 3 Abs. 2 EGAktG, § 1 Abs. 1 Satz 2 EGGmbHG [früher § 86 Abs. 1 Satz 2 GmbHG]). Auch Kapitalerhöhungen in DM waren bis zum Ablauf der Übergangsfrist noch möglich (§ 3 Abs. 2 Satz 2 EGAktG). Die Nichtanpassung der Satzung einer Kapitalgesellschaft an die seit 1. Januar 1999 gel- 6.73 tenden Fassungen des AktG bzw. GmbHG führt seit dem 31. Dezember 2001 aber zu einer beschränkten Registersperre: eine Änderung des Nennkapitals der Gesellschaft – aber nur diese – darf seit diesem Zeitpunkt nur noch eingetragen werden, wenn zugleich eine Satzungsänderung über die Anpassung der Nennbeträge der Gesellschaft und ihrer Staffelung an § 8 AktG n. F., § 5 GmbHG n. F. eingetragen wird (§ 3 Abs. 5 EGAktG, § 1 Abs. 1 Satz 4 EGGmbHG [früher § 86 Abs. 1 Satz 4 GmbHG]).

___________ 83) Dazu Hirte, in: Festschrift für Claussen (1997), S. 115, 122 ff.; ders., EWiR § 229 AktG 1/97, 195 (zu OLG Dresden ZIP 1996, 1780).

451

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

1.

Aktienrecht

a) Stückaktie 6.74 Im Mittelpunkt stehen hier für die Aktiengesellschaft zunächst die, indirekt durch die

Einführung des Euro bedingten, Änderungen anlässlich der Einführung der Stückaktie durch das Stückaktiengesetz (dazu oben Rz. 2.68 ff.). Durch die neu neben die herkömmlichen Nennbetragsaktien (§ 8 Abs. 2 AktG) getretenen Stückaktien (§ 8 Abs. 3 AktG) wurden zahlreiche der ansonsten durch die Umstellung auf den Euro erforderlichen Anpassungsmaßnahmen (dazu unten Rz. 6.75 ff.) entbehrlich. Da der Anteil am Grundkapital, den die einzelne Aktie verbrieft, nicht mehr aus dieser selbst und der Gesamt-Grundkapitalziffer ersichtlich ist, ist vor allem die Anpassung oder Glättung des Nennbetrages der einzelnen Aktien entbehrlich.84) Das ist insbesondere bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ein erheblicher Vorteil (dazu oben Rz. 6.52).

b)

Euro-Einführungsgesetz

6.75 Darüber hinaus ist für Aktiengesellschaften, die nicht die Stückaktie eingeführt haben, der mit Wirkung vom 1. Januar 1999 durch Art. 3 § 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz [EuroEG] vom 9. Juni 1998, BGBl. I, 1242) wieder eingefügte § 4 EGAktG von Bedeutung. Er regelt das Verfahren der Umstellung auf den Euro und enthält für die im Zusammenhang damit sinnvollen Kapitalmaßnahmen einschließlich der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln einige Verfahrensvereinfachungen. aa)

Umstellung durch reine Umrechnung

6.76 § 4 Abs. 1 EGAktG betrifft dabei ausschließlich die bloße Umrechnung der Grundkapitalziffer, der Aktiennennwerte und anderer satzungsmäßiger Betragsangaben auf den Euro. Er belässt es bei den sich aufgrund der Umrechnung zum festgelegten Kurs ergebenden „krummen“ Beträgen von Grundkapital, Aktiennennbeträgen und anderer satzungsmäßiger Betragsangaben. Die bloße Anpassung der Satzung nach Ablauf der Übergangsfrist wird dabei zu Recht (klarstellend) als bloße Fassungsänderung (dazu oben Rz. 6.1) qualifiziert; anders als sonst im Falle des § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG ist die Ermächtigung zur Fassungsänderung hier aber kraft Gesetzes erteilt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EGAktG). Erleichterungen für die Satzungsänderung ergeben sich vor allem in formeller Hinsicht: denn § 4 Abs. 1 Satz 3 EGAktG verzichtet auf das sonst übliche Erfordernis, einen neuen vollständigen Wortlaut der Satzung nebst notarieller Bescheinigung zum Handelsregister einzureichen (§ 181 Abs. 1 Satz 2 AktG); eine etwa nach § 181 Abs. 1 Satz 3 AktG erforderliche Genehmigung ist nicht mit einzureichen; schließlich entfällt die sonst bei Änderungen der Grundkapitalziffer erforderliche Eintragung der Satzungsänderung nach ihrem Inhalt (§ 181 Abs. 2 AktG) sowie deren Bekanntmachung (§ 10 HGB i. V. m. Art. 45 Abs. 1 Satz 2 EGHGB). Die Anmeldung zum Handelsregister erfolgt schließlich formlos (§ 12 HGB i. V. m. Art. 45 Abs. 1 Satz 1 EGHGB). § 181 Abs. 2 Satz 1 AktG ist demgegenüber bewusst nicht ___________ 84) Zu den gesellschaftsrechtlichen Fragen der Umstellung auf den Euro Hirte, in: GroßK, § 207 AktG Rz. 16 ff.; Kopp, BB 1998, 701; Schürmann, DB 1997, 1381; Schröer, ZIP 1997, 221; ders., ZIP 1998, 306; ders., ZIP 1998, 529; Seibert, ZGR 1998, 1; Steffan/Schmidt, DB 1998, 559; Heider, AG 1998, 1 (zur Beschlussfassung vor Inkrafttreten der Gesetzesänderungen, 5 ff.).

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III. Anpassung der Satzung an den Euro

ausgenommen, so dass auch hier auf bereits beim Gericht befindliche Urkunden Bezug genommen werden kann. Eine vor Ablauf der Übergangsfrist vorgenommene Anpassung dagegen blieb im Hinblick auf ihre „wichtige unternehmenspolitische Bedeutung“ auch materiell Satzungsänderung.85) Eine solche bloße Umstellung von Grundkapital und Aktiennennbeträgen ist aber in 6.77 vielen Fällen wenig attraktiv. Denn sie führt lediglich dazu, dass – bei einem Umrechnungskurs von 1,95583 DM – an die Stelle eines Grundkapitals von etwa 100.000 DM ein solches von 51.129,19 Euro bzw. an die Stelle eines Nennbetrages einer einzelnen Nennbetragsaktie von 5 DM ein solcher von 2,56 Euro tritt. Die sich daraus ergebenden Beträge können zwar auf zwei Stellen hinter dem Komma gerundet werden; doch hat eine solche Rundung keine rechtliche Wirkung (§ 3 Abs. 4 EGAktG). Vor allem aber sind derartige Beträge optisch wenig überzeugend.

bb)

Umstellung durch Umrechnung und gleichzeitige Glättung

Aus diesem Grunde ist es naheliegend, die – materielle oder bloß die Fassung be- 6.78 treffende – Satzungsänderung mit einer Kapitalmaßnahme zu verbinden, die diese ungeraden Werte beseitigt (gleichwohl hat die Praxis diesen Schritt bislang offensichtlich nur ausnahmsweise getan). Dafür kommen sowohl die Kapitalerhöhung, vor allem aus Gesellschaftsmitteln, als auch die Kapitalherabsetzung in Betracht. Bei einer vereinfachten Kapitalherabsetzung kann zunächst – insoweit wie immer – auf das aufwendige Aufgebotsverfahren des § 225 AktG verzichtet werden. Daneben erlaubt § 4 Abs. 5 Satz 2 EGAktG, anders als nach dem sonst für die vereinfachte Kapitalherabsetzung geltenden § 229 Abs. 2 AktG, auf die vorherige Auflösung der gesetzlichen Rücklage und der Kapitalrücklage zu verzichten, soweit diese zusammen 10 % des nach der Herabsetzung verbleibenden Grundkapitals übersteigen; auch eine Gewinnrücklage braucht nicht aufgelöst zu werden, und ein etwaiger Gewinnvortrag steht einer vereinfachten Kapitalherabsetzung hier nicht entgegen. Beide Kapitalmaßnahmen – Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung – können im Übrigen auf zwei Wegen durchgeführt werden: zum einen dadurch, dass (lediglich) das Gesamtgrundkapital auf eine gerade Ziffer angehoben oder abgesenkt wird; zum anderen dadurch, dass jede einzelne Aktie auf einen glatten Euro-Betrag angehoben oder gesenkt wird. Da sich im zweiten Fall das Erhöhungs- (oder Herabsetzungs-)Volumen aus der Zahl der ausgegebenen Aktien multipliziert mit dem Erhöhungs- (oder Herabsetzungs-)Betrag der einzelnen Aktie ergibt, liegt er typischerweise deutlich höher als bei einer Anpassung lediglich des Gesamtgrundkapitals. Vor allem für diese Kapitalmaßnahmen sieht § 4 EGAktG Erleichterungen gegenüber 6.79 dem normalerweise bei Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen vorgeschriebenen Verfahren vor. Sein Absatz 2 Satz 1 lässt daher für eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (nicht aber für eine effektive Kapitalerhöhung) sowie für eine Kapitalherabsetzung ebenso wie schon bei Satzungsänderungen nach § 4 Abs. 1 EGAktG, soweit ihnen materielle Wirkung zukommt, eine einfache Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals genügen. Unberührt bleiben allerdings auch hier etwaige satzungsmäßig festgelegte Mehrheitsanforderungen für Kapitalerhöhungen. Gleichwohl bleibt es in allen diesen Fällen auch bei kleinen Aktiengesellschaften

___________ 85) Vgl. Begr RegE, BT-Drucks. 13/9347, S. 35; Begr RefE, ZIP 1997, 1259, 1264; ausführlicher hierzu und zu den auch hier seinerzeit greifenden Privilegierungen in der 3. Aufl. dieses Werkes Rz. 873.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

beim Erfordernis notarieller Beurkundung, da es sich der Sache nach um Grundlagenbeschlüsse handelt.86) § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG wird daher durch § 4 Abs. 2 Satz 3 EGAktG ausdrücklich für unanwendbar erklärt. Anders als bei schlichten Fassungsänderungen im Zusammenhang mit der Umstellung auf den Euro finden auch die durch § 4 Abs. 1 Satz 3 EGAktG normierten verfahrensmäßigen Erleichterungen für etwaige Kapitalmaßnahmen keine Anwendung; dies ergibt sich aus § 4 Abs. 6 Satz 2 EGAktG. Die Privilegierung hinsichtlich des Mehrheitserfordernisses greift allerdings nur bei einer Kapitalmaßnahme zum Erreichen des nächstmöglichen glatten Euro-Betrags; gemeint ist damit der nächsthöhere (bzw. bei einer Kapitalherabsetzung nächstniedrigere) glatte Euro-Betrag der einzelnen Aktie, was in der Summe schon eine erhebliche Kapitalerhöhung (bzw. -herabsetzung) bedeuten kann.87) 6.80 Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EGAktG gelten diese Erleichterungen entsprechend für die Anpassung eines etwa vorhandenen genehmigten Kapitals sowie – was vor allem im Anschluss an eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln in Betracht kommen dürfte – für eine Teilung der auf volle Euro gestellten Aktien. Eine Aktie von 2,56 Euro, die durch Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln von 44 Cent auf 3 Euro aufgefüllt wurde, kann daher anschließend in drei Aktien à 1 Euro zerlegt werden. Die (weitere) Herabsetzung des Nennbetrags der einzelnen Aktien wird damit im Zusammenhang mit der Umstellung auf den Euro noch einfacher (und billiger) als nach Herabsetzung des gesetzlichen Mindestnennbetrages der Aktien von 50 DM auf 5 DM durch Art. 5 Nr. 1 des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes. Die Privilegierung umfasst schließlich die aus einer solchen Kapitaländerung resultierenden Anpassungen der Satzungsfassung einschließlich der Ermächtigung des Aufsichtsrats zu solchen Anpassungen (§ 4 Abs. 2 Satz 2 EGAktG a. E.). 6.81 Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EGAktG kann die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln durch Erhöhung des Nennwerts ausgeführt werden. Grund sei, dass „nur“ auf diese Weise auf volle Euro lautende glatte Nennbeträge herbeigeführt werden könnten.88) Anders als die Privilegierung bezüglich der Mehrheitserfordernisse durch § 4 Abs. 2 EGAktG ist die Erhöhung des Nennbetrags nicht nur bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln auf den nächstmöglichen glatten Euro-Betrag privilegiert möglich; ausreichend ist, dass die Maßnahme im Zusammenhang mit der Umstellung auf Euro und der Schaffung glatter Nennbeträge steht.89) Abgesehen von der (unwahrscheinlichen) Möglichkeit einer sehr umfangreichen Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln sind aber auch Fälle denkbar, in denen eine Nennwerterhöhung mit einer Ausgabe neuer Aktien kombiniert wird. Diese auszuschließen kann nicht Anliegen des auf möglichst große Flexibilität angelegten Umstellungs-Gesetzes sein. Das „kann“ in § 4 Abs. 3 Satz 1 EGAktG ist daher wörtlich zu nehmen.90) 6.82 Werden nicht die einzelnen Aktien, sondern wird nur das Grundkapital auf einen vollen Euro-Betrag aufgefüllt, bleiben die „krummen“ Nennbeträge bei den einzelnen Aktien zunächst erhalten. Um sie zu beseitigen, gestattet § 4 Abs. 3 Satz 1 EGAktG eine Neu-

___________ 86) Begr RegE, BT-Drucks 13/9347, S. 36. 87) Für eine noch weitergehende Privilegierung dieser Kapitalmaßnahmen de lege lata Hirte, in: GroßK, § 207 AktG Rz. 21. 88) Vgl. Begr RegE, BT-Drucks. 13/9347, S. 36; Begr RefE, ZIP 1997, 1259, 1264. 89) Bericht des Rechtsausschusses zu § 4 EGAktG, BT-Drucks. 13/10334, S. 46 = ZIP 1998, 757, 758. 90) Vgl. Hirte, in: GroßK, § 207 AktG Rz. 23 sowie § 215 AktG Rz. 20, 31.

454

III. Anpassung der Satzung an den Euro

einteilung des Grundkapitals; hier ist nicht erforderlich, dass nur die nächstmöglichen glatten Nennbeträge der einzelnen Aktie erreicht werden. Hatte etwa eine Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 100.000 DM insgesamt 100 Nennbetragsaktien à 1.000 DM ausgegeben, führt die Umstellung auf den Euro bei einem Kurs von 1,95583 DM zunächst zu einer Grundkapitalziffer von 51.129,19 Euro. Wird dieses Grundkapital durch eine (minimale) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln auf einen Betrag von 51.130 Euro gebracht, ist es nicht möglich, daraus 100 gleiche Aktien mit einem glatten Euro-Nennbetrag zu schneiden. Im Wege der Neueinteilung des Grundkapitals können aber gleichwohl die von § 8 Abs. 2 Satz 4 AktG für Nennbetragsaktien vom AktG verlangten glatten Euro-Nennbeträge erreicht werden: in Betracht käme hier etwa eine Neustückelung in eine andere Zahl Aktien (Extremfall: 51.130 Aktien à 1 Euro), aber auch eine Festlegung unterschiedlicher Nennbeträge für die einzelnen Aktien. Das bedeutet aber, dass der Erhöhungs- (oder Herabsetzungs-)Betrag unterschiedlich auf die einzelnen Aktionäre verteilt wird: im ersten Fall wäre eine Verteilung der neuen Aktien an 100 Altaktionäre nur in der Weise möglich, dass einige 511 Aktien, andere aber 512 Aktien à 1 Euro bekommen; im zweiten Fall könnten zwar 100 neue Aktien gebildet werden, doch müssten diese zwangsläufig (geringfügig) unterschiedliche Nennbeträge haben. Wegen dieser Verschiebung der Beteiligungsquoten verlangt § 4 Abs. 3 Satz 2 EGAktG für diese Maßnahme die Zustimmung aller Aktionäre, auf die nicht ihrem Teil entsprechend volle Aktien oder nur eine geringere Zahl Aktien als zuvor entfallen; für teileingezahlte Aktien wird dieses Verfahren vollständig ausgeschlossen. Die Formulierung „aller“ wurde gewählt, um deutlich zu machen, dass ein mehrheitlicher Sonderbeschluss der betroffenen Aktionäre nicht ausreicht. Damit werden die Aktionäre gezwungen, wollen sie von der Möglichkeit einer Neueinteilung des Grundkapitals Gebrauch machen, vertraglich – etwa durch Ausgleichszahlungen – etwaige sich ergebende Differenzen ihrer Beteiligung zu korrigieren. Dies ist allerdings häufig dann nicht erforderlich, wenn die Gesellschaft nur über eine kleine Zahl von Aktionären verfügt (Extremfall: Einpersonen-Aktiengesellschaft).91)

2.

GmbH-Recht

Für die Anpassung der GmbH-Satzung ist demgegenüber in erster Linie der durch 6.83 Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz [EuroEG]) eingefügte § 86 GmbHG – insbesondere sein Absatz 3 – von Bedeutung; durch das MoMiG wurde er inhaltsgleich zu § 1 des damit neu geschaffenen EGGmbHG. Er entspricht in seinem Regelungskonzept im Wesentlichen § 4 EGAktG.92)

___________ 91) Sonderregelungen enthält § 4 EGAktG im Übrigen für die Auswirkung außerhalb des Handelsregisters wirksam werdender Kapitalerhöhungen aufgrund eines bedingten Kapitals (§ 4 Abs. 4 Satz 1 EGAktG), für den Umfang der umwandelbaren Rücklagen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 EGAktG) sowie für die Kraftloserklärung unrichtig gewordener Aktien (§ 4 Abs. 6 Satz 1 EGAktG); dazu Hirte, in: GroßK, § 208 AktG Rz. 15, § 211 AktG Rz. 7 und § 214 AktG Rz. 23. 92) Zu den gesellschaftsrechtlichen Fragen der Umstellung auf den Euro im GmbH-Recht Frank/Wachter, GmbHR 2001, 898; Geyrhalter, ZIP 1998, 1608 ff. (mit Beschlussvorschlägen); Ihrig, NZG 1998, 201; Kallmeyer, GmbHR 1998, 963 ff.; U. H. Schneider, NJW 1998, 3158 ff.; Theile/Köhler, GmbHR 1999, 526 ff. (mit Berechnungsbeispielen); Wachter, NotBZ 1999, 137.

455

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

a) Umstellung durch reine Umrechnung 6.84 § 1 Abs. 3 EGGmbHG (früher § 86 Abs. 3 GmbHG) betrifft hier ausschließlich die

bloße Umrechnung der Stammkapitalziffer, der Geschäftsanteile und anderer satzungsmäßiger Betragsangaben auf den Euro. Er belässt es bei den sich aufgrund der Umrechnung zum festgelegten Kurs ergebenden „krummen“ Beträgen. Die bloße Anpassung der Satzung stellt in der GmbH keine materielle Satzungsänderung dar; das gilt in der GmbH für derartige Anpassungsmaßnahmen nach wie vor Ablauf der Übergangsfrist. § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 EGGmbHG (früher § 86 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 GmbHG) verweist daher auf § 47 GmbHG (nicht § 53 GmbHG) mit der Folge, dass die einfache Stimmenmehrheit für die Satzungsänderung ausreicht. Wie § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EGGmbHG ausdrücklich klarstellt, bedarf der Beschluss auch keiner notariellen Beurkundung nach § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG. 6.85 Verzichtet wird auch hier auf das sonst übliche Erfordernis, einen neuen vollständigen Wortlaut der Satzung nebst notarieller Bescheinigung zum Handelsregister einzureichen (§ 54 Abs. 1 Satz 2 GmbHG); schließlich entfällt die sonst bei Änderungen der Stammkapitalziffer erforderliche Eintragung der Satzungsänderung nach ihrem Inhalt (§ 54 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) sowie deren Bekanntmachung (§ 10 HGB i. V. m. Art. 45 Abs. 1 Satz 2 EGHGB). Die Anmeldung zum Handelsregister erfolgt schließlich formlos (§ 12 HGB i. V. m. Art. 45 Abs. 1 Satz 1 EGHGB). § 54 Abs. 2 Satz 1 GmbHG ist demgegenüber bewusst nicht ausgenommen, so dass auch hier auf bereits beim Gericht befindliche Urkunden Bezug genommen werden kann.

b) Umstellung durch Umrechnung und gleichzeitige Glättung 6.86 Auch bei der GmbH ist es naheliegend, die bloß formelle Satzungsänderung mit einer

Kapitalmaßnahme zu verbinden, die die durch bloße Umrechnung entstehenden ungeraden Werte beseitigt. Dafür kommen auch hier sowohl die Kapitalerhöhung, vor allem aus Gesellschaftsmitteln, als auch die Kapitalherabsetzung in Betracht. Bei einer Kapitalerhöhung dürfte häufig eine (einstimmig zu beschließende) nicht verhältniswahrende Kapitalerhöhung in Betracht kommen, um den Gesamt-Erhöhungsbedarf gering zu halten.93) 6.87 Die in Euro berechneten Nennbeträge der einzelnen Geschäftsanteile müssen hier – anders als bei der Gründung, aber wie auch bei anderen Kapitalerhöhungen – nur auf einen durch zehn teilbaren Betrag, mindestens jedoch auf 50 Euro gestellt werden (§ 1 Abs. 1 Satz 4 EGGmbHG [früher § 86 Abs. 1 Satz 4 GmbHG]). Im Gegensatz zum Aktienrecht lässt § 1 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 EGGmbHG die hierfür geltenden Vorschriften jedoch unberührt. Das wird damit begründet, dass zum einen ein Zwang zur Anpassung nicht besteht und dass derartige Beschlüsse in der Mehrzahl der GmbH typischerweise einstimmig gefasst werden.94) 6.88 Für den wichtigen Fall der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln durch Erhöhung des Nennwerts bedurfte es hier zudem deshalb keiner Regelung, weil dieses Vorgehen im GmbH-Recht ohnehin zulässig ist (§ 57h Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Lediglich für den Fall einer Herabsetzung des Stammkapitals, mit der die Nennbeträge der Geschäftsanteile auf die neu vorgeschriebenen Beträge nach § 1 Abs. 1 Satz 4 EGGmbHG gestellt werden, gilt § 58 Abs. 1 GmbHG mit den Vorschriften über Aufgebot und Sperrjahr nicht, wenn zugleich eine Erhöhung des Stammkapitals gegen Bareinlagen be-

___________ 93) Dazu auch Kallmeyer, GmbHR 1998, 963, 964 f. mit Berechnungsbeispielen. 94) Seibert, ZGR 1998, 1, 7.

456

IV. Umwandlung

schlossen wird und diese in voller Höhe vor der Anmeldung zum Handelsregister geleistet werden (§ 1 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 EGGmbHG). Für diesen Fall einer nur geringfügigen Kapitalherabsetzung, die mit einer mindestens diesem Betrag entsprechenden bar übernommenen Kapitalerhöhung verknüpft wird, ist eine Gefährdung der Gläubiger nicht zu befürchten.

IV. Umwandlung 1. Einleitung a) Begriff Einen Sonderfall der Strukturänderung bildet die Umwandlung einer Kapitalge- 6.89 sellschaft. Der Begriff der Umwandlung erfasst dabei nur die körperschaftliche Seite der Gesellschaft, nicht also etwa ihre Vermögensstruktur: „Umstrukturierungen“ durch Kauf oder Verkauf von Anlagevermögen, auch wenn es sich um Beteiligungen handelt, stellen keine „Umwandlung“ i. S. d. UmwG dar (in solchen Fällen kann sich aber gleichwohl eine Zuständigkeit der Haupt- oder Gesellschafterversammlung ergeben; dazu oben Rz. 3.224 ff. und 6.3). Bezüglich der Beteiligten wird bei der Umwandlung von Rechtsträgern gesprochen, zu denen neben den Kapitalgesellschaften auch die sonstigen privatrechtlichen Verbände sowie in einigen Sonderfällen natürliche Personen und öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften zählen. Die Bezeichnung „Rechtsträger“ ist damit Oberbegriff für die beteiligungsfähigen Ver- 6.90 bände und reicht weiter als der sonst im Gesellschaftsrecht übliche Begriff des „Unternehmensträgers“.95) Auch aufgelöste Rechtsträger können sich an einer Umwandlung beteiligen (§ 3 Abs. 3 UmwG; Art. 3 Abs. 2 Dritte Richtlinie). Voraussetzung ist allerdings, dass ihre Fortsetzung beschlossen wurde (was unter Umständen auch konkludent durch einen Umwandlungsbeschluss geschehen kann)96) oder zumindest ein solcher Beschluss möglich ist. Voraussetzung dafür ist nicht, dass das Grund- oder Stammkapital der Gesellschaft unversehrt geblieben ist oder wieder eingezahlt wurde, sondern – mit der herrschenden Meinung – dass es an einer Überschuldung fehlt, die eine Pflicht zur Insolvenzantragstellung begründen würde.97) Schließlich kommen nach der Rechtsprechung des EuGH in der Sache „Vale“ auch ausländische Gesellschaften als umwandlungsfähige Rechtsträger in Betracht (dazu im Einzelnen oben Rz. 1.59).

Inhaltlich versteht man unter einer Umwandlung alle die Strukturänderungen, 6.91 bei denen es entweder zum Vermögensübergang von einem Rechtsträger auf einen anderen mittels zumindest partieller Gesamtrechtsnachfolge kommt bzw. der Rechtsträger seine rechtliche Form wechselt. Nach dem wesentlichen Erscheinungsbild der jeweiligen Umwandlungsform unterscheidet man zwischen ___________ 95) Dazu Neye, Kölner UmwR-Tage, S. 7; Lutter/Lutter/Drygala, § 1 UmwG Rz. 4. 96) So OLG Naumburg NJW-RR 1998, 178 = EWiR § 4 UmwG 1/97, 807 (Bayer) (auch zur entsprechenden Prüfungspflicht des Registergerichts); Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 897 ff.; ders., ZInsO 1999, 547, 548 ff. 97) BayObLG ZIP 1998, 739 = EWiR § 3 UmwG 2/98, 515 (Kiem) (GmbH); anders noch RGZ 118, 337, 340; noch enger OLG Stuttgart NZG 2006, 159 = ZIP 2005, 2066 f. = DB 2005, 2681 = EWiR § 120 UmwG 1/05, 839 (Heckschen): selbst insolvenzrechtlich relevante Überschuldung schadet nicht, wenn sie nicht zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geführt hat.

457

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung und dem Formwechsel (vgl. die abschließende Aufzählung in § 1 Abs. 1 UmwG). 6.92 Alle Umwandlungsvorgänge sind wirtschaftlich auch nach allgemeinen Rechtsgrund-

sätzen zu erreichen. So können zum Beispiel zwei Gesellschaften wirtschaftlich verschmolzen werden, indem die eine liquidiert und ihr Vermögen nach allgemeinen Grundsätzen (§§ 398, 873, 929 ff. BGB) auf die andere Gesellschaft übertragen wird. Dies ist jedoch ein kompliziertes Verfahren, das zudem erhebliche steuerliche Nachteile (Auflösung und Versteuerung stiller Reserven) aufweist. Das grundsätzliche wirtschaftliche Bedürfnis geht daher vielfach dahin, diese Umstrukturierungen ohne Liquidation in einem (einfacheren) Verfahren der Universalsukzession realisieren zu können.98) 6.93 Als Alternative zur Verschmelzung kommen auch ein schlichter Erwerb der Anteile (oder nur ihrer Mehrheit) an der zu übernehmenden Gesellschaft („share deal“) oder ihres unternehmerischen Vermögens („asset deal“) in Betracht. Schließlich kann das wirtschaftliche Ziel einer Unternehmensverbindung auch erreicht werden, indem bei der aufnehmenden Gesellschaft eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts (§ 203 Abs. 2 AktG) durchgeführt wird und die Beteiligung an der anderen Gesellschaft als Sacheinlage eingebracht wird.99) Bei der letzten Variante stellt sich – umgekehrt – die Frage, ob die verfahrensrechtlichen Vorgaben des Verschmelzungsrechts (insbesondere die Prüfung der Angemessenheit des Ausgabekurses) durch die Wahl des Wegs der Kapitalerhöhung unterlaufen werden. 6.93a Das Gegenstück der Verschmelzung – die Spaltung – kann nach allgemeinem Gesellschaftsrecht etwa durch eine Kapitalherabsetzung und anschließende Ausschüttung der Vermögensgegenstände an die Gesellschafter erreicht werden; neuerdings kommt auch der Weg der Sachdividende in Betracht.

6.94 Neben einer Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz ist eine Umwandlung i. S. v. § 1 Abs. 1 UmwG nur möglich, wenn sie durch ein anderes Bundes- oder Landesgesetz ausdrücklich zugelassen ist (§ 1 Abs. 2 UmwG). Das betrifft außerhalb des Kapitalgesellschaftsrechts vor allem den Fall der automatischen Umwandlung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts in eine offene Handelsgesellschaft und umgekehrt. Im Kapitalgesellschaftsrecht lässt sich dazu die „Umwandlung“ einer Unternehmergesellschaft in eine (normale) GmbH rechnen, wenn man sie als einen Formwechsel begreift100) (dazu näher unten Rz. 6.207), jedenfalls aber auch die Verschmelzung durch Anwachsung (dazu unten Rz. 6.113a). Schließlich gehören die durch europäisches Recht geregelten Gründungsvorgänge der Europäischen Aktiengesellschaft und anderer europäischer Gesellschaftsformen hierher (dazu näher unten Rz. 6.166b). ___________ 98) Dazu Kübler/Assmann, GesR, § 27 S. 399 ff. (zur Verschmelzung), § 28 S. 408 ff. (zur formwechselnden und übertragenden Umwandlung nach UmwG 1969). Zu den Möglichkeiten wirtschaftlicher Umstrukturierungen nach allgemeinem Recht Kallmeyer, ZIP 1994, 1746 ff.; Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 1007, 1015 ff. 99) Zur Austauschbarkeit der beiden Vorgehensweisen Baums, DJT-Gutachten (2000), S. F 124; Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 527; Hennerkes/Binge, AG 1996, 119; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 68 ff., 147 ff.; ders., AG 1990, 373 ff.; ders., in: GroßK, § 203 AktG Rz. 98; ähnlich auch Lutter, JZ 1998, 50, 52; abw. Martens, ZIP 1992, 1677, 1686. 100) So Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1490 f.

458

IV. Umwandlung

b)

Historische Entwicklung und Rechtsquellen

Rechtsgrundlage für alle Umwandlungsfälle ist (heute) das Umwandlungsgesetz, 6.95 das seit dem 1. Januar 1995 in Kraft ist (Art. 20 UmwBerG). Dieses Gesetz enthält keine völlige Neuregelung von Umstrukturierungsfällen; vielmehr waren auch nach altem Recht schon einige der jetzt geregelten Umwandlungsformen bekannt. Den früheren gesetzlichen Sonderregelungen der Umwandlung lag indes keine einheitliche Systematik zugrunde, so dass sich Lücken hinsichtlich der Umwandlungsmöglichkeiten wie auch hinsichtlich des Schutzes der Beteiligten zeigten. Das frühere Recht der Umstrukturierung war daher unübersichtlich und nur noch schwer handhabbar.101) Mit der Neuregelung verfolgte der Gesetzgeber ausdrücklich das Ziel, die beste- 6.96 henden Umstrukturierungsmöglichkeiten zusammenzufassen und zu systematisieren sowie bestehende Lücken in den Möglichkeiten zu schließen.102) Das Umwandlungsgesetz enthält damit nunmehr alle Regelungen zur (umwandelnden) Umstrukturierung von Rechtsträgern. Andere Umstrukturierungsprozesse von Gesellschaften, insbesondere schuldvertragliche oder faktische Konzernierungsmaßnahmen, werden vom Umwandlungsgesetz nicht erfasst (ausdrücklich § 1 Abs. 1 UmwG), sondern bleiben auch weiterhin einer eigenständigen Regelung etwa im AktG vorbehalten. Gleichwohl ist streitig, ob wegen der gleichartigen Interessenbeeinträchtigung 6.97 durch Maßnahmen nach „gewöhnlichem“ Aktienrecht auch dort die umwandlungsrechtlichen Normen angewandt werden sollten; so wird insbesondere vorgeschlagen, auf eine im Wege der Singularsukzession vorgenommene Ausgliederung die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes über die Ausgliederung (teilweise) entsprechend anzuwenden.103) Das ist trotz der nicht so weit reichenden Aussage des Gesetzgebers in § 1 Abs. 2, nach der das UmwG nur für Umwandlungen „im Sinne des Absatzes 1 [des § 1 UmwG]“ eine im Wesentlichen abschließende Regelung ist, überzeugend.104)

___________ 101) Neye, ZIP 1994, 165 f.; das Recht der Umstrukturierungen fand sich zuvor im UmwG i. d. F. v. 6.11.1969 (BGBl. I, 2081), im AktG, im KapErhG v. 23.12.1959 (BGBl. I, 789), im GenG sowie im VAG. 102) Begr RegE (BT-Drucks. 12/6699, S. 71 ff.) bei Neye, UmwG/UmwStG, S. 87. Zum Gang der Gesetzgebung Neye, DB 1994, 2069; ders., ZIP 1994, 165. 103) So LG Karlsruhe ZIP 1998, 385 (Badenwerk AG) = EWiR § 125 UmwG 1/97, 1147 (Bork) = DZWir 1998, 207 (Mutter) (inzwischen rkr.); verneinend LG Hamburg AG 1997, 238 (Wünsche AG) = EWiR § 119 AktG 3/97, 1111 (Veil) (inzwischen durch Vergleich rkr.); BayObLG NJW-RR 1999, 1559 = ZIP 1998, 2002 = EWiR § 179a AktG 1/98, 1057 (Windbichler) (für Anwendbarkeit des Spruchverfahrens auf Vermögensübertragung nach § 179a AktG); ebenso Wilde, ZGR 1998, 423, 450 ff.; differenzierend Reichert, ZHRBeiheft Nr. 68 (1999), S. 25 ff.; dazu Veil, ZIP 1998, 361. 104) Zum ausdrücklich in diese Richtung zielenden § 1 Abs. 2 UmwG-RefE Hirte, AG 1990, 373 f.

459

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

6.98 Das Umwandlungsrecht ist in gleicher Weise zwingendes Recht wie das Aktienrecht (§ 1 Abs. 3 UmwG; zum Aktienrecht oben Rz. 2.48 ff.). Das bedeutet, dass von seinen Vorgaben nur abgewichen werden kann, wenn das Gesetz dies ausdrücklich gestattet. Solche Regelungen finden sich, wie zu zeigen sein wird, relativ häufig, sofern keine Aktien- oder jedenfalls Kapitalgesellschaft an einem Umwandlungsvorgang beteiligt ist. c)

Aufbau des Umwandlungsgesetzes

6.99 Systematisch ist das Umwandlungsgesetz in sieben Bücher unterteilt. Das erste Buch, das nur aus einer Vorschrift besteht (§ 1 UmwG), umreißt die grundlegenden Möglichkeiten der Umwandlungen, indem es zunächst die Umwandlungsarten abschließend benennt und sie zugleich auf Rechtsträger mit Sitz im Inland beschränkt (§ 1 Abs. 1 UmwG). 6.100 Die folgenden vier Bücher behandeln jeweils eine der genannten Umwandlungsarten: –

Zweites Buch. Verschmelzung (§§ 2 – 122 UmwG);



Drittes Buch. Spaltung (§§ 123 – 173 UmwG);



Viertes Buch. Vermögensübertragung (§§ 174 – 189 UmwG);



Fünftes Buch. Formwechsel (§§ 190 – 304 UmwG).

6.101 Dabei sind diese Bücher jeweils in einen allgemeinen und einen besonderen Teil gegliedert. Im ersten Teil sind diejenigen Vorschriften zusammengefasst, die für alle Fälle der jeweiligen Umwandlungsart unabhängig von der Rechtsform der beteiligten Rechtsträger gelten. Im besonderen Teil hingegen sind Sonderregelungen getroffen worden, die nur bei der Beteiligung bestimmter Rechtsträger bzw. in bestimmten Umwandlungsfällen zur Anwendung kommen. Erforderlich wurde eine solche differenzierte Regelung, um den strukturellen Unterschieden, die bei den verschiedenen umwandlungsfähigen Rechtsträgern bestehen, gerecht werden zu können. So können nach § 3 UmwG an einer Verschmelzung beteiligt sein: offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Partnerschaftsgesellschaft, Aktiengesellschaft, GmbH, Kommanditgesellschaft auf Aktien, die eingetragene Genossenschaft, der eingetragene Verein, genossenschaftliche Prüfungsverbände, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, wirtschaftliche Vereine und natürliche Personen. Es versteht sich von selbst, dass hier allgemeingültige Regelungen nur in beschränktem Umfang möglich sind und auf Differenzierungen nicht verzichtet werden konnte. 6.102 Diese vier Bücher stehen indes nicht berührungslos nebeneinander. Das Gesetz bedient sich vielmehr einer diffizilen Verweisungstechnik, nach der zum Beispiel viele Vorschriften zur Verschmelzung auch auf die übrigen Umwandlungsarten anwendbar sind (vgl. etwa die Verweisungen in §§ 125, 176, 177 UmwG). Mit Hilfe dieser Verweisungen hat der Gesetzgeber zwar den Umfang des Gesetzes

460

IV. Umwandlung

reduzieren können,105) jedoch die Arbeit mit dem Gesetz für den Rechtsanwender eher erschwert.106) Die sich an die Regelungen der Umwandlungsarten anschließenden Bücher betref- 6.103 fen Straf-, Übergangs- und Schlussvorschriften (Sechstes Buch [früher Siebentes Buch]; Strafvorschriften und Zwangsgelder [§§ 313 – 316 UmwG]; Siebentes Buch [früher Achtes Buch]; Übergangs- und Schlussvorschriften [§§ 317 – 325 UmwG]). Daneben tritt das Spruchverfahrensgesetz; es regelt vor allen Dingen das (früher im Sechsten Buch des Umwandlungsgesetzes geregelte) Verfahren für die Bestimmung der Zuzahlung an Anteilsinhaber oder der Barabfindung von Anteilsinhabern anlässlich der Umwandlung von Rechtsträgern (§ 1 Nr. 4 SpruchG) sowie – im Zusammenhang des Konzernrechts von Interesse – für die Festsetzung des Ausgleichs und der Abfindung außenstehender Aktionäre bei Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen (§ 1 Nr. 1 SpruchG) (dazu näher unten Rz. 6.150 ff. und 8.93). d)

Europäische Aktiengesellschaft

Die SE-Verordnung enthält für die Europäische Aktiengesellschaft – wie bereits 6.104 erwähnt (dazu oben Rz. 2.35 ff.) – in erheblichem Umfang Umwandlungsvorschriften für die Umwandlung nationaler Gesellschaften in eine Europäische Aktiengesellschaft. Mit Verschmelzung und Formwechsel bietet sie zwei Umwandlungsvorgänge als Gründungsvarianten an. Damit wurde zugleich erstmals die grenzüberschreitende Verschmelzung mehrerer Gesellschaften geregelt (dazu auch oben Rz. 1.66). Für die Umwandlung der errichteten SE enthält die SE-Verordnung demgegen- 6.105 über kaum Regelungen. Lediglich Art. 66 SE-VO erklärt die formwechselnde und identitätswahrende (Rück-)Umwandlung einer SE in eine nationale Aktiengesellschaft für zulässig, allerdings erst nach Ablauf von etwa zwei Jahren nach Eintragung der SE. Warum die eigentlich naheliegende Frage einer Verschmelzung mehrerer SE zu einer neuen SE sowie die der Spaltung einer SE ungeregelt blieb, lässt sich nur vermuten: wahrscheinlich standen die Fragen des Zugangs zur SE so im Mittelpunkt der Diskussion, dass man die möglichen Rechtsfolgen einer langlebigen SE verdrängt hat. Die Umwandlung einer bestehenden SE vollzieht sich daher grundsätzlich auf Basis des deutschen Umwandlungsrechts.107) Die „Ausgliederung“ einer Tochter-SE aus einer Mutter-SE im Wege der Gesamtrechtsnachfolge ist jedoch nicht möglich (dazu oben Rz. 2.43).

___________ 105) Hierzu Neye, Kölner UmwR-Tage, S. 10. 106) Zur „Pfadsuche im Verweisungsdschungel des neuen Umwandlungsrechts“ exemplarisch Bayer/Wirth, ZIP 1996, 817 ff.; krit. auch Zöllner, AG 1994, 336 ff. 107) Casper, AG 2007, 97, 102; Kallmeyer/Marsch-Barner, § 3 UmwG Rz. 11.

461

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

2.

Verschmelzung

6.106 Unter einer Verschmelzung im rechtstechnischen Sinne versteht man die juristische Vereinigung von mindestens zwei Rechtsträgern im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, wobei den Mitgliedern des dabei untergehenden Rechtsträgers ein Ausgleich in Form von Anteilsrechten an dem übernehmenden bzw. aus der Verschmelzung neu hervorgegangenen Rechtsträger zu gewähren ist (§ 2 UmwG; Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Dritte Richtlinie). Der englische Begriff merger wird demgegenüber in aller Regel in einem weiteren Sinne gebraucht: er umfasst auch den bloßen Erwerb der (Mehrheit oder aller) Anteile, ohne dass dies den Bestand der erworbenen Gesellschaft als Rechtspersönlichkeit berühren muss. Die Verschmelzung in unserem Sinne bildet daher als legal merger oder statutory merger nur einen Ausschnitt der möglichen mergers. 6.107 Die Verschmelzung in unserem Sprachgebrauch stellt somit immer einen Konzentrationsvorgang dar. Die Motive dazu können vielschichtig sein.108) So kommt etwa die Bündelung von personellen, sachlichen, organisatorischen oder vertriebstechnischen Ressourcen in Betracht, die durch die Verschmelzung zu positiven Synergieeffekten führen soll. Des Weiteren können eine Stärkung der Finanzkraft sowie eine Erhöhung der Kreditwürdigkeit beabsichtigt sein. Soweit es sich um konzerninterne Umstrukturierungen handelt, können sie auch der Vereinfachung der Unternehmensstruktur dienen, etwa um einen Gang an die Börse vorzubereiten.109) 6.108 Den praktisch wohl häufigsten Fall stellt die sog. Konzernverschmelzung dar, bei der zwei Rechtsträger miteinander verschmolzen werden, von denen einer bereits am anderen beteiligt ist. Sie bildet häufig den Schlusspunkt eines mehraktigen Konzentrationsprozesses über eine faktische und vertragliche Konzernierung. Dagegen stellt der vom Gesetz vorgestellte Grundfall der Verschmelzung von bislang unabhängigen Rechtsträgern eher die Ausnahme dar.110) 6.109 Eine derartige Konzernverschmelzung ist in verschiedener Weise privilegiert. Bei einer 100 %igen Tochtergesellschaft kann zum einen auf die Gewährung von Anteilen der übernehmenden Gesellschaft verzichtet werden (§ 5 Abs. 2 UmwG; Art. 19 Abs. 3 Dritte Richtlinie). Zudem kann schon immer nach § 62 Abs. 1 UmwG (Art. 27 Dritte Richtlinie) auf einen Verschmelzungsbeschluss bei der aufnehmenden Aktiengesellschaft verzichtet werden, wenn diese mehr als 90 % ___________ 108) Hierzu Semler/Stengel/Stengel, § 2 UmwG Rz. 19 ff. 109) Heckschen, Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (1989), S. 8; Kallmeyer, ZIP 1994, 1746, 1747; Lutter/Lutter/Drygala, § 2 UmwG Rz. 11; WP-Handbuch 1992, Bd. II (1992), Abschnitt E, Rz. 25. 110) Heckschen, Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (1989), S. 3, 8, 51 ff. (dazu Hirte, WM 1990, 530 ff.); Lutter/Lutter/Drygala, § 2 UmwG Rz. 12; ebenso für den Unternehmensvertrag Bayer, Der grenzüberschreitende Beherrschungsvertrag (1988), S. 9, 65; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 144; ders., in: RWS-Dok. 13, Einl., S. 15; ders., ZGR 1994, 644, 648.

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IV. Umwandlung

des Grund- oder Stammkapitals der übertragenden Gesellschaft hält. Ein Verschmelzungsbeschluss ist nur erforderlich, wenn eine 5 %ige Aktionärsminderheit dies ausdrücklich beantragt (§ 62 Abs. 2 UmwG; Art. 27c i. V. m. Art. 8c Dritte Richtlinie). Durch § 62 Abs. 4 Satz 1 UmwG n. F.111) wurde auch ein Verschmelzungsbeschluss bei einer 100 %-igen übertragenden Kapitalgesellschaft (auch GmbH) für entbehrlich erklärt; zudem entfällt die Notwendigkeit eines Zustimmungsbeschlusses in einer übertragenden Aktiengesellschaft nach § 62 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 5 Satz 1 UmwG n. F. auch dann, wenn zwar noch keine 100 %-ige Beteiligung an dieser Gesellschaft besteht, der Ausschluss ihrer Minderheitsaktionäre aber bereits im Rahmen eines „verschmelzungsrechtlichen squeeze out“ beschlossen und dies im Rahmen des Übertragungsbeschlusses entsprechend eingetragen wurde (dazu näher oben Rz. 4.93b). Ob die Privilegierung des § 5 Abs. 2 UmwG auch auf die Verschmelzung von Schwestergesellschaften Anwendung finden kann, an denen je eine andere Gesellschaft als Alleingesellschafterin beteiligt ist (ohne dass aber die eine unmittelbar an der anderen beteiligt wäre), war lange Zeit umstritten.112) Für Aktiengesellschaften und GmbH hat der Gesetzgeber dies im Zweiten Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19. April 2007 (BGBl. I, 542 ff.) zwischenzeitlich ausdrücklich zugelassen; nach §§ 54 Abs. 1 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 3 UmwG n. F. darf seither eine übernehmende Gesellschaft von einer Anteilsgewährung absehen, wenn darauf alle Anteilsinhaber eines übertragenden Rechtsträger in notarieller Form verzichten.113) a) Verschmelzung unter Beteiligung von Aktiengesellschaften und/ oder GmbH Eine Verschmelzung von Rechtsträgern ist nach dem UmwG in zweierlei Weise 6.110 möglich. Zum einen kann bei der Verschmelzung zur Aufnahme das Vermögen eines (übertragenden) Rechtsträgers auf einen anderen (übernehmenden) Rechtsträger im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übertragen werden. Dabei wird der Überträger ohne Abwicklung aufgelöst, hingegen bleibt der Übernehmer als solcher bestehen (§ 2 Nr. 1 UmwG; Art. 3 Abs. 1 Dritte Richtlinie). Eine solche Verschmelzung ist auch auf den einzelkaufmännischen Alleingesellschafter mög___________ 111) Eingefügt durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 11.7.2011 (BGBl. I, 1338 ff.) mit Blick auf die jetzt zwingende Ausgestalung von Art. 25 Dritte Richtlinie. 112) Dafür LG München I NJW-RR 1999, 398; dagegen OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1999, 185 = ZIP 1998, 1191 (sogar gesonderter Ausweis der Kapitalerhöhung für jede einzelne zu verschmelzende Gesellschaft) mit teilw. krit. Anm. Neye, EWiR § 46 UmwG 1/98, 517 (kein gesonderter Ausweis der Kapitalerhöhungsbeträge erforderlich); KG NJW-RR 1999, 186 = DB 1998, 2511 = EWiR § 5 UmwG 2/98, 1145 (Rottnauer); OLG Hamm NZG 2004, 1005 = NJW-RR 2004, 1556 = ZIP 2005, 662. 113) Hierzu Bayer/J. Schmidt, NZG 2006, 841, 845; zur Kritik an der Neuregelung (teils zu eng, da nur auf AG/GmbH bezogen, teils zu weit, da nicht nur 100 %-ige Beteiligung erfassend) D. Mayer/Weiler, DB 2007, 1235, 1238 f.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

lich, und zwar auch dann, wenn es sich um einen Kleingewerbetreibenden handelt, bei dem eine Registereintragung nicht in Betracht kommt (vgl. jetzt ausdrücklich § 122 Abs. 2 UmwG n. F.). Seit Einführung der Eintragungsoption des § 2 HGB n. F. dürfte dies ohnehin selbstverständlich sein.114) 6.111 Andererseits ist es aber bei der Verschmelzung zur Neugründung auch möglich, dass das Vermögen zweier Rechtsträger auf einen von ihnen neu gegründeten Rechtsträger übertragen wird, so dass sie beide ohne Abwicklung aufgelöst werden und im Ergebnis der neu gegründete Rechtsträger entsteht (§ 2 Nr. 2 UmwG; Art. 4 Abs. 1 Dritte Richtlinie). Die Verschmelzung zur Neugründung ist freilich steuerrechtlich im Hinblick darauf wenig attraktiv, dass sie zwei Übertragungsvorgänge erforderlich macht. Sowohl bei der Verschmelzung zur Aufnahme wie bei der Verschmelzung zur Neugründung können als übertragende Rechtsträger auch mehr als einer bzw. zwei beteiligt sein (§ 2 Nrn. 1, 2 UmwG; Artt. 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Dritte Richtlinie). Charakteristisch für die Verschmelzung ist dabei, dass als Ausgleich für die Vermögensübertragung den Anteilseignern der übertragenden Rechtsträger im Verhältnis ihrer bisherigen Beteiligung Anteile an dem übernehmenden bzw. neuen Rechtsträger gewährt werden. Sie werden damit automatisch zu Anteilseignern dieses Rechtsträgers (§§ 2, 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG; Artt. 3 Abs. 1, 4 Abs. 1, 19 Abs. 1a Dritte Richtlinie). 6.112 Da auf beiden Seiten Rechtsträger unterschiedlicher Rechtsform und auch auf jeder Seite jeweils mehrere Rechtsträger unterschiedlicher Rechtsform beteiligt sein können (§ 3 Abs. 4 UmwG), sind die verschiedensten Kombinationen möglich: –

Die Verschmelzung zur Aufnahme oder zur Neugründung unter Beteiligung von zwei oder mehr Gesellschaften eines Gesellschaftstyps auf Seiten der übertragenden wie der übernehmenden Gesellschaft.



Die Verschmelzung zur Aufnahme oder zur Neugründung unter Beteiligung von zwei oder mehr Gesellschaften, wobei die aufnehmende Gesellschaft einem anderen Gesellschaftstyp angehört als die übertragende(n) Gesellschaft(en). Diese Verschmelzung beinhaltet dabei zugleich einen Rechtsformwechsel.



Die Verschmelzung zur Aufnahme oder zur Neugründung unter Beteiligung mehrerer übertragender Gesellschaften, die ihrerseits verschiedenen Rechtsformen angehören.

6.113 In allen Fällen können – was die Kapitalgesellschaften angeht – heute grundsätzlich unbeschränkt auf beiden Seiten sowohl Aktiengesellschaft wie GmbH beteiligt sein. Für die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) gilt dies ___________ 114) BGH NJW 1998, 2536 = ZIP 1998, 1225 = DStR 1998, 1230 = LM H. 11/1998 UmwG Nr. 6 (Heidenhain); Hirte, NJW 1999, 179, 185; abw. für den Minderkaufmann alten Rechts (§ 4 HGB a. F.) OLG Zweibrücken NJW 1996, 3282 = ZIP 1996, 460 = EWiR § 122 UmwG 1/96, 277 (Neye); krit. dazu Priester, DB 1996, 413; Heckschen, ZIP 1996, 450; sowie Neye, ebda.; vgl. auch Bärwaldt/Schabacker, NJW 1997, 93.

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IV. Umwandlung

freilich nach überwiegender Meinung nur eingeschränkt. Unbedenklich sind danach nur Verschmelzungsvorgänge, an denen die Unternehmergesellschaft als übertragender Rechtsträger beteiligt ist.115) Verschmelzungen auf eine Unternehmergesellschaft sollen nach teilweise vertretener Ansicht schon grundsätzlich daran scheitern, dass die UG als Einstiegsrechtsform konzipiert sei (dazu oben Rz. 5.45g) und deshalb nicht im Wege der Umwandlung gegründet werden könne.116) Nach einer (etwas) engeren Ansicht, die inzwischen auch vom BGH übernommen wurde, soll die Verschmelzung auf eine Unternehmergesellschaft demgegenüber immer dann ausscheiden, wenn das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers bei der Verschmelzung nach den Vorschriften über die Sacheinlage auf die neu zu gründende bzw. aufnehmende Unternehmergesellschaft übergehen würde; denn Sacheinlagen sind nach § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG bei der UG ausgeschlossen.117) Eine Verschmelzung auf eine Unternehmergesellschaft käme danach nur in dem Fall in Betracht, dass in der aufnehmenden Unternehmergesellschaft zur Durchführung der Verschmelzung ausnahmsweise keine Kapitalerhöhung erforderlich ist.118) Ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist allerdings keines dieser Verbote; vielmehr steht hinter den Vorbehalten in allen Fällen mehr oder weniger ausdrücklich der Versuch, die Vorschriften über die Mindestkapitalaufbringung trotz Einführung der Unternehmergesellschaft möglichst weitgehend zu „retten“. Wer demgegenüber – wie der Verfasser dieser Zeilen – das Erfordernis einer Kapitalaufbringung nicht (mehr) als zwingenden Kernbestand des Kapitalgesellschaftsrechts ansieht (dazu oben Rz. 5.24 ff.), muss die umgekehrte Frage stellen, wie die Verschmelzungsvorschriften bei der Umwandlung auf eine bestehende oder in eine neu zu gründende Unternehmergesellschaft rechtsfortbildend anzupassen sind, um diesen Schritt zu ermöglichen. Die Verschmelzung einer Personen- auf eine Kapitalgesellschaft (und auch irgend- 6.113a einer Gesellschaft auf eine Unternehmergesellschaft!119)) kann daneben unverändert (siehe ausdrücklich § 1 Abs. 2 UmwG) auch durch Anwachsung erreicht werden: So kann eine GmbH & Co. KG dadurch auf ihre eigene KomplementärGmbH „umgewandelt“ (verschmolzen) werden, dass alle Gesellschafter außer der Komplementär-GmbH aus der Gesellschaft ausscheiden. Folge ist, dass die Kommanditgesellschaft erlischt, da sie in Form ihrer Komplementär-GmbH nur noch ___________ 115) Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 5a GmbHG Rz. 19. 116) Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 5a GmbHG Rz. 17 m. w. N. im Anschluss an Freitag/ Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1486; Gehrlein, Konzern 2007, 771, 779. 117) BGH ZIP 2011, 1054 Tz. 12 ff. = NJW 2011, 1883 = NZG 2011, 666 = NZI 2011, 551 = DStR 2011, 1137 = ZInsO 2011, 1023 = EWiR § 5a GmbHG 2/11, 419 (Priester); OLG München ZIP 2010, 1081 = NZG 2010, 795; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 5a GmbHG Rz. 17 f.; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1491. 118) Mit Blick auf die sich dabei eröffnenden Umgehungsmöglichkeiten kritisch auch zu diesem Fall Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 5a GmbHG Rz. 18. 119) Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis (2009), Rz. 236; zust. Hirte, NJW 2012, 581, 583 und wohl auch Fastrich, in: VGR, Bd. 16 (2011), S. 119, 148 f.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

einen Gesellschafter hat und sonst gegen eine der – nach herrschender Meinung – zwingenden Grundbedingungen des Personengesellschaftsrechts verstoßen würde. Als weitere Folge geht sodann die Beteiligung der Kommanditisten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge ex lege auf den einzigen verbleibenden Gesellschafter, also die Komplementär-GmbH, über. Zuvor kann in der GmbH eine Kapitalerhöhung durchgeführt werden, bei der alle Kommanditisten ihre KGAnteile als Sacheinlage in die GmbH einbringen, so dass sie anschließend in einem festzulegenden Umfang an der (Komplementär-)GmbH beteiligt sind. Selbstverständlich ist dies auch in der Weise möglich, dass Gesellschafter einer Personengesellschaft eine GmbH ausschließlich zu diesem Zweck gründen und sodann ihre Anteile an der OHG/KG als Sacheinlagen in diese neu gegründete GmbH einbringen, um schließlich aus der gemeinsamen Personengesellschaft auszuscheiden.120) Der umgekehrte Fall des Unternehmensformwechsels vom Einzelkaufmann in eine (neue) Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder eine Handelsgesellschaft ist hingegen nicht Umwandlung, sondern Neugründung.121) b)

Ablauf des Verschmelzungsverfahrens

6.114 Dem Charakter der Verschmelzung als strukturändernder Maßnahme entsprechend ist der Vorgang mehrstufig ausgestaltet, um vor allem die Interessen der Anteilseigner der beteiligten Gesellschaften optimal zu schützen. aa)

Verschmelzungsvertrag

6.115 Grundlage der Verschmelzung, die das Gesetz zunächst in Form der Verschmelzung zur Aufnahme regelt, ist ein notariell zu beurkundender Verschmelzungsvertrag, der von den Vertretungsorganen der beteiligten Rechtsträger abgeschlossen wird (§§ 4, 6 UmwG; Art. 5 Abs. 1 Dritte Richtlinie [„Verschmelzungsplan“]). Er bildet die schuld- und organisationsrechtliche Basis des gesamten Vorganges und wird daher nur mit Zustimmung der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung der beteiligten Rechtsträger wirksam (§ 13 Abs. 1 UmwG; Art. 7 Dritte Richtlinie). Bis zu deren Beschluss ist er daher schwebend unwirksam. Im Interesse einer ausreichenden Information der Anteilseigner muss er einen gesetzlich fixierten Mindestinhalt haben (§ 5 UmwG; Art. 5 Abs. 2 Dritte Richtlinie), der die wesentlichen Daten der Verschmelzung umfasst.122) 6.116 So hat er vor allem Name bzw. Firma und Sitz der beteiligten Rechtsträger zu be-

zeichnen (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) und die eigentliche Vereinbarung über den Anteilstausch (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 UmwG) einschließlich des Umtauschverhältnisses sowie

___________ 120) Baumbach/Hopt (33. Aufl. 2008), Einl. v. § 105 HGB Rz. 22, § 105 HGB Rz. 8 m. w. N.; Raiser/Veil, KapGesR, § 47 Rz. 1. 121) Baumbach/Hopt (33. Aufl. 2008), Einl. v. § 105 HGB Rz. 22. 122) Zur Funktion des Verschmelzungsvertrages Begr RegE zu § 340 AktG a. F., BT-Drucks. 9/1065, S. 14.

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IV. Umwandlung

Angaben zur Höhe etwaiger barer Zuzahlungen zu enthalten (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). Weiter erforderlich ist die Angabe des Zeitpunkts, von dem an die Gesellschafter am Bilanzgewinn des übernehmenden Rechtsträgers beteiligt sein sollen (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 UmwG). Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9, § 126 Abs. 1 Nr. 11 UmwG muss ein Verschmelzungs- (bzw. allgemein Umwandlungs-)Vertrag auch detaillierte Angaben zu den arbeitsrechtlichen Folgen einer Umwandlung enthalten. Das OLG Düsseldorf stellte sich dazu auf den Standpunkt, dass davon auch bloß mittelbare Folgen wie Umgruppierungen erfasst seien und hielt sich – vor allem – für berechtigt, bei Fehlen der geforderten Angaben die Eintragung der begehrten Umwandlung zu verweigern. Das geht in der Schärfe der Sanktion deutlich über die hinaus, die bei Verletzung gesellschafterschützender Rechte eingreifen.123)

Nach dem Gesetz ist es auch möglich, dass der Verschmelzungsvertrag erst nach 6.117 der Beschlussfassung der Anteilseigner geschlossen wird. Das kann vor allem dann sinnvoll sein, wenn die Zustimmung der Anteilseigner ungewiss ist, da somit die bei Scheitern der Verschmelzung unnötigen Kosten der notariellen Beurkundung gespart werden können (zur Zulässigkeit der Beurkundung im Ausland oben Rz. 4.56). Gegenstand der Beschlussfassung sowie der vorhergehenden Verfahrensschritte ist in diesem Falle ein Vertragsentwurf (§ 4 Abs. 2 UmwG); der später zu schließende Vertrag muss mit diesem allerdings identisch sein, da er sonst nicht von den Zustimmungsbeschlüssen getragen würde.124) In der Praxis wird häufig vor bzw. neben dem Verschmelzungsvertrag noch ein gesondertes Business Combination Agreement abgeschlossen. Problematisch ist insoweit vor allem, ob die Gesellschaften hierdurch bereits rechtswirksam – und sei es auch nur in Form von „break fees“ für den Fall eines Scheiterns der Fusionsverhandlungen – zu Leistungen verpflichtet werden können und ob die Vereinbarung wie der Verschmelzungsvertrag selbst den Aktionären offenzulegen ist.125) Bei der Verschmelzung zur Neugründung müssen neben den allgemeinen 6.118 Vorschriften (§ 36 Abs. 1 UmwG; Art. 23 Abs. 1 UA 1 Dritte Richtlinie) die Gründungsvorschriften des neuen Rechtsträgers beachtet werden (§ 36 Abs. 2 UmwG). Der Verschmelzungsvertrag hat daher Gesellschaftsvertrag, Satzung oder Statut des neuen Rechtsträgers zu enthalten (§ 37 UmwG; Art. 23 Abs. 1 UA 2 [früher Abs. 2] Dritte Richtlinie). Gründungsbericht bei Aktiengesellschaft und GmbH (§§ 58 Abs. 1, 75 Abs. 1 UmwG) bzw. Gründungprüfung bei der Aktiengesellschaft haben sich auch auf die Lage beim übertragenden Rechtsträger zu erstrecken. Schließlich können sowohl bei der Verschmelzung zur Aufnahme wie bei der Verschmelzung zur Neugründung auch die Vorschriften über die Nachgründung (§ 52 AktG) anwendbar sein (dazu oben Rz. 5.62 f.). § 67 Abs. 1 Satz 2 UmwG i. d. F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungs___________ 123) OLG Düsseldorf ZIP 1998, 1190 = NJW-RR 1999, 188 = EWiR § 5 UmwG 1/98, 855 (Willemsen/Müller). 124) Dazu BGHZ 82, 188 = ZIP 1982, 172 (Hoesch/Hoogovens). 125) Zum Business Combination Agreement bei der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage Aha, BB 2001, 2225.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

gesetzes vom 19. April 2007 (BGBl. I, 542 ff.) nimmt davon aber jetzt den Fall aus, dass die übernehmende Gesellschaft ihre Rechtsform als Aktiengesellschaft durch Formwechsel einer GmbH erlangt hat, die zuvor bereits mindestens zwei Jahre im Handelsregister eingetragen war. bb)

Verschmelzungsbericht

6.119 Die Vertretungsorgane jeder der beteiligten Gesellschaften haben weiter einen ausführlichen Verschmelzungsbericht über die Verschmelzung zu erstellen (§ 8 UmwG; Art. 9 Dritte Richtlinie). Auch dieser Bericht dient dem Schutz der Anteilseigner und soll diesen – ergänzend zum Verschmelzungsvertrag bzw. -entwurf – die notwendigen Informationen liefern, aufgrund derer sie eine sachgerechte Entscheidung über die Verschmelzung fällen können. Er kann von den beteiligten Gesellschaften gemeinsam erstattet werden (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 UmwG).126) 6.120 Im Mittelpunkt steht dabei die Erläuterung des Umtauschverhältnisses der Anteile. Dieses Verhältnis spiegelt die Relation der Unternehmenswerte der beteiligten Gesellschaften wider und bildet die Grundlage dafür, wie viele Anteile an der aufnehmenden bzw. der neuen Gesellschaft den Gesellschaftern der übertragenden Gesellschaft(en) als Ausgleich für den Verlust ihrer ursprünglichen Mitgliedschaft zu gewähren sind. Beispiel: Eine GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 Euro und einem Unternehmenswert von 50.000 Euro wird auf eine Aktiengesellschaft mit 50.000 Euro Grundkapital und einem Unternehmenswert von 500.000 Euro verschmolzen. Da zunächst das Verhältnis der Unternehmenswerte beider Gesellschaften zueinander 10 : 1 beträgt, müssen die Gesellschafter der früheren GmbH an der neuen Gesellschaft ein Zehntel des Wertes erhalten, den die Aktionäre der früheren Aktiengesellschaft erhalten. Da sodann das Verhältnis Unternehmenswert zu Grundkapital bei der Aktiengesellschaft 10 : 1 beträgt, sind den Gesellschaftern der GmbH zusammen für ihr eingebrachtes Vermögen Aktien im gleichen Verhältnis zu gewähren, also im Nennwert von 5.000 Euro. Unter Berücksichtigung des bisherigen Stammkapitals von 25.000 Euro ergibt sich damit ein Umtauschverhältnis von 5 : 1, d. h. für einen Geschäftsanteil im Nennwert von 250 Euro sind Aktien im Nennwert von 50 Euro zu gewähren.

6.121

6.122 Da von diesem Umtauschverhältnis der Erhalt des durch die Mitgliedschaft vermittelten Vermögenswertes der Beteiligung abhängt, werden von seiner Festlegung die Interessen der Anteilseigner am intensivsten berührt. Ist es nämlich nicht angemessen festgelegt worden, drohen den Anteilseignern durch die Verschmelzung möglicherweise einschneidende Vermögenseinbußen. Das gilt sowohl für die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft, wenn für das eingebrachte ___________ 126) Zum Erfordernis eines „ausführlichen Berichts“ (zum alten Recht) BGHZ 107, 296 (Kochs Adler) = ZIP 1989, 980 = NJW 1989, 2689 = EWiR § 246 AktG 1/89, 843 (Hirte); BGH ZIP 1990, 1560 (SEN) = NJW-RR 1991, 358; dazu Keil/Wagner, ZIP 1989, 214; Keil, Der Verschmelzungsbericht nach § 340a AktG (1990), S. 36 ff.

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IV. Umwandlung

Vermögen zu wenige Anteile an der aufnehmenden Gesellschaft gewährt werden, wie auch umgekehrt für die Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft, wenn den aufgenommenen Gesellschaftern mehr Anteile gewährt werden, als es dem eingebrachten Vermögen entspricht. Für den Parallelfall der Festsetzung der Barabfindung nach § 305 AktG hat das BVerfG festgestellt, dass im Hinblick auf Art. 14 GG der Börsenkurs bei der Feststellung des Unternehmenswertes nicht völlig unberücksichtigt bleiben dürfe.127) Das gilt grundsätzlich auch hier. Davon ist aber eine Ausnahme zu machen, wenn der nach der Ertragswertmethode errechnete Unternehmenswert über dem auf Grundlage des Börsenkurses berechneten liegt128) In Verschmelzungsfällen führt dies allerdings dann zu Widersprüchen, wenn nach diesen Grundsätzen für eine der beteiligten Gesellschaften auf den Börsenkurs, für eine andere auf den Ertragswert abzustellen ist; hier ist daher im Allgemeinen ein „Gleichlauf der Bewertungsmethoden“ anzustreben.129)

6.122a

Die Berichtspflicht entfällt, wenn die Gefahr einer Vermögensverschiebung nicht 6.123 besteht. Das ist nur der Fall, wenn es sich bei der übertragenden Gesellschaft um eine 100 %-ige Tochtergesellschaft handelt (§ 8 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UmwG; dazu auch oben Rz. 6.108 f.). Ein Bericht ist aber andererseits auch dann entbehrlich, wenn alle Anteilseigner, deren Schutz der Bericht dient, darauf verzichten (§ 8 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 UmwG). cc)

Verschmelzungsprüfung

Demselben Anliegen wie der Verschmelzungsbericht – dem Schutz der Anteils- 6.124 eigner – dient die Verschmelzungsprüfung. Sie ist zwingend vorgeschrieben, soweit Aktiengesellschaften an der Verschmelzung beteiligt sind (§ 60 Abs. 1 i. V. m. §§ 9 – 12 UmwG; Art. 10 Dritte Richtlinie). Bei GmbHs ist sie nur durchzuführen, wenn mindestens ein Gesellschafter dies innerhalb einer Frist von einer Woche verlangt, nachdem er die in § 47 UmwG genannten Unterlagen erhalten hat (§ 48 i. V. m. §§ 9 – 12 UmwG). Die Prüfung ist unter denselben Voraussetzungen entbehrlich wie der Verschmelzungsbericht (§ 9 Abs. 2 und Abs. 3 i. V. m. § 8 Abs. 3 UmwG). Die Besonderheit der Verschmelzungsprüfung liegt darin, dass sie durch unab- 6.125 hängige und sachverständige Prüfer durchgeführt werden muss, was eine gewisse Neutralität ihrer Bewertung verbürgt. Dabei ist grundsätzlich für jede Gesellschaft ein besonderer Prüfer durch das Gericht auszuwählen und zu bestellen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UmwG; Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dritte Richtlinie). Auf gemeinsamen Antrag der Vertretungsorgane kann aber für mehrere oder alle zu ver___________ 127) BVerfGE 100, 289 (DAT/Altana) = ZIP 1999, 1436 (Wilken) = NJW 1999, 3769 = AG 1999, 566 (Vetter) = DStRE 1999, 689 = DStR 1999, 1408 (Hergeth) = JZ 1999, 942 (Luttermann) = EWiR Art. 14 GG 2/99, 751 (Neye). 128) Hierzu Hirte, in: GroßK, § 203 AktG Rz. 100 (im Rahmen der Zulässigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses). 129) Ausführlich hierzu Hirte/Hasselbach, in: GroßK, § 305 AktG Rz. 155 ff., 242 f.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

schmelzenden Rechtsträger auch ein gemeinsamer Prüfer bestellt werden (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UmwG; Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dritte Richtlinie). Inhaltlich betrifft die Verschmelzungsprüfung den gesamten Inhalt des Verschmelzungsvertrages bzw. -entwurfes, wobei freilich der Schwerpunkt auch hier an der sensibelsten Stelle, nämlich dem Umtauschverhältnis, liegt.130) Der von den Verschmelzungsprüfern erstattete Bericht (§ 12 UmwG; Art. 10 Abs. 2 Dritte Richtlinie) ist von der Einberufung zur Hauptversammlung an, die über die Zustimmung zum Verschmelzungsvertrag beschließen soll, in den Geschäftsräumen der Gesellschaft zur Einsicht auszulegen (§ 63 Abs. 1 Nr. 5 UmwG); auf Verlangen ist er jedem Aktionär unverzüglich und kostenlos zuzusenden (§ 63 Abs. 3 AktG; Art. 11 Dritte Richtlinie). Der Bericht ist unter denselben Voraussetzungen entbehrlich bzw. verzichtbar wie die Prüfung selbst (§ 12 Abs. 3 UmwG). dd)

Verschmelzungsbeschluss

6.126 Der so erläuterte und geprüfte Verschmelzungsvertrag bzw. -entwurf wird nunmehr Gegenstand einer notariell zu beurkundenden (§ 13 Abs. 3 Satz 1 UmwG; Art. 16 Abs. 2 Dritte Richtlinie) Beschlussfassung der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung jeder der beteiligten Gesellschaften (§ 13 Abs. 1 UmwG; Art. 7 Abs. 1 Dritte Richtlinie). Damit wird den Anteilseignern die letzte Entscheidungskompetenz über die Verschmelzung zugewiesen. Denn bei der Verschmelzung handelt es sich um eine Grundlagenentscheidung, die nur von den Anteilseignern selbst und nicht von den Verwaltungsorganen getroffen werden kann (zur ungeschriebenen Kompetenz der Gesellschafter in Grundlagenangelegenheiten oben Rz. 3.224 und 3.44).131) Schließlich hat die Verschmelzung für die Gesellschafter einer übertragenden Gesellschaft die Wirkung, dass ihre bisherige Gesellschaft wegfällt und sie nunmehr an einer neuen Gesellschaft beteiligt werden. Das gilt zwar nicht für die Gesellschafter einer übernehmenden Gesellschaft – die als solche ja fortbesteht; doch bedeutet es auch für sie eine grundlegende Änderung ihrer Beteiligung. Am deutlichsten wird dies daran, dass durch die hinzukommenden Gesellschafter ihre relative Beteiligung an der Gesellschaft und damit ihr Einfluss zwingend sinken. 6.127 Für die Einladung zur entsprechenden Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung sind neben den Normen des UmwG auch die allgemeinen Vorschriften, für die Aktiengesellschaft insbesondere § 124 AktG, anzuwenden (Art. 6 Dritte Richtlinie i. V. m. Art. 3 Erste Richtlinie). Danach sind der Einladung auch der Wortlaut des beabsichtigten Umwandlungsbeschlusses und die Satzung der Gesellschaft

___________ 130) Semler/Stengel/Zeidler, § 9 UmwG Rz. 14 ff. 131) Speziell zur Begründung der Gesellschafterkompetenz bei Verschmelzungen Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 167 ff.

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IV. Umwandlung

neuer Rechtsform beizufügen.132) Bei einer Aktiengesellschaft sind vor allem Vertrag bzw. Vertragsentwurf und Verschmelzungsbericht in den Räumen der Gesellschaft auszulegen (§ 63 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 UmwG) und auf Verlangen jedem Aktionär zuzusenden (§ 63 Abs. 3 UmwG; Art. 11 Dritte Richtlinie). Gleiches gilt für die letzten Jahresabschlüsse der beteiligten Gesellschaften (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Da der letzte Jahresabschluss aber relativ aktuell sein muss (§ 63 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), andererseits aber ebenso wie die anderen Unterlagen schon zu Beginn der Einladungsfrist für die Hauptversammlung zur Verfügung stehen muss, sind Verschmelzungen ebenso wie andere Umwandlungsmaßnahmen typischerweise nur während eines kurzen Zeitraums im Jahr ohne kostspielige Erstellung eines Zwischenabschlusses (§ 63 Abs. 2 UmwG) möglich. Für die GmbH statuiert § 49 UmwG einen ähnlichen Informationsstandard. Bei der Aktiengesellschaft ist der Vertrag bzw. sein Entwurf zudem vorab zum Handelsregister einzureichen, was auch bekannt zu machen ist (§ 61 UmwG); in der Hauptversammlung besteht eine mündliche Erläuterungspflicht, die auch die anderen beteiligten Rechtsträger umfasst, und eine Unterrichtungspflicht in Bezug auf wesentliche Vermögensveränderungen, die seit dem Abschluss des Verschmelzungsvertrages oder der Aufstellung des Entwurfs eingetreten sind (§ 64 Abs. 1 UmwG; Art. 9 Abs. 2 Dritte Richtlinie n. F.). Die Zustimmung aller Haupt- bzw. Gesellschafterversammlungen mit den ent- 6.128 sprechenden Mehrheiten (dazu unten Rz. 6.140 f.) hat nunmehr zur Folge, dass der Verschmelzungsvertrag als schuldrechtlicher Vertrag zwischen den Rechtsträgern wirksam wird. Wurde nur über einen Entwurf abgestimmt, so sind die Vertretungsorgane nunmehr verpflichtet, den Vertrag entsprechend dem Entwurf abzuschließen.133) Mit den Zustimmungsbeschlüssen ist das innergesellschaftliche Verfahren ab- 6.129 geschlossen. Allerdings ist die Verschmelzung damit noch nicht vollzogen. Gleichwohl wird man es als zulässig ansehen können, wenn die Verschmelzung jetzt schon in die Tat umgesetzt wird; das gilt jedenfalls insoweit, als keine irreversiblen Maßnahmen geschaffen werden (arg. § 20 Abs. 2 UmwG) und keine Klage gegen den Zustimmungsbeschluss erhoben oder angekündigt ist.134)

___________ 132) LG Hanau ZIP 1996, 422 (Schwab/Otto) = EWiR § 124 AktG 1/96, 533 (Dreher) (inzwischen rkr.); krit. und enger Wilde, ZGR 1998, 423, 437 Fn. 47. 133) Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 13 UmwG Rz. 8 ff.; zur alten Rechtslage ebenso schon Grunewald, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 340c AktG Rz. 23 ff. 134) Zur grundsätzlichen Stand-still-Pflicht der Verwaltung nach Klageerhebung (als Gegenstück zur vom Verfasser angenommenen grundsätzlichen Rückabwicklungsverpflichtung bei Erfolg einer Klage) bereits Hirte, DB 1993, 77, 79 im Anschluss an Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 233 ff.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

ee)

Eintragung in das Handelsregister

6.130 Wie die „Geburtsstunde“ einer Kapitalgesellschaft im Moment der Eintragung ins Handelsregister liegt (dazu oben Rz. 2.2), knüpft das UmwG auch die Verschmelzungswirkungen an die Eintragung in das Handelsregister (§ 19 UmwG; Artt. 17, 18 Dritte Richtlinie). Dieses Vorgehen ist daraus zu erklären, dass bei der Verschmelzung mindestens eine beteiligte Gesellschaft erlischt und – im Falle der Verschmelzung zur Neugründung – eine neue Gesellschaft entsteht. Diese grundlegenden Änderungen sollen im Interesse des Rechtsverkehrs jederzeit registeröffentlich sein; bei der Anknüpfung an einen anderen Zeitpunkt – etwa die letzte Beschlussfassung – stimmte zumindest für einen Übergangszeitraum der Inhalt des Registers nicht mehr mit der Wirklichkeit überein, was aus Gründen der Rechtssicherheit vermieden werden soll. 6.131 Ohne Eintragung kommt es nicht zu den Wirkungen der Verschmelzung, und auch die Umdeutung einer mangels Eintragung fehlgeschlagenen Verschmelzung in eine Vermögensübernahme (früher § 419 BGB) kommt nicht in Betracht, da es insoweit am entsprechenden Willen der Beteiligten fehlt.135) 6.132 Demgemäß müssen die Vertretungsorgane bei ihrem jeweils zuständigen Registergericht die Eintragung der Verschmelzung beantragen (§ 16 Abs. 1 UmwG; für Verschmelzung zur Neugründung § 38 UmwG). Die Eintragung erfolgt dann in der Weise, dass die Verschmelzung zunächst in den Registern der übertragenden und anschließend im Register der übernehmenden Gesellschaft vorgenommen wird (§ 19 Abs. 1 UmwG). Durch diese zweite Eintragung wird die Verschmelzung vollzogen. 6.133 Wird wie regelmäßig (§§ 68, 54 UmwG) bei der übertragenden Verschmelzung zur Durchführung der Verschmelzung das Kapital des aufnehmenden Rechtsträgers erhöht, darf die Verschmelzung erst nach der Kapitalerhöhung eingetragen werden (§ 66 UmwG für die AG; § 53 UmwG für die GmbH). Das Verschmelzungsrecht geht dann im Wesentlichen dem Kapitalerhöhungsrecht vor (§§ 69, 55 UmwG); insbesondere gibt es kein Bezugsrecht und in der Regel keine Sacheinlageprüfung (§ 69 Abs. 1 UmwG). Auch die (verschuldensunabhängige) Differenzhaftung der Aktionäre der beteiligten Rechtsträger bei einer Überbewertung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers scheidet aus, weil es an einer Zeichnung der neuen Aktien fehlt.136) Einzutragen ist hier nach §§ 53 bzw. 66 UmwG zunächst die Kapitalerhöhung, dann die Verschmelzung, und zwar erst beim übertragenden Rechtsträger und schließlich – womit sie wirksam wird – beim übernehmenden Rechtsträger. ___________ 135) BGH NJW 1996, 659 = DStR 1996, 1056 (Goette) = ZIP 1996, 225 = EWiR § 25 KapErhG 1/96, 267 (Grunewald) = LM H. 5/1996 KapErhG Nr. 2 (zum alten Verschmelzungsrecht). 136) BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104 = NJW-RR 2007, 1487 = NZG 2007, 513; dazu Goette, DStR 2007, 2264, 2265.

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IV. Umwandlung

ff)

Wirkung der Eintragung

Die Eintragung bewirkt, dass das Vermögen der übertragenden Gesellschaft(en) 6.134 einschließlich der Verbindlichkeiten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende bzw. neue Gesellschaft übergeht, wobei die übertragende(n) Gesellschaft(en) ohne Abwicklung erlischt bzw. erlöschen (§ 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 UmwG; Art. 19 Abs. 1 Dritte Richtlinie). Die Firma des übertragenden Rechtsträgers kann nach § 18 UmwG fortgeführt werden. So gehen bei der Verschmelzung einer zur Verwalterin einer Wohnungseigentums- 6.135 anlage bestellten juristischen Person auf eine andere juristische Person die Organstellung und der Verwaltervertrag auf den übernehmenden Rechtsträger über, und zugleich verdrängen dabei die umwandlungsrechtlichen Spezialvorschriften den § 673 BGB; die Verschmelzung stellt dabei auch keinen wichtigen Grund zur Kündigung des Verwaltervertrages nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten.137) Auch ein Firmentarifvertrag gehört zu den nach § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwG durch Verschmelzung auf einen neuen Rechtsträger übergehenden Verbindlichkeiten, so dass für eine Anwendung von § 324 UmwG, § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB kein Raum ist.138) Andererseits ist das Umwandlungsrecht nicht gegenüber dem Betriebsübergang spezieller (arg. § 324 UmwG), so dass ein Arbeitnehmer dem umwandlungsbedingten Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen neuen Rechtsträger nach § 613a BGB widersprechen kann.139) Die Rechte der Arbeitnehmer in diesem Fall laufen dann freilich ins Leere, wenn der alte Rechtsträger ex lege untergeht; und selbst wenn er – wie bei der Spaltung – bestehen bleiben sollte, ist in der Folge eine betriebsbedingte Kündigung beim fortbestehenden Rechtsträger wahrscheinlich. Schon im Ansatz anders ist dies (selbstverständlich) im Falle des Formwechsels. Für den Fall, dass sich durch die Gesamtrechtsnachfolge eine Kollision von Rechten 6.136 und Pflichten ergeben würde, ordnet § 21 UmwG eine Vertragsanpassung nach Billigkeit an. Die Gesamtrechtsnachfolge erfasst auch anhängige Rechtsstreitigkeiten. Problematisch ist freilich, wie mit Auseinandersetzungen zu verfahren ist, die den untergehenden Rechtsträger selbst betreffen. § 28 UmwG ordnet für einen Sonderfall, nämlich dass die Unwirksamkeit der Verschmelzung geltend gemacht wird, an, dass auch eine solche Klage gegen den übernehmenden Rechtsträger zu richten ist. Das muss aber auch für vergleichbare Sachverhalte gelten.140)

Mit Eintragung der Verschmelzung werden die Gesellschafter der übertragenden 6.137 Gesellschaft nach Maßgabe des im Verschmelzungsvertrag festgelegten Umtauschverhältnisses Gesellschafter der übernehmenden oder neuen Gesellschaft (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG; Art. 19 Abs. 1 b Dritte Richtlinie). Inhabern von Son___________ 137) BGHZ 200, 229 = ZIP 2014, 776 = NJW 2014, 1447 = NZG 2014, 637 = EWiR 2014, 343 (Wachter). 138) BAGE 89, 193 = ZIP 1998, 2180 = NZA 1998, 1346. 139) BAGE 95, 1 = ZIP 2000, 1630, 1633 ff. (Bauer/Mengel) = NZA 2000, 1115 = ZInsO 2001, 46 = EWiR § 613a BGB 8/2000, 1009 (Joost); dazu auch Zerres, ZIP 2001, 359 ff. 140) Überzeugend daher für ein ursprünglich gegen eine übertragende Gesellschaft gerichtetes Auskunftserzwingungsverfahren LG München I EWiR § 131 AktG 1/99, 241 (Kort) (HypoVereinsbank): kein Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses der antragstellenden Aktionäre durch die Verschmelzung; dazu Mayrhofer/Dohm, DB 2000, 961.

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derrechten sind gleichwertige Rechte im übernehmenden bzw. neuen Rechtsträger einzuräumen (§ 23 UmwG; Art. 15 Dritte Richtlinie). Die mit der Eintragung verbundenen Wirkungen der Verschmelzung treten dabei auch trotz vorhergehender Mängel des Verschmelzungsverfahrens ein: soweit ein Mangel der notariellen Beurkundung vorliegt, kommt der Eintragung Heilungswirkung zu (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 UmwG); bedeutsamer ist indes, dass auch andere Mängel die Wirksamkeit der Verschmelzung unberührt lassen (§ 20 Abs. 2 UmwG; Art. 22 Dritte Richtlinie). Durch das UMAG hat der Gesetzgeber diese Wirkung auf Kapitalerhöhungsbeschlüsse erstreckt, die die Voraussetzungen für eine Umwandlung schaffen (§ 249 Abs. 1 Satz 3 AktG). Damit scheidet nach dem Willen des Gesetzgebers eine Rückgängigmachung der Verschmelzung (sog. Entschmelzung) ausnahmslos aus, selbst wenn sie unter schwersten Mängeln, etwa der Nichtigkeit des Verschmelzungsbeschlusses, leidet.141) 6.138 Begründet wird diese Unumkehrbarkeit mit den großen rechtlichen wie tatsächlichen Schwierigkeiten, die mit einer Entschmelzung verbunden wären. Dennoch ist diese Regelung nicht unproblematisch (dazu unten Rz. 6.149). c) Minderheitenschutz 6.139 Ein besonderes Augenmerk richtet das UmwG auf den Schutz der Minderheitsgesellschafter der beteiligten Gesellschaften. Die Notwendigkeit eines solchen Schutzes ergibt sich daraus, dass Minderheitsbeteiligte im Gegensatz zu beherrschenden Gesellschaftern oder solchen, die über eine sog. Sperrminorität verfügen, wegen ihres zu geringen Stimmengewichts regelmäßig nicht in der Lage sind, die Verschmelzung zu verhindern oder zumindest ihre Interessen in der Beschlussfassung über die Verschmelzung durchzusetzen. Das gilt insbesondere, wenn ein einziger Gesellschafter bzw. eine homogene Gesellschaftergruppe – wie häufig bei Konzernverschmelzungen – über eine ausreichende Mehrheit verfügt, um die Strukturänderung zu beschließen. In diesem Falle bildet die Mehrheitsentscheidung nur noch eine Formalie, hinter der sich tatsächlich die auf einer Individualentscheidung beruhende Weisung der Mehrheit verbirgt. Den so gefassten Beschlüssen kann daher auch nicht dasselbe Maß an Richtigkeitsgewähr wie sonst bei Mehrheitsentscheidungen zukommen; daher bedarf es anderer Mechanismen zum Schutze der Minderheit. aa)

Mehrheitsanforderungen an die Beschlüsse

6.140 Ein erstes Instrument sachlichen Minderheitenschutzes stellt das Erfordernis einer qualifizierten Abstimmungsmehrheit bei den Zustimmungsbeschlüssen dar. So muss bei der Aktiengesellschaft mindestens eine Mehrheit von drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals sowie eine einfache Stimmenmehrheit erreicht werden ___________ 141) Begr RegE zu § 20 Abs. 2 UmwG bei Neye, UmwG/UmwStG, S. 151.

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IV. Umwandlung

(§ 65 Abs. 1 Satz 1 UmwG, § 133 Abs. 1 AktG142); Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Dritte Richtlinie). Ebenso bedarf der Zustimmungsbeschluss einer GmbH mindestens einer Drei- 6.141 viertelmehrheit (§ 50 Abs. 1 Satz 1 UmwG). In beiden Fällen kann die Satzung noch höhere Mehrheiten und weitere Erfordernisse bestimmen; die Festlegung niedrigerer Mehrheiten ist hingegen ausgeschlossen (§ 65 Abs. 1 Satz 2, § 50 Abs. 1 Satz 2 UmwG). Diese Mehrheitserfordernisse entsprechen damit denen, die auch für andere Grundlagenentscheidungen mit ähnlich schweren Konsequenzen für die Mitgliedschaft erforderlich sind (dazu oben Rz. 3.265 und 6.1).143) Führt die Verschmelzung in der GmbH zum Verlust von Sonderrechten, bedarf es einer Zustimmung der betreffenden Gesellschafter (§ 50 Abs. 2 UmwG). Das soll etwa dann der Fall sein, wenn infolge der Verschmelzung eine statutarische Schiedsklausel zur Anwendung kommen würde.144) bb) Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage Als wesentliches Element des Minderheitenschutzes steht dem einzelnen Ge- 6.142 sellschafter weiter das Recht zu, gegen den Zustimmungsbeschluss Anfechtungsbzw. Nichtigkeitsklage zu erheben und damit eine gerichtliche Kontrolle herbeizuführen. Da das UmwG insoweit keine Sonderregelungen enthält, gelten grundsätzlich die Vorschriften des allgemeinen Gesellschaftsrechts (dazu oben Rz. 3.280 ff.). Allerdings findet sich in § 14 Abs. 2 UmwG eine wichtige Ausnahme. Danach 6.143 kann eine Klage gegen den Verschmelzungsbeschluss eines übertragenden Rechtsträgers nicht darauf gestützt werden, dass das Umtauschverhältnis der Anteile zu niedrig bemessen ist (eine Parallelregelung für den Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen findet sich in § 304 Abs. 3 und § 305 Abs. 5 AktG; dazu unten Rz. 8.80). Hinsichtlich dieser sensiblen Frage hat der Gesetzgeber vielmehr ein besonderes Spruchverfahren vorgesehen (dazu unten Rz. 6.150 ff.). Im Übrigen können alle Nichtigkeitsgründe sowie Gesetzes- oder Satzungsver- 6.144 stöße im üblichen Klageverfahren gerügt werden. Dies gilt bei den Gesellschaftern der übernehmenden Gesellschaft auch hinsichtlich der Unangemessenheit des Umtauschverhältnisses, da der Ausschluss des § 14 Abs. 2 UmwG (und damit der Verweis auf das besondere Spruchverfahren) nur die Gesellschafter der über-

___________ 142) Zur Anwendbarkeit von § 133 Abs. 1 AktG Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/ UmwStG, § 65 UmwG Rz. 3, 9. 143) Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 217 ff. 144) Reichert/Harbarth, NZG 2003, 379, 381 ff.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

tragenden Gesellschaft betrifft.145) Ansonsten stünden diese Gesellschafter ohne Rechtsschutz da, obwohl sie bei einer zu hohen Bemessung des Umtauschverhältnisses ebenso hinsichtlich des Erhalts ihres Vermögenswertes gefährdet sind wie die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft bei einer zu niedrigen Bewertung. Diese kaum erklärliche Differenzierung des Gesetzes ist daher auch überwiegend auf Kritik gestoßen.146) 6.145 Bedeutsamkeit innerhalb des Verschmelzungsverfahrens erlangen Anfechtungsund Nichtigkeitsklagen gegen die Verschmelzungsbeschlüsse dadurch, dass sie – wie schon nach altem Recht147) – grundsätzlich die Eintragung ins Handelsregister und damit den Vollzug der Verschmelzung hemmen (§ 16 Abs. 2 UmwG). Zu diesem Zweck haben die Vertretungsorgane des zu verschmelzenden Rechtsträgers eine Negativerklärung abzugeben, dass keine (Anfechtungs-)Klage gegen den Beschluss erhoben wurde (§ 16 Abs. 2 Satz 1 UmwG); sie kann wirksam erst nach Ablauf der Frist für die Klage gegen den Umwandlungsbeschluss abgegeben werden. Vor dieser Erklärung darf die Umwandlung, sofern die klageberechtigten Anteilsinhaber nicht auf die Klage verzichtet haben, nicht eingetragen werden (§ 16 Abs. 2 Satz 2 UmwG).148) Das alles kann zu einer nicht unwesentlichen Verzögerung und im Extremfall sogar völlig zum Scheitern der Verschmelzung führen.149) 6.146 Das damit in solchen Klagen liegende Erpressungspotential gegenüber den an einer schnellen Abwicklung interessierten Gesellschaften hatten sich in der Ver___________ 145) BGHZ 112, 9, 19 (Hypothekenbank-Schwestern) = ZIP 1990, 985 = NJW 1990, 2747, 2749 = EWiR § 345 AktG 2/90, 851 (Lutter); Lutter/Bork, § 14 UmwG Rz. 14; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 14 UmwG Rz. 30; Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 563; zur Spaltung ebenso Engelmeyer, Die Spaltung von Aktiengesellschaften nach dem neuen Umwandlungsrecht (1995), S. 425 f.; abw. Mertens, AG 1990, 20, 23 f. 146) Baums, DJT-Gutachten (2000), S. F 120 ff.; Bork, ZGR 1993, 343, 354 m. w. N.; Hirte, in: Reform des Umwandlungsrechts (1993), S. 87; Lutter/Bork, § 14 UmwG Rz. 14 m. w. N.; Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 563; zur Spaltung Engelmeyer, Die Spaltung von Aktiengesellschaften nach dem neuen Umwandlungsrecht (1995), S. 425 f.; gegen eine Gleichbehandlung aber früher Grunewald, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 352c AktG Rz. 8; weit. Nachw. bei Semler/Stengel/Gehling, § 14 UmwG Rz. 35. 147) § 345 Abs. 2 Satz 1 AktG a. F., § 24 Abs. 2 Satz 1 KapErhG. Zur Auslegung der aktienrechtlichen Vorschrift als zwingende Registersperre BGHZ 112, 9 (Hypothekenbank-Schwestern) = ZIP 1990, 985 = NJW 1990, 2747 = EWiR § 345 AktG 2/90, 851 (Lutter). 148) Zur Möglichkeit eines Staatshaftungsanspruchs bei einem Verstoß gegen diese Vorgabe BGH (III. Zs.) AG 2006, 934 = ZIP 2006, 2312, 2313 f. (für die über § 198 Abs. 3 UmwG entsprechende Anwendung der Norm im Rahmen des Formwechsels); dazu Büchel, ZIP 2006, 2289; zuvor hatte das BVerfG in demselben Komplex aus verfahrensrechtlichen Gründen (NichtAusnutzung des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 16 Abs. 2 HGB i. V. m. §§ 935 ff. ZPO) einen Rechtsschutz mit dem Ziel einer Verhinderung der Eintragung versagt: BVerfG BB 2005, 1585 = DB 2005, 1373 = WM 2004, 2354. 149) Zur Bedeutung einstweiliger Blockaden durch Rechtsstreitigkeiten BGHZ 107, 296 (Kochs Adler) = ZIP 1989, 980, 983 = NJW 1989, 2689 = EWiR § 246 AktG 1/89, 843 (Hirte); Hirte, BB 1988, 1469, 1471; ders., DB 1993, 77, 78; ders., NJW 1996, 2827, 2833 f. Zur Problematik bei der Verschmelzung auch Heckschen, ZIP 1989, 1168 f.

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IV. Umwandlung

gangenheit einige Aktionäre dadurch zunutze gemacht, dass sie die Rücknahme erhobener Anfechtungsklagen von der Zahlung hoher Geldsummen abhängig machten, sie sich also von den Gesellschaften „abkaufen“ lassen wollten (zur Parallele im allgemeinen Gesellschaftsrecht oben Rz. 3.294 ff.). Eine Entschärfung dieser missbräuchlichen Anfechtungsklagen ist zunächst der Rechtsprechung teilweise dadurch gelungen, dass sie eine Registereintragung trotz schwebenden Verfahrens zuließ, wenn die Klage unzulässig war bzw. offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hatte.150) Diesen Ansatz hat der Gesetzgeber weitergeführt und in § 16 Abs. 3 UmwG zu 6.147 einem selbständigen Unbedenklichkeitsverfahren ausgestaltet. Diese Norm wurde inzwischen schon als Zentralnorm des neuen Umwandlungsrechts bezeichnet. Danach kann das Prozessgericht die Eintragung einer angefochtenen Umwandlung unter denselben Voraussetzungen wie nach dem erst später geschaffenen § 246a AktG (dazu oben Rz. 3.297b) zulassen; durch Art. 4 des ARUG wurde die Norm in gleicher Weise wie § 246a AktG erweitert bzw. zu Lasten der Aktionäre verschärft. Das Registergericht kann – nicht muss – daraufhin die Maßnahme eintragen, ohne 6.147a Gefahr zu laufen, im Falle eines den Beschluss für unwirksam erklärenden Urteils zur Rechenschaft gezogen zu werden (§ 839 Abs. 2 Satz 1 BGB gilt nicht für den Registerrichter!). Ein letztendlich – trotz bereits erfolgter Eintragung der Maßnahme – doch noch erfolgreicher Anfechtungskläger wird auf einen Schadenersatzanspruch verwiesen, der aber nicht in einer Beseitigung der Wirkungen der Eintragung bestehen darf (§ 16 Abs. 3 Satz 10 UmwG).151) Auf der Grundlage von § 16 Abs. 3 UmwG haben die Oberlandesgerichte Hamm 6.148 und Düsseldorf die Entscheidungen der Landgerichte Essen und Duisburg, mit denen diese ihrerseits nach § 16 Abs. 3 UmwG die Eintragung der Verschmelzung von Krupp und Thyssen trotz anhängiger Anfechtungsklagen gestattet hatten, bestätigt. Das OLG Hamm betonte dabei (auf der Grundlage der früheren Fassung von § 16 Abs. 3 UmwG), dass eine offensichtliche Unbegründetheit nur dann anzunehmen sei, wenn sich ohne weitere Sachaufklärung die Überzeugung gewinnen lasse, die erhobenen Klagen böten keine Erfolgsaussicht. In der Sache hielt es das Gericht für ausreichend, wenn der Verschmelzungsbericht den Aktionären nur eine Plausibilitätskontrolle der Verschmelzung bietet. Insbesondere brauche er keine Angaben zur Höhe möglicher Ausgleichszahlungen nach einem Spruchverfahren zu enthalten. Nicht erforderlich sei auch, dass die Führungspositionen in der neuen Gesellschaft dem Wertverhältnis der verschmolzenen Gesellschaften entsprechen. Unter den Einwänden der Anfechtungskläger hielt das OLG Düsseldorf allein den Einwand für möglicherweise stichhaltig, das Umtauschverhältnis sei möglicherweise nicht ausreichend erläutert und begründet worden. Dessen Geltendmachung sei zwar nicht nach § 14 Abs. 2 UmwG

___________ 150) BGHZ 112, 9 (Hypothekenbank-Schwestern) = ZIP 1990, 985 = NJW 1990, 2747 = EWiR § 345 AktG 2/90, 851 (Lutter); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2836. 151) Zu einem solchen Fall (und zur Erstreckung des weiterzuführenden Schadenersatzprozesses auf den mit einer Verschmelzung nach § 69 UmwG verbundenen Kapitalerhöhungsbeschluss) BGH ZIP 2007, 1524, 1526 (Vattenfall/Bewag).

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

ausgeschlossen, doch habe er gegenüber den Nachteilen, die die beteiligten Rechtsträger bei einem Aufschub der Fusion erleiden würden, ein geringeres Gewicht.152)

6.149 Deutlich anders hatte das OLG Frankfurt am Main im Verschmelzungsverfahren T-Online/Deutsche Telekom den Begriff der „offensichtlichen Unbegründetheit“ i. S. v. § 16 Abs. 3 UmwG (a. F.) dahingehend konkretisiert, dass darauf abzustellen sei, ob sich die Unbegründetheit der Klage unter den Bedingungen des Eilverfahrens mit hoher Sicherheit vorhersagen lasse, ohne dass es auf den dafür erforderlichen Prüfungsaufwand ankäme. Entscheidend für eine Freigabe sei – selbst bei fehlender Feststellbarkeit der möglichen für die Kläger eintretenden Schäden – das vorrangige Vollzugsinteresse der Antragstellerin.153) Diesen Ansatz hat der Gesetzgeber nunmehr mit der durch das ARUG erfolgten Neufassung der Norm auch kodifiziert. Die frühere Zurückhaltung der Gerichte beim Rückgriff auf die Regelung154) dürfte daher nicht mehr möglich sein. Sie hatte ihre Grundlage nicht zuletzt darin, dass der Gesetzgeber ausdrücklich an der Irreversibilität der vollzogenen Verschmelzung festgehalten hat (§ 20 Abs. 2 UmwG), so dass eine Verschmelzung trotz eines späteren obsiegenden Anfechtungsurteils nicht rückabgewickelt werden darf, sondern nur noch Schadenersatzansprüche auslösen kann.155) Vorschläge aus der Literatur, die Verschmelzung zumindest bei schweren Rechtsverletzungen ex nunc rückabzuwickeln und damit die Hemmschwelle für eine zeitnahe Eintragung zu verringern, wurden trotz der sachgerechten Ergebnisse, die damit hätten erreicht werden können, nicht aufgegriffen (zur Kritik auch oben Rz. 3.297b).156) cc)

Spruchverfahren

6.150 Mit der (teilweisen) Herausnahme des Umtauschverhältnisses aus der Überprüfbarkeit durch eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage hat der Gesetzgeber diesen sensiblen Bereich aber nicht etwa einer rechtlichen Überprüfung entziehen wollen. Vielmehr hat er hierfür ein besonderes Verfahren zur Verfügung gestellt, das sog. Spruchverfahren, das zunächst einheitlich im früheren ___________ 152) OLG Düsseldorf ZIP 1999, 793 = EWiR § 8 UmwG 1/99, 1185 (T. Keil); OLG Hamm NJW-RR 1999, 973 = ZIP 1999, 798 = EWiR § 16 UmwG 1/99, 521 (Veil). 153) OLG Frankfurt/M. NJW 2006, 1008 (T-Online/Deutsche Telekom) = NZG 2006, 227 = ZIP 2006, 370 = EWiR § 16 UmwG 3/06, 189 (Wilsing/Goslar). 154) Zahlr. Nachw. hierzu in der 6. Aufl. dieses Werkes Rz. 6.149 Fn. 133. 155) Für eine Unzulässigkeit der Amtslöschung bei Eintragung trotz erhobener Anfechtungsklagen OLG Hamm ZIP 2001, 569 (Grohe) = DB 2001, 85. 156) Siehe etwa OLG Frankfurt/M. ZIP 2003, 1607 = NJW-RR 2003, 1122 = NZG 2003, 790 = EWiR § 20 UmwG 1/03, 941 (Grunewald); abw. Hirte, DB 1993, 77, 78 f.; ders., Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) für den Deutschen Bundestag, rsw.beck.de/rsw/upload/NZG/HH_ARUG.pdf, sub II. 5. e; ders., in: Festschrift für Wienand Meilicke (2010), S. 201, 218 ff.; Sauerbruch, Das Freigabeverfahren gemäß § 246a AktG (2008), S. 183 ff.; Martens, AG 1986, 57, 63 ff.; Karsten Schmidt, AG 1991, 131.

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IV. Umwandlung

Sechsten Buch des UmwG geregelt worden war (§§ 305–312 UmwG a. F.). Durch das Spruchverfahrensneuordnungsgesetz vom 12. Juni 2003 (BGBl. I, 838) wurden diese Regelungen zum 1. September 2003 gemeinsam mit den aktienrechtlichen Parallelfragen dieses Komplexes reformiert und im neuen Spruchverfahrensgesetz (SpruchG) zusammengefasst.157) Mit diesem nach diesem Gesetz und hilfsweise nach dem FamFG abzuwickelnden 6.151 (§ 17 Abs. 1 SpruchG) Verfahren werden mehrere Zwecke verfolgt.158) Zum einen ist mit dem Umtauschverhältnis der praktisch wesentlichste Streitpunkt der Anfechtungsklage und damit der mit ihr verbundenen Hemmniswirkung von vornherein entzogen. Zum anderen hat der Gesetzgeber mit dem Spruchverfahren ein Verfahren zur Verfügung gestellt, das in besonderer Weise zur Interessenwahrung der Gesellschafter hinsichtlich des Umtauschverhältnisses ausgestaltet ist und einen umfangreicheren Schutz als das allgemeine Anfechtungsverfahren bietet. So ist regelmäßig auch für die Anteilseigner, die nicht selbst Antragsteller des Verfahrens und damit unbeteiligt sind, von Amts wegen ein gemeinsamer Vertreter zu bestellen, der die Interessen dieser außenstehenden Gesellschafter wahrnimmt (§ 6 Abs. 1 SpruchG [= § 308 Abs. 1 UmwG a. F.]); er kann das Verfahren auch weiterführen, wenn der Antrag seitens der eigentlichen Antragsteller zurückgenommen wurde (§ 6 Abs. 3 SpruchG [= § 308 Abs. 3 UmwG]). Hier kommt hinzu, dass mit der umfassenden Annahme eines Barabfindungsgebots anlässlich einer rechtsformübergreifenden Verschmelzung und dem damit einhergehenden Ausscheiden aus der Gesellschaft die Befugnis eines Gesellschafters erlöschen soll, ein Spruchverfahren zu beantragen.159) Weiter wirkt die Entscheidung im Spruchverfahren für und gegen alle (§ 11 SpruchG [= § 311 Satz 2 UmwG a. F.]), das heißt insbesondere, dass auch am Verfahren selbst nicht beteiligte bzw. durch den gemeinsamen Vertreter vertretene Gesellschafter einen Anspruch auf Nachbesserung des Umtauschverhältnisses erlangen können, wenn dieses als zu niedrig befunden wird. Zu diesem Zweck – so betonte das BVerfG in Bezug auf die Verschmelzung von Daimler und Chrysler – hat das Gericht in jedem Fall eine inhaltliche Überprüfung des Umtauschverhältnisses vorzunehmen und darf sich nicht mit der Begründung, es stehe die Verschmelzung zweier wirtschaftlich und rechtlich voneinander unabhängiger Unternehmen in Rede, auf die Prüfung eines ordnungsgemäßen Verhandlungsprozesses der Vorstände beschränken.160) In der Sache stellt das Verfahren einen Anwendungsfall der dem allgemeinen deutschen ___________ 157) RegE abgedruckt in ZIP 2002, 2097 m. Einf. Neye; zuvor Neye, Die Reform des Spruchverfahrens, DStR 2002, 178. 158) Ausführlich Wittgens, Das Spruchverfahrensgesetz (2005). 159) OLG Düsseldorf ZIP 2001, 158, 159 (Peipers AG) = EWiR § 29 UmwG 1/01, 291 (Luttermann) (Vorinstanz LG Dortmund ZIP 2000, 1110 = EWiR § 276 BGB 6/2000, 661 [Marly]). 160) BVerfG 3. Kammer des Ersten Senats (Beschl. v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10), ZIP 2012, 1656 = NJW 2012, 3020 = NZG 2012, 1035 = EWiR § 15 UmwG 1/12, 571 (Luttermann).

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

Zivilprozessrecht sonst fremden Sammelklage (class action) dar. Deshalb hat der Gesetzgeber im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH (unten Rz. 6.217) den Vorrang des Spruchverfahrens gegenüber der Anfechtungsklage auch auf die Fälle unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Information im Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Beschluss ausgedehnt (§ 243 Abs. 4 Satz 2 AktG n. F.). Allerdings geht der Nachbesserungsanspruch immer nur auf bare Zuzahlung und nicht auf Anpassung des Umtauschverhältnisses (§ 15 Abs. 1 UmwG). Er hat damit Schadenersatzcharakter (vgl. auch § 15 Abs. 2 Satz 2 UmwG). Dem Umfang nach ist er nicht auf 10 % des auf die zu gewährenden Anteile entfallenden Nennkapitals begrenzt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 UmwG); er ist vom Zeitpunkt der Bekanntmachung der Verschmelzung an zu verzinsen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 UmwG). Das Verfahren wird nach § 3 SpruchG nur auf Antrag eingeleitet, wobei die Antragsteller ihre erforderliche Aktionärseigenschaft innerhalb der Anspruchsbegründungsfrist nur darlegen, nicht auch beweisen müssen; da sonst der Zugang zu den Gerichten in unzumutbarer Weise erschwert wäre.161) Die Gesellschaft ist primäre Kostenschuldnerin des Verfahrens (§ 23 Nr. 14 GNotKG [früher § 15 Abs. 2 Satz 1 SpruchG = § 312 Abs. 4 Satz 1 UmwG a. F.]). Die Anforderung eines Kostenvorschusses von einem Aktionär ist daher nur im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung nach § 15 Abs. 1 SpruchG (früher § 15 Abs. 2 Satz 2 SpruchG = § 312 Abs. 4 Satz 2 UmwG a. F.) möglich.162) Anders als im bislang geltenden Recht und in Abweichung von den sonst geltenden FGGbzw. FamFG-Prinzipien gilt für das Spruchverfahren heute aber im Grundsatz der Beibringungsgrundsatz (§§ 7, 9 und 10 SpruchG). 6.152 Trotz dieser überzeugenden Zielsetzung des Spruchverfahrens lehnte das BayObLG eine Analogie der Regeln über das umwandlungsrechtliche Spruchverfahren auf Fälle „übertragender Auflösung“ nach § 179a AktG ab (dazu oben Rz. 3.225). Das hat die missliche, dem Gesetzgeber aber bekannte Folge, dass Bewertungsmängel in solchen Fällen nur mit der viel zu einschneidend wirkenden Anfechtungsklage gerügt und mit den allgemeinen Auskunftsrechten der §§ 131, 179a AktG festgestellt werden können.163) Auch der neue § 1 SpruchG eröffnet nicht – jedenfalls nicht ausdrücklich – die Anwendung des Spruchverfahrens auf die Fälle der übertragenden Auflösung. 6.153 Dem Risiko von die Verschmelzung langfristig blockierenden Klagen beim übernehmenden Rechtsträger, bei dem der Klageausschluss nebst Zuweisung in das ___________ 161) BGHZ 177, 131 = ZIP 2008, 1471, 1473 f. = NZG 2008, 658. 162) OLG Düsseldorf ZIP 1998, 1109, 1110 (EVA). 163) BayObLG NJW-RR 1999, 1559 (Magna Media) = ZIP 1998, 2002 = EWiR § 179a AktG 1/98, 1057 (Windbichler); zu Recht krit. Lutter/Leinekugel, ZIP 1999, 261; Wiedemann, ZGR 1999, 857; vgl. auch Bungert, NZG 1998, 367. Für das Gebot einer Überprüfung der Bewertung – wenngleich nicht notwendig im Spruchverfahren – jetzt BVerfG ZIP 2000, 1670 (Moto Meter) = NJW 2001, 279 = NZG 2000, 1117 = DStR 2000, 1659 = EWiR Art. 14 GG 1/2000, 913 (Neye).

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IV. Umwandlung

Spruchverfahren nicht greifen (oben Rz. 6.144), wird im Anschluss an die Verschmelzung Daimler-Chrysler dadurch vorgebeugt, dass die Verschmelzung auf eine eigens zu diesem Zweck gegründete Gesellschaft („NewCo“) durchgeführt wird, jedenfalls aber eine nicht börsennotierte Gesellschaft als aufnehmender Rechtsträger fungiert. dd)

Sonstige Schadenersatzansprüche

Im Übrigen können sich die Anteilseigner auch bei den Organen ihrer Gesell- 6.154 schaft schadlos halten, falls ihnen durch ein schuldhaftes, pflichtwidriges Verhalten dieser Organe ein Schaden entstanden ist (§ 25 Abs. 1 UmwG; Art. 20 Dritte Richtlinie).164) Der Ersatzanspruch kann aber nur durch einen besonderen Vertreter geltend gemacht werden, der auf Antrag eines Anteilsinhabers oder Gläubigers zu bestellen ist (§ 26 UmwG; für die AG gilt zusätzlich § 70 UmwG). Die Sonderregelung des § 25 UmwG gilt dabei nur für die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft; das ist genauso unbefriedigend wie die parallele Regelung zum Klageausschluss gegen den Verschmelzungsbeschluss (oben Rz. 6.143). Für die Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft greifen damit die allgemeinen Vorschriften ein, insbesondere § 93 Abs. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG; danach ergeben sich nur Ersatzansprüche der Gesellschaft, die nur ausnahmsweise von deren Gesellschaftern zugunsten der Gesellschaft geltend gemacht werden können (dazu oben Rz. 3.90 ff.). Unter den gleichen Voraussetzungen können auch Schadenersatzansprüche gegen die bzw. den Verschmelzungsprüfer erhoben werden (§ 11 Abs. 2 UmwG i. V. m. § 323 HGB; Art. 21 Dritte Richtlinie). ee)

Austrittsrecht

Die Verschmelzung stellt für jeden davon betroffenen Gesellschafter eine tief- 6.155 greifende Änderung seiner Position dar. Am schwersten betroffen sind dabei die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft, da mit der Maßnahme ihre ursprüngliche Mitgliedschaft erlischt und sie sich unvermittelt in einer anderen Gesellschaft wiederfinden, die möglicherweise sogar einem anderen Statut unterworfen ist. Nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen wäre hier häufig ein Austrittsrecht aus wichtigem Grund begründet (dazu oben Rz. 4.83).165) Unter Berücksichtigung dieses allgemeinen Rechtsprinzips hat der Gesetzgeber 6.156 drei Situationen formuliert, in denen er den Gesellschaftern grundsätzlich ein Austrittsrecht zuerkennt. Dies ist zum einen der Fall, wenn mit der Verschmelzung zwingend ein Wechsel der Rechtsform verbunden ist. Bei den Kapitalgesellschaften liegt ein solcher Fall dann vor, wenn eine GmbH auf eine Aktiengesellschaft bzw. umgekehrt eine Aktiengesellschaft auf eine GmbH verschmol___________ 164) Hierzu ausführlich Schnorbus, ZHR 167 (2003), 666 ff. 165) Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 186 ff.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

zen wird. Dem hat der Gesetzgeber im Anschluss an die Macrotron-Rechtsprechung des BGH (dazu oben Rz. 6.6) im Zweiten Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 19. April 2007 (BGBl. I, 542 ff.) den Fall gleichgestellt, dass eine börsennotierte auf eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft verschmolzen wird („kaltes Delisting“). Zum Dritten besteht ein Austrittsrecht auch dann, wenn die im Zuge der Verschmelzung gewährten Anteile der übernehmenden Gesellschaft gleicher Rechtsform (strengeren) Verfügungsbeschränkungen unterliegen als die bei der übertragenden Gesellschaft (§ 29 Abs. 1 UmwG). 6.157 Obwohl das Austrittsrecht jedem Gesellschafter unabhängig von seiner Beteiligung zusteht, kommt es praktisch nur zugunsten von Minderheitsgesellschaftern zum Zuge. Da es als widersprüchliches Verhalten gewertet werden müsste, wenn ein Gesellschafter zum einen der Verschmelzung zustimmt, zum anderen aber aufgrund der Unzumutbarkeit dieses Vorganges aus der Gesellschaft austreten will, räumt die herrschende Ansicht zu Recht nur dem Gesellschafter ein Austrittsrecht ein, der gegen eine Verschmelzung gestimmt hat,166) obwohl das Gesetz selbst nur einen Widerspruch zur Niederschrift verlangt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG). 6.158 Das Austrittsrecht wird in der Weise durchgeführt, dass der übernehmende oder neue Rechtsträger den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers eine angemessene Barabfindung anzubieten hat, gegen die er die Anteile der ausscheidenden Gesellschafter erwirbt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Für den Umfang der Barabfindung ist nach § 30 Abs. 1 UmwG auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschlussfassung abzustellen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG), und sie ist nach § 30 Abs. 2 UmwG durch den Verschmelzungsprüfer zu prüfen. Auch hier ist eine Klage gegen den Beschluss mit der Begründung, die Barabfindung sei zu niedrig festgesetzt, ausgeschlossen (§ 32 UmwG). Die Korrektur einer etwa zu niedrig festgesetzten Barabfindung erfolgt dann im Spruchverfahren durch das Gericht (§ 34 UmwG). ff)

Inhaltskontrolle des Verschmelzungsbeschlusses

6.159 Problematisch und umstritten ist, ob neben diesem gesetzlichen Schutzinstrumentarium noch Raum für eine Inhaltskontrolle des Verschmelzungsbeschlusses auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes ist (dazu oben Rz. 3.293 und 6.30 ff.). Von der überwiegenden Meinung wird dies im Hinblick auf das gesetzliche Instru-

___________ 166) Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 29 UmwG Rz. 16; Lutter/ Grunewald, § 29 UmwG Rz. 10; Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 697. Zur früheren Rechtslage ebenso schon Semler/Grunewald, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 375 AktG Rz. 4; Zöllner, KK (1. Aufl. 1985), § 375 AktG Rz. 5.

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IV. Umwandlung

mentarium zum Schutz der Minderheitsinteressen verneint.167) Teilweise wird es aber für möglich gehalten, in einem gezielten Ausnutzen der kapitalmarktrechtlichen Mechanismen eine gesellschaftsrechtliche Treuepflichtverletzung zu sehen (etwa bei einem going public zu hohen Kursen und einem späteren going private durch eine Verschmelzung im Anschluss an Kursverluste).168) d)

Gläubigerschutz

aa)

Gläubiger der beteiligten Gesellschaften

Besonderen Schutz gegen die mit der Verschmelzung einhergehenden Risiken 6.160 haben auch die Gläubiger der beteiligten Gesellschaften erfahren. Ihnen ist, soweit sie nicht sofortige Befriedigung verlangen können bzw. anderweitig gesichert sind, Sicherheit zu leisten, wenn sie glaubhaft machen können, dass die Erfüllung ihrer Forderung durch die Verschmelzung gefährdet ist (§ 22 UmwG; Art. 13 Dritte Richtlinie). Grund dieses umfangreichen Schutzes ist, dass die Gläubiger zwar an der Ver- 6.161 schmelzung selbst nicht beteiligt sind, ihnen insbesondere kein Mitwirkungsrecht etwa in Form eines Zustimmungsvorbehaltes zukommt, ihre Interessen von dieser Strukturänderung jedoch massiv betroffen werden können. So verlieren die Gläubiger der übertragenden Gesellschaft ihre Schuldnerin und haben es nunmehr mit einer Gesellschaft zu tun, die sie sich nicht ausgesucht haben. Aber auch die Gläubiger einer übernehmenden Gesellschaft werden von einer Verschmelzung betroffen, da sie sich einer inhaltlich möglicherweise gewandelten Gesellschaft gegenübersehen und zudem mit den hinzukommenden Gläubigern der übertragenden Gesellschaft konkurrieren müssen.169) In der Tat rechtfertigen es die genannten grundsätzlichen Veränderungen, auch 6.162 den Gläubigern einen angemessenen Schutz zukommen zu lassen. Es ist ein Gebot des Vertrauensschutzes, dass die Gläubiger durch die Verschmelzung nicht schlechter gestellt werden dürfen, als wenn sie ihre Schuldnerin unverändert behalten hätten. Allerdings hätten sie auch in dieser Situation deren wirtschaftliches Risiko zumindest zum Teil mitzutragen gehabt. Unter diesem Aspekt erscheint die vom Gesetzgeber gewählte Regelung als relativ weitgehend, zumal ___________ 167) So etwa OLG Frankfurt/M. NJW 2006, 1008 (T-Online/Deutsche Telekom) = NZG 2006, 227 = ZIP 2006, 370 = EWiR § 16 UmwG 3/06, 189 (Wilsing/Goslar); Kallmeyer/ Zimmermann, § 13 UmwG Rz. 12; Lutter, ZGR 1981, 171, 176; Lutter/Lutter/Drygala, § 13 UmwG Rz. 31 ff.; Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 666 ff.; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, UmwG/UmwStG, § 13 UmwG Rz. 42 ff.; abw. Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 70 ff. 168) So OLG Frankfurt/M. NJW 2006, 1008 (T-Online/Deutsche Telekom) = NZG 2006, 227 = ZIP 2006, 370 = EWiR § 16 UmwG 3/06, 189 (Wilsing/Goslar) (allerdings wurden i. c. wegen der relativ langen Zeitspanne zwischen den beiden Schritten die tatsächlichen Voraussetzungen einer solchen Pflichtverletzung verneint). 169) Lutter/Grunewald, § 22 UmwG Rz. 3 f.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

die Gläubiger die Gefährdung nur noch glaubhaft zu machen haben und nicht mehr wie nach altem Recht den Nachweis der Gefährdung führen müssen.170) 6.163 Kritisch ist darüber hinaus anzumerken, dass sich der Gesetzgeber einer Äußerung

zu der Frage enthalten hat, in welchen Fällen eine Gefährdung überhaupt vorliegt. Der BGH hat dies in einer noch zum alten Recht ergangenen Entscheidung dahingehend konkretisiert, dass das im Einzelfall zu ermittelnde konkrete Sicherheitsinteresse des Gläubigers entscheide.171) 6.163a Nach § 22 Abs. 2 UmwG steht das Recht auf Sicherheitsleistung den Gläubigern nicht zu, die im Fall der Insolvenz ein Recht auf vorzugsweise Befriedigung aus einer Deckungsmasse haben, die nach gesetzlicher Vorschrift zu ihrem Schutz errichtet und staatlich überwacht ist. Das trägt dem anderweit ausreichenden Gläubigerschutz Rechnung und entspricht §§ 225 Abs. 1 Satz 3, 233 Abs. 2 Satz 3 AktG, § 22 UmwG. Erfasst von dieser Regelung sind zunächst die Inhaber der von Pfandbriefbanken ausgegebenen Pfandbriefe (§ 30 PfandBG; insbesondere Hypothekenbanken [insoweit früher § 35 HypBkG] und Schiffspfandbriefbanken [insoweit früher § 36 SchiffsbankG]) sowie schließlich die Gläubiger der mit Versicherungsaktiengesellschaften abgeschlossenen Lebens-, Unfall- und Krankenversicherungen (§ 77 VAG).172)

6.164 Das BAG hat zudem analog § 347 Abs. 2 AktG a. F. (= § 22 Abs. 2 UmwG) i. V. m. § 225 Abs. 1 Satz 3, §§ 303 Abs. 2, 321 Abs. 2 AktG auch einen Anspruch von Betriebsrentnern auf Sicherheitsleistung verneint, da deren Forderungen im Insolvenzfalle vorzugsweise aus einer gesetzlich zu ihrem Schutze errichteten und staatlich überwachten Deckungsmasse in Form des PensionsSicherungs-Vereins (§§ 7 f. BetrAVG) zu befriedigen seien; der Pension-Sicherungs-Verein kann andererseits selbst aus übergegangenem Recht keine Sicherung verlangen.173) Da die Norm sachlich der im Falle der Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages eingreifenden Regelung des § 303 AktG entspricht, ist die zu dieser ergangene Judikatur hier in gleicher Weise von Bedeutung (zu dieser unten Rz. 8.78). 6.165 Geht man im Übrigen von einer eher gläubigerfreundlichen Handhabung dieser Vorschrift aus,174) werden die Gläubiger durch die Verschmelzung möglicherweise weit über das erforderliche Maß begünstigt, was zu Lasten der Gesellschaften geht und sich als Verschmelzungshemmnis auswirken kann.175) ___________ 170) Zu dieser Änderung etwa Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 22 UmwG Rz. 13. 171) BGH NJW 1996, 1539 = ZIP 1996, 705 = DB 1996, 930 = EWiR § 26 KapErhG 1/96, 517 (Rittner) = DStR 1996, 633 (Goette) = LM H. 7/1996 KapErhG Nr. 3; dazu Jaeger, DB 1996, 1069: Sicherung eines Mietvertrages mit einer Restlaufzeit von mehr als 15 Jahren (nur) mit mindestens der dreifachen Jahresmiete; weitere Beispiele bei Lutter/Grunewald, § 22 UmwG Rz. 13, 15; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 22 UmwG Rz. 13. 172) BGHZ 90, 161, 165 f. = NJW 1984, 1681, 1682; Hirte, in: GroßK, § 308 AktG Rz. 27 m. w. N. 173) BAGE 83, 356 = NJW 1997, 1526 = NZA 1997, 436 = ZIP 1997, 289 = EWiR § 7 BetrAVG 2/97, 729 (Reichert); ebenso Lutter/Grunewald, § 22 UmwG Rz. 25; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 22 UmwG Rz. 19. 174) Dies fordert etwa Lutter/Grunewald, § 22 UmwG Rz. 16. 175) Kritisch zu einem zu weit reichenden Gläubigerschutz auch Lutter, ZGR 1990, 392, 410 f.

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IV. Umwandlung

bb)

Gläubiger von Gesellschaftern

Gläubiger von Gesellschaftern, deren Gesellschaften an der Verschmelzung be- 6.166 teiligt sind, werden durch die (klarstellende) Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 UmwG geschützt. Danach bestehen Rechte Dritter an Mitgliedschaften des übertragenden Rechtsträgers an denen des übernehmenden oder neuen (§ 36 Abs. 1 UmwG) Rechtsträgers fort. e)

Grenzüberschreitende Verschmelzung

Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 19. April 6.166a 2007 (BGBl. I, 542 ff.)176) hat der Gesetzgeber einen neuen Zehnten Abschnitt in das das Verschmelzungsrecht regelnde Zweite Buch des Umwandlungsgesetzes eingeführt. Er regelt in den §§ 122a ff. UmwG die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften und setzt damit die Zehnte EG-Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung in deutsches Recht um (dazu auch oben Rz. 1.66). Zuvor bereits hatte der EuGH in seiner SEVIC-Entscheidung – zurückgehend auf eine Vorlage des LG Koblenz – die Verschmelzung einer ausländischen auf eine deutsche Gesellschaft zugelassen.177) Das Urteil hat den deutschen Umsetzungsprozess der europäischen Verschmelzungsrichtlinie deutlich beschleunigt und dazu geführt, dass die jetzige gesetzliche Regelung bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Zehnten Richtlinie in Kraft trat. Darüber hinaus hat das genannte Gesetz das nationale Umwandlungsrecht noch in einer ganzen Reihe sonstiger bedeutsamer Punkte geändert; darauf wird im jeweiligen Zusammenhang eingegangen.178) Bezüglich der Umsetzung der Zehnten Richtlinie (Art. 16) wird das Gesetz andererseits ergänzt durch das „Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG)“ vom 21. Dezember 2006,179) das bereits am 29. Dezember 2006 in Kraft getreten ist. Art. 1 Zehnte Richtlinie, § 122a Abs. 1 UmwG definieren zunächst eine grenz- 6.166b überschreitende Verschmelzung als solche, bei der mindestens eine der beteiligten Gesellschaften dem Recht eines der EU- oder EWR-Mitgliedstaaten unterliegt. ___________ 176) RegE v. 9.8.2006, BR-Drucks. 548/06 = BT-Drucks. 16/2919; dazu Bayer/J. Schmidt, NJW 2006, 401; dies. NZG 2006, 841; Forsthoff, DStR 2006, 613; Grunewald, Konzern 2007, 106; Müller, NZG 2006, 286; ders., Konzern 2007, 81; ders., ZIP 2007, 1081; Neye, BB 2007, 389; Simon/Rubner, Konzern 2006, 835; Veil, Konzern 2007, 98. 177) EuGH (Urt. v. 13.12.2005 – Rs. C-411/03), Slg. I-2005, 10805 (Sevic) = ZIP 2005, 2311 = BB 2006, 11 (C. Schmidt/Maul) = EWiR § 1 UmwG 1/06, 25 (Drygala) im Anschluss an LG Koblenz ZIP 2003, 2210 = GmbHR 2003, 1213 = EWiR § 1 UmwG 1/04, 139 (Mankowski) (Vorinstanz AG Neuwied); SchlA GA Tizzano v. 7.7.2005, ZIP 2005, 1227; hierzu Bungert, BB 2006, 53 ff.; ebenso zuvor bereits Kloster, GmbHR 2003, 1413, 1414 f.; Paefgen, GmbHR 2004, 463, 471 (allerdings mit abw. Begründung); krit. Triebel/von Hase, BB 2003, 2409, 2415. 178) Zusammenfassende Darstellung bei D. Mayer/Weiler, DB 2007, 1235 ff. 179) BGBl. I, 3332.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

Welche Gesellschaften dies sind, wird in Art. 2 Nr. 1 Zehnte Richtlinie, § 122b Abs. 1 UmwG näher umschrieben; danach sind insbesondere Personengesellschaften nicht erfasst, so dass eine grenzüberschreitende Verschmelzung unter deren Beteiligung nur in unmittelbarer Anwendung der Grundfreiheiten möglich ist. Zudem werden Genossenschaften und Kapitalanlagegesellschaften – entsprechend einem von der Richtlinie eingeräumten Wahlrecht (Art. 3 Abs. 2 Zehnte Richtlinie) – von der Verschmelzungsfähigkeit über die Grenze ausgeschlossen (§ 122b Abs. 2 UmwG).180) Auch hinsichtlich Gesellschaften aus Drittstaaten ist eine grenzüberschreitende Verschmelzung nach den neuen Bestimmungen ausgeschlossen. Mit Blick auf die speziellere Regelung in der SE-VO ist schließlich auch die Verschmelzung zur Neugründung einer Europäischen Aktiengesellschaft nicht erfasst (dazu oben Rz. 2.35).181) Zu betonen ist zudem, dass der Gesetzgeber Regelungen nur für die grenzüberschreitende Verschmelzung, nicht aber auch für grenzüberschreitende Spaltungen oder grenzüberschreitende Formwechsel (der Sache nach Sitzverlegungen) erlassen hat; insoweit wird daher ebenfalls im Einzelfall zu prüfen sein, ob ein solcher Schritt unter unmittelbarer Berufung auf die europäischen Grundfreiheiten zulässig ist. 6.166c Nach § 122a Abs. 2 UmwG (gestattet durch Art. 4 Zehnte Richtlinie) sind auf eine solche grenzüberschreitende Verschmelzung bei Beteiligung einer Kapitalgesellschaft die allgemeinen Vorschriften über die Verschmelzung nationaler Kapitalgesellschaften entsprechend anzuwenden, soweit sich aus dem Zehnten Abschnitt nichts anderes ergibt. 6.166d Abweichend von den für nationale Verschmelzungen geltenden Regelungen verlangen Art. 5 Satz 1 Zehnte Richtlinie, § 122c UmwG die Aufstellung eines Verschmelzungsplans durch die Vertretungsorgane aller beteiligten Gesellschaften, dessen erforderlicher Inhalt durch Art. 5 Satz 2 Zehnte Richtlinie, § 122c Abs. 2 UmwG beschrieben wird. Abweichend bzw. ergänzend zu den Vorgaben für den Verschmelzungsvertrag werden nach Art. 5 Satz 2 j Zehnte Richtlinie, § 122c Abs. 2 Nr. 10 vor allem Angaben verlangt zu dem „Verfahren, nach dem die Einzelheiten über die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Festlegung ihrer Mitbestimmungsrechte in der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft geregelt werden“. Das ist eine Folge des hohen Stellenwerts, den die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vor allem in Deutschland genießt, und entspricht sachlich den Vorgaben bei Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (dazu oben Rz. 3.168 ff.). Darüber ___________ 180) Zu den Hintergründen Müller, NZG 2006, 286, 287. 181) Zu differenzieren ist zwischen Verschmelzungen im Wege der Neugründung einer SE (abschließende Regelung in Art. 2 SE-VO) und Verschmelzungen durch Aufnahme (gemäß nationalem Umwandlungsrecht, einschließlich §§ 122a ff. UmwG), an denen sich die SE sowohl als übertragender wie auch als übernehmender Rechtsträger beteiligen kann; hierzu Semler/Stengel/Drinhausen, § 122b UmwG Rz. 5 m. ausf. Nachw.; zu pauschal noch die Begr RegE, BT-Drucks. 16/2919, S. 14.

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IV. Umwandlung

hinaus hat der Plan abweichend vom nationalen Verschmelzungsrecht (das dies nach § 37 UmwG nur für die Verschmelzung zur Neugründung vorsieht) die Satzung der übernehmenden oder neuen Gesellschaft zu enthalten (Buchstabe i bzw. Nr. 9) und weitere Angaben zur Bilanzierung der zu verschmelzenden Gesellschaften machen (Buchstaben k und l bzw. Nrn. 11 und 12). Nach Art. 6 Abs. 1 Zehnte Richtlinie, § 122d UmwG ist der Plan oder sein 6.166e Entwurf mindestens einen Monat vor der Versammlung der Anteilsinhaber, die über die Zustimmung zu ihm entscheiden soll, zum Handelsregister einzureichen, und dies ist bekannt zu machen; das gilt bei nationalen Verschmelzungen nur für Aktiengesellschaften (§ 61 UmwG; dazu oben Rz. 6.127). Der Verschmelzungsbericht muss nach Art. 7 UA 1 Zehnte Richtlinie, § 122e 6.166f Abs. 1 UmwG über die nach § 8 UmwG geforderten Inhalte hinaus auch die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die Gläubiger und Arbeitnehmer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften erläutern. Mit Blick auf diese Einbeziehung der stakeholder in den Bericht schließt § 122e Abs. 3 UmwG die Möglichkeit eines Verzichts auf die Berichtspflicht durch die Anteilseigner (§ 8 Abs. 3 UmwG) aus. Eine Verschmelzungsprüfung hat nach Art. 8 Zehnte Richtlinie, § 122f UmwG immer – also abweichend von § 48 UmwG auch bei Beteiligung nur von GmbHs – stattzufinden. Bei der Zustimmung der Anteilsinhaber durch Verschmelzungsbeschluss nach 6.166g § 13 UmwG erlaubt Art. 9 Abs. 2 Zehnte Richtlinie, § 122g Abs. 1 UmwG, diese davon abhängig zu machen, dass die Art und Weise der Mitbestimmung der Arbeitnehmer der übernehmenden oder neuen Gesellschaft ausdrücklich von ihnen bestätigt wird. Da ein Spruchverfahren unter Ausschluss des normalen Klageweges gegen einen Umwandlungsbeschluss eine deutsche Besonderheit ist, kommen §§ 14 Abs. 2 und 15 UmwG nur dann zur Anwendung, wenn dem die Anteilsinhaber der an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten ausländischen Gesellschaften im Verschmelzungsbeschluss zustimmen (Art. 10 Abs. 3 Satz 1 Zehnte Richtlinie, § 122h Abs. 1 UmwG), während § 15 UmwG für die Anteilsinhaber einer ausländischen übertragenden Gesellschaft schon eingreift, wenn das ausländische Recht ein Verfahren zur Kontrolle des Umtauschverhältnisses vorsieht und deutsche Gerichte für die Durchführung eines solchen Verfahrens international zuständig sind (§ 122h Abs. 2 UmwG). Kernstück des Minderheitenschutzes ist aber das Abfindungsrecht des § 122i 6.166h UmwG, das allen Anteilsinhabern einzuräumen ist, die gegen den Verschmelzungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift einlegen, wenn die übernehmende oder neue Gesellschaft nicht dem deutschen Recht unterliegt (gestattet durch Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Zehnte Richtlinie).182) Den Gläubigern steht in diesem Fall ___________ 182) Zu Zweifeln am Erfordernis eines Abfindungsanspruchs mit Blick auf die inzwischen weit fortgeschrittene Harmonisierung des Gesellschaftsrechts im Binnenmarkt Bayer/J. Schmidt, NZG 2006, 841, 844.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

nach § 122j UmwG (gestattet durch Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Zehnte Richtlinie) ein Anspruch auf Sicherheitsleistung zu, der abweichend vom nationalen Verschmelzungsrecht bereits vom Zeitpunkt der Bekanntmachung des Verschmelzungsplans (also nicht erst ab Eintragung der Verschmelzung) greift.183) Die weiteren technischen Einzelheiten des zweistufigen Kontrollverfahrens regeln die Artt. 10 ff. Zehnte Richtlinie, §§ 122k und 122l UmwG. 6.166i Die Regelungen zur Festlegung des Mitbestimmungsregimes bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung sind Gegenstand der besonderen gesetzlichen Regelung im MgVG.184) Es orientiert sich im Wesentlichen an dem schon für die Europäische Aktiengesellschaft entwickelten Verfahren (dazu oben Rz. 3.168 ff.), so dass hier nur auf die Unterschiede hierzu eingegangen werden muss.185) Anders als bei Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft müssen Verhandlungen bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung danach nur dann eingeleitet werden, wenn eine der in Art. 16 Abs. 2 Zehnte Richtlinie, § 5 MgVG genannten Fallgruppen vorliegt, nämlich Fragen der „Mitbestimmung“ i. e. S. berührt sind; denn hinsichtlich Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer greift bezüglich der neu zu gründenden Gesellschaft unmittelbar das Gesetz über Europäische Betriebsräte (EBRG), so dass hier kein Verhandlungsbedarf besteht. Verhandlungen sind zudem entbehrlich, wenn die Unternehmensleitung von vornherein die Auffangregelung für anwendbar erklärt (Art. 16 Abs. 4 a Zehnte Richtlinie, § 23 Abs. 1 Nr. 3 MgVG); die aufwendige Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums und das zeitraubende Verhandlungsverfahren sind daher verzichtbar. Drittens ist das Quorum für die kraft Gesetzes eingreifende Auffangregelung gegenüber der SE-RL (dort 25 %) erhöht auf 33 1/3 % (Art. 16 Abs. 3 e Zehnte Richtlinie, § 23 Abs. 1 Satz 2 MgVG); damit ist die Möglichkeit geringer, eine nationale Mitbestimmungslösung zu „exportieren“. Da das Besondere Verhandlungsgremium aber ungeachtet der genannten Quote die Anwendung der Auffangregelung durch Beschluss herbeiführen kann, ist der Effekt dieser Regelung begrenzt (Art. 16 Abs. 4 a Zehnte Richtlinie, § 23 Abs. 1 Nr. 3 MgVG). Weiter kann die Mitbestimmung im monistischen Leitungsmodell von den Mitgliedstaaten auf eine Drittelparität begrenzt werden, wovon Deutschland allerdings keinen Gebrauch gemacht hat (Art. 16 Abs. 4 c Zehnte Richtlinie). Schließlich endet der Bestandsschutz eines bei der Verschmelzung übernommenen Mitbestimmungsmodells drei Jahre nach Eintragung der grenzüberschreitenden Verschmelzung (Art. 16 Abs. 7 Zehnte Richtlinie, § 30 Satz 2 MgVG); damit ist nach Ablauf dieser Frist ein vollständiges Entfallen der Mitbestimmung in der dann ja nationalen Gesellschaft nicht ausgeschlossen. ___________ 183) Zur Begründung Müller, NZG 2006, 286, 289; krit. Bayer/J. Schmidt, NZG 2006, 841, 843. 184) Hierzu Schubert, RdA 2007, 9 ff. 185) Ausführlich Nagel, NZG 2007, 57; Teichmann, Konzern 2007, 89.

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IV. Umwandlung

3.

Spaltung

Als zweite große Umwandlungsform regelt das UmwG die Spaltung von Rechts- 6.167 trägern, wobei zwischen drei Spaltungsmöglichkeiten unterschieden wird: der Aufspaltung, der Abspaltung und der Ausgliederung. Allen gemeinsam ist, dass ein übertragender Rechtsträger sein Vermögen in mindestens zwei Teile spaltet, von denen mindestens ein Teil auf einen übernehmenden bzw. neuen Rechtsträger im Wege sog. partieller Gesamtrechtsnachfolge186) übertragen wird. Im Gegenzug werden – wie bei der Verschmelzung – als Ausgleich Anteile an dem aufnehmenden Rechtsträger gewährt. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung der Spaltung gesellschaftsrechtliches Neuland betreten, da ein diesen Strukturmaßnahmen vergleichbares Rechtsinstitut zuvor in Deutschland nicht bestanden hatte, obwohl dafür seit langem ein praktisches wie auch rechtspolitisches Bedürfnis vorhanden war.187) Die Gründe, die eine Spaltung als sinnvoll erscheinen lassen, sind – wie bei der 6.168 Verschmelzung – mannigfaltig. Hier kommen etwa konzerninterne Umstrukturierungsvorgänge in Betracht wie etwa auch die Bildung eines selbständigen Gemeinschaftsunternehmens durch zwei Gesellschaften. Mit einer Spaltung kann ein besonders haftungsgefährdeter Betriebsteil verselbständigt werden, um so das Haftungsrisiko – etwa aus der Produkthaftung – von dem Mutterunternehmen auf die Tochter zu begrenzen. Eine Konzern- oder Durchgriffshaftung kann den Effekt allerdings wieder konterkarieren (dazu oben Rz. 5.161 ff.). Nicht zuletzt kann die Spaltung dazu dienen, bei Familienunternehmen eine aus erbrechtlichen oder ähnlichen Gründen notwendige Aufteilung auf einzelne Familienstämme zu erreichen.188) Sofern das wirtschaftliche Ergebnis einer Spaltung aus den beispielhaft genannten 6.169 Gründen schon bisher erreicht werden sollte, musste auf das allgemeine Gesellschaftsrecht zurückgegriffen werden, das vor allem keine Möglichkeit der Gesamt- bzw. Teilrechtsnachfolge bot (dazu bereits oben Rz. 6.92 f.). So kam (und kommt noch heute als Alternative) die Sachgründung einer neuen Gesellschaft oder die Sachkapitalerhöhung bei einer vorhandenen Gesellschaft in Betracht, verbunden mit einer Liquidation oder Kapitalherabsetzung der sich „spaltenden“ übertragenden Gesellschaft.189) Im Gegensatz zur Verschmelzung und zum – noch zu behandelnden – Form- 6.170 wechsel handelt es sich daher bei der Spaltung tatsächlich um eine völlige Neu___________ 186) Zum Begriff der partiellen Gesamtrechtsnachfolge Hennrichs, ZIP 1995, 794, 797. Ausführlich zur Dogmatik Teichmann, ZGR 1993, 396, 401 ff. 187) Vgl. etwa Duden/Schilling, AG 1974, 202; Teichmann, AG 1980, 85. 188) Dazu Begr RegE zu § 128, bei Neye, UmwG/UmwStG, S. 257 f. sowie auch Kallmeyer, DB 1996, 28 ff. 189) Zu den Möglichkeiten einer „wirtschaftlichen“ Spaltung nach allgemeinem Gesellschaftsrecht Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 197 ff.; Kallmeyer, ZIP 1994, 1746, 1749 f.; Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 1016 ff.

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regelung. Gesetzliche Vorläufer hatten einige Spaltungsmöglichkeiten des UmwG allerdings im „Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen“ (SpTrUG v. 5. April 1991 (BGBl. I, 845) sowie im Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LwAnpG i. d. F. der Bekanntmachung v. 3. Juli 1991, BGBl. I, 1418), die jedoch selbst auf den Diskussionsentwurf zum UmwG zurückgingen.190) Die Einführung der Spaltung ist deshalb nicht zu Unrecht als „Filetstück“ des neuen Umwandlungsgesetzes bezeichnet worden.191) a)

Spaltung unter Beteiligung von Aktiengesellschaften und/ oder GmbHs aa) Aufspaltung 6.171 Bei einer Aufspaltung wird das gesamte Vermögen einer übertragenden Gesellschaft geteilt und ohne Abwicklung im Wege der partiellen Gesamtrechtsnachfolge auf mehrere andere Gesellschaften übertragen, wobei es sich um bereits bestehende Gesellschaften (Aufspaltung zur Aufnahme) bzw. eigens neu gegründete Gesellschaften (Aufspaltung zur Neugründung) handeln kann (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 [Aufnahme], Nr. 2 [Neugründung] UmwG; Art. 2 Abs. 1 Sechste Richtlinie, für Neugründung i. V. m. Art. 21). Beide Alternativen sind zudem untereinander kombinierbar (§ 123 Abs. 4 UmwG). Als Gegenleistung für die Übertragung ihres – zusammen genommen – gesamten Vermögens erhalten ihre vormaligen Anteilseigner Anteile der übernehmenden bzw. neuen Gesellschaften. 6.172 Als beteiligte Rechtsträger kommen sämtliche Rechtsträger des § 3 Abs. 1 UmwG in Betracht (§ 124 Abs. 1 UmwG). Auch an der Spaltung können aufgelöste und verschiedene Rechtsträger beteiligt sein (§ 124 Abs. 2 i. V. m. § 3 Abs. 3 und 4 UmwG; Art. 2 Abs. 2 Sechste Richtlinie i. V. m. Art. 3 Abs. 2 Dritte Richtlinie). Für die hier in Betracht kommenden Gesellschaften bedeutet das, dass sich beispielsweise eine Aktiengesellschaft aufspalten und einen Vermögensteil auf eine (bestehende oder neu gegründete) GmbH übertragen darf. Für Aktiengesellschaften ergibt sich lediglich insoweit eine Begrenzung, als diese – außer im Fall der Ausgliederung zur Neugründung – vor einer Spaltung bereits zwei Jahre im Handelsregister eingetragen gewesen sein muss (§ 141 UmwG). Die Möglichkeiten der Aufspaltung unter Beteiligung von Aktiengesellschaft und GmbH stellen damit ein Spiegelbild der Verschmelzungsmöglichkeiten zur Neugründung nach dem UmwG dar.192) ___________ 190) Dazu Engelmeyer, Die Spaltung von Aktiengesellschaften nach dem neuen Umwandlungsrecht (1995), S. 5 f.; zur Umwandlung nach Landwirtschaftsanpassungsrecht ausführlich Gesellschafts- und Umwandlungsrecht in der Bewährung. Brandenburger ZGR-Symposion, ZGR-Sonderheft 14 (1998). 191) Ganske, WM 1993, 1117; Engelmeyer, AG 1996, 193, 194. 192) Teichmann, ZGR 1993, 396; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 123 UmwG Rz. 3 f.

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IV. Umwandlung

Aber es handelt sich hierbei nicht immer nur um eine „umgekehrte“ Verschmel- 6.173 zung. So beinhaltet eine Aufspaltung zur Aufnahme inhaltlich zugleich selbst eine Verschmelzung des (gespaltenen) Vermögensteiles mit der bestehenden, aufnehmenden Gesellschaft, also eine Verschmelzung zur Aufnahme.193) Diese beiden Verknüpfungen mit der Verschmelzung lassen bereits erkennen, 6.174 dass auch die Beeinträchtigungen der Rechtsstellung der Beteiligten, vor allem der Gesellschafter, miteinander vergleichbar sind und daher auch analogen Schutz verlangen.194) bb)

Abspaltung

Bei der zweiten Form der Spaltung, der Abspaltung, werden von dem Vermögen 6.175 eines übertragenden Rechtsträgers ein oder mehrere Teile abgespalten, die ebenfalls auf einen oder mehrere bestehende bzw. neue Rechtsträger gleicher oder anderer Rechtsform übertragen werden. Im Gegenzug werden den Anteilseignern der übertragenden Gesellschaft wiederum Anteile der Zielgesellschaft(en) gewährt (§ 123 Abs. 2, 4 UmwG). Der entscheidende Unterschied zur Aufspaltung besteht dabei darin, dass die übertragende Gesellschaft als solche mit vermindertem Vermögen bestehen bleibt. Bei der Aufspaltung werden alle Vermögensteile auf andere Gesellschaften übertragen, hingegen verbleibt bei der Abspaltung ein Teil bei der „alten“ Gesellschaft. Es handelt sich also um eine TeilAufspaltung, die ansonsten keine inhaltlichen Unterschiede zu dieser aufweist. Seit Inkrafttreten des TransPuG kann durch die Gewährung einer Sachdividende ein wirtschaftliches Ergebnis erreicht werden, das der Abspaltung entspricht (zur Sachdividende oben Rz. 4.16). Im Verhältnis zur Verschmelzung stellt die Abspaltung das Spiegelbild zur Ver- 6.176 schmelzung zur Aufnahme dar.195) Wird ein abgespaltener Vermögensteil auf eine bestehende Gesellschaft übertragen, ist zudem inzident eine Verschmelzung zur Aufnahme gegeben. cc)

Ausgliederung

Die dritte Spaltungsform – die Ausgliederung – entspricht hinsichtlich der Ver- 6.177 mögensteilung und der Möglichkeiten der Vermögensübertragung voll und ganz der Abspaltung; insbesondere bleibt auch die übertragende Gesellschaft weiter bestehen. Der einzige und zugleich wesentliche Unterschied liegt in der Person, die die Anteile der übernehmenden bzw. neuen Gesellschaft als Gegenleistung für die Vermögensübertragung erhält. Sind dies bei der Abspaltung die Anteilseig___________ 193) Teichmann, Kölner UmwR-Tage, 1995, S. 98. 194) Ähnlich Teichmann, Kölner UmwR-Tage, 1995, S. 98. 195) Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 123 UmwG Rz. 4.

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ner der Überträgerin, so ist dies bei der Ausgliederung die übertragende Gesellschaft selbst (§ 123 Abs. 3, 4 UmwG). 6.178 Demgemäß hat die Ausgliederung auch kein spiegelbildliches Pendant bei der Verschmelzung, da es dort eine Anteilsgewährung an beteiligte Gesellschaften nicht gibt. Die Ausgliederung zur Aufnahme stellt deshalb ebenfalls keine inzidente Verschmelzung zur Aufnahme dar. b)

Ablauf des Spaltungsverfahrens

6.179 Wie die Darstellung der Möglichkeiten der Spaltung gezeigt hat, sind die Spaltungsarten zum einen Spiegelbild der Verschmelzung und enthalten zum Teil selbst Elemente der Verschmelzung. Daher entsprechen die für Anteilseigner der beteiligten Gesellschaften wie auch deren Gläubiger eintretenden Gefahren und die daraus resultierenden Schutzbedürfnisse weitgehend denen bei der Verschmelzung. Dieser Umstand sowie das Bestreben nach Rechtsvereinheitlichung haben den Gesetzgeber daher veranlasst, das Spaltungsverfahren im Grundsatz wie das Verschmelzungsverfahren auszugestalten und nur dort besondere Regelungen vorzunehmen, wo dies wegen der Besonderheiten der Spaltung erforderlich erschien. Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung der Spaltung ist daher eine Generalverweisung auf das Verschmelzungsrecht, die nur den neuen verschmelzungsrechtlichen squeeze out nicht umfasst (§ 125 UmwG). Abweichende Vorschriften finden sich zunächst allgemein in den §§ 126 ff. UmwG, bezogen auf bestimmte Rechtsträger in den §§ 138 ff. UmwG. Bei den allgemeinen Spaltungsnormen wird auch hier zunächst die Spaltung zur Aufnahme (§§ 126 ff. UmwG) und sodann die Spaltung zur Neugründung behandelt (§§ 135 ff. UmwG).196) aa)

Spaltungs- und Übernahmevertrag bzw. Spaltungsplan

6.180 Rechtsgeschäftliche Grundlage der Spaltung ist in allen Fällen zur Aufnahme ein Spaltungs- und Übernahmevertrag zwischen den beteiligten Gesellschaften, das heißt der sich spaltenden, übertragenden Gesellschaft und der bzw. den aufnehmenden Gesellschaften, auf die die gespaltenen Vermögensteile übertragen werden (§ 126 UmwG; Art. 3 Sechste Richtlinie). In den Fällen der Spaltung zur Neugründung tritt an die Stelle des Vertrages ein Spaltungsplan, da nur die übertragende Gesellschaft an dem Vorgang beteiligt ist, ein mehrere Partner voraussetzender Vertrag also nicht in Betracht kommt (§ 136 UmwG; Art. 3 Sechste Richtlinie). Der Spaltungsvertrag bzw. -plan muss einen bestimmten Inhalt haben, der alle wesentlichen Elemente der beabsichtigten Spaltung enthält (§ 126 Abs. 1 UmwG [Spaltung zur Aufnahme]; §§ 136, 135 Abs. 1 i. V. m. § 126 Abs. 1 UmwG [Spaltung zur Neugründung]; Art. 3 Abs. 2 Sechste Richtlinie). Von besonderer Bedeutung ist das Erfordernis, das Umtauschverhältnis und – insbe___________ 196) Ausführlich zum Spaltungsverfahren Engelmeyer, Die Spaltung von Aktiengesellschaften nach dem neuen Umwandlungsrecht (1995), passim; dies., AG 1996, 193 ff.

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IV. Umwandlung

sondere bei nicht verhältniswahrender Spaltung – die Aufteilung der Anteile am neuen Rechtsträger festzulegen (§ 126 Abs. 1 Nrn. 3 und 10 UmwG). Das Umtauschverhältnis bezeichnet dabei das Verhältnis, in dem die Werte der Anteile der sich spaltenden Gesellschaft zu denen der aufnehmenden Gesellschaft(en) stehen; das entspricht der Lage bei der Verschmelzung (oben Rz. 6.120). Demgegenüber regelt das Aufteilungsverhältnis, wie die Altgesellschafter im Verhältnis zueinander an diesen Werten zu beteiligen sind. Zudem müssen die genaue Aufteilung des gesamten Gesellschaftsvermögens und der Schulden sowie die Zuordnung der Betriebe und Betriebsteile festgelegt werden (§ 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG); dabei bedarf es einer exakten Bezeichnung, wenn und soweit das Sachenrecht dies im Hinblick auf den sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz verlangt (§ 126 Abs. 2 Satz 1 UmwG).197) Ist mit der Spaltung ein Wechsel der Rechtsform oder eine größere Verfügungsbeschränkung bezüglich der Anteile verbunden, ist im Spaltungsvertrag bzw. -plan zudem ein Barabfindungsrecht einzuräumen (§§ 135 Abs. 1, 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 29 Abs. 1 UmwG; dazu auch oben Rz. 6.155 ff.). Vertrag bzw. Plan müssen notariell beurkundet werden (§ 125 Abs. 1 i. V. m. § 6 UmwG). Da ihre Wirksamkeit von der Zustimmung der Anteilseigner abhängt, ist es auch hier möglich, zunächst einen Entwurf zu erstellen, der den Gesellschaftern zur Abstimmung gestellt wird (§ 125 Abs. 1 i. V. m. § 4 Abs. 2 UmwG). Der Vertrag, der mit dem Entwurf identisch sein muss, muss dann nach erfolgter Zustimmung formgerecht abgeschlossen werden. Wurde ein Aktivum keinem Rechtsträger zugeordnet, ist seine Zuordnung 6.181 durch Auslegung zu ermitteln; gelingt dies nicht, ist es verhältnismäßig den übernehmenden Rechtsträgern zuzuordnen, bei Unteilbarkeit durch verhältnismäßige Aufteilung des Gegenwerts (§ 131 Abs. 3 UmwG). bb)

Spaltungsbericht

Grundsätzlich erforderlich ist im Falle der Spaltung ein Spaltungsbericht der ver- 6.182 tretungsberechtigten Organe der beteiligten Gesellschaften (§ 127 UmwG; § 135 Abs. 1 i. V. m. § 127 UmwG; Art. 7 Abs. 1 Sechste Richtlinie). Davon macht das Gesetz neuerdings in § 143 UmwG n. F. (Art. 22 Abs. 5, Art. 25 Sechste Richtlinie n. F.) für die verhältniswahrende Spaltung von Aktiengesellschaften zur Neugründung eine Ausnahme, weil dann Gesellschafterinteressen nicht beeinträchtigt sein können; „verhältniswahrend“ ist eine Spaltung dabei dann, wenn sich die quotale Beteiligung der Aktionäre am Grundkapital nicht ändert. Im Falle einer Spaltung zur Aufnahme muss der Spaltungsbericht insbesondere nähere Angaben zur Begründung des hier – wie bei der Verschmelzung – festzulegenden Umtauschverhältnisses der Anteile beinhalten, von dessen Angemessenheit der Erhalt des ___________ 197) Bei Grundstücken ist etwa § 28 Satz 1 GBO zu beachten: BGHZ 175, 123 = ZIP 2008, 600, 602 = NZG 2008, 436 = EWiR § 126 UmwG 1/2008, 223 (Priester); hierzu Schmidt-Ott, ZIP 2008, 1353. Zu weiteren hierbei auftretenden Fragestellungen Semler/Stengel/Schröer, § 126 UmwG Rz. 56.

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Vermögenswertes der einzelnen Gesellschafter abhängt. Insgesamt dient der Bericht der umfassenden Vorab-Information der Gesellschafter, auf deren Grundlage sie über die Spaltung zu beschließen haben.198) Auf ihn kann unter denselben Voraussetzungen wie beim Verschmelzungsbericht verzichtet werden (§ 127 Satz 2 i. V. m. § 8 Abs. 3 UmwG; Art. 10 Sechste Richtlinie). Ein gemeinsamer Bericht der beteiligten Rechtsträger ist nach § 127 Satz 1 Halbs. 2 UmwG möglich. cc) Spaltungsprüfung 6.183 In allen Fällen der Auf- und Abspaltung wird der Schutz der Anteilseigner vor einer vermögensmäßigen Verwässerung ihrer Beteiligung dadurch verstärkt, dass – bei Aktiengesellschaften zwingend, bei GmbHs auf Antrag eines Gesellschafters – eine Prüfung des Spaltungsvertrages bzw. -plans durch unabhängige Spaltungsprüfer zu erfolgen hat, wobei das Hauptaugenmerk wiederum auf der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses und einer etwaigen Barabfindung liegt (§§ 135 Abs. 1, 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 60, 48, 9 – 12, 29 – 30 UmwG; Art. 8 Abs. 1 Sechste Richtlinie). Die Ausnahme des § 9 Abs. 2 UmwG greift hier nicht, da es bei Auf- und Abspaltung immer zu einem Anteilstausch kommt (§ 125 Satz 1 UmwG verweist daher nicht). 6.184 Auf die Prüfung kann unter denselben Voraussetzungen wie bei der Verschmelzungsprüfung verzichtet werden (§§ 135 Abs. 1, 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 9 Abs. 3 UmwG; Art. 10 Sechste Richtlinie). Darüber hinaus ist sie insgesamt bei verhältniswahrenden Spaltungen von Aktiengesellschaften zur Neugründung entbehrlich (§ 143 UmwG n. F.; Art. 22 Abs. 5, Art. 25 Sechste Richtlinie n. F.). Keiner Spaltungsprüfung bedarf es zudem bei einer Ausgliederung zur Aufnahme bzw. zur Neugründung (§ 125 Satz 2 UmwG; § 135 Abs. 1 i. V. m. § 125 Satz 2 UmwG). Begründet wird dies damit, dass es bei diesem Vorgang nicht zu einem Anteilstausch kommt.199) 6.185 Das ist freilich nur insoweit zutreffend, als den Anteilseignern keine Anteile gewährt werden. Dagegen erhält die ausgliedernde Gesellschaft sehr wohl Anteile, so dass schon die Begründung dieses Ausschlusses „schief“ ist. Im Ergebnis zeigt sich denn auch, dass diese Regelung zumindest für die Ausgliederung zur Aufnahme nicht gerechtfertigt ist. Zwar scheidet eine unmittelbare Beeinträchtigung des Vermögenswertes des einzelnen Gesellschafters aus, da er selbst keine Anteile als Gegenwert für das übertragende Vermögen erhält. In Betracht kommt jedoch eine gleich schwer wiegende mittelbare Vermögensminderung: entsprechen nämlich die der Gesellschaft gewährten Anteile wertmäßig nicht dem dafür übertragenen Vermögen, so sinkt im Zuge der Ausgliederung der Wert der übertragenden Gesellschaft und damit auch der Wert der einzelnen ___________ 198) Hierzu Engelmeyer, AG 1996, 193, 198 ff. 199) Begr RegE zu § 125 Satz 2 bei Neye, UmwG/UmwStG, S. 252. Zustimmend Kallmeyer, GmbHR 1993, 461, 465; Engelmeyer, Die Spaltung von Aktiengesellschaften nach dem neuen Umwandlungsrecht (1995), S. 101.

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IV. Umwandlung

Anteile. Die Gesellschafter sind daher bei einer Ausgliederung zur Aufnahme von einem zu niedrigen Umtauschverhältnis genauso betroffen wie bei einer Verschmelzung oder Auf- bzw. Abspaltung zur Aufnahme. Der Ausschluss der Prüfung ist daher sachlich nicht zu begründen.200) Anders liegt es nur bei einer Ausgliederung zur Neugründung. Da die übertra- 6.186 gende Gesellschaft hier alle Anteile an der neu gegründeten Gesellschaft erhält, liegt lediglich eine interne Vermögensumstrukturierung vor, die den Vermögenswert der Überträgerin als solchen unberührt lässt. Im Zuge dieser Umstrukturierung scheidet eine Vermögensminderung daher auch mittelbar aus. dd) Spaltungsbeschluss Aufgrund des grundlegenden, die Struktur der beteiligten Gesellschaften betref- 6.187 fenden Charakters der Spaltung ist auch bei ihr in jeder Form die letzte Entscheidungskompetenz den Anteilseignern zugewiesen, die dem Spaltungs- und Übernahmevertrag bzw. Spaltungsplan oder deren Entwurf mit einer qualifizierten Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Abstimmung vertretenen Grundkapitals (so bei der Aktiengesellschaft) zuzüglich einer Stimmenmehrheit nach § 133 Abs. 1 AktG bzw. drei Vierteln der abgegebenen Stimmen (GmbH) im Spaltungsbeschluss zustimmen müssen (§§ 125, 135 Abs. 1 i. V. m. §§ 13, 65 Abs. 1 UmwG, Art. 5 Abs. 1 Sechste Richtlinie [AG], § 50 Abs. 1 UmwG [GmbH]). Der Beschluss bedarf wie bei der Verschmelzung der notariellen Beurkundung (§ 125 i. V. m. § 13 Abs. 3 Satz 1 UmwG; Art. 14 Sechste Richtlinie i. V. m. Art. 16 Dritte Richtlinie); zudem sind bei Beteiligung einer Aktiengesellschaft Spaltungsplan bzw. -entwurf wie bei der Verschmelzung (oben Rz. 6.125) zuvor offenzulegen (§ 125 i. V. m. § 63 UmwG [AG]; Art. 9 Sechste Richtlinie). Gegen den bzw. die Spaltungsbeschlüsse kann die überstimmte Minderheit wie bei 6.188 der Verschmelzung prozessual vorgehen. Das heißt insbesondere, dass ein dissentierender Minderheitsgesellschafter Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage erheben kann. Handelt es sich um eine Auf- oder Abspaltung zur Aufnahme, so sind diese Rechtsmittel für die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft wiederum ausgeschlossen (§ 125 i. V. m. § 14 Abs. 2 UmwG; zur Kritik an der Ausnahme der Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft vom Spruchverfahren oben Rz. 6.144). Stattdessen steht den Minderheitsgesellschaftern auch hier das Spruchverfahren zur Verfügung, in dem sie eine bare Zuzahlung als Ausgleich für das zu niedrig bemessene Umtauschverhältnis fordern können (§ 125 i. V. m. §§ 15, 305 – 312 UmwG). Bemerkenswert ist hierbei, dass diese Ausnahme für die Ausgliederung zur Aufnahme nicht gilt. Nach Ansicht des Gesetzgebers ist dies nicht möglich, da es zu keinem Anteilstausch kommt.201) ___________ 200) Im Ergebnis ebenso Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 162 ff., 182 ff.; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 125 UmwG Rz. 12; Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 510. 201) Begr RegE zu § 125, bei Neye, UmwG/UmwStG, S. 251.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

6.189 Diese Begründung ist hier – wie auch in Bezug auf die einer Spaltungsprüfung (dazu oben Rz. 6.184 f.) – nicht zutreffend, da es ja zumindest auf der Ebene der Gesellschaften zu einem Anteilstausch kommt, der in gleicher Schwere wie ein Anteilstausch mit den Gesellschaftern selbst zu einer mittelbaren Vermögensbeeinträchtigung der Gesellschafter führen kann. Konsequenz dieser verfehlten Regelung ist damit, dass die Minderheitsgesellschafter im Wege der Anfechtungsklage auch die Unangemessenheit des Umtauschverhältnisses rügen können mit der Folge, dass dieser – praktisch häufige – Streitpunkt zunächst einmal den Vollzug der Ausgliederung hemmt, da die konstitutive Eintragung ins Handelsregister bei schwebenden Anfechtungsverfahren grundsätzlich nicht erfolgen darf (§ 125 i. V. m. § 16 Abs. 2 UmwG). Angesichts dieser Konsequenzen wäre eine Anwendung des Spruchverfahrens auch auf die Ausgliederung zur Aufnahme interessengerechter für alle Beteiligten gewesen.202) 6.190 Der Gesellschaft steht freilich hiergegen wie in allen anderen Fällen eines Klageausschlusses die Möglichkeit eines Antrags nach § 125 i. V. m. § 16 Abs. 3 UmwG offen (dazu oben Rz. 6.147 ff.). ee) Austrittsrecht 6.191 Für die auch bei der Verschmelzung geregelten Fälle, in denen es einem (Minderheits-)Gesellschafter unzumutbar ist, aufgrund der Umwandlung in der Gesellschaft zu verbleiben, sieht das Gesetz auch bei der Auf- und Abspaltung ein Austrittsrecht gegen angemessene Barabfindung vor. Dies betrifft auch hier den Fall, dass die Spaltung zur Aufnahme auf eine Gesellschaft anderer Rechtsform erfolgt (§ 125 i. V. m. § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG), sowie den Fall, dass zwar die Aufnahme durch eine Gesellschaft gleicher Rechtsform erfolgt, jedoch die Anteile an dieser Gesellschaft stärkeren Verfügungsbeschränkungen unterworfen sind als die der übertragenden Gesellschaft (§ 125 i. V. m. § 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG). ff) Eintragung in das Handelsregister 6.192 Den Abschluss des Spaltungsverfahrens bildet die Eintragung des Vorgangs ins Handelsregister, wobei sie zunächst im Register der aufnehmenden bzw. neuen Gesellschaft und sodann – konstitutiv – in dem Register der übertragenden Gesellschaft zu erfolgen hat (§ 130 Abs. 1, § 135 Abs. 1 UmwG; Artt. 15, 16 Sechste Richtlinie). Mit dieser zweiten Eintragung wird die Spaltung vollzogen, insbesondere gehen der gespaltene Vermögensteil bzw. die gespaltenen Vermögensteile auf die aufnehmenden bzw. neuen Gesellschaften über (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG; Art. 17 Abs. 1 a Sechste Richtlinie), und die Anteilseigner der übertragenden Gesellschaft – bzw. die übertragende Gesellschaft im Falle der Ausgliederung selbst – werden Anteilseigner der übernehmenden bzw. neuen Gesellschaft (im Einzelnen § 131 Abs. 1 Nr. 3 UmwG; Art. 17 Abs. 1 b Sechste Richtlinie). ___________ 202) Im Ergebnis ebenso Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 125 UmwG Rz. 16.

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IV. Umwandlung

Der früher außerordentlich bedeutsame Vorbehalt des § 132 UmwG a. F., nach dem 6.192a allgemeine Vorschriften mit Ausnahme von § 399 BGB unberührt blieben, die die Übertragbarkeit eines bestimmten Gegenstandes ausschließen, beschränken oder an eine staatliche Genehmigung knüpfen, ist durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 19. April 2007 (BGBl. I, 542 ff.) aufgehoben worden (das entspricht in der Wertung derjenigen von § 354a HGB).203) Das betraf besonders die Vorschriften des Betriebsrentenrechts; der Gesetzgeber hat daher zum Ausgleich § 133 Abs. 3 Satz 2 UmwG geschaffen und für diese Ansprüche eine besondere Nachhaftung der anderen sich aus der Spaltung ergebenden Rechtsträger von zehn Jahren eingeführt. Zwar handelt es sich bei § 4 Abs. 1 BetrAVG nach Auffassung des BAG nicht um eine solche Norm, so dass eine Ausgliederung von laufenden Pensionsverbindlichkeiten im Wege der Spaltung schon vor Inkrafttreten der Novelle möglich war, was eine Übertragung auch dieser Verbindlichkeiten auf eine andere juristische Person ermöglicht.204) Dies war jedoch außerordentlich umstritten.

Die Überträgerin selbst erlischt im Falle der Spaltung bei dem Vorgang (§ 131 6.192b Abs. 1 Nr. 2 UmwG; Art. 17 Abs. 1 c Sechste Richtlinie). Ist zur Durchführung beim übertragenden Rechtsträger eine Kapitalherabsetzung 6.193 erforderlich, kann diese in vereinfachter Form (dazu oben Rz. 6.60 ff.) durchgeführt werden (§§ 145 Satz 1, 139 Satz 1 UmwG), und sie ist – ähnlich einer Kapitalerhöhung im Verschmelzungsrecht (oben Rz. 6.133) – vorab einzutragen (§§ 145 Satz 2, 139 Satz 2 UmwG). Im Hinblick auf die ausreichende Kapitalausstattung der abspaltenden oder ausgliedernden Gesellschaft ist bei der Anmeldung der Spaltung oder Ausgliederung in deren Handelsregister zudem eine Erklärung abzugeben, nach der die für die Gründung erforderlichen Voraussetzungen – insbesondere also ein das Kapital deckendes Vermögen – nach Durchführung der Maßnahme noch vorhanden ist (§§ 140 [GmbH], 146 [AG] UmwG). c)

Sonderfall der nicht verhältniswahrenden Spaltung

Alle bisherigen Ausführungen betrafen Fälle einer verhältniswahrenden Spaltung. 6.194 Damit ist für den Fall der Auf- bzw. Abspaltung gemeint, dass die den Gesellschaftern der übertragenden Gesellschaft für die Hingabe des Vermögensteiles gewährten Anteile diesen in genau dem prozentualen Umfang zugeteilt werden, wie es ihrer vorherigen Beteiligung an der übertragenden Gesellschaft entspricht. Obwohl das Umwandlungsgesetz diese Verhältniswahrung weder bei der Spaltung noch bei den anderen Umwandlungsarten ausdrücklich nennt, geht es von ihr als

___________ 203) Hierzu Bayer/J. Schmidt, NZG 2006, 841, 845 (wichtigste Änderung des Gesetzes); teilweise kritisch Mayer/Weiler, DB 2007, 1291 f. 204) BAGE 114, 1 = ZIP 2005, 957, 961 = NJW 2005, 3371 = DB 2005, 954 = NZA 2005, 639 (auch kein Verstoß gegen § 613a BGB); abw. AG Hamburg NZG 2005, 899 = ZIP 2005, 1249 = EWiR § 132 UmwG 1/05, 779 (Flitsch); zum Ganzen Wollenweber/Ebert, NZG 2006, 41.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

selbstverständlich aus (vgl. § 126 Abs. 1 Nr. 10 UmwG).205) Das Prinzip ergibt sich nicht zuletzt aus dem verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrecht des einzelnen Gesellschafters, das eine (willkürliche) Vermögensverschiebung bei Umstrukturierungen nicht zulässt. 6.195 Neben der somit als Grundform einzustufenden verhältniswahrenden Spaltung ist es als Ausnahme nach § 128 UmwG auch möglich, eine Auf- oder Abspaltung in allen denkbaren Varianten (vor allem zur Aufnahme oder zur Neugründung) in einer nicht verhältniswahrenden Weise durchzuführen. Die Einführung der Möglichkeit einer nicht verhältniswahrenden Spaltung geht bezüglich der Spaltung von Aktiengesellschaften auf die europarechtliche Vorgabe in Art. 3 Abs. 2 i, 17 Abs. 1 b der Sechsten Richtlinie zurück.206) Eine nicht verhältniswahrende Ausgliederung scheidet demgegenüber von vornherein aus, da es bei der Ausgliederung gar nicht zu einer Verteilung von Anteilen kommt, sondern per definitionem zur Gewährung an den übertragenden Rechtsträger.207) 6.196 Das bedeutet für die Auf- oder Abspaltung, dass die für den übertragenen Vermögensteil gewährten Anteile zwar ebenfalls in der Summe dessen Wert entsprechen, jedoch abweichend von den Beteiligungsverhältnissen bei der übertragenden Gesellschaft auf die Gesellschafter aufgeteilt werden können; dies ist nach § 126 Abs. 1 Nr. 10 UmwG im Spaltungs- und Übernahmevertrag bzw. im Spaltungsplan festzulegen. Zudem bedarf es nach § 128 UmwG einer Zustimmung aller Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers, weil darin ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt. Praktisch ist damit eine Vielzahl von Möglichkeiten gegeben, mittels Spaltung die Beteiligungsverhältnisse der Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft zu verändern. So ist es etwa – gleichsam als Grundform – möglich, die Beteiligungen der Gesellschafter an den aufnehmenden bzw. neuen Gesellschaften frei zu bestimmen und damit zu verschieben. Darüber hinaus kann etwa eine Aufspaltung zur Neugründung in der Weise erfolgen, dass einzelne Gesellschafter nur an einer neuen Gesellschaft beteiligt werden und damit wirtschaftlich das frühere einheitliche Unternehmen unter die Gesellschafter „aufgeteilt“ wird.208) Ein solches Vorgehen kann etwa dann sinnvoll sein, wenn bei einem Familienunternehmen die Aufteilung auf mehrere Familienmitglieder oder -stämme beabsichtigt ist.209) ___________ 205) Schwedhelm/Streck/Mack, GmbHR 1995, 7, 11. Anders die ausdrückliche gesetzliche Regelung des § 212 AktG zur vergleichbaren (verhältniswahrenden) Aktienzuteilung bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Da auch hier das Prinzip der Verhältniswahrung nur Selbstverständliches ausspricht, hat die Norm nur deklaratorischen Charakter; dazu Hirte, in: GroßK, § 212 AktG Rz. 2. 206) Zu deren Umsetzung in deutsches Recht Heidenhain, EuZW 1995, 327 ff. 207) Vgl. etwa Lutter/Priester, § 128 UmwG Rz. 3; Semler/Stengel/Schröer, § 128 UmwG Rz. 2. 208) Beispiele bei Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 128 UmwG Rz. 8 ff. 209) Diesen Fall hatte der Gesetzgeber bei der Zulassung der nicht verhältniswahrenden Spaltung vor allen Dingen im Auge; vgl. Begr RegE zu § 128, bei Neye, UmwG/UmwStG, S. 257 f.; ausführlich hierzu Kallmeyer, DB 1996, 28 ff.

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IV. Umwandlung

Charakteristisch für die nicht verhältniswahrende Spaltung ist also, dass die Vertei- 6.197 lung der für den übertragenden Vermögensteil gewährten Anteile losgelöst von den bestehenden Beteiligungsverhältnissen festgelegt werden kann. Damit besteht aber die Gefahr für die einzelnen Gesellschafter, dass sich ihr Vermögenswert sowie die daran anknüpfende mitgliedschaftliche Herrschaftsmacht im Vergleich zur Ausgangslage vermindern. Offensichtlich ist dies, wenn die Verteilungsquote zu Ungunsten einzelner Gesellschafter verschoben wird (Beispiel: Es werden einem mit 20 % am übertragenden Rechtsträger Beteiligten nur 10 % der aufgrund einer Abspaltung erhaltenen Anteile zugeteilt). Die Gefahr besteht aber ebenso, wenn bei einer Aufspaltung die neuen Gesellschaften einzelnen Anteilseignern allein zukommen sollen, wenn die neue Gesellschaft wertmäßig nicht der Beteiligung an der übertragenden Gesellschaft entspricht.210) Wegen dieser schwerwiegenden Beeinträchtigung hat der Gesetzgeber die 6.198 Wirksamkeit einer nicht verhältniswahrenden Spaltung an die Zustimmung eines jeden Gesellschafters der übertragenden Gesellschaft geknüpft (§ 128 Satz 1 UmwG).211) Dann aber soll nicht nur eine „quotenabweichende Spaltung“, sondern sogar eine „Spaltung zu Null“ zulässig sein, bei der einem oder mehreren Gesellschaftern der übertragenden Gesellschaft kein neuer Anteil gewährt wird.212) d)

Gläubigerschutz

Der großzügige Schutz, den die Gläubiger von verschmelzenden Gesellschaften 6.199 erfahren haben, greift auch zugunsten der Gläubiger von Gesellschaften ein, die an einer Spaltung beteiligt sind. Danach können sie Sicherheit verlangen, soweit sie glaubhaft machen, dass die Erfüllung ihrer Forderung durch die Spaltung gefährdet wird (§§ 125, 135 Abs. 1 i. V. m. § 22 UmwG sowie § 133 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 UmwG; Art. 12 Abs. 1 und 2 Sechste Richtlinie). Darüber hinaus weist die Spaltung für die Gläubiger der übertragenden Gesell- 6.200 schaft eine spezifische Gefährdungslage auf, die eines noch weitergehenden Schutzes bedurfte. Typischerweise wird den Gläubigern dieser Gesellschaft durch die Spaltung nämlich ein Teil des ihnen haftenden Vermögens entzogen, da dieses auf verschiedene Gesellschaften aufgeteilt wird. Insbesondere wenn sie ihre Schuldnerin, die übertragende Gesellschaft, behalten, sehen sie sich nach der Spaltung einer verringerten Haftungsmasse gegenüber, als vor dieser Maßnahme. Zu ihrem Schutz hat der Gesetzgeber daher nach dem Vorbild von §§ 26, 160 HGB eine auf fünf Jahre begrenzte, gesamtschuldnerische Haftung aller an der Spaltung beteiligten Gesellschaften angeordnet (§ 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG; Art. 12 ___________ 210) Begr RegE zu § 128, bei Neye, UmwG/UmwStG, S. 258. 211) Siehe auch die Begr RegE zu § 128, bei Neye, UmwG/UmwStG, S. 258; zustimmend zu dieser Regelung Lutter/Priester, § 128 UmwG Rz. 2; Pfeifer, Schutzmechanismen, Rz. 711 ff.; abw. Heidenhain, EuZW 1995, 327 ff., der diese Regelung für europarechtswidrig hält. 212) Dafür etwa LG Konstanz ZIP 1998, 1226 (Katschinski); LG Essen ZIP 2002, 893 = NZG 2002, 736 = EWiR § 128 UmwG 1/02, 637 (Kiem).

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

Abs. 6 Sechste Richtlinie). Die Gläubiger werden damit wirtschaftlich für fünf Jahre so gestellt, als ob die Spaltung noch nicht vollzogen wäre.213) 6.201 Das soll allerdings nach (zweifelhafter) Auffassung des LG Halle zum SpTrUG, das

insoweit Vorbildcharakter für das UmwG hat, nur für Gläubiger der Gesellschaften gelten, die unmittelbar aus der Spaltung hervorgegangen sind; deren Tochtergesellschaften sind danach zumindest dann nicht erfasst, wenn diese nicht durch (weitere) Spaltung entstanden sind, sondern durch Neugründung. Dies ermöglicht bei geschickter Gestaltung eine Aushöhlung der gläubigerschützenden Gesamtschuldanordnung.214)

6.202 Eine weitergehende Forthaftung von spaltenden Rechtsträgern ordnet § 134 UmwG im Fall der Betriebsaufspaltung gegenüber Arbeitnehmern und Betriebsrentnern an. Hier reicht es für die Forthaftung, dass Forderungen innerhalb von fünf Jahren nach der Spaltung begründet wurden, während sie nach der allgemeinen Regel des § 133 Abs. 3 UmwG innerhalb dieser Frist fällig sein und geltend gemacht werden müssen. 4.

Vermögensübertragung

6.203 Als dritte Form der Umwandlung regelt das Umwandlungsgesetz die Vermögensübertragung. Ihr kommt praktisch die geringste Bedeutung zu, da sie nur in wenigen Fällen möglich ist. Grundsätzlich ist sie in zwei Arten zulässig, zum einen als Vollübertragung, bei der das gesamte Vermögen eines Rechtsträgers auf einen anderen übertragen wird, und zum Zweiten als Teilübertragung, bei der nur ein abgespaltener Vermögensteil übertragen wird (im Einzelnen § 174 UmwG). Die Vollübertragung ähnelt damit der Verschmelzung, die Teilübertragung der Spaltung; deren Regeln das Gesetz jeweils für entsprechend anwendbar erklärt (§§ 176 Abs. 1, 177 Abs. 1 UmwG). Der entscheidende Unterschied besteht indes darin, dass den Anteilseignern der übertragenden Gesellschaft für die Übertragung keine Anteile, sondern eine andere Gegenleistung – regelmäßig Geld – gewährt wird; eine Anteilsgewährung würde nämlich aufgrund der Struktur des übernehmenden Rechtsträgers ausscheiden. 6.204 Eine Vermögensübertragung in einer der beiden vom UmwG geregelten Arten ist unter Beteiligung von Kapitalgesellschaften nämlich nur möglich als Übertragung auf den Bund, ein Land, eine Gebietskörperschaft oder einen Zusammenschluss solcher Körperschaften (§ 175 Nr. 1 UmwG). Handelt es sich um eine Versicherungs-Aktiengesellschaft, so kann diese ihr Vermögen auch auf einen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit bzw. ein öffentlich-rechtliches Versicherungsunternehmen übertragen (§ 175 Nr. 2 a) UmwG; zu den spiegelbildlichen Fällen der Vermögensübertragung durch einen VVaG auf einen anderen Rechtsträger unten Rz. 10.100). Diese umwandlungsgesetzlichen Möglichkeiten sind aber als Möglichkeiten der Vermögensübertragung nicht abschließend: Kapitalgesellschaften können grundsätzlich mit den Mitteln des allgemeinen Vertragsrechts Teile ihres Vermögens an Dritte übertragen, dann aber nicht im Wege der Universalsukzession; erst wenn auf diese Weise praktisch das ganze Vermögen auf Dritte übertragen wird, kann (im Aktienrecht) die Sonderregelung des § 179a AktG zum Tragen kommen (dazu oben Rz. 3.225). ___________ 213) Lutter/Hommelhoff/Schwab, § 133 UmwG Rz. 14. 214) LG Halle ZIP 1996, 432; krit. Hirte, NJW 1999, 179, 186.

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IV. Umwandlung

Wegen der inhaltlichen Verwandtschaft von Vermögensübertragung zu Verschmel- 6.205 zung und Spaltung verweist das UmwG für die dort geregelten Fälle in weitem Umfange auf die Vorschriften über diese Umwandlungsarten (vgl. die Generalverweise in § 176 UmwG [Anwendung der Verschmelzungsvorschriften auf die Vollübertragung] und in § 177 UmwG [Anwendung der Spaltungsvorschriften auf die Teilübertragung]). Deshalb kann auch hier hinsichtlich des Verfahrens sowie bezüglich des Schutzes der Anteilseigner und Gläubiger auf die oben zu Verschmelzung und Spaltung gemachten Ausführungen verwiesen werden (oben Rz. 6.106 ff. und Rz. 6.167 ff.); zur aufsichtsrechtlichen Kontrolle von „Bestandsübertragungen“ im Versicherungsrecht unten Rz. 10.101 ff.).

5.

Formwechsel

Als vierte Umwandlungsform regelt das Umwandlungsgesetz in den §§ 190 ff. 6.206 UmwG den Formwechsel. Die Besonderheit dieser Umwandlungsart liegt darin, dass die wirtschaftliche Identität der betroffenen Gesellschaft trotz des Umstrukturierungsvorganges voll erhalten bleibt und es lediglich zu einem Wechsel des Rechtskleides kommt.215) Dabei darf nicht verkannt werden, dass das Rechtskleid von einer Gesellschaft nicht abgelöst werden kann, sondern für diese konstitutiv ist. Die vom Gesetzgeber gewollte Identität kann sich daher nicht auf die konkret strukturierte Gesellschaft selbst beziehen, sondern nur auf den beteiligten Personenkreis sowie das Vermögen der Gesellschaft.216) Der daraus abzuleitende wesentliche Unterschied zu allen anderen Umwandlungsarten besteht darin, dass es zu keiner Übertragung von Vermögen auf andere oder neue Gesellschaften kommt, sondern ein rein interner Umstrukturierungsprozess stattfindet, an dem nur eine Gesellschaft beteiligt ist.217) Für die hier im Mittelpunkt stehenden Formwechsel einer GmbH in eine Akti- 6.207 engesellschaft sowie umgekehrt ist die Möglichkeit einer solchen identitätswahrenden Umwandlung nicht neu. Die wesentliche Neuerung des UmwG bezüglich des Formwechsels besteht in einem hier nicht näher zu betrachtenden Bereich, nämlich darin, dass nunmehr auch der Wechsel zwischen juristischen Personen und Gesamthandsgemeinschaften identitätswahrend möglich ist (§§ 226, 228 ff. UmwG), was der Gesetzgeber bislang nur in Form des übertragenden Formwechsels zuließ (vgl. die früheren Regelungen im UmwG i. d. F. vom 6. November 1969 [BGBl. I, 2081]). Dem trägt – nach anfänglichen Unsicherheiten – inzwischen auch das Steuerrecht Rechnung mit der Folge, dass etwa ein Formwechsel von einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft ___________ 215) Begr RegE bei Neye, UmwG/UmwStG, S. 321 f.; dazu auch Bärwaldt/Schabacker, ZIP 1998, 1293; Decher, Kölner UmwR-Tage, S. 205; Meyer-Landrut/Kiem, WM 1997, 1361 ff., 1413 ff. 216) Ebenso Hennrichs, ZIP 1995, 794, 795 f. („Kontinuität des Unternehmens bei gleichzeitigem Wechsel lediglich seiner Rechtsform“); Karsten Schmidt, AcP 191 (1991), 495, 506 („Kontinuität des Rechtsträgers bei gleichzeitiger Diskontinuität seiner Verfassung“); ders., AG 1995, 150, 152. 217) Decher, Kölner UmwR-Tage, S. 201 f.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

nach den Regeln des Umwandlungsgesetzes keine Grunderwerbsteuerpflicht (mehr) auslöst, wenn die Gesellschaft über Grundeigentum verfügt.218) Mit Blick darauf, dass die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) keine eigene Rechtsform darstellt (oben Rz. 5.45a), ist ein Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG zwischen einer „normalen GmbH“ und der Unternehmergesellschaft nicht möglich;219) in umgekehrter Richtung vollzieht sich der Wechsel demgegenüber automatisch. Sollte man dies als einen Formwechsel ansehen, würde es sich daher jedenfalls um einen nach einem anderen Bundesgesetz möglichen Formwechsel (§ 1 Abs. 2 UmwG) handeln (siehe auch oben Rz. 6.94). 6.208 Die Motive für einen Formwechsel können sehr vielgestaltig sein. Er wird jedoch immer dann als sinnvoll erscheinen, wenn die jeweils andere Gesellschaftsform besser geeignet erscheint, das Unternehmen unter möglicherweise geänderten Bedingungen weiterzuführen. So kann ein Formwechsel zur Aktiengesellschaft notwendig sein, wenn das als GmbH gegründete Unternehmen expandiert und sich nunmehr den Zugang zum Kapitalmarkt verschaffen will (sog. going public).220) Umgekehrt kann es sinnvoll sein, eine Aktiengesellschaft bei verminderter Geschäftstätigkeit bzw. verkleinerter Gesellschafterzahl in eine GmbH umzuwandeln, die hinsichtlich ihrer Organisation beweglicher ist und einen weiteren Gestaltungsspielraum aufweist.221) Der Formwechsel kann schließlich auch genutzt werden, um eine Börsennotierung aufzugeben („kaltes Delisting“; dazu oben Rz. 6.7). 6.209 Die einzelnen Umwandlungsmöglichkeiten nach dem UmwG sind in § 191 Abs. 1 und 2 UmwG abschließend aufgelistet. Daneben können Umwandlungen nur durch (sonstiges) Bundes- oder durch Landesgesetz zugelassen werden; die Vorschriften des UmwG gelten für diese Umwandlungen normalerweise nicht (§ 190 Abs. 2 UmwG). Die mit ihrer Eintragung erfolgende „Umwandlung“ einer Vor-Gesellschaft in die „fertige“ Kapitalgesellschaft gehört allerdings nicht dazu, da hier der Rechtsträger identisch bleibt (oben Rz. 2.29). Auch beim Formwechsel können aufgelöste Rechtsträger unter den Voraussetzungen des § 191 Abs. 3 UmwG umgewandelt werden. a) Ablauf des Formwechsels 6.210 Da der Formwechsel im Gegensatz zu den meisten Spaltungsfällen und der Verschmelzung ein rein gesellschaftsinterner Umstrukturierungsvorgang ist, ___________ 218) BFHE 181, 349 = BStBl. 1996 II 661 = ZIP 1997, 144 = EWiR § 190 UmwG 1/97, 87 (Neye); kritisch zur Unterscheidung von formwechselnder und übertragender Umwandlung nach altem Recht Raiser/Veil, KapGesR (4. Aufl. 2006), § 46 Rz. 22. 219) Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 5a GmbHG Rz. 17; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1491. 220) Dazu Decher, Kölner UmwR-Tage, 1995, S. 202; Kallmeyer, DB 1996, 28, 29. 221) Zu den Motiven der Umwandlung einer AG in eine GmbH ausführlich Meyer-Landrut/Kiem, WM 1997, 1361, 1363 f.; Veil, Umwandlung einer AG in eine GmbH (1996), S. 6 ff.

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IV. Umwandlung

gehen von ihm vor allem bezüglich der Stellung der Anteilseigner geringere Gefahren aus. Insbesondere besteht, da der Kreis der Beteiligten wie auch das konkrete Vermögen konstant bleiben, keine Gefahr einer Verwässerung der Vermögenswerte der Beteiligten. Demgemäß ist auch das Verfahren gegenüber den anderen Umwandlungsformen vereinfacht, wenngleich es sich in Ablauf und insbesondere im Wirksamwerden an diese anlehnt. aa) Umwandlungsbericht Zunächst muss das vertretungsberechtigte Organ der Gesellschaft zu dem ins 6.211 Auge gefassten Formwechsel einen ausführlichen Umwandlungsbericht erstellen, in dem es den Anteilseignern diese Maßnahme ausführlich rechtlich und wirtschaftlich erläutert (§ 192 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Er ist entbehrlich, wenn am umzuwandelnden Rechtsträger nur ein Anteilseigner beteiligt ist oder alle Anteilseigner in notariell beurkundeter Form darauf verzichten (§ 192 Abs. 2 UmwG). Der Bericht dient – wie die Berichterstattung bei den anderen Umwandlungsarten – der Information der Gesellschafter und soll ihnen eine sachliche Entscheidung ermöglichen. Geringere Anforderungen an den Bericht sind dabei fehl am Platze, weil er (auch) den Interessen der austrittswilligen Gesellschafter daran Rechnung tragen soll, dass die Höhe der Barabfindung im Verhältnis zum gesamten Unternehmenswert angemessen festgelegt wurde.222) Allerdings ist bei fehlerhafter oder ungenügender Berichterstattung die Anfechtungsklage nicht zwingend der richtige Rechtsbehelf (dazu näher unten Rz. 6.217). Da es einen Vertrag mit einem anderen Rechtsträger bzw. Plan wie bei Ver- 6.212 schmelzung oder Spaltung nicht gibt bzw. geben kann, sondern allein der Beschluss der Gesellschafter die Basis des Formwechsels bietet, muss der Bericht zugleich einen Entwurf des Umwandlungsbeschlusses enthalten (§ 192 Abs. 1 Satz 3 UmwG). Nach § 239 Abs. 1 UmwG ist der Bericht in der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung auszulegen; bei einer formwechselnden Aktiengesellschaft ist er zudem vom Vorstand zu erläutern (§ 239 Abs. 2 UmwG). bb)

Umwandlungsbeschluss

Auf der Grundlage des Berichtes erfolgt der Umwandlungsbeschluss (§ 193 6.213 UmwG), der die wesentlichen Punkte des Formwechsels (§ 194 Abs. 1 UmwG) und die Satzung bzw. den Gesellschaftsvertrag der neuen Gesellschaft (§ 243 Abs. 1 i. V. m. § 218 UmwG) enthalten muss sowie der notariellen Beurkundung bedarf (§ 193 Abs. 3 Satz 1 UmwG). Eine vorherige Prüfung des beabsichtigten Beschlussinhaltes ist nicht erforderlich. Auf den Formwechsel sind grundsätzlich die für die neue Rechtsform geltenden Gründungsvorschriften anzuwenden (§ 197 Satz 1 UmwG), weshalb bei einem Wechsel in die Aktiengesellschaft auch ___________ 222) LG Heidelberg DB 1996, 1768 = EWiR § 207 UmwG 1/96, 901 (Veil); Hirte, NJW 1999, 179, 186; abw. Meyer-Landrut/Kiem, WM 1997, 1413, 1416 f.

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§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

die Vorschriften über die Nachgründung (§ 52 AktG) anwendbar sein können (§ 245 Abs. 1 Satz 3 AktG; dazu im Übrigen oben Rz. 5.62 f.); anders ist dies nur in Bezug auf eine etwaige Mindestzahl der Gründer und die Bildung und Zusammensetzung des ersten Aufsichtsrats (§ 197 Satz 2 UmwG). 6.214 Da es sich auch beim Formwechsel um eine Grundlagenentscheidung handelt, bedarf der Beschluss wiederum einer qualifizierten Mehrheit von drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals einer Aktiengesellschaft bzw. drei Vierteln der in der GmbH-Gesellschafterversammlung abgegebenen Stimmen (§ 240 Abs. 1 UmwG). Bei Änderung der Nennbeträge bedarf es einer Zustimmung der Betroffenen (§§ 241 Abs. 1, 242 UmwG). Eine Rechtmäßigkeitskontrolle des Mehrheitsbeschlusses ist aufgrund der allgemeinen Anfechtungs- und Nichtigkeitsregelungen möglich. Allerdings können sich die Kläger hier für die Begründung ihrer Klage ebenfalls nicht darauf berufen, dass ihre Anteile zu niedrig bemessen sind bzw. die neue Mitgliedschaft keinen ausreichenden Ausgleich für die Mitgliedschaft im alten Rechtsträger darstellt (§ 195 Abs. 2 UmwG). Jedoch kommt beim Formwechsel von einer Kapitalgesellschaft zu einer anderen eine solche Beeinträchtigung – von der Frage der Börsennotierung abgesehen – kaum in Betracht; vielmehr liegt der Anwendungsbereich in Fällen des Formwechsels, in denen größere strukturelle Unterschiede zwischen dem Rechtsträger alter und neuer Rechtsform bestehen.223) 6.215 Soweit der Ausschluss in Ausnahmefällen dennoch eingreift, steht den betroffenen Gesellschaftern wiederum ein Anspruch auf bare Zuzahlung zu, der im Spruchverfahren eingefordert werden kann (§ 196 i. V. m. § 1 Nr. 4, §§ 2 ff. SpruchG [= §§ 305 – 312 UmwG a. F.]). 6.216 Wie bei den anderen Umwandlungsarten auch hemmt eine erhobene Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss grundsätzlich die konstitutive Eintragung ins Handelsregister (§ 198 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 2 UmwG). Diese Sperrwirkung kann jedoch in einem Verfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG möglicherweise beseitigt werden, wenn die Klage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist bzw. die Interessen der Gesellschaft am Vollzug des Formwechsels die des Klägers überwiegen (§ 198 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 3 UmwG).224) ___________ 223) Ausführlich Veil, Umwandlung einer AG in eine GmbH (1996), S. 177 ff. 224) Zum fehlenden Missbrauch der formwechselnden Umwandlung einer AG in eine GmbH & Co. KG, wenn dort der ehemaligen Mehrheitsaktionärin eine Kommanditistenstellung eingeräumt wird und die ehemalige 100 %-ige Tochtergesellschaft zur alleinigen Komplementärin mit minimalem Kapitalanteil bestellt wird (mit der Folge, dass dem Mehrheitsgesellschafter aufgrund der steuerlichen Lage – unterschiedliche Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften – größere Vorteile erwachsen als den Minderheitsgesellschaftern), BGH ZIP 2005, 1318 (FPB Holding) = Konzern 2005, 650 (ebenso zuvor als Vorinstanz OLG Düsseldorf ZIP 2003, 1749, 1751 ff. = AG 2003, 578 = DB 2003, 1318); hierzu Decher, Konzern 2005, 621.

504

IV. Umwandlung

cc)

Austrittsrecht

Das Gesetz mutet es keinem Gesellschafter zu, sich an einer Gesellschaft weiter zu 6.217 beteiligen, die er sich in dieser Rechtsform nicht ausgewählt hat. Es gewährt daher dissentierenden Gesellschaftern die Möglichkeit, anlässlich des Formwechsels gegen angemessene Barabfindung aus der Gesellschaft auszutreten (§ 207 UmwG). Das gilt unabhängig davon, ob der Formwechsel aus der Aktiengesellschaft oder der GmbH heraus erfolgt. Denn beim Wechsel von der Aktiengesellschaft in die GmbH ist der Gesellschafter stärkeren Verfügungsbeschränkungen in Bezug auf seine Mitgliedschaft unterworfen (§ 15 GmbHG), im umgekehrten Fall hat er demgegenüber eine Verkürzung seiner Mitgliedschaftsrechte zu gewärtigen. Die Barabfindung bedarf der Prüfung nach § 208 i. V. m. § 30 Abs. 2 UmwG. Ist die Barabfindung zu niedrig bemessen oder nicht (ordnungsgemäß) angeboten worden, berechtigt dies nicht zur Klage (§ 210 UmwG); eine Überprüfung erfolgt vielmehr auch hier ausschließlich im Spruchverfahren (§ 212 UmwG). Das erfasst nach überzeugender neuerer Rechtsprechung des BGH, die durch das UMAG in § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG kodifiziert wurde, auch die Verletzung von Informations-, Auskunfts-225) oder Berichtspflichten im Zusammenhang mit der nach § 207 UmwG anzubietenden Barabfindung; diese Informationsmängel können daher ausschließlich im Spruchverfahren nach §§ 1 ff. SpruchG gerügt werden.226) Ob und wieweit diese Rechtsprechung auch auf Informationsmängel bei anderen vergleichbaren Strukturmaßnahmen zu erstrecken ist, war zunächst ungewiss.227) Durch die erwähnte Neuregelung in § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG hat der Gesetzgeber die Frage aber jedenfalls insoweit beantwortet, als es darauf ankommt, dass der Aktionär die Möglichkeit haben muss, die Bewertungsrüge im Spruchverfahren geltend zu machen. Im Hinblick auf die Möglichkeit, ein unangemessenes Barabfindungsgebot im Spruchverfahren überprüfen zu lassen, soll Aktionären auch kein Anspruch auf Vorlage des (besonderen) Prüfberichts zur Überprüfung ___________ 225) Zur Abtretbarkeit eines Auskunftsanspruchs zur Vorbereitung eines Abfindungsanspruchs nach § 44 Abs. 1 LwAnpG (oder eines Barabfindungsanspruchs) BGH ZIP 2000, 1444 = EWiR § 44 LwAnpG 1/01, 131 (Bayer/Rzesnitzek). 226) BGHZ 146, 179 (MEZ) = ZIP 2001, 199 = NJW 2001, 1425 = DStR 2001, 220 = NZG 2001, 574 = EWiR § 210 UmwG 1/01, 331 (Wenger) = LM UmwG Nr. 9 (Marsch-Barner) = BB 2001, 382 (Ls.) (Luttermann) = WuB II N. § 210 UmwG 1.01 (Witt) (ebenso die Vorinstanz OLG Karlsruhe NZG 1999, 604 = AG 1999, 470); BGH ZIP 2001, 412 (Aqua-Butzke) = NJW 2001, 1428 = WuB II N. § 210 UmwG 2.01 (Witt) (abw. die Vorinstanz KG NZG 1999, 508 = AG 1999, 126); anders noch OLG Koblenz ZIP 2001, 1093, 1094 (Diebels/ Reginaris I) (Rückläufer hinter BGH ZIP 1999, 580 = NJW 1999, 1638 = DStR 1999, 643 [Goette]); OLG Koblenz ZIP 2001, 1095, 1097 f. (Diebels/Reginaris II) = EWiR § 131 AktG 1/01, 205 (Hasselbach) (bezogen auf den Zustimmungsbeschluss zu einem Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag); dazu Henze, ZIP 2002, 97, 103; Hirte, ZHR 167 (2003), 8; Kleindiek, NZG 2001, 552; Sinewe, DB 2001, 690 f.; Vetter, in: Festschrift für Wiedemann (2002), S. 1323. 227) Hierzu Henze, ZIP 2002, 97, 103; Hirte, ZHR 167 (2003), 8; Kleindiek, NZG 2001, 552; Sinewe, DB 2001, 690 f.; Vetter, in: Festschrift für Wiedemann (2002), S. 1323.

505

§ 6 Satzungs- und Strukturänderungen

der Angemessenheit eines Barabfindungsangebots (§§ 208, 30 Abs. 2 Satz 2, § 12 UmwG) zustehen.228) dd)

Eintragung in das Handelsregister

6.218 Durch die nach der Beschlussfassung auf Antrag der Vertretungsorgane erfolgende Eintragung ins Handelsregister (§ 198 Abs. 1 UmwG) wird der Formwechsel wirksam (§ 202 UmwG). Damit wandeln sich die bisherigen Mitgliedschaften in solche der neuen Rechtsform um (§ 202 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 UmwG); aus dem bisherigen Stammkapital einer GmbH wird das Grundkapital der Aktiengesellschaft und umgekehrt (§ 247 Abs. 1 UmwG). Mit dem Eintragungsantrag müssen zugleich auch die Geschäftsleiter der Gesellschaft neuer Rechtsform zum Handelsregister angemeldet werden (§ 246 Abs. 2 UmwG). Der Umtausch der Beteiligungsrechte erfolgt nach § 248 UmwG. 6.219 Aufsichtsratsmitglieder bleiben für den Rest ihrer Wahlperiode im Amt, wenn der Aufsichtsrat beim Rechtsträger neuer Rechtsform in gleicher Weise wie bisher gebildet wird (§ 203 Satz 1 UmwG). Anstellungsverträge mit Geschäftsleitern gelten im Zweifel mit dem Inhalt des mit der früheren Gesellschaft geschlossenen Anstellungsvertrages fort.229) Offen ist allerdings, ob beim Formwechsel allgemein § 625 BGB mit der Folge einer möglichen unbefristeten Verlängerung eines Anstellungsvertrages anzuwenden ist oder ob der Anwendung dieser Norm die Kompetenzregeln hinsichtlich der Bestellung von Organmitgliedern entgegenstehen. b)

Gläubigerschutz

6.220 Die bei der Verschmelzung oder Spaltung auftretenden Gefährdungen der Gläubiger finden sich beim Formwechsel nicht; weder müssen sie mit hinzukommenden anderen Gläubigern konkurrieren, noch wird ihnen durch den Vorgang ein Teil ihrer Haftungsmasse entzogen. Eine Gefährdung der Gläubiger kann sich indes aus der unterschiedlichen Vermögensbindung bei den verschiedenen Gesellschaftstypen ergeben (dazu oben Rz. 5.77 ff.). Bei einem Formwechsel von der Aktiengesellschaft in die GmbH kann das mithin dazu führen, dass die Vermögensbindung gelockert und dazu genutzt wird, das bislang gebundene Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter auszuschütten. Die darin liegende Gefährdung der Gläubigerinteressen rechtfertigt eine besondere Sicherung. Unter Verweis auf

___________ 228) BGH ZIP 2001, 412 (Aqua Butzke-Werke AG) = NJW 2001, 1428 = WuB II N. § 210 UmwG 2.01 (Witt) (abw. die Vorinstanz KG NZG 1999, 508 = AG 1999, 126; wie hier die Eingangsinstanz LG Berlin ZIP 1997, 1065 = EWiR § 192 UmwG 1/97, 421 [Kiem]); krit. Hirte, ZHR 167 (2003), 8, 13. 229) BGH NJW 1997, 2319 = ZIP 1997, 1106 = DStR 1997, 932 (Goette) = LM H. 11/1997 § 622 BGB Nr. 7 (für Formwechsel einer AG in eine GmbH).

506

IV. Umwandlung

die verschmelzungsrechtlichen Vorschriften können die Gläubiger daher Sicherheit verlangen (§ 204 i. V. m. § 22 UmwG).230) Im umgekehrten Fall des Formwechsels von der GmbH in die Aktiengesellschaft 6.221 wird hingegen eine Gläubigergefährdung regelmäßig nicht vorliegen, zumal sich die Vermögensbindung zugunsten der Gläubiger verstärkt. Denkbar ist im Einzelfall aber eine Gefährdung durch den Wegfall der Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG bei nicht voll eingezahlten Geschäftsanteilen bzw. nach § 31 Abs. 6 GmbHG bei unerlaubten Ausschüttungen.

___________ 230) Zur hier geschilderten Gefährdung beim Formwechsel von der AG in die GmbH zustimmend Veil, Umwandlung einer AG in eine GmbH (1996), S. 242 f.; Semler/Stengel/Kalss § 204 UmwG Rz. 3; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 204 UmwG Rz. 1.

507

§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft Literatur: Grziwotz, Die Liquidation von Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Vereinen, DStR 1992, 1404; Hennrichs, Fortsetzung einer mangels Masse aufgelösten GmbH, ZHR 159 (1995), 593; Henze, Auflösung einer Aktiengesellschaft und Erwerb ihres Vermögens durch den Mehrheitsgesellschafter, ZIP 1995, 1473; Hüffer, Löschung und Beendigung einer GmbH, GmbHR 1988, 209; Hans-Friedrich Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002; Karsten Schmidt, Zur Ablösung des Löschungsgesetzes, GmbHR 1994, 829; Vallender, Auflösung und Löschung der GmbH, NZG 1998, 249; Wilhelm/Dreier, Beseitigung von Minderheitsbeteiligungen auch durch übertragende Auflösung einer AG?, ZIP 2003, 1369.

I.

Auflösung

1.

Allgemeines

Eine Kapitalgesellschaft kann unter bestimmten Voraussetzungen aufgelöst wer- 7.1 den. „Auflösung“ bedeutet dabei die Änderung des Gesellschaftszwecks: aus der „werbenden“ Gesellschaft, deren Zweck regelmäßig die Gewinnerzielung ist, wird eine Abwicklungs- oder Liquidationsgesellschaft, deren Zweck auf Beendigung des Geschäftsbetriebs gerichtet ist. Das heißt andererseits, dass mit der „Auflösung“ nicht etwa die Kapitalgesellschaft schon „entfallen“ oder sie ihre Existenz als Rechtssubjekt einbüßen würde. Das ist erst mit der „Beendigung“ der Fall, regelmäßig nach Abschluss der Liquidation (dazu unten Rz. 7.24 ff. und 7.43). Für Auflösung, Zahlungsunfähigkeit und ähnliche Verfahren bei einer Europä- 7.2 ischen Aktiengesellschaft verweist Art. 63 SE-VO auf das (gesamte) nationale Recht (zum Insolvenzrecht bereits oben Rz. 1.55).1) Nach nationalem Recht richtet sich daher auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen die Nichtigkeit einer SE eintreten kann. Bemerkenswert ist, dass das Entfallen der Grenzüberschreitung – soweit überhaupt möglich – anders als bei der EWIV (vgl. Art. 31 Abs. 3 i. V. m. Art. 4 Abs. 2 EWIV-VO) nicht zur Auflösung einer SE führt. 2.

Auflösungsgründe

Die Voraussetzungen, unter denen eine Kapitalgesellschaft aufgelöst wird oder 7.3 werden kann, ergeben sich in erster Linie aus dem Gesetz (§ 262 Abs. 1 AktG, § 60 Abs. 1 GmbHG). Danach ist zwischen zwei Arten von Auflösungsgründen zu unterscheiden: solchen, die auf einem freiwilligen Willensakt ihrer Gesellschafter beruhen, und solchen, die im öffentlichen Interesse liegen und daher zwingend sind. Der Gesellschaftsvertrag kann darüber hinaus jedenfalls ___________ 1)

Zur Insolvenz der SE Roitsch, Auflösung, Liquidation und Insolvenz der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) mit Sitz in Deutschland (Art. 63 – 65 SE-VO) (2006), sowie auf der Grundlage der Entwürfe der europäischen Rechtsakte Klaudia Kunz, Die Insolvenz der Europäischen Aktiengesellschaft (1995); zu den Organpflichten im Zusammenhang mit der Insolvenz J. Schmidt, NZI 2006, 627 ff.

509

§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft

in der GmbH weitere Auflösungsgründe festlegen (§ 60 Abs. 2 GmbHG); hier ist etwa an die Insolvenz eines Gesellschafters zu denken (dazu oben Rz. 4.85) oder an die Einräumung eines Kündigungsrechts an einen Gesellschafter. Für die Aktiengesellschaft ist die Zulässigkeit einer Erweiterung der gesetzlich normierten Kündigungsgründe im Hinblick auf § 23 Abs. 5 AktG umstritten.2) a)

Gründe für eine freiwillige Auflösung

7.4 Den systematisch wichtigsten gesetzlichen, auf einer Entscheidung der Gesellschafter beruhenden Auflösungsgrund bildet der Auflösungsbeschluss der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG). Er ist in der Aktiengesellschaft mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals bzw. in der GmbH der abgegebenen Stimmen zu fassen. Praktische Bedeutung erlangt er vor allem dann, wenn die Gesellschafter rechtzeitig (!) zu der Erkenntnis gelangen, dass das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen auf Dauer nicht mehr gewinnbringend betrieben werden kann. 7.5 Gegenstand einer intensiven wissenschaftlichen Debatte war die Frage, ob der Auflösungsbeschluss neben den formellen (Mehrheits-)Anforderungen auch noch sachlichen Kriterien nach dem Vorbild der Rechtsprechung zum Bezugsrechtsausschluss (dazu oben Rz. 6.30 ff.) genügen muss. Der BGH verneinte dies unter Hinweis darauf, dass den Gesellschaftern jederzeit die Möglichkeit verbleiben müsse, ihr Engagement in der Gesellschaft durch „Desinvestition“ zu beenden.3) 7.6 Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, dass die Auflösung auch gebzw. missbraucht werden kann, um Vermögenswerte – insbesondere auch das ganze von der Gesellschaft betriebene Unternehmen – im Rahmen der Vermögensverteilung einzelnen Gesellschaftern zukommen zu lassen.4) Damit können auch die für Vermögensübertragungen oder Umwandlungen sonst eingreifenden Schutzvorschriften zugunsten der (Minderheits-)Gesellschafter unterlaufen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat daher für eine solche „übertragende Auflösung“, also die Auflösung mit anschließender Übertragung der Aktiva auf einen der Gesellschafter, zunächst mit ungewöhnlicher Deutlichkeit festgestellt, dass dies sowohl die mitgliedschaftliche Stellung als auch die vermögensrecht___________ 2) 3) 4)

510

Gegen eine satzungsmäßige Erweiterung aus diesem Grunde Hüffer/Koch, § 262 AktG Rz. 7 (AG) m. w. N.; zur Satzungsautonomie in der Liquidation umfassend Sethe, ZIP 1998, 770. BGHZ 76, 352, 354 f. (GmbH). Unbedenklich nach OLG Stuttgart ZIP 1995, 1515 (MotoMeter) (Vorinstanz: LG Stuttgart ZIP 1993, 514). Nach OLG Stuttgart ZIP 1997, 362 (Moto Meter II) = EWiR § 361 AktG 1/97, 197 (Dreher/Neumann) kommt im Hinblick auf die zugleich erfolgte Vermögensübertragung nach § 179a AktG (früher § 361 AktG a. F.) auch kein Anspruch auf angemessene Abfindung im Spruchverfahren wie bei den Ausgleichsansprüchen anlässlich Eingliederung und Umwandlung in Betracht.

I. Auflösung

liche Position der dabei faktisch auszuschließenden Minderheitsaktionäre berühre. Soweit der Gesetzgeber ein solches Vorgehen ermögliche (was er dürfe), müsse er daher – so das BVerfG – entsprechende Schutzvorkehrungen zugunsten der Minderheit vorsehen. Die Eigentumsgarantie gebietet dabei nach Ansicht des BVerfG im Falle einer Hinausdrängung aus der Gesellschaft eine wirtschaftlich volle Entschädigung, deren Höhe von den Gerichten zu überprüfen ist, aber nicht notwendigerweise im Rahmen eines Spruchverfahrens.5) Der BGH hat in solchen Fällen zudem schon früher verlangt, dass alle Gesell- 7.7 schafter die gleiche Chance haben müssen, solche Vermögensgegenstände im Rahmen der Vermögensverteilung aus der Liquidationsmasse zu erwerben. Daran fehlt es bei einem Auflösungsbeschluss, wenn der Mehrheitsgesellschafter schon vor dem Beschluss Absprachen über eine Übernahme wesentlicher Teile des Gesellschaftsvermögens getroffen hat.6) Vor allem für nur geringfügig beteiligte Gesellschafter dürfte diese aus der Treuepflicht abgeleitete Forderung nach Chancengleichheit jedoch reine Theorie bleiben.7) Aufgelöst auf der Grundlage des Willens der Gesellschafter wird eine Kapitalge- 7.8 sellschaft auch mit Ablauf der in der Satzung bestimmten Zeit (§ 262 Abs. 1 Nr. 1 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG). Das setzt voraus, dass die Gesellschafter ihrer Gesellschaft in der ursprünglichen Satzung (oder später durch Satzungsänderung) eine von vornherein beschränkte Lebensdauer zugestanden haben. Praktisch wird dies vor allem bei Projektgesellschaften, etwa zur Durchführung von Olympischen Spielen, einer Weltausstellung oder der Organisation des Kulturbetriebs einer Kulturhauptstadt („Weimar 1999 – Kulturhauptstadt Europas GmbH“). Zur sofortigen Beendigung (ohne vorhergehende Liquidation!) führt die Ver- 7.9 schmelzung einer Kapitalgesellschaft nach den Vorschriften des UmwG, wenn es sich um eine Verschmelzung zur Neugründung handelt oder um eine Verschmelzung durch Aufnahme, bei der die Gesellschaft übertragender Rechtsträger ist (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG; dazu oben Rz. 6.110). Ebenso wird eine übertragende Gesellschaft im Falle einer Aufspaltung beendet (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Auch diese Beendigungstatbestände beruhen auf dem Willen der Gesellschafter; sie dürften unter den „freiwilligen“ Auflösungsgründen die größte Bedeutung haben. Beim Formwechsel besteht die Gesellschaft demgegenüber ___________ 5)

6) 7)

BVerfG ZIP 2000, 1670 (Moto Meter) = NJW 2001, 279 = NZG 2000, 1117 = DStR 2000, 1659 = EWiR Art. 14 GG 1/2000, 913 (Neye) (Vorinstanz OLG Stuttgart ZIP 1997, 362 = EWiR § 361 AktG 1/97, 197 [Dreher/Neumann]); zuvor Lutter/Drygala, in: Festschrift für Kropff (1997), S. 191 ff.; im Ergebnis ebenso für die Eingliederung OLG Karlsruhe NJW-RR 2001, 1326. BGHZ 103, 184 (Linotype) = ZIP 1988, 301 = NJW 1988, 1579 = EWiR § 262 AktG 1/88, 529 (Dreher); dazu Lutter, ZHR 153 (1989), 446. Für eine Missbrauchskontrolle durch „Zweckanalyse“ in solchen Fällen daher Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 143 f., 150 ff.

511

§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft

nach § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG in der anderen Rechtsform weiter, selbst wenn es sich bei der Zielrechtsform um eine Personengesellschaft handelt. b)

Insolvenzrechtliche Auflösungsgründe

7.10 Neben diese freiwilligen Auflösungstatbestände treten drei im öffentlichen Interesse statuierte Auflösungsgründe. Aufgelöst wird eine Kapitalgesellschaft nämlich nach § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG auch durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen (nicht das eines Gesellschafters) oder mit Rechtskraft eines Beschlusses, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse (§ 26 InsO) abgelehnt wird (§ 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG). Sie wird auch aufgelöst durch Löschung wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 FamFG) (§ 262 Abs. 1 Nr. 6 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 7; früher § 2 Abs. 1 LöschG). Die beiden letzten Gründe werden nach § 131 Abs. 2 HGB auch auf solche Handelsgesellschaften erstreckt, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter – auch mittelbar nicht – eine natürliche Person ist, insbesondere also die GmbH & Co. KG. In allen diesen Fällen richtet sich das weitere Verfahren nur sehr begrenzt nach den gesellschaftsrechtlichen Regeln, sondern nach dem Insolvenzrecht; es kann daher im Rahmen dieser Darstellung nur in Ansätzen vorgestellt werden (unten Rz. 7.44 ff.).8) c)

Sonstige Auflösungsgründe

7.11 Aufgelöst wird die Kapitalgesellschaft schließlich mit der Rechtskraft einer Verfügung des Registergerichts, durch die nach § 399 FamFG ein Mangel der Satzung festgestellt wurde (§ 262 Abs. 1 Nr. 5 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG). Ausdrücklich statuiert ist auch die Möglichkeit einer Auflösung im Verwaltungsrechtsweg wegen Gemeinwohlgefährdung nach § 396 AktG, § 62 GmbHG. Schließlich kann in der GmbH nach § 61 GmbHG eine Auflösungsklage vor allem dann erhoben werden, wenn ein wichtiger Grund in den Verhältnissen der Gesellschaft (oder auch der Gesellschafter) vorliegt. Hierzu kann auch ein unauflösbares Zerwürfnis zwischen den Gesellschaftern (vor allem bei einer Zweipersonengesellschaft) gehören.9) Als Alternative bieten sich hier freilich Regelungen im Gesellschaftsvertrag an, nach denen der eine Gesellschafter in einem solchen Fall verpflichtet ist, den anderen Gesellschafter abzufinden; dabei wird der Abfindungsbetrag dergestalt festgelegt, dass der Adressat des Abfindungsangebots seinerseits die Anteile des anderen übernehmen kann, wenn er mit dem gebotenen Preis nicht einverstanden ist, was mittelbar zum Angebot eines an___________ 8) 9)

512

Überblick auch bei Vallender, NZG 1998, 249. Zum Ganzen Reher, Die Zweipersonen-GmbH – Notwendigkeit eines Sonderrechts (2003), S. 111.

I. Auflösung

gemessenen Preises zwingt („Texan-Shoot-Out-Klauseln“).10) Das Schweizerische Bundesgericht hat für die Parallelfrage der Zulässigkeit einer Auflösungsklage im Schweizer Recht auch mangelnde Rentabilität der Gesellschaft als Auflösungsgrund angesehen.11) Nach § 61 Abs. 2 Satz 2 GmbHG kann die Klage aber nur von Gesellschaftern erhoben werden, die über mindestens 10 % des Stammkapitals verfügen.12) Auch bei der geschlossenen Aktiengesellschaft wird man die Möglichkeit einer Auflösungsklage analog § 61 GmbHG zulassen müssen.13) Aufgelöst wird eine Kapitalgesellschaft schließlich auch noch in einigen weiteren, 7.12 zumeist außerhalb der Gesellschaftsgesetze gesetzlich normierten Fällen, vor allem im Zusammenhang mit wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Maßnahmen (allgemein auch § 3 Abs. 1 Satz 1 a. E. i. V. m. § 17 VereinsG).14) Hierzu soll nach überwiegender Ansicht auch das Entstehen einer „Kein-Personen-Gesellschaft“, einer Gesellschaft ohne Gesellschafter, gehören. Auch in diesen Fällen richten sich die Rechtsfolgen und das weitere Verfahren nach den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen (ausdrücklich § 262 Abs. 2 AktG). Einen praktisch besonders wichtigen Fall der nicht gesetzlich geregelten Auf- 7.13 lösungsgründe bildete bislang schließlich die Verlegung des „effektiven Verwaltungssitzes“ einer Kapitalgesellschaft in das Ausland. Denn nach der früher herrschenden Auffassung zum deutschen internationalen Gesellschaftsrecht (dem Internationalen Privatrecht der Gesellschaften) war unausgesprochene Voraussetzung für die Existenz einer deutschem Recht unterliegenden Kapitalgesellschaft, dass ihre tatsächliche Geschäftsleitung den Sitz im Inland hat. Das wurde nach vielfach vertretener Meinung bis zum Inkrafttreten des MoMiG auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Verwaltungssitz in der Regel am Ort des Satzungssitzes zu liegen hatte (oben Rz. 2.59). Eine Verlegung dieses Verwaltungssitzes in das Ausland war der Gesellschaft daher bei Beibehal-

___________ 10) Zur Zulässigkeit solcher Klauseln und zu deren Vereinbarkeit mit § 723 Abs. 3 BGB OLG Nürnberg ZIP 2014, 171 = NJW-RR 2014, 418 = NZG 2014, 222 = EWiR 2014, 139 (Wachter) (inzwischen rkr.); Abt, in: Fett (Hrsg.), Handbuch Joint Venture (2010), Rz. 599; Fleischer/Schneider, DB 2010, 2713, 2716 f.; Hirte, NJW 2015, 1219, 1223 f.; Schulte/ Sieger, NZG 2005, 24, 28 f.; Währholz, GmbH-StB 2007, 84, 88; Wicke, ZGR 2012, 450, 482; für die GmbH auch Werner, GmbHR 2005, 1554, 1557; wohl auch Reher, Die ZweipersonenGmbH – Notwendigkeit eines Sonderrechts? (2003), S. 87; offenlassend MünchHdb GmbHBaumanns/Wirbel (3. Aufl. 2009), § 28 Rz. 62. 11) BGE 126 III 266 ff.; dazu Wohlmann, SZW/RSDA 2001, 154 f. 12) Für Subsidiarität der Auflösungsklage gegenüber der Möglichkeit des Austritts oder Ausschlusses BGHZ 80, 346, 348 (für den Fall einer möglichen Ausschließung); Grunewald, GesR, § 13 Rz. 208; enger (nur bei Austrittsmöglichkeit zu akzeptablen Bedingungen) Karsten Schmidt, GesR, § 38 IV 2 b, bb, S. 1198 f. 13) Überzeugend Becker, ZGR 1986, 383 (für den Ausschluss aus der AG). 14) Vgl. dazu Haas, in: Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 71 ff.; Hüffer/Koch, § 262 AktG Rz. 24.

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§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft

tung ihrer „Identität“ als juristischer Person nicht möglich; sie führte folglich zur Auflösung der Gesellschaft.15) 7.14 Nach früher herrschender Auffassung stand dieses Ergebnis auch im Einklang mit den durch den EG-Vertrag eingeräumten Grundfreiheiten.16) Schon seit den EuGH-Entscheidungen in den Sachen „Centros“17), „Überseering“ und „Inspire Art“ (zu den beiden letzteren oben Rz. 1.59) war allerdings möglicherweise eine abweichende Betrachtungsweise geboten.18) Entgegen dem Votum des Generalanwalts19) lehnte der EuGH aber Ende 2008 in der Rechtssache „Cartesio“ eine aus der Niederlassungsfreiheit der Artt. 43, 48 EG (heute Artt. 49, 54 AEUV) abzuleitende Wegzugsfreiheit für Gesellschaften ab.20) Diese Überlegungen, die Niederlassungsfreiheit auch auf den „Wegzug“ von Gesellschaften zu erstrecken, hatten zuvor vor allem auch durch eine andere Entscheidung des EuGH Auftrieb bekommen, in der dieser erklärt hatte, dass eine Regelung des (französischen) Außensteuergesetzes mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar sei, die im ___________ 15) BGHZ 78, 318, 334 = NJW 1981, 522, 525; BGHZ 97, 269, 271 f.; BayObLGZ 1992, 113 = ZIP 1992, 842 = EWiR § 3 GmbHG 1/92, 785 (Thode) (Verlegung von München nach London); OLG Hamm NJW-RR 1998, 615 = ZIP 1997, 1696 = WiB 1997, 1242 = GmbHR 1997, 848 = EWiR § 13h HGB 1/97, 1031 (Großfeld) (für Verlegung nach Luxemburg); OLG Düsseldorf ZIP 2001, 790 = NJW 2001, 2184 = NZG 2001, 506 = EWiR § 4a GmbHG 1/01, 581 (Niesert) (für Verlegung in die Niederlande); OLG Hamm ZIP 2001, 791, 792 f. = NJW 2001, 2183 = NZG 2001, 562 (für Verlegung nach England); abw. KG JW 1934, 996 (Gründungstheorie [in einer Strafsache]); offenlassend BayObLGZ 1986, 61 (Landshuter Druckhaus Ltd. & Co. KG) = NJW 1986, 3029, 3031 = ZIP 1986, 840 = GmbHR 1986, 305 = EWiR § 19 HGB 1/86, 595 (Bokelmann). 16) EuGH (Urt. v. 27.9.1988 – Rs. 81/87), Slg. 1988, 5483 (Daily-Mail) = NJW 1989, 2186. 17) EuGH (Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97), Slg. 1999, I-1459 (Centros) = ZIP 1999, 438 = NJW 1999, 2027 = DB 1999, 625 (Meilicke) = BB 1999, 809 (Sedemund) = NZG 1999, 298 (Leible) = IStR 1999, 253 = EWiR Art. 52 EGV 1/99, 259 (Neye) = DStR 1999, 772 (Ls.); dazu Ebke, JZ 1999, 656; Göttsche, DStR 1999, 1403 ff.; Kindler, Merkt, Kiem, Hemeling, Hillmann, in: VGR, Bd. 2 (2000), S. 88 ff.; Kindler, NJW 1999, 1993; Kieninger, ZGR 1999, 724; G. H. Roth, ZIP 1999, 861; W.-H. Roth, ZGR 2000, 311; Steindorff, JZ 1999, 1140; Werlauff, ZIP 1999, 867; Zimmer, ZHR 164 (2000), 23; ebenso OLG Frankfurt/M. ZIP 1999, 1710 (Nixtecs) = NJW-RR 2000, 1226 = EWiR § 50 ZPO 2/99, 1081 (Kindler); abw. zuvor noch BayObLG NJW-RR 1999, 401 = DB 1998, 2318 = EWiR § 13e HGB 1/99, 563 (Haack); zur (angeblich fehlenden) internationalen Zuständigkeit bei mitgliedschaftlicher Klage eines Gesellschafters gegen englische Gesellschaft mit tatsächlichem Verwaltungssitz im Inland LG München I NJW-RR 2000, 567. 18) Gegen eine Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft in das Ausland unter Berufung auf die Grundfreiheiten BayObLG ZIP 2004, 806 = NJW-RR 2004, 836 = NZG 2004, 1116 = DB 2004, 699 = DStR 2004, 1224 = BB 2004, 570, 571 m. krit. Anm. Wachter, EWiR Art. 43 EG 1/04, 375; zust. Weller, DStR 2004, 1218; abw. Triebel/von Hase, BB 2003, 2409 f. 19) EuGH (SchlA GA Poiares Maduro v. 22.5.2008 – Rs. C-210/06), ZIP 2008, 1067 (Ringe) (Cartesio); ausf. dazu etwa Knof/Mock, GPR 2008, 134, 136 ff. 20) EuGH (Urt. v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06), Slg. 2008, I-9641 Tz. 20 ff. = ZIP 2009, 24, 28 ff. (Knof/Mock) = NJW 2009, 569 = NZG 2009, 61 = EWiR Art. 43 EG 1/09, 141 (D. Schulz/ H. Schröder); dazu Teichmann, ZIP 2009, 393.

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I. Auflösung

Falle des Wegzugs (hier: einer natürlichen Person) zu einer Besteuerung stiller Reserven führe, ohne dass die entsprechenden Wertsteigerungen realisiert wurden.21) Diese Bedenken hat der EuGH zwischenzeitlich in der Rechtssache „National Grid Indus BV“ auch auf die Besteuerung von Kapitalgesellschaften erstreckt22) und in einem weiteren Fall auch eine portugiesische Regelung für europarechtswidrig gehalten, die nicht realisierte Wertzuwächse nur im Falle der Sitzverlegung über die Grenze einer Besteuerung unterwirft.23) Im MoMiG hat dem weiten Verständnis der Niederlassungsfreiheit – wenn auch jetzt doch nicht europarechtlich geboten – auch der deutsche Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er die früher in § 5 Abs. 2 AktG, § 4a Abs. 2 GmbHG enthaltenen Vorgaben für den Verwaltungssitz aufgehoben hat (oben Rz. 2.59); vollständige Mobilität (einschl. der Gründung einer deutschen Gesellschaft mit primärem Verwaltungssitz im Ausland) wird allerdings – was die gesetzliche Lage angeht – erst das geplante „Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen“24) schaffen, da nach dem MoMiG ein Umzug in einen Staat, der seinerseits der Sitztheorie folgt, noch nicht möglich ist.25) Die Auflösungsfolge dürfte sich auch – zumindest teilweise – durch die geplante 7.15 „Vierzehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts“ erledigen,26) sollte sie tatsächlich noch verabschiedet werden.27) Jedenfalls für die Europäische Aktiengesellschaft erlaubte die SE-Verordnung – wie schon Artt. 13, 14 EWIV-VO – schon früher die Verlegung des Gesellschaftssitzes in einen anderen Mitgliedstaat, ohne dass dies zur Auflösung der SE im Wegzugsstaat oder zur Neugründung einer juristischen Person im Zuzugsstaat geführt hätte (Art. 8 Abs. 1 SE-VO; zu den Einzel___________ 21) EuGH (Urt. v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02), Slg. 2004, I-2409 (de Lasteyrie du Saillant) = NJW 2004, 2439 = DStR 2004, 551 = ZIP 2004, 663 = EWiR Art. 43 EG 2/04, 801 (Korsten/ Bieniek); dazu Parleani, ECFR 2003, 379; im Vorfeld Triebel/von Hase, BB 2003, 2409, 2410; zur Übertragbarkeit auf Kapitalgesellschaften Kleinert/Probst, DB 2003, 2217, 2218. 22) EuGH (Urt. v. 29.11.2011 – C-371/10), Slg. 2011, I-12273 Tz. 46 ff. (National Grid Indus BV/Inspecteur van de Belastingdienst Rijmond/Kantoor Rotterdam) = ZIP 2012, 169 = DStR 2011, 2334 (Hruschka); dazu Biermeyer/Elsener/Timba, ECFR 2012, 101; Kessler/ Philipp, DStR 2012, 267; Schall/Barth, NZG 2012, 414. 23) EuGH (Urt. v. 6.9.2012 – Rs. C 38/10), ECLI:EU:C:2012:521 (Kommission/Portugal) = ZIP 2012, 1801 = EWiR Art. 49 AEUV 4/12, 681 (Behme). 24) RefE v. 7.1.2008 abrufbar unter www.bmj.bund.de; zu den Vorarbeiten Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts. Vorgelegt im Auftrag der zweiten Kommission des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht, Spezialkommission Internationales Gesellschaftsrecht (2007). 25) Kindler, AG 2007, 721, 722. 26) Vorentwurf v. 22.4.1997, abgedruckt in ZIP 1997, 1721; dazu auch das 10. Bonner EuropaSymposion am 24.4.1998 (Wiedergabe der Beiträge in ZGR 1999, 3 ff.); Meilicke, GmbHR 1998, 1053. 27) Zum Diskussionsstand Bayer/J. Schmidt, BB 2014, 1219, 1225.

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§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft

heiten Art. 8 Abs. 2 – 16 SE-VO). Allerdings ist mit einer Sitzverlegung in einen anderen EU-Staat zwingend ein Statutenwechsel hinsichtlich des ergänzend auf die SE anwendbaren nationalen Rechts verbunden, so dass sich die „Identität“ der Gesellschaft doch beträchtlich ändern kann.28) § 12 SEAG räumt den dissentierenden Aktionären im Fall eines „Wegzugs“ einen Anspruch auf angemessene Barabfindung ein, und § 13 SEAG gibt ihren Gläubigern einen Anspruch auf Sicherheitsleistung.29) 3.

Liquidationsverfahren

7.16 Eine aufgelöste Gesellschaft ist nach §§ 264 ff. AktG, §§ 70 ff. GmbHG abzuwickeln (zu „liquidieren“), sofern nicht über ihr Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde (§ 264 Abs. 1 AktG a. E., § 66 Abs. 1 GmbHG). Dann nämlich richtet sich die Abwicklung nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften, deren primäres Ziel die Befriedigung der Gläubiger ist (§ 1 Satz 1 InsO). Auch während der Zeit der Abwicklung gelten für die Gesellschaft grundsätzlich die Vorschriften für werbende Gesellschaften weiter; nur soweit in den §§ 264 ff. AktG, §§ 70 ff. GmbHG ausdrücklich etwas anderes angeordnet ist, werden die allgemeinen Regelungen durch die speziellen Vorschriften über die Abwicklung verdrängt (§ 264 Abs. 3 AktG, § 69 Abs. 1 GmbHG). Daher bleibt insbesondere die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft unberührt;30) und auch die Firma der Gesellschaft bleibt grundsätzlich unverändert, ihr ist aber nunmehr ein auf die Abwicklung hinweisender Zusatz hinzuzufügen, etwa „i. L.“ für „in Liquidation“ (für Angaben auf Geschäftsbriefen § 268 Abs. 4 Satz 1 AktG, § 71 Abs. 5 Satz 1 GmbHG; für die Zeichnung § 269 Abs. 6 AktG, § 68 Abs. 2 GmbHG). Auch auf eine etwaige Börsennotierung hat die Auflösung einer Aktiengesellschaft keinen Einfluss;31) anstelle der Aktien werden nunmehr lediglich die ex lege aus den Aktien entstandenen Liquidationsanteilscheine („Liquis“) gehandelt. a)

Abwicklungspflicht

7.17 Im Mittelpunkt der Abwicklung steht die Verpflichtung der Abwickler (zur Person der Abwickler sogleich Rz. 7.36), „die laufenden Geschäfte zu beenden, ___________ 28) Horn, DB 2005, 147; zur Vereinbarkeit dieser Lage mit den europäischen Grundfreiheiten Teichmann, ZGR 2003, 367, 399 f. 29) Zur Begründung ausführlich Kalss, ZGR 2003, 593, 607 ff.; Teichmann, ZGR 2003, 367, 398 f. sowie Neye/Teichmann, AG 2003, 169, 174 (zum DiskE); ausführlich Zang, Sitz und Verlegung des Sitzes einer Europäischen Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland, 2005. 30) BGH ZIP 2008, 1025 = NJW 2008, 2441; ausdrücklich für die Partei- und Prozessfähigkeit bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens OLG Zweibrücken ZIP 2003, 1954 f. = NZI 2003, 343. Zum (geringen) Umfang der amtswegigen Prüfungspflicht bei einem Entfallen der Partei- und Prozessfähigkeit im späteren Prozessverlauf BGHZ 159, 94 = ZIP 2004, 1662, 1664 f. = NJW 2004, 2523 = NZG 2004, 863. 31) Dazu ausführlich Schander/Schinogl, ZInsO 1999, 202 ff.; Warmer, Börsenzulassung und Insolvenz der Aktiengesellschaft (2009), S. 39 ff.

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I. Auflösung

die Forderungen einzuziehen, das übrige Vermögen in Geld umzusetzen und die Gläubiger zu befriedigen“ (§ 268 Abs. 1 Satz 1 AktG, ähnlich § 70 Satz 1 Halbs. 1 GmbHG). Gleichwohl dürfen die Abwickler auch neue Geschäfte eingehen, soweit dies mit dem Zweck der Abwicklung vereinbar ist (§ 268 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 70 Satz 2 GmbHG). Das kann dazu führen, dass die Abwicklung einer großen Gesellschaft viele Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte in Anspruch nimmt. Ein Extrembeispiel hierfür bildet die Liquidation der IG Farben, die 1950 durch Gesetz Nr. 53 der Alliierten Hohen Kommission aufgelöst wurde und deren Liquidation bis heute nicht beendet ist.32) Auch die Satzung kann während der Abwicklung grundsätzlich noch geändert 7.18 werden; allerdings können sich hier Grenzen aus dem Abwicklungszweck ergeben, zumal die Gesellschafter es in der Hand haben, die Abwicklung durch einen Fortsetzungsbeschluss zu beenden.33) Um das Abwicklungsverfahren für Gesellschafter und Gläubiger transparent zu 7.19 gestalten, statuiert § 270 Abs. 1 AktG, § 71 Abs. 1 GmbHG die Pflicht, auf den Zeitpunkt des Beginns der Abwicklung eine besondere „Eröffnungsbilanz“ aufzustellen. Auf diese sind die Vorschriften über den Jahresabschluss entsprechend anzuwenden, soweit sich nicht aus der beabsichtigten Veräußerung von Vermögensgegenständen des Anlagevermögens ein anderer Wertansatz ergibt (§ 270 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AktG, § 71 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GmbHG). Da die Abwicklung – wie angedeutet – längere Zeit in Anspruch nehmen kann, legen § 270 Abs. 1 AktG, § 71 Abs. 1 GmbHG ausdrücklich fest, dass auch für den Schluss der folgenden (Abwicklungs- bzw. Geschäfts-)Jahre jeweils Jahresabschlüsse aufzustellen sind. Diese sind ebenso wie die Eröffnungsbilanz allein von der Hauptversammlung (§ 270 Abs. 2 AktG; anders nach § 172 AktG für die werbende Gesellschaft: Mitwirkung des Aufsichtsrats) bzw. zwingend von der Gesellschafterversammlung (§ 71 Abs. 2 Satz 1 GmbHG; anders nach § 46 Nr. 1 GmbHG für die werbende Gesellschaft: dispositiv) festzustellen. Mit Beendigung der Abwicklung haben die Abwickler nach § 259 Abs. 1 BGB eine Schlussrechnung zu legen; diese bildet keinen Jahresabschluss mehr. Die entsprechende Pflicht wird in § 273 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 74 Abs. 1 Satz 1 GmbHG vorausgesetzt. Im Übrigen obliegen den Abwicklern dieselben Pflichten wie anderen Geschäfts- 7.20 leitern. Das gilt insbesondere für die Verpflichtung, bei Verlust der Hälfte des Grund- oder Stammkapitals die Haupt- oder Gesellschafterversammlung einzuberufen und bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag zu stellen; auch die Rechtsfolgen bei Verletzung dieser Pflichten entsprechen ___________ 32) Dazu und zum historischen Hintergrund Plumpe, Die I.G. Farbenindustrie AG (1990), S. 756 ff. 33) LG Berlin ZIP 1999, 1050: Sitzverlegung einer nach § 1 Abs. 1 LöschG (jetzt § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG) aufgelösten GmbH ist nur aus besonderen, im Interesse der Abwicklung liegenden Gründen möglich.

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§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft

denen der Geschäftsleiter einer werbenden Gesellschaft (dazu oben Rz. 3.113 ff.). Im Hinblick auf ihre Pflichten unterliegen die Abwickler einer Aktiengesellschaft der Entlastung durch die Hauptversammlung (§ 270 Abs. 2 AktG) bzw. in der GmbH zwingend durch die Gesellschafterversammlung (§ 71 Abs. 2 Satz 1 GmbHG). 7.21 Das nach Berichtigung der Verbindlichkeiten verbleibende Vermögen ist nach § 271 Abs. 1 AktG, § 72 Satz 1 GmbHG an die Gesellschafter zu verteilen. Diese „Liquidationsdividende“ bemisst sich grundsätzlich nach dem Verhältnis der Anteile am Grund- bzw. Stammkapital (§ 271 Abs. 2 AktG, § 72 Satz 2 GmbHG). b)

Gläubigerschutz

7.22 Durch die Vermögensverteilung im Rahmen der Abwicklung wird das den Gläubigern haftende Vermögen zugunsten der Gesellschafter „desinvestiert“. Der für die werbende Gesellschaft geltende Grundsatz der Kapitalerhaltung wird daher hier aufgegeben und durch andere Schutzmechanismen zugunsten der Gläubiger ersetzt. Die Abwicklung bildet insoweit das Spiegelbild zur Kapitalaufbringung. 7.23 Aus diesem Grunde haben die Abwickler zunächst die Gläubiger unter Hinweis auf die Auflösung aufzufordern, ihre Ansprüche bei der Gesellschaft anzumelden. Diese Aufforderung ist dreimal in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen (§ 267 AktG, § 65 Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Zudem darf die Vermögensverteilung erst stattfinden, wenn seit der dritten Bekanntmachung ein Jahr vergangen ist („Sperrjahr“; § 272 Abs. 1, § 73 Abs. 1 GmbHG); dadurch entsteht eine totale Ausschüttungssperre, auch bezüglich etwaiger im Liquidationsverfahren entstehender Gewinne.34) Verstöße hiergegen begründen einen Rückerstattungsanspruch der GmbH gegen ihre Gesellschafter analog § 31 GmbHG, der – im Gegensatz zur werbenden GmbH – nicht die Entstehung einer Unterbilanz als Folge der Auszahlung voraussetzt.35) Meldet sich ein bekannter Gläubiger nicht, sind die ihm zustehenden Beträge nach Möglichkeit zu hinterlegen (§ 272 Abs. 2, § 73 Abs. 2 GmbHG). Darüber hinaus sind bis zum Ablauf des Sperrjahrs die Kapitalerhaltungsvorschriften für die werbende Gesellschaft auch noch im Auflösungsstadium anwendbar. c)

Beendigung der Gesellschaft

7.24 Ist das Vermögen verteilt und die Schlussrechnung (dazu oben Rz. 7.19) gelegt, ist die Beendigung der Gesellschaft zum Handelsregister anzumelden und die ___________ 34) Zur Möglichkeit des Verzichts auf das Sperrjahr, wenn kein Vermögen mehr vorhanden ist, und die Gesellschaft daher auch von Amts wegen wegen Vermögenslosigkeit nach § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG i. V. m. § 394 FamFG gelöscht werden könnte, OLG Naumburg ZIP 2002, 1529 = DZWIR 2002, 435 (Keil). 35) BGH ZIP 2009, 1111, 1113 ff. Tz. 15 ff. = NZG 2009, 659 = ZInsO 2009, 1018 = DStR 2009, 1272 = EWiR § 73 GmbHG 1/09, 539 (Schult/Wahl).

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I. Auflösung

Gesellschaft zu löschen (dazu unten Rz. 7.43). Ihre Existenz als juristische Person endet aber nach der Lehre vom Doppeltatbestand nur, wenn die Gesellschaft sowohl im Register gelöscht wurde als auch kein Vermögen mehr besitzt.36) Erst dann verliert eine Kapitalgesellschaft auch ihre Parteifähigkeit im Prozess.37) 7.25 Ihre Löschung allein führt daher nicht zwingend dazu, dass eine von ihr oder gegen sie erhobene Klage unzulässig wird. Die (Aktiv-)Klage, mit der vermögenswerte Rechte geltend gemacht werden, ist daher keinesfalls unzulässig.38) Auch die Klage einer durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen GmbH wird aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht dadurch unzulässig, dass die GmbH während des Rechtsstreits von Amts wegen gelöscht wird.39) Da der Kläger bei einem gegen eine Kapitalgesellschaft (im „Passivprozess“) ge- 7.26 führten Rechtsstreit ohne sein Zutun um das bisherige Prozessergebnis gebracht werden könnte, ist der Prozess bei Löschung der beklagten Kapitalgesellschaft mindestens dann fortzusetzen, wenn der Kläger behauptet, dass die Gesellschaft noch über Vermögenswerte verfügt, die sich etwa aus Insolvenzverschleppung ergeben können.40) Richtigerweise wird man aber auch den bloßen Antrag auf Verfahrensfortsetzung ausreichen lassen müssen, da entsprechende Behauptungen notwendig „ins Blaue“ hinein gehen müssten, andererseits aber der Kläger am Löschungsverfahren nicht beteiligt ist und ihm daher dort kein rechtliches Gehör zustand.41) Für eine automatische Vermutung noch vorhandener Vermögenswer___________ 36) BGH NJW-RR 1988, 477 = ZIP 1988, 247 = KTS 1988, 326 = EWiR § 50 ZPO 1/88, 409 (Weipert); BGH ZIP 2000, 1896, 1897 f. = NJW 2001, 304 = DStR 2000, 1831 = NZG 2000, 1222 = EWiR § 64 GmbHG 3/2000, 1159 (Keil) = LM § 64 GmbHG Nr. 19 (Noack/ Bunke); BAG NJW 1988, 2637 = KTS 1988, 531; OLG Stuttgart ZIP 1986, 647, 648 = EWiR § 70 GmbHG 1/86, 593 (Günther); OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 176 (für behauptete Forderung der Gesellschaft, gegen die deren Schuldner mit übersteigender Forderung aufrechnet); LG Meiningen ZIP 1999, 453 = EWiR § 2 LöschG 1/99, 1073 (von Gerkan) (für eine unangemeldet gelöschte GmbH); Erle, GmbHR 1997, 973, 981; Heller, Die vermögenslose GmbH (1989), S. 84 f., 128, 156; Hönn, ZHR 138 (1974), 50, 69; Karsten Schmidt, GesR § 11 V 6, S. 324 ff.; ders., GmbHR 1988, 209, 211; Uhlenbruck/Hirte, § 11 InsO Rz. 46; abw. RGZ 149, 293, 296; RGZ 155, 42, 43 f.; RGZ 156, 23, 26 f.; BGH WM 1957, 975; BGHZ 48, 303, 307 = NJW 1968, 297; BGHZ 74, 212, 213 = NJW 1979, 1592; BGH NJW-RR 1994, 542 re.Sp. = KTS 1994, 359 (implizit); Bokelmann, NJW 1977, 1130 (Ende der juristischen Person allein durch Vermögens-losigkeit; deklaratorische Wirkung des Registereintrags); BGH WM 1986, 145 (obiter für Gen); Ulmer, in: GroßK-GmbHG, § 60 Rz. 94; Hüffer/Koch, § 262 AktG Rz. 23, § 273 AktG Rz. 6 f. 37) OLG Rostock ZIP 2001, 1590, 1592 = NJW-RR 2002, 828 = NZG 2002, 94 = EWiR § 50 ZPO 1/02, 171 (Vollkommer) (Vorinstanz LG Rostock ZIP 1999, 1852). 38) Für das Erfordernis der Bestellung eines Nachtragsliquidators in diesem Fall BayObLG ZIP 2002, 1845. 39) BFH NJW-RR 2001, 244; OLG Hamburg NJW-RR 1997, 1400; im Anschluss an BGH NJW-RR 1994, 542 = GmbHR 1994, 260. 40) Zuletzt BGH ZIP 2010, 2444 Tz. 13 f., 22 = DStR 2010, 2643 = EWiR § 35 GmbHG 1/11, 17 (Zarth) (substantiierte Behauptung noch vorhandenen Vermögens). 41) So für Österreich OGH (22.10.1998) NZG 1999, 663, 665 f.

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§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft

te ist andererseits auch kein Raum. Der Kläger kann daher auch eine Erledigungserklärung (gegebenenfalls mit der Folge des § 91a ZPO) abgeben, um das Verfahren zu beenden und keine weitere eigene Kostenbelastung zu riskieren.42) 7.27 Stellt sich nachträglich heraus, dass weitere Abwicklungsmaßnahmen nötig sind, so hat das Gericht auf Antrag eines Beteiligten die bisherigen Abwickler neu zu bestellen oder andere Abwickler zu berufen (§ 273 Abs. 4 AktG, für GmbH analog). Eine solche Nachtragsliquidation wird vor allem dann erforderlich, wenn sich neue Vermögensgegenstände finden, die vor der Beendigung der Abwicklung unbekannt waren; sie geht der – theoretisch denkbaren – Möglichkeit einer Amtslöschung der vom Abwickler zuvor angemeldeten Löschung vor.43) Erhebliche Bedeutung haben diese Bestimmungen für aufgelöste Gesellschaften in den alten (und neuen!) Bundesländern erlangt, zu deren Gunsten im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung (mögliche) Ansprüche auf Rückgabe von oder Entschädigung für früheres Vermögen in den jetzigen neuen Bundesländern entstanden waren. d)

Fortsetzung der Gesellschaft

aa)

Freiwillige Auflösung

7.28 Eine durch Gesellschafterbeschluss oder wegen Zeitablaufs aufgelöste Gesellschaft kann nach § 274 Abs. 1 Satz 1 AktG (für GmbH analog44)) fortgesetzt werden, solange noch nicht mit der Verteilung des Vermögens an die Gesellschafter begonnen wurde (zur Fortsetzung bei Auflösung im öffentlichen Interesse unten Rz. 7.31 ff.). Der Beschluss bedarf mindestens einer qualifizierten Mehrheit des vertretenen Grund- oder Stammkapitals (§ 274 Abs. 1 Satz 2 AktG, bei GmbH analog). 7.29 Wurde bereits mit der Vermögensverteilung begonnen, kann bei der GmbH die Fortsetzung beschlossen werden, wenn die Gesellschafter entweder nur Vermögen verteilt haben, das oberhalb der Ziffer des Stammkapitals liegt, oder das Vermögen wieder in Höhe des Stammkapitals aufgefüllt haben. Andernfalls ließen sich die Kapitalerhaltungsvorschriften auf dem Weg über die Auflösung umgehen. Die Dinge liegen insoweit ähnlich wie bei der Mantelgründung (dazu ___________ 42) BGH NJW 1982, 238 = ZIP 1981, 1268 (für KG und Komplementär-GmbH: Löschung = erledigendes Ereignis); LG Mainz NJW-RR 1999, 1716; LG Braunschweig NJW-RR 1999, 1265 (Behauptung vorhandenen Vermögens reicht im Verfahren über eidesstattliche Versicherung); enger noch BGHZ 74, 212 = JZ 1979, 566 (Theil) (e. V.); abw. OLG Hamm NJW-RR 1988, 1307 (gesamter Rechtsstreit mangels Kostenschuldners erledigt); weitergehend OLG Koblenz NJW-RR 1999, 39 = ZIP 1998, 967; Bork, JZ 1991, 841, 848 ff. unter Hinweis auf den immer erst mit Abschluss des Verfahrens entstehenden Kostenerstattungsanspruch der beklagten Gesellschaft. 43) OLG Hamm NJW-RR 2002, 324. 44) OLG Schleswig (v. 1.4.2014 – 2 W 89/13), ZIP 2014, 1428 f. = NZI 2014, 625 = NZG 2014, 698 = ZInsO 2014, 1449: nicht mehr nach der Schlussverteilung (n. rkr.).

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I. Auflösung

oben Rz. 2.46 ff.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Registerrichter bei Eintragung des Fortsetzungsbeschlusses zu überprüfen.45) Vor Beginn der Vermögensverteilung ist ein Fortsetzungsbeschluss demgegen- 7.30 über unproblematisch; entscheidend ist hier nur, dass es an einer Überschuldung fehlt, die eine Pflicht zur Insolvenzantragstellung begründen würde. Unter dieser Voraussetzung kann die aufgelöste Gesellschaft auch auf eine andere Gesellschaft verschmolzen werden (§ 3 Abs. 3 UmwG).46) bb)

Sonstige Auflösungsgründe

Ob und unter welchen Voraussetzungen auch in den Fällen einer Auflösung im 7.31 öffentlichen Interesse eine Fortsetzung beschlossen werden kann, ist teilweise ungeklärt.47) Ausdrücklich vorgesehen ist die Möglichkeit der Fortsetzung dabei nur für den 7.32 Fall einer Auflösung durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn das Verfahren auf Antrag des Schuldners eingestellt oder nach der Bestätigung eines Insolvenzplans, der den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht, aufgehoben worden ist (§ 274 Abs. 2 Nr. 1 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 GmbHG).48) Gleiches gilt für den Fall der gerichtlichen Feststellung eines Mangels der Satzung (§ 274 Abs. 2 Nr. 2 AktG).49) Umstritten ist, ob eine Fortsetzung auch in anderen Fällen insolvenzrecht- 7.33 licher Verfahrensbeendigung möglich ist, nämlich bei Aufhebung nach § 200 InsO nach Abhaltung des Schlusstermins oder bei Einstellung des Verfahrens mangels Masse nach § 207 InsO.50) Entscheidend ist hier (nur), dass im insolvenzrechtlichen Sinne mindestens ein die Schulden deckendes Vermögen vorhanden sein muss. Denn dagegen, dass darüber hinaus auch das Stammkapital angegriffen wird, werden die Gläubiger, wenn keine Vermögensverteilung an die Gesellschafter im Rahmen eines Liquidationsverfahrens stattfindet, nur durch das Verbot von (weiteren) Auszahlungen, nicht aber durch Wiederein___________ 45) RGZ 118, 337, 340 f.; Erle, GmbHR 1997, 973, 975 f., 979 f.; Hennrichs, ZHR 159 (1995), 593, 607; beide m. N. der wohl noch herrschenden Gegenansicht. 46) BayObLG NJW-RR 1998, 902 = ZIP 1998, 739 = EWiR § 3 UmwG 2/98, 515 (Kiem); abw. für den Fall, dass eine Fortsetzung nicht mehr beschlossen werden kann KG NJW-RR 1999, 475. 47) Überblick über den Streitstand bei Uhlenbruck/Hirte, § 11 InsO Rz. 153 ff. 48) Dazu Halm/Linder, DStR 1999, 379 f. 49) Zur entsprechenden Lage im GmbH-Recht Halm/Linder, DStR 1999, 379, 381. 50) Ablehnend OLG Köln NJW 1959, 198, 199 = KTS 1958, 175; Haas, in: Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 95; Hofmann, GmbHR 1975, 217, 226; für eine Fortsetzungsmöglichkeit Ulmer, in: GroßK-GmbHG, § 60 Rz. 147 (bei Beseitigung der rechnerischen Überschuldung); Scholz/Karsten Schmidt/Bitter, vor § 64 GmbHG Rz. 179 f. (sofern noch ausreichendes Vermögen vorhanden ist).

521

§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft

lagepflichten geschützt.51) Wird ein die Schulden deckendes Vermögen – von den Mitgliedern oder von Dritten – zugeführt, steht der Möglichkeit einer Fortsetzung nichts entgegen. Ansonsten ist das Restvermögen zu versilbern, um seinen Gegenwert unter die Gläubiger zu verteilen. Eine wirtschaftliche Neugründung (dazu oben Rz. 2.47 f.) ist in einem solchen Vorgehen so lange nicht zu sehen, wie nicht zugleich die Gesellschafter wechseln. 7.34 Ebenso umstritten ist, ob eine Fortsetzung durch Gesellschafterbeschluss möglich ist, wenn die juristische Person nach rechtskräftigem Abweisungsbeschluss nach § 26 InsO aufgelöst worden ist (§ 394 Abs. 1 Satz 2 FamFG).52) Entscheidend ist auch hier, dass die aufgelöste Kapitalgesellschaft für die Fortsetzung mindestens den Insolvenzgrund beseitigt. Eine Fortsetzung soll nach überwiegender Ansicht schließlich dann ausscheiden, wenn die juristische Person wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 Abs. 1 Satz 1 FamFG im Register gelöscht worden ist.53) 7.35 Auch hier kann nichts anderes gelten. Ein ausreichender Vermögensbestand wird allerdings in der Praxis nur dann anzutreffen sein, wenn sich nach Durchführung des Löschungsverfahrens bislang unbekannte Vermögenswerte finden. Verneint man die Fortführungsmöglichkeit, ist es den Mitgliedern (Gesellschaftern) auch in jedem Fall unbenommen, noch während des Insolvenzverfahrens bzw. vor Rechtskraft des Beschlusses über die Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens mangels Masse (§ 26 InsO) der juristischen Person neues Kapital zuzuführen, um damit den Insolvenzgrund oder die Vermögenslosigkeit zu beseitigen. 4.

Abwickler

7.36 Durchgeführt wird die Liquidation von den Abwicklern (oder Liquidatoren). Diese Rolle wird regelmäßig von den Vorstandsmitgliedern bzw. Geschäftsführern als „geborenen“ Liquidatoren eingenommen (§ 265 Abs. 1 AktG, § 66 Abs. 1 GmbHG). Durch Satzung, Haupt- oder Gesellschafterversammlungsbeschluss können aber auch andere Personen zu Abwicklern bestellt werden; im Gegensatz zum Insolvenzverfahren (§ 56 Abs. 1 InsO) kommen dabei auch juristische ___________ 51) Erle, GmbHR 1997, 973, 978 f.; abw. RGZ 118, 337, 340, das zusätzlich noch die Unversehrtheit des satzungsmäßigen Stammkapitals gefordert hatte (aber für den Fall einer Auflösung durch Gesellschafterbeschluss). 52) Gegen Fortsetzungmöglichkeit BGHZ 75, 178, 180 = NJW 1980, 233 (AG); KG ZIP 1993, 1476 = EWiR 1/93, 893 (Winkler); BayObLGZ 94, 341 = NJW 1994, 594 = KTS 1994, 193; Halm/Linder, DStR 1999, 379, 380; Hennrichs, ZHR 159 (1995), 593, 608 (bei analoger Anwendung der Gründungsvorschriften und registergerichtlicher Überprüfung); differenzierend Haas, in: Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 96, Anh. § 77 GmbHG Rz. 12 ff.; abw. LG Berlin BB 1971, 759, 760; Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Rz. 99. 53) Gegen Fortsetzungmöglichkeit OLG Düsseldorf GmbHR 1979, 227; Haas, in: Baumbach/ Hueck, § 60 GmbHG Rz. 98; Halm/Linder, DStR 1999, 379, 381 f.; Ulmer, in: GroßKGmbHG, Anh. § 60 Rz. 129; abw. RGZ 156, 23, 27; Erle, GmbHR 1997, 973, 981.

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I. Auflösung

Personen in Betracht (§ 265 Abs. 2 AktG, arg. § 66 Abs. 1 GmbHG: „andere Personen“, nicht nur natürliche). Eine Neubestellung von Abwicklern durch den Aufsichtsrat ist aber durch § 265 Abs. 2 AktG ausgeschlossen.54) Auf Antrag des Aufsichtsrats (sofern vorhanden) oder einer Gesellschafterminderheit können die Abwickler bei Vorliegen eines wichtigen Grundes auch durch das Gericht bestellt werden (§ 265 Abs. 3 und 4 AktG, § 66 Abs. 2 GmbHG). Mit Ausnahme der gerichtlich bestellten Abwickler steht der Haupt- oder Gesellschafterversammlung das jederzeitige Abberufungsrecht zu (§ 265 Abs. 5 Satz 1 AktG, § 66 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Das Gericht kann demgegenüber unter den in § 265 Abs. 3 AktG, § 66 Abs. 3 Satz 1 GmbHG normierten Voraussetzungen jeden Liquidator abberufen. Liquidatoren für eine im Handelsregister bereits gelöschte GmbH können immer nur 7.37 durch das Gericht bestellt werden. Das gilt nach Auffassung des BayObLG unabhängig davon, ob die Gesellschaft vermögenslos ist bzw. war und damit nach der – heute wohl herrschenden – Auffassung tatsächlich vollbeendigt wurde.55) Wird ein durch Gesellschafterbeschluss bestellter Liquidator gerichtlich abberufen (oben Rz. 7.36), steht neben der Gesellschaft auch dem einzelnen Gesellschafter, der an der Bestellung mitgewirkt hatte, ein Beschwerderecht zu.56)

Vom geänderten Gesellschaftszweck abgesehen, entspricht die Rechts- und Pflich- 7.38 tenstellung der Abwickler, insbesondere hinsichtlich der Geschäftsführungsbefugnis, derjenigen der Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer (§ 268 Abs. 2 Satz 1 AktG i. V. m. § 93 AktG, §§ 71 Abs. 4 i. V. m. § 43 GmbHG); wie die Vorstandsmitglieder unterliegen die Abwickler einer Aktiengesellschaft auch der Überwachung durch den Aufsichtsrat (§ 268 Abs. 2 AktG). Lediglich das Wettbewerbsverbot des § 88 AktG greift für die Abwickler nicht (§ 268 Abs. 3 AktG); doch kann (selbstverständlich) im Anstellungsvertrag anderes vereinbart werden. Den Abwicklern obliegt auch die Vertretung der Gesellschaft (§ 269 Abs. 1 7.39 AktG, § 70 Satz 1 Halbs. 2 GmbHG). Dabei ist von Gesamtvertretungsbefugnis auszugehen, wenn nicht die Satzung „oder die sonst zuständige Stelle“ etwas anderes bestimmt (§ 269 Abs. 2 Satz 1 AktG, in der Sache ebenso § 68 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). In Betracht kommen hier insbesondere Einzelvertretung oder auch unechte Gesamtvertretung (§ 269 Abs. 2 und 3 AktG, nicht ausdrücklich im GmbHG geregelt). „Sonst zuständige Stellen“ sind im Aktienrecht in den Fällen der § 265 Abs. 2 und 3 AktG die Hauptversammlung oder das Gericht; in der GmbH kommt alternativ nur das Gericht in Betracht. Ist in der Satzung einer Kapitalgesellschaft die stete Einzelvertretungsbefugnis meh- 7.40 rerer Geschäftsführer niedergelegt, so wird überwiegend angenommen, dass diese auch

___________ 54) Anders ist dies – mangels Abwicklung – im Insolvenzverfahren: OLG Nürnberg NJW-RR 1992, 230, 232 (Maxhütte) = ZIP 1991, 1020, 1021 = EWiR § 12 MontMitbestG 1/91, 1007 (K. Müller). 55) BayObLG ZIP 1998, 421 = NJW-RR 1998, 1333; OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2000, 491. 56) OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 37 = ZIP 1998, 1534 = EWiR § 66 GmbHG 1/98, 1091 (Bokelmann).

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§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft

beim (geborenen) Liquidator gegeben ist. Nach Ansicht des BayObLG gilt dies jedoch nicht, wenn die Satzung nur eine Ermächtigung für die Gesellschafterversammlung enthält, eine solche Befugnis zu erteilen. Aufgrund dieser Abhängigkeit von der Gesellschafterentscheidung könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine einmal erteilte Einzelvertretungsbefugnis auch nach einem so tiefgreifenden Ereignis wie der Auflösung der Gesellschaft weitergelten solle; vielmehr bedürfe es hierzu dann einer erneuten Beschlussfassung der Gesellschafter.57) Für die Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens entschied dasselbe Gericht jedoch, dass dieses im Zweifel auch für die Liquidatoren gelten solle.58)

7.41 Im Übrigen ist die Vertretungsmacht der Abwickler unbeschränkt und unbeschränkbar (§ 269 Abs. 5 AktG, § 71 Abs. 4 i. V. m. § 37 Abs. 2 GmbHG). Eine Beschränkung auf den Abwicklungszweck ist daher weder von Gesetzes wegen vorgesehen noch durch Satzungsgestaltung möglich. 5.

Eintragungen

7.42 Die Auflösung der Gesellschaft ist vom Vorstand zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Das gilt nur dann nicht, wenn die Auflösung aus einem der genannten im öffentlichen Interesse liegenden Gründe erfolgt, insbesondere also bei den insolvenzbezogenen Gründen; denn in diesen Fällen teilt das Insolvenzgericht dem Registergericht den Auflösungstatbestand von Amts wegen mit (§ 31 InsO), so dass es einer Anmeldung der Auflösung nicht mehr bedarf (§ 263 AktG, § 65 Abs. 1 GmbHG). Zwar gilt für die Eintragung der Auflösung grundsätzlich auch § 15 HGB; doch bleibt die Norm regelmäßig ohne Wirkung, da die Rechtsfolgen der Auflösung für Dritte ohne Belang sind, insbesondere keine Beschränkung der Vertretungsmacht auf Abwicklungsgeschäfte eintritt (oben Rz. 7.41). Für die Eintragung einer insolvenzbedingten Auflösung gilt § 15 HGB zudem kraft Gesetzes nicht (§ 32 Abs. 2 Satz 2 HGB). Anzumelden zum Handelsregister sind auch die Abwickler einschließlich ihrer Vertretungsbefugnis sowie Änderungen dieser Umstände (§ 266 Abs. 1 AktG, § 67 Abs. 1 GmbHG).59) 7.43 Anzumelden ist schließlich die Beendigung der Abwicklung nach Vorlage der Schlussrechnung (§ 273 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 74 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Als deren Folge ist die Gesellschaft im Handelsregister zu löschen (§ 273 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 74 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Im Falle eines Fortsetzungsbeschlusses ist auch dieser zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 274 Abs. 3 Satz 1 AktG, im GmbH-Recht analog). Dabei haben die Abwickler bei der Aktiengesellschaft im Interesse der Gläubiger zusätzlich zu versichern, dass ___________ 57) BayObLG ZIP 1996, 2110 (GmbH); ebenso für die BGB-Gesellschaft OLG Köln NJW-RR 1996, 27. 58) BayObLG NJW-RR 1996, 611; ebenso OLG Zweibrücken NJW-RR 1999, 38; abw. OLG Hamm NJW-RR 1998, 1044. 59) Zur Eintragungspflicht der „abstrakten“ Vertretungsregelung (also derjenigen, die auch ein mehrköpfiges Organ umfasst) selbst bei Bestellung nur eines einzelnen Liquidators BGH ZIP 2007, 1367.

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II. Insolvenzrechtliche Auflösung

noch nicht mit der Vermögensverteilung an die Gesellschafter begonnen wurde; zudem wird dort der Beschluss anders als die anderen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Abwicklung erst mit der Eintragung in das Handelsregister wirksam (§ 274 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 AktG). II.

Insolvenzrechtliche Auflösung

Die Auflösung aus einem der vorgestellten insolvenzbezogenen Gründe bildet 7.44 rechtstatsächlich den Schwerpunkt der Auflösungsgründe. Wie bereits angesprochen, richtet sich in diesen Fällen das weitere Verfahren aber nur sehr begrenzt nach den gesellschaftsrechtlichen Regeln, sondern vielmehr nach dem Insolvenzrecht. Das soll hier nicht vertieft werden.60) 1. Gesellschaftsrechtliche Vollabwicklungspflicht nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber das Vorgehen nach Beendigung des 7.45 Insolvenzverfahrens. Das Insolvenzverfahren ist nämlich nach neuem Insolvenzrecht auf eine (auch gesellschaftsrechtliche) Vollabwicklung ausgerichtet. Die dies ursprünglich statuierende Norm des § 1 Abs. 2 Satz 3 RegE InsO wurde im Gesetzgebungverfahren zwar gestrichen; gleichwohl leitet die ganz herrschende Meinung dieses Ziel auch aus der Gesetz gewordenen Fassung der InsO ab.61) Verwiesen wird dabei insbesondere auf § 199 Satz 2 InsO, nach dem der Verwalter 7.46 jeder am Schuldner beteiligten Person den Teil des Überschusses herauszugeben hat, der ihr bei einer Abwicklung außerhalb des Insolvenzverfahrens zustünde. Das bedeutet zunächst, dass mit Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens die zuvor beschriebene gesellschaftsrechtliche Abwicklung einzuleiten ist und die Geschäftsleiter nunmehr auch zu Abwicklern werden; sie sind daher grundsätzlich auch zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden (§ 265 Abs. 1 AktG, § 67 Abs. 1 GmbHG). Auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Kapitalge- 7.47 sellschaft ist deren vertretungsberechtigtes Organ und nicht der Insolvenzverwalter zur Rechnungslegung verpflichtet und damit Adressat der Verpflichtung zur Offenlegung des Jahresabschlusses nach § 325 Abs. 1 HGB.62) Da die Rechnungslegungs-

___________ 60) Umfassend Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz (1997); Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Uhlenbruck/Hirte, § 11 InsO. 61) Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Rz. 85 ff.; Karsten Schmidt, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (2. Aufl. 1999), S. 1199, 1209 Rz. 20 (so nicht mehr in 3. Aufl. 2009); Uhlenbruck/Hirte, § 11 InsO Rz. 148 ff. 62) LG Bonn ZIP 2008, 1082 = EWiR § 155 InsO 1/2008, 443 (Weitzmann); LG Bonn ZInsO 2008, 630; LG Bonn ZIP 2009, 1242; LG Bonn ZIP 2009, 1387 f.; LG Bonn ZIP 2009, 2107 f. = NZG 2010, 193; dazu Pink/Fluhme, ZInsO 2008, 817; zust. Heni, ZInsO 2009, 510 ff.; Weitzmann, ZInsO 2008, 662; abw. Hirte, in: Festschrift für U. H. Schneider (2011), S. 533, 534 ff.; ders., ZInsO 2011, 449, 455; de Weerth, NZI 2008, 711; zum Ganzen auch Undritz/Zak/Vogel, DZWIR 2008, 353, 357 f.

525

§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft

pflicht in Bezug auf die Insolvenzmasse aber ebenso wie die steuerrechtlichen Pflichten nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter zu erfüllen sind (§ 155 Abs. 1 Satz 2 InsO), trifft die gesetzlichen Vertreter kein Verschulden, wenn sie die handelsrechtlichen Offenlegungspflichten mangels Zugriffs auf die Masse nicht erfüllen (können); der Verwalter ist andererseits wie bei § 11 WpHG nur im Innenverhältnis verpflichtet.63) Verfahren wegen Verstößen gegen § 325 HGB gegen die gesetzlichen Vertreter insolventer Gesellschaften oder solcher, gegen die ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet werden konnte, werden vom Bundesamt für Justiz daher inzwischen im Anschluss an die entsprechende Rechtsprechung des LG Bonn eingestellt.64) Gegen den Insolvenzverwalter kann ebenfalls kein Ordnungsgeld nach § 335 HGB verhängt werden, weil ihn die Verpflichtung zur handelsrechtlichen Rechnungslegung nicht im Außenverhältnis trifft; ob andere Sanktionen – etwa seitens des Insolvenzgerichts – in Betracht kommen, brauchte das LG Bonn bislang nicht zu entscheiden. Der vom LG Bonn entwickelte Lösungsansatz ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil das LG Bonn für Verfahren gegen das Bundesamt für Justiz zuständig ist, das seit Inkrafttreten des Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) zum 1. Januar 2007 für die Überwachung der Handelsregisterpublizität zuständig ist. 7.48 Der Insolvenzverwalter, der während des Insolvenzverfahrens sämtliche Geschäftsunterlagen und Geschäftsbücher der Schuldner-AG in Besitz zu nehmen und die Bücher zu verwalten hat, hat die Geschäftsbücher nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich wieder an die Verfahrensschuldnerin zurückzugeben, soweit sie nicht für eine Nachtragsverteilung benötigt werden. Nach Beendigung eines Insolvenzverfahrens einer Handelsgesellschaft trifft die gesetzliche Aufbewahrungspflicht (§ 273 Abs. 2 AktG, § 74 Abs. 2 GmbHG) hinsichtlich der Geschäftsbücher den Vorstand oder Geschäftsführer bzw. die Abwickler; das gilt jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft mit dem Insolvenzverfahren noch nicht voll abgewickelt wurde.65) Gesellschafter und ihre Rechtsnachfolger sind bei der GmbH zur Einsicht in die Bücher und Schriften berechtigt (§ 74 Abs. 3 GmbHG), so dass es zur Durchsetzung eines vor der Löschung erstrittenen (selbst titulierten) Auskunftsanspruchs keiner Bestellung eines Nachtragsliquidators für die Gesellschaft bedarf;66) bei der Aktiengesellschaft kann das Gericht eine solche Einsicht gestatten (§ 273 Abs. 3 AktG).

7.49 Eine Abwicklung kommt allerdings praktisch nur dann in Betracht, wenn nach der Schluss- oder gegebenenfalls Nachtragsverteilung (§§ 196, 203 InsO) noch Mittel übrig sind. Dabei sind auch Gesellschafterdarlehen zuvor zu bedienen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO).67) Ist – wie im Regelfall – kein Vermögen mehr vorhanden, wird man auf die Bestellung von Abwicklern aber verzichten und dem Insolvenzverwalter gestatten können, das Registergericht auf die Vermögenslosigkeit der Gesellschaft hinzuweisen.68) Dieses kann dann nach § 394 Abs. 1 Satz 2 FamFG ___________ 63) 64) 65) 66) 67) 68)

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Dazu Hirte, KK–WpHG (2. Aufl. 2014), § 11 Rz. 12 ff. Dazu Blank, ZInsO 2009, 2186 f. OLG Stuttgart ZIP 1998, 1880 = NZG 1999, 31 = EWiR § 207 KO 1/98, 987 (Eckardt). OLG Hamm NJW-RR 2002, 324. Dazu Noack, Festschrift für Claussen (1997), S. 307, 312. Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Rz. 413.

III. Nichtigkeit

die Gesellschaft im entsprechenden Register löschen und damit ihre Vollbeendigung herbeiführen. Ist – ausnahmsweise – noch Vermögen vorhanden, ist dieses Restvermögen und 7.50 etwaiges insolvenzfreies Vermögen vom Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 264 ff. AktG, §§ 66 ff. GmbHG zu liquidieren. Es ist sodann nach den gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorschriften unter den Mitgliedern oder an die in der Satzung bestimmten Dritten zu verteilen (§ 271 AktG, § 72 GmbHG). Die Kosten dieser Verteilung gehen vorbehaltlich abweichender vertraglicher Regelung zu Lasten des Restvermögens der Gesellschaft.69) Auf die (teuren) Bekanntmachungen nach den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften (§ 267 AktG, § 65 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) kann dabei im Hinblick auf die vorgängigen insolvenzrechtlichen Bekanntmachungen verzichtet werden.70) Das der Vermögensverteilung vorgeschaltete Sperrjahr (§ 272 Abs. 1 AktG, § 73 Abs. 1 GmbHG; dazu oben Rz. 7.23) sollte im Hinblick auf die Publizität des Eröffnungsbeschlusses und die mit ihm ebenfalls verbundene Aufforderung zur Gläubigeranmeldung (§ 28 InsO) mit dem Eröffnungsbeschluss (§ 27 InsO) beginnen.71) 2.

Auflösung wegen Vermögenslosigkeit

Im Verfahren nach dem Löschungsgesetz (jetzt § 394 FamFG) hat das Gericht 7.51 wegen der besonders schwerwiegenden Folgen einer Amtslöschung das Vorliegen von Vermögen entsprechend § 26 FamFG mit besonderer Sorgfalt zu ermitteln. Allein auf eine unterbliebene Offenbarung der Vermögensverhältnisse durch den Geschäftsführer kann eine Löschung nicht gestützt werden; sie bedarf vielmehr einer positiven Feststellung der Vermögenslosigkeit.72) Bei Auflösung wegen Vermögenslosigkeit findet eine Abwicklung nur statt, wenn 7.52 sich nach der Löschung herausstellt, dass Vermögen vorhanden ist, das der Verteilung unterliegt (§ 264 Abs. 2 AktG, § 66 Abs. 5 Satz 1 GmbHG); es kann also ausschließlich eine Nachtragsabwicklung stattfinden. III.

Nichtigkeit

Bei bestimmten besonders schwerwiegenden Mängeln der Satzung kann jeder 7.53 Gesellschafter, jeder Geschäftsleiter oder – falls ein Aufsichtsrat bestellt ist – jedes Aufsichtsratsmitglied Klage auf Nichtigkeit der Gesellschaft erheben (Art. 12 [früher Art. 11] Abs. 2 Erste Richtlinie, § 275 Abs. 1 AktG, § 75 Abs. 1 ___________ 69) Überzeugend Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Rz. 89. 70) Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Rz. 414. 71) Etwas weitergehend Noack, ebda. 72) OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 870 = ZIP 1997, 201 im Anschluss an BayObLG GmbHR 1985, 53 = ZIP 1984, 175; OLG Karlsruhe NJW-RR 2000, 630; zur Pflicht, die zu löschende Gesellschaft am Verfahren zu beteiligen, KG NJW-RR 2000, 488.

527

§ 7 Auflösung und Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft

GmbHG). Die Nichtigkeit oder Nichtigerklärung einer Gesellschaft aus anderen Gründen ist ebenso ausgeschlossen wie die Feststellung der Nichtigkeit in anderer Weise als durch Urteil (Art. 11 Abs. 1 und 3 Erste Richtlinie). Für die Klage gelten die Bestimmungen über die aktienrechtliche Nichtigkeitsklage entsprechend (§ 275 Abs. 4 AktG, § 75 Abs. 2 GmbHG). Ist ein rechtskräftiges Nichtigkeitsurteil in das Handelsregister eingetragen, ist die Gesellschaft wie im Falle der Auflösung zu liquidieren (Art. 13 [früher Art. 12] Abs. 2 Erste Richtlinie, § 277 Abs. 1 AktG, § 77 Abs. 1 GmbHG). Die Wirksamkeit der im Namen der Gesellschaft vorgenommenen Rechtsgeschäfte wird durch die Nichtigkeit nicht berührt (klarstellend Art. 13 [früher Art. 12] Abs. 3 Erste Richtlinie, § 277 Abs. 2 AktG, § 77 Abs. 2 GmbHG). Auch ausstehende Einlagen sind noch zu leisten, nach Nichtigerklärung allerdings nur noch, soweit dies zur Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeiten erforderlich ist (Art. 13 [früher Art. 12] Abs. 5 Erste Richtlinie, § 277 Abs. 3 AktG, § 77 Abs. 3 GmbHG). Mängel, die die Bestimmungen über den Gegenstand des Unternehmens betreffen, können durch satzungsändernden (bei der GmbH einstimmigen) Beschluss der Gesellschafter geheilt werden (§ 276 AktG, § 76 GmbHG); nach Rechtskraft eines Urteils bedarf es dazu zusätzlich noch eines Fortsetzungsbeschlusses nach § 274 Abs. 1 AktG. 7.54 Die Möglichkeit zur Löschung einer Gesellschaft bei Vorliegen von Nichtigkeitsgründen steht nach § 397 FamFG auch dem Registergericht zu (bei der Aktiengesellschaft, bei der die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage auf drei Jahre befristet ist, auch noch nach Ablauf dieser Frist; § 275 Abs. 3 AktG). Bei einigen weniger weit reichenden Satzungsmängeln stehen dem Registergericht die Befugnisse nach § 399 FamFG zu, als deren letzte Konsequenz ebenfalls eine Nichtigerklärung der Gesellschaft in Betracht kommt.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht) Literatur: Bälz, Verbundene Unternehmen – Konzernrecht als Speerspitze eines fortschrittlichen Gesellschaftsrechts?, in: 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland – 40 Jahre Rechtsentwicklung, 1990, S. 177 (leicht abgeändert und aktualisiert auch in: AG 1992, 277); Decher, Konzernhaftung im Lichte von Bremer Vulkan, ZInsO 2002, 113; Haar, Die Personengesellschaft im Konzern, 2006; Hirte/Schall, Zum faktischen Beherrschungsvertrag, Konzern 2006, 243; Schürnbrand, „Verdeckte“ und „atpyische“ Beherrschungsverträge im Aktien- und GmbH-Recht, ZHR 169 (2005), 35; Hommelhoff, Konzernrecht für den europäischen Binnenmarkt, ZGR 1992, 121; ders., Zwölf Fragen zum Konzernrecht in Europa, ZGR 1992, 422; Hopt, Konzernrecht: Die europäische Perspektive, ZHR 171 (2007), 199; Kirchner, Ökonomische Überlegungen zum Konzernrecht, ZGR 1985, 214; Lutter, Das unvollendete Konzernrecht, in: Festschrift für Karsten Schmidt (2009), S. 1065; ders., 100 Bände BGHZ: Konzernrecht, ZHR 151 (1987), 444; ders., Grenzen zulässiger Einflussnahme im faktischen Konzern, in: Festschrift Peltzer, 2001, S. 241; Mansdörfer/Timmerbeil, Zurechnung und Haftungsdurchgriff im Konzern – Eine rechtsgebietsübergreifende Betrachtung, WM 2004, 362; Schön, Abschied vom Vertragskonzern?, ZHR 168 (2004), 629; Stoll, Garantiekapital und konzernspezifischer Gläubigerschutz, 2007; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 1988; Wimmer-Leonhard, Konzernhaftungsrecht, 2004; Windbichler, Murmeln für Konzerne – Gesellschaftsrecht als Glasperlenspiel, in: Festschrift Röhricht, 2005, S. 693; Zeidler, Ausgewählte Probleme des GmbH-Vertragskonzernrechts, NZG 1999, 692; Zöllner, Einführung in das Konzernrecht, JuS 1968, 297.

I.

Allgemeines

In der Rechtswirklichkeit kommt die unabhängige Einzelgesellschaft, die Rege- 8.1 lungsgegenstand des Aktien- und GmbH-Gesetzes ist, allerdings kaum noch vor. Sie ist vielmehr geprägt von der Gesellschaft als Mitglied einer gelegentlich mehrere Hundert Gesellschaften umfassenden Unternehmensgruppe. Die hiermit verbundenen Fragen greift das Dritte Buch des Aktiengesetzes auf, 8.2 allerdings nur für einige Teilbereiche. Kernidee der aktienrechtlichen Regelung ist dabei, dass ein herrschendes und ein abhängiges Unternehmen ihre Beziehungen zueinander durch einen Vertrag regeln, der typischerweise in der Form eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages geschlossen wird (§§ 291 ff. AktG); dadurch kommt ein „Vertragskonzern“ zustande. Den „außenstehenden Aktionären“ gewährt das Gesetz in diesem Fall Ausgleichs- und Abfindungsansprüche (§§ 304, 305 AktG), deren Angemessenheit nach dem Spruchverfahrensgesetz überprüfbar ist. Da der erforderliche Vertragsschluss allerdings nicht erzwungen werden kann, enthält das Aktiengesetz ergänzende Regelungen über die Pflichten bei Fehlen eines solchen Vertrages (§§ 311 ff. AktG); hier spricht man vom „faktischen Konzern“. Zwischen diesen steht das im Wesentlichen von der Rechtsprechung entwickelte Institut des „qualifizierten faktischen Konzerns“, das eine Lage umschreibt, in der eigentlich ein Beherrschungsvertrag mit den entsprechenden Folgen geschlossen werden müsste, dies von den Parteien aber nicht gemacht wird. Ergänzt werden die Normen des Dritten Buches dabei von den Definitionsnormen der §§ 15 ff. AktG.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

8.3 Als intensivste Form der Konzernierung regelt das Gesetz die Eingliederung (§§ 319 ff. AktG). Erfolgt sie durch Mehrheitsbeschluss, scheiden die noch vorhandenen Aktionäre gegen eine Abfindung aus (§§ 320a, 320b AktG), die wiederum nach dem Spruchverfahrensgesetz überprüft werden kann (§ 1 Nr. 2 SpruchG). Anders als im Falle der Verschmelzung bleibt eine eingegliederte Gesellschaft aber als juristische Person bestehen. 8.4 Nicht erfasst von der aktienrechtlichen Regelung des Konzernrechts sind vor allem die Fragen der „Konzernbildung“, soweit sich diese nicht in einer der vorgenannten Formen vollzieht; für börsennotierte Gesellschaften sind diese aber jetzt teilweise im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz geregelt (dazu sogleich Rz. 8.55). Praktisch ungeregelt sind insbesondere auch die Fragen der Konzernbildung aus der Sicht einer Obergesellschaft. Formell ist auch die GmbH von der aktienrechtlichen Regelung nicht erfasst; auf sie werden aber vor allen Dingen die Normen über den Beherrschungsvertrag entsprechend angewandt. 1. Gründe und Arten des Unternehmensverbundes 8.5 a) Unternehmensverbindungen können ganz verschiedene Gründe haben, zu nennen sind insbesondere organisatorische, finanzielle und rechtliche. Organisatorisch spricht für die Schaffung eines Unternehmensverbundes das Interesse an der Schaffung eigener Betriebsabteilungen bei Fortbestand ihrer rechtlichen Selbständigkeit (siehe § 15 AktG: „rechtlich selbständige Unternehmen“). Damit verbunden sein kann das Interesse an der Schaffung oder Beibehaltung von Geschäftsführer- oder Vorstandsposten.1) Bei Grenzüberschreitung war eine Verselbständigung der in verschiedenen Staaten tätigen Einheiten häufig sogar unumgänglich, was zugleich als Argument für die Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft angesehen wurde, mit deren Hilfe auf selbständige Einzelgesellschaften soll verzichtet werden können (dazu oben Rz. 1.88). 8.6 Unter den finanziellen Gründen ist in allererster Linie das Interesse an Haftungsbeschränkung auf das jeweilige Gesellschaftsvermögen zu nennen, auf das – insbesondere in Fällen des Missbrauchs – mit Überlegungen zur Durchgriffshaftung geantwortet wird (dazu oben Rz. 5.163 ff.). Unabhängig davon erlaubt die konzernmäßige Divisionalisierung eines Unternehmens aber auch, den Kapitaleinsatz für einzelne Unternehmensteile auf die für die Willensdurchsetzung erforderliche (Stimmen-)Mehrheit zu beschränken; der Tatsache, dass in solchen Fällen ein Mehrheitsgesellschafter nur „die halbe Miete zahlt“, trägt für den Teilbereich der börsennotierten Aktiengesellschaften das Institut des Pflichtangebots Rechnung (dazu oben Rz. 4.72). Schließlich knüpft (jedenfalls im Grundsatz) auch das Steuerrecht an die einzelne selbständige juristische Person an. 8.7 Rechtlich ist es (beim Erwerb einer neuen Tochtergesellschaft) leichter, diese als selbständige Gesellschaft fortzuführen, als sie – vor allen Dingen im Wege der ___________ 1)

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Kübler/Assmann, GesR, § 29 I 2, S. 416.

I. Allgemeines

Verschmelzung nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes (dazu oben Rz. 6.106 ff.) – mit den schon vorhandenen unternehmerischen Aktivitäten zusammenzuführen. Andererseits nimmt das Gesetz an, dass es etwas anderes als „normale Beteiligungsverwaltung“ ist, wenn eine Beteiligung mit Blick auf die Unternehmensgruppe als Ganzes „gesteuert“ wird; damit korrespondieren die im Einzelnen noch zu erörternden schärferen Pflichten (unten Rz. 8.128 ff.). b) Hinsichtlich der Entstehung von Unternehmensverbünden lassen sich im 8.8 Wesentlichen folgende Fallgruppen unterscheiden. Zu nennen ist zunächst der Beteiligungserwerb (share deal); er kann beim Erwerb einer börsennotierten Aktiengesellschaft den Vorschriften des WpÜG unterliegen oder ein Pflichtangebot nach diesem Gesetz auslösen (Einzelheiten oben Rz. 4.72). Als spiegelbildliche Form der Konzernbildung ist die Ausgliederung zu nennen: hier wird aus einer früheren Einheitsgesellschaft eine aus zwei Gesellschaften (Mutter- und Tochtergesellschaft) bestehende Unternehmensgruppe; durchgeführt werden kann dieser Schritt sowohl nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes (§ 123 Abs. 3 UmwG; dazu oben Rz. 6.177 f.) wie im Wege der Einzelrechtsnachfolge (dazu oben Rz. 6.92 ff.). Einen ganz ähnlichen Effekt hat die Spaltung (zu deren Durchführung nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes oben Rz. 6.167 ff.): doch entstehen hier zwei Schwestergesellschaften, die sich (zunächst) in den Händen derselben Gesellschafter befinden. Zu nennen ist schließlich die Gründung von „Gemeinschaftsunternehmen“ (joint ventures) durch zwei bislang voneinander unabhängige Gesellschaften; charakteristisch für diese ist die paritätische Beteiligung mehrerer Muttergesellschaften.2) 2.

Zweck und Regelungsansatz

a) Konzernrecht ist – was häufig übersehen wird – nur in sehr begrenztem Um- 8.9 fang gesetzlich geregelt. Im Mittelpunkt stehen hier die Regelungen der §§ 15 ff., 291 ff. AktG, die uneingeschränkt allerdings nur eingreifen, sofern eine Aktiengesellschaft an einer Unternehmensgruppe beteiligt ist. Für das GmbH-Recht fehlen eigenständige gesetzliche Regelungen vollständig, doch wird in erheblichem – wenn auch in den Einzelheiten immer wieder umstrittenen – Umfang auf die aktienrechtliche Regelung zurückgegriffen. Im Personengesellschaftsrecht (das hier im Übrigen nicht weiter angesprochen wird) werden Unternehmensverbindungen demgegenüber praktisch ausschließlich unter Rückgriff auf allgemeine gesellschaftsrechtliche Rechtsgrundsätze wie die Treuepflicht gelöst. Die Treuepflicht stellt im Übrigen – bezogen auf den Schutz der abhängigen Gesellschaft – auch den Nukleus der konzernrechtlichen Bestimmungen für die Kapitalgesellschaft dar; das zeigt sich auch heute noch in § 243 Abs. 2 AktG. Die gesetzliche Regelung (des Aktiengesetzes) verfolgt zudem ein nur einge- 8.10 schränktes Ziel. Sie bildet in erster Linie ein Schutzrecht für (Minderheits-)Ge___________ 2)

Kübler/Assmann, GesR, § 29 I 3, S. 416.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

sellschafter und Gläubiger (zu denen auch die Arbeitnehmer zählen) von abhängigen Unternehmen. Damit ist sie anders als das allgemeine Gesellschaftsrecht kein Organisationsrecht.3) Geschützt werden durch die gesetzliche Regelung – zumindest primär – auch nur die genannten Beteiligten abhängiger Unternehmen (und diese selbst), nicht also das herrschende Unternehmen, dessen Gesellschafter und Gläubiger; und diese werden auch nur geschützt, wenn die Abhängigkeitslage bereits eingetreten ist. Hinsichtlich dieses letzten Punktes befindet sich Konzernrecht in einer gewissen Konflikt- und Komplementaritätslage zum Übernahmerecht, das auch (aber auch nur) im Falle eines change of control, eines Wechsels des Mehrheitsgesellschafters, zum Schutz der übrigen Aktionäre einer börsennotierten Aktiengesellschaft eingreift (dazu oben Rz. 4.72); dieses Konzept wird im Ausland überwiegend zu den Zielen eingesetzt, die bei uns vom Konzernrecht verwirklicht werden sollen (näher unten Rz. 8.11 ff.). Das Verhältnis der beiden Bereiche ist etwa so wie bei den persönlichen Beziehungen das zwischen dem ersten Kuss und der Eheschließung und dem erst danach geltenden Eherecht. Verschiedene weitere Probleme der „Konzernbildung“ (dem „archimedischen Punkt“ des Konzernrechts4)) werden zudem von den gesetzlichen Regelungen vollständig unberücksichtigt gelassen. Kein Schutzadressat des Konzernrechts ist schließlich die (allgemeine) Öffentlichkeit: deren Interessen im Zusammenhang mit einer Konzernbildung werden einerseits durch das Kartellrecht (insbesondere der Fusionskontrolle) mit dem Ziel geschützt, ein Funktionieren des Marktes sicherzustellen; zudem spielt das Rechnungslegungsrecht zu ihrem Schutz eine Rolle, weil es mit seinen Publizitätsvorschriften Transparenz herstellen und damit Gesellschafter und Gläubiger schützen will. 8.11 b) Um das Schutzkonzept des Gesetzes (einschließlich seiner Defizite) zu begreifen, sollte man sich die wesentlichen Interessenbeeinträchtigungen vor Augen führen, die mit der Konzerneinbindung von Gesellschaften verbunden sind. 8.12 Aus der Sicht der abhängigen Gesellschaft besteht in erster Linie die Gefahr der Fremdsteuerung der Gesellschaft („Ausrichtung auf das Konzerninteresse“), die mit mehr oder weniger unkontrollierten Vermögensverschiebungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft einhergehen kann. Zu denken ist etwa daran, dass die Tochter- zugunsten der Muttergesellschaft oder zugunsten einer anderen Konzerngesellschaft auf lohnende Aufträge verzichtet oder die Mutter- gegenüber der Tochtergesellschaft erhöhte Preise („Konzernverrechnungspreise“) berechnet und dadurch die Tochtergesellschaft schädigt. Die darin für die Tochtergesell___________ 3)

4)

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Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rz. 17 ff. (allerdings gewisse organisationsrechtliche Elemente – wie beim Unternehmensvertrag und bei der Eingliederung – konzedierend); Karsten Schmidt, in: Festschrift für Lutter (2000), S. 1167, 1179 ff.; ders., GesR, § 17 I, S. 486 ff., § 31 I 2, S. 935 (Organisation ist Folge des Schutzzwecks, nicht umgekehrt); ders., in: Festschrift für Druey (2002), S. 551, 557 ff.; abw. Mülbert, ZHR 163 (1999), 1, 20 ff. Wiedemann, ZGR 1978, 477, 487; ders., Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 45, 58.

I. Allgemeines

schaft liegenden Nachteile werden für die Muttergesellschaft allerdings durch Vorteile bei ihr selbst (oder an anderer Stelle im Unternehmensverbund) kompensiert. Anders ist dies für die Gläubiger der Tochtergesellschaft (die nur auf eine reduzierte Vermögensmasse zugreifen können) oder deren „außenstehende Gesellschafter“; das sind alle diejenigen Gesellschafter einer Tochtergesellschaft, die nicht mit der Muttergesellschaft identisch sind oder ihr sonst wirtschaftlich verbunden sind; bei ihnen kann durch die Einbindung in eine Unternehmensgruppe der Wert der Beteiligung oder der Umfang des Gewinnbezugsrechts beeinträchtigt sein. Das Aktienrecht räumt den außenstehenden Aktionären einer abhängigen Aktiengesellschaft beim Abschluss bestimmter Unternehmensverträge daher in §§ 304, 305 AktG Ausgleichs- und Abfindungsansprüche ein. Nach Sinn und Zweck der Abfindungsregelung umfasst der Begriff der außenstehenden Aktionäre dabei alle Aktionäre der Gesellschaft mit Ausnahme des anderen Vertragsteils und derjenigen Aktionäre, die aufgrund rechtlich fundierter wirtschaftlicher Verknüpfung mit dem anderen Vertragsteil von der Gewinnabführung unmittelbar oder mittelbar in ähnlicher Weise profitieren wie dieser.5) Dabei ist die Eigenschaft des außenstehenden Aktionärs grundsätzlich von dem Zeitpunkt unabhängig, in dem dieser Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft geworden ist.6) Auf der Ebene der herrschenden Gesellschaft können sich ebenfalls Interessen- 8.13 beeinträchtigungen der Gesellschafter wie der Gläubiger ergeben. Hinsichtlich der Gesellschafter wirkt sich eine Gruppenbildung vor allem insoweit aus, als ihr Einfluss „mediatisiert“ wird: Hinsichtlich ihres in einer Tochtergesellschaft gebundenen Vermögens können sie nicht mehr unmittelbar in einer Haupt- oder Gesellschafterversammlung mitwirken und dort den Aufsichtsrat oder die Geschäftsführer wählen oder ihr Informationsrecht ausüben; die dortigen Gesellschafterrechte werden vielmehr von den Vertretungsorganen der Muttergesellschaft ausgeübt, und es bedarf mithin eines „zweiaktigen“ Vorgehens, will ein Gesellschafter der Obergesellschaft Einfluss in einer Untergesellschaft ausüben. Aber auch die Gläubiger einer Obergesellschaft können beeinträchtigt sein: Sie trifft nämlich der „strukturelle Nachrang“; damit wird die Tatsache umschrieben, dass der Gläubiger einer Tochtergesellschaft auf deren Vermögen zugreifen kann, der Gläubiger der Muttergesellschaft aber keinen direkten Zugriff auf das Vermögen der Tochtergesellschaft(en) hat; Letzterer kann nur die auf die zum Vermögen der Muttergesellschaft gehörenden Beteiligungsrechte an den Tochtergesellschaften zugreifen – und diese sind im Falle einer Insolvenz regelmäßig wertlos, weil deren unmittelbare Gläubiger vorrangig zu bedienen sind. Schließlich kann auch außerhalb des Gesellschaftsrechts in praktisch jeder Rechts- 8.14 beziehung die Frage auftauchen, ob bei der Erfüllung oder Verletzung von Pflich___________ 5) 6)

OLG Nürnberg AG 1996, 228, 229; Kropff, Aktiengesetz, S. 385; Emmerich/Sonnenschein/ Habersack, Konzernrecht, § 21 Rz. 11 ff.; MünchKomm-Bilda, § 304 AktG Rz. 17 ff. Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 21 Rz. 15 f.

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ten das Verhalten einer Tochter- der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann – und umgekehrt. Das kann etwa bei der Wissenszurechnung (§ 166 Abs. 2 BGB) relevant werden, aber auch bei der Frage, ob ein Verstoß gegen ein gesetzliches oder vertragliches Wettbewerbsverbot zu bejahen ist.7) 8.15 Als Beispiel sei hier auf die Judikatur des BAG verwiesen, die für die Anpassungs-

pflicht von Betriebsrenten im Rahmen von § 16 BetrAVG nicht darauf abstellt, wie es der einzelnen Schuldner-Gesellschaft geht, sondern wie es der gesamten Unternehmensgruppe des Schuldners geht. Selbst wenn der Arbeitgeber selbst wirtschaftlich schwach ist, kann danach die Betriebsrente erhöht werden müssen, wenn es dem Konzern gut geht.8)

3.

Rechtsquellen

8.16 Die gesetzliche Regelung des Konzernrechts im Aktiengesetz zerfällt (im Wesentlichen) in zwei Abschnitte: zum einen in die „Definitionsnormen“ der §§ 15 ff. AktG und zum anderen in die eigentliche sachrechtliche Regelung des Rechts der verbundenen Unternehmen im Dritten Buch (§§ 291 ff. AktG). Auf die Definitionsnormen des „Allgemeinen Teils“ wird immer wieder zurückgegriffen, und zwar auch außerhalb der §§ 291 ff. AktG und auch außerhalb des Aktien- oder gar des Gesellschaftsrechts. Deshalb sollen sie hier vorab behandelt werden, zumal sie auch zentrale Weichenstellungen für den Schutzbereich des deutschen Konzernrechts enthalten; sie sind andererseits als „Zweckbegriffe“ anzusehen, die aus dem vom Konzernrecht verfolgten Schutzzweck heraus zu interpretieren sind und daher nicht ganz losgelöst von ihrer Anwendung vor allem in den §§ 291 ff. AktG gesehen werden können. 8.17 Daneben wird in den zahlreichen nicht ausdrücklich gesetzlich geregelten Rechtsbereichen auf allgemeine Rechtsinstitute wie insbesondere die gesellschafterliche Treuepflicht zurückgegriffen. 4.

Historische Entwicklung

8.18 a) Der Vertragskonzern ist vor allem mit seinem Zwang zur Verlustübernahme (§§ 302, 303 AktG) ein Kind des Steuerrechts, und zwar des deutschen Steuerrechts. Ausgangspunkt ist insoweit, dass Gesellschaften im Normalfall je für sich besteuert werden (oben Rz. 1.8). Davon wird allerdings dann eine Ausnahme gemacht, wenn die Voraussetzungen einer (körperschaftsteuerlichen) Organ___________ 7)

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Überblick über die zahlr. Fallkonstellationen der Zurechnung im Unternehmensverbund bei Koppensteiner, KK, vor § 15 AktG Rz. 13 ff.; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 23 ff. BAGE 70, 158 (Rank Xerox) = ZIP 1992, 1566 = NZA 1993, 72; BAGE 78, 87 = ZIP 1995, 491 = NZA 1995, 368; BAG ZIP 1994, 729 = NZA 1994, 551 (aus tatsächlichen Gründen verneinend); BAGE 144, 180 = ZIP 2013, 1041 = EWiR § 16 BetrAVG 1/13, 503 (Kock/ Milenk) (unter Übertragung des Konzepts der Existenzvernichtungshaftung – und deshalb im konkreten Fall verneinend).

I. Allgemeines

schaft vorliegen (§§ 14 ff. KStG). In diesem Fall können die Gewinne und die während des Bestehens der Organschaft entstandenen Verluste einer Tochtergesellschaft (hier als „Organgesellschaft“ bezeichnet) nämlich mit denen der Muttergesellschaft (im Steuerrecht als „Organträger“ bezeichnet) verrechnet werden. Es müssen also nicht bei einer Tochtergesellschaft Steuern auf Gewinne bezahlt werden, während bei der Muttergesellschaft Verluste entstehen – und umgekehrt. Voraussetzung für die Anerkennung einer solchen Organschaft ist zunächst nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG die „finanzielle“ Eingliederung der Organgesellschaft (Tochtergesellschaft) in den Betrieb des Organträgers (Muttergesellschaft); sie wird dann angenommen, wenn der Mutter die Mehrheit der Stimmrechte an den Anteilen der Tochtergesellschaft zusteht.9) Zweite Voraussetzung ist der Abschluss eines auch zivilrechtlich wirksamen Gewinnabführungsvertrages zwischen den beiden Gesellschaften für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren (§§ 14 Abs. 1 Satz 1, 17 KStG) – und damit vor allem der Übernahme der Verlustausgleichsverpflichtung nach §§ 302, 303 AktG. Für die gewerbesteuerliche Organschaft, die neben einer Verrechnung von Gewinnen und Verlusten gestattet, die sonst erforderliche Hinzurechnung von Dauerschulden zu eliminieren, gelten heute dieselben Voraussetzungen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG).10) Das entspricht der Lage, die schon vor Inkrafttreten des Aktiengesetzes 1965 8.19 bestand; denn auch hier war bei steuerlichen Organschaftsverhältnissen die steuerliche Begünstigung schon davon abhängig, dass der Organträger nicht nur die Gewinne, sondern auch die Verluste der Organgesellschaft trägt. Es wurde daher vereinbart, dass der Organträger das Jahresergebnis der Organgesellschaft übernimmt und die Erzielung eines Gewinnes oder Verlustes der Organgesellschaft ausgeschlossen ist.11) Nach Ansicht der Gesetzesverfasser des Aktiengesetzes folgte die Verlustübernahmepflicht „in den wichtigsten [jetzt] geregelten Fällen“, vor allem also bei völliger Beherrschung einer Gesellschaft durch ein anderes Unternehmen, zudem aus ungeschriebenen „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“, die durch das Gesetz lediglich konkretisiert würden.12) Rechtsvergleichend betrachtet, stellt die Regelung der Konzernbeziehungen 8.20 durch Vertrag zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ein Modell dar, das nur in wenigen Ländern Nachahmer gefunden hat. Sieht man – im Hinblick auf einen ___________ 9) Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht (7. Aufl. 2001), § 13 II 3, S. 181 (auch unter Hinweis auf das früher geltende Recht, das daneben auch eine „wirtschaftliche und organisatorische“ Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger verlangt hatte); MünchHdb GmbH-Busch, § 72 Rz. 4 ff. 10) Dazu MünchHdb GmbH-Busch, § 72 Rz. 15 f. 11) Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft („Enquête-Bericht II“), BT-Drucks. IV/2320, S. 581; Hirte, in: GroßK, § 302 AktG Rz. 1. 12) Begr RegE zu § 302 AktG bei Kropff, Aktiengesetz (1965), S. 390; Hirte, in: GroßK, § 302 AktG Rz. 1; Hüffer/Koch, § 302 AktG Rz. 2; Koppensteiner, KK, § 302 AktG Rz. 3; MünchKomm-Altmeppen, § 302 AktG Rz. 4.

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vergleichbaren steuerrechtlichen Hintergrund nicht überraschend – von der Diskussion in Österreich und der Schweiz ab, sind lediglich Portugal, Brasilien, Chile, Taiwan und neuerdings einige osteuropäische Staaten zu nennen.13) Auch vor diesem Hintergrund gibt es schon seit Längerem Überlegungen, die aktuell geltenden Regelungen über die steuerliche Organschaft durch ein moderneres Gruppenbesteuerungssystem zu ersetzen, was zu einer Auflösung des bislang bestehenden Zusammenhang von Gesellschafts- und Steuerrecht führen würde. Hierzu wurden von einer Arbeitsgruppe des IFSt (Institut Finanzen und Steuern e. V.) unter Leitung von Johanna Hey und unter Mitwirkung des Verfassers Vorschläge vorgelegt, die im Falle ihrer Realisierung auch Auswirkungen auf das Recht des Vertragskonzerns bis hin zu seiner deutlichen Entwertung haben würden.14) 8.21 b) Im Übrigen ist das (kodifizierte) Konzernrecht eine Neuschöpfung des Aktiengesetzes 1965, mit dem der Versuch unternommen wurde, das Gesamtphänomen der Unternehmensgruppe kodifikatorisch zu erfassen; dabei konnte das Gesetz zwar auf einzelnen punktuellen Lösungsansätzen aufbauen, die schon seit den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte worden waren.15) Neu im Aktiengesetz 1965 ist aber vor allen Dingen der Ansatz des faktischen Konzerns (§§ 311 ff. AktG) mit seinem Konzept des auf die einzelne nachteilige Maßnahme bezogenen Nachteilsausgleichs. Die Einführung von Schutzvorschriften für (Minderheits-)Gesellschafter und Gläubiger weist dabei Parallelen mit der (zeitgleichen) Herausbildung des Kartellrechts auf, das den Schutz der Öffentlichkeit vor den nachteiligen Folgen einer übermäßigen Konzentration in der Wirtschaft zu bewerkstelligen versucht. 8.22 Versuche, auch das Konzernrecht der GmbH in ähnlicher Weise zu kodifizieren wie dasjenige des Aktienrechts, sind bislang gescheitert. Sie waren der Grund dafür, dass hier in erster Linie das Richterrecht die Triebfeder der konzernrechtlichen Entwicklung war (dazu unten Rz. 8.116 ff.). ___________ 13) Überblick bei Druey, Gutachten H zum 59. Deutschen Juristentag Hannover 1992 (1992), S. 31 f., 36 m. w. N.; Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 679, 740; Emmerich/ Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rz. 42 f.; Hasselbach/Hirte, in: GroßK, § 304 AktG Rz. 17 ff.; Lutter (Hrsg.), Konzernrecht im Ausland, ZGR-Sonderheft 11 (1994), passim; Karsten Schmidt, in: Festschrift für Druey (2002), S. 551, 563 ff.; Thiele, Konzerntatbestand und Vertragskonzern – Faktizitäts- und Vertragsprinzip als gemeinsame Grundlagen einer Europäischen Konzernrechtsangleichung (Diss. Hamburg 1995), passim; zu Österreich Koppensteiner, in: Beiträge zum Zivil- und Handelsrecht. Festschrift für Ostheim (1990), S. 403 ff. 14) Siehe Einführung einer modernen Gruppenbesteuerung – Ein Reformvorschlag (IFSt-Schrift Nr. 471), Berlin 2011; dazu auch MünchHdb GmbH-Busch, § 72 Rz. 3. 15) Zur Beurteilung der Konzernbildung aus der Sicht der Obergesellschaft etwa RGZ 108, 41 (Neu-Staßfurt); RGZ 115, 332; 115, 345 (Goedhard); siehe im Übrigen Emmerich/ Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rz. 5 ff.; Koppensteiner, KK, vor § 15 AktG Rz. 1 ff.; MünchHdb AG-Hoffmann-Becking, § 1 Rz. 1 ff.; Wahlers, Konzernbildungskontrolle durch die Hauptversammlung der Obergesellschaft (1995), S. 12 ff. (dazu Hirte, ZHR 160 (1996), 517 ff.).

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I. Allgemeines

5.

Bedeutung

a) Die praktische Bedeutung der Unternehmensverträge lässt sich schwer 8.23 einschätzen. Jedenfalls vor der „Supermarkt“-Rechtsprechung des BGH, mit der Beschluss- und Transparenzanforderungen des aktienrechtlichen Unternehmensvertrages auf das GmbH-Recht übertragen wurden (dazu unten Rz. 8.117), waren sie schon im Aktienrecht relativ selten, und außerhalb des Aktienrechts war wenig über ihre Verbreitung bekannt.16) Auch jetzt dürfte es im GmbH-Recht noch eine gewisse Zahl nicht offengelegter Unternehmensverträge geben. Sicher aber ist zum einen, dass der Abschluss eines Unternehmensvertrages bei Fehlen steuerrechtlicher Anreize, also bei fehlender Notwendigkeit einer Verlustverrechnung, vor allem im GmbH-Recht und beim Fehlen von Minderheitsgesellschaftern kaum attraktiv ist;17) das gilt entsprechend für grenzüberschreitende Sachverhalte, bei der nach der bislang geltenden gesetzlichen Lage eine Verlustverrechnung nicht in Betracht kommt (zu abweichenden Entwicklungen auf der Grundlage der europäischen Grundfreiheiten unten Rz. 8.25 a. E.). Und zum anderen ist beim Fehlen von außenstehenden und jedenfalls potentiell benachteiligten Gesellschaftern die Versuchung besonders groß, auf den Abschluss eines die Konzernierung regelnden Vertrages zu verzichten. Hier liegt ein zusätzlicher Grund dafür, dass in solchen Fällen die Grenzen des dann nur faktischen Konzerns überwiegend nachträglich auf Initiative des Insolvenzverwalters bestimmt werden. Eine Gegenentwicklung ist im nationalen Bereich aber durch die Unternehmens- 8.24 steuerreform zum 1. Januar 2001 ausgelöst worden; dadurch wurde die körperschaftsteuerliche Organschaft nämlich (wieder) attraktiver.18) Danach ist zunächst die Gewinnausschüttung einer Kapitalgesellschaft an eine andere Kapitalgesellschaft steuerfrei möglich (§ 8b Abs. 1 KStG n. F.), während Dividendenzahlungen an natürliche Personen von diesen nur zur Hälfte zu versteuern sind („Halbeinkünfteverfahren“). Dieser vollen bzw. teilweisen Freistellung korrespondiert allerdings das Abzugsverbot des § 3c Abs. 1 und 2 EStG, nach dem mit der Beteiligung verbundene Betriebsausgaben (insbesondere „laufende Finanzierungskosten“ wie Zinsen) ebenfalls nicht oder nur zur Hälfte geltend gemacht werden können. Nur bei Bestehen einer Organschaft und der damit verbundenen Einkommenszurechnung zum Organträger bleiben die Betriebsausgaben vollständig abzugs-

___________ 16) Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 13, schätzt die Zahl der zwischen 1970 und 1980 zwischen AG/KGaA geschlossenen Beherrschungsverträge auf ca. 130; Beherrschungsverträge (nicht Gewinnabführungsverträge) mit GmbHs seien (allerdings vor der Rechtsprechung des BGH zum Eintragungszwang der Verträge) noch seltener. 17) Kübler/Assmann, GesR, § 30 I 1, S. 427. 18) Ausf. zur körperschaftsteuerlichen Organschaft MünchHdb GmbH-Busch, § 72 Rz. 4 ff.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

fähig, da sie dann nicht im Zusammenhang mit (teilweise) steuerfreien Einnahmen stehen.19) 8.25 Das Erfordernis eines zivilrechtlich wirksamen und für mindestens fünf Jahre abgeschlossenen Gewinnabführungsvertrages, wie es heute Voraussetzung der körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft ist (§ 14 KStG, § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG), dürfte entfallen, wenn die jetzt an den Unternehmensvertrag anknüpfenden Folgen wie bei der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft schon bei Vorliegen bestimmter objektiver Voraussetzungen unabhängig vom Willen der beteiligten Unternehmen einträten.20) Ein solcher Ansatz einer „Gruppenbesteuerung“ (dazu bereits oben Rz. 8.20) wurde auch im Gesellschaftsrecht unter dem Stichwort „organische Konzernverfassung“ auf europäischer und nationaler Ebene schon vor geraumer Zeit diskutiert.21) Das würde dem alleine an die Möglichkeit der Herrschaftsausübung bzw. den Wechsel des beherrschenden Gesellschafters (change of control) anknüpfenden Ansatz des Übernahmerechts entsprechen (dazu unten Rz. 8.55 f.). Eine Verwirklichung dieser Überlegungen ist aber mit Blick auf die Weiterentwicklung des als alternatives Schutzinstrument verstandenen Übernahmerechts nicht mehr wahrscheinlich. Einschneidender dürfte daher eine Angleichung des Steuerrechts auf europäischer Ebene sein, wie sie schon seit längerem erwogen wird; Art. 9 Abs. 1 des Vorschlags für eine Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung vom 6. Dezember 199022) will die Mitgliedstaaten nämlich verpflichten, die Verluste ihrer in einem anderen EG-Mitgliedstaat belegenen Tochtergesellschaft grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn es an deren Kapital mit mindestens 75 % beteiligt ist; ein Organschaftsvertrag oder eine ähnliche vertragliche Absprache mit der Gesellschaft soll dabei nicht erforderlich sein. Das würde sich zwar unmittelbar nur im grenzüberschreitenden ___________ 19) Dötsch/Pung, DB 2003, 1970; Dötsch/Witt, in: Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer. Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, Umwandlungssteuergesetz und zu den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften der Anteilsbesteuerung, Bd. 2 (1984 ff.), § 14 KStG Rz. 33 (Loseblatt; Stand 10/2008); Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht (7. Aufl. 2001), § 12 II, S. 179; MünchHdb GmbH-Busch/Wrede, (3. Aufl. 2009), § 72 Rz. 6 (so nicht mehr in Folgeauflage); Pache, in: Herrmann/Heuer/Raupach, ebda., § 14 KStG Rz. 6. 20) Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft setzt nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG einerseits einen solchen Vertrag nicht voraus, verlangt dafür aber andererseits (wie früher auch bei den anderen Steuerarten) über die finanzielle Eingliederung hinaus auch eine wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger; dazu MünchHdb GmbH-Busch, § 72 Rz. 2, 6. 21) Vgl. ursprünglich II. Teil, Art. 33 des Vorentwurfs für eine Neunte (Konzernrechts-)Richtlinie der EG von 1974/1975, Dok. Nr. XI/593 75 D; Art. 228 ff. des Geänderten Vorschlags einer Verordnung über das Statut für Europäische Aktiengesellschaften von 1975, BTDrucks. VII/3713 v. 2.6.1975; dazu Wiedemann, GesR I, S. 55 f.; ders., Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 41 f.; zur Kritik Hommelhoff, Gutachten G zum 59. Deutschen Juristentag Hannover 1992 (1992), S. 27 f. 22) ABl. EG Nr. C 53 v. 28.2.1991, S. 30 und Begründung Dok. KOM(90) 595 endg.; zusammenfassend dazu Hirte, in: GroßK, § 300 AktG Rz. 16; Manke, ZGR 1992, 333, 335 ff., 342 ff.

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I. Allgemeines

Bereich auswirken, und eine Gleichstellung reiner Inlandssachverhalte wäre wegen der Zulässigkeit der „Inländerdiskriminierung“ nicht rechtlich vorgegeben. Der politische Druck dürfte aber eine solche Gleichstellung erzwingen, und im Rahmen der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit (dazu im Übrigen oben Rz. 1.59) ist inzwischen anerkannt, dass die Zulässigkeit einer grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung jedenfalls hinsichtlich „finaler Verluste“ unmittelbar aus der Niederlassungsfreiheit der Artt. 49, 54 AEUV (früher Artt. 43, 48 EG) abgeleitet wird.23) b) Ein (neben den steuerlichen Gründen) entscheidender Grund für den Ab- 8.26 schluss eines Beherrschungsvertrages im GmbH-Recht liegt zudem darin, dass damit die sonst drohenden, teilweise drakonischen Ansprüche von Minderheitsgesellschaftern wegen unzulässiger (qualifizierter) faktischer Konzernierung ausgeschaltet werden können (dazu unten Rz. 8.155). c) Hinsichtlich des faktischen Konzerns gibt es naturgemäß (da er sich nur ne- 8.26a gativ durch das Fehlen eines Beherrschungsvertrages definiert) wenig empirisch belastbares Material. Wiedemann leitete aber schon vor einiger Zeit aus der relativ geringen Zahl von Beherrschungsverträgen die – spiegelbildlich – entsprechend größere Bedeutung von faktischen Konzernverbindungen ab: „Eine starke Zentralisierung der Leitung – sozusagen als de facto Verschmelzung – würde vielfach die Vorteile, derentwegen ein Unternehmensverbund gebildet wird, in Nachteile verwandeln. […] Es soll keine Militärakademie eingerichtet werden, sondern ein organischer Unternehmensverbund, der sich auch und gerade in den Nervenenden am Markt und an der sonstigen Umwelt orientiert.“24) Dem entspricht, dass es hinsichtlich der Erscheinungsformen faktischer Konzerne kein irgendwie geartetes einheitliches Bild gibt. 6. Begriffsbestimmungen a) Verbundene Unternehmen Als Oberbegriff definiert das Gesetz in § 15 AktG die „verbundenen Unterneh- 8.27 men“ als „rechtlich selbständige Unternehmen“ (!), die entweder im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16 AktG), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17 AktG), Konzernunter___________ 23) So jetzt EuGH (Urt. v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03), Slg. 2005, I-10837 (Marks & Spencer) = NJW 2006, 891 = ZIP 2005, 2313 Tz. 55 ff.; ebenso zuvor SchlA GA M. Poiares Maduro, (Rs. C-446/03), ECLI:EU:C:2005:201 = Konzern 2005, 322 (Marks & Spencer); hierzu Dörr, Konzern 2003, 604 ff.; ders., Konzern 2004, 15 ff.; ders., IStR 2005, 265 ff.; Herzig/ Englisch/Wagner, Konzern 2005, 298 ff.; Nagler/Kleinert, DB 2005, 855 ff.; Röhrbein/ Eicker, BB 2005, 465 ff.; zuvor ebenso Eyles, Das Niederlassungsrecht der Kapitalgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft (1990), S. 415 ff., vgl. aber auch S. 440 ff. (dazu Großfeld, RabelsZ 56 [1992], 594 f.; Hirte, WM 1992, 42 f.; ders., in: Hirte [Hrsg.], Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 [1993], Einl., S. 7 f.; Ziekow, ZHR 155 [1991], 402 ff.). 24) Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 13.

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nehmen (§ 18 AktG), wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19 AktG) oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrages (§§ 291, 292 AktG) sind. Mit dieser Begriffsbildung – der Begriff der „verbundenen Unternehmen“ bildet den Oberbegriff – weicht das Gesetz vom allgemeinen Sprachgebrauch ab; denn dort wird üblicherweise vom „Konzern“ gesprochen; daher ist Vorsicht geboten, ob der Begriff „Konzern“ im (noch vorzustellenden; unten Rz. 8.33 ff.) Sinne des Gesetzes oder im allgemeineren Sinne von „verbundene Unternehmen“ verwendet wird. Im Übrigen spielt der (umfassende) Begriff der „verbundenen Unternehmen“ im Aktienrecht kaum eine Rolle; angeknüpft an ihn wird etwa im Zusammenhang mit den nach § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG zu erstellenden Vorstandsberichten sowie bei § 131 Abs. 1 Satz 2 AktG für das Auskunftsrecht.25) b)

Mehrheitsbeteiligung

8.28 Ausgangspunkt der meisten weiteren Normen ist demgegenüber vor allem der Begriff der Mehrheitsbeteiligung (§ 16 AktG). Danach liegt eine Mehrheitsbeteiligung vor, wenn das beteiligte Unternehmen entweder die Kapital- oder die Stimmenmehrheit an dem anderen Unternehmen hält (§ 16 Abs. 1 bis 3 AktG); dabei sind indirekt gehaltene Beteiligungen nach § 16 Abs. 4 AktG hinzuzurechnen. Die Mehrheitsbeteiligung wird als Anknüpfungspunkt für die Mitteilungspflichten der §§ 20, 21 AktG aufgegriffen (§§ 20 Abs. 4, 21 Abs. 2 AktG); eine bloße Minderheitsbeteiligung ist für die weiteren konzernrechtlichen Bestimmungen ohne Bedeutung, doch kann sie eine Meldepflicht nach §§ 20, 21 AktG, §§ 21 ff. WpHG auslösen. Die schlichte Mehrheitsbeteiligung (und zwar typischerweise an Stimmrechten) – im Gegensatz zur Konzernierung – ist der überwiegend im Ausland und auch im europäischen Recht vertretene Anknüpfungspunkt für Bestimmungen mit Bezug auf Unternehmensgruppen; das wirkt sich etwa dergestalt aus, dass im (europäisch koordinierten) Rechnungslegungsrecht (§ 290 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 HGB) oder im (ebenfalls europäisch koordinierten) Kapitalmarktrecht (§ 22 Abs. 3 WpHG) dieser Ansatz für die Frage des Vorliegens einer Unternehmensgruppe ausschlaggebend ist (wobei Deutschland dies dann kraft eigener Entscheidung erweitert: § 290 Abs. 2 Nr. 3 HGB). 8.29 Für das deutsche Recht dient die Mehrheitsbeteiligung demgegenüber in erster Linie als Vermutungsbasis für das Vorliegen von Abhängigkeit (§ 17 Abs. 2 AktG), dem wahrscheinlich wichtigsten Tatbestand der verbundenen Unternehmen. Da die Mehrheitsbeteiligung (eines Unternehmens an einem anderen) nur die Vermutung begründet, dass das eine Unternehmen von dem anderen abhängig ist, ist in solchen Fällen eine Entkräftung der Vermutung möglich; sie kann sicher durch den Nachweis erfolgen, dass die Mehrheitsbeteiligung wegen satzungsmäßiger Stimmrechtsbeschränkungen oder wegen eines Stimmbindungsvertrages nicht ___________ 25) Überblick über die den Begriff verwendenden Bestimmungen bei Windbichler, in: GroßK, § 15 AktG Rz. 41.

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I. Allgemeines

den typischerweise mit ihr verbundenen Einfluss gewährt.26) Umstritten ist, ob auch durch eine mit der beherrschten Gesellschaft geschlossene vertragliche Regelung die Nicht-Ausübung von Einfluss sichergestellt werden kann; ein solcher „Entherrschungsvertrag“ soll der beherrschten Gesellschaft ihre Unabhängigkeit erhalten und das herrschende Unternehmen von den sonst mit dieser Stellung verbundenen Pflichten befreien. Die herrschende Meinung hält dies für zulässig und verlangt, dass der entsprechende Vertrag sicherstellt, dass der Mehrheitsgesellschafter nicht (mehr) in der Lage ist, die aus seiner Stimmenmehrheit resultierenden Rechte auszuüben.27) c)

Abhängige und herrschende Unternehmen

Der damit im Mittelpunkt stehende Begriff der Abhängigkeit bzw. (aus der Sicht 8.30 des herrschenden Unternehmens) der Beherrschung knüpft damit zwar an die Mehrheitsbeteiligung eines anderen Unternehmens an, setzt sie aber einerseits nicht zwingend voraus, wie andererseits selbst im Falle einer solchen Beteiligung ausnahmsweise eine Abhängigkeit verneint werden kann (oben Rz. 8.29). Deshalb kann etwa eine Abhängigkeit auch von mehreren an einer Gesellschaft 8.31 gemeinschaftlich beteiligten Unternehmen zu bejahen sein, wenn diese ihre Beteiligung koordinieren. Das gilt typischerweise für 50/50-Gemeinschaftsunternehmen,28) kann aber sogar für geringere Beteiligungen zutreffen, wenn die Gesellschafter durch Stimmbindungs- oder Poolvereinbarungen (dazu oben Rz. 3.269 ff.) miteinander verbunden sind.29) Schließlich kann eine Abhängigkeit i. S. v. § 17 AktG auch zu bejahen sein, wenn neben eine bloße Minderheitsbeteiligung weitere Faktoren treten, die dem Gesellschafter Einflussmöglichkeiten verschaffen; hierzu zählen insbesondere „Doppelmandate“ oder vertragliche Abhängigkeiten, etwa aufgrund von Kreditverträgen.30) Allerdings muss der Einfluss eine „gesellschaftsrechtliche Grundlage“ haben; eine Abhängigkeit ausschließlich aufgrund von Austauschbeziehungen wie Liefer-, Kredit-, Franchise- oder ähnlichen Beziehungen begründet daher keine konzernrechtliche Abhängigkeit.31) Entscheidend ist schließlich, dass Abhängigkeit bzw. Beherrschung keine tatsächliche Ausübung der Einflussnahme voraussetzt; ausreichend ist vielmehr, dass das herrschende Unternehmen „einen beherrschenden Einfluss ausüben kann“ (§ 17 ___________ 26) Koppensteiner, KK, § 17 AktG Rz. 104 ff.; Windbichler, in: GroßK, § 17 AktG Rz. 74 (m. w. Beispielen). 27) OLG Köln ZIP 1993, 110, 112 = EWiR § 119 AktG 1/93, 5 (Geuting); Emmerich/ Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 3 Rz. 49 ff.; Hüffer/Koch, § 17 AktG Rz. 22; Koppensteiner, KK, § 17 AktG Rz. 109 ff. 28) Dazu BGHZ 74, 359, 366 f. (WAZ). 29) BGHZ 62, 193, 200 f. (Seitz). 30) BGHZ 90, 381, 395 ff. (Beton- und Monierbau) = ZIP 1984, 572, 577 (im konkreten Fall freilich verneinend). 31) BGHZ 90, 381, 395 ff. (Beton- und Monierbau) = ZIP 1984, 572, 577.

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Abs. 1 AktG a. E.; Hervorh. v. Verf.). Damit unterscheidet sich die (bloße) Abhängigkeit auch von der deutlich intensiveren „Konzernierung“ (im Rechtssinne; dazu unten Rz. 8.33 ff.). 8.32 Die Hauptbedeutung des Abhängigkeitstatbestandes liegt im Recht des faktischen Konzerns, das in den §§ 311 ff. AktG daran anknüpft (dazu unten Rz. 8.129). Zudem begründet die Abhängigkeit ihrerseits die (widerlegliche) Vermutung auch der Konzernierung (§ 18 Abs. 1 Satz 3 AktG); aus der (schlichten) Mehrheitsbeteiligung kann damit im Wege der doppelten Vermutung auch die Konzernierung abgeleitet werden. d)

Konzernbegriff

8.33 Die intensivste Form der Unternehmensverbindung bildet schließlich der Konzern (§ 18 AktG); dabei unterscheidet das Gesetz zwischen dem Unterordnungskonzern (§ 18 Abs. 1 AktG) und dem Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2 AktG). Über die Abhängigkeitslage hinaus setzt Konzernierung das Vorliegen „einheitlicher Leitung“ voraus (§ 18 Abs. 1 Satz 1 AktG); darunter wird die zentrale Planung und Koordination der wirtschaftlichen Aktivitäten einer Unternehmensgruppe verstanden, die dazu führt, dass die Gruppe als organisatorische Einheit verstanden werden kann und erscheint.32) Wie dieses Ziel im Einzelnen technisch umgesetzt wird, ist irrelevant; Kennzeichen sind aber im Allgemeinen eine zentrale Finanzplanung und eine gewisse Personenidentität oder -verflechtung der Organmitglieder oder leitenden Angestellten.33) Unabdingbare Voraussetzung dafür ist ein entsprechender konzernweiter Informationsfluss. Im Gegensatz zur bloßen Mehrheitsbeteiligung knüpft die einheitliche Leitung daher an die ausgeübte – nicht bloß die potentielle – Leitungsmacht an. Das Vorliegen eines Konzerns in der Form des Unterordnungskonzerns wird – wie bereits erwähnt – im Falle einer Abhängigkeitslage (§ 17 AktG) widerlegbar vermutet. Bei Abschluss eines Beherrschungsvertrages (§ 291 AktG) oder im Falle der Eingliederung (§ 319 AktG) ist immer vom Vorliegen dieser einheitlichen Leitung auszugehen. Rechtlich liegt darin eine unwiderlegliche Vermutung.34) Der Unterordnungskonzern bildet den praktischen Regelfall des Konzerns. 8.34 Beim Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2 AktG) handelt es sich um die Situation, dass zwei (Schwester-)Unternehmen einheitlich geleitet werden, ohne dass das eine vom anderen abhängig ist; es ist also nicht einmal eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung erforderlich. Gedacht ist vor allem an einheitliche Leitung auf der Grundlage von vertraglichen Absprachen oder personeller Verflechtung. Auch hier betrachtet das Gesetz beide im Verhältnis zueinander als konzernmäßig verbunden. ___________ 32) Raiser/Veil, KapGesR, § 51 Rz. 39. 33) Raiser/Veil, KapGesR, § 51 Rz. 40. 34) Windbichler, in: GroßK, § 18 AktG Rz. 29.

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I. Allgemeines

In tatsächlicher Hinsicht lässt sich zunächst unterscheiden zwischen zentral und 8.35 dezentral geführten sowie zwischen ein- und mehrstufigen Konzernen. Schließlich lässt sich nach der unternehmerischen Tätigkeit zwischen horizontalen und vertikalen Konzernen differenzieren: während bei horizontal gegliederten Konzernen alle Unternehmen auf derselben Produktionsstufe stehen, entspricht die Segmentierung eines vertikalen Konzerns der Produktionsabfolge. Mischformen zwischen beiden sind der gemischte und der Konglomeratkonzern. e)

Wechselseitige Beteiligung (§ 19 AktG)

In einem gewissen Zusammenhang mit dem Gleichordnungskonzern des § 18 8.36 Abs. 2 AktG steht die wechselseitige Beteiligung (§ 19 AktG). Denn sie führt – auch wenn noch keine Mehrheitsbeteiligung erworben wird – zum einen dazu, dass die Kontrolle der Gesellschaft durch die Aktionäre als deren Eigentümer reduziert wird, zum anderen zu einem (teilweisen) Unterlaufen des Verbots des Erwerbs eigener Aktien (dazu oben Rz. 5.95 ff.) und der sonstigen Kapitalerhaltungsvorschriften.35) § 328 Abs. 1 AktG statuiert daher in einem solchen Fall zunächst eine auf ein 8.37 Viertel der Anteile begrenzte Rechtsausübungssperre, um vor allem das angesprochene Kontrolldefizit zu kompensieren. Zudem wird bei einer börsennotierten Gesellschaft für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ein vollständiges Stimmverbot angeordnet (§ 328 Abs. 3 AktG); und schließlich werden die noch näher (unten Rz. 8.51 ff.) anzusprechenden Mitteilungspflichten gegenüber den §§ 20, 21 AktG erweitert: jede Beteiligungsveränderung ist anzeigepflichtig. Bei einer (weitergehenden) einseitigen oder gegenseitigen qualifizierten wechsel- 8.38 seitigen Beteiligung kommen anstelle von § 328 AktG die besonderen Rechtsfolgen des Konzernrechts zur Anwendung; § 19 AktG geht insoweit § 328 AktG vor (§ 19 Abs. 4 AktG). Von einer einseitigen qualifizierten wechselseitigen Beteiligung spricht man, wenn das eine wechselseitig beteiligte Unternehmen am anderen Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung hält oder sonst beherrschenden Einfluss auf es ausüben kann; abweichend von der allgemeinen Bestimmung des § 17 Abs. 2 AktG führt dies hier zur unwiderleglichen Vermutung der Abhängigkeit (§ 19 Abs. 2 AktG). Von einer mehr- oder doppelseitigen qualifizierten wechselseitigen Beteiligung spricht man, wenn jedem der wechselseitig beteiligten Unternehmen am anderen Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung zusteht oder das eine auf das andere sonst herrschenden Einfluss ausüben kann; das führt entsprechend zur unwiderleglichen Vermutung der Abhängigkeit beider Unternehmen voneinander (§ 19 Abs. 3 AktG). Für „Ringbeteiligungen“ ist schließlich bei allen wechselseitigen Beteiligungen zusätzlich noch § 16 Abs. 4 AktG zu beachten (§ 19 Abs. 1 Satz 2 AktG). ___________ 35) Raiser/Veil, KapGesR, § 51 Rz. 43.

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f)

Unternehmensbegriff

8.39 Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass hier – anders als sonst in diesem Buch – nicht von Gesellschaften, sondern von Unternehmen die Rede ist. Das ist einmal eine Folge der eigenständigen Anknüpfung des Konzernrechts, das rechtsformneutral ist (und daher – zumindest in bestimmten Beziehungen – neben den Kapitalgesellschaften etwa auch die Personengesellschaft erfasst);36) vor allem aber dient die Begriffsbildung des Konzernrechts der Abgrenzung von „einfachen“ Gesellschaftern. Denn dem normalen („Privat“-)Gesellschafter will das Gesetz keine (zusätzlichen) Pflichten auferlegen, weil es davon ausgeht, dass die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regeln und Prinzipien hier ausreichen. 8.40 Was aber unterscheidet dann den „normalen“ Gesellschafter vom „Unternehmens“-Gesellschafter? Das geschriebene Konzernrecht beantwortet die Frage nicht – jedenfalls nicht ausdrücklich. Die Antwort auf die Frage muss daher – insoweit besteht Übereinstimmung – mit Blick auf den Zweck gegeben werden, den das Konzernrecht verfolgt (dazu oben Rz. 8.9 ff.). Daraus wird abgeleitet, dass nur solche Gesellschafter als „Unternehmens“-Gesellschafter angesehen werden können, die vom Leitbild des typischen Gesellschafters dergestalt abweichen, dass sie ein erhöhtes Gefährdungspotential für die Gesellschaft, an der sie beteiligt sind, ihre Gläubiger und ihre Gesellschafter mit sich bringen. Das wird vor allen Dingen für solche Gesellschafter angenommen, die dem „Konzernkonflikt“ unterliegen: das sind solche Gesellschafter, die neben ihrer Beteiligung an einer Gesellschaft noch an einer (oder mehreren) anderen Gesellschaft(en) beteiligt sind.37) Denn bei ihnen besteht die Gefahr des „einseitigen Naschens an gemeinsamen Töpfen“. Die Unternehmenseigenschaft des Konzernrechts setzt mithin früher an als diejenige des Handelsrechts im Rahmen von § 1 HGB. Wer seine Beteiligung demgegenüber nur „hält“, an Abstimmungen teilnimmt und Dividenden bezieht, gerät andererseits nicht in die beschriebene Versuchung.38) 8.41 Vor diesem Hintergrund hat die Rechtsprechung insbesondere auch natürliche Personen39) und Freiberufler40) als „Unternehmer“ angesehen und sie damit den ___________ 36) Koppensteiner, KK, vor § 15 AktG Rz. 11; Windbichler, in: GroßK, vor § 15 AktG Rz. 58. 37) BGHZ 62, 193, 196 f. (Seitz); BGHZ 69, 334, 337 (VEBA/Gelsenberg) = NJW 1978, 104; BGHZ 90, 381, 396 (Beton- und Monierbau) = ZIP 1984, 572, 577. 38) Die Unternehmenseigenschaft eines an einer AG beteiligten Gründungsaktionärskonsortiums daher verneinend LG Heidelberg ZIP 1997, 1787 (SAP) = DB 1997, 2265 = EWiR § 17 AktG 1/97, 1059 (Kort) (inzwischen rkr.). 39) Vgl. vor allem BGHZ 115, 187, 189 (Video) = ZIP 1991, 1354, 1355 = EWiR § 302 AktG 1/91, 945 (Altmeppen); BGHZ 122, 123, 127 (TBB) = ZIP 1993, 589, 592 = EWiR § 302 AktG 2/93, 327 (Altmeppen); für Personengesellschaft (mit der Folge der Verpflichtung der beherrschten Gesellschaft, einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen) LG Bielefeld AG 2000, 232 (Hucke AG) = EWiR § 17 AktG 1/2000, 365 (Kowalski). 40) BGH ZIP 1994, 1690 (Freiberufler-Konzern) = JZ 1995, 519 (Hirte) = EWiR § 302 AktG 1/95, 15 (Westermann); BGH ZIP 1995, 733 = NJW 1995, 1544 (Vorinstanz OLG München ZIP 1994, 1776); dazu Kulka, DZWir 1995, 45; Karsten Schmidt, ZIP 1994, 1741.

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I. Allgemeines

mit der Stellung als herrschendes Unternehmen verbundenen Pflichten unterworfen. Vor allen Dingen wurde aber auch der Staat (Bund, Länder oder Gemeinden) als herrschendes Unternehmen angesehen;41) hier ging die Rechtsprechung im VW-Urteil sogar noch weiter und hielt wegen der neben der Stimmrechtsausübung bestehenden politischen Einflussmöglichkeiten bloßen Mehrheitsbesitz für die Annahme der Unternehmenseigenschaft für ausreichend. Danach stellt etwa das Land Niedersachsen mit einer Hauptversammlungsmehrheit von 20 % und zwei Mandaten im Aufsichtsrat im Verhältnis zur VW AG ein herrschendes Unternehmen dar.42) Die VW AG ist daher zur Aufstellung eines Abhängigkeitsberichts nach § 312 AktG verpflichtet (Einzelheiten unten Rz. 8.136 ff.).43) Einen Grenzfall bildet vor diesem Hintergrund der Fall MLP: Der Mehrheitsaktionär, 8.42 der zugleich Vorstandsvorsitzender der Aktiengesellschaft ist, und Beteiligungen von 9 % bzw. 15 % an deren Tochtergesellschaften hält, in denen er auch Vorsitzender des Aufsichtsrats ist, wird nicht über die Zurechnungsregel des § 16 Abs. 4 AktG zu einem Unternehmen i. S. d. §§ 15 ff. AktG. Denn die Zurechnungsregel des § 16 Abs. 4 AktG setzt die Eigenschaft des Normadressaten als Unternehmen voraus, begründet sie aber nicht. Die beherrschte Gesellschaft war daher nicht zur Erstellung eines Abhängigkeitsberichts verpflichtet.44)

Bei einer Gebietskörperschaft als herrschendem Unternehmen muss anderer- 8.42a seits möglicherweise der Begriff der Veranlassung i. S. v. § 311 AktG differenziert interpretiert werden (unten Rz. 8.134a). Auf Seiten des abhängigen Unternehmens spielt der Streit um das richtige Ver- 8.43 ständnis des Unternehmensbegriffs keine so große Rolle. Mit der Anknüpfung an die mehrheitliche Beherrschung (als Voraussetzung für die Annahme von Abhängigkeit) geht das Gesetz aber offensichtlich davon aus, dass nur Kapitalgesellschaften abhängige „Unternehmen“ sein können, da nur bei ihnen das Mehrheitsprinzip gilt (dazu Rz. 1.4). Personengesellschaften wird man aber noch dann dazu rechnen können, wenn bei ihnen vertraglich das Mehrheitsprinzip vereinbart wurde (dazu oben Rz. 1.15).

___________ 41) BGHZ 69, 334, 338 ff. (VEBA/Gelsenberg) = NJW 1978, 104; BGHZ 175, 365 (Telekom) = ZIP 2008, 785, 786 f. = NZG 2008, 389. 42) Offengelassen für die VIAG von KG WM 1996, 1454 m. insoweit krit. Anm. Dreher, EWiR § 45 AktG 1/96, 721 (inzwischen rkr.). 43) BGHZ 135, 107 = NJW 1997, 1855 = ZIP 1997, 887 = WuB II A. § 312 AktG 1.97 (Hirte) = LM H. 10/1997 § 17 AktG 1965 Nr. 12 (Heidenhain) = EWiR § 312 AktG 1/97, 681 (Westermann); Vorinstanz OLG Braunschweig NJW 1996, 2888 = ZIP 1996, 875 = EWiR § 312 AktG 1/96, 583 (Hirte); dazu Mertens, AG 1996, 241. 44) BGHZ 148, 123 (MLP) = ZIP 2001, 1323 = NJW 2001, 2973 = NZG 2001, 938 = BB 2001, 1597, 1758 (Demuth) = EWiR § 16 AktG 1/01, 1079 (Kort); Vorinstanz OLG Karlsruhe ZIP 1999, 1176 = NZG 1999, 953 = EWiR § 17 AktG 1/99, 625 (Orschewsky); dazu Bayer, ZGR 2002, 933; Cahn, AG 2002, 30.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

II. Konzernbildung 8.44 Mit Blick auf die verschiedenen durch Konzernierungen (im weiteren Sinne) beeinträchtigten Interessen ergibt sich ein zweifacher Schutzansatz. Zum einen lassen sich die potentiell Betroffenen davor schützen, dass sie überhaupt in die beschriebene Lage kommen; insoweit spricht man vom konzernrechtlichen Präventivschutz oder von Konzernbildungskontrolle. Zum anderen kann man die Entstehung einer Unternehmensgruppe hinnehmen und die Betroffenen – nur bzw. erst – nach Entstehung einer Unternehmensgruppe schützen; insoweit geht es um den Schutz vor bzw. bei Maßnahmen der Konzernführung. Letzteres steht im Mittelpunkt der gesetzlichen Regelungen über den faktischen und den Vertragskonzern (dazu unten Rz. 8.63 ff. und 8.128 ff.). Mit Blick auf den logischen und zeitlichen Vorrang der Konzernbildungskontrolle sollen die insoweit maßgeblichen rechtlichen Grundsätze und Regeln allerdings hier zuerst vorgestellt werden. 1. Obergesellschaft 8.45 a) Aus der Sicht der Obergesellschaft führt eine Konzernbildung zu dem oben (Rz. 8.13) beschriebenen Effekt einer Mediatisierung der Gesellschafterrechte oder einer „Verwerfung des Kompetenzgefüges“; das gilt unabhängig davon, ob eine Konzernbildung durch Ausgliederung von bislang in der Gesellschaft selbst verwaltetem unternehmerischen Vermögen erfolgt oder durch Beteiligungserwerb (= „Ausgliederung von Bargeld“). Das Gesellschaftsrecht hat die darin liegenden Konflikte zunächst dadurch beantwortet, dass es eine Verfolgung des Gesellschaftszwecks in einer Tochtergesellschaft statt in der Gesellschaft selbst als nicht von der gewöhnlichen Beschreibung des Unternehmensgegenstandes in der Satzung (dazu oben Rz. 2.60) gedeckt ansah.45) War Unternehmensgegenstand etwa die „Automobilproduktion“, war davon nur die Automobilproduktion in dem von der Gesellschaft betriebenen Unternehmen gedeckt, nicht auch eine „indirekte“ Ausfüllung des Unternehmensgegenstandes durch dieselbe Aktivität, wenn sie in einer Tochtergesellschaft vorgenommen wurde. Für erforderlich gehalten wurde daher eine „Konzernierungsklausel“ in der Satzung, nach der der Gesellschaft auch der Erwerb von Beteiligungen zur Verfolgung des Unternehmensgegenstandes gestattet ist bzw. dieser auch in Tochtergesellschaften verfolgt werden darf. Nach wohl überwiegender Meinung ist von einer solchen Satzungsklausel die Umwandlung der Gesellschaft in eine reine Holdinggesellschaft, die ihr sämtliches Geschäft über Tochtergesellschaften tätigt, ___________ 45) BGHZ 127, 176, 180 = ZIP 1994, 1847 = NJW 1995, 192 f.; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 9 Rz. 1 f.; Heinsius, ZGR 1984, 383, 405 ff.; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 158 f.; Kropff, ZGR 1984, 112, 130; MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 68 Rz. 14; Wahlers, Konzernbildungskontrolle durch die Hauptversammlung der Obergesellschaft (1995), S. 146 ff.; Wiedemann, GesR, § 6 III 1 b, S. 329; ders., ZGR 1975, 385, 416.

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II. Konzernbildung

aber noch nicht gedeckt; in einem solchen Fall bedarf es daher gegebenenfalls einer weiteren Satzungsänderung. Derartige Beteiligungserwerbe und Ausgliederungen gestattende Klauseln fanden 8.46 sich freilich relativ bald standardmäßig in den meisten Gesellschaftssatzungen. Sie konnten zudem auch noch im Zeitpunkt der (erstmaligen) Konzernbildung relativ kurzfristig geschaffen werden. Vor allem im Aktienrecht stellte sich die Rechtsprechung daher – im Einklang mit Vorbildern im US-amerikanischen Recht – im Holzmüller-Urteil auf den Standpunkt, dass eine Verlagerung „wesentlicher Vermögensteile“ von der Mutter- auf eine Tochtergesellschaft auch dann nicht von der Geschäftsführungskompetenz des Vorstands gedeckt sei, wenn die Satzung eine entsprechende Ermächtigung enthält. Vielmehr bedürfe es eines ad hoc der Maßnahme in jedem Einzelfall zustimmenden Hauptversammlungsbeschlusses, der nach teilweise vertretener Auffassung über die bloßen Formalanforderungen hinaus einer „sachlichen Rechtfertigung“ bedarf.46) In den Gelatine-Urteilen hat der BGH diese Rechtsprechung fortgesetzt und vor allem klargestellt, dass es bei den zustimmungsbedürftigen Vorhaben um faktisch strukturändernde Maßnahmen geht, deren Genehmigung entsprechend einer satzungsändernden Mehrheit bedarf (oben Rz. 6.1). In der GmbH hat die jedenfalls nach der gesetzlichen Lage ohnehin oberste Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung, die zumindest in „wichtigen Angelegenheiten“ zwingend ist, einen entsprechenden Schutz bewirkt (oben Rz. 3.229).47) Erfolgt die Konzernbildung im Falle der Ausgliederung nach den Vorschriften 8.47 des Umwandlungsgesetzes (oben Rz. 6.177), richtet sich auch der Gesellschafterschutz nach dessen Vorschriften. Ungeklärt ist freilich, ob bzw. inwieweit dies auch dann gilt, wenn die Konzernbildung durch Einzelrechtsnachfolge (wie etwa beim Beteiligungserwerb) erfolgt. Für eine Anwendung der umwandlungsrechtlichen Vorschriften lässt sich insoweit anführen, dass sie als eine Art „Allgemeiner Teil“ des Gesellschafterschutzes bei konzernbildenden Maßnahmen qualifiziert werden könnten.48) Da der oben geschilderte Mediatisierungseffekt sich verstärken kann, wenn wei- 8.48 tere Tochtergesellschaften gegründet werden, weiteres Vermögen auf vorhandene Töchter verlagert oder Vermögen von Tochter- auf Enkelgesellschaften verlagert ___________ 46) Für zusätzliche sachliche Rechtfertigung Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 195; Liebscher, Konzernbildungskontrolle (1995), S. 173 ff. (dazu Hirte, ZHR 163 [1999], 126 ff.); abw. MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 68 Rz. 14; Wahlers, Konzernbildungskontrolle durch die Hauptversammlung der Obergesellschaft (1995), S. 192 ff. 47) MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 68 Rz. 14 (bei personalistisch geprägter GmbH Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung, wenn mindestens 10 % des Gesellschaftsvermögens durch die Konzernbildung berührt sind). 48) In diese Richtung BGHZ 146, 288 (Altana/Milupa) = ZIP 2001, 416 = NJW 2001, 1277 = DStR 2001, 582 = NZG 2001, 405 = LM § 119 AktG Nr. 2 [Mülbert]; ebenso Emmerich/ Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 9 Rz. 19 f.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

wird („Umhängen von Beteiligungen“), besteht im Grundsatz Einigkeit, dass auch solche Schritte erneut Beteiligungsrechte der Gesellschafter der Obergesellschaft auslösen. Richtigerweise sollte man solche Maßnahmen als Konzern(fort)bildungsmaßnahmen betrachten; eine Beschreibung als bloße Konzernführungsmaßnahme würde ihrem Charakter nicht gerecht werden. Der BGH hat in der bereits erwähnten Holzmüller-Entscheidung vor allem Kapitalerhöhungsmaßnahmen in einer Tochtergesellschaft in diese Kategorie gefasst.49) 8.49 b) Der Schutz der Gläubigerinteressen vor dem strukturellen Nachrang der Gläubiger einer Obergesellschaft ist bislang überwiegend mit Hilfe des Vertragsrechts bewerkstelligt worden. Gläubiger (insbesondere Kreditinstitute) von Konzern-Muttergesellschaften lassen sich nämlich regelmäßig auch Sicherheiten unmittelbar am Vermögen von Tochtergesellschaften bestellen. Aus Sicht der Tochtergesellschaft stellt die Einräumung solcher Sicherheiten (auch) im Interesse der Muttergesellschaft freilich eine Rückgewähr von Eigenkapital dar; mit Blick auf die hier herausgearbeiteten Interessen der Gläubiger der Muttergesellschaft hat der BGH derartige upstream guarantees freilich für zulässig gehalten (im Einzelnen oben Rz. 5.76). 8.50 Prophylaktisch sollen auch vertragliche Absprachen (covenants) wirken, in denen sich Muttergesellschaften verpflichten, Kredite nur auf der Ebene der Obergesellschaft aufzunehmen. Das kann die Gläubiger der Obergesellschaft freilich nicht schützen, wenn die Vertretungsorgane von Tochtergesellschaften – mit Blick auf die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht im Außenverhältnis wirksam (oben Rz. 3.41) – gegen derartige Absprachen verstoßen. Auch ein Vorrang anderer (etwa deliktischer oder Warenkredit-)Gläubiger kann auf diesem Wege nicht verhindert werden. 2.

Untergesellschaft

a)

Mitteilungspflichten

8.51 Einen der wenigen gesetzlich kodifizierten Bausteine einer Konzernbildungskontrolle bilden Mitteilungspflichten; sie verpflichten den Erwerber einer maßgeblichen Beteiligung, dies der Gesellschaft mitzuteilen. Damit sollen zum einen die Gläubiger und außenstehenden Aktionäre der Gesellschaft (bei börsennotierten Gesellschaften auch die allgemeine Öffentlichkeit und somit potentielle künftige Aktionäre) vor der mit der Beteiligungsveränderung möglicherweise verbundenen Neuausrichtung der Interessen der Gesellschaft auf neue Gesellschafter gewarnt werden; ergänzend dienen die Mitteilungspflichten der Durchsetzung der noch im Einzelnen anzusprechenden konzernrechtlichen Pflichten. ___________ 49) BGHZ 83, 122, 136 ff., 142 ff. (Holzmüller) = ZIP 1982, 568 = NJW 1982, 1703 (AG); dazu ausführlich Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 175 ff.; krit. Heinsius ZGR 1984, 383, 400 ff.; Westermann, ZGR 1984, 352, 376; zum Ganzen auch Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 9 Rz. 11, 22 f.

548

II. Konzernbildung

Heute zerfällt das Regime der Mitteilungspflichten in zwei Teilbereiche, die nach 8.52 § 20 Abs. 8 AktG in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen. Während nach den §§ 21 ff. WpHG – zurückgehend auf europäisches Recht – die Veränderung des Stimmrechtsanteils an einer börsennotierten Gesellschaft (i. S. v. § 21 Abs. 2 WpHG) zu melden ist (dazu oben Rz. 4.71), regeln die §§ 20, 21 AktG die entsprechende Frage hinsichtlich sonstiger Aktiengesellschaften. Danach ist der Erwerb einer Beteiligung von einem Viertel der Aktien (§ 20 Abs. 1 8.53 AktG) oder einer Mehrheitsbeteiligung (§ 20 Abs. 4 AktG) an einer inländischen Aktiengesellschaft der Gesellschaft mitzuteilen (§ 20 Abs. 1 und 4 AktG); Gleiches gilt nach § 20 Abs. 5 AktG für die Veräußerung einer Beteiligung.50) Diese Mitteilungspflicht trifft freilich nur „Unternehmen“ (dazu oben Rz. 8.39 ff.), weil der deutsche Gesetzgeber davon ausgeht, dass beim Beteiligungserwerb durch natürliche Personen die Gefahren, vor denen das Konzernrecht schützen will, nicht oder nur begrenzt bestehen. Allerdings sind auch schon die Gründungsaktionäre erfasst.51) Die Mitteilung hat in Form einer schriftlichen Mitteilung zu erfolgen, und zwar auch dann, wenn das Zielunternehmen die Beteiligung und ihren Inhaber bereits kennt. Dies ergebe sich vor allem aus der nach § 20 Abs. 6 AktG erforderlichen Information der Öffentlichkeit.52) Eine nicht korrekte Erfüllung der Mitteilungspflichten sanktioniert das Gesetz durch eine Rechtsausübungssperre (§ 20 Abs. 7 AktG; dazu auch oben Rz. 3.264a). Im Anschluss an die Mitteilung ist die Beteiligung seitens der „Ziel“-Gesellschaft in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen (§ 20 Abs. 6 AktG) und im Geschäftsbericht offenzulegen (§ 160 Abs. 1 Nr. 8 AktG). Spiegelbildlich verpflichten § 21 Abs. 1 bis 3 AktG eine Aktiengesellschaft 8.54 auch, den Erwerb oder die Veräußerung einer Beteiligung an einer anderen Kapitalgesellschaft – insbesondere also einer GmbH – dieser anzuzeigen; Rechtsfolge der unterlassenen Mitteilung ist auch hier eine Rechtsausübungssperre (§ 21 Abs. 4 AktG). Allerdings sieht § 21 im Gegensatz zu § 20 Abs. 6 keine Bekanntmachungspflicht der erhaltenen Mitteilung vor; dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass es sich bei den Zielgesellschaften der Mitteilung nach § 21 AktG nicht um solche handelt, die am Kapitalmarkt agieren. Die Hauptbedeutung der Vorschrift liegt in den Fällen, in denen die „Ziel“-Gesellschaft nicht schon aufgrund einer Vinkulierungsklausel Kenntnis von der Beteiligungsveränderung erhalten hat. Bei wechselseitigen Beteiligungen werden die Mitteilungspflichten im Übrigen noch stärker erweitert (oben Rz. 8.37 f.). ___________ 50) In einem Mehrstufigkeitsverhältnis, in dem das Mutterunternehmen nur mittelbar über das Tochterunternehmen an der Enkel-AG beteiligt ist, treffen die Mitteilungspflichten nach § 20 AktG sowohl das Mutter- als auch das Tochterunternehmen: BGH ZIP 2000, 1723, 1724 (Aqua Butzke) = NJW 2000, 3647 = DStR 2000, 1742 (Goette) = NZG 2000, 1220 = EWiR § 20 AktG 1/2000, 989 (Vetter) = LM § 20 AktG Nr. 2 (Bayer). 51) BGHZ 167, 204 (Mitteldeutsche Leasing AG) = NZG 2006, 505 = NJW-RR 2006, 1110 = ZIP 2006, 1134 = BB 2006, 1351 = EWiR § 20 AktG 1/06, 449 (Wilsing/Goslar). 52) BGHZ 114, 203, 213 f. = ZIP 1991, 719 = NJW 1991, 2765.

549

§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

b)

Übernahmerecht

8.55 Den Mitteilungspflichten zeitlich nachgelagert ist das Übernahmerecht, auf das bereits an anderer Stelle eingegangen wurde (oben Rz. 4.72). Durch das Pflichtangebot im Zeitpunkt des Kontrollwechsels (§ 35 i. V. m. § 29 Abs. 2 WpÜG) ermöglicht es allen Aktionären einer börsennotierten Aktiengesellschaft, im Falle einer Änderung der Eigentümerstruktur der Gesellschaft aus dieser auszuscheiden. Entscheidend ist: Die Möglichkeit des Ausscheidens ist allein vom tatsächlichen Element des „Kontrollwechsels“ abhängig. 8.56 Beim Abschluss bestimmter Unternehmensverträge besteht zwar – wie noch zu zeigen ist (unten Rz. 8.83) – ebenfalls ein Abfindungsrecht (§ 305 Abs. 1 AktG), der Sache nach also ein Austrittsrecht. Voraussetzung dafür ist allerdings der vorherige Abschluss des Unternehmensvertrages und damit nicht (allein) der Wechsel der Eigentümerstruktur. Abweichende Ansätze, die Konzernrecht und Übernahmerecht aneinander angenähert hätten, wurden unter dem Stichwort „organische Konzernverfassung“ auf europäischer und nationaler Ebene diskutiert (oben Rz. 8.25), konnten sich aber nicht durchsetzen. Sie sind aber mit für die Überlegung maßgeblich, jedenfalls im Falle qualifizierter faktischer Konzernierung ein Abfindungsrecht analog § 305 AktG ex lege – will heißen: ohne Abschluss eines Unternehmensvertrages – einzuräumen (dazu unten Rz. 8.155). c)

Satzungsklauseln

8.57 Außerhalb dieser gesetzlichen Ansätze einer unmittelbaren Konzernbildungskontrolle – vor allem im GmbH-Recht – rückt der Grundsatz des self help durch Satzungsgestaltung in den Blick. Denn das Weisungsrecht des § 37 GmbHG erlaubt ansonsten in der GmbH einen direkten und unkontrollierten Durchgriff jedes Mehrheitsgesellschafters auf die Geschäftsführung.53) Entsprechende Satzungsklauseln sind in zwei Ausgestaltungen denkbar: Zum einen gehören hierher ausdrückliche Konzernunterwerfungsklauseln; darunter versteht man Satzungsbestimmungen, die ausdrücklich klarstellen, dass die betreffende Gesellschaft zu einem Unternehmensverbund gehört oder gehören darf – wie etwa bei einer von vornherein als abhängiger Gesellschaft gegründeten Gesellschaft.54) Zum anderen – und weitaus wichtiger – sind Klauseln denkbar, die eine Erhaltung der Unabhängigkeit sicherstellen wollen; fehlt es an einer ausdrücklichen Bezugnahme auf den Tatbestand der (zu erreichenden oder zu verhindernden) Konzernierung, kann diese Aufgabe auch von – auf den ersten Blick „neutralen“ – Satzungsbestimmungen oder allgemeinen Rechtsprinzipien übernommen werden.

___________ 53) Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 8 Rz. 6. 54) Hierzu auch Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 8 Rz. 22; MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 68 Rz. 22, § 70 Rz. 54.

550

II. Konzernbildung

Als erste konzernpräventive Satzungsbestimmung gilt die Vinkulierung (dazu 8.58 oben Rz. 4.64 ff.). Sie erlaubt der Gesellschaft zunächst eine Entscheidung darüber, ob überhaupt Anteile auf einen Neu-Gesellschafter übertragen werden dürfen. Sie kann eine Konzernierung aber dann nicht verhindern, wenn gerade der bisherige Mehrheitsgesellschafter seine Beteiligung zum Zwecke der Konzerneinbindung veräußert; denn dann wird dieser sich typischerweise den Veräußerungsvorgang selbst gestatten können, da er nach Ansicht der Rechtsprechung in diesem Fall keinem Stimmrechtsausschluss nach § 47 Abs. 4 GmbHG unterliegt.55) Sie hilft aber auch nicht, wenn ein vorhandener Gesellschafter – auch ohne einen Veräußerungsvorgang – vom Privat- zum Unternehmensgesellschafter wird. Die größte Rolle als Satzungsklauseln mit dem Ziel der Erhaltung der Unabhän- 8.59 gigkeit spielen daher Wettbewerbsverbote. Sie können – ähnlich wie in § 112 HGB für die Personengesellschaften – auch im Kapitalgesellschaftsrecht den Gesellschaftern auferlegt werden (oben Rz. 4.42). Ihre konzernpräventive Wirkung entfalten sie, wenn einer der Gesellschafter seine Beteiligung an einen anderen unternehmerisch tätigen Neu-Gesellschafter veräußert, aber auch, wenn ein vorhandener Gesellschafter durch Zuerwerb von Beteiligungen neben der vorhandenen zum „Unternehmen“ wird – und dadurch in seiner Person der „Konzernkonflikt“ begründet ist. Die Rechtsprechung hat daher in solchen Fällen eine formale Aufhebung des Wettbewerbsverbotes für erforderlich erachtet und – darüber hinaus – ähnlich wie in der Rechtsprechung zum Ausschluss des Bezugsrechts (oben Rz. 6.30) gefordert, dass der entsprechende Beschluss durch einen im Gesellschaftsinteresse liegenden sachlichen Grund gerechtfertigt sein müsse; dadurch wird verhindert, dass die Befreiung vom Wettbewerbsverbot allein durch einen Mehrheitsbeschluss zustande kommen kann.56) Die Rechtsprechung hat schließlich ein Wettbewerbsverbot analog § 112 HGB (bzw. auf der Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht) auch dann angenommen, wenn es an einer ausdrücklichen vertraglichen Grundlage dafür fehlte.57) Das ist zwar dispositiv, doch bedarf es dafür einer ausdrücklichen Regelung in der Satzung oder eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung. ___________ 55) BGHZ 48, 163, 166 f. = NJW 1967, 1963; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, § 47 GmbHG Rz. 44 f.; abw. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, § 47 GmbHG Rz. 90; dazu auch Emmerich/ Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 8 Rz. 7 f. 56) BGHZ 80, 69, 74 f. (Süssen) = NJW 1981, 1512; dazu Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 8 Rz. 9; MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 68 Rz. 10, 18; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 59 f. – Zur Unanwendbarkeit dieser Grundsätze auf eine bereits vor Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung bestehende Wettbewerbssituation BGH ZIP 2008, 1872, 1874 (Züblin) = NZG 2008, 831; ebenso zuvor Wiedemann/ Hirte, ZGR 1986, 163, 171 f. 57) BGHZ 89, 162, 166 ff. (Heumann-Ogilvy) = NJW 1984, 1351; dazu Emmerich/ Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 8 Rz. 10 ff.; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 47; Wiedemann/Hirte, ZGR 1986, 163, 166 ff. (mit Kritik an der gewählten Anspruchsgrundlage).

551

§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

8.60 Aus diesen eher spärlichen Judikaten wird heute der allgemeine Grundsatz abgeleitet, dass abhängigkeitsbegründende Maßnahmen immer eines qualifizierten Mehrheitsbeschlusses bedürfen und zudem der Inhaltskontrolle unterliegen.58) Das bedeutet zum einen, dass der Begriff des Wettbewerbsverbots extensiv ausgelegt wird und auch die Abhängigkeitsbegründung von einem Nicht-Wettbewerber erfasst; das Wettbewerbsverbot wird also – mit anderen Worten – als eine vom Gesetzgeber nur unvollkommen ausgestaltete Konzernierungsklausel verstanden. Zum Zweiten soll es auf den Weg, auf dem die Abhängigkeit begründet wird, nicht ankommen: Auch Entscheidungen im Rahmen von Anteilsübertragungen, insbesondere Zustimmungserklärungen auf der Grundlage von Vinkulierungsklauseln einschließlich der Entscheidungen zu Vorkaufs- und Andienungsrechten, Entscheidungen über die Einführung oder Abschaffung von Höchst- oder Mehrstimmrechten oder – sofern es dort nicht ohnehin der Fall ist – über den Ausschluss des Bezugsrechts sollen den höheren Anforderungen genügen, wie sie für die Aufhebung von Wettbewerbsverboten entwickelt wurden. Kaum erfassbar ist auf diesem Wege freilich eine Abhängigkeitsbegründung durch „Nebenabreden“ (zu diesen oben Rz. 3.269 ff.), weil sich mehrere Gesellschafter zu einem gemeinsamen Tätigwerden in Bezug auf die Gesellschaft verabreden (für das Kapitalmarktrecht als acting in concert i. S. v. § 22 Abs. 2 WpHG erfasst). 8.61 Ungeklärt ist, von welchem Zeitpunkt an das beschriebene Schutzinstrumentarium greift: Ist es insbesondere (schon) anwendbar, wenn und solange – wie nach den §§ 311 ff. AktG – noch ein Einzelausgleich nachteiliger Einflussnahmen möglich ist? Ebenso ist ungesichert, welche Anforderungen an die Beschlussfassung zu stellen sind, insbesondere welche Mehrheitserfordernisse gelten,59) ob nach § 47 Abs. 4 GmbHG ein Stimmrechtsausschluss des (künftigen) herrschenden Unternehmens greift und wann ein sachlicher Grund für die Beschlussfassung zu verlangen ist.60) 8.62 Relativ sicher ist andererseits, dass die genannten Grundsätze auf die Aktiengesellschaft nicht anwendbar sind. Dogmatisch wird hier mit der „Konzernoffenheit“ der Aktiengesellschaft argumentiert, die sich aus den §§ 311 ff. AktG erge___________ 58) Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 189 ff.; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 64 ff. (für personalistisch strukturierte Gesellschaften); abw. Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 8 Rz. 13. 59) Im Grundsatz dürfte vom Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit auszugehen sein, von dem aber im Anschluss an NJW 1981, 1512, 1513 (Süssen) (insoweit nicht in BGHZ 80, 69) möglicherweise dann abgewichen werden kann, wenn die Satzung Möglichkeiten der Konzernöffnung etwa in Form der Befreiung von einem Wettbewerbsverbot ausdrücklich vorsieht; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 8 Rz. 7 f. 60) Für ein Eingreifen der Inhaltskontrolle unabhängig von den Mehrheitsanforderungen und selbst neben einem Stimmrechtsausschluss des begünstigten Gesellschafters BGHZ 80, 69, 74 (Süssen) = NJW 1981, 1512; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 8 Rz. 9; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 63; Wiedemann/Hirte, ZGR 1986, 163, 172 ff.

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III. Vertragskonzern

ben soll.61) Denn in ihnen setzt das Gesetz nach heute vorherrschender Meinung nachteilige Einflussnahmen durch ein herrschendes Unternehmen als zulässig voraus, ordnet aber andererseits (nur) eine Ausgleichspflicht an. Weitergehende Konzernverhinderungsbestrebungen wären danach unzulässig, und entsprechende Satzungsgestaltungen würden gegen § 23 Abs. 5 AktG verstoßen. Allerdings soll auch in der Aktiengesellschaft ein aus der gesellschaftlichen Treuepflicht abgeleitetes Wettbewerbsverbot gelten.62) Mit der zunehmenden Entwicklung des Kapitalmarktrechts lässt sich aber zumindest fragen, ob die beschriebene restriktive Auffassung für die nicht von WpÜG und WpHG erfasste Aktiengesellschaft unter Umständen nicht gilt. III.

Vertragskonzern

1.

Überblick

a)

Inhalt von Unternehmensverträgen

Das Aktiengesetz, das als einziges Gesetz Regelungen zum Unternehmensvertrag 8.63 enthält, unterscheidet zwischen dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (§ 291 Abs. 1 AktG) einerseits und den „anderen Unternehmensverträgen“ (§ 292 Abs. 1 AktG) andererseits. Während Charakteristikum des Beherrschungsvertrages ist, dass die Gesellschaft „die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen unterstellt“, verpflichtet sie sich in einem Gewinnabführungsvertrag, „ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen abzuführen“ (jeweils § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG).63) Dabei ist es nach freilich bestrittener Ansicht ausreichend, dass die Gesamtschau des Vertrages ergibt, dass der herrschende Vertragspartner in die Lage versetzt wird, eine auf das Gesamtinteresse der verbundenen Unternehmen ausgerichtete Zielkonzeption zu entwickeln und gegenüber dem Vorstand der beherrschten Gesellschaft durchzusetzen, selbst wenn die noch anzusprechenden formalen Voraussetzungen des Vertragsschlusses (Zu___________ 61) Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 7 Rz. 7 f., § 8 Rz. 14 ff.; krit. Lutter/ Timm, NJW 1982, 409, 412; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 66 f. 62) Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 8 Rz. 20 f.; Liebscher, Konzernbildungskontrolle (1995), S. 388 f. (für personalistische AG) (dazu Hirte, ZHR 163 [1999], 126 ff.); allgemein Zöllner, ZHR 162 (1998), 235, 241 ff.; abw. Koppensteiner, KK, § 311 AktG Rz. 167 ff., Anh. § 318 AktG Rz. 8. 63) Für die Qualifikation eines Lease-back-Mietvertrags als Unternehmensvertrag i. S. v. §§ 291 ff. AktG (im Hinblick auf mit ihm verbundene Gewinnabführung) KG NZG 1999, 1102 = DStR 1999, 2133 (Ls.) (Hergeth) = EWiR § 292 AktG 1/99, 721 (Kort) (inzwischen rkr.); abw. für die Gewinnabführungsverpflichtung in einer Austauschbeziehung BayObLG ZIP 2003, 845, 847 = NJW-RR 2003, 908 = NZG 2003, 636 sowie bei Vereinbarung der Zahlung eines „festen Zinses“ BayObLG NZG 2001, 408 = EWiR § 292 AktG 1/01, 697 (W. Müller); dazu auch Hirte, in: Hirte (Hrsg.), Der qualifizierte faktische Konzern (1992), Einl., S. 18 ff.; ders., in: Hirte (Hrsg.), Der qualifizierte faktische Konzern. Fortsetzungsband (1993), Einl., S. 45 f.; Koppensteiner, KK, § 291 AktG Rz. 92 m. w. N.; teilweise differenzierend Oechsler, ZGR 1997, 464 ff.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

stimmung der Hauptversammlung der beherrschten Gesellschaft zum Vertrag und Eintragung in das Handelsregister der abhängigen Gesellschaft) fehlen („faktische oder verdeckte Beherrschungsverträge“).64) Beide Verträge werden typischerweise miteinander kombiniert, wobei der ausdrückliche Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages nur im Hinblick auf §§ 14 ff. KStG erforderlich ist. Der Inhalt der Verträge geht in der Vertragspraxis auch kaum über den zitierten Gesetzeswortlaut hinaus.65) Lediglich das Steuerrecht macht weitere Vorgaben; danach muss ein Gewinnabführungsvertrag auf mindestens fünf Jahre geschlossen sein und während dieses Zeitraums auch tatsächlich durchgeführt werden. Wesentlich ist neben den bereits genannten Punkten vor allem die Verpflichtung, bei Vorhandensein außenstehender Aktionäre einen „angemessenen Ausgleich“ für diese vorzusehen (§ 304 Abs. 1 AktG); fehlt die Festlegung, ist der Vertrag nichtig (§ 304 Abs. 3 AktG). 8.64 Nicht festgelegt zu werden brauchen die Verlustübernahmeverpflichtung (§ 302 AktG) und die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung bei Beendigung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§ 303 AktG); sie ergeben sich als Kehrseite vor allem der Gewinnabführungspflicht aus dem Gesetz. Mit diesen sehr intensiv ausgestalteten Rechtsfolgen bilden der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag in gewisser Weise eine Vorstufe zur Verschmelzung; dieser ist vor allem das Verfahren des Vertragsschlusses denn auch in erheblichem Umfang nachgebildet (Einzelheiten unten Rz. 8.70 ff.). 8.65 Zu den „anderen Unternehmensverträgen“ werden vom Gesetz die Gewinngemeinschaft (§ 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG), der Teilgewinnabführungsvertrag (§ 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG) sowie Betriebspacht- und -überlassungsvertrag (§ 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG) gezählt. Im Gegensatz zu Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag setzen sie (nur) § 76 AktG und nicht auch die Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 57, 58, 60 AktG außer Kraft (vgl. § 291 Abs. 3 AktG einerseits, § 292 Abs. 3 AktG andererseits). Daher werden sie auch nicht wie Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge als „satzungsüberlagernde Organisationsverträge“66), ___________ 64) LG München I ZIP 2008, 555, 559 ff. (HVB/UniCredit) = EWiR § 293 AktG 1/2008, 161 (Thomas); im Anschluss an Hirte/Schall, Konzern 2006, 243, 244 ff.; abw. OLG Schleswig ZIP 2009, 124, 126 ff. = NZG 2008, 868; dazu Kort, NZG 2009, 364. – Zur Nicht-Statthaftigkeit eines Spruchverfahrens zur Festsetzung eines angemessenen Ausgleichs und einer angemessenen Barabfindung in diesem Fall OLG München ZIP 2008, 1330 ff. = NZG 2008, 753 = EWiR § 291 AktG 1/2008, 481 (Goslar); ebenso als Vorinstanz LG München I ZIP 2008, 242, 243 (HVB/UniCredit); insoweit abw. Hirte/Schall, Konzern 2006, 243, 250 f. 65) Zur Notwendigkeit mindestens einer Konkretisierung des Weisungsrechts beim Beherrschungsvertrag Hirte, in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWSDokumentation 13 (1993), Einl., S. 23; zur Möglichkeit der Einschränkung des Weisungsrechts Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 291 AktG Rz. 16 ff., § 308 AktG Rz. 37; Hirte, in: GroßK, § 308 AktG Rz. 9. 66) BGHZ 105, 1, 4 f. = ZIP 1988, 229, 230 = NJW 1988, 1326; BGHZ 105, 324, 331 (Supermarkt) = ZIP 1989, 29, 31 = NJW 1989, 295, 296 = EWiR § 54 GmbHG 1/89, 59, 60 (SchulzeOsterloh) = WuB II C. § 54 GmbHG 1.89 (Schneider) (zum GmbH-Vertragskonzern).

554

III. Vertragskonzern

sondern als echte Schuldverträge angesehen. Die Verwaltung ist daher vor allen Dingen aufgrund der allgemeinen Sorgfaltspflicht des § 93 AktG verpflichtet, auf ein ausgewogenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zu achten.67) Im Rahmen der Beschlusserfordernisse begründen Verstöße gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften zwar nicht die Nichtigkeit des Vertrages (§ 292 Abs. 3 Satz 1 AktG), berechtigen aber unverändert zur Anfechtung des Zustimmungsbeschlusses (§ 292 Abs. 3 Satz 2 AktG). Die besonderen gesetzlichen Regelungen zum Gläubigerschutz (§§ 302, 303 AktG) und zum Schutz der außenstehenden Gesellschafter (§§ 304 ff. AktG) greifen aber nicht ein. Darauf kommt es allerdings dann nicht an, wenn die Verträge – was möglich ist und insbesondere mit Betriebspachtund Betriebsführungsverträgen praktiziert wird – neben einen nach den gesetzlichen Vorschriften geschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag treten, etwa, um dessen Wirkung abzusichern oder zu verstärken.68) § 292 Abs. 1 AktG mit der Folge der Anwendung der Beschlusserfordernisse für Unternehmensverträge greift im Übrigen – wie hinsichtlich der Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge – von Gesetzes wegen immer nur dann ein, wenn eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien die vertragsspezifische Leistung erbringt (§ 292 Abs. 1 AktG a. A.); hinsichtlich anderer Rechtsformen bedeutet dies aber nur, dass dann auf die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Rechtsinstitute zurückzugreifen ist. Eine erhebliche praktische Bedeutung unter den „anderen Unternehmensverträ- 8.66 gen“ haben nur die Betriebspacht- und -überlassungsverträge des § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG. Bei einem Betriebspachtvertrag, der zunächst einmal ein echter Pachtvertrag i. S. v. § 581 BGB ist, führt der Pächter ein fremdes Unternehmen im eigenen Namen und für eigene Rechnung. Da damit die Verpächter-Gesellschaft und ihre Organe der Chancen und Risiken einer eigenverantwortlichen Tätigkeit in Bezug auf ihr (gemeint: gesamtes) Unternehmen beraubt und sie zur „Rentner-Gesellschaft“69) wird, erfordert eine solche Verpachtung die Zustimmung der Aktionäre. Gleiches gilt für den Betriebsüberlassungsvertrag, bei dem der Übernehmer ein fremdes Unternehmen in fremdem Namen (typischerweise aufgrund einer Generalvollmacht), aber auf eigene Rechnung führt; mit Blick auf das Auftreten des Übernehmers in fremdem Namen ist die auch hier vorliegende Verlagerung der wirtschaftlichen Entscheidungskompetenzen nach außen – für die Aktionäre – nicht erkennbar. Beide Varianten der Betriebsüberlassung ermöglichen eine befristete Überlassung des Unternehmens an einen anderen Betreiber, sei es aus Sanierungs- oder (bei personenbezogenen Unternehmen) aus Altersgründen.70) Die Rechtsprechung erfasst unter § 292 Abs. 1 Nr. 3 ___________ 67) 68) 69) 70)

Raiser/Veil, KapGesR, § 57 Rz. 5. Raiser/Veil, KapGesR, § 57 Rz. 5, 23. Raiser/Veil, KapGesR, § 57 Rz. 17. Raiser/Veil, KapGesR, § 57 Rz. 22.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

AktG schließlich auch den „Betriebsführungsvertrag“ (oder „Managementvertrag“),71) bei dem der Betriebsführer ein Unternehmen für Rechnung der Eigentümergesellschaft leitet (§ 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG a. E.: „oder sonst überläßt“). Rechtlich handelt es sich dabei um einen Geschäftsbesorgungsvertrag, bei dem es sowohl denkbar ist, dass der Betriebsführer im eigenen Namen auftritt, wie, dass er in fremdem Namen für die Eigentümergesellschaft handelt.72) Große Bedeutung haben derartige Verträge bei der Führung von kettenangehörigen Hotels. 8.66a Bei einem Teilgewinnabführungsvertrag i. S. v. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG führt die Aktiengesellschaft nur einen Teil ihres Gewinns an einen „anderen“ – nicht notwendig ein „Unternehmen“ – ab; dafür erhält sie im Gegensatz zum (Voll-)Gewinnabführungsvertrag eine Gegenleistung, die in einem – gegebenenfalls im Wege der Anfechtungsklage zu überprüfenden – angemessenen Verhältnis zur Gewinnabführung stehen muss. Bedeutung erlangt die Norm vor allem, weil stille Beteiligungen an einer Aktiengesellschaft (auch wenn nicht explizit so bezeichnet) als Teilgewinnabführungsvertrag anzusehen sind;73) Folge ist, dass der Abschluss der entsprechenden Vereinbarung kein Bezugsrecht der Aktionäre auslöst, wie dies § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG für den Fall vorsieht, dass man das Rechtsverhältnis als Genussrecht ansehen würde (dazu auch oben Rz. 5.16a). Verträge über eine Gewinnbeteiligung mit Vorstands-, Aufsichtsratsmitgliedern oder Arbeitnehmern stellen nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in § 292 Abs. 2 AktG ebensowenig einen Teilgewinnabführungsvertrag dar wie entsprechende Abreden in Verträgen des laufenden Geschäftsverkehrs oder in Lizenzverträgen. Hintergrund ist, dass es sich in diesen Fällen entweder um unbedeutende Gewinnabführungen handelt oder um solche, bei denen aufgrund der Marktbedingungen in anderer Weise sichergestellt ist, dass es nicht zu unangemessenen Gewinnabführungen kommt.74) Ganz ähnlich stellt auch die Emission von Gewinnschuldverschreibungen oder Genussrechten nicht zugleich einen Teilgewinnabführungsvertrag dar. Denn jedenfalls die breit gestreute Begebung der hier angesprochenen Rechte dient zum einen nicht der Begründung eines Unternehmensverbundes;75) mindestens wird man ungeachtet dessen § 221 AktG als lex specialis ansehen müssen, weil das die Aktionäre schützende Bezugs___________ 71) BGH ZIP 1982, 578 (Holiday Inn). 72) Raiser/Veil, KapGesR, § 57 Rz. 19. 73) BGHZ 156, 38, 41 (Deutsche Hypothekenbank AG) = ZIP 2003, 1788, 1789 f. = NJW 2003, 3412 = NZG 2003, 1023 = EWiR § 221 AktG 1/03, 1113 (Radlmayr) (Vorinstanz KG ZIP 2002, 890); BGH NZG 2006, 540 (Securenta) = NJW-RR 2006, 1182 = ZIP 2006, 1201; Raiser/Veil, KapGesR, § 57 Rz. 11. 74) MünchKomm-Altmeppen, § 292 AktG Rz. 5, 78 ff. 75) Hirte, ZBB 1992, 50, 51 f.; abw. hinsichtlich der Beschränkung der Spezialität auf Fälle massenweiser Begebung MünchKomm-Habersack, § 221 AktG Rz. 73, da § 294 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AktG (heute) ausdrücklich den Abschluss massenweiser stiller Gesellschaften erleichtere.

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III. Vertragskonzern

recht die angemessenere Rechtsfolge ist.76) Daher bedarf es weder einer Eintragung eines Genussrechtsvertrages in das Handelsregister noch ist die Vertretungsmacht des Vorstands zum Abschluss der Genussrechtsverträge mit Blick auf eine notwendige Beschlussfassung der Hauptversammlung beschränkt.77) Im Aktienrecht praktisch nicht mehr78) (erkennbar) vorkommend sind heute Ge- 8.66b winngemeinschaften (§ 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG). Dabei handelt es sich um Absprachen – der Sache nach BGB-Innengesellschaften79) – mit denen der von den beteiligten Unternehmen erwirtschaftete Gewinn vergemeinschaftet und dann neu verteilt wird (etwa, sofern zulässig: Kartellabsprachen). Im Gegensatz zum Gewinnabführungsvertrag erfolgt deshalb die Gewinnabführung nicht aufgrund eines einseitigen Aktes; doch erfordert dies auf der anderen Seite eine – gegebenenfalls im Wege der Anfechtungsklage zu überprüfende – Angemessenheit der Aufteilung. b)

Regelungsansatz

Der Gesetzgeber hat den Unternehmensvertrag als Vertrag zwischen zwei selb- 8.67 ständigen Unternehmen entworfen; ob das Ziel dieser Gestaltung auch war, die sich aus der Konzernierung ergebenden Probleme wie bei einem echten Vertrag durch die Vertragspartner „aushandeln“ zu lassen, ist ungewiss. Tatsächlich besteht immer bereits eine (qualifizierte Haupt- bzw. Gesellschafterversammlungs-)Mehrheitsbeteiligung des „anderen Unternehmens“ an dem Unternehmen, das ihm seine Leitung unterstellt oder seinen Gewinn abführt; konsequent wird daher teilweise die Ansicht vertreten, die Veräußerung der Mehrheitsbeteiligung bilde einen wichtigen Grund zur Kündigung des Unternehmensvertrages (dazu unten Rz. 8.101). Wegen der mit einer Mehrheitsbeteiligung typischerweise schon zuvor bestehenden Möglichkeit, auf die Zusammensetzung der Leitungsorgane des zu beherrschenden Unternehmens Einfluss zu nehmen – bei der Aktiengesellschaft indirekt via Aufsichtsrat –, handelt es sich in der Rechtswirklichkeit um ein ___________ 76) Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312, 315 f.; Hirte, in: GroßK, § 221 AktG Rz. 375; MünchKomm-Habersack, § 221 AktG Rz. 74, 89; abw. noch Hirte, ZBB 1992, 50, 51 f. 77) BGHZ 156, 38, 43 (Deutsche Hypothekenbank AG) = ZIP 2003, 1788, 1789; AG Charlottenburg GmbHR 2006, 258 (GmbH); Busch, AG 1994, 93, 97; Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312, 316 f.; Gehling, WM 1992, 1093, 1096 (mit zusätzlichem Verweis auf das Fehlen einer Gewinnabführung bei bloß obligationsähnlichen Genussrechten); Hirte, ZIP 1988, 477, 485; Reuter, in: Festschrift für Fischer (1979), S. 605, 617 Fn. 50; Hoffmann, FB 2005, 373, 378 f. (für stille Gesellschaften allgemein); MünchKomm-Habersack, § 221 AktG Rz. 72, 74; U. H. Schneider, in: Festschrift für Goerdeler (1987), S. 511, 525; Sethe, AG 1993, 293, 310 f. (allerdings gegen eine Verneinung der Konkurrenz nur in Fällen fehlender breiter Streuung; der Aktionärsschutz werde vielmehr durch das Bezugsrecht gewährleistet); vom BGH in BGHZ 120, 141 (Bankverein Bremen) = ZIP 1992, 1728 nicht angesprochen; abw. Bachmann/Veil, ZIP 1999, 348 ff. (allgemein zur stillen Gesellschaft). 78) MünchKomm-Altmeppen, § 292 AktG Rz. 10; Raiser/Veil, KapGesR, § 57 Rz. 7. 79) MünchKomm-Altmeppen, § 292 AktG Rz. 12; Raiser/Veil, KapGesR, § 57 Rz. 7.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

„In-Sich-Geschäft“;80) die Zustimmung der Tochtergesellschaft bildet lediglich einen „Formalakt“.81) Konsequent wollen die Reformüberlegungen im europäischen Recht daher die Bildung eines „Vertragskonzerns“ durch einseitige „Konzern-Erklärung“ des herrschenden Unternehmens mit Zustimmung des Grundorgans der Muttergesellschaft ermöglichen.82) Die für das deutsche Recht beschriebene Lage dämpft die Begeisterung zum Abschluss von Unternehmensverträgen naturgemäß, solange damit keine steuerlichen Vorteile verbunden sind. Es ist ein wenig so, als wenn man von Eheleuten im Rahmen der Eheschließung erwartete, dass sie freiwillig Unterhaltsansprüche für Partner aus früheren Beziehungen einräumten. Ansätze, diese im Interesse der Gläubiger und außenstehenden Gesellschafter missliche Situation dadurch zu bekämpfen, dass man ein „Verbot“ des faktischen Konzerns statuiert bzw. – spiegelbildlich – einen Zwang zum Abschluss eines Beherrschungsvertrags, waren wenig erfolgreich.83) Die bereits vorgestellte Judikatur des BGH zum qualifizierten faktischen Konzern (oben Rz. 5.167 ff. und unten Rz. 8.153 f.) war die nur begrenzt konsensfähige Antwort der Rechtsprechung auf diesen Konflikt. 8.68 Was die Interessen auf der Ebene der Gesellschafterversammlung angeht, geht es beim Beherrschungsvertrag vielmehr um einen Ausgleich zwischen Mehrheitsund Minderheitsgesellschaftern, was besonders daran deutlich wird, dass die Ausgleichs- und Abfindungsregelungen des „Vertrages“ in diesem Verhältnis gerichtlich überprüfbar sind bzw. – wenn man im GmbH-Recht die Zustimmung aller Gesellschafter zum Vertragsabschluss für erforderlich hält – ein angemessener vertraglicher Ausgleich auf dieser Ebene durch Verweigerung der Zustimmung erzwungen werden kann. Hinsichtlich dieses Ausgleichs auf der Ebene der Gesellschafter gibt es eine Parallele und einen wesentlichen Unterschied zum Übernahmerecht: Parallel ist die Lage dabei insoweit, als es auch dort um den Schutz von Minderheits- (= außenstehenden) Gesellschaftern geht; anders ist sie aber insoweit, als Übernahmerecht den Minderheitenschutz unabhängig vom Willen des Anbieters (= Mehrheitsgesellschafters) statuiert und ihn vor allem im Zeitpunkt des Kontrollwechsels eingreifen lässt.84) ___________ 80) Kübler/Assmann, GesR, § 30 III 1 b, S. 431; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 45; ähnlich Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 743. 81) Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 16 Rz. 20. 82) Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 740 ff.; zust. Wiedemann/Hirte, Konzernrecht, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. II (2000), S. 337, 371; krit. hierzu Blaurock, in: Festschrift für Sandrock (2000), S. 79, 89 ff. 83) So der Vorschlag von Schilling auf dem 42. Deutschen Juristentag 1957; dazu und zur weiteren Rezeption dieses Gedankens Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts im Aktiengesetz von 1965 (1997), S. 196 f., 218, 224. 84) Zur Parallelität von Unternehmensvertrag und gesellschaftsrechtlicher Nebenabrede bereits Hirte, in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 (1993), Einl., S. 9.

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III. Vertragskonzern

Der Beherrschungsvertrag erschöpft sich aber andererseits nicht in diesem Aus- 8.69 gleich von Mehrheits- und Minderheitsinteressen auf der Ebene der Gesellschafterversammlung. Denn er statuiert daneben einerseits einen vom Willen der Vertragspartner unabhängigen Gläubigerschutz (§§ 302, 303 AktG), und er erlaubt zum anderen den unmittelbaren Durchgriff auf die Geschäftsleitung (§ 308 AktG), wie er im Aktienrecht ansonsten nicht möglich und im GmbH-Recht je nach Satzungsgestaltung erschwert wäre. 2.

Abschluss des Unternehmensvertrages

a)

Unternehmensvertrag

Abgeschlossen wird der Unternehmensvertrag durch die Vertretungsorgane 8.70 der beteiligten Unternehmen in schriftlicher Form (§ 293 Abs. 3 AktG); diese reicht aus, weil der Unternehmensvertrag (im Gegensatz zu einer Umwandlung; zur dort erforderlichen notariellen Beurkundung unten Rz. 6.126) die formale Struktur und den Bestand der beteiligten Gesellschaften unberührt lässt (arg. auch § 293 Abs. 1 Satz 4 AktG, der dazu führt, dass auch der Zustimmungsbeschluss zu einem Unternehmensvertrag nicht beurkundungspflichtig ist). Der notwendige Regelungsinhalt ist minimal (oben Rz. 8.63). b)

Unternehmensvertragsbericht

Die beim Abschluss eines Unternehmensvertrages zu beachtenden Verfahrens- 8.71 voraussetzungen wurden durch das Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts in §§ 293a ff. AktG denen der Umwandlung angepasst.85) Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Unternehmensvertrag für Gläubiger und außenstehende Gesellschafter Interessenbeeinträchtigungen bewirkt, die denen einer Verschmelzung vergleichbar sind, und dass er häufig eine Durchgangsphase zur „echten“ Verschmelzung bildet. Daher bedarf es eines Unternehmensvertragsberichts (§ 293a AktG), der zum Abschluss des Vertrages und dabei auch zu seiner Zweckmäßigkeit sowie zum Inhalt des Vertrages im Einzelnen Stellung zu nehmen hat86) sowie Art und Höhe von Ausgleich (§ 304 AktG) und Abfindung (§ 305 AktG) rechtlich und wirtschaftlich erläutern und begründen muss. c)

Unternehmensvertragsprüfung

Erforderlich ist weiter, sofern sich nicht alle Aktien in einer Hand befinden und es 8.72 damit an einem Schutzbedarf für die Gesellschafter fehlt, eine Unternehmensvertragsprüfung (§ 293b AktG), die sich vor allem auf die Angemessenheit von Ausgleich (§ 304 AktG) und Abfindung (§ 305 AktG) zu richten hat, nicht aber die Zweckmäßigkeit der Maßnahme erfasst; die Vertragsprüfer haben gegenüber dem ___________ 85) Dazu Bungert, DB 1995, 1384; RefE abgedruckt in: RWS-Dok. 13 Nr. 1.1.4. 86) Hüffer/Koch, § 293a AktG Rz. 12.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

Vorstand des zukünftig vertraglich abhängigen Unternehmens zu berichten (§ 293e AktG).87) d)

Zustimmungsbeschluss

8.73 Den Kern – vor allem bei Publikumsaktiengesellschaften – bildet aber der mit qualifizierter Mehrheit zu fassende Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung zum Unternehmensvertrag. Er ist nach dem Aktiengesetz immer bei einer abhängigen (bzw. abhängig werdenden) Aktiengesellschaft erforderlich (§ 293 Abs. 1 AktG); ist das herrschende Unternehmen eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien, bedarf es auch dort wegen der mit dem Vertragsschluss verbundenen weitreichenden Pflichten (§§ 302 f., 304 f. AktG)88) eines Zustimmungsbeschlusses (§ 293 Abs. 2 AktG). Nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob der Zustimmungsbeschluss der abhängigen Gesellschaft einer materiellen Beschlusskontrolle bedarf; abgesehen von der zurückgehenden Bedeutung dieses Instruments in der Judikatur des BGH89) dürfte es einer Inhaltskontrolle hier aber schon deshalb nicht bedürfen, weil die Position der außenstehenden Gesellschafter durch den Vertragsschluss gegenüber dem zuvor bestehenden vertragslosen Zustand zumindest partiell verbessert wird; schließlich lag der kritische Punkt des Mehrheitserwerbs schon davor (weshalb an dieser Stelle auch das Übernahmerecht ansetzt; dazu oben Rz. 4.72).90) Zur Vorbereitung des Zustimmungsbeschlusses sind in den Geschäftsräumen jeder der beteiligten Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien ___________ 87) Gegenstand eines Bestätigungsbeschlusses nach § 244 AktG ist nach Auffassung des OLG München (ZIP 1997, 1743 [SSI/Rieter III] = EWiR § 244 AktG 1/97, 867 [Karollus] = DZWir 1997, 509 [Dostal]) nicht der Ausgangsbeschluss, sondern nur die Beseitigung seiner möglichen Mängel; nur darauf beziehen sich damit auch die Informationsrechte der Aktionäre. Deshalb muss ein solcher Beschluss nicht die Voraussetzungen der §§ 293a ff. AktG erfüllen, wenn diese am 1.1.1995 in Kraft getretenen Normen zum Zeitpunkt des ursprünglichen Zustimmungsbeschlusses zu einem Unternehmensvertrag noch nicht gegolten hatten; zum Bestätigungsbeschluss im Übrigen oben Rz. 3.287. 88) Begr RegE und Bericht des Rechtsausschusses zu § 293 Abs. 2 AktG bei Kropff, Aktiengesetz (1965), S. 381. 89) Vgl. einerseits BGHZ 136, 133 (Siemens) = NJW 1997, 2815 = ZIP 1997, 1499 = EWiR § 203 AktG 1/97, 1013 (Hirte) = JZ 1998, 47 (Lutter) = DStR 1997, 1460 (Goette) = LM H. 1/1998 § 186 AktG 1965 Nr. 9 (Schwark); BGHZ 138, 71, 79 (Sachsenmilch) = NJW 1998, 2054, 2056 = ZIP 1998, 692, 694 = EWiR § 222 AktG 1/99, 49 (Dreher) = LM H. 7/1998 § 222 AktG 1965 Nr. 3 (Heidenhain) = NZG 1998, 422 = BB 1998, 810 m. Anm. Thümmel, 911; andererseits zuletzt BGHZ 142, 167 (Hilgers) = ZIP 1999, 1444 = NJW 1999, 3197 = DStR 1999, 1449 (Goette) = LM § 8 AktG Nr. 1 (Noack); zur Inhaltskontrolle bei Kapitalherabsetzungsbeschlüssen auch Hirte, ZInsO 1999, 616. 90) Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 41 ff.; ders., in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 (1993), Einl., S. 14 ff.; Wiedemann/Hirte, Konzernrecht, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. II (2000), S. 337, 373; i. E. ebenso Kort, Der Abschluß von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen im GmbH-Recht (1986), S. 121 f.; ders., BB 1988, 79, 81 f.; Timm, AG 1982, 93, 100; ders., ZGR 1987, 403, 426 ff.; Wiedemann, ZGR 1978, 477, 491.

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III. Vertragskonzern

der Unternehmensvertrag, die Jahresabschlüsse und Lageberichte der vertragschließenden Unternehmen für die letzten drei Geschäftsjahre sowie die Unternehmensvertrags- und -prüfungsberichte zur Einsicht der Aktionäre auszulegen und auf Verlangen jedem Aktionär unverzüglich und kostenlos zuzuleiten (§ 293f AktG). In der Hauptversammlung selbst treffen die beteiligten Vorstände besondere Informationspflichten, und die Aktionäre haben ein Informationsrecht, das sich auch auf die Angelegenheiten des anderen Vertragsteils erstreckt (§ 293g AktG; zur Geltendmachung von Informationsmängeln durch Anfechtungsklage oben Rz. 3.287). e)

Eintragung in das Handelsregister

Schließlich ist der Vertragsschluss in das Handelsregister der abhängigen Gesell- 8.74 schaft zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden; erst mit dieser Eintragung wird er wirksam (§ 294 AktG). Wie früher schon im Umwandlungsrecht (dazu oben Rz. 6.147) hat der Gesetzgeber im UMAG auch für Hauptversammlungsbeschlüsse im Rahmen der §§ 291 – 307 AktG nunmehr ein Freigabeverfahren eingeführt (dazu oben Rz. 3.297b), mit dem ein Bestandsschutz der Beschlüsse trotz schwebender Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklagen bewirkt wird (§ 246a Abs. 1 AktG n. F.). 3.

Gläubiger- und Minderheitenschutz

a)

Gläubigerschutz

Bei Abschluss eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages – und 8.75 nur hier – sieht das Gesetz aus Gründen des Gläubigerschutzes in § 300 AktG die Verpflichtung zur Bildung einer gesetzlichen Rücklage vor, die an die Stelle der sonst nach § 150 Abs. 2 AktG zu bildenden Rücklage tritt (§ 150 AktG selbst würde ansonsten mangels Jahresüberschusses leerlaufen); zugleich wird der Umfang der Gewinnabführungspflicht limitiert (§ 301 AktG). Den Kern der Gläubigerschutzregeln bildet aber die Pflicht zur (internen) Verlustübernahme in § 302 AktG, die für den Fall der Beendigung eines Unternehmensvertrages in § 303 AktG durch eine Pflicht zur Sicherheitsleistung gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft ergänzt wird, deren Forderungen vor Eintragung der Beendigung des Vertrages in das Handelsregister begründet wurden. Die Normen gleichen den wegen § 291 Abs. 3 AktG entfallenden Kapitalschutz des allgemeinen Aktienrechts (dazu im Übrigen näher unten Rz. 8.110) aus.91) aa) In der Rechtsprechung des BGH haben diese Regelungen eine erhebliche Rolle 8.76 gespielt, freilich in erster Linie im Rahmen ihrer analogen Anwendung bei Vorliegen eines „qualifizierten faktischen Konzerns“; davon war schon die Rede (oben Rz. 5.167 ff.; dazu auch unten Rz. 8.152 ff.). Vorzustellen ist hier nur das Hansa-Feuerfest-Urteil, in dem der II. Zivilsenat betonte, dass der Verlustausgleichspflicht nicht durch den

___________ 91) Hirte, in: GroßK, § 302 AktG Rz. 4.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

Nachweis begegnet werden könne, die Verluste seien nicht auf die Ausübung von Leitungsmacht zurückzuführen.92) Zu erwähnen ist auch das „Hamburger Stahlwerke“-Urteil, in dem der BGH zu Recht feststellte, dass die Verlustausgleichspflicht des § 302 AktG bei der Kreditwürdigkeitsprüfung des Kapitalersatzrechts nicht berücksichtigt werden könne; denn sie verschaffe wegen des erst nachträglichen Ausgleichs dem abhängigen Unternehmen keine aktuelle Liquidität.93) Der sich aus einem Unternehmensvertrag (hier: mit einer GmbH) ergebende Anspruch auf Ausgleich eines Jahresfehlbetrags entsteht im Übrigen – wie der BGH entschied – bereits am Stichtag der Jahresbilanz der beherrschten Gesellschaft und wird (allein) mit seiner Entstehung fällig. Zudem wird die Höhe des Ausgleichsanspruchs nicht (erst) durch den festgestellten Jahresabschluss rechtsverbindlich festgelegt, sondern (schon) durch den zum Bilanzstichtag zutreffend ausgewiesenen Fehlbetrag.94) Damit wird sonst möglichen Manipulationen und vor allem Verzögerungen bei der Durchsetzung des Anspruchs vorgebeugt.

8.77 Einen Anspruch auf (kontinuierliche) Versorgung mit Liquidität gibt die Verlustausgleichspflicht des § 302 AktG freilich – wie gerade aus der vorstehenden Entscheidung deutlich wird – nicht.95) 8.78 bb) § 303 Abs. 1 Satz 1 AktG schützt bestimmte Gläubiger durch einen Anspruch auf Sicherheitsleistung, wenn ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag endet und die abhängige Gesellschaft noch leistungsfähig ist. Voraussetzung ist, dass einer der genannten Verträge beendet worden ist, ohne dass es auf den Grund für die Beendigung ankäme.96) Allerdings ist der Anspruch auf Sicherheitsleistung für Verbindlichkeiten, die bis zur Bekanntmachung der Eintragung der Beendigung des Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags begründet wurden, aber erst danach fällig werden, entsprechend den Nachhaftungsregeln in §§ 26, 160 HGB und § 327 Abs. 4 AktG auf Ansprüche begrenzt, die vor Ablauf von fünf Jahren nach der Bekanntmachung fällig werden.97) Nach einer Entscheidung des BAG können zwar Versorgungsberechtigte nicht nach § 303 ___________ 92) BGHZ 116, 37, 41 f. (Hansa-Feuerfest – Stromlieferung) = ZIP 1992, 29, 30 f. = NJW 1992, 505, 506 = WuB II C. § 54 GmbHG 1.93 (Burgard) = EWiR § 303 AktG 1/92, 425 (Geuting); Hirte, in: GroßK, § 302 AktG Rz. 15. 93) BGHZ 105, 168, 183 ff. (HSW) = ZIP 1988, 1248, 1252 f. = EWiR § 32a GmbHG 1/88, 1095 (Fleck) = WuB II C. § 32a GmbHG 2.88 (Rümker). 94) BGHZ 142, 382 = ZIP 1999, 1965 = NJW 2000, 210 = DB 1999, 2457 = DStR 1999, 1998 = GmbHR 1999, 1299, 1300 f. (Brauer) = LM H. 4/2000 § 302 AktG 1965 Nr. 12 (Spindler); BGH ZIP 2005, 854, 855; dazu Altmeppen, DB 1999, 2453; Hirte, in: GroßK, § 302 AktG Rz. 36, 62; Kleindiek, ZGR 2001, 479. 95) Hirte, in: GroßK, § 302 AktG Rz. 62; MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 70 Rz. 28 f.; Zeidler, NZG 1999, 692, 695. 96) Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 303 AktG Rz. 7 f.; Hirte, in: GroßK, § 303 AktG Rz. 10. 97) BGHZ 202, 317 = ZIP 2014, 2282 = NZG 2014, 1340 = NJW-RR 2015, 232 = EWiR 2014, 739 (Bungert/de Raet); im Anschluss an etwa Hirte, in: GroßK, § 303 AktG Rz. 17; auf ein konkretes Sicherungsbedürfnis im Rahmen von § 26 KapErhG a. F. abstellend demgegenüber noch BGH ZIP 1996, 705, 706 f. = NJW 1996, 1539 f.

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III. Vertragskonzern

AktG Sicherheit für künftige Betriebsrentenanpassungen verlangen; das BAG wies aber zugleich auch darauf hin, dass das herrschende Unternehmen bei Beendigung eines Beherrschungsvertrages das abhängige Unternehmen grundsätzlich so auszustatten habe, dass dieses zur Anpassung der Betriebsrenten wirtschaftlich in der Lage sei, und dass die Verletzung einer solchen Verpflichtung zu Schadenersatzansprüchen der Betriebsrentner gegen das ursprünglich herrschende Unternehmen führen könne.98) Darin liegt in der Sache die ansonsten von den Gerichten gerade verneinte Verpflichtung zu einer Ausstattung des abhängigen Unternehmens auch mit Liquidität (Rz. 8.76 ff.) oder – allgemeiner – die Einführung eines „Solvenztests“ (dazu näher oben Rz. 3.105a ff.). Da die Norm sachlich der im Falle der Beendigung einer Verschmelzung eingreifenden Regelung des § 22 UmwG entspricht, ist die zu dieser ergangene Judikatur hier in gleicher Weise von Bedeutung (zu dieser oben Rz. 6.164). Negative Voraussetzung des Anspruchs auf Sicherheitsleistung ist, dass die Leis- 8.79 tungsunfähigkeit der abhängigen Gesellschaft nicht endgültig feststehen darf. Denn in diesem Fall macht eine bloße Sicherheitsleistung durch das herrschende Unternehmen in welcher Form auch immer keinen Sinn mehr. Hier wandelt sich der Anspruch des Gläubigers auf Sicherheitsleistung daher entsprechend § 322 Abs. 1 AktG in einen direkten Zahlungsanspruch gegen das herrschende Unternehmen um.99) Das wurde von den Gerichten vor allen Dingen im Zusammenhang mit der entsprechenden Anwendung der Norm in qualifiziert faktischen Konzernverbindungen entschieden. Ein solcher Fall endgültig feststehender Leistungsunfähigkeit ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der abhängigen Gesellschaft mangels Masse abgelehnt (§ 26 InsO) oder das Verfahren aus diesem Grunde eingestellt (§ 207 InsO) oder wenn die Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wurde.100) Anders ist dagegen der Fall der bloßen Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beurteilen.101) Denn diese ist schon bei bloß drohender Zahlungsfähigkeit (§ 18 InsO) möglich, und selbst bei den Insolvenzgründen ___________ 98) BAGE 131, 50 Tz. 28 ff. = ZIP 2009, 2166, 2168 f. = NZG 2009, 823 = ZInsO 2010, 640 = EWiR § 16 BetrAVG 1/10, 7 (Oetker). 99) BGHZ 95, 330, 347 f. (Autokran) = ZIP 1985, 1263, 1269 = NJW 1986, 188; BGHZ 105, 168, 183 (HSW) = ZIP 1988, 1248, 1252 = EWiR § 32a GmbHG 1/88, 1095 (Fleck) = WuB II C. § 32a GmbHG 2.88 (Rümker); BGHZ 115, 187, 200 (Video) = ZIP 1991, 1354, 1359 = NJW 1991, 3142; BGHZ 116, 37, 42 (Hansa-Feuerfest – Stromlieferung) = ZIP 1992, 29, 31 = NJW 1992, 505 = WuB II C. § 54 GmbHG 1.93 (Burgard) = EWiR § 303 AktG 1/92, 425 (Geuting); OLG Frankfurt/M. NZG 2000, 933, 934 (Hoffmann) = AG 2001, 139; KG NZG 2001, 80, 81 = AG 2001, 529; OLG Dresden AG 1997, 330, 333 = GmbHR 1997, 215, 219 f = DZWir 1997, 200 (Mutter). 100) Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 303 AktG Rz. 24; Hirte, in: GroßK, § 303 AktG Rz. 13. 101) Hirte, in: GroßK, § 303 AktG Rz. 13; abw. Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 303 AktG Rz. 25.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung (§§ 17, 19 InsO) steht keineswegs sicher fest, dass ein Gläubiger mit seinen Forderungen ausfällt. b)

Schutz der außenstehenden Aktionäre

8.80 Beim Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages (und nur hier) ist den außenstehenden Aktionären eine regelmäßige Ausgleichszahlung (§ 304 AktG) anzubieten oder eine Abfindung (§ 305 AktG). Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Gesellschaft mit ihrer vertraglichen Unterordnung unter ein anderes Unternehmen in dessen unternehmerisches Gesamtkonzept integriert wird; eine Beteiligung an dem – formell zwar noch bestehenden – Gewinn oder Verlust der einzelnen abhängigen Gesellschaft würde den jetzt bestehenden Möglichkeiten der Ausrichtung auf das „Konzerninteresse“ nicht angemessen Rechnung tragen.102) Da wegen der Unsicherheiten im Bereich der Unternehmensbewertung über die Angemessenheit der Höhe erheblicher Streit bestehen kann, der das Zustandekommen eines Unternehmensvertrages über Gebühr verzögern könnte, schließt § 304 Abs. 3 Satz 2 AktG die Anfechtung des Zustimmungsbeschlusses zum Abschluss eines Unternehmensvertrages aus, wenn sie damit begründet wird, dass der vereinbarte Ausgleich unangemessen sei; Gleiches ordnet § 305 Abs. 5 Satz 1 AktG für die Höhe der Abfindung an. Die Angemessenheit von Ausgleich und Abfindung wird vielmehr in einem selbständigen „Spruchverfahren“ überprüft (dazu unten Rz. 8.93 ff.). aa)

Ausgleich und Abfindung

8.81 Als Ausgleichszahlung muss der Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag „eine auf die Anteile am Grundkapital bezogene wiederkehrende Geldleistung [.] vorsehen.“ Vor allem diese regelmäßige Zahlung, die auch als „Garantiedividende“ bezeichnet wird, trägt der Tatsache Rechnung, dass (spätestens) mit dem Abschluss eines derartigen Unternehmensvertrages die Beteiligung der außenstehenden Aktionäre „verrentet“ wird, weil die Gesellschaft fremdgesteuert wird. Sie orientiert sich daher an der gegenwärtigen und (hypothetischen) künftigen Ertragslage der Gesellschaft im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (§ 304 Abs. 2 Satz 1 AktG; dazu näher unten Rz. 8.85). Mit Blick auf die Integration der Gesellschaft in die vom herrschenden Unternehmen geführte Unternehmensgruppe wird den Parteien des Unternehmensvertrages aber die Alternative eingeräumt, anstelle des (festen) Ausgleichs einen „Betrag“ zuzusichern, „der unter Herstellung eines angemessenen Umrechnungsverhältnisses auf Aktien der anderen Gesellschaft jeweils als Gewinnanteil entfällt“ (§ 304 Abs. 2 Satz 2 AktG; sog. variabler Ausgleich); dann – so die Idee – kann der Aktionär der jetzt beherrschten Gesellschaft indirekt an den beim herrschenden Unternehmen auftretenden Verbundvorteilen (freilich möglicherweise auch -nachteilen) partizipieren. ___________ 102) Hasselbach/Hirte, in: GroßK, § 304 AktG Rz. 4.

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III. Vertragskonzern

Entsprechend ist der variable Ausgleich nach § 304 Abs. 2 Satz 3 AktG so zu berechnen, wie wenn die abhängige auf die herrschende Gesellschaft verschmolzen worden wäre („Verschmelzungsfiktion“). Möglich ist dies (gegen den Willen des einzelnen Aktionärs!) freilich nur, wenn der andere Vertragsteil eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien ist; denn bei anderen Gesellschaftsformen sind die Gewinnermittlungsvorschriften weniger streng ausgestaltet. Fehlt im Unternehmensvertrag eine Bestimmung des Ausgleichs (vollständig), ist der Vertrag nichtig (§ 304 Abs. 3 Satz 1 AktG; dazu bereits oben Rz. 8.63); ansonsten wird eine unangemessene Festsetzung im Spruchverfahren korrigiert (dazu unten Rz. 8.93 ff.). Nach Auffassung des BGH ist den außenstehenden Aktionären in einem Gewinn- 8.82 abführungsvertrag nach § 304 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AktG als (fester) Ausgleich der voraussichtlich verteilungsfähige durchschnittliche Bruttogewinnanteil je Aktie abzüglich der von der Gesellschaft hierauf zu entrichtenden (Ausschüttungs-)Körperschaftsteuer in Höhe des jeweils gültigen Steuertarifs zuzusichern.103) Damit soll verhindert werden, dass sich Änderungen des Steuersatzes (und wohl auch des Steuersystems) zu Lasten einer der außenstehenden Aktionäre oder der Parteien des Unternehmensvertrages auswirken.

Neben dem Ausgleich muss ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag 8.83 ein Recht zur Abfindung der außenstehenden Aktionäre begründen. Die Aktionäre können von diesem Recht Gebrauch machen, sie müssen es aber nicht (§ 305 Abs. 1 AktG: „auf Verlangen“). In der Sache handelt es sich hierbei um ein Recht zum Austritt aus der Gesellschaft aus wichtigem Grund, weil sie – wenn auch in gesetzlich zulässiger Form – ihren Zweck ändert (siehe § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB).104) Wie der Ausgleichsanspruch (der sich nach heute herrschender Meinung anders als der Dividendenanspruch ebenfalls gegen den „anderen Vertragsteil“ richtet105) ist der Abfindungsanspruch gegen den „anderen Vertragsteil“ einzuräumen. Der Abfindungsanspruch ist durch Aktien des anderen Vertragsteils zu gewähren, wenn es sich bei diesem um eine (unabhängige) Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Sitz im Inland oder EU-/EWR-Ausland handelt (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 AktG). Ist der andere Vertragsteil seinerseits von einer solchen Gesellschaft abhängig, besteht für die Parteien des Unternehmensvertrages (und damit faktisch für das herrschende Unter___________ 103) BGHZ 156, 57, 60 (Ytong) = ZIP 2003, 1745, 1747 = NJW 2003, 3272 = NZG 2003, 1017 = EWiR § 304 AktG 1/04, 1 (W. Müller) (Vorinstanz BayObLG ZIP 2001, 1999, 2000 ff. = NZG 2001, 1137 = EWiR § 304 AktG 1/01, 1027 [Luttermann]). 104) Exner, Beherrschungsvertrag und Vertragsfreiheit (1984), S. 44; Geßler, in: Geßler/ Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 291 AktG Rz. 20 ff. (im Hinblick auf § 293 Abs. 1 Satz 4 AktG so nicht mehr in den von Altmeppen kommentierten späteren Auflagen); Koppensteiner, KK, vor § 291 AktG Rz. 160 und vor § 291 AktG Rz. 156; Schindler, Das Austrittsrecht in Kapitalgesellschaften (1999), S. 110 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 468 ff.; Zöllner, KK, § 179 AktG Rz. 124. 105) Hasselbach/Hirte, in: GroßK, § 304 AktG Rz. 36; Hüffer/Koch, § 304 AktG Rz. 4.

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nehmen106)) ein Wahlrecht zwischen einer Barabfindung und einer Abfindung in Aktien der den anderen Vertragsteil beherrschenden deutschen Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien (§ 305 Abs. 2 Nr. 2 AktG). In allen anderen Fällen ist zwingend eine Barabfindung anzubieten (§ 305 Abs. 2 Nr. 3 AktG); das betrifft insbesondere den Fall eines Vertragsschlusses mit einer NichtAktiengesellschaft. Wie schon beim Ausgleich wird für den Fall der Gewährung von Aktien einer anderen Gesellschaft die „Verschmelzungsfiktion“ aufgestellt (§ 305 Abs. 3 Satz 1 AktG): In diesem Fall „ist die Abfindung [dann] als angemessen anzusehen, wenn die Aktien in dem Verhältnis gewährt werden, in dem bei einer Verschmelzung auf eine Aktie der Gesellschaft Aktien der anderen Gesellschaft zu gewähren wären“. 8.84 Anders als im Falle des Ausgleichs führt die fehlende Festlegung einer Abfindung im Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag nicht zu dessen Nichtigkeit, sondern dazu, dass das Gericht im Spruchverfahren eine solche Abfindung festsetzen kann (§ 305 Abs. 5 Satz 2 AktG). Im Übrigen kann das Recht, die Abfindung geltend zu machen, nach Maßgabe von § 305 Abs. 4 AktG befristet werden. Nach Auffassung des BGH kann es allerdings während des zum Teil langen Zeitraums, innerhalb dessen seine Höhe gerichtlich überprüft wird, nicht wertpapiermäßig übertragen werden; vielmehr entstehe es jeweils neu in der Person eines jeden außenstehenden Aktionärs, der daher den Nachweis der Voraussetzungen des Abfindungsanspruchs auch jeweils neu zu erbringen hat.107) bb)

Angemessenheit von Ausgleich und Abfindung

8.85 Die Höhe der als Ausgleich zu leistenden Zahlungen bestimmt sich nach der gegenwärtigen und künftigen Ertragslage der Gesellschaft im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (§ 304 Abs. 2 Satz 1 AktG). Bei einer chronisch defizitären Aktiengesellschaft kann dies dementsprechend auch zu einem „Null-Ausgleich“ führen.108) Für die Barabfindung schreibt § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG demgegenüber vor, dass sie „die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Vertrag berücksichtigen“ muss.

___________ 106) Hasselbach/Hirte, in: GroßK, § 305 AktG Rz. 48; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 15; abw. Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rz. 16. 107) BGHZ 167, 299 (Jenoptik) = NJW 2006, 3146 = NZG 2006, 623 = ZIP 2006, 1392 (Braun/ Krämer) = EWiR § 305 AktG 1/06, 581 (Streit/Meier) (bestätigt durch BVerfG ZIP 2007, 1055 = NZG 2007, 631 = NJW 2007, 3265); abw. als Vorinstanz OLG Jena ZIP 2005, 525 = EWiR § 305 AktG 1/05, 493 (Wagner) im Anschluss an Hirte, Festschrift für Walther Hadding (2004), S. 427 ff.; ders./Mock, DB 2005, 1444; dazu auch Bungert/Bednarz, BB 2006, 1865; Lehmann, ZIP 2005, 1489; Ruoff, BB 2005, 2201; abw. vor der Entscheidung Hasselbach/ Hirte, in: GroßK § 305 AktG Rz. 22. 108) BGHZ 166, 195 = NJW 2006, 1663 = NZG 2006, 347 = ZIP 2006, 663 = EWiR § 304 AktG 1/06, 291 (Hirte/Wittgens).

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III. Vertragskonzern

Beim Abschluss von Unternehmensverträgen wurde – ebenso wie bei Verschmel- 8.86 zungen (dazu oben Rz. 6.146) – die Unangemessenheit von Ausgleich und Abfindung in den vergangenen Jahren regelmäßig gerügt, so dass auch hier – wie bei aktienrechtlichen Anfechtungsklagen – der Vorwurf des Missbrauchs laut wurde. Andererseits haben die klagenden Aktionäre (oft auch die Interessenvereinigungen der Kleinaktionäre) mit ihren Anträgen in der Sache in recht großem Umfang Recht bekommen. Dies liegt wiederum daran, dass die Aktiengesellschaften die gerichtliche Nachbesserung der vereinbarten Zahlungen von vornherein erwarten und daher nur entsprechend niedrige Zahlungen festlegen. Neue Impulse zur Gesamtbetrachtung stammen aus der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG zur Ausgestaltung des Aktieneigentums.109) Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der DAT/Altana-Beschluss 8.87 des BVerfG, in dem dieses einen Verstoß gegen Art. 14 GG für den Fall feststellte, dass im aktienrechtlichen Abfindungsverfahren (§ 305 AktG) zugunsten der außenstehenden Aktionäre einer abhängigen Gesellschaft eine Barabfindung festgesetzt wird, die niedriger ist als der Börsenkurs. Paketzuschläge, die von einem herrschenden Unternehmen gezahlt worden seien, könnten aber unberücksichtigt bleiben, wie auch andererseits vom Börsenkurs abgegangen werden könne, wenn dieser – etwa wegen eines sehr engen Marktes – nicht den Verkehrswert der Beteiligung widerspiegele. Der Beschluss ist über den konkreten Kontext des Beherrschungsvertrages hinaus auch für alle anderen Abfindungsansprüche, etwa im Zusammenhang mit Umwandlungen, von erheblicher Bedeutung; auch das Bezugsrecht wird ausdrücklich als eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition erwähnt.110) Konsequent wurde daher in einem weiteren Beschluss darauf hingewiesen, dass die Nicht-Berücksichtigung des Börsenkurses bei Ausgleichs- und Abfindungsansprüchen wegen Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen ebenfalls gegen Art. 14 GG verstoße. Das könne insbesondere im Fall eines an die tatsächlich gezahlte Dividende der Obergesellschaft anknüpfenden variablen Ausgleichs i. S. v. § 304 Abs. 2 Satz 2 AktG eintreten. Von Verfassungs wegen sei es aber nicht geboten, die notwendige Anpassung auch im Spruchverfahren durch-

___________ 109) Hierzu hatte sich zwar auch schon das Feldmühle-Urteil aus dem Jahr 1962 geäußert, in dem das Bundesverfassungsgericht annahm, dass auch die Beteiligung an einer AG dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterstehe (BVerfGE 14, 263). 110) BVerfGE 100, 289 (DAT/Altana) = ZIP 1999, 1436 (Wilken) = NJW 1999, 3769 = AG 1999, 566 (Vetter) = DStRE 1999, 689 = DStR 1999, 1408 (Hergeth) = JZ 1999, 942 (Luttermann) = EWiR Art. 14 GG 2/99, 751 (Neye); dazu Hirte/Hasselbach, in: GroßK, § 305 AktG Rz. 138 ff.; Luttermann, ZIP 1999, 45; Riegger, DB 1999, 1889; Röhricht, in: VGR, Bd. 2 (2000), S. 3, 5 ff.; Steinhauer, AG 1999, 299; Wilm, NZG 2000, 234; Vorinstanz OLG Düsseldorf AG 1995, 85 = WM 1995, 756 = EWiR § 305 AktG 1/94, 1053 (SchulzeOsterloh) und OLG Düsseldorf AG 1995, 84. Für eine Anknüpfung an den Börsenkurs als Bemessungsgrundlage zumindest in Zweifelsfällen zuvor auch schon BayObLG NJW-RR 1999, 109 = ZIP 1998, 1872 = EWiR § 305 AktG 2/98, 965 (Luttermann); abw. aber OLG Celle EWiR § 305 AktG 1/98, 821 (Luttermann). Bestätigt für den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages auf Seiten der beherrschten und für die Eingliederung bezüglich der einzugliedernden Gesellschaft durch BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), ZIP 2011, 170, 172 Tz. 10 (Kuka AG) = NZG 2011, 235 = EWiR § 15 UmwG 2/11, 479 (Pluskat).

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setzen zu können.111) Die vom BVerfG entwickelten Grundsätze gelten allerdings dann nicht, wenn der nach der Ertragswertmethode errechnete Unternehmenswert über dem auf Grundlage des Börsenkurses berechneten liegt.112) Verfassungsrechtlich ist es nach einem weiteren Beschluss des BVerfG auch nicht geboten, auch einen Börsenwert der herrschenden Gesellschaft (oder ihrer Muttergesellschaft, § 305 Abs. 2 AktG) bzw. (im Falle einer Eingliederung) der Hauptgesellschaft als Obergrenze für die Bewertung dieser Gesellschaft heranzuziehen; insbesondere bei einer schlechten Verfassung der Kapitalmärkte seien die Gerichte frei, der herrschenden Gesellschaft oder Hauptgesellschaft einen höheren Wert beizulegen als den Börsenwert.113) Ebenso sei andererseits eine Ermittlung der Unternehmenswerte beider an einer Verschmelzung beteiligten Rechtsträger anhand von Börsenwerten zulässig – und nicht etwa nur die für den Anteilsinhaber des übertragenen Rechtsträgers günstigste Methode.114)

8.88 Der BGH konkretisierte im Anschluss an das BVerfG in seiner DAT/Altana-Entscheidung, dass bei der Festsetzung von Abfindung oder variablem Ausgleich als Unternehmenswert der Börsenkurs zugrunde gelegt werden müsse; liegt der geschätzte Unternehmenswert jedoch höher, sei auf diesen abzustellen. Soweit es auf den Börsenkurs ankommt, ist als Referenzkurs auf den Kurs abzustellen, der unter Ausschluss außergewöhnlicher Tagesausschläge oder kurzfristiger sich nicht verfestigender sprunghafter Entwicklungen aus dem Mittel der Börsenkurse der letzten drei Monate vor der Bekanntgabe115) einer Strukturmaßnahme gebildet wird; der so ermittelte Börsenwert ist entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung (also nicht: der auf die bevorstehende Strukturmaßnahme zurückzuführenden Kurssteigerung) zu korrigieren. Das BVerfG hatte einen solchen, auf die Bekanntmachung abstellenden Ansatz (im Zusammenhang mit der Eingliederung) zwar nicht für verfassungsrechtlich geboten gehalten, al___________ 111) BVerfG ZIP 1999, 1804 (Hartmann & Braun AG) = DStR 2000, 438 (Ls.) (Hergeth) (Vorinstanz OLG Frankfurt/M. ZIP 1990, 588 = EWiR § 304 AktG 1/89, 1157 [Krieger]); dazu Vetter, ZIP 2000, 561. 112) BayObLG AG 2000, 390, 391 (Rieter II); BayObLG AG 2002, 392, 394 (Ytong) = NZG 2001, 1137, 1139; OLG Stuttgart AG 2000, 428 (Schwaben Zell/Hannover Papier II) = NZG 2000, 744, 745; OLG Frankfurt/M. AG 2002, 404, 405 (Nestlé); OLG Hamburg AG 2001, 479, 480 (Bauverein Hamburg/Wünsche) = NZG 2001, 471, 472; OLG Düsseldorf AG 2003, 329, 332 (Siemens/SNI) = NZG 2003, 588, 592; LG Frankfurt/M. AG 2002, 358, 360 (VDO/Mannesmann); Hirte/Hasselbach, in: GroßK, § 305 AktG Rz. 154; Hüffer/Koch, § 305 AktG Rz. 30; Hüttemann, ZGR 2001, 454, 458 ff.; Koppensteiner, KK, § 305 AktG Rz. 54. 113) BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), ZIP 2011, 170, 172 Tz. 10 (Kuka AG) = NZG 2011, 235 = EWiR § 15 UmwG 2/11, 479 (Pluskat). 114) BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), ZIP 2011, 1051 Tz. 21 ff. = NJW 2011, 2497 = NZG 2011, 869 = EWiR § 5 UmwG 1/11, 515 (von der Linden). 115) So jetzt BGHZ 186, 229 Tz. 13 ff. (Stollwerck) = ZIP 2010, 1487, 1489 ff. = NJW 2010, 2657 = NZG 2010, 939 = DStR 2010, 1635 = EWiR § 327b AktG 1/10, 509 (Wilsing/Paul) (zur Abfindung beim squeeze out); dazu Bungert/Wettich ZIP 2012, 449; Decher, ZIP 2010, 1673; Hasselbach/Ebbinghaus, Konzern 2010, 467; Schilling/Witte, Konzern 2010, 477; abw. noch BGHZ 147, 108, 118 (DAT/Altana IV) = ZIP 2001, 734, 741 = NZG 2001, 603 = NJW 2001, 2080 (drei Monate vor dem Tag des Zustimmungsbeschlusses [hier: der abhängigen Gesellschaft zu einem Unternehmensvertrag]); dazu ausführlich Hirte, in: GroßK, § 305 AktG Rz. 141; weit. Nachw. in der 6. Aufl. dieses Werkes Rz. 8.88.

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lerdings zugleich deutlich gemacht, dass eine solche Betrachtung auf der Grundlage des einfachen Rechts durchaus auch Platz greifen könnte.116) Bei der Bewertung von Aktien der herrschenden und der abhängigen Gesellschaften ist dabei nach Möglichkeit bei beiden/allen beteiligten Gesellschaften auf den Börsenkurs abzustellen117) (was nach inzwischen vorliegender verfassungsrechtlicher Judikatur hinsichtlich des herrschenden Unternehmens nicht von Verfassungs wegen geboten ist; siehe vorstehend Rz. 8.87). Das soll selbst dann gelten, wenn die Parteien die Geltung des Ertragswertverfahrens vereinbart hatten.118) Soweit ein Börsenkurs nicht zur Verfügung steht, ist für die Ermittlung der Barab- 8.89 findung außenstehender Aktionäre nach § 305 AktG vom Ertragswert auszugehen. Auf die nach der Beschlussfassung der Hauptversammlung erzielten tatsächlichen Erträge soll es dabei wegen des Stichtagsprinzips (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG) nicht ankommen.119) Nach einem Beschluss des BGH besteht der Abfindungsanspruch der außenstehenden 8.90 Aktionäre nach § 305 Abs. 1 AktG auch dann fort, wenn der Unternehmensvertrag während des Spruchverfahrens beendet wird. Er betonte dabei, dass der Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre Ausdruck ihres verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechtes sei. Dies zwinge dazu, diesen Aktionären den Anspruch auch über die Beendigung des Unternehmensvertrages zu gewähren; eine andere Auslegung der gesetzlichen Vorschriften wäre demgegenüber nicht mit den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG zu vereinbaren.120)

Die gleiche Wertung greift nach Auffassung des BVerfG, wenn eine aufgrund 8.91 eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages abhängige Gesellschaft mit einer anderen Tochtergesellschaft der Mutter verschmolzen wird: denn der Abfindungsanspruch außenstehender Aktionäre eines beherrschten Unter___________ 116) BVerfG (Beschl. v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03), ZIP 2007, 175 (Siemens/Nixdorf) = NJW 2007, 828 = EWiR Art. 14 GG 1/07, 235 (Michael Winter). 117) BGHZ 147, 108 (DAT/Altana) = ZIP 2001, 734 = NJW 2001, 2080 = NZG 2001, 603 = DStR 2001, 754 = EWiR § 305 AktG 1/01, 605 (Wenger) = LM Art. 14 GG (Ca) Nr. 45 (Noack); dazu Bungert, BB 2001, 1163; Hirte/Hasselbach, in: GroßK, § 305 AktG Rz. 138 ff.; Hüttemann, ZGR 2001, 454; Luttermann, ZIP 2001, 869; Riegger, DB 1999, 1889; Vetter, DB 2001, 1347; Wilm, NZG 2000, 234; ders., NZG 2000, 1070; Wilsing/Kruse, DStR 2001, 991. 118) OLG Frankfurt/M. ZIP 2010, 1947 ff. (t-online/Deutsche Telekom) = EWiR § 15 UmwG 1/10, 833 (Soudry/Lume) (inzwischen rkr.); dazu Puszkajler, ZIP 2010, 2275. 119) BayObLG ZIP 2001, 1999, 2000 ff. (Ytong) = NZG 2001, 1137 = EWiR § 304 AktG 1/01, 1027 (Luttermann). 120) BGHZ 135, 374 (Guano AG) = NJW 1997, 2242 = ZIP 1997, 1193 = EWiR § 305 AktG 3/97, 769 (Hüffer) = LM H. 11/1997 § 305 AktG 1965 Nr. 3; bestätigt durch BGHZ 176, 43 (EKU) = ZIP 2008, 778, 780 ff. = NZG 2008, 391 = EWiR § 305 AktG 1/2008, 357 (Goslar) (Wahlrecht hinsichtlich der Geltendmachung der Abfindung im Falle mehrerer verpflichteter herrschender Unternehmen); vgl. auch schon BGH WM 1973, 858 (RiebeckMontan) = AG 1974, 53: kein ersatzloser Wegfall des in einem Interessengemeinschaftsvertrag eingeräumten Umtauschrechts von Aktionären in Aktien einer anderen AG, auch wenn der Vertrag infolge einer Zwangsenteignung des Unternehmens der Umtauschberechtigten im ursprünglich vorgesehenen Sinne undurchführbar geworden ist.

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nehmens gegen das herrschende gehöre zum durch Art. 14 GG geschützten Eigentumsbereich.121) Damit widersprach es der Auffassung des OLG Karlsruhe, nach der die Ansprüche der außenstehenden Aktionäre gegen die Muttergesellschaft aus dem Beherrschungsvertrag erlöschen sollten, wenn sie dieser ihre Aktien gegen Abfindung angedient hatten (§ 305 AktG); mit Eintragung der Verschmelzung seien nämlich sowohl die vormalige Gesellschaft als auch ihre Anteile untergegangen. Insbesondere hätte sich aus § 305 AktG nicht ableiten lassen, dass das Mutterunternehmen nunmehr verpflichtet sein sollte, den Aktionären die durch den mit der Verschmelzung verbundenen Umtausch erlangten Aktien der neuen Gesellschaft gegen Abfindung abzunehmen.122) Das Recht eines Aktionärs auf Festsetzung eines angemessenen Ausgleichs oder einer angemessenen Abfindung nach §§ 304, 305 AktG bleibt auch bestehen, wenn die abhängige Aktiengesellschaft während des Spruchverfahrens in die herrschende Aktiengesellschaft eingegliedert wird.123) 8.92 In der Insolvenz des zahlungspflichtigen herrschenden Unternehmens kann der Abfindungsanspruch entsprechend § 103 Abs. 2 InsO („Forderung wegen der Nichterfüllung“) als Insolvenzforderung angemeldet werden.124) Lässt sich eine Barabfindung, die den außenstehenden Aktionären nach Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zusteht, teilweise oder ganz nicht mehr realisieren, weil das herrschende Unternehmen vor Auszahlung insolvent wird, folgt für den daraus entstehenden Schaden aber kein Haftungsanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland unter dem Gesichtspunkt des gesetzgeberischen Unterlassens.125) cc)

Verfahrensmäßige Kontrolle

8.93 Die Angemessenheit von Ausgleich und Abfindung wird – wie bereits angedeutet – im Spruchverfahren nach dem Spruchverfahrensgesetz überprüft (§ 1 Nr. 1 SpruchG; früher § 306 AktG). Auf dessen überblicksartige Darstellung (oben Rz. 6.150 ff.) kann daher verwiesen werden. Das gilt aber nur bezüglich ___________ 121) BVerfG ZIP 1999, 532 (SEN) = NJW-RR 2000, 842 = EWiR Art. 14 GG 1/99, 459 (Neye); ebenso bereits BGHZ 135, 374 (Guano AG) = NJW 1997, 2242 = ZIP 1997, 1193 = EWiR § 305 AktG 3/97, 769 (Hüffer) = LM H. 11/1997 § 305 AktG 1965 Nr. 3 (dazu Hirte, NJW 1999, 179, 184); dazu Röhricht, in: VGR, Bd. 2 (2000), S. 3 ff.; Schwab, BB 2000, 527; abw. für die Beendigung eines Unternehmensvertrages durch Konkurs (die für das neue Insolvenzrecht zweifelhaft geworden ist) BayObLG EWiR § 304 AktG 1/98, 581 (Lüke/Blenske). 122) OLG Karlsruhe ZIP 1994, 1529 (SEN). 123) BGHZ 147, 108 (DAT/Altana) = ZIP 2001, 734 = NJW 2001, 2080 = NZG 2001, 603 = DStR 2001, 754 = EWiR § 305 AktG 1/01, 605 (Wenger) = LM Art. 14 GG (Ca) Nr. 45 (Noack). 124) BGHZ 176, 43 (EKU) = ZIP 2008, 778, 780 ff. = NZG 2008, 391 = EWiR § 305 AktG 1/2008, 357 (Goslar); dazu H.-F. Müller, ZIP 2008, 1701. 125) OLG Köln ZIP 2001, 967, 968 ff. (Erste Kulmbacher Actienbrauerei AG) = DB 2001, 1354 = EWiR § 305 AktG 2/01, 699 (Luttermann).

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der außenstehenden Aktionäre der abhängigen Gesellschaft; ganz ähnlich dem Umwandlungsrecht (oben Rz. 6.143) müssen außenstehende Aktionäre der herrschenden Gesellschaft, die die Unangemessenheit von Ausgleich oder Abfindung rügen wollen (hier typischerweise wegen unangemessener Höhe), den Weg der Anfechtungsklage wählen.126) Eigentlich eine Selbstverständlichkeit sollte sein, dass im Falle einer befristeten 8.94 Erwerbsverpflichtung die Fristverlängerung des § 305 Abs. 4 Satz 3 AktG nach Beendigung eines Spruchverfahrens auch dann zum Tragen kommt, wenn das Verfahren durch außergerichtlichen Vergleich beendet wird.127) Problematisch war im Rahmen des Spruchverfahrens auch, ob ein Aktionär schon im Zeitpunkt des Abschlusses des Unternehmensvertrages an der Gesellschaft beteiligt gewesen sein musste. Mehrere Gerichte verneinten dies und erlaubten, einen Anschließungsantrag auf Bestimmung eines angemessenen Ausgleichs und angemessener Abfindung nach § 306 Abs. 3 Satz 2 AktG a. F.128) auch dann noch zu stellen, wenn ein Aktionär seine Aktien erst nach dem Wirksamwerden des Unternehmensvertrages erworben hatte.129) Im Anschluss an diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 3 Satz 2 SpruchG nunmehr klargestellt, dass für die Stellung als außenstehender Aktionär allein der Zeitpunkt der Antragstellung (also nicht der Zeitpunkt des Unternehmensvertragsschlusses) maßgeblich ist. Bestimmt das Gericht den Ausgleich, kann der „andere Vertragsteil“ (also das 8.95 herrschende Unternehmen) den Vertrag binnen zwei Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen (§ 304 Abs. 4 i. V. m. § 297 Abs. 1 AktG); dasselbe gilt über § 305 Abs. 5 Satz 4 AktG für eine gerichtliche Festsetzung der Abfindung. Die Kündigung hat aber keine Rückwirkung, so dass nicht etwa ein gezahlter Ausgleich zurückgefordert werden kann;130) zudem können Aktionäre auch noch bis zum tatsächlichen Ausspruch der Kündigung das Abfindungsrecht des § 305 AktG wählen.131)

___________ 126) OLG Hamburg ZIP 2005, 1074, 1081 = NZG 2005, 218. 127) Überzeugend BGHZ 112, 382 (Langenbrahm/Dr. Rüger) = ZIP 1991, 100 = EWiR § 305 AktG 1/91, 425 (Frey) = WuB II A. § 305 AktG 1.91 (Stützle) (hier: Fristlauf ab öffentlicher Bekanntmachung des Vergleichs). 128) Das frühere Anschließungsrecht, nach dem sich ein Aktionär auch noch zwei Monate nach Bekanntmachung des Antrags auf Einleitung eines Spruchverfahrens einem solchen Verfahren anschließen konnte, wurde durch das Spruchverfahrensneuordnungsgesetz abgeschafft, weil es als Grund für den langwierigen Start von Spruchverfahren bzw. deren überlange Dauer angesehen und als zu aktionärsfreundlich kritisiert wurde (vgl. Fuhrmann/Linnerz, Konzern 2004, 265, 268; Hoffmann-Becking, ZGR 1990, 482, 501). 129) OLG Düsseldorf ZIP 1989, 642; OLG Frankfurt/M. ZIP 1990, 40 = NJW-RR 1990, 356; BayObLG ZIP 2002, 935 (ERC Frankona Rückversicherungs-AG) = NZG 2002, 877. 130) Hasselbach/Hirte, in: GroßK, § 304 AktG Rz. 139. 131) Hasselbach/Hirte, in: GroßK, § 305 AktG Rz. 261.

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4.

Änderung, Aufhebung und Kündigung des Vertrages

8.96 Ist ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag erst einmal wirksam geworden und sind damit die Schutzvorkehrungen für außenstehende Gesellschafter und Gläubiger der abhängigen Gesellschaft in Kraft gesetzt, sieht das Gesetz zahlreiche Sicherungsmaßnahmen vor, damit sich das herrschende Unternehmen seinen Verpflichtungen nicht wieder entziehen kann. In gewisser Weise bilden diese Bestimmungen die Kehrseite zu dem beim Vertragsschluss selbst nicht kodifizierten „Zwang zum Abschluss eines Beherrschungsvertrages“ (oben Rz. 8.67). Insbesondere bedürfen die Änderung oder die Aufhebung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages, wenn sie die Regelung über den Ausgleich oder die Abfindung der außenstehenden Aktionäre erfassen, eines zustimmenden Sonderbeschlusses der außenstehenden Aktionäre (§§ 295 Abs. 2, 296 Abs. 2 AktG). Denn durch diese Schritte werden die den außenstehenden Aktionären gewährten Ausgleichs- oder Abfindungsansprüche ja wieder entzogen. Da Änderung oder Aufhebung des Unternehmensvertrages nicht ausschließlich in den Händen der „Vertragspartner“ selbst liegen, sondern eine Beteiligung der durch sie eigentlich geschützten Aktionäre erfordern, bestätigen die genannten Normen in gewisser Weise den oben dargestellten Befund, dass die Unternehmensverträge den Ausgleich zwischen den Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern des abhängigen Unternehmens nur der äußeren Form nach in einen Vertrag zwischen Mutterund Tochtergesellschaft kleiden (dazu oben Rz. 8.68).132) 8.97 In diesem Zusammenhang ist zunächst auf das Urteil des BGH in Sachen Asea/BBC

hinzuweisen. Zwischen der Brown Boveri AG mit Sitz in Mannheim und ihrer schweizerischen Muttergesellschaft bestand ein Beherrschungsvertrag. Im Zuge der Eingliederung der schweizerischen Muttergesellschaft in den schwedischen AseaKonzern war dieser Beherrschungsvertrag anzupassen. Da eine Übernahme des Vertrags durch das schwedische Unternehmen der Zustimmung der außenstehenden Aktionäre der deutschen Aktiengesellschaft bedurft hätte, beschlossen die Vertragspartner, dass die schwedische Aktiengesellschaft dem bestehenden Beherrschungsvertrag lediglich als neue Schuldnerin „beitreten“ sollte. Der BGH meinte, dass für dieses Vorgehen kein Sonderbeschluss der außenstehenden Aktionäre nach § 295 Abs. 2 oder § 296 Abs. 2 AktG erforderlich sei; denn bei einem Beitritt bleibe der ursprüngliche Vertragspartner in der Pflicht. Auch eine neue Vereinbarung über den den Minderheitsaktionären zustehenden Ausgleichsanspruch sei nicht erforderlich.133) Das ist allerdings sehr formal gesehen, wenn auch vielleicht mit Blick auf die sonst möglichen Anfech-

___________ 132) Vgl. bereits Wiedemann/Hirte, Konzernrecht, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. II (2000), S. 337, 374; ähnlich Kübler/Assmann, GesR, § 30 III 2, S. 432; kritisch zum Schutzzweck des § 295 Abs. 2 AktG vor dem Hintergrund der Umgehungsmöglichkeit durch Kündigung des Vertrages Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 297 AktG Rz. 9. 133) BGHZ 119, 1 (ASEA/BBC) = ZIP 1992, 1227 (Hamann) = NJW 1992, 2760 = WuB II A. § 293 AktG 2.92 (Bayer) = LM H. 1/1993 § 131 AktG 1965 Nr. 3; zust. Windbichler, EWiR § 295 AktG 1/92, 953, 954; dazu Bayer, ZGR 1993, 599; Krieger/Janott, DStR 1995, 1473; Priester, ZIP 1992, 292; abw. Hirte, ZGR 1994, 644, 658 (für Anwendbarkeit von § 295 Abs. 2 AktG).

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III. Vertragskonzern

tungsklagen verständlich: dass die Beklagte und ihre außenstehenden Aktionäre „lediglich [sic!] einen weiteren Schuldner für ihre Rechte aus [Beherrschungs-]Vertrag“ erhielten,134) verstellt den Blick darauf, dass wirtschaftlich genau das entgegengesetzte Ergebnis erzielt wurde und der alte Vertragspartner jetzt nur noch ein Schattendasein führt. Ein Sonderbeschluss dürfte daher bei der notwendigen wirtschaftlichen Betrachtung auch dann erforderlich sein, wenn sich die Beteiligungsstruktur am herrschenden Unternehmen ändert. Das OLG Karlsruhe wollte demgegenüber im Spruchverfahren zur Bestimmung des an- 8.98 gemessenen Ausgleichs und der angemessenen Abfindung anlässlich des Beitritts von ASEA zum zwischen BBC Baden und BBC Mannheim geschlossenen Beherrschungsvertrag anders entscheiden und den außenstehenden Aktionären beim Beitritt eines weiteren herrschenden Unternehmens zu einem Beherrschungsvertrag einen neuen Ausgleich und eine neue Abfindung zur Wahl anbieten. Da der BGH jedoch in dem in derselben Sache geführten Anfechtungsverfahren (und deshalb ohne Bindungswirkung)135) anders entschieden hatte (die Frage einer Neufestsetzung von Ausgleichsund Abfindungsansprüchen aber offengelassen hatte), legte das OLG Karlsruhe die Sache nach § 28 Abs. 2 FGG136) dem BGH zur Entscheidung vor.137) Dieser hielt jedoch auch für das Spruchverfahren an seiner Auffassung fest.138)

Dass Interessenkollisionen auch bei echten Aufhebungsverträgen auftreten 8.99 können, zeigt ein anderer Fall: Zwischen der Tucher Bräu AG und der Ersten Kulmbacher Actienbrauerei AG (EKU) bestand seit 1986 ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Nachdem im Jahr 1994 der von EKU gehaltene Aktienbesitz von 76 % an der beklagten Tucher an einen Dritten veräußert worden war, schlossen beide Gesellschaften einen Vertrag zur Aufhebung des Unternehmensvertrages; am nach § 296 Abs. 2 AktG dazu erforderlichen Zustimmungsbeschluss beteiligte sich dieser dritte Erwerber erstaunlicherweise im Rahmen des Sonderbeschlusses der außenstehenden Aktionäre. Auf Klage von Aktionär Ekkehard Wenger hob das LG Nürnberg-Fürth den Beschluss auf.139) Die dagegen gerichtete Berufung hatte allerdings Erfolg; die sodann gegen das Berufungs-

___________ 134) BGHZ 119, 1, 6 (ASEA/BBC) = ZIP 1992, 1227, 1229 = NJW 1992, 2760. 135) BGHZ 119, 1 (ASEA/BBC) = ZIP 1992, 1227 (Hamann) = NJW 1992, 2760 = WuB II A. § 293 AktG 2.92 (Bayer) = LM H. 1/1993 § 131 AktG 1965 Nr. 3; zust. Windbichler, EWiR § 295 AktG 1/92, 953, 954; dazu Bayer, ZGR 1993, 599; Hirte, NJW 1996, 2827, 3392, 3397; Krieger/Janott, DStR 1995, 1473; Priester, ZIP 1992, 292. 136) Diese „Divergenzvorlage“ wurde seit 1.9.2009 durch das allgemeine Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde (§§ 70 ff. FamFG) ersetzt. 137) OLG Karlsruhe ZIP 1997, 507; Vorinstanz LG Mannheim ZIP 1996, 22 (ASEA/BBC II); krit. Hirte, in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 (1993), Einl., S. 26 ff.; ders., ZGR 1994, 644, 658 (für Anwendbarkeit von § 295 Abs. 2 AktG); Wiedemann/Hirte, Konzernrecht, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. II (2000), S. 337, 374 f. 138) BGHZ 138, 136 (ASEA/BBC II – Spruchverfahren) = ZIP 1998, 690 = NJW 1998, 1866 = DStR 1998, 898 (Goette) = LM H. 8/1998 § 304 AktG 1965 Nr. 3 (Heidenhain); zust. Kort, ZGR 1999, 402. 139) LG Nürnberg-Fürth EWiR § 296 AktG 1/95, 1151 (Finken).

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urteil gerichtete Revision wurde vom BGH aber mangels grundsätzlicher Bedeutung und mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen.140)

8.100 Ähnliche Regelungen wie für Änderung und Aufhebung finden sich auch für die Kündigung von Unternehmensverträgen. Unproblematisch ist hierbei zunächst nur, dass § 297 Abs. 1 AktG die Kündigung eines Unternehmensvertrages aus wichtigem Grund zulässt und dazu ausdrücklich den Fall zählt, dass der andere Vertragsteil seine aufgrund des Vertrags bestehenden Verpflichtungen voraussichtlich nicht mehr wird erfüllen können; das betrifft in erster Linie die (drohende) Insolvenz des anderen Vertragsteils.141) Die Konkurseröffnung eines der Vertragsteile selbst – so betonte der BGH mehrfach zum früheren Recht142) – soll zur automatischen Beendigung eines Unternehmensvertrages führen; das ist für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens neuen Rechts, das durch die Zusammenführung von Konkurs- und Vergleichsverfahren andere Verfahrensziele hat (§ 1 InsO), nicht mehr haltbar.143) Jedenfalls führt allein die Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, wenn vom Gericht für die Zeit des Eröffnungsverfahrens nur ein „schwacher“ vorläufiger Verwalter (§ 22 Abs. 2 Satz 1 InsO: ohne Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots) bestellt wird, nicht zur Beendigung des Unternehmensvertrages.144) Allein die Veräußerung des beherrschten Unternehmens beendet den Vertrag ebenfalls nicht (zur Frage, ob eine diesbezügliche Vereinbarung möglich ist, unten Rz. 8.104).145)

___________ 140) BGH ZIP 1997, 786 = EWiR § 296 AktG 1/98, 3 (Keil). 141) Zu den Folgen eines Entfallens der Abfindungspflicht infolge Eröffnung des Konkursverfahrens auf ein anhängiges Spruchverfahren (Erledigung der Hauptsache) BayObLG EWiR § 304 AktG 1/98, 581 (Lüke/Blenske). 142) BGHZ 103, 1, 4 ff. (Familienheim) = ZIP 1988, 229, 230 f. = NJW 1988, 1326 f. = WuB II A. § 291 AktG 1.88 (Baums) = EWiR § 302 AktG 1/88, 1149 (Koch); bestätigt durch BGHZ 105, 168, 181 ff. (HSW) = ZIP 1988, 1248, 1252 = EWiR § 32a GmbHG 1/88, 1095 (Fleck) = WuB II C. § 32a GmbHG 2.88 (Rümker). 143) Ebenso Noack, Gesellschaftsrecht. Sonderband 1 zu Kübler/Prütting, InsO (1999), Rz. 726; Tschernig, Haftungsrechtliche Probleme der Konzerninsolvenz (1995), S. 102 ff.; Uhlenbruck/Hirte, § 11 InsO Rz. 398; Zeidler, NZG 1999, 692, 696 f.; zweifelnd zur Fortgeltung der alten Rechtsgrundsätze auch Uhlenbruck, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (2. Aufl. 1999), S. 1157, 1181 (so nicht mehr in 3. Aufl. 2009); abw. Sämisch/Adam, ZInsO 2007, 520, 521 f. 144) So jetzt BFHE 204, 520 = ZIP 2004, 1269 = DStR 2004, 951 = EWiR § 21 InsO 4/04, 1095 (M. J. Blank) = BStBl. II 2004, 905 (für die Parallelfrage der Beendigung der steuerrechtlichen Organschaft; das gelte selbst dann, wenn das Insolvenzgericht nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO anordne, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind). 145) Zur möglichen Folge einer Verlustausgleichspflicht (und korrespondierenden Rückstellungsbildung) durch das veräußernde Unternehmen BGH ZIP 1989, 1324 = EWiR § 249 HGB 1/90, 73 (Claussen) = WuB II A. § 302 AktG 2.89 (Schlaus).

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III. Vertragskonzern

Auch liegt in der Veräußerung der Beteiligung kein wichtiger Grund zur Kündigung 8.101 des Vertrages durch die Obergesellschaft.146) Das kann man aber für den Fall anders sehen, dass der Erwerber der Beteiligung mindestens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Unternehmensvertrag ohne wichtigen Grund bestehen würde, die Verlustausgleichsverpflichtung gegenüber der beherrschten Gesellschaft rechtswirksam übernimmt und die gleiche Bonität wie der Veräußerer aufweist (was bei Zweifeln daran durch Sicherheitsleistung ausgeglichen werden kann).147)

Im Übrigen – also außerhalb der Insolvenz bzw. bei Fehlen eines wichtigen 8.102 Grundes – bedarf es für die Kündigung eines Unternehmensvertrages seitens des Vorstands eines abhängigen Unternehmens auch hier eines Sonderbeschlusses der außenstehenden Aktionäre, wenn der Vertrag Ausgleichs- oder Abfindungsregelungen enthält (§ 297 Abs. 2 AktG). Problematisch ist jedoch zum einen, ob das Erfordernis des Sonderbeschlusses und damit der Schutz vor einer Kündigung auch im (viel kritischeren) Fall der Kündigung durch den anderen Vertragsteil bestehen.148) Und ebenso fraglich ist, ob die Vertragsparteien (des „In-Sich-Geschäfts“!) im ursprünglichen Vertrag weitere Gründe als „wichtige“ qualifizieren können, um damit die spätere Aufhebbarkeit eines belastenden Vertrages zu erleichtern. Mit Blick auf die Weisungsmöglichkeit des § 37 Abs. 1 GmbHG soll der im Sonderbeschlusserfordernis liegende Stimmrechtsausschluss des herrschenden Unternehmens im GmbH-Recht zudem überhaupt nicht greifen (dazu unten Rz. 8.108). Der BGH verneinte im SSI-Urteil das Erfordernis eines Sonderbeschlusses der au- 8.103 ßenstehenden Aktionäre nach § 297 Abs. 2 AktG und akzeptierte eine gewisse

___________ 146) OLG Düsseldorf ZIP 1994, 1602, 1603 f. = NJW-RR 1995, 233, 234 f. = WuB II A. § 297 AktG 1.95 (Groeschke); ebenso Vorinstanz LG Duisburg ZIP 1994, 299 f. (Rütgers-Werke/ Caramba); Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 19 Rz. 49; abw. LG Bochum GmbHR 1987, 24, 25 = AG 1987, 323 f. = EWiR § 297 AktG 1/86, 1167 (Timm); wohl auch (noch) MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 70 Rz. 36 f.; Schlögell, GmbHR 1995, 401, 408 ff.; dazu auch Zeidler, NZG 1999, 692, 696 m. w. N in Fn. 57. 147) LG Dortmund DB 1993, 1916 = AG 1994, 85, 86 (Vorinstanz über OLG Düsseldorf ZIP 1996, 1610 für BGHZ 135, 374; Guano AG); LG Frankenthal ZIP 1988, 1460, 1461 f. = AG 1989, 253 f. = EWiR § 297 AktG 1/88, 947 (Timm); Timm, GmbHR 1987, 8, 14 ff. 148) Verneinend BGH WM 1979, 770 (Peine-Salzgitter) = AG 1979, 289; OLG Düsseldorf ZIP 1990, 1333, 1335 (DAB/Hansa) = EWiR § 305 AktG 3/90, 951 (Schulze-Osterloh); ebenso Timm, in: Festschrift für Kellermann. ZGR-Sonderheft 10 (1991), S. 461, 463; ders., GmbHR 1992, 213, 217; krit. daher Koppensteiner, KK, § 297 AktG Rz. 4 und 13; ders., in: Beiträge zum Zivil- und Handelsrecht. Festschrift für Ostheim (1990), S. 403, 434; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung (1986), S. 144; ders., in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 (1993), Einl., S. 28 ff. (mit der Konsequenz, dass jedenfalls im GmbH-Recht anders entschieden werden müsse).

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

„Vertragsfreiheit“ beim Unternehmensvertrag.149) In dem zugrunde liegenden Sachverhalt war die Möglichkeit einer Kündigung des Unternehmensvertrages für den Fall vereinbart worden, dass der andere Vertragsteil (das herrschende Unternehmen) eine Kündigung des Unternehmensvertrages aussprach. Der BGH hielt eine analoge Anwendung von § 297 Abs. 2 AktG nicht für geboten. Zugleich hielt das Gericht den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages mit Rückwirkung auf den Beginn des Geschäftsjahres, dessen Gewinn abgeführt werden soll, für möglich. Damit bestätigt es indirekt die jüngere Rechtsprechung des OLG Hamburg, das den rückwirkenden Abschluss eines Beherrschungsvertrages für unzulässig erklärt hatte.150)

8.104 Das OLG Hamburg hielt es aber für zulässig, in einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zu vereinbaren, dass das herrschende Unternehmen ihn ohne Mitwirkung der außenstehenden Aktionäre des abhängigen Unternehmens durch Anteilsübertragung beenden kann.151) Mit Blick auf die damit faktisch allein in den Händen des anderen Vertragsteils liegende Beendigungsmöglichkeit des Unternehmensvertrages erscheint das jedoch bedenklich. Anders liegen die Dinge jedenfalls, wenn es an ausdrücklichen Vereinbarungen fehlt (dazu oben Rz. 8.100). 8.105 Übt bei einem Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag ein Aktionär der beherrschten Gesellschaft nach Entgegennahme von Ausgleichszahlungen nach § 304 AktG vom herrschenden Unternehmen sein Wahlrecht auf Barabfindung nach § 305 AktG aus, so sind die empfangenen Ausgleichsleistungen ausschließlich mit den Abfindungszinsen nach § 305 Abs. 3 Satz 3 AktG, nicht jedoch mit der Barabfindung selbst zu verrechnen.152) Diese Verrechnung erfolgt zudem nach den einzelnen „Referenzzeiträumen“ der einzelnen Kalender___________ 149) BGHZ 122, 211 (SSI) = ZIP 1993, 751 = NJW 1993, 1976; krit. Hirte, ZGR 1994, 644, 655 ff.; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 295 AktG Rz. 8 (einschränkende Auslegung der Kündigungsberechtigung). Im zweiten Revisionsrechtszug in derselben Sache bejahte der BGH NJW 1995, 3115 = ZIP 1995, 1256 = DB 1995, 1700 = EWiR § 253 HGB 1/95, 897 (Großfeld) = LM H. 11/1995 § 253 HGB Nr. 1 eine Verletzung des Auskunftsrechts des Aktionärs nach § 293 Abs. 4 AktG a. F., weil der Vorstand der abhängigen AG vor der Beschlussfassung über den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag auf die detaillierte Frage nach der bilanziellen Behandlung von Beteiligungen des herrschenden Unternehmens diese ohne weitere Spezifizierung lediglich als zu „Anschaffungskosten“ bewertet angegeben hatte (abw. nach Zurückverweisung OLG München ZIP 1994, 533 [SSI II]). 150) OLG Hamburg ZIP 1989, 1326 (Texaco/RWE) = NJW 1990, 521; OLG Hamburg ZIP 1990, 1071 (Texaco/RWE) = NJW 1990, 3024. 151) OLG Hamburg EWiR § 297 AktG 1/99, 389 m. krit. Anm. Wilhelm; krit. auch Wiedemann/ Hirte, Konzernrecht, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. II (2000), S. 337, 377 f. 152) BGHZ 152, 29 = ZIP 2002, 1892, 1893 = NJW 2002, 3467 = NZG 2002, 1057 = DStR 2002, 1955 = EWiR § 305 AktG 2/02, 1069 (Luttermann); ebenso Vorinstanz OLG Hamm ZIP 2001, 2003, 2004 (Rütgers) = NZG 2002, 51; in diese Richtung auch schon Hirte/Orschewsky, EWiR § 305 AktG 3/98, 968, 969 (zust. Anm. zu OLG München AG 1998, 239 [Paulaner/ Hacker-Pschorr]); anders OLG Hamburg ZIP 2002, 754 (Jungmann) (Philips Kommunikations Industrie AG) = EWiR § 305 AktG 1/02, 647 (Luttermann); Jungmann, BB 2002, 1549; zum Ganzen auch Kaserer/Knoll, BB 2002, 1955; Vetter, AG 2002, 383.

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III. Vertragskonzern

bzw. Geschäftsjahre; es wird also keine „Gesamtabrechnung“ hinsichtlich des gesamten Zeitraums vorgenommen.153) Ein Spruchverfahren ist nach Ansicht des BayObLG durchzuführen, wenn ein 8.106 Gewinnabführungsvertrag aufgehoben und zugleich ein Beherrschungsvertrag abgeschlossen wird; dieser Übergang stellt auch dann nicht nur eine bloße Vertragsänderung dar, wenn Regelungen des Gewinnabführungsvertrages insbesondere zu Ausgleichszahlungen und Abfindung aufrechterhalten werden.154) Bei Änderung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages bedarf es aber keines erneuten Spruchverfahrens, wenn lediglich die (in ihrer Zulässigkeit ohnehin bestrittene) Rückwirkung des ursprünglichen Vertrages bezüglich der Beherrschung aufgehoben wird.155) Die Kündigung nur des Ergebnisabführungsteils eines als Beherrschungs- und 8.107 Gewinnabführungsvertrag in das Handelsregister eingetragenen Vertrages ist aber nicht möglich; denn das würde auf eine unzulässige einseitige Änderung des Organschaftsvertrages hinauslaufen.156) Schließlich darf einer abhängigen Aktiengesellschaft nach § 299 AktG aufgrund 8.108 eines Unternehmensvertrages keine Weisung erteilt werden, den Vertrag zu ändern, aufrechtzuerhalten oder zu kündigen.157) Auch hiermit soll verhindert werden, dass der mit einem Unternehmensvertrag bezweckte Schutz einseitig zur Disposition der Muttergesellschaft steht. Angesichts der schon beschriebenen – und vom BGH für zulässig gehaltenen – Möglichkeiten, den gleichen Effekt auf andere Weise herbeizuführen, läuft dieser Zweck der Norm weitgehend leer. Mit Blick auf die im GmbH-Recht nach § 37 Abs. 1 GmbHG gerade bestehende Weisungsmöglichkeit der Gesellschafter hat der BGH zudem angenommen, dass dort ein herrschender Gesellschafter bei der Beschlussfassung über die ordentliche Kündigung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages durch die beherrschte Gesellschaft nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen ist.158) Auch die Beendigung von Unternehmensverträgen bedarf schließlich mitsamt des 8.109 Grundes und des Zeitpunkts der Anmeldung zum Handelsregister (§ 298 AktG). ___________ 153) BGHZ 174, 378 = ZIP 2008, 310, 311 = NZG 2008, 189. 154) BayObLG ZIP 2002, 127 (Bayerische Brau Holding/Schörghuber) = NZG 2002, 133 = EWiR § 304 AktG 1/01, 89 (Luttermann). 155) BayObLG ZIP 2002, 2257 (PKV Vermögensverwaltung AG) = NZG 2003, 36. 156) OLG Karlsruhe NJW-RR 2001, 973 = ZIP 2001, 1199 = EWiR § 291 AktG 1/01, 933 (Leuering). 157) Zur Unanwendbarkeit dieser Norm auf Weisungen zum Abschluss oder im Zusammenhang mit dem Abschluss von Unternehmensverträgen Hirte, in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 (1993), Einl., S. 12 ff. m. w. N.; ders., in: GroßK, § 308 AktG Rz. 38; Zeidler, NZG 1999, 692, 694 f. 158) BGHZ 190, 45 Tz. 20 = ZIP 2011, 1465 = NJW-RR 2011, 1117 = NZG 2011, 902 = DStR 2011, 1576 = EWiR § 47 GmbHG 1/11, 563 (Bungert/Th. Meyer); dazu Peters/ Hecker, DStR 2012, 86; Theiselmann, DB 2011, 2819.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

5.

Wirkungen des Unternehmensvertrages

8.110 Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge setzen zum einen das in § 76 Abs. 1 AktG niedergelegte Prinzip der eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft durch den Vorstand außer Kraft und ersetzen es durch das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens (§ 308 AktG), das dabei nach § 309 Abs. 1 AktG an einen dem § 93 AktG entsprechenden Sorgfaltsmaßstab gebunden wird. Zwar besteht das Weisungsrecht nur gegenüber dem Vorstand und nicht gegenüber einem – unter Umständen mitbestimmten – Aufsichtsrat.159) Doch ist dessen fehlende Zustimmung nach § 308 Abs. 3 AktG entbehrlich, wenn das herrschende Unternehmen eine Weisung wiederholt (dazu näher unten Rz. 8.170). Zum anderen werden – wie bereits erwähnt – die Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 57, 58, 60 AktG außer Kraft gesetzt (§ 291 Abs. 3 AktG). Das hat das MoMiG noch insoweit erweitert, als jetzt nicht mehr nur Leistungen „auf Grund“ eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages privilegiert sind, sondern sämtliche Leistungen „bei Bestehen“ eines solchen Vertrages (siehe auch § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG, § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n. F.). 8.111 Soweit sich nicht aus allgemeinen Bestimmungen Schranken für das Weisungsrecht ergeben (etwa: keine Weisung zur Änderung des – in die Satzungskompetenz der Hauptversammlung fallenden – Unternehmensgegenstandes oder zum Abschluss eines Unternehmensvertrages160) sind grundsätzlich auch Weisungen zulässig, die für die abhängige Gesellschaft nachteilig sind (§ 308 Abs. 1 Satz 2 AktG). Dies gilt jedoch unter der einschränkenden Voraussetzung, dass die die Gesellschaft benachteiligende Weisung den Belangen des herrschenden Unternehmens oder der ihm konzernverbundenen Unternehmen dient.161) In dieser Regelung kommt zum Ausdruck, was auch dem Zweck des Beherrschungsvertrages entspricht, dass nämlich das herrschende Unternehmen die abhängige Gesellschaft seinen eigenen Interessen bzw. dem Gruppeninteresse unterordnen und dienstbar machen darf.

___________ 159) Hirte, in: GroßK, § 308 AktG Rz. 15. 160) OLG Karlsruhe ZIP 1991, 101, 104 = AG 1991, 144, 146 (mit der Möglichkeit von Ausnahmen im mehrstufigen Konzern); MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 70 Rz. 19 f.; Zeidler, NZG 1999, 692, 694 f.; Zöllner, ZGR 1992, 173, 185; vgl. auch oben Rz. 8.57 ff. 161) BGHZ 116, 37, 41 f. (Hansa-Feuerfest – Stromlieferung) = ZIP 1992, 29, 31 = NJW 1992, 505, 506 = WuB II C. § 54 GmbHG 1.93 (Burgard) = EWiR § 303 AktG 1/92, 425 (Geuting); Hirte, in: GroßK, § 308 AktG Rz. 48 ff.

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III. Vertragskonzern

Im Übrigen findet das Weisungsrecht jedenfalls dort seine Grenze, wo der wirt- 8.112 schaftliche Bestand der beherrschten Gesellschaft berührt ist.162) Denn sonst lässt sich das Ziel, die Überlebensfähigkeit einer Gesellschaft nach Ende des Vertrages sicherzustellen,163) nicht erreichen. Die in jedem Fall bestehenden Unsicherheiten über die Grenzen des Weisungsrechts bilden einen weiteren Grund für dessen vertragliche Konkretisierung (dazu im Übrigen oben Rz. 8.63 f.). Nur wenn die genannten Grenzen offensichtlich überschritten sind, darf der Vor- 8.113 stand der abhängigen Gesellschaft eine Befolgung der Weisung verweigern (§ 308 Abs. 2 Satz 2 AktG a. E.). Werden die Grenzen des Weisungsrechts überschritten, haften für daraus entstehende Schäden neben den Mitgliedern des Vertretungsorgans des herrschenden Unternehmens (§ 309 Abs. 2 AktG) auch die Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder des abhängigen Unternehmens, die diese Weisungen befolgen (§ 310 AktG). 6.

Europäische Aktiengesellschaft

Sieht man vom Fall der durch Verschmelzung gegründeten SE ab, ist die SE typi- 8.114 scherweise Mitglied einer Unternehmensgruppe; denn in allen anderen Fällen ihrer Gründung entsteht ebenso wie bei der (ausdrücklich erlaubten; Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SE-VO) Gründung einer Tochter-SE durch eine Mutter-SE zwingend ein Unternehmensverbund.164) Gleichwohl regelt die SE-Verordnung das Konzernrecht nicht (Erwägungsgründe der SE-VO Nrn. 16 – 18).165) Eine Ausnahme bildet nur der (selbstverständliche) Hinweis in Art. 61, 62 SE-VO auf das Erfordernis, gegebenenfalls einen konsolidierten Abschluss aufstellen zu müssen.166) Grund ist, dass eine Einigung über das Ob und Wie konzernrechtlicher Regelungen in Europa auch in Bezug auf die Koordinierung der nationalen Rechte bislang nicht gelungen ist (oben Rz. 1.76). Die deutsche Ausführungsgesetzgebung konnte sich daher in § 49 SEAG mit 8.115 einer schlichten Kompetenzzuweisung begnügen; danach treten im Rahmen der konzernrechtlichen Bestimmungen der §§ 308 – 318 AktG und bei den Vor___________ 162) MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 70 Rz. 23; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 308 AktG Rz. 60 f.; Geßler, ZHR 140 (1976), 433, 436 ff.; Hirte, in: GroßK, § 308 AktG Rz. 42; Wiedemann/Hirte, Konzernrecht, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. II (2000), S. 337, 383; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht (1982), S. 150 f.; Immenga, ZHR 140 (1976), 301, 303 ff.; H. Köhler, ZGR 1985, 307, 318; Lutter, in: Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht. ZGR-Sonderheft 6 (1986), S. 151, 160 ff.; Priester, ebda., S. 151, 157; Zeidler, NZG 1999, 692, 695; abw. Zöllner, ZGR 1992, 173, 189 f. 163) Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht (1982), S. 310 ff.; Wirth, DB 1990, 2105, 2108; Zöllner, ZGR 1992, 173, 189. 164) Hommelhoff, AG 2003, 179 („genuiner Konzernbaustein“); Horn, DB 2005, 147, 148 f. 165) Kritisch Ulmer, FAZ v. 21.3.2001, Nr. 68 S. 30. 166) Hommelhoff, AG 2003, 179, 180.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

schriften der §§ 319 – 327 AktG über die Eingliederung die geschäftsführenden Direktoren an die Stelle des Vorstands.167) Über Art. 9 Abs. 1 c SE-VO kommen im Übrigen die für die nationale Aktiengesellschaft geltenden konzernrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung.168) 7.

GmbH-Vertragskonzern

8.116 Das GmbH-Gesetz enthält – wie gesagt – im Gegensatz zum Aktiengesetz keinerlei konzernrechtliche Regelung. Anders als das Aktienrecht sieht das GmbHG daher weder die Eintragung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages im Handelsregister (vgl. demgegenüber § 294 AktG) noch besondere Zustimmungsregeln der abhängigen Gesellschaft (vgl. § 293 AktG) vor.169) Dies hat den Abschluss solcher Verträge zwar einerseits erleichtert, dafür aber andererseits Konzernverflechtungen mit beträchtlichen Haftungsrisiken ermöglicht, ohne dass dies aus dem Handelsregister erkennbar wäre. Die fehlende gesetzliche Regelung – der Versuch einer Regelung im Rahmen der GmbH-Reform 1971/1973 scheiterte170) – begründete für den BGH die Gelegenheit und die Notwendigkeit, das Recht des GmbH-Vertragskonzerns richterrechtlich zu formen. a)

Abschluss des Unternehmensvertrages

8.117 Leitentscheidung ist insoweit der „Supermarkt“-Beschluss aus dem Jahre 1988; darin verlangt der BGH, dass auch ein mit einer GmbH geschlossener Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag in das Handelsregister einzutragen ist. Der Beschluss, mit dem die Gesellschafterversammlung der abhängigen Gesellschaft dem Vertragsschluss zustimmt, bedarf darüber hinaus der – kostspieligen – ___________ 167) Zur SE im Konzernverbund vgl. im Übrigen weiterführend Brandi, NZG 2003, 889; Ebert, BB 2003, 1854; Habersack, ZGR 2003, 724; Hirte, in: GroßK, § 308 AktG Rz. 71 ff.; Hommelhoff, AG 2003, 179; Maul, ZGR 2003, 743; dies., in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 249 – 260; Veil, WM 2003, 2169; zu den Schutzdefiziten in der faktisch abhängigen SE im Rahmen der entsprechenden Anwendung von § 312 AktG Merkt, ZGR 2003, 650, 675 f. 168) Zur i. E. kaum bedeutsamen Frage, ob hinter der Anwendung des nationalen Konzernrechts auf die SE international privatrechtliche Grundsätze stehen oder – wie hier vertreten – Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO, Maul, in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), Die Europäische Gesellschaft (2005), S. 249, 250 – 252. 169) Gleiches gilt auch für das Personengesellschaftsrecht. Die Frage einer möglichen Analogie der Normen über Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge hat aber dort keine größere Rolle gespielt, wobei in Bezug auf den Gesellschafterschutz eine der Ursachen im gesetzlich angelegten Einstimmigkeitsprinzip liegen dürfte, das eine Konzernintegration gegen den Willen von Minderheiten verhindert. Die entsprechenden Fragen sollen daher hier nicht vertieft werden. Im Zusammenhang mit dem Gläubigerschutz sei aber auf das GervaisDanone-Urteil (BGH WM 1979, 937) hingewiesen. 170) Dazu §§ 230 – 255 RegE GmbHG BT-Drucks. 7/253 v. 26.2.1973 (abgedruckt in: RWS-Dok. 13 Nr. 1.2.1) (= BR-Drucks. 595/71 v. 5.11.1971).

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III. Vertragskonzern

notariellen Beurkundung.171) Nach wie vor ungeklärt ist allerdings, ob der Zustimmungsbeschluss zum Abschluss eines Unternehmensvertrages einstimmig gefasst werden muss (arg. § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder (überzeugender) auch eine qualifizierte Mehrheit ausreicht (analog § 53 Abs. 2 GmbHG).172) Die wohl herrschende Meinung hält dabei – schon aus Vorsichtsgründen – eine einstimmige Beschlussfassung für erforderlich.173) Für die Zustimmung zum Abschluss eines Unternehmensvertrags mit einer 8.118 GmbH durch die Gesellschafterversammlung des herrschenden Unternehmens verlangte der BGH in der Supermarkt-Entscheidung ebenfalls eine Dreiviertelmehrheit. Wenig später bestätigte er diese Entscheidung und ergänzte, dass auch dieser Beschluss zum Handelsregister der abhängigen Gesellschaft mit einzureichen sei;174) damit wird vor allem klargestellt, dass der Abschluss eines Unternehmensvertrages im Hinblick auf das Verlustübernahmerisiko auch für das herrschende Unternehmen eine so einschneidende Bedeutung hat, dass er der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedarf.175) Dabei dürften keine Bedenken bestehen, die Geschäftsführer in entsprechender Anwendung der §§ 202 ff. AktG satzungsmäßig für einen bestimmten Zeitraum und in begrenztem Umfang ___________ 171) BGHZ 105, 324 (Supermarkt) = ZIP 1989, 29 = NJW 1989, 295 = EWiR § 54 GmbHG 1/89, 59 (Schulze-Osterloh) = WuB II C. § 54 GmbHG 1.89 (Schneider); dazu Altmeppen, DB 1994, 1273; Heckschen, DB 1989, 1273; Kort, ZIP 1989, 1309; Timm, GmbHR 1992, 213; Ulmer, BB 1989, 10; Vetter, BB 1989, 2125; Zöllner, ZGR 1992, 173 ff.; zur Haftung eines Steuerberaters, der einen Gewinnabführungsvertrag fehlerhaft abgeschlossen hatte mit der Folge, dass dieser steuerrechtlich nicht wirksam wurde, BGH (IX. Zs.), DStR 1999, 1864 (Goette). 172) Für (lediglich) qualifizierte Mehrheit Hirte, in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 (1993), Einl., S. 19 ff. (für qualifizierte Mehrheit mit Beschlusskontrolle in Analogie zur aktienrechtlichen Regelung) m. w. N. auch der Gegenstimmen; ebenso Heckschen, DB 1989, 29 f. (zur Kritik Zöllner, ZGR 1992, 173, 174 Fn. 1); Koerfer/Selzner, GmbHR 1997, 285, 290; Richter/Stengel, DB 1993, 1861, 1862 ff. (qualifizierte Mehrheit); Kort, Der Abschluß von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen im GmbH-Recht (1986), S. 111 f.; ders., ZIP 1989, 1309, 1311; Timm, ZGR 1987, 403, 430 f.; ders., GmbHR 1987, 8, 11; ders., GmbHR 1992, 213, 215. 173) Altmeppen, DB 1994, 1273 f.; Ebenroth/Müller, BB 1991, 358, 359; Emmerich/Sonnenschein/ Habersack, Konzernrecht, § 32 Rz. 14 ff. (differenzierend); Pache, GmbHR 1995, 90, 92 (wegen Analogie zu den Gründungsvorschriften); Priester, in: Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht. ZGR-Sonderheft 6 (1986), S. 151, 160 ff.; Schilling, ZHR 140 (1976), 528, 535 f.; Karsten Schmidt, GmbHR 1979, 121, 124; ders., GesR, § 38 III 2a, S. 1192; Scholz/Priester, § 53 GmbHG Rz. 171; Ulmer, BB 1989, 10, 14; ders., in: GroßK-GmbHG, § 53 Rz. 158; Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht (1988), S. 199; Wirth, DB 1990, 2105, 2107; Zeidler, NZG 1999, 692, 693; Zöllner, 173, 174, 194. 174) BGH ZIP 1992, 395 (Siemens) = NJW 1992, 1452 = EWiR § 293 AktG 1/92, 423 (Kort) = WuB II C. § 13 GmbHG 4.92 (Hirte); dazu Gäbelein, GmbHR 1992, 786. 175) Zu weiteren Gründen für die Zustimmungspflicht (Machtverschiebung zugunsten von Mehrheitsgesellschafter und/oder Verwaltung) Hirte, in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 (1993), Einl., S. 16 f. (dort auch zur Frage einer möglichen Inhaltskontrolle dieses Beschlusses, die hier eher als bei der abhängigen Gesellschaft zu bejahen ist).

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

zum Abschluss (und gegebenenfalls auch zur Aufhebung) von Unternehmensverträgen zu ermächtigen.176) 8.119 Die Reichweite der analogen Anwendung der aktienrechtlichen Regelungen im GmbH-Recht ist jedoch vor allem in den Einzelheiten ungeklärt. Das gilt etwa für die Zulässigkeit eines Spruchverfahrens im GmbH-Recht177) oder die Frage der Aufhebung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages. 8.120 Nach Ansicht des OLG Karlsruhe bedarf die Aufhebung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen zwei GmbHs weder der Zustimmung der Gesellschafterversammlung der herrschenden noch der beherrschten Gesellschaft. Die Gründe, die ein Zustimmungserfordernis für den Abschluss eines solchen Vertrages begründeten, ließen sich – anders als im Aktienrecht (§ 296 AktG) – auf den actus contrarius nicht übertragen.178)

8.121 Wie im Aktienrecht ist aber auch im GmbH-Konzern die rückwirkende Aufhebung eines Unternehmensvertrages grundsätzlich unzulässig. Das gilt auch dann, wenn die abhängige Gesellschaft eine Ein-Personen-GmbH ist.179) 8.122 Offen ist, ob der Unternehmensvertrag – anders als im Aktienrecht – auch in das Handelsregister der Obergesellschaft eingetragen werden muss180) oder zumindest eingetragen werden kann.181) Ungeklärt ist auch, wie weit die im Zu___________ 176) Grunewald, AG 1990, 133, 135 f.; Heckschen, DB 1989, 1273, 1274 f.; Hirte, in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 (1993), Einl., S. 18 m. w. N.; Wiedemann/Hirte, Konzernrecht, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. II (2000), S. 337, 384; in dieselbe Richtung Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 745; weitergehend Priester, DB 1989, 1013, 1016 f.; Ulmer, BB 1989, 10, 13. 177) Für diese Möglichkeit Hirte, in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 (1993), Einl., S. 21 f. (was auch den Ausschluss der Anfechtungsklage nach §§ 304 Abs. 3 Satz 2, 305 Abs. 5 Satz 1 AktG einschließen würde); abw. Zeidler, NZG 1999, 692, 693; Zöllner, ZGR 1992, 173, 193 ff.; näher unten Rz. 8.126. 178) OLG Karlsruhe ZIP 1994, 1022 (Mannesmann Kienzle) = NJW-RR 1994, 1062; ebenso OLG Frankfurt/M. ZIP 1993, 1790 = NJW-RR 1994, 296 = WuB II C. § 54 GmbHG 2.94 (Dilger) = EWiR § 296 AktG 1/94, 11 (Ebenroth/Wilken); zusammenfassend Ebenroth/ Wilken, WM 1993, 1617; Ehlke, ZIP 1995, 355; Krieger/Janott, DStR 1995, 1473; Priester, ZGR 1996, 189; Schlögell, GmbHR 1995, 401; Vetter, ZIP 1995, 345; Zeidler, NZG 1999, 692, 696 m. w. N.; abw. zuvor Hirte, in: Hirte (Hrsg.), Der Vertragskonzern im Gesellschaftsrecht. RWS-Dokumentation 13 (1993), Einl., S. 28 ff. (dort auch zu den Mehrheitserfordernissen: entsprechend denen beim Abschluss qualifizierte Mehrheit mit Inhaltskontrolle). 179) BGH ZIP 2002, 35 = NJW 2002, 822 = NZG 2002, 128 = DStR 2002, 1101 = EWiR § 302 AktG 1/02, 51 (Wilken). 180) So LG Bonn AG 1993, 521 = GmbHR 1993, 443; verneinend MünchHdb GmbH-Decher/ Kiefner, § 70 Rz. 10 a. E. (aber unter ausdrücklichem Hinweis auf die trotz fehlender Notwendigkeit bestehende Zulässigkeit einer solchen Eintragung); Kort, Der Abschluß von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen im GmbH-Recht (1986), S. 133; Timm, GmbHR 1989, 11, 14; Zöllner/Beurskens, in: Baumbach/Hueck, Anh. KonzernR, Rz. 56. 181) Zeidler, NZG 1999, 692, 694 (aus Vorsichtsgründen); abw. (gegen Eintragungsfähigkeit) AG Duisburg DB 1993, 2522 = AG 1994, 568 = GmbHR 1994, 811; AG Erfurt AG 1997, 275 = GmbHR 1997, 75; Altmeppen, DB 1994, 1273; Vetter, AG 1994, 110, 113 f.

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III. Vertragskonzern

sammenhang mit der Reform des Umwandlungsrechts neu eingeführten §§ 293a ff. AktG auch im GmbH-Recht Geltung beanspruchen können.182) b)

Behandlung nicht eingetragener Unternehmensverträge

Eine Folgefrage des Eintragungszwangs im Handelsregister der abhängigen Ge- 8.123 sellschaft betrifft die Behandlung nicht eingetragener Verträge, insbesondere aus der Zeit vor der Supermarkt-Rechtsprechung des BGH. Der BGH betonte hier, dass sie nach den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft bei tatsächlichem Vollzug183) als wirksam behandelt würden, so dass in diesem Fall insbesondere die Haftungsfolgen eingreifen;184) bei einer Beendigung des Vertrages im laufenden Geschäftsjahr – hier durch Konkurseröffnung – müsse der bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Verlust noch ausgeglichen werden.185) Auf der anderen Seite erkennen die Finanzbehörden (heute) keine nicht eingetragenen Gewinnabführungsverträge mehr an,186) da es insoweit an der erforderlichen zivilrechtlichen Wirksamkeit fehlt (oben Rz. 8.18). Die nicht entsprechend § 298 AktG ins Handelsregister eingetragene Vertragsbeendigung begründet aber für vor der Supermarkt-Entscheidung beendete Unternehmensverträge nur eine Haftung des herrschenden Unternehmens für bis zur Vertragsbeendigung begründete Forderungen.187) Ein nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft als wirksam zu behan- 8.124 delnder Vertrag kann von den Parteien jederzeit durch einseitige oder übereinstimmende Erklärung beendet werden.188) ___________ 182) Für deren Anwendbarkeit Humbeck, BB 1995, 1893 f.; im Ergebnis verneinend im Hinblick auf das Einstimmigkeitserfordernis für den Zustimmungsbeschluss Bungert, DB 1995, 1449, 1452 ff.; Zöllner/Beurskens, in: Baumbach/Hueck, Anh. KonzernR, Rz. 58; Zeidler, NZG 1999, 692, 694 (im Hinblick auf das weitergehende Informationsrecht des § 51a GmbHG). 183) Dafür reicht der tatsächliche Ausgleich der Verluste: BGHZ 116, 37, 39 (Hansa-Feuerfest – Stromlieferung) = ZIP 1992, 29, 30 = EWiR § 303 AktG 1/92, 425 (Geuting). 184) BGHZ 103, 1, 4 ff. (Familienheim) = ZIP 1988, 229, 230 ff. = NJW 1988, 1326 = WuB II A. § 291 AktG 1.88 (Baums) = EWiR § 302 AktG 1/88, 1149 (Koch); BGHZ 116, 37, 39 (Hansa-Feuerfest – Stromlieferung) = ZIP 1992, 29, 30 = NJW 1992, 505 = EWiR § 303 AktG 1/92, 425 (Geuting); BGH ZIP 2002, 35 = NJW 2002, 822 = NZG 2002, 128 = DStR 2002, 1101 = EWiR § 302 AktG 1/02, 51 (Wilken). 185) BGHZ 103, 1, 4 ff. (Familienheim) = ZIP 1988, 229, 230 ff. = WuB II A. § 291 AktG 1.88 (Baums) = EWiR § 302 AktG 1/88, 1149 (Koch). 186) Zum Erfordernis zivilrechtlicher Wirksamkeit Abschn. 55 Abs. 1 Körperschaftsteuer-Richtlinien; BFHE 151, 135 = WM 1989, 408 = BStBl.II 1988, 76 = WuB II A. § 294 AktG 1.89 (Schneider); BFHE 184, 88 = DStR 1997, 2020 = NZG 1998, 227 = BStBl. II 1998, 33 = NJW-RR 1998, 467; MünchHdb GmbH-Busch, § 72 Rz. 11. 187) BGHZ 116, 37, 42 ff. (Hansa-Feuerfest – Stromlieferung) = ZIP 1992, 29, 31 f. = EWiR § 303 AktG 1/92, 425 (Geuting). 188) BGH ZIP 2002, 35 = NJW 2002, 822 = NZG 2002, 128 = DStR 2002, 1101 = EWiR § 302 AktG 1/02, 51 (Wilken).

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

c)

Gläubiger- und Minderheitenschutz

8.125 Der Gläubigerschutz wird im GmbH-Vertragskonzern nach bislang herrschender Auffassung vor allem durch eine entsprechende Anwendung von § 302 und § 303 AktG gewährleistet.189) Gesetzlich folgt hinsichtlich der GmbH die Anwendung indirekt aus § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG, nach dem die steuerliche Anerkennung der Organschaft auf der Grundlage eines Gewinnabführungsvertrages mit diesen Gesellschaften davon abhängig gemacht wird, dass eine Verlustübernahme wie nach § 302 AktG „vereinbart“ wird190) (während bei der Aktiengesellschaft und Kommanditgesellschaft auf Aktien der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags i. S. v. § 291 Abs. 1 AktG verlangt wird). Daher wird es im GmbH-Vertragskonzern auch nach der neueren Rechtsprechung des BGH zum existenzvernichtenden Eingriff (dazu oben Rz. 5.172 ff.) bei der Verlustübernahmepflicht analog § 302 AktG bleiben;191) im Einzelfall mag sie allerdings durch weitere Ansprüche ergänzt werden. 8.125a Da § 302 AktG die Verringerung der Kapitalbindung in der vertraglich konzernierten

GmbH ausgleicht (oben Rz. 8.110), der Kapitalschutz in der GmbH aber insgesamt schwächer ausgestaltet ist als im Aktienrecht, hielt der BGH eine Aufrechnung des herrschenden Unternehmens gegen einen bereits entstandenen Anspruch der abhängigen Gesellschaft auf Verlustausgleich nach § 302 AktG analog für zulässig und wirksam, sofern die zur Aufrechnung gestellte Forderung werthaltig ist; auch eine Anrechnung zuvor erbrachter Leistungen auf den Verlustausgleichsanspruch sei zulässig.192)

___________ 189) BGHZ 95, 330, 345 f. (Autokran) = ZIP 1985, 1263, 1264 ff. = NJW 1986, 188 (zu § 303 AktG); BGHZ 103, 1, 9 f. (Familienheim) = ZIP 1988, 229, 232 = EWiR § 302 AktG 1/88, 1149 (Koch) = WuB II A. § 291 AktG 1.88 (Baums); BGHZ 105, 168, 182 (HSW) = ZIP 1988, 1248, 1252 = EWiR § 32a GmbHG 1/88, 1095 (Fleck) = WuB II C. § 32a GmbHG 2.88 (Rümker); BGHZ 105, 324, 336 (Supermarkt) = ZIP 1989, 29, 33; BGHZ 107, 7, 15 ff. (Tiefbau) = ZIP 1989, 440, 442 ff. = NJW 1989, 1800; BGHZ 115, 187, 192 f. (Video) = ZIP 1991, 1354, 1356 ff. = NJW 1991, 3142; BGHZ 116, 37, 39 (Hansa-Feuerfest – Stromlieferung) = ZIP 1992, 29, 30 = NJW 1992, 505 = WuB II C. § 54 GmbHG 1.93 (Burgard) = EWiR § 303 AktG 1/92, 425 (Geuting); BGHZ 142, 382, 384 = ZIP 1999, 1965 = NJW 2000, 210; BGH ZIP 2002, 35, 37 = NJW 2002, 822, 824 (zu § 302 Abs. 3 AktG); KG NZG 2001, 80, 81 = AG 2001, 529 (zu § 303 AktG); LG Bochum AG 1987, 324, 325 (Salzgitter II) = EWiR § 302 AktG 1/87, 13 (Timm); Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 302 AktG Rz. 25, § 303 AktG Rz. 3; Hirte, in: GroßK, § 302 AktG Rz. 97, § 303 AktG Rz. 38; Hüffer/Koch, § 302 AktG Rz. 7; Kort, ZIP 1989, 1309, 1312; MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner § 70 Rz. 25 f., 30. 190) Cahn/Simon, Konzern 2003, 1, 11; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 302 AktG Rz. 25, 30; MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 70 Rz. 25 a. E. 191) Hirte, in: GroßK, § 302 AktG Rz. 97; MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 70 Rz. 25; abw. Bitter, ZIP 2001, 265, 270 ff. (zur Nicht-Berücksichtigung der steuerrechtlichen Vorgaben bei diesen Überlegungen aber ausdrücklich S. 277). 192) BGHZ 168, 285 = NJW 2006, 3279 = NZG 2006, 664 = ZIP 2006, 1488 = EWiR § 302 AktG 1/06, 577 (Lenz) (Vorinstanz OLG Jena ZIP 2005, 531 (Ls.) [Sinewe] = EWiR § 302 AktG 1/05, 331); hierzu Liebscher, ZIP 2006, 1221; Petersen, GmbHR 2005, 1031; A. Reuter, DB 2005, 2339; Schilmar, ZIP 2006, 2346; Tielmann/Wolf, DStR 2006, 1947; zur abw. Lage im Aktienrecht Hirte/Hasselbach, in: GroßK, § 302 AktG Rz. 63.

584

IV. Faktischer Konzern

Hinsichtlich des Minderheitenschutzes geht die herrschende Meinung – wie 8.126 oben dargestellt (oben Rz. 8.117) – davon aus, dass der Zustimmungsbeschluss zu einem Unternehmensvertrag einstimmig zu fassen ist. Soweit man dieser Auffassung folgt, bedarf es eines besonderen Minderheitenschutzes nicht; denn jeder Gesellschafter hat es in der Hand, durch Verweigerung der Zusti m m u n g z u m Abschluss eines Unternehmensvertrages oder durch Verhandlung über die Bedingungen einer Zustimmung seine Interessen selbst zu wahren. Das ist nur dann anders, wenn man mit der hier vertretenen Auffassung annimmt, dass ein bloßer (qualifizierter) Mehrheitsbeschluss als Zustimmungsbeschluss zu einem Unternehmensvertrag ausreichend ist; dann wird man das aktienrechtliche Instrumentarium, insbesondere also die §§ 304, 305 AktG ebenso wie die gerichtliche Überprüfbarkeit von Ausgleich oder Abfindung im Spruchverfahren hier entsprechend anzuwenden haben (dazu schon oben Rz. 8.119). d)

Mitteilungspflichten

Die oben (Rz. 8.51 ff.) für das Aktienrecht vorgestellten Mitteilungspflichten gel- 8.127 ten im GmbH-Recht grundsätzlich nicht. Das ist nur dann anders, wenn zumindest auf einer Seite eines Erwerbsvorgangs eine Aktiengesellschaft beteiligt ist. Andererseits besteht im GmbH-Recht auch kein so weit reichendes Bedürfnis wie im Aktienrecht nach derartigen gesetzlichen Regelungen; denn die Gesellschafter haben es in der Hand, durch Vinkulierungsbestimmungen (dazu oben Rz. 4.64 ff.) sicherzustellen, dass sie frühzeitig über Beteiligungsveränderungen informiert werden. IV.

Faktischer Konzern

Der faktische Konzern wird vom Gesetz negativ definiert: er wird von § 311 8.128 Abs. 1 AktG (ebenso wie in der Abschnittsüberschrift) durch das Fehlen eines Beherrschungsvertrages charakterisiert. Er erklärt sich damit in erster Linie in Abgrenzung vom bereits vorgestellten Vertragskonzern, mag er auch in der (heutigen) Rechtswirklichkeit als gleichberechtigte Form der Unternehmensverbindung danebenstehen. Da der Schutz der außenstehenden Aktionäre wie der Gläubiger beim faktischen Konzern (unstreitig) schwächer ausgestaltet ist, wurden ein „Verbot“ des faktischen Konzerns bzw. – spiegelbildlich – ein Zwang zum Abschluss eines Beherrschungsvertrags erwogen (dazu oben Rz. 8.67). Diese Überlegungen waren zumindest insoweit erfolgreich, als im Falle „qualifiziert“ faktischer Konzernverbindungen zumindest die Gläubigerschutzbestimmungen des Vertragskonzernrechts (§§ 302, 303 AktG) analog angewandt wurden (dazu oben Rz. 8.76, unten Rz. 8.152 ff.). Positiv ist der faktische Konzern dadurch charakterisiert, dass ein herrschendes 8.129 Unternehmen seinen Einfluss auf eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien nutzt (siehe § 311 Abs. 1 AktG). Die deutlich schwächeren Regelungen zum Schutz von Gläubigern und außenstehenden Aktionären in den §§ 311 ff. AktG setzen daher Abhängigkeit (dazu oben Rz. 8.30 ff.) von einem 585

§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

Unternehmen (dazu oben Rz. 8.39 ff.) voraus; bei Abhängigkeit von einem Nicht-Unternehmen greift nur der deutlich schwächere (und ältere) § 117 AktG (zu diesem oben Rz. 3.219). 1. Nachteilsausgleich (§ 311 Abs. 1 AktG a. E.) 8.130 Zentrales Schutzinstrumentarium im bloß faktischen Konzern ist die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zum Nachteilsausgleich nach § 311 Abs. 1 AktG a. E. Er ist der abhängigen Gesellschaft zur Verfügung zu stellen (arg. § 311 Abs. 2 Satz 2 AktG); als Reflex bewirkt er daher einen Schutz von deren Gläubigern und (außenstehenden) Gesellschaftern. Wie diese Vorschrift zu verstehen ist, ist Gegenstand eines intensiven dogmatischen Streits: Zum Teil wird aus ihr abgeleitet, der (einfache) faktische Konzern sei „eigentlich verboten“ und der Anspruch auf Nachteilsausgleich regele die Folgen eines Verstoßes gegen das Verbot.193) Von anderer Seite wurde die Norm eher als Billigung einer Konzerneinbindung von Aktiengesellschaften angesehen, freilich um den „Preis“, negative Einflussnahmen ausgleichen zu müssen.194) Diese Sicht dürfte heute vorherrschen; doch wirkt sich der seinerzeitige Streit immer noch dann aus, wenn eine (Aktien-)Gesellschaft nicht nur in einen „gewöhnlichen“, sondern in einen besonders intensiv geführten („qualifizierten“) Konzern eingebunden werden soll (dazu unten Rz. 8.152 ff.). 8.131 Jedenfalls folgt nämlich aus § 311 Abs. 1 AktG a. E., dass nachteilige Weisungen überhaupt nur zulässig sind, wenn sie ausgeglichen werden sollen und können; das heißt zum einen, dass eine breitflächige und intensive Einflussnahme nicht zulässig ist, bei der nicht mehr die einzelne Nachteilszufügung zum Zwecke der Ermittlung eines Ausgleichs herausgerechnet werden kann, und zum anderen, dass solche Nachteilszufügungen schlechterdings unzulässig sind, die nicht für Zwecke der Berechnung des Nachteilsausgleichs quantifiziert werden können.195) 8.132 Ob ein Nachteil der abhängigen Gesellschaft vorliegt, bestimmt sich durch einen „Drittvergleich“ (Stand-alone-Prinzip). Es ist also zu fragen, ob die Gesellschaft – wäre sie unabhängig – dasselbe Geschäft zu denselben Bedingungen abgeschlossen hätte. Beispiele: Einer Organgesellschaft war vom Organträger als herrschendem Unternehmen im Rahmen der gewerbesteuerlichen Organschaft eine Konzernumlage auf-

8.133

___________ 193) Geßler, in: Festschrift für H. Westermann (1974), S. 145, 150 ff.; Koppensteiner, KK, vor § 311 AktG Rz. 2, 9 ff. 194) OLG Hamm NJW 1987, 1030 (Banning) (für den „einfachen“ faktischen Konzern); Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern (1990), S. 106 ff., 117 f.; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 AktG Rz. 8; Hüffer/Koch, § 311 AktG Rz. 7; Karsten Schmidt, GesR, § 31 IV 2 b, S. 959 ff.; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 60 f. 195) Zur Vereinbarkeit der gesetzlichen Ausgleichsregelung mit Art. 14 Abs. 1 GG, solange diese Grenze nicht überschritten ist, BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), ZIP 2011, 2094, 2095 Tz. 19 (STRABAG).

586

IV. Faktischer Konzern erlegt worden, die sich bezüglich ihrer Höhe nach dem Stand-alone-Prinzip nach der von ihr als nicht abhängiger Gesellschaft hypothetisch zu entrichtenden Gewerbesteuerschuld richtete. Allerdings: auf die tatsächliche Gewerbesteuerbelastung des Organträgers sollte es nicht ankommen. Der BGH sah darin die Zufügung eines Nachteils i. S. d. §§ 311 ff. AktG (wird der Ausgleich nicht fristgerecht geleistet, entsteht ein Schadenersatzanspruch nach § 317 AktG; dazu unten Rz. 8.145).196) Weitere Beispiele bilden der Abschluss von „Beraterverträgen“ mit der Muttergesellschaft zu unangemessenen Bedingungen,197) die Gewährung von Krediten an die Mutter (dazu sogleich Rz. 8.134a) oder die Aufnahme bei ihr zu nicht marktmäßigen Bedingungen und die unentgeltliche oder ungesicherte Übernahme einer Mithaftung für Verbindlichkeiten der Muttergesellschaft (die allerdings im Grundsatz aus der Sicht von deren Gläubigern durchaus erforderlich ist; dazu oben Rz. 8.49).198) Auch die Ausgliederung eines ganzen Geschäftsbereichs auf ein allein vom Mehrheitsgesellschafter beherrschtes anderes Unternehmen kann einen Nachteil in diesem Sinne darstellen.199) Streitig, aber zu bejahen ist ein Nachteil auch bei einer Orientierung der Vergütung des Vorstands einer abhängigen Gesellschaft an der Ertragslage der herrschenden Gesellschaft.200) Zu nennen ist schließlich – was durch Wettbewerbsverbote (dazu oben Rz. 4.42) nur zum Teil verhindert wird – die Ausnutzung von der Tochtergesellschaft zustehenden Geschäftschancen (corporate opportunities) durch das herrschende Unternehmen (zu Geschäftschancen im Übrigen oben Rz. 3.38 und Rz. 5.83).201) Auch außerordentlich hohe Investitionen (hier: Milliarden-Beträge für den Erwerb von UMTS-Lizenzen), die von einem bloß faktisch herrschenden Unternehmen veranlasst wurden, sollen aber nach Ansicht des BGH keinen ausgleichspflichtigen Nachteil i. S. v. § 311 AktG darstellen, wenn sie durch aus Ex-ante-Sicht gleichwertige Vorteile (Erhalt von Marktanteilen) kompensiert werden.202) Im Übrigen stellte das Gericht klar, dass bei einer Gebietskörperschaft als herrschendem Unternehmen deren hoheitliche Tätigkeit keine „Veranlassung“ i. S. v. § 311 AktG darstellt, wohl aber solche Einwirkungen, die das beherrschte Unternehmen von der Einlegung von Rechtsmitteln abhalten sollen.

8.134

8.134a

___________ 196) BGHZ 141, 79 (Buderus) = NJW 1999, 1706 = ZIP 1999, 708 = DStR 1999, 724 = LM H. 8/1999 § 311 AktG Nr. 1 (Günter H. Roth); dazu Feddersen, ZGR 2000, 523; Kleindiek, DStR 2000, 559; Röhricht, in: VGR, Bd. 2 (2000), S. 3, 8 ff.; allgemein auch MünchHdb GmbHDecher/Kiefner, § 68 Rz. 23. 197) LG Potsdam ZIP 1994, 460. 198) Freitag, Konzern 2011, 330; Kiefner/Theusinger, NZG 2008, 801; MünchHdb GmbH-Decher/ Kiefner, § 68 Rz. 24. 199) BGH ZIP 2012, 1753 (HVB/Unicredit) = NZG 2012, 1030 = EWiR § 311 AktG 1/12, 683 (Seulen). 200) So OLG München ZIP 2008, 1237, 1239 f. (RWE Energie AG) = NZG 2008, 631 (dazu Tröger, ZGR 2009, 447); ebenso u. a. Hirte, Ausgewählte Fragen zu Stock-option-Plänen und zum Erwerb eigener Aktien, in: Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999 – RWS-Forum 15, 2000, S. 211, 215 (mit Bagatellausnahme); offenlassend demgegenüber BGH ZIP 2009, 2436, 2437 m. krit. Anm. Wackerbarth = DStR 2009, 2692. 201) MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 68 Rz. 25; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 47; Wiedemann/Hirte, ZGR 1986, 163, 170 ff. 202) BGHZ 175, 365 (Telekom) = ZIP 2008, 785, 786 f. = NZG 2008, 389 (ebenso als Vorinstanz OLG Köln NZG 2006, 547 = ZIP 2006, 997, 998 ff.); dazu Fleischer, NZG 2008, 371; Habersack, ZIP 2006, 1327.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht) In seiner MPS-Entscheidung (dazu im Übrigen oben Rz. 5.76a) wies der BGH demgegenüber darauf hin, dass die Anweisung zur Unterlassung der kontinuierlichen Überprüfung von einer Muttergesellschaft gewährten Krediten (mit der Folge einer möglichen Kreditkündigung oder Anforderung weiterer Sicherheiten) unter § 311 AktG fallen und Schadenersatzansprüche nach §§ 317, 318 AktG (neben solchen aus § 93 Abs. 2, § 116 AktG) auslösen kann.203)

8.135 Wie und wann der Nachteil ausgeglichen wird, regelt das Gesetz nur unvollständig. Angeordnet wird lediglich, dass hinsichtlich eines Nachteils, der nicht im laufenden Geschäftsjahr ausgeglichen wird, spätestens am Ende des Geschäftsjahrs zu bestimmen ist, wann und wie der Nachteil ausgeglichen werden soll (§ 311 Abs. 2 Satz 1 AktG). Beruht der Nachteil dagegen unmittelbar auf einem Hauptversammlungsbeschluss, muss bereits der Hauptversammlungsbeschluss einen Nachteilsausgleich vorsehen; die Festlegung eines Ausgleichs erst zum Ende des Geschäftsjahres (oder eine Delegation der Festlegung an das Gericht) reicht insoweit nicht, schon weil der Beschluss sonst nach § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG angefochten werden könnte.204) Zudem ist der abhängigen Gesellschaft ein Rechtsanspruch auf die den Nachteil kompensierenden Vorteile einzuräumen (§ 311 Abs. 2 Satz 2 AktG). Entsprechend ist der Ausgleichsanspruch in den Jahresabschluss der abhängigen Gesellschaft einzustellen; wird dies unterlassen, führt das zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses nach § 256 Abs. 1 AktG.205) Gegenüber den sich möglicherweise aus allgemeinem Gesellschaftsrecht ergebenden Sanktionen – etwa wegen Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Wettbewerbsverbot – dürften die §§ 311, 317 AktG leges speciales sein.206) 2.

Abhängigkeitsbericht (§ 312 AktG)

8.136 Bei Abhängigkeit von einem Unternehmen ist sodann die Verpflichtung zur Erstellung eines Abhängigkeitsberichts zu nennen (§ 312 AktG); der Streit um die Frage, ob ein Gesellschafter Unternehmensqualität hat (oben Rz. 8.39 ff.), wirkt sich daher häufig hier aus. Die VW AG wurde danach zur Aufstellung eines Abhängigkeitsberichts im Verhältnis zum Land Niedersachsen nach § 312 AktG verpflichtet (dazu bereits oben Rz. 8.41).207) Eine Enkel-AG muss andererseits keinen ___________ 203) BGHZ 179, 71 Tz. 10 ff. (MPS) = ZIP 2009, 70, 71 f. = NJW 2009, 850 = NZG 2009, 107 = ZInsO 2009, 40 = DStR 2009, 234 = EWiR § 311 AktG 2/09, 129 (Blasche). 204) BGH ZIP 2012, 1753 (HVB/Unicredit) = NZG 2012, 1030 = EWiR § 311 AktG 1/12, 683 (Seulen); hinsichtlich der nicht erst durch das Gericht festlegbaren Ausgleichshöhe im Anschluss an Heidel, in: Festschrift für Wienand Meilicke (2010), S. 125, 131 ff.; dazu im Übrigen A. Wilhelm, NZG 2012, 1287. 205) BGHZ 124, 111, 119 (Vereinigte Krankenversicherung) = ZIP 1993, 1862 = NJW 1994, 520 = EWIR § 256 AktG 1/94, 9 (Crezelius). 206) BGH ZIP 2008, 1872, 1874 (Züblin) = NZG 2008, 831. 207) BGHZ 135, 107 = NJW 1997, 1855 = ZIP 1997, 887 = WuB II A. § 312 AktG 1.97 (Hirte) = LM H. 10/1997 § 17 AktG 1965 Nr. 12 (Heidenhain) = EWiR § 312 AktG 1/97, 681 (Westermann); Vorinstanz OLG Braunschweig NJW 1996, 2888 = ZIP 1996, 875 = EWiR § 312 AktG 1/96, 583 (Hirte); dazu Mertens, AG 1996, 241.

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IV. Faktischer Konzern

Abhängigkeitsbericht erstellen, wenn in einer mehrstufigen Unternehmensverbindung eine ununterbrochene Kette von Beherrschungsverträgen bis hinunter zur Enkel-AG besteht.208) Große Unsicherheit besteht allerdings hinsichtlich der Frage, ob und zu wem ein Ab- 8.137 hängigkeitsverhältnis besteht (und damit ein Abhängigkeitsbericht nach § 312 AktG zu erstellen ist), wenn eine Aktiengesellschaft von einem Stimmrechtskonsortium beherrscht wird. Das OLG Hamm und das OLG Köln verneinten hier die Eigenschaft eines Konsortiums als herrschendes Unternehmen, wenn dieses selbst sich nicht noch anderweitig unternehmerisch betätigt.209) Möglich sei allerdings, einzelne Konsorten als herrschende Unternehmen zu qualifizieren.

Schließen zwei Unternehmen einen Vertrag, in dem sich das eine zur Übertragung 8.138 einer Mehrheitsbeteiligung an einem dritten Unternehmen verpflichtet, so liegt darin andererseits so lange keine die Erstellung eines Abhängigkeitsberichtes nach § 312 AktG erfordernde Abhängigkeit, bis der Eigentumsübergang tatsächlich erfolgt ist.210) Der Abhängigkeitsbericht ist vom Vorstand der abhängigen Gesellschaft in den 8.139 ersten drei Monaten des Geschäftsjahrs über das abgelaufene Jahr zu erstellen (§ 312 Abs. 1 Satz 1 AktG). Inhaltlich hat er Stellung zu nehmen zu den Beziehungen der Gesellschaft zu ihr verbundenen Unternehmen (§ 15 AktG). Dazu sind alle Rechtsgeschäfte anzugeben, die die Gesellschaft im abgelaufenen Geschäftsjahr mit dem herrschenden oder einem ihm verbundenen Unternehmen oder auf Veranlassung oder im Interesse dieser Unternehmen vorgenommen hat; auch sind die Maßnahmen aufzuführen, die das abhängige Unternehmen auf Veranlassung oder im Interesse dieser Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr getroffen oder unterlassen hat (§ 312 Abs. 1 Satz 1 AktG). Bei Rechtsgeschäften sind zudem die Leistung und die Gegenleistung, bei den Maßnahmen die Vorteile und die Nachteile für die Gesellschaft anzugeben (§ 312 Abs. 1 Satz 2 AktG). Schließlich ist bei einem etwa schon erfolgten Ausgleich von Maßnahmen im Einzelnen anzugeben, wie der Ausgleich während des Geschäftsjahrs tatsächlich erfolgt ist, oder auf welche Vorteile der Gesellschaft ein Rechtsanspruch eingeräumt worden ist (§ 312 Abs. 1 Satz 3 AktG). Am Schluss des Berichts hat der Vorstand zu erklären, ob die Gesellschaft bei den einzelnen Geschäften eine angemessene Gegenleistung erhalten hat oder bei den getroffenen oder unterlassenen Maßnahmen nicht benachteiligt wurde (§ 312 Abs. 3 Satz 1 AktG); diese Schlusserklärung ist zudem in den Lagebericht aufzunehmen (§ 312 Abs. 3 Satz 2 ___________ 208) OLG Frankfurt/M. ZIP 2000, 926 = NZG 2000, 838 (inzwischen rkr.); dazu Cahn, BB 2000, 1477. 209) OLG Hamm ZIP 2000, 2302, 2305 (Bowa)= NZG 2001, 563 = EWiR § 312 AktG 1/01, 979 (Priester) (inzwischen rkr.); insoweit ebenso OLG Köln ZIP 2001, 2089, 2090 (Deutsche Steinzeug Cremer & Breuer AG); zur Abhängigkeit von mehreren Gesellschaftern auch (im Zusammenhang mit der Eingliederung) LG Mosbach NZG 2001, 763 (Weinig) = EWiR § 320 AktG 1/01, 207 (Rottnauer). 210) OLG Düsseldorf ZIP 1993, 1791 (Feldmühle Nobel/Stora) (zum Verfahrensfortgang ZIP 1994, 1026).

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

AktG). Eine Veröffentlichung des (gesamten) Berichts ist allerdings nicht vorgesehen. Das hat Vor- und Nachteile: denn einerseits erlaubt dies dem Vorstand, den Bericht ohne Sorge vor unerwünschter Öffentlichkeit vollständig zu erstellen, und damit auch sein eigenes, sonst bestehendes Haftungsrisiko (dazu näher unten Rz. 8.145) zu reduzieren („Vorfeldwirkung“). Andererseits erlangen Gläubiger und außenstehende Gesellschafter nur ganz ausnahmsweise Kenntnis von dem Bericht, nämlich typischerweise nur dann, wenn er im Rahmen einer Sonderprüfung (indirekt) öffentlich wird (§ 145 Abs. 4 Satz 2 AktG). Vor diesem Hintergrund hat das Bilanzrechtsreformgesetz die sogleich anzusprechende Einsichtnahmemöglichkeit in die auf den Abhängigkeitsbericht bezogenen Prüfungsberichte des Abschlussprüfers im Falle der Insolvenz der Gesellschaft eingeführt. 8.140 Der Abhängigkeitsbericht unterliegt zunächst der Prüfung durch den Abschlussprüfer, wenn auch der Jahresabschluss der Gesellschaft durch einen Abschlussprüfer zu prüfen ist (§ 313 Abs. 1 AktG); er hat mit einem Bestätigungsvermerk zu schließen (§ 313 Abs. 3 AktG). Wird die Gesellschaft insolvent oder wird der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen, können Gläubiger oder Gesellschafter in dem in § 321a HGB beschriebenen Verfahren Einsicht in die Prüfungsberichte nehmen, soweit sie sich auf die letzten drei Geschäftsjahre beziehen (dazu auch oben Rz. 4.10). In jedem Fall hat der Aufsichtsrat den Bericht zu prüfen, gegebenenfalls auf der Grundlage des Berichts des Abschlussprüfers (§ 314 Abs. 2 AktG). Auch sein gegenüber der Hauptversammlung zu erstattender Bericht ist mit einer Schlusserklärung zu versehen (§ 314 Abs. 3 AktG). Die Abgabe der Erklärung nach § 314 AktG wird indirekt dadurch eingefordert, dass ein Beschluss der Hauptversammlung zur Entlastung des Aufsichtsrats rechtswidrig ist, wenn der Aufsichtsrat entgegen § 314 Abs. 2 und 3 AktG nicht ausdrücklich über das Ergebnis der Prüfung des Abhängigkeitsberichts berichtet und nicht erklärt, dass gegen den Schlussvermerk des Vorstands unter dem Abhängigkeitsbericht keine Einwendungen zu erheben sind.211) 8.141 Die Verpflichtung zur Aufstellung eines Abhängigkeitsberichts kann dabei von jedem Aktionär mit Hilfe des Registergerichts durchgesetzt werden, und zwar auch dann noch, wenn der Jahresabschluss für das betreffende Jahr bereits festgestellt ist.212) 8.142 Werden im Abhängigkeitsbericht des Vorstands selbst, im Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers oder in der Erklärung des Aufsichtsrats zum Abhängigkeitsbericht Bedenken gegen die korrekte Abwicklung der Beziehungen zu verbundenen Unternehmen – insbesondere bezüglich des Nachteilsausgleichs – er___________ 211) LG München I ZIP 2001, 1415, 1417 (Macrotron II); inzwischen ebenso BGHZ 153, 47 (Macrotron) = ZIP 2003, 387 (Streit) = DB 2003, 544, 545 (Heidel) (in einem Parallelverfahren). 212) BGHZ 135, 107 = NJW 1997, 1855 = ZIP 1997, 887 = WuB II A. § 312 AktG 1.97 (Hirte) = LM H. 10/1997 § 17 AktG 1965 Nr. 12 (Heidenhain) = EWiR § 312 AktG 1/97, 681 (Westermann).

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IV. Faktischer Konzern

hoben,213) hat das Gericht auf Antrag (nur) eines Aktionärs eine Sonderprüfung zur Prüfung der geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zum herrschenden Unternehmen und sonstigen verbundenen Unternehmen anzuordnen (§ 315 Satz 1 AktG). Im Übrigen – also wenn sich aus den genannten Erklärungen keine Anhaltspunkte 8.143 für eine fehlerhafte Abwicklung der Geschäftsbeziehungen zu verbundenen Unternehmen ergeben – kann ein Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung nur von einer einprozentigen Kapitalminderheit oder von Aktionären gestellt werden, deren Anteile den anteiligen Betrag von 100.000 Euro erreichen (§ 315 Satz 2 AktG in der Neufassung durch das UMAG). Wegen des Verfahrens verweist das Gesetz im Übrigen weitgehend auf das Recht der allgemeinen Sonderprüfung (dazu oben Rz. 4.20). Ein Sonderprüfungsantrag nach § 315 Satz 2 AktG soll daher auch wie der Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers nach § 142 Abs. 2 AktG ein Behalten der Aktien bis zur Entscheidung über den Antrag erfordern;214) ob daran für das neue Recht angesichts eines insoweit fehlenden Verweises festzuhalten ist, ist freilich zweifelhaft. Ein Auskunftsrecht des außenstehenden Aktionärs einer abhängigen Gesellschaft 8.144 über den Inhalt des Abhängigkeitsberichts einschließlich der Höhe von Konzernumlagen besteht andererseits nicht, weil der Abhängigkeitsbericht nicht gegenüber den Aktionären offenlegungspflichtig ist.215) 3.

Haftung des herrschenden Unternehmens und der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft (§§ 317, 318 AktG)

Werden die Grenzen zulässiger Einflussnahme seitens des herrschenden Unter- 8.145 nehmens überschritten, insbesondere weil bei nachteiliger Einflussnahme kein Ausgleich gewährt oder innerhalb der vorgeschriebenen Zeit rechtsverbindlich versprochen wird, haften dafür neben dem herrschenden Unternehmen und den Mitgliedern des Vertretungsorgans des herrschenden Unternehmens (§ 317 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG)216) auch die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder des ab___________ 213) Zu den erforderlichen „Bedenken“ als Voraussetzung einer Sonderprüfung LG Köln DB 1999, 685 (Webac Holding) = EWiR § 313 AktG 1/99, 337 (Luttermann); enger als Vorinstanz AG Köln DB 1999, 271 = EWiR § 315 AktG 1/99, 145 (Dreher/Schnorbus): erforderlich ist ausdrückliche Einschränkung oder Versagung des Bestätigungsvermerks zum Abhängigkeitsbericht durch den Abschlussprüfer. 214) So zum bisher geltenden Recht (seinerzeit sogar: Hinterlegungserfordernis) OLG Hamm ZIP 2000, 1299 = NZG 2000, 1235 = NJW-RR 2000, 1567 = EWiR § 315 AktG 1/2000, 801 (Fleischer). 215) OLG Frankfurt/M. ZIP 2003, 761, 763 (Rabobank Deutschland AG) = NJW-RR 2003, 473 = NZG 2003, 224. 216) Beispiel: BGHZ 190, 7 (Deutsche Telekom) = ZIP 2011, 1306 Tz. 15 ff. = NJW 2011, 2719 = NZG 2011, 829 = DStR 2011, 1530 = EWiR § 57 AktG 1/11, 517 (Hoffmann-Theinert/ Dembski) (Veranlassung eines herrschenden Unternehmens zur Platzierung der Altaktien einer Tochtergesellschaft ohne Nachteilsausgleich; dazu im Übrigen oben Rz. 5.76b).

591

§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

hängigen Unternehmens, die diese Einflussnahme nicht in der vorgeschriebenen Weise im Abhängigkeitsbericht aufgeführt oder angegeben haben (§ 318 AktG). § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG räumt dabei den Aktionären der abhängigen Gesellschaft zudem einen Direktanspruch gegen das herrschende Unternehmen und dessen gesetzliche Vertreter ein, soweit sie einen eigenen Schaden haben. 4. Verhältnis zu anderen aktienrechtlichen Regelungen 8.146 Anders als im Vertragskonzern (vgl. § 291 Abs. 3 AktG einerseits, § 292 Abs. 3 AktG andererseits) bleiben im faktischen Konzern die allgemeinen Kapitalerhaltungsregeln und Organpflichten bestehen. Das bedeutet im Einzelnen: Verdeckte Gewinnausschüttungen und Einlagenrückgewähr sind im faktischen Konzern verboten; allerdings darf die Rückerstattung verbotswidriger Rückzahlungen abweichend von § 62 AktG (der eine tatsächliche Rückgewähr empfangener Leistungen fordert; oben Rz. 5.87) nach § 311 AktG auch durch das Einräumen sonstiger Vorteile einschließlich des Versprechens von Vorteilen erfolgen, sofern der Nachteil dadurch zum Ende des Geschäftsjahrs neutralisiert wird.217) Die Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat bestimmen sich nach §§ 93, 116 AktG, die lediglich durch § 318 AktG ergänzt werden. Schließlich bleibt § 117 AktG neben §§ 311 ff. AktG anwendbar, und auch § 131 Abs. 4 AktG gilt uneingeschränkt mit der Folge, dass es keine Privilegierung des herrschenden Unternehmens bei der Erteilung von Auskünften gibt (zu mitbestimmungsrechtlichen Besonderheiten noch unten Rz. 8.170 ff.). 5.

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

8.147 Die §§ 311 ff. AktG gelten kraft Gesetzes nur für die Aktiengesellschaft. Ihre entsprechende Anwendung auf die GmbH ist einerseits nicht geboten, weil die (gesetzeskonforme) GmbH durch die Möglichkeit charakterisiert wird, dass die Gesellschafterversammlung jederzeit unmittelbaren Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen kann (vgl. § 37 Abs. 1 Alt. 2 GmbHG und oben Rz. 3.228); andererseits würde die durch die §§ 311 ff. AktG bewirkte Privilegierung nachteiliger Einflussnahmen um den Preis des Nachteilsausgleichs auch im Widerspruch zum stärker personalistischen Charakter der GmbH stehen.218) Schließlich ist der Gläubigerschutz in der GmbH von Gesetzes wegen deutlich schwächer ausgeprägt als in der Aktiengesellschaft (oben Rz. 5.77 ff.). Das erlaubt es, die GmbH relativ leicht in einen Konzern einzubeziehen, ohne dabei zugleich gegen Wertungen des Gesetzes zu verstoßen. 8.148 Aus den genannten Gründen wird im Falle der (einfachen) faktischen Konzernierung einer GmbH nicht auf die §§ 311 ff. AktG zurückgegriffen, zumal diese ___________ 217) Hüffer/Koch, § 311 AktG Rz. 39, 41; Koppensteiner, KK, § 311 AktG Rz. 108 ff. 218) Hommelhoff/Freytag, DStR 1996, 1409, 1414; Koppensteiner, KK, vor § 311 AktG Rz. 34; Zöllner/Beurskens, in: Baumbach/Hueck, Anh. KonzernR, Rz. 80.

592

IV. Faktischer Konzern

rechtspolitisch nicht unumstritten sind (oben Rz. 8.67). Stattdessen wird der Gläubiger- und Gesellschafterschutz vor bzw. bei Konzernierung durch Rückgriff auf die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundprinzipien verwirklicht. Danach ist wie folgt zu unterscheiden: a)

Gläubigerschutz

Einen besonderen Gläubigerschutz gibt es im faktischen Konzern nicht. Das wirkt 8.149 sich vor allen Dingen dann aus, wenn eine Gesellschaft keine Minderheitsgesellschafter hat, die unter Berufung auf die Treuepflicht negative Einflussnahmen verhindern können (dazu sogleich Rz. 8.150).219) Jedoch spielt die bereits vorgestellte Rechtsprechung zum Verbot existenzvernichtender Eingriffe besonders häufig in Konzernsituationen (oben Rz. 5.172 ff.) eine Rolle. b)

Minderheitenschutz

Demgegenüber wird für den Gesellschafter-, insbesondere den Minderheiten- 8.150 schutz auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als allgemeines Rechtsinstitut zurückgegriffen. Leitentscheidung ist insoweit die ITT-Entscheidung des BGH.220) Dort nahm der II. Zivilsenat eine Ausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens gegenüber der Minderheit wegen der der Gesellschaft zugefügten Nachteile an (hier: wegen Berechnung einer nicht ausgeglichenen „Konzernumlage“). Der Ausgleich vollzieht sich mithin im Verhältnis der Gesellschafter zueinander und nicht – wie bei §§ 311 ff. AktG – durch Leistung des herrschenden Unternehmens an die beherrschte Gesellschaft. Der Kompensationsmöglichkeit bei bereits zugefügten Benachteiligungen ent- 8.151 spricht ein präventives Zustimmungsrecht aller Gesellschafter – faktisch natürlich nur der Minderheitsgesellschafter – für den Fall, dass ein herrschendes Unternehmen die Gesellschaft im Konzerninteresse benachteiligen will. Wird diese Zustimmung nicht eingeholt, kann jeder (!) Gesellschafter – gegebenenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – nachteilige Maßnahmen zu Lasten seiner Gesellschaft verhindern.221)

___________ 219) Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, Anh. § 13 GmbHG Rz. 27 ff.; MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 68 Rz. 29; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 86. 220) BGHZ 65, 15, 20 f. (ITT) = NJW 1976, 291 = LM § 37 GmbHG Nr. 3 (Ls.); MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 68 Rz. 17; Wiedemann, JZ 1976, 392; Wiedemann/Hirte, ZGR 1986, 163, 168 ff. 221) Hommelhoff/Freytag, DStR 1996, 1409, 1414; Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, Anh. § 13 GmbHG Rz. 39 ff.; MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner, § 68 Rz. 18 f.; Zöllner/Beurskens, in: Baumbach/Hueck, Anh. KonzernR, Rz. 79.

593

§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

V.

Qualifizierter faktischer Konzern

8.152 Der Abschluss eines Unternehmensvertrages begründet vor allem zwei für das herrschende Unternehmen negative Folgen: zum einen hat das herrschende Unternehmen nach §§ 302, 303 AktG die beim abhängigen Unternehmen entstehenden Verluste auszugleichen; zum anderen ergibt sich für die Minderheitsgesellschafter einer abhängigen Aktiengesellschaft ein Anspruch auf eine Garantiedividende oder eine angemessene Abfindung (§§ 304, 305 AktG). Nachteilig wirkt sich schließlich aus, dass der Abschluss eines Unternehmensvertrages in das Handelsregister einzutragen ist (§ 294 AktG). Diese für das herrschende Unternehmen negativen Konsequenzen haben die Attraktivität des Vertragskonzerns deutlich beeinträchtigt. Die genannten Nachteile werden daher im Wesentlichen nur im Hinblick auf die damit verbundenen steuerrechtlichen Vorteile in Kauf genommen (dazu oben Rz. 8.18 sowie Rz. 8.24). 1.

Gläubigerschutz

8.153 Im Bereich des Gesellschaftsrechts hatte sich daher eine intensive Diskussion entwickelt, ob vor allem die Verlustübernahmepflicht der §§ 302, 303 AktG auch ohne Vorliegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages eingreifen könnte. Umstritten war zum Zweiten, ob die aktienrechtlichen Regelungen auch für die in der Praxis viel wichtigere GmbH gelten sollten. Die schon 1972 vorgelegten Vorschläge des Arbeitskreises GmbH-Reform sahen daher in ihrem Entwurf eines § 255a GmbHG vor, dass eine Verlustausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens auch dann – unabhängig vom Abschluss eines Unternehmensvertrages – eintreten sollte, wenn das herrschende Unternehmen die Eigeninteressen des abhängigen Unternehmens durch die Ausübung seines Einflusses „nachhaltig beeinträchtigt“.222) In einem solchen Fall liege nicht nur ein „faktischer Konzern“ nach dem Leitbild der §§ 311 ff. AktG, sondern ein „qualifizierter faktischer Konzern“ vor. Im Ergebnis wird damit eine Durchgriffshaftung gegen das herrschende Unternehmen ermöglicht, die im deutschen Recht – anders als in den meisten anderen westeuropäischen Rechten – nicht aus dem Deliktsrecht abgeleitet werden kann. Dem deutschen Deliktsrecht fehlt nämlich eine deliktische Generalklausel nach dem Vorbild von Artt. 1382, 1383 des französischen Code civil. Der Gesetzgeber hat indessen diesen für das GmbH-Recht gemachten Vorschlag nicht aufgegriffen. 8.154 Der Ansatz wurde aber, nachdem er über viele Jahre hinweg weiter unter Wissenschaftlern diskutiert worden war, vor einigen Jahren in mehreren Entscheidungen zunächst breitflächig von der Rechtsprechung übernommen, um dann später wieder deutlich zurückgenommen zu werden; das wurde ausführlich im Zusammenhang mit der Durchgriffshaftung vorgestellt (oben Rz. 5.163 ff.). Heute ___________ 222) Arbeitskreis GmbH-Reform. Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform, Bd. 2 (1972), S. 14 (abgedruckt in: RWS-Dok. 12/I Nr. 1.1.3).

594

V. Qualifizierter faktischer Konzern

ist er in der Sache durch die neuere Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff ersetzt worden (oben Rz. 5.172 ff.). 2.

Minderheitenschutz

Minderheitsgesellschafter können sich gegen eine (jedenfalls qualifiziert) fakti- 8.155 sche Konzernierung ihrer Gesellschaft in zweifacher Weise wehren: Ihnen steht zum einen ein Unterlassungs- bzw. Beseitigungsanspruch zu, wenn die Gesellschaft die (freilich im Einzelfall schwer zu bestimmende) Grenze zur qualifiziert faktischen Konzernierung überschreitet; denn bei korrektem Vorgehen hätte die Gesellschaft für einen derartigen Schritt eines Beherrschungsvertrages bedurft, der der Zustimmung aller (oder jedenfalls einer qualifizierten Mehrheit der) Gesellschafter bedurft hätte.223) Zum Zweiten können sie analog § 305 AktG einen Abfindungsanspruch geltend machen; das gilt sowohl in der GmbH224) wie in der Aktiengesellschaft225). Durch die Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff hat sich an diesem 8.156 Befund nichts geändert. Denn damit ist lediglich die Haftungsbegründung aus qualifiziert faktischem Konzern für den Schutz der Gesellschaftsgläubiger entbehrlich geworden. Das bedeutet nicht (und wurde vom BGH auch nie so gesagt), dass der Grundgedanke, auf welchem diese Haftung aufgebaut war, verfehlt ge___________ 223) Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 28 Rz. 5 ff. (AG), § 30 Rz. 18 (GmbH); Hommelhoff/Freytag, DStR 1996, 1409, 1415 f.; MünchHdb GmbH-Decher/Kiefner § 68 Rz. 12; Zöllner/Beurskens, in: Baumbach/Hueck, Anh. KonzernR, Rz. 85: abw. für die AG Koppensteiner, KK, Anh. § 318 Rz. 104 a. E., 105 ff. (nur Austrittsrecht, kein Unterlassungsoder auf Wiederherstellung des früheren Zustands gerichteter Schadenersatzanspruch). 224) Geuting, BB 1994, 365, 367 ff.; Hommelhoff/Freytag, DStR 1996, 1409, 1416; Lutter/ Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG (15. Aufl. 2000), Anh. § 13 GmbHG Rz. 38 (der Fragenkreis wird in der 16. Aufl nicht mehr dargestellt); MünchHdb GmbH-Decher/ Kiefner § 68 Rz. 11; Ulmer, in: GroßK-GmbHG, Anh. § 77 Rz. 169; Wiedemann, ZGR 1978, 477, 495 f.; ders., Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), S. 65 f.; Zöllner/Beurskens, in: Baumbach/Hueck, Anh. KonzernR, Rz. 89. 225) Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern (1990), S. 117 f.; ders., DB 1990, 2005, 2007; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, § 28 Rz. 25; Grunewald, in: Festschrift für Claussen (1997), S. 103, 106 ff., 109; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, Anh. § 317 AktG Rz. 29; Hasselbach/Hirte, in: GroßK, § 305 AktG Rz. 5 (erwägend); Hommelhoff/Freytag, DStR 1996, 1409, 1416; Koppensteiner, KK, Anh. § 318 Rz. 109 f. (allerdings nicht als Analogie zu § 305 AktG, sondern in Anwendung des allgemeinen Austrittsrechts aus wichtigem Grund; enger noch in der 2. Aufl, vor § 311 AktG Rz. 25); Lieb, in: Festschrift für Lutter (2000), S. 1151 ff.; Liebscher, Konzernbildungskontrolle (1995), S. 206 (dazu Hirte, ZHR 163 [1999], 126 ff.); Lutter, AG 1990, 179, 181; Milde, Der Gleichordnungskonzern im Gesellschaftsrecht (1996), S. 221 f.; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt (2. unv. Aufl. 1996), S. 494 (dazu Hirte, WM 1997, 1001 ff.); MünchHdb AG-Krieger, § 70 Rz. 151; Raiser/Veil, KapGesR, § 53 Rz. 62; Säcker, ZHR 151 (1987), 59, 64; Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten (1992), S. 95; Timm, NJW 1987, 977, 983 f.; Wiedemann, ZGR 1978, 477, 491 f.; ders., Die Unternehmens-gruppe im Privatrecht (1988), S. 69 f.; Zöllner, in: Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk (1997), S. 369, 379 ff.

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§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

wesen wäre. Dieser Grundgedanke lässt sich auf die griffige Formel bringen, dass nach Vertragskonzernrecht haften sollte, wer eine Gesellschaft in vergleichbarer Weise wie durch vertragliche Konzernierung beherrschte.226) Das Vorliegen einer solchen Situation rechtfertigt nach wie vor die Anwendung der §§ 304, 305 AktG zum Schutz der außenstehenden Gesellschafter, denen mit den Grundsätzen des existenzvernichtenden Eingriffs nicht zu helfen ist. Denn ihr Schutz setzt weit unter der Schwelle der Existenzvernichtung an: Während die Gläubiger (nur) einen Anspruch darauf haben, dass ihr Schuldner erhalten bleibt und nicht durch existenzvernichtende Eingriffe zerstört wird, so dass ihre Forderungen erfüllt werden können, haben die Gesellschafter einen letztlich aus dem Gesellschaftsvertrag/der Satzung resultierenden Anspruch darauf, dass das herrschende Unternehmen in die Integrität ihres Unternehmens nicht durch Weisungen oder vertragliche Weisungsmöglichkeiten dergestalt eingreift bzw. eingreifen kann, dass damit der Zweck eines auf gemeinschaftliche Gewinnerzielung gerichteten Unterfangens (arg. § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB) geändert wird. VI.

Eingliederung

8.157 Mit der Eingliederung wird die Integration zweier Unternehmen noch deutlich stärker intensiviert als mit dem bloßen Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages. Sie erlaubt die völlige wirtschaftliche Integration zweier Unternehmen, allerdings nach wie vor (und insoweit anders als bei der Verschmelzung) unter Beibehaltung ihrer rechtlichen Selbständigkeit; der Sache nach bildet sie damit eine „Fast-Fusion“. Möglich ist sie nur bei Beteiligung zweier Aktiengesellschaften (§ 319 Abs. 1 AktG). 8.158 Der Fortbestand der rechtlichen Selbständigkeit der eingegliederten Gesellschaft hat zunächst den Vorteil, dass die eingegliederte Gesellschaft mit ihrer Firma und damit ihrem good will weiter am Markt tätig sein kann. Zum Zweiten bleiben die Organe der eingegliederten Gesellschaft erhalten; das gilt freilich auch für einen etwa mitbestimmten Aufsichtsrat. Andererseits scheiden etwaige außenstehende Aktionäre aus der Gesellschaft aus. Schließlich kann eine Eingliederung deutlich leichter wieder rückgängig gemacht werden als eine Verschmelzung (bei der dies nur durch spiegelbildliche Spaltung geht). 1.

Verfahren

8.159 Was die Beschlussfassung über eine Eingliederung angeht, stellt das Gesetz zwei Wege zur Verfügung: zum einen die Eingliederung durch den Alleinaktionär (§ 319 AktG), zum anderen die Mehrheitseingliederung (§ 320 AktG).

___________ 226) Siehe noch Hüffer, Aktiengesetz (5. Aufl. 2002), § 302 AktG Rz. 6 ff.

596

VI. Eingliederung

a)

Eingliederung durch Alleinaktionär

Befinden sich alle Aktien in der Hand eines Aktionärs (der künftigen „Haupt- 8.160 gesellschaft“), kann die Tochtergesellschaft die Eingliederung in die Mutter- (und spätere Haupt-)Gesellschaft beschließen (§ 319 Abs. 1 AktG). Dass der Beschluss hier erst recht nur eine Formalie darstellt (dazu bereits oben Rz. 8.67), ist offensichtlich.227) Im Hinblick auf die aus der Eingliederung folgende Haftung (dazu unten Rz. 8.165) muss aber auch die Hauptversammlung der späteren Hauptgesellschaft der Eingliederung mit qualifizierter Mehrheit zustimmen (§ 319 Abs. 2 AktG). Für die Wirksamkeit dieses Beschlusses kommt es aber weder auf eine vorgängige Beschlussfassung des einzugliedernden Unternehmens noch darauf an, dass die gesetzlichen und satzungsmäßigen Voraussetzungen des Eingliederungsbeschlusses vorliegen.228) Im Übrigen ist das Verfahren demjenigen bei Umwandlungsmaßnahmen oder 8.161 dem Abschluss von Unternehmensverträgen nachgebildet (§ 319 Abs. 3 bis 6 AktG). Mit der Eintragung der Eingliederung im Handelsregister der einzugliedernden Gesellschaft wird die Eingliederung wirksam (§ 319 Abs. 7 AktG). b)

Mehrheitseingliederung

Eine Eingliederung ist aber auch dann zulässig, wenn sich nur 95 % aller Aktien 8.162 in der Hand eines Aktionärs (der künftigen „Hauptgesellschaft“) befinden (§ 320 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Zulässigkeit dieser sog. Mehrheitseingliederung war verfassungsrechtlich außerordentlich umstritten, führt sie doch (näher unten Rz. 8.166) zum zwangsweisen Ausscheiden der außenstehenden Aktionäre aus der auszugliedernden Gesellschaft. Gleichwohl hat das BVerfG die gesetzliche Möglichkeit, vor allem mit Blick auf die hohen Mehrheitsanforderungen, für mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar gehalten.229) Verfahrensmäßig kommt zwecks korrekter Ermittlung der Abfindung ausschei- 8.163 dender Aktionäre eine Eingliederungsprüfung hinzu (§ 320 Abs. 3 AktG). Wie schon beim Zustimmungsbeschluss zu einem Unternehmensvertrag und zu Umwandlungsbeschlüssen (oben Rz. 8.80 und Rz. 6.143) schließt § 320b Abs. 2 Satz 1 AktG die Anfechtung des Eingliederungsbeschlusses aus, wenn sie damit begrün___________ 227) Der Gesetzgeber hat den Beschluss wohl in erster Linie aus systematischen Gründen vorgesehen und deshalb auch auf besondere Mehrheitsanfoderungen verzichtet: Begr RegE zu § 319 AktG bei Kropff, Aktiengesetz (1965), S. 422. 228) OLG München, ZIP 1993, 1001 (Siemens AG/SNI AG) (zum Verfahrensfortgang ZIP 1995, 32). 229) In BVerfGE 14, 263 (Feldmühle) bejahte das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 15 UmwG a. F., nach der eine Mehrheit von drei Vierteln des Grundkapitals einer AG deren „übertragende Umwandlung“ auf eine andere AG unter Hinausdrängung der Minderheit beschließen konnte. Dieser blieb nur ein – seinerzeit freilich nicht besonders großzügig bemessener – Wertersatzanspruch (zur deutlich stärkeren verfassungsrechtlichen Verankerung der Wertgarantie im heutigen Recht im Übrigen oben Rz. 8.87 ff.).

597

§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

det wird, dass die von der Hauptgesellschaft angebotene Abfindung unangemessen sei oder sie nicht oder nicht korrekt angeboten wurde (§ 320b Abs. 2 Satz 3 AktG); die Angemessenheit der Abfindung wird vielmehr in einem selbständigen „Spruchverfahren“ überprüft (§ 320b Abs. 2 Satz 2 AktG; dazu oben Rz. 6.150 ff.). 2.

Wirkungen

8.164 Mit Wirksamwerden der Eingliederung erlangt die Hauptgesellschaft zunächst Leitungsmacht über die eingegliederte Gesellschaft (§ 323 Abs. 1 AktG); diese reicht – wie sich aus dem eingeschränkten Verweis auf § 308 AktG ergibt – deutlich weiter als im Falle eines Beherrschungsvertrages. Zum Zweiten werden auch hier die Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 57, 58, 60 AktG außer Kraft gesetzt (§ 323 Abs. 2 AktG). 8.165 Vor allem aber haftet die Hauptgesellschaft vom Zeitpunkt der Eingliederung an für die vor diesem Zeitpunkt begründeten Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft wie für die während der Eingliederung von dieser eingegangenen Verbindlichkeiten den Gläubigern dieser Gesellschaft gegenüber als Gesamtschuldner (§ 322 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AktG). Altgläubiger der einzugliedernden Gesellschaft haben zudem einen Anspruch auf Sicherheitsleistung (§ 321 Abs. 1 AktG). 8.166 Im Falle der Mehrheitseingliederung gehen die Aktien der außenstehenden Aktionäre mit der Eintragung der Eingliederung in das Handelsregister auf die (dann) Hauptgesellschaft über (§ 320a AktG). Die ausscheidenden Aktionäre erhalten stattdessen einen Abfindungsanspruch in Form eigener Aktien der Hauptgesellschaft (§ 320b Abs. 1 Sätze 2 und 3 AktG). Das beschränkt die „Attraktivität“ dieses Rechtsinstituts – die Aktionäre bleiben „im Konzern“ – und war einer der zentralen Gründe für die Einführung der §§ 327a ff. AktG, im Rahmen derer Aktionäre gegen Barabfindung ausgeschlossen werden können (dazu sogleich Rz. 8.169 und oben Rz. 4.93). 8.167 Wird eine Enkel-Gesellschaft in eine bereits innerhalb eines mehrstufigen Konzerns

eingegliederte Hauptgesellschaft eingegliedert, so sind den ausgeschiedenen Aktionären neben einer angemessenen Barabfindung nicht eigene Aktien der Hauptgesellschaft, sondern entsprechend § 320b Abs. 1 Satz 3 AktG solche der Konzernspitzengesellschaft zu gewähren.230)

___________ 230) BGHZ 138, 224 (Veba/Stinnes/Rhenus/Bayerischer Lloyd) = ZIP 1998, 1353 = NJW 1998, 3202 = NZG 1998, 728 = NZG 1999, 260 (Richter) = BB 1998, 1757 (Bihr) = DStR 1998, 1314 (Goette) = LM § 320b AktG Nr. 1 (Rehbinder); dazu Röhricht, in: VGR, Bd. 1 (1999), S. 1, 10 ff.

598

VIII. Mitbestimmung im Konzern

3.

Ende

Die Eingliederung kann – wie bereits erwähnt – relativ leicht wieder beendet 8.168 werden. Wichtigster Fall ist die Veräußerung von Aktien, die sich in Händen der Hauptgesellschaft befinden, an Dritte (§ 327 Abs. 1 Nr. 3 AktG). Daneben besteht die Möglichkeit, die Eingliederung durch Beschluss der Hauptversammlung der eingegliederten Gesellschaft zu beenden (§ 327 Abs. 1 Nr. 1 AktG: also faktisch durch Entscheidung der Hauptgesellschaft); sie endet zudem ex lege, wenn die Hauptgesellschaft keine Aktiengesellschaft mit Sitz im Inland mehr ist (§ 327 Abs. 1 Nr. 2 AktG). VII. Ausschluss von Minderheitsaktionären Der Ausschluss von Minderheitsaktionären ist zwar im Dritten Buch des Aktien- 8.169 gesetzes in den §§ 327a ff. AktG geregelt. Tatsächlich geht es hier jedoch nicht um einen dem Recht der verbundenen Unternehmen zuzurechnenden Fragenkreis, sondern um ein besonderes Verfahren des Ausschlusses von Aktionären; davon wurde schon an anderer Stelle gesprochen (oben Rz. 4.93). Grund für die Regelung an dieser Stelle ist (wohl231)), dass mit dem Ausschluss von Minderheitsaktionären in gewisser Weise die konzernmäßige Integration noch eine Stufe weiter getrieben wird als mit der bloßen Eingliederung. VIII. Mitbestimmung im Konzern Die Mitwirkungsrechte des Aufsichtsrats laufen im Vertragskonzern aufgrund 8.170 des Weisungsrechts des herrschenden Unternehmens im Wesentlichen leer (dazu oben Rz. 8.110). Damit einher geht auch eine Verkürzung der Mitwirkungsrechte etwaiger Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Aber auch im faktischen Konzern muss der Aufsichtsrat einer abhängigen Gesellschaft mit Blick auf das Einflusspotential des herrschenden Unternehmens einen Machtverlust hinnehmen. § 5 Abs. 1 Satz 1 MitbestG reagiert auf diesen Einflussverlust dadurch, dass er 8.171 im Unterordnungskonzern i. S. v. § 18 Abs. 1 AktG (daher nicht im Gleichordnungskonzern) die Arbeitnehmer aller Konzernunternehmen als Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens betrachtet; sofern dieses Unternehmen mitbestimmungspflichtig ist, richten sich die Zusammensetzung und Größe dessen Aufsichtsrats daher nach der Zahl sämtlicher Arbeitnehmer im Konzern. § 5 Abs. 1 Satz 2 MitbestG erweitert dies auf den Fall, dass sich unter den abhängigen Gesellschaften Kapitalgesellschaften & Co. befinden, während § 5 Abs. 2 MitbestG die Zurechnung auf den spiegelbildlichen Fall erweitert, dass das herrschende Unternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft & Co. geführt wird. ___________ 231) Zu Zweifeln an der systematisch korrekten Platzierung der Normen Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 327a AktG Rz. 6; Hüffer/Koch, § 327a AktG Rz. 5.

599

§ 8 Recht der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht)

8.172 Der Ansatz des § 5 Abs. 1 MitbestG läuft leer, wenn die Konzernspitzengesellschaft, der die Arbeitnehmer des gesamten Konzerns zugerechnet werden sollen, ihrerseits nicht mitbestimmt ist. Das ist etwa möglich, wenn es sich um eine natürliche Person, eine öffentlich-rechtliche Körperschaft oder eine Gesellschaft mit Sitz im Ausland handelt. Für diesen Fall ordnet § 5 Abs. 3 MitbestG an, dass die Zurechnung zur höchsten mitbestimmten Teilkonzernspitze zu erfolgen hat. 8.173 Die Mitbestimmung auf der Ebene des herrschenden Unternehmens kann freilich zu einem „Kaskadeneffekt“ führen, wenn das abhängige Unternehmen seinerseits mitbestimmungspflichtig ist: Denn dann werden die im Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft zu treffenden Entscheidungen einerseits von den dort vertretenen Arbeitnehmervertretern beschlossen, andererseits aber auch von den Vertretern des herrschenden Unternehmens als den Anteilseignervertretern, die – und das ist entscheidend – bei diesem Akt ihrerseits der Mitbestimmung durch die Arbeitnehmervertreter im herrschenden Unternehmen unterliegen. Die darin liegende doppelte Mitbestimmung der abhängigen Gesellschaft lässt das Gesetz andererseits auch nicht – was sicher denkbar wäre – mit Blick auf die Mitbestimmung auf der höheren Ebene entfallen. Stattdessen legt es fest, dass bei Entscheidungen über die Bestellung und den Widerruf der Bestellung von Organmitgliedern in der abhängigen Gesellschaft sowie über verschiedene Umstrukturierungsmaßnahmen die Vertreter des herrschenden Unternehmens allein aufgrund einer Entscheidung der Anteilseignervertreter in seinem Aufsichtsrat zu handeln haben (§ 32 Abs. 1 Satz 2 MitbestG). Voraussetzung dafür ist freilich, was das Gesetz in § 32 Abs. 1 Satz 1 MitbestG anordnet, dass die entsprechende Maßnahme immer – also ungeachtet einer etwaigen Satzungs- oder Geschäftsordnungsregelung – in der Obergesellschaft in die Kompetenz des Aufsichtsrats fällt; denn sonst könnte sich das Vertretungsorgan der Obergesellschaft kraft eigener Entscheidung oder Rücksichtnahme auf den Aufsichtsrat gleichwohl an den Interessen der Arbeitnehmervertreter in seinem Aufsichtsrat ausrichten. Das alles gilt freilich nicht bei einer Beteiligung des herrschenden an dem abhängigen Unternehmen von unter einem Viertel (§ 32 Abs. 2 MitbestG); denn in einem solchen Fall wird mit einem ausreichenden unmittelbaren Anteilseignereinfluss von dritter Seite auf das abhängige Unternehmen gerechnet werden können.

600

§ 9 Typenvermischte Rechtsformen Literatur zur KGaA: Claussen, Perspektiven für die Kommanditgesellschaft auf Aktien, in: Festschrift für Heinsius, 1991, S. 61; Hommelhoff, Anlegerschutz in der GmbH & Co KGaA, in: Ulmer (Hrsg.), Die GmbH & Co KGaA nach dem Beschluss BGHZ 134, 392, 1998, S. 9; Priester, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien ohne natürlichen Komplementär, ZHR 160 (1996), 250. Literatur zur Kapitalgesellschaft & Co. KG: Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG im Gesellschafts- und Steuerrecht – Handbuch für Familienunternehmen, 10. Aufl. 2005; Karsten Schmidt, Die GmbH & Co. – eine Zwischenbilanz, GmbHR 1984, 272; Ulmer, Recht der GmbH und der GmbH & Co. nach 50 Jahren BGH-Rechtsprechung, in: Festschrift Bundesgerichtshof, Bd. II, 2000, S. 273.

Neben die bislang beschriebenen Rechtsformen treten weitere Rechtsformen, die 9.1 Elemente des Kapitalgesellschaftsrechts mit denen des Personengesellschaftsrechts verknüpfen (zur Typenvermischung bereits oben Rz. 1.16). Zu nennen ist hier zunächst die gesetzlich kodifizierte Kommanditgesellschaft auf Aktien und sodann die Typenvermischung durch Vertragsgestaltung in Form der „Kapitalgesellschaft & Co.“; bei Letzterer wird die Rolle des persönlich haftenden Gesellschafters einer Personengesellschaft, des Komplementärs, durch eine Kapitalgesellschaft eingenommen. Möglich ist dies nicht nur bei den klassischen Personengesellschaften (offene Handelsgesellschaft und – vor allem – Kommanditgesellschaft), sondern auch bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien. I.

Kommanditgesellschaft auf Aktien

1.

Begriff und Bedeutung

Das Wesen der Kommanditgesellschaft auf Aktien beschreibt das Gesetz in § 278 9.2 Abs. 1 AktG: Danach handelt es sich um eine Gesellschaft, bei der (mindestens) ein Gesellschafter (der „persönlich haftende Gesellschafter“) den Gläubigern der Gesellschaft unbeschränkt haftet, während die anderen (die „Kommanditaktionäre“) zwar am Kapital der Gesellschaft beteiligt sind, ohne aber den Gläubigern persönlich zu haften. Die Bedeutung der KGaA ist relativ gering. Lange Zeit gab es nur etwa 30 dieser 9.3 Gesellschaften in Deutschland (mit sinkender Tendenz); erst mit der Zulassung der GmbH als Komplementärin (unten Rz. 9.9) ist ihre Zahl auf über 250 gestiegen.1) Als ihr zentraler Vorteil wird angesehen, dass sie es erlaubt, den der Aktiengesellschaft vorbehaltenen Zugang zur Börse (dazu oben Rz. 1.89) mit der etwas größeren Gestaltungsfreiheit zu verbinden, die die teilweise Heranziehung ___________ 1)

Assmann/Sethe, in: GroßK, vor § 278 AktG Rz. 43; Kornblum, GmbHR 2009, 25, 31; Kübler/Assmann, GesR, § 17 I 2, S. 254 f.; Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 4; Karsten Schmidt, GesR, § 32 I 3, S. 973.

601

§ 9 Typenvermischte Rechtsformen

des Personengesellschaftsrechts mit sich bringt;2) sie erlaubt damit, dem sonst in großen Teilen zwingenden Charakter des Aktienrechts (dazu oben Rz. 2.48 f.) teilweise zu entfliehen. Mit der Zulassung von Kapitalgesellschaften als persönlich haftende Gesellschafter auch von Kommanditgesellschaften auf Aktien (dazu bereits oben Rz. 1.16) wird dieser Effekt noch verstärkt.3) 9.4 Aus der Tatsache, dass sich die Kommanditgesellschaft auf Aktien im Wesentlichen durch den „heterogenen“ Gesellschafterkreis von der gewöhnlichen Aktiengesellschaft unterscheidet, folgt, dass sich die Unterschiede zum allgemeinen Aktienrecht auf den Bereich der Organisationsverfassung beschränken; im Übrigen bleibt es bei den Regelungen des allgemeinen Aktienrechts (§ 278 Abs. 3 AktG). Im Einzelnen: 2.

Persönlich haftende(r) Gesellschafter

9.5 Charakteristikum der Kommanditgesellschaft auf Aktien ist das Vorhandensein eines persönlich haftenden Gesellschafters (§ 278 Abs. 1 AktG). 9.6 a) Er nimmt insoweit die zentrale Rolle in der KGaA ein, als er dem Vorstand der gewöhnlichen Aktiengesellschaft entspricht, freilich mit (noch) deutlich stärkerer Stellung. Nach § 278 Abs. 2 AktG richtet sich seine Rechtsstellung im Verhältnis zu Dritten, zur Gesamtheit der Kommanditaktionäre und untereinander nach dem Recht der Kommanditgesellschaft. Das bedeutet vor allem, dass hinsichtlich Geschäftsführung und Vertretung der KGaA die §§ 161 ff. HGB und damit – über § 161 Abs. 2 HGB – die §§ 125 ff. HGB gelten. Hinsichtlich der Eintragung der Vertretungsbefugnis ordnet § 282 AktG dies ausdrücklich an. Bezüglich des Verhältnisses zur Gesamtheit der Kommanditaktionäre folgt aus § 278 Abs. 2 AktG vor allem, dass diese – vorbehaltlich abweichender Satzungsgestaltung – ein Zustimmungsrecht hinsichtlich außergewöhnlicher Geschäftsführungsmaßnahmen i. S. v. § 164 Satz 1 HGB haben.4) Der Verweis hat aber auch zur Folge, dass an die Stelle der Satzungsstrenge des Aktienrechts (§ 23 Abs. 5 AktG) die weitgehendere Gestaltungsfreiheit des Personengesellschaftsrechts tritt.5) 9.7 Möglich ist es auch, dass eine KGaA mehrere persönlich haftende Gesellschafter hat. Für diesen Fall ordnet § 278 Abs. 2 HGB die Geltung des Kommanditgesellschaftsrechts für das Verhältnis unter ihnen an; über § 161 Abs. 2 HGB führt dies vor allem zur Anwendung der (satzungsdispositiven!) Regelungen über die Geschäftsführung in der offenen Handelsgesellschaft (§§ 114 ff. HGB). Im Falle der Einzelgeschäftsführung besteht also ein Widerspruchsrecht der anderen geschäftsführenden Gesellschafter (§ 115 Abs. 1 Halbs. 2 HGB); andererseits besteht die Möglichkeit, Gesamtgeschäftsführung vorzusehen (§ 115 Abs. 2 HGB). ___________ 2) 3) 4) 5)

602

Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 2. Karsten Schmidt, GesR, § 32 I 3, S. 973. Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 24. Karsten Schmidt, GesR, § 32 III 5, S. 976.

I. Kommanditgesellschaft auf Aktien

Anders als der Vorstand wird der persönlich haftende Gesellschafter allerdings 9.8 in der Satzung benannt (§ 281 Abs. 1 AktG); er wird also weder durch die Hauptversammlung gewählt noch durch den Aufsichtsrat bestellt. Der Eintritt eines neuen persönlich haftenden Gesellschafters ebenso wie der Austritt eines vorhandenen vollzieht sich dementsprechend im Wege der Satzungsänderung. Das garantiert ihm eine Dauerstellung in der Gesellschaft, wie sie insbesondere bei Familiengesellschaften als attraktiv angesehen wird. Entsprechend gibt es, selbst wenn Mitbestimmungsvorschriften eingreifen sollten (dazu unten Rz. 9.11 ff.), in der KGaA keinen Arbeitsdirektor (§ 33 Abs. 1 Satz 2 MitbestG). Diese starke Stellung des persönlich haftenden Gesellschafters kann noch weiter 9.9 ausgebaut werden, wenn eine juristische Person zum Komplementär bestellt wird. Diese Möglichkeit wurde durch den durch das HRefG neu eingefügten § 279 Abs. 2 AktG, der die Firmierung einer solchen Gesellschaft regelt, ausdrücklich gesetzlich anerkannt.6) Durch dieses Vorgehen ist ein Wechsel der Personen, die – als gesetzliche Vertreter der Komplementärin – indirekt die KGaA führen, sogar ohne Satzungsänderung möglich; das erlaubt es, etwa den Familieneinfluss einer Gründerfamilie quasi unbegrenzt sicherzustellen. Für die Binnenstruktur der Komplementär-Gesellschaft, typischerweise eine GmbH, gelten die Regeln dieser Gesellschaft; das gilt auch für die Frage, ob diese einen Aufsichtsrat zu bilden hat (dazu oben Rz. 3.154). Das kommt insbesondere in Betracht, wenn man in entsprechender Anwendung von § 4 oder § 5 MitbestG die Arbeitnehmer der KGaA der Komplementär-Gesellschaft zurechnet – oder zurechnen muss.7) b) Hinsichtlich einer ganzen Reihe weiterer Fragenkreis ordnet § 283 AktG 9.10 ausdrücklich die sinngemäße Geltung der Vorschriften über den Vorstand für den persönlich haftenden Gesellschafter an. Das gilt insbesondere bezüglich der Haftung (§ 93 AktG)8) und der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags (§ 92 AktG).9) Daher gilt nach § 283 Nr. 3 AktG der ansonsten für das Personengesellschaftsrecht bestimmende § 708 BGB (über §§ 161 Abs. 2, 105 Abs. 3 HGB) ___________ 6)

7) 8) 9)

Für deren Zulässigkeit zuvor BGHZ 134, 392 = NJW 1997, 1923 = ZIP 1997, 1027 = LM H. 8/1997 § 278 AktG 1965 Nr. 1 (G. H. Roth) = EWiR § 278 AktG 2/97, 1061 (Sethe) = DStR 1997, 1012 (Goette) = DZWiR 1998, 235 (Kallmeyer); dazu Hennerkes/Lorz, DB 1997, 1388; Ladwig/Motte, DStR 1997, 1539; zuvor befürwortend OLG Hamburg AG 1969, 259; Mertens, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz (1. Aufl. 1970 ff.), § 278 AktG Rz. 10; ders., in: Festschrift für Carl Hans Barz (1974), S. 253, 259; Priester, ZHR 160 (1996), 250 ff.; Sethe, Die personalistische Kapitalgesellschaft mit Börsenzugang (1996), S. 155 ff. (dazu Karsten Schmidt, ZHR 160 [1996], 298 f.); abl. OLG Karlsruhe ZIP 1996, 1787 f. = NJW-RR 1996, 1254 = EWiR § 278 AktG 1/97, 57 (Binz); LG Hamburg AG 1968, 193; differenzierend Hirte, in: Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht. 11. ZGR-Symposion „25 Jahre ZGR“, ZGR-Sonderheft 13 (1998), S. 61, 71 (weit. Nachw. in der 2. Aufl. dieses Werkes Rz. 20). Zu dieser Streitfrage ausführlich (grundsätzlich befürwortend) Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 35 m. w. N. OLG München NZG 2000, 741, 742 = AG 2000, 426; Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 29. Zur Überflüssigkeit dieses Verweises, wenn man – wie er – die Insolvenzantragspflicht mit dem Vorliegen von Fremdorganschaft erklärt, Poertzgen, ZInsO 2014, 165, 169 f.

603

§ 9 Typenvermischte Rechtsformen

nicht.10) § 284 AktG erlegt – ähnlich § 88 AktG für den Vorstand – dem persönlich haftenden Gesellschafter ein Wettbewerbsverbot auf. 3.

Aufsichtsrat

9.11 Aus dem Verweis des § 278 Abs. 3 AktG folgt auch, dass die KGaA einen Aufsichtsrat nach den allgemeinen Bestimmungen zu bilden hat; das gilt insbesondere auch bezüglich des Eingreifens des Mitbestimmungsrechts. Allerdings sind dessen Kompetenzen aufgrund der Besonderheiten der KGaA beschränkter: denn die Vorschriften über den Aufsichtsrat gelten nach § 278 Abs. 3 AktG nur sinngemäß und nur soweit sich „aus dem Fehlen eines Vorstands nichts anderes“ ergibt. 9.12 Daher fehlt dem Aufsichtsrat – wie bereits angesprochen – insbesondere die Kompetenz zur Bestellung des Vorstands bzw. des persönlich haftenden Gesellschafters (§ 84 AktG), und er kann auch bei Vorhandensein mehrerer Komplementäre nicht entsprechend § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG eine Geschäftsordnung für diese erlassen (was diese für sich aber sehr wohl können).11) Greifen Mitbestimmungsvorschriften ein, ergibt sich die fehlende Personalkompetenz selbst eines mitbestimmten Aufsichtsrats aus der ausdrücklichen Regelung des § 31 Abs. 1 Satz 2 MitbestG. Daran ist nach Auffassung der Rechtsprechung selbst dann festzuhalten, wenn die Komplementärstellung in der KGaA von einer beschränkt haftenden juristischen Person eingenommen wird und damit der Grund für die Ausklammerung der KGaA aus der Mitbestimmung – die unbeschränkte persönliche Haftung des Komplementärs bzw. der Komplementäre – fehlt.12) Die wohl wichtigste Abweichung liegt aber darin, dass weder der Aufsichtsrat noch die Satzung einen Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 AktG begründen können; das führt indirekt zum Leerlaufen der meisten inhaltlichen Kompetenzen eines etwa mitbestimmten Aufsichtsrats.13) Mit den für die persönlich haftenden Gesellschafter geltenden Regeln des Personengesellschaftsrechts dürfte es zudem unvereinbar sein, wenn diese selbst ihre Entscheidungen in Fragen des „Kernbereichs“ einer (verbindlichen) Zustimmung des Aufsichtsrats unterstellen würden.14) 9.13 Anwendbar sind aber die Regelungen des § 111 Abs. 1 – 3 AktG hinsichtlich Recht und Pflicht des Aufsichtsrats zur Überwachung der persönlich haftenden ___________ 10) BGHZ 134, 392, 394 = NJW 1997, 1923 = ZIP 1997, 1027; Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 29. 11) Assmann/Sethe, in: GroßK, § 278 AktG Rz. 40; Hüffer/Koch, § 278 AktG Rz. 12, 15. 12) BGHZ 134, 392, 400 = NJW 1997, 1923 = ZIP 1997, 1027; krit. Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 35 m. w. N. 13) Assmann/Sethe, in: GroßK, § 278 AktG Rz. 39; Hüffer/Koch, § 278 AktG Rz. 15; Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 33; Sethe, AG 1996, 289, 291, 297 f. 14) Etwas weitergehend wohl Assmann/Sethe, in: GroßK, § 278 AktG Rz. 151.

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I. Kommanditgesellschaft auf Aktien

Gesellschafter, die auch durch eine Berichtspflicht der Komplementäre gegenüber dem Aufsichtsrat (entsprechend § 90 AktG; dazu oben Rz. 3.53) ergänzt werden.15) Aus diesem Grunde ordnet § 287 Abs. 3 AktG auch an, dass persönlich haftende Gesellschafter nicht auch zugleich Aufsichtsratsmitglieder sein können. Der BGH hat diese Inkompatibilität erstreckt auf Geschäftsführer und Gesellschafter einer Komplementär-GmbH, sofern diese an der Komplementär-GmbH maßgeblich beteiligt sind.16) Auch § 112 AktG greift mit der Folge ein, dass eine KGaA gegenüber ihren Komplementären durch den Aufsichtsrat vertreten wird; das führt etwa dazu, dass die erforderliche Genehmigung eines Vertragsschlusses durch den Aufsichtsrat nicht durch einen Beschluss der Hauptversammlung ersetzt werden kann.17) Eine gegenüber dem allgemeinen Aktienrecht zusätzliche Kompetenz begründet 9.14 § 287 Abs. 1 und 2 AktG (dessen Überschrift – missverständlich – einen deutlich weiteren Regelungsgehalt suggeriert). Danach ist der Aufsichtsrat auch das „Ausführungsorgan“ für Beschlüsse der Kommanditaktionäre und vertritt diese in Rechtsstreitigkeiten gegen die persönlich haftenden Gesellschafter. Dabei handelt er trotz des missverständlichen Wortlauts als Gesellschaftsorgan, da der Gemeinschaft der Kommanditaktionäre keine eigene Rechtssubjektivität zukommt.18) Abweichend vom allgemeinen Aktienrecht wirkt der Aufsichtsrat aber nicht nach § 172 AktG an der Feststellung des Jahresabschlusses mit, weil dieser hier zwingend einen Beschluss der Hauptversammlung voraussetzt (unten Rz. 9.17).19) 4.

Hauptversammlung

Die Hauptversammlung ist das Organ der Gesamtheit der Kommanditaktionäre, 9.15 die an die Stelle der Kommanditisten einer gewöhnlichen Kommanditgesellschaft treten.20) Ihre Rechtsstellung entspricht wegen § 278 Abs. 3 AktG zunächst einmal derjenigen der Aktionäre in einer gewöhnlichen Aktiengesellschaft.21) Hinsichtlich der Hauptversammlung enthält in erster Linie § 285 AktG besondere Regelungen. Danach verfügen die persönlich haftenden Gesellschafter in der Hauptversammlung nur für ihre eigenen Aktien über ein Stimmrecht (§ 285 Abs. 1 Satz 1 AktG). Damit wird zum einen auch klargestellt, dass ein persönlich haf___________ 15) Assmann/Sethe, in: GroßK, § 278 AktG Rz. 33; Hüffer/Koch, § 278 AktG Rz. 15; Raiser/ Veil, KapGesR, § 23 Rz. 23. 16) BGHZ 165, 192 (Gabriel Sedlmayr/Spaten Franziskaner Bräu) = ZIP 2006, 177, 178 f. = NJW 2006, 510 = EWiR § 287 AktG 1/06, 193 (Dürr) (Vorinstanz OLG München ZIP 2004, 214, 216 f. = NZG 2004, 521, 523). 17) BGH ZIP 2005, 348 = NZG 2005, 276 = EWiR § 278 AktG 1/05, 278 (Hasselbach/Spengler). 18) Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 43. 19) Assmann/Sethe, in: GroßK, § 278 AktG Rz. 41; Hüffer/Koch, § 278 AktG Rz. 12, 15. 20) Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 2. 21) Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 36.

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§ 9 Typenvermischte Rechtsformen

tender Gesellschafter auch Kommanditaktionär sein kann, zum anderen, dass er in der Hauptversammlung über keine sonstigen Rechte verfügt, wenn er nicht auch selbst Aktionär ist. Dogmatisch wird daraus abgeleitet, dass die Hauptversammlung in der KGaA kein Gesellschaftsorgan, sondern „nur“ ein Organ der Kommanditaktionäre ist.22) Um Interessenkonflikte zu vermeiden, verbietet § 285 Abs. 1 Satz 2 AktG den persönlich haftenden Gesellschaftern in bestimmten Fällen darüber hinaus nicht nur die Ausübung des Stimmrechts aus eigenen Aktien, sondern auch die Vertretung anderer Kommanditaktionäre;23) auch können sie sich nach § 285 Abs. 1 Satz 3 AktG in solchen Fällen nicht durch Dritte vertreten lassen. 9.16 Die Rechtsstellung der persönlich haftenden Gesellschafter als solche sichert § 285 Abs. 2 Satz 1 AktG dadurch ab, dass Beschlüsse der Hauptversammlung ihrer Zustimmung bedürfen, „soweit sie Angelegenheiten betreffen, für die bei einer Kommanditgesellschaft das Einverständnis der persönlich haftenden Gesellschafter und der Kommanditisten erforderlich ist“. Das umfasst – vorbehaltlich abweichender Gestaltung in der Satzung – Beschlüsse über Satzungsänderungen einschließlich eines Wechsels in der Person des Komplementärs sowie zu außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen i. S. v. §§ 116 Abs. 2, 164 Satz 1 HGB.24) Erforderlich ist die Zustimmung aller persönlich haftenden Gesellschafter, auch der nicht geschäftsführenden.25) 9.17 Eine vom allgemeinen Aktienrecht (§ 172 AktG; dazu oben Rz. 4.13) abweichende Zuständigkeit schreibt § 286 Abs. 1 AktG schließlich hinsichtlich der Feststellung des Jahresabschlusses fest. Diese erfolgt zwingend durch Beschluss der Hauptversammlung, der wiederum nach § 286 Abs. 1 Satz 2 AktG der Zustimmung der (= im Zweifel aller26) persönlich haftenden Gesellschafter bedarf. Für die Beschlussfassung durch die Hauptversammlung gelten über § 278 Abs. 3 AktG die § 173 Abs. 2 und 3 AktG.27) Für die Aufstellung des Jahresabschlusses sind demgegenüber nach § 283 Nr. 9 AktG i. V. m. §§ 242, 264 Abs. 1 HGB allein die persönlich haftenden Gesellschafter verantwortlich. Im Übrigen modifiziert § 286 Abs. 2 – 4 AktG die inhaltlichen Vorschriften über ___________ 22) So Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 39; abw. Hüffer/Koch, § 278 AktG Rz. 17 („Organ der KGaA“). 23) Davon ist aber nicht erfasst die Übertragung der ein Entsendungsrecht nach § 101 Abs. 2 AktG verbriefenden Aktie einer Komplementärgesellschaft auf einen gesellschaftsfremden Dritten: BGHZ 165, 192 (Gabriel Sedlmayr/Spaten Franziskaner Bräu) = ZIP 2006, 177, 178 f. = NJW 2006, 510 = EWiR § 287 AktG 1/06, 193 (Dürr) (Vorinstanz OLG München ZIP 2004, 214 = NZG 2004, 521). 24) Assmann/Sethe, in: GroßK, § 285 AktG Rz. 54 f.; Hüffer/Koch, § 285 AktG Rz. 2; jetzt nur noch teilweise abw. Mertens/Cahn, KK, § 285 AktG Rz. 36. 25) RGZ 82, 360, 362 f.; Assmann/Sethe, in: GroßK, § 285 AktG Rz. 51; Hüffer/Koch, § 285 AktG Rz. 2. 26) Assmann/Sethe, in: GroßK, § 286 AktG Rz. 5; Hüffer/Koch, § 286 AktG Rz. 1. 27) Assmann/Sethe, in: GroßK, § 286 AktG Rz. 5; Hüffer/Koch, § 285 AktG Rz. 1.

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I. Kommanditgesellschaft auf Aktien

den Jahresabschluss mit Blick darauf, dass die persönlich haftenden Gesellschafter mit Kapitalanteilen an der Gesellschaft beteiligt sein können. Wird die Stellung des persönlich haftenden Gesellschafters der KGaA von einer 9.18 juristischen Person eingenommen (oben Rz. 9.9), wird der Einfluss der Kommanditaktionäre bei der Auswahl des persönlich haftenden Gesellschafters gegenüber dem gesetzlichen Leitbild (§ 281 Abs. 1 AktG: Satzungsregelung) deutlich reduziert. Zugleich fehlt es an dessen persönlicher Haftung und damit an einem – jedenfalls idealtypisch – Instrument der Kontrolle von Machtmissbrauch. Hinzu kommt, dass bei börsennotierten KGaAs häufig auch die Mitwirkungsrechte der Hauptversammlung im Bereich der außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen i. S. v. § 164 Satz 1 HGB beschnitten werden. Die Rechtsprechung hat diese Bedenken in der Form aufgegriffen, dass sie eine entsprechende Anwendung der im Bereich der Publikums-Kommanditgesellschaft entwickelten Grundsätze zur Kontrolle des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH ebenso wie eine Inhaltskontrolle von Satzungsbestimmungen für möglich hält.28) 5.

Finanzverfassung

Im Bereich der Finanzverfassung – oder allgemeiner: der Rechtsverhältnisse zu 9.19 Dritten – ergeben sich bei der KGaA – wie bereits angedeutet – nur wenige Besonderheiten. Zu betonen ist zunächst, dass die KGaA – anders als nach § 124 Abs. 1 HGB die Personenhandelsgesellschaften – über eigene Rechtspersönlichkeit verfügt (ausdrücklich § 278 Abs. 1 AktG).29) Danach ist das Vermögen der Gesellschaft auch selbst unzweifelhaft Haftungsobjekt. Im Übrigen greift aber bezüglich der Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter zusätzlich die Regelung des § 128 HGB ein (über § 278 Abs. 2 AktG, § 161 Abs. 2 HGB). Gerade mit Blick auf diese persönliche Haftung müssen die persönlich haftenden 9.20 Gesellschafter aber anders als die Kommanditaktionäre keine Einlage erbringen.30) Sie können dies aber, und sie tun es regelmäßig, weil sie auf diesem Wege wie auch andere Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften steuerrechtlich Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielen.31) Der Umfang des aus einer solchen Beteiligung resultierenden Kapitalanteils ist in der Satzung festzuschreiben (§ 281 Abs. 2 AktG).32) Denn er ist – vorbehaltlich einer genaueren Ausgestaltung in

___________ 28) BGHZ 134, 392, 399 f. = NJW 1997, 1923 = ZIP 1997, 1027; im Anschluss an Priester, ZHR 160 (1996), 250, 261 f.; ausführlich Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 44 ff. m. w. N.; Karsten Schmidt, GesR, § 32 IV, S. 977 ff. 29) Karsten Schmidt, GesR, § 32 I, S. 971 ff. (dort auch zur historischen Entwicklung). 30) Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 10. 31) Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 11. 32) Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 60.

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§ 9 Typenvermischte Rechtsformen

der Satzung33) – nach § 278 Abs. 2 AktG i. V. m. §§ 168, 121 HGB für die Verteilung des Gewinns im Verhältnis zwischen persönlich haftenden Gesellschaftern einerseits und Kommanditaktionären andererseits maßgeblich.34) Seine einseitige Erhöhung würde daher zu einer Verkürzung der Dividende der Kommanditaktionäre führen. 9.21 Hinsichtlich der Gewinnverteilung werden die Rechte der persönlich haftenden Gesellschafter durch § 288 AktG teilweise an das Kapitalgesellschaftsrecht angenähert.35) Nach dessen Abs. 1 darf ein Komplementär nämlich so lange keinen Gewinn auf seinen Kapitalanteil entnehmen, wie der auf ihn entfallende Verlust seinen Kapitalanteil übersteigt. Im Übrigen richtet sich auch der auf einen Komplementär entfallende Gewinnanteil nach dem aktienrechtlichen Jahresabschluss.36) II.

Kapitalgesellschaft & Co.

9.22 Bei der schon mehrfach angesprochenen Typenvermischung in Form der Kapitalgesellschaft & Co. wird die Rolle des persönlich haftenden Gesellschafters einer Personengesellschaft, des Komplementärs, durch eine Kapitalgesellschaft eingenommen. In Betracht kommt dies vor allem bei den klassischen Personengesellschaften (offene Handelsgesellschaft und – vor allem – Kommanditgesellschaft; zur Kommanditgesellschaft auf Aktien siehe oben Rz. 9.9). Dadurch können die Vorteile des Personengesellschaftsrechts, die von der Praxis vor allem in größerer Gestaltungsfreiheit und der steuerlichen „Transparenz“ (Besteuerung der Gesellschafter, nicht der Gesellschaft) gesehen werden, mit denjenigen des Kapitalgesellschaftsrechts, insbesondere der beschränkten Haftung, kombiniert werden. Die Rechtsprechung hat hierauf vor allem dadurch reagiert, dass sie zahlreiche Regelungen und Grundsätze des Kapitalgesellschaftsrechts auf diese Gestaltung entsprechend angewandt hat. Das kann hier in den stark in das Personengesellschaftsrecht hinüberreichenden Einzelheiten nicht vertieft werden.

___________ 33) Insbesondere ist abweichend vom gesetzlichen Modell eines variablen Kapitalkontos (siehe § 286 Abs. 2 AktG) wie auch im Personengesellschaftsrecht die Vereinbarung eines festen bzw. fester Kapitalkonten üblich; hierzu Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 19. 34) Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 56. 35) Raiser/Veil, KapGesR, § 23 Rz. 58. 36) Hüffer/Koch, § 288 AktG Rz. 2; Mertens/Cahn, KK, § 286 AktG Rz. 10 ff.; abw. Assmann/ Sethe, in: GroßK, § 288 AktG Rz. 17 ff. (Personengesellschaftsrecht mit Modifikationen).

608

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften Literatur zum Genossenschaftsrecht: Beuthien, Verlustdeckungsbeiträge ausgeschiedener Genossenschaftsmitglieder – Besondere Kapitalausstattungslast oder nur vorinsolvenzliche Sicherheitsleistung?, DStR 2009, 275; ders., Ist die Genossenschaftsrechtsreform geglückt?, NZG 2008, 210; ders./Dierkes/Wehrheim, Die Genossenschaft – mit der Europäischen Genossenschaft: Recht, Steuer, Betriebswirtschaft, 2008; ders., Sind Vorzugskonditionen für Genossenschaftsmitglieder eine verdeckte Gewinnausschüttung?, DStR 2007, 1847; ders., Die Europäische Genossenschaft als gesellschaftsrechtliche Herausforderung ZfgG 57 (2007), 3; ders., Ist das Genossenschaftsrecht auf dem rechten Wege? – zur deutschen Genossenschaftsrechts-Reform 2006, 2007; ders., Wie kapitalistisch darf eine Genossenschaft sein? – Zum förderwirtschaftlichen Nutzen nicht nutzender Mitglieder, AG 2006, 53; ders., Die eingetragene Genossenschaft im Strukturwandel, 2003; ders., Der genossenschaftliche Geschäftsanteil – Begriffliches Unding oder Schlüssel zur Öffnung der Rechtsform?, AG 2002, 266; ders., Zur Haftung bei der Vorgenossenschaft, WM 2002, 2261; ders./Titze, Offene Probleme beim Insolvenzverfahren der eingetragenen Genossenschaft, ZIP 2002, 1116; ders., Zeit für eine Genossenschaftsrechtsreform, DB 2000, 1161; ders., Die eingetragene Genossenschaft als Holdinggesellschaft, AG 1996, 349; ders., Die Verfassungsmäßigkeit der Zuordnung jeder eingetragenen Genossenschaft zu einem genossenschaftlichen Prüfungsverband, WM 1995, 1788; ders./Ernst, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Mitglied einer eingetragenen Genossenschaft, ZHR 156 (1992), 227; Blomeyer, Die Zukunft der Genossenschaft in der Europäischen Union an der Schwelle zum 21 Jahrhundert, ZfgG 50 (2000), 183; ders., Auf dem Weg zur (E)europäischen Genossenschaft, BB 2000, 1741; Donschen, Die genossenschaftliche Pflichtprüfung: Vergleich mit Vereins- und Aktienrecht, 2008; Geschwandtner/Helios, Genossenschaftsrecht: das neue Genossenschaftsgesetz und die Einführung der Europäischen Genossenschaft, 2007; Helios/Strieder, Reform des Genossenschaftsrechts – Wiederbelebung einer guten Idee, DB 2005, 2794; Henningsen, Attraktivität der Genossenschaften erhöhen. Ökonomische Überlegungen zur Reform des Genossenschaftsrechts, ZfgG 51 (2001), 120; Hirte, Das neue Genossenschaftsrecht, DStR 2007, 2166 (Teil 1), 2215 (Teil 2); Kluthe, Genossenschaften und Staat in Deutschland, 1985; Kopatschek, IFRIC D8: Geschäftsguthaben der Genossenschaften, WPg 2004, 1124; Ludwig, Pflichtverletzung des Genossenschaftsvorstandes – Schadensersatzanspruch der Genossenschaft, ZfgG 50 (2000), 162; Mock, Das Statut für die Europäische Genossenschaft, ELR 2004, 150; Saenger/Merkelbach, Die investierende Mitgliedschaft im deutschen Genossenschaftsrecht – eine interessante Beteiligungsmöglichkeit für Genossenschaften und Investoren?, BB 2006, 566; Schlickmann, Unternehmensmitbestimmung in der eingetragenen Genossenschaft, 2007; Karsten Schmidt, Zur Gläubigersicherung im Liquidationsrecht der Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Vereine – Grundprobleme der §§ 73 GmbHG, 272 AktG, 90 GenG, 51 ff. BGB, ZIP 1981, 1; Strieder, Geschäftsführungsbefugnis des Vorstandes einer Genossenschaft, insbesondere bei Holdingkonstruktionen, DZWir 1998, 166; Wiese, Die Europäische Genossenschaft im Vergleich zur eingetragenen Genossenschaft deutschen Rechts: Reformüberlegungen zum deutschen Genossenschaftsrecht, 2006; von Wilcken, Die Reformbestrebungen zum Genossenschaftsgesetz in der Frühzeit der Bundesrepublik: die Beratungen der Sachverständigenkommission zur Überprüfung des Genossenschaftsrechts 1954 bis 1958 und der Referentenentwurf von 1962, 2000; Förderverein Hermann Schulze-Delitzsch (Hrsg.), Hermann Schulze-Delitzsch: Weg – Werk – Wirkung (Festschrift zum 200. Geburtstag am 29. August 2008), 2008. Literatur zum Vereinsrecht: Beuthien, Künftig alles klar beim nichteingetragenen Verein?, NZG 2005, 493; ders./Gätsch, Vereinsautonomie und Satzungsrecht Dritter – Statutarischer

609

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften Einfluß Dritter auf die Gestaltung von Körperschaftssatzungen, ZHR 156 (1992), 459; ders., Zweitmitgliedschaft wider Willen? – Mitgliedschaftsvermittlungsklauseln im Vereinsrecht, ZGR 1989, 255; ders., Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz im Vereinsrecht – Grenzen der Mehrheitsherrschaft bei Vereinszweckänderung und Pflichtenmehrung, BB 1987, 6; Reuter, Das Verhältnis der Vereinsklassenabgrenzung zu den Grenzen wirtschaftlicher Betätigung nach Gemeinnützigkeitsrecht, NZG 2008, 881; ders., (Keine) Durchgriffshaftung der Vereinsmitglieder wegen Reformverfehlung, NZG 2008, 650; ders., Die Reform des Vereinsrechts, NZG 2005, 738; ders., Persönliche Haftung für Schulden des nichtrechtsfähigen Idealvereins, NZG 2004, 217; ders., Der nichtrechtsfähige wirtschaftliche Verein, Festschrift Semler, 1993, S. 931; ders., 100 Bände BGHZ – Vereins- und Genossenschaftsrecht, ZHR 151 (1987), 355; ders., Der Ausschluß aus dem Verein, NJW 1987, 2401; ders., Die Änderung des Vereinszwecks, ZGR 1987, 475; ders., Die Verfassung des Vereins gem. § 25 BGB, ZHR 148 (1984), 523; ders., Rechtliche Grenzen ausgegliederter Wirtschaftstätigkeit von Idealvereinen, ZIP 1984, 1052; ders., Zur Abgrenzung von Vereins- und Gesellschaftsrecht, ZGR 1981, 364; ders., Probleme der Mitgliedschaft beim Idealverein, ZHR 145 (1981), 273; ders., Grenzen der Verbandsstrafgewalt, ZGR 1980, 101; Karsten Schmidt, Wirtschaftliche Betätigung und Idealverein – Rechtsfolgen einer Überschreitung des „NonProfit“-Privilegs, ZIP 2007, 605; ders., Zur Amtslöschung unrechtmäßig eingetragener Wirtschaftsvereine, NJW 1993, 1225; ders., Die Vereinsmitgliedschaft als Grundlage von Schadensersatzansprüchen, JZ 1991, 157; ders., Der Vereinszweck nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, BB 1987, 556; ders., Verbandszweck und Rechtsfähigkeit im Vereinsrecht: eine Studie über Erwerb und Verlust der Rechtsfähigkeit nichtwirtschaftlicher und wirtschaftlicher Vereine, 1984; ders., Wirtschaftstätigkeit von „Idealvereinen“ durch Auslagerung auf Handelsgesellschaften, NJW 1983, 543; ders., Systemfragen des Vereinsrechts, ZHR 147(1983), 43; ders., Der bürgerlich-rechtliche Verein mit wirtschaftlicher Tätigkeit, AcP 182 (1982), 1; ders., Sieben Leitsätze zum Verhältnis zwischen Vereinsrecht und Handelsrecht, ZGR 1975, 477; Segna, Vorstandskontrolle in Großvereinen, 2002; Steinbeck, Vereinsautonomie und Dritteinfluß, 1999; Wagner, Der Europäische Verein: eine Gesellschaftsform europäischen oder mitgliedstaatlichen Rechts?, 2000; Waldner, Der eingetragene Verein, 2006.

I.

Verein

10.1 Zu nennen ist insoweit zunächst der bürgerlichrechtliche Verein, der die Grundform der Kapitalgesellschaften bildet. Darauf und auf die auch für das Kapitalgesellschaftsrecht bedeutsamen Regelungen des Vereinsrechts wurde schon an anderer Stelle hingewiesen (oben Rz. 1.5, 1.14, 1.46). II.

Genossenschaft1)

1.

Grundlagen

a)

Begriff

10.2 Bei der Genossenschaft handelt es sich nach der gesetzlichen Definition in § 1 Abs. 1 GenG um eine Gesellschaft mit nicht geschlossenem Mitgliederkreis zur Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaft___________ 1)

610

Kapitel § 10 II.–IV. wurden vorab veröffentlicht in DStR 2007, 2166 ff. (Teil I), 2215 ff. (Teil II).

II. Genossenschaft )

lichen Geschäftsbetriebs; im Rahmen der Gesetzesreform des Jahres 2006 wurde dabei klarstellend eingefügt, dass sich die Förderung auch auf die „sozialen oder kulturellen Belange“ der Mitglieder beziehen könne.2) Kernidee des Genossenschaftsrechts ist vor allen Dingen die Bündelung von Anbieter- oder Nachfragermacht der einzelnen Mitglieder (früher: „Genossen“) um den Preis ihrer verringerten Flexibilität; im Gegensatz zu den anderen Gesellschaften wird eine Gewinnerzielungsabsicht auf der Ebene der Genossenschaft selbst vom Gesetz damit nicht vorausgesetzt. Teilweise wird Gewinnerzielungsabsicht – jedenfalls als Primärzweck – sogar für unzulässig gehalten.3) Die Bündelung von Anbieter- oder Nachfragermacht kann demgegenüber wettbewerbsbeschränkende Wirkungen haben – bzw. sogar beabsichtigen; das Kartellrecht kann der Gründung von Genossenschaften daher Schranken setzen, wenn die dort festgelegten marktorientierten Grenzen überschritten sind.4) Konstitutives Element einer Genossenschaft ist mithin der Zweck der Mitglieder- 10.3 förderung durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb. Das bedingt eine größere Nähe der Mitglieder zueinander bzw. einen stärkeren personalistischen Charakter der Gesellschaftsform. Im Hinblick darauf, dass die Förderung der Mitglieder auf korporationsrechtlicher Basis erfolgt, greifen die Schutzvorschriften des AGBRechts nicht ein (ausdrücklich § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB).5) Der Mitgliederschutz wird vielmehr wie auch sonst im Gesellschaftsrecht (oben Rz. 2.52) durch die besonderen Regelungen des Verbandsrechts verwirklicht; als Beispiel sei insoweit etwa auf das außerordentliche Kündigungsrecht des § 65 Abs. 3 GenG verwiesen, das dem Nicht-Unternehmer ein Ausscheiden aus einer Genossenschaft nach spätestens zwei Jahren ermöglicht. Freilich ist es wie auch sonst im Gesellschaftsrecht (oben Rz. 5.102) möglich, dass die Genossenschaft die Geschäfte mit ihren Mitgliedern auf „normaler“ schuldrechtlicher Basis (und dann unter grundsätzlicher Anwendbarkeit des AGB-Rechts) abwickelt, ebenso wie auch insgesamt die Errichtung genossenschaftlicher Strukturen durch Einsatz des normalen Verbands- (insbesondere Aktien-) und Vertragsrechts möglich ist.6) Wie die Kapitalgesellschaft ist die Genossenschaft juristische Person (§ 17 Abs. 1 10.4 GenG), Formkaufmann (§ 17 Abs. 2 GenG i. V. m. § 6 Abs. 2 HGB) und nach § 2 GenG haftet die Genossenschaft nur mit ihrem eigenen Vermögen, wobei frei___________ 2) 3) 4)

5) 6)

Helios/Strieder, DB 2005, 2794, 2795. Kübler/Assmann, GesR, § 13 I 1 b. BGHZ 120, 161 (Taxigenossenschaft II) = ZIP 1993, 384 = NJW 1993, 1710 = ZfgG 44 (1994), 291; Einzelheiten bei Beuthien, § 1 GenG Rz. 154 ff.; Hannig, in: Lang/Weidmüller, GenG (35. Aufl. 2006), Einf. Rz. 8 ff.; Müller, GenG, Bd. 1 (2. Aufl. 1991), § 1 Rz. 24a ff.; dazu auch Karsten Schmidt, GesR, § 41 II 5 a, S. 1273. BGHZ 103, 219, 224 f. = ZIP 1988, 910, 911 = NJW 1988, 1729, 1730. Zu solchen Genossenschaften im „materiellen“ oder wirtschaftlichen Sinne Karsten Schmidt, GesR, § 41 I 1 a, S. 1264 f. – So definiert sich etwa auch die EDEKA heute als „genossenschaftlich organisiertes Handelsunternehmen“ (siehe www.EDEKA.de).

611

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

lich an dieser Stelle schon darauf hinzuweisen ist, dass im Gegensatz zum Kapitalgesellschaftsrecht zu diesem Vermögen in vermehrtem Umfang auch Ansprüche gegen die Mitglieder gehören können. In ihrer Firma muss die Genossenschaft den Zusatz „eingetragene Genossenschaft“ oder „eG“ führen (§ 3 GenG). b)

Historische Entwicklung

10.5 Erste Ursprünge des Genossenschaftswesens finden sich in den germanischen Schutzgemeinschaften;7) als Vorläufer der heutigen Genossenschaft genannt werden auch die Deichgenossenschaften, Handwerkerzünfte und Kaufmannsgilden des Mittelalters, die teilweise über die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz ihrer Mitglieder hinaus zusätzlich auch religiöse, politische und karitative Funktionen erfüllten.8) Mit Einführung der Gewerbefreiheit und der damit verbundenen Befreiung vom Zunftzwang verloren die genannten früheren Zusammenschlüsse ihre Bedeutung. Auf der anderen Seite gerieten durch den Marktdruck aber vor allen Dingen kleine und mittlere Betriebe schwer in Bedrängnis.9) Als Antwort darauf etablierte sich die Genossenschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts; SchulzeDelitzsch als einer ihrer Protagonisten gründete 1849 die ersten Rohstoffassoziationen der Tischler und Schuhmacher, Raiffeisen – ein weiterer wichtiger Vater der Genossenschaftsbewegung – gründete 1862 den ersten Darlehens-Kassenverein.10) 10.6 Eine erste gesetzliche Regelung fanden die Genossenschaften sodann in Form des preußischen Genossenschaftsgesetzes vom 27. März 1867.11) Eine erste vollständige Kodifikation erfolgte durch das „Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“ vom 1. Mai 1889 (RGBl. I 55), das in der Folgezeit mehrfach reformiert wurde. Zu den wichtigsten jüngeren Reformen zählten die Novelle von 197312) und die Verlagerung der Führung der Mitgliederliste vom Genossenschaftsregister auf die Genossenschaften selbst durch das Registerverfahrenbeschleunigungsgesetz vom 20. Dezember 1993 (BGBl. I, 2182), in dessen Folge das Genossenschaftsgesetz auch vollständig neu bekannt gemacht wurde. 10.7 Eine vollständige Neuregelung erfolgte jetzt durch das „Gesetz zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts“ vom 14. August 2006 (BGBl. I, 1911). Damit sollten auch die Möglichkeiten in das nationale Genossenschaftsrecht übernommen werden, die sich durch die Schaffung der Europäischen Genossenschaft (SCE) für grenzüberschreitende ___________ 7) Krause, JuS 1970, 313, 316 f. 8) Paulick, Das Recht der eingetragenen Genossenschaft (1956), S. 19; Karsten Schmidt, GesR, § 41 I 1 b, S. 1265 f.; Stumpf, Jus 1998, 701. 9) Karsten Schmidt, GesR, § 41 I 1 b, S. 1265 f.; Stumpf, JuS 1998, 701. 10) Karsten Schmidt, GesR, § 41 I 1 b, S. 1265 f.; Stumpf, JuS 1998, 701. 11) Großfeld/Aldejohann, in: 100 Jahre Genossenschaftsgesetz (1989), S. 7; Laufs, JuS 1968, 311, 314. 12) Hierzu Beuthien, GenG, Einl. III m. w. N.

612

II. Genossenschaft )

Sachverhalte ergeben; denn andernfalls wäre eine „unlautere Konkurrenz“ des Europäischen Genossenschaftsrechts mit dem nationalen Genossenschaftsrecht zu erwarten gewesen.13) Das Genossenschaftsrecht hat lange Zeit ein „Eigenleben“ unter Berufung darauf 10.8 geführt, dass die Spezifika der Genossenschaft eine Anwendung der normalen kapitalgesellschaftsrechtlichen Regeln nicht erlaubten. Das ist zum Teil Folge der Tatsache, dass Judikatur zum Genossenschaftsrecht ausgesprochen selten war. In den vergangenen Jahren hat vor allen Dingen die zunehmende Rechtsprechung des BGH zum Genossenschaftsrecht dieses Rechtsgebiet jedoch Stück für Stück in das allgemeine Verbandsrecht „zurückgeholt“ und damit klargemacht, dass Lücken des Genossenschaftsrechts unter Rückgriff auf die allgemeinen verbandsrechtlichen Prinzipien zu füllen sind, wie sie bei den Kapitalgesellschaften typischerweise deutlich weiter ausdifferenziert sind. c)

Wirtschaftliche Bedeutung

Zentraler Zweck der Genossenschaft ist – auch heute noch – die Bündelung von 10.9 Angebots- oder Nachfragemacht vor allem kleiner und mittelständischer Unternehmen, um mit Großunternehmen konkurrieren zu können; das wird allerdings mit einer langfristigen Bindung und einer gewissen Schwerfälligkeit erkauft, die dem System der Genossenschaftsdemokratie immanent ist.14) Das hat in jüngerer Zeit zu einer Umwandlung zahlreicher Genossenschaften in Kapitalgesellschaften – vor allem Aktiengesellschaften – geführt. In der früheren DDR war die Wirtschaft zu einem erheblichen Teil „genossenschaftlich“ organisiert. So erbrachten zum Beispiel 3.850 Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) mit 850.000 Mitgliedern 92 % der landwirtschaftlichen Produktionsleistung, und 2.700 Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) mit 160.000 Mitgliedern erwirtschafteten 40 % sämtlicher Handwerksleistungen. Allerdings war rechtliche Grundlage dieser Genossenschaften nicht etwa das formal auch in der DDR geltende Genossenschaftsgesetz, sondern es galten diverse Spezialgesetze und „Musterstatuten“, denen es weniger um die wirtschaftliche Förderung der Genossenschaftsmitglieder als um die Erfüllung der planwirtschaftlichen Vorgaben des Gesamtstaates ging.15) Nach der Wiedervereinigung wurden zwar viele der früheren Genossenschaften der DDR16) in eingetragene Genossenschaften umgewandelt; in zahlreichen Fällen wurde aber auch durch das eigens zu diesem Zweck geschaffene Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LwAnpG) (ein „Sonder-Umwandlungsgesetz“) der Weg in die Kapitalgesellschaft gewählt, so dass auch hierdurch ___________ 13) 14) 15) 16)

Hierzu Helios/Strieder, DB 2005, 2794, 2795; Schaffland/Korthe, NZG 2006, 253 f. Stumpf, JuS 1998, 701 f. Zum Ganzen Schulte, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 1 GenG Rz. 51 m. w. N. Einkaufs- und Liefergenossenschaften des Handwerks (ELG), Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH), Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG).

613

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

der zahlenmäßige Rückgang der Genossenschaften nur begrenzt aufgehalten werden konnte.17) 10.10 Das Gesetz nannte in seiner früheren, bis zum August 2006 geltenden Fassung eine ganze Reihe von – nicht abschließenden – Beispielen genossenschaftlicher Betätigungsfelder (§ 1 Abs. 1 GenG a. F.); diese bilden auch heute noch den Schwerpunkt der genossenschaftlichen Tätigkeit. Zu nennen sind zunächst die „Vorschuss- und Kreditvereine“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GenG a. F.), die heute üblicherweise als Kreditgenossenschaften (z. B. Volks- und Raiffeisenbanken) bezeichnet werden. Ihre Bedeutung ist außerordentlich groß: Neben den Geschäftsbanken und den öffentlich-rechtlichen Sparkassen bilden sie den „dritten Pfeiler“ des deutschen Bankensystems.18) Weiter zu nennen sind die „Rohstoffvereine“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 GenG a. F.); dazu zählen vor allen Dingen die Einkaufsgenossenschaften des Einzelhandels, des Handwerks und der Landwirtschaft, die eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung haben und aufgrund ihrer Marktmacht auch die schon angesprochenen Probleme mit dem Kartellrecht aufwerfen (oben Rz. 10.2). Sodann sind zu erwähnen die „Vereine zum gemeinschaftlichen Verkauf landwirtschaftlicher oder gewerblicher Erzeugnisse (Absatzgenossenschaften, Magazinvereine)“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 GenG a. F.; etwa Molkerei- oder Wintergenossenschaften) und die „Vereine zur Herstellung von Gegenständen und zum Verkauf derselben auf gemeinschaftliche Rechnung (Produktivgenossenschaften)“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 GenG a. F.).19) Der Beschaffungsseite dienen demgegenüber die – heute bedeutungslosen – „Vereine zum gemeinschaftlichen Einkauf von Lebens- oder Wirtschaftsbedürfnissen im großen und Ablaß im kleinen (Konsumvereine)“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 GenG a. F.) und die nach wie vor wichtigen „Vereine zur Beschaffung von Gegenständen des landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betriebes und zur Benutzung derselben auf gemeinschaftliche Rechnung“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 GenG a. F.); hierzu zählen etwa Autohöfe, Schlachthöfe, Großmärkte, Taxigenossenschaften oder Genossenschaften zum Betrieb landwirtschaftlicher Großgeräte wie Mähdrescher. Schließlich sind zu nennen die „Vereine zur Herstellung von Wohnungen“ (Wohnungsbaugenossenschaften; § 1 Abs. 1 Nr. 7 GenG a. F.).20) 10.11 Schon vor der Neufassung des Genossenschaftsgesetzes im Jahre 2006 hatte sich neben diesen „klassischen“ Feldern vor allem der „Ökobereich“ als An___________ 17) 18) 19) 20)

614

Schulte, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 1 GenG Rz. 52. Kübler/Assmann, GesR, § 13 I 3 a. Zu deren geringer Bedeutung und den Gründen dafür Kübler/Assmann, GesR, § 13 I 3 d. Weitere Beispiele nach Stumpf, JuS 1998, 701, 702 Fn. 14: Abrechnungs- und Datenverarbeitungsgenossenschaften, Architektengenossenschaften bei Großprojekten, Studentengenossenschaften zur Beschaffung von Wohnraum und Sachmitteln, Brunnen-, Deich-, Elektrizitäts- oder Energieversorgungsgenossenschaften, Sanierungsgenossenschaften zur gemeinsamen Übernahme eines Krisenunternehmens durch die Belegschaft, Verkehrsgenossenschaften, Genossenschaften zur gemeinsamen Errichtung und Unterhaltung von Freizeiteinrichtungen wie z. B. Yachtgenossenschaften.

II. Genossenschaft )

wendungsfeld für Genossenschaften etabliert.21) Die Neufassung von § 1 GenG erlaubt demgegenüber jetzt eindeutig auch die Gründung von Schul-, Sport- und Mediengenossenschaften sowie von Theater- oder Museumsgenossenschaften.22) Insgesamt gibt es in Deutschland zurzeit (2010) etwa 7.500 Genossenschaften 10.12 mit ungefähr 20,5 Millionen Mitgliedern.23) Nach anderen Angaben sind fast 2/3 aller Handwerker, 3/4 aller Kaufleute und Bäcker, 80 % aller Landwirte, 90 % aller Metzger und praktisch alle Schuhgeschäfte Mitglieder einer Genossenschaft.24) Die Einkaufsgenossenschaften der verschiedenen Berufssparten spielen dabei wohl die größte Rolle. Allerdings lag die Zahl der Genossenschaften im Jahre 1970 mit allein 18.620 im alten Bundesgebiet noch deutlich höher.25) Die Europäische Genossenschaft (SCE) führt in Deutschland unverändert ein Schattendasein; ihre Zahl hat sich aber in der jüngeren Zeit von drei (Ende 2012) auf sieben (im April 2014) und inzwischen auf acht (im Juni 2015) erhöht.26) Hinsichtlich der organisatorischen Erscheinungsform von Genossenschaften ist 10.13 zudem die von § 1 Abs. 2 Nr. 2 GenG und § 9 Abs. 2 Satz 2 GenG vorausgesetzte Möglichkeit von Bedeutung, dass sich die normalen Genossenschaften („Primärgenossenschaften“) zu „Zentralgenossenschaften“ zusammenschließen. Beispiele hierfür im Bereich des Einzelhandels sind bzw. waren etwa die EDEKA- oder die REWE-Zentrale (EDEKA = Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin – E.d.K.; REWE = Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften).27) Nachdem die bundesweit agierenden Zentralgenossenschaften in Kapitalgesellschaften umgewandelt wurden (EDEKA-Zentrale GmbH & Co. KG bzw. REWE-Zentral AG), gilt dies freilich nur noch für die regionalen Genossenschaften (so bei EDEKA) bzw. für Teilbereiche der Kooperation (so in Form der REWE-Zentralfinanz eG für die zentrale Regulierung, die Makelei und die Finanzierung). ___________ 21) Stumpf, JuS 1998, 701, 702. 22) BT-Drucks. 16/1025, S. 80; Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Genossenschaftsgesetz (3. Aufl. 2007), § 1 GenG Rz. 11; Helios/Strieder, DB 2005, 2704, 2705; Schulte, in: Lang/ Weidmüller (Fn. 4), § 1 GenG Rz. 34, der jedoch Zweifel hat, ob die Öffnung des Förderzwecks für soziale und kulturelle Belange als Hinwendung zur Tradition der in romanischen Ländern gepflegten „économie sociale“ gewertet werden kann. 23) DZ Bank, Genossenschaftsbericht 2011, S. 8, auszugsweise abrufbar unter http://www.corporate-portal.dzbank.de/components/getdata.php?file=1321346969DieDeutschenGenossenschaften_Auszug.pdf; ältere Zahlen bei Helios/Strieder, DB 2005, 2794 m. w. N.; Stumpf, JuS 1998, 701, 702; Glenk, WiB 1996, 233. 24) Glenk, WiB 1996, 233, 234 unter Verweis auf Bonus, Genossenschaften im Jahre 2000 (1987); Stumpf, JuS 1998, 701, 702. 25) Helios/Strieder, DB 2005, 2794 m. w. N. 26) Siehe dazu die ausführliche Aufbereitung des Zahlenmaterials durch Bayer/J. Schmidt, BB 2014, 1219; dies., BB 2015, 1731. 27) Kübler/Assmann, GesR, § 13 I 4; Stumpf, JuS 1998, 701, 702.

615

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

2.

Gründung

10.14 Eine Genossenschaft kann – anders als die Kapitalgesellschaften – nur durch mindestens drei Mitglieder (früher sieben) gegründet werden (§ 4 GenG). Erforderlich und ausreichend ist eine in Schriftform verfasste Satzung (§ 5 GenG). Deren Mindestinhalt legt das Gesetz in §§ 6 und 7 GenG fest. Die Neufassung von § 1 GenG erlaubt dabei heute auch die Gründung von Genossenschaften zu kulturellen Zwecken (oben Rz. 10.11). Als genossenschaftsrechtliche Besonderheit bedarf es der Festlegung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Mitglieder eine Nachschusspflicht trifft (§ 6 Nr. 3 GenG; Einzelheiten unten Rz. 10.57 f.). Weiter bedarf es bestimmter Feststellungen zur Art und Weise der Einlageleistung (§ 7 GenG), die durch weitere fakultative Bestimmungen ergänzt werden können (§ 7a GenG). Unter den weiteren fakultativen Satzungsbestimmungen (dazu § 8 GenG) ist die Möglichkeit wichtig, den Geschäftsbetrieb auf Personen auszudehnen, die nicht Mitglieder der Genossenschaft sind (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 GenG); das ist bei Kreditgenossenschaften etwa regelmäßig der Fall. Vor allen Dingen aber – das setzt das Gesetz voraus – darf eine Genossenschaft nur zu dem in § 1 Abs. 1 GenG beschriebenen besonderen genossenschaftlichen Verbandszweck (oben Rz. 10.2 f.) gegründet werden.28) Im Übrigen folgt das Genossenschaftsrecht ebenso wie das Aktienrecht (dazu oben Rz. 2.48 f.) dem Grundsatz der Satzungsstrenge (§ 18 Satz 2 GenG). Wie auch das Aktienrecht bildet das Genossenschaftsrecht ein Sonderrecht des wirtschaftlichen Vereins, so dass die allgemeinen vereinsrechtlichen Regelungen in Zweifelsfällen zur Lückenfüllung herangezogen werden können.29) 10.15 Die durch Feststellung der Satzung errichtete Genossenschaft ist zum Genossenschaftsregister anzumelden (§ 11 GenG). Dabei sind – eine wichtige genossenschaftsrechtliche Besonderheit – die Bescheinigung eines Prüfverbandes über die Zulassung der Genossenschaft zum Beitritt (dazu näher unten Rz. 10.37) und das Gutachten eines solchen Verbandes dazu beizufügen, „ob nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere der Vermögenslage der Genossenschaft, eine Gefährdung der Belange der Mitglieder oder der Gläubiger der Genossenschaft zu besorgen ist“ (§ 11 Abs. 2 Nr. 3 GenG). Im Übrigen sind Angaben zur Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder zu machen (§ 11 Abs. 3 GenG). 10.16 Entsprechend dem einzureichenden Bericht prüft das Registergericht vor der Eintragung auch, ob aufgrund des Gutachtens des Prüfungsverbandes eine Gefährdung der Belange der Mitglieder oder Gläubiger zu besorgen ist (§ 11a Abs. 2 GenG). Vor der Eintragung handelt es sich noch nicht um eine eingetragene ___________ 28) Karsten Schmidt, GesR, § 41 I 1 a, S. 1264 f. 29) Glenk, WiB 1996, 233, 234; Karsten Schmidt, GesR, § 41 I 2 a, S. 1267; ausführlich zum Verhältnis des Genossenschaftsrechts zum Recht des bürgerlichrechtlichen Vereins Beuthien, § 1 GenG Rz. 19 ff.

616

II. Genossenschaft )

Genossenschaft, wie das Gesetz in § 13 GenG ausdrücklich betont; ausdrückliche Regelungen zu den Rechtswirkungen der in dieser Phase abgeschlossenen Geschäfte und zu den haftungsrechtlichen Folgen enthält das Gesetz freilich nicht, so dass insoweit die kapitalgesellschaftsrechtlichen Überlegungen entsprechend anzuwenden sind (oben Rz. 2.7 ff.).30) Den Abschluss des Verfahrens bildet die Eintragung in das Genossenschaftsregister (§ 10 GenG). Scheitert diese, etwa wegen fehlender Aufnahme in einen Prüfungsverband, entsteht eine nicht rechtsfähige (Dauer-)Genossenschaft, die wegen § 22 BGB eigentlich unzulässig ist.31) 3.

Organisationsverfassung

Die eingetragene Genossenschaft muss, wie das Gesetz ausdrücklich statuiert (§ 9 10.17 Abs. 1 Satz 1 GenG), einen Vorstand und einen Aufsichtsrat haben; demgegenüber kann das dritte Organ der eingetragenen Genossenschaft, die Generalversammlung, unter bestimmten Voraussetzungen durch eine Vertreterversammlung ersetzt werden (§§ 43, 43a GenG). Hinsichtlich der an Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder zu stellenden per- 10.18 sönlichen Anforderungen legt § 9 Abs. 2 Satz 1 GenG allgemein fest, dass es sich um natürliche Personen handeln muss, die Mitglieder der Genossenschaft sind („Selbstorganschaft“). Im Hinblick auf diese personalistische Ausrichtung stellt das Gesetz keine weiteren Anforderungen subjektiver Art, auch nicht was die fehlende Vorbestrafung in Insolvenzsachen angeht; die Satzung kann freilich zusätzliche Anforderungen wie Alter, Berufserfahrung oder Mitgliedschaftsdauer aufstellen.32) Berufungsfähig in den Vorstands- oder Aufsichtsrat sind aber auch Mitglieder von Genossenschaften, die ihrerseits Mitglieder der Genossenschaft sind, soweit es sich um natürliche Personen handelt, sowie (insoweit klarstellend) die zur Vertretung berufenen (natürlichen) Personen von Mitgliedern in der Rechtsform einer juristischen Person oder Personengesellschaft (§ 9 Abs. 2 Satz 2 GenG). Investierende Mitglieder (zu diesen näher unten Rz. 10.44) dürften demgegenüber nur Mitglied des Aufsichtsrats werden können, und auch dort nur beschränkt auf ein Viertel der Sitze (§ 8 Abs. 2 Satz 4 GenG).33)

___________ 30) Zur Vor-Genossenschaft und deren Behandlung BGHZ 20, 281 = WM 1956, 664; BGHZ 149, 273 = ZIP 2002, 353 = NJW 2002, 824; ausführlich Karsten Schmidt, GesR, § 40 I 2 b, S. 1267 f. 31) Karsten Schmidt, GesR, § 41 I 2 b, S. 1267. 32) Beuthien, § 9 GenG Rz. 9 a. E.; Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs (Fn. 22), § 36 GenG Rz. 7 (Aufsichtsrat), § 24 GenG Rz. 11 (Vorstand); Schaffland, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 36 GenG Rz. 15 (Aufsichtsrat), § 24 GenG Rz. 26 (Vorstand). 33) Insoweit abw. Geschwandter/Helios, NZG 2006, 691, 694, die aus der Gesetzesbestimmung ableiten wollen, dass investierende Mitglieder auch in den Vorstand und dort sogar ohne Oberbegrenzung berufen werden können.

617

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

a)

Vorstand

aa) Zahl, Bestellung und Anstellung 10.19 Der Vorstand einer Genossenschaft hat aus mindestens zwei Personen zu bestehen (durch die Satzung nach oben abänderbar) und wird – worin sich der personalistische Charakter des Genossenschaftsrechts äußert – durch die Generalversammlung gewählt (§ 24 Abs. 2 Satz 1 GenG). Die Abberufung von Vorstandsmitgliedern ist entsprechend den allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsätzen jederzeit möglich (§ 24 Abs. 3 Satz 2 GenG). Die Satzung kann von diesen Regelungen abweichen und eine andere Art der Bestellung oder Abberufung vorsehen (§ 24 Abs. 2 Satz 2 GenG); dazu gehört auch die Zuweisung der Bestellungsoder Abberufungskompetenz an ein anderes Gesellschaftsorgan.34) Im Falle einer mitbestimmten Genossenschaft kann ein Arbeitsdirektor als Mitglied des Vorstands zu bestellen sein, der dann nicht Mitglied der Genossenschaft sein muss (dazu näher unten Rz. 10.25). 10.20 Wie auch im sonstigen Verbandsrecht kann neben die Bestellung auch ein Anstellungsvertrag treten (ausdrücklich § 24 Abs. 2 Satz 1 GenG: „besoldet oder unbesoldet“); die Vertretungszuständigkeit für den Abschluss des Anstellungsvertrages liegt freilich nach der allgemeinen Regelung des § 39 Abs. 1 Satz 1 GenG beim Aufsichtsrat. bb)

Aufgaben und Pflichten

10.21 Zentrale Aufgabe des Vorstands ist die Vertretung der Genossenschaft (§§ 24 Abs. 1 Satz 1, 26 GenG). Dabei ist, solange die Satzung nichts anderes bestimmt, von Gesamtvertretung auszugehen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 GenG); nur für die Passivvertretung der Gesellschaft ist wie auch sonst im Verbandsrecht ein einzelnes Organmitglied zuständig (§ 25 Abs. 1 Satz 3 GenG). Wie bei der Aktiengesellschaft wird eine „führungslose Genossenschaft“ – eine solche ohne Vorstand – durch den Aufsichtsrat vertreten (§ 24 Abs. 1 Satz 2 GenG). Anders als bei den Kapitalgesellschaften sieht das Genossenschaftsgesetz aber keine Pflicht zur Eintragung einer inländischen Geschäftsanschrift in das Genossenschaftsregister und – darauf aufbauend – eine Möglichkeit zur öffentlichen Zustellung an Genossenschaften vor (dazu oben Rz. 3.19c f.). Die Vorstandsmitglieder und der Umfang ihrer Vertretungsbefugnis sind zum Genossenschaftsregister anzumelden (§ 28 GenG), das eine dem Handelsregister entsprechende Publizität besitzt (§ 29 GenG). 10.22 Hinsichtlich der Geschäftsführung durch den Vorstand enthält das Gesetz nur relativ wenige Regelungen. Vor allen Dingen statuiert es insoweit den Grundsatz, dass der Vorstand die Genossenschaft „unter eigener Verantwortung“ zu ___________ 34) Geschwandter/Helios, NZG 2006, 691, 693 f.; Schaffland, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 24 GenG Rz. 38.

618

II. Genossenschaft )

führen hat (§ 27 Abs. 1 GenG).35) Anders als im Aktienrecht, dem die Formulierung im Übrigen entspricht (vgl. dort § 76 Abs. 1 AktG), ist es im Genossenschaftsrecht aber möglich, die Geschäftsführungsbefugnis in der Satzung zu beschränken (§ 27 Abs. 1 Satz 2 GenG), was aber – anders als im Vereinsrecht – keine Auswirkungen auf die Vertretungsbefugnis hat (§ 27 Abs. 2 GenG). Eine explizite Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis ergibt sich zudem aus § 49 GenG, durch den die Generalversammlung verpflichtet wird, Beschränkungen für die Kreditgewährung an denselben Schuldner festzulegen, die freilich nur interne Wirkung haben.36) Die Sorgfaltsstandards und die Haftung für Pflichtverletzungen sind in §§ 34 Abs. 1 und 2 GenG entsprechend den kapitalgesellschaftsrechtlichen Prinzipien geregelt.37) Das gilt auch insofern, als sich ein auf Schadenersatz in Anspruch genommenes Vorstandsmitglied entlasten muss.38) Hinsichtlich der sonstigen Pflichten des Vorstands normiert das Gesetz die Buch- 10.23 führungspflicht (§ 33 Abs. 1 Satz 1 GenG) sowie die Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses (§ 33 Abs. 1 Satz 2 GenG). Ganz entsprechend den kapitalgesellschaftsrechtlichen Regelungen ist der Vorstand einer Genossenschaft auch zur Verlustanzeige verpflichtet (hier bei Verlust der Hälfte des Gesamtbetrags der Geschäftsguthaben und der Rücklagen; § 33 Abs. 3 GenG) sowie zur Insolvenzantragstellung bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (§ 15a InsO [früher § 99 Abs. 1 GenG]); in dieser Lage unterliegt er auch dem Zahlungsverbot des § 99 (früher Abs. 2) GenG. Besonders erwähnt ist auch, dass der Vorstand zur Führung der Mitgliederliste verpflichtet ist (§ 30 Abs. 1 GenG) (zu dieser im Übrigen unten Rz. 10.43). b)

Aufsichtsrat

aa)

Zahl, Zusammensetzung und Bestellung

Soweit die Satzung keine höhere Zahl vorsieht, besteht der Aufsichtsrat der ein- 10.24 getragenen Genossenschaft aus drei Personen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 GenG), wobei das Amt des Aufsichtsratsmitglieds mit dem des Vorstandsmitglieds inkompa___________ 35) Ausf. zur Bindung des Vorstands an das Statut, die Geschäftsordnung, Geschäftsanweisung oder Beiräte siehe Beuthien, ZfgG 1975, 180. 36) RGZ 152, 273 = BlfG 1936, 988 = JW 1937, 683 m. Anm. Ruth (Rechtsfrage nur in der Anm. auf S. 685 erwähnt); Beuthien, § 49 GenG Rz. 3 f.; Cario, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 49 GenG Rz. 11; Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs (Fn. 22), § 49 GenG Rz. 6; zur möglichen Haftung bei Überschreitung der Kreditgrenzen KG NZG 1998, 189, 190 = ZfgG 50 (2000), 158 (Ludwig). 37) Zur Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat einer Genossenschaft wegen Nicht-Durchsetzung der Zeichnung weiterer Anteile und der daraus folgenden Pflichteinzahlung vor einer Insolvenz BGH ZIP 2004, 407 = DStR 2004, 513 = DB 2004, 534; zur Haftung des Vorstands für Kreditgewährung ohne bankübliche Sicherheiten BGH ZIP 2005, 981; zur Haftung wegen Kreditausreichung auf der Grundlage unzureichender Information BGH ZIP 2007, 322, 323 ff. 38) BGH ZIP 2007, 322, 325 f.

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§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

tibel ist (zu Einzelheiten und Ausnahmen § 37 GenG). Wie im Aktienrecht (oben Rz. 3.157) ist auch bei einer i. S. v. § 264d HGB kapitalmarktorientierten Genossenschaft ein „unabhängiger Finanzexperte“ zum Aufsichtsratsmitglied zu bestellen (§ 36 Abs. 4 GenG). 10.25 Unter den allgemeinen Voraussetzungen insbesondere hinsichtlich der Arbeitnehmerzahlen (zu diesen oben Rz. 3.159 ff.) unterliegt auch eine Genossenschaft den Regeln über die unternehmerische Mitbestimmung (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 DrittelbG; §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 6 Abs. 3 MitbestG; ausdrücklich verneint wird die Anwendbarkeit des Montan-Mitbestimmungsrechts auf Genossenschaften in § 1 Abs. 2 Montan-MitbestG). In diesem Fall muss die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder durch drei teilbar sein (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 DrittelbG), und der Aufsichtsrat muss mindestens zwei Sitzungen pro Kalenderjahr abhalten (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 Satz 4 DrittelbG). Im Geltungsbereich des MitbestG wird durch § 6 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 MitbestG das Wahlverfahren für Aufsichtsratsmitglieder modifiziert. § 6 Abs. 3 Satz 2 MitbestG dispensiert dabei ausdrücklich von den Voraussetzungen der Selbstorganschaft (§ 9 Abs. 2 GenG) für Aufsichtsratsmitglieder; eine entsprechende Regelung findet sich in § 33 Abs. 3 MitbestG für den Arbeitsdirektor als Mitglied des Vorstands. § 1 Abs. 3 DrittelbG erreicht mit einer allgemeinen Vorrangsregelung dasselbe Ergebnis. 10.26 Soweit diese Regelungen nicht greifen, werden die Aufsichtsratsmitglieder durch die Generalversammlung gewählt (§ 36 Abs. 1 Satz 1 GenG), und durch diese ist auch vor Ablauf der von Gesetzes wegen nicht begrenzten39) und daher durch die Satzung oder die Generalversammlung festlegbaren Amtszeit eine Abberufung möglich, freilich nur mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen (§ 36 Abs. 3 GenG). Die Zahlung einer Vergütung an Aufsichtsratsmitglieder ist zulässig, aber nur, solange es sich nicht um eine gewinnabhängige Vergütung (Tantieme) handelt (§ 36 Abs. 2 GenG); denn die Genossenschaft soll nicht selber Gewinne erzielen, sondern die wirtschaftliche Lage ihrer Mitglieder verbessern (siehe oben Rz. 10.2 f.).40) bb)

Aufgaben und Pflichten

10.27 Zentrale Pflicht des Aufsichtsrats in der Genossenschaft ist die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands (§ 38 Abs. 1 GenG). Die Satzung kann dem Aufsichtsrat darüber hinaus weitere Aufgaben zuweisen (§ 38 Abs. 3 GenG). Als zweite wesentliche Pflicht obliegt dem Aufsichtsrat die Vertretung der Ge___________ 39) Zur nicht entsprechenden Anwendbarkeit von § 102 Abs. 1 AktG (Höchstdauer 4 Jahre): BGHZ 4, 224, 227 = NJW 1952, 343, 344; zust. Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs (Fn. 22), § 36 GenG Rz. 14; Schaffland, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 36 GenG Rz. 42; a. A. Müller, GenG, Bd. 2 (2. Aufl. 1996), § 36 Rz. 34. 40) Kübler/Assmann, GesR, § 13 II 3 c; ebenso Schaffland, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 36 GenG Rz. 35, nach dem jedoch eine nachträgliche Sonderzahlung aufgrund des Ergebnisses zulässig ist.

620

II. Genossenschaft )

nossenschaft gegenüber dem Vorstand (§ 39 Abs. 1 Satz 1 GenG)41), die ergänzt wird um die „Sondervollmacht“ in Form der Möglichkeit einer vorläufigen Abberufung von Vorstandsmitgliedern bis zur Entscheidung der Generalversammlung und der Möglichkeit, das „Erforderliche zur Fortführung der Geschäfte“ zu veranlassen (§ 40 GenG). Hinsichtlich Sorgfaltsstandard und Haftung des Aufsichtsrats einer Genossenschaft verweist § 41 GenG auf die den Genossenschafts-Vorstand betreffende Norm des § 34 GenG. c)

Kleingenossenschaften

Neu eingeführt im Rahmen der Reform des Genossenschaftsrechts des Jahres 10.28 2006 hat der Gesetzgeber vereinfachte Regelungen für die Organisationsverfassung kleiner Genossenschaften; darunter versteht er Genossenschaften mit 20 oder weniger Mitgliedern (§ 9 Abs. 1 Satz 2 GenG).42) In solchen Klein-Genossenschaften kann durch Satzungsbestimmung auf die 10.29 Errichtung eines Aufsichtsrates verzichtet werden (§ 9 Abs. 1 Satz 2 GenG); die Rolle des Aufsichtsrats wird sodann von der Generalversammlung als „Ersatz“Aufsichtsrat wahrgenommen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 GenG). Für die Vertretung der Genossenschaft gegenüber dem Vorstand ist in diesen Fällen – einem allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz folgend (siehe oben Rz. 3.18) – ein besonderer Bevollmächtigter zu wählen, der nicht zwingend Mitglied der Genossenschaft zu sein braucht (§ 39 Abs. 1 Satz 2 GenG). Zudem muss innerhalb des Pflichtprüfungsverfahrens ein Mitglied bestimmt werden, das die Stelle des Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen des Verfahrens übernimmt (§ 57 Abs. 5 GenG). d)

Generalversammlung

Oberstes Willensbildungs- und Entscheidungsorgan der Genossenschaft ist – 10.30 anders als etwa in der Aktiengesellschaft – die Generalversammlung. aa)

Zuständigkeit

Nach dem Gesetz ist die Generalversammlung zuständig für die Wahl und die 10.31 Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat (§§ 24 Abs. 2 Satz 1, 36 Abs. 1, 48 Abs. 1 Satz 2 GenG);43) mit der Bestellungskompetenz auch hinsichtlich des Vorstands offenbart das Genossenschaftsrecht auch hier seinen – insbesondere im Vergleich zum Aktienrecht – deutlich personalistischeren Charakter. Weiter ist die Generalversammlung zuständig für die Feststellung des Jahresabschlusses ___________ 41) BGHZ 130, 108, 110 = ZIP 1995, 1331, 1332 f. = NJW 1995, 2559 = JZ 1996, 420 = EWiR § 39 GenG 1/95, 879 (Bayer); BGH ZIP 2005, 900 (gilt auch für ausgeschiedene Vorstandsmitglieder). 42) Ausführlich Geschwandtner/Wittenberg, BB 2008, 1748 ff. 43) Die Entlastung bedeute nach Auffassung des BGH auch im Genossenschaftsrecht keinen Verzicht auf Ersatzansprüche: BGH ZIP 2005, 981.

621

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

(§ 48 GenG), womit das Genossenschaftsrecht auch in diesem Punkt über das Aktienrecht hinausgeht. 10.32 Von erheblicher Bedeutung sind die Sonderregelungen für „Großgenossenschaften“, worunter das Gesetz solche mit mehr als 1500 Mitgliedern versteht. Hier ist nämlich die Generalversammlung durch eine „Vertreterversammlung“ ersetzbar (§ 43a Abs. 1 Satz 1 GenG) mit der Folge, dass die Generalversammlung kein zwingendes Organ jeder Genossenschaft ist (dazu bereits oben Rz. 10.17).44) Wegen der mit der Einführung einer Vertreterversammlung verbundenen „Entmündigung“ der Mitglieder sieht das Gesetz u. a. vor, dass die Zuständigkeit der Vertreterversammlung nicht zwingend auf alle Beschlussgegenstände der Generalversammlung erstreckt werden muss (§ 43a Abs. 1 Satz 1 GenG); darüber hinaus statuiert es eine ganze Reihe von Schutzbestimmungen für die „entrechteten“ Mitglieder bis hin zu der Möglichkeit, eine einmal eingeführte Vertreterverfassung in einem erleichterten Verfahren der Satzungsänderung wieder abzuschaffen (§ 43a Abs. 7 GenG).45) bb)

Einberufung, Teilnahme, Leitung und Beurkundung

10.33 Regelungen zur Einberufung der Generalversammlung und zur Beurkundung ihrer Beschlüsse müssen zwingend in der Satzung festgelegt werden (§ 6 Nr. 4 GenG). Eine notarielle Beurkundung ist dabei ebenfalls nicht erforderlich. Fehlt es an abweichenden satzungsmäßigen Vorgaben, erfolgt die Einberufung der Generalversammlung in jedem Falle durch den Vorstand (§ 44 Abs. 1 GenG), und zwar regelmäßig in den ersten sechs Monaten eines Geschäftsjahres zur Feststellung des Jahresabschlusses (§ 48 Abs. 1 Satz 3 GenG). Immer einzuberufen ist die Generalversammlung schließlich dann, wenn das Gesellschaftsinteresse es erfordert (§ 44 Abs. 2 GenG) sowie auf Verlangen von 10 % der Mitglieder oder eines etwa satzungsmäßig bestimmten kleineren Teils (§ 45 GenG). Mit dem Zwang zur Einberufung, „wenn dies im Interesse der Genossenschaft erforderlich erscheint“ (§ 44 Abs. 2 GenG), geht das Genossenschaftsrecht über das Aktienrecht (dazu oben Rz. 3.224 ff.) hinaus und begründet insoweit eine allgemeine oberste Zuständigkeit der Generalversammlung.46) Hinsichtlich Form und Frist der Einberufung und der erforderlichen Niederschrift stellt das Gesetz in §§ 46 und 47 GenG Mindestanforderungen auf. ___________ 44) Zur Unzulässigkeit der gebundenen Listen-(Mehrheits-)Wahl bei der Wahl der Vertreter BGHZ 83, 228, 232 f. = NJW 1982, 2558, 2560; zust. Müller, GenG, Bd. 3 (2. Aufl. 1998), § 43a Rz. 22a; im Übrigen ist die Listenwahl zulässig, wenn sie als Verhältniswahl ausgestaltet ist (d’Hondt’sches System), siehe dazu mit Beispiel Cario, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 43a Rz. 33 f., siehe dort auch zu den Grundsätzen der Wahl (Rz. 27 ff.) und zu den in der Praxis anzutreffenden Wahlordnungen (Rz. 39 ff.). 45) Kritisch hierzu Schaffland/Korte, NZG 2006, 253, 254. 46) Karsten Schmidt, GesR, § 41 II 2, S. 1271.

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II. Genossenschaft )

Der stark personalistische Charakter des Genossenschaftsrechts kommt hier 10.34 dadurch zum Ausdruck, dass nach § 43 Abs. 4 Satz 1 GenG das Stimmrecht in der Generalversammlung persönlich ausgeübt werden soll. Die Erteilung einer Vollmacht zur Stimmrechtsausübung ist aber gleichwohl möglich und bedarf dann der Schriftform; freilich wird der personalistische Bezug auch hierbei noch dadurch betont, dass ein Bevollmächtigter nur zwei andere Mitglieder vertreten kann (§ 43 Abs. 5 GenG). cc)

Beschlussfassung und Stimmrecht

Die Beschlussfassung in der Generalversammlung erfolgt grundsätzlich mit ein- 10.35 facher Stimmenmehrheit (§ 43 Abs. 2 Satz 1 GenG). Abgestimmt wird dabei „nach Köpfen“ (§ 43 Abs. 3 Satz 1 GenG). Von diesem Grundsatz kann die Satzung in Form der Einführung von (höchstens drei) Mehrstimmrechten nur begrenzt abweichen (§ 43 Abs. 3 Satz 2 und 3 GenG). Solche Mehrstimmrechte unterliegen allerdings strengen Begrenzungen: Sie sollen zunächst nur „Mitgliedern gewährt werden, die den Geschäftsbetrieb besonders fördern“ (§ 43 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 GenG). Die Größe der Kapitalbeteiligung der betreffenden Genossen ist mithin – zumindest nach dem Gesetz – gerade nicht entscheidend. Zudem gelten sie für bestimmte Beschlussgegenstände, insbesondere Satzungsänderungen und Beschlüsse über die Aufhebung oder Einschränkung der Bestimmungen der Satzung über Mehrstimmrechte, nicht (§ 43 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Satz 3 GenG). Für den Fall einer Beteiligung von Unternehmern als Mitgliedern an der Genossenschaft sieht das Gesetz demgegenüber heute geringere Schranken vor; hier wird auf eine Obergrenze für Mehrstimmrechte gänzlich verzichtet, sondern nur festgelegt, dass von einem einzelnen Mitglied Mehrstimmrechte in der Generalversammlung höchstens bis zu einem Zehntel der dort anwesenden Stimmen ausgeübt werden können (§ 43 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 GenG).47) Schließlich wird die Einräumung von Mehrstimmrechten an Genossenschaften als Mitglieder (bei „Zentralgenossenschaften“) noch weiter privilegiert (§ 43 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 GenG). Wie im Kapitalgesellschaftsrecht (dazu oben Rz. 3.262) sieht das Gesetz für bestimmte Fälle, in denen Interessenkollisionen zwischen dem Genossen und der Genossenschaft zu befürchten sind, einen Stimmrechtsausschluss vor (§ 43 Abs. 6 GenG). Durch Satzungsbestimmung kann in der Genossenschaft auch eine schriftliche oder elektronische Beschlussfassung eingeführt werden, die bis hin zur echten Internet-Generalversammlung gehen kann (§ 43 Abs. 7 GenG). Hinsichtlich der Anfechtungsklage enthält das Genossenschaftsrecht in § 51 10.36 GenG eine den aktienrechtlichen Vorschriften ähnliche Regelung.

___________ 47) Helios/Strieder, DB 2005, 2794, 2797; Schaffland/Korte, NZG 2006, 253, 254.

623

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

e)

Pflichtprüfung

10.37 Eine zentrale genossenschaftsrechtliche Besonderheit ist das Erfordernis einer Pflichtprüfung durch einen prüfberechtigten Prüfungsverband (§ 54 GenG). Die Mitgliedschaft in einem solchen Verband ist daher bereits Voraussetzung für die Gründung einer Genossenschaft (dazu oben Rz. 10.15) ebenso wie für deren Fortbestand; entfällt die Mitgliedschaft, erfolgt daher die Zwangsauflösung der Genossenschaft (§ 54a Abs. 2 Satz 1 GenG). Im Hinblick auf die dadurch tangierte negative Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) darf die Mitgliedschaft im Prüfungsverband aber nicht dazu missbraucht werden, dass dieser zugleich verbandspolitische Interessen wahrnimmt; tut der Verband dies gleichwohl, kann die Genossenschaft ihre Mitgliedschaft und damit den Umfang ihrer Beitragsverpflichtung auf die Pflichtprüfung reduzieren.48) Korrespondierend besteht ein Anspruch auf Aufnahme in einen Prüfungsverband.49) Für die rechtliche Struktur von Prüfverbänden enthält das Gesetz in §§ 63b, 63c GenG eine Reihe Vorgaben; insbesondere soll er als eingetragener Verein organisiert sein (§ 63b Abs. 1 GenG). Zudem unterliegen die Prüfungsverbände nach §§ 64 f. GenG staatlicher Aufsicht. 10.38 Die Prüfung der Genossenschaft durch den Prüfungsverband geht inhaltlich weit über eine bloße Prüfung des Rechenwerks hinaus, sondern umfasst auch die Einrichtungen der Genossenschaft, deren Vermögenslage und deren Geschäftsführung einschließlich der Führung der Mitgliederliste; stattzufinden hat die Prüfung in jedem zweiten Geschäftsjahr, bei einer Bilanzsumme von mehr als 2 Millionen Euro in jedem Geschäftsjahr (§ 53 Abs. 1 GenG). 10.39 Das Prüfverfahren ist in den §§ 55 ff. GenG detailliert geregelt. Dabei sind zunächst die Befangenheitsregeln (§ 55 GenG) und die Vorgaben zur Qualitätskontrolle der Prüfer (§§ 63e ff. GenG) an die entsprechenden Regelungen für den handelsrechtlichen Abschlussprüfer angelehnt. Über das Ergebnis der Prüfung ist eine Bescheinigung zum Genossenschaftsregister einzureichen. Zugleich ist der Prüfbericht zum Gegenstand der Beschlussfassung in der nächsten Generalversammlung zu machen (§ 59 Abs. 1 Satz 1 GenG); in das zusammengefasste Ergebnis des Prüfberichts hat jedes Mitglied der Genossenschaft ein Einsichtsrecht (§ 59 Abs. 1 Satz 2 GenG). In der Generalversammlung hat der Aufsichtsrat zum Prüfbericht Stellung zu beziehen (§ 59 Abs. 2 GenG); der Prüfverband ist berechtigt, an der Generalversammlung teilzunehmen (§ 59 Abs. 3 GenG). Darüber hinaus steht dem Prüfverband das Recht zu, eine außerordentliche Generalversammlung einzuberufen, wenn die Beschlussfassung über den Prüfbericht ___________ 48) BGHZ 105, 306, 309 f. = WM 1989, 184, 186 = ZIP 1989, 14, 16; BGHZ 130, 243, 251 = ZIP 1995, 1508, 1510 f. = NJW 1995, 2981, 2983; Kübler/Assmann, GesR, § 13 II 6 b; Karsten Schmidt, GesR, § 41 II 3 a, S. 1271 f. 49) BGHZ 37, 160 = WM 1962, 760; MünchHdb GmbH-Knof, Bd. 5 (2009), § 49 Rz. 55; Karsten Schmidt, GesR, § 41 II 3 a, S. 1272; ferner Bloehs, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs (Fn. 22), § 54 GenG Rz. 6 ff.; Cario, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 54 GenG Rz. 8 ff.

624

II. Genossenschaft )

verzögert wird oder die Generalversammlung über dessen Ergebnis nur unzulänglich informiert wurde (§ 60 Abs. 1 GenG). 4.

Mitgliedschaft

a)

Rechte und Pflichten

Zentrales mitgliedschaftliches Recht ist der Anspruch auf Nutzung der genossen- 10.40 schaftlichen Einrichtungen, dem die Pflicht zur Zahlung der entsprechenden Entgelte gegenübersteht; beides gehört zu den zentralen in der Satzung festzulegenden Gegenständen (§§ 16 Abs. 3, 18 GenG). Neben der auf der Satzung beruhenden Nutzungsmöglichkeit der Genossenschaftseinrichtungen kann – wie bereits angedeutet (oben Rz. 10.3) – auch eine durch allgemeines Vertragsrecht ausgestaltete Nutzungsmöglichkeit bestehen. Als Mitgliedspflicht kann die Pflicht zur Zahlung von Nutzungsentgelten und 10.41 wird typischerweise eine Pflicht zur Leistung einer Einlage bestehen (näher unten Rz. 10.57). Entsprechend kann neben den Nutzungsanspruch ein Anspruch auf Beteiligung am Gewinn (§§ 19 ff. GenG) treten, der im Allgemeinen (Ausnahmen in § 21a GenG) nicht in Form einer festen Verzinsung des Geschäftsguthabens bestehen darf (§ 21 GenG). Zur Gewinnermittlung hat der Vorstand einen Jahresabschluss aufzustellen (§ 242 i. V. m. § 336 Abs. 1 HGB), hinsichtlich dessen die Vorschriften für die Kapitalgesellschaften in erheblich modifizierter Form gelten (zu Einzelheiten §§ 336 ff. HGB). Einer Prüfung durch einen Abschlussprüfer bedarf es dabei im Hinblick auf die Prüfung durch den Prüfverband nicht. Die Satzung kann aber auch bestimmen, dass der Gewinn nicht verteilt, sondern der gesetzlichen Rücklage und (gegebenenfalls auch nur teilweise) anderen Ergebnisrücklagen zugeschrieben wird (§ 20 GenG). Informationsrechte des Mitglieds regelt das Gesetz nur in Ausnahmefällen ex- 10.42 plizit: So gewährt § 47 Abs. 4 GenG ein Recht auf Einsicht in das Beschlussprotokoll der Generalversammlung sowie auf die Erstellung von Abschriften dieses Protokolls, und § 48 Abs. 3 Satz 2 GenG gibt dem Mitglied einen Anspruch auf Abschrift des Jahresabschlusses, des Lageberichts und des Berichts des Aufsichtsrats. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 und Satz 2 GenG hat jedes Mitglied schließlich bei berechtigtem Interesse einen Anspruch auf Einsichtnahme in die Mitgliederliste sowie einen einschränkungslosen Anspruch auf Abschrift der ihn selbst betreffenden Eintragung aus dieser Liste. Neu eingeführt im Jahre 2006 wurde das Einsichtsrecht jedes Mitglieds in das zusammengefasste Ergebnis des Prüfberichts (§ 59 Abs. 1 Satz 2 GenG). Über diese speziell geregelten Fälle hinaus hat jedes Mitglied jedoch einen allgemeinen Informationsanspruch, der jedenfalls nicht hinter dem für das Aktienrecht in § 131 AktG definierten Mindeststandard zurückbleiben darf;50) ob das Informationsrecht andererseits ___________ 50) Müller, GenG, Bd. 3 (2. Aufl. 1998), § 43 Rz. 16 ff.; Schulte, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 18 GenG Rz. 10 sowie § 43 GenG Rz. 37.

625

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

so weit reicht, wie es § 51a GmbHG für die deutlich personalistischere GmbH mit der Möglichkeit eines auch außerhalb der Gesellschafterversammlung geltend machbaren Informationsrechts vorsieht, ist ungeklärt.51) b)

Erwerb und Übertragbarkeit

aa)

Erwerb

10.43 Die Mitgliedschaft wird in der Regel durch Beitritt erworben (sieht man von den seltenen Fällen der durch Beteiligung an der Gründung erworbenen Mitgliedschaft ab). Der Beitritt erfolgt durch eine schriftliche, unbedingte Beitrittserklärung (zum Inhalt § 15a GenG) und die Zulassung durch die Genossenschaft (§ 15 Abs. 1 Satz 1 GenG). Zuvor ist dem Neumitglied die Satzung in ihrer aktuellen Fassung auszuhändigen (§ 15 Abs. 1 Satz 2 GenG). Nach Annahme des Beitritts ist das Mitglied (deklaratorisch) in der Mitgliederliste einzutragen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 GenG), während der Beitrittsbewerber bei Ablehnung seines Beitrittsantrages unverzüglich zu benachrichtigen ist und ihm seine Erklärung zurückzugeben ist (§ 15 Abs. 2 Satz 2 GenG). 10.44 Seit der Neuordnung des Genossenschaftsrechts im Jahre 2006 können in der Satzung auch „investierende Mitglieder“ zugelassen werden (§§ 8 Abs. 2 Satz 1, 18 Satz 2 GenG). Damit soll den Genossenschaften die Möglichkeit gegeben werden, ihre Finanzkraft durch Aufnahme von Personen zu stärken, die an den Einrichtungen der Genossenschaften selbst nicht oder jedenfalls nicht primär interessiert sind; die Satzung muss freilich sicherstellen, dass die nur investierenden Mitglieder keinen maßgeblichen Einfluss auf das Innenleben der Genossenschaft haben (§ 8 Abs. 2 Satz 2 GenG). Vorbild für diese Regelung ist die gleichartige Regelung im Recht der Europäischen Genossenschaft (SCE), hinter der das nationale Genossenschaftsrecht nicht zurückbleiben soll. Über die satzungsmäßige Gestattung hinaus bedarf die Aufnahme eines investierenden Mitglieds immer auch der Zulassung durch die Generalversammlung oder – wenn die Satzung dies so vorsieht – jedenfalls durch den Aufsichtsrat im Einzelfall (§ 8 Abs. 2 Satz 3 GenG). bb)

Übertragbarkeit

10.45 Eine Übertragung der Mitgliedschaft insgesamt ist nach dem Genossenschaftsgesetz zwingend ausgeschlossen; möglich ist lediglich die Übertragung (und selbstverständlich auch Vererbung) des Geschäftsguthabens auf andere (gegebenenfalls neu beitretende) Mitglieder (§ 76 Abs. 1 GenG). 10.46 Möglich ist freilich eine Vererbung der Mitgliedschaft (§ 77 Abs. 1 Satz 1 GenG). Doch endet im gesetzlichen Normalfall auch die Mitgliedschaft der Erben am ___________ 51) Insoweit zurückhaltend und m. weit. Einzelheiten Beuthien, § 18 GenG Rz. 26 sowie § 43 GenG Rz. 17.

626

II. Genossenschaft )

Schluss des Geschäftsjahres, in dem der Erbfall eingetreten ist (§ 77 Abs. 1 Satz 2 GenG), wenn nicht – was möglich ist – die Satzung die Aufnahme der Erben auch als dauerhafte Mitglieder gestattet (§ 77 Abs. 2 GenG). Übertragung bzw. Vererbung der Mitgliedschaft sind in der Mitgliederliste zu 10.47 vermerken (§ 77 Abs. 3 i. V. m. § 79, § 77 Abs. 3 GenG). c)

Verlust

aa)

Austritt

Ein Austritt aus einer Genossenschaft durch Kündigung des Mitglieds ist nach 10.48 der gesetzlichen Regelung im Grundsatz jederzeit möglich (§ 65 Abs. 1 GenG). Das bildet einen zentralen Unterschied zum Kapitalgesellschaftsrecht, das nach seiner gesetzlichen Grundkonzeption einen Austritt gerade nicht vorsieht (dazu oben Rz. 4.82 f.). Die Kündigung hat im gesetzlichen Normalfall mit einer Frist von drei Monaten zum Ende des Geschäftsjahres zu erfolgen, die allerdings durch die Satzung auf bis zu fünf Jahre verlängerbar ist (§ 65 Abs. 2 GenG). Bei Unternehmer-Mitgliedern (i. S. v. § 14 BGB) kann die Satzung die Kündigungsfrist sogar bis auf zehn Jahre verlängern (§ 65 Abs. 2 Satz 3 GenG), während umgekehrt in Fällen der Unzumutbarkeit eine satzungsmäßige längere Frist auf zwei Jahre reduziert wird (§ 65 Abs. 3 GenG) – der Sache nach eine „Verbraucherschutz“-Regelung. Mit dem ausscheidenden Mitglied findet in der Folge eine Auseinandersetzung 10.49 statt (§ 73 Abs. 1 Satz 1 GenG), die im Allgemeinen durch Rückzahlung des Geschäftsguthabens vonstatten geht (§ 73 Abs. 2 Satz 2 GenG). Dies kann freilich, vor allen Dingen im Falle des gleichzeitigen Ausscheidens mehrerer Mitglieder, zu einem erheblichen Kapitalabfluss der Genossenschaft führen, weshalb das 2006 reformierte Genossenschaftsgesetz neben der Einführung eines „Mindestkapitals“ (dazu unten Rz. 10.57) die Möglichkeit einer „Streckung“ der Rückzahlung an ausscheidende Mitglieder in der Satzung vorsieht (§ 73 Abs. 4 GenG). Neben der Kündigung durch das Mitglied erlaubt § 66 GenG – ähnlich § 135 10.50 HGB im Personengesellschaftsrecht – eine Kündigung durch den Privatgläubiger eines Genossen, die nach § 66a GenG im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mitglieds auch von einem etwa in diesem bestellten Insolvenzverwalter ausgesprochen werden kann. Schließlich räumt § 67 GenG ein außerordentliches Kündigungsrecht für den Fall eines Wohnsitzwechsels ein, wenn die Mitgliedschaft an den Wohnsitz des Mitglieds in einem bestimmten Bezirk geknüpft ist. Zudem gewährt § 67a GenG ein außerordentliches Kündigungsrecht bei besonders schwerwiegenden Änderungen der Satzung. Mit dem in Jahr 2013 eingefügten § 67c GenG hat der Gesetzgeber schließlich die bisherige BGH-Judikatur52) ___________ 52) BGHZ 180, 185 Tz. 8 = ZIP 2009, 875 = NZI 2009, 374 = ZInsO 2009, 826; Emmert, ZInsO 2005, 852; Tetzlaff, ZInsO 2007, 590.

627

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

revidiert, nach der eine Kündigung bei einer Wohnungsbaugenossenschaft selbst dann nicht analog § 109 InsO ausgeschlossen war, wenn diese Kündigung die Beendigung eines Mietverhältnisses mit dem Schuldner zur Folge gehabt hätte; nunmehr gilt ein Kündigungsausschluss für den Fall, dass die Mitgliedschaft in der Genossenschaft Voraussetzung für die Nutzung der Wohnung des Mitglieds ist und das Geschäftsguthaben des Mitglieds nicht mehr als das Vierfache des monatlichen Nutzungsentgelts für die Wohnung beträgt; das ist der Sache nach eine Anlehnung an § 109 InsO.53) 10.51 In allen Fällen einer Kündigung ist, sofern nicht eine höhere Pflichtbeteiligung vorgeschrieben ist (dazu unten Rz. 10.55), auch die Kündigung eines einzelnen Geschäftsanteils möglich (§ 67b GenG). bb)

Ausschluss

10.52 Hinsichtlich des Ausschlusses von Mitgliedern enthält das Genossenschaftsgesetz keine inhaltlichen Regelungen. § 68 Abs. 1 Satz 1 GenG legt lediglich fest, dass die Gründe für den Ausschluss eines Mitglieds in der Satzung festgelegt sein müssen; darüber hinaus ist anerkannt, dass ein Ausschluss auch aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen zulässig sein kann.54) Materiell bedarf es in jedem Fall einer Störung des Förderzwecks durch ein schuldhaftes, gewichtiges Verhalten;55) daher kommt als Grund für einen Ausschluss etwa ein Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot in Betracht. Als weiterer Grund ist die wiederholte Nichtzahlung der satzungsmäßig vorgesehenen Beiträge oder die Nichterfüllung sonstiger genossenschaftlicher Pflichten denkbar.56) Schließlich kommt – wie im allgemeinen Gesellschaftsrecht auch (oben Rz. 4.88 ff.) – als Ausschlussgrund das Entfallen der statutarischen Voraussetzungen der Mitgliedschaft (etwa bei Geschäftsaufgabe) in Betracht.57) Der etwaige Ausschluss muss jedoch das genossenschaftliche Treueverhältnis der Genossenschaft zu ihren Mitgliedern berücksichtigen. Aufgrund der erheblichen wirtschaftlichen Nachteile, die das Mitglied infolge des Ausschlusses treffen können, muss in angemessener Weise auch dessen Interesse an der Mitgliedschaft in der Genossenschaft gegen das Ausschlussinteresse der Genossenschaft abgewogen werden.58) 10.53 Kündigung und Ausschluss sind schließlich in der Mitgliederliste einzutragen (§ 69 GenG). ___________ 53) Zu weiteren Einzelheiten Uhlenbruck/Hirte, § 11 InsO Rz. 207a. 54) Müller, GenG, Bd. 4 (2. Aufl. 2000), § 68 Rz. 12 f.; abw. Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/ Bloehs (Fn. 22), § 68 GenG Rz. 2. 55) Beuthien, § 68 GenG Rz. 6; Schulte, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 68 GenG Rz. 1. 56) Beuthien, § 68 GenG Rz. 8 (siehe dort auch zu zahlr. weit. Einzelfällen). 57) Beuthien, § 68 GenG Rz. 8; weitere Beispiele bei Müller, GenG, Bd. 4 (2. Aufl. 2000), § 68 Rz. 12 f. 58) Einzelheiten bei Müller, GenG, Bd. 4 (2. Aufl. 2000), § 68 Rz. 5c sowie 8.

628

II. Genossenschaft )

5. Finanzverfassung a) Geschäftsanteil und Geschäftsguthaben Die Finanzverfassung der Genossenschaft ist in erheblichem Umfang satzungs- 10.54 dispositiv. In der Satzung muss zunächst der maximale Beteiligungsumfang jedes Mitglieds („Geschäftsanteil“) festgelegt werden (§ 7 Nr. 1 GenG). Dafür sieht das Gesetz weder einen Mindest- noch einen Höchstbetrag vor. Hinsichtlich eines Teilbetrags von 1/10 des Geschäftsanteils muss die Satzung nach Betrag und Zeitpunkt darüber hinaus die Mindesteinzahlung festlegen (§ 7 Nr. 1 GenG); in weitergehendem Umfang kann sie es. Fehlen entsprechende Vorgaben in der Satzung, erfolgt die Fälligstellung der noch nicht eingezahlten Teile des Geschäftsanteils durch die Generalversammlung (§ 50 GenG). Die Satzung muss schließlich Bestimmungen über die Bildung einer gesetzlichen Rücklage enthalten (§ 7 Nr. 2 GenG; ähnlich § 150 AktG). Darüber hinaus kann die Satzung die Möglichkeit zur Beteiligung von Mitgliedern 10.55 mit mehr als einem Geschäftsanteil vorsehen (§ 7a Abs. 1 GenG). Sie kann andererseits die Mitglieder auch zur Beteiligung mit mehreren Geschäftsanteilen verpflichten, wobei sie zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verpflichtet ist (§ 7a Abs. 2 GenG: „Pflichtbeteiligung“). Besonders erwähnt das Gesetz in diesem Zusammenhang den Fall, dass sich die Beteiligung an der Genossenschaft nach dem Umfang der Inanspruchnahme der Einrichtungen der Genossenschaft richten soll. Schließlich kann – neu eingeführt durch die Genossenschaftsrechtsreform des Jahres 2006 – die Satzung auch Sacheinlagen auf den Geschäftsanteil zulassen (§ 7a Abs. 3 GenG). Die tatsächliche Beteiligung eines Mitglieds an der Genossenschaft, also der 10.56 Umfang der Mindesteinzahlung, bildet das Geschäftsguthaben; dieses ist Grundlage für die Beteiligung an Gewinn oder Verlust (§ 19 Abs. 1 GenG). b) „Kapitalverfassung“ der Genossenschaft Im Gegensatz zur Aktiengesellschaft und GmbH hat die Genossenschaft kein 10.57 Mindestkapital; vielmehr bestimmt sich das Kapital nach der Summe der – theoretisch jederzeit variierenden – Geschäftsanteile! Allerdings kann die Satzung seit der Genossenschaftsreform des Jahres 2006 ein Mindestkapital festsetzen, das aber nur die Funktion einer Ausschüttungssperre hat (§ 8a Abs. 1 GenG); die Gesellschafter sind also nicht verpflichtet, ein derartiges Kapital aufzubringen, sondern können nur ihre Abfindungsansprüche (vorläufig) nicht erfüllt erhalten, wenn das Kapital der Genossenschaft unter eine solche satzungsmäßig festgelegte Ziffer sinkt. Hintergrund ist, dass die frühere Regelung, die (theoretisch) einen jederzeitigen Abfluss des gesamten Kapitals gestattet hätte, einer Anerkennung des Genossenschaftskapitals als Eigenkapital i. S. v. IAS 32 im Wege gestanden hatte.59) ___________ 59) Beuthien, § 8a GenG Rz. 2; Helios/Strieder, DB 2005, 2794, 2797; Schaffland/Korte, NZG 2006, S. 253 f.

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§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

Schließlich kann die Satzung eine beschränkte oder unbeschränkte (interne) Nachschusspflicht festlegen (§ 6 Nr. 3 GenG), die in der Insolvenz der Genossenschaft vom Insolvenzverwalter durchgesetzt wird (Einzelheiten in §§ 105 ff. GenG).60) Die Satzung kann dabei nach § 87a Abs. 2 Satz 1 GenG auch die Generalversammlung ermächtigen, solche Nachschüsse im Krisenfall zu beschließen. Bei Festlegung einer beschränkten Nachschusspflicht darf die Haftsumme in der Satzung nicht niedriger als der Geschäftsanteil festgesetzt werden (§ 119 GenG). 10.58 Die „Kapitalaufbringung“ regelt das Genossenschaftsrecht im Übrigen nur rudimentär in § 22 Abs. 4 und 5 GenG in Form eines Erlass- und Aufrechnungsverbots; die „Kapitalerhaltung“ ist ähnlich dem Kapitalgesellschaftsrecht in § 22 Abs. 4 GenG normiert.61) 10.59 Vor allen Dingen im Zusammenhang mit Nachschusspflichten, aber auch für eine begrenzte Zeit nach dem Ausscheiden ist eine Haftung der Mitglieder möglich (ausdrücklich klargestellt in § 23 Abs. 1 GenG), die sich wie im Personengesellschaftsrecht (§ 130 HGB) auch auf die vor dem Eintritt des Mitglieds begründeten Verbindlichkeiten bezieht (§ 23 Abs. 2 GenG). 6.

Satzungs- und Strukturänderungen

10.60 Die Änderung der Satzung erfolgt durch Beschluss der Generalversammlung (§ 16 GenG). Für bestimmte, im Einzelnen aufgezählte Satzungsänderungen bedarf es dazu einer nicht nach unten abänderbaren Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen. Werden in der Satzung Regelungen über die Inanspruchnahme von Leistungen der Genossenschaft eingeführt oder verschärft, bedarf es zu den diese betreffenden Änderungen der Satzung einer Neunzehntel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 16 Abs. 3 Satz 1 GenG). Für sonstige Satzungsänderungen verlangt das Gesetz eine Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen, die freilich insoweit in jeder Richtung satzungsdispositiv ist (§ 16 Abs. 4 GenG). Die erfolgte Satzungsänderung ist schließlich in das Genossenschaftsregister einzutragen (§ 16 Abs. 6 GenG). 10.61 Bei Satzungsänderungen, die eine Verschlechterung der Finanzverfassung bewirken, sehen § 22 Abs. 1 und 2 GenG Regelungen zum Gläubigerschutz vor, die denjenigen bei einer Kapitalherabsetzung im Recht der Kapitalgesellschaften ähneln. ___________ 60) Dazu ausführlich OLG Schleswig-Holstein ZIP 2005, 617, 619; LG Lübeck ZInsO 2005, 271; Hirte, in: Festschrift für Uhlenbruck (2000), S. 637 ff.; Uhlenbruck/Hirte, § 35 InsO Rz. 350 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 41 III 4, S. 1275 f.; Terbrack, Die Insolvenz der eingetragenen Genossenschaft (1999), passim; zur Berechnung des Nachschusses auf der Grundlage der Handelsbilanz (keine insolvenzrechtliche Überschuldung erforderlich) BGH ZIP 2008, 2261 ff. 61) Zur Vereinbarkeit einer Ratenzahlungsvereinbarung bezüglich der geschuldeten Pflichteinlage mit § 22 Abs. 4 Satz 2 GenG (da keine „Kreditgewährung“) BGH ZIP 2009, 1318, 1319 Tz. 6 (i. c. war die Vereinbarung aber aus anderen Gründen unwirksam).

630

II. Genossenschaft )

Das Umwandlungsrecht trägt den Besonderheiten der Genossenschaft durch zahl- 10.62 reiche Sonderregelungen Rechnung (siehe zur Verschmelzung §§ 79 ff. UmwG, zur Spaltung §§ 147 f. UmwG, zum Formwechsel §§ 258 ff. UmwG). Hervorzuheben ist, dass hierbei immer ein Gutachten des Prüfverbandes erforderlich ist (§§ 81, 148 Abs. 2 Nr. 2, § 259 UmwG). 7.

Auflösung und Liquidation

In Bezug auf die Auflösung der Genossenschaft ergeben sich gewisse Besonder- 10.63 heiten (nur) bei den Auflösungsgründen. So ist zum einen eine Auflösung der Genossenschaft vorgesehen, wenn sie nur noch weniger als drei Mitglieder hat (§ 80 GenG). Schließlich normiert das Gesetz ausdrücklich und wie bei den anderen Kapitalgesellschaften (oben Rz. 7.11) die Möglichkeit einer Auflösung des Verbandes auf Antrag der obersten Landesbehörde bei Gefährdung des Gemeinwohls (§ 81 GenG); hinsichtlich der anderen, nicht wirtschaftlichen Verbände folgt eine deutlich engere Möglichkeit zur Auflösung aus dem allgemeinen (öffentlichen) Vereinsrecht (§ 3 Abs. 1 i. V. m. § 17 VereinsG). Auf die Auflösungsfolge bei Wegfall der Mitgliedschaft in einem Prüfungsverband wurde bereits hingewiesen (dazu oben Rz. 10.37). In Bezug auf die insolvenzbedingte Auflösung der Genossenschaft ist darauf 10.64 hinzuweisen, dass der Insolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) eingeschränkt ist, wenn und soweit die Mitglieder einer Nachschusspflicht unterliegen (§ 98 GenG). Im Übrigen regelt das Gesetz – wie schon angesprochen (oben Rz. 10.57 f.) – ausführlich die Einziehung eben dieser Nachschüsse in den § 105 ff. GenG.62) 8.

Genossenschaft als verbundenes Unternehmen

Gesetzlich praktisch nicht geregelt – und zwar weder im Genossenschaftsgesetz 10.65 noch in sonstigen Gesetzen – ist die Frage, ob und wie weit eine Genossenschaft Mitglied eines Unternehmensverbundes sein darf. Einigkeit besteht insoweit nur darüber, dass eine Verbundbildung dem Grunde nach nichts „Genossenschaftsfremdes“, sondern dem Genossenschaftswesen immanent ist.63) a)

Genossenschaft als herrschendes Unternehmen

Noch relativ eindeutig beantworten lässt sich die Frage, ob eine Genossenschaft 10.66 herrschendes Unternehmen einer Unternehmensgruppe sein darf64) – bzw. Beteili___________ 62) Dazu ausführlich Beuthien/Titze, ZIP 2002, 1116; Hirte, in: Festschrift für Uhlenbruck (2000), S. 637 ff.; Uhlenbruck/Hirte, § 35 InsO Rz. 350 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 41 III 4, S. 1275 f.; Terbrack (Fn. 60), passim. 63) Beuthien, § 1 GenG Rz. 105. 64) Beuthien, § 1 GenG Rz. 110; Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs (Fn. 22), § 1 GenG Rz. 57.

631

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

gungen an anderen Unternehmen erwerben darf.65) Denn dies wird von § 1 Abs. 2 GenG heute66) ausdrücklich klargestellt; Voraussetzung ist nur, dass sich die Beteiligung im Rahmen des Förderzwecks der „Mutter“ (§ 1 Abs. 1 GenG) bewegt67) oder – wenn dies nicht der Fall ist – dass sie einem „gemeinnützigen“ Nebenzweck dient.68) Diese gesetzlich formulierte Vorgabe entspricht dem allgemeinen kapitalgesellschaftsrechtlichen Prinzip, das sich ein Beteiligungserwerb im Rahmen der Satzung der Obergesellschaft bewegen muss (dazu oben Rz. 8.45) und dem allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz, dass – selbst wenn dieser Anforderung genügt ist – über Tochterunternehmen nicht der Kern der Unternehmenstätigkeit abgewickelt werden darf (zur Holding-Problematik oben Rz. 8.46). b)

Genossenschaft als abhängiges Unternehmen

10.67 Über die Zulässigkeit der Einbeziehung einer Genossenschaft als abhängiges Unternehmen in einen Vertragskonzern bestand demgegenüber lange Zeit Streit.69) Die Abhängigkeit der Genossenschaft wurde als Widerspruch zu ihrer auf Autonomie und Selbstverwaltung angelegten körperschaftlichen Gestaltung gesehen und für unvereinbar mit dem genossenschaftlichen Förderzweck gehalten.70) Inzwischen wird demgegenüber ein Beherrschungsvertrag mit einer Genossenschaft dann für zulässig gehalten, wenn die Weisungen i. S. v. § 308 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht mit dem Förderzweck der abhängigen Genossenschaft i. S. v. § 1 Abs. 1 GenG in Konflikt geraten.71) Die gleiche Messlatte wird auch für einen Gewinnabführungsvertrag angelegt.72) 10.68 Eine faktisch abhängige Genossenschaft lässt sich demgegenüber nur schwer vorstellen. Denn eine durch Stimmenmehrheit bedingte Abhängigkeit, wie sie § 16 Abs. 1 AktG als Grundlage für die Abhängigkeit eines Unternehmens voraussetzt, lässt sich angesichts der gesetzlichen Vorgaben, die die Zahl der Stimmen ___________ 65) Ausf. zur Zulässigkeit und den Grenzen der Beteiligung von Genossenschaften siehe Beuthien, § 1 GenG Rz. 88 ff.; Reul, Das Konzernrecht der Genossenschaften (1997), S. 61 ff. 66) Die Vorschrift räumt die Zweifel aus, die das OLG Hamburg in JW 1916, 870, 871 im Hinblick auf die frühere Gesetzeslage geäußert hatte. 67) Hierzu Beuthien, § 1 GenG Rz. 90; Müller, GenG, Bd. 1 (2. Aufl. 1991), § 1 Rz. 57 ff.; Schulte, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 1 GenG Rz. 94 ff. 68) Hierzu Beuthien, § 1 GenG Rz. 98; Müller, GenG, Bd. 1 (2. Aufl. 1991), § 1 Rz. 62; Schulte, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 1 GenG Rz. 98. 69) Siehe die „fünf Einwände“ gegen die Konzernfähigkeit der Genossenschaft bei Beuthien, § 1 GenG Rz. 84 f.; siehe auch Reul (Fn. 65), S. 166 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 41 II 5 b, S. 1273. 70) Dazu Beuthien, § 1 GenG Rz. 110; Schulte, in: Lang/Weidmüller (Fn. 4), § 1 GenG Rz. 106, nach denen der Gleichordnungskonzern dagegen zulässig sein soll, wenn Zweck der Genossenschaft und Entscheidungsfreiheit der Generalversammlung nicht beeinträchtigt werden. 71) Beuthien, § 1 GenG Rz. 118; Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs (Fn. 22), § 1 GenG Rz. 58; Reul (Fn. 65), S. 172. 72) Beuthien, § 1 GenG Rz. 124.

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III. Europäische Genossenschaft (SCE) )

in einer Hand mit Blick auf den personalistischen Charakter der Genossenschaft beschränken (dazu oben Rz. 10.35), schwer erreichen.73) Denkbar ist daher lediglich, dass eine faktische Abhängigkeit durch Stimmbindungsverträge (die in ihrer Zulässigkeit ihrerseits umstritten sind) oder ein Mitglied begünstigende Satzungsregelungen (gegebenenfalls im Zusammenspiel mit anderen Elementen) erreicht wird.74) III.

Europäische Genossenschaft (SCE)75)

1.

Historische Entwicklung und Begriff

Nach einem mehr als zehnjährigen Beratungsprozess hat der Rat der Europäi- 10.69 schen Union am 22. Juli 2003 das Statut für die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE)76) und eine Richtlinie über die Beteiligung der Arbeitnehmer77) verabschiedet. Seit dem Wirksamwerden der Verordnung zum 18. August 2006 (Art. 80 Satz 1 SCE-VO) ist die Europäische Genossenschaft als dritte supranationale Gesellschaftsform neben die bereits seit längerem existierende Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) und die zwischenzeitlich hinzugekommene Europäische Aktiengesellschaft (SE) getreten (zu Letzterer oben 1.51 ff.). Art. 1 Abs. 2 und 3 SCE-VO definiert die Europäische Genossenschaft als Gesell- 10.70 schaft, deren Grundkapital in Geschäftsanteile zerlegt und deren Hauptzweck darauf gerichtet ist, den Bedarf ihrer Mitglieder zu decken und/oder deren wirtschaftliche und/oder soziale Tätigkeit zu fördern. Somit muss der Verbandszweck auf eine solche Tätigkeit gerichtet sein. Ein Rechtsformzwang bei der Ausführung einer solchen Tätigkeit besteht andererseits nicht.78) Genossenschaftliche Zweckverbände, die sich einer supranationalen Rechtsform bedienen wollen, können sich daher auch als Europäische Aktiengesellschaft oder als Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung organisieren.79) Die Europäische Genossenschaft ist in ihrer Tätigkeit nicht auf eine wirtschaft- 10.71 liche Betätigung beschränkt. Vielmehr kann die Satzung den Unternehmenszweck auch auf die soziale Förderung ihrer Mitglieder ausrichten; hinter der ___________ 73) Beuthien, § 1 GenG Rz. 129; Karsten Schmidt, GesR, § 41 II 5 b, S. 1273. 74) Beuthien, § 1 GenG Rz. 130 ff. 75) Die Ausführungen dieses Abschnitts gehen in erheblichem Umfang zurück auf den Beitrag von Sebastian Mock, GPR 4/03-04, 213 ff.; ihm sei für sein Einverständnis mit der teilweisen Übernahme seines Textes gedankt; einführend im Übrigen El Mahi, DB 2004, 967 ff. 76) Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE), ABl. EG Nr. L 207 v. 18.8.2003, S. 1 ff. 77) Richtlinie 2003/72/EG des Rates vom 22. Juli 2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EG Nr. L 207 v. 18.8.2003, S. 25 ff. 78) Erwägungsgrund Nr. 20 SCE-VO. 79) Vgl. Blomeyer, ZfgG 37 (1987), 144 ff.; Müller-Gugenberger, NJW 1989, 1449 ff.

633

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

Formulierung „soziale Tätigkeiten“ in Art. 1 Abs. 3 Satz 1 SCE-VO steckt die „économie sociale“ i. S. d. französischen Genossenschaftsrechts. Damit sind von der weiten Formulierung des Förderzwecks sogar gemeinnützige, insbesondere karitative und allgemeinpolitische Einrichtungen erfasst.80) Hierfür steht möglicherweise bald schon zusätzlich der Europäische Verein (EuV) zur Verfügung.81) Auf italienischen Vorschlag hin eröffnet Art. 1 Abs. 4 SCE-VO überdies die Möglichkeit einer Beteiligung Dritter an der Genossenschaft in Form von „Kapitaleinlegergenossen“ (in Deutschland zugelassen durch § 4 SCEAG).82) Gestattet die Satzung der Europäischen Genossenschaft eine derartige Beteiligung, so kann die Geschäftsleitung auch das Nichtmitgliedergeschäft aufnehmen. Die Geschäftsleitung benötigt dabei vor allem keine weitere statutarische Ermächtigung und ist überdies nicht verpflichtet, die drittnützige Geschäftstätigkeit nur als Nebenzweck auszuführen. Die zumindest für das deutsche Genossenschaftsrecht charakteristische Beschränkung der Tätigkeit auf eine Mitgliederförderung besteht hier somit nicht. Nach Art. 1 Abs. 5 SCE-VO besitzt die Europäische Genossenschaft schließlich Rechtspersönlichkeit. 10.72 Das Zusammenspiel der Rechtsquellen bei der Europäischen Genossenschaft entspricht demjenigen bei der Europäischen Aktiengesellschaft. Neben die SCE-VO selbst treten daher die Regelungen des SCE-Ausführungsgesetzes (SCEAG) und – soweit der eine oder der andere Rechtsakt dies zulässt – der Satzung der einzelnen Genossenschaft (Art. 8 SCE-VO).83) 2.

Gründung

10.73 Art. 2 Abs. 1 SCE-VO i. V. m. §§ 5 ff. SCEAG bietet insgesamt fünf verschiedene Möglichkeiten der Gründung einer Europäischen Genossenschaft, deren gemeinsame Voraussetzung wie bei der Europäischen Aktiengesellschaft das Merkmal der Grenzüberschreitung ist; hiermit trägt die SCE-VO dem Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 5 EUV Rechnung. Über die schon von der Europäischen Aktiengesellschaft her bekannten Gründungsvarianten hinaus eröffnet die SCE-VO auch die Möglichkeit, eine Europäische Genossenschaft durch mindestens fünf natürliche Personen zu gründen, wenn deren Wohnsitz in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten gelegen ist.84) Andererseits sind für die Verschmelzungs- und die Umwandlungs-SCE nur einzelstaatliche Genossenschaften als Gründer zugelassen; daraus wird zugleich deutlich, dass diese die Hauptzielgruppe der neuen ___________ 80) Blomeyer, BB 2000, 1741, 1742. 81) Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Statut des Europäischen Vereins, ABl. EG Nr. C 236 v. 31.8.1993, S. 1 ff. 82) Vgl. Kesset, EuZW 1992, 475, 476. 83) Einzelheiten bei Mock, GPR 4/03-04, 213, 214. 84) Einzelheiten bei Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs (Fn. 22), Einf. GenG Rz. 20; Mock, GPR 4/03-04, 213, 214 f.

634

III. Europäische Genossenschaft (SCE) )

Rechtsform sind.85) In Bezug auf die Satzung, die Satzungsfreiheit und den Sitz einer Europäischen Genossenschaft ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber dem Recht der Europäischen Aktiengesellschaft. Einen gewissen Unterschied stellt freilich das Erfordernis dar, dass eine Europäische Genossenschaft ihrer Firma nicht nur den Rechtsformzusatz „SCE“, sondern bei ausgeschlossener Nachschusspflicht auch den Zusatz „mit beschränkter Haftung“ anfügen muss (Art. 1 Abs. 2 UA 3 Satz 2, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 SCE-VO). Die Europäische Genossenschaft entsteht schließlich mit ihrer Eintragung in das 10.74 in Art. 11 Abs. 1 SCE-VO genannte Register (Art. 18 Abs. 1 SCE-VO). 3.

Organisationsverfassung

Die Europäische Genossenschaft verfügt zunächst über eine Generalversammlung 10.75 (Art. 36a SCE-VO). Die Generalversammlung ist zuständig für die in der Verordnung oder der Richtlinie ausdrücklich geregelten Fragen (Art. 52 SCE-VO). Darüber hinaus beschließt sie in Angelegenheiten, für die die Generalversammlung einer Genossenschaft nach nationalem Recht zuständig ist. Bedeutsam für die Generalversammlung ist allerdings, dass diese in verkleinerter Form als Sektorund Sektionsversammlungen durchgeführt werden können; über das nationale deutsche Recht hinaus können diese Teilversammlungen nicht nur bei Großgenossenschaften (mehr als 500 Mitglieder), sondern auch dann eingeführt werden, wenn die SCE unterschiedliche Tätigkeiten betreibt oder sie ihrer Tätigkeit in mehr als einer Gebietseinheit nachgeht (Art. 63 SCE-VO, § 31 SCEAG). Entsprechend § 43a Abs. 7 GenG (für die Vertreterversammlung) entscheidet über deren Beseitigung die Generalversammlung (§ 31 Satz 2 SCEAG). Nach Art. 58 Abs. 1 SCE-VO steht das Recht, an der Generalversammlung 10.76 teilzunehmen und zu den einzelnen Tagungsordnungspunkten zu sprechen, jedem Mitglied zu. Eine persönliche Teilnahme ist aber nicht erforderlich (Art. 58 Abs. 3 SCE-VO). In der Generalversammlung hat jedes Mitglied grundsätzlich eine Stimme (Art. 59 Abs. 1 SCE-VO). Die Satzung kann dieses Prinzip allerdings einschränken und Mehrstimmrechte zulassen, soweit das Recht des Sitzstaates dies zulässt, wobei im Allgemeinen der Umfang der Kapitalbeteiligung nicht als Anknüpfungspunkt für ein Mehrstimmrecht gewählt werden darf (Art. 59 Abs. 2 SCE-VO; dazu im Übrigen oben Rz. 10.35). Deutschland hat in § 29 SCEAG von dieser Option Gebrauch gemacht und dabei die Grenzen des § 43 Abs. 3 Satz 3 GenG auch für die SCE für anwendbar erklärt. Einem Mitglied können dabei zudem nicht mehr als fünf Stimmen oder 20 % der gesamten Stimmrechte zugeteilt werden. Kapitaleinlegergenossen dürfen zusammen nicht mehr als 25 % der Stimmrechte erhalten (Art. 59 Abs. 3 SCE-VO).

___________ 85) El Mahi, DB 2004, 967, 968.

635

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

10.77 Bezüglich der Verwaltung eröffnet die SCE-VO das schon aus dem Recht der Europäischen Aktiengesellschaft bekannte Wahlrecht zwischen dualistischem und monistischem System (Artt. 36 b, 37 ff., 42 ff. SCE-VO; §§ 12 ff. SCEAG). Dabei gestattet § 12 SCEAG für Europäische Genossenschaften mit dualistischem System und Sitz in Deutschland, in der Satzung vorzusehen, dass die Mitglieder des Leitungsorgans von der Generalversammlung gewählt oder abberufen werden. Hinsichtlich der Vertretungsorgane gilt im Außenverhältnis der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht (Art. 47 Abs. 2 UA 1 SCE-VO) und im Falle der Bestellung mehrerer Personen im Zweifel Gesamtvertretung (Art. 47 Abs. 1 SCE-VO). Die Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder im Leitungsorgan – je nach gewählter Lösung – richtet sich nach der an die SERL angelehnten SCE-RL (Art. 1 Abs. 6 SCE-VO).86) In Deutschland wurde sie durch das gemeinsam mit dem SCEAG verkündete Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft (SCE-Beteiligungsgesetz – SCEBG) umgesetzt, das seinerseits dem SEBG nachgebildet ist. 4.

Mitgliedschaft

10.78 Die SCE-VO regelt nicht ausdrücklich, wer Mitglied einer Europäischen Genossenschaft sein kann. Der Kreis der möglichen Mitglieder folgt jedoch aus dem Kreis der möglichen Gründungsmitglieder des Art. 2 SCE-VO. a)

Rechte

10.79 Über die schon erwähnten Rechte zur Teilnahme an der Generalversammlung und zur Ausübung des Stimmrechts in ihr hinaus haben die Mitglieder der Europäischen Genossenschaft dort ein Informationsrecht (Art. 60 SCE-VO). Es umfasst für einen Zeitraum von zehn Tagen vor der Generalversammlung auch ein Einsichtsrecht in die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung mit Anlagen und den Lagebericht sowie die Ergebnisse der Rechnungsprüfung (Art. 60 Abs. 4 SCE-VO). b)

Pflichten

10.80 Eine Einlagepflicht für die Mitglieder wird von der SCE-VO selbst nicht normiert. Aufgrund der Bestimmungen über das Mindestkapital (Artt. 3 ff. SCE-VO) wird aber eine Einlagepflicht vorausgesetzt. Ungeschriebene Pflichten und Treuepflichten bestimmen sich nach nationalem Recht.

___________ 86) Siehe oben Fn. 77.

636

III. Europäische Genossenschaft (SCE) )

c)

Erwerb und Übertragbarkeit

Der Anteil an der Europäischen Genossenschaft wird auf den Namen des In- 10.81 habers ausgestellt (Art. 4 Abs. 3 SCE-VO) und kann unter den in der Satzung festgesetzten Bedingungen abgetreten oder veräußert werden. Da es sich bei der Europäischen Genossenschaft um eine Personenvereinigung handelt, kann für den Erwerb der Mitgliedschaft der Erwerb allein eines Kapitalanteils nicht ausreichen. Für den Erwerb der Mitgliedschaft bedarf es dabei nach Art. 14 SCE-VO der Zustimmung des Leitungs- oder Verwaltungsorgans. Im Falle einer Ablehnung kann Einspruch bei der Generalversammlung eingelegt werden. Handelt es sich um ein investierendes und nicht nutzendes Mitglied, bedarf der Erwerb der Mitgliedschaft der Zustimmung der Generalversammlung (Art. 14 Abs. 1 UA 2 Satz 2 SCE-VO). Sie wird mit einfacher Mehrheit erteilt (Art. 50 Abs. 1 b SCE-VO) und kann per Satzung auf ein anderes Organ übertragen werden. Der Sache nach handelt es sich bei dem Anteil an der Europäischen Genossenschaft daher um einen vinkulierten Namensanteil.87) d)

Verlust

Der Verlust der Mitgliedschaft erfolgt primär durch Austritt, dessen Vorausset- 10.82 zungen in erster Linie dem nationalen Recht zu entnehmen sind. Daneben gestattet Art. 15 Abs. 2 SCE-VO einen Austritt aus der Europäischen Genossenschaft, wenn das betreffende Mitglied gegen eine dort aufgeführte Satzungsänderung gestimmt hat und seinen Austritt innerhalb von zwei Monaten erklärt. Zudem kann die Mitgliedschaft durch Ausschluss beendet werden. Das Vorliegen eines Ausschlussgrundes (Art. 15 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich SCE-VO) wird vom Verwaltungs- oder Leitungsorgan geprüft. Die Entscheidung setzt eine vorherige Anhörung des betreffenden Mitglieds voraus und kann vor der Generalversammlung angefochten werden (Art. 15 Abs. 3 SCE-VO). Sieht die Satzung dies vor, kann die Mitgliedschaft auch unmittelbar auf ein anderes oder neu hinzutretendes Mitglied übertragen werden und dadurch enden (Art. 15 Abs. 1 dritter Spiegelstrich SCE-VO). Für den Fall des Austritts oder des Ausschlusses hat das betreffende Mitglied einen Anspruch auf Rückzahlung des Geschäftsguthabens, solange die nach Art. 3 Abs. 4 SCE-VO festzusetzende Kapitalziffer nicht unterschritten wird (Art. 16 SCE-VO). 5.

Finanzverfassung

Die Finanzverfassung der Europäischen Genossenschaft enthält zahlreiche kapi- 10.83 talbetonte Elemente, die vor allem dem Aktienrecht entnommen sind.

___________ 87) Luttermann, ZVglRWiss 93 (1994), 1, 16 f.

637

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

a)

Kapitalaufbringung und -erhaltung

10.84 Eine Europäische Genossenschaft muss zu Beginn über ein Mindestkapital von mindestens 30.000 Euro verfügen (Art. 3 Abs. 2 SCE-VO). Das weicht zentral von der nationalen Genossenschaft ab, bei der keinerlei Kapitalaufbringung erforderlich ist, bleibt aber andererseits noch hinter früheren Vorschlägen für ein Statut für die Europäische Genossenschaft zurück, die eine noch höhere Kapitalziffer vorgeschlagen hatten.88) Das Grundkapital ist entsprechend dem genossenschaftlichen Finanzierungskonzept veränderlich (ausdrücklich Art. 1 UA 2, Art. 3 Abs. 5 UA 1 SCE-VO), ohne dass dessen Veränderung eine Satzungsänderung darstellte (Art. 3 Abs. 5 UA 2 SCE-VO); das hat zur Folge, dass Kapitalveränderungen auch nicht bekannt gemacht werden müssen.89) 10.85 Für Einzelfragen der Kapitalaufbringung und -erhaltung wird im Gegensatz zum Recht der Europäischen Aktiengesellschaft nicht auf nationales Recht verwiesen (Art. 5 SE-VO; dazu oben Rz. 4.40). Vielmehr enthält die SCE-VO selbst eine Reihe von Regelungen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten aufgrund der fehlenden Anwendbarkeit der Zweiten Richtlinie auf das Recht der Genossenschaften nicht angeglichen sind. Die Bestimmungen sind dabei im Vergleich zum ursprünglichen Kommissionsentwurf erheblich erweitert worden (Einzelheiten in Art. 4 SCE-VO). 10.86 Das Kapital der Europäischen Genossenschaft ist – wie bei einer Aktiengesellschaft – in Anteile zerlegt (Art. 1 Abs. 2 SCE-VO). Damit fehlt der Europäischen Genossenschaft die für das deutsche Genossenschaftsrecht charakteristische Trennung zwischen Geschäftsanteil und Geschäftsguthaben; vielmehr weist sie aktienrechtliche Züge auf. Sie wird daher in Deutschland vor allem als Alternative zur „genossenschaftlichen Aktiengesellschaft“ fungieren können (zu dieser oben Rz. 10.3).90) 10.87 Nach Art. 64 SCE-VO kann die Europäische Genossenschaft auch Schuldverschreibungen und Wertpapiere ausgeben, die keine Geschäftsanteile sind. Die SCE-VO ordnet somit im Gegensatz zum Recht der Europäischen Aktiengesellschaft (dazu oben Rz. 5.32) und auch zu ursprünglichen Kommissionsentwürfen insoweit gerade nicht die Anwendung nationalen Rechts an. Ihr stehen damit deutlich weitergehende Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung als der nationalen Genossenschaft.91)

___________ 88) 89) 90) 91)

638

Luttermann, ZVglRWiss 93 (1994), 1, 12 f.; Einzelheiten bei Mock, GPR 4/03-04, 213, 218. El Mahi, DB 2004, 967, 971. Luttermann, ZVglRWiss 93 (1994), 1, 25 f.; Einzelheiten bei Mock, GPR 4/03-04, 213, 218. Dazu auch Blomeyer, BB 2000, 1741, 1743.

IV. Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG)

b)

Haftung

Nach Art. 1 Abs. 2 UA 3 SCE-VO haften die Mitglieder der Europäischen Ge- 10.88 nossenschaft nur bis zur Höhe ihres eingezahlten Geschäftsanteiles. Die Satzung kann jedoch eine von der beschränkten Haftung abweichende Regelung treffen. Somit kann insbesondere eine Nachschusspflicht für die Mitglieder angeordnet werden. Besteht für die Mitglieder eine beschränkte Haftung, muss der Firma der SCE der Zusatz „mit beschränkter Haftung“ angefügt werden (oben Rz. 10.73). Hinsichtlich Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz verweist Art. 72 SCE-VO auf das für nationale Genossenschaften anwendbare Recht. IV.

Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG)

1.

Grundlagen

Eine weitere Rechtsform mit nicht ganz unerheblicher Bedeutung, freilich nur 10.89 in einem einzigen Geschäftsfeld, bildet der „Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“ (VVaG). Rechtlich handelt es sich, wie § 15 VAG zum Ausdruck bringt, um einen Verein, dessen Zweck darauf ausgerichtet ist, die „Versicherung seiner Mitglieder nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit >zu@ betreiben“. Obwohl ihn das Gesetz damit primär als Verein beschreibt, hat der VVaG in Manchem genossenschaftsähnliche Züge,92) wie insbesondere die entsprechende Anwendung einiger genossenschaftsrechtlicher Vorschriften zeigt. Die Geschichte des VVaG geht bis ins Mittelalter zurück und wird mit den auf 10.90 freiwilligem Zusammenschluss beruhenden Gilden begründet, deren Mitglieder sich dazu verpflichtet hatten, einen durch Brand oder Schiffbruch entstandenen Vermögensschaden einzelner Mitglieder untereinander auszugleichen.93) In Deutschland wurde der erste überregionale Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit modernen Zuschnitts 1820 durch Ernst Wilhelm Arnoldi in Gotha gegründet, und zwar die „Gothaer Feuerversicherungsbank“.94) In der Folgezeit kam es in allen Versicherungssparten zu zahlreichen Neugründungen, so wurde z. B. 1827 die „Gothaer Lebensversicherungsbank“ gegründet. Die Entwicklung wurde zunächst im Wesentlichen allein von den Bedürfnissen der Praxis bestimmt. Seine erste gesetzliche Regelung als Rechtsform fand der VVaG erst mit dem „Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen“ (Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG) vom 12. Mai 190195), weswegen der VVaG auch als „Kind“ ___________ 92) Karsten Schmidt, GesR, § 42 I 1, S. 1279. 93) Weigel, in: Prölss, VAG (12. Aufl. 2005), § 15 Rz. 2; insoweit kritisch, als die damaligen Vertragsformen nicht den Begriff der Versicherung erfüllt haben, etwa Perdikas, ZVersWiss 55 (1966), 425, 426; ausf. zu den historischen Wurzeln des VVaG Benkel, Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (2002), S. 20 ff. 94) Peiner, VersW 1992, 920; Weigel, in: Prölss (Fn. 93), § 15 Rz. 2. 95) RGBl. I 1901, S. 139 (in Kraft getreten am 1.1.1902).

639

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

des Aufsichtsgesetzes bezeichnet wird.96) Der Regelungsstandort hat sich seither nicht verändert: das VAG unterscheidet den „großen VVaG“, der in dessen §§ 15 bis 52 geregelt ist, und den „kleineren VVaG“, der in §§ 53 und 53b verortet ist.97) 2.

Gründung

10.91 Die notariell zu beurkundende (§ 17 Abs. 2 VAG) Satzung regelt die Grundlagen der Verfassung des Vereins, soweit sich nicht aus den gesetzlichen Vorschriften ausdrückliche Vorgaben ergeben. Sie hat die Firma des Vereins festzulegen und seinen Sitz zu bestimmen (§ 18 Abs. 1 VAG), und sie soll Bestimmungen über den Beginn der Mitgliedschaft enthalten (§ 20 Satz 1 VAG). Zur Erlangung der Rechtsfähigkeit bedarf der Verein zudem der Erlaubnis der zuständigen Aufsichtsbehörde (dazu unten Rz. 10.96). 10.92 Obwohl nach der Konzeption des VVaG die Mitgliedschaft im Verein mit dem Bestehen eines Versicherungsverhältnisses mit diesem verknüpft ist (dazu näher unten Rz. 10.96), kann in der Satzung – ähnlich wie im Genossenschaftsrecht – gestattet werden, dass der Verein auch Versicherungsgeschäfte mit Dritten, freilich nur „gegen feste Entgelte“, betreibt (§ 21 Abs. 2 VAG). Bei „kleineren Vereinen“ dürfen freilich Versicherungen gegen festes Entgelt, ohne dass der Versicherungsnehmer Mitglied wird, nicht übernommen werden (§ 53 Abs. 1 Satz 2 VAG); unter „kleineren Vereinen“ versteht das Gesetz dabei solche, die „bestimmungsgemäß einen sachlich, örtlich oder dem Personenkreis nach eng begrenzten Wirkungskreis haben“ (§ 53 Abs. 1 Satz 1 VAG). 3.

Organisationsverfassung

10.93 Organe des VVaG sind der Vorstand, ein Aufsichtsrat und eine „oberste Vertretung“; hinsichtlich aller dieser Organe hat die Satzung zu bestimmen, wie diese zu bilden sind, und sie kann hinsichtlich der „obersten Vertretung“ auch entscheiden, ob diese als Versammlung der Mitglieder oder nur der Vertreter der Mitglieder (ähnlich § 43a GenG) ausgestaltet werden soll (§ 29 VAG). Allerdings ist die Begriffsbildung bezüglich der „obersten Vertretung“ insoweit missverständlich, als daraus nicht folgt, dass dieser eine Weisungsbefugnis gegenüber anderen Organen zustünde oder sie Aufgaben an sich ziehen könnte.98) Dies ist nach § 53 Abs. 2 VAG, § 40 BGB nur beim kleinen VVaG möglich. Hinsichtlich Vorstand und Aufsichtsrat verweist das Gesetz in großem Umfang auf die entsprechenden aktienrechtlichen Normen zu Vorstand und Aufsichtsrat (§§ 34 und 35 VAG), während es bezüglich der obersten Vertretung auf die aktienrechtlichen Vorschriften über die Hauptversammlung verweist (§ 36 VAG). ___________ 96) Reimer Schmidt, VersR 1954, 441. 97) Zur gesetzlichen Entwicklung des VVaG siehe Benkel (Fn. 93), S. 24 ff. 98) Karsten Schmidt, GesR, § 42 II 3 a, S. 1281.

640

IV. Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG)

4.

Mitgliedschaft

a)

Rechte und Pflichten

Das zentrale mitgliedschaftliche Recht ist der Anspruch auf Versicherungsschutz 10.94 seitens des Vereins, dem die Pflicht zur Zahlung von Beiträgen nach § 24 VAG gegenübersteht. Die das Versicherungsverhältnis betreffenden Satzungsbestimmungen unterliegen der Inhaltskontrolle; § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB greift insoweit nicht.99) Hinsichtlich dieser Beiträge muss die Satzung bestimmen, ob die Ausgaben durch einmalige oder wiederkehrende im Voraus zu erhebende Beiträge gedeckt werden, oder ob dies durch nachträglich – also je nach Schadenslage – zu erhebende Umlagen erfolgen soll (§ 24 Abs. 1 VAG). Sieht die Satzung eine Beitragserhebung im Vorhinein vor, so muss sie ferner festlegen, ob Nachschüsse möglich oder ausgeschlossen sind; sollen sie ausgeschlossen sein, so muss stattdessen bestimmt werden, ob im Falle nicht ausreichender Vereinsmittel die Versicherungsansprüche gekürzt werden dürfen (§ 24 Abs. 2 VAG). Hinsichtlich dieser Beiträge sieht § 26 VAG ein Aufrechnungsverbot vor, das demjenigen bei der Einlageleistung im Kapitalgesellschaftsrecht entspricht. Müssen Nachschüsse oder Umlagen im Insolvenzverfahren eingefordert werden, geschieht dies im Wesentlichen in Anwendung der genossenschaftsrechtlichen Regelungen (§ 52 VAG; zu den genossenschaftsrechtlichen Regelungen oben Rz. 10.57 f.). Darüber hinaus haben die Mitglieder einen Anspruch auf den „Überschuss“, der 10.95 sich aus der Bilanz ergibt, nachdem die nach der Satzung erforderliche Deckung der Verlustrücklage oder eventueller anderer Rücklagen erfolgt ist und soweit er nicht zur Verteilung von Vergütungen zu verwenden oder auf das nächste Geschäftsjahr zu übertragen ist (§ 38 Abs. 1 Satz 1 VAG). b)

Erwerb und Verlust

Als wirtschaftlicher Verein bedarf die Gründung eines VVaG nach § 22 Satz 1 10.96 BGB der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde; dementsprechend ordnet § 15 VAG an, dass ein VVaG dadurch Rechtsfähigkeit erlangt, dass ihm die Aufsichtsbehörde erlaubt, als „Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“ Geschäfte zu betreiben. Entsprechend dem Zweck des VVaG ist die Mitgliedschaft im Verein mit einem Versicherungsverhältnis mit eben diesem Verein verknüpft. Mitglied kann daher nur werden, wer ein Versicherungsverhältnis mit dem Verein begründet (§ 20 Satz 2 VAG), und entsprechend endet die Mitgliedschaft mit Beendigung des Versicherungsverhältnisses (§ 20 Satz 3 VAG).

___________ 99) BGHZ 136, 394, 396 = ZIP 1997, 2123 = NJW 1998, 454 = EWiR § 9 AGBG 1/98, 1 (Hensen).

641

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

5.

Finanzverfassung

10.97 Der VVaG muss zunächst – wie jede Versicherung – die allgemeinen aufsichtsrechtlichen Vorgaben des Versicherungsaufsichtsrechts hinsichtlich der Eigenkapitalausstattung beachten. Eine Besonderheit des VVaG ist die sich aus § 22 Abs. 1 VAG ergebende Verpflichtung, einen „Gründungsstock“ zu schaffen. Dieser Gründungsstock soll die Kosten der Vereinserrichtung decken und als Gewähr- und Betriebsstock dienen (§ 22 Abs. 1 Satz 1 VAG). Der Gründungsstock darf nur aus den Jahreseinnahmen getilgt werden, und auch dies nur so weit, wie die Verlustrücklage nach § 37 VAG (ähnlich der gesetzlichen Rücklage nach § 150 AktG) angewachsen ist (§ 22 Abs. 4 VAG). Neumitglieder, die nicht zu den Gründern zählen, brauchen sich aber in aller Regel nicht an diesem Garantiekapital zu beteiligen; entsprechend werden sie bei ihrem Ausscheiden aber auch nicht aus diesem Kapital abgefunden.100) 6.

Satzungs- und Strukturänderungen

10.98 Für Satzungsänderungen ist nach § 39 VAG die oberste Vertretung zuständig; die Entscheidung bedarf zwingend einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen, wenn ein Versicherungszweig aufgegeben oder ein neuer eingeführt werden soll, im Übrigen, wenn die Satzung dies vorsieht (§ 39 Abs. 4 VAG). 10.99 Die für den VVaG spezifische Verbindung von Mitgliedschaft und Versicherungsanspruch hat zur Folge, dass die allgemeinen umwandlungsrechtlichen Regelungen nur eingeschränkt auf den VVaG übertragen werden können.101) Sie hat zu einer im Verhältnis zur Bedeutung des VVaG sehr ausführlichen Regelung der Umwandlungsvorgänge von VVaG im Umwandlungsgesetz geführt.102) Danach kann ein VVaG nur mit einem anderen VVaG oder durch Aufnahme in eine Versicherungs-Aktiengesellschaft verschmolzen werden (§ 109 UmwG); durch Formwechsel kann ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, sofern er nicht zu den „kleinen“ i. S. v. § 53 VAG gehört, nur in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden (§ 291 UmwG). Bei der Spaltung kommt nur eine Aufspaltung oder Abspaltung in Betracht und zudem nur in der Weise, dass die Teile eines übertragenden Vereins auf andere bestehende oder neue VVaG oder auf VersicherungsAktiengesellschaften übergehen; zudem ist aus dem genannten Grunde eine Ausgliederung von Vermögensteilen eines VVaG nur auf eine GmbH und nur dann möglich, wenn damit keine Übertragung von Versicherungsverhältnissen verbunden ist (§ 151 UmwG). 10.100 Als ein ganz zentral auf VVaG und Versicherungs-Aktiengesellschaften zugeschnittener besonderer Umwandlungsvorgang ist aber die Vermögensübertragung ___________ 100) Karsten Schmidt, GesR, § 42 I 2 a, S. 1279. 101) Karsten Schmidt, GesR, § 42 II 5, S. 1282. 102) Karsten Schmidt, GesR, § 42 II 5, S. 1282.

642

IV. Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG)

nach §§ 174 f., 178 ff. UmwG zu nennen (siehe § 175 Nr. 2 UmwG; zu sonstigen Anwendungsfällen oben Rz. 6.203). Sie erlaubt eine Übertragung des Vermögens als Ganzes unter Auflösung ohne Abwicklung auf einen anderen bestehenden Rechtsträger gegen Gewährung einer Gegenleistung an die Anteilsinhaber des bestehenden Rechtsträgers, die nicht in Anteilen oder Mitgliedschaften besteht, sondern etwa und vor allem in Geld, der Sache also einen Verkauf des gesamten Versicherungsbestands. Ein VVaG kann dabei sowohl Quelle wie Ziel einer solchen Vermögensübertragung sein. Der Tatsache, dass die Verträge mit den Versicherungsnehmern den Kern der 10.101 Unternehmenstätigkeit eines VVaG ausmachen, trägt das Gesetz auch durch die Sonderregelung des § 44 VAG Rechnung. Danach bedürfen Verträge, durch die der Versicherungsbestand des Vereins ganz oder teilweise auf ein anderes Unternehmen übertragen werden soll („Bestandsübertragung“), in jedem Fall einer Zustimmung der obersten Vertretung mit qualifizierter Mehrheit.103) Das gilt unabhängig von einer Umwandlung des Rechtsträgers durch eine formelle Umwandlungsmaßnahme (wie nach §§ 178 ff. UmwG) und bestätigt letztlich den Ansatz der „Holzmüller“-Rechtsprechung des BGH (dazu oben Rz. 3.224 ff.). In mehreren Entscheidungen hatten sich das Bundesverfassungsgericht und das 10.102 Bundesverwaltungsgericht mit der Stellung von Gläubigern – konkret: Versicherungsnehmern – bei solchen übertragenden Umwandlungen zu befassen. Das Recht des individuellen Gläubigers nach § 415 BGB, seine Zustimmung zum Wechsel des Schuldners zu erteilen, ist hier ausgeschlossen. Deren Interessen werden im Versicherungsrecht stattdessen teilweise durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin; zum Zeitpunkt der Maßnahme noch durch die Vorgängerbehörde „Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen „[BAV]) in Form öffentlich-rechtlicher Kontrolle von Unternehmensumstrukturierungen nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) wahrgenommen. Ansatz der Kontrolle war in beiden Fällen die Genehmigungsfähigkeit der Übertragung eines Teils bestehender Versicherungsverträge auf ein anderes Unternehmen. Im ersten Fall hatte ein Versicherungsunternehmen seinen gesamten Versicherungsbestand auf eine 100 %ige Tochtergesellschaft übertragen. Mit übertragen wurden 98,88 % der zur Bedeckung dienenden Aktiva. Der Kläger, ein von der Übertragung betroffener Versicherungsnehmer, wandte sich gegen die Genehmigung der Bestandsübertragung durch das BAV mit der Begründung, sein vertragliches Recht auf Überschussbeteiligung werde verletzt, da die Übertragung der Aktiva nicht zu 100 % erfolgte und damit die Gewinnaussichten gegenüber dem neuen, aufgezwungenen Vertragspartner gemindert seien. Die Rechtsverletzung würde noch dadurch verstärkt, dass sich hinter dem zurückbehaltenen Aktiva-Buchwert stille Reserven in erheblichem Umfang verbergen. Vor allem würde sie auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich das übertragende Unternehmen im Widerspruchsverfahren verpflichtete, die Versicherten bei der Veräußerung bestimmter, zurückgehaltener Werte zu beteiligen. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klage jedoch als unbegründet ab: Das BAV habe im Genehmigungsverfahren nur zu prüfen, dass bei der Bestandsübertragung die Belange der Versicherten dergestalt gewahrt bleiben, dass keine unan-

___________ 103) Hierzu Ebert, VersR 2003, 1211, 1212 ff.

643

§ 10 Nicht-kapitalistische Körperschaften

gemessene Verschlechterung ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Situation eintritt. Das schließe eine unwesentliche Verschlechterung nicht grundsätzlich aus, soweit sie bei einer Gesamtabwägung der beteiligten Interessen als gerechtfertigt erscheint. Eine ins Gewicht fallende Verschlechterung der Situation des Klägers sei hier aber zu verneinen gewesen.104) Dem widersprach das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen unter Verweis auf Art. 14 GG; von Verfassungs wegen erforderlich sei vielmehr eine positive Kontrolle, dass die Bedingungen der Bestandsübertragung „angemessen“ seien.105) 10.103 Ganz ähnlich wurde in einem anderen Fall ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) im Wege der übertragenden Umwandlung in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Voraussetzung dafür war nach dem seinerzeit darauf anwendbaren § 44b Abs. 4 VAG, dass die Aktiengesellschaft, die das Vermögen des Vereins übernimmt, dafür ein „angemessenes Entgelt“ zu entrichten hat (entspricht dem heutigen § 181 Abs. 1 UmwG). Bei der auch hier erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigung wurde es vom Bundesverwaltungsgericht als unbedenklich angesehen, dass die erbrachte Gegenleistung die stillen Reserven des Vereins nicht berücksichtigte.106) Auch hier hielt das Bundesverfassungsgericht die aufsichtsrechtliche Regelung, die keine volle Überprüfung der Angemessenheit der Gegenleistung vorsieht, wegen Verstoßes gegen Art. 14 GG für verfassungswidrig.107) 10.104 In einem weiteren Falle hatte ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) den von einer Bestandsübertragung betroffenen, ausscheidenden Mitgliedern eine „Restmitgliedschaft“ im Verein eingeräumt. Diese sollte vor allem Rechte am Vereinsvermögen bei der Vereinsauflösung bzw. anderen Strukturmaßnahmen beinhalten, sofern dann der übertragene Versicherungsvertrag noch ununterbrochen fortbesteht – womit letztlich den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die anderen Vorgehensweisen Rechnung getragen werden sollte. Das BVerwG akzeptierte dies und wies vor allem den Einwand zurück, dass mit dieser Regelung die verbleibenden Vereinsmitglieder des VVaG unangemessen benachteiligt würden. Denn die ausscheidenden Mitglieder würden nur so gestellt, wie sie stünden, wenn keine Bestandsübertragung stattgefunden hätte. Mithin ändere sich dadurch auch die Rechtsstellung der verbleibenden Mitglieder nicht; denn auch sie würden so behandelt, wie wenn es keine Übertragung gegeben hätte.108)

7.

VVaG als verbundenes Unternehmen

10.105 Vom VAG nicht ausdrücklich angesprochen ist die Behandlung des VVaG als verbundenes Unternehmen. Die Problematik hat allerdings eine im Verhältnis zur zahlenmäßigen Bedeutung des VVaG große Aufmerksamkeit erfahren, weil ___________ 104) BVerwG (Urt. v. 11.1.1994 – 1 A 72.89 (BAV)), BVerwGE 95, 25 (Deutscher Herold) = ZIP 1994, 705 = NJW 1994, 2561. 105) BVerfGE 114, 1 = VersR 2005, 1109, 1120 sub C I. 2 b) der Gründe = NJW 2005, 2363 = WM 2005, 1505 = EWiR § 14 VAG 1/2005, 647 (Schwintowski). 106) BVerwGE 100, 115 = NJW 1996, 2521 und BVerwG VersR 1996, 569 (R+V Lebensversicherung). 107) BVerfGE 114, 1 = VersR 2005, 1109, 1123 sub C.II. der Gründe = NJW 2005, 2363 = WM 2005, 1505 = EWiR § 14 VAG 1/2005, 647 (Schwintowski). 108) BVerwG (Urt. v. 21.12.1993 – 1 A 35.91 (BAV)), BVerwGE 95, 8 (Vereinigte Haftpflicht Versicherung) = ZIP 1994, 709 = NJW 1994, 2559 = EWiR § 44 VAG 1/94, 501 (Littbarski).

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IV. Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG)

das Versicherungsrecht in seinen aufsichtsrechtlichen Bestimmungen für Lebensund Krankenversicherungen den Grundsatz der Spartentrennung vorschreibt (§ 8 Abs. 1a VAG), nach dem ein Versicherungsunternehmen für den Betrieb jedes einzelnen Versicherungszweiges eine gesonderte Gesellschaft zu gründen hat; die dadurch entstehenden Schwestergesellschaften dürften konzernrechtlich aber als Gleichordnungskonzern i. S. v. § 18 Abs. 2 AktG anzusehen sein.109)

___________ 109) Karsten Schmidt, GesR, § 42 II 4, S. 1282 m. w. N.

645

Anhang: Anspruchsgrundlagen im Aktien- und GmbH-Recht Die Darstellung beschränkt sich – bewusst – auf die spezifisch gesellschaftsrechtlich kodifizierten Anspruchsgrundlagen; speziell geregelte Materien wie etwa die kapitalmarktrechtlichen Ansprüche sind nicht erfasst. Hingewiesen sei daneben an dieser Stelle aber auf § 823 Abs. 2 BGB, in dessen Rahmen eine Vielzahl von Schutzgesetzen, vor allem die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO, Bedeutung erlangen kann, sowie auf § 826 BGB. Die Anspruchsgrundlagen sind zunächst nach Anspruchsgegner, dann nach Anspruchsziel sortiert. Generell gilt, dass jegliche Behandlung der Gesellschafter seitens der Gesellschaft grundsätzlich gleichberechtigt zu erfolgen hat (§ 53a AktG). Dies kann sich – oftmals mittelbar – im Rahmen geltend zu machender Ansprüche einzelner Gesellschafter niederschlagen. Die Geltendmachung bestehender Ansprüche erfolgt zudem häufig in dem Wege, dass gefasste Beschlüsse angegriffen werden, ihr Bestehen also nur im Rahmen von inzidenten Prüfungen von Bedeutung ist. Insbesondere bei Organstreitigkeiten ist darüber hinaus die Frage, ob es sich im Rechtssinne um einklagbare Ansprüche handelt, oftmals umstritten und daher pauschal nicht zu beantworten. Schließlich können sich selbstverständlich – ggf. sehr relevante – Anspruchsgrundlagen aus Verträgen (insbesondere dem Anstellungsvertrag) oder der Satzung/dem Gesellschaftsvertrag ergeben (in manchen Fällen lässt das Gesetz solche Regelungen ausdrücklich zu: etwa die Möglichkeit eines Aktienumwandlungsverlangens nach § 24 AktG, die Möglichkeit von Nebenverpflichtungen der Aktionäre nach § 55 AktG oder die durch § 26 GmbHG zugelassene gesellschaftsvertragliche Nachschusspflicht). Wichtigere Anspruchsgrundlagen sind zwecks besserer Übersichtlichkeit fett gesetzt. Ansprüche gegen die Gesellschaft Vermögensrechte         

§ 58 Abs. 4 AktG § 71d S. 6 AktG § 73 Abs. 3 S. 1 AktG § 73 Abs. 4 AktG i. V. m. § 226 Abs. 3 S. 6 AktG § 74 S. 1 AktG § 75 Halbs. 2 AktG § 186 Abs. 1 S. 1 AktG § 203 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 186 Abs. 1 S. 1 AktG § 212 S. 1 AktG

647

Anhang

   

§ 214 Abs. 3 S. 2 AktG i. V. m. § 226 Abs. 3 S. 6 AktG § 226 Abs. 3 S. 6 AktG § 221 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 186 Abs. 1 S. 1 AktG § 229 Abs. 3 AktG i. V. m. § 226 Abs. 3 S. 6 AktG

 

§ 29 Abs. 1 S. 1 GmbHG § 57j S. 1 GmbHG

Den Ansprüchen nach § 58 Abs. 4 AktG, § 29 Abs. 1 S. 1 GmbHG bzw. den entsprechenden Gewinnverwendungsbeschlüssen entspricht im Rahmen der Liquidation der Verteilungsanspruch nach § 271 Abs. 1 AktG, § 72 S. 1 GmbHG. Ansprüche auf Auskunft, Mitteilung etc.            

§ 67 Abs. 6 S. 1 AktG, ggf. i. V. m. § 67 Abs. 7 AktG (für Zwischenscheine) § 175 Abs. 2 S. 2 AktG § 175 Abs. 2 S. 3 AktG i. V. m. S. 2 AktG § 175 Abs. 3 S. 1 AktG i. V. m. § 175 Abs. 2 S. 2 AktG § 175 Abs. 3 S. 1 AktG i. V. m. § 175 Abs. 2 S. 3 und 2 AktG § 179a Abs. 2 S. 2 AktG § 209 Abs. 6 AktG i. V. m. § 175 Abs. 2 S. 2 AktG § 293f Abs. 2 AktG § 293g Abs. 3 AktG § 295 Abs. 2 S. 3 AktG § 297 Abs. 2 S. 2 AktG i. V. m. § 295 Abs. 2 S. 3 AktG § 327c Abs. 4 AktG

Ansprüche auf Schadenersatz     

§ 148 Abs. 6 S. 2 AktG (Kostenerstattung) § 148 Abs. 6 S. 5 AktG (Kostenerstattung) § 246a Abs. 4 S. 1 AktG § 249 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 246a Abs. 4 S. 1 AktG § 255 Abs. 3 AktG i. V. m. § 246a Abs. 4 S. 1 AktG



§ 75 Abs. 2 GmbHG i. V. m. § 246a Abs. 4 S. 1 AktG (str.)

Ansprüche auf Ersatz von Auslagen und Vergütungsansprüche      

648

§ 35 Abs. 3 S. 1 AktG § 52 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 35 Abs. 3 S. 1 AktG § 85 Abs. 3 S. 1 AktG § 104 Abs. 6 S. 1 AktG § 142 Abs. 6 S. 1 AktG § 147 Abs. 2 S. 5 AktG

Anspruchsgrundlagen im Aktien- und GmbH-Recht

       

§ 183 Abs. 3 S. 2 AktG i. V. m. § 35 Abs. 3 S. 1 AktG § 183a Abs. 4 AktG i. V. m. § 35 Abs. 3 S. 1 AktG § 194 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 35 Abs. 3 S. 1 AktG § 194 Abs. 5 AktG i. V. m. §§ 183a Abs. 4, 35 Abs. 3 S. 1 AktG § 205 Abs. 5 S. 1 AktG i. V. m. § 35 Abs. 3 S. 1 AktG § 206 S. 2 AktG i. V. m. § 35 Abs. 3 S. 1 AktG § 265 Abs. 4 S. 1 AktG § 293c Abs. 1 S. 5 AktG i. V. m. § 318 Abs. 5 S. 1 HGB

Ansprüche auf Sicherheitsleistung 

§ 225 Abs. 1 S. 1 AktG

Ansprüche gegen die Gesellschafter Ansprüche auf Einlageleistung                

§ 46 Abs. 1 S. 3 AktG, ggf. i. V. m. § 46 Abs. 5 S. 1 AktG für denjenigen, für dessen Rechnung Aktien übernommen wurden § 53 AktG i. V. m. § 46 Abs. 1 S. 3 AktG, ggf. i. V. m. § 46 Abs. 5 S. 1 AktG für denjenigen, für dessen Rechnung Aktien übernommen wurden § 54 Abs. 1 AktG § 65 Abs. 1 S. 1 AktG, ggf. i. V. m. § 67 Abs. 7 AktG (für Zwischenscheine) § 271 Abs. 3 S. 2 AktG § 277 Abs. 3 AktG § 9 Abs. 1 S. 1 GmbHG § 9a Abs. 1 GmbHG, ggf. i. V. m. § 9a Abs. 4 S. 1 GmbHG, wenn die Gesellschaftsanteile für Rechnung anderer Personen übernommen wurden. § 14 S. 1 GmbHG § 16 Abs. 2 GmbHG § 20 GmbHG § 22 Abs. 1 GmbHG § 24 S. 1 GmbHG § 28 Abs. 1 S. 1 GmbHG i. V. m. § 22 Abs. 1 GmbHG § 56 Abs. 2 GmbHG i. V. m. § 9 Abs. 1 S. 1 GmbHG § 77 Abs. 3 GmbHG

Ansprüche auf Auskunft, Mitteilung etc.    

§ 67 Abs. 1 S. 2 AktG, ggf. i. V. m. § 67 Abs. 7 AktG (für Zwischenscheine) § 67 Abs. 4 S. 2 AktG, ggf. i. V. m. § 67 Abs. 7 AktG (für Zwischenscheine) § 67 Abs. 4 S. 3 AktG, ggf. i. V. m. § 67 Abs. 7 AktG (für Zwischenscheine) § 183 Abs. 3 S. 2 AktG i. V. m. § 35 Abs. 1 AktG

649

Anhang

   

§ 183a Abs. 4 AktG i. V. m. § 35 Abs. 1 AktG § 194 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 35 Abs. 1 AktG § 194 Abs. 5 AktG i. V. m. §§ 183a Abs. 4, 35 Abs. 1 AktG § 205 Abs. 5 S. 1 AktG i. V. m. § 35 Abs. 1 AktG

Ansprüche auf Schadenersatz             

§ 46 Abs. 1 S. 1 AktG, ggf. i. V. m. § 46 Abs. 5 S. 1 AktG für denjenigen, für dessen Rechnung Aktien übernommen wurden § 46 Abs. 1 S. 3 AktG, ggf. i. V. m. § 46 Abs. 5 S. 1 AktG für denjenigen, für dessen Rechnung Aktien übernommen wurden § 46 Abs. 2 AktG, ggf. i. V. m. § 46 Abs. 5 S. 1 AktG für denjenigen, für dessen Rechnung Aktien übernommen wurden § 46 Abs. 3 AktG, ggf. i. V. m. § 46 Abs. 5 S. 1 AktG für denjenigen, für dessen Rechnung Aktien übernommen wurden § 53 AktG i. V. m. § 46 Abs. 1 S. 1 AktG, ggf. i. V. m. § 46 Abs. 5 S. 1 AktG für denjenigen, für dessen Rechnung Aktien übernommen wurden § 53 AktG i. V. m. § 46 Abs. 1 S. 3 AktG, ggf. i. V. m. § 46 Abs. 5 S. 1 AktG für denjenigen, für dessen Rechnung Aktien übernommen wurden § 53 AktG i. V. m. § 46 Abs. 2 AktG, ggf. i. V. m. § 46 Abs. 5 S. 1 AktG für denjenigen, für dessen Rechnung Aktien übernommen wurden § 53 AktG i. V. m. § 46 Abs. 3 AktG, ggf. i. V. m. § 46 Abs. 5 S. 1 AktG für denjenigen, für dessen Rechnung Aktien übernommen wurden § 63 Abs. 2 S. 1 AktG (Zinsen als pauschalierter Schadenersatz) § 64 Abs. 4 S. 2 AktG § 6 Abs. 5 GmbHG § 9a Abs. 1 GmbHG, ggf. i. V. m. § 9a Abs. 4 S. 1 GmbHG, wenn die Gesellschaftsanteile für Rechnung anderer Personen übernommen wurden. § 9a Abs. 2 GmbHG, ggf. i. V. m. § 9a Abs. 4 S. 1 GmbHG, wenn die Gesellschaftsanteile für Rechnung anderer Personen übernommen wurden.

Ansprüche auf Rückgewähr empfangener Leistungen  

§ 62 Abs. 1 S. 1 AktG § 71d S. 5 AktG

 

§ 31 Abs. 1 GmbHG § 31 Abs. 3 S. 1 GmbHG

Ansprüche gegen Geschäftsleiter Organpflichten   650

§ 83 Abs. 1 S. 1 AktG § 83 Abs. 1 S. 2 AktG

Anspruchsgrundlagen im Aktien- und GmbH-Recht

       

§ 83 Abs. 2 AktG § 88 Abs. 2 S. 2 AktG § 122 Abs. 1 S. 1 AktG § 122 Abs. 2 S. 1 AktG § 122 Abs. 3 S. 1 AktG § 131 Abs. 5 AktG § 145 Abs. 1 AktG § 258 Abs. 5 S. 1 AktG i. V. m. § 145 Abs. 1 AktG

 

§ 50 Abs. 1 GmbHG § 50 Abs. 2 GmbHG

Ansprüche auf Auskunft, Mitteilung etc.                      

§ 90 Abs. 1 AktG § 90 Abs. 3 AktG § 125 Abs. 1 AktG § 125 Abs. 2 AktG § 125 Abs. 3 AktG § 125 Abs. 4 AktG § 126 Abs. 1 AktG, ggf. i. V. m. § 127 AktG § 131 Abs. 1 S. 1 AktG § 131 Abs. 1 S. 3 AktG § 131 Abs. 4 S. 1 AktG § 145 Abs. 2 AktG § 145 Abs. 6 S. 4 AktG § 176 Abs. 1 S. 1 AktG § 186 Abs. 4 S. 2 AktG § 203 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 186 Abs. 4 S. 2 AktG § 203 Abs. 2 S. 2 AktG i. V. m. § 186 Abs. 4 S. 2 AktG § 204 Abs. 3 S. 2 AktG i. V. m. § 186 Abs. 4 S. 2 AktG § 209 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 320 Abs. 1 S. 1 HGB § 209 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 320 Abs. 2 S. 1 HGB § 221 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 186 Abs. 4 S. 2 AktG § 258 Abs. 5 S. 1 AktG i. V. m. § 145 Abs. 2 AktG § 259 Abs. 1 S. 2 AktG i. V. m. § 145 Abs. 6 S. 4 AktG

   

§ 51a Abs. 1 GmbHG § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 90 Abs. 3 AktG § 57f Abs. 3 S. 2 GmbHG i. V. m. § 320 Abs. 1 S. 1 HGB § 57f Abs. 3 S. 2 GmbHG i. V. m. § 320 Abs. 2 S. 1 HGB

651

Anhang

Ansprüche auf Schadenersatz

  

§ 48 AktG § 56 Abs. 4 AktG § 88 Abs. 2 S. 1 AktG § 93 Abs. 2 S. 1 AktG, ggf. i. V. m. Abs. 3, ggf. i. V. m. Abs. 3 Nr. 6, § 92 Abs. 2 AktG § 117 Abs. 2 S. 1 AktG, ggf. i. V. m. § 117 Abs. 5 S. 1 AktG (strittig, ob eigener Anspruch oder Prozessstandschaft) § 310 Abs. 1 S. 1 AktG § 318 Abs. 1 S. 1 AktG § 323 Abs. 1 S. 2 AktG i. V. m. § 310 Abs. 1 S. 1 AktG

      

§ 9a Abs. 1 GmbHG § 31 Abs. 6 S. 1 GmbHG § 40 Abs. 3 GmbHG § 43 Abs. 2 GmbHG § 57 Abs. 4 GmbHG i. V. m. § 9a Abs. 1 GmbHG § 64 S. 1 GmbHG § 64 S. 3 GmbHG

    

Rückgewähransprüche  

§ 89 Abs. 5 AktG i. V. m. Abs. 1 § 89 Abs. 5 AktG i. V. m. Abs. 4

Die Vorschriften über Vorstände (AG) und Geschäftsführer (GmbH) sind gemäß § 94 AktG bzw. § 44 GmbHG auf ihre Vertreter entsprechend anwendbar. Ebenso gelten sie nach § 268 Abs. 2 AktG auch für die Abwickler. Gegen diese richten sich darüber hinaus die speziellen Ansprüche nach § 271 Abs. 1 AktG bzw. § 72 S. 1 GmbHG (Vermögensverteilung) sowie nach § 74 Abs. 3 S. 1 GmbHG (Anspruch auf Einsicht) und § 73 Abs. 3 S. 1 GmbHG (Ersatz verbotswidrig verteilter Beträge); sie entsprechen den gegen die werbende Gesellschaft bzw. ihre Geschäftsleiter bestehenden Ansprüchen nach § 58 Abs. 4 AktG bzw. § 29 Abs. 1 S. 1 GmbHG, § 131 Abs. 1 AktG bzw. § 51a GmbHG und § 93 Abs. 2 S. 1 AktG i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6, § 92 Abs. 2 AktG bzw. § 64 S. 1 oder S. 3 GmbHG. Im Rahmen der KGaA finden nach § 283 Nr. 3 AktG die Vorschriften über die Sorgfaltspflicht, vor allem aber über die Verantwortlichkeit des Vorstands auf die persönlich haftenden Gesellschafter ebenfalls Anwendung. Diese trifft darüber hinaus u. U. die besondere Schadenersatzpflicht nach § 284 Abs. 2 S. 1 AktG.

652

Anspruchsgrundlagen im Aktien- und GmbH-Recht

Ansprüche gegen Mitglieder des Aufsichtsrats Organpflichten 

§ 110 Abs. 1 S. 1 AktG



§ 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 110 Abs. 1 S. 1 AktG

Ansprüche auf Auskunft, Mitteilung etc.      

§ 90 Abs. 5 AktG § 107 Abs. 2 S. 4 AktG § 107 Abs. 3 S. 4 AktG § 145 Abs. 2 AktG § 170 Abs. 3 S. 1 AktG § 258 Abs. 5 S. 1 AktG i. V. m. § 145 Abs. 2 AktG

 

§ 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 90 Abs. 5 AktG § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 170 Abs. 3 S. 1 AktG

Ansprüche auf Schadenersatz    

§ 48 AktG § 116 AktG i. V. m. § 93 AktG mit Ausnahme des Abs. 2 S. 3 § 310 Abs. 1 S. 1 AktG § 318 Abs. 2 AktG



§ 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. §§ 116, 93 Abs. 1 und 2 S. 1 und 2 AktG

Ansprüche auf Rückgewähr   

§ 114 Abs. 2 S. 1 AktG § 115 Abs. 4 AktG i. V. m. Abs. 1 § 115 Abs. 4 AktG i. V. m. Abs. 3



§ 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 114 Abs. 2 S. 1 AktG

Ansprüche gegen die vor Eintragung der Gesellschaft Handelnden 

§ 41 Abs. 1 S. 2 AktG



§ 11 Abs. 2 GmbHG

Ansprüche gegen den Empfänger von Gründungsaufwand Schadenersatzansprüche  

§ 47 Nr. 1 AktG § 53 i. V. m. § 47 Nr. 1 AktG

653

Anhang

Ansprüche gegen die Gründer Ansprüche auf Auskunft, Mitteilung etc.   

§ 35 Abs. 1 AktG § 52 Abs. 4 S. 2 i. V. m. § 35 Abs. 1 AktG § 206 S. 2 AktG i. V. m. § 35 Abs. 1 AktG

Ansprüche gegen Gründungs-, Sonder-, Abschluss- und Vertragsprüfer Ansprüche auf Auskunft, Mitteilung etc.   

§ 145 Abs. 6 S. 1 AktG § 209 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 321 Abs. 1 S. 1 HGB § 259 Abs. 1 S. 2 AktG i. V. m. § 145 Abs. 6 S. 1 AktG



§ 57f Abs. 3 S. 2 GmbHG i. V. m. § 321 Abs. 1 S. 1 HGB

Schadenersatzansprüche       

§ 49 AktG i. V. m. § 323 HGB § 53 AktG i. V. m. § 49 AktG i. V. m. § 323 HGB § 144 AktG i. V. m. § 323 Abs. 1 S. 3 HGB § 206 S. 2 AktG i. V. m. § 49 AktG, § 323 HGB § 209 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 323 HGB § 258 Abs. 5 S. 1 AktG i. V. m. § 323 HGB § 293d Abs. 2 S. 1 AktG i. V. m. § 323 HGB



§ 57f Abs. 3 S. 2 GmbHG i. V. m. § 323 HGB

Ansprüche gegen Aktienausgeber Schadenersatzansprüche        

654

§ 8 Abs. 2 S. 3 AktG § 8 Abs. 3 S. 4 AktG i. V. m. § 8 Abs. 2 S. 3 AktG § 10 Abs. 4 S. 2 AktG § 41 Abs. 4 S. 3 AktG § 191 S. 3 AktG § 197 S. 4 AktG § 203 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 191 S. 3 AktG § 204 Abs. 3 S. 2 AktG i. V. m. § 191 S. 3 AktG

Anspruchsgrundlagen im Aktien- und GmbH-Recht

Ansprüche gegen „Depotbanken“ (an der Verwahrung mitwirkende Kreditinstitute) Ansprüche auf Auskunft, Mitteilung etc.  § 67 Abs. 4 S. 1 AktG, ggf. i. V. m. § 67 Abs. 7 AktG (für Zwischenscheine)  § 128 Abs. 1 S. 1 AktG  § 135 Abs. 2 AktG  § 135 Abs. 3 S. 2 AktG  § 135 Abs. 4 S. 1 AktG  § 135 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 135 Abs. 3 S. 2 AktG Im Hinblick auf die Ansprüche nach § 135 AktG ist zu beachten: Sie gelten sinngemäß auch für „Aktionärsvereinigungen und für Personen, die sich geschäftsmäßig gegenüber Aktionären zur Ausübung des Stimmrechts in der Hauptversammlung erbieten (vgl. § 135 Abs. 8 AktG)“. Nach § 135 Abs. 10 AktG i. V. m. § 125 Abs. 5 AktG sind den Kreditinstituten die „Finanzdienstleistungsinstitute und die nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 7 des Gesetzes über das Kreditwesen tätigen Unternehmen […] gleichgestellt.“ Schadenersatzansprüche 

§ 37 Abs. 1 S. 4 AktG

Vermischtes 

§ 67 Abs. 4 S. 5 AktG, ggf. i. V. m. § 67 Abs. 7 AktG (für Zwischenscheine)

Ansprüche gegen das Gericht Eintragungsanspruch 

§ 38 AktG (öffentlich-rechtlicher Anspruch)



§ 7 GmbHG bzw. § 9c GmbHG (öffentlich-rechtlicher Anspruch)

Vermischtes         

§ 85 Abs. 1 S. 1 AktG (öffentlich-rechtlicher Anspruch) § 142 Abs. 2 S. 1 AktG § 142 Abs. 4 S. 1 AktG § 183a Abs. 3 S. 1 AktG § 194 Abs. 5 AktG i. V. m. § 183a Abs. 3 S. 1 AktG § 205 Abs. 5 S. 2 AktG i. V. m. § 183a Abs. 3 S. 1 AktG § 258 Abs. 1 S. 1 AktG § 265 Abs. 3 AktG § 315 S. 1 AktG

 

§ 66 Abs. 2 GmbHG § 66 Abs. 3 S. 1 GmbHG 655

Anhang

Ansprüche gegen verbundene Unternehmen und andere Gesellschafter Vermögensrechte    

§ 302 Abs. 1 AktG § 302 Abs. 2 AktG § 304 Abs. 1 AktG § 305 Abs. 1 AktG

Ansprüche auf Auskunft, Mitteilung etc.   

§ 22 AktG § 145 Abs. 3 AktG i. V. m. § 145 Abs. 2 AktG § 258 Abs. 5 S. 1 AktG i. V. m. § 145 Abs. 3, Abs. 2 AktG

Ansprüche auf Schadenersatz  

§ 317 Abs. 1 S. 1 AktG § 317 Abs. 1 S. 2 AktG

Ansprüche auf Sicherheitsleistung 

§ 303 Abs. 1 S. 1 AktG

Ansprüche gegen die gesetzlichen Vertreter eines herrschenden Unternehmens Ansprüche auf Schadenersatz  

§ 309 Abs. 2 S. 1 AktG, ggf. i. V. m. § 309 Abs. 4 S. 1 oder S. 3 AktG § 317 Abs. 3 AktG

Ansprüche gegen das Hauptunternehmen nach Eingliederung Ansprüche auf Auskunft, Mitteilung etc.   

§ 319 Abs. 3 S. 2 AktG § 319 Abs. 3 S. 5 AktG § 326 AktG

Ansprüche auf Verlustausgleich 

§ 324 Abs. 3 AktG

Ansprüche auf Sicherheitsleistung 

§ 321 Abs. 1 S. 1 AktG

Vermischtes    656

§ 320b Abs. 1 S. 1 AktG § 322 Abs. 1 AktG i. V. m. mit der jeweiligen Verbindlichkeit § 327 Abs. 4 S. 1 AktG i. V. m. mit der jeweiligen Verbindlichkeit

Anspruchsgrundlagen im Aktien- und GmbH-Recht

Ansprüche gegen sonstige Personen Schadenersatz        

§ 47 Nr. 2 AktG § 47 Nr. 3 AktG § 53 AktG i. V. m. § 47 Nr. 2 AktG § 53 AktG i. V. m. § 47 Nr. 3 AktG § 117 Abs. 1 S. 1 AktG, ggf. i. V. m. § 117 Abs. 5 S. 1 AktG (strittig, ob eigener Anspruch oder Prozessstandschaft) § 117 Abs. 1 S. 2 AktG, ggf. i. V. m. § 117 Abs. 5 S. 1 AktG (strittig, ob eigener Anspruch oder Prozessstandschaft) § 117 Abs. 3 AktG, ggf. i. V. m. § 117 Abs. 5 S. 1 AktG (strittig, ob eigener Anspruch oder Prozessstandschaft) § 146 S. 2 AktG

Rückgewähransprüche    

§ 89 Abs. 5 AktG i. V. m. Abs. 2 § 89 Abs. 5 AktG i. V. m. Abs. 3 § 89 Abs. 5 AktG i. V. m. Abs. 4 § 115 Abs. 4 AktG i. V. m. Abs. 2

Übersicht über in Aktien- und GmbH-Recht parallel normierte Anspruchsgrundlagen Neben den hier aufgeführten Anspruchsgrundlagen sind weitere gesetzlich normierte Anspruchsgrundlagen im Wege ihrer analogen Anwendung sowohl auf Aktiengesellschaften als auch auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung anwendbar. Dies wird hier jedoch nicht dargestellt. AktG

GmbHG

§ 38 (öffentlich-rechtlicher Anspruch) § 7 bzw. § 9c (öffentlich-rechtlicher Anspruch) § 46 § 9a Abs. 1; § 9a Abs. 2; § 9a Abs. 4 S. 1 § 41 Abs. 1 S. 2 § 11 Abs. 2 § 54 Abs. 2 § 14 S. 1 § 63 Abs. 2 S. 1 § 20 § 65 Abs. 1 S. 1 § 22 Abs. 1 § 58 Abs. 4 § 29 Abs. 1 S. 1 § 62 Abs. 1 S. 1 § 31 Abs. 1 § 93 Abs. 2 S. 1 § 43 Abs. 2

657

Anhang

§ 94 i. V. m. den Vorschriften über die Vorstände (Vertreterhaftung) § 122 Abs. 1 S. 1 § 122 Abs. 2 S. 1 § 122 Abs. 3 S. 1 § 131 Abs. 1 § 90 Abs. 3 § 90 Abs. 5 § 110 Abs. 1 S. 1 § 114 Abs. 2 S. 1 § 116 i. V. m. § 93 mit Ausnahme des Abs. 2 S. 3 § 170 Abs. 3 S. 1 § 209 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 320 Abs. 1 S. 1 HGB § 209 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 320 Abs. 2 S. 1 HGB § 209 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 321 Abs. 1 S. 1 HGB § 209 Abs. 4 S. 2 AktG i. V. m. § 323 HGB § 212 S.1 § 217 Abs. 1 § 225 Abs. 1 S. 1 § 93 Abs. 3 Nr. 6 i. V. m. § 92 Abs. 2 S. 1 § 93 Abs. 3 Nr. 6 i. V. m. § 92 Abs. 2 S. 3 § 265 Abs. 3 § 265 Abs. 3 § 271 Abs. 1 § 277 Abs. 3

658

§ 44 i. V. m. den Vorschriften über die Geschäftsführer (Vertreterhaftung) § 50 Abs. 1 § 50 Abs. 2 § 50 Abs. 3 S. 1 § 51a Abs. 1 § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 90 Abs. 3 AktG § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 90 Abs. 5 AktG § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 110 Abs. 1 S. 1 AktG § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 114 Abs. 2 S. 1 AktG § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. §§ 116, 93 Abs. 1 und 2 S. 1 und 2 AktG § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 170 Abs. 3 S. 1 AktG § 57f Abs. 3 S. 2 GmbHG i. V. m. § 320 Abs. 1 S. 1 HGB § 57f Abs. 3 S. 2 GmbHG i. V. m. § 320 Abs. 2 S. 1 HGB § 57f Abs. 3 S. 2 GmbHG i. V. m. § 321 Abs. 1 S. 1 HGB § 57f Abs. 3 S. 2 GmbHG i. V. m. § 323 HGB § 57j S. 1 § 57n Abs. 1 § 58 Abs. 1 Nr. 2 § 64 S. 1 § 64 S. 3 § 66 Abs. 2 § 66 Abs. 3 S. 1 § 72 S. 1 § 77 Abs. 3

Sachregister Abfindung siehe Ausgleichs- und Abfindungsanspruch Abhängigkeit – Abhängigkeitsbericht siehe dort – Bedeutung 8.32 – Begriff 8.30 – Beherrschungsmittel 8.30 f. – faktischer Konzern siehe dort – Genossenschaft 10.67 f. – Poolvereinbarung 8.31 – Vermutung siehe dort Abhängigkeitsbericht – Auskunftsrecht 8.144 – Berichtspflicht 8.136 f. – Inhalt 8.139 – Prüfung 8.140 – Sonderprüfung 8.142 f. – Veröffentlichung 8.139 Abschlussprüfer 4.9 ff. – Ersetzung 4.9 – Prüferbefähigungsrichtlinie 1.68 – Prüfungsauftrag 3.196 – Unabhängigkeit 4.9 Abspaltung siehe Spaltung Abstimmungsmehrheit siehe Mehrheit Abwickler siehe Auflösung Abwicklung siehe Auflösung actio pro societate 3.94 Ad-hoc-Publizität 3.54, 3.131c Agency-Kosten 1.28 Agio siehe Aufgeld Aktie – Einziehung 4.85 ff. – Gattung 2.74, 3.270

– – – – – – – – – –

Inhaberaktie 4.52 Kaduzierung 4.85 ff. Namensaktie 4.53 Nennbetrag 2.66 ff. Nennwert 2.72 Quotenaktie 2.69 ff. Sammelurkunde 4.52 Stimmberechtigung 3.257 ff. Stimmrecht siehe dort stimmrechtslose Vorzugsaktie 3.259 – Stückaktie 2.68 ff. – Übertragung 4.52 ff. – Vinkulierung 4.53 – Vorzugsaktie 3.259 – Wertpapier 4.1 – Zeichnung 6.17 ff. – Zwangseinziehung 4.85 ff. Aktiengesellschaft – Aufsichtsrat siehe dort – Bedeutung 1.84 ff. – Europäische Aktiengesellschaft siehe dort – Freie Berufe 2.64 – Gesellschafterdarlehen 5.138 – Hauptversammlung siehe dort – Gestaltungsfreiheit 2.48 ff. – Satzungsstrenge 2.48 f. – Vorstand siehe dort Aktienregister 4.76 f. Aktionärsforum 3.236a Aktionärsrechterichtlinie 1.75 Amtslöschung siehe Auflösung Anfechtbarkeit von Beschlüssen 3.279 ff. – abfindunsbezogene Informationsmängel 3.287 – Aktienrecht 3.279 ff. – Auskunftsverweigerungsverfahren 3.287

659

Sachregister

– Europäische Aktiengesellschaft 3.299 – Freigabeverfahren 3.282, 3.297b – Gewinnverwendungsbeschluss 3.289, 4.16 – Gleichbehandlungsgrundsatz 3.291 – GmbH-Recht 3.300 ff. – Informationsrechte 4.29 – Inhaltsfehler 3.289 – Inter-omnes-Wirkung 3.285 – Missbrauch 3.294 ff. – positive Beschlussfeststellungsklage 3.288 – Rechtsfolgen 3.298 – Rücklagenbildung 4.17 f. – sachlicher Grund 3.293 f. – Streitwert 3.286, 3.303 – Treuepflicht 3.292 – Verfahrensfehler 3.287 – Verschmelzung 6.142 ff. – Verstoß gegen Mitbestimmungsregelungen 3.167 ARAG-Entscheidung 3.90, 6.39 Arbeitsdirektor 3.5 audit committee siehe Aufsichtsrat Aufgeld 5.47 ff. Auflösung 7.16 ff. – Abwickler 7.36 ff. – Abwicklungspflicht 7.17 – Amtslöschung 7.27 – Auflösungsbeschluss 7.4 ff. – Auflösungsgründe 7.3 ff. – Auflösungsklage 7.11 – Beendigung der Gesellschaft 7.24 ff. – Doppeltatbestandslehre 7.24 – Eintragung 7.42 f. – Eröffnungsbilanz 7.19 – Europäische Aktiengesellschaft 7.2 – Formwechsel siehe dort – Fortsetzung 7.28 ff. 660

– – – – –

freiwillige Auflösung 7.28 ff. Genossenschaft 10.63 f. Gläubigerschutz 7.22 f. Insolvenzrecht 7.32 ff., 7.44 ff. insolvenzrechtliche Auflösung 7.32 ff. – Kapitalaufbringung 7.11 – Liquidationsdividende 7.21 – Löschung wegen Vermögenslosigkeit 7.10 – Nachtragsliquidation 7.27 – Nichtigkeit 7.53 f. – Parteifähigkeit 7.25 f. – Satzungsmängel 7.11 – Schlussrechnung 7.19 – Sitzverlegung ins Ausland 7.13 ff. – sonstige Auflösungsgründe 7.11 ff. – Verfahren 7.16 ff. – Vermögenslosigkeit 7.51 f. – Verschmelzung 7.9 – Zeitablauf 7.8 Aufsichtsrat 3.154 ff. – Abberufung 3.191 – Abschlussprüfer 3.196 – Abstimmungsverfahren 3.175 – Anzahl der Mandate 3.155 – audit committee 3.185 – Aufgaben und Pflichten 3.192 ff. – Ausschluss von Mitgliedern 3.181 – Ausschüsse 3.184 ff. – Beschlussfassung 3.174 ff. – Bestellung 3.189 ff. – Bestellung des Vorstandes 3.11 – Diskriminierungsverbot 3.186 – Doppelmandate 3.204 – Einberufung 3.176 – Entsenderechte 3.158 – Europäische Aktiengesellschaft 3.198, 3.201 f. – Fähigkeiten 3.155, 3.157 – Genossenschaft 10.24 ff.

Sachregister

– Geschäftsordnungskompetenz 3.179 – Haftung 3.206 f. – Informationspflichten des Aufsichtsrates 3.195 – Interessenkonflikte 3.204 – Kenntnisse 3.157 – Kommanditgesellschaft auf Aktien 9.11 ff. – Kontrollaufgabe 3.194 ff. – Konzern 8.170 ff. – Kreditgewährung an Mitglieder 3.190 – Leitung 3.174 ff. – Mitbestimmung siehe dort – Organisation 3.174 ff. – Organklagen 3.182 f. – Pflichten 3.192 ff. – rechtswidrige Beschlüsse 3.180 – Tagungsfrequenzen 3.177 – Telefon- und Videokonferenz 3.177 – Überwachung der Geschäftsführung 3.194 – Vergütung 3.190 – Verschwiegenheitspflicht 3.203 f. – Vertretung der Gesellschaft 3.200 – Verwaltungsaufgaben 3.199 ff. – Vorsitzender 3.174 – Wahl 3.157 – Zusammensetzung 3.156 f. – zustimmungspflichtige Geschäfte 3.178, 3.197 Aufspaltung 6.171 ff. Ausgleichs- und Abfindungsanspruch – Abfindung in Aktien 8.83 – Angemessenheit 8.72, 8.85 ff. – außenstehende Aktionäre 8.80 – Barabfindung 8.83, 8.92 – Berechnung 8.82 – Bericht 8.71 – Börsenkurs 8.87

– DAT/Altana-Entscheidung 8.87 f. – Ertragswert 8.89 – fehlende Regelung 8.81, 8.84 – fester Ausgleich 8.81 – Garantiedividende 8.81, 8.152 – Regelungsansatz 8.68 – Spruchverfahren siehe dort – Unternehmensverträge siehe dort – Unternehmensvertragsprüfung 8.72 – variabler Ausgleich 8.81 – verfahrensmäßige Kontrolle 8.93 ff. – Vertragskonzern siehe dort Ausgliederung 6.177 f., 8.47 Auskunftspflichten siehe Berichtspflichten Auslandsbeurkundung 4.56 Außengesellschaft 1.13 f. Ausschluss 4.88 ff. Ausschüttungsverbot 3.96 Austritt 4.82 ff. Austrittsrecht bei Umwandlungen 6.155 ff., 6.191 Autokran-Entscheidung 5.177

Bedingtes Kapital

5.8, 6.44 ff. Beendigung der Gesellschaft siehe Auflösung Beherrschung siehe Abhängigkeit Beirat siehe Aufsichtsrat Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag 8.63 ff. Berichtspflichten – börsennotierte AG 3.54 – Follow-up-Berichterstattung 3.53 – Geschäftsleiter 3.53 – Gründung 2.11 661

Sachregister

– Hauptversammlung 3.53 – Informationsrechte siehe dort – Vorstand gegenüber dem Aufsichtsrat 3.195 Bestätigungsvermerk 4.11 Bezugsrecht 4.19, 6.23 ff. – Ausschluss 6.27 ff. – Frist 6.24 – Zeichnungspflicht 6.25 Bezugsrechtsausschluss 6.27 ff. – Bericht 6.29 – sachliche Rechtfertigung 6.30 ff. – vereinfachter Bezugsrechtsausschluss 6.34 ff. BGB-Gesellschaft siehe Gesellschaft bürgerlichen Rechts Bilanzrichtlinie 1.67 BilRUG – BilanzrichtlinieUmsetzungsgesetz 1.67 Börsennotierung 6.5 ff. Buchführung 3.51 ff. Bürgschaft 5.162 Business judgment rule 3.83

Cartesio-Entscheidung 7.14 Cash-Management 5.173 Centros-Entscheidung 7.14 change of control 8.25, 8.55 ff. cold delisting 6.7 collective action problem 1.31 Compliance 3.42 Controlling system 3.52 Corporate Governance Kodex siehe Deutscher Corporate Governance Kodex Corporate opportunities 3.38, 5.83, 8.134 covenants 5.130, 8.50 Culpa in contrahendo 3.108 ff., 5.30 662

Daimler/Chrysler-Entscheidung 6.151 DAT/Altana-Entscheidung 8.87 f. Debt-Equity-Swap 5.153 Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) 1.80 ff. – Ad-hoc-Publizität 3.54 – Altersgrenze für Vorstandsmitglieder 3.12 – Anforderungen an Aufsichtsratsmitglieder 3.157 – audit committee 3.185 – Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrates 3.192 – Aufsichtsratsausschüsse 3.184 – Aufsichtsratsmandate 3.155 – Berichtspflicht des Abschlussprüfers 4.10 – Corporate-Governance-Bericht 4.16 – D&O-Police 3.152 f. – Erstbestellung eines Vorstandsmitgliedes 3.13 – Erklärung zur Unternehmensführung 4.16 – gemeinsame Tagung von Vorstand und Aufsichtsrat 3.181 – Geschäftsordnung des Aufsichtsrates 3.179 – Informations- und Berichtspflichten des Aufsichtsrates 3.195 – Informationsrechte 4.27 f. – Interessenkonflikte 3.73 – Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder 3.190 – Nebentätigkeiten des Vorstandes 3.67 – Nachfolge des Vorstandes 3.199 – Tagungsfrequenz des Aufsichtsrates 3.177 – Vergütung des Aufsichtsrates 3.190 – Vergütung des Vorstandes 3.24

Sachregister

– Vorstandsvorsitzender 3.8 – Zusammensetzung des Vorstandes 3.5 – Zwischenberichte 3.51 Delisting 6.6 f. Depotstimmrecht 3.242 Differenzhaftung 2.30 f. Directors’ dealings 3.54 D&O-Police 3.152 f. – Aufsichtsrat 3.193, 3.206 Doppeltatbestandslehre siehe Auflösung Due-diligence-Prüfung 3.47 ff.

Ehrenamtsstärkungsgesetz

3.83a, 3.153a, 4.43a Eigene Anteile siehe Erwerb eigener Anteile Eigenkapital 1.1, 5.1 ff. Eingetragener Verein 1.5 Eingliederung – Abfindungsanspruch 8.166 f. – Beendigung 8.168 – Begriff 8.157 – Prüfung 8.163 – Verfahren 8.159 ff. – Vorteile 8.158 – Wirkungen 8.164 Einlagenrückgewähr siehe Kapitalerhaltung Einlagepflicht 5.32 ff. – Aufrechnung durch den Gesellschafter 5.42 – Aufrechnung durch die Gesellschaft 5.42 – Beweislast 5.44 – Erlass 5.42 – Europäische Aktiengesellschaft 5.32 – freie Verfügung der Geschäftsführer 5.35 ff. – Kaduzierung 5.45

– Stundung 5.42 – Teilbetrag 5.33 f. Einpersonengesellschaft 1.69, 2.4 Eintragung siehe Gründung Einzelabschluss 3.231 Enforcement-Verfahren 4.11a f. Enthaftung 3.75, 3.97 Entherrschungsvertrag 8.29 Entsprechenserklärung 3.54 Erbtantenprivileg 5.154 Erklärung zur Unternehmensführung 4.16 Ersatzansprüche 3.90 ff. Erwerb eigener Anteile 5.95 ff. – Ausnahmen 5.99 ff. – financial assistance 5.97 – Gleichbehandlungsgrundsatz 5.101 – Grundsatz 5.95 ff. – Inpfandnahme 5.97 – verbundene Unternehmen 5.96 European Mutual Society [EMS]) siehe Europäische Gegenseitigkeitsgesellschaft Europäische Aktiengesellschaft 1.51 ff. – Abschlussprüfer 3.201 – Anfechtbarkeit von Beschlüssen 3.299 – Arbeitnehmerlose Gesellschaft 3.169 – Aufsichtsrat 3.198 ff. – Ausgründung 2.43 – Ausschluss von Aktionären 4.84 – Beschlussfassung 3.268 – Bestellung des Vorstandes 3.11 – Binnenorganisation 3.210a – formwechselnde Umwandlung 2.40 – geschäftsführende Direktoren 3.213

663

Sachregister

– – – – – –

Geschäftsführung 3.214e Gestaltungsfreiheit 2.50 Grenzüberschreitung 2.42 f. Gründung 2.35 ff. Haftung der Organe 3.79, 3.145 Hauptversammlung 3.227, 3.249 f. – historische Entwicklung 1.51 – Holding-SE 2.38 – inside directors 3.211 – Kapitalmaßnahmen 6.12 – Mitbestimmung 3.168 ff. – Mitgliedschaft 4.50 f. – monistisches System 3.208 ff. – nationale Rechtsvorschriften 1.53 – Nicht-EU-Gesellschaften 2.41 – outside directors 3.211 – Rechtsquellenhierachie 1.52 ff. – Satzungsänderung 6.2 – schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen 3.278 – Sitz 2.59 – Sitzverlegung 7.15 – Steuerrecht 1.57 – Tochter-SE 2.39 – Vereinbarung der Mitbestimmung 3.169 ff. – Verhaltenszurechnung 3.308 ff. – Verschmelzung 2.36 f. – Vertretung der Gesellschaft 3.214 f. – Vorgesellschaft 2.45 – Vorstand 3.5 – Wettbewerbsrecht 1.57 – Wissenszurechnung 3.316 – zustimmungspflichtige Geschäfte 3.178 Europäische Durchbrechungsregel 3.261a Europäische Einpersonengesellschaft 1.79 Europäische Genossenschaft 1.88, 10.69 ff. – Begriff 10.69

664

– – – –

Finanzverfassung 10.83 ff. Gründung 10.73 f. Haftung 10.88 historische Entwicklung 10.69 ff. – Kapitalaufbringung und -erhaltung 10.84 ff. – Mitgliedschaft 10.78 ff. – Organisationsverfassung 10.75 ff. Europäische Privatgesellschaft 1.79 Europäisches Recht 1.51 ff. – Bedeutung 1.61 – Bilanzrichtlinie 1.67 – Einpersonen-GmbH-Richtlinie 1.69 – Europäische Aktiengesellschaft siehe dort – Europäische Privatgesellschaft 1.79 – EWIV 1.17, 7.2 – finanzmarktbezogene Richtlinien 1.73 f. – GmbH-&-Co.-KG-Richtlinie 1.67 – IFRS-Verordnung 1.68 – kapitalmarktorientierte Richtlinien 1.73 f. – Kapitalschutzrichtlinie 1.64 – Kapitalverkehrsfreiheit 1.60 – Konzernbilanzrichtlinie 1.67 – Konzernrichtlinie 1.76 f. – Liquidationsrichtlinie 1.78 – Mittelstandsrichtlinie 1.67 – Niederlassungsfreiheit 1.59 – Prüferbefähigungsrichtlinie 1.68 – Publizitätsrichtlinie 1.62 – Richtlinien 1.61 ff. – Scheinauslandsgesellschaften 1.58 ff. – Sitzverlegungsrichtlinie 1.77 – Spaltungsrichtlinie 1.65 – Strukturrichtlinie 1.75 – Übernahmerichtlinie 1.70 f.

Sachregister

– Verschmelzungsrichtlinie 1.65 – Zweigniederlassungsrichtlinie 1.63 Europäische Stiftung 1.79 EWIV 1.17, 7.2 Existenzvernichtender Eingriff 5.29, 5.172 ff.

Freigabeverfahren 3.282, 3.297b, 3.300 Fremdkapital 5.1 ff. Fremdorganschaft 1.4 Führungslosigkeit 3.19b Fundatio Europaea [FE] siehe Europäische Stiftung

Faktischer Geschäftsführer 3.65 Faktischer Konzern – Abhängigkeit siehe dort – Abhängigkeitsbericht siehe dort – corporate opportunities 8.134 – Einlagenrückgewähr 8.146 – GmbH 8.147 ff. – Gewinnausschüttung 8.146 – Gläubigerschutz (GmbH) 8.149 – Haftung 8.145 – Jahresabschluss 8.135 – Minderheitenschutz (GmbH) 8.150 f. – Nachteilsausgleich 8.130 ff. – qualifizierter faktischer Konzern siehe dort – Stand-alone-Prinzip 8.132 f. – Treuepflicht (GmbH) 8.150 Feststellung der Satzung 2.7 Finanzplankredit 5.109 Firma 2.56 Formwechsel 6.206 ff. – Auflösung 7.9 – Austrittsrecht 6.217 – Bericht 6.211 – Beschluss 6.213 ff. – Gläubigerschutz 6.220 f. – Handelsregistereintragung 6.218 f. – Verfahren 6.210 Frauenquote siehe Geschlechterquote Freie Berufe 2.61 ff.

Garantie 5.162 Garantiekapital siehe Kapitalschutz GbR mbH 1.10 ff. Gebrauchsüberlassung 5.126 ff. Gelatine-Entscheidungen 3.224, 8.46 Genehmigtes Kapital 6.37 ff. Generalversammlung siehe Genossenschaft Genossenschaft 1.6, 10.2 ff. – abhängiges Unternehmen 10.67 f. – Auflösung 10.63 f. – Aufsichtsrat 10.24 ff. – Ausschluss 10.52 f. – Austritt 10.48 ff. – Begriff 10.2 – Erwerb der Mitgliedschaft 10.43 f. – Finanzverfassung 10.54 ff. – Generalversammlung 10.30 ff. – Genossenschaftsregister 10.15 – Geschäftsanteil 10.54 ff. – Gründung 10.14 ff. – herrschendes Unternehmen 10.66 – historische Entwicklung 10.5 ff. – juristische Person 10.4 – Kapitalverfassung 10.57 ff. – Kleingenossenschaften 10.28 f. – Liquidation 10.63 f. – Mitbestimmung 10.25 – Mitgliedschaft 10.40 ff. – Nachschusspflicht 10.57 f. 665

Sachregister

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Organisationsverfassung 10.17 ff. Pflichtprüfung 10.37 ff. Prüfungsverband 10.37 Satzungsänderungen 10.60 ff. Stimmrecht 10.35 ff. Strukturänderungen 10.60 ff. Übertragung der Mitgliedschaft 10.45 ff. – verbundene Unternehmen 10.65 ff. – Verlust der Mitgliedschaft 10.48 ff. – Vorstand 10.19 ff. – wirtschaftliche Bedeutung 10.9 ff. Genussrecht 5.10 ff. – Bezugsrecht 5.14 – Hauptversammlung 5.14 – Inhaltskontrolle der Genussscheinbedingungen 5.12 Genussschein siehe Genussrecht Gesamthandsprinzip 1.9 Geschäftsanteil siehe GmbH-Anteil Geschäftschancen 3.38, 5.83 Geschäftsführer – Abberufung 3.16 f. – Altersgrenze 3.12 – Anstellung 3.21 ff. – Arbeitsvertrag 3.22 ff. – Aufklärung über die Krise 3.78 – Ausländer 3.12 – Berichtspflichten 3.53 – Bestellung 3.11 ff. – Binnenorganisation 3.9 – Buchführung 3.51 f. – Due-diligence-Prüfung 3.47 f. – Enthaftung 3.75, 3.98 ff. – faktischer Geschäftsführer 3.65 – Geschäftsführung 3.42 f. – Gründerhaftung 2.24 ff., 2.32 f. – Haftung siehe Haftung der Geschäftsleiter

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Handelsregistereintragung 3.14 Insolvenzantragspflicht 3.60 ff. Interessenkonflikte 3.73 Kapitalerhaltung 3.55 Kreditgewährung 3.40 Kündigung 3.28 ff. Niederlegung 3.18 Notgeschäftsführer 3.19 öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit 3.145 f. – persönliche Voraussetzungen 3.12 – Pflichten gegenüber der Gesellschaft 3.38 ff. – Prozesspfleger 3.19 – Ruhegeldzusage 3.24 – Satzungs- und Strukturänderungen 3.40 – Selbstkontrahieren 3.15 – Sozialversicherungspflicht 3.23 – Strafbarkeit 3.147 ff. – Treuepflicht 3.46 – Verbotsgesetze 3.77 – Vergütung 3.24 – Verlustanzeige 3.57 ff. – Verschwiegenheitspflicht 3.46 f. – Vertretung der Gesellschaft 3.40 f. – Vorgesellschaft 2.20 – Vorstrafen 3.12 – Wettbewerbsverbot 3.50, 3.68 ff. – Widerruf der Bestellung 3.16 ff. – Zeitraum 3.13 – Zustimmungsvorbehalte 3.44 f. Geschichtliche Entwicklung 1.42 ff. Geschlechterquote 3.43, 3.156 f., 3.234 Gesellschaft bürgerlichen Rechts – Einbringung von GmbHAnteilen 4.60 – Gesellschaftervereinbarungen 3.269 ff. – unechte Vorgesellschaft 2.34

Sachregister

Gesellschafter – Kapitalerhaltung 5.87 ff. – Struktur 1.21 Gesellschafterdarlehen 5.102 ff. – Aktiengesellschaft 5.138 – ausländische Gesellschaften 5.140 – Aussonderung 5.127 – Bilanzierung 5.121 ff. – dogmatische Grundlage 5.108 – Erbtantenprivileg 5.154 – erfasste Gesellschaften 5.138 f. – gesellschafterbesicherte Drittdarlehen 5.136 – GmbH 5.138 – Kleinbeteiligungsprivileg 5.154 ff. – MoMiG 5.105 – Nachrang 5.106 – nahe Angehörige 5.131 – Nießbrauchsberechtigter 5.132 – Nutzungsüberlassung 5.126 f. – Personengesellschaften 5.139 – Pfandgläubiger 5.130 – Rangrücktritt 5.122 ff. – Rechtsprechungsregeln 5.104 f., 5.109, 5.157 – Sanierungsprivileg 5.150 ff. – stille Gesellschafter 5.132 – Stundungsvereinbarungen 5.128 – Treuhänder 5.130 – Übergangsrecht 5.157 – Überschuldung 5.122 – Unterbeteiligung 5.132 – Unternehmensbeteiligungsgesellschaften 5.141 – verbundene Unternehmen 5.131 – wirtschaftlich entsprechende Forderungen 5.125 ff. Gesellschafterhaftung siehe Haftung der Gesellschafter Gesellschafterklage 4.20 f. Gesellschafterliste 4.73a ff.

Gesellschafterversammlung 3.231 ff. – Abschlussprüferwahl 3.231 – Anfechtbarkeit von Beschlüssen siehe dort – Bestellung der Geschäftsführer 3.11, 3.227 – Beurkundung 3.255 – Einberufung 3.253 ff. – Entlastung der Geschäftsführer 3.227 – Ergebnisverwendung 3.231 – Ersatzansprüche 3.227 – Feststellung des Jahresabschlusses 3.231 – Grundlagenentscheidungen 3.229 – Handlungsvollmacht 3.227 – Leitung 3.255 – Mehrheit siehe dort – Nichtigkeit von Beschlüssen siehe dort – Niederschrift 3.255 – Prokura 3.227 – Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaften 3.229 – Rederecht 4.21 – schriftliche Stimmabgabe 3.256 – Stimmrecht 4.21 – Teilnahme 3.253, 4.21 – Überwachung der Geschäftsführung 3.227 – Verschmelzung 6.126 ff. – Vertretung auf der Gesellschafterversammlung 3.255 – Weisungsrecht 3.227 Gewinnabführungsvertrag siehe Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag Gewinnanspruch 4.7 ff. – Aktienrecht 4.13 ff. – GmbH-Recht 4.12 Gewinnausschüttung – Ausschüttungsverbot siehe Kapitalerhaltung

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Sachregister

– Gewinnanspruch 4.8 ff. – verdeckte Gewinnausschüttung siehe Kapitalerhaltung Gewinnrücklagen 4.12 ff. – Aktienrecht 4.13 ff. – GmbH-Recht 4.12 Gewinnschuldverschreibung 5.9 ff. Girmes-Entscheidung 3.307 Gläubigerschutz – Auflösung 7.22 f. – Formwechsel 6.220 f. – GmbH-Vertragskonzern 8.125 – Kapitalherabsetzung 6.59 – Spaltung 6.199 ff. – Verschmelzung 6.160 ff. Gleichbehandlungsgrundsatz 3.291, 4.5 GmbH – Aufsichtsrat siehe dort – Bedeutung 1.84 ff. – Binnenorganisation 3.9 – Firma 2.56 – Führungslosigkeit 3.19b – gemeinnützige [gGmbH] 2.56 – Geschäftsanschrift 3.19c – Geschäftsführer siehe dort – Gesellschafterversammlung siehe dort – Gestaltungsfreiheit 2.51 f. – Zustellungsvertreter 3.19d GmbH-Anteil – Auslandsbeurkundung 4.56 – Einziehung 4.85 ff. – Euro-Umstellung 6.84 ff. – Genehmigung des Vormundschaftsgerichts 4.61 – Gesellschaft bürgerlichen Rechts 4.60 – gutgläubiger Erwerb 4.73a ff. – Kaduzierung 4.85 ff. – Nennbetrag 2.66 – Nennwert 2.72 – Ortsform 4.56

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– Stimmberechtigung 3.257 – Stimmrecht siehe dort – stimmrechtsloser GmbH-Anteil 3.259 – Übertragung 4.55 ff. – Vinkulierung siehe dort – Zwangseinziehung 4.85 ff. GmbH-Vertragskonzern – Eintragung 8.117, 8.122 – Gläubigerschutz 8.125 – Minderheitenschutz 8.126 – Mitteilungspflichten 8.127 – notarielle Beurkundung 8.117 – Richterrecht 8.22, 8.116 – Supermarkt-Entscheidung 8.23, 8.117 ff., 8.123 – Vinkulierungsbestimmungen 8.127 – Vertragsschluss 8.117 GmbH & Co. KG 1.16 – europäische Rechtsangleichung 1.67 – KapCoRiLiG 1.67 GmbH & Co. KGaA 1.16 Going public 6.208 Golden shares 1.60 Gratisaktie 6.53 Grenzüberschreitende Verschmelzung 6.166a ff. Grundfreiheiten 1.58 ff. Gründung 2.1 ff. – Anfechtung 2.15 – Bekanntmachung 2.2 – Einpersonengesellschaft 2.4 – Eintragung 2.12 ff. – Europäische Aktiengesellschaft 2.35 ff. – Formfehler 2.15 – Gestaltungsfreiheit 2.48 ff. – Gründerhaftung 2.24 ff. – Gründungsbericht 2.11 – Mantelkauf 2.47a – Nachgründung 5.63

Sachregister

– Nichtigkeitsgründe 2.15 – Sachgründungsbericht 2.11 – Satzungsprüfung 2.14 – Strafbarkeit 3.150, 5.38 – Vorgesellschaft 2.2 – Vorgründungsgesellschaft 2.5 f. – Vorratsgründung 2.46 f. Gründungstheorie 7.13 ff. Grundkapital 1.1

Haftung der Aufsichtsratsmitglieder siehe Aufsichtsrat Haftung der Geschäftsleiter 3.78 ff. – Ausschüttungsregeln 3.96 – Betrug 3.122 ff. – Beweislast 3.89 – Buchführungspflicht 3.132 – Business judgment rule 3.83 – culpa in contrahendo 3.109 ff. – deliktische Ansprüche 3.106 – ehrenamtlich tätige Vereinsvorstände 3.83a – Enthaftung 3.75, 3.97 f. – Europäische Aktiengesellschaft 3.79, 3.144 – gegenüber der Gesellschaft 3.79 ff. – Geltendmachung 3.90 ff. – gesamtschuldnerische Haftung 3.88 – Gläubiger der Gesellschaft 3.95 – Insolvenzverschleppungshaftung 3.61 ff., 3.100 ff., 3.113 ff. – objektivierter Standard 3.83 – Produkthaftung 3.143 – Rechtsschein 3.108 – Schutzgesetzverletzung 3.313 ff., 3.122 f., 3.131c, 3.132 – selbständiges Garantieversprechen 3.112 – Sozialversicherungsbeiträge 3.124 ff. – Verjährung 3.99

– Vorenthalten von Arbeitsentgelt 3.124 ff. – Wettbewerbsverbot 3.86 Haftung der Gesellschafter 5.161 ff. – Bürgschaft 5.162 – Durchgriff 5.163 ff. – existenzvernichtender Eingriff 5.172 ff. – Garantie 5.162 – Gründerhaftung 2.24 ff. – Missbrauch 5.164 – Patronatserklärung 5.162 – qualifizierter faktischer Konzern 5.176 ff. – Unterkapitalisierung 5.167 ff. – verbotene Rückzahlungen siehe Kapitalerhaltung – Vermögensvermischung 5.165 ff. Haftungsdurchgriff siehe Haftung der Gesellschafter Halbjahresfinanzbericht 3.51 Handelndenhaftung 2.17, 2.32 ff. Hansa-Feuerfest-Entscheidung 8.76 Hauptversammlung 3.220 ff. – Anfechtbarkeit von Beschlüssen siehe dort – Abschlussprüferwahl 3.223 – Beschlussvorschläge 3.234 – Beurkundung 3.245 f. – Bilanzgewinnverwendung 3.223 – Depotvollmacht 3.242 ff. – Einberufung 3.233 ff. – Entlastung des Aufsichtsrates 3.220 f. – Ersatzansprüche 3.223 – Europäische Aktiengesellschaft 3.227, 3.249 f. – Gegenanträge 3.236 – Genossenschaft 10.30 ff. – Grundlagenentscheidungen 3.222 – Holzmüller-Entscheidung 3.229 – Informationsrechte 4.25 ff.

669

Sachregister

– Jahresabschluss 3.223 – Kommanditgesellschaft auf Aktien 9.15 ff. – Konzernabschluss 3.223 – Kreditinstitute 3.236 – Legitimationszession 3.240 – Leitung 3.245 ff. – Mehrheit siehe dort – Nichtigkeit von Beschlüssen siehe dort – Rederecht 4.21 – Redezeit 3.245 f. – Sonderprüfer 3.223 – Stimmrecht 4.21 – Stimmrechtsvertreter 3.240 f. – Tagesordnung u. Umfang 4.25 – Teilnahme 3.234 ff., 4.21 – Ton- und Bildübertragung 3.239 – Übernahmeabwehr 3.226 – Universalversammlung 3.247 – Vermögensübertragung 3.225 – Verschmelzung 6.126 ff. – Vertretung 3.240 ff. – Wahl des Aufsichtsrates 3.220 – Zuständigkeit 3.218 ff. Hinterlegungsbescheinigung 4.80 Historische Entwicklung 1.42 ff. Höchststimmrecht 3.261 Holding-SE 2.38 Holzmann-Entscheidung 6.30 f. Holzmüller-Entscheidung 3.227 ff., 8.46, 8.48 Hypothekenbank-Schwestern-Entscheidung 6.144

Informationsrechte – – – – – –

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4.24 ff. Aktienrecht 4.25 ff. Anfechtungsklage 4.29 Auskunftsverweigerung 4.26 GmbH-Recht 4.37 ff. Informationserzwingungsverfahren 4.29 UMAG 4.25

– verbundene Unternehmen 4.34 – Vergütung von Organmitgliedern 4.33 Inhaberaktie 4.52, 4.80 f. Inhaltskontrolle siehe Schranken der Mehrheitsmacht Insolvenzantragspflicht 3.60 ff. – Gesellschafter 3.65 – Kapitalschutzsystem 5.28 – Mitgeschäftsleiter 3.65 – Scheinauslandsgesellschaften 3.60 – Steuerrecht 3.131b – Strafbarkeit 3.147 – Überschuldung 3.62 ff. – Zahlungsunfähigkeit 3.61 Insolvenzantragsrecht 3.60 Insolvenzverschleppung 3.113 ff. – Arbeitnehmer 3.121 – Aufsichtsratsmitglieder 3.120 – Dritte 3.120 – Gesellschafter 3.119 – Mitgeschäftsleiter 3.119 – Quotenschaden 3.113 ff. Inspire-Art-Entscheidung 1.59 Institutionenwettbewerb 1.41 International Accounting Standards 1.68 International Financial Reporting Standards 1.68 Internationales Gesellschaftsrecht 7.13 ff.

Jahresabschluss – Erstellung 3.51 – Kommanditgesellschaft auf Aktien 9.17 – Prüfung 4.9 ff. Juristische Person – Abgrenzung zur Gesamthand 1.9 – Kapitalgesellschaft 1.7 ff.

Sachregister

– Missbrauch der juristischen Person siehe Haftung der Gesellschafter – Rechtsfähigkeit 1.8

Kaduzierung 4.85 ff. Kali-und-Salz-Entscheidung 6.30 KapCoRiLiG 1.67 KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz 3.131d Kapitalaufbringung 5.32 ff. – Aufgeld 5.46 ff. – Einlageverpflichtung siehe Einlagepflicht – Europäische Aktiengesellschaft 5.32 – Europäische Genossenschaft 10.84 ff. – Grundsatz 5.32 ff. – Kapitalerhöhung 5.72 f. – Kapitalrücklage 5.46 ff. – Sacheinlagen siehe dort – Zeichnung eigener Aktien 5.40 Kapitalerhaltung 5.74 ff. – bilanzielle Betrachtungsweise 5.35c – Erwerb eigener Anteile 5.95 ff. – Europäische Genossenschaft 10.84 ff. – financial assistance 5.97 – Haftung 5.87 ff. – Geschäftsleiter 3.55 – Mithaftung der übrigen Gesellschafter 5.93 – mittelbare Gesellschafter 5.92 – Prokuristen 5.94 – Rechtsfolgen 5.87 ff. – Reichweite 5.77 – Schütt-aus-hol-zurückVerfahren 5.66 ff. – Unternehmergesellschaft 5.45b – upstream guarantees 5.76 – verbundene Unternehmen 5.92

– Verbot des Erwerbs eigener Anteile siehe Erwerb eigener Anteile – verdeckte Gewinnausschüttung 5.81 ff. Kapitalerhöhung 6.13 ff. – bedingtes Kapital 6.22 – Bezugsrecht siehe dort – Kapitalerhöhung gegen Einlagen 6.13 ff. – aus Gesellschaftsmitteln 6.48 ff. – Formfehler 6.21 – Nichtigkeitsgründe 6.21 – Sacheinlagen 5.72 f. – Voreinzahlung auf künftige Einlagepflichten 6.19 Kapitalersetzende Gebrauchsüberlassung siehe Gebrauchsüberlassung Kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen siehe Gesellschafterdarlehen Kapitalgesellschaft – Außengesellschaft 1.13 f. – Bedeutung 1.83 ff. – Begriff 1.1 ff. – Formkaufmann 2.65 – freie Berufe 2.61 ff. – Gründung siehe dort – Handelsgesellschaften 1.14 – juristische Person 1.7 ff. – Kapitalmarktorientierung 1.19 f. – Körperschaft 1.3 ff. – Mitbestimmung 1.22 – Mitunternehmergemeinschaft 1.18 – ökonomische Grundlagen 1.23 ff. – Personengesellschaft 1.15 ff. – Publikumsgesellschaft 1.18 – Realtypen 1.18 ff. – Rechtsformwahl 1.83 – Rechtsquellen 1.43 ff.

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Sachregister

– Struktur des Gesellschafterkreises 1.21 – Typenvermischung 1.16 Kapitalgesellschaft & Co. KG 5.155, 9.22 Kapitalherabsetzung 6.55 ff. – effektive Kapitalherabsetzung 6.57 ff. – Gläubigerschutz 6.59 – vereinfachte Kapitalherabsetzung 6.60 ff. – Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht 1.19 f. Kapitalschutz – angemessene Kapitalausstattung 5.26 – bilanzielle Betrachtungsweise 5.35c – culpa in contrahendo 5.30 – deliktische Haftung 5.30 – existenzvernichtender Eingriff 5.29 – Insolvenzantragspflicht 5.28 – Kapitalaufbringung siehe dort – Kapitalerhaltung siehe dort – Mängel 5.18 ff. – qualifizierter faktischer Konzern 5.29 – Seriositätsschwelle 5.23 – Unterkapitalisierung 5.27 – Unter-pari-Emission 5.46 Kapitalschutzrichtlinie 1.64 Kapitalverkehrsfreiheit 1.60 Kaufmannseigenschaft 2.65 Klagezulassungsverfahren 3.93 f. Kleinbeteiligungsprivileg 5.154 ff. Kleingenossenschaften 10.28 f. Know-how 5.55 Kochs-Adler-Entscheidung 6.119 Körperschaft 1.3 ff. Kommanditgesellschaft auf Aktien 1.16, 9.1 ff.

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– – – – – – – – – –

Aufsichtsrat 9.11 ff. Bedeutung 9.1 ff. Begriff 9.1 ff. eigene Aktien 9.15 Finanzverfassung 9.19 ff. Gestaltungsfreiheit 9.6 Gewinnverteilung 9.21 Hauptversammlung 9.15 ff. Jahresabschluss 9.17 persönlich haftender Gesellschafter 9.5 ff. – Publikumskommanditgesellschaft 9.18 – Satzung 9.8 – Wettbewerbsverbot 9.10 Konkurs siehe Insolvenz Kontrollwechsel 8.25, 8.55 f. Konzern – Begriff 8.33 ff. – einheitliche Leitung 8.33 f. – faktischer Konzern siehe dort – Gleichordnungskonzern 8.33 f. – Informationsrechte 4.34 – Konzernbildung siehe dort – Konzernrecht siehe dort – qualifizierter faktischer Konzern siehe dort – Unternehmensverträge siehe dort – Unterordnungskonzern 8.33 – Konzernrichtlinie 1.76 Konzernabschluss 3.51 Konzernbilanzrichtlinie 1.67 Konzernbildung – Gelatine-Entscheidungen 8.46 – Holzmüller-Entscheidung 8.46, 8.48 – Konzernierungsklauseln siehe dort – Konzernunterwerfungsklauseln 8.57 – Mitteilungspflichten 8.51 ff.

Sachregister

– – – – – –

Obergesellschaft 8.45 ff. Pflichtangebot 8.55 Rechtsausübungssperre 8.53 Satzungsklauseln 8.57 ff. Untergesellschaft 8.51 ff. Umwandlungsgesetz siehe Umwandlung – Übernahmerecht 8.55 f. – Vinkulierungsbestimmungen 8.58 – Vinkulierung siehe dort – Wettbewerbsverbote 8.59 Konzernbildungskontrolle siehe Konzernbildung Konzernhaftung – Durchgriffshaftung 8.6, 8.153 f. – Hansa-Feuerfest-Entscheidung 8.76 – Verlustausgleich 8.18, 8.75 f., 8.153 Konzernierungsklauseln – Konzernunterwerfungsklauseln 8.57 – Strukturänderungen 8.46 – Unternehmensgegenstand 8.45 – Wettbewerbsverbot 8.59 f. Konzernrecht – Abhängigkeit siehe dort – Ausgliederung 8.47 – Beherrschung siehe Abhängigkeit – Eingliederung siehe dort – Europäische Aktiengesellschaft 8.114 ff. – faktischer Konzern siehe dort – Gleichordnungskonzern siehe Konzern – GmbH-Vertragskonzern siehe dort – Gründe 8.5 ff. – historische Entwicklung 8.18 ff. – Interessenbeeinträchtigungen 8.12 ff. – Konzernbildung siehe dort

– – – –

Konzernkonflikt 8.40 Mehrheitsbeteiligung siehe dort MLP-Entscheidung 8.42 organische Konzernverfassung 8.25, 8.56 – qualifizierter faktischer Konzern siehe dort – Rechtsquellen 8.16 f. – Rechtsvergleichung 8.20 – Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung 8.25 – Schutzrecht 8.10 – Untergesellschaft siehe dort – Unternehmensverträge siehe dort – Unterordnungskonzern siehe Konzern – Übernahmerecht siehe dort – Unternehmensbegriff 8.39 – verbundene Unternehmen 5.131, 8.27, 10.65 ff., 10.105 – Vertragskonzern siehe dort – wechselseitige Beteiligung siehe dort – Zweck 8.9 ff. Konzessionssystem 1.42 Kreditgewährung 3.40, 3.190 Kupons 4.80

Legitimationszession – AG 3.240 – GmbH 3.253 Liquidation siehe Auflösung Liquidationserlös 4.19 Liquidatoren siehe Auflösung Liquidationsrichtlinie 1.78 Löschung wegen Vermögenslosigkeit 7.10 Luft-Taxi-Entscheidung 5.103

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Sachregister

Mannesmann-Entscheidung

3.148, 3.226 Mantelkauf 2.47a Market for corporate control 1.38 Markttransaktionskosten 1.26 Materielle Beschlusskontrolle siehe Schranken der Mehrheitsmacht Materielle Unterkapitalisierung 5.167 Mehrheit – einfache Mehrheit 3.265 – qualifizierte Mehrheit 3.265 – Schranken der Mehrheitsmacht siehe dort – Sperrminorität 3.265 – Vorgesellschaft 2.19 Mehrheitsbeteiligung 8.28 f. – Abhängigkeit 8.30 ff. – Abhängigkeitsvermutung 8.29 – Entherrschungsvertrag 8.29 Mehrheitsprinzip 1.4 Mehrstimmrecht 3.260 MicroBilG 4.9, 4.11 Missbräuchliche Anfechtungsklage 3.294 ff. Mitbestimmung 1.22 – Aktiengesellschaft 3.159 – Betriebsverfassungsgesetz 3.163 f. – Europäische Aktiengesellschaft 3.168 ff. – Genossenschaft 10.25 – Konzernrecht 8.170 ff. – Mitbestimmungsgesetz 1976 3.160 f. – Montan-Mitbestimmung 3.162 – Tendenzunternehmen 3.165 – Verstoß gegen Regelungen 3.167 Mitgliedschaft 4.1 ff. – absolutes Recht 4.6

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– – – –

Abtretung 4.54 Bezugsrecht 4.19 Erwerb 4.48 ff. Europäische Aktiengesellschaft 4.50 f. – Europäische Genossenschaft 10.78 ff. – Genossenschaft 10.40 ff. – Gewinnanspruch 4.8 ff. – Gleichbehandlung 4.5 – Individualrechte 4.3 – Informationsrechte 4.24 ff., 4.3 – kollektive Rechte 4.3 – Pflichten 4.40 ff. – Rechte 4.3 ff. – Rücksichtnahme 4.5 – Sonderrechte 4.4 – Treuepflicht 4.5 – Übertragbarkeit 4.52 ff. – Übertragung siehe GmbH-Anteil – Vererblichkeit 4.48 – Verlust 4.82 ff. – Vermögensrechte 4.7 ff. – Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 10.89 ff. – Verwaltungsrechte 4.21 ff. Mittelbares Bezugsrecht 6.43 Mitunternehmergemeinschaft 1.18 MLP-Entscheidung 8.42 MoMiG 1.45, 5.25a, 5.105 MPS-Entscheidung 5.76a, 8.134a Musterprotokoll 2.11a

Nachgründung

5.62 f. Nachschusspflicht 4.42 Nachtragsliquidation siehe Auflösung Namensaktie 4.53, 4.73 ff. Nebenleistungspflichten 4.41 ff. Nennbetragsaktien 2.68 ff. Nennkapital 2.66 f.

Sachregister

Neutralitätspflicht 3.145 Nichtigkeit von Beschlüssen – Aktienrecht 3.281 ff. – Gesellschaft 7.53 f. – Verschmelzung 6.142 ff. Nicht-kapitalistische Körperschaften 10.1 ff. – Europäische Genossenschaft siehe dort – Genossenschaft siehe dort – Verein siehe dort – Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit siehe dort Nicht verhältniswahrende Spaltung 6.194 ff. Nichtrechtsfähiger Verein 1.8 Niederlassungsfreiheit 1.59 Nießbrauch 5.132 Nominelle Unterkapitalisierung siehe Unterkapitalisierung Notgeschäftsführer 3.19 Nutzungsüberlassung 5.126 f.

Offene Handelsgesellschaft

1.2, 2.2, 2.34 Ökonomische Analyse des Rechts – beschränkte Haftung 1.34 – Gesellschaftsrecht 1.24 ff. – Haftungsdurchgriff 1.36 – Hold-up-Situation 1.27 – methodologischer Individualismus 1.23 – Neue Institutionenökonomik 1.24 – neoklassische Mikroökonomie 1.24 – Prinzipal-Agenten-Beziehung siehe dort – Rechnungslegungspflicht und -publizität 1.36 – stock options 1.38 – Transaktionskosten siehe dort

Optionsanleihe 5.4 ff. Optionsschein 5.6 f. Organisationsverfassung 3.1 ff., 10.17 ff. Organische Konzernverfassung 8.25, 8.56

Partnerschaft 2.57 Patronatserklärung 5.162 Personengesellschaft 1.2 – Haftung der Gesellschafter 1.9 ff. – Kapitalgesellschaft 1.15 ff. – Typenvermischung 1.16 Persönlich haftender Gesellschafter 9.5 ff. Pflichtangebot 8.55 Pflichtprüfung 10.37 ff. Poolvertrag 3.269 Prinzipal-Agenten-Beziehung – Agency-Kosten 1.28 – Anteilseigner und Management 1.29 ff. – Anteilseigner und stakeholder 1.29, 1.36 – Begriff 1.28 – beschränkte Haftung 1.36 – Collective-action-Problem 1.31 – Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter 1.29, 1.32 Prospekthaftung 5.76b Prozesspfleger 3.19 Prüfstelle für Rechnungslegung 4.11a f. Prüfungsausschuss 3.154, 3.185 Prüfungsverband 10.37 Publikumsgesellschaft 1.18, 9.18 Publizitätsrichtlinie 1.62 Qualifizierter faktischer Konzern 5.29, 5.176 ff., 8.152 ff. – Abwehranspruch 8.155 675

Sachregister

– existenzvernichtender Eingriff 8.154, 8.156 – faktischer Konzern siehe dort – Garantiedividende 8.152 – Gläubigerschutz 8.153 – Minderheitenschutz 8.155 f. – Unterlassungsanspruch 8.155 Quotenaktie 2.69 ff. Quotenschaden 3.113 ff.

Rangrücktritt

5.122 ff. Realtypen der Kapitalgesellschaften – Publikumsgesellschaft 1.18 – Mitunternehmergesellschaft 1.18 Rechtsanwaltsgesellschaft 2.56 f., 2.61 ff. Rechtsfähigkeit 1.8, 2.7, 2.22 Rechtsquellen 1.43 ff. – Aktiengesetz 1.43, 1.46 – Bürgerliches Gesetzbuch 1.46 f. – Deutscher Corporate Governance Kodex 1.80 ff. – Europarecht 1.51 ff. – GmbH-Gesetz 1.43, 1.46 – Grundgesetz 1.50 – Handelsgesetzbuch 1.47 – Richterliche Auslegung 1.48 – Selbstregulierung 1.80 ff. – Übernahmekodex 1.80 ff. – Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz 1.49 – Wertpapierhandelsgesetz 1.49 Rechtsscheinhaftung 3.108 Record date 3.238 Reflexschaden 4.6 Registergerichtliche Prüfung 2.12 ff. Ruhegeldzusage 3.24 Rücklagen – Anfechtung 4.17 f. – gesetzliche Rücklagen 4.15 – Gewinnrücklagen siehe dort

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– Rechtsschutz gegen Rücklagenbildung 4.17 f. – Sonderprüfung 4.17 f.

Sachdividende

4.16a Sacheinlage 5.52 ff. – Bericht 5.58 – Kapitalerhöhung 5.73 – Know-how 5.55 – Nachgründung 5.62 f. – Offenlegung 5.57 – Prüfung 5.58 – Sachübernahmen 5.61 – Unternehmergesellschaft 5.45c – verdeckte Sacheinlage 5.64 ff. Sachliche Rechtfertigung von Beschlüssen siehe Schranken der Mehrheitsmacht Sachsenmilch-Entscheidung 6.64 Sachübernahme 5.61 Sammelurkunde 4.52 Sanierungsprivileg 5.150 ff. Satzung – Aktiengattungen 2.74 – Auslegung 2.75 – Durchbrechung siehe Satzungsänderung – Firma 2.56 – Gesamtnennkapital 2.66 f. – Gestaltungsfreiheit 2.48 ff. – Inhaltskontrolle (GmbH) 2.52 – Kommanditgesellschaft auf Aktien 9.8 – Mängel 7.11, 7.53 f. – materielle Überprüfung der Satzung 2.14 – Mindestinhalt 2.53 ff. – Nennbetragsaktien 2.68 ff. – nichtkorporative Bestandteile 2.54 – Quotenaktien 2.69 ff. – Rechtsformangabe 2.56 – Satzungsänderung siehe dort

Sachregister

– Sitz 2.59 – Sprache 2.55 – Stückaktien 2.68 ff. – Unternehmensgegenstand 2.60 Satzungsänderung 6.1 ff. – Beurkundung 6.8 – Delisting 6.6 f. – Euro-Anpassung 6.72 ff. – Europäische Aktiengesellschaft 6.2 – faktische Satzungsänderung 6.9 f. – Genossenschaft 10.60 ff. – Handelsregistereintragung 6.8 – inhaltliche Schranken 6.4 ff. – Kapitalmaßnahmen siehe Kapitalerhöhung/-herabsetzung – Satzungsdurchbrechung 6.9 f. – Verfahren 6.1 ff. – Vermögensübertragung 6.3 – Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 10.98 ff. Satzungsmängel 7.11, 7.53 f. Scheinauslandsgesellschaften 1.58 ff. Schiedsgericht 3.304 Schlussrechnung siehe Auflösung Schranken der Mehrheitsmacht – Genussscheinbedingungen 5.12 – Gleichbehandlungsgrundsatz 3.291 – Inhaltskontrolle 2.52, 6.31, 6.159 – Treuepflicht 4.5 Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarung 3.269 ff., 4.43 Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren 5.66 ff. Separation of Ownership and Control 1.30 shareholder value 3.43 Siemens-Nold-Entscheidung 6.38 Sitz 2.59

Sitztheorie 7.13 ff. Sitzverlegung 7.13 ff. Sitzverlegungsrichtlinie 1.77 Societas Europaea siehe Europäische Aktiengesellschaft Societas Cooperativa Europaea siehe Europäische Genossenschaft Societas Unius Personae siehe Europäische Einpersonengesellschaft Solvenztest 3.105a ff. Sonderbeschluss 3.267 Sonderprüfung 4.20 – Bestellung des Sonderprüfers 3.223 – Rücklagenbildung 4.17 f. Sonderrechte 3.267 f., 4.4,6.137 Sozialversicherungsbeiträge 3.124 ff. Spaltung 6.167 ff. – Abspaltung 6.175 f. – Aufspaltung 6.171 ff. – Ausgliederung 6.177 f. – Austrittsrecht 6.191 – Gläubigerschutz 6.199 ff. – Handelsregistereintragung 6.192 f. – nicht verhältniswahrende Spaltung 6.194 ff. – Spaltungsbericht 6.182 – Spaltungsbeschluss 6.187 ff. – Spaltungsplan 6.180 f. – Spaltungsprüfung 6.183 ff. – Verfahren 6.180 f. Spaltungsrichtlinie 1.65 Sperrminorität 3.265 f. Spruchverfahren – Abschluss eines Beherrschungsoder Gewinnabführungsvertrages 8.2 f., 8.80, 8.106 – Aufhebung eines Beherrschungsoder Gewinnabführungsvertrages 8.119

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Sachregister

– Eingliederung 8.163 – GmbH 8.119, 8.126 – Umwandlung 6.150 ff. squeeze out – Aktienrecht 4.93 – Kapitalmarktrecht 4.93a – Konzernrecht 8.169 – Verschmelzungsrecht 4.93b, 6.109 SSI-Entscheidung 8.103 Stammkapital 1.1, 3.59 Steuerrecht – Gruppenbesteuerungssystem 8.20 – Organschaft 8.18 – Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung 8.25 – Unternehmenssteuerreform 8.24 Stiftung 1.8 Stille Reserven 3.63 Stimmbindungsvertrag 3.270 Stimmpflicht 3.305 ff. Stimmrecht 3.257 ff. – Ausschluss 3.262 ff., 8.108 – Depotvollmacht 3.242 – Europäische Aktiengesellschaft 3.268 – Genossenschaft 10.35 ff. – Höchststimmrecht 3.261 – Mehrheit 3.265 – Mehrstimmrecht 3.260 – proxyvoting 3.241 – Ruhen 3.264a – Sonderbeschluss 3.267 – Sperrminorität 3.265 – Stimmpflicht 3.305 ff. – stimmrechtslose Vorzugsaktien 3.259 – Stimmrechtsvertretung 3.241 – Umfang 3.257 f. – Vertreter 3.241

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Stimmrechtsausschluss siehe Stimmrecht Stimmrechtslose Vorzugsaktie 3.262 stock options 1.38, 6.45 ff. Streitwertspaltung siehe Anfechtbarkeit von Beschlüssen Stückaktie 2.68 ff. – Quotenaktien 2.69 – Euro-Einführung 6.74 ff. SUP siehe Societas Unius Personae Supermarkt-Entscheidung 8.23, 8.117 ff., 8.123

TBB-Entscheidung 5.178 ff. Telefon- und Videokonferenzen 3.177 Tendenzunternehmen – Mitbestimmung 3.165 – Treuepflichten des Geschäftsleiters 3.46 Texan-Shoot-Out-Klausel 7.11 Tiefbau-Entscheidung 5.177 Transaktionskosten – Konzept positiver Transaktionskosten 1.24 – Markttransaktionskosten 1.26 f. – Unternehmenstransaktionskosten 1.28 – Überwachungs- und Bewertungskosten 1.34 Trennungsprinzip 1.7 Treuhänder – Gesellschafterdarlehen 5.130 – Gründung einer Vor-GmbH 2.27 Treuepflichten – Geschäftsleiter 3.46 ff. – Gesellschafter ggü. der Gesellschaft 4.44 ff.

Sachregister

– Gesellschafter untereinander 3.294, 4.5 Typenvermischte Rechtsformen 9.1 ff.

Übernahmerecht

4.70 ff., 8.25, 8.55 f. – genehmigtes Kapital 6.41 f. – Hauptversammlung 3.226 – Mitteilungspflichten 4.71 – Neutralitätspflicht 3.145 – Übernahmeangebot 4.72 – Übernahmekodex 1.80 – Übernahmerichtlinie 1.49 Überschuldung 3.62 ff., 5.122 Überseering-Entscheidung 1.59, 7.14 UMAG 3.93 Umwandlung 6.89 ff., 6.94 – Ausgliederung 8.47 – Austrittsrecht 6.155 ff., 6.191 – Begriff, Arten 6.89 ff. – Europäische Aktiengesellschaft 6.104 f. – Formwechsel siehe dort – Gläubigerschutz siehe dort – Historische Entwicklung 6.95 ff. – missbräuchliche Anfechtungsklage siehe Anfechtung – Rechtsquellen 6.95 ff. – Spaltung siehe dort – Spruchverfahren 6.150 ff. – Unbedenklichkeitsverfahren 6.147 – Vermögensübertragung siehe dort – Verschmelzung siehe dort Unechte Vorgesellschaft 2.34 Universalversammlung 3.247 Unterbilanzhaftung 2.24, 5.121 Untergesellschaft – Mitteilungspflichten 8.51

Unterkapitalisierung – materielle Unterkapitalisierung 5.167 ff. – nominelle Unterkapitalisierung 5.27 Unternehmensbegriff 8.39 ff. Unternehmensbeteiligungsgesellschaften 5.141 Unternehmensgegenstand – freiberufliche Tätigkeit 2.61 – Satzungsgegenstand 2.60 ff. Unternehmensregister 4.11 Unternehmensverträge – Abschluss 8.70 – Änderung 8.96 ff., 8.106 – Aufhebung 8.96 ff. – Ausgleichs- und Abfindungsregeln siehe dort – Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag 8.63 – Bericht 8.71 – Betriebspacht- und -überlassungsvertrag 8.65 – einheitliche Leitung 8.33 – Eintragung 8.74, 8.109 – Gewinngemeinschaft 8.65 – Gläubigerschutz 8.69, 8.75 ff. – GmbH-Vertragskonzern siehe dort – Inhalt 8.63 f. – Konzern siehe dort – Kündigung 8.67, 8.95, 8.100 ff. – organische Konzernverfassung 8.25, 8.56 – Prüfung 8.72 – Regelungsansatz 8.67 – Rücklage 8.75 – Sicherheitsleistung 8.78 – Sonderbeschluss 8.102 f. – Steuerrecht siehe dort – Supermarkt-Rechtsprechung 8.23, 8.117 ff., 8.123 – Teilgewinnabführungsvertrag 8.65, 8.67. 679

Sachregister

– Weisung 8.110 ff. – Wirkung 8.110 ff. – Zustimmungsbeschluss 8.73 Unternehmergesellschaft 5.45a ff. – Einsatzmöglichkeiten 5.45g – Firma 5.45b – Insolvenz 5.45d – Kapitalerhaltung 5.45b – Sacheinlage 5.45c Unter-pari-Emission 5.46 upstream guarantees 5.76, 8.49

VALE–Entscheidung

1.59, 6.90 Verbundene Unternehmen 5.131, 8.27, 10.65 ff., 10.105 Verdeckte Gewinnausschüttung 5.81 ff. Verdeckte Sacheinlage 5.64 ff. Verein 1.5, 10.1 – Haftung 4.43a Vergütung von Organmitgliedern – Aufsichtsrat 3.190 – Geschäftsführer 3.24 – Informationsrecht 4.33 – Offenlegung 4.33 – Vorstand 3.24 Verlustanzeige 3.57 ff. Vermögenslosigkeit siehe Auflösung Vermögensübertragung 3.225, 6.3, 6.203 ff. Vermögens- und Sphärenvermischung 5.165 f. Vermutung – Abhängigkeitsvermutung 8.29, 8.38 – einheitliche Leitung 8.33 – Konzernvermutung 8.32 – Mehrheitsbeteiligung 8.29 – wechselseitige Beteiligung 8.38

680

Verschmelzung 6.106 ff. – Ablauf 6.114 ff. – Anfechtungsklage 6.142 ff. – Auflösung 7.9 – Austrittsrecht 6.155 ff. – Bericht 6.119 ff. – Beschlussfassung der Hauptbzw. Gesellschafterversammlung 6.126 ff. – Europäische Aktiengesellschaft 2.36 f. – Gesamtrechtsnachfolge 6.134 – Gläubigerschutz 6.160 ff. – grenzüberschreitende Verschmelzung 6.166a ff. – Handelsregistereintragung 6.130 ff. – Inhaltskontrolle des Verschmelzungsberichtes 6.159 – Konzernverschmelzung 6.108 f. – Minderheitenschutz 6.139 ff. – Nichtigkeitsklage 6.142 ff. – Prüfung 6.124 f. – Schadenersatzansprüche 6.154 – Spruchverfahren 6.150 ff. – Unbedenklichkeitsverfahren 6.147 – Unternehmergesellschaft 6.113 – Verfahren 6.114 ff. – Vertrag 6.115 ff. – zur Aufnahme 6.110 – zur Neugründung 6.111 Verschmelzungsrichtlinie 1.65 Verschwiegenheitspflicht – Aufsichtsrat 3.203 f. – Geschäftsleiter 3.46 ff. Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 1.6, 10.89 ff. – Finanzverfassung 10.97 – Gründung 10.91 f. – historische Entwicklung 10.90 – Mitgliedschaft 10.94 ff. – Organisationsverfassung 10.93 – Satzungsänderung 10.98 ff.

Sachregister

– Strukturänderungen 10.98 ff. – verbundene Unternehmen 10.105 Vertragskonzern 8.2, 8.18 ff., 8.63 ff. – GmbH-Vertragskonzern siehe dort – Unternehmensverträge siehe dort Vertretungsmacht – Aktiengesellschaft 3.40 – GmbH 3.40 – Vorgesellschaft 2.23 Video-Entscheidung 5.177 Vinkulierung 4.64 ff., 8.54, 8.58, 8.60, 8.127 – Andienungspflicht 4.65 – Due-diligence-Prüfung 4.69 – Verweigerung der Zustimmung 4.67 f. Vollabwicklung 7.45 ff. Vorbelastungsverbot 2.28 ff. Vorgesellschaft 2.7 ff. – Außenverhältnis 2.22 f. – Binnenorganisation 2.18 ff. – Differenzhaftung 2.30 f. – Europäische Aktiengesellschaft 2.45 – Feststellung der Satzung 2.7 – Geschäftsführungsbefugnis 2.20 – Gesellschaftsvertragsänderungen 2.21 – Gründerhaftung 2.24 ff. – Gründungsbericht 2.11 – Handelndenhaftung 2.32 f. – Mehrheitsprinzip 2.19 – Mitgliedschaft 4.62 f. – Rechtsfähigkeit 2.22 – Rechtsverhältnisse 2.16 ff. – Sachgründungsbericht 2.11 – Treuhänder 2.27 – Unechte Vorgesellschaft 2.34 – Vertretungsmacht 2.23 – Vorbelastungsverbot 2.28 ff.

Vorgründungsgesellschaft 2.5 f. Vorratsgründung 2.46 f. Vorstand 3.5 ff. – Abberufung 3.16 f. – Ad-hoc-Publizität 3.54 – Altersgrenze 3.12 – Anstellung 3.21 ff. – Anzahl 3.5 – Arbeitsdirektor 3.5 – Arbeitsteilung 3.7 – Arbeitsvertrag 3.22 ff. – Aufklärung über die Krise 3.77 – Ausländer 3.12 – Berichtspflichten 3.53 f. – Bestellung 3.11 ff. – Binnenorganisation 3.6 ff. – Buchführung 3.51 ff. – D&O-Police 3.152 f. – Directors’ dealings 3.54 – Due-diligence-Prüfung 3.47 – Enthaftung 3.75, 3.97 – Entsprechungserklärung 3.54 – Europäische Aktiengesellschaft 3.5 – Genossenschaft 10.19 ff. – Geschäftsführung 3.42 ff. – Geschäftsordnung 3.6 – Gleichberechtigung der Mitglieder 3.8 – Haftung siehe Haftung der Geschäftsleiter – Handelsregistereintragung 3.14 – Insolvenzantragspflicht 3.60 ff. – Interessenkonflikte 3.73 – Kapitalerhaltung 3.55 – Kreditgewährung an Geschäftsleiter 3.40 – Kündigung 3.27 ff. – Nebentätigkeit 3.67 – Neutralitätspflicht 3.145 – Niederlegung 3.18 – Notgeschäftsführer 3.19 – öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit 3.145 f.

681

Sachregister

– persönliche Voraussetzungen 3.12 – Pflichten 3.38 ff., 3.66 ff. – Prozesspfleger 3.19 – Ruhegeldzusage 3.24 – Satzungs- und Strukturänderungen 3.40 – Selbstkontrahieren 3.15 – Strafbarkeit 3.147 ff. – Strukturmöglichkeiten 3.6 – Treuepflichten 3.46 ff. – Überwachungssystem 3.52 – Verbotsgesetze 3.77 – Vergütung 3.24 – Verlustanzeige 3.57 ff. – Verschwiegenheitspflicht 3.46 – Versicherung 3.152 f. – Vertretung der Gesellschaft 3.40 f. – Vorstandsvorsitzender 3.8 – Vorstrafen 3.12 – Wettbewerbsverbot 3.50, 3.68 ff. – Widerruf der Bestellung 3.16 f. – Zeitraum der Bestellung 3.13 – Zusammensetzung 3.5 ff. VorstOG 3.24a, 3.223 Vorzugsaktie 3.259

Wandel- und Optionsanleihen

5.4 ff. Wechselseitige Beteiligung – Abhängigkeitsvermutung 8.38 – Begriff 8.36

682

– Mitteilungspflichten 8.37, 8.54 – Ringbeteiligung 8.38 Wertpapier 4.1 Wertpapierhandelsgesetz 1.49 Wettbewerbsverbot – Geschäftsleiter 3.50, 3.68 ff. – Gesellschafter 3.69 – Kommanditgesellschaft auf Aktien 9.10 – Konzernrecht 8.14, 8.59 f., 8.62, 8.134 – nachvertragliches Wettbewerbsverbot 3.74 – Schadenersatz 3.86 Wirtschaftliche Neugründung 2.46 ff.

Zahlungsunfähigkeit 3.61 Zahlungsverbot 3.100 ff. Zeichnung 6.17 ff. Zurechnung zur Gesellschaft 3.308 ff. – § 31 BGB 3.312 ff. – Europäische Aktiengesellschaft 3.319 – Wissenszurechnung 3.316 ff. Zustellungsvertreter 3.19d Zwangseinziehung 4.85 ff. Zweigniederlassungsrichtlinie 1.63 Zwischenmitteilung der Geschäftsführung 3.51